H»WWWWKMW
von
Karl Waldemär Nolte
Kasseler Dichterbuch
[fWfM
Dichtungen
Albrecht, Sans II Albrecht, Richard
Altmüller, Lans // v. Berlepsch,
Karl, Frhr. // Bern dt, Konrad
Bertelmann, Leinrich // Bramer,
Jeanette // Buchmann, Gottfried
Brenzel, Zosephine // Dietz, Paul
Engelhard, Wilhelm // v. Eschen
(Mathilde v. Eschstruth) II v. Essen,
Dorothea // Fliedner,Lina // v. Fran-
kenberg und Ludwigsd orf, Friedr.,
Elliot u Gammius, Olga ll Grebe,
E. R. n Lahn, Alfred ll Leidelbach,
Paul ll Lolmquist,Mary ll Lupbach,
Frieda ll Zacobi, Emil ll Kuno,
Lermann u Kreiß, Gottlob, Karl,
Johann n Manger, Adelheid // Mohr,
Georg, Wilhelm, Ludwig ll Müller,
Max § Nielsen, Zuge F Niema nn,
Stefanie n Nolte, Karl, Waldemar
v. d. Osten, L. A. n Nohrbach,
A. B v. Rücker, Günther II Theiß,
Ernste Friedrich u Thielmann, Else
Traudt, Valentin B v. Weitra, E.
viHioiHEL \'U4'. /l'blf
KASSEL
MK
I
Vorwort.
Nach Überwindung vieler, vieler Schwierigkeiten
erscheint zum erstenmal ein „Kasseler Dichterbuch".
Das Ziel, das ich mir als Herausgeber steckte,
war, einen Überblick über die gesamte gegenwärtige
literarische Bewegung unserer Stadt, vorzugsweise
auf lyrischem Gebiete, zu geben. Damit ist schon gesagt,
daß die Sammlung sich nur auf in Kassel zur
Zeit lebende Dichter und Dichterinnen erstreckt. Das
schließt nicht aus, daß auch Mary Holmquist, die in
vorigem Jahre allzufrüh verstarb, darin ver-
treten ist. Diese feinsinnige und im besten Sinn mo-
derne Dichterin mußte natürlich berücksichtigt werden.
Die Reihenfolge der Autoren konnte lediglich
alphabetisch bestimmt werden, da die literarischen Strö-
mungen Kassels zu wenig konzentriert sind, als daß
sich hier bestimmte Gruppen oder Schulen bisher hätten
bilden können. Die notwendige Folge davon war, daß
nicht nur ihrer Lebensauffassung, sondern auch ihrer
künstlerischen Ausdrucksform nach sehr verschiedenar-
tige Autoren in bunter Reihe aufeinander folgen mußten,
was aber dem Charakter des Ganzen als Anthologie
wohl nicht zum Schaden gereicht.
Ein besonderes Inhaltsverzeichnis erschien mit
Rücksicht auf die alphabetische Anordnung der Autoren
überflüssig.
Wer wollte es mir schließlich verargen, daß ich
nicht nur stolze Rosen, sondern auch bescheidenere Blu-
men, Löwenmaul, Rittersporn und anspruchsloses Grün
darbot?
Im Interesse der Vollständigkeit der
Sammlung durfte ich auch auf Löwenmaul und Ritter-
— VIII —
sporn nicht verzichten, und der vorzugsweise lokale
Charakter dieser Sammlung gab mir die künstlerische
Berechtigung hierzu.
Endlich ist es mir noch eine angenehme Pflicht,
der Malerin Frl. Conni Deymann meinen verbindlichsten
Dank auszusprechen für die Bereitwilligkeit, mit der
sie ihre geschickte Künstlerhand in den Dienst des Unter-
nehmens stellte.
Frl. Adelheid Manger und Herrn Referendar
Engelhard bin ich für freundliche Mitwirkung bei der
Korrektur zu Dank verpflichtet. —
So wandere nun hinaus du „Kasseler Dichterbuch",
suche Und finde deine Freunde, Leser und Käufer —
letzteres auch wenn Felir Dahn einmal sagt:
„Bücher Zu schreiben ist leicht, es verlangt nur Feder
und Tinte
Und das geduldige Papier. Bücher Zu drucken ist schon
schwerer,
Weil oft das Genie sich erfreut unleslicher Handschrift.
Bücher zu lesen ist noch schwerer von wegen des Schlafs.
Aber das schwierigste Werk, das ein sterblicher Mann
bei den Deutschen
Auszuführen vermag, ist zu verkaufen ein Buch.
Kassel,
im Jubiläumsjahre der Stadt am 10. November.
Karl Waldemar Nolle.
Chassaüa.
. onnenwendtag. Auf den Höhen ringsum
^i Flammengeloder, feierlich stumm.
I Frommer Seelen Opfertat
W Hegt Begehr nach Götterrat.
Und den Gesichtern und Stimmen im Tann
Lauscht beklommen ein Jägersmann,
Bebend im Chaos der finstern Gewalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Erdengeschäfte der Götter sind aus.
Mönche bauen der Gotthett ein Haus.
Artschlag lichtet Dickicht und Dorn.
Talhin duftet's nach reifem Korn.
Not um Brot drängt Mann an Mann,
Heischt einen Starken, der schützen kann,
Krönt eines Herzogs Schwettgewalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Und der Edele, stolz und fest,
Rüstet am Berge ein sicheres Nest.
Zwischen Burg und Kloster stellt
Sich die Stadt, eine neue Welt.
Himmelan streben Türme und Dom.
Segen spendet das heilige Rom.
Frommer Wallfahrt Sang erschallt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Fliehenden Forst jagt Korn, jagt Wein,
Fette Herden brüllen herein.
Lägen sich nicht die Herren im Haar,
Gab' es heuer ein gutes Jahr.
Aber Fehde ist angesagt.
Armes Land, wie bist du geplagt!
Manchen Herd macht' Mainz dir kalt. —
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Geht durch Deutschland neue Mär,
Daß Gott ein Gott der Gnade wär'.
Und Menschensatzung ward zu Spott.
„Eine feste Burg ist unser Gott!" —
Herr Philipp lauscht dem Widerhall
Der Wittenberger Nachtigall,
Weckt seine Hessen, jung wie alt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Gar stille ward's da im Klosterraum.
Deutschland hatt' einen schönen Traum,
Einen süßen Traum von Freiheit, Licht;
Dann aber kam's wie Weltgericht:
Tilly trieb seine Horden aus,
Die wandelten Hessen zum Totenhaus,
Drin wankte das Leben in Büßergestalt. -
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Deutschlands Fürsten, groß wie klein,
Sonnenkönige möchten sie sein.
Blieb Herr Karl da nicht zurück,
Baute Paläste für künftiges Glück.
Sieh' die Fontänen, Kaskaden fprüh'n!
Über des Habichtswaldes Grün
Hebt Hich des Herkules Riesengestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Grollende Wetter im Westen droh'n.
Ringsum Krieg und — Napoleon.
'T‘' Äv ' - ■■■■ • • ' : --
XI
Frankenrosse reiten zu Häuf.
Blitzt eine Königskrone auf. —
Hessentreue dumpf zerbrach. —
Aber ein Ende nimmt die Schmach:
Siegessang durch Deutschland hallt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Alte Treue festet den Thron.
Freiheit fordert der Hesse als Lohn,
Freiheit für ein neues Geschlecht,
Keine Gnade mehr, Recht nur, Recht.
Und in stolzem Bürgersinn
Tritt er vor den Fürsten hin.
Neues siegt und nimmt Gestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Letzter Heister Bruderstreit
Einmal noch deutsche Lande entweiht,
Bis der Aar den Sieg behält
Und die enge Schranke fällt.
Herrlich dann über Krieg und Not
Weht das Banner Schwarz-weiß-rot.
Auf taucht Wilhelms Heldengestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Sonnwendtag! Auf den Höhen ringsum
Wäldergewoge feierlich stumm.
Weit im Tale dehnt sich die Stadt,
Die ihren großen Festtag hat.
Habe gelauscht in der Buchenruh':
Gottes Liebling bleibest du,
So lange der Name Deutschland schallt
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Heinrich Vertelmann.
Hans Albrecht.
Lenzessonne.
Trüb' war's am Morgen. Es senkte sich sacht
Nebel auf werdende Frühlingspracht.
Dann ward es klar, und mit einem Mal
Bricht aus der Höhe ein Sonnenstrahl!
Und er taucht alles in goldenes Licht:
Straßen und Gassen und jedes Gesicht,
Zuckt über Dächer und Giebel her,
Verklärt in der Großstadt das Häusermeer,
Lacht durch die Fenster fröhlich herein,
Und — husch! — schlüpft er auch in die Stube ein
Schnell wird der dunkelste Winkel da hell:
„Ei, guten Morgen, du holder Gesell!" . . .
Jubelnde Kinderstimmen im Haus —
Sonniger Frühling, er lockt sie heraus!
Glänzt in ihren Augen und rötet die Wang'
Alle der Kleinen bei Spiel und Gesang!
Siehe: der Vöglein vielstimmiger Chor
Trägt schon ein jauchzendes Dankeslied vor,
Mächtig durchtönt es den knospenden Wald —
Frühling! Ja, nun wird es Frühling bald! . . .
Nolle, Kasseler Dichterbuch. 1
Und der helleuchtende Sonnenschein
Pocht auch ans Herz dir: „O, laß mich herein!
Fruchtlos wird bald alles Lenzen vergeh'»,
Lässest du schnöde jetzt draußen mich steh'»!
Aufgemacht also — sonst bring' ich dir nichts —
Hoffe! — Der Herold des Lenzes spricht's!" . . .
Kranke vernehmen's im stillen Gelaß,
Trübe der Blick und das Antlitz so blaß,
Doch, wie durch's Fenster die Sonne späht
Leuchtet's im Aug' und der Schatten vergeht,
Weicht von dem Lager, und schon auf der Schwell'
Steht das erwachende Leben so hell! —
Und ein tiefinniges Dankesgebet,
Leise von bebenden Lippen geht.............
Und wer da einsam in schmerzvollem Gram,
Weil ihm das Schicksal das Teuerste nahm,
Weil ihm im Winter des Daseins erstarb,
Was einst sein sehnendes Hoffen erwarb — —
Ach, wie der Frühling so linde und leis
Weinende wieder zu trösten weiß!
„Hoffe nur," mahnt er, „und sei unverzagt,
Die Nacht kann nicht bleiben — auch dein Morgen
tagt!
Sei nur in Trübsal voll Zuversicht:
Auch dir wird ein Frühling — auch dich weckt das
Licht! ..."
So strahlt in der Menschen Leiden und Sorgen
Versöhnend und tröstend ein Frühlingsmorgen!
Und manches Hassen, manch tägliche Pein
Scheint nun auf einmal so nichtig und klein,
Schwindet wie Nebel vor Sonnenlicht,
Das in die Gassen und Häuser bricht!
Schau nur: Es lacht schon ins Zimmer dir hell —
Grüße den Frühling und rüste dich 'schnell!
3
Und hoffend und harrend erwarte den Tag,
Da's auch im Herzen dir lenzen mag!
V st e r m o r g e n.
Nach langen, leidgequälten Wrntertagen
Ward's wieder Frühling nun im deutschen Land,
Und tausend Lenzeswunder wollen sagen:
Zu neuem Leben die Natur erstand! —
Und keine Hütte fern auf deutscher Erde,
Zu der heut' nicht die Osterbotschaft dringt,
Da nun ein allgewaltig, jauchzend „Werde!"
Wie Heroldsrus in alle Täler klingt. — —
Und doch gibt's viele tausend Menschenseelen,
Auf denen lastet's bang wie Wknterzeit,
Und wenn es auch die Lippen stolz verhehlen —
Die bleichen Mienen künden tiefes Leid.
Sie reden wohl von kummervollen Nächten,
Von heißen Tränen, die da still geweint —
Sie reden auch von finstern Lebensmächten,
Vom trüben Tag, da keine Sonne scheint . . .
Von ärmsten Hütten, wie von Prunkpalästen
Geht traurig Klagen, wehes Seufzen aus —
Wo Sorge, Krankheit schwer die Herzen preßten,
Da schritt der Freude Lichtgestalt hinaus. — —
An frischen Grabeshügeln weint die Liebe,
Da nun das Teuerste auf Erden schied —
Bei allem Trostspruch blieb das Auge trübe:
Im Glauben selber ward' die Seele müd' . .
Horch! . . . Glockenklänge schweben in den Lüften —
Christus erstanden und dein Heiland nah' . . .
Die Sonne kündet's leuchtend allen Grüften:
l
4
EinOsternfolgtdem Tag von Golgatha!..
Und hat dich auch das tiefste Leid betroffen —
Nicht länger fei's im wilden Schmerz geklagt!
Im Gruß des Festes finde neues Hoffen,
Und glaube nur, daß dir ein Ostern tagt! . . .
Sieh! . . . Alles strebt empor zum Licht, zum Schönen,
Ein Wunderwerk weckt rings das Leben auf!
So will auch dich ein Gotteswort versöhnen,
Zu deines Schöpfers Walten blick hinauf! — —
Verwinde Schmerz u nd ende deine Klagen,
Da tausend Blüten küßt der Sonnenschein,
Und laß als Ostertrost dir gläubig sagen:
Im Herzen dir soll neues Hoffen feint
Zu guter Letzt.
Laß uns den letzten Sominertag genießen,
Der Garten blüht und ahnt den Winter kaum, —
Laß mit der holden Rose Abschiedsgrüßen
Zu Ende träumen uns den süßen Traum!---------------
Sieh, wie die Schwalben schon zur Reise rüsten,
Mit Windesflug durchkreuzend blaue Höh'n. —
Weit ist ihr Weg! Ach, daß auch sie es wüßten,
Ob sie im Lenz die Heimat Wiedersehn! — — —
Nun heißt's auch für uns beide, bald zu scheiden. —
Die Wanderstunde kommt so schnell herbei!--------------
Daß wir uns trennen, gibt uns bittres Leiden,
Wir beide wissen wohl, wie schwer es sei! ... .
So mögen Deutung uns die Schwalben geben:
Schnell wir ihr Flug, soll das Gedenken sein
Zn weiter Ferne, wenn wir für das Leben
Beim Abschiedskusse uns der Liebe weihn! — —
5
Wird's Frühling wieder, kehrt aus fremden Landen
Der Schwalben leichtbeschwingte Schar zurück,
Und gab es Gott, daß wir uns wiederfanden,
Bau'n wir das Nest daheim — und unser Glück! —
O, weine nicht! . . . Tiefrote Nosen grüßen,
Der Garten blüht und ahnt den Winter kaum ....
Latz uns den letzten Sommertag genießen,
Zu Ende träumen unsern schönsten Traum! — —
Winter st erne.
Du haltest eitel Mißgeschick,
Dein Hoffen hat getrogen,
Dich mied das launenhafte Glück,
Sein Sang hat Dich belogen. — —
Nun geht's Dir trübe durch den Sinn:
War dies das Ziel des Strebens? —
Dein bestes Wollen ohn' Gewinn,
Dein redlich Tun vergebens!? ....
O blick in kalter Winternacht
Hinauf zur Himmelsferne!
Dort strahlen Dir in alter Pracht
Vieltausendsach die Sterne.
Denk: viele Jahre braucht ihr Licht,
Um erdenwärts zu dringen —
Der Glanz, der Dir entgegen bricht,
Milt fpntps Gi-Übori fvrrnnon
Und ging es Dir auch längst bahn:,
Wähnst Du, es kehrt nie Mieder, — — —
Erinnerung fällt in Deinen Sinn
Wie Glanz der Sterne nieder ....
O last nun solcher Sterne Licht
In Deiner Seele funkeln.
Vertraue, doch verzage nicht,
Will's auch im Leben dunkeln! —
Und last Dir Deiner Sterne Schein
Don keinem Zweifel rauben — —
Dann fühlst Du tief im Herzen Dein
Im Winter Frühlingsglaubeni
Richard Albrecht.
Ich denk' an Dich!',
Ich denk' an Dich, wo ich auch bin,
In dunkler Nacht, am hellen Tag,
Was ich auch treiben wollen mag,
Bei Dir, bei Dir ist stets mein Sinn.
Des Herzens Schlag, des Atems Zug
Sagt immerfort und nie genug:
Ich denk' an Dich, an Dich allem
Du blondes, liebes Mägdelein.
Der Wolken Bild, der Böglern Sang,
Der Winde Wehn, des Himmels Blau,
Der Berge Pracht, das Grün der Au,
Die tiefste Ruh', des Donners .Klang,
Der herbe Schmerz, die größte Freud'
Dein liebes Bild mir stets erneut:
Ich denk' an Dich, an Dich allein
Du herzig, trautes Mägdelein.
Der klare Sinn, des Denkens Ruh,
Vernunft und Pflicht, die schweigen still,
Das Herz allein tut, was es will,
Und fügt der Freude — Leid hinzu.
Doch wenn das All' zusammenbricht,
Die Seele flieht empor zum Licht:
Ich denk' an Dich, an Dich allein
In Ewigkeit, lieb' Mägdelein.
°) Komponiert v. Lion, Kassel.
— 8 —
G hätt' ich noch die Hellen Uinderaugen.
O hätt' ich noch die hellen Kinderaugon,
Des Herzens leichten, freien Schlag,
Getret'ne Blumen zu beweinen,
Den Käfer — der am Wege lag,
Um bei dm ersten Tränen wieder aufzujubeln.
Nachhaschend einem Schmetterling
Und — halb betrübt und doch mit Freude —
Ihn freizulassen, den ich mühsam fing. —
Ich sehnte mich nach großen Schätzen,
Ich träumte mir ein Märchenland,
Und baut' mit ungeschickten Händchen
Manch' Feenschloß in längst verwehtem Sand. —
Das Herz schlägt doch; nach seiner Weise
Gehorcht es der notwend'gen Pflicht,
Doch wie in jenen Jugendtagen —
So wechselfroh empfindet 's nicht,
Und wie ich spähe, fern und nahe,
Zu wenig will den Wünschen taugen.
Der dunklen Schatten sind zu viel,
Mir fehlt die Unschuld reiner Kinder-Augen;
Nur wenn sie müde sich im Schlummer schließen,
Der Schlaf die Gegenwart verbannt,
Führt mich zurück der Träume Weben
Zu meinem schönen Iugendland. —
Die Schätze und die Märchenländer,
Die meine Kindheit einst begehrt,
Sind — wie das Paradies verloren —
Mir Sterblichen verwehrt.
Der Geist blieb frei und geht auf Pfadm
Geheimnisvoll zu lichten Höhen,
Wo jenseits von der Sinne Walten
Kein Zweifel, keine Rätsel mehr bestehen.
9
Der Rätsel gibt es hier auf Erden viel zu lösen,
And dennoch will ich, als das Schwerste in dem Leben,
Der Gegenwart — wie sie auch sei —
Das vollste Recht, den ganzen Anspruch geben!
Rothenburg 0. d. Tauber.
Hier lugt aus allen Ecken
Vergangne Zeit hervor,
Des Mittelalters Blüte
Geht hin von Tor zu Tor. —
Was all' die Erter raunen
Den Giebeln heimlich zu,
Sind längst verklungene Lieder —
Die Herrlichkeit hat Ruh.
Die alte, deutsche Reichsstadt
Träumt noch von ihrem Ruhm,
Dem Meistertrunk vor Tilly
Und freiem Bürgertum,
Von Willkür, frechem Faustrecht,
Vom armen Konerad,
Von gut und bösen Tagen,
Von Bürger und Soldat.
Die trotzig kühnen Zinnen
Der Türme und Basteien,
Die hallen heute wieder
Vom Klange der Schalmeien;
Denn an den grünen Wällen
Hat mancher Lenz gemait,
Seitdem kein Wächter spähte,
Kein Bürger kampfbereit.
Und wenn auch neu Geschlechter
Erblühen und — vergeh'n,
Um Hunger und um Liebe
Wird es sich weiter dreh'n.
Noch webt im Taubergrunde
Das Mondlicht feengleich
Den wundersamsten Zauber
Für der Romantik Reich,
Und innig hält umschlungen
In Sonnenwirklichkeit
Das Silberband der Tauber
Die alt' und neue Zeit.
S t i 11 c Antwort.
Willst Du mein Schätzchen sein?
Mädchen, 0 sag' nicht nein,
Ich bin Dir gut:
Wär ich ein Königssohn,
Gäb's keinen größ'ren Lohn
Für meinen Mut.
Ehrt auch Soldatentod,
Bringt er dem Mädchen Not,
Das uns geliebt;
Wer eben froh gelacht
Wird, wenn er's kaum gemacht
Oftmals betrübt.
Komm mit zum grünen Wald,
Schau wie die Vögel bald
Nest'lein erbaut. —
Jubeln die Vögel all',
Jubeln im Widerhall
Wir beide laut. —
11
Hast ja nicht nein gesagt,
Wie ich Dich leis gefragt,
Nun bin ich froh!
Denn was die Liebe will,
Duldet sie gern und still
So a u ch — wie so!
Kn meinen Buben!
Wuns ch!
fZu seinem Bild, vierjährig, mit Schaukelpferd.)
Klein Schlimmchen steht am Schaukelpferd,
Die Peitsche in der Rechten,
Blickt trotzig in die Welt hinaus,
Als wollt er was erfechten.
Hast recht, mein Büb'chen, immerso
Mutzt Du im Leben denken,
Von niemand latz Dich auf der Welt
An Ehr' und Eigen kränken.
Das Gute schütze, w o es geht,
Dem Bösen drohend wehre,
Der ält'ste Adelsbrief enthält,
Für niemand höh're Ehre! —
3 Jahre später!
Klein Schlimmchen geht zur Schule hin,
Mutz lesen, rechnen, schreiben —
Liebt jetzt, wie Buben immer sind,
Im Spiele wild'res Treiben. ^
Das Schaukelpferd ist nicht allein
Der höchste Wunsch des Knaben,
Der Mut in ihm wächst immer mehr,
Er möcht' ein „richt'ges" haben.
Er dünkt sich wahrlich nicht gering,
Will gleiches Recht mit allen
Und läßt sich, wenn es eben geht,
Von niemand was gefallen!
Die Eltern schwingen dann und wann
Die Peitsche, um zu klopfen,
Wenn's Mäulchen gar zu locker wird,
Pflegt man's damit zu stopfen.
Klein „Schlimmchen" wurde schlimmer nur,
Entwächst der Mutter Schoß,
Ist jetzt, mit einem Wort gesagt:
Ein kleiner Gernegroß!
Hans Altmüller.
parabolisch.
Ein Zimmer ist's, an das ich oftmals denke
Und dem ich heut' noch meine Liebe schenke,
Von einem alten Fräulein sanft bewohnt,
Das gern sich selbst und seine Möbel schont.
Ich seh' mich noch als Kind an dieser neuen,
Geheimnisvollen Welt mich still erfreuen,
Die von der Gegenwart, vom lauten Tag
Fern wie ein Märchen abgeschlossen lag.
y Cfu
Graziöse, etwas zimperliche Tische,
Bejahrt und doch von musterhafter Frische,
Konsolen, Nippes, Pastelle an der Wand
Und Kuriositäten allerhand.
Allein der eig'ne Reiz des Mobiliares
War doch noch etwas Andres, Unsichtbares,
Es war — ein Jeder fühlte's, den's umfing —
Ein Stück Geschichte, was da stand und hing.
Verwelkte Hoffnungen, vergilbte Träume,
Entschlaf'ne Wünsche füllten diese Räume;
Man atmete die Luft der alten Zeit,
Die Atmosphäre der Vergangenheit!
Wenn sie, in Seide stets, die leicht sich bauschte,
So schlank und dunkel durch ihr Zimmer rauschte,
Dann glaubte man in geisterhaftem Wehn,
Den Schatten längst verfloss'ner Zeit zu sehn.
Allein sie lebte, .gütig war ihr Streicheln,
In zarter Abwehr dämpfte sie mein Schmeicheln;
Ihr Lächeln strahlte sinnig, mild und fein,
So ruhig wie im Herbst der Sonnenschein.
Ich kramte gern, sie lieh mich still gewähren,
In all' den Laden, Kästen, Etageren,
Die sie mit hundert Dingen vollbelegt
Und sorgsam wahrte, wie man Blumen pflegt.
Begierig, immer Neues zu entdecken,
Besah ich und durchsucht' ich alle Ecken,
Und immer fand ich auch noch Neues vor,
Ja. Manches, was für sie sich längst verlor.
Und über Alles wußte sie Geschichten,
Mir wunderseltsam scheinend, zu berichten,
Bon Zeiten, da noch Alles anders war,
Die fern mir schienen viele hundert Jahr.
Ach, diesem Zimmer, dünkt mir, glich vor Jahren,
Als viele, die jetzt alt sind, Kinder waren,
Die Stadt, die freilich nun ganz anders ist,
Und die man nie, so, wie sie war, vergißt.
Auch. heut' noch lebt ihr Geist in ihren Gassen,
Doch selten mag er tiefer uns erfassen;
Denn längst ist ihre Harmonie zerstört,
Zusammen, was zusammen nicht gehört.
Und dennoch bleibt's die alte traute Stätte,
Umschlungen von der weichen Blumenkette,
Der lieblich sinnigen Erinnerung
Und durch die Landschaft ewig schön und jung;
15
Ein teurer Raum, an den ich oftmals denke
Und dem ich immer meine Liebe schenke,
Von einem edlen Geiste still bewohnt,
Der, hochverehrt, in meinem Herzen thront.
O i e K u e.
Tief in der Au', seitab, liegt der „Theaterberg",
Berg freilich nicht und selbst bei Hügeln nur ein Zwerg,
Doch voll verstohl'nem Reiz, lockt er zu Phantasie'n
Und läßt aus alter Zeit Bilder vorüberziehn.
Du siehst umschattet Dich von Lind- und Tannenzweig,
Davor, kulissenhaft, im längst begrasten Steig
Zypressen, dunkel ernst, ani Hügelrand gereiht,
Und drunten der Allee stolzgerade Stattlichkeit.
Hier webt Parkeinsamkeit, geheimnisvoll und still,
Die, dennoch mitteilsam, viel sagen kann und will.
Hast Du ein Ohr dafür, dann horche, sinn' und lausch',
Ob die Vergangenheit bereit zu holdem Tausch.
Wenn 'Mittagszauber herrscht, umflimmernd Baum und
Strauch,
Das hochblumige Gras im sonn'gen Silberrauch
Wie atmend wogt und weht, der Erde Herzschlag pocht
Und sommerliche Glut im grünen Grunde kocht,
Der Käfer blitzt und surrt pnd fliegt in irrem Lauf,
Dann überkommt's wie Schlaf, und Träume wachen auf.
Seltsames Murmeln rauscht, wie's in der Muschel
summt,
Und Stimmen werden laut, sonst für die Welt ver-
stummt.
Von fern durch die Allee hör' ich's wie Wagen fahren!
Sechs Schimmel seh' ich schon, mit goldenen Kandaren,
Karossen, immer mehr, Lakain, Heiducken, Mohren,
Wie aus der Erde steigt's, plötzlich heraufbeschworen!
Ein ganzer Hofstaat kommt! Die ersten Wagen halten
Hier an des Hügels Fuß. Nun läßt man einen alten,
Wie's scheint, bequemen Herrn aussteigen, grüßt auf's
Beste
Und schafft ihm Platz. Blau ist sein Rock und gelb die
Weste.
Ein fteundliches Gesicht umrahmen graue Haare;
Ihn selbst umgeben rings viel Herrn- und Damenpaare.
Wie bunt ist ihre Tracht! Es bauscht sich helle Seide,
Rosa und himmelblau, am Damen-Changeantkleide.
Die Herrn in Grün und Rot, mit zartem Weist der
Spitzen,
Die Locken pudergrau, so seh' ich alle sitzen.
Ein nobles Publikum! Denn ja, es ist Theater.
Mit seinem Hof sitzt hier der heitre Landesvater.
Im gsteien soll ihn heut', vor grünen Wandspalieren,
Ein neues Schäferspiel idyllisch amüsieren.
Schon schließt die Symphonie. Es singen leise Chöre.
Bor dem Garderobezelt erscheinen die Akteure.
Und von der Seite links, aus steif beschmtt'nen Hecken,
Tritt zierlich Chloe auf, mit ihrem Schäferstecken.
Sie kommt im Reiftock zwar, doch leicht wie im Ballette,
Die Augen schmachten süst. (Man greift schon zur Lorg-
nette.)
„Ach, Thyrsis," hebt sie an, „so willst Du denn mein
Herze,
Das allzuweich schon ist, erfüllen ganz mit Schmerze?
Vergissest Du den Schwur, das heilige Versprechen?
Ihr Götter, strafet denn das schändliche Verbrechen!
Dort kommt Damöt! Wohlan! Ihm will ich alles
sagen.
Bei ihm will ich sogleich den Treulosen verklagen!"
Jedoch man hört nur halb. Man flüstert, nickt und
lächelt.
Die Damen, ftoh bewegt, von Elfenbein umfächelt,
Zur Seite leicht gebeugt, graziös den Kopf erhoben.
17
Versenden Blick und Wort und scherzen, kabeln, loben.
Dies bunte seid'ne Meer, der leise Hauch von Stimmen
Umspielt mich träumerisch und will schon zart ver-
schwimmen.
Ein duft'ger Nebel schiebt sich vor die Taruswände,
Und wie er weicht, ist auch das heit're Spiel zu Ende.
Der heiße Mittag brennt. Es siedet vor den Ohren.
Wie hab' ich mich so weit in ferne Zeit verloren!
Verlassen, öd' und still, ein ausgebrannter Krater,
Liegt da das ci-devant „natürliche Theater".
Wilhelms höhe-
1. Das Schloß. —
Edel und frei, wie ein schönes Geschmeid' auf der Stirne
des Vorbergs,
Liegst du, erhabenes Schloß, vornehm schweigende
Pracht!
Stolz im Bogen umspannst du die breit dir gegebene
Fläche,
Wirkst nicht durch üppigen Schmuck, wirkst durch den
Adel allein.
Kühn springt vor das Portal, mit der Treppe, den
jonischen Säulen,
Zierlich weicht dann zurück, wo er sich weitet, der Bau.
Und wie das Frührot glänzt durch der Zweige ver-
ratende Lücken,
Schimmert sein Rosagestein weit schon durch Äste und
Laub.
2. Die Löwenburg.
Bau nicht, der du zerstört, nein, Zerstörung, die du
erbaut bist,
Wunderlich spielendes Bild schwärmerisch träumender
Zeit!
Nolle, Kasseler Dichterbuch.
2
— 18 -
Zwar kein Rittersitz je, doch ein Traum der Romantik
verbleibst du,
Und wer Zu träumen versteht, träumet gar gerne in dir !
Wohl als Bühne erscheinst du, im Styl der roman-
tischen Oper;
Wer sich die Szene ersinnt, nutzet die Dekoration.
Leicht aus Romanen und Dramen erstehen die alten
Figuren,
Horch, und wie echoschwach — leise verlor'ner Gesang!
3. Der Herkules.
Hätte der Berg sich selber bebaut, das Wasser, die
Wege,
Hätte titanische Kraft selbst sich ein Denkmal gesetzt,
Alles erschiene, wie jetzt es erscheint; es wüchsen die
Felsen,
Stufen, an Stufen gereiht, folgten der Steile des Bergs.
Aber die Kunst, sie besiegt die Natur, sie erhöht das
Gebirge,
Grotten, auf Grotten gewölbt, ragen empor, Mm Palast.
Sieh', und als Krone, in Wolken gestellt, ein Beherrscher
der Massen,
Findet sich wieder der Mensch, selber zum Halbgott
geweiht.
Riesenhaft über dem Riesengebäude, in schiwindelnder
Höhe,
Thront der heroische Geist, freut sich bewältigter Müh'!
Unter ihm fallen die silbernen Bänder der Wasser-
kaskaden
Schimmernd das steinerne Bett künstlicher Treppen
hinab.
Schauerlich dröhnt, im Fontänengewirr, nütz dem Horn
der Tritonen,
Wuchtig und wild das Signal, datz NNs die Erde
gehorcht. • , i
19
Halb wie bacchantisch und halb melancholisch erschalltes
in den Klüften,
Mer die Tiefe verschlingt bald den erschreckenden Ton.
Stille und Ruhe verbreiten die Fittiche rings auf dem
Walde,
Wo die balsamische Luft atmet im leuchtenden Grün.
Oer Ruß.
Kennst du die „mündliche" Erklärung,
Die ohne alle Worte spricht,
Die auf der Hand nur kalte Ehrung,
Doch auf dem Mund ist süße Pflicht?
Die Preßfreiheit der Liebe duldet,
Daß oft dergleich>en wird gedruckt,
Wenn manches Beispiel auch verschuldet,
Daß man zu früh sich's abgeguckt.
Ein Siegel ist's von Herz zu Herzen,
Ein Brückenbau von Mund zu Mund;
Man gibt's und nimmt's bei leichten Scherzen,
Doch auch im Ernste tut sich's kund.
Pressante Angelegenheiten
Erledigen sich auf solche Art,
Und alle Menschen können's leiden,
Die Amors Banner um sich schart.
Wie hofft und drängt man nach dem ersten,
Wie fällt der letzte hart und schwer!
Dem klügsten Mann sowie dem leersten
Behagt dies Mundtotmachen sehr.
Ein Vorwand ist's, um nichts zu sagen,
Ein Mundkostenerpressungsschtich;
Ein Rechtsprechen ist's ohne Klagen,
Rach dem Gesetz: Ich liebe dich.
2*
Karl Freiherr v. Berlepsch.
Kn die Heimat.
Die dampfenden Schwarzen ziehen den Berg hinan,
Ich halte die Zügel lässig in Händen, —
Herbstabend ist es, und unserem Wagen voran
Kriechen die Nebel an Tannenwänden.
Lindwürzigen Odem hauchen die Wiesen aus —
Heimatluft! — Wo auf der weiten Erde
Strömst du so süst? — Ich grüße dich, stattliches Haus,
Grüße dich, Rauch vom Heimatherde! —
Droben hebt es sich massig, mauerbewehrt,
Zwischen gastlichen Lindenkronen!
Schloß meiner Väter, was auch die Zeilen verzehrt,
Dich, du herrliches, sollen sie schonen!
Sollen mir wahren die Zufluchtstätte allzeit
Vor des Weltsturms wütendem Toben,
Wo ich gegen Wind und Wetter gefeit
Ausruhen darf, Mühen enthoben! —
Horch! Nun klappern die Hufe auf steinernem Grund,
Tore öffnen die Arme dem Müden,
Und die moosigen Mauern künden mit greisem Mund
Mir, der suchte und fand: Burgfrieden. —
Waldmädchen klagt...
O du schlangst um meine Blütenglieder
Deiner Arme straffes Eisenband,
22
Du zerdrücktest Schleifen mir und Mieder
Unbesorgt mit rauher Reiterhand.
Und du hobst mich arme, kleine Maide
Über deines Rosses Widerrist,
Hast von meinen Wimpern all die Seide,
Von den Lippen all den Schmelz geküßt.
Muh hknfür die bleichen Schwestern fliehen,
Weil mein Antlitz hoch in Flammen steht.
Meine Seele läutet Melodieen,
Wie der Föhn, der durch die Wipfel geht.
Seh im Traume deinen braunen Nacken,
Deiner Augen schwarzen Fieberbrand,
Sehe Rossemähnen, Goldschabracken,
Höre Hufe scharrn auf hartem Sand. —
Hätten, ach, die Hufe mich zertreten!
Doch sie setzten über mich hinfort.
Ihre Spuren längst im Wind verwehten,
Und im Wald verklang dein Liebeswort. —
M a i a b e n d.
Sinkender Sonnenball, —
Talauf Glockengeläut —
Ginster hat gelbes Metall
Zwischen die Felsen gestreut.
An den Gärten entlang
Flieder schwer von Duft.
Ueber dem Rebenhang
Schleierl die Abendluft.
23
Träumerische hier und dort
Aufblitzt des Stromes Band.
Grollend im grauen Nord
Murmelt die Wetterwand.
Wo des Buchenhains
Saftige Fülle quillt,
Steht in der Nische des Steins
Ern Muttergottesbild. —
Kommt ein singendes Kind,
Streckt die Aermchen fein,
Schmückt mit Blumengewind
Den alten Stein. —
verfrühter Sommer.
Ein kühler Teppich lagert saftig satt
Wie in der Fürsten Säle hingeglättet,
Darauf das Auge, froher Farben malt,
Liebkosend seine heißen Blicke bettet.
Lichttrunken lacht im Grunde der Allee
Das gelbe Schloß. An feine Schieferdächer
Schmiegt weiße Wärme sich wie frischer Schnee
Und füllt mit Taumeltrank die Blütenbecher.
Vom Frühlingswinde hin und her geweht
Sprüht die Fontäne ihre silbernassen,
Neckenden Stäubchen auf das Tulpenbeet
Und weih vor Uebermut sich kaum zu lassen.
Nur die Platane harrt noch resigniert
In all der Jugendtollheit streng verschlossen:
Ein Philosoph, den's in der Seele friert,
Eh' nicht die ganze Welt in Glut zerflossen.
— 24 —
Mondaufgang nach heißem Tage.
Noch wagt kein Hauch zu beben
In atemloser, kranker Nacht,
Kein Halm wagt sich zu heben,
Gebeugt in wilder Sonnenschlacht.
Noch wagt kein Blatt zu flüstern, —
Es schrie der Tag so grell und laut, —
Und nur der Fluh dehnt lüstern
Die glutdurchftrömte Schlangenhaut.
Da steigt im Goldornate
Ein Priester überm Berg heran,
Ein prächtiger Prälate,
Der trösten und erbauen kann.
Er nimmt der Nacht die Führung
Aus schlaffen Händen sanft und treu,
Und schaut in stummer Rührung
Auf ihre tränenlose Reu. —
Zur Mittagszeit im Walde.
Es führen viele Wege tief waldein
Von dunklen Zweigen schützend überhangen.
So ist das wundervolle Leben dein
Nur immer tiefer in den Wald gegangen.
Und immer süßer wird die Stille wohl
Und immer feierlicher wird das Schweigen. -
Was lockt so unermüdlich der Pirol?
Will er den Weg zu neuen Wundern zeigen?
25
Lichtfunken sickern durch das grüne Dach
Und tropfen leuchtend in die Dämmerungen.
Du lächelst still der eignen Jugend nach,
Die faunisch froh im Wald davongesprungen.
Dunkle Tage.
Aus einer Nacht m die andere Nacht!
Kaum lohnt das Erwachen.
Ihr Tage, ihr schwachen,
Wie ich mit Herzweh euch veracht'!
Trostlos trübe in triefender Nässe
Und kränkelnder Blässe
Schleicht ihr wie Schächer,
Wie zum Tode verdammte Verbrecher
Wehklagend und winselnd des Richtbeils wartend
Und auf ein elendes Ende trachtend
Kurzatmig dahin. —
Du Jüngling vom Berge,
Du trefflicher Scherge,
Nun rausche heran!
Mein kühner Rebell,
Mein TrautgefeU,
Wie weht dein wildfroher Odem mich an!
Hei, pack mir die Wichte,
Die Nebelgesichte,
Zerreiße die Tücher,
Der kraftlosen Kriecher!
Die Wolken zerteile,
Ach eile, eile!
Es schmachtet mein Herz nach Sonne!
Da steht er, die Hand in die Hüfte gestemmt,
Das Lockengewirr aus der Stirne gekämmt,
26
Mit herrisch verschlossener Gebärde,
Zügelnd die Jagd der Wolkenpferde.
Das wirbelt und wallt
Und zieht
Und flieht
Vor seiner göttlichen Reckengestalt!
Und um ihn bricht sich die brandende Welle,
Da leuchtet lebendigen Lichtes Quelle
Und fast geblendet von eigener Helle
Blinzelt das Auge Blauhimmel herein!
Der Kapitän.
Im Ärmelmeer geht hohe See,
Es schäumt die Straße von Calais
Aufwühlend Wellenberg und Tal.
Rings Wetternacht und Wasserschwall.
Ein Schiff, — fünfhundert Mann an Bord —
Sechs Stunden von Southampton-port,
Sechs Stunden bis Ostende.
Aus schwarzen Schloten schwalcht der Dampf,
Maschinen rasseln dumpf Gestampf.
Doch ruhig, spöttisch, hoheitsvoll
Durchreißt der Kiel den schwarzen Groll.
Denn Menschenwerk schafft Menschenlohn,
Und allen Wettern bietet Hohn:
„Hapag, Prinzessin Irene".
Von der Kommandobrücke schaut
Der Kapitän — sein Haar ergraut
Im strengen Dienst der Zucht und Pflicht,
Von schwer durchwachten Nächten spricht.
Doch fest, mit Ueberwindermut,
Auf all den wilden Wassern ruht
Sein klares Seemannsauge.
WWWWWWWWWMIWW»
27
Er ift's, auf den man Häuser baut,
Fünfhundert sind ihm anvertraut. —
Ein Wörtchen oft, ein Blick, ein Wink, —
Das Glück an seinen Fersen hing.
Ein Wörtchen oft, ein Wink, ein Blick, —
Und grinsend lenkte das Geschick
Vorbei um Haaresbreite.
Das Läutwerk ruft. Er neigt sich: „Hier!"
„Herr, ohne Schraube treiben wir!
Sie ist verloren, Herr, verdammt!
Verloren sind wir allesamt!" —
Wie sich sein Leib da hebt und dehnt,
Als hätt' er sich nach ctampf gesehnt:
„Ruhe, da unten, Ruhe!"
„Ein jeder bleibe, wo er ist!
Und sagt mir keinem, was Ihr wißt!
Laßt die Maschinen weitergehn,
Ganz so, als wäre nichts geschehn!
Die Strömung kommt uns heut zu gut,
Wir treiben ostwärts mit Wind und Flut
Schnurstracks auf Ostende!" —
Aus schwarzen Schloten quillt der Dampf,
Maschinen rasseln dumpf Gestampf.
Und ganz bedeckt mit Schaum und Schnee,
Ein rasend Rost, her rollt die See,
Aufwühlend Wellenberg und Tal.
Hinauf, hinab — ein Federball:
Hapag, Prinzessin Irene. —
„Was macht der Sturm, Herr Kapitän?"
„Das bischen Wind? Wird bald vergehn!" —-
Und auf der Stirn ein leichtes Rot,
Tritt lächelnd er zur Table d'hote.
Und alles hängt an seinem Mund
GO
28
Und fröhlich wird die Tafelrund:
„Er muh uns was erzählen!"
Da setzt er sich und iht und trinkt
Und wird von Fragenden umringt.
Das Frauenauge gläubig strahlt,
Drin jüngst sich noch die Furcht gemalt;
Dem Männerherzen sorgbeschwert
Die alte Laune wiederkehrt
Bei traulichen Geschichten. —
Und er — den Tod im Angesicht,
Kaum weih er selber, was er spricht
Von blauer See und Sturmeswut,
Von Nordlandseis und Tropenglut,
Von mancher ungefahrenen Fahrt
Lügt er mit Lust nach Seemannsart:
„Topp, Freund, was gilt die Wette!"
„Was gilts, ich fühl? bei schwerer See
Ein hilflos Schiff, — was auch geschah!
Ich stell dem Schicksal stets ein Bein,
Ich zwing das Glück, das Glück ist mein!
Denn wer das Meer sein Liebchen nennt,
Kein Graun und kein Verzagen kennt!
Nur Ruhe, Freund, nur Ruhe!"
Ein Dampfer kreuzte den Kanal,
Der sah von fern ein Notsignal,
— Aus höchster Angst ein letzter Schrei. —
Er kam heran und legte bei
Und nahm das fremde Schiff ins Tau. —
Ganz nahe schien im Morgengrau
Die Brandung von Ostende.
29
0b er ft (EmmericE).
„Habe nun unter dem alten Fritz
Gestanden bei Leuthen und Bunzelwitz,
Habe an England mein Fell verkauft
Und mit den Wankees drüben gerauft,
Bin oft dem Tod in die Arme geritten
Und sollte feig um Gnade bitten?
Nein, Kinder, nein! — Mein Haar ist weist.
Paar Jährchen mehr — was hilft's dem Greis?
Dafür soll der welsche Weichling sehn,
Wie alte Soldaten zum Sterben gehn.
Und wenn sie den Kolben zur Backe heben,
Dann ruf ich: Mein Herr, der Kurfürst, soll leben!
Nur eins begehr' ich in letzter Stund',
Die Pfeife, die lasse ich nicht aus dem Mund:
Ich hab' sie geachtet wie einen Freund,
Sie ist, wie ich, gebrannt und gebräunt
Aus gutem Ton harthessifcher Zeiten,
Die soll mich nun auch zum Richtplatz begleiten.
Ja, das mit der Pfeif' ist ein eigen Ding,
Im linken Mundwinkel stets sie hing, —
Die Kugeln pfiffen; — Potz Wetter und Brett!
Die Pfeife, die war wie ein Amulett!
Ich glaubte, es könnte mich keiner morden,
Solang' mir der Tonkopf nicht kalt geworden.
Lag mal im Felde totsterbekrank,
Und wie ich schon mit dem Tode rang,
Da rief ich: Jungens, noch einen Kopf,
Und danach hol' mich der Wiedehopf! —
Der Feldscher hatte mich aufgegeben,
Aber die Pfeife erhielt mich am Leben.
Der Herrgott mag's mir in Gnaden verzeihn:
In die Kirche kriegte mich niemand rein.
Denn wo mein Freund nicht hingehört,
Da hätte ich sicherlich auch gestört. —
Und kann mich! Petrus 'trotzdem gebrauchen,
So möcht' ich im Himmel mein Pfeifchen schmauchen!"
Als Oberst Emmrich zum Sterben schritt,
Die Menge zog trauernd des Weges mit.
Er grüßte freundlich den stummen Chor,
Sog blaue Wolken aus seinem Rohr.
Der Franzmann müßte baß erstaunen
Ueber des Alten Lächeln und Launen.
Nur einmal vergaß der das Rauchen wohl,
Da rief er laut feine trotz'ge Parol:
„Der Kurfürst: Mein rechtmäßiger Herr!
Feuer!" — Es krachten zwanzig Gewehr'. —
Es mußte die Pfeife auf ewig erkaltm,
Wie 'bte Heldenfaust, die sie sterbend gehalten.
Konrad Berndl.
De Walkmühle.
In einem stellen Granne
Gang frieh'r en Mählenrohd,
Do wohnde so en ctunne,
Der eine Mühle hodd.
Der Miller ätz verschwunnen,
Will hä verlief sinn Hutz,
Hä, der sich lang' geschunnen,
Ätz Heide feine rutz!
Un schadds der Mühle Elabbern,
Doh glabbern Dassen nuh,
Un Kuchenberge gnabbern
De Schnudden alssozu.
De jungen wie de ahlen
Un schemrsten Mägdelein
Biehm Kaffeegladdsche mahlen
De Nächsten korz un giern!
En ehrlicher Befcöler.
Zeddzd neilich tmm' de Middachsschdunne
bieh der Frau Doggdern schellen,
Un will ähr Drrnchen grode baggde
Zum Middachessen Friggedellen,
Doh gung säh selwer heechst bersehnlkch
Moh ahn de Dähre, imm' noh ze guggen.
Doch kaume, datz, säh drigg'd de Elebbe,
Hodd säh sich firchderlich verschroggen.
Dann vor der Dähre schdunn en Kerle
Erod wie en Riese schdark un groß,
Der driwweld in der Hand de Kabbe,
Un brummelde so was druff los:
„Ben uff der Walze, kinne Schdiwweln,
Kinn Hemmed, kinnen ganzen Rogg,
Honn Säh vählichd was ze verschenken?"
So frug der ahle Sindenbogg. —
Will nu gerod' 'ne Kälde drussen,
Daß alles fror ze Schdein un Bein,
Doh regde sich bieh der Frau Doggdern,
Im Herzen doch en milder Schein!
Ls gogg au gor so drei un ehrlich,
So rechd vergrämt» der Kerl säh ahn,
Dah säh sich sahde: Hilfste dissem,
Host de en guhdes Werl gedahn!
„Ja, lieber Mann," fchbrochch säh geriehrd,
Schon längst gab ich die Kleiderreste,
Bon meinem seel'gen Mann dahin,
Ich hab' nur noch 'ne alte Weste!
Doch wenn Sie die gebrauchen könn',
Hol' ich sie Ihnen gerne her! —
,^Werimmenidd," sahd doh der arme Deiwel,
„Ne Weste honn ich au nidd mehr!"
De Doggdern schiewed in de Kammer
Un langd de Weste glichch im Drabb,
Der Kerle hodd sich schern bedanked,
Un driggede sich langsam ab. —
Wie nu der Wochen sin vergangen
So ahn de dreie ungefähre,
Do bimmeld widder moh bieh Doggders
Der Westenterle vor der Dähre!
Un widder kohm de Doggdern ruffer
33
An machd de Vorgangsdähre uff.
Sah kannde glichch den Kerle Widder,
An gogg erschdaund ahn emme raff.
„Nanu? Was wollen Sie schon wieder?"
Schbrochch sah zu ährem Fremde doh,
„Och, liewe Frau, sah honn geschenked
Mäh doch de Weste neilich moh,
Und wie ich säh nu ahngezochchen,
An paggde in de Kibbe ninn,
Doh schdigged Ihnen ungelochchen,
En neier Hunnerdmarkschinn drinn!
Nu kumm' ich," — „Och, Sie ärmster Bester,"
De Doggdern schnell ins Word emm' fiel,
Sie ihn zurück zu bringen!
Sie edler Mensch! Das ist zuviel!"
„Och näh!" meind doh de lange Schlacke,
.»Ich wullde mich erkundigen bloß,
Ob Säh nidd noch so'ne Weste hädden,
Villichde noch emoh so groß!"
Nidd ze bruchchen.
Es kahmb bihm Meggster Schwinnebroden
Ne feine Dame in den Loden,
Die war uch ahnglareeded — bong!
Ganz noh der nichesten Fässong!
Säh hodd en Huhd uff aggerohd
Wie so en großes Wagenrohd,
Ne Schbiddzendallje hodd säh ahn,
Doh wor ganz wenig Zeich nurhd drahn,
Un's Regg'.chen — och, du liewe Zidd,
War eh'r ze eng, als wie ze widd!
Dann Schiech'lerchen midd Schlibberchen,
En Sonnenschirm midd Glibberchen,
Nolle, Kasseler Dichlerbuch. 3
34
Korzum, me sahch's uff jeden Bligg:
Das Wiewesmensche hadde Schigg!
Der Schwinnebroden merkdes auch
Und schbrochch: „Befehlen gnäd'ge Frau?"
„Och," fleedede das feine Wesen,
Üch hob es heut' im Blatt gelöfen,
Daß Sie oin Mädchen fromm und züchtig,
Sich suchen und auch nett und tüchtig,
Da sünd Sä nun, Herr Schwoinebroden,
Bei mür an's richtige geroden!
Nur oins bütt ich zuvor mür aus:
'Ich krich den Schlüssel auch vom Haus!
Ich kruff nicht in den Keller unten
Und trage 's Fleisch nüch zu die Kunden,
Ich tue koine Kohlen schlöbben,
Und wasche Stuben nüch un Tröppen!
„Nä, nä, das sunn Säh au nidd machen,"
Der Meggster sahde doh midd Lachen,
„Das kann je alles jeden Morgen,
Alleine minne Frau besorgen!
Doch, liewes Freilein Schluggebier,
Säh schbählen doch au guhd Elavier?"
„Glavier? — Godd nöh! Das kann ich nüch!"
„Dann, liewes Känd, bedu're ich,
Dann suchen Säh sich awer schnelle,
Gefälligst annerschtwoh 'ne Schdelle!"
Deutscher Mut über den Wolken.
Bereit stand der „Ibis" zur luftigen Fahrt
Hinauf in die schwindelnden Höhen.
Noch zerrt und zieht, von der Fessel bewahrt,
Er schwankend in heimlichem Wehen.
Soldaten klettern zwei hurtig an Bord,
Ein kurzes, lautes Kommandowort,
35
Frei sieht den Ballon inan sich heben
Und langsam den Blicken entschweben.
Stolz schwillt in der Gondel den beiden das Herz;
„£>! Göttlich Gefühl voller Wonne!"
Entrückt allem kleinlichen, irdischen Schmerz,
Sie fliegen empor zu der Sonne!
In ihrem Schein glänzt unten die Welt,
Schier leblos ruhen dort Fluren und Feld,
Ueber Täler, Städte und Hügel
Trägt hoch sie des Seglers Flügel.
Die beiden durchfliegen den Sternenkreis
Und spähen entzückt auf die Erde.
Kein menschlicher Wille ist ihnen Geleis,
Der Höchste allein ihr Gefährte!
Er führt sie den Weg zwischen Leben und Tod,
Sie stehen nur unter des Einen Gebot,
Der lässet sie fliegen und sterben,
Der schickt ihnen Glück und Verderben!
Und nebelhaft schwinden dem Auge ganz
Die Erde und ihre Geschlechter.
Es jagen im wogenden, wirbelnden Tanz
Die Wolken, die himmlischen Töchter.
Und dunkel und dunkeler senkt sich mit Macht
Gleich düsterm Schleier herab nun die Nacht,
Ringsum eine endlose Ferne,
Hoch oben vereinzelte Steme.
Da plötzlich! Was tönt durch den Wolkenflor
Ein Rollen herauf und ein Rauschen?
Und lauter und lauter dringt's an ihr Ohr,
Sie horchen gespannt, und sie lauschen.
O! Schreckliche Ahnung! Kein Zweifel mehr,
Sie streichen ganz dicht über brausendes Meer,
3*
36
Es grüßt aus dem Toben der Wellen
Der Tod die beiden Gesellen.
Da gibt es kein Zaudern! Hinaus den Ballast!
Die Sandsäcke fort in die Wogen!
Sie schaffen beide mit fiebernder Hast
Und glauben das Meer schon betrogen —
Von neuem senkt sich der Luftballon da!
Schon sind sie dem donnernden Tosen so nah,
Und deutlicher hören sie's brausen,
Entsetzen erfaßt sie und Grausen.
Noch immer bewahren sie ruhiges Blut
Die beiden wackeren Kam'raden,
Flog Stück auch nach Stück schon hinein in die Flut,
Sie kämpfen wie deutsche Soldaten!
'Was alles entbehrlich nur, werfen sie fort,
Sie haben kein einziges Ding mehr an Bord,
Es will und will nicht gelingen,
Den „Ibis" zum Steigen zu bringen.
Die Stiefel senkten die Braven ins Meer,
Die Mäntel, die Instrumente,
Dann folgte am Koppel das Seitengewehr,
Wie schmerzlich von ihm man sich trennte!
Dann klettern am Seile sie in den Ring,
Der oben an dem Ventile hing,
Als letzte Rettung die beiden
Die Stricke der Gondel zerschneiden!
Und wie die Gondel im Wasser versank,
Da geht es in rasender Eile
Hinauf in die Wolken! — „Dem Herrn sei Dank!"
So hauchen die zwei an 'dem Seile.
In Kälte und Sturm ihre Glieder erstarr'n,
Doch festen Mutes sie hangen Und harr'n
37
Und lassen die Hoffnung nicht schwinden,
Noch glückliche Landung zu 'finden.
Doch währt das nicht lange! Von neuem erschlafft
Der „Ibis". Es naht sich zu Ende
Der beiden aufs höchste gesteigerte Kraft,
Erfroren sind Füße und Hände.
Da endlich — hören sie Hundegebell!
Ein Ruck an dem Ventile schnell,
Dann haben nach bangen Sekunden
Aus Bäumen sie Rettung gefunden.
Nach Schweden führte die nächtliche Fahrt
Die furchtlosen deutschen Soldatm,
Die beispiellos glänzend den 'Mut sich bewahrt
Und Ruhe und Tatkraft verraten.
Und sahm in blutiger Feldschlacht auch nicht
Dem Tode sie mutig ins Angesicht,
Soll doch die Geschichte einst melden
Vom Fluge der siegreichen Helden!
Ermunterung.
I !' ( '
Hinaus in das Leben! Hinaus in den Streit!
Nicht frommt uns ein zagendes Schwanken!
Zu Schaffen und Wirken ruft uns die Zeit,
Nicht ziemet uns feigliches Wanken!
Wo die Arbeit noch hämmert, der Arm sich noch strafft,
Wo der Wille die Tat sich erkoren,
Da wird auch die alles verjüngende Kraft,
Wird das Glück und der Segen geboren!
Hinaus in das Leben! Hinaus in den Streit!
Der Feigling nur pfleget der Ruhe!
38
Es scheuchet kein Elend, es wendet kern Leid
Ein ängstliches, blödes Getue!
Hinaus in das Leben! Es frißt dir am Mark
Das Grübeln in einsamer Zelle,
Es wächst dir der Mut, und Du wirst wieder stark
An des Lebens sprudelnder Quelle.
Hinaus in das Leben! Wo die Woge sich türmt!
Wo Elend droht und Gefahren!
Wo nach Rettung und Hilfe die Glocke stürmt,
Dort soll sich die Lieb' offenbaren!
Dort fühlst du erst richtig den höheren Sinn
Von allem menschlichen Leben,
Wenn gerne dein eigenes Zch du hast hin
Für das Wohl der andern gegeben!
Heinrich Bertelmann.
Graf Giso von 5tein au.
Der Frühling frohlockte durchs Buchenland,
Den lieben Frieden an seiner Hand.
Da lud sich Abt Bertho die Ritter ein,
St. Jakobs Kapelle wollte er weih'n.
Und alle kamen, nur einer nicht,
Der Ebersberg. Aufs Hochgericht
Schleppt' ihn der Abt. Am Markt zu Fuld',
Da fiel fein Haupt in Sünd' und Schuld.--------
Der Morgensonne goldne Hand
Glitt über das seidene Meßgewand.
Rings Rittersleut' in eiserner Reih.
Der Abt stand stolz, sein Wort klang frei.
Wie sang er froh: „Gelobt sei Gott!"
Die Ritter halten ihren Spott.
"And als das Sanktus klang im Chor,
Graf Giso sprang vom Sitz empor.
Der Ministrant flog übern Häuf,
Und zwanzig Schwerter blitzten auf.
Und zwanzig Schwerter trafen gut,
Denn edel Blut ist Ritterblut.
Vom Hochaltäre rann es rot.
Den Segen sprach am End' der Tod.
Indes die Rott' sich warf zu Roß,
Zu bergen sich auf Gisos Schloß.
Noch in der Nacht sprach der Konvent.
Ein Mt sich wieder Vertho nennt.
Noch in der Nacht stieg der zu Rost.
In Asche sank Graf Gisos Schlost.
Der Graf in der Genossen Schwall
Rast wie der Schreck durchs Haseltal
Und rastet nicht vor sinkendem Tag,
Bis ihn ein Kirchlein lockt im Hag.
Und wie der Blitz fchiestt's durch fein Blut:
Der Turm, die Mauern schützen gut.
Hinauf, hinein. Verrammelt das Tor.
Schon schnauben die Rosse im kühlen Chor.
Graf Giso springt auf den Tisch des Herrn
Und späht ins Lichte: „Noch sind sie fern!" —
Durchs Fenster zittert das Abendrot.
Sie lauschen und lauern auf den Tod.
Dumpf naht es heran wie Wettergebraus,
Wie Donner rollt es ums Gotteshaus.
Die Rosse stampfen, es poltert, es kracht.
Dann bricht es herein mit Macht, mit Macht.
Und an des Friedens heiligstem Ort,
Da wütet das Schwert, da schreit der Mord.
Graf Giso wie ein Priester steht.
Sein Schwert stöhnt manch ein Stostgebet.
Sein Schwert kennt keine Gnad' und Frist.
Er streitet wie der Antichrist.
Da plötzlich — o — welch kühner Fant
Schlug ihm den Flammberg aus der Hand?
Noch eh' er's richtig überdacht,
War er auch schon zu Fall gebracht.
Gras Giso lag, lang wie er war,
Als Opfer auf dem Hochaltar.
Abt Berthos Hiebe trafen gut,
Denn heilig Blut ist Abtes Blut.
41
Sie ritten heim die Nacht gen Fuld',
Erflehten früh St. Jakobs Huld.
Der Pflüger.
Mutz Furche an Furche fügen,
Tief drücken den Pflug in den Sand.
Ob Unkraut und Stein mich belügen —
Es liegt eine Krone im Land.
Mutz Jahr um Jahr mich quälen,
Bis starr meine Schwielenhand.
Einst wird sich das Glück mir vermahlen —
Es liegt eine Krone im Land.
Wohl bin ich ein Knecht der Erde,
Und niedrig ist mein Stand.
Und hab' ich auch nur zwei Pferde —
Es liegt eine Krone im Land.
Und sollt' ich sie nimmer finden,
lJhr Kinder, und deckt mich der Sand,
Latzt's euch auf die Seele binden:
Es liegt eine Krone im Land.
Die Bauersfrau.
Dich seh' ich noch spät am Herde steh'n
Und im Morgendämmer zum Kornschnitt geh'n.
Ich sehe die Sichel in deiner Hand
Und die rüstigen Arme so sonn'verbrannt.
Du lenkest das Rotz, du führest den Kahn,
42
Dich ficht nicht Wind noch Wetter an.
Und erst am Sonntagnachmittag,
Wenn Frieden winkt in Hof und Hag,
Wenn in Rosmarin und Geranium
Deine Arbeitshände spielen herum,
Wenn Gäste kommen an deinen Tisch,
Wie bist du so heiter, wie lachst du so frisch,
Regierest die Binder mit ernstem Sinn,
Mich dünkt, ich säh' eine Königin.
Hochzeit.
Sie gingen zusammen durchs blühende Korn.
Er sprach von seines Vaters Zorn.
Daß einer Trost beim andern fände,
Hielten sie sich die ringlosen Hände.
Die Ähren raunten: „Bräutigam, Braut!" —
Und die milde Nacht hat die beiden getraut.
Km Kbend.
Hüben der Bursch und drüben die Dirne.
Hüben der Rappe mit weißer Stirne,
Drüben Rosen im lleberfluß.
Zwischen Rosen und Roß ein Kuß. —
Und der Himmel gießt darein
Seinen goldigsten Abendschein.
Komm, tritt leise,
Und laß sie allein. —
Die Ernte war da, und das Wetter war schön.
Mit Sichselsang und Sensengetön,
Zog wieder die ernste Königin,
Die Arbeit, durch die Felder hin.
Und wer zwei Arme mochte rühren,
Ließ sich zu ihren Fahnen führen.
Das Dorf lag still. Am Berghof nur,
Da trat ein Fremder über die Flur.
Großvater rief wie immer: „Herein!"
And knurrte im Stuhle: „Wer mag das fein?"
Cs war der Tod. — „Mach dich bereit!" —
„Ach, heute! — heut' hab' ich keine Zeit.
Im Feld find alle, Mann für Mann.
Bis wieder sie kehren, so lange halt an." —
Der Tod, der schüttelt mit finsterm Gesicht:
„Ich warten, — das ist meine Sache nicht!" —
Der Alte stampft mit dem Krückstock: „Nein!
Der Enkel will erst gesegnet.sein,
Und guten Rates bedarf mein Sohn.
's find Kinder, weißt du!" — „Das kenne ich schon!
Dein Sohn ist alt genug. Wir gehen!" —
„So laß mich ein volles Fuder noch sehen!
Das Korn, es ist fo prächtig gediehen,
Heut' fahren fie's ein. — Dann will ich ziehen." —
Da lachte höhnisch der wilde East
Und ließ sich nieder zu kurzer Rast.
Cie lauschten lange, die zwei, und bang.
Dann kam's die Straße wie Schicksalsklang:
Wagengerassel, Peitschenknall,
Rossegestampfe, Stimmenschwall. —
Sanft faßte der Tod den Alten an
Und führte ihn zum Fenster heran.
44
Das erste Fuder rauschte herein.
Er sah den Segen und schlummerte ein.
Himmlische Scheunen, die taten sich auf,
Nun fuhr er goldene Garben zu Haus. —
Müde Enkel im Abendglanz
Wanden dem Ahn einen Ährenkranz.
Hessisches Städtchen.
Waldüberwacht am Berghang hingelehnt,
Wie eine Braut, die sich zum Bräut'gam sehnt,
Steht es und starrt mit hold verträumtem Blick
Entgegen seinem unbekannten Glück.
Derweilen droben in dem Burggemäuer
Schürt froh Frau Sage noch ihr flackernd Feuer.
Und manchmal summt sie leise für sich hin
Von Königsschähen tief im Bergschoß, drin. —
Der Mauerturm im hart zerschlissenen Kleid
Ragt wie ein Fremdling in die neue Zeit.
Einreiten sah der einst durchs off'ne Tor
Den tollen Tilly, der Kroaten Korps.
Hei, wie die Flammenflut ihn heiß umzuckte,
Die alles fraß und gar den Kirchturm duckte!
Ein Chaos ward da unten. — Lang ist's her. —
Ein Dohlenpaar huscht aus zerbroch'ner Wehr.
Das weckte wohl das kurze, schirille Lied.
Der Eilzug sang's, der donnernd westwärts zieht. —
Verlegen starrt der Turm sich um und um.
Kopfschüttelnd brummt er in den Bart: „Wie dumml"
Was tu' ich noch in diesem Zauberspiel?"
Krach! — War's ein Stein, der aus der Brüstung fiel?
45
Die Gerechtigkeit.
Als bet junge König feinen Einzug hielt,
mischte sich unter sein zahlloses Gefolge auch
eine fremde Frau. Sie hatte sich wie die
andern in Weiß gekleidet und ein blaues Band
durchs Haar gewunden. Weil sie aber so seltsam ernste
Augen hatte, ging ihr jedermann scheu aus dem Wege.
Ein jeder meinte, sie zu kennen und wußte doch ihren
Namen nicht. Da erfaßte ein Kind furchtlos eine Falte
ihres Kleides, sah vertrauensvoll zu ihr auf und sagte:
„Ich kenne dich! Du bist die Gerechtigkeit!"
Das hatte einer von den Mannen des Königs
gehört, der hinterherkam. Dem gingen da auch auf
einmal die Augen auf. Als er ihrem leuchtenden Blicke
begegnete, trat er zu ihr und sagte erstaunt: „Ach ja,
jetzt erkenne ich dich. Aber wie konntest du es auch
wagen, dich in so gewöhnlichem Gewände unter das
Volk zu mischen! Du giltst doch nur in deinen Ab-
zeichen, die dir der König verliehen."
„Wie weit ist es mit diesem Geschlechte gekom-
men," erwiderte die Gerechtigkeit mit abgekehrtem Ge-
sicht. „Immer nur will man in mir die Gewappnete
setzen. Bin ich denn nicht der Liebe Tochter? Wann
wird nran sich wieder an mein natürliches Antlitz ge-
wöhnen und nicht mehr verlangen, daß ich das Schwert
tragen und mir die Augen verbinden soll?" —
Der Kriegsmann schüttelte schweigend den Kopf
und eilte weiter. Das Kind aber hing an ihrem Rocke
und ließ nicht ab. Sie hob es empor, küßte es und
sagte: „Sterben nrüßte ich, wenn du mich nicht ver-
ständest." —
Wer darum die Gerechtigkeit nicht kennt, der
frage ein Kind.
Der Blumenhasser Herbst hält auf der Herbe
Aus rotem Rotz
In grauem Panzerkleide.
Wie tobt der Trotz!
Dies Auf und Ab in den Eichenalleen!
Dies Waffengeklirre, dies Fahnenwehn!
Dies Fluchen und Wettern
Und Schnauben und Schmettern! —
Da horch! War's nicht ein Schlachtsignal?
Nun wehe dir, sonniges Sommertal!
Schon rast es hinab in toller Attacke.
Wie fliegen die Hufe, wie heult der Bracke! —
Das Blumenvolk in leichtem Sinn
Feiert mit seiner Königin,
Schlürft der Freude rinnenden Rest
Beim letzten Fest.
Trunken lallt eben ein Enzian:
„Hei, Freunde, jetzt fängt erst der Jubel an.
Es lebe das Leben!" —
Zum Munde heben
Wollten die Zecher,
Die blinkenden Becher. —
Mit einem mal
Stürzt der Feind in den herrlichen Saal.
Ohnmächtig sieht man die Schönen sinken.
Am Boden Juwelen und Sterne blinken.
Bänder und all der bunte Tand
Zertreten im Sand. —
„O Rose, Rose, du Königin,
Wo fliehst du mit deinen Frauen hin?"
Der rauhe Held kennt kein Erbarmen.
Wild greift er nach ihren weichen Armen.
Perlen zerstieben vom Halsgeschmeide,
Fehen fliegen vom seidenen kleide.
Und ob sie gleich möchte vor Scharn verglühn
Und tapfer sich wehrt, er küßt sie kühn —
And reißt ihr — sie hätte es nimmer geglaubt
Die schimmernde Krone vom stolzen Haupt.
Die Knappen indes mit blanken Waffen,
Dom Loden die blitzenden Schätze raffen.
Sturmrossen läd man sie eilend auf
Und sprengt davon in wildem Lauf. —
Auf Wolkenwagen sanft und sacht
Naht die Nacht,
Schreitet zögernd durchs stille Tal,
Lindert der Sterbenden letzte Qual,
Klagt um die Lieben aus tiefster Brust,
Betet an den Gräbern der Lust,
Weint
Bis die Sonne scheint.
Die windet mit Lachen aus Glut und Glanz
Ams Todestal den Überwinderlranz.
Meine Zeele.
Meine Seele ist wie ein dunkler Wald.
Durch Wipfel weben
Sonnenkringel ein goldig Leben
Auf Blumen namenlos, mannigfalt.
Gleich einsamen Rosenranken
Ruh'n rings auf tauigen Matten
Glutträumende Gedanken.
Im Dämmerschatten
Jeanette Bramer.
Tine tausendjährige Kose...
Eine tausendjähr'ge Rose blühte auf Lus schlichter
Hülle,
Ihrer ganzen Schönheit reiche Fülle
Durfte sich in der Jahrhundert Wallen
Langsam immer herrlicher entfalten. . .
Einst am alten Frankenstamme sproß im Dämmer-
licht der Zeiten,
Ueber die sich graue Schleier breiten,
Eine Knospe auf, die unbeachtet
Richt nach Namen, noch Entfaltung trachtet'.
Aber in der Unscheinbaren, Unbeachteten schlief Leben,
Und den Weckruf hat Chassal' gegeben;
War ein steinern Haus, und rings die Hütten
Sahn's aufragen hoch aus ihrer Mitten.
Und zur Burg im Lauf der Zeiten ist das Haus
emporgewachsen,
Einstmals die Chassala edler Sachsen,
Eine Kaiserburg ist es geworden,
Kaiser ziehen ein durch ihre Pforten. —
Kaiser Konrad war's, der Erste, der Chassala Heimat
nannte,
Und es ward allmählich nun im Lande,
In den Dörfern, die das Schloß umrahmen,
Für die Siedlung selbst der stolze Namen. —
Nolte, Kasseler Dichterbuch. 4
50
Einst vom Oberhaupt des Reiches ward hier Fürsten-
streit geschlichtet,
Doch als Fürsten sitz ist dann vernichtet
Diese Burg, ihr Reichtum ging verloren,
Ward zum Nutz Stift Kaufsungens erkoren.
Mählich fiel die Burg in Trümmer. — Sich zum
Städtchen auszudehnen
Ward der Knospe — ward des Dorfes Sehnen:
„Wachse Knösplein, reg' dich zum Entfalten,
Bist noch großen Dingen vorbehalten. . .
Erbstreit, Ursach schweren Haders, schärft' das Schwert
und Mannes Rede,
Drängt' zum blutigen Krieg nach langer Fehde! —
Chasfal' ruft: „Es soll das Schwert ihm bringen,
Was Unrecht dem Erben will abringen.
Recht bleibt Recht nach Väter Sitte; nicht den Mark-
grafen von Meißen
Brauchen wir den rechten Herrn zu heißen,
Der bleibt uns und unserm Hessenlande
Sankt Elisabethens Enkel — in Brabante". . . .
Schwere Kämpfe hat's gekostet, Chassal' half mit
wucht'gen Streichen
Für den wahren Erben zu erreichen,
Was von Gottes — was von Rechtes wegen
Ihm gehört — und Gott gab seinen Segen . . .
An der Fulda grünem Ufer, wo sich einst die Burg
erhoben,
Baute sich nach Kriegestoben
Heinrich von Brabant ein Schloß, dess' Mauem
Sollten die Jahrhundert' überdauern. —
Residenz und Hauptstadt Cassel aus dem Dunkel zur
Entfaltung ;
Trat hervor zu schönerer Gestaltung.
Bürgersinn und Fürstengunst daneben
Haben ihr die Richtung nun gegeben. —
51
Iaht — Jahrhundert zogen weiter . . . Aufruhr,
Krieg schuf schwere Tage,
Und der Pest verheerend grause Plage
Zog gespenstig durch Alt-Cassels Gassen.
Ach! die Stadt sie wähnt sich gottverlassen. —
Doch es kommen bess're Jahre; Ruhmesglanz ist aus-
gebreitet
Ueber Cassel. — Wie sich dehnt und weitet
Nun die Stadt aus ihren Festungswällen!
Neue Zeit schritt über Cassels Schwellen. —
i , I ! ' i' I .1 M ! ; : \7\
Unversehrt in starken Mauern ragt das Schloß am
Fuldastrande,
Das dem Wandrer Heimatgrüße sandte,
Der den Blick noch einmal rückwärts wendet,
Vorwärts, wenn die Wanderschaft dort endet. —
Was ist dauernd hier auf Erden? — Eine Nacht
voll Graus und Schrecken
Ließ die Stadt durch Feuerruf erwecken:
Unsrer Fürsten Schloß, es stand in Flammen,
Fiel in Trümmern rettungslos zusammen. . .
Wie im Märchentraume lieblich, ruhend in der eignen
Schöne,
(Längst verhallt ist alles Kriegsgetöne),
Schläft — ein Dornenröschen — Cassel lange
Nach der Zeiten vielbewegtem Gange. —
Da erscholl durch alle Lande (drang in Dornen-
röschens Träume)
Ruf der neusten Zeit: „Wach auf und säume
Nicht mehr länger, ring wie andere Städte
Nach Vollendung und gewinn die Wette!"
Dornröschen drauf erwachte, hat das Ruhen aufgegeben,
Ist erweckt zu rüstig regem Leben,
Hat zur schönsten Rose sich entfaltet,
4*
Streifte ab, was Neuzeit nennt — veraltet! . .
Heimlich in den Vollmondnächten wallt Erinnrung
durch die Gaffen,
Kann das Klagen, Rückwärtsfchaun nicht lassen:
„Kassel, stolze Rose, woll's verzeihen,
Mutz Dornröslein — treu mein Lieben weihen!
Kuf Hommjens Tod.
Ein Stern erlosch, der über Deutschlands Himmel
Mit Sonnenhelle seine Strahlen sandle
Und weithin über alle Erdenlande,
Die der Geschichte hehre Wissenschaft
Erkennen als erzieherische Kraft! —
Die Trauerpalme senkt ihm Frankreich nieder,
England den Flor und aus den Lorbeerhainen
Des Sonnenlandes flicht die Siegerkrone
Jtalia dem großen Toten,
Der die „Geschichte Roms" der Welt geboten.
Um Deutschlands Trauer aber rankt der Stolz,
Der hohe Stolz, die lilienweißen Blüten:
Denn er, der Große, der gebaut am Thron
Der Weltgeschichte — er war Deutschlands Sohn!
Ein tiefer Denker, Feuergeist und Forscher,
Strebt' glühend er nach reiner Quellen Wahrheit,
Und herrlich half die eigne innre Klarheit.
Die Arbeit schritt tn idealem Kleide
Bis in sein hohes Alter dem zur Seite,
Der nun erlosch, der Stern am deutschen Himmel .
Doch, wie ein Stern im ewigen Wellenraume
Zerstiebt und dann Jahrhunderte noch sendet
Sein strahlend Licht zu uns, so endet
Auch mit dem Tod des Großen Einfluß nicht:
Sein Licht.
— 53 —
Historischer Forschung, ihrer Wahrheit Wächter,
Bleibt Mommsens Geist für kommende Geschlechter
Der Arbeit in dem weiten Reich der Geister
Ein leuchtendes Gestirn — ein Meister.
„E§ geht eine alte Zage..."
Es geht eins alte Sage,
Wer weiß, ob sie erdacht,
Daß dir am Sterbetage
Die tote Mutter erwacht.
Die Mutter mit all' ihrer Güte,
Dem Herzen so Liebe reich,
Mit den Augen, die tröstend blicken,
Mit der Stimme so sanft und weich. .
Und wenn sich die Schatten dir senken,
Die Schatten der dunkelsten Nacht,
Dann hält dich die Mutter im Arme,
Wie einst sie zur Ruh' dich gebracht.
Dann singt ihre lieblichsten Lieder
Die Mutter, die Mutier dir vor,
Und leise, leise geleitet
Sie dichi an das finstere Tor
Und trocknet und kühlt dir die Stirne,
Die im letzten Ringen dir brennt
Und führt dich zum Allerbarmer,
Der Mutterliebe ja kennt! —
Heid e.
Die Heide in zitternder Sonnenglut,
Die Heide, wenn sie um Mittag ruht,
Die Heide in rotblauer Glockenpracht,
In Märchen raunender Sternennacht, —
Du kannst nichts Schöneres sehn!
Ich sah sie im blendenden Schneegewand,
Tiefdunkel verbrämt der Schleppe Rand,
Sah über der Heide den Vollmond stehn,
Lichtblaue Schleier auf Silber wehn:
Da hab' ich Schön'res gesehn!
vor Tag.
Stille, feierliche Stille. . .
Feine Geisterhände weben,
Breiten graue, kühle Schleier
Weithin über alles Leben,
Wie die Mutter vor dem ersten Licht
Schützt des Kindes schlummernd Angesicht!
Dämmrung hält die zarten Schleier,
Wehret noch dem Windesrauschen:
„Latz der Bäume hohe Wipfel
Still noch ihren Träumen lauschen;
Jungen Zweigen gönn' noch kurze Rast
Ruhe noch dem sturmgewohnten Ast.
Stille, feierliche Stille. . .
Blasse Sterne müde winken
Noch ein letztes Abschiedsgrützen,
Wenn die Schleier langsam sinken. . .
Von dem Walde über Felder weht
Leises Raunen wie ein fromm Gebet. .
Leuchtend glüht die Morgenröte
Plötzlich über rings dem Schweigen,
Frischer Wind rauscht durch die Bäume,
Datz sie ihre Kronen neigen, —
Und der Sonne sieggewohnte Pracht
Funkelt in den Tränen flieh'nder Nacht.
Allererstem, stillen Werden, das der Menge kaum
sich zeigt,
Wenn der Himmel grau verhangen und der lichte
Wald noch schweigt,
Keines Vogels Jubilieren durch entlaubte Wipfel
hallt,
Diesem ersten, leisen Regen selten nur ein Lied erschallt.
Und doch birgt das Knospen, Keimen tief am Name,
hoch am Baum,
Grüner Schein auf Moosgeflechten wunderholden
Frühlingstraum.
Eh' sich Blatt und Blüte drängen durch der Hütte
harte Wand,
Schmückt sie erst mit weichem Glanze eine milde
Segenshand.
Ahnungsvoll streicht weckend Wehen über rauhes
Ackerfeld;
Aus der schweren Scholle sprießet zages Grünen in
die Welt.
Durch die dunkle Fichtenkrone Windeswelle zitternd
saust,
Streift die Erde, wo in Furchen Winterschnee noch
zögernd haust.
Herbe, junge Frühlingsseele, unbewußt noch ihrer
Macht,
Rührt in ihrem ersten Streben mehr als auferblühte
Pracht.
Wie in eines Kindes Auge feh' ich auf der braunen
Flur
Allererstes, leises Lächeln der erwachenden Natur.
AIs hielte mich ein Traum umfangen,
Ein Schlummer, — nur das Auge wacht
Und bleibt am stillen Waldsee hangen, —
Rings dämmerhelle Frühlingsnacht!
Vom längst verschwundnen Sonnenlichte
Strahlt Silberglanz der Himmelsrand,
Als stieg er aus den reinen Wellen
Empor zur dunklen Wolkenwand!
Und leuchtend Licht und tiefen Schatten
Nimmt liebend auf der klare See —
Wie eine große Menschenseele
Der Andern Glück, der Andern Weh!
Sonnenschein muß im Herzen sein.
Ich ging am blühenden Hag' entlang,
Rings flutet' goldenes Licht,
Und fröhlich schallte der Vögel Sang,
Ich sah und hörte es nicht!
Wie trübe Nebel in Spätherbstzeit
Lag auf mir drückend ein schweres Leid.
Das Leben, dacht' ich, ist rauh und kalt,
Mein Herz so mutlos — mein Herz so alt!
Rings grau und öde, — der Nebel fällt
In leiesn Tropfen herab;
Es sank die herrliche Sommerszeit
Dem Herbst zum Opfer ins Grab.
Doch meine Seele, von Gram befreit,
Mein Herz so fröhlich, so dankbereit,
Das jubelte auf zu Himmelshöh'n:
„O Welt, o Leben — wie wunderschön!"
— 57
Totensonntag.
Es gibt ein Treuehalten,
Das wagt sich nicht hervor
Am Totenfest mit Kränzen
Und buntem Blumenflor;
Das hält an jedem Tage
Ein still Gedenken fest,
Ob es auch keine Klage
Dem Mund entschlüpfen läßt.
Es trägt dies Treuehalten
Sein Leid, sein bischen Glück
Hin, wo die Toten ruhen —
Bringt Mut und Trost zurück.
In aller Herrgotts-Frühe,
Im Abenddämmerschein,
Am Tag der Toten wandelt's
Zu Gräbern ganz allein.
Und an der Ruhestätte,
Dort draußen vor dem Tor,
Ringt sich aus tiefster Seele
Der tiefe Schmerz hervor:
„Wie muß allein ich wandern
So lang schon manches Jahr!
Tod, gibst du dort mir wieder
Zurück, was mein erbst war?
kV e i h n a ch t s l i e d.
Es klingt aus alten Zeiten
Ein Lied so lieb und traut,
Sel'ge Vergangenheiten
Das Auge wieder schaut.
58
Und holde Träume schweben
Um uns in Wintersnacht,
Ein lieblich Märchenleben
Ist wieder aufgewacht.
Das spinnt hauchfeine Fäden
Und schlingt sie wundeTweich
Um Leiden und um Schäden,
Macht rauhe Wege gleich.
Ein Singen und ein Klingen
Weckt's auf mit sanfter Macht,
Und aus der Seele dringen
Erinnerungen facht.
Die führen all' hinüber
Uns in das Vaterhaus,
Und Sterne leuchten drüber
Und strahlen hell heraus.
Die aus den Fenstern blinken,
Sind herrlicher zumal
Als jene, die dort winken
Vom weiten Himmelssaal!
Was fragt das Kind nach Sternen,
Wenn ihm der Christbaum lacht,
Und was nach goldnen Fernen
In Christkind's Wundernacht? —
Mit Singen und mit Klingen
Das ganze Kinderglück,
Die Weihnachtszeit will's bringen
Noch einmal uns zurück.
Drum laßt Euch nur umweben,
Wie alt Ihr immer seid,
Vom wunderholden Leben
Der deutschen Weihnachtszeit.
Josephine Brenzel.
Arabische Bettelkinder.
Sie kommen vom Markt, wo in Sonnenglut
Sie der Märchenerzähler gebannt;
Sie hocken im Schatten der Mauer nun,
Zerlumptes Pärchen, im Sand.
Sie lehnt das Köpfchen fchalkifch zurück,
Zeigt der Zähnchsn perlschimmernde Spur,
Er funkelt mit herrischem Blick sie an:
Saida und Kaddur.
Und bin ich ein Mann, du wirst schon seh'n,
Nach Timbuktu zieh ich dann gleich.
Den Eoldstaub dort von der Erde ich häuf'
Und komme, ein fürstlicher Scheich.
Zehnhundert Kamele nicht tragen die Last
An Geld und Geschmeidezier.
Die ersten siehst du am Hafen schon dräust',
Die letzten schreiten noch hier.
Und Schwarze mir küssen den Burnussaum
Und folgen gebückt meinem Schritt.
Ein Haus dann bau ich, so hoch und fein,
Und du, Saida, kommst mit!
Sie höhnt: Wie das Haus, wo die Schildwach' steht,
Wohin die Babufchen ich trug?
Da ist die Treppe breit wie der Weg,
Das Geländer von Gold, ohne Lug,
60
Die Stufen wie Milch weiß, der Teppich weich,
Als gingst du im Staube, so dick!
An den Wänden die Löwenfelle mit Kopf
Und, wie du, mit so bösem Blick.
Und der schöne Knabe dort trug kein Kleid
Aus Lumpen — aus Samt sogar,
Und du, Kaddur, bist nicht halb so schön
Wie der Knabe im blonden Haar.
Der gab mir Zucker, so süß! — O weh,
Ihr Aermchen er fest umwand
Und schüttelt's mit hartem Griff, und sie —
Beißt ihn blitzgeschwind in die Hand.
Sie raufen und schrei'n noch ein Weilchen im Staub
Den südlichien Zorn heraus
Und ruh'n — und lachen erschöpft sich an —
Im Schatten der Mauer aus.
Sie liegen im friedlichen Schlummer bald,
Zwei Bettelkinder nur —
Und träumen doch beide stolzesten Traum —
Saida und Kaddur.
M i s e r g h i n.
Hart an der Sebkah Rande,
Wo grau die Wege ziehn
Wie in der Wüste Oede,
Liegt Kloster Miserghin.
Das ist der weißen Nonnen
Vom Herzen Jesu Reich.
In ihrem Garten blühet
Der Rosenlorbeer bleich.
61
In ihrem Garten duften
Viel Blumen brennend rot —
Dort ist für sie beschlossen
Das Leben und der Tod.
Der Wüste gift'ger Odem
Verhaucht vor ihrem Tor;
Des Weltgetriebes Branden
Erreicht nicht mehr ihr Ohr:
Von zwiefacher Oase
Sah ich die Tage fliehn,
Im Reich der weihen Nonnen,
Im Kloster Miserghin..
Wandlung.
(Nordseebild).
Ein finster Bahrtuch, breitet sich der Schlick
Weit, weit zur Flut,
Als ob der Menschheit Not und Mißgeschick
Darunter ruht —
Es spannt der Himmel schwer ein steinern Grau,
Gleich eines Gruftgewölbes niederm Bau.
Strandhafer hängt zerrissne Fahnen drein,
And Regenpfeiffer klagt die Litanei'n. —
Da, am Gewölb' erklaffend, schmaler Spalt —
Unheimlich Licht dahinter, gelb und kalt —
Und plötzlich bricht hervor ein Strahlenkranz,
Weckt auf dem schwarzen Schlick Perlmutterglanz,
Und eine Möwenkette, silberrein,
Zum Wasserfaden fällt mit Siegesschrei'n,
Und ruht, gereihet, Perlen, marchengroh
Und glanzerhellt,
In dieser Riesenmuschel Farbenschoh —
Der Reichtum einer Welt!
62
Die Hörnen.
Es rinnt die Zeit in den Weltenraum —
Was flüstern die Drei am Eschenbaum?
Den Rätselblick hebt die Junge, Skuld,
Und lächelt leise: Nicht trag' ich Schuld —
Ich mische die Lose nach Schicksalsschluß,
Und kommt für jeden, was kommen muß.
Doch kann ich wehren der Freundin mein,
Der holden Göttin im Morgenschein?
Ihren Schleier läßt sie, den endlosen, wehn,
Wo der Menschen Wege verschlungen gehn.
Und die auf Höhen, im engen Tal,
Am Blütcnpfade, zu dumpfer Qual,
Und kampfgerüstet, und matt am Stab,
Das Ziel noch ferne, so nah' dem Grab —
Sie wollen alle nur, wo sie gehn,
Durch den Zauberschein der Hoffnung sehn. —
Es spricht Wcrdandi, das stolze Weib,
Und dehnt zur Sonne den blühenden Leib:
Den Schleier lüft' ich im goldnen Heut' —
O, daß sie nützten, was rasch es beut!
Aus Augenblicken wind' ich den Kranz —
Wer greift die Rosen im Stundentanz?
Zerdrückt den Dorn, eh' er ätzend sticht
Und gebieret die Tat, die strebt zum Licht?
Und Urdr, die Alte, so tief ergraut,
Zum Runensteine gebückt sie schaut:
Sie forschen so lange, was ich schrieb so dicht,
Sie lesen die Schrift, doch sie hören nicht.
Und, wenn zu mir sich verirrt ihr Gebet —
Umsonst, umsonst es Erhörung fleht:
63
Rein Gott, kein Schicksal je hielt auf
Des Riesenrades rasenden Lauf
Und wendet die ehernen Speichen zurück
Zu der Stunde Schuld — zu der Stunde Glück------------
(Es rinnt die Zeit in den Wellenraum —
Es flüstern die Drei am Eschenbaum.
Im Volkspark.
Im Volkspark sitz ich — lenzumsponnen —
Wie haucht sein Odem kosend weich
Und lockt aus neu erschlossen Bronnen
Das junge Leben überreich.
Die Traubenkirsche erste Düfte
'Roch spendet scheu und halb im Traum,
Und Finken schmettern durch die Lüfte
Den Heroldruf von Baum zu Baum.
Im sonnengoldnen Sandhauf spielet
Zu Füßen mir ein lieblich Lind,
Und immer neu empor gewühlet,
Der Sand durch seine Händchen rinnt.
Die hellen Locken schüttelt's leise,
Und seiner Augen blaue Pracht
Sucht meinen Blick, nach Linder Weise,
Wie unbeirrt es lacht und lacht,
Als könnt' es endlich mich bedeuten,
Daß heut' voll Wonnen nur die Welt
Und statt dem strengen Gott der Zeiten
Ein jauchzend Lind die Sanduhr hält —
64
Der Rosenstrauß.
Vom Maienfrost erschreckt,
hat er den Lenz versäumt,
Blieb, da die andern Rosen trugen,
still verträumt.
Nun, da das Weinlaub braun
am Boden klebt,
Die nackte Ranke
von der Mauer bebt,
Tot schon die Malven bleich,
der Astern laute Schar,
Nun steht er da und trieb1 —
im greisen Haar —
Noch eine Rose groß,
von königlichem Blut —
Nie sah ich solchen
Purpursamtes Glut!
Doch, halb erblüht,
neigt sie das Haupt schon schwer
Es trägt der Strauch
die sütze Last nicht mehr.
Und ist, als sollt' er,
eh' verhaucht die Gluten,
Mit dieser Rose rot
nun selbst verbluten.
Gottfried Buchmann.
Hit es Lied.
Hinter jenen blauen Bergen
Meine Heimat — mutz ich meiden;
Lang ist's her; wir Nachbarlinder
Mochten uns von Herzen leiden.
Hinter jenen blauen Bergen
— Hoffend kehrt ich heim vom Wandern
Fand ich sie, die Mutier wollt' es,
Lange schon getraut dem Andern.
Hinter jenen blauen Bergen
Flutend all mein Sehnen mündet,
Wenn ein Heimweh nach Verlornem
Meine Seele überwindet.
Wunsch.
Oft lebt ein Iubelsingen
Im Tiefsten meiner Brust,
So hell wie Frühlingsllingen,
So froh wie Hinderlust.
Oft auch, an Schattentagen,
Da quält mich herbes Leid,
So weh, wie banges Fragen
Nach Tod und Ewigkeit.
Nolle, Kasseler Dichterbuch.
Dann wieder stille webend
Die Seele träumt und sinnt,
Leis, wie ein Spinnlein schwebend
Am lichten Fädchen spinnt.
Ach, hätt' ich doch nur Lieder
Und Worte, lieb und fern,
Für dieses Aufundnieder
Und für dies Stillesein.
Morgen. . .
Mir ist so weh und eigen,
So bis zum Weinen bang,
Kann nimmer länger schweigen;
Ich zage allzu lang.
Wie schluchzend Liebekünden
Geht durch die Nacht ein Lied —
........Und sollten nie sich finden
Und wurden alt und müd."
Nein! — Morgen will ich's wagen:
Im Garten, heimlich, still,
Will ich ein Mägdlein fragen,
Ob es mich lieben will.
Vas Lied.
Mit meinem Spiel am Waldesrain
Ruh' ich im stillen Abendschein
Und stimm' die goldnen Saiten
Und singe dann voll Innigkeit
Ein Lird aus froher Kinderzeit;
Akkorde mild begleiten.
67
Wer hat die Tränen nur erregt?
Was macht Dich, Herze, so bewegt
Und übervoll zum Rande?
Ob so der Worte Sinn berührt?
Ob mich der Laute Sang geführt
In tiefer Sehnsucht Lande?
Glückliche Ztunde.
Ährenfeld im Abendtraum,
Glühwurmtanz am Waldessaum,
Leis Gesurr in weicher Luft,
Heimlich auch ein Blütenduft;
In den Halmen, wohlig müd,
Pickprrwick, pickprrwick,
Singt eine Wachtel ihr Abendlied.
Mondglanz überm Garten liegt;
Liebchen hat sich angeschmiegt:
„Balde naht der Hochzeitstag,
Sag mir, was ich träumen mag?"
„Horch, im Neste, wohlig müd,
Pickprrwick, pickprrwick,
Singt eine Wachtel ihr Abendlied."
März.
Durchs Gewölk die Sonne bricht;
Weidenkätzchen silberflimmern;
Aus dem Strauchwerk, zart und licht,
Heimlich schon die Knospen schimmern.
Hoch am Hang im Birkenschlag,
Wiegend auf den höchsten Zweigen,
Singen Vöglein Tag um Tag
Glaubensfrohe Liederreigen.
5*
68
Ackerscholle, Wiesengrün,
Ahnend liegt's im Märzenwinde;
Winterwolken leise fliehn,
Sonnentage nahn gelinde.
Frühherbstzauber.
Gedämpft im Sonnenweben ruht der Tag;
Im Hauch der Luft schwimmt späte Sommerseide;
Ein Vogel lockt sein Sehnsuchtslied im Hag,
Und warmes Purpurleuchten schmückt die Heide.
Der Berghang steht in buntem Farbenglühn,
Voll Lebensfluten unter heitrem Sterben;
Es ist, als wollt der Wald in letztem Mühn
Noch einmal um der Menschen Liebe werben.
Unruhig Herz, voll Winterahnungsdrang,
Spürst Du des goldnen Herbsttags sinnend Träumen?
Durch tiefe Stille schwebt ein leiser Sang,
Komm, feire mit, wo schöne Seelen säumen.
Frühes Grab.
Leis schluchzt der Herbstwind um die Friedhofmauern,
Wie bang verzagt;
Ein Regen rinnt in winddurchweinten Schauern,
Horch, wie es klagt.
Am Ende stummer Reih'n ein frischer Hügel;
Dumpf niederwärts
Sank heute früh mit todesmattem Flügel
Ein junges Herz.
Es sah den Himmel noch so sonnenoffen:
Der Regen rinnt;
Roch war's so voll von frohem Zukunftshoffen:
Leis weint der Wind.
Paul Metz.
Ein neues Zeitalter!
(Dem Grafen Zeppelin zugeeignet).
Es rittert und rattert und schnaubet und stampft,
Es zittert und bebet und staubet und dampft,
Es ächzet und Hämmert und zischet Und stöhnt,
Es brauset und schwanket und rasselt und dröhnt,
Es webet und hebet und recket sich vor,
Es dehnt sich und steigt in die Lüfte empor,
Es rühret die Flügel mit mächtigem Schlag
Und drängt in das Blauen am ftühenden Tag;
Es treibet zum Himmel, dem Adler wohl gleich,
Und herrscht in der Vögel ureigenstem Reich. —
Und es jauchzet die Menge, von Jubel erfaßt,
Leicht dünket die scheinbar gewaltige Last;
Und Stolz füllt die Herzen, weil endlich gelang,
Daß menschliche Kraft selbst den Sturmwind bezwang.
Nun wird bald das Märchen aus kindlicher Zeit
Zur Wirklichkeit werden. Schon siehst du bereit,
Das Ziel zu erfassen den menschlichen Geist,
Der himmelanstrebend zu Höherem weist.
In Ewigkeilsfernen, hinaus in das All
Es drängt zu dem glühenden feurigen Ball,
Von dem alles Leben auf Erden geweckt,
In dem alles Rätsel der Welt liegt versteckt. —
Der Mond und die Sterne, sie flimmern dazu; —
Wer nahm doch der Menschheit die gläubige Ruh,
Wer trieb sie hinaus in den ewigen Kreis
Der fernen Planeten, in deren Geleis
Als Fremdling sich drängle der irdische Sohn,
Zu steh'n an der Gottheit erhabenem Thron? —
70
Siehst Du, wie der Flieger verwegener Häuf
Luftschlösser gar hängt an den Sternen schon auf.
Daß. deren Gefunkel vergehet in Nacht
Vor jener Paläste goldschimmernder Pracht.
Es tafeln und tanzen in luftigen Höh'n,
Hoch über den Wolken, hoch über dem Föhn,
Die Kinder der Erde, — erhoben zum Licht,
Erbauen sie Städtchen, darinnen man spricht
Die Sprache der Vögel, die wunderbar
Dem Menschen im Fluge ward plötzlich klar.
Die Freiheit atmet im Reich der Luft,
Da herrscht kein Gruben- und Moderduft;
Da ist es so sonnig, so hell und rein
Wie auf Erdm beim lachendsten Sonnenschein. —
Das rattert hinauf und das rattert hinab,
Und knittert und knattert mit Klipp und mit Klapps
Und rudert dahin und rudert daher
Auf strahlendurchflutetem weitem Meer.
Und es feiert beim hellen Trompetengetön
Ein fröhliches Luftfest in schwindelnden Höh'n.
Und gerad' wie die Menschen auf Erden es tun,
Sie kennen kein Rasten, sie kennen kein Ruhn;
Und illuminiert sind die Straßen der Luft,
Es zieht durch das Weltall ein würziger Duft.
Und Fäden gewirket aus Silber und Gold
Vollenden das Bild, dessen Zauber gar hold
Umspinnen die menschliche Phantasie
Im Lande der Rätsel, der Poesie. —
Auf Erden zur Wende der Tag sich neigt,
Das Surren und Summen der Räder schweigt,
Es schließen die Bürger das Tor der Stadt,
Daß Ruhe das fleißige Schaffen hat.
Und wmn auch viele im Erdental
Sich mühen zu Tag und Nacht voll Qual,
Und wmn auch manchen die Pflicht gestellt
71
Zu nächt'ger Arbeit in dieser Welt,
So freut sich doch an der Sterne Glanz
Manch' Mädchen, flechtend den Myrthenkranz;
Und manchen treibt es unstät umher,
Er schaut empor zu dem lichten Meer
Und fragt das Schicksal, ob's ihm bestimmt
Ein Leben, das strahlt oder heimlich glimmt.
Wie also er wandelnd schaut himmelan,
Da faßt ihn ein Schrecken, da faßt ihn ein Wahn,
Erblickend im Rätsel der dunklen Nacht
Am Himmel die niemals so feurige Pracht. —
Das Wunder wird ruchbar von Lande zu Land,
Auflodert von Berge zu Berge der Brand,
Leuchtkugeln durchkreuzen das wogende Meer
Der Lüfte, bezwungen vom fliegenden Heer.
Und aller Gestirne Sendboten sie nahn
Zum Feste auf flüchtiger Flügelbahn.
Der Welt Wesen feiern Verbrüderung all,
Aufstrahlt eine goldene Zeit in Walhall;
Und also, ins Endlose, Ew'ge gestellt,
Erklärt sich die Menschheit zum Herrscher der Welt!
Trinklied.
Hei, wie die Becher funkeln Und blinken,
Auf, Ihr Gesellen, laßt fröhlich uns trinken,
Schlürfen hinunter die feurige Glut!
Ha! Wie die blühenden Wangen sich färben,
Väter, den Sitten getreu sind die Erben,
Zn ihren Adern fließt stürmisches Blut! —
Klinget hinaus in gewaltigen Weisen,
Lasset die Zugend, den Leichtsinn uns preisen,
Nehmt zu dem Lande der Freiheit den Flug! —
72
Laßt die Philister uns kneifen Und schmälen,
Brüder, wir brauchen uns nicht zu verhehlen,
Daß in uns schlummert ein göttlicher Zug! —
Wie in der Freundschaft, so sei's auch im Lieben,
Wir sind in Treuen die Alten geblieben;
Liebe, Du sollst unsre Königin sein! —
Füllet mit edelstem Stoff die Pokale,
Träufelt's hinein in die funkelnde Schale,
Mischet mit Nektar den perlenden Wein! —
Trinket und singet, verachtend das Ende,
Reichet zum Bunde Euch alle die Hände,
Fesselt in Liebe und Leichtsinn das Glück! —<
Immer den Blick in die Zukunft gerichtet,
Dort, wo es tagend in Wolken sich lichtet,
Lasset die düsteren Sorgen zurück! —
Freiheit, Du Gabe der himmlischen Mächte,
Glühende Liebe, Du Zauber der Nächte,
Treue und Freundschaft, sie mögen allein
Uns auf der irdischen Pilgerfahrt bleiben,
Bis wir im Tod uns dem Teufel verschreiben,
Streifend von uns allen eitelen Schein! —
lvildwasser!
Was stürzest du nieder aus schwindelnder Höh'
Wildwasser, den Tälern stets zu;
Lockt dich so sehr die unendliche See,
kennst nimmer Rast du und Ruh ;
Was treibt aus der traulichen Heimat dich fort,
Wildstürmender Knabe, sag an;
Spricht keiner das hemmende Zauberwort,
Sinnloser, das halten dich kann? —
Hast du denn vergessen das trauliche Bild,
Wo Wiege und Heimat dir steht,
Wo auf der grünenden Matten mild
Die Sennrin zu bleiben dich fleht;
Hält dich nicht des Alphornes schmetternder Ton,
Nicht der Jodler, der frisch erschallt
Aus der Kehle dem markigen Alpensohn
Und im Echo vom Berge hallt? —
Hat eine gar liebliche Fee dich bestrickt,
Die du hast im Traume gesehn;
Hat dich einer Meernire Auge berückt,
Daß nimmer du kannst widerstehn;
Die Unschuld und Reinheit der Heimat zu fliehn,
Was treibt dich hinaus in die Welt? —
Wenn abends die Berge rotgolden erglühn, —
Ist's möglich, daß dies dich nicht hält? —
Verstockt aber brausest du stetig dahin
Und lachst allem Bitten nur Hohn;
Und unverändert bleibet dein Sinn,
Starrköpfiger Hochlandes-Sohn; —
Doch wenn es zu spät, wirst erkennen du bald,
Was im Eifer du liebest zurück;
Im Weltmeer grüßt dich kein rauschender Wald
Der Heimat; — dahin ist das Glück. —
Dein Wässer, so klar und jugendfroh,
In dem salzigen Weltmeer ertrinkt;
Vorbei ist die Freiheit, dein Glück dir entfloh,
Zu schwerem Dienst man dich zwingt;
Mußt tragen der Schiffe unendliche Zahl,
Deinen Namen kennt man nicht mehr; —
Nur ewiger Reue pekn'gende Qual
Läßt dir das ersehnte, das Meer.
uy,;'... . . - -vw"'.' \
74
Weltwissen!
Weltwissen, welch ein wunderbares Wort,
Wenn mit Weltweisheit sich's zum Ganzen bindet.
Es reffet im Sturm die Geister mit sich fort
And weiset Wege, wo das Licht man findet.
Es ist der llrtrieb in des Menschen Sein,
Und unaufhaltsam strebt es zum Vollenden,
Es sucht die Wahrheit und mißtraut dem Schein,
And greift dm Augenblick mit heißen Händen.
Es dringet tief ein in der Erde Grund
Und hebt das Auge sehnend zu den Stemm,
Zu eng ist ihm des Weltalls weites Rund,
Zu nah noch find ihm ewig feme Fernen.
Das Feuer, das Prometheus einst gebracht
Dm Menschen aus der ew'gen Götter Händen,
Es brennt nun ewig, leuchtet durch die Nacht
Und lodert auf in Offenbarungsbränden.
Me ungezählte Bäche zu dem Strom,
Dem majestätischen, zusammenfließen,
Und wie die Streben an dem goth'schen Dom
Im letzten Ende sich zur Blume schließen,
Wie alle Kräfte nach gegebner Bahn
Seit ewig wirken ineinandergreifend,
So sammelt sich der Menschheit Wissen an,
Entgegen endlicher Vollendung reifend.
Aus des Gelehrten stillem Kämmerlein,
Drin sich die Wahrheit trunknem Auge zeiget,
Zieht in die Welt die Frucht der Forschung ein,
Vor deren Größe sich die Menschheit neiget.
Und niederreißt den alten Glaubenshort,
An dem seit alters hingen Millionen,
Des frei gewordnen Wissens stolzes Wort,
Als Herr und Sieger schwebend in Aeonen.
75
Und auf betn Grund, der auf Erfahrung ruht,
Baut sich der Mensch ein neues Weltgebäude.
Hoch ragt es in das All; denn kühner Mut
Stand Pate ihm und heil'ge Schöpferfreude.
Und über diesem Werke wacht der Geist
Des Schöpfers, dast es reiner Wahrheit diene,
Ob auch der Fälscher dunkle Schar umkreist
Den Bau mit der Zerstörung Hoffnungsmiene.
Es steht ein Fels im sturmgepeitschten Meer,
An dem sich wilde Leidenschaften brechen,
Und gilt als Hafen feiner Priester Heer,
Die dort zum Volk mit weisen Worten sprechen,
Das der Erkenntnis heiligen Besitz
Um keinen Preis der Erde möchte missen; —
Des Geistes treuste Waffe ist der Blitz,
Der ihm gezeigt den Weg zum Weltenwissen.
Heimkehr.
Kehr' ich aus dem Leben heim
Zu des Hauses Schwelle,
Strahlen mir entgegen zwei
Äuglein klar und helle. —
Und es jauchzt ein froher Mund
Herzlich mir Willkommen;
Hab mein Bübchen freudig dann
Auf den Arm genommen. —
Und es zupft der kleine Wicht
Mich am Haar geschwinde,
Und es lächelt heimlich mir
Glück von meinem Kinde. —
76
Und er plaudert, ach, so viel,
Kann es gar nicht sagen;
Was und wie und wo und wann? —
Er will alles fragen. —
Wie er jubelt, wenn erfreut
Ich zu seinen Streichen
Lächle! — Jugend, du bist ein
Kleinod ohnegleichen!
Liebes Bübchen, rund und klein,
Wahre dir dein Lachen
So aus voller, voller Brust;
Das soll glücklich machen! —
Wilhelm Engelhard.
Freundschaft.
Ich mißachte den Feigling,
Der jede Gefahr sucht zu meiden.
Ich verachte den Weichling,
Der jammert beim kleinsten Leiden.
Ich achte die Klugheit,
Die kalt wägt ihr Tun,
Verehre den Mut,
Den kein Hemmnis läßt ruhn.
Doch mein Herz schlägt dem Kühnen,
Der sich selber stets treu,
Den Freund zu entsühnen,
Unklug sich schadet ohn' Reu.
Kprillaunen.
In Schnee hat sich die Welt gehüllt,
Die warmer Sonnenschein schon füllt;
Kalt ward es über Nacht.
Die armen Pflanzen, erst betört
Von Sonnenküssen, nun zerstört
Von Winterkönigs Macht. —
Es ist April, der liebt den Spott,
Treibt ihn mit Menschen und jedem Gott,
Ist ernst bald und bald heiter.
Er flüstert von Liebe und Liebelei,
Verspricht goldne Berge im sonnigen Mai,
Verläßt uns, und — man ist gescheiter!
In den taufrischen Morgen wand'r' ich hinein,
In dm eben erwachenden Wald,
Aus dem der Weckruf der Vögelein
Vielstimmig noch schüchtern schallt,
Auf breiter, uralter Eichenallee.
Im ragenden Buchendom
Die Wunder rings ich freudig befeh,
Belebt von Äthers würzigem Strom.
Die Tagesbeherrscherin Sonne schaut
Verstohlen durchs Kronendach,
Von weit her tönt einer Kuhherde Laut,
Und die Hähne krähen die Schläfer wach.
Weit vor mir an eines Baumes Fuß
Strahlt hell in demantenem Schern
Als Antwort der Erde dem Sonnengruß
Ein blitzendes Tautröpflein.
Ein Eichelkätzchen, solch spaßiger Wicht,
Turnt fröhlich an einem Baum,
Ein Häslein erfreut sich am Grasgericht,
Hinhopsend am Wegessaum. —
Indes schreit ich weiter und komme ins Tal,
Übergössen von rosigem Licht.
Da erglänzen vieltausend Perlen zumal,
Und der Bach mir den Morgengruß spricht.
Mit Murmeln und Kichern schleicht er vorbei,
Versteckt sich im Buschwerk und lacht.
In gurgelnden Tönen erzählt er dabei
Von dem, was er sah in der Nacht:
Wie närrisch verliebt der Rehbock war,
Derweil ruhig äste die Geiß,
Wie zwei auch aus der Wildheerschar
Gekämpft um die Braut als Preis. —
Geschwätzig begleitet er weiter mich,
Erzählet noch mancherlei,
Schwingt über Stein und Wehre sich
Und läßt mich endlich frei. —
Fern ruft eine Glocke zum Frühgebei,
Wie tönt sie mir Einsamen eigen.
Im Waldeswipfel leis es weht,
Rings um mich tiefes Schweigen.
Von fern hör' ich der Glocke Klang
Mit bebend weher Klage
Erzählen von des Alltags Drang,
Der Last der Erdentage.
Dann jauchzt sie mit jubelhellem Sang
Von der Hoheit der göttlichen Werke,
Der goldenen Freiheit von eklem Zwang
Und der Reinheit erhebender Stärke. —
Im Banne mich die Glocke hält,
Im Walddom rauscht's in dm Zweigen. —
Geht, Menschen, hinein in die sonnige Welt,
Und danket dem Schöpfer mit Schweigen!
Herbstlied.
Seht, wie die Frucht die Häupter gebogen,
Der Halm ist tot, das Korn gereift.
Leis raunt es durch die gelben Wogen,
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Wenn sie ein sanfter Hauch nur streift,
Wie Seufzen und Klage Jubel und Sang
Mit inahnender Frage zu Schweigen zwang.
Gleich stolzen Toten stehn die dürren Halme,
Des Lebens jungen Keim in ihren Händen,
Gleich Totenengeln mit der grünen Palme, —
In tiefsten Schmerzen Lebenstrost zu spenden.
Zroiesprach.
„Du wußtest doch, was ich dir konnte sein —
Episode in deinem Leben!
Ich konnte dir Gold und Edelstem
Für Liebe und Treue wohl geben;
Doch konnt ich das Opfer der Liebe nicht
Mit meinem Leben beschenken.
Was ich dir versprochen, hielt ich es nicht? —
Stets werd' ich als Freund dein gedenken."
„Du hast mit deinem Mammon in der Hand
Den Reichtumshunger mir ins Herz gegraben,
Und nennst du, im Besitz, ihn auch nur Tand,
Ich wollt' ihn haben.
Ich sah, wie sich die Männer darum reißen,
Wie der geehrt wird, der Geld hat,
Wie Edelstein und Goldesgleißen
Die Besten lockte zu gemeiner Tat. —
Du wolltest mich zu deinem Weib nicht machen
Und hast um alles mich betrogen.
Die Ruhe und mein kindlich reines Lachen
Hast du geraubt, weil du mir Lieb' gelogen.
Nun konnt' ich nicht mehr leben in bescheidener Enge,
Wollt' nicht mehr leben, wie ich sonst es mußt',
Wollt' reich sein und geachtet in der Menge,
81
Drum nahm ich jeden Buhlen dann an meine Brust,
Der mit des Geldes unbeseh'nen Schemen
Mir lohnt der Liebe süße Lüge
Und — meiner stillen Nächte bitt'res Weinen. —
Und Freier kommen zu mir zur Genüge.
Sie freuen sich an meines Leibes Schöne,
Ich labe mich an ihrem Gold;
So stehn mit mir des höchsten Adels Söhne
In gegenseit'gem Sold.
Wie. eine Fürstin kann ich heut mich kleiden,
Ich wohn' in einem kleinen Schloß,
Werd' überhäuft mit Edelsteinen und Geschmeiden
Von meiner Freier Troß.
Ich bin die Königin auf allen Festen,
Zu denen der Herr Graf mich jeweils führt,
Beneidet von den Fraun und von den Besten
Der Männer gern und achtungsvoll hoffiert."
Spatzen.
Ich seh von meinem Fenster aus,
Wie der Nachbar gräbt hinter seinem Haus
An einer verwinterten Bleiche.
Der Boden ist hart. Jener stößt und stampft,
Daß bald ihm der ganze Körper dampft
Und merkt kaum, daß er viel erreiche.
Doch als er gegraben, geharkt und gejät',
Nimmt froh er den Samen, sät und sät
Bedächtig, als bet' er dabei.
Dann harkt er wieder und walzt recht fein
Den Samen fest in den Boden hinein,
Und schließlich gibt er die Bleiche frei. —
Nun liegt die Bleiche für sich in Ruh' —
N ölte, Kasseler Dichterbuch.
6
1
— 82 —
O nein, das Spatzenvolk schaute zu
Und forscht nun eifrig, was dort geschehen.
Bedächtig ein Plänkler und Späher naht,
Fliegt hier- und dorthin auf Pfahl und Draht
Und meldet: ich kann niemand sehen.
Im Nu dann kommen die Spatzen herbei,
Einer allein, zu zwei und zu drei
Und beginnen eifrig zu suchen.
Bald ist die Bleiche zerkratzt und zerwühlt,
Wie wenn Wasser im Meeressande spühlt. —
Wenn der Nachbar das sieht, wird er fluchen
So geht es im Leben wohl immer!
Erfolg zu bewahren ist weit schlimmer,
Als ihn, wenn 's auch schwer, zu erringen.
Der Spatzen Schwarm im Leben ist groß,
Die von anderer Arbeit sich nähren bloß.
Acht' wohl auf ihr Pfeifen und Singen!
Märchen?
Es war einmal ein Mann, der hatte
Eine schöne, große Hängematte,
Die band er zwischen Baum und Baum
Am Walde und hielt Mittagstraum.
Und gerade dort in den Gehegen,
Da wollten zwei Vöglein der Liebe pflegen.
Sie hatten sich dort ihr Nest erbaut,
Weil sie dem Waldesfrieden vertraut.
Man hört ihn schnarchen recht mit Behagen,
Die Vöglein oben im Baume schlagen.
Da fiel dem Mann von dem einen Baum
Grad ins Gesicht ein klecks, aus war sein Trauim
Der Mann, der fluchte unerhört,
Hat nie die Vöglein mehr gestört.
Und die Moral von der Eeschicht:
Im Lieben störe niemand nicht!
Erinnern.
Ich hielt sie im Arm,
So wonnig und warm,
Und sprach von der Liebe Zukunft und Glück
Sie gab meine Küsse mir doppelt zurück.
Ich sprach von der Treue,
Und sie gab aufs neue
Mir endloser Liebe heiligen Schwur:
Dich, Liebster, lieb' ich ja nur!
Die Zeit ging dahin,
Sie ändert' den Sinn
Und hat einen andern genommen. —
Möcht ihrem Glück es nur frommen!
V r u ch st ü ck.
Was das Leben denn wohl fei,
Ist die große Frage,
Die im ew'gen Einerlei
Ich stets mit mir trage.
Andere Menschen — stets dieselben
Larven, die ein Herz mir heucheln,
Und die, wenn es sich noch reget,
Lächelnd es mit Freuden meucheln.
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84
Sinnentrieb, wie stets und immer,
Hier gemäßigt, dorten schlimmer,
So bei Großen wie bei Kleinen,
Unterschied nur im Erscheinen.
Hier die Mittel groß und prangend,
Um die Hohlheit zu verschleiern.
Die am äußeren Scheine hangend,
Zeigt sich in Pleureusen, Reihern,
Buntem Flitter, wirrem Tand,
Leibbedeckung, reizversteckend,
Wie die Mode es erfand, —
Menschengeist sich selber neckend. —
Unter diesem großen Schein
Regt sich wilde Gier,
Man behauptet Mensch zu sein,
Pflegt in sich das Tier.
Wie's km Großen, so im Kleinen,
Mensch ist Mensch und bleibt es auch,
Der Unterschied liegt im Erscheinen
Und im angelernten Brauch.
Sprüche.
Wird viel von dir gefordert,
Du leistest leicht noch mehr.
Hast du geringe Aufgab',
Das Wenige fällt dir schwer.
Wie kn den Wald du rufst, so tönt es wieder.
Stöhnst du nur immerzu, erwart' nicht frohe Lieder.
M. von Eschen
(M. von Eschstrulh).
hohe Minne.
Weiß ernM Weg in stillem Wald,
Die Bäume steh'n hoch und dicht:
Den möcht' ich geh'n an deiner Hand,
In deiner Augen Licht.
Ein anderer führt durch freies Feld,
Durch lachende, blühende Auen:
Den möcht' ich geh'n mit dir, um hier
Das Schönste in dir nur zu schauen.
Noch einer führt auf steile Höh'n,
Er geht sich mit blutenden Füßen:
Geh' ihn mit mir, und ich will dort
Als meinen König dich grüßen.
Und färbt sich dann der Wolkenrand
Mit goldnem Abendschein
Und öffnet sich das Himmelstor:
Dann führ' ich dich hinein.
Mädchen wünsche.
Ich möchte sein der Wind, der dir die Stirne kühlt,
Wenn heiß und müd' von Arbeit sie sich senkt;
Ich möchte sein ein Wundergnadenbild,
Das jeben Wunsch erfüllt, eh' noch dein Herz ihn denkt.
Ich möchte sein ein Becher goldnen Weins,
Der dir zum frohen Trunk die Lippe feuchtet.
Ich möchte fein ein Stern mit lichtem Glanz,
Der hell zu dir in dunklen Stunden leuchtet.
Ich möchte fein ein Lied, für dich geschrieben,
Darin dein Leben klingt in Jubelmelodien
Und wieder auch die Hand, die deine Augen schließet,
Wenn über sie die letzten Schatten zieh'n.
Ich möchte, möchte immer zu dir stehen,
Dein treuester Freund im Leben mit dir gehen,
Ich möchte — ach, und könnt' es doch so sein:
Ich möcht', du liebtest mich und wärest mein!
Die Puppe mit dem Herzen.
Märchen für klein und groß.
Es war einmal eine Prinzessin, die hatte eine
Menge, Menge Puppen: große und kleine; hochele-
gante Damen; hübsche frische Binder, vom Baby an
im weißen gestickten Bund bis zum Backfisch mit dem
noch kurzen Kleid und dem langen, dicken Zopf. So-
gar Herren, das Entzücken jeder Puppenstube, die Ver-
zweiflung der Tanten, die sie herstellen müssen, fehl-
ten nicht.
Und sie lagen in ihren Kästen, standen umher
vn der Wand, auf Tischen und Stühlen, steif und
starr, just wie man sie hingelegt oder hingestellt hatte.
Einige freilich bewegten sich auch; doch nur soviel,
als man ihnen die Knie beugen und die Arme zu
krümmen liebte. Noch einige vermochten zu laufen
und zu tanzen, aber doch auch nur, wenn sie aufge-
zogen wurden. Und dann liefen und tanzten sie ihr
87
Teil ab, einmal wie das andere Mal, keinen Augenblick
länger oder kürzer, langsamer oder schneller. Es gab
sogar einige, welche die Augen auf- und zumachen
konnten, doch wieder einzig, wenn die betreffende Schnur
hier in Bewegung gesetzt ward, was ihnen selbst sehr
gleichgültig zu bleiben schien; denn immer gleich un-
getrübt klar und kalt blickten die braunen wie die
blauen Sterne in die Welt. Und noch einige der
Puppen sprachen auch wahrhaftig, ganz laut und deut-
lich — freilich abermals nur „ja" und „nein", „danke,
Mama", „danke, Papa". Ebenso taten sie auch das
einzig, wenn sie an der Schnur gezogen wurden, und
wiederum erklang ein Ja oder Nein, je nachdem die
Schnur es wollte.
Nichtsdestoweniger waren sie samt und sonders
tadellose Exemplare ihrer Art. Jedes kleine Mäd-
chen würde der Prinzessin versichert haben, daß sie
den Himmel auf der Welt habe mit ihrem Puppen-
reich. Prinzeß Thea kannte nun leider kein kleines
Mädchen; aber sie war auch ohne solche Versicherung
ganz zufrieden mit ihren Puppen. Ja, sie hatte auch,
wie andere kleine Mädchen, ihre Lieblingspuppe.
Das war selbstverständlich eine, die man sitzen,
stehen, laufen, tanzen, die Augen auf- und zumachen
und vor allem sprechen lassen konnte. Außerdem sah
sie der Prinzessin ähnlich, fast, als habe die Oberhof-
meisterin ein kleines Abbild von ihrem durchlauchtigsten
Schützling anfertigen lassen. Dazu trug sie ein blaues
Samtkleid, Empire, just wie es Prinzeß Thea selbst
mit Vorliebe trug. Soweit war alles sehr schön und
die Prinzessin sehr glücklich mit ihrer Lieblingspuppe
Anna Gela. Sie wollte zuletzt mit gar keiner anderen
mehr spielen und sich nicht von ihr trennen, weder bei
Tag noch bei Nacht.
Da mit einem Male — auch Prinzessinnen sind
wandelbar wie andere Sterbliche — also mit einem
Male fiel es der Prinzessin ein, daß so ein Wesen,
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das immer nur auf Befehl stand, faß, tanzte oder
sprach, doch recht langweilig sei! Es verlangte sie nach
einer Gespielin, die wie sie empfinden und wollen und
auf eigene Faust mal was zum besten geben möchte.
Die arme Anna Gela aber schien es sich durchaus nicht
angelegen sein zu lassen, auf diese Wünsche einzugehen,
soviel Vorstellungen ihr die Prinzessin darüber machte.
Sie bekam sogar Schelte und Schläge, aber auch das
half nichts. Sie sagte auch hierzu nur „ja" und „nein",
„danke, Mama", wie es die Schnur wollte, und auch
sonst blieb es beim alten: sie war eben eine Puppe,
ohne Seele, ohne Herz.
Die kleine Prinzessin wurde recht ärgerlich, sie
wollte zuletzt nichts mehr von der Puppe wissen;
kümmerte sich auch ein paar Tage nicht um sie. Da
ihr aber doch nichts so lieb war wie ihre Anna Gela
und sie selbst eine Prinzessin, die noch immer ihren
Willen bekommen hatte, so besann sie sich, ob es denn
nicht irgend ein Mittel geben könnte, hier Wandel zu
schaffen. Und richtig — Prinzessinnen finden immer
ein Mittel, um ihre Wünsche zu erfüllen — Prinzeß
Thea besann sich, daß sie eine Pate habe, die Fee oder
Königin Luft, und daß diese Macht haben sollte über
alles Tote und Lebendige.
Prinzeß Thea stellte sich daher an das Fenster,
und als die Königin Luft in ihrem blauen Mantel
oorüberflog, hob sie die Hände enrpor und trug der
Pate ihr Anliegen vor.
Die Fee besann sich eine Weile. „Das ließe sich
schon machen," lächelte sie dann zu ihrem Patchen her-
nieder. „Aber wenn ich Deiner Anna eine Seele und
ein Herz gebe," fügte sie ernst hinzu, „dann wird sie
auch einen Kopf haben und warmes, rotes Blut wie Du.
Und wenn dann Eure Köpfe aneinanderrennen — ob
das doch nicht fatal werden kann, kleine törichte Thea
Du —"
89
Prinzessin Thea wollte jedoch solchen Einwand
nicht gelten lassen, wahrscheinlich verstand sie ihn gar
nicht. Sie nahm jauchzend ihren Liebling auf die
Arme und reichte ihn bittend der allmächtigen Fee
entgegen.
Und die Fee schlug ihren blauen Mantel um
des Kindes Puppe und küßte sie auf den Mund.
Und es schien, als ob der Feenatem herüber- und
hineinströmte in die Puppenbrust. Sie hob sich hoch
und senkte sich wieder. In der Tat, wie Blut bewegte
es sich schimmernd unter der Puppenhaut, in dev
Puppenaugen leuchtete es auf mit warmem Strahl.
Anna Gela reckte die Glieder, zuerst ziellos wie im
Traum, dann schien der Traum zu weichen. Voll Ent-
zücken und Begeisterung warf sich Anna Gela der Prin-
zessin zu Füßen: „Danke, Mama!" sagte sie wie im-
mer, wenn es die Prinzessin am Platz fand. Nur
daß sie eben von selbst zu dem Wort gekommen war und
ihre Stimme anders klang, voll Seele, wie eine Men-
schenstimme fast.
Da war Theas Freude unbeschreiblich; das
Leben mit ihrem Liebling wurde eine Herrlichkeit.
Anna Gela wurde jeden Tag lebendiger, selbständiger
in ihren Bewegungen; ihr Wortschatz mehrte sich
zum Erstaunen; ja sie bekam sogar zuletzt höchst-
eigene Einfälle.
Damit aber auch änderte sich unmerklich, doch
unaufhaltsam etwas in dem Verhältnis der beiden.
Denn wenn Anna Gela, ob sie auch nicht mehr an
der Schnur gezogen wurde, sich in ihren Äußerungen
verhalten hatte, als ob sie noch am Schnürchen ging,
so sagte sie ganz plötzlich auch mal nein, wo Prinzessin
Thea lieber ein Ja vernommen hätte; behauptete
dafür ein Ja, wo die Prinzessin ein Nein zu er-
warten liebte. Sie zog es vor, sitzen zu bleiben,
wenn die Prinzessin Lust nach einem Lauf bezeigte,
90
weigerte sich, zu tanzen, wenn Mama einen Tanz
befahl.
Dergleichen war Prinzessin Thea in ihrem Leben
noch nicht vorgekommen. Es war etwas Neues; es
war überraschend: sie fand es reizend, anregend, ur-
wüchsig natürlich. Sie wurde nur noch mehr von
ihrem Liebling entzückt und die Herrlichkeit immer
größer.
Aber leider, nur Prinzessinnen leben ewig in
den Märchen, jede andere Herrlichkeit kommt zum
Ende.
Prinzessin Thea saß mit ihrem Liebling bei der
Abendtafel. Als Anna Gela noch eine Puppe wie
die anderen Puppen war, hatte ihr die Prinzessin
stets die besten Bissen vorgelegt. Sie konnte das
auch ganz ungefährdet tun; Puppen wissen es nicht
anders, als daß dergleichen nur ein Schaustück für
sie bedeutet; sie empfinden auch nichts bei dieser
Askese; sie haben nicht einmal Hunger.
Der Lakai hatte soeben eine Schale mit Erd-
beeren und Schlagsahne auf die Tafel gestellt. Die
Prinzessin legte, wie immer, der Lieblingspuppe vor.
Die aber gab heute durchaus kein Zeichen, daß ihr
bereits mehr als genug durch Mamas Güte geworden
sei. Das Schnürchen jedoch, womit sich das hier
am Platz gewesene „danke, Mama, danke" hätte er-
zielen lassen können, war längst abhanden gekommen.
"Ich glaube, Anna Gela, Du willst heut alles
für Dich allein haben," neckte die Prinzessin das
Lieblingskind.
Anna Gela nickte nur und haute jetzt förmlich
auf Erdbeeren und Schlagsahne ein.
Nun wurde Prinzeß Thea doch ärgerlich. Aber
es sprach so viel urwüchsige natürliche Kraft und
Laune aus dem Tun der einst so regungslosen, willen-
losen Puppe — die Prinzessin lachte bald wieder und *
91
freute sich, wie ihrer Anna Gela die Erdbeeren mit
Schlagsahne mundeten.
Dann nahm der Lakai die leere Schüssel fort
und stellte eine Baisertorte dafür hin. Anna Gela
wartete diesmal gar nicht, bis Mama vorlegen würde.
Sehr entschlossen, sehr selbständig und unverfroren
legte sie beide Arme um das Tablett und zog die
Torte einfach zu sich 'ran.
Das war zu viel. Ich möchte aber auch mal
ein kleines, ja ein großes .Mädel sehen, das sich bei
Erdbeeren mit Schlagsahne und Baisertorte nur das
Nachsehen gefallen ließe. Die Prinzessin wurde em-
pört und gab Anna Gela eine Ohrfeige.
Anna Gela erschrak; es schien fast, als ob sie
in ihre frühere Puppenregungslosigkeit zurückfallen
wolle. Doch es schien so nur einen Augenblick, sie
war ja doch keine solche Puppe mehr. Sie setzte
sich also zur Wehr.
Das hatte die Prinzessin nicht erwartet. Sie
erlustigte sich jedoch diesmal durchaus nicht an der
Ueberraschung, sondern wurde zornig, fassungslos
zornig, und holte von neuem aus. Aber auch Anna
Gela wehrte sich aufs neue; es entstand eine regel-
rechte Seilerei.
Unglücklicherweise versagte jetzt das elektrische
Licht, auch der Lakai hatte für einen Augenblick das
Zimmer verlassen. Immer heftiger drangen die
Streitenden aufeinander ein; die Prinzessin meinte fast
zu unterliegen. Ihre Hand griff nach einer der
schweren silbernen Kannen auf der Tafel, und aufs
Geratewohl in dem Dunkel holte sie damit nach ihrer
Gegnerin aus.
Da tönte ein schärfer, qualvoller Schrei — ein
leichter Fall — ein Seufzer noch — Anna Gela war
zu Boden gesunken, dann ward es still, unheimlich
still-------
92
„Anna ©ela/' rief jetzt die Prinzessin, von einer
plötzlichen Angst ergriffen, „Anna Gela?"
Doch kein Laut, keine Bewegung gab Antwort.
Nun ließ sich die Prinzessin neben der Hin-
gesunkenen nieder, tastete sorglich über den Körper
hm, der, so schien es, all seine frühere Starre wieder-
bekommen hatte. „Anna Gela" — die Prinzessin
wollte sie zurechtschütteln — doch regungslos fiel
Anna Gela immer wieder zurück. Nur über der
Prinzessin Hand rieselte jetzt etwas, feucht, klebrig,
warm und kühler werdend zugleich —
Auch dergleichen war der Prinzessin nie vor-
gekommen; entsetzt schrie sie auf. Der Lakai kehrte
zurück; er brachte die elektrische Leitung wieder in
Ordnung. Und nun, hell von den Flammen be-
leuchtet, lag Anna Gela da, steif, regungslos, kalt,
die Augen starr in das Leere gerichtet, so, wie sie
einst in ihrem Puppenkasten gelegen hatte. Nur an
ihrem Kopf klaffte eine Wunde, eine menschliche
Wunde. Nicht strohener, farbloser Häcksel, wie ihn
gewöhnlich die Puppenbälge bei einer Verletzung er-
gaben — nein, rotes, warmes Blut riefelte unter
den blonden Locken, an den zierlichen Wangen, über
das blaue Samtkleid herunter.
Das sah gräßlich, schauerlich aus. Prinzessin Thea
starrte wie versteint auf das Schreckensbild — die
arme Anna Gela, die ihr so ähnlich war. Sie meinte
fast sich selbst da liegen zu sehen. Doch immer stärker
noch rieselte jetzt das Blut unter den blonden Locken
hervor, über das blaue Samtkleid und den Parkett-
boden hin — Prinzessin Thea meinte, die Füße würden
ihr feucht. „Schafft sie fort!" schrie sie außer sich
und stürzte selber fort in das hinterste Zimmer des
Schlosses.
Aber das Entsetzen, der Kummer gingen mit. Sie
hatte ihre Anna Gela so lieb gehabt, sie konnte sich
nicht zufrieden geben.
— 93 —
Umsonst, daß man dem Kinde andere Puppen
vorführte, es wehrte mit Händen und Füßen dagegen.
Umsonst, daß die Königin Luft ihr Patchen besuchte
und ihm eine neue Anna Gela beleben wollte. Die
arme, kleine, törichte Thea hatte die Lust zu jeglichem
Puppenspkel verloren.
Dorothea v. Essen.
Rosen.
Leis schwebt auf der linden Sommerluft,
Herüber vom Gartenbeet,
Der blühenden Rosen Zauberduft,
Und Erinn'rung mich umweht. —
Die Rosen, sie blühten einst so rot
Daheim, dicht am Elternhaus.
Den liebsten Willkommengruß uns bot
Ein duftender Rosenstrauß.
Und Rosenzeit war's, als kam das Glück,
So wonnig und reich und schön.
Es führte mich leicht bergan ein Stück
Den Weg zu den lichten Höh'n
Und Rosen, sie blühten ohne Zahl,
Als dunkel des Glückes Glanz, —
Da wurden die Blüten bleich und fahl
Im welkenden Totenkranz.
Mein Glück.
Ein Lenztag war's, voll Sonnenschein
In herber, wonnesamer Luft,
Mit Vogelfang in Flur und Hain
Und frischem, süßem Blütenduft.
Da stand das Glück auf lichten Höh'n,
Hob wie zum Gruße leicht die Hand —
Wie war die Welt so strahlend schön
Im hoffnungsgrünen Festgewand.
Und hoffend harrt' ich gläubig, lang
Erwartend meines Glückes Nah'n. —
Und stiller ward der frohe Klang,
Zu Ende ging des Sommers Bahn.
Nun ist schon längst der Wald entlaubt,
Und nicht ist es zum erstenmal,
Seitdem ich jubelnd einst geglaubt,
Daß mir auch schien des Glückes Strahl.
Doch war's des Glückes Abschiedsgruß,
In jenem Lenz mir zugesandt.
Leis ging es fort mit flücht'gem Fuß,
Und ich verließ der Jugend Land.
5 o m m e r.
Wenn Freude umleuchtet mit wärmendem Schein
Des Lebens verschlungene Pfade,
Dann schauet das Auge so klar und so rein
Ringsum in des Sommers Blühen hinein
Und freut sich des Schöpfers Gnade.
Wenn Hoffen mit lockendem Flügelschlag
Umschwebet das sehnende Streben,
Dann lauschet das Ohr, daß es mit sich trag'
Die Freude, so stark wie der Sommertag
Mit seinem Leben und Weben.
— 96 —
Wenn Liebe mit wonniger Seligkeit
Läßt leis alle Saiten erklingen,
Dann öffnet das jubelnde Herz sich so weit
In des Sommers strahlender Herrlichkeit,
Will Blüten des Glückes bringen.
>
Wenn unter des Schicksals zermalmender Hand
Starb Freuen und Hoffen und Lieben,
Wird's Wandern so mühsam im Sommerland,
Geblendet der Blick durch den Sonnenbrand
Der Erinn'rung, die geblieben.
Ebbe und Flut.
Geheimnisvoll hält starker Allmacht Hand
Die Flut zurück, von fern nur tönt ihr Rauschen.
Still liegt der weite dünenreiche Strand;
Nichts stört der Seele sehnsuchtsvolles Lauschen
Auf Stimmen, die vom hohen Himmel weit
Erklingen leis in hehrer Einsamkeit.
Sie flüstern, daß ein Wille, göttlich groß,
Lenkt in d^m Weltall jeden Meeres Wellen.
Er, der in tiefer Erde dunklem Schoß
Die Tropfen sammelt zu den klaren Quellen,
Die, fern vom Ursprung, Meereswogen sind,
Er sollte dich nicht führen, Menschenkind?
Und wenn vorbei der Ebbe Ruhezeit,
Dann kehrt die Flut zurück ohn' zögernd Säumen.
Wo weißer Sand sich zeigte weit und breit,
Ist nun des Wassers ruheloses Schäumen.
Versunken ist bis an der Dünen Rand
-Im Wogengrab der friedlich schöne Strand.
97
Und vor der Allmacht Sprache, göttlich klar,
Verstummt des Menschenherzens zagend Bangen,
Wie klein, wie nichtig wird die große Schar
Von Sorgen, Wünschen, Hoffen und Verlangen.
Nichts fühlen wir als Frieden, tief und rein,
Wie ahnend Freuen, einst daheim zu fein.
Lenz.
War milder einst des Lenzes Luft?
Und holder seiner Blüten Duft?
War in der Vögel Frühlingssang
Denn einst ein anderer, schön'rer Mang?
War goldner denn der Sonnenschein?
Und weckte er in Flur und Hain
Vom Schlaf nach langer Winternacht
Rasch, kampfeslos die Frühlingspracht?
Ach nein, auch einst währt' es wohl lang,
Bis Lenzesluft den Sieg errang,
Bis Nachtigall und Amsel schlug
Und Blüten jedes Sträuchlein trug.
Doch hoffnungsfroh war's junge Herz,
Sah Lust und Freud' und Spiel und Scherz
Zin Kampfessturm der Lenzeszeit,
Weil's glaubt an Erdenseligkeit. —
was blieb mir noch?
Was blieb mir noch nach jenen Stunden,
So todesbang, voll bitt'rer Qual,
Als Leid ins Herz schnitt tiefe Wunden
Und Liebe sprach zum letztenmal?
Nolle, Kasseler Dichterbuch.
7
Das blieb mir noch: ein tiefes Sehnen
Nach fel'ger, lang vergang'ner Zeit,
Ein treu Erinnern, heiße Tränen
In trüber, weher Einsamkeit.
Das blieb mir noch: ein fühlend Sehen
Von Erdennot und Menschenlekd,
Ein neidlos Freuen, voll Verstehen,
Bei fremder Liebe Seligkeit. —
Mein Zreund.
Ein Sonntag ist's, voll stiller Weihe,
So recht, einmal zurückzuschau'n
Vorüber an der Jahre Reihe
Bis auf des Lebenslenzes Au'n.
Da ruht der Blick auf manchem Bilde,
Das licht umstrahlt der Freundschaft Glück,
Doch in des Lebens rauh Gefilde
Blieb mancher Weggenoß zurück.
Ein Freund jedoch in allen Tagen
Blieb stets bei mir, verließ mich nicht
Und half mir treu das Leben tragen:
Die Arbeit war es, ernst und schlicht.
Als jubelnd einst des Glückes Wonne
Zn mir schuf Lebensseligkeit,
Gab strahlend in der Freude Sonne
Mir meine Arbeit froh Geleit.
Und als die dunklen Tage kamen,
Als Menschen gingen, mir so lieb,
Und als mir wollt' der Mut erlahmen,
Weil nichts von meinem Glücke blieb,
99
Da stand die Arbeit mir zur Seite,
Sie zwang von der Vergangenheit
Den trüben Blick hinaus ins Weite
Auf Ziele, wert der Ewigkeit.
So hat ihr redlich treues Streben
Mir immerfort nur Gut's getan.
Mit einem solchen Freund fürs Leben
Zieh' hoffend froh ich meine Bahn.
Den Toten.
Still! redet nicht vom schweren Kampfe Heist,
Der müd' sie machte auf des Lebens Plan.
Nicht lockt sie mehr des Siegers Ehrenpreis —
Sie gingen friedevoll des Todes Bahn. —
Still! redet nicht, wie einst ihr Herze schlug
So hochbeseligt in des Daseins Glück. —
Zu reinern Höh'n der Tod empor sie trug —
Sie sehnen sich nicht in die Welt zurück.
Still! redet nicht, daß so viel Hoffen fiel
Mit ihnen, die im Todesschlafe ruh'n. —
Nicht kann mehr, — weil sie sind am schönen Ziel, —
Enttäuschung ihnen, wie einst, wehe tun. —
Still! redet nicht, daß nun für alle Zeit
Im Herzen euch die bange Leere blieb,
Weil sie vollendet in der Ewigkeit,
Sie mit sich nahmen eure heiße Lieb'. —
Denn nimmer sind sie tot, die unserm Sein
Einst gaben Inhalt, Weihe, Lebenswert.
Erinn'rung läßt uns niemals mehr allein —
Und unsre Toten leben, — licht, — verklärt. —
7*
Der Herkules.
Der Herkules, der alt, ergraut,
Schon manches Jahr herniederschaut,
Sieht auf mich, kleines Menschenkind.
Der Sommerwind umspielt mich lind,
Die Grillen zirpen mir zu Füßen,
Die alten Bäume nicken — grüßen —
Es ist so still, noch früh am Tag,
Ein Morgen, licht und wunderbar,
Und träumend lieg' ich still im Hag —
— Verdämmernd ruht die blaue Fern' —
Ich schau hinauf zum alten Herrn,
Mir scheint's, er lächelt zu mir nieder,
Da — hebt er nicht die Augenlider,
Offnet den Mund? ja, es ist klar,
Und deutlich hör' ich, wie er sprach:
„Schön ist's, du kleines Menschenwesen,
So taufrisch ist der Tag, so neu!
Denk' doch, wie lang' ich schon gewesen,
Wie vieles zog an mir vorbei!
Wie lag die Stadt so klein im Tale,
Als sie mich hier hinausgesetzt —
Wie groß und mächtig ist sie jetzt!
Die Menschen, ach, wie viele Male
Sah ich sie kommen, sah sie geh'n,
Und still beschaulich blieb ich steh'n!"
„Und stehst du denn da angenehm —
— Rief ich — „und mit der Keul' bequem?"
.101
„Ach, sagt' er drauf, mit meiner Keule,
Da schlug ich früher manche Beule!
Die Keule, die hat 'ne Geschichte,
Die ich sehr gerne dir berichte."
Ich nickt' hinauf, da sagte er:
„Die Keul' war einst dem Jupiter.
Die stand, umhüllt von Wolkenfluten,
Im Raum, wo Zeus und Hera ruhten.
Und kam der Gatte spät nach Haus,
Nach Abenteuern und Gelage,
So schalt ihn wohl die Iuno aus,
Dem Jupiter recht sehr zur Plage.
Dann schritt er, mit manch' derbem Wort,
Zur Ecke, holt die Keule dort,
Schwingt sie und droht mit lautem Grimme,
Bis selbst dem Gott versagt die Stimme.
Die Juno hat dies sehr verletzt,
Und sie hat arg ihm zugesetzt. —
Da — einstens — hatt' ich viel zu rüsten,
Den Augiasstall galt's auszumisten,
Und manches Andre hatte Eile.
Da dacht' ich an die große Keule
Und holt' sie still mir aus der Ecke,
Daß sie mir dien' für meine Zwecke.
Was dann geschah, wie es gekommen,
Von Zeus hab' ich es selbst vernommen:
Er kam des Abends spät nach Haus,
Die Juno ließ sich drüber aus —
Und wie er wetterte und grollte
Und in die Ecke greifen wollte,
Und, ohne lang zu überlegen,
Dreinfahren wollt' mitKeulenschlägen —
Da — siehe — war die Ecke leer,
Und Zeus fand keine Keule mehr.
Verdutzt sprach er dann plötzlich heiler:
Ach, Junochen, schilt nur nicht weiter,
Sieh' mal, das kam nur so und so — —-
102
Die Juno lachte hell und froh
Und sagte herzlich: lieber Mann,
Das kommt ja auch darauf nicht an.
Wenn du nur freundlich bist zu mir,
Wie gerne dann verzeih' ich dir!
Sieh' mal, dacht' da bei sich der Zeus,
Das ist ja gut, daß ich das weiß.
Darein zu schlagen mit der Keule,
Das hat in Zukunft keine Eile.
Ich weiß mir nun 'ne bessere Art:
Ich bin zur Gattin mild und zart! —
'ne kurze Zeit drauf war erledigt,
Wozu die Keule ich benötigt,
Und ganz gedrückt, von Arbeit heiß,
Bracht' ich sie, reuevoll, dem Zeus.
Der aber lacht und sagt zu mir:
„Die Keule, sieh', die schenk' ich dir!
Ich brauche sie nicht fürder mehr.
Dir, Riese, ward sie nicht zu schwer.
Behalt' sie drum, du starker Held,
Und sek uns Göttern zugesellt!
So ward die Keul' mein Attribut —
Ich stehe hier in Sturm und Glut
Und sehe still auf das Getreide,
So lang' ich oben stehen bleibe!"
veralte vruselturm.
Ein alter Freund, im neuen Kleid,
Schaut über verschneite Lande weit —
Er grüßt und möchte heut' ohne Zaudern
Bon alten und traulichen Zeiten plaudern.
Wie eng begrenzt' er den Horizont!
Doch von Elternliebe war der besonnt.
— 103 —
Wie schaut' er, vergnüglich, mit alter Kapp',
Aus unsre Kinderspiele herab —
Und wie hat er tröstlich dreingeschaut,
Wenn im Mondlicht man sich ihm anvertraut!
Und unter dem alten, verwitterten Hut,
Da nisteten Schwalben und hatten's gut.
Und strichen zwitschernd dort aus und ein
Und weckten uns morgens im Kämmerlein.
Das war ein Jauchzen, ein Lärm und Geschwirr,
Und leuchtende Sonne auf Dächergewirr!
Dann stand er traurig und sah in die Gassen,
Als beide wir Eltern und Heimat verlassen.
Doch kehrten wir heim, an des Vaters Seiten,
So winkt er, und nickt er und grüßt von Weiten!
Emst, über Zeiten, die nicht mehr gut,
Erfaßte den Alten mal plötzlich die Wut.
In seinem Kopfe entstand ein Feuer!
Doch fest und trutzig blieb's alte Gemäuer.
Nun haben sie ihm nach Jahren, jetzt,
Einen neuen Hut auf das Haupt gesetzt
Und, wie's nach Jahrhunderten sich gebührt,
Den Hut ihm recht artig auch ausgeziert.
Stolz trägt den der Freund aus den Kindertagen!
Sind wir lang nicht mehr, wird er ihn noch tragen.
D i e G l o ck e.
Oft, wenn der Wind von Osten geht,
Ein Klang zu uns herüberweht:
Der Ton der Glocke, klangvoll, klar —
Wie nah einst unsrer Heimat war
Die Kirche mit dem Glockeichaus!
Manch' frohe Zeit, jahrein, jahraus,
Hat uns der tiefe Klang erfreut
In ferner, froher Kinderzeit. —
*
*
»
Wie oft, zum heimatlichen Nest,
Sind wir gekehrt aus £)f1 und West.
Und immer rief, in ernster Ruh' —
Die Glocke uns „Willkommen" zu.
In trauter Eng', in treuer Hut,
Wie wohlig, heimlich, war's zu Mut
Uns, um des großen Tisches Rund —
Es grüßte uns des Vaters Mund,
Es pflegte uns der Mutter Hand,
O Heimatland, o Zugendland!
Nun schlafen beide Eltern schon —
Sie weckt nie mehr der Glocke Ton —
Das Elternhaus ward fremd und leer —
Kein froher Gruß empfängt uns mehr. —
Es führt nach Jahren das Geschick
Zur alten Heimat uns zurück.
Wie Vieles schwand! Doch Eins blieb treu:
Es grüßt die Glocke täglich, neu!
Oft, wenn der Wind von Osten geht,
Der Glocke Ton herüberweht —
Dann stehet, wie durch Zauberschlag,
Vor uns ein Zimmer licht und klar,
Der runde Tisch, dran sitzen wir
Behaglich plaudernd alle vier.
Der Kessel dampft, all' das Gerät,
So wohlbekannt, uns traut umsteht —
Den Raum durchzieht ein stilles Glück
O Zeit, du kehrest nie zurück,
Denn Elternhaus und -liebe schwand. —
Friedrich Elliot v. Frankenberg
und Ludwigsdorf.
Frühling.
Der Frühling kam wie ein Knabe über die Au ge-
gangen,
Ich lief, ich wollte den Frühling mit beiden Armen
umfangen.
Lockiger Spielgefährte, so komm' "und spiele mit mir,
Maikätzchen, Krokus und Veilchen leg' ich zum "Lager dir.
Der Frühling kam und gab mir die schmale Rosen-
hand,
Da wurde ich König auf Blüten in Sonnen- und
Blumenland
Und sang ein Frühlingslied, gestickt aus Tau und
Tränen,
Das tropfte aus meinem Herzen nieder in Glut und
Sehnen.
Der Frühling aber kam und legte sich bei mir nieder,
Sein helles Auge lachte und blaute den Himmel wieder,
Dann gab er mir kosend zum Abschied die schmale
Rosenhand
Und ging nach Norden weiter und küßte ein anderes
Land.
107
Melozzo 6a Forlis Engel.
Cs war um Mittag, doch Luigi Vicchesi fror
Und ttat aus des Hauses verräuchertem Korridor
Am Weib vorbei, das Wasser zum Herde ttug,
Vorbei am Bett, wo das Fieber den Jüngsten schlug,
Hinaus ins Licht, das trüb' in die Gasse fiel,
Wo Nachbar Moronis Kinder alle beim Spiel.
Er suchte Ruhe, ja wahrlich, er suchte kein Licht,
Luigi Vicchesi kannte die Sonne nicht,
Denn drinnen im Haus sein Kind im Fieber —
der Tod,
Und draußen die Hand, seine Hand, die suchte nach
Brot.
Er war so müde, so müde und lebenssatt,
Er war so arm, und Armut macht stumpf und matt.
Er ging, durchschritt, durchlief die Straßen von Rom,
Die Tiberbrücke, den Platz am Petersdom.
Er trat durch die Tür, das Licht ward fahl Und
grau, \
Der Wanderer stand unter Michelangelos Bau:
Dort saß Sankt Peter — Luigi Vicchesi ging,
Die welke Lippe am ehernen Fuße hing
Und bat im Kuß und dantte und bat und schrie,
Er weinte sich aus — Luigi weinte sonst nie.
Der Römer ward stumm, sein Herz war matt und
schwer,
Er blickte sich um, die Fremden gingen umher,
Er ging einem nach und kam — ihm war's einerlei,
Ein Fremder selbst, mit dem Fremden zur Sakristei
Und setzte sich dort mit ihm aus die Fremdenbank
Des Küsters, der Bilder verkauft für einen Frank.
108
Der Tag vertropfte dort voller und reicher sein Licht
Und floß auf den Boden und lag auf den Bänken
dicht
Und stand auf der Wand, wo Melozzos Engelchor
Anbetet den Christ, der zum Himmel fähret empor,
Anbetet mit Hoffnung, Friede, Musik und Klang,
Die Lippen geöffnet leise zum Engelsang
Und mit ihrem Lichte zum Frieden empor
Hin zu sich reißend, wer je in Kummer davor. —
Vor diesen Engeln saßen die beiden da,
Der Fremde links, Vicchefi rechts, ganz nah,
Und jedem war es, als wäre er ganz allein,
Als wären die Bilder da drüben, die Bilder sein,
Als wären die Knaben da mit dem Engelsgesicht
Ein Teil der Schöpfung, ein Fünkchen Himmelslicht.
Und jeder war stumm und staunte und starrte empor,
Und merkte nicht, wie er sich und die Welt verlor.
Da war ein Engel, der blickte die beiden an:
„Wo willst du denn hin, du müder, müder Mann,"
Die Finger rührten im Spiel den Euitarrenstrang,
Der Engel spielte und lauschte zugleich und sang.
Er sang so leise, so leise, er war so schön,
Gewiß die Welt, die hatte er nie gesehn! —
Dem andern flössen Flügel vom Rücken hervor,
Die strebten zum Himmel, höher und höher empor,
Sein goldenes Haar erglänzte wie Himmelslicht,
Und dann sein Gesicht — dies süße Engelsgesicht! —
Die Geige ruhte am braunen Faltengewand,
Den Bogen führte die zarte Knabenhand. —
Ein Dritter stürmte den Himmel mit Zymbelschlag,
Er war wie ein Morgen, ein Morgen am Frühlingstag,
Er war wie das Licht von Falten und Flecken rein,
Er war das jüngste der himmlischen Engelein. —
Die beiden unten, dort auf der Fremdenbank,
Die wußten nicht mehr, werd' ich gesund oder krank.
Die saßen da versenkt in das Engelsgesicht
Der Kunst Melozzos, versenkt in Glück und Licht. —
Dann ging der eine, der blasse Fremde, fort,
Der Italiener aber saß noch ein Weilchen dort,
Dann ging auch er, getröstet, gestärkt, in Ruh,
Verließ Sankt Peter und schritt seinem Häuschen zu
Und fand sein Weib und faßte sie bei der Hand
Und rief ihr zu, was selber er kaum verstand :
„Faß Mut, faß Mut, die Engel der Sakristei,
Sie loben noch Gott, das Elend geht vorbei."
Und küßte die Frau, die nicht wußte, wie ihr geschah,
Und nichts verstand, weil sie die Engel nicht sah,
Und was sie sah, das kannte sie auch noch nicht:
Das war das Licht seiner Augen, das Licht, das
Licht. —
Zur sich.
Jeder ist im Grunde einsam,
Jeder geht die eig'nen Wege,
Klettert seine eig'nen Berge,
Schreitet seine eig'nen Stege.
Jeder im Gedankenreiche
Ist von aller Welt geschieden,
Meist von allen andern Menschen
Unverstanden und gemieden.
Nur in heitren, frohen Spielen
Faßt der Mensch sich bei den Händen;
Strebt sein Geist nach fernen Zielen,
Muß er sich von andern wenden.
110
Denn die Harfen des Geschehens
Spielen immer andere Noten
Ihres Werdens und Vergehens,
Ihres Lebens, ihrer Toten.
In dem einen, in dem andern
Lebt der Welten endlos Streben,
Und wer forscht, muh einsam wanden:,
Ewig einsam durch sein Leben.
Das sind Denker, Dichter Leiden,
Dornen kn des Ruhmes Blume —
Und kein König kann vermeiden
Einsamkeit im Königtums.
Die schwarze Dlume.
Blumen blühen alle im Hochzeitskleide
Und wissen nicht, daß die rosenroten
Blütenblätter
Ein einziges Wetter
Reiht zu den Toten.
Reife Garben,
Himmelsbläue
Und Lieb' und Treue
Sind ihre Farben,
Die schillern, wie Falter schweben
Und lachen und blühen und leben. —
Eine Blume aber anders wie diese
Blüht schwarz im Dunkeln.
Kein Sonnenlicht, keine Maienwiese
Sah sie je funkeln.
In ihrem Garten
111
Sind Tauperlen Tränen
Von sternlosen Nächten,
Die den Morgen erwarten;
Wir aber dächten,
Der Morgen käme
Und nähme
Die Leiden,
Und rechten
Mit Gott, daß Urnen und Trauerweiden
Unsere beiden
Ewigen Begleiter. —
Weiter und weiter
Wandern wir durch die öden Gassen
Des Lebens
Still und vergebens.
Schmerz und Hassen
Anderer
Wanderer
Bleicht unsere Haare
Und gräbt in Stirne Falte auf Falte
Von Wiege zur Bahre. —
Die Segel zerrissen
Zur Jahreswende,
Am Ende
Kehren wir heim und wissen
Nichts und weinen
Darüber trostlos in unsere Kissen.
Mir aber will scheinen,
Als reiften dem Edlen im Grunde
Des Herzens auf alter Wunde
Die Zeiten
Die schwarze Blume
Vom Königtums
Im Leiden.
112
3m Eisenbahnkupee.
^rc zarte Frauenhand
Träumte auf dem weißen Ballgewand,
Das in blaffen, losen
Falten lag, im zarten Kosen
Von dem Mond, der zögernd durch die Fenster wiegte
Seine Strahlen, wo die bleiche,
Weiche
Seide sich ins Polster schmiegte.
Halbes Dunkel strich um ihres schmalen
Halses Blässe fast verhüllt von weicher
Wärme, von dem Zobelpelz,
Der in dichter, reicher
Fülle vor dem fahlen
Lichte hüllte ihres Nackens Schmelz.
Eines Schleiers weiße, kalte
Falte
Bog sich über ihres Eoldhaars Flechte
Nieder auf die lilienweiße Rechte,
Koste flutend die noch tanzesheiße
Wange
Leise,
Lange,
Bis sie in die dunklen Kissen
Fiel, die nichts von Liebe wissen.
Ihre Augen unter matten,
Satten
Brau'n träumten halb geschlossen,
Hatten
Tief im Schatten
Lichtes schon genug genossen,
Und die weichen, roten,
Reichen
Lippenpaare
Boten
Halb sich offen,
Schienen auszusprechen eignes Hoffen,
Und mit welchem unaussprechlich tiefen Leiden
Sie sich sehnten
Nach der Liebe jener beiden
Gegenüber, die sich ungesehen wähnten.
Bitte an den Zchlas.
Komm', liebreicher Erlöser Schlaf,
Und bring' mir mein süßes Lieb,
Auf den schwarzen Sohlen der Nacht
Führe sie in meine sehnenden Arme.
Laß mich fühlen die weichen Formen ihrer Liebe
Und die roten Rosenblätter ihrer Lippen.
An den zarten Lilien ihrer Brust
Laß mich atmen und kosen
An der verlangenden Schönheit ihrer Glieder.
Löse mir im endlos süßen Wahn
Die unwilligen Gedanken des Tages,
Und leite mich durch gefälliges Nichts
An die stillen Ufer unendlichen Glücks.
Reiterlieder.
Mein Zchirnmelroß.
Es hört mein Schimmelroß im Stall
Mein Kommen, meines Trittes Fall
Und scharrt erregt die Streu vom Stein
Und schnaubt und will gesattelt sein.
Nolte, Kasseler Dichterbuch.
8
114
Ja, lang' ist's her, mein Sturmgesell,
Ich weih, ich kenn' dein Wiehern hell,
Mein Schimmelroh sei ruhig, hab' Dank —
Mein Schimmelroh, mein Herz ist krank.
Ich kann nicht stürmen durch die Flur
Auf deinem Rücken, — warte nur,
Ich komme wieder, eh der Wald
Vergrünt, — mein Roh, ich komme bald.
Da wiehert laut mein Schimmel hell
Und stampft auf stein'ger Lagerstell
Und sieht, den Kopf gewandt, mich an,
So traurig, wie ein Pferd nur kann.
Und scheint zu flüstern: „Kamerad,
Ich freute mich — wie schad, wie schad,
Und drauhen grünt der Heckenstrauch,
Du kennst mich ja, du weiht es auch,
Du weiht, wie ich dich drüber trüg',
Den Lenz im Herz', im Ruf den Sieg —
Mein Reiter, willst du wirklich nicht?
Durch Frühlingsau im Frühlingslicht?
Und soll ich stehn in dumpfer Streu,
Wo drauhen blaut der Himmel neu,
Mein lieber, lieber Reitersmann?"
So sprach mein Roh und sah mich an.
Da wandt ich mich, mein Freund — vielleicht —
Und über meine Wange schleicht
Ein Tropfen, der im Auge stand,
Und tropft auf meine Zügelhand.
Dann fort! Leb' wohl, mein Schimmelroh,
Mein alter, lieber Kampfgenoh! —
Der Sporen klingt, der Schritt wie matt,
Und drauhen singt der Lenz sich satt.
115
He Hufschmied.
He, Hufschmied, her, leg' Eisen auf,
Es grünt die Au, es schießt das Feld,
Der Wasser frei gewordener Lauf
Ist Losungslied in weiter Welt.
Mach fir, mein Freund, das Eisen glüh',
Und schnell am frischen Huf verpatzt,
Die rasche Hand ist halbe Müh',
Jetzt Nägel her und aufgepatzt,
Datz du die weiße Linie triffst,
Gut so, das war nicht ungewandt,
Wie du's mit deiner Zange griffst,
Das nenn' ich eine sich're Hand.
Der Schmied, er schlug eins, zwei, gib acht,
So gut gezielt mit sichrer Hand,
Dann stärker, dann mit aller Macht
Den Nagel durch des Hufes Wand.
Gut, gut, mein Schmied, mein Eisenmann,
Nun Nisten ein und abgefeilt,
Das Eisen liegt so gut es kann,
Mach schnell, Gesell', die Sache eilt.
Die Sonne lacht — das zweite Bein,
Jetzt fertig, — jetzt das dritte dran,
So gut, nun noch das letzte fein,
Famos, jetzt sattelt Zaunzeug an.
Diel Dank. — Nun lache, Reiterhand,
Nun freue dich, mein Sporenrad,
Galopp, mein Fuchs, hinauf auf's Land,
Am Wald den altbekannten Pfad.
8*
116
In 6er Unterstadt.
Die Jagd war aus, das Eichenblatt
Hing an der jungen Brust, —
Heimweg war mir die Unterstadt,
Eng, schmutzig und berußt.
Doch 's Herz war voll, so sah ich 's nicht,
Sah nur der Knaben Spiel,
Sah nur ihr lachendes Gesicht,
Und meint' noch, ich sah' viel.
Denn in dem Knaben steckt und braut
Des Mannseins spate Kraft,
Und wer nicht seinem Jungsein traut,
Der hat noch nie geschafft.
'S war ein dunkler Bengel da,
Mit krausgelocktem Haar,
Der rief, wie er mich reiten sah:
„Schau mal, den blau'n Husar".
Komm Junge, sagt' ich, willst du mit,
Und streckt' die Handschuhhand,
„Ja, ja, Husar, ein Ritt, ein Ritt",
Schon er am Bügel stand.
Und wie 'ne Wildkatz sprang er an,
Wand sich empor zum Pferd,
Noch nie saß je ein stolzer Mann
So stolz wie er zu Pferd.
Vor mir thront er am Widerrist,
Kurz eh' die Mähn ansteigt,
Im Kinderspiel — wie leicht vergißt
Ein Mann Kindsein, wie leicht.
117
Sem junges, lachendes Gesicht
War mehr wie ein Gebet,
War mehr, als was der Fromme spricht,
Der vor'm Altare steht.
Das war mehr Dank und Jubelklang
Für sein Lebendigsein
Als Rosenkranz und Kirchensang
Und alle Litaneien.
Dies wurde, als sein Ritt getan,
Mir wie ein Blitzschlag klar.
Wie dieser Junge sah mich an
Mit dem Braunaugenpaar!
Und ich für meinen weiteren Tag
Dies Kinderlachen trug
Und hörte seines Herzens Schlag,
Wie 's dort an meinem schlug.
Heideritt.
Wir ritten hindann, als auf Busch und Baum
Kaum träumte der brechende Tag,
Und Morgenwinde den Nebeltraum
Hinwehten im schlafenden Hag.
Es pochte der Huf auf hartem Grund,
Manch Eisen da hell erklang,
Und manches Sattels Ledermund
Sein Reiterliedchen sang.
Auch mancher Reiter sang leise für sich
Sein Lied von des Reiters Glück,
Und manche Zügelhand kosend strick
Die Mähne des Tiers zurück.
118
Der Nebel aber umbraute uns dicht,
Stand tropfend auf Braue und Haar,
Und auf der Heide rot blühend Gesicht,
Da perlte er wunderbar,
Wob geisterhaft bei den Föhren im Tann
Mit weißer Gespensterhand
Gestalten, die muteten fast so an
Wie Geschöpfe aus Märchenland.
Wir aber ritten zur Heide hinein,
Bis die Sonne die Nebel verzog
Und der blauende Himmel im Sonnenschein
Sein Angesicht auf uns bog.
Und jedem wuchs mit dem wachsenden Tag
Die Lust an Sattel und Pferd,
Und ein Jubeln in unserem Blute lag
Jungwild, wie 's die Jugend befcheert.
Und kamen wir heim, war fortgewischt
Der Staub von dem ärmlichen Sein, —
Uns hatte das jauchzende Leben erfrischt
Und die Welt und ihr Sonnenschein. —
Ueiterlust.
Säbelblinken und Sporenklirr'n,
Knarrende Sättel und Peitschenschwirr'n,
Hufehetzen auf hartem Grund,
Hurrarufe von Reitermund,
Zur Attacke geschlossenes Glied,
Mädchenkuß und Soldatenlied,
Marsch im Tal bei Morgenrot,
Besser leben tut nimmer not!
wir reiten das Leben, das große Gedicht.
Dieselbe Kraft, die bändigt das Pferd,
Die ist wohl noch etwas besseres wert —
Dieselbe Kraft, die die Sehne strafft,
Die zündet den Geist, daß er nicht erschlafft,
Die leitet die Hand, die die Sehnsucht fand,
Im Wahrkampf wahr wie ein Felsen stand.
Und macht uns wert unserer herrlichen Erd',
Wir reiten das Leben und nicht mehr das Pferd.
Und neben uns reitet nicht mehr der Tod
Und grinsende Not und das Pflichtgebot,
Noch eigene Schuld im Gewände Geduld,
Noch heißt es mehr haschen nach anderer Huld,
Noch hasten schal nach dem Traum Ideal,
Denn alles ist anders mit einem Mal —
Wir reiten im Licht und fürchten uns nicht,
Denn alles Leben, das wird zum Gedicht.
Olga Gammius.
LchSpsungsgedanke.
Roch ruht es auf der Seele tiefem Grunde,
Der Perle gleich, verborgen rein und schön,
Doch fühle ich, es kommt, es kommt die Stunde,
Wo auch dies Etwas wird das Licht erspähn,
Sich losreißt aus der Seele tiefstem Schoße
Und nach Befreiung, nach Gestaltung ringt,
Dies Unbekannte, Längstgeahnte, Große,
Dies Wunderbare, das das Fühlen zwingt.
Dort ist die Heimat.
Und hier sind wir verbannt zu leben,
Hier drunten tief im Tal,
Wo uns der Alltag fest in Banden schlägt,
Wo unser Auge, Schönheit durstend und Schönheit
suchend,
Kein Ziel entdeckt und keinen Endpunkt,
Wo es ruhen könnte und Schönheit trinken, Schönheit,
reine Schönheit?
Ist dieses Tal nicht nur für die, die blindgeboren
Und die durch dieses Leben wandern
Mit toten Augen, achtlos, teilnahmlos
Und wunschlos ganz und gar für ihre Seele?
Ist dieses Tal nicht nur für sie,
Für diese Herdentiere, diese Krüppel?
121
Doch wir, die Nahrung suchen für die Seele
Und Formvollendung, unser Auge zu erlaben,
Die wir die Seele baden möchten in Schönheitsglanz,
In der erhabenen Vollkommenheit, —
Sind wir für dieses Tal bestimmt,
Sind wir nicht Höhenmenschen, Bergesfreie,
Sind wir nicht Könige im Königreich der höchsten,
ew'gen Gipfel,
Ick, Könige in jenen Sphären, die der Himmel Atzt,
Wo unsrer Seele Heimat ist,
Dort, dort in ew'ger Schönheit, ew'ger Einsamkeit?
Bei Sonnenuntergang.
(Es taucht sich still zum letzten Mal
Das Tal in heißes Glühen,
Und von den Wäldern schimmert rot
Der Sonne letztes Sprühen.
Die weite Ferne schwimmt im Blau
Sehnsüchtiger Gedanken,
Und um die Hoffnung will sich still
Ein heißer Glaube ranken.
Der 5 onn' entgegen.
Der Frühreif liegt auf allen Wegen,
Auf jedem Zweig und jedem Ast.
Ich eile froh der Sonn' entgegen,
Laß hinter mir der Erde Last.
Ich wandre aufwärts zu den Höhen
Durch manches wilde, dunkle Tal,
Um auf den Bergen dann zu stehen
Befreit von aller Erdenqual.
Bübchen.
Bübchen mit den blonden Härchen
Und den roten Wangen,
Mit den blauen Schelmenaugen,
Nahmst mein Herz gefangen!
Bübchen mit dem süßen Mündchen
Und dem Kinderlachen
Voll Glückseligkeit und Unschuld,
Was machst du für Sachen!
Prügelst Vater, Mutter, Schwestern
Und die neue Tante,
Daß sie voller Furchtsamkeit
Schnell von dannen rannte.
Glockenhell dein Lachen klingt
Ob der Siegerfreude.
Bübchen, kaum dreikäsehoch,
Bist ein Mann schon heute.
Vrautlied.
Strahle, o Sonne,
Leuchtenden Glanz
Über der Auen
Blühenden Kranz!
Fächelt, ihr Winde,
Lieblichen Duft
Bis in der Gräber
Finstere Gruft!
Schüchterne Knospen
Glühet und blüht,
Vogelern singet
Jubelndes Lied!
Stimmt in mein Jauchzen
Selig mit ein:
Wonniges Leben,
Sein bin ich, fein!
E. R. Grebe.
Im Eichenhain.
Frühling mit dem Veilchenauge,
Holder Knab' im grünen Haar,
Küßt die Flur. Nach liebem Brauche
Bracht' man Ostar Opfer dar.
keusche Osterfeuer brannten
Auf dem Berg, hochaufgebaut,
Und man jubelte in Landen:
„Heil und Gruß dir, junge Braut!"
Siegfried hehr, der Götterhohe,
Hat die Holde kühn befreit.
Flammenwall und Waberlohe
Keck durchbrochen um die Maid.
Seht die Jungfrau freudetrunken,
Mit dem Auge licht und klar,
Ganz voll Lieb und Lust versunken
In den Helden wunderbar.
Siegfried ihr entgegenführet
Zauberisch schöne Frühlingszeit,
Daß statt Cisesbrünn' sie zieret
Bräutlich AuferstehungsNeid.
!
■
Welch' cm freundlich Grützen heute?
Fehde ruht und Friede lacht,
Gaugenossen, voller Freude,
Preisen Donars Wundermacht.
Männer stark, mit trotz'gen Blicken,
Haare gelb und Augen blau,
Recken kühn, die voll Entzücken
Lagern in dem Morgentau.
Neben ihnen rasten Frauen,
Landestöchter, gut und mild,
Keusch wie Tauben, schön zu schauen
Wie ein lieblich Götterbild.
Rings im dunklen Walde spielen
Chattenkinder, stolze Brut.
Fest erheischt, sich froh zu fühlen,
Lebensmai schafft Lebensmut.
Mit den Chatten fest verwachsen,
Nachbarn dort vom Rhein und Main,
Gottergebene, treue Sachsen,
Eilten hin zum Eichenhain.
Hoch vom Himmel schaut hernieder
Odins Aug' mit güldnem Strahl,
Und zum Blumenteppich wieder
Malt sich Berg und Wiesental.
.
Das Tal.
Abends von der Bergeshalde,
Rotgekützt vom letzten Strahl,
Grützt die Burg im Habichtswalde,
Grüßt zum Schlaf hinab ins Tal.
126
Unten zieh'n die blauen Wellen,
Ziehen sonder Rast und Ruh,
Spielend mit den Fahrtgesellen,
Sehnsuchtsvoll dem Meere zu.
Wie ein blitzend Brautgeschmeide
Schmückt die Fulda das Eetal,
Das da prangt im grünen kleide;
Droben glänzt der Himmelssaal.
Und von blauem Duft umwoben
Liegt fernhin der Berge Kranz;
Hoch das Haupt zum Licht erhoben,
Hünengleich im Sternenglanz.
Priemelgold bedeckt die Auen,
Silberstaub und Purpurglut.
Wonne! Dies Gefild zu schauen,
Auf dem Gottes Friede ruht.
Schön im süßen Lenzgewande
Und im jugendlichen Grün
Liegt dies Tal im Chattenlande,
Schöner dort die Blumen blüh'n. —
Der Chattenfürst spricht...
„Lange Zeit die Franken walten
Hier auf freier Männererd,
Fordern Zins und Zehnt und schalten,
Heischen unser Gut und Schwert!
Soll denn noch der ftänk'sche Geier,
Ferner rauben Ehr' und Gut?
Soll uns knechten jener Meier,
Von uns heischen Leib und Blut?
127
Witib eines Pipiniden
Ruft zum Kampf den freien Mann,
Schlichtet Fehd' und stiftet Frieden;
Trage solches, wer es kann!
Sollen wir fortan dem Sohne
Zins und Zehnt entrichten gar,
Heeresfolg' in hartem Frohne
Leisten jetzt und immerdar?
Unsre Götter schmäht der Franke,
Spricht dem Heiligtums Hohn.
Scheines nicht, als ob alles wanke:
Freiheit, Glaube, selbst der Thron?
Wir sind feig und stumme Hunde,
Wedeln zahm vor fremden Herrn.
Stolze Chatten, drum zur Stunde
Bleibe solche Schmach uns fern!
Chattensöhne! goldne Waffen
Träget eure Heldenhand;
Laßt uns unser Recht selbst schaffen,
Selbst verwalten unser Land!
Freie Chatten, Edelinge!
Bietet jetzt dem Glück die Hand:
Hoch das Schwert im Männerringe,
Haupt und Herz zu heilgem Band!"
Der Kampf.
Bald ist man dem Feind so nahe,
Daß man wagt den Schwerlesschwang,
Als der Thüring' dieses sahe,
Hub er an den Schlachtgesang:
„Müssen wir das Leben lassen,
Kommen wir zu Tod und Fall,
Wird die Schlachtbraut uns umfassen
Und uns führen nach Walhall.
Schicksalsfrauen werden kiesen
Ihre Opfer in dem Heer,
Wenn sie fallen vor den Spießen
Oder durch Allwalters Speer.
Odins Mädchen küßt die Wunde,
Küßt sie auf dem Schlachtenfeld,
Tragt die Seele heim zur Stunde,
Zu der Väter Schar den Held.
Schildjungfrauen schütteln Lose;
Durch sie wird der Tod verhängt
Und gepflückt manch' blut'ge Rose,
Wenn ins Herz der Speer sich senkt.
Werden wir vom Licht geschieden,
Kommen wir aus aller Not,
Geh'n zu Odin froh in Frieden;
Lachend leiden wir den Tod!"
Thüring'! Deine scharfen Beile
Heischen heute Opfer schwer;
Doch den Chatten dient's zum Heile,
Braun schwingt stolz die wucht'ge Wehr.
Bruno sich mit Ruhm bedeckte,
Glorreich vor dem Chattenland;
Manchen Kämpen hin er streckte
Widerstandslos in den Sand.
Manches Auge sieht man brechen,
Sinken in den bleichen Tod
Bon der Lanze scharfem Siechen;
Braun schuf vielen Weh und Not.
Hei, Wie da die Schwerter klirren,
Daß so laut der Schild erkracht,
Wie die Pfeile zahllos schwirren!
Männermordend ist die Schlacht.
Hei, wie da die Schwerter singen
Feurig Lied auf Erzgewand.
Süßer Sang ist Schwertesklingen,
Heldenherzen wohlbekannt!
Heldenblut, wie kühn du glühtest!
O, wie leuchtet deine Kraft!
Heldenherz, wie reich du blühtest,
Blume aller Ritterschaft. —
Lichte Sterne freundlich funkeln,
Scheinen kalt ins Todestal,
Waffenklang klirrt noch im Dunkeln;
Geister geh'n zu Odins Saal?)
*) Sämtliche Beiträge sind entnommen der epischen
Dichtung des Verfassers „Der Fall der Donnereiche".
Nolte, Kasseler Dichterbuch.
v'„: ({fr» AtüSSiiür.
Alfred Hahn.
Einsamkeit.
Die Rose mit den welken Blättern lag
Auf meinem Schatz. — Du warst so weit. —
Und draußen schleppte sich ein grauer Tag
Wegmüde hin zur Ewigkeit.
Wie sanfte Tränen rann der Regen nieder,
Aus lieben Augen oft geweint.
Eintönig, traurig, raunt er ferne Lieder,
Die du einst sangst, als wir vereint. —
Am schwarzen Himmel glänzt kein Hoffnungsstrahl,
Die Straße zieht sich öde hin;
— Sie windet grau sich durch das dunkle Tal;
Ach wandre weit------Wohin? — Wohin-----------?
Das Grab einer Gefallenen.
Totensonntag — Glocken klingen —
Aus des Klosters Erabkapelle
Hör' ich fromme Schwestern singen,
Und ich bettle an der Schwelle. —
An den Gräbern beten Leute,
Heiße Herzenstränen rinnen...........
Und der Glocken dumpf Geläute
Klingt zum Sang der Büßerinnen. —
Es ist ein grauer Novemberabend. Ein feucht-
kalter Nebel näßt die öden Straßen der Vorstadt.
Ich eile durch die langen, kahlen, gleichmäßig gebauten
Häuserreihen, der Großstadt zu; die trostlose Einsam-
keit hier draußen preßt mir das Herz zusammen: Nur
fort aus dieser erdrückenden Stille, fort aus diesem
Grab alles sonnigen Lebens und Glücks! — Vor mir
biegt ein junges Weib aus einer engen, dunklen Sei-
tengasse in die Straße ein. Sie sieht mich mit großen,
kranken Augen an, aus denen das Leid nur zu deut-
lich spricht; ängstlich und suchend gleiten ihre Blicke
umher. — Ach; du armes, gefallenes Kind! Wie
eine Wölfin nach Nahrung, so streifst du abends durch
diese kalten, finstern Straßen, der rauhe Herbststurm
zerzaust dein seidenweiches Blondhaar, der Regen peitscht
dein schmales, kummervolles Gesichtchen mit dem er-
gebenen Lächeln auf den Lippen, die Kälte rötet deine
bleichen Wangen. Du suchst nach Nahrung, du suchst
nach Liebe; du suchst nach Frieden und längst verlore-
nem Glück: du kannst ja jene eine Stunde deines
Lebens nie vergessen, damals, in den Armen des ein?
ziggeliebten Mannes .... Doch, da wurde dir die
Wonne des höchsten, seligsten Glücks zur Schande. —
Alles, was damals hehr und heilig war, das ist jetzt
gemein, voll Sünde und Schmutz; was dir einst die
höchste Wonne war, ist dir heute zum Ekel. — Aber
täglich mußt du deine Abscheu aufs neue überwinden,
um dein armseliges Leben zu fristen. — Du gesellst
9*
132
dich zu einem Manne, der dir entgegenkommt; deine
Seele haßt ihn, weil er das Weid in dir tödlich be-
leidigen wird; aber du folgst ihm, denn dann wirst
du für diese Nacht warm gebettet sein, wirft eine Nacht
lang dein unselig Geschick in einem wilden Rausche
von Sinnlichkeit vergessen können. Und du nütztest
eine solche Nacht, denn wer weiß, wo du morgen ge-
bettet bist. Vielleicht drunten im Armenhospital, ein-
sam, verlassen, vernichtet an Leib und Seele, zerfallen
mit der Welt, mit Gott, mit dir selbst, ein welkes
Blatt am Stamme der Menschheit; oder du ruhst gar
hinten an der Kirchhofsmauer, in hölzernem Bette,
unter den Hagebuttsträuchern, hart am Wege;-------------
denn unter den schützenden Zweigen der geweihten Fried-
hofstannen darfst du nicht liegen: du bist ja selbst
noch im Tode die Ausgestoßene, die Ehrlose. — Wohl
alle, die da ruhen, sind gestorben in der Religion der
Liebe, der allverzeihenden göttlichen Liebe, — aber
dir konnten sie nicht verzeihen, wenn dir auch dein
Gott schon längst verziehen hätte in deinem hoffnungs-
losen Unglück. — — Du versuchst, ein frohes Schel-
menlied zu singen; wir hören dich frohlocken, aber sehen
nicht, wie dein gequältes Herz heiße, bittere Tränen
weint; nur deine Lippen sind immer so müde, deine
Augen so traurig — und so schleppst du dich durchs
Leben, unglücklich, in stummer Verzweiflung, müde zum
Sterben...........
Du entschwindest vor meinem Blick am Arme jenes
Mannes; — für diese Nacht wirst du nun weich ge-
bettet sein und wirft ein Heim haben. — Aber morgen
mußt du wieder umherstreifen auf den Gassen, frie-
rend und hungrig, — ohne Schutz, ohne Wärme, ohne
Heimat .... -
Die Straßenlaternen flackern trübe auf und malen
fahle, verwaschene Reflere auf das nasse Pflaster. Der
Nebel lastet drückender über den Straßen, aus der
133
offenen Tür einer Kellerwohnung strömt ein kühler,
moderiger Atem um meine Schläfen.............. Einige
Schritte vor mir schleppt sich ein räudiger Hund über
die Straße, er bricht ermattet zusammen. Ich sehe aus
seinem mageren, abgehungerten Körper breite, blutige
Striemen. Er richtet sich auf den Vorderbeinen in
die Höhe, aber er kann sich nicht aufrecht halten. Die
Wirbelsäule ist ihm am Kreuz durchschlagen; mit einem
dumpfen Wehlaut sinkt er wieder zurück und verendet
an der Straße............
Und da stehst du wieder vor mir, du Weib mit
den großen, traurigen Augen — mit dem ängstlichen,
suchenden Blick. — Wie wirst du wohl einmal sterben —
du Kind der Straße — du Geächtete — du
Heimatlose — du armes, verlorenes Kind?
Knabe und Schmetterling.
Flatterte lieblich ein Schmetterling
Spielend im Sonnenschein,
War so ein süßes, zierliches Ding! —
Knabe sprang hinterdrein;
Droht ihm der Vater mit ernstem Gesicht:
„Laß ab, verfolge den Lockvogel nicht!" —
Leicht und froh flog der Falter fort,
Ihn sah der Knabe, nur ihn;
Hört nicht des mahnenden Vaters Wort,
Will mit dem Falter zieh'n:
Wie er die flimmernden Flügel schwingt! —
Hinter ihm her der Knabe springt.
Hebt sich der Falter wiegend empor,
Flattert im Sonnenlicht,
Flattert hin auf das tückische Moor;
Knabe bemerkt es nicht; —
Sinkt in den Sumpf,-----------und beim Morgenrot
Waren Knabe und Falter tot. —
Napoleon auf St. Helena.
Die Sonne sank, es braust das Meer,
Zerriss'ne Wolken eilend ziehen.
Schwarz rings der Himmel, hoffnungsleer; —
Die düstre Nacht naht schicksalsschwer,
Und aufgescheuchte Möven fliehen.
Und sinnend steht ein Mensch am Strand,
Starrt in die Fluten, in die feuchten.
Und schwarz bedeckt es Meer und Land,
Und von des Horizontes Rand
Blitzt es wie fernes Wetterleuchten. — —
Da zog es schwül vom Meer heran:
Ein Windstoß rieselt Blätter nieder, —
Und unbeweglich stand der Mann,
Sah in die Flut und sann und sann,
Horcht auf des Meeres wilde Lieder:
So wogte einst auch seine Brust, — —
Wie diese Brandung brach sein Wollen,
Mit Leiden spielend wie mit Lust. —
Er blieb, sich seiner selbst bewußt,
Allein; — und ferne Donner grollen. — — —
— Vereinsamt steht er so, — allein —
Auf steiler Höh'. — Von allen Losen
Das schwerste Los, es ist jetzt sein...............
— Und sterbend grüßt der letzte Schein
Des Tags den Kaiser der Franzosen. —
Paul Heidelbach.
Das Ende.
Bin heute mal wieder draußen gewesen,
— Dort, wo unter blühender Pracht sie verwesen.
Wir trugen in seinem letzten Haus
Einen Toten zur feuchten Gruft hinaus.
Ein farbenfreudiger Blütensegen
Bedeckte die Gräber an allen Wegen,
Und Buchfinkgezwitscher und Amselschlag
Ringsum in den maigrünen Zweigen lag.
„O, könnt' ich im Herbst an der Straße verderben,
Statt jetzt in der Frühlingspracht zu sterben —"
Den Zettel, geschrieben von zitternder Hand,
Man noch auf dem Tische des Toten fand.
Hier, mitten zwischen den Gräberreih'n,
Fällt dieser Zettel mir wieder ein:
So stöhnte in seinen letzten Stunden
Der Alte, der nun die Ruh' gefunden,
Der einsam gelebt, wie er einsam gestorben,
Und dennoch nicht um den Tod geworben.
Run stößt ihn nach tausendjähriger Sitte
Das Leben mit Gleichmut aus seiner Mitte.
Der Totengräber, ein hagerer Mann,
Geht gemessen dem Leichenzug voran,
Ihm folgt der Pfarrer, und hinterdrein
Schleppen des Todes schwarze Lakai'n
Mit beuchen und Räuspern und wenig Würde
Auf gehobener Schulter die schwere Bürde.
Dann folgen ein paar entfernte Verwandte
Und wer ihn sonst noch im Leben kannte. —
136
Ob Wohl von den zwanzig, den dreißig Leuten,
Die plaudernd über den Kies hinschreiten,
Auch nur einer im Herzen Gedanken weckt
An den, der da vorn in dem Sarge steckt?
— „Nach der heutigen Meldung im Tageblatt
Findet morgen keine Parade statt." —
— „Man sollte doch kaum seinen Augen trau'n,
Dort fängt man ja auch schon an zu bau'n." —
— „Ja, ja, Herr Nachbar, hier wächst der Verkehr
Mit jedem Tage." — So tönt's um mich her.
— „Mein Gott, ist das weit! Ich werde noch krank
Durch diesen vermaledeiten Gestank
Don Lorbeerblättern und Tannenholz!"
Ruft hinter mir mürrisch ein Hagestolz.
Dann schimpft er so fort noch im Weitergeh'n
Und verstummt erst, als wir am Ziele steh'n.
Wir umstellen die Gruft und schau'n dem gemach
In die Grube sinkenden Sarge nach.
Man lockert die Stricke, zieht sie herauf,
Der Geistliche stülpt das Barett sich auf,
Ein Räuspern geht durch der Männer Rund,
Und alles blickt auf des Pfarrers Mund.
Der rafft mit der Linken den weiten Talar,
Streicht hinter die Ohren das spärliche Haar
Und müht sich ehrlich, mit Wort und Geberden
Dem Toten da unten gerecht zu werden,
— Man merkt es, er hat ihn nie geseh'n,
'Ihn, der nichts gehalten vom Kirchengeh'n.
Dann empfiehlt er den Alten in seiner Lade
Mit kurzem Geb eie des Himmels Gnade
Und wünscht ihm mit milden Worten den Frieden,
Der ihm auf der irdischen Fahrt nicht beschieden.
Man wirft ihm noch nach die drei üblichen Schollen,
Die polternd über den Deckel rollen,
Ein kurzes Grüßen, und eh' man's gedacht,
Hält nur noch der Totengräber Wacht.
Der schichtet die Kränze und sonstigen Flitter,
D'rauf hängt er den Rock an das nächste Gitter
Und beginnt, die Pfeife zwischen den Lippen,
Die lehmige Erde hinabzuschippen.
Noch deckt er den Hügel, der rasch entstanden,
Mit den Gränzen, die fremde Hände wanden;
Dann rüstet er, frei von Sorgen und Kummer,
Daneben ein Grab für die nächste Nummer.
Mairegen.
Der erste sonnige Tag seit Wochen.
Aus Strasten und Gassen kommt's gekrochen,
Und was sich Gott weist wie lang nicht gesehn,
Vergistt beim Geplauder das Wsitergshn.
Das ist ein Grüsten, Drängen und Schieben,
Als wär' selbst der Kränkste nicht heimgeblieben.
Stolz schreitet die Jugend, das Alter schleicht
Bedächtigen Schritts, und es wird ihm nicht leicht,
Sich am Markt mit den kaum erst belaubten Linden
Durch Kinder Und Mütter hindurch zu winden.
Da, jählings, kommt in dies bunte Gewimmel
Vom eben noch blauen Frühlingshimmel
Ein starker Regen hineingeplatzt.
Und alles, was eben noch laut geschwatzt
Über Kleidermoden und Neuigkeiten,
Zerstiebt nun schimpfend nach allen Seiten
Und sucht in angstbeflügeltem Lauf
Die nächsten Tore und Türen aus.
Da tritt aus altem, verfallenem Haus,
Ihr Kind auf dem Arm, ein Weib heraus
Und stellt ihren kleinen blonden Schah
Grad mitten hm auf den grosten Platz
Und nimmt ihm das Hütchen von den Locken;
Und das Büblein tut anfangs sehr erschrocken,
138
Dann spreizt es die Händchen, befühlt den Kopf
Und strähnt sich vergnügt den nassen Schopf
Und jubelt und springt die Kreuz und die Quer,
Als ob es ein Lamm auf der Wiese wär'.
So tollt es und läuft sich fast atemlos —
Und sperrt sich und fängt gar an zu schrei'n,
Als die Mutter es zieht zur Tür' hinein.
Sie nimmt den Kleinen auf ihren Schoß
Und streichelt ihm sanft den Kopf, den feuchten,
Und spricht, indes ihre Augen leuchten:
„Du herziger Schelm, Mäiregen macht groß!
Nun mutzt du den lieben Gott auch loben,
Denn der schickte von seinem Himmel droben
Den Regen, weil unser kleiner Mann
Das Wachsen noch tüchtig brauchen kann."
Und wie sie ihm Kleider auszieht und Schuh,
Da fallen ihm auch schon die Augen zu,
Er hört der Mutter Stimme nicht mehr
Und träumt von Säbel und Schießgewehr.
Schlaf wohl, du Kleiner! Und wachst du auf
Und nahmst von heute mit in den Kauf
Gar Schnupfen und andere kleine Beschwerden:
— Darfst an deiner Mutter nicht irre werden!
Und beweist dir einmal unzweifelhaft
Eine dreimalhochweise Wissenschaft,
Datz du groß geworden nach andren Gesetzen,
— Das alles könnte dir nicht ersetzen
Die Mutterliebe, den Mutterglauben.
Und soll deine Seele dir nicht verstauben,
Dann glaub' auch als Mann an den Frühlingssegen,
Der auf Menschen fällt mit dem Maienregen.
Mary Holmquist t-
Der Junker.
In Hessen blaute
Ein Frühlingstag,
Über den Feldern
Ein Singen lag.
Der Junker flammte
Den Weg entlang,
Der Rappe stampfte,
Die Wehre sprang.
Die Brust geweitet,
Im Blick ein Glüh'n,
Bei Rotz und Reiter
Nur Vorwärtssprüh'n.
Zu eng die Gauen,
Zu schlicht das Land!
Die Unrast fegte
Das Blut in Brand.
Schon fern der Hufschlag,
Das Glänzen schwand —
Blieb nur ein leises
Hauchen im Sand . . .
140
Der Berge Grützen,
Der Blätter Wehn,
Der Junker hatte
Es nicht gesehn.
In Hessen blaute
Ein Frühlingstag,
Über den Feldern
Ein Singen lag .
Und wieder Hessen
In Blüten stand,
Und Lerchen sangen
Am Ackerrand.
Da trottet müde
Ein Rotz heran,
Der stille Reiter
Ein ernster Mann.
Er treibt den Rappen:
Voran, voran!
Und hält den Treuen
Jäh wieder an.
Ein Sprung vom Sattel,
Ern Bücken leis,
Dem Junker brennen
Die Augen heitz.
Mit weichem Gleiten
Streicht seine Hand
Über das braune
Ackerland.
Mein Land, mein Boden,
Mein Hessengau,
Wo tragt die Erde
Wohl schönere Au!?
Mein bist du, Hessen,
Und ich bin dein!
So soll's für ewig
Gehalten sein! —
In Hessen blaute
Der Frühlingstag,
Und Singen über
Den Feldern lag ...
Most.
Ich will,-------
Hörst du es, Gott?!
Ich will schaffen können wie du,
142
Aus goldner Hand : —
Und sitzen dann und in Ruh'
Schaun auf mein Land.
Ich will,------
— Und sei's einmal nur, —
Durch meine Ähren dahingehn, —
Durch eigene Saat.
Bald! Eh' die Tage verwehn
Und Winter naht!
Ich will,------
Schaffen will ich, — —!
All das Drängen, das wild in mir gärt
Mit finstrer Gewalt,
All das Schäumende werde geklärt
Und finde Gestalt!
Ich will,------
Ja! Leben will ich! —
Will glücklich und — elend fein, — fessellos!
Will Sieger fein!
Ob klein noch die Zahl meiner Tage, ob groß!
Das Heut ist mein!
Lonne.
Und lastet der Himmel in stumpfem Grau
Über den Dächern, den Gassen,
Als sei ein Märchen sein singendes Blau
Und die Welt im Dämmer verlassen:
Ich sehe die Sonne.
143
Und wollen die Sorgen mit schwerer Wucht
Das Herz mir zusammenpressen,
Dann schnell nur ein Spältlein Hoffnung gesucht,
Nicht träge und mutlos gesessen!
Ich schaffe mir Sonne!
Ich schaffe mir Sonne in dunkler Nacht
Und Sterne aus Grabesliefen;
Mich führt ein Leuchten im drohendsten Schacht,
Ich wecke die Strahlen, die schliefen!
Ich schaffe mir Sonne!
Ich lasse mir nicht von widriger Not
Die Freude des Lebens zerdrücken!
Auf meines Willens und Schaffens Gebot
Wird Sonne durch Wolken blicken!
Ich schaffe mir Sonne!
In der Krankheit.
Heut früh im Dämmern
Das dumpfe Hämmern
Tief drin im Haus.--------
Ob sie die Bohlen,
Darin sie mich holen,
Zusammengefügt?
Ob sie Gewinde
Von blühender Linde
Ums Tor gerankt?
Ob sie mit seidigen,
Blauen, geschmeidigen
Bannern geschmückt?
144
Daß, wenn ich komme,
— Und lebend komme —
Ich lächeln soll........?
Hm Zenster.
Dorther, wo die Glocken läuten
Und sich rote Dächer türmen,
Wo die Gassen enger werden,
Dorther muß mein Liebster kommen!
Muß durch steile Straßen wandern,
Muß um viele Ecken biegen,
Muh vorbei am alten Turme
Und an blütenvollen Gärten.
Freudig wird er vorwärts eilen,
Froh dem Heim, dem Nest entgegen!
Und, — vielleicht trägt er behutsam
Einen Strauß von lila Flieder,
Drunt' am Brünnenmarkt erstanden, —
Lächelnd heim als Sommergruß.
Bringt auch lichte Sonnenstrahlen,
Die er fing mit frohem Auge;
Bringt vom Vogelsang ein Lied,
Einen Gruß von jedem Baume
Und sein eignes, goldnes Herz!
Immer läuten noch die Glocken,
Läuten Feierabend ein.
Bald muß doch mein Liebster kommen,
Bald, ach, fass' ich seine Hand! —
Jetzt!-------Da biegt er um die Ecke,
Nickt und lacht und winkt mit Blüten-----------
Komm' herauf, ins Glück, ins Glück! !----------
145
vereint.
Wir standen am brausenden Waldesrand,
Allein und schweigend, Hand in Hand.
Und um uns das Rauschen von Sturm und Zeit
Und weitgebreitete Einsamkeit.
Deine bebende Stimme das Schweigen bricht:
„Wir bleiben zusammen. Ich lasse dich nicht!"
Und blitzend die Sonne die Wolken durchdrang,
Helljauchzend der Sturm in den Lüften sang.
Mein Herz schrie auf in Glückseligkeit,
Heist schossen die Tränen, erlöst, befreit.
Die Sterne unser! Der Tod besiegt!
Ein strahlendes Leben vor uns liegt!
Empfänglichkeit.
Bin ein armes, wehrloses Ackerland,
Darüber der Bauer die Gäule treibt,
In das der Pflug tiefe Wunden schreibt.
Und offen der Furchen gewundenes Band
Dem Hagelsturz, der vom Himmel fällt,
Und dem Dung der Erde, dem Abfall der Welt.
Bin ein reiches, glückliches Ackerland,
Übersonnt, umzittert von Licht Und Duft,
Vom Tau genetzt und nächtiger Lust,
Empfangend das Korn aus des Säers Hand,
Das Lebenskorn, das die Hülle sprengt,
Das aus Sterben und Werden zum Reifen drängt.
Bin ein schaffendes, seliges Ackerland; —
Aus den schmerzenden Furchen wächst und strebt
Die Frucht, die aus meinen Kräften lebt.
Nolte, Kasseler Dichterbuch.
10
Frieda Hupbach.
Ähnlichkeit.
Du trugst nicht immer solch ein Kleid
Und warst nicht stets vom heutigen Sinn;
Ich glaub', du warst in ferner Zeit
Der Page einer Königin.
Und sie war jung, und sie war schön
Und liebte es, dich anzusehn.
Du sangest zu der Laute Spiel
— Bis heimlich ihre Träne fiel, —
Von einer, die den Herrn gefreit,
Und eines Knappen stillem Leid.
Und später hieltst du manche Nacht
Vor ihrer Kammer Türe Wacht,
Vergebens hast du dort gelauscht.
War's nur die Ulme, die gerauscht,
War's Nachtigallen Sehnsuchtssang,
Was wie ein weher Seufzer klang? —
Doch einmal zog der Krieg ins Land
Und gab das Schwert in deine Hand,
Da endete die bange Not
Ein schneller, freier Reitertod.
Von jenem Leid und jenem Glück
Blieb dir der leichte Pagenschritt,
Und darum glüht in deinem Blick
Ein leidverträumtes Leuchten mit.
147
Erbe.
Mein Ahnherr war ein ernster Mann,
Sah Mensch und Leben kritisch an,
Wog Glück und Schuld mit strenger Hand,
Und auf dem blanken Wappen stand:
Mein stärkster Schutz sind Recht und Pflicht!
Die Ahnin war die schönste Frau,
Ritt lächelnd durch die Sommerau
Und lauscht' dem Singen im Gefild.
Es stand auf ihrem bunten Schild:
Die süße Liebe und das Lied!
Des Alten Wort hab' ich gebucht,
Wie er, was Unheil sät, verflucht. —
Doch durch das Land im Sonnenschein
Jauchz' ich der Ahnin Spruch allein:
Die süße Liebe und das Lied!
Der Possenreißer.
Du bist nur ein Narr, du siehst es im Spiegel,
Die farblosen Züge verleugnen dich nicht.
Verzogen den Mund, ein Flirren im Auge,
So hast du das lustigste Narrengesicht.
Armer Narr!
Du glaubtest dich einst Zu Höh'rem geboren,
Hast auch von dem Kusse der Schönheit geträumt,
Von sprudelnder Kraft, einer sieghaften Woge,
Die über die Grenzen des Menschlichen schäumt.
Armer Narr!
10'
O, denk' nicht! Die Menschen wollen kein Weinen!
Es hebt sich der Vorhang, nun lache und schrei,
Verzogen den Mund, ein Flirren im Auge;
Die ganze Komödie ist einmal vorbei,
Armer Narr!
In der Dämmerung.
Die Dämmerung spinnt ihren grauen Traum —
Das alte Schloß dort drüben schlummert schon
Auf einem schleierfeinen Nebelthron,
And weiß umflattert steht ein jeder Baum,
Der Weg zerrinnt in Grau, ich seh' ihn kaum,
!Gib mir die Hand, Du gehst ja neben mir.
Die steilen Felsen drohen ernst und streng,
And drunten stürmen rasche Wellen an,
Am Ufer wehrt sich ein vergessener Kahn
And kämpft mit lautem, sprudelndem Eemeng,
Die Spanne zwischen Fluß Und Berg ist eng.
Komm' nah' zu mir, der Pfad ist feucht und schmal.
Die kahlen Äste stöhnen voller Harm,
Der wilde Frühlingssturm hält sein Gericht,
Es ist so kalt und naß, spürst du es nicht?
In mein Gesicht jagt keck ein Tropfenschwarm.
Um meine Schultern lege deinen Arm,
Hör', wenn ich leise sag': ich hab' Dich lieb!
Wenn liebe kleine A in der sterben.
Wenn liebe kleine Kinder sterben,
Dann öffnet leise sich des Himmels Tor,
Und zum Empfang des weißen Seelchens
Lugt Gottes liebstes Engelskind hervor.
Du mußt mir Freund und Heimat sein,
Dein Name schließt mir alles ein.
Das kommt vom langen Wandern,
Daß mir so fremd die andern.
Nun bleibst nur Du mir ganz allein,
Du mußt mir Freund und Heimat sein.
was ich liebe.
Ihr habt im Alltag mich eingespannt,
Ich mag ihn nicht, ich liebe die Leier
Und Sturmesbrausen und Sonnenland
Und Vogellieder zur Waldesfeier.
Ich liebe dunkle Wolken, die wandern,
Und süßes Träumen im Abendrot,
Den starken, biederen Sinn der andern,
Die Blume Schönheit und raschen Tod.
Heimat.
Die Pulse flogen, und es trieb mich fort,
Und sieghaft lachend hab' ich euch verlassen,
Ich stritt mit andern auf den lauten Gassen
Und irrte ruhelos von Ort zu Ort.
150
Ich kehr' zurück, die Blicke dich umfassen,
Dich sommerhellen, lieben Heimatsort,
Und eure roten Blüten nicken dort
Und fragen ernst: Wie konntest du uns lassen?
Ich tret' ins liebe, enge Stübchen ein,
Entschwund'ne Träume grüßen allerorten,
Die alte Uhr tickt immer noch so fein,
Und eure Herzen tun mir auf die Pforten,
Ihr lächelt noch wie einst voll Sonnenschein,
Mir ist, als wär' ich wieder Kind geworden.
Die Fahrt der Toten.
Ein breites Ruderboot durchquerte die Irische
See; allein und verloren glitt es über die weite,
schimmernde Flut dahin. An den Rudern saß ein
alter, bärtiger Mann mit finsterem Gesicht und dem
festen Wuchs der Kelten. Ihm gegenüber saß sein
Weib mit harten, grauen Augen und Runzeln, die
sich wie Runen in ihre Züge eingruben. Den Boden
des Schiffes bedeckte ein Laken von ungebleichter,
selbst bereiteter Leinwand. Undeutlich zeichneten sich
unter dem derben Stoff die Formen menschlicher
Leiber ab. Es waren die dreier Jünglinge, der
Söhne des alten Paares, die bei der Seeräuberei
gefaßt und drüben in Irland hingerichtet worden
waren. Aber kaum hatten heimkehrende Genossen
das Unglück berichtet, so traten die Eltern die ge-
fahrvolle Fahrt an, und ehe die Vögel die Körper
zerrissen, landeten die Alten bei Nacht und Grauen
in dem tanzenden Kahn und luden die Toten ein,
um sie in das Heimatland Wales zurückzubringen.
Still und tief lag das Meer in seiner unend-
lichen Größe. Der Mann hielt mit Rudern inne.
m
151
„Sie waren die Kühnsten und Stolzesten", sagte er
und deutete auf die ruhenden Söhne. „Sie waren
hart und frei und trotzten fremder Macht. Sie
hätten als Helden im Meere sterben müssen."
„Das Schicksal wollte es nicht," entgegnete das
Weib und starrte in die Ferne. „Es wollte nicht
einmal, daß sie im heimischen Boden ruhten, aber
wir haben es bezwungen."
Mit einer unruhigen Gebärde wandte sich der
Mann und blickte zurück. Die See zwischen Irland
und Wales ist wie ein heimtückisches, wildes Tier,
das plötzlich auffährt und furchtbar wütet.
„Das Schicksal läßt sich nicht zwingen," sagte
er und bllckte nun vorwärts nach der Küste. Aber
noch keiner der stolzen, steilen Felsen von Wales wurde
sichtbar. Keiner der kahlen Berge reckte sich Halt
gebietend dem Wasser entgegen.
„Nun werden sie doch hoch oben über den
Tälern bei dem blauen See von Tecwyn schlafen,"
frohlockte das Weib und zog mit der Hand seltsame
Kreise durch die Luft.
„Und die Leute von Penrhyn und Tan-y-bwleh
werden die in den Fels gehauenen Stufen empor-
steigen und an ihren Gräbern beten. Das Meer
wird von ferne heraufgrüßen, Und die Dohlen auf
dem Gestein schreien, wenn sie die 'Leichname in der
offenen Gruft wittern. Dann wächst die Heide über
den Ruhestätten, und jede ihrer Blüten ist ein Auge,
das sich emporreckt und den Ruhenden Nachricht bringt
von dem Meer, das es leuchten sieht, von den
Kämpfen und Siegen auf den Schiffen. Und die
Schafe gehen blökend durch die tiefe Einsamkeit an
ihnen vorbei."
„Die Sonne verschlägt," sagte der Mann.
„Wir werden sie um Mitternacht begraben, um
Mitternacht, wenn der Mond über dem Meere steht
und die Felsen wunderbaren Riesen gleichen."
152
Eine drückende, schwere Luft senkte sich auf das
Fahrzeug herab. Das goldene Licht am Himmel
und der blitzende Widerschein auf dem Wasser er-
losch. Das Weib hob den Kopf und blickte umher.
Sie hob wie beschwörend die Hand, als könnte sie
das Wetter meistern, wie sie das Schicksal meistern
wollte. Die Wellen rauschten und spritzten und leuch-
teten nicht mehr. Sie gurgelten und rollten und
waren dunkel wie die Nacht. Wild und hoch kamen
sie von ferne angebraust, weil der Sturmwind sie
jagte. Die beiden Alten sprachen nicht. Sie arbeiteten
und wehrten sich gegen das drohende Unheil. Die
Ruder griffen tief ein, und das Boot drängte, ge-
hoben und geschoben von den Wogen, dem Lande
zu. Die Wellen schäumten und tosten vorüber wie
wilde Horden und schossen Wasserstrahlen über das
Leinentuch, datz es sich feucht Um die Toten schmiegte.
Mit zusammengebissenen Lippen arbeitete das Paar
und kämpfte mit dem wehrlosen Schifflein gegen die
übermächtigen Wassermengen.
„Land, Land!" rief das Weib, und stand hoch
aufgerichtet am Steuer. Ihre Haare flatterten auf-
gelöst im Winde, und ihr ausgestreckter Arm deutete
nach dem schroffen Gipfel, der schemenhaft aus dem
einförmigen Grau hervortrat. Aber ihr Jauchzen
ging in einem Schrei unter.
Eine mächtige Woge schlug dem Manne das
Ruder aus den Händen und stürzte über den Kahn
hinweg. Sie ritz das Leinen auf und trug die drei
Jünglingsleiber mit sich fort. Mit wollüstigem
Toben nahm sie das herrische Meer an sich. Sie
kamen nie zurück in die Heimat Und zur letzten Ruhe
droben auf dem Berge über der Küste. Das Schick-
sal hatte es nicht gewollt.
Ihr Grab sollten die Fluten sein, als wären
sie wie Helden gestorben.
Emil Iaeobi
Die Mettenglocke.
„Mein ist die Dirne, last los, gib frei!"
„Nein, mein! Ich kam zuerst herbei.
Bei Gottes Donner, läßt du sie nicht,
Verdammter Grünrock, gelbschnäbliger Wicht,
Die Rippen dir brech' ich wie morsches Holz!"
„Schab' ab, du Junker Bettelstolz!
Mein Messer, es macht die Bahn mir frei." —
„Nimm das!" — „Hilf Gott — mir gnädig sei!" —
Der Jäger wankt — es schießt ein Strahl
Hellroten Blutes im staubigen Saal —
Rings starre Gesichter — „Mordio! Greift ihn,
Den kecken Scholaren — Laßt nicht ihn entflieh'n!"
So schwirrt's durcheinander im wilden Getön —
Er aber wie Mars selbst ist anzusehn,
Steht blitzenden Auges und hoch den Stahl
Und im Arm die Dirne, die bleich und fahl
Zu ihren Füßen den Jäger sieht,
Dem der letzte Odem schwerröchelnd entflieht.
Sie reißen sie von ihm, schon ist er umringt,
Dem der Schläger noch kn der Rechten blinkt.
Er wehrt sich wie rasend mit starkem Arm;
Doch sie hängen sich an wie ein Wespenschwarm —
Und bald ist das Spiel auch zu Ende geführt —
Da steht er, wutschäumend, mit Stricken geschnürt,
Umheult und beschimpft von der Bürgerschar,
Die um sich selber voll Sorge und Schrecken war.
154
„Des Kurfürsten Jäger — das tut nicht gut;
Denn Blut, das fordert wieder Blut.
Und wir, wir büßen es mit ohnmaßen,
Denn mit unserem Herrn ist nicht zu spaßen.
Da kommt er schon selber — wer rief ihn so schnell?
Nun sei Gott dir gnädig, du rascher Gesell."
Und es teilt sich die Menge; der Fürst tritt ein,
Auf dem Antlitz wie zuckenden Wetterschein.
Und er sieht seinen Jäger zu Boden gestreckt
Und den andern, der dasteht, das Haupt gereckt,
Im blitzenden Auge von Furcht nichts zu sehn —
Scholare, dir wird bald der Trotz vergehn.
„Was ist hier geschehen? Wer fing den Streit an?"
So herrscht er zum Schultheiß. „Ja, Herr, wer
begann,
Das — ja — mit Verlaub, ist schwer wohl zu
sagen —
Um ein Dirnlein natürlich hat man sich geschlagen,
Ein jeder sie hatte zum Tanze begehrt —
Der Student wohl zuerst — doch da hat ihm ver-
wehrt
Der Leibjäger Fritz das jungfrische Blut
Und zog seine Wehre — der and're voll Wut
Ging auch mit der Plempe gleich auf ihn los
Und Hieb und Hieb und Stoß um Stoß —
Und da — nun ja, da war's schon geschehn,
Wie Kurfürsten Gnaden ja selber sehn.
Wir sind ganz unschuldig, Herr, wollet's bedenken,
Und Eure Huld uns auch ferner schenken."
Da sieht sich der Fürst erst an den Scholaren,
Und er zuckt zusammen — vor vielen Jahren,
Da hat er zwei Augen wie diese gesehn,
Die seitdem ihm noch in der Seele stehn.
„Seid ihr wohl von Nürnberg?" „Jawohl, gnädger
Herr."
„Wie heißt eure Mutter? Ihr gleicht ihr wohl sehr?"
155
„Meine Mutter ist tot, hab' kaum sie gekannt;
Doch stammte sie hier aus dem Neckarland."
Der Fürst atmet schwer. — „Es ist ihr Sohn,
Die einst mir geschenkt süßer Minne Lohn.
Wie hat sie geweint, als ich sie verließ,
Doch weher noch brennt zur Stunde mir dies,
Daß ich ihr soll richten den eigenen Sohn,
Das ist schnöder Tat vergeltender Lohn.
Und doch — so heischt's die gebietende Pflicht:
Das Recht über alles! Doch leicht wird mir's nicht. —
Dir sei zur Beichte noch Zeit vergönnt,
Bis morgen zur Mette die Frühglocke tönt,
Dann soll dich der Freimann am Halse büßen,
Wer Blut vergoß, des Blut soll wieder fließen."
Er hat es gesagt — sie stehen gebannt —
Das blasse Mägdlein hebt flehend die Hand
Und ist vor dem Fürsten zu Boden geglitten,
Doch der ist klirrend hinausgeschritten. —
Sie führen ihn fort in ihrer Mitt,
Der auch jetzt noch geht mit stolzem Schritt,
Und scheu, wie vor einer verseuchten Leichen
Sie vor dem Dirnlein zur Seite weichen,
Das keinem doch ein Leides gefügt
Und wimmernd allein nun am Boden liegt.
„Wenn die Frühglocke tönt — weh — die Frist ist knapp,
Denn schon naht der Abend, dann tun sie ihn ab.
Und wenn sie nicht tönt — könnt' ein Wunder es
lenken,
Dann müßt' ihn Ott Heinrich zurück mir schenken."
Und schon hat sie vom Boden sich aufgerafft
Und schnellt zur Höh', alle Glieder gestrafft,
Und schon fliegt sie zur Kirche, zum offenen Turm
Und die Stiege hinauf, wie getragen vom Sturm,
Und die Leitern, die langen, schier ohne Ende
„Gib Gott, daß die Falltür noch offen stände!"
Und sie findet sie offen, und da sind die Glocken —
156
Ihr bleibt vor Erregung der Atem stocken —
Bald die mittlere Glocke beginnt sich zu regen
Und läutet hinaus nun den Abendsegen.
Das Angelus domini dieselbe singt,
Von der auch morgens die Mette erklingt.
Sie betet den Segen aus Herzensgrund;
Doch kaum verstummt der eherne Mund,
Da hat sie das Röcklein schon abgestreift,
Schnell hin zur mittleren Glocke sie läuft.
Und eins — zwei —; drei — um den Klöppel sie wand
Den wollenen Rock fest mit dem Schürzenband,
Dann sinkt sie nieder und faltet die Hände:
„O Herr, führe alles zum guten Ende
Und rette ihn, dem nur ob Minnepflicht
Der Freimann wohl morgen den Sünderstab bricht."
Und sie kauert sich nieder — sie kann nicht hinaus —
Zum Angelus schließt man das Gotteshaus.
Und Stunde um Stunde vorüberrinnt,
Und qualvoll sie harrt, und zitternd sie sinnt —
Da frühlichtet's schon im Dämmerschein,
Sie höret unten schon Lärmen und Schrein
Und Kettengerassel, Kommandowort:
„Allmächtiger Himmel, sie führen ihn fort,
Und wenn sie ihm dennoch den Tod bereiten
Und warten nicht auf das Glockenläuten?" —
Da regt sich der Strick, und die Glocke schwingt,
Und der Klöppel schlügt an, doch kein Ton erklingt,
Und stärker zerrt man am Glockenstrang —
Doch immer noch kein Läuten klang.
Da hört sie Laufen und angstvollen Schrei:
„Alle guten Geister! 's ist Hererei!"
Und unten am Kirchplatz der Delinquent,
Der fallet zum letzten Ave die Händ',
Da hört er das Lärmen und bangvolle Schrein,
Aus dem Turme der Glöckner jetzt wankt allein:
„Die Elock' ist verzaubert — Gott steh' uns bei!
Der Hexenmeister ist vogelfrei."
Da ist schon der Kurfürst, der stirnrunzelnd fragt
Und dem man die nämliche Mär ansagt.
„Zum Turme steigt auf, und dort sehet nach,
Wer die Hererei verübte sonach."
Und es dauert nicht lange, da kommt man zurück,
Bringt das Dirnlein gefesselt mit dickem Strick.
Und weinend sinkt's nieder und beichtet vor allen,
Wie's der Gerechtigkeit in die Arme gefallen. —
Nun des Kurfürsten Blick lange gütig ruht
Auf dem heisterregten, frischrosigen Blut.
„Die Frühglocke freilich hat nicht getönt,
Drum sei auch mit Tode er nicht gepönt —
Laßt frei ihn zur Stund! Doch, versprich mir, Gesell,
Daß zu Kaisers Heer du wirst fahren schnell
Und gegen der Türken unheilige Brut
Für Kaiser und Reich wirst wagen dein Blut.
Und hast du drei Jahre gekämpft somasten,
Steht wieder zum Neckar dir frei die Straßen —
Und bedank' dich bei der und bei einer Toten. —"
Über des Burschen Gesicht die Gluten hinlohten —
Und er hält sie im Arm und küßt ihr den Mund:
„Herr Pfalzgraf Ott Heinrich, ich schwör' euch zur
Stund',
Wenn wieder ich kehre aus Türkenreihn,
WM ich der getreueste Manne euch sein.
Und kein Engel so herrlich wohl jemals sang
Als die Mettenglocke, die nicht erklang."
Der Tag verdämmerte in roten Gluten,
Und purpurfarben liegt das stille Meer,
Nur leise plätschern matte, müde Fluten
Vom lichtumstrahlten fernen Lido her.
158
Die Nacht steigt grauschwarz aus dem Meere auf,
Die Sonne starb schön in Raketenflammen;
Der engen Gassen, Straßen wirrer Lauf
Drängt auf der Piazetta sich zusammen.
Das schwatzt und lacht And lärmt im Nimmerrasten,
Nur schweigend liegt San Marcos heilig Haus;
Doch aus der Menge flutend buntem Hasten
Drängt in das stille Meer es mich hinaus.
Leis taucht die Gondel in die stumme Nacht,
Vorbei der Serenata Lautenklang —
Nun hältst du mich umfangen, heilige Macht,
Entrückt des Tages Lärm und Spiel und Sang.
Der Nachtluft weiche Fluten schmeicheln leise
Sich um mich her wie Duft von deutschem Flieder,
Eintönig klingt im Takt des Ruders Weise,
Und wohligsütz entspannen sich die Glieder.
Venezia Bella! Zauberisches Wort!
Von Mondenlicht und Poesie so lind umdämmert,
Du klingst im Echo ewig in mir fort,
In der Erinn'rung Tafel eingehämmert.
Ein Sternendiadem, wie eine Braut,
Trägt funkelnd deine Stirn zur Hochzeitsfeier,
Und schmeichelnd um die Schultern weich und traut
Das grüne Mondenlicht schlingt zarte Schleier.
Und träumend lag ich, ließ die Gondel gleiten
Und sah hinauf zum schwarzbesäten Himmel —
Da plötzlich, plötzlich will es mich bedeuten,
Daß um mich irrt ein wildbewegt Gewimmel.
Ich sehe durch die Mauern der Paläste
Prunksäle, Gold und Glanz und froh Gewühl
Im üppig lustbeschwingten leichten Feste
Und Tänzerinnen, Sang und Saitenspiel.
Vergangne Zeiten werden mir lebendig,
Venezia bella strahlt im Festgewand —
Nach außen Pracht und Glanz und doch inwendig
Des Kirchhofs Moderduft am Grabesrand.
Ich seh des Dogen goldne Gondel fliegen,
Die lustberaufchle Menge tobt und gellt,
Die Kunde steigt von neuen, großen Siegen:
„Der Königin des Meers gehört die Welt."
Doch plötzlich wird so bänglich mir zu Mute,
Gleich Schreckgespenstern steigt es wild herauf,
Ich gleite nicht im Wasser, nein im Blute,
Mit wildem Schrei erwachend fahr' ich auf.
Mir ist, als sah' ich grell Mordbeile blinken,
Die Seufzerbrücke hört den Todesschrei,
Ich seh den Boden Ströme Blutes trinken —
„Hinweg, Gespenster all, vorbei, vorbei!"
Und friedlich schimmern alle Sterne nieder,
Eintönig klingt des Ruders leiser Schlag.
Da sind die dunklen Prachtgebäude wieder
Und dort der Lido, leuchtend wie der Tag.
Doch fröstelnd laß ich schlaff mich niedersinken. —
Was man doch träumend da für Märchen liest!
Ich mag das helle Mondlicht nicht mehr trinken:
Venedigs Geister haben mich gegrüßt.
Imächnee sturme.
Hei, wie sie tanzen, und wie Pe fliegen,
Wie sie hasten, und wie sie sich wiegen!
Schwestern, ihr Schwestern, zum lustigen Reih'n
.160
Jauchzend ihr stürzt euch bergabwärts, talein.
Sturmbraut mit flatterndem Mantel euch trägt,
Wild sie dem Schimmel die Sporen einschlägt.
Heissa! Juchhei! Könnt' ich mit euch so brausen,
Leichtbeschwingt so durch das Wetter hinsausen,
Erdenlust, Erdenlast jäh abgeschält,
Nicht mehr vom Werkeltag abgequält!
Kommet und hemmet den rasenden Lauf!
Ich breite die Arme, ich fange euch auf.
Und wie die Mücken ums strahlende Licht,
So wirbelt ihr mir um das Angesicht.
Doch weh' euch! Wie sie, so müßt ihr verderben.
Ich kann euch nicht halten, ihr müsset sterben,
Und sterbet doch gern voll jauchzender Lust
Am heißen Gesicht, an wogender Brust.
Frau Sonne den graulichten Mantel zerreißt
Und leckend sie über das Blachfeld hingleißt;
So tötet sie, Schwestern, euch alle zugleich.
Die Windsbraut umflattert mich kosend Und weich.
Doch die Sonne, jetzt kann sie sich strahlend erheben
Und wecket euch auf zu eratmendem Leben;
Schon trägt sie auf rosigem, göttlichem Strahl
Euch saugend und schwebend ins unendliche All. —
Ich streiche die Haare mir aus dem Gesicht —
Ein weher Gedanke verläßt mich nicht:
Und ich?
Gleich' ich nicht euch?
Eine Flocke nur in dem Weltenreich!
.Vom Sturm umwirbelt, talab getrieben,
Vom Leben getragen und bald zerrieben.
Und dann?
Komm', Sonne!
Meine Mutter.
Im strahlendhellen Festessaale
Ein Dichter sprach mit Glanz und Schwung,
I
- 161 -
Und aus der Menge Andachlschweigen
Sprach deutlich die Begeisterung.
Er sprach von seiner lieben Mutter,
Von Sorgen, Schmerzen, trüb und schwer,
Da sie in seiner Kindheit Fährten
Das Weh verscheuchte um ihn her.
Mir ward bei diesem Treugedenken
So eigen weh um Herz und Sinn —
Zur eignen Mutter, zu der Kindheit
Flog wehmutsvoll Erinnern hin.
Lebendig wurden Tag und Nächte
Und Jubel, Tränen, laut und lind,
Und sie stand da wie eine Heilige
Vor mir, der wieder ich ein Kind.
Ja, Mutter, du bist mir gewesen
Voll Poesie ein hehr' Gedicht:
Ich könnt' es lesen, wieder lesen,
Doch deklamieren könnt' ich's nicht.
Nolte, Kasseler Dichterbuch.
11
Hermann Kuno.
In der letzten Stunde.
Beängstigt sahen wir den Zeiger rücken,
Doch keines sprach von Trennung und vom Scheiden,
Am nicht zu mehren noch des andern Leiden,
Den Pfeil nicht tiefer noch ins Herz zu drücken.
Wie aber sollte uns die Täuschung glücken,
Wie sollten wir die Seelenqual verkleiden
Mit seichtem Wort? Bewußt war ja uns beiden:
Wir werden nie mehr uns ins Auge blicken.
Stumm saßen wir, die Hände fest verschlungen,
Der Zeiger aber rückte ohn' Erbarmen —
Du bist mit einem Schrei erst aufgesprungen,
Als stockend ich gestand, daß fort ich müsse;
Aufschluchzend lagst du dann in meinen Armen,
Gabst mir den letzten deiner süßen Küsse.
Das Areuz.
Bei den Linden dort am Hange
Stand ein Kreuz aus Holz gezimmert,
Altersschwach und morsch schon lange,
Hat der Sturm es nun zertrümmert.
— 163 —
Aufgepflanzt hat es der Glaube
Und mit Kränzen fromm umwunden.
Armes Kreuz! Du liegst im Staube,
Du, das Ehrfurcht einst gefunden!
Kinderaugen, tränbetauet,
Waren treu auf dich gerichtet,
Mancher Wunsch ward dir vertrauet,
Manchen Streit hast du geschlichtet.
Zog der Bursch' hinaus ins Leben,
Stand er hier noch einmal stille,
Am Gebet den Blick zu heben,
Daß sein Hoffen sich erfülle.
Braut und Bräutigam, sie nahten,
Zu erflehn des Himmels Segen,
Gingen froh und wohlberaten
Ihrer Zukunft dann entgegen.
Mütterlein mit weißen Haaren
Lag vor dir und rang die Hände,
Daß der Himmel die Gefahren
Von dem fernen Sohne wende.
Und selbst lebensmüde Greise
Hoben flehend ihre Arme,
Daß der Tod in sanfter Weise
Ihrer Leiden sich erbarme.
Allen tiefgebeugten Seelen,
Deren Hoffnungen vernichtet,
Die in Angst und Reu' sich quälen,
Warst du tröstend aufgerichtet.
Dich, du Kreuz, so auserlesen,
Hat der Sturm nun Umgerissen,
Was der Menschheit du gewesen,
Bald wird es wohl niemand wissen.
,164
Niemand wird dich dann beklagen,
Deine Deutung niemand kennen,
In das Dorf wird man dich tragen
Und zersplittern und verbrennen.
Steigt empor dann aus den Flammen
Ihr Gebete, Seufzer, Klagen!
Brach der Sturm das Kreuz zusammen,
Euch wird er zum Himmel tragen.
Eine Blume.
Tief erregte manche Blume
Schon mein Herz und mein Gemüt,
Ob sie in der Ackerkrume,
Ob sie in dem Park erblüht,
Ob in erstem Schönheitstriebe
Sie von einem Kind gepflückt,
Ob, gesendet von der Liebe,
Sie ein Frauenhaupt geschmückt,
Ob sie in den Kranz gebunden,
Der des Helden Stirn umwand,
Ob ich sie in bangen Stunden
Auf dem Grab des Freundes fand.
Aber die mit banger Trauer
Doch am meisten mich bewegt,
Wuchs auf einer Kerkermauer,
Angepflanzt und ungepflegt.
Aus des Fenstersimses Spalte
Ist erblüht sie unverhofft,
Ängstlich, ob sie sich erhalte,
Forschte der Gefangne oft.
Freudig, zwischen Kerkergittern
Hat er sie entstehen seh'n,
Angstvoll sah er sie erzittern
Bei des rauhen Sturmes Weh'n.
Er erbat des Himmels Segen,
Ihr zu wahren jedes Blatt,
Flehentlich bat er um Regen,
Schien sie trocken, welk und matt.
Sie, die ihm das Glück gespendet,
Die aus düst'rer Mauerklust
Einen Strahl der Freude sendet,
In der Freiheit dunkle Gruft.
Daß ein Engel sie bewache!
Reißt der Sturm die Blüten fort,
Dann verschone er das schwache
Blümlein an der Mauer dort.
Der Gebirgssee.
Es liegt ein kleiner See im Hochgebirge,
Von steilen Felsenwänden rings umgeben;
Vereinzelt streben nur von seinen Ufern
Hochstämm'ge Zirbelkiefern auf zum Himmel
Und malen sich in seinen dunklen Fluten.
So deutlich,' wie in einem schwarzen Spiegel.
Nur selten fällt ein Strahl der goldnen Sonne
Durch Felsenklüfte wärmend auf das Wasser
Und gleitet glitzernd über seine Fläche,
Als scheute er sich, tiefer einzutauchen.
Geheimnisvoller See! Welch' einen Abgrund
Deckst du mit deiner stillen glatten Schönheit,
Dem starr verschloss'nen Menschenherzen ähnlich,
Das seine Tiefen stolz der Welt verhüllet
Und manchmal nur den Strahl des Götterfunkens
Im dunklen Augenpaare läßt erglänzen.
166
Tunis.
In Tunis, im Araberviertel war
Ich ernst, mich windend durch das Volksgedränge,
Betäubt vom Lärm unlaut'rer Händlerschar
Und arg belästigt von der Bettler Menge.
Bald einen golddurchwirkten, bunten Schal,
Bald einen Fez, bald Fächer, Dolch und Degen
Und falsche Ambraketten ohne Zahl
Hielt man zudringlich immer mir entgegen.
Da dachte ich: Wie schmutzig und wie roh
Ist doch das Volk, von dem du hier umgeben,
Marktschreierisch und nur des Vorteils froh
Und edler Regung bar das ganze Leben. —
Da plötzlich teilte sich der Menschenschwarm
Und bildete voll Ehrfurcht eine Gasse,
Und sieh, durch diese, einen Korb am Arm,
Ein blindes Mädchen kommt herab die Straße.
Fortwährend rufend: „Achtung, ich bin blind;
Laßt ihren Weg der Blinden ohn' Geleite!"
Wie einem hohen Gaste gab geschwind
Ein jeder Raum und sprang behend zur Seite.
Wenn auch so mancher einen Stoß erhielt,
Den Grund erkennend, blieb er still und heiter,
Das Ungestüm zu dulden, gern gewillt,
Schritt nur in freier Bahn die Blinde weiter!
Ein Geldstück glitt in ihre braune Hand;
Sie nahm es an, das Haupt mir zugewendet,
Und lächelte vergnügt, und dies empfand
Ms Schönstes ich, was mir der Tag gespendet.
167
Doch du, Arabervolk, verzeihe mir,
Daß ich für roh dich hielt und für verdorben;
Es ist doch Anstand, gute Sitte hier,
Wo Unglück so viel Achtung sich erworben.
Noch bessere Zeiten sehen wird dies Land,
Zur höchsten Bildung kann sein Volk erblühen;
Es pochen unter ärmlichem Gewand
Doch Herzen, die in Mitleid rasch erglühen.
Km äüdseegestade.
Glatt liegt im Sonnenglanz das weite Meer,
Und friedlich ruh'n die schweren Wassermassen,
Die im Gebirg geboren, weite Länder,
Zllm Meere strebend, segensreich durchzogen. —
Doch kommt der Sturm vom fernen Waldgebirge
Und kündet er von kühlen Felsenschluchten,
Durch die der Sturzbach brausend tost und sprühet;
Erzählt er von den schneebedeckten Gipfeln
Des Hochgebirgs, der Heimat der Gewässer,
Dann wallen sie empor in Heister Sehnsucht;
Die Wellen drängen sich zum sand'gen Ufer
Und überstürzen schäumend sich und suchen
Vergeblich ihr verlor'nes Jugendglück.
Kurze U a st.
Wir ritten schweigend durch das Land,
Weil wir auf Kundschaft waren.
An eines Baches Wiesenrand
Befahl der wack're Kommandant:
„Latzt uns die Rosse tränken,
Will kurze Rast dann schenken
Euch tapferen Husaren."
Und so geschah's. — Stumm streckten mir
Uns in des Schattens Kühle;
Es war so schön, so traulich hier,
Ich lag und sann, da war es mir
Bei angestrengtem Lauschen,
Als hörte ich das Rauschen
Und Klappern einer Mühle.
Gleich trat vor meiner Seele Blick
Ein Bild! — Ich schloß die Lider. —
Des Vaters Haus träumt ich zurück,
Des Nachbars Mühle und mein Glück,
Das dort in holden Stunden
Beim Liebchen ich gefunden.
O, Glück, kehrst du mir wieder?
