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FESTSCHRIFT ZUM i5o. JUBILÄUM
DES STAATLICHEN
FRIEDRICHSGYMNASIUMS ZU KASSEL
MDCCLXXIX—MDCCCCXXIX
Festschrift für das 150. Jubiläum des
Staatlichen Friedrichsgymnastums zu Rastel
177^—1^2^
Zur Geschichte des Friedrichsgymnasrums
Vorