Gewirkte
von
Wilhelm von Ising,
Verfasser der Dramen „Himmel und Erde", „Robes-
Pierre", „Michael Kohlhaas", „Narr und Sänger",
„Johanna d'Arc".
«ssskl, 1873.
Verlag von Theodor Kay,
Königlicher Hof-Kunst- und Buchhändler.
Inhalt.
Seite
Unsterblich...................................... 1
Einem Dichter
Der schönste Sieg
Jan van Schaffelaar
Reiterlied . . .
Wach' auf! . .
Gottes Gesetz . .
An der Wiege
Erdenruhm . .
Ein Hort . . .
Die Hölle . . .
Nachhall . . .
Die Werbung . .
Die Gattin
Wiegenlied . . .
Ein Blick . . .
Lied..............
Zuruf ....
Für das Leben
Den Mächtigen .
Die Rose . . .
Das Vorbild . .
Jugendzeit . . .
In der Nacht . .
WOCD^OMWP-CO<lÜ’ÜJO©GO*40;ü>^tOCD^.
IV
Seite
Liebe und Treue.....................................54
Die Mutter..........................................55
Vor einem Kinde.....................................57
Welt und Dichter....................................59
Die Führerin........................................60
Letzte Stunde..................................... 61
Im Geheimniß........................................62
Laßt ruhn . ........................................63
Reine Liebe.........................................64
Wallfahrt...........................................65
Sei ruhig...........................................68
Laß' ruhn die Liebe.................................69
Der Schatz .........................................70
Bei den Blumen......................................71
Im Schweigen........................................72
Hohe Stunde.........................................73
Tausch..............................................76
Jugendklänge........................................77
Im Himmel...........................................80
Die Begleiter.......................................83
Ein Quell...........................................84
Die Engel...........................................85
Ewiges Sehnen.......................................87
Der Liebenden Spruch................................88
Junge Liebe.........................................89
Adieu!..............................................91
Dichtergruß.........................................93
Hinauf! 95
Toussaint l'Ouverture...............................97
Das Sinngedicht....................................105
Zur Bescheidenheit ... *...........................105
Schone den Geist ..................................106
Das Werden im Leben................................106
Dem Unbescheidenen.................................106
V
Seite
Zwei Bahnen.......................................107
Die Kraft im Ziel.................................107
Das Laster...................................... 107
Der Ausweg........................................108
Wanderstrophe.....................................108
Götzendienst und Gottesglaube.....................109
Einem Vergrämten..................................109
Der Starke........................................109
Rettung...........................................110
Klage nicht.......................................110
Ganzes Glück......................................111
Weile!............................................111
Dem Verzweifelnden...............*.............112
Unterscheide......................................112
Widerspruch.......................................112
Werth der Form....................................113
Nach der Natur....................................113
Weise Beschränkung................................113
Verbei!...........................................114
Von Gottes Gnaden ................................114
Letztes Erröthen..................................114
Raupe und Puppe...................................115
Schändung.........................................115
Willensfreiheit...................................116
Das Gewissen......................................116
Edle Opfer........................................116
Armuth und Verarmung..............................117
Die Despoten......................................117
Der Unersättliche.................................117
An dem geschmückten Grabe eines Künstlers . . 118
Die Noth..........................................118
Urtheil...........................................119
Auf dem Spaziergange..............................119
Dem Traurigen.....................................119
VI
Dem grollenden Alter . . . .
Die Sinne........................
Alle guten Geister...............
Das Fundament....................
Liebe oder Haß?..................
Gelassenheit.....................
Vorwärts!........................
Wir im Ganzen....................
Die Lehre vom Glück . . . .
Bist du nur deiner gewiß . . .
Aus der Gegenwart . . . .
Die Unfehlbaren..................
Hienieden........................
Die reine Kunst..................
Zum Erkenner:....................
Tact . ........................
Bewegung und Ruhe . . . .
Trost............................
Die Verwandten...................
Künstlerschaft...................
Einem Wiedergeborenen . . .
Der Schacht......................
Zur großen Frage.................
Sagt an!...........................
Die Freiheit.....................
Das Auge der Unschuld . . .
Die Thräne.......................
Schöpferkraft....................
Die Rache . .....................
Ein Forscher.....................
Zwei Räthsel.....................
Die Nachbarn.....................
Umsonst .........................
Vor einem Esel...................
120
120
120
121
121
121
122
122
123
123
124
124
125
125
126
126
127
127
1^8
128
128
129
129
130
130
131
131
131
132
132
133
133
134
134
VII
Der Esel zum Menscheu . . .
Ein Herz.......................
Vollkommen.....................
Gott und die Zweifler ....
Der Talisman...................
Die Sprüche....................
Kunst und Künstler ....
Mein Glaube .......
Eine Schöpfung.................
Zum Lebewohl...................
Die „stille Stunde" zum Menschen
Aus tiefem Grunde..............
Die Stimme.....................
Einer jungen Mutter ....
Mann und Weib .................
Schönheit und Anmuth . . .
Die Sendung....................
Einer Jungfrau.................
Zwei Sonnen ...................
Ein Stern......................
Ringen und Ruhe................
Das Wunder.....................
Das Genie in der Kunst . . .
Den Philosophen ......
Unter dem Schleier.............
Unter Todten...................
Die Braut......................
Das Ende.......................
Ein Schrecken..................
Mahnung........................
Die Macht der Gabe ....
Das stille Haus................
Zur Wahrheit ..................
Gott in dir....................
Seite
134
135
135
136
136
137
140
153
153
154
154
154
155
155
156
156
157
158
158
158
159
159
160
160
160
161
161
162
162
163
163
163
164
164
U nsterblich.
In dem stillen Dom des Waldes,
Den der letzte Strahl erhellt,
Sitze ich, die Welt vergessend,
Und erbauend eine Welt.
Zitternd sinkt die Flammenkrone,
Mit ihr sinkt mein müdes Haupt;
Schmeichelnd kommt der Traum, ich fühle,
Wie er den Gedanken raubt.
Eine Blüthe bringt ihn wieder,
Wilde Rose, das bist du;
Freundlicher ward nie genommen
Eines Träumers Abendruh.
Fällst mir duftend auf den Scheitel,
Von dem Scheitel in den Schooß;
Füllst entblättert auf die Erde —
Siehe da das alte Loos.
W. v. Ising, Erdichte.
1
Hättest Augen du zum Weinen,
Deine Thränen fielen heiß,
Arme Blüthe du, gerissen
Aus dem lieben Schwesterkreis;
Von dem Thau und dichtem Staube
Bald der Tiefe zugedrängt,
Die mit den Polypen-Armen
Der Verwesung dich umfängt.
Aber dann — Welch' schönes Wunder
In Atome aufgelöst,
Wirst, bestimmt zu neuem Leben,
Du der Mutter eingeflößt.
Aus der Erde durch die Adern,
Bis zur Knospe folgt mein Blick;
Zieht der Sommer in die Lande,
Kehrst als Rose du zurück.
Ich verstehe deine Lehre,
Abgesandte der Natur;
Dich empfängt der Geist beseligt,
Er, die Blüthe meiner Flur.
Lass' verwelken und vergehen,
Hat mir doch ein Gott gewinkt!
Alles Hoffen wird zur Wahrheit,
Und das Schreckliche versinkt!
3
Gute Nacht! Im Sterngeflimmer
Kommt herab der süße Bann,
Und es bricht in goldner Helle,
Phantasie, dein Morgen an.
Auf zum Ringen, auf zum Schaffen,
Eh' die Blüthe mir entflieht!
Meinem Ideal entgegen,
Das mir treu in's Auge sieht!
Fragt Ihr mich, wo ich gewesen —
Wißt, bei Ihm, der ewig war.
Er erschloß mir seinen Tempel,
Und ich stand vor dem Altar,
Wo er selbst die Hände breitet,
Und wo ihm kein Zeuge fehlt:
Wo des Menschen ganzes Wissen
Mit dem Glauben sich vermählt.
4
Einem Dichter.
Nun neige dich von deinem Throne,
Nun höre, was die Liebe spricht:
Ich grüße deine Dornenkrone,
Und auch dein frommes Angesicht.
Was, armer Geist, hast du verschuldet,
Daß aus der Heimath Paradies,
Wo auch der Sünder wird geduldet,
Ein Gott dich in die Fremde stieß?
Sei du mein Zeuge, einst mein Richter,
Ob dieser Worte trüb und schwer:
Ich klage um den todten Dichter,
Doch um den lebenden noch mehr.
Du liebst die Welt, hast nicht gelitten,
Dein Auge leuchtet mutherfüllt;
Ach, wie so müde wird es bitten,
Wenn sich das Leben dir enthüllt!
— 5 -
Wenn du, von höchster Kraft geleitet,
Der Sehnsucht höchstes Ziel erringst,
Und, was der Himmel selbst bereitet,
Als Gabe deinem Volke bringst.
Und dieses Volk mit kaltem Schweigen
Das Herz dir weigert und die Hand,
Als sei, was ewig unser Eigen,
Ein längst versunk'nes Fabelland.
Wenn du enteilst dem bunten Schwarme,
Der Menge, die den Leib besiegt,
Dich flüchtest in der Dichtung Arme,
So wie das Kind zur Mutter fliegt;
Und dann in heilig-stillem Raume
Der Zweifel wüthend an dich springt,
Und wie das Thier im Fiebertraume
Mit dir aus Tod und Leben ringt.
Ich sehe dich, du Aermster, stehen;
Das Auge spricht: „Wär' es vollbracht!"
Ich höre fragen dich und flehen
Mit nassem Blick in stiller Nacht:
„Laß', Herr, zu Staub mich wieder werden
„Ist Einer, der mir Antwort giebt?
„Was soll der Dichter auf der Erden?
„Was ungehört? — was ungeliebt?
Du bist geboren hier zum Leide,
Es kam der alte Spruch herab:
„Dein Leben neige wie die Weide
„Sich über deiner Hoffnung Grab
„Und muß ich wandern durch ein Leben,
„Die Hände streck' ich auf zu Dir!
„Ich will ja Alles, Alles geben,
„Gieb die verwandte Seele mir!
In keinem Herzen darfst du lesen,
Dir nahn die Geister, um zu fliehn.
Daß du im Himmel bist gewesen,
Wird nur dem Sterbenden verziehn.
Hilf, Gott! Dein bestes Angebinde,
Der Hoffnung schützendes Gewand,
Das ich in jeder Hütte finde,
Zerreißt die eig'ne Bruderhand;
Bis du, dem Neide zum Ergötzen,
Ein Bettler stehst auf eis'gem Feld,
Der seiner Hülle letzte Fetzen
Sich wimmernd noch zusammenhält.
Wohin? Den Blick mir zugewendet!
Ich sehe, was dich wild durchführt;
Der Trotz ist's, den die Hölle sendet,
Und wider Gott und Menschen kehrt.
Zurück! Beim Himmel sei beschworen!
Der Wahnsinn greift nach deinem Hirn!
Dort taumelt Grabbe sinnverloren,
Kleist liegt dort mit durchschoß'ner Stirn.
Siehst du es regen sich und heben?
Siehst du es werden um uus her?
Ein Gräberfeld, auf dem wir beben,
So öd' und wüst, wie keines mehr.
Da liegen sie, die Opfer alle
Des Trotzes und der Phantasie;
Da liegt das Haupt nach blut'gem Falle,
Da liegt die Krone, das Genie.
8
Und nicht ein Kreuz für uns're Todten!
Der Milde ewiges Panier,
Auf Golgatha der Welt geboten,
Die Welt raubt es dem Menschen hier.
„Wo ist die Gruft? Wir haben Eile!
„Hinab mit ihm! und d'rauf als Stein —
„Wir treffen mit dem Henkerbeile —
„Den Fluch: Du sollst vergessen sein!
Doch, sind die Gräber einsam wieder,
Befreit von schelem Blick und Spott,
Dann klingt es tröstend auf sie nieder:
„Wo Menschen fluchen, segnet Gott."
Empor! dem Jammer zu enteilen;
Dem Größten sind wir nicht zu schlecht.
Der Dichter darf die Himmel theilen,
Wir nehmen unser Dichterrecht.
So! — Hand in Hand! Was sie verbindet.
Trägt uns vereinigt jetzt hinauf;
Die Sterne nahn, die Erde schwindet,
Das Ewige, es thut sich aus.
9
Sieh' hin! Die Heimath steht uns offen,
Des Müden Labung ist bereit.
Da ist der Seele letztes Hoffen,
Da aller Träume Herrlichkeit!
Nun wandern wir aus lichten Wegen
Bis vor des Vaters Angesicht;
Hier knieen wir, wie Kinder pflegen,
Und hören, wie er milde spricht:
„Vertrauet mir; ich will Euch halten.
„Seht hin auf Kreuz und Feuerpein!
„Sie künden Euch das große Walten,
„Sie werden Eure Führer sein.
„Denn auf dem Opfer stehn die Welten,
„Zum Kreuz gesellet sich das Lied,
„Und, wahrlich! ihm will ich vergelten,
„Der meinem Opfer nicht entflieht."
Ach, wie die hohen Worte dringen
So mächtig in das wunde Herz!
Die Saiten unsrer Leier klingen,
Gebrochen ist der Erdenschmerz.
10
Und höher färben sich die Wangen;
Es küßt sie der Versöhnungshanch.
Die Liebe hält uns fest umfangen;
Ich bin versöhnt, du bist es auch.
Wir sind's im innersten Gemüthe,
Getroffen von der höchsten Macht,
Wie Er, dem seine junge Blüthe,
Das erste Kind entgegen lacht.
Und nun, mein Freund, zur Erde nieder!
Fühlst du der Engel Grüße wehn?
Im Liede grüßen wir Euch wieder!
„Fahrt wohl! Fahrt wohl! Auf Wiedersehn
11
Der schönste Sieg.
Der Himmel winkt, des Menschen Brust
Erzittert leis' in süßen Schmerzen,
Und, ein geschenktes Gotteskind,
Zuckt auf die Liebe in dem Herzen.
Nicht der Minute kleinster Theil
Geht mit dem Werden ihr verloren,
Denn in demselben Augenblick,
Da sie gezeugt, ist sie geboren.
Hernieder von des Lichtes Höh'n
Klingt ihr ein Vatergruß entgegen,
Trifft sie der Vaterliebe Blick,
Strömt auf sie hin des Vaters Segen.
„Du," spricht er, „bist mein schönstes Werk,
Dir soll die schönste Gabe werden:
Den Willen nimm, nimm hin die Kraft,
Ein himmlisch' Werk zu thun auf Erden."
12
„Es ahnt der Mensch ein Paradies,
Im Geist erblühn ihm Helle Lande;
Es trägt die Sehnsucht ihn hinauf,
Doch nieder ziehn ihn seine Bande.
Nur eine Gotteskraft, sie kann
Den schwachen Erdensohn erheben;
So reiche du ihm deine Hand,
Und führe ihn empor — zum Leben."
Und in dem Menschenherzen d'rauf
Beginnt ein wundersames Regen;
Die Tugenden ziehn Hand in Hand
Der hohen Führerin entgegen.
Sie reihn sich um die Königin,
Ein wahrhaft königlich' Geleite,
Und nur des Lasters freches Haupt
Erhebet drohend sich zum Streite.
Da blitzt's im Aug' der Königin,
Es fährt die Rechte an die Hüfte;
Die Palme sinkt, ein Flammenschwert
Fliegt siegverkündend in die Lüfte;
Und eine heiße Schlacht beginnt,
Die keine Macht zum Frieden wendet;
Sieg oder Tod! und wer da fällt,
Der hat für alle Zeit geendet.
13
Wohl reißt der Sünde gist'ger Pfeil
In manchen Busen tiefe Wunden,
Doch streckt die Liebe ihre Hand,
Und läßt die Wankenden gesunden.
Wie auch die Noth des Kampfes wächst,
Des Feindes Wuth sich mag erneuen,
Dem schönen Ziel entgegen dringt
Die Königin mit ihren Treuen.
Bis es erreicht, die Waffe sinkt,
Die Schlacht entschieden zwischen Beiden;
Bis von des Herzens heil'ger Statt
Der Lastergeist muß fliehend scheiden;
Bis frei die Bahn der Siegerin
Zum Reiche, das für sie errichtet,
Ein Reich, so strahlend schön, wie es
Der kühnste Traum nicht hat gedichtet.
Da jubelt auf die Tugendschaar,
Da schallen auf die Siegeslieder;
Da, an den Stufen ihres Throns,
Wirst sich die Liebe betend nieder:
„Allvater, fleh', ich bring' ihn dir,
Den du in meine Hand gegeben;
Erschließe deine Himmel ihm,
Er ist es werth, darin zu leben!"
14
Jan van Schaffelaar.
Hoch auf dem Thurm der kleinen Veste,
Die lange schwer belagert war,
Von hundert Kämpfern wohl der Beste,
So steht der Jan van Schasfelaar.
Was drängt sich flüsternd auf den Stufen?
Die bleichen Brüder sind ihm nah;
Und dort hält er, der ihn gerufen,
Der Spaniarde Aquila.
Trompetenklang. — Hör' an, Rebelle,
Du, Ketzer, eines Ketzers Knecht,
Oraniens würdiger Geselle,
Der mit der Hölle liebt und zecht!
Noch einmal sieht aus euch hernieder
Don Philipp von dem Weltenthron.
Hör' an! — Du hörst mich nimmer wieder
„Ich höre dich," spricht Hollands Sohn.
„Die Thore auf für meine Schaaren!
Bei Dem, der meine Seele kennt,
Willst du vor Martern dich bewahren,
Die keines Ritters Lippe nennt.
Die Thore auf! Laß' dich belehren;
Ein Schwert ist viel — es ist kein Brod.
Was du mir heute magst verwehren,
Gewahrt mir morgen eure Noth."
„Ich denke, du hast wahr gesprochen,"
Erwiedert ihm der junge Held;
„Ich hab' das letzte Brod gebrochen,
Und trinke, was vom Himmel fällt.
Doch können wir noch fechtend sterben,
Gewinnen noch Soldatenruh';
D'rum, willst die Veste du erwerben,
So sage an: was bietest du?"
„Den Deinen königlich' Erbarmen."
„Und hast für mich?" — „Das Henkerschwert."
Wie glühend edle Scham dem Armen
In die gehöhlten Wangen fährt!
Er steht gebannt und preßt die Zähne,
Im Schrecken steigt empor der Haß;
Es kämpft hier mit dem Zorn die Thräne,
Die Röthe mit dem Todtenblaß.
16
Ein Blick fliegt fragend zu den Seinen.
Da steht es: „Hunger, Weib und Kind.
Hab' Mitleid, wo die Herzen weinen,
Wo deine Krieger Menschen sind!"
Er saßt nach dem gequälten Hirne,
Der Himmel nur hört seinen Schrei;
Er wischt den Schweiß sich von der Stirne,
Und ruft hinab: „Wohlan, es sei!"
„Es mag der Henker sich bereiten;
Doch einen Bürgen will mein Grab,
Denn mit dem Blute dieser Zeiten
Schwamm Treu und Glaube längst hinab.
Im Eid sollst du den Nacken beugen
Der Erde und dem Firmament;
Ich fordere den höchsten Zeugen,
Den Gottesleib im Sacrament."
„Er komme nieder zu uns Beiden,"
Spricht, sanft sich neigend, Aqnila.
Den Priester dann läßt er bescheiden;
Bald ist der Gottesdiener da.
Durch alle Reihen geht die Kunde,
Die fromme Scheu, nun wird sie wach;
Und Stille herrscht in weiter Runde —
Du hörst der Taube Flügelschlag.
17
„Nimm hin den Leib." — Im Geisteswehen,
Da ziehen alle Zweifel fort,
Und um ein Leben ist's geschehen;
Es hält der Spanier sein Wort.
Er fühlt des Jammers stumme Klage,
Es steigt das schöne Mitleid auf;
Ein Blick nur trägt die letzte Frage
Zu dem Gerichteten hinauf.
Der ist ganz still zurückgetreten,
Die Hände vor dem Angesicht;
Er sagt: „Johann, du mußt nun beten,"
Und sagt darauf: „Ich kann es nicht."
Das Grauen siegt, die Kniee wanken;
„Vom Leben scheiden, ach, so jung!"
Sie reißen sich um den Gedanken,
Der Tod und die Erinnerung.
Hier ist der Kreis, hier soll er bluten,
Es blitzt das Schwert in Henkers Hand;
Da schwebt es her wie Morgenglnthen,
Die Jugend in dem Goldgewand.
Vorbei das Feld, wo er gefochten,
Wo mit Oranien er schlug;
Vorbei der Kranz, den er geflochten,
Den Sie in ihren Locken trug.
W. v. 2 sing, Gedichte. .
2
18
Herauf, heraus aus Purpurtiesen
Der Liebe erste Wunderzeit,
Die Freuden, welche schon entschliefen,
Die ganze Kindesherrlichkeit;
Des Knaben Bett, umhegt von Herzen,
Des Knaben Lust im Blüthenbaum —
„O Gott, o Gott, für welche Schmerzen
Hat eine Menschenbrust doch Raum!"
Es steht der Held, in Nacht verloren.
Die bange Seele schreit nach Licht;
Da ist es plötzlich ihr geboren;
Wie das geschehen, frage nicht.
In Himmelsluft die Brust geweitet,
Nun wird die Klage zum Gesang.
Die Arme siehst du ausgebreitet,
Und fernhin dringt der Stimme Klang:
„Du König auf dem goldnen Throne,
Der du den Henker mir gesandt,
Dich grüßt im Vater und im Sohne
Der Sterbende von Niederland!
Ein König nun, geht er von hinnen;
Ade, was all mein Eigen war! —
Hinunter von des Thurmes Zinnen!
Da habt ihr Jan van Schaffelaar."
i 9
Unterliefe.
Alle: Hebt hoch das Haupt, und hoch den Becher,
Des Lebens Lust, des Lebens Bild;
Der Augenblick hat ihn geleeret,
Der Augenblick hat ihn gefüllt.
Erster Reiter: Ein Mädchen dort.
Chor: Wir werben.
Erster R.: Des Feindes Heer.
Chor: Wir sterben.
E r st e r R.: Ein tiefes Grab.
Chor: Uns kümmert's nicht.
Zweiter R.: Der Himmel dort —
Chor: Ist unser Licht!
Alle: Hebt hoch das Haupt, und hoch den Becher,
Des Lebens Lust, des Lebens Bild;
Der Augenblick hat ihn geleeret,
Der Augenblick hat ihn gefüllt.
2*
20
Chor: Wer spricht von Tod und Grabestiefe!
Ist die Gefahr doch unsere Lust.
Euch Lieben lassen wir die Seele —
Und nun dem Feinde uns're Brust!
Erster R.: Er stürmt heran.
Chor: Er falle.
Zweiter R.: Entgegen ihm!
Chor: Wir Alle!
Erster R.: Karthaunenblitz —
Chor: Und Schwerter hie.
Zweiter R.: Der Fahne zu!
Chor: Wir haben sie!
Alle: O Geist des Muthes und der Treue,
Du bist mit uns, und wir sind dein.
Hurrah! In dichtem Pulverdampfe
Blitzt unser Schwert wie Edelstein.
Chor: Und wenn der Leib zur Erden sinket,
Sinkt alles hin, was unser war.
Hinauf! Habt Acht! Sanct Peter winket —
Dritter R.: Wer seid ihr?
Chor: Eine treue Schaar.
Dritter R.: Was thatet ihr?
Chor: Wir warben.
22
Wach' auf!
Rose am lieblichen Busen,
Blume zur Blume gesellt;
Schönste du aller Vertrauten,
Herz einer blühenden Welt;
Leben, dem Leben so nahe,
Wecke das schlummernde nun;
Thu' es mit kosendem Flüstern,
Wie es die Liebenden thun.
Ist ja dein Duften schon Sprache,
Ist ja dein Blühen Gesang.
Rose, ich höre im Busen
Leise erzitternden Klang.
Bringe die mahnende Kunde:
„Schwester, es ist an der Zeit.
Mußt nun die Liebe empfangen;
Bebendes Herz, sei bereit."
„Liebe ist leuchtende Jugend,
Schwebend auf buntem Gefild;
Lieb' ist das Höchste der Erden,
Liebe der Ewigkeit Bild."
Singe das Lied aller Lieder,
Daß diese Wangen erglühn;
Rose, noch eh' Du geendet,
Ehe die deinen verblühn,
Hoch aus der heiligen Tiefe
Steigt es mit jubelndem Schall,
Kommt es dir wogend entgegen
„Lieb' ist das himmlische All!"
24
Gottes Gesetz.
Ein Seelenbund, von Gott geschlossen,
Währt ewig wie das Firmament,
Denn über ihn ist ausgegossen
Das hohe Himmelssacrament.
Ob sich die Seelen auch verloren,
Ihr Engel denkt in guter Ruh' :
„Sie werden neu im Schmerz geboren,
Und fliegen dort einander zu."
An der Wiege.
Wie bist du, süße Kleine,
So nahe noch dem Tod;
Ein Licht im ersten Scheine,
Von einem Hauch bedroht.
Wie bist du, süße Kleine,
So mächtig ohne Wort;
Du lächelst — ganz alleine
Des Alters Hölle fort.
26
Erdenruhm.
Sie flog dahin, die goldne Zeit,
Es fielen meine Kinderlocken.
Des Lebens Vorhang ging empor —
Da stand ich, glühend und erschrocken.
Ein Krönungskleid sah ich voll fern,
Wollt' es um jeden Preis erlangen;
Und als ich's hatte, sieh', da war's
Das Leichenkleid der rothen Wangen.
27
Ein Hort.
Ueber den Blüthen flattert die Freude,
Und in dem Zauber zur Wonne geschwellt,
Trunken in's Unermeßliche schauend,
Lockt sie herauf eine glühende Welt.
Doch in den Kelchen ruhet die Kindheit;
Neigt sich der selig ermattete Blick,
Kommt sie hervor aus duftender Tiefe,
Schützend die Liebe, das heilige Glück.
28
Die Hölle.
Was die Hölle? Kann nur sagen,
Daß mein Kind der Himmel ist.
Einen Engel mußt du fragen,
Der im Fall die Tiefe mißt.
Frage jene Maid, die blasse,
Die erbebt im Mutterkuß;
Die, verloren, dieses fasse!
Unterem Segen knieen muß.
29
Nachhall.
So trüb erschien mir kaum ein Tag.
Ich hatt' 'nen Traum voll Lust und Singen;
Er flüstert mir die Wonne nach,
Und will noch immer nicht verklingen.
Es träumte mir von Wangenglühn,
Von Kränzen in dem Lockenhaare;
Ein Jauchzen war's, ein zagend' Mühn
Das holde Nichts der sechszehn Jahre.
30
Die Werbung.
Grüß Gott, liebes Mädchen
Ich hab' dich gesehn
Im Traum am Altare
Zur Seite mir stehn.
Da dachte ich Ihrer,
Die selig schon sind
Hoch über den Sternen!
Sei ruhig, mein Kind.
Ein Engel, er legte
Uns Hand nun in Hand;
Mir war es, als hätt' ich
Ihn immer gekannt.
Wie sprach er und saug er
Von Liebe und Lohn!
Ich trug auf den Armen
Dich weinend davon.
31
Sei ruhig! Ein Zeichen
Im Traume geschah;
Der Traum ist entschwunden,
Das Glück, es ist da.
Nimm Liebe, nimm Leben,
Und glaube es mir:
Wär' Lieb' eine Krone,
Ich brächte sie dir.
Willst mehr noch, mein Mädchen,
Gieb Blick mir für Blick;
Ich suche im Guten
Das ewige Glück.
Ich übe die Milde,
Ich meide den Spott;
Hab' lieb alle Kinder,
Und glaube an Gott.
Zum Haus meiner Wiege
Nun folge mir nach;
Die Tauben umflattern
Ein friedliches Dach.
Der Segen, die Freude,
Sie leiten den Zug;
Am Thore empfängt dich
Ein freundlicher Spruch.
Vereinigt im stillen,
Im heiligen Raum,
Zwei Menschen, sie träumen
Den lieblichsten Traum;
Wie leuchtend, wie herrlich,
Wir sagen's nicht an;
Sie träumen wohl Vieles —
Erwachen — und dann —
Vier Augen sehn nieder,
Zwei Augen herauf;
Da geht in dem Herzen
Ein Himmel dir auf.
Run frag' ich: Willst mit mir?
Gieb Antwort geschwind!
Die Hand von den Augen!
Sei ruhig, mein Kind.
34
Dich hält das reinste Glück umsangen,
Fühlst du, zur Wonne eingewiegt,
Solch' Weib an deinem Halse hangen,
Die Wange glühend angeschmiegt.
Der Zweifel ist von dir genommen,
Gelöst ein jeder Erdenbann;
Und eh' du weißt, wie es gekommen,
Gehörst du allem Guten an.
Und sieh', der Gattin Augen winken —
So wird die Erdenlust geweiht —
Von ihren Lippen darsst du trinken
Die Ahnung der Unsterblichkeit.
Was Wunder, daß der Gott der Liebe,
In seinem Werke hoch beglückt,
Die Hohepriesterin der Liebe
Mit seinen besten Gaben schmückt!
35
Wiegenlied.
Ich seh's im kleinen Augenstern,
Mein trautes Kindchen schliefe gern;
Mein Liebchen treu und brav,
Mein herzig' Liebchen, schlaf.
Ach höre, guter Jesus Christ,
Der du die Kleinen einst geküßt,
Sieh' auf das Kind herab,
Das ich geboren hab'.
Gieb deinen Blick zu meinem Wort,
Dann wird es ihm zum besten Hort;
Wo solche Wächter stehn,
Was möchte da geschehn!
Die Mutter singt, ein Engel fliegt
Zur Wiege, wo ihr Leben liegt,
Drückt sanft die Aeuglein zu —
Nun schlaf' in guter Ruh'.
3 *
Es schläft — o du mein Engel, gieb
Ihm süßen Traum von Mutterlieb';
Und lächelt's auf zu mir,
Erzähl' ich ihm von dir.
37
Ein Blick.
„Noch einmal will ich dir verzeihn,"
So spricht die Mutter zu dem Kinde,
„Doch wehe, wenn ich wieder dich
Auf solchen bösen Wegen finde!"
Was spricht des Weibes Herz dazu?
„Du liebstes Theil von meinem Leben,
Wie oft ich dir auch zürnen mag,
Ich muß dir immerdar vergeben."
Der Finger, warnend hochgestreckt,
Das Kind gedrückt von Mutterarmen;
In diesem Bilde spiegelt sich
O Herr, dein ewiges Erbarmen.
Wohl ihm, deß' Blicke liebevoll
An allen deinen Werken hangen!
Mehr wird er von dem Augenblick,
Als von dem Wissen je empfangen.
— 38 —
D'rum fühlt der Dichter sich so reich,
Und ist sein Weg der Weg zum Segen;
Strahlt ihm aus jeder Blüthe doch
Dein Bild — die Poesie entgegen.
39
Lied.
Wo zwei Seelen sich gefunden,
Blüht die ew'ge Jugend auf,
Winden sich zum Kranz die Stunden,
Flieht das Irdische hinauf.
Ihre Sprache selig Schweigen,
Ihre Blicke süß gebannt;
Rings umher das All ihr Eigen,
Auch der Traum ihr Heimathland.
Frei die Wege, wo sie wallen!
Kommt das Schöne doch herab;
Und es wird zum Segen Allen,
Was die Lieb' den Beiden gab.
Ruft der Liebe Dienerinnen!
Rosen auf die Stirn gedrückt,
Rosen, daß von Königinnen
Eine Kön'gin werd' geschmückt!
40
Wo zwei Seelen sich gefunden,
Ist der Sphären Harmonie;
Wer da sehnend schon empfunden,
Lausche still der Melodie.
Aus dem Jubel, aus dem Weinen
Klingt der leise Zauberton:
„Was uns trennt, muß uns vereinen
Auch das Grab ist unser Lohn."
41
Zuruf.
Dem Menschen gelten meine Worte,
Der liebend sich zum Menschen fand,
Und, was schon die Natur verbunden,
Mit eig'ner Hand noch fester band;
Der, um das Rechte zu ergründen,
Die Blicke auch nach Oben lenkt,
Von seikies Tages vielen Stunden
Dem Himmel eine Stunde schenkt.
Dem Menschen, der in solcher Stunde
Weit allem Erdenzwang entflieht,
Und frei, wie Gottes Engel schweben,
Mit seinem hohen Führer zieht;
Der sich zurück vom Himmelsfluge
Die Wahrheit bringt und treulich hegt,
Daß, welcher Schmuck dem Geist gebühre,
Das Herz allein die Krone trügt.
43
Mr das Jeden.
Und fehlte dir der Augen Licht,
Und könntest nicht die Schöpfung sehen,
Blick' in dein Herz zurück, in ihm
Wird dir des Schöpfers Bild erstehen.
Dem Menschen siehst du ihn die Welt,
Den Engeln seine Himmel schenken,
Und doch für sich im kleinsten Raum
Ein ewig' Paradies erdenken.
Ein Paradies, aus dem hervor
Die wundersamsten Blüthen dringen;
Ob noch so zart, sie können dich
Hinauf zu ihrem Meister bringen.
Er senkte ihre Keime ein,
Du sollst der jungen Blumen warten;
Sie sind des Herzens Tugenden,
Und ist dein Herz der Gottesgarten.
Wo du nur eine Blume brichst,
Kannst du sie alle sterben sehen,
Doch wo du alle liebend pflegst,
Wird keine Blüthe je vergehen.
So liegt es, Mensch, in deiner Hand,
Dir ew'gen Tod, dir ew'ges Leben,
Dem Himmel namenlosen Schmerz,
Die höchste Freude ihm zu geben.
45
Den Mächtigen.
Rufet die Künste, die himmlischen Kinder,
Daß sie verklären die irdische Pracht;
Grüßet sie innig, die Lieblichen üben
Ewig die größte, die kindliche Macht;
Kommen gezogen mit blühenden Gaben,
Treiben die finsteren Gäste hinaus;
Nehmen euch tanzend im Kreise gefangen,
Füllen mit Singen und Klingen das Haus.
Rufet die Künste, ihr Mächtigen alle,
Und sie durchschreiten erhellend das Land,
Sammeln der Jünger aufjubelnde Schaaren,
Fassen und halten die suchende Hand;
Lehren sie vor dem Gemeinen erbeben,
Lehren sie ringen um hohen Gewinn;
Wecken die schlummernde Menge, und führen
Sie durch das Schöne zum Guten dahin.
46
Hoch mit Gesängen und hallenden Glocken
Ehrt ihr den Schooß, der die Künste euch gab;
Ehret ihn höher; in bittende Hände
Leget das Brod, nicht den durstigen Stab.
Nimmer entschlummern die Augen der Mutter,
Sehn auf die Freude, und sehn auf den Schmerz
Stoßt ihr zurück von der Schwelle die Kinder,
Trefft ihr die Mutter in's liebende Herz.
47
Die Rose.
Aus dem schlammgetränkten Boden,
Den sie zaubergleich verschönt,
Wachst die königliche Rose,
Im Erblühen auch gekrönt.
Ihren Duft und ihre Blätter
Streut die holde Geberin
Ueber Veilchen in der Sonne,
Ueber Wurm und Larve hin.
Hast du einen Geist empfangen,
Der wie jene Rose blüht,
Fasse freudig das zusammen,
Was im Innern dir erglüht.
Ueber Seelen, über Larven
Wehe dann die goldne Saat;
Harre aus auf deinem Felde,
Bis die Abendruhe naht.
48
Denn die Rosen und die Geister
Werden einer Welt gesandt
Als die Schöpfer aller Freuden,
Die dem Guten sind verwandt;
Und nur von des Daseins Boden
Wird es ihnen reich gewährt,
Was, zu Poesie gewandelt,
Das Gemeine rings verklärt.
49
Das Vorbild.
Du wolltest mit dem Himmel rechten,
Weil er zum Sieg den Kampf dir bringt?
Verzagen, weil in langen Nächten
Dein Geist mit Dichterqualen ringt?
Ich führe dir ein Weib entgegen,
Wohl in der größten Stunde Noth;
Durch Schmerzen wandert sie zum Segen,
Es wandert nebenher der Tod.
Ihr ist das Schwerste zugemessen.
Sie trügt es muthig, trügt es mild;
Und dann, in seligem Vergessen,
Küßt sie des Höchsten Ebenbild.
Sag' an! Soll dich ein Weib beschämen,
Die Zarte, deren Herr du bist?
Hinweg dein Bangen und dein Grämen,
Und schaffe, was Gott ähnlich ist!
W. v. Ising, Gedichte.
i
50
Jugendzeit.
Sei mir gegrüßt, o Jugendzeit,
Du wundersüßes Bangen;
Gab' ich dahin die ganze Welt,
An dir wollt' ich noch hangen.
Wo ist die Brust, darinnen wohl
Du wärest je verklungen,
Du allerschönstes Zauberlied,
Vom Himmel uns gesungen!
Du steigst herauf, es nahen mir
Der Erde höchste Wonnen;
Durch Rosenselder geht der Weg,
Hoch oben tausend Sonnen.
Und Blüthenstaub auf Wangenroth,
Der Unschuld echte Zeugen;
Und Haupt und Herz, die gläubig sich
Vor allen Wundern beugen.
■
— 51 —
Wie fern, wie fern das Böse all',
Wie nahe Glück und Hoffen;
Das Auge hell, die Brust so weit.
Und allem Guten offen.
Sei ewiglich gebenedeit,
Du Hort der zarten Triebe,
Du fromme Zeit, du heil'ge Zeit,
Du Zeit der reinen Liebe!
4*
52
In der Nacht.
Wie so milde schwebt sie nieder;
Mütterlich deckt sie uns zu,
Und erzählt den Müden wieder
Von der allerletzten Ruh'.
Schäfers Lied in weiter Ferne;
Dort versinkt das Abendgold —
Ueber mir die lieben Sterne,
Die der Knabe zählen wollt'.
Und es düsten die Violen
Träumerisch Vergangenheit.
An den Busen, wie verstohlen,
Schmiegt sich Kindesseligkeit.
Herz, was sagst du? „Ich muß glauben,
Wo ich lallend schon geliebt.
Den soll mir der Tag nicht rauben,
Den die stille Nacht mir giebt."
„Nimmer, nimmer kann es lügen,
Was in diesem Schweigen spricht:"
„All dein Wissen mag dich trügen,
Deine Sehnsucht trügt dich nicht."
54
Kebe und Treue.
Schön ist die Mutter,
Die Liebe genannt,
Ist für die Schönste
Auf Erden bekannt.
Schön ist die Tochter,
Die Treue genannt,
Ist für die Schönste
Vom Himmel erkannt.
Wenn von der Mutter
Die Tochter lüßt ab,
Mutter und Tochter,
Sie sinken in's Grab.
Nur im Vereine,
Da blühen sie fort,
Schaffen hienieden
Das selige Dort.
Die Mutter.
Königin im Reich der Schmerzen,
Alle Häupter neigen sich;
Was da lebte unter'm Herzen,
Preiset mit dem Herzen dich.
Und wir armen Dichtersöhne,
Ausgesäugt von der Natur,
Bringen uns'rer Leier Töne,
Unsre Habe, unsern Schwur.
Zürne nicht, wenn Erdenjammer
Uns entführt dem reinen Glück,
Denn in deine stille Kammer-
Kehren alle wir zurück;
Wo die frommen Sprüche keimen,
Wenn die Lieb' das Leben hält,
Und sich summend Lieder reimen
Für die kleine Mutterwelt.
56
Wollen an der Wiege sitzen,
Und geduldig niedersehn,
Bis die beiden Sterne blitzen,
Die in warmer Tiefe stehn.
Ans der Wiege, aus der Quelle
Senden Lieb' und Liedeston
Ohne Ende Well' auf Welle —
Horch! — Die Saiten zittern schon.
Vor einem Kinde.
Nun ist mir, als ging' es zum Frieden;
Es endet die quälende Nacht.
Hier waltet in ewigem Lichte
Die Unschuld, die liebliche Macht.
Komm, hebe das Haupt, das geküßte,
Und laß' in die Augen mich schau'n;
Ich will meine Schuld und mein Leiden
Dir, Engel der Erde, vertrau'n.