Ein Wink nur, den der Führer gab,
Und fort auf fremden Wegen
Ging's weiter nun in scharfem Trab
Das schöne weite Tal hinab,
Dann zwischen Rebenhügeln
Fort mit verhängten Zügeln,
Vielleicht dem Tod entgegen.
Lingg von Linggenfeld.
20. Februar 1807.
Es rief der Hörner heller Ton
Das Bad'ner Mgerbataillon
Am Marktplatz rasch zusammen.
Jetzt naht Major von Linggenfeld;
Kurz ist die Rede, die er hält,
Die Herzen zu entflammen:
„Weil Hersfeld aufgelehnt sich hat,
Sei schwer gezüchtigt diese Stadt,
So muß ich euch verkünden.
Erst plündern lassen soll ich hier,
Und an vier Ecken haben wir
Den Ort dann anzuzünden.
Napoleon macht dies zur Pflicht,
Allein befehlen will ich's nicht
Euch deutschen Landeskindern.
Freiwillig bilde sich ein Korps;
Es trete vor die Front hervor,
Wer Lust hat hier Zu plündern."
Da steh'n die Männer wie von Erz,
Dem Kommandeur pocht hoch das Herz
Und feine Augen glühen.
„Zu plündern keiner scheint gewillt,
Nun sei der Brandbefehl erfüllt,
Dann wollen fort wir ziehen."
Und an vier Ecken wählt er aus,
Entfernt vom Städtchen je ein Haus,
Baufällig und verlassen.
Und diese steckt man jetzt in Brand,
Vier Feuer leuchten weit ins Land,
Verschonend Hersfelds Gassen.
Ein Hornsignal! Es klingt das Spiel,
Fort zieht die Schar dem nächsten Ziel,
Der Freiheit bald entgegen.
Held Linggenfeld blickt froh zurück:
„Deutschireue Stadt bewahr' dein Glück,
Auf dir ruh' Gottes Segen."
170
Die Hallenburg*).
Aus allem, ebelert Geschlecht
War Ritter Kurt vom Hallensteine,
Der Erste stets in dem Gefecht,
Der Letzte immer bei dem Weine.
Er hielt zu Kaiser und zu Reich,
Auf blanke Ehre, gute Waffen,
Kein Degen kam dem seinen gleich,
Kein Feind macht lange ihm zu schaffen.
Als einsam er durch einen Wald
Einst ritt, erscholl ein Hilferufen;
Zu jener Stelle trug ihn bald
Sein treues Roß mit flücht'gen Hufen.
Ein Klosterfräulein ward entführt
Von wüsten, fahrenden Gesellen,
Der Räuber Herz blieb ungerührt,
Kein flehend Auge konnt's erhellen.
Da fuhr gleich einem Wetterstrahl
Dazwischen nun der tapf're Degen,
Bald war der Gegner Überzahl,
In heißem Kampf mit ihm, erlegen.
Die Jungfrau hat zu Gott gewandt
Sich erst in glühendem Gebete,
Ergriff sodann des Retters Hand:
„Vernimm, was ich für Dich erflehte."
Bei Steinbach-Lallenberg. Die drei uralten Kiefern
find noch erhalten und bilden das Wappen von Steinbach-
Lallenberg.
171
„Schwebt einst Dein Leben in Gefahr,
Erbitte Lohn für diese Stunde,
Und Rettung wird Dir wunderbar
Und allen, die mit Dir im Bunde." — —
Es gingen Jahre drüber hin,
Kurt war durch manches Land gezogen,
Nur Kampf und Sieg lag ihm im Sinn,
Das Waffenglück blieb ihm gewogen.
Hieran gewöhnt und an Gefahr,
Tat er sich sorglos bald erweisen,
Und es gelang der Feinde Schar,
Ihn einstens völlig einzukreisen.
In einem Kiefernwald versteckt
War Kurt mit wenigen Getreuen,
Und ach, kein Ausweg ward entdeckt,
Kein Mittel, um sich zu befreien.
Da sank er in die Knie und bat
Und hob zum Himmel beide Arme:
„Nun sende Rettung, schaffe Rat,
Zum Lohn für damals dich erbarme!"
Und sieh, im Zick-Zack um ihn her
Entsteigen — Kurt traut kaum den Sinnen —
Dem Waldgrund Quader groß und schwer,
Gefugt wie eines Schlosses Zinnen.
Und immer höher, ohne Halt,
Schiebt sich das Mauerwerk nach oben,
Kurt samt drei Kiefern aus dem Wald
Wird mehr und mehr emporgehoben.
Den Zmnen und den Giebeln nach
Folgt ein Geschoß nun mit Balkönen,
Mit Erkerstub' und Prunkgemach,
Da möcht' es sich behaglich wohnen.
Nun steigt Geschoß auf nach Geschoß,
Auf daß der Bau vollendet werde,
Zuletzt vom schönen festen Schloß
Wühlt sich der Sockel aus der Erde.
Ein steiler Fels, dem Schloß zum Schutz,
Hebt es noch aus dem Waldesgrunde,
So steht es da, dem Feind zum Trutz,
Beherrschend nun die weite Runde.
Kurts Knappen, jetzt im sichern Hort
Des Burghofs, glauben noch zu träumen,
Doch auf des Turmes höchstem Bord
Steht Kurt mit den drei Kieferbäumen.
Der Feind zog ab; es war ihm klar,
Vergeblich ist es wohl, zu fechten
Mit einem, der so wunderbar
Beschirmet wird von höh'ren Mächten.
Und Kurt genoß noch lange Zeit
Das schöne Los, das ihm beschieden:
Nach Zugendsturm, Behaglichkeit,
Nach schweren Kämpfen, langen Frieden.
Das Schloß, trotz Wetterschlag und Sturm,
Erhielt sich bis zu unsern Ärgen,
Und hoch von der Ruine Turm
Sieht man drei mächt'ge Kiefern ragen.
Karl Johann Kreitz.
Vier Tage des Lebens.
Ein Maientag! Sieh rings die Blütenflocken,
Der Anger grün, der Himmel klar und blau —
Sieh, höre, wie es klingt durch Feld und Au,
Fast wie ein einzig jubelndes Frohlocken.
Im Büsch singt Fink und Amsel und im Hain
Hörst du den Kuckuck, der heut wiederkehrte,
And aus der Weide dort am Wiesenrain
Vergnügt der Schäfer sich mit seiner Herde.
Ein Maienlag! Zeit jugendlicher Wonne,
Voll Unschuld, wie der Blütenschnee am Baum,
Voll Hoffnung, grün wie jetzt des Waldes Saum,
Voll Sang und Klang, voll Himmelsblau und Sonne.
— Zwei Kinder spielen — sieh, im Gärtchen dort;
Ein Knabe und ein Mädchen ist's — sie singen
Vom lieben Mai: „O geh so schnell nicht fort,
Wir wollen lange scherzen noch und springen!"
Ein Sommerlag! Heitz sind der Sonne Strahlen,
Die Saaten reifen und der Bäume Frucht,
Kristallhell rauscht der Waldbach durch die Schlucht,
In die sich durst'ge Rehe schüchtern stahlen.
Wie bunt die Wiesen sind, die's Bächlein netzt,
Die Hecken bunt, das Kornfeld und die Weide
And alles duftet Würz und Leben jetzt,
Und alles atmet sommerliche Freude.
174
Ein Sommertag! O schöne Zeit der Reife,
Zeit der Erfüllung in der Tage Hast —
„An Früchten reich, reich aber auch an Last",
Schreibt man dir auf des Erntekranzes Schleife.
Der kühle Abend winkt zur Ruh. O fchaü!
Vorm Häuschen unterm Lindenbaum die lieben
Jugendgefpielen wurden Mann und Frau,
— Ein kinderfrohes Paar, umspielt von sieben.
Ein H e r b st t a g i st' s! Gelb ward es auf den
Feldern,
Gelb in den Bäumen, wo die reife Frucht,
— Spätbirn und Apfel — durch die Blätter lugt,
Und süße Trauben mahnen sie zu keltern.
Schon ziemlich still ist es in der Natur,
Die meisten Vögel zogen fort nach Süden,
Der Kindersang verklang, und einsam nur
Sieht man den Schäfer noch die Schafe hüten.
Ein Herbsttag ist's! Der volle Erntesegen,
Den Gott gab, wird nun bald geborgen sein,
— Beginnt man in der Erde Schoß hinein
Doch schon das neue Samenkorn zu legen.
Und wie es still und stiller ward da drauß,
Ist's still geworden drinnen bei den Alten — —
— Denn als die Kinder aus dem Elternhaus,
Sah man den Herbst auch da an Haar und Falten.
Ein Winter tag! In dichtem Nebelschleier
Liegt eingehüllt das schneebedeckte Tal,
Und durch die Hülle dringt kein Sonnenstrahl —
Nur dort an jenem Hügel wird es freier;
Sonst ist es grau und tot und grabesstill,
Und darum paßt das Leichentuch der Erde,
Die jetzt so kalt geworden, schlafen will,
Bis Gott, wie einst, ihr wieder zuruft: „Werde"!
Ern Wintertag! Schnee, Nebel, kahle Bäume.
Erstarrte Bäche und gefrorne Seen
Erinnern an das Werden und Vergeh'n,
An Lebenswirklichkeit und Lebensträume.
— Die Menschen. denen einst der Mai gelacht,
Der Sommer reifte und der Herbst gegeben,
Dort nach dem Hügel hat man sie gebracht
Am Wintertag — das Glöcklein kündet's eben
Und als das Glöcklein klang, ward's Licht von oben,
Ein Sonnenstrahl drang durch den Nebelflor,
Man sah die Gräber durch das Friedhofstor,
Man sah die Kreuze auf dem Hügel droben —
— Verklärt schien alles dort im Himmelslicht:
Lenz, Sommer, Herbst und Winter dieses Lebens,
— Des Lebens, das nicht stirbt, wenn's Auge bricht,
Bei allen, die gelebt hier nicht vergebens.
Wir saßen im Gärtchen beim Hause
— Ich las und sie hat gestrickt
Bis rastend in einer Pause
Herüber zu mir sie geblickt:
„Was steht denn heut in der Zeitung?
Du putz'st ja die Brille so fein,
Mein Alterchen, 'was von Bedeutung
Must es gewiß doch schon sein."
„Ich lese die Wochenberichte
Vom Standesamt, liebe Frau,
Ein Stückchen Menschengeschichte
Studieret man möglichst genau;
176
Und das ist das Standesregister,
Wo das Werden und das Vergeh'n,
Wo Leben und Tod wie Geschwister
Einträchtig beinander steh'n.
Als wir uns vor langen Jahren
Gefunden, verlobt und vermählt,
Da hab' ich die glücklichen Paare
Oft in der Zeitung gezählt;
Gezählt all' die mutigen Leute,
Des Sprichworts gedenkend im Scherz:
Geteilte Freud', doppelte Freude,
Geteilter Schmerz, halber Schmerz.
Doch bald kam die Zeit, wo ich schaute
Schon selt'ner nach dieser Rubrik,
Und statt auf das Wörtchen „Getraute"
Fiel nun auf das nächste mein Blick.
— So geht es halt mit den Jahren,
Das Jnt'resse verändert sich — — —
„G eburtsanzeigen" — sie waren
Jehl int'ressanter für mich.
Wohl, weil ich selber nicht selten
Den Weg zum Amt hab' gemacht,
Pflichtschuldigst dort anzumelden,
Was freundlich der Storch uns gebracht;
Und weil ich an andere Leute
Nach dem Wort auch gedacht hab' im Scherz
Geteilte Freud', doppelte Freude,
Geteilter Schmerz, halber Schmerz.
Und nun sind wir alt geworden
Und sitzen im Gärtchen beim Haus,
— Solange nicht Winde von Norden
Uns treiben für immer hinaus.
Zwar foin ich der alle Geselle
Noch, doch was mich heut' int'refsiert,
Das, Frau, find die — „Todesfälle",
Die ich finde hier ausgeführt.
So mancher, so manche steht drunter,
Im Alter vom Nordwind geknickt,
Auch solche, die gestern noch munter
Gelesen oder gestriÄ." — — —
— So sprach er und putzte die Brille,
— Der Druck schien ihm heute so kraus —
Sie nickte — und dann ward es stille
Im kleinen Gärtchen beim Haus.
Aus
„Das tausendjährige Cassel."
Historische Festspieldichtung.
Sechstes Bild.
Cassel unter Landgraf Karl.
1. Szene.
Chassala und ein Hansegrebe (ein etwas ko-
mischer Protz mit Perücke).
Hansegrebe.
Die Jungfer wird mir schon gestatten müssen,
dah ich zuweilen and'ren Sinnes bin
Und zu so manchem, was alljeht geschieht,
ein ganz devotes Fragezeichen mache.
Chassala.
Ja, ihr begreift den Landgraf eben nicht.
Nolte, Kasseler Dichterbuch. 12
178
Hansegrebe.
O bitte sehr! Kuriose Sachen nur,
die wollen mir nicht immer in den Sinn.
Der gute Landgraf neuert mir zu viel,
nimmt sich Zuviel auf einmal vor und hat
kein Geld, die schönen Pläne auszuführen.
Chafsala.
Hat er bei euch schon einen Pump versucht?
Hansegrebe.
Ich hatte nicht die hohe Ehre, Jungfer.
Chafsala.
Die Hansegreben, sagt man, hätten Geld.
Hansegrebe.
Von einem Bürger borgt der Landgraf nicht,
und ich möcht' nicht für einen Borger bürgen.
Was er benötigt, holt er sich durch Simpeln.
Chafsala.
Es zahlt nur Steuern, wer sie zahlen kann,
und wer sie zahlt, dem geht es leidlich gut. —
Die neue Zeit heischt neue Taten, und
der Landgraf Karl müßt' in den Adern nicht
vom Zollernblut der Brandenburger haben,
um's nicht dem großen Kurfürst nachzutun.
Kolonisation und Industrie!
Das ist das Losungswort der neuen Zeit.
Das Land beleben und den Wohlstand heben,
aus Ackerstädten Bürgerstädte machen,
wie's Friedrich Wilhelm in der Mark getan,
— das hat der Landgraf Karl sich vorgenommen..
Und wenn auch nicht Paris aus Cassel wird,
so kann es doch ein größ'res Cassel werden.
Hansegrebe.
Mir schwindelt, Jungfer, vor dem Übermaß
des Neuen, Ungewohnten und — der Simpeln.
— Wozu das Künstlerhaus am Hohentor?
Die Schleiferei am Graben vor dem Schloß?
der neue Prachtpalast im Auepark?
Die Wasserkünste an dem Weißenstein?
Und alles, was der Landgraf sonst noch plant
Orangerien und Menagerien,
dazu den ganz phantastischen Kanal
von Sieburg an der Weser bis nach Cassel.
— O Himmel, lasse Gold herniederregnen,
sonst weih ich wirklich nicht, wie's gehen soll!
Chassala.
Zerbrecht euch nur nicht euren klugen Kopf;
Finanzminister sollt ihr ja nicht werden.
Der Landgraf wird schon wissen, was er tut.
Er legt auf allen Lurus fortan Steuern,
(spöttelnd) hauptsächlich auf Perücken — auch auf
Nur wer da meint, er müßt' das viele Stroh
darunter durch ein hübsches Dächlein schützen,
darf um Befreiung bitten.
Adelheid Manger.
verwunschen. . .
Hinter lauschigen Tarushecken leuchtet ein weites Ge-
mäuer hervor.
Sonnenstrahlen spielen Verstecken an dem goldenen Ein-
gangstor.
Glutrote Rosen nicken versonnen in dem sengenden Som-
merglast,
Und im ausgetrockneten Bronnen hält ein Eidechslein
Mittagsrast.
Über den Park, wie in alten Sagen, liegt geflüstert
ein Zauberbann,
Und die Mauern träumen von Tagen, als noch das
Brünnlein silbern rann,
Als noch die hellen Gartenwege leichter Mädchenschrilt
hallte entlang,
Wenn aus dem düsteren Tanngehege schluchzend das
Lied der Nachtigall klang.
Dann hinter roten Geranienblüten schimmerte Blond-
haar goldig und dicht,
Und am Abend saßen die Müden traulich bei röt-
lichem Ampellicht.
Oft drang hinaus in die Abendstille lustig ein Lied,
das der Blondkopf sang,
Wenn der Flieder blühte in Fülle duftend am nahen
Wkesenhang.
181
Nun ist verstummt das lustige Lachen, nun ist ver-
klungen froher Gesang,
Und Mischen Träumen und zwischen Wachen dämmert
der Garten, der Wiesenhang.
Perlende Bronnen sind längst verronnen, wild wu-
chern Blumen am Gartenzaun,
Glutrote Rosen nur wissen von Wonnen, können erzählen
von schönen Fraun . . . !
Khnung.
Wenn die Knospen erst erbrechen
Ihrer Hülle dunklen Schrein,
Wird der, den ich innig liebe,
Lang schon nicht mehr bei mir sein.
Wenn die Rosen duftend schwellen,
Und die Schwalben kreischend ziehn,
Wird, soweit die Wolken reichen,
Geist und Herz zu ihm entfliehn.
Wenn im Herbst die Blätter fallen,
Todeshauch die Erde küßt,
Weiß ich einen, der im Glücke
Bald fein erstes Lieb vergißt.
Das Käuzchen schrie. . .
Das Käuzchen schrie! — Wir rückten dicht zusammen.
Umschlungen saßen wir bis in die Nacht.
Im Ofen knisterten die hellen Flammen . . .
Wir haben nicht an Ort und Zeit gedacht.
Das Käuzchen schreit! — Nun bin ich ganz alleine,
Verlassen in der weiten großen Welt.
Habt ihr vergessen auch mein Sein, ich weine,
Daß nicht der Eine mir die Treue hält.
Die Rose weint.. .
Durchs offne Fenster weht ein Hauch der Nacht.
Die Kerzenflamme mit dem Tode ringt,
Und von den Rosen, die du mir gebracht,
Ein schwüler Duft zu mir herüberdringt.
Ich denke dein, und meine Sehnsucht eilt
Im Traum zu dir durchs nächtlich stille Land.
Ein jeder der Gedanken sinnend weilt
Bei dir im Feld, am Lagerfeuerbrand.
Es ruht in roter Rofenblätter Glut
Ein Tröpfchen Tau mit Zittern Und mit Beben,
Als ob in dieser duft'gen Blütenflut
Auch Liebe wohnte und auch Leben.
Ich glaube gar, die Rose hat geweint, —
---------Die Träne will ich still hinweg ihr küssen —
Daß sich zwei Menschen, die sich kaum geeint,
Durch Schicksals Fügung wieder trennen müssen.
Frühlings morgen.
Ein Frühlingsmorgen, wie er selten ist!
Noch webt ein grauer Schleier ob dem Ried,
Noch woget jener Dust in der Natur,
Der nur einmal im Jahr der Scholl' entflieht.
183
Das Märchen schwebt durchs taubeperlte Land,
Erzählt vom Winter, der, vom Lenz bekriegt,
Sich nur noch droben in den Bergen hält,
Bis ihn der Frühlingsgott auch dort besiegt.
Des Lenzes Blumenkinder schlafen noch.
Sie nicken träumend nur dem Märchen zu,
Und ein Verlangen nach dem Sonnenschein
Des Wonnemonds drängt sich in ihre Ruch'.
Zpätsommertag.
Ein Sommertag geht seinem Ende zu.
Mattgelber Goldglanz an des Himmelsrand,
Mit blau und rot gemischt, glimmt langsam auf
Und kündet, wo die Sonne leuchtend stand.
Vom Wiesenrain, wo letzte Blumen blühn,
Zieht eine Weise durch die Abendluft,
Die klingt wie Weinen um verlor'nes Glück
Und eint sich mit dem herben Wiesenduft.
Ein Hirtenknabe bläst auf der Schalmei
Ein kunstlos Lied, und doch hält's mich im Bann.
Weiß nicht, warum das Lied mich traurig macht,
Warum ich heut' nicht wieder lachen kann . . . !
Im Cafe.
Ein modernes Eafs . . . ! An marmornen Tischen,
Auf hochbein'gen Stühlchen, in lauschigen Nischen
Sitzt ein erlesenes Publikum,
Streitet und schwatzt über nichtige Dinge,
Tut, als ob Leben und Sterben dran hinge,
'Findet alles fade und dumm.
Herren tm Cut, mit Monokel und Glatzen
Üben sich hier in blasiertesten Fratzen
Und in galanten Reden dazu.
Damen — kokett nickt die Straußenfeder,
Zierliche Füßchen in dänischem Leder —
Lächeln und hören andächtig zu.
Hinter den Pfeilern, an allen Wänden
Wartet des Winks von gepflegten Händen
Stumm und befrackt das Bedientenheer.
Windel sich lautlos mit Gläsern und Tassen
Flink und geschickt durch die engen Gassen,
Zwischen den Tischen und Stühlen einher.
Über allem webt bläulicher Schimmer,
Brennt in die Augen und dämpft das Geflimmer
All der blendenden Lämpchen im Saal.
Da —! In das Lärmen und Lachen und Naschen,
In das Klirren von Gläsern und Flaschen,
Jauchzt eine Geige mit einem Mal'.
Pußtalieder . . ! Die weichen Akkorde
Schmeicheln sich, kosend wie Liebesworte,
Jedem Hörer ins lauschende Ohr.
Braune Zigeuner mit struppigen Haaren,
Flammenden Augen und wildem Gebühren
Locken den Klang aus den Saiten hervor.
In ihren Augen glimmt heißes Verlangen,
Sehnsucht brennt auf den braunen Wangen
Nach der Steppe, dem Sonnenbrand.
Im kalten Norden, in dumpfen Lokalen,
Geigen sie, Heimweh im Herzen und Qualen,
Traurige Weisen aus Ungarland.
Georg Mohr.
Die Eisfahrt.
Schon taucht in Purpur das schneeige Feld
Die nordische Sonne am flimmernden Belt,
Und fern überm Meer hinterm eisigen Strand
Webt wallende Nebel der Dämmerung Hand,
Der Wintertag in seltener Pracht
Beginnt zu weichen den Boten der Nacht. —
Da naht ein Schlitten, er jaget daher
Auf blitzendem Eis übers tiefe Meer,
In lustiger Fahrt unter fröhlichem Ruf,
Hell wie auf Kristall klingt der Rosse Huf.
„Held Dieter! Es gilt scharf ausgeschaut,
Ihr seht, wie das Meer seine Nebel braut,
Die tückischen Schleier, des Meeres List.
Ihr wißt, wo das Land doch zu finden ist?" —
„O müßige Frage!" lacht's hell zurück,
„Dem Fremden nur trüben die Nebel den Blick.
Das Meer war mir Wiege und Vaterland,
Ich führ' euch noch heute zum sichern Strand!" —
„Held Dieter, ihr seht, die Nacht bricht an,
Und Dunkel umhüllet die spiegelnde Bahn.
Vor Stunden wohl sah ich den letzten Baum,
Und endlos dünkt mir der weite Raum!" —
„Ei, laßt doch die Sorgen so trüb und bleich,
Ihr zieht doch als König durch euer Reich,
Durch das Reich, das jüngst ihr mit Schwertesmacht
Und starker Faust euch zu eigen gemacht!" —
„Held Dieter! Hört in der Ferne den Ton,
186
Es klingt mir wie Wellengebrause schon!
Ha, Dieter! Wendet! Ich glaube fast,
Ihr fehlet die Richtung in Dunkel und Hast!" —
„Herr König, Herr König, ich fehlte nie,
Seit als Knecht vor euch gebeugt ich das Knie,
Seit die Freiheit der Heimat im Staube lag,
Zertrümmert von eures Schwertes Schlag!" —
„Ha, Dieter! Was soll das? Die Rosse herum!
Ich ahne! Verräter, was bleibst du so stumm?
Schon kracht es im Eis, und die Rinde bricht schnell,
Und die tückische Ran lacht drunten hell!" —
„Laßt lachen die Ran! Wie Sturmgebraus,
Geht's im Flug in die alte Freiheit hinaus!
So reißt man die Ketten der Knechtschaft entzwei,
Herr König! Noch heut' wird die Heimat frei!
Hört ihr brausen und branden die freie Flut?
Ieht zeigt zum Sterben den Königsmut!
Ietzt geht zu Ende der Siegeslauf,
Ha, Freiheit! Du wiegst den Tod wohl auf!" —
Und krachend durchs Eis in das Meer hinaus
Saust der Schlitten dahin in der Wogen Gebraus.
Ein Schrei — und in gurgelnde Tiefen hinab
Sinkt Rotz und Mann in das feuchte Grab. —
Und die freien Wogen, dumpf und bang,
Die singen den Helden den Grabgesang. —
Die Lrautnacht.
Das war ein Gezech' heul in ftöhlicher Rund,
Herr Fruto schwankt heim zu spätnächtlicher Stund,
Er warb um der Herzogin Minne und Gold,
Und die stolze Schöne, sie war ihm hold. —
Und morgen — ein neues Freudengelag,
Da feiert mit ihr er den Hochzeitstag,
Da wird sie sein eigen in Glanz und Pracht
187
Und mit dem Weibe viel Reichtum und Macht. —
Jetzt taumelt er schwankend zum Zelt daher,
Jetzt sinkt er hin auf sein Lager schwer,
Umgaukelt von Träumen gar licht und hell
Entschlummert der Recke, der müde, schnell. —
Und wie er liegt und sich nimmer regt,
Der Vorhang sich leis wie im Winde bewegt,
Und es gleitet, unhörbar, ein Schatten der Nacht,
Herein eine bleiche Maid gar sacht.
Sie macht vor dem müden Schläfer halt
Und reckt empor die schlanke Gestalt,
Und zehrend trifft ihrer Blicke Glut
Den Helden, der wehrlos da vor ihr ruht.
Und hastig entfährt es bitter dem Mund:
„Herr Fruto, jetzt naht dein Verhängnis zur Stund,
Du schwurst, mich zu lieben, ich glaubte dir,
Du triebst dein loses Spiel mit mir.
Du Narr, du glaubtest vergessen zu sein,
Doch lichterloh flammt noch die Liebe mein,
Und die stolze Braut, die dein Herz entzückt,
Wird nie als dein Weib an die Brust gedrückt.
Mein bist du, mein bleibst du, Und sollt' es geschehen —
Wir wollen zusammen zur Hölle geh'n.
Den Hochzeitstrank, den bring' ich dir,
Die Muhme, die Waldfrau, braute ihn mir.
Hei, wie er glänzt in der Fackel Schein,
Ein feurig Tränklein, das stillt alle Pein!
Nimm hin, nimm hin, denn mein Trank ist gut,
'Ihn beut ja der Liebe verzehrende Glut!"
Und durch des Schläfers halboffenen Mund
Rinnt Tropfen für Tropfen hinab in den Schlund —
Ein Dehnen, ein Recken, ein Röcheln schwer
Und bald — unheimliche Ruhe umher. —
Das rasende Weib nun von ihm läßt,
Hellauf lacht sie schrill und schlürft den Rest»
Sinkt über den Helden todeswund
Und küstt chm jauchzend das Gift vom Mund:
„Du warst meine Freude, du warst mein Schmerz,
Nun raubt keine Welt mir dies Heldenherz!
Geliebter, erkennst du der Minne Macht?
Wir feiern zusammen die Hochzeitsnacht."
Die Hoffnung.
Kalt geht der Wind, und das weite Land
Hüllt dicht der Winter in weißes Gewand;
Der Mond strahlt nieder in ruhiger Pracht,
Und es funkelt und flimmert das Eis in der Nacht.
Ein Wandrer zieht dort die Straße allein,
Der Frost durchschauert ihm Mark und Bein,
Kein Baum, kein Haus rings, weit und breit,
Und der Körper so müd und die Herberg' so weit!
Wie kalt ist die Nacht und wie scharf der Ost!
Wie jede Faser durchdringt der Frost!
Das Auge wird trübe, der Fuß so schwer,
Er setzt sich nieder, er kann nicht mehr.
Da — fern, ganz fern eines Lichtleins Schein,
Und Schellengeläute, gar hell und fein!
Das trifft des ermüdeten Wandrers Ohr,
Der rafft sich noch einmal spähend empor.
Die Hilfe, die Rettung, sie naht sich dort,
Da ist seine Hoffnung, da ist sein Hort!
Das Licht, das Lichtlein, es nähert sich schon,
Und lauter erklingt der Schellen Ton.
Nur kurze Raft hier am Meilenstein,
Bald wird er gerettet, geborgen sein!
Er wird sie rufen, sie finden ihn,
Und gerettet kann er dann heimwärts ziehen. —
Und Heller erstrahlet des Lichtleins Glanz,
Die Glöcklein erklingen in lustigem Tanz:
Ein Schlitten gleitet mit leichter Last
Dort über das Schneefeld in fliegender Hast.
Die stattlichen Traber, gar edles Blut,
Sie jagen dahin voll Feuer und Mut,
Vom Haupte winket der Haarbusch kühn,
Und dampfende Wolken die Nüstern sprühn.
Sie kommen naher, sie sausen heran,
Doch keiner gewahrt am Wege den Mann,
Der stumm am Stein ohne Ruf und Laut
Mit starrem Aug' in die Ferne schaut.
Vorbei flieht der Schlitten — der Schellen Ton
Verklingt gar bald in der Ferne schon,
Und das Licht, das gleißend die Hoffnung trug,
Enteilt, entschwindet in eiligem Flug. —
Am Meilensteine nur stumm und kalt
Im Schnee noch kauert die Menschengestalt,
Das starre Auge zur Ferne gewandt,
Von wo ihm das Lichtlein die Hoffnung gesandt.
Der Buchhalter.
Trüb' strahlt das Licht, das Haupt gesenkt,
So sitzt er und zählt und rechnet und denkt
Über staubigen Büchern, dickleibig und schwer,
In denen, ein mächtiges Zahlenmeer,
Die schwarzen Zeichen, ein Heer von Raben,
Zusammen sich reihen zu Soll und Haben;
Da sitzt er wie heute seit Tag und Jahr,
Als der Scheitel noch prangte in üppigem Haar. -
- 190 —
Da sitzt er und rechnet tagaus, tagein,
Ob der Himmel trübe, ob Sonnenschein.
Ihn stört's nicht, ziehn jubelnd die Schwalben daher
Oder schlägt an die Fenster der Regen schwer.
So wachsen in ewigem Einerlei
Die Tage zu Wochen in stattlicher Reil/,
Die Wochen zum Jahre, das eilend entschwand,
Wie die Zahlen zur Seite, die Seiten zum Band. —
Heut' sitzt er nun, Auge und Wange fahl,
Beim Abschluß der Bücher zum dreißigsten Mal.
O Gott, wie schnell geht die Zeit dahin,
Und was hat das Leben gebracht an Gewinn?
Wer weiß, wie bald ihm die Stunde schlägt,
Das Buch seines Lebens den Schlußstrich trägt!
Wie wird, im Aug' blinkt der Träne Schein,
Von seinem Leben der Abschluß sein! —
Der Schnitter.
Der Schnitter geht um, der Schnitter geht um,
Er zieht durch die Felder still und jtumm,
Und über die Halme, ernst und schwer,
Zieht bang ein Hauch der Erwartung her.
Stumm wandert der Schnitter entlang die Reihn,
Und die Sichel blitzt und funkelt darein,
Und die goldenen Halme still und stumm,
Sie sinken Reihe für Reihe um.
Der Schnitter geht um, der Schnitter geht um,
Er zieht einher gar still und stumm,
Und das Leben, das fröhlich noch kreisen will,
Das fühlt sein Nahen und wird gar still.
Die Sichel leuchtet, die Sichel blinkt,
191
Und Leben um Leben getroffen sinkt,
Im weiten Felde kein Hauch, kein Ton —
Stumm schneidet der Schnitter und geht davon.
Lpatz und Lchwalbe.
Am Neste baut die Schwalbe
Wohl ohne Rast und Ruh',
Der dicke Spatz, der faule,
Schaut ihr behaglich zu.
Die Schwalbe blickt verwundert
Den trägen Dickkopf an:
Wann fängst du denn am Baue
Von deinem Nestchen an?
Der Sperling lacht und zwitschert:
Ich selber baue keins,
Ziehst du im Herbst zum Süden,
Dann nehm' ich eben deins! —
Max Müller.
Nordsee-Träumerei.
Kam ein fahrender Geselle
Einst zum nordischen Meeresstrand,
Lauschte, ob die grüne Welle
Hier sein Sehnen wohl verstand.
Und sie sang ihm traute Lieder,
Ach, so süß, so zaubervoll,
Klang wie alte Märchen wieder,
Was dem Lauscher da erscholl.
Sah mit Niren sich beleben
Bald den weißen Ufersand,
Die wie schaumgeboren eben
Traten auf das Inselland.
Lust und Freude, froh Bewegen
Ihre Reihen jäh durchbebt,
Wenn ein heller Silberregen
Sprühend da sich rings erhebt.
Abendschleker fiel herunter,
Da die Sonne golden sank,
Lichter Nebel, farbig bunter,
Ihre letzten Strahlen trank.
Ja, so weilt er, traumverloren,
Schlürfte echten Lebensmut,
Fühlte sich wie neugeboren
In dem Treiben — in der Flut.
193
Möchte fori und fort so sinnen,
Folgend flücht'gem Wogenziel,
Liegt ein wundersüßes Minnen
Doch im Kuß vom Wellenspiel. —
Rauher Tag zerriß den Schleier,
Den die Mondnacht hold gewebt —
Schmerzlich süße Abschiedsfeier —
Aber die Erinn'rung lebt.
Kbend am Bergsee.
Vor der Hütte an dem See
Saß ein Greis, — rings ew'ger Schnee
Säumt den fernen Bergesrand.
Wie er da so sinnend schaute,
Klangen fernher süße Laute —
Lichtdurchtränktes Zauberland.
Saß er da, noch traumbefangen,
Kam ein Mägdelein gegangen,
Bot ihm eine Rose dar,
Sprach mit leisem Kindesflehen:
„Guter Herr, wollt Ihr besehen
Meiner Blumen bunte Schar?" —
Und ein freundliches Verlangen
Rötet jetzt des Kindes Wangen,
Als zur Rose greift der Greis. — —
Und die Kleine wandert weiter —
Aus der Rose froh und heiter
Grüßt ihn holder Jugend Preis!
Ja, die süßen Jugendtöne
Wirken noch in alter Schöne
Auf das einst so frohe Herz. —
Nolle, Kasseler Dichterbuch.
Doch, er läßt die Rose fallen,
Leises Weh im Widerhallen
Löst in Tränen sanft den Schmerz.
Wohl, die Rose gleicht dem Leben,
Das die Gottheit uns gegeben
Und zurück zur Erde zwingt. —
Suchst du echte Rosenauen,
Brauchst du nur ins Herz zu schauen,
Wenn's von froher Jugend singt.
Weihnachtslicht.
Welch' ein wunderbarer Schimmer
Rings aus allen Fenstern bricht,
Golden strahlendes Geflimmer
Dringt in's Auge — Licht an Licht!
Wie vom Turm die Glocken läuten!
Wunderbarer süßer Ton
Füllt die Herzen all' mit Freuden,
Hebt sie auf zum ew'gen Thron,
Auf zum Himmel, da hernieder
Ward gesandt der Gottessohn —
Klingt doch holde Botschaft wieder,
Die uns brachte Gnadenlohn.
Ja, der Jugend gold'ne Tage
Steigen auf im Weihnachtsglanz
Und verdrängen ernste Klage
Hier im lichten Kerzenkranz.
Aller Schmerz und alles Leiden
Wird vom hellen Schein verweht,
Freundliche Gedanken gleiten
Durch die Seele im Gebet. —
195
Tönt der Engel himmlisch Singen:
Ehre sei Gott in der Höh',
Allen Menschen Frieden bringen
Soll's in Elend, Not und Weh!
Da in mildem Segen senken
Trost und Hoffnung sich herab,
Die der Christnacht heilig Schenken
Allen Menschen wiedergab.
Darum nicht im Leid verzagen,
Weihnachtslicht strahlt überall,
Wie in den Verheißungstagen
Von dem Kind im armen Stall.
Tränen, perlen.
Eine Perle: eine Träne
Deutet sie im Traume an,
Eine Träne: eine Perle
Deines Herzens Schatz gewann.
Deine Tränen sind mir Perlen,
Deine Perlen eitler Glanz;
Was braucht's Perlen, da durch Tränen
Wir verstanden uns schon ganz. — — —
Eine Träne: Perl' im Auge,
Die Dein gutes Herz geweint,
Perle: Eitelkeit der Seele,
Deren Stolz im Auge scheint. — — —
Weg darum mit falschen Perlen,
Echte Perlen: Tränen lind,
Die in schmerzvoll heißem Fühlen
Balsam deinen Wunden sind.
13*
- 196 -
Zrühlingskunde.
Wir schritten dahin jüngst, Hand in Hand,
Schneebedeckt rings Wald und Flur,
Sahen den Strom in eisigem Band:
Starre Winteröde nur. —
Und die Föhren tief neigten hernieder
Unter kristallener Last die Glieder.
Hei, wie der Sturmwind uns da umbraust'!
Hat mein Liebchen angefaßt,
Hat ihr die schwarzen Locken zerzaust,
Fest hielt ich die süße Last,
Hielt sie mit meinen Armen umschlungen,
Während der Sturm uns sein Lied gesungen.
Habe dann ihr ins Auge geblickt:
Dunkler, unendlicher See, —
Fühlt' mich in weite Ferne entrückt,
Wo schon geschmolzen der Schnee.
Trank mir aus ihrem Aug', von dem Munde
Neuen Frühlings beglückende Kunde.
5eKt.
Schau den perlenden Sekt im Pokal!
Grüßet dich, prickelnd, vieltaüsendmal,
Saget dir süße und liebe Dinge,
Was die Liebe für Freuden bringe,
Öffnet gar herrlichen Zukunftsblick:
Ewige Jugend und frohes Glück!
Sieh, wie die Wünsche perlen hervor
Aus den schäumenden Bläschen im Chor,
Wünsche für dich, du Liebe, du Holde,
Wünsche von ewigem Minnesolde.
Bringe das Glas dir in froher Lust
Latz sie mich finden an deiner Brust!
Der Liebe Zauber.
Der Liebe Zauber fühl' ich hell,
Wenn du mir nahst, du sützes Kind,
Weil deine Augen ja der Quell
Für alle meine Träume sind. —
Und, ach, dein Mund er ist die Stätte,
Wo meine Wünsche all ich bette!
Inge Nielsen.
Lebenshunger.
In Rosen möchte ich greifen
Wie in flutende Wasser
Und die volle Schönheit einatmen
Wie die Luft. ’
Mit beiden Armen möcht' ich umschlingen
Das heiße Leben
Und es an die Brust mir zwingen
Mit zitterndem Beben.
Möcht' lachen und weinen
Und leben und sterben in eins —
Und lue doch — kein's!
Küsse mich . . .!
Wie du küssest!
Bis in die Ewigkeit fühl' ich die Küsse!
Wie du glühst!
Bis in die Ewigkeit fühl ich die Glut!
Küß mich, du Wilder!
Küsse mir Mund And Augen und Ohren und Hals
und Haar,
Küß den Nacken, die Brust mir,
In Ewigkeit küß mich, du Lieber!
199
Sehnsucht.
Fort, du fort! Und ich allein hier — — —
Fort, im Zorn zogst du von mir!
Fort, ohn' Abschied, ohn' ein Wort der Liebe,.
Und ich steh' allein mit meiner grenzenlosen Liebe.
Denkst du meiner, denkst du meiner nur im Traume?
Spürst du in der Ferne, wie ich zu dir raune
Heiße, sehnsuchtsvolle Laute?
Ahnst du, fühlst du nicht mein Sehnen?
Meine Angst, mein Sorgen, meine Schmerzen
nicht? —
Oh, so wünscht' ich, daß sich meine Sehnsucht
Zu dir neigt mit großen, schwarzen Augen,
Dich erinnert an mein heißes Lieben
Und dich zwingt zu mir zurück, du Böser, Guter!
Stefanie Niemann
Mein Reich.
Mein Heim, das ist mein Königreich,
In dem ich froh regiere,
In dem ich einem Fürsten gleich
Gar stolz das Szepter führe.
Die Untertanen um mich her,
Die find mir treu ergeben,
Doch dafür lieb' ich sie auch mehr
Als selbst mein eig'nes Leben.
Und find's auch ihrer viere nur
Und zahlt mir keiner Steuer, —
Ob keiner auch mir Treue schwur, —
Sind sie mir dennoch teuer!
Gehuldigt wird mir Tag für Tag
Durch Blicke, Worte, Lieder.
Und wenn's auch Krieg mal geben mag, —
Nie gibt's zerschoss'ne Glieder!
Mein Reich ist ja nur eng und klein,
Hat Burgen nicht und Schlösser,
Doch braucht's auch größer nicht zu sein,
Ich wünsch' mir's gar nicht besser!
Der Mutter Heimgang.
Ihr kleinen Wesen ahnt noch nicht.
Wie schwer das Schicksal euch geschlagen.
Ihr steht mit staunendem Gesicht,
Begreift das Weinen nicht und Klagen
Der vielen Leute um euch her —
Selbst Vater steht und weint gar sehr??
Und dort die Mutter, still und bleich —
Sie will auch gar nicht heut' erwachen,
Zu sagen „Guten Morgen" euch,
Mit euch zu scherzen Und zu lachen.
Man legt sie in ein enges Haus
Und bringt für immer sie hinaus.
Doch bald wird es euch offenbar,
Was euch der bitt're Tod entrissen —
Ihr werdet mehr von Jahr zu Jahr
Die treue Mutterhand vermissen,
Wenn ihr von andern Kindern hört
Den Namen „Mutter", traut und wert.
Wie wird sich euer junges Herz
Dann schmerzlich nach der Mutter sehnen,
Um in her Freude —wie im Schmerz
Das Haupt an ihre Brust zu lehnen!
Ach! oft, gar oft noch rufet ihr:
„O! Mutter, wärst du doch noch hier!"
Kindlicher Groll.
Am Fenster steht grollend mein Töchterlein,
Wähnt mich im alltäglichen Nachmittagsschlummer;
Doch längst schon bemerkt' ich den sichtbaren Kummer,
Die Tränen in trotzigen Äugelein.
202
Daß draußen das Wetter so lind und lau,
Betrübt sie und nagt ihr am kindlichen Herzen.
Ja! sollt' man es glauben? sie sieht es mit Schmerzen,
Daß just wie im Lenze der Himmel blau.
Den Lippen entfährt ein beklommen „Ach",
Starr blickt sie hinauf in den sonnigen Himmel;
Wo blieb nun das flimmernde Flockengewimmel,
Das gestern noch Wolke und Wind versprach?
Im Wunschbrief, den sie für das Christkind schrieb,
Da stand doch ihr Schlitten an oberster Stelle;
Nun fehlt nur der Schnee. O, auf's neu' fließt die
Quelle
Aus zürnenden Äuglein, die rot sie rieb !
O, Mägdlein, ich wünsch' dir aus tiefstem Gemüt,
Daß niemals die Sonne, die heut' du magst schmälen,
Auf künftigem Lebensweg möge dir fehlen,
Nie größerer Kummer dein Herz durchzieht!
O, laß es dir sagen — du wirst bald groß —
Des Schicksals Wolken, die düsteren, dichten,
Die kommen von selbst — es ist das Verzichten
Unzähliger Menschen traurig' Los!
Im vämmerschein.
Die liebste und schönste Erholungsstunde,
Die kommt mir am Abend im Dämmerschein,
Wenn wackelnd und singend aus vollem Munde
Klein-Susi tritt zu mir ins Stübchen ein.
Behende erklettert sie dann meinen Schoß,
Spitzt 's Mäulchen, besinnt sich, und dann geht es
los:
203
Wie kräftig der Karo fein „Wau" kann bellen,
Wie drollig der lustige Harlekin
Mit feinen hellklingenden, blanken Schellen
Die zappligen Glieder wirft her und hin.
Dann wieder erzählt sie vom scheckigen Pferd,
Das mutig die prächtige Kutsche fortfährt.
Die lieben Guckaugen, die großen, runden,
Die schauen so froh und so lustig drein;
Die weißroten Bäckchen, die so gesunden,
Erglühen vor Eifer wie Röselein.
Oft blättert sie wichtig im Rotkäppchen-Buch
Und deucht sich als Kenner erfahren und klug.
Und ist es nicht Kunst- und nicht Weltgeschichte,
Nicht Literatur und nicht Politik,
Was ich vernehme aus dem Berichte,
Erzählt im verständlichsten Volapük —
Mir wäre das lieblichste Geigenkonzert
Noch lang nicht wie Susis Geschichten so wert.
Dem herzigen Stammeln, dem frohen Lachen,
Dem könnte ich lauschen wohl stundenlang,
Es kann mich so froh und so glücklich machen,
Als hört' ich im Sonnenschein Lerchensang.
Ja, gäb' man mir Perlen und Edelgestein,
Mein Dämmerstündchen — das tauscht' ich nicht ein
Geborgen.
Hast du müde dich gezappelt?
Steht das Mündchen endlich still,
Das so viel mir vorgepappelt
Von all'dem, was Bubi will?
204
Brachlest mit vergnügten Spielen
Hin den Tag nach Kinderart,
Bis dir zu die Äuglein fielen
Und zerrann die Gegenwart.
Wohlig ausgestreckt die Glieder,
Schläfst du nun auf meinem Scho st,
Eingelullt durch meine Lieder,
Aller Wünsche bar und bloß. —
Könnt' ich immer so dich halten,
Bergen an der treuen Brust
Vor des Lebens Schreckgestalten,
Du mein Kleinod, meine Luft!
Doch die Jahre eilend schwinden —
Wirst den eig'nen Weg bald gehn,
Dah den rechten du mög'st finden,
Will vom Himmel ich erflehn?
Der Kaiser kommt!
Wollt echtesten Patriotismus ihr sehen,
So schaut euch Unsere Kleinen nur an;
Die hohe Begeist'rung, der heilige Eifer,
Man hat die herzinnigste Freude daran.