Ich habe das Leben durchstürmet
Nach Ruhm und nach jubelndem Glück;
Nun kehr' ich verwundet und müde
Zur tröstenden Kindheit zurück;
Zurück auf die blumigen Wiesen!
Zurück in der Seligkeit Land!
Noch hat keine Krone gegeben,
Was unter den Blumen ich fand.
58
Nimm ab von dem Müden die Bürde;
Er trug ja so lange, so schwer.
Wir wollen zusammen nun gehen,
Und wollen nicht trennen uns mehr.
Denn all' deine Tage sind Wonne,
Und all' deine Nächte sind Ruh'.
Es reichen dir Engel die Hände;
Dem Himmel am nächsten bist du.
Welt und Dichter.
Allen Stürmen hingegeben
Zwischen Erd' und Firmament —
Schonet, ach! des Dichters Leben,
Das ihr sehet, und nicht kennt.
Laßt es wogen, laßt es schäumen,
Geht das Streben nur hinauf;
Aus der Nacht und aus dem Träumen
Quillt sür euch die Wahrheit auf.
D König mein, Gedanke,
Des Dichters Haupt und Ehr',
Wie möchte dir geschehen,
Wenn nicht die Schwester wär'
Wenn nicht Musik dich führte
Die dunk'le Bahn entlang,
In Ruhe dich versenkte,
Dich weckte zum Gesang!
61
Letzte Stunde.
Wie oft ich fiel im Streben,
Erhör' des Kindes Bitt'!
Ich that mit diesem Leben
Zu dir den ersten Schritt.
Ein Engel konnte fallen,
Und hatte dich gesehn;
D'rum Gnade, Gnade Allen,
Die noch so ferne stehn!
Einen Gott willst dn nicht ehren,
Weil er im Geheimniß wohnt;
Du verwirfst der Mutter Lehren,
Hast die Kindheit abgelohnt.
Ehrst du nicht des Herzens Triebe
Nicht des Dichters Phantasie?
Und — Geheimniß ist die Liebe,
Und Geheimniß Poesie.
— 63 -
Laßt ruhn.
Teil armen Träumer, der versunken,
Bevor ein schönes Werk gedieh,
Gebt ihm sein Grab am Blüthenbaume,
Laßt ruhen ihn in Poesie.
Und wenn dann zehn der Blüthen fallen.
Wo eine volle Frucht nur schwillt;
Dann wollet denken, und nicht richten;
Die Blüthen sind des Todten Bild.
64
Heine Liebe.
Reine Liebe ist ein Engel,
Reine Liebe wird gesandt
Mit der Botschaft ans den Lippen,
Mit dem Glücke in der Hand.
Wo dich solche Lieb' umfangen,
Weile; wer sich ihr entzieht,
Muß dem eig'nen Glück entfliehen,
Wie dem Werke er entflieht.
65
Wallfahrt.
Vom Himmel berufen,
Der Erde geweiht,
Zu liebendem Schaffen,
Zum Dulden bereit;
So stehet der Dichter,
So lenkt er den Fuß
Hinein in das Leben;
Sein Werk ist sein Gruß.
Und grüßend durcheilet
Er Hütte und Schloß.
„Genießet die Gaben,
Wie ich sie genoß."
Den Bettler am Zaune
Umfangen er hält.
Es strahlet das Auge,
Es strahlet die Welt.
W. v. 3 sing , Gedichte.
5
66
Doch winken dem Armen
Der Leiden genug;
Es ist ihm gesprochen
Der süßeste Fluch:
„Du sollst meine Länder,
Die Herzen bebau'n;
Die Saat sollst du säen,
Die Erndte nicht schau'«."
Einst fleht er: „Mein Vater,
Sieh' gnädig auf mich;
Ich habe mit Eifer
Geworben für dich.
Nun zaget die Seele
In wachsender Noth;
Herr, bist du zufrieden,
Dann sende den Tod!"
Und hört er ihn klingen,
Und fühlt er ihn nahn,
Nie hat was auf Erden
So wohl ihm gethan.
67
„Du leuchtende Heimath,
Hier bin ich, dein Sohn!"
O glückliche Seele!
O herrlicher Lohn!
5 *
70
Der Schah.
Ein hoch' Geheimniß nenne dein,
Darum nur noch ein Gott mag wissen;
Das hüte du! — im Sonnenschein,
Und in des Lebens Finsternissen.
Es lohnt die Wacht dir sicherlich,
Es wird dem Müden einst zum Stabe;
An ihm erhebst du hoffend dich,
Und neigst dich ruhig dann zum Grabe.
71
Bei den Blumen.
Ein Blüthenkelch im Moose,
Von Zauberlicht umwebt,
Zu dem ein Blatt der Rose
Hold taumelnd niederschwebt.
Es ruhen alle Triebe;
Ich denke deiner nur,
Rur deiner, erste Liebe,
Du Liebling der Natur.
72
Im Schweigen.
Wenn einmal nur
Dein „liebes Herz"
Dir Treue schwur
Für Lust und Schmerz,
Verkenne nicht,
Was du erreicht:
Die Liebe spricht,
Die Treue schweigt.
73
Hohe Stunde.
Mädchen aus der Unschuld Landen,
Schöne, stille Herrscherin,
Liebliche, des Seelenfriedens
Abbild und Verkünderin,
Laß' mich weilen, und vertrauend
Wende mir das Antlitz zu;
Die Verleumdung ist uns ferne,
Hier ist Gott, bin ich und du.
Laß' mich weilen, wo die Fülle
Deiner dichten Locken wallt,
Bei den Augen, wohl noch schöner,
Wenn's im Herzen wiederhallt;
Bei den Wangen, sanft geröthet,
Wie von Elfen angehaucht,
Die mein süßer Kinderglaube
In die Blüthen einst getaucht.
74
Laß' mich weilen vor dem Bilde,
Wie der Jüngling es erträumt,
In dem Lichte, das die Wolken
Auch des Mannes goldig säumt;
Laß' den Zauber mich genießen,
Den Natur für dich erdacht,
Der die Stelle, wo du weilest,
Mir zur lieben Heimath macht.
Schönheit in der Jugend Prangen,
Meine Dichtung, sage an,
Welchen Reiz gebar die Erde,
Den ich ihr vergleichen kann?
Nur die Blume, wenn sie glühend
Sich empor zum Menschen ringt,
Und dem Kinde laute Freude,
Und dem Greise Wehmuth bringt.
Doch, es ist des Hohen Wesen,
Daß es zu dem Höher'n führt,
Mit geweihter Kraft die Saiten
Heiliger Empfindung rührt.
Wenn die Blüthen mich erfreuen,
Danke ich dem Sonnenstrahl,
Und es zeigt die Erdenschönheit
Mir der Schönheit Himmelsmaal.
„Welches Maal?" willst du mich fragen —
Nun das Haupt an meine Brust!
Jubelnd preise ich der Augen,
Leise meines Herzens Lust:
Leise, was sich ruhig webend
Schon dem ersten Weib verband,
Was des ersten Mannes Seele
Schon das Weibliche genannt.
Wie sich deine Blicke wenden,
So, als müßten sie mich fliehn!
Wie der Scham und Freude Schwingen
Ueber Stirn und Wange ziehn!
Was die Unschuld dir verborgen,
Grüßend tritt es nun hervor;
Herrlich' Bild! Die Morgenröthe
Eines Lebens steigt empor.
Und ich stehe hingegeben
All dem Sonnenschein und Glück.
Hätt' ich meinen Gott verloren,
Hier gewänn ich ihn zurück.
Poesie, du schmückst das Leben,
Das die kalte Welt entlaubt —
Also ist der Geister Walten
Ueber ihres Dichters Haupt.
76
Taus ch.
Dich schmückte eine Rose,
Der Schönheit schönste Zier.
Der Himmel fragte leise:
„Was giebst du mir dafür?"
Ich sah ihm in die Augen,
In die so oft ich sah.
Er hatte mich verstanden,
Und nickte freundlich „ja".
Da mußt' es wohl geschehen,
Wie mich dein Blick auch mied.
Nun hab' ich meine Rose;
Der Himmel hat sein Lied.
77
Jugendklänge.
Zu der nächtig dunkeln Ferne,
Liebe Seele, sieh empor;
Zieh' hinauf zu jenem Sterne,
Den die Sehnsucht dir erkor.
Darfst ja folgen dem Verlangen;
Flieh' hinauf aus reiner Brust.
Harmonie ist dein Empfangen,
Und dein Gruß ein Schrei der Lust.
Von der Phantasie getragen
Durch des Aethers Wogen hin,
Weit entrückt dem Erdenzagen,
Fühlst du dich als Königin.
Geist zum Geist emporgedrungen,
Kann die Freude größer sein!
Und sie halten fest umschlungen
Sich in ewigem Verein.
Müßtest irrend du am Stabe
Gegen eine Lebensfluth,
Dieser Stunde Morgengabe
Brächte dir den hohen Muth.
Wo die Seelen schuldlos walten,
Wo sie beten im Genuß,
Soll sich dir das Glück entsalten
In der Gottheit Liebeskuß.
Alle Nebel sind geschwunden;
Es erhebt sich hell und hoch,
Was du ahnend schon gesunden,
Was durch deine Nächte zog.
Nicht das Land der lauten Wonne,
Keinen golddurchwebten Traum,
Siehst im Licht der Friedenssonne
Einen heimisch stillen Raum.
Ihn, der, holde Grüße sendend,
Ost dem Armen zugenickt,
Und auf den, vom Glanz sich wendend.
Trüb des Fürsten Auge blickt;
Jene Stätte, deren Leben
Gleich der weihevollen Nacht
Ganz dem Guten hingegeben;
Jene Stätte schönster Macht,
79
Wo sich Lieb' und Unschuld finden;
Wo die Kinder Hütten bau'n,
Und sich bei dem Kränzewinden
Heimlich ihre Lust vertrau'»;
Wo das Herz im ersten Wallen
Freudig seine Kraft ermißt;
Wo, gesprengt, die Ketten fallen;
Wo die Freiheit göttlich ist! —
Traute Seele, neige wieder
Dich herab, und höre mich:
Zu der Erde schwebe nieder;
Was du sahst, erwartet dich.
Süße Ruhe, duftig' Blühen,
Alles der Gebieterin!
Ueber unser stilles Glühen,
Klingend, zieht ein Lied baf)in
80
Im Himmel.
Die Liebe im Herzen,
Die Blumen im Haar;
Was sprecht ihr von Leiden!
Es ist ja nicht wahr.
Ich hab's von der Mutter;
Die sagte, es sei
Die Liebe der Himmel,
Wenn Treue dabei.
Ihr Blumen, ihr Schwestern,
Du gütige Nacht,
Bringt wieder mir heute,
Was einst ihr gebracht.
Mein Kleid ist wie Nosen;
Ihr Lieben, o wißt:
Er hat mir die Locken
Im Nacken geküßt.
81
Dort unter den Bäumen —
Ist's trügender Schein ? —
O Mutter, vergieb mir!
Ich denke nur sein.
Es kommt durch die Blüthen
Wie eilender Fuß;
Es flüstert herüber
Wie Name und Gruß.
Es rauscht in den Zweigen;
Das Himmlische winkt.
Mich heben zwei Arme;
Die Erde versinkt!
Geliebter, was bin ich?
Du hast es gesagt,
Doch hast du auch immer
Mich also gefragt.
Was bin ich, was bin ich
In Freude und Noth?
Was bin ich, Geliebter,
Durch Leben und Tod?
W. v. Ising, Gedichte.
-
82
Hier steht's ja im Auge,
Da klopft's in der Brust:
„Ich bin deine Seele!
Ich bin deine Lust!"
83
Die Begleiter.
„Ob Liebend mich Geister umschweben?"
So fragte entschlummernd mein Blick;
Und leis' aus dem nahenden Leben
Der Träume so klang es zurück:
„Wir sind mit den Blumen verbunden,
Und kommen zur Erde herab.
Wir segnen die letzte der Stunden;
Es decken die Blumen dein Grab."
6*
84
Ei n AueU.
Wo zwei Kinder sich umarmen,
Bleibe freundlich horchend stehn;
Fühlst du dann dein Herz erwärmen,
Magst du ruhig weiter gehn.
Was die Welt dir auch genommen,
Etwas blieb noch, ihnen gleich,
Die zum Heiland sind gekommen,
Denen ist das Himmelreich.
85
Die Engel.
Seh ich dich so ruhig stehen,
So, gefallen, Hand in Hand,
Klingt es mir wie ferne Stimmen
Aus der Jugend Wunderland;
Wie melodisches Erzählen
Bei den Blumen in der Nacht --
Hat die Mutter da gesungen? —
Hat ein Traum mir das gebracht?
In den Wolken jener Bogen,
Farbenhell und goldesschwer,
Wär' 'ne Brücke — und darüber
Kämen Engel zu uns her.
„Rechte Engel?" wollt' ich wissen;
„Rechte Engel, die uns nahn
Mit dem Himmel in den Augen,
Nur wie Menschen angethan."
86
„Kannst sie finden allerwegen,
Kommen auch in unser Haus;
Tragen willig ihre Bürde;
Bei der Unschuld ruhn sie aus.
Mit den guten, frohen Herzen
Sind sie fröhlich; aber dann,
Wenn wir hassen, wenn wir murren,
Stehn sie still, und sehn uns an;
Daß wir immer wieder lieben,
Lieben bis zum tiefen Grab;
Daß wir immer wieder hoffen —
Dazu kommen sie herab."
Ach, wie labend diese Klänge
Einer Kindespoesie!
Ihnen lauscht im Hochgefühle
Sterbend noch die Phantasie.
Ach der süßen Engelzeiten!
Ost belächelt, nun erkannt,
Seh ich dich so ruhig stehen,
So, gefalten, Hand in Hand.
87
Ewiges Sehnen.
In jener Stunde Hochgesang,
Da Lieb' und Herz sich fanden,
War etwas wohl wie Heimathklang
Aus den gelobten Landen.
Es steht die Jungsrau sinnend noch
Bei ihres Jünglings Werben;
Sie denkt, es wär' das Schönste doch,
In solcher Liebe sterben.
88
Der Webenden Spruch.
Du junges Paar im Wonneland,
Wo Menschen Götter werden;
So reich, so reich! nun nenne mir
Das Schönste auf der Erden.
Der Jüngling spricht: „Die Liebe ist's,
Der Liebe Gluthentfachen;"
Die Jungfrau aber schweigt; sie denkt:
„Der Liebe leis' Erwachen."
89
Junge Liebe.
Wie sich ihre Wangen röthen,
Und die Blicke irrend ziehn!
Wollt ihr glühend euch umfangen?
Wollt ihr bebend euch entfliehn?
Welches Ringen, welches Flehen!
Holder Scham geweihter Klang,
In dem Busen noch erzitternd,
Auf den Lippen schon Gesang.
Welches Kämpfen, welches Siegen
Mit den Waffen der Natur!
Aber schöner das Erliegen,
Ob mit einem Laut auch nur.
Herz an Herz! so ist das Ende;
In dem Aug' der Wonne Naß,
Und im Blick die eine Frage:
„Guter Himmel, was ist das?"
90
Was es ist? — der Knospe Springen,
Lieberus der Mondesnacht.
Habt geschlummert sechszehn Jahre,
Eben nun seid ihr erwacht.
Staunt, und wagt noch nicht zu deuten
Jenes Tones Allgewalt,
Der im Anfang ist erklungen,
Und am letzten Tag verhallt.
Fühlt noch nicht der Geister Nähe,
Deren Athem euch umweht;
Wißt nicht, wie der Eine lächelnd,
Und der And're lachend steht.
Wird die Unschuld euch bewahren? —
Laß' die Glücklichen allein!
In dem Arm der ersten Liebe
Werden Beide Engel sein. —
Blumen duften, von den Zweigen
Strömt hernieder Melodie;
Ihre vielgeliebte Schwester
Grüßt also die Poesie.
92
Der Liebe sanfte Gluthen,
Das Wort: „Ich bin bereit;
Führ' du mich hin zum Guten";
Das ist die Ewigkeit.
Bewahre meine Züge;
Sie sind ein letzt' Gebot.
Im Leben ist die Lüge,
Die Wahrheit ist im Tod.
Nun blieb' ich wieder gerne;
Hätt' immerdar gewacht.
Wie bist du schon so serne —
Mein liebstes Kind, hab' Acht!
93
DichLergruß.
Des Mädchens Haupt in Jünglings Armen,
Im Busen das ersehnte Weh;
Die ganze Saat in vollem Prangen,
Du holde Kindheit, nun ade!
Magst, Kleine, du vergraben flüstern,
All deine Worte höre ich;
Das letzte war: „Ach, laß' mich gehen!"
Das nächste ist: „Ich liebe dich!"
Du schönes Bild entfernter Wonnen,
Für meine Welt die hohe Zier,
Dich lieb' ich um der Liebe willen,
Und meine Geister send' ich dir.
Und willst du mehr, schließ' deine Augen;
Vorüber mit der Perlenschaar
Zieht es dahin in gold'ne Weiten,
Was dir das junge Herz gebar.
95
Hinauf!
Ueber die Wolken auf Schwingen des Lichtes l
Einmal den Blick im Entfliehen hinab!
Prangende Reiche, vorüber ihr alle!
Da geht die Liebe, und da ist mein Grab.
Trauernde Häupter, es fallen die Locken
Bis auf die Blumen, von Thränen so schwer.
Müsset, ihr Armen, an blühendem Sarge
Weinen alleine, ich kann es nicht mehr.
Ueber die Sterne! Welch jubelnder Neigen,.
Der mich in blitzendem Wogen umgiebt!
Geister der Lüste, begrüßt den Entzückten;
Daß ihr es wisset, ich habe geliebt.
„Hast du geliebet, wir wollen dich halten."
Kann ja nicht weilen; o lasset mich fort,
Auf zu den Hallen der Wahrheit; es fliegen
Klingend die Thore, ich kenne das Wort!
96
Ueber die Sonnen! Nun darf ich sie schauen
Irdische Augen ertrügen sie nicht.
Glühend Verlangen, du heiliges Sehnen,
Bringe zum Letzten mich hin, zum Gericht.
Höret, Gewaltige, die ich empfunden,
Ewige Mächte, im Gotte vereint,
Gebt mir das Leben, sür das ich gerungen;
Habe gesündigt, doch hab' auch geweint! —
Kann ich es nennen, was dort sich entfaltet!
Vor dem Unendlichen schweigt der Gesang;
Aber ich fühle das Auge des Vaters,
Höre der Liebe unsterblichen Klang.
Was mir geschehen? Ihr Trauten der Erde,
Die ihr noch ringet im Schoost der Natur,
Möget ja weinen, doch Thränen der Freude;
Ich bin geboren — ach wüsttet ihr nur!
97
Toussaint t'Duvcrlure.
Es führte mich der Geist von hinnen,
Dem schönen Reich der Franken zu;
Da stand ich mit erschreckten Sinnen
Im tiefsten Kerker von La Joux.
Den tröste Gott in seinen Banden,
Der hier sich krümmt, des Jammers voll;
Er wird begraben in '-en Landen,
Davon er nicht erzählen soll.
Dort schlummert er, den sie entrissen
Domingo's heißer Blüthenlust;
Der bis zum Tode soll vermissen
Das Vaterland und eine Brust.
Ein Neger ist's. vom letzten Stamme,
Doch aller Völker hohe Zier,
Den Herzen eine Oriflamme,
Der edle Toussaint l'Ouverture.
W. tz. Ising, Gedichte.
7
98
Mit Sclavenbanden der gekettet,
Auf den die Freiheit jubelnd wies;
Zu dem Gewürm das Haupt gebettet,
Auf das ein Gott sich niederließ.
Es ist geschehn. Schlag' an die Töne,
Dies Haupt zu preisen für und für!
Der Dichter lebt, daß er versöhne
Den armen Toussaint l'Ouverture.
Ein milder Traum spielt in den Zügen;
Ach, käme — oder ging er nie!
Ein zweites Leben dars hier lügen
Mit seiner Wunderpoesie;
Mit neuem Lichte, neuen Klängen,
Befreiter Lust und holdem Bann;
Mit seinem Schaffen und Verdrängen,
Mit seinem Schweben himmelan.
Sie quillt heraus, die bunte Eide,
Unnennbar schön, unendlich weit;
Der Nächte Geist, er rief sein „Werde"
Ihn bindet nicht Unmöglichkeit.
Die Heimath läßt er sich entsalten,
Ein glühend', wechselndes Gefild,
Und, unerschöpflich im Gestalten,
Fügt er hoch oben Bild an Bild.
Musik durchzieht die Weltenräume;
So ward das Ohr noch nie entzückt,
Und fühlt sich doch, o Macht der Träume
Im Flüstergruße mehr beglückt.
Denn Stimmen wispern unter Blüthen,
Am Liede huscht das Lied empor;
Sie dräugen sich um den Erglühten,
Und singen ihm von Liebe vor;
Bis sie erscheint, des Zaubers Krone,
Ein Weib, für Seligkeit gemacht,
Das sich Domingo's schwarzem Sohne
Vereint wie Morgenroth der Nacht;
Ein Weib, das seine Heimath findet.
Wo Wonnelaut durch Schluchzen bricht,
Mit seinem All das All umwindet,
Hub zu dem Heißgeliebten spricht:
„Dein war ich schon auf Kindes Auen,
Wußt' ich auch nicht, wie mir geschah;
Dein bin ich recht, nun ich kann schauen,
Wozu der Himmel uns ersah.
Euch Beiden muß ich angehören:
Ich küsse dich und deinen Geist.
Der kann die Welten auch zerstören,
Der mich von diesen Lippen reißt!"
100
Welch' Heben nun, und welch' Entschwinden,
Von keiner Erdenmacht gewehrt!
Des Tages seligstes Empfinden
Zur höchsten Götterlust verklärt!
Schlaf', armer Held! Nacht ist dir Morgen,
Der Morgen fürchterliche Nacht.
Im Traume ist dein Glück geborgen;
Schlaf', Toussaint, schlafe! — Er erwacht —
Und blickt — wie zwischen Wuth und Weinen —
Und fährt empor — nun ist es Tag.
Ihm bebt das Mark in den Gebeinen,
Es beben seine Ketten nach.
O Schrecken, wenn in solche Gluthen
Das kalte Grausen niederzischt!
Wenn sich, wo Negerherzen bluten,
Die Blässe mit dem Dunkel mischt!
„Dahin!" — Als wollt' ein Leben enden,
So, schaudernd, ringt das Wort sich los.
„Dahin!" — und ich — von Bruderhänden
Entrissen einem Mutterschooß!
Verdammt — o Mörder! — zu verderben
Durch Jahre hin bei Koth und Thier;
Sie schleichen sehn, die kalten Erben —
Mein Geist! Mein Geist! — und enden hier!"
101
„Warum? — Ich thu' nichts mehr als fragen,
Und weiß nichts mehr. Dich frag' ich, dich!
Du kannst ja lächeln und versagen,
Doch hören, hören mußt du mich!
Warum? Du wohnst im Licht; gieb Klarheit;
Nur einen Strahl laß' zu mir ein,
Soll mir der Wahnsinn nicht die Wahrheit,
Und die Vernunft nicht Wahnsinn sein!"
„Hör' an! Des kleinen Käfers Schimmern,
Der Sonne Licht, der Vögel Sang,
Die Tropfen, die am Halme flimmern,
Der Liebe leiser Liebesklang;
Des Lebens Bild, das Grab der Todten,
Die Nacht, die Sterne, Meer und Land;
Wohin ich sah, nur Boten, Boten!
Und alle — du hast sie gesandt!"
„War ich nicht treu? Laß' Jene zeugen,
Die, einst in wüster Heidennacht,
Vor deinem Kreuze jetzt sich beugen,
Von meiner Hand ihm zugebracht.
Hab' ich nicht kämpfend mich gewonnen?
Nicht einem hohen Geist vertraut?
In langen Nächten nicht gesonnen,
Und nicht am Tage aufgebaut?"
102
„Und nun — was zeig' ich dir? — die Wunden
Der Freiheit, welche du gekrönt,
Ein Volk, verwüstet und gebunden
Von denen, welche dich verhöhnt.
Was Menschensinne nicht mehr fassen,
Da ist's, gethürmt; du hast die Wahl:
Hier Zucken, Bluten und Erblassen,
Hier ein zerstörtes Ideal."
„Warum? — gelobter Gott der Milde —
Der Gnade über Folterpein —
Der Liebe zu dem Ebenbilde! —
Warum? — und — wessen soll ich sein?
Nur Schweigen — weg! Des Glaubens Riese —
Erzittert vor bcm Wort „Natur." —
Ein Blick von dir schafft Paradiese,
Und eine Hölle seh' ich nur!"
Er taumelt. Noch will sich entringen
Ein Fluch dem aufgewühlten Meer;
Da, schützend mit der Liebe Schwingen,
Blitzt der Gedanke auf ihn her.
Das dumpfe Wetter must verhallen,
Aus blauem Felde strömt das Licht.
Er durfte irren, durfte fallen,
Doch sinken darf ein Toussaint nicht.
103
Hub kann's nicht mehr; im Glanz der Sterne
Tritt der Gefährte still heran.
Du wüßtest seinen Namen gerne —
Frag' nur bei deiner Kindheit an.
Er hält den Blutenden umschlungen;
Dem ist die Heilung nun gewiß;
Ihm ist die Ruh' in's Herz gedrungen
Mit einem Worte nur: „Vergiß."
Zwei Leben, einem Leib entsprossen,
Die fern einander mußten gehn,
Sie halten so sich eng umschlossen
Im ersten heil'gen Wiedersehn;
Den Blick getaucht in jede Frage,
Die Seele in Vergangenheit;
Das Haupt geneigt zu sanfter Klage,
Das Herz zu jedem Schwur bereit.
,,Wie hab' ich nach dir ausgesehen!"
„Und doch war ich zur Seile dir."
„Laß' immer uns zusammen gehen!"
„Die Zeit ist um; du gehst mit mir.
Sieh' nun hinab auf jenen Funken;
Er eilt der schwarzen Ferne zu,
Ist schon im Weltenmeer versunken —
Sahst du ihn wohl? — Dort littest du."
104
Hinab das Leid, hinauf die Wonnen!
Zum höchsten Flug sind sie beschwingt.
Die letzten Thränen sind verronnen,
Der Leier letzter Ton verklingt.
Ach, Toussaint, wie ist dir geschehen!
Wie bist du doch so selig stumm!
Du willst nicht fragen mehr noch flehen;
Du weißt, mein Toussaint, nun: — „Warnm."
105
Das Sinngedicht.
Ob ich dir wenig auch bringe, mehr kaum, denn
einen Gedanken,
Fasse die Hand nur, sie führt freundlich zum
Denken dich hin.
Zur Bescheidenheit.