Der Kaiser kommt heut'! Wie die Äugelein leuchten —
Wie wichtig durch sämtliche Räume das schwirrt —
„Hurra!" wird vom frühesten Morgen geschrieen,
Daß mir es ganz schwindlig im Kopf davon wird.
\ . I | - { ! \ ! - : | :
Die Susi versucht sich in würdigen Kniren,
Und schwenket das Tüchlein aus blendendem Lein —
Sie hat es mit kritischen Augen betrachtet:
Wird's für den Herrn Kaiser auch gut genug sein?
205
Der Rudi marschiert vor dem Wohnstubenspiegel
Und macht wohl zum hundertsten Male Honneur.
Soll er Kavallerie oder Infanterie wählen?
Der Frage Entscheidung macht doch ihm Beschwer.
Wir stehen am Wege, nun mutz er bald kommen —
Vor Ungeduld weiß man nicht ein und nicht aus —
Nun ist er vorüber — „ich hab' ihn gesehen"!
Schallt's stolz noch nach Stunden durch Garten Und
Haus.
Und Hänschen, der gar nichts von allem gesehen
Weil ganz in der hintersten Reihe er stand —
Noch nie sah den Schalk ich so wichtig sich blähen —
Behauptet: „Der Kaiser gab mir ja die Hand!"
Wie stolz er sich fühlt in dem wonnigen Glauben!
Und war's nicht der Kaiser und war es auch nur —
(Wer möchte des wonnigen Wahns ihn berauben?)
Ein Schutzmann in neuester Garnitur!
Kbendsrieden.
Träumend liegt der klare See,
Wind und Welle schlafen;
All die bunten Boote ruh'n
Still im kleinen Hafen.
Dämm'rung senkt sich leis herab
Auf die duft'gen Matten,
Über Schilf und Weidenbusch
Huschen Abendschatten.
Leis verhallend ist verstummt
Froher Kinder Singen,
Nur des Käuzleins schrillen Schrei
Hört man fernher klingen.
206
An dem weiten Himmelsdom
Steigen auf die Sterne,
Senden Frieden der Natur
Aus des Weltalls Ferne.
Komm' doch endlich auch zur Ruh'
Herz, du mutzt es tragen,
Kannst ja niemand auf der Welt,
Was dich quälet, sagen.
Erwachen.
Holde Muse, schläfst so lang!
Kann denn gar nichts dich erwecken?
Ach! mir wird so trüb' und bang,
Deine Starrheit mutz erschrecken!
Draußen regt zu neuem Leben
Sich Natur in Feld und Wald,
Möge neuen Odem geben
Sie auch dir nur bald, recht bald!
Wart', ich mach' das Fenster auf,
Datz die gold'nen Sonnenstrahlen
Dringen ein in freiem Lauf,
Rot aufs Antlitz dir zu malen.
Unter'm Fenster blühen Veilchen,
Herrlich dringt ihr Duft herein!
Wachst du nicht nach einem Weilchen,
Muse, wirst du tot wohl sein. —
Horch! wie hell die Amsel schlägt
;Jn des Ahorns schwanken Zweigen,
Die der laue Wind bewegt,
Datz sie grüßend sich verneigen.
- 207 —
Ha! trügt mich ein Spuk mal wieder?
Nein! o nein! ich sah es doch!
Sie schlägt auf die Augenlider!
Meine Muse lebet noch!
Karl Waldemar Nolte.
Seele.
Meine Seele ist krank und sehnt sich fort
All' die Freunde, die die Arme ausbreiten, sie zu
empfangen,
Sie werden nichts fassen, denn ihr ist keine Ruhe ge-
geben :
Arme, arme Seele!
Über blendende Marmorbecken
Und spiegelnd-kriftallne Schalen,
Über funkelnden Saphir
Sieht Spinnen sie kriechen,
Graue, langbeinig' und häßlich behaart'.
Wenn junge Bräute zum Altar schreiten,
So erblickt sie klagende Weiber
In flatterndem, schwarzem Schleier,
Verfolgt von grinsenden, skelettenen Männern —
Auf hohlen Menschenknochen pfeifen sie hämisch
Und dengeln die Sense.
Arme, arme Seele, die du
Nicht trinken kannst mit geschlossenen Augen
Und der der Schierlingsatz
Am Boden des Bechers nun nimmer entgeht.
Irgendwo in das jubelnde Schluchzen süßer Geigen
Und in den frohen Klang festtäglicher Hörner
Schleicht sich der harte Ton des einsamen Glöckleins,
Das an Tränen gemahnt und ewigen Abschied.
Armselige Seele,
So eilst du voraus
Wie der Schatten dem Menschen
Und die feurigen Rosse dem Wagen.
209
Jenen zwinget ein unabänderlich Schicksal,
Diese bannet des Mannes Faust an den Strang.
Armselige Seele,
Die du von dem ehernen Fels der Gegenwart
Stets strebst nach der Zukunft losem Geröll.
Hattest du nur nicht die großen, scharfen Augen,
Die das Voraus ahnend ergründen,
Wo das klügelnde Him noch nimmer begreift!
Und doch — In millionenfacher Weite
Vor brr leuchtet der rettende Stern;
Nach vorne liegen die Ziele,
Und du, stürmende Seele,
Näher Äst du dem Endpol
Als des Körpers unendliche Schwere, —
Glückliche Seele!
Eile dich, Körper, damit du folgest der Seele!
Wogen mit silbernen Krönlein,
Göttlicher Leidenschaften Urgewalten,
Heben und tragen dich
Aus dunkeln Tiefen
Empor zum sonnigen Eiland,
Wo man Palmen dir streut und Rosen.
So wehet, ihr Winde,
Zaget, ihr Stürme,
Peitschet die Renner zum wildesten Lauf!
Winde und Stürme und Renner
Bringen zum Ziel dich,
Glückliche Seele!
Lora.
Perlen der Erinnerung.
Danken möchte ich Dir noch einmal für Deinen
Besuch. Die Tage, an denen Du bei mir weiltest,
Nolte, Kasseler Dichterbuch. 14
210
werden mir unvergessen bleiben. Wie ferne liegen sie
nun schon, und wie kräftig ist ihre Erinnerung.
Wenn irgend etwas aus der Unmittelbarkeit des
Eindrucks schnell untertaucht in den Wogen der Erinne-
rung, um sich uns in dauernderer und herrlicherer Form
wieder zu zeigen, so ist das ein Zeichen davon, daß
das Erlebnis tiefer Art war. Nur in der Erinnerung
leben wir. Nur die Erinnerung ist reines, völlig un-
gestörtes, ganz harmonisches Leben, weil durch das
Fehlen eines den physischen Menschen räumlich be-
drohenden Objekts das Erlebnis erst zur wahren Gel-
tung kommt.
Ich sehe Dich wieder vor mir mit der blaßgrünen
Kette um den edelgeformten Hals. Blaßgrüne Steine
— Perlen der Erinnerung.
Wir sitzen auf dem Schiffchen am Ufer des Mains.
Ein frischer Wind bringt Whlende Erquickung. Lustig
flattert das Fähnlein am Maste. Quer vor uns schiebt
sich die Brücke über den Fluß. Mit bewußter Würde
schauen drüben die Türme des Domes über das plebejische
Häusergewirr hinweg. Im hellen Sonnenglanz gleitet ein
Kahn vorüber, die Ruder erheben sich im Gleichtakt aus
dem Wasser in die Luft und fallen aus der Luft
wieder in das Wasser zurück. Wie flüssiges Silber
fließt und sprüht es von ihnen herab: eine Königin
wirft tausendfach blitzende Diamanten in die Flut. Und
wir trinken billigen Apfelwein und tauschen kostbare
Worte. Kostbare Worte — Perlen der Erinnerung.
Abends. Wir teilen das Mahl. Du brichst das
Brot. Ich netze meine Lippen an Deinem Glase. Wir
sprechen nicht viel. Aber was unausgesprochen um
und zwischen uns ist, bedeutet mehr als Worte. Heiliges
Schweigen — Perlen der Erinnerung.
Und dann im Theater. Es wird irgend etwas
gespielt, Oper oder Trauerspiel, Lustspiel oder Operette,
Schauspiel, was liegt daran?! Im Zuschauerraum
links und rechts, vor uns und hinter uns, sitzen Men-
— 211 -
scheu. Vielleicht kluge Menschen, vielleicht schöne Men-
schen, vielleicht interessante Menschen, Menschen, die ich
vielleicht lieb haben könnte. Mensch und Welt, Himmel
und Hölle, was kümmert's mich. Neben mir sitzt Cora,
Cora, Cora — — — Perlen der Erinnerung.
Wie süß, klingen die Weisen der Wiener Deutsch-
meister im Palmgarten. Strauß'sche Walzer kommen
im Menuettschritt auf uns zugetanzt. Palmgarten —
Deutschmeister — Strauß. — Cora — — — Perlen
der Erinnerung.
Homburg. Auf der Terrasse des Kurhauses. Noch
immer trink' ich von dem Wein. Bernsteinfarbener
Burgunder in flachen Schalen, ein Göttertrank. Drüben
im Pavillon bewegen sich die Arme der geigenden Mu-
siker wie automatisch. Auf den hell erleuchteten Wegen
des Parks promeniert Jung und Alt, Schön und Häß-
lich, Lebensmüdigkeit und -Übermut. Sommerliche Ge-
wänder, duftige Spitzentücher, Plaudern, Lachen.
Schwarzbefrackte Kellner eilen dienstfertig von Tisch
zu Tisch. Nachtfalter flattern taumelnd in das Licht.
Jeder Zweig, jedes Blatt der hohen Bäume gewinnt
ein magisches Leben. Was sie geträumt und erlebt
an Freud' und Leid in den langen Jahren, in dieser
Sommernacht hauchen sie es aus, und die Lüfte künden
ihr Schicksal. Die ganze Natur will geben und segnen.
Und auch ich fühle mich so wunderbar reich und möchte
schenken Dir, Cora, mein Bestes, alles was ich habe,
unendlich segnen Dich, Cora, Cora — — — — —
— — — — — — Perlen der Erinnerung.
Jetzt sitze ich auf meinem Stübchen allein. Cora
ist gegangen. Ich öffne mein Kleinodienkästchen und
hole jene Kette hervor. Immer und immer wieder
lasse ich die Perlen des Geschmeides einzeln durch meine
Finger gleiten und freue mich ihres Glanzes und ihrer
Farben. Und wenn ich nun zu Bett gehe, so träume
ich, wie ein Kind von den Lichtern des Weihnachts-
ü*
212
baumes, von den Hellen Lichtern meines Geschmeides und
der blaßgrünen Kette um Deinen Nacken.
Meiner Königin Einzug.
Am Begräbnistag der Geliebten im Herbst.
Freude, Freude in dem weiten Weltenraum:
Meine Königin hält den Einzug
Zn das ewige Reich des Friedens.
Seht sie schreiten —--------—,
Zm Gesicht Anmut und Würde,
Frohbeglücktes Lächeln spielt um ihren Mund.
Weiße Seide wallet lang und faltig
Um den königlichen Leib.
Mit dem Saum des Kleides
Spielen purpurrote Rosen,
Die dem Pfad entsprießen,
Wo die zarten Füße wandeln.
Pagentroß, Trabanten, schmucke,
Stehen still zu beiden Seiten,
Neigen stumm sich, als
Vorüberschreitet meine Königin.
Selbst die Sonnenherrscherin
Huldigt meiner Königin,
Und aus blauem Himmel,
Sendet warme, goldne,
Lkebestrunk'ne Strahlen sie hernieder.
Wo mit schmerzlichen Gebärden
Blätter küssen Mutter Erden
Und in grausem Todesringen
Finsterniss' das Licht bezwingen,
Glüht und leuchtet,
Blüht und webet,
Lacht und lebet
213
Tausendfarbig, tausendfältig
Allnatur.
Hörst du, wie die Vöglein jubilieren
Aus dem dünnen Herbstgezweig?
Kleine Bienen sonst nur summen,
Heute singen, musizieren
Sie in hellen, süßen Eeigentönen
Meiner schönen,
Wahren, großen Königin.
Glocken klingen wie Schalmeien,
Und von unsichtbaren Engelschören
Schwingen helle Melodeien
Durch die klare Luft.
Liner Loten.
Wir hatten noch so vieles uns zu sagen —
Du gingest fort.
Dem Einen nur gilt unser Klagen,
Dem einen Wort,
Das auf den Lippen uns geschwebt,
Doch sie vermochten's nicht zu tragen —
Daher das Klagen.
Der arme Falter.
Ein leichter Falter glitt vorbei
Durchs Abendwindemeer.
Ich fragte ihn, wo willst du hin?
Gr sprach: weiß nicht wohin, woher.
214
Und nektarsuchend seh' ich ihn
Um malte Blüten schweben.
Und suchend, suchend schwindet ihm
Das arme kurze Leben.
An staub'gem Wagen traben Heini
Die goldnen Sonnenpferde.
In dichte Schleier hüllet sich
Die müde, müde Erde.
Indes im Kampf mit Licht und Glanz
Die Todesschatten siegen,
Seh' ich den Falter immer noch
Rastlos um blaue Blüten fliegen.
H. A. v. der Osten.
Mär chen Prinzeß.
Es war einst ein Prinzeßchen,
So hold und wunderbar,
Das hatt' so liebe Äuglein
Und braungelocktes Haar.
Es war so fein und lieblich,
Hatt' Lippen blutig rot,
Ein junges Prinzlein liebt es,
Ging dafür in den Tod.
So heißt's in alten Märchen,
Nun hat es sich erneut,
Bin auch ein Prinzlein worden,
Hab' ein Prinzehchen heut'.
Ist grad so fein und lieblich,
Hat Lippen blutig rot,
Ich gab' mein Leben gerne,
Doch — damit hat's kein' Not!
Cupido lacht.
Ein braunlockig Mägdlein, ein braunlockiger Knab,
Die gingen die Treppe zum Garten hinab;
Und hinter den beiden ging sachte
Cupido einher und lachte.
Der Jüngling flehte, er flehte um Lieb',
Des Mägdleins Herz ihm verschlossen blieb,
Da spannte den Bogen ganz sachte
Cupido, drückt' los und lachte.
Sie ttaten in eine Rosenlaub' ein
Und waren so glücklich, so ganz allein,
Am Eingang vorn aber wachte
Cupido tteulich und lachte.
A. Rohrbach.
Das deutsche Lied.
Deutsches Lied, so hehr vor allen,
Auf dem weiten Erdenrund!
Hei, wie deine Wogen schallen
Dringend in der Seele Grund!
Alle Tiefen, alle Höhen,
Zittern mit in heil'gem Schwung,
Und wo deine Flügel wehen,
Wird die Seele frisch und jung.
In das Reich der Ideale
Trägst du Uns so mild und hold,
Und vom Hellen Himmelsstrahle
Scheint zur Erd' ein Glanz wie Gold.
Der Begeist'rung heil'ge Flammen
Zündest du im Herzen an,
Und sie schlagen hoch zusammen,
Machen allem Guten Bahn.
Deutsches Lied, dich woll'n wir preisen,
Wollen dir uns immer weih'n,
Singen deine hehren Weisen,
Treu verbunden im Verein.
Deutsches Lied, o brause, töne,
Klinge über Land und Meer!
Alles Gute, alles Schöne
Kling' in dir zu deutscher Ehr'!
- 217 -
Pfingsten.
Pfingsten ist kommen im festlichen Glanze,
Wo die Erde dem Himmel sich liebend vermählt.
Dornröschen km Brautschmuck, im strahlenden Kranze,
Reicht wonnig dem Recken, der sie erwählt,
Die Hand zur Hochzeit am hehren Feste,
Im Antlitz nur Liebe und selige Lust.
Es jauchzen und jubeln die Hochzeitsgäste
In Feldern und Wäldern aus frischer Brust.
Dem Bräut'gam, dem holden, freundlichen Lenze,
Der die Braut im Sturme sich liebend errang,
Allüberall prangen ihm Maien und Kränze,
Daß ihm das Große so herrlich gelang.
Ms König begrüßt ihn die fröhliche Menge,
Die festlich geschmückt entgegen ihm zieht.
Ihn preisen die jauchzenden Hochzeitsklänge,
Ihm quillt auch aus dankbarem Herzen mein Lied.
Heil dir, dem Bandenbrecher, dem Helden,
Der Winterleid wandelt in Frühlingsfreud,
Der Leben zaubert aus toten Welten,
Der Menschenherzen in Wonne erneut!
Wre's grünet und blühet in mächtigem Triebe,
In Gärten und Wiesen, in Berg und Tal!
Willkommen, o Pfingsten, du Hochfest der Liebe —
Entzünde auf Erden der Liebe Strahl!
218
Der kann sie nimmer und nimmer vergessen,
Die Wunderstadt am Tiberstrand,
Und hätt' er des Glückes Höhen ermessen —
Nach Rom bleibt sein Herze doch hingebannt.
Gabst du, o Heimat, mein liebes Hessen,
Gabst du mir auch einen Zaubertrank?
Warum kann dein ich nimmer vergessen? —
Ob froh ich, ob traurig, gesund oder krank,
Es zieht mich mit unzerreißbaren Banden
Zu dir, du teure Heimat, stets hin.
Vor allen den lieben deutschen Landen
Liegt keines so lieb wie du mir im Sinn.
Mich lockte hinaus die Fremde, die Ferne;
Dort hab' ich manch goldenes Ziel gesehn.
Doch dacht' ich in Liebe und Sehnsucht so gerne
Zurück an deine herrlichen Höhn.
Schön, schön sind Italiens sonn'ge Gefilde,
Doch deiner Wälder heimliche Pracht,
Die friedlichen Gründe, die Hügelgebilde,
Sie wecken, bin fern ich, das Heimweh mit Macht.
Ja, ja, ich habe in Zügen, in vollen
Getrunken aus deinem Zauberquell,
Aus rauschenden Wassern, dem Bergwald entquollen,
Getrunken auf Höhen, so sonnig Und hell,
Der Berge und Täler goldige Schöne,
Waldfrieden im Morgen- und Abendhauch!
Getrunken vom Geiste der Hessensöhne,
Die treu dir gelebt, gestorben dir auch.
Mit jedem Zuge trank ich aufs neue
Die Heimatliebe erquickend und rein,
Der Väter Sitte und Art und Treue,
Die heilig durchwallen mir Herz und Gebern.
Dir, Heimat, bleibe ich immer ergeben,
Dir bin ich mit Leib und Seele vertraut.
Dir dank ich mein Leben, dir gilt auch mein Streben,
Bis dich mein Auge zum letztenmal schaut.
Du Perle mir im Vaterlande,
Dem großen, dem lieben deutschen Reich,
Mit dem das Herz durch heiligste Bande
Verbunden in Pflicht und Liebe zugleich.
Ihm, ihm, dem Vaterland, will ich mich weihen,
Solange sein hehres Banner mir winkt, —
Doch dir, o Heimat, die Kräfte entleihen,
Wio hör rmc; Wem hur «rtoimnt Tt<* trittst.
-
220
Da stehen Tisch und Stühle und steht ein mächtig Fast,
Das bitgt in seinem Innern der Reben köstlich Rast;
Und an den Wänden hanget manch edler Herren Bild,
Und dort ein Männlein stehet, gelehnt auf seinen Schild.
Das Männlein tritt mit Würde gar freundlich glü-
hend her;
Sein Haupt umwallen Locken, sein Wams Goldborden
schwer.
„Wer bist du, lieber Alter?" der Schäfer traulich spricht,
„O, deute mit; dies alles! Noch sah ich solches nicht!"
„Du weiht, daß eine Veste hier oben einst gethront,
In der die Boyneburger Jahrhunderte gewohnt.
Es war ein stolzes, mächt'ges, ein edeles Geschlecht,
Hat Lanzen oft gebrochen in heistem Streit fürs Recht."
„Jawohl! Selbst Barbarossa, der wunderreichste Held,
Hat hier getagt mit Glanze vor seinem Ritt ins Feld."
„Und tapfre Hessentreue, sie hielt die Ehrenwacht,
Als hier des Reiches Banner geweht in stolzer Pracht!"
„Und Hessens Philipp?" — „Lernte als Knab' hier
Sitt' und Zucht,
Lernt' hier das Stahlschwert schwingen, das er geführt
mit Wucht
Gleich wie das Schwert der Wahrheit, der neuen reinen
Lehr',
Zu seines Volkes Heile, zu seines Gottes Ehr'."
„Verschwunden und versunken ist all die Herrlichkeit.
Doch ward hier nichts geborgen vom Reichtum jener
Zeit?"
„Schau hin! Was unter Trümmern begraben liegt
allhier,
Es ist mir anvertrauet im dunklen Burgrevier."
„O, sage mir, du Lieber, o sage mir es jetzt,
Wo hütest du des Schatzes, der ach! dein Aug' ergetzt?
Wohl gerne möcht' ich schauen, was ich so lang be-
gehrt.
Ich will dir ewig danken, wenn du mich recht belehrt."
„In mächtigen Gewölben, die fest auf Quadern steh'n,
Da weih ich große Truhen voll Schätze, wert und
schön.
Dort funkelt Gold und Silber und edeles Gestein.
Aus großen Fässern perlet ein goldner Firnewein."
O zeige, Freund, mir Armen den Weg zu solchem Ort?
Laß meine Augen sehen den dir vertrauten Hort!
Dir kann er doch nichts nützen, mir wär' er alles
wert!
O, mach mich Armen glücklich! Dankbar mein Herz
dich ehrt."
„Soll ich die Pflicht verletzen und brechen meinen Eid?
Das würde mir nur bringen wie dir viel Herze-
leid.
Dämonischen Gewalten schiebt soviel Schuld ihr zu —
Der ärgste der Dämonen, das Gold ist's in der Truh'!"
„Mich soll es nicht berücken, drum zeig' es meinem
Blick!"
„Was du so heiß begehrest, du nennst es fälschlich Glück.
Nütz' du dein Leben redlich im Dienst von Lieb' und
Recht,
Dann wird das Glück erblühen in Herz und Haus
dir echt!"
„Das mag ein Narr versuchen — ich halt' es mit
dem Hab!"
„Der eitlen Schätze Blendung wird stets ein Flam-
mengrab
222
Dem heitren, frohen Mute; drum — bist bet Narre du!"
„Zum Henker, Wicht, dein Grölen! Was ich dir sagte,
tu'!"
„Zum letzten Male warnt dich, der's besser mit dir
meint."
„Fort, fort, schließ auf die Halle, darin das Glück
hell scheint!"
„Du rennst in dein Verderben!" „Verderben hin und
her!
Ich will, ich muß! Jetzt folge! — sonst trifft mein
Stab dich schwer!"
Er hat in frevlem Zorne gebrochen sich die Bahn;
Er stiert mit gier'gen Blicken nun all die Schätze an.
Doch weh'! In seinen Händen, da brennt's wie
Feuersglut,
Brennt ihm in Haupt und Gliedern — es tost das
heiße Blut.
Mit Donnerstimme dröhnt es dem Bebenden ins Ohr:
„Wer rechten Rat nicht achtet — bedauernswerter Tor!
Wer wahrer Weisheit Warnung vergilt mit bösem
Tun,
Der soll im Leben nimmer und noch im Grab nicht
ruh'n!"
Und fauchend, funkelnd, feurig umschwebt's des Hirten
Haupt,
Er bebt an allen Gliedern, der Sinne schier beraubt.
Gebrochen sinkt er nieder, fleht um Erbarmen nur —
Der Alte winkt — da schwindet der wilden Geister
Spur.
Und wie aus schwerem Traume der Schäfer fährt
empor.
Wie Gottes-Offenbarung tönt's ihm in Herz und Ohr.
- 223 —
Nach langem Erdendunkel umfängt ihn Himmelslicht-
Nach langer schwerer Irrung kehrt er zurück zur Pflicht.
Nun weiden seine Augen sich an der hehren Pracht,
An all der Erdenschönheit, die nah und fern ihm lacht.
Und frei von schweren Banden schwingt sich sein Geist
hinauf,
Der Weisheit goldner Schlüssel schloß ihm den Him-
mel auf ...
Der Burggeist hütet heut' noch des Schatzes treu und
still.
Der schnöden Habsucht nimmer das Glück sich zeigen
will.
Kein sterblich Auge schaute das vielgesuchte Erz,
Ob auch von gier'gen Flammen verzehrt ward manches
Herz.
Günther von Rücker
Begegnung.
Sie halten sich noch nie gesehen,
Sich nie gereicht die Hand; —
Und blieben dennoch beide stehen,
Als ob sie sich, gekannt . . .
Sie mutzten sich ins Auge sehen,
Darin geschrieben stand
Von stillem seligem Verstehen
Ein goldig kleiner Band ...--------
Sie haben nie mehr sich gesehen,
Die Namen nie gekannt; —
Nur einmal im Vorübergehen
Sich innig „Du" genannt! . . .
Die kleinen Nähmädel haben's nit gut
Mit ihren sehnsüchtigen Herzen,
Die spitzige Nadel, der Fingerhut,
Sie stechen und drücken und schmerzen.
Sie regen im ewigen Einerlei
Die kleinen zerstochenen Hände
Und träumen die törichsten Träume dabei
Mit dem Märchenprinzen am Ende.
Rolle, Kasseler Dichterbuch.
Ernst Friedrich Theiß.
So will ich meine bunte Träume
lassen. . .
So will ich meine bunten Träume lassen,
Verwehte Gärten streift ein müder Wind.
Die matten Rosen welken und erblassen
Wie Kerzenlichter, die am Sterben sind.
Nur manchmal Nachts, wenn alle Stimmen schweigen,
Dann wandert meine stolze Sehnsucht aus.
Die heißen Wünsche wollen dich erreichen
Und schweifen fort und kehren leer nach Haus.
Und bringen Kunde, was sie fern gefunden:
Verklungene Lieder und verblich'nen Glanz,
Ein stolzes Herze mit geheimen Wunden,
Auf blondem Haar den welken Blütenkranz.
Nährn äöel.
»MM»
226
Sie träumen von Sonne und Waldesduft,
Von Wiesen, die schimmern und grünen,
Und atmen die stickige Zimmerlust
Und hören den Ton der Maschinen.
Das ist ein grausam' eintöniges Lied,
Dies Klappern durch totkahle Räume,
Das macht die Mädel so müd', so müd',
Das tötet die törichsten Träume.
Das nimmt den schwingenden Seelchen den Mut
Wie Nordsturm den flackernden Kerzen,
Die kleinen Nähmädel haben's nit gut
Mit ihren sehnsüchtigen Herzen.
Gestorbene Liebe.
Was ich einst für dich empfand,
Jetzo lohnt sich's nicht der Rede,
Jene Glut ist ausgebrannt,
Und der Rest ist schal und öde.
Meiner Liebe loses Band
Nenn' ich flüchtig wie die Wellen,
Nenn' ich treulos wie den Sand,
Will zerflattern, will zerschellen.
Tote Glut in meinem Innern!
Keiner Locke blondes Haar,
Keiner Blume welk' Erinnern
Mahnet mich, was einstens war.
Manchmal ist mir nur, als stünde
Noch ein Stern am Firmamente,
Meine Stirne streifen Winde
Lind und weich wie Mädchenhände.
Manchmal ist es mir, als klänge
Noch ein Lied aus fernster Ferne.
Doch dann schweigen die Gesänge.
Wolken hüllen ein die Sterne.
3 m Auditorium.
Ein großes Schweigen war ringsherum,
Viel emsige Federn schrieben,
Es hatte ins Auditorium
Ein seltener Stern mich getrieben.
Da sah mein Aug' auf kahler Bank
Ein großes Herz geschnitten,
Ein Herz, das spitz ein Pfeil durchdrang,
Und „Gretchen" stand in der Mitten.
Und wie ich es las, vergessen das Jus,
Die Feder ließ ich sinken.
Das rauschte wie heimlicher Liebesgruß,
Vergessene Träume winken.
Weltfern ein einsamer Waldesrand,
Ein Zwitschern in blühenden Zweigen,
Und goldene Sonne auf weitem Land,
Die duftenden Blumen schweigen.
Das war ein Träumen, ein seliges Ruh'n,
Ein Herzen, ein Losen ohn' Endnis,
Nicht hörten die Bäume verstohlenes Tun
Und stammelndes Liebesgeständnis.
Drum schnitt ich ein Herz in die Rinde ein,
Auf daß es da ewig stände,
Und neben mir lehnte blond Gretelein
Und küßt' mir die törichten Hände.
15*
— .228 —
Verklungen das Glück und verrauscht der Traum,
Heiß, blühende Wünsche starben,
Das Herz im fernen Buchenbaum
Wird schwinden und vernarben.
Verwelkende Sehnsucht erwecke nicht
Im Busen die schlummernden Gluten
Der Mann dort auf dem Katheder spricht
Momentan von Prädialservituten.
Trüber Morgen.
Der trübe Morgen atmet schwer.
Noch liegt im bleichen Dämmerlichte
Der Park. Die Nebel ringsumher,
Sie bergen seltsame Gesichte.
Ein Reigentanz. Ein Sichentwirr'n,
Ein Sichbegegnen ohne Rasten,
Gleichwie durch eines Menschen Stirn
Die schweifenden Gedanken hasten.
Auf fahlem Wasser schwankt mein Kahn,
Am Kiel bricht sich die Welle leise.
Und ferne zieht ein müder Schwan
Langsam entschwindend seine Kreise.
So singt's aus den Geigen . . .!
Hellstrahlender Kerzen flimmernder Glanz!
Und das lockt und ruft aus den Geigen!
O komme, du Blonde, zu schwebendem Tanz,
Iungblühende Glieder zu zeigen.
229
Die girrende Menge im Saale umher,
Nicht soll sie den Traum uns vergällen,
Zwei einsame Menschen auf weitem Meer,
So tanzen wir über die Wellen.
Ein Märchen weiß ich, es liebten sich zwei,
Ein Märchen aus grauen Zeiten,
Und sind viele Seufzer und Tränen dabei,
Die Eltern, sie wolltens nicht leiden.
Eine einsame Nacht, ein raunender Fluß,
Ein Schrei, und es wallen die Wogen,
Das klang wie ein letzter, ein sehnender Gruß,
Von heimlichen Tränen durchzogen.
Nun tanzen sie beide im Nirenreich,
In des Stromes smaragdener Tiefe.
Dann rauscht's aus den Wellen so lockend und weich,
Wie wenn heimliche Liebe riefe.
Nicht hatte die Erde für beide Raum,
Die Wellen, sie wissen's und schweigen.
Ihre £tefc; war ein seliger Walzertraum,
Und das lockt und ruft aus den Geigen.
Else Thielmann.
Moskau.
Züngelnde Flämmlein huschen und Hüpfen
Zn bläulichem Scheine lief in Gewölben
Der alten, riesigen, russischen Stadt,
Tanzen wie lachende Elfengestalten
Mit leichtem Fuße von Raum zu Raum,
Flüstern und raunen mit leiser Stimme
Dem Herrscher der Welten den Untergang zu:
„Dort oben liegt er, der Bonaparte,
Ha, schlafe und träume, Napoleon!
Nur nicht zu schnelle! Warte nur, warte!
Wir weisen den Weg zum Weltenthron." —
„Komm mit, wir schlüpfen durch diese Ritze
Hinaus in das Dunkel der lauernden Nacht,
Erklettern der Türme ragende Spitze,
Daß der Kaiser, der Kaiser erwacht
Und sieht der Brände
Rasende Wut
Zagen ohn' Ende
In wilder Glut.
Sieht, wie sie drohn
Und lüstern lohn
In Haß und Hohn,
Napoleon,
Wie sie zwingen ihn
Zum Fliehn." —
„Auf, auf denn, Schwestern, feurige Flammen,
Tut euch zusammen!
Steiget empor in Riesenstärke,
231
Verbrennt ihm den Purpur und seine Werke!" —
Napoleon schlief so bang und schwer
In Moskaus heiliger Pracht.
Es wogten und schlichen um ihn her
Die düstern Gestalten der Nacht.
Sie hauchten dem träumenden Kaiser ins Ohr
Von Rache, Vergeltung und Qual.
Unheimlich sangen die Winde ihm vor
Von Ende und schrecklichem Fall.
Er zerwühlt die Kissen in dumpfem Bann.
Der zwingt ihn nieder, den eisernen Mann.
Da zerreißt er die Bande, die die Nacht ihm wob,
Daß die Gespensterschar zerstob
Und reckt sich empor mit eisigem Hohn:
„Was wollt ihr? Ich bin 's, Napoleon!"
Da sieht er, wie 's tanzt an des Saales Wand
Von irrenden Lichtern in grellem Schein.
Er blickt hinaus und schaut wie gebannt
In ein flammendes Meer hinein.
Laut lacht er und ballt die harte Faust:
„Ha, Russe, das wagtest du?
Verbrennst das Nest, das du selbst behaust,
Zu stören Napoleons Ruh?"
Dann legt er die Uniform sich an
Und stülpt sich den Helm aufs Haupt,
Steht wie Stein am Fenster dann,
Wo's braust und brüllt und schnaubt.
Generäle stürzen zum Kaiser hin:
„Der Russe hat Brand in die Stadt gelegt,
Majestät drum fort, wir müssen fliehn,
Seht, wie das Feuer stets näher fegt.
Wir müssen fliehen um jeden Preis,
Schon ist der Boden dem Fuße zu heiß." —
„Flieht, bringt euch in Sicherheit,
Eilet nur fort in euerm Mut!
Ich muh erst schaun, was der Russe gestreut.
Die Aussicht vom Fenster ist gut." —
232
So starrt er hinein mit düsterm Behagen
Ins Rasen und Jagen.
„Glüht nur, ihr mächtigen Rachegeister!
An der heiligen Stadt
Freßt euch satt,
Steigt mit Gedröhn
In Himmelshöhn,
Flatternde Fetzen,
'Mir zum Ergehen,
Mir, euerm Herrn und Meister!" —
„Herr und Meister
Der Rachegeister,
Napoleon,
Bist du 's schon?
Herrscher der Welt, so halte die Flammen
Zusammen!
Gebiete
Friede
Dem Elemente
Der Brände!" —
„Stampft nur, was Ammert mich euer Spiel?
Die Welt gehorcht meinem Wort,
Flackert und fliegt denn nach euerm Ziel
Über die Trümmer Von Moskau fort.
Könnt in den Augen der Fliehenden lesen,
Daß Napoleon der Herr doch ist." —
„Gewesen, gewesen,
Weil du 's nicht mehr bist!
Doch eile! Dein Leben
Ist uns gegeben.
Wir müssen 's nehmen,
Wenn du nicht fliehst!" —
Sie sprühen den Atem ihm ins Gesicht
Und schütten die Funken vor seine Füße.
Der Kaiser achtet des Regens nicht
Und nicht der brennenden Grüße.
Da faßt ihn die Flamme mit heißer Hand
233
Und drängt ihn mit bebendem Wehren
Und stößt ihn zurück von dem lüsternen Brand.
Er könnte den Kaiser versehren.
Da zittert er einen Augenblick,
Sieht Welten stürzen und wanken
Und holt sich die höhnende Ruhe zurück
Und gehet davon in Gedanken.
Die Arme verschränkt,
Mit langsamem Gang
Die wankenden, glühenden Pfade entlang,
Geht durch Gefahren und Todesgraus
Aus des Russen brennendem, stürzendem Haus.
Die Flammen jubeln und höhnen,
Prasseln, brausen und dröhnen,
Schlingen den freudetobenden Reigen,
Den Weg zu zeigen
Von höchster Höh
Durch Nacht und Schnee,
Durch verzweifelte Taten und fesselnde Not,
Durch Sieg und Verlieren zum einsamsten Tod.
Wie Du willst.
Willst du Freund mich nennen,
Sollst du lieb mir sein,
Möcht' dein Leiden kennen,
Stillen deine Pein,
Will an deinem Glücke
«Immer helfen baun,
Sollst in meinem Blicke
Stete Freundschaft schaun.
Wenn du mich willst lieben,
Glaub, ich lieb dich sehr,
Sollt' ein Gram dich trüben,
Quält er mich noch mehr,
234
Wollte für dich lassen,
Was ich sonsten hab,
Ebnen deine Straßen,
Ging für dich ins Grab.
Willst du mit mir spielen,
Spiel ich auch mit dir.
'S war vor Jahren vielen
Eine Puppe mir,
Hab' mit ihr gespielet,
Tat es gar so gern,
Kann statt weher Klage
Spielen mit dem Herrn.
Meine Puppenstube
Warf ich längst schon hin,
Trag dir, wilder Bube,
Gleichen leichten Sinn.
Ist gleich Wind zu kosen
Immer nur dein Brauch,
Bin dem Liebelosen
Liebelos ich auch.
Die letzte Stunde.
Erwache, mein Kind;
Denn die Stunde naht,
Wo dein Vater muß von uns gehn.
Der Kauz schreit schrill in dem Baume,
Tiefdunkel wird es im Raume. '
Mit eis'ger Hand faßt es ihn an,
Hörst du die schlürfenden Schritte nahn?
Es senkt sich herab
Auf ein offen Grab.
Erwache, mein Kind;
Denn die Stunde naht.
rMWWKUWlMiLMMMMWWMSWWWWWWM
• ... r.-v. 1 -fr* ' ■.
Schlaf' weiter, mein Kind;
Denn die Stunde ging,
Schlaf' weiter, du weintest dich müd!
Latz du mich in Qualen ringen,
Den Tod und das Leben zwingen.
O schlaf' nur, du ahnest noch nicht,
Wenn das Herze der Liebe uns bricht.
Ich mutz ganz allein
Mit dem Toten sein.
Schlaf' weiter, mein Kind;
Denn die Stunde ging.
— 235 -
O bete, mein Kind;
Denn die Stunde rinnt,
Die Uhr ihm zum Tode schon schlägt.
Schon beugt er sich auf ihn nieder
Und schließt ihm die Augenlider.
Das Flämmchen dort zittert und bebt.
O flehe, fleh, daß er weiterlebt.
Schon küßt 's ihm den Mund
So todeswund.
O bete, mein Kind;
Denn die Stunde rinnt.
O weine, mein Kind;
Denn die Stunde ist da
Und alles zu Ende und hin.
Schon reißt 's an des Vaters Leben.
Siehst du 's in dem Nichts entschweben?
Eiskalt wird die grausige Nacht.
Weine, Waise, die gern sonst gelacht.
So schwer ist 's, so still.
War 's Gottes Will'?
O weine, mein Kind;
Denn die Stund' ist da.
236
Zchutzengel.
O schlafe wohl, du Müder,
Ja, schlaf' die lange Nacht.
Dir schloß ein Traum die Lider.
Träum' nur, ich halte Wacht.
Ich lausche deinem Schlummer,
Ich schau' dir ins Gesicht,
Ich scheuche allen Kummer
Mit meinem stillen Licht.
Ich knie an deinem Bette,
Ich halte deine Hand
Und zaub're eine Stätte
Aus einem Märchenland.
Ich senke stillen Frieden
Dir in dein schlafend Herz,
Und wenn die Nacht geschieden,
Dann flieg' ich himmelwärts.
Valentin Traudt.
£ e n 31 u {t.
Hinter jedem Blumentöpfchen
Nickt mit buntem Band im Zäpfchen
Maienfrisch ein liebes Köpfchen,
Weithinaus lacht blaue Lust.
Überall die Hecken blühen,
Überall die Herzen glühen,
Alles atmet Frühlingsduft.
Und in jedem Starmatzkästchen
Und in jedem Finkennestchen
Unter weißen Blütenästchen
Kehrt die Liebe freudig ein.
Und auch ich such' stille Wege
Durch der Gärten Duftgehege;
Aber selten ganz allein.
Hinter jedem Gartenpförtchen
Winken helle Kleiderbörtchen,
Locken heiße Liebeswörtchen, —
Kleine Brüder halten Wacht. —
Und die Flieder rauschen leise
Eine süße Märchenweise,
Gold'ne Sterne stickt die Nacht. . .
Glück.
Wo die Farben des Waldes sich lösen in Gold,
Das in strahlenden Perlen herniederrollt,
Wo der Wind, den Birken die Locken wirrt,
238
Dahin hat sich heute Frau Glück verirrt.
Schon Mütterleins Mutter vor Jahren sprach:
„Frau Glück wohnt draußen im Birkenschlag."
Dort saßen wir lachend im grünen Moos,
Des Waldes duftende Blumen im Schoß,
Und fühlten heißer die Wangen glühn
Und schauten verstohlen durchs lichte Grün
Und merkten, daß hinten im Birkenschlag
Wieder die Göttin des Glückes lag.
Wir sahen, wie heimlich da auf und nieder
Die Farren schwankten, und hin und wieder
Zur Erde sich neigte ein schaukelnder Ast,
Als habe sie spielend danach gefaßt,
Und merkten, daß hinten im Birkenschlag
Wirklich die Göttin des Glückes lag.
Mit dem Duft der Linden säuselte leise
In märchensüßer, bezaubernder Weise
Durch Vogellieder und Sommerlust
Ein Strom des Glückes in unsere Brust.
Schon Mütterleins Mutter vor Jahren ja sprach
„Frau Glück wohnt draußen im Birkenschlag."
Ua st.
Wo Nelken stehn und Rittersporn,
Da liege ich müßig am Wiesenborn.
Im Sonnenbrand flimmert die blaue Luft,
Vom Walde herüber wellt Lindenduft.
Fern hört man Wehen und Sichelklang,
Dazwischen auch knorrigen Bauernsang.
239
Ein Regenpfeifer ruft fern im Ried,
Hoch oben der Storch seine Kreise zieht.
Je nun? — Jetzt flüchtige Schritte nah'n:
Ein Mädel huscht zu dem Vorn heran,
Es tut nicht verschämt und ziert sich auch nicht
Und lacht mir so kindlich ins Angesicht;
Doch als es sich spiegelt im Wässerlein klar,
Steckt es höher den Knoten im Haar
Und dann — dann löst es mit neckiger Hand
Am Hemdchen die Schleife vom Schlietzeband
Und kühlt und spritzt sich die schöne Brust
Und schlürft dann so recht nach Herzenslust
Und plätschert so wild mit dem nackten Bein —
Am Ende----------da springt sie noch ganz hinein!
Ich sprach vertraulich manch' Schäkerwort,
Fragt': „Hat auch 'n Name der stille Ort?" —
Da wurde sie rot wie der Mohn im Korn —
„„Es is unser liewer Kinnerborn.""
Marie.
Zur Dämmerstunde bin ich oft allein
Und warte auf des ersten Sternes Schein,
Der hinterm Turm dort seinen Lauf beginnt,
Ein Tröpflein, das der Ewigkeit entrinnt.
Und drängt sich schmeichelnd dann durch Qualm und
Rauch
Aus weiten Gärten müder Blüten Hauch
Zu meinem Fenster überm Häusermeer,
Schleicht auch Erinnerung sich heimlich zu mir her.
Scheu taucht sie aus dem Grau entschlafner Zeit,
Den Trümmerresten alter Herrlichkeit,
Bringt an der Hand auch, tastend, Schritt für Schritt,
Ihr Herzenskind, die zarte Sehnsucht, mit.
Und wenn ich wende mich, abweisend, hart,
240
Streicht sie die Wange mir nach Frauenart
Und hebt das Kind empor zu Gruß und Kuß . . .
Dann ist es aus mit mir.
Ich muß, ich muß!
Ich muß mich beugen und mit ihnen klagen,
Mit ihnen reden von vergangenen Tagen,
Beleben, was schon längst vergessen, tot,
In Nacht versank wie seufzend Abendrot. — —
Da knarrt die Tür.
Und Rosen, jung und frisch,
Stellt mir Marie aus meinen Arbeitstisch
Und weckt der Lampe lustig lachend Licht,
Das einen Strahlenkranz um ihre Locken flicht.
Und hebt sie drohend noch die kleine Hand,
Versinkt gar schnell der Träume Dämmerland,
Und ihrer Rosen, ihrer Augen Macht
Mir neues Leben in die Seele lacht.
Dann wendet leis sie sich und ohne Wort
Und nimmt gelassen alles Leid mit fort.
Erinnerung.
Denkst du des Morgens noch,
Da du mit mir gegangen
'Im stillen Park,
Wo Silberfischlein sprangen
Und traute Vögel morgenfreudig sangen?
Weißt du es noch?
Die Welt war reich,
Der Sonne Gold umspann
Das ärmste Gräslein,
Durch die Wipfel rann
In tausend Perlen süßer Liebe Schein
Und drang so tief in unser Herz hinein.
Weißt du es noch?
Bald nahm uns hart des Tages Hast gefangen,
Und uns're Seelen, die wie Vöglein sangen
Dem Licht des Glückes keck und kühn entgegen,
Die trauern wieder auf verstaubten Wegen.
Vergebens suchen sie nach goldnen Körnlein,
Nach einem labesützen, stillen Börnlein. . .
Sie wollten wie die Fische sorglos spielen,
Empor, empor, zu lichten Lebens Glut. . .
Doch zu der Flut des Alltags jäh herab sie fielen —
Und nur Erinnern noch in ihrer Tiefe ruht.
Denkst du daran?
Ulage.
Es hat heut in der Heide dort
Die ganze Nacht so wild geweint,
Grad an dem Hohlweg, wo der Mond
So seltsam durch die Kiefern scheint.
Am andern Morgen schwang sich scheu
Ein trauerschwarzer Vogel auf,
Und von der Erde nahm er mit,
Ich glaub', die wahre Lieb' hinauf.
Zesseln.
Durch dunkle Linden tropft des Mondes Licht
Und schaukelt auf den leichten Plätscherwellen,
Die unaufhaltsam aus der Tiefe quellen; —
Sie wandern weiter und sie rasten nicht.
Und wenn der Schönheit Glanz die Nacht durchbricht,
Dann dringt ein Traum von selig stillen Sternen
Tief in die Seele mir aus goldnen Fernen,
Und sie will weiter, doch sie darf es nicht. . .
Nolte, Kasseler Dichterbuch. 16
— 242 —
Über den Tälern.