Nicht, wer, seines Werths bewußt,
Doch sich weigert ihn zu kennen,
Nicht den demuthvollen Schächer,
Dessen Nacken nie sich hob;
Wer es haßt, den Nächsten richten,
Ihn will ich bescheiden nennen,
Denn er meidet mit dem Tadel
Auch das feinste Eigenlob.
106
Schone den Geist.
Schone den Geist, deinen Lenker, hinter ihm
lauern die Sinne;
Wenn dich das Edle nicht hält, faßt das Gemeine
dich an.
Das Werden im Leben.
Im Geben und Empfangen
Muß sich das Leben zeigen;
Die Menschen sind wie Blüthen,
Die zu einander neigen.
Dem Nnbescheidtiren.
Wisse, Keiner steht so hoch,
Was Natur ihm auch vergönnte,
Daß nicht die Bescheidenheit
Ihn noch weit erhöhen könnte.
107
Zwei Bahnen.
Einem denkenden Geist, ihm folgt der ehrliche
Irrthum;
Zn der Spur des Gefühls ringelt die Sünde
sich fort.
Die Kraft im Ziel.
Suchst du der Menschen Dank,
Sie werden bald den Muth dir nehmen.
Das Gute sei dein Ziel,
Und nimmer kann dich Undank lähmen.
Das Laster.
Magst du steigen, magst du blinken,
Steigst du doch nur, um zu sinken.
108
Der Ausweg.
Ehrlicher Freund und Genosse inmitten der Welt
und der Wahrheit,
Wie du so zagend beschau'st deine gewaltigen
Herr'n!
Neige das Ohr. — Im Vertrauen: ich halte
den rettenden Faden.
Diene der Wahrheit getreu — schone die mächtige
Welt.
Wandcrstro phe.
Zur klaren Vorsicht sollst du dich bekennen,
Kein Glaubenstropf, kein schneller Zweifler sein.
Was alte Bücher Aberglaube nennen,
Man prägt es jetzt als Wissenschaft dir ein.
109
Götzendienst und Gottesglaube.
Götzendienst ist Gottesglaube
In der Kindheit; darum raube
Ihm, der lallend „Bitte!" spricht,
Deine reis're Liebe nicht.
Einem Vergrämten.
Die Weltverbesserung,
Du mußt sie so verstehen:
Das Laster greife an,
Und laß' die Thorheit gehen.
Der Starke.
Die Kunst der Selbstverleugnung, sie ist schön,
doch schwer,
Unwürdig leicht ist es, den kleiner'n Geist zu
finden ;
110
D'rum ist mir stark, wer sich dem stärker'n Geiste
beugt,
Und schwach, wem es gefällt, den Schwächling
zu beherrschen.
R e t t u n g.
Wenn du in dem Sturm der Sünde
Bebest vor dem Untergang,
Wenn die bange Ahnung lähmend
Schon in deine Seele drang;
Flüchte schnell dich zu dem Armen,
Streue aus des Wohlthuns Saat,
Und du fühlst die Hand des Helfers,
Fühlst die Macht der guten That.
Klage nicht.
Kommen die Stürme, und fallen die Rosen,
Ist sie dahin deine herrliche Zeit,
Wehre den Klagen, der gütige Himmel
Hält, wo er nimmt, auch die Gabe bereit.
111
Wenn dir die kindlichen Freuden entschwinden,
Fühlst du die männlichen Kräfte erblühn;
Wenn dich die Schauer des Alters durchkälten,
Muß dich die Sehnsucht nach Oben durchglühn.
Ganges Glück.
Des Glückes volle Gabe, sein ewig' Morgenroth,
Der Thor sucht es im Leben, der Weise in dem Tod.
Weile!
Weile, wo das Unglück weint,
Und du wirst mit ihn! erhoben.
Was als Abgrund dir erscheint,
Es ist ja der Weg nach Oben.
112
Dem Verzweifelnden.
Aus lichter Höh', vom Sternenlauf
Sieh' auf die Guten und die Bösen;
Der Mensch giebt dir das Räthsel auf,
Die Menschheit nur, sie kann es lösen.
Unterscheide.
Wer Vollkomm'nes erstrebt, wird Schönes, wird
Großes erreichen;
Wer von der Welt es begehrt, schafft sie zur
Wüste sich um.
W i d e r s p r u ch.
Frieden verlangst du, o Mensch, Frieden des
Leibes, der Seele,
Und du erklärst der Natur täglich auf's Neue
den Krieg.
114
Vorbei!
Vorbei gesenkten Blickes,
Lockt dich der Sünde Gruß!
Die Sünde bannt das Auge,
Dem Auge folgt der Fuß.
Von Gottes Gnaden.
Zum Herrschen ist der Geist geboren.
Sein Bruder ist das Sonnenlicht.
Geht uns die Sonne einst verloren,
Dann gebt auch er — doch eher nicht.
Letztes Erröthen.
Und also ist das Ende:
Zum leisen letzten Hauch
Ein letzter Blick im Kreise,
Ein letzt' Erröthen auch.
115
Wir sehen, wie das Leben
Die Seele rein empfängt;
Wir sehen auch die Lumpen,
Damit wir sie behängt.
Raupe und Puppe.
Ost schon sah ich den Spötter sich heimlich zum
Frömmler verpuppen,
Aber darüber hinaus schritt die Verwandelung nie.
Schandung.
Sie scheinen mir in gleicher Brunst zu lodern,
Die Lieb' und Freiheit von der Gasse fodern.
116
Willensfreiheit.
Zoll eine Menschheit bestehen, laßt gelten die
Freiheit des Willens;
Raubt ihr der Tugend den Werth, nehmt ihr
der Sünde die Schuld.
Das Gewissen.
Magst immer die That du versenken,
Sie ist wie das Opfer im See;
Muß ruhn eine Weite da unten,
Kommt wieder, ein Schrecken, zur Höh'.
Edle Dpfer.
Brünstig verlangend umzieht der Wahnsinn die
edelsten Geister;
In die gebärende Welt haucht er das Wörtchen
„Warum?"
— 117
Armuth und Verarmung.
Schmer drückt die Armuth des Geistes, doch
schwerer des Geistes Verarmung;
Jene verwehrt das Hinaus, diese bedeutet: Hinab!
Dir Drspoten.
Fruchtbar sei der Despot, soll die Natur mit
ihm rechnen;
Ist allein er Despot, rechnet sie schwer mit ihm ab.
Der Unersättliche.
Des Wunderbaren giebt es viel,
Man sieht ja Mond und Sterne gehen.
Doch alles das hat Grund und Ziel;
Nun möcht' ich auch ein Wunder sehen.
<S!S
An dem geschmückten Grabe eines Künstlers.
ie schönsten Rosen hat dir diese Welt gegeben,
ie Blüthen für das Grab, die Dornen für das
Leben.
Die Noth.
Ich geb' dir was zum Denken,
Ich nenne dir die Noth;
Kein Feuer auf dem Herde,
Und auf dem Tisch kein Brod.
Du folgst dem blassen Hunger
Bis hin vor das Gericht.
Dir kommt wohl der Gedanke:
„Herr, ich verdamme nicht."
119
Urtheil.
Ihm, der das Mitleid hat gebracht,
Soll Freude in die Thräne scheinen;
Doch, wer die Thräne hat verlacht,
Soll einst mit trocknem Auge weinen.
Aus dem Spaziergänge.
Kind, rufe mir den Bettler her;
Seine Hab' ist leicht, sein Segen schwer.
Dem Traurigen.
Sieh' du nur aus zum Sternenzelt;
Unter den Welten vergißt du die Welt.
Dem grollenden Aller.
Laß' die Jugend sich freu'n; sie hüpft dem Alter
entgegen;
Dir, dem Greise, schon reicht ewige Jugend die
Hand.
Die Sinne.
Fünf Sinne gab dir dieses Leben;
Den letzten wird der Tod dir geben.
Alle guten Geister.
Schaff' dir ein friedliches Heim. Dem Markte
entziehn sich die Geister;
In den behaglichen Raum schlüpfen sie gerne
hinein.
121
Das Fundament.
Willst du ein Leben dir bauen, sieh' in bem
Menschen die Menschheit;
So nur erblüht dir die Kraft, so nur gewinnst
bu Geduld.
Liebe oder Haß ?
Da ist die Wahl nicht schwer für mich und meine
Lieder;
Die Lieb' trügt uns empor, es zieht der Hast
uns nieder.
Gelassenheit.
Gelassenheit, die Kunst, willst du sie dir erwerben,
Um nach dem ernsten Gang wie Sokrates zu
sterben,
Sieh' aus das Leben hin, und lerne es betrachten;
Und hast du dies geübt, dann lerne — nichts
verachten.
Vorwärts!
Sieh' dich nicht um nach dem verlor'nen Glück;
Du bringst allein die Wehmuth dir zurück.
Dich hat die Welt. Laß' ruhen, was da ruht,
Und frage nicht; im Vorwärts ist der Muth.
Wir im Ganzen.
Willig, zum Wohle des Ganzen, trage die Lasten
der Erde;
Wer sich der Bürde entzieht, ladet das Unglück
sich aus.
123
Die Lehre vom Glück.
Nicht von dem lockenden Ziele, dem lieblichen
Kinde der Wünsche,
Ford're vom Sohne der Kraft, nur von dem
Streben das Glück.
Bist du nur deiner gewiß.
Hast du im Kamps dich gewonnen, magst du dich
einmal verlieren,
Wirbeln die Tage entlang, blitzend umrauscht
von dem Schwall.
Findest du wieder dich dann, athmend aus ruhiger
Höhe,
Freudiger hebt sich die Brust, freier erhebt sich
das Werk.
124
Aus der Gegenwart.
Wer nur die Zeit behorcht, wer nicht das Herz
belauscht,
Mit dem hat Keiner noch das eig'ne Herz getauscht.
Die Unfehlbaren.
Oftmals habt ihr den Geist, das Licht, als
Wahnsinn geächtet;
Nur in dem eigenen Wahn prieset ihr immer
den Geist.
Euch nun sollte schon hier die Freiheit bräutlich
umfangen?
Nimmer, beim ewigen Gott! hat sie Despoten
umarmt.
125
Hienieden.
Sehet den Zwerg; diese Erde ist ihm ein Nest,
und die Menge,
Dankbarlich wärmet sie ihn, der sie zum Riesen
gemacht. —
Auf zu dem Gipfel der Menschheit ziehen ver-
lassene Geister,
Immer verfolgend den Pfad, welchen die Thräne
gehöhlt.
Die reine Kunst.
Nichts , dein Haupt daraus zu legen,
Hast du, wie einst Jesus Christ.
Mögen sie daran erkennen,
Daß du Arme göttlich bist.
126
Zum Erkennen.
Wo wechselnd Gemeines und Edles im Menschen
du glaubst zu erkennen,
Ist dieses die flimmernde Hülle, ist jenes der
innerste Kern.
Es können gemeine Naturen sich scheinbar zum
Edlen erheben,
Die edelen aber, sie neigen sich nie zum Gemeinen
hinab.
Tact.
Sieh', mein klagender Freund, es ruhn die
Schätze der Töne,
Kaum von der Menge genannt, wenn sie der
Ton nicht beseelt;
Und so strebt auch das Wort vergebens hin zu
dem Herzen,
Fehlt der gewinnende Theil, jener melodische Tact.
Bewegung und Ruhe.
Dies zeichne deinem Streben vor, willst du die
Dichterkraft erproben:
Begeisterung trägt dich empor, Gelassenheit erhalt
dich oben.
Trost.
Wer die Wahrheit uns bringt? — und ob sie
hienieden zu finden?
Wie das rechte du wühlst aus der Bekenntnisse
Zahl?
Halte Frieden mit dir; ergieb getrost dich dem
Glauben,
Der in schweigender Nacht auf zu den Sternen
dich führt.
128
Die Verwandten.
Herrliche Kunst, dich vergleich' ich dem edeleu
Weibe; du folgest
Treu dem Getreuen, du folgst bis in den Jammer
hinein.
Künstlerschaft.
Nährst du den Jubel der Menge, mag ich dich
Künstler nicht heißen;
Lenke zum Sinnen sie auch, und ich bekenne,
du bist's.
Einem Wiedergeborenen.
Ach, armer Geist, der du von tiefem Falle
In Scham erröthend wieder dich erhebst;
So edel nun, und mußt es sehn, wie Alle
In Tugend lächeln, wo du schüchtern bebst.
129
Zu mir! Es ist, als ob dein Bruder riefe;
Hier gilt die Liebe, nicht die Menschenacht.
Ich kenne jenes Winken aus der Tiefe,
Und wer es sah, er weiß, was du vollbracht.
Der Schacht.
Nieder zur Schicht fährt das Lämpchen — nun
hat es die Tiefe gewonnen,
Tiefer nicht drangen wir ein in die lebendige
Welt.
Zur großen Krage.
Läßt du die Grenze mir gelten (nichts, es besteht
nur im Worte)
Giebst du mir, was ich bedarf, etwas, vom
Etwas getrennt.
W. v. Ising, Gedichte.
9
130
Sagt an!
Glücklich — wer ist es mehr; der apollinische
Halbgott,
Der, von dem Leben geküßt, brünstig das Leben
umfängt;
Oder, höhnend umstellt, im Schmutz der keuchende
Krüppel,
Der zu dem Amen noch spricht: „Gieb mir,
Erlöser, den Tod"!?
Die Freiheit.
„Freiheit!" schallt es im Chor; und ist sie endlich
gewonnen,
Legen sie emsiger noch selber die Fesseln sich an.
Freiheit — zeuget sie nur; im Blut von euerem
Blute
Ist, was die Welt euch nicht giebt, und was sie
nimmer euch raubt.