Schon klangen leise Harfen aus den Tiefen,
Noch eh' int Dorf die ersten Hähne riefen,
Die Winde, die im Waldesdunkel schliefen,
Leicht über taubeperlte Halden liefen;
Wohl auch ein Wässerlein war schon erwacht,
Vielleicht auch sang es durch die ganze Nacht
Vom neuen Tag, von neuem Glanz und Licht,
Das bald in Purpurflammen aus dem Nebel bricht
Da leuchtet schon ein Gipfel in der Ferne
Und läßt erblassen rings die kleinen Sterne,
Da löst ein Glöcklein schon den ersten Ton!
Nun steigt die goldne Stunde auf den Thron,
Schon schwebt ihr Adler überm Felsengral
Und ruft das Leben, weckt die Kraft zur Tat!
Der Ulte.
Nun hatte er's doch noch 'mal erlebt,
Wie der wilde Herbst die Rosen begräbt,
Der Strolch, der im Sommerlande gestohlen
Die Äpfel und Birnen,
Die von ihm wir dann holen,
Und die Kartoffeln. — Gott weist, was all!
Ein Landstreicher auf jeden Fall,
Tät er in seinen bunten Lappen
Pfeifend über die Felder tappen,
Schüttelt am Abend an Busch und Strauch
Und bläst durch unsere Fenster auch.
Das hatte der „Mte". noch 'mal erlebt?
Und wie er sich hinter dem Ofen erhebt
Und nun bedächtig sein Feuer schürt,
Mit Weisheit den langen Haken führt,
Da lächelt die schmale Lippe doch,
Daß er immer am Leben noch.
„Die Seele ist ihm ins Herz gerostet!
Da könnt ihr noch warten! — Was der euch noch
prostet!"
So hat man im Dorfe der Tochter gesagt
(Die sich ja freilich unnötig plagt),
Bedauernd die „Arme", — schon vor zwölf Jahren.
Und immer ist er nicht abgefahren,
Stand alle Sommer, das Holz zu sägen,
Zu spalten und in die Sonne zu legen,
Daß es immer so lieblich knistert,
Nicht zischt und plustert und 's Feuer verbiestert,
Daß es am Morgen gleich willig mag brennen,
Wenn die verschlafene Magd muß rennen,
Daß die Morgensuppe im Kochen steht,
Wenn die Hausfrau dem Bett ihren Rücken dreht...
So fitzt der „Alte" beim Feuer und lauscht,
Schaut zu, wie der blinkende Pendel tauscht
Immer die eine Seite der andern,
Und sieht, wie die Zeiger gemächlich wandern,
Sich oft eine Fliege dagegen stemmt
Und doch den Lauf der Zeiten nicht hemmt.
Scheint just ihm die Sonne zum Fenster herein,
Dann dünkt's ihm, daß müßt' seine Kindheit sein,
Und er kommt so ins Sinnen und Denken
Und muß sich in alte Geschichten versenken,
Alte Lieder und Spinnstubenstreiche,
Kirmesfahrten und Hochzeitsbräuche,
Wie man der Braut das Strumpfband stiehlt,
Wie da keine was merkte und stille hielt
Und gewiß dabei doch heimlich gelacht,
Wenn's einer kribbelnd vom Mädchen gemacht.
Doch warum sich mit so Gedanken plagen?
Auf ließ er drum wieder den Webstuhl schlagen
Und hat geklappert und hat geschafft
l6*
244
Mit seiner dünnen, versickernden Kraft,
Das Schifflein ging hin, das Schifflein ging her,
Und als es dufterte, konnt' er nicht mehr . . .
Noch hat ihm kein Mensch sein Licht gebracht,
Und heute ward es um vier schon Nacht.
Draußen beginnt der Wind zu treiben
Und schlägt die Reben gegen die Scheiben,
Und der Birnbaum ächzt, und der Eichwald schreit,
Und der „Alte" nickt wie in Seligkeit
Und hört nicht in seiner süßen Ruh,
Wie dem Herbst drückt einer die Gurgel zu. . .
Und er braucht keine Lampe, braucht kein Licht,
Von innen ihm seliges Leuchten bricht.
Und als die Tochter so gegen acht
Leise die Kammertür aufgemacht
Und über die Dunkelheit schelten will,
Da steht sie auf einmal beklommen still . . .
Und wie ein Licht von der Straße durchs Fenster
geht,
Fühlt sie, daß alles hier stille steht,
Die Uhr, das Schifflein, ein müdes Herz. —
Und weinend wendet sie treppenwärts.
Mit der Schüssel war sie zu spät gekommen,
Im Himmel hat er schon Platz genommen
Und aß schon friedlich sein Eraupensüppchen
Grad wie noch gestern im Auszugstübchen
Und lächelte, weil da in der Welt —
Im Tal hinterm Dorfwald — aufgestellt
Der Winter auch wieder den Stuhl zum Weben,
Und dachte: „Das wird was Gescheites geben!
Wohl macht er's ja dicht und pustet dabei;
Aber alles ist doch nur Pfuscherei,
Und der Frühling den Kram wie Zunder zerreißt." —
Indessen hat er die Suppe verspeist
Und sieht, wie sich drunten die Kinder grämen
Und ihm die Schlüssel zum Eckspind nehmen.
MWWWWWWMM
E. v. Weitra
vom feurigen.
(ßHtt Weinlied.)
Begeisterung heißt mein bäumendes Rotz! —
Rebenblut tropft ihm vom Bügel! —
Leidenschaft kürt' ich zum Weggenotz — —
Brausend führt sie die Zügel!!
Je jünger das Ratz —
Je toller das Blut!
Je größer das Faß —
Je wilder der Mut!
Und du, mein Lied, sollst „Stichprobe" sein
Für heurige Kunst und den heurigen Wein! —
— Aus Mutter Sonne segnender Hand
Trat er ins stürmische Leben! —
In stampfende Kelter ward er gebannl, —
Tobt nun im Dunkel — als gärender Brand, —
Ringendes, drängendes Streben!
Soll erst verlieren
Den jung-tollen Mut! —
Magst ihn probieren:
Ist sauer — doch gut!
Wir aber beben nicht grämlich zurück:
Denn Jugend heißt Zukunft — und Zukunft heißt
Glück! —
Aus Mutter Liebe sorgender Hand
Kam auch ich einst ins Leben: —
Schicksal hat mich ins Joch gespannt! —
247
Trotzte mich müd' an manch engender Wand! —
Jagendes, pulsendes Streben!
Sollte verkühlen
Den jung-tollen Mut — —
Ach, — doch mein Fühlen
Blieb heiß, wie mein Blut!
Denn ich verachte die stumpf-träge Ruh'; —
„Jugend" und „Wille" — Euch trinke ich zu! —
Lachend jagt sich heut Lied um Lied —
Jauchzende, sprudelnde Klänge! —
Wenn der „Heurige" gut geriet,
Geraten auch Reime Und Sänge!
Wilde Jugend
Und saurer Wein —
Wachsende Tugend
Und goldklares Sern!
Das ist heuriger Trauben Art —
Das ist Weisheit zur Lebensfahrt!
Weinlandzauber — dein farbig Kleid
Weht nicht nur im Lande der Reben! —
Jedes Herz hat mal „Lesezeit" —
Jeder hat mal gelacht und gefreit
Und Kränze geflochten km Leben!
.Glühend die Sonne
Und glühend der Kuh —
Lieben ist Wonne
Und Leben Genuß!
Drum Tod den Philistern! — Wir säubern die Lust
Mit jungdeutschen Mostes schweratmendem Duft!
Begeisterung heißt mein schäumendes Roh ! —
Rebenblut tropft ihm vom Bügel! —
Leidenschaft kürt' ich zum Weggenoh —•
Brausend führt sie die Zügel!
248
Je jünger Vas Naß —
Je toller das Blut!
Je größer das Faß —
Je wilder der Mut!
And du, mein Lied, — schäume brausend hinein,
Misch jungdeutsche Kunst in den heurigen Wein!
5'chloß Zeeberg im Egerland.
Hab' die Felsburg meiner Ahnen
Jüngst zum erstenmal betreten; —
Wie ein heilig Geistermahnen
Lindendüfte mich umwehten . . .
Schweigend lag der altersgraue
Torweg, wie ich ihn durchschritten, —
Wo empor zum stolzen Baue
Fürsten sonst und Edle ritten.
Wo des Gärtleins Blumenwonne
Einstmals überm Abgrund schwebte,
Jetzt nur Strahlenstaub der Sonne
Über wildem Rasen webte.
Bon des Erkers Säulenneste
Wert ich in die Lande schaute —
Um die alte Adlerveste
Hell die Bergesferne blaute!
Und Erinnerungsfäden führen
Träumend mich durch stumme Hallen — —
Seltsam! Hinter rost'gen Türen
Hört' ich Weberschifflein schallen ....
— 249 —
Und inmitten kahler Wände
Saß, die Zeit, die altersgraue,
Webte, webte ohne Ende
Blasse Bilder — ferne — blaue —:
Blanke Helme, seidne Schleppen,
Rosse, wild am Steg sich bäumend,
Festgedränge auf den Treppen,
Liebende, im Garten träumend.
Und dazwischen quoll von drunten
Quellgemurmel, Bachesrauschen, —
Und ich neigte mich nach unten,
Ihrem Zwiegesang zu lauschen.
Nein! noch starb nicht alles Leben!
Noch pulsiert's in diesen Adern:
Iugendkraft — und Grün daneben
Quillt aus den bemoosten Quadern!
Und wo in der Schlucht Gewinde
Feuchten Sturmwinds Seufzer klagte,
Brach ich von der alten Linde,
Die am Abgrund mächtig ragte,
Einen Zweig — (die stolze, kühne,
Die's viel hundertmal sah lenzen!) —,
Mit dem jungen, starken Grüne
Meinen Wanderstab zu kränzen! —
Rheinfall bei 5chaffhausen.
— Flüchtet vielleicht die silberschimmernde Bergfei
Vor dem breitkieferigen, grinsenden Titan,
Der mit roher Gewalt
Ihre weißen Glieder Haschen gewollt?
— 250 —
Und nun stürzt sie in rasender Flucht —
Und reißt ihre weiße Silberschleppe
Ungestüm über die Felsenstufen!
Knirschend zerreißen die lichten Schleier
Und fliegen — aufwirbelnd —
Ihr um die grünbeschuhten Füße!
Er aber schleudert mit wildem Gebrüll
Felsblöcke hinter ihr her —
Mitten hinein in die flirrenden Schleier
Der atemlos Flüchtenden ....
Oder reiten vielleicht weiße Walküren,
Von Wotans Donner gejagt,
Stürmisch den Rhein herunter —
Zur fern erbrausenden Völkerschlacht?
Ihre weißblühenden Leiber
Wälzend und wiegend
Auf den schneeigen Rücken ihrer bäumenden Silberrosse?
Und es dampft und jauchzt und wiehert
Aus den rosafarbenen Nüstern —
Schaumflocken spritzen vom Silbergebiß —
Während die Mädchen mit wildem Gekreisch
In die flackrigen Mähnen greifen:
Vorwärts — Hoiho! —
Und Rosse und Leiber sich wild überstürzend,
Braust der dampfende Troß
Mit klingenden Silberhufen zu Tal! ....
vom Glück.
Ein Mädchen sah ich, das im Felde stand,
Rotäug'ge Blumen in der schlanken Hand.
Mit Augen, die die Sehnsucht in sich trugen,
Sah sie hinaus — und Herz und Pulse schlugen.
Was tust du? frug ich leis — da klang's zurück.
Ein Zausen fast: „Ich warte auf das Glück!" . . . .
Wo Mittagsglut auf heißen Wassern steht,
Sah ich ein weißes Segel — windverweht . . .
Ein sonnenbrauner Mann, — ihm dicht zur Seite
Breitschaft'ge Ruder . . . Scharf späht er ins Weite.
Was tust du? rief ich laut. Da klang's zurück,
Durch Flut und Wind: „Ich warte auf das Glück!" . .
Dort wo der Weg im Abendsonnenschein
Zum Dorfe führt, saß auf bemoostem Stein
Ein müder Greis. Erschöpft vom weiten Gang
Späht er mit trübem Blick den Weg entlang.
Was tust du? frug ich leis ... Da kam's zurück,
Mit müdem Hauch: „Ich warte — auf das Glück." . .
Nur drüben — durch der Wiesen Dämmerschein —
Geht still ein junges Weib noch — querfeldein.
Oft ruht sie aus — wie müd' von schwerem Schreiten, —
Oft lächelt sie — und träumt in ferne Weiten.
Was tust du? frug ich leis. Da klang's zurück —
So heimlich, süß: „Ich warte auf das Glück! . . ."
Kl lein.
— Und das Zimmer so still — und nur ich und du —
Und ein rastlos pochendes Herz dazu . . .
Ein Schmetterling flattert am Vorhang entlang
Zeht ist er am Fenster — und jetzt am Schrank
Und jetzt bei den roten Nelken am Tisch - —
Du brachtest sie selber — sie sind noch frisch . -
Und das Zimmer so still — und nur ich und du —
Und das Flügelflattern der Liebe dazu .
MWWWÄtMMW
252
Liebeswunder.
Du bist für mich das große Wunderland,
Das ich mit heilig scheuem Fuß betreten.
Nun wandl' ich staunend, seit den Pfad ich fand,
Inmitten deiner Diebe Rosenbeeten.
Du bist für mich ein Märchen . . . Fort und fort
Möcht' ich die, Seiten dieses Märchens lesen,
Mit süßer Spannung lauschend jedem Wort,
Den Schleier lüftend über deinem Wesen.
Du bist mir seltsam neu mit jedem Tag, —
Ein tiefer Bronnen, unerschöpft mir bleibend,
Ein Meer mit ewig neuem Wellenschlag,
Ein Rosenstrauch, — unendlich Blüten treibend! . .
Oer tote Länger an seine Geliebte.
Goldne Sonnenstrahlen seh' ich
Über deinem Scheitel blitzen —
Eine goldne Krone seh' ich
Aus dem blonden Haupt dir sitzen, —
All die Perlen meiner Tränen,
Die in liebebangen Stunden
Ich in unerfülltem Sehnen,
Liebste, dir ums Haupt gewunden! —
Mernes Mundes leise Worte
Wirst du leise weitersagen,
Wirst den Menschen aller Orte
Meine Seele Weitertragen.
Wirst du abends schmerzzerrissen
Still in deiner Kammer knieen,
Wird mein toter Geist dich küssen
Und dich segnend aufwärtsziehen . . .
— 253 —
Die Künstlers rau.
Ich habe mit ihm gehungert,
Ich habe mit ihm gelacht;
Ich habe die heiligen Bilder
Der Zukunft mit ihm erdacht!
Ich habe sorgsam gehütet
Die Stunden seiner Ruh
Und hielt vor der lärmenden Menge
Ängstlich den Vorhang zu.
Ich habe ihm Kinder geboren
Und habe sein Haus versorgt,
Und habe mir Sonne vom Himmel
Für schwarze Stunden geborgt.
Nun fällt ihm Ernte auf Ernte
Endlich in feinen Schoß,
Nun ist er ein Siegfried worden,
Gesegnet, stark und groß!
Ihr müden Schatten des Alters,
Warum grade jetzt mir nah'n —?
Geduldig fält' ich die Hände:
Mein Werk — ist ja getan! . . .
Himmelsmärchen.
Der goldgekrönte, weißgefiederte,
Lichtäug'ge Cherub, — der tagaus, tagein
Das Angesicht Jehovas schaute, — sah
Im Antlitz des Urew'gen einen Hauch
Wie Schatten vor der Sonne! — Und der Blick,
Der demutsvoll die Wolkenstufen küßte,
Schien stumm beredt zu fragen: Herr, was ist's? —
254
Da wies des Ew'gen lichtumflammte Hand
Hinab zur Erde. — Wie ein Sonnensprühen
War dieses Rühren seines Fingers! — Rings
Erloschen in dem Weltenraum die Gestirne
Und standen nur noch zitternd — winz'ge Flämmchen,
Verhüllt im Nebel, — und der Ew'ge sprach :
„Sieh' dort, — der Mensch. Ich gab ihm Weib und
Kind.
Ein jauchzend Bübchen, ihm aufs Knie zu springen,
Wenn er von glückgekrönter Arbeit kommt.
Sein Weib ist schön — so schön wie Eva, ehe
Die Schlange ihr ins Auge sah; — ich gab
Ihr Anmut und Verstand, ihn zu entzücken.
Wenn er sein Weib, sein Kind erblickt, so lacht
Er hell vor Glück und reckt in frohem Stolz
Die jungen Glieder, die gesundheitprangend
Ich gütig ihm verliehen. —
Meinst du wohl,
In all dem Weihrauch des Gebets, der täglich
Mir von der Erde aufsteigt — Jammerrufe
Und Bußgebete, wild vermess'ne Bitten
Und scheues Stammeln — sek auch nur ein Ton,
Ein einzig' Körnchen seines Danks?!"
Da neigte
Der Cherub stumm sein Antlitz und benetzte
Sein wolkenflatternd Kleid mit einer Träne,
Die schwer — wie Nachttau — auf die Erde fiel.
Und wieder wies Jehovas Hand hernieder:
„Dort wohnt ein Mann. In jahrelangem Ringen
Hat er ein großes Ziel sich heiß ersehnt.
Nachts lag er ohne Schlaf — weil seiner Arbeit
Unendlich Glühen ihm den Schlummer stahl.
„Ich darf nicht sterben," sprach er, „denn ein Gott
In meiner Brust sagt mir: Ich muß vollenden!"
Da gab ich's ihm. Ich schenkte ihm sein Ziel!
Ich gab ihm alles — eine Erntekrone
Für hartes Ringen — und den Dank der Menge,
Die jubelnd ihn mit Blumenschmuck umkränzt.
Ich sah ihn steh'n an seinem Ehrentage,
Das Geistesleuchten um die Stirn, das er,
„Elmsfeuer"-gleich, von Meinem Geist entlehnte! —
Und meinst du wohl, er hätte mein gedacht?
Er hätte einmal „Dank, Herr, Dank!" gestammelt?!"
Da bog der Cherub tief die Stirn und senkte
Die mächt'gen Schwingen über seinem Haupt
So schwer hernieder, daß, die Erde drunten
Im Wolkenschatten seines Fittichs lag. —
Und wieder sprach Jehovas Mund:
„Sieh dort,
Siehst du den Sturm in bleichen Segeln rasen,
Die über aufgepeitschten Wogen weh'n? —
Der Züngling dort am Steuer, seine Hand
Vom Kampf erschlafft, ein Spielball der Orkane!
Daheim lauscht seine Mutter auf den Ton
Vertrauter Schritte, die den Einigen, Teuren
Ihr wiederbringen!
Und ich bring' ihn ihr!
Sie hat in qualerfüllter Nacht den Knaben
Mit einem Angstschrei mir ans Herz gelegt!
Ich bring' ihn ihr! — Sie deckt den jungen Mund
Mit tausend Küssen! Streicht ihm durch die Locken,
Liebt und bewundert jeden einz'gen Zug,
Den sie in Meernacht schon begraben wähnte." —
„Du schweigst, Herr?" Zitternd blickt der Cherub auf,
Und plötzlich — in erschrockenem Verstehen —
Flammt heißer Purpur über sein Gesicht, —
Daß Äther rings und weiße Wolkenburgen
256
jBon Rosenfeuer übergössen stehen. —
„Es haben Sohn und Mutter dich vergessen."
So spricht er flüsternd, und er neigt sein Haupt.
Doch plötzlich hebt er's neu empor, ein Lächeln,
Schnell wie die Sonne, küßt Jehovas Thron.
„Herr, Herr, sieh' dort!" so ruft des Cherubs Mund —
Und ftagend Jauchzen klingt ihm von den Lippen.
„Sieh' dort die Kerze! Eines Dankes Kerze,
Die schimmernd sich aus Säulendämm'rung löst!
Wer brachte sie? — Es drängt so viel des Volks
Im mächt'gen Dom, daß ich die Hand nicht sah,
Die sie dem goldverzierten Leuchter schenkte!" —
Da sprach Jehova — und sein Antlitz war
Mild wie ein Stern, der groß, erhaben leuchtend,
Im fernen Ost vor Sonnenaufgang steht:
„Ein armes Weib — es weihte mir die Kerze!
Fünf blühende Geschöpfe, ihre Kinder,
Umspielten jüngst noch ihren stillen Herd.
Aus ew'ger Weisheit, die ihr Erdengeist,
Der engbegrenzte, noch nicht fassen kann,
Berührt' ich ihre Schar — Ich nahm ihr vier! —
Sie dankte mir, daß ich das letzte lietz . .
Albrecht, Hans, * am 18. August 1873 Zu
Kassel als Sohn des Regielungssekretärs, Kanzleirats
Albrecht. Besuchte das Realgymnasium und die Real-
schule seiner Heimatstadt. Übernahm, 22 Jahre alt,
die Redaktion des amtlichen „Eschweger Tageblatts"
und war später viele Jahre hindurch in Kassel als
Redakteur tätig. Veröffentlichte zahlreiche Beiträge
(Gedichte, Skizzen, Novellen, Plaudereien, Kritiken etc.)
in Feuilleton-Korrespondenzen, Zeitschriften, Zeitungen,
besonders in der „Kasseler Allgemeinen Zeitung" und
deren Sontagsbeilage „Hausfreund". Schon im Jahre
1893 gab er ein vaterländisches Buch, „Der Kamerad",
heraus. Er widmete sich speziell der Theaterkritik und
war, um Einrichtung und Betriebsmethoden größerer
Bühnen kennen zu lernen, im Winter 1900 als Direk-
tionssekretär und Oberinspektor am Stadttheater zu
Rostock, Mecklenburg, bei dem bekannten, inzwischen ver-
storbenen Bühnenleiter Richard Hagen tätig. In den
letzten Jahren lebte er ständig in Kassel. Ist Mitglied
des Reichsverbandes der deutschen Presse und der Pen-
sionsanstalt Deutscher Journalisten und Schriftsteller,
München. (S. 1—6.)
Albrecht, Richard, * 1864 als Sohn des Proto-
kollführers am vormaligen kurfürstlichen Oberzunftamt
A. Fr. Albrecht. 1666—71 mit den Eltern in Frankfurt
a. M. und Wiesbaden wohnhaft. In Wiesbaden zur
Schule gekommen. Nach der Rückkehr hierher die höhere
Bürgerschule, spätere Realschule besucht. 1680 in den
behördlicheil Bürodienst eingetreten und seit dem 1.
Oktober 1900 Beamter im technischen Bürodienst der
hiesigen Kgl. Generalkommission. Außer einem 23/4-
jährigen dienstlichen Aufenthalt in Melsungen 1901—
1903 seit 1871 dauernd in Kassel. Gelegenheitsdich-
tungen, Artikel für Fachzeitungen. (S. 7—12.)
Al 1 inüller, Hans, Dr. phil. * 2. Dezember
1365 in Kassel, besuchte das Friedrichs-Gymnasium da-
259
selbst, studierte in Berlin Philosophie und Kunstge-
schichte und unternahm mehrere längere Studienreisen
nach Italien und Frankreich, war 10 Jahre wissen-
schaftlicher Hilfsarbeiter an der Murhard'schen
Bibliothek, dann wieder Lehrer am Kasseler Konser-
vatorium in Fächern der Musikgeschichte und Psychologie.
Lebt jetzt seinen Privatstudien. (S. 13—20.)
v. Berlepsch, Karl, Frhr., * am 15. Mai
1882 in Hann.-Münden, wo er die größte Zeit seiner
Jugend verlebte. Besuchte die Gymnasien dort, in
Wernigerode a. H., in Weilburg a. d. Lahn und das
Gildemelster-Jnstitut in Hannover, später die Univer-
sitäten in München, Marburg und Bonn. Im Herbst
1910 zum Referendar ernannt Und als solcher 1911
an die Regierung in Kassel übernommen. Der Stamm-
sitz seiner Familie ist Schloß Berlepsch im Kreise Witzen-
hausen. Eine kleine Auswahl seiner Gedichte erschien
in „Kränze, Marburger Dichterbuch", Elwert'sche Uni-
versitätsbuchhandlung, Marburg 09. (S. 21—30.)
Bern dt, Konrad, * 27. Dez. 1872 in Kassel.
Schüler der Realschule in der Hedwigstraße, ging
nach Erlangung des Einjährigen-Zeugnisses zur Post.
Werke: „Allerhand vom Fullestrand", „Friggedellen",
Verlag Victor, Kassel. (S. 31—38.)
Bertelmann, Heinrich, * am 15. Sept. 1666
zu Niedermeiser im Warmetale als Sohn eines Land-
wirts. Wirkte als Lehrer in Deisel, in Eschwege und
ist zur Zeit am reformierten Waisenhause in Kassel
tätig. In Buchform erschienen: „In Frührot und
Abendschein, Sang aus dem Lehrerleben", (Hess. Schul-
buchhandlung). „Der Liebenbach, Erzählung nach einer
hessischen Sage", (Fr. Scheel). „Schrrmann oder der
Soldatenaufstand zu Eschwege", historisches Spiel in
4 Aufzügen nebst einem Nachspiel (Fr. Scheel). Ferner
eine Reihe von Jugendschriften. Daneben zahlreiche
Erzählungen aus dem Bauernleben der Diemelleute,
260
Novellen und Gedichte in „Hessenland", „Hausfreund",
„Hess. Heimat", „Sohnreys Volkskalender", „Daheim",
„Türmer", „Hilfe", „Landjugend" u. a. (S. 39—48|
Bramer, Jeanette, * int September 1845 in
Kassel. Entstammt einer alten hessischen Juristenfamilie,
die durch Generationen im Heimatland ansässig ist.
Ihr Vater, Justizrat Heinrich Henkel, gehört als Ver-
fassungskämpfer der hessischen Geschichte an. Seit dem
Jahre 1686 lebte Frau Bramer als Ww. des Regie-
rungs- und Baurats wieder in Hessen, zunächst einige
Jahre auf kleiner, ländlicher Besitzung in Fronhausen
bei Marburg, wo sie mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit
begann. Sie veröffentlichte in Zeitungen und Zeit-
schriften Gedichte, Erzählungen, Märchen für Kinder
und Jugendliche, Skizzen mancherlei Art, Beiträge zur
hessischen Volkskunde, historische Aufsätze usw. Im
Buchhandel erschien von ihr „Hessische Fürsten und
Fürstinnen", Verlag Vietor, Kassel. (S. 49—58.)
Brenzel, Josephine. Lebt als wissenschaftliche
Privatlehrerin in ihrer Vaterstadt Kassel. (S. 59—
64.)
Buchmann, Gottfried. „Am 17. Oktober 1884
wurde ich als Sohn des Schreibers Anton Buchmann
zu Rüttenscheid bei Essen geboren. Vom 6.—14. Jahre
besuchte ich die Krupp'sche Volksschule. Dann trat ich
bei Krupp als Modellschreiner in die Lehre. Nach
beendeter Lehrzeit begab ich mich aus die Wanderschaft
und arbeitete in Kassel, Chemnitz, Leipzig und Dresden.
Dann war ich wieder bei Krupp tätig. Zweck der
Handwerkerjahre war, mir die zur Erlernung meines
Lehrerberufes notwendigen Geldmittel zu verschaffen.
1904 hatte ich 3000 M. Von 1904—03 besuchte
ich Präparandenanstalt und Seminar zu Neuwied
a. Rh. Dann wurde ich in Oberhausen-Rheinland ange-
stellt. Seit April bin ich in Kassel an der Bürgerschule 1.
Mitarbeiter von Roseggers „Heimgarten", „Hessen-
land" u. a." Arbeitet Zur Zeit an einem Roman aus
dem Industrieleben. (S. 65—68.)
Dietz, Paul, * am 7. August 1675 zu Kassel.
Besuchte das Friedrichs-Gymnasium daselbst. Privat-
studien, Literatur, Kunstgeschichte, Philosophie. Werke:
„Im Banne der Dichtung", Gedichte Band 1, Siering,
Kassel. „Mosaik", Gedichte Band 2., Elischer, Leipzig.
„Nicht erliegen", Gedichte Band 3, Eigenverlag.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt", Religions-
philosopyische Dichtung, Hephästos Verlag in Hamburg.
„Glückliche Sterne über Kassel", ein ^estspieb..zul:
TausendjaMeier. Bücher- und Kunstkritik. (S. 69—
76.)
Engelhard, Wilhelm, * am 15. April 1886
zu Hörde in Wests. 92—96 Volksschule daselbst. 96—99
Privatschule zu Kirchhain in Hessen, Geburtsort des
Vaters. 99—1905 Gymnasium zu Dortmund und
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium zu Cöln. 05—09 Stu-
dent in Wien und Marburg. Seit 15. September
09 Referendar, jetzt in Kassel. (S. 77—84.)
v. Eschen (Mathilde von Eschstruth) * in Kassel
als Tochter eines hessischen Rittmeisters. Musikalisch
ausgebildet, mutzte sie diesen ihren Bemf wegen über-
grotzer Nervosität aufgeben, machte dann ihr Lehrerin-
eramen für Höhere Töchterschulen und widmete sich der
Schriftstellerei. Um Verwechslungen mit ihrer Ver-
wandten „Natalie von Eschstruth" zu entgehen, wählte
sie für ihre Arbeiten den Namen von Eschen und fügte
diesem später ihren Familiennamen hinzu. Sie ver-
öffentlichte autzer in zahlreichen Zeitschriften abgedruckten
belletristischen Arbeiten in Buchform: „Faust und Parzr-
val", eine Studie, Sphinr-Verlag, Leipzig. Romane:
„Meines Lebens Roman" (Schlesische Verlagsbuchhand-
lung (ehemals Schottländer, Breslau) Berlin). „Im
Kampf" (Zanke, Berlin). „Zwei reiche Frauen" (A.
Schall & Co., Berlin). „Menschen von heute"; „In-
262
mitten der Bewegung" (Sozialer Roman); „Die Nichten
der Hauptmännin von Weilar" (C. Rechner, Dres-
den). „Auf dem Wege nach Erkenntnis" (A. Schall
& Co., Berlin). „Wandlungen einer Seele" (P. List,
Leipzig). Novellen: „Unter den Tannen", „Zur rech-
ten Zeit" (Hermann Hillger, Verlag Berlin). Dann
eine Reihe von Novellen in Haacks Damenkalender,
Berlin. Außerdem verschiedene Jugendschriste,!. (S.
85—93.)
v. Essen, Dorothea. „Ich bin vor sehr langer
Zeit, am 7. September 1880, geboren und stamme
aus der zum schwedischen Uradel gehörenden Frei-
herrlichen Familie derer von Essen. Unter meinem
Großvater ist unsere Linie verarmt. Die andere Linie
lebt noch in Schweden (Chef derselben ist der alte
Reichsmarschall von Schweden, Freiherr Frederik von
Essen). Da wir „Essens in Deutschland" ums täg-
liche Brot haben arbeiten müssen, so hat mein Vater
seit dem Verlust der Güter sich einfach genannt „Hans
von Essen". Ich bin die Letzte unserer Linie. Alle meine
Geschwister habe ich durch den Tod verloren. Mein
Vater ist auch tot. Ich bin Lehrerin, war mehrfach
im Auslande, habe in Paris studiert, wunderschöne
Reisen gemacht und besitze große Liebe zu Sprach-
studien, „beherrsche" schwedisch, französisch, englisch Und
„kann" Latein, Sanskrit usw. „Verbrochen" habe ich
außer ziemlich viel in Zeitschriften Erschienenem einen
Band Novellen und einen Band Gedichte. Beide Bücher
find erschienen im Hofverlag Singer, Straßburg." (S.
94—99.)
Fliedner, Lina, * 1858 in Kassel. Verlebte
im Elternhause eine glückliche sonnige Kindheit und
Jugend. In ihre Kinderzeit fallen die häufigen Be-
suche Hofmann von Fallerslebens, der mit ihrem Vater
befreundet war, und bedeutende und bekannte Männer
wie Bodenstedt und andere verkehrten dort. 1878
— 263
verheiratete sie sich mit dem Reg.-Assessor, späteren
Landrat und Oberregierungsrat Fliedner. Lebt seit
der Berufung ihres Gatten nach Cassel ununterbrochen
in ihrer Vaterstadt. (S. 100—105.)
v. Frankenberg und Ludwigsdorf, Friedrich
Glliot, * am 2. Januar 1889 in St. Paul U.S.A.
Seit 1897 in Cassel, wo er die Schule besuchte. Wurde
1906 Soldat, Leutnant im Husarenregiment Nr. 14.
(S. 106—119.)
Gammius, Olga, * am 20. September 1881
in Hamburg als Tochter eines Großkaufmanns. 1893
bis 1907 in Kassel, wo sie 1902 ihr wissenschaftliches
Lehrerinneneramen machte. 1907—1910 längere Reisen
innerhalb Deutschlands, nach Italien, Frankreich, Ruß-
land und der Schweiz. Seit 1910 wieder in Kassel;
als Lehrerin tätig. (S. 120—123.)
Grebe, E. R., * am 2. April 1843 in Ober-
kaufungen, widmete sich später dem Schulamt und ver-
brachte die längste Zeit seiner amtlichen Wirksamkeit
in Elberfeld als wissenschaftlicher Lehrer an der dor-
tigen höheren Gewerbeschule, der höheren Töchterschule
und dem damit verbundenen Lehrerinnenseminar. 1895
in den Nuhestand getreten, siedelte er nach Kassel über.
Werke: „Der Fall der Donnereiche" (Landsiedel, Kas-
sel, 1888). „Sankt Elisabeth" (G. v. Aigner, Darm-
stadt, 1692). Außerdem verschiedene wissenschaftliche
Abhandlungen historischen, pädagogischen und religions-
wissenschaftlichen Charakters. (S. 124—129.)
Hahn, Alfred, * am 29. April 1694 zu Kassel
als Sohn des Obertelegraphenässistenten Hahn. Be-
suchte die Klinger-Oberrealschule zu Frankfurt a. M.,
die Oberrealschule I zu Kassel. Nach bestandener Reife-
prüfung widmet er sich jetzt dem Studium der Philo-
sophie und Kunstwissenschaft. Veröffentlichte Erzäh-
lungen und Gedichte in Zeitungen und Zeitschriften.
(S. 130—134.) ' : v. ■ - ;
264
Heidelbach, Paul, * am 28. Februar 1870
Zu Düsseldorf a. Rh. Sein Vater, einer hessischen
Familie entstammend, war von Beruf Kaufmann Und
nach Düsseldorf übergesiedelt, um sich dort der Malerei
Zu widmen. Seine Mutter ist Rheinländerin. Nach
dem frühen Tode des Vaters kam der Dreijährige nach
Kassel, das seit 40 Jahren seinen Wohnsitz bildet,
Lesuchte das Wilhelms-Gymnasium daselbst und studierte
dann 7 Semester in Berlin, 2 in Marburg Philologie,
Philosophie, Geschichte, Literatur- und Kunstgeschichte.
Seit dem Tode von Wilhelm Bennecke (1906), mit
dem er eng befreundet war, redigiert er die jetzt in den
28. Jahrgang tretende Zeitschrift „Hessenland", über-
nahm nach Franz Trellers Tode (1908) auch dessen
„Sonntagsbetrachtungen" in der „Hessischen Post".
Werke: „Was mäh so hin und widder bassierd äs",
1900. 2. Aufl. 07. „Uff Karle Klamberts Gebords-
dag". 1907. „Geschichte der Wilhelmshöhe" 1909.
„Deutsche Dichter und Künstler in Escheberg" (1912).
„Kassel", 30. Band der Stätten der Kultur, 1913.
„Allerhand Gauden" (1913). „Im Schatten des Her-
kules" (1913). Herausgeber von „Don Quichottes Leben
und Taten" (1906). „Till Eulenspiegel" (1907), sowie
Zwei literarischen Jahrbüchern „Hessische Heimat" (1902
und 1907). (S. 135—138.)
Holmquist, Mary, * am 7. August 1874 zu
Kassel, t das. am 4. Sept. 1912. Lebte mit ihrem
Gatten, dem Privatbeamten Knut Holmquist, einige
Jahre in Schweden, Zuletzt wieder in Kassel. (S.
139—145.)
Hupbach, Frieda, * am 16. Februar 1689 in
Spangenberg. Seit 1891 in Kassel. Besuchte das
Fröbelseminar daselbst. 1906—1911 Studienaufenthalt
in England und Frankreich. Don da an wieder in
Kassel. Fertig abgeschlossen liegt ein größerer Ro-
man vor „Der Narr von Brügge". (S. 146—152.)
Iäcobi, Emil, * am 25. März 1868 in Küll-
stedt bei Mühlhausen in Th. als Sohn des Zim-
mermeisters Jacob i, besuchte das Lehrerseminar in Fulda
und ist seit 1892 in Kassel ansässig, seit 1899 als
Rektor. Dramen: „Heimkehr", „Ehrenwort", „Alt-
Kassel", „Völkerfrühling", „Junker Leichtsinn", „Chas-
sälla", Lustspiel „Hoheit Marga". (S. 153—161.)
Kuno, Hermann (Geh. Reg.-Rat Kunz), * am Q.
April 1846 in Prag, absolvierte 1870 die technische Hoch-
schule in Graz. War von 70 bis 76 als Ingenieur
bei dem Bau von Eisenbahnen in Tirol, Ungarn und
Sachsen tätig, wurde 76 Hochschullehrer für Baukunde
und Oberlehrer an der Kgl. Oberrealschule zu Brieg
a. O., woselbst er bis 85 verblieb, stand von 85 bis
1902 den Kgl. Baugewerkschulen in Deutsch-Krone
und Görlitz als Direktor vor und ist seit 02 als
Reg.- und Gewerbeschulrat an der Kgl. Regierung in
Kassel. Werke: „Das Schloß der Piasten zum Briege",
1885. „Frische Naturen", 3 Novellen 1696 und 1909:
Das Epitaph, Der echte Husar, Der Kriegsschatz. „Aus
des Lebens Sonnenwenden", Gedichte 1909. „Die Insel
des heiligen Liborius", Novelle 1909. „Die Bene-
diktiner", Dramatisches Gedicht (1913). (S. 162—
172.)
Kreiß, Gottlob, Karl, Johann, Landessekretär
in Kassel. * am 1. Januar 1866 in Gelnhausen. Lebt
seit März 88 in Kassel, schrieb zum Teil unter ver-
schiedenen Pseudonymen Gedichte, Erzählungen, Kalen-
dergeschichten, Dramen usw. Im Buchhandel: „Eine
Bauerngeschichte", Leipzig 1898. „Das Vampyrstück-
chen", Kassel 1904. „Ein Mann des Volkes", Han-
nover 1911. Aufgeführte Bühnenwerke: „Friede", „Ein
Mann des Volkes", „Pastor Ruhberg", „Finstermann",
„Der Dollarprinz von Wehlheiden". Beteiligte sich
mit einer episch-dramatischen Dichtung (das tausend-
jährige Kassel) auch an dem Festspielwettbewerb zur
Iahrtausendfeier. (S. 173—179.)
266
Manger, Adelheid, * am 29. Oktober 1894
zu Kassel, nach dem Besuche des städtischen Lyzeums
daselbst theoretisch-kaufmännisch ausgebildet. Auf Re-
daktionsbureau tätig. Arbeitet an einem Zeitroman:
„Eines Arbeiters Sohn". (S. 180—184.)
Mohr, Georg Wilhelm Ludwig, * am 21. Aug.
1870 zu Kassel, ein Neffe des bekannten hessischen
Schriftstellers Ludwig Mohr. Besuchte die Realschule
daselbst, ist seit einer Reihe von Jahren Beamter
der Henschelschen Lokomotiv-Fabrik. In seinen Muße-
stunden hat er zahlreiche Gedichte lyrischen und epi-
schen Inhalts, Novellen, Erzählungen aus der hes-
sischen Geschichte und solche in Kasseler Mundart, auch
mehrere Festspiele und Dramen geschrieben. Sein Volks-
drama „Der Gott, der Eisen wachsen ließ" wurde
in Homburg mehrfach aufgeführt. (S. 185—191.)
Müller, Mar, * am 22. Februar 1863 zu
Dresden als Sohn des hessischen Schriftstellers und Re-
dakteurs Friedrich Müller. Seit 1866 in Kassel, widmete
sich frühzeitig dem Journalismus. Seit langen Jahren
Chef-Redakteur an der „Kasseler Allgemeinen Zeitung"
mit belletristischer Beilage „Hausfreund". Veröffent-
lichte Novellen, Skizzen und Gedichte in verschiedenen
Zeitschriften. (S. 192—197.)
Nielsen, Inge (Pseudonym), * 1889 zu Ham-
burg. (S. 196—199.)
N i e m a n n, Stefanie, * am 26. Januar 1669
in Baden-Baden als das neunte Kind eines Kapell-
meisters. In ihrem dritten Jahre siedelte sie mit
mit ihren Eltern nach Köln a. Rh. über, verheiratete
sich mit 16 Jahren und lebt seit langer Zeit in Kassel.
(S. 200—207.)
Nolte, Karl Waldemar, * 28. Juni 1885 zu
Corbach in Waldeck als Sohn des Oberförsters Theodor
Nolte. Besuchte mit li/sjähriger Unterbrechung (Gym-
nasium in Dortmund) die fürstliche Landesschule (hu-
MMW
267
monistisches Gymnasium) in Corbach, studierte 1905
bis 1909 in Marburg und Berlin Germanistik, Ge-
schichte, Rechts- und Staatswissenschoften. 1909 zum
Referendar ernannt. Seit ca. 4 Jahren in Dassel
ansässig. (S. 206—214.)
v. d. Osten, H. A., * am 28. Mai 1895 in
Magdeburg; wohnte in Frankfurt a. M., jetzt in
Kassel. (S. 215.)
R o h r b a ch, A., * am 26. Dezember 1855 in
Grandenborn, Lehrer, 1875 in Wollmar, 1676—84
in Schlüchtern, seit 1884 in Kassel. Veröffentlichungen
im Hessischen Dichterbuch, in Zeitschriften und Zei-
tungen. (S. 216—223.)
v. Rücker, Günther (Pseudonym), * am 23.
September 1887 in Saarbrücken. (S. 224.)
Theiß, Ernst Friedrich, * am 27. September
1887 in Kassel, Realgymnasium daselbst, studierte in
Marburg und München Rechts- und Staatswissenschaf-
ten, 1910 zum Referendar ernannt. (S. 225—229.)
T h i e l m a n n, Elfe. „Ich wurde am 26. Dez.
1692 zu Kassel als Tochter des Regierungssekretärs
Alexander Thielmann geboren. Ich habe eine son-
nige Kindheit verlebt: Da war ein Rasenplatz mit
einem Quittenbaum und einer Laube, ein Bach zum
Waten, später ein großer Zimmerplatz, dessen Abhang
nach einer Seite uns zum Herunterrutschen diente, eine
Wiese mit bunten Blumen, ein suinpfiger Teich an der
Aue, der jetzt zum Spielplatz geworden, und schließlich
«in Holzzaun mit überhängenden Fliederblüten, die
uns ein guter alter Mann fo gern zum Strauße
pflückte. Zwischen Spiel und kindlicher Unterhaltung
begann meine erste Ausbildung, die mit den Jahren
immer klarer einem Ziele, dem Lehrberufe, entge-
genstrebte. Rach meinen zehn Schuljahren auf Volks-,
Mittel- und der höheren Mädchenschule trat ich Ostern
1909 in das hiesige Oberlyzeum ein, machte Ostern
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1912 meine wissenschaftliche Reifeprüfung, um Ostern-
1913 meine Lehramtsprüfung abzulegen." (S. 230—
236.)
Traudt, Valentin, * 23. Juni 1864 zu Fulda.
Volksschullehrer in Rauschenberg, dann in Kassel. Hes-
sische Bauerromane: „Leute vom Burgwald" (Elvert,
Marburg), „Steinfeldbauern" (Egon Fleische! & Eo.,
Berlin); Romane: „Ein Liebestraum", „Der letzte
Grenadier", „Am Schietzrotried" (Berlin, Scherl),
„Lehrer Korn" (Thüringer Verlagsanstalt). „Gedichte",
Verlag von Scheel, Kassel. (S. 237—245.)
v. W e i t r a, E. (Pseudonym für Elisabeth Juncker
von Ober-Conreut), * in Ostpreußen als Tochter des
Regierungspräsidenten Wirkl. Geh.-Rats Exzellenz Frei-
herrn Juncker von Ober-Conreut und seiner Ge-
mahlin geb. Gräfin Schlippenbach. In weiteren lite-
rarischen Kreisen bekannt wurde sie zuerst durch Auf-
führung ihres Dramas „Reichsfürst und Landesherr"
zu Berlin, Neues Theater, sowie durch Herausgabe ihrer
gesammelten Novellen „Seelenfäden". Die Kölner Blu-
menspiele zeichneten sie viermal durch eine Preiskrö-
nung aus. 1909 wurde ihr der Schillerpreis des Groß-
herzogs von Weimar zuteil. In Kassel wurden ihre
Festspiele „Königin Luise", „Es lebe das Vaterland"
und „Deutsche Fürstinnen" wiederholt aufgeführt. Werke:
„Wenn die Schatten dunkeln . . .", Dichtungen (Dres-
den, Pietson, 1896), „Die trauernde Madonna", preis-
gekröntes Festspiel (Saarbrücken, Heckersche Buchhand-
lung 1903); „Seelenfäden", Novellen (Gose u. Tetzlaff,
Berlin); „Rübezahls Tochter", tragisches Märchenspiel
(Karl Fischer, Berlin-Friedenau, 1910). „Es lebe das
Vaterland", „Königin Luise", zwei Festspiele (Frey-
schmidt, Kassel). „Lebenskampf", Einakter (Gose und
Tetzlaff, Berlin 1907). „Der Bärengraf", Tragödie
(Karl Fischer 1911, Berlin-Friedenau). „Die Her-
zogin will es. . Schauspiel ebenda, 1912. (S.
246—256.)
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