131
Das Auge der Unschuld.
Nennen soll ich den Geist, welchem du still dich
wirst beugen?
Sieh' der Unschuld in's Aug'; da ist sein Bild
und sein Wort.
Die Thräne.
Schweigend duldet das Weib, weil es die Thräne
gefunden;
Murrend leidet der Mann, weil er die Thräne
verjagt.
Schöpferkraft.
Also erschuf Er die Welten, sein Busen umfängt
seine Schöpfung;
Also erschaff' eine Welt ich der verlangenden Brust.
9*
132
Daß ich's vermag, läßt erkennen den göttlichen
Urstoff der Seele;
Daß ich's vollbringe allhier, es ist der Freiheit
Triumph.
Die Rache.
In dem Gefühle der Rache soll dich mein
Tadel nicht treffen,
Führst du es aber zur That, nenn' ich höchst
unwissend dich;
Denn es geschähe wohl nimmer, wüßtest du nur
zu erkennen,
Was dir die Rache entzieht, was dir die Groß-
muth verleiht.
Ein Forscher.
„Lebend, und schauend in's Leben, so soll ich
vertrau'n einer Gottheit;
Trauen schon soll ich dem Kern, weil ich die
Hülle gesehn.
133
Was denn, im Namen des Geistes, des ruhelos
drängenden Fragers,
Was denn ergründen wir noch?" Kannst du's
ergründen, dich selbst.
Zivei Räthsel.
Geistiges Sein ohne Stoff, des Stoffes Sein
ohne Anfang;
Jenes erklärt dir ein Traum, dieses begreifst du
im Tod.
Die Nachbarn.
„Himmel und Hölle," so lehrt man, „sind weit,
und sind ewig geschieden;
Nur des Allmächtigen Blick ruhet auf Beiden
zugleich."
Mich aber will es bedünken, als wären sie ewige
Nachbarn,
In einem Raume, so groß — ja! wie das
menschliche Herz.
134
U m sonst.
Wühlt denn im Schlamm nach dem Urding, ewig
doch zieht es die Völker,
Ewig zum Gotte; und ihr? — Ach, wie ihr
weinet bei Nacht!
Vor einem Esel.
Kein Thier auf dieser Welt wird so ryie du
geschlagen,
Und hast doch einst so treu das Heil der Welt
getragen.
Der Esel jum Menschen.
Geduldig leide ich, was du mir oft gethan,
Doch sieh' nun auch das Kreuz auf meinem
Rücken an.
135
Ein Herz.
Wer in das Auge sieht, das ihm den Hunger
iiemtt,
Schon in dem halben Blick die ganze Noth erkennt;
Wer zu des Armen Scham sich, selbst erglühend,
neigt,
Dem Worte hastig, wehrt, das ihm die Blöße
Zeigt;
Wem sich, noch eh' er giebt, die Hand schon
zuckend regt,
Und etwas in der Brust wie Weihnachtslust
bewegt;
Er ist wahrhaftig gut, der Menschheit ein Ge-
winn —
Der Arme steht, und denkt: „Ein Engel sitzt
darin."
Vollkommen.
Ja, es ward uns Vollkomm'nes, wir haben die
Liebe der Mutter;
Und wie die Sterne den Dom, also erfüllt sie
die Welt.
137
Die Sprüche.
Hoch auf mit Garben beladen schreitet die
mächtige Dichtung;
Wir nun, von kleinerer Art, picken die Körnchen
uns auf.
Ein guter Rath ist gutes Gold;
Wenn man ihn nur so bergen wollt'.
Immer wahr sollst du dich zeigen,
Doch manche Wahrheit klug verschweigen.
Will die Welt dein Wirth nicht sein,
Ei, kehre bei dir selber ein.
Dem Lachen magst du wohl vertrauen,
Das Lächeln sollst du dir beschauen.
138
Höflichkeit, wer hätt's gedacht!
Höflichkeit ist eine Macht.
Schickst die Wahrheit du in's Land,
Gieb ihr auch ein gut Gewand.
Der Freude Feind, der Sünde Freund.
Faljche Thräne, falscher Eid.
Dem bösen Tag auf deinen Wegen
Stell' du ein Tagewerk entgegen.
Zum lauten Ruhm gar oftmals nicht,
Doch stets zur Größe führt die Pflicht.
Die Wahrheit geht uns stets zur Rechten;
Wir zweifeln, wo wir zweifeln möchten.
Wer ist der Größte dieser Welt?
Der Gott gefällt.
139
Möchtest du verstehen:
Ackern erst, dann säen.
Ruhm will Eile,
Glück will Weile.
Was Herz soll sagen,
Muß Herz erfragen.
Mutterhut, Alles gut.
140
Kunst und Künstler.
Ihn, den die Göttlichen lieben, ihn hassen und
meiden die Menschen;
So über Thränen und Grab waltet ein hohes
Gesetz.
Sieh' den Bedrängten im Kampfe, im Kampfe
bei Sonne und Sternen;
Sieh' den Ermüdeten fliehn — fliehn an die
göttliche Brust.
Lernt die Bescheidenheit lieben, sie ist euch mehr
noch als Zierde;
In der gesegneten Brust nährt sie den edelen
Stolz;
141
Ihn, der ein Leben hindurch schweigend das
Elend verhüllet,
Ihn, der die Wange euch färbt, wenn sie der
Mangel gebleicht.
Ties in dem Menschenherzen,
Umhüllt oft und versteckt,
Ruht ein Gefühl des Schönen,
Das nur der Dichter weckt.
Und hebst du das Empfinden
Auch nur mit einem Ton,
Ist dir die Macht gegeben,
Bist du ein Dichter schon.
Was krümmst du Leib und Geist in deines
Zimmers Schwüle?
Was klüftest du dein Hirn? Was zirkelst du
Gefühle?
Hinaus in die Natur, zu ihrem hellen Leben!
Nichts giebst du ihr, was sie nicht doppelt könnte
geben.
143
Trenne auf wenige Monde, doch ganz dich von
deinem Bestreben.
„Ganz? Nun, es sei! Aber dann?" Fehlt
dir gewiß der Beruf.
Gieb ihnen Alles, den Menschen, was du im
Geiste empfangen;
Gieb ihnen Freude und Ruh', auch noch dein
Leben dahin;
Nur nicht der Stunde Geheimniß, nicht das
Gespräch mit dem Gotte;
Es ist das Brod und der Wein, dessen der
Dichter bedarf.
Künstler bist du der Welt, ein Werkzeug bist du
dem Himmel;
Seine vollendende Hand führt zu dem Werke
dich hin.
Schaffen mußt du, und wär's im kalten Raume
des Elends;
Wer unter Thränen verstummt, ihn hat ein Gott
nicht erwählt.
144
Was den Menschen gefällt, es zieht mit ihnen
vorüber;
Was sie ergreift und bezwingt, das ist der ewige
Theil;
Er nur trage den Bau, den still der Künstler
errichtet;
Weit von der Höhe in's Land leuchte hinaus
Phantasie.
Weit ist die Halle des Lebens, enge die Bühne
des Dichters;
Was uns in jener entzückt, hier ist es oft ein
Zuviel.
Soll es harmonisch ertönen, zwinge die horchenden
Seelen,
Selber zu wecken den Klang, wo du bedächtig
verstummst.
Was die blühende Form der Leben hauchenden
Seele,
Sei dem Künstler das Wort, sei ihm die Farbe,
der Ton;
145
So viel, aber nicht mehr. Es lockt der Reiz
die Gemüther,
Sie zu halten, vermag nur der Gedanke allein.
„Real!" so ruft es zur Linken; „Ideal!" klingt
es zur Rechten;
Daran erkennen wir Euch, Söhne der denkfaulen
Zeit.
Mag — denn uns glaubt ihr ja nicht — mag
die Natur euch belehren,
Wo ihre bildende Hand Wurzel und Blüthe
vereint.
Dich erfaßt wie ein Gott der Nächte strahlende
Schöpfung;
Kindlich, aus duftendem Kelch, lächelt das Schöne
dir zu.
Wirke wie die Natur, so mächtig, Freund, und
so weise:
Fordere vom Stern nicht den Duft, nicht von
der Blüthe den Strahl.
W. v. 3 sing, Gedichte.
10
146
Gerne, dies wollt nur gestehen, folgt ihr dem
Winken der Traube;
Friede und Freude mit euch, auf bis zur schwär-
menden Lust!
Aber als kundiger Mahner möge das^Wort euch
begleiten:
„Danket der Göttin im Wein, suchet sie
nimmer in ihm."
Was doch verdammt ihr die Menge, weil sie,
umwogt von den Künsten,
Müde den Namen erfaßt, der sich entgegen ihr
hebt?
Zürnt ihr dem sinkenden Schwimmer, wenn aus
dem Reiche der Perlen
Er mit gemartertem Blick stiert nach dem
treibenden Halm?
Ihn, der die göttliche Jungfrau zur käuflichen
Dirne erniedrigt,
Ketten wir ihn an den Pfahl? Schmähen wir
ihn nach Verdienst?
147
Nicht doch; denn neben ihm wandert der Ekel
mit schneidigem Schwerte;
Und man berührt nicht den Leib, welcher dem
Henker gehört.
Wer denn hat dich erwählt? Die Sterne schweigen,
die Himmel.
„Aber der Glaube, er spricht; das, was ich
sühle, ich bin's."
Wohl; doch ehre nun auch den gläubig knieenden
Menschen;
Dich hat die Flamme durchzuckt, ihn hat sie
milde erwärmt.
Klar, eine sprudelnde Quelle, entströme die
Dichtung dem Herzen,
Daß sie für Bettler auch sei, was sie für
Könige ist.
Heben dich mächtige Schwingen, im Fluge bedenke:
empfangend
Bist du dem Himmel geweiht, gebend gehörst
du der Welt.
10*
148
„Nichts auf der Erde verachte" ; „es ist wohl
ein Spruch, wie so mancher;
Eines, die Dummheit, gewiß, giebst der Ver-
achtung du hin."
Nein, denn sie nützt ja dem Geiste; im Kampfe
mit ihr kann er finden,
Was durch die Wogen ihn trägt, wie es auch
stürme — Geduld.
Stoße Gemeines zurück; was hättest mit ihm
du zu schaffen!
Was mit dem leuchtenden Stoff, wenn ihn der
Moder erzeugt!
Venus, durch Beulen entstellt, sie wäre dir nimmer
die Göttin;
So im Entbrennen der Scham stirbt uns der reine
Genuß.
Streng ist die Wissenschaft, hart oft, ein lehrender
Vater dem Leben;
Liebend und stillend im Arm hält uns die Mutter,
die Kunst.
149
Laßt dem Gebote uns folgen, und Vater und
Mutter verehren;
Beide, im Segen vereint, üben Zum Segen ihr
Recht.
Willst du im Himmel nur dichten, entsagst du
den irdischen Formen,
Und ist die Erde dein Gott, fehlt das beseelende
Licht.
Suche im Weltall die Stelle, wo Himmel und
Erde sich finden;
Was diesen Polen entspricht, ist die wahrhaftige
Kunst.
Kinder nannten sie euch, und warfen vornehm
die Lippe,
So, wie der skeptische Held, wenn kein Gewitter
zu sehn;
Und — wo fänden sie wohl die heimlich knospende
Freude
Zu der hochprangenden Lust, wenn nicht im
Kindesgemüth?
150
Hier das irdische Sein, der ernste Führer zum
Grabe;
Dort die entzückende Welt, von dem Begehren
gezeugt.
Dir, dem schwärmenden Geist, sind Scylla sie
und Charybdis;
Willst du gesichert hindurch, folge der edelen
Kunst.
Wollt ihr Unsterbliches schaffen, (und wahrlich,
ihr wäret nicht Künstler,
Wolltet ihr's nicht) so vernehmt: Königlich sei
eure Art!
Nur der Unsterblichen dienet, der göttlich ge-
bietenden Herrin;
Unter dem Hauch der Natur keime das menschliche
Werk.
Wie? einer Stunde des Unmuths wolltet die
Göttin ihr opfern?
Freunde, das glaubt euch die Welt; ich aber
hebe die Hand:
151
Nicht für ein Leben, gebettet tief in dem Schooße
des Ruhmes,
Gebt ihr die heilige Lust inneren Schaffens dahin.
Träume — und es umziehn dich gaukelnd wechselnde
Bilder;
Denke — und kühl an den Geist tritt der Gedanke
hinan.
Liebe! und du gewinnst den edlen Zauber der
Schöpfung;
Liebe — und innig vereint nahen Gedanke und
Bild.
Hier ist dein Werk nun, das erste, lebend dem
Haupte entsprungen.
Folgt der olympische Zug? Endest du aus dem
Parnaß? —
Schweigen ringsum. Was beginnen? Glüht es
im Herzen, beharre!
Hat deine Treue geirrt, hat sie doch göttlich
gefehlt.
152
Ziehe hin denn, mein Freund, und wirst an's
Kreuz du geschlagen,
Zwinge das bebende Mark, Spötter umlauern
den Schmerz.
Mit dir ist ja der Geist; er harrt in goldiger
Höhe,
Und er kommt siegend herab, so du am Kreuze
vergiebst.
153
Mein Glaube.
Ich nenne dir, mein junger Freund — gieb Acht!
Was hier dich glücklich, dort dich selig macht:
Die edle Freude ist's, ihr Wonnehall
Klingt leise an im Lied der Nachtigall.
Sie meine ich, die still und hochbeglückt
Zum Fest sich mit der kleinen Blume schmückt,
Und in der Lust, die an den Himmel reicht,
Dem Bettler winkt, der scheu vorüber schleicht.
Ist diese Freude dein wie Sonnenlicht,
Bist du der Fels, an dem die Woge bricht.
Eine Schöpfung.
Schönheit des Leibes, du formst zur Welt mir
die ruhenden Stoffe;
Schönheit der Seele, du giebst mir einen Himmel
dazu.
154
Zum Lebewohl.
Alles Große ist klar, und klar die Lehre des
Großen:
Such' in der Kraft deinen Weg, nicht aus dem
Wege die Kraft.
Die „stille Stunde" jttm Menschen.
Kommst du mir willig entgegen, nah' ich als
freundlicher Mittler;
Willst du mir trotzend entfliehn, folg' ich als
rächendes Schwert.
Aus tiefem Grunde.
Wer ein Gefühl will vernichten, ermattet in
Angst und Verwirrung;
Mir hat es stets sich geklärt, fand ich die Weihe
der That.
155
Die Stimme.
Was die liebe Mutterstunde
Von der Stimme oft erzählt,
Die sich auf dem Herzensgründe
Eine Wohnung hat erwählt;
Wahrheit ist's, und von dir trennen
Wird sich diese Stimme nie;
Wird dir Recht und Unrecht nennen,
Aber fragen mußt du sie.
Einer jungen Mutter.
O gieb dein Kind nicht weg, entsage nicht dem
Blicke,
Der einen Himmel bringt für einer Stunde
Schmerz;
Entsage nicht der Lust, und nicht dem künft'gen
Glücke,
Mit deiner Milch strömt Lieb' in deines Kindes
Herz.
156
Mann und Weib.
Wenn als zunächst der Vollendung der Dichter
das Weibliche preiset,
Preis't mit dem höchsten Gefühl, frage, doch
schelte ihn nicht;
Ihm ist das Leben des Mannes ein Abbild ver-
gehender Größe,
Doch in dem Weibe erblühn sieht er die ewige
Scham.
Schönheit und Anmuth.
Schönheit ist wie ein Ton, den uns die Lüste
entführen;
Anmuth ist ein Accord, der mit dem Leben
verhallt.
157
Die Sendung.
Hat eine zagende Seele flehend sich ganz dir
ergeben,
Tritt nicht zurück, denn ihr Flehn weihte zu
Schönem dich ein.
Unter dem Strahl deines Auges siehst du die
Hoffnung erblühen,
Und deiner Lippen Gebot wandelt die Lähmung
zur Krast.
Dann in der Sendung erkennen sollst du die
Güte der Allmacht,
Dann in dem Werke verstehn magst du den
eigenen Werth.
Demuthvoll blicke nach oben, stolz aber sieh' aus
das Leben;
Preise die Herrscher nicht mehr, wo du ein
Schöpfer darsst sein.
158
Einer Jungfrau.
Was zur Herrin dich macht, die Jugend ist's
und die Schönheit,
Aber was dich beschützt, es ist die Nöthe der
Scham.
Zwei Sonnen.
Dringt durch die Nebel vergoldend die Sonne,
wir stehen in Andacht.
Stehn vor der Tugend wir so, wenn sie das
Leiden besiegt?
Ein Stern.
Wenn mein Himmel sich trübt, die dunkeln
Stunden mir nahen;
Wenn der Gedanke versiegt, wenn mich der Ekel
erfaßt;
159
Weibesliebe, zu dir erhebe dann ich die Blicke,
Und es entschwindet die Nacht, siehe, es sprudelt
der Quell.
Ringen und Ruhe.
Hoch steht das Ringen des Geistes, höher die
Ruhe der Seele;
Jenes erweitert den Kreis, diese, sie bringt dich
an's Ziel.
Das Wunder.
Am Grabe meiner Blüthentage, .
Die letzte Blume in der Hand,
Das Haupt gesenkt zu stummer Klage,
Seh' ich hinaus in's öde Land.
Da nahen klingend neue Lieder;
Ein holdes Wunder künden sie:
Die schön're Jugend glüht hernieder;
Sie kommt zu mir, und läßt mich nie.
160
Das Genie in der Kunst.
Rührt nicht an das Genie; lastt's über uns ziehn
und gewittern;
Sein gewaltiger Blitz zeigt dem Talente die Bahn.
Den Philosophen.
Sinnend weilt ihr am Strom; ihr möchtet hinüber
zum Volke.
Nun, dort naht ja das Boot; seht, wie der
Dichter es führt.
Unter dem Schleier.
Während verzagend du weinst um deine „ver-
lorenen Werke",
Fügt sie der waltende Geist in das Getriebe der
Welt.
161
Unter Todten.
Die hohen Geister, die ich sinken,
Verbluten sah im Selbstgericht,
Ost kommen sie herauf, und winken;
Geht ein zur Ruh'; so solg' ich nicht.
Nie hat der Unmuth mich bemeistert;
Gesegnet auch ward ich im Blick.
Die Sehnsucht ist's, die mich begeistert;
Es ziehe hin das traute Glück.
Die Kraut.
Tie Hohe, göttlich Reine,
Sie werde meine Braut;
Ihr habet allerwegen
Nicht solche Pracht geschaut.
W. v. 3 si n 3 , Gedichte.
11
162
Die Wahrheit ist ihr Name,
Das Licht ist ihr Gewand;
Die Treue ist ihr Odem,
Die Thräne ihr Demant.
D i\ s End c.
Das Glück zu suchen, sprengt der Geist vergebens
Das Leben auf und ab, und ist's vollbracht,
Sagt dir des Herzens leise Kinderstimme,
Das; nur die Tugend ewig glücklich macht.
Ein Schrecken.
Dem Unglück sieh' in's Angesicht;
Für jedes ist dir Kraft gegeben.
Nur Eines, Mensch, erträgst du nicht —
Den Blick auf ein verlor'ues Leben.
163
M ahnu n g.
Einmal sieh' an jedem Tage
Auf die Armuth mild herab;
Einmal sieh' in jedem Jahre
Denkend in ein off'nes Grab.
Die Macht -er Gabe.
Was du dem König willst schenken, macht vor
der Welt dich zum Bettler;
Was du dem Darbenden giebst, macht dich Zum
König vor Gott.
Das stille Haus.
Wo Gott der Vater wohnet,
Muß heil'ge Ruhe sein;
D'rum, wird es in dir stille —
Dann zieht er ein.
ii*
164
Zur Wahrheit.
Soll die Wahrheit zu dir kommen,
Seh' nicht finster nach ihr aus;
Böser Blick kann niemals frommen,
Schlimme Miene, schlimmes Haus.
Winke freundlich docb den Kleinen.
Wie so schnell sie bei dir sind!
Soll die Wahrheit nun erscheinen,
Winke nur; sie ist ein Kind.
Gott in dir.
Engel und Bestie kämpfen, dein Busen, o Mensch,
ist das Schlachtfeld.
Wer nun entscheidet den Kampf? Du — nur der
Wille allein.
Schleud're im Namen des Guten ein Wort, und
gefällt liegt das Unthier;
Du aber stehst im Gefühl deiner Gottähnlichkeit da.
165
An einem Grabe.
Knieen will ich vor dir, dem letzten Richter auf
Erden,
Denn in der Wahrheit und Kraft bist du dem
Jenseits verwandt.
Hier zersplittert der Trotz, es zwingt den Bösen
die Ahnung;
Aber wie Heimathgefühl hebt es dem Guten die
Brust.
Der W u r m.
Armes, verachtetes Wesen, gebannt in die modernde
Heimath,
Allen der Häßlichkeit Bild, Allen der Ohnmacht
Symbol;
Niemals will deiner ich spotten, du giebst mir
den schönsten Gedanken:
Wo ich das Tiefere seh', find' ich ein Höheres auch.
166
Dem Menschenfeinde.
Wem der Schmerz den Haß gebar,
Der sich von dem Menschen wendet,
Hat, wie reich die Seele war,
Als ein Bettler stets geendet.
Eine Welt gab ihm Natur,
Daß er darin steh' und wand're;
Hüte Jeder Schmerz und Schwur!
Denn sie duldet keine and're.
Durch die Herzen.
So geschieht es allen Denen,
Die sich leise, liebend nahn:
Ihnen werden gern die Thüren
Und die Herzen aufgethan.
167
Neigst du dich zu solchen Worten,
Folgst du einer guten Spur,
Denn sie führt dich durch die Herzen
In die Hallen der Natur.
Ein Gleichniß.
Du hast die Unschuld wohl gesunden,
Wie sie sich schämt der eignen Pracht,
Und nur, vom Mutterarm umwunden,
Der Mutter hell in's Auge lacht.
Dies zeigt ein reiner Sinn dir wieder;
Er flieht den lauten Menschenchor,
Und schwingt sich, wie der Lerche Lieder,
In heller Lust zu Gott empor.
168
Der Zauber des Schönen.
Schön ist — die leuchtende Regung, vom Herzen
zur Wange gesendet.
Frisch, wie das Herz sie empfing, gieb sie dein
Leben dahin;
Denn es durchfluten das Schöne so edel gewaltige
Kräfte,
Daß es zum Guten erweckt, ob cs im Guten
auch irrt.
Leid und Freud'.
Wenn nach dem starrenden Winter uns nahet der
thauige Frühling
Mit dem verheißenden Blick, wendest du trübe
dich ab?
Magst sie belächeln die Frage, doch sollst du auch
ihrer gedenken,
Will nach den Tagen des Harms wieder die
Freude in's Haus.
169
Dein Lehrer.
Nach der Unsterblichkeit forsche nicht bei dem
jauchzenden Schwärmer,
Noch bei dem grabenden Geist, der sich znm
Stoffe bekennt;
Geh' zu dem Dulder, dem Freien, dessen hoch-
freudiges Wollen
Birgt eine mächtige Hand, welche dein Auge
berührt.
Christus.
Kannst du zum menschlichen Gotte gläubig den
Blick nicht erheben,
Hier ist der göttliche Mensch, neige ihm ehrend
dein Haupt;
Beide sind Eines, es thronet Jener in hohem
Geheimniß,
Dieser, er leitet dich treu zu dem Geheimniß
empor.
170
Gemeinschaft.
Siehst du den Dichter, das Auge gehoben,
Wanken und fehlen auf irdischer Bahn,
Magst du ihn führen, doch still und geduldig,
Wie sich die himmlischen Helfer uns nahn.
Glaube dem Worte, es wird dir vergolten,
Denn mit der Hand, die das Schöne beschwor,
Leitet der Dichter — dort kennt er die Pfade —
Dich zu dem Land deiner Sehnsucht empor.
171
Die Kunst.
Dem Lichte ist die Kunst entsprossen,
Rein wie das Licht ist auch ihr Herz;
Sie hält den Treuen fest umschlossen,
Und führt im Ruhm ihn himmelwärts.
Denn eine Jungsrau ist sie eben,
Zu Lieb' und Segen schnell bereit;
Doch vor dem Laster im Erbeben
Spricht sie den Fluch: „Vergessenheit."
172
Ein Gesetz.
Sieh' zwei Menschen, fest verbunden
Durch der Seelen Sacrament;
Sieh' die Beiden einsam ziehen,
Durch ein Erdenwort getrennt.
Fragst du, warum das geschehen —
Antwort giebt dir Welt und Herz:
„Wohl das Große schafft die Freude,
Doch das Größte schafft der Schmerz."
178
Die schönste Gabe.
Zum Weib sprach liebend die Natur;
„Von allen meinen Gaben
Sollst du, die Beste meiner Flur,
Das Schönste, Beste haben.
Nimm hin, was mehr als Riesenkraft,
Den heiligsten der Triebe,
Die Kraft, die duldend Großes schafft,
Die Kraft der Mutterliebe."
174
Hier und dort.
Red' ich dir von dein Himmel,
Von ewig glücklich sein,
Du kannst es nimmer glauben.
Hast nur ein traurig' „Nein."
Und spricht man einst dir oben
Von dieser Erde Pein,
Du kannst es nimmer fassen,
Und sagst wohl wieder: „Nein."
175
Es kommt der Tag.
Den bleichen Mann mit Glas und Hippe,
Und seinen Herrn, das hohe Wort,
Ein Laut von junger, trunk'ner Lippe
Treibt sie aus dem Gedächtniß fort. —
Es kommt der Tag mit seinem Fluche,
Die Grabeslust, sie kommt heran;
Das ist die Zeit der Gottessuche —
Wohl Dem, der ihn noch finden kann!
176
W iederhatl.
Den Klang, der sich durch Lust und Leid,
Durch deines Lebens ganze Zeit
Noch wie ein liebes Mährchen flicht,
Die tiefe Sehnsucht störe nicht.
Sie ist im kleinen Herzensall
Des großen Wortes Wiederhall.
Sie störe nicht! Ihr wende du
Dich so wie deiner Liebe zu.
177
Ewiger Trost.
Wird es kalt dir auf der Erden,
Bleckt zum Himmel auf der Spott;
Will dir wohl gar bange werden
Um den alten guten Gott —
Ruhig! Laß' die Bösen streben;
Was sie wirken, es vergeht,
Und so lange Mütter leben,
Giebt es Liebe und Gebet.
178
Am letzten Tage.
Am letzten deiner dunkeln Tage,
Da suhlst du eine Sonne nahn,
Und es verstummt die alte Frage:
„Warum hast du mir das gethan?"
Vorüber schwebt, was du erduldet,
Ulnzittert von der Sonne Schein.
Das Herz erkennt, was es verschuldet,
Und reuig lächelnd gehst du ein.
WWW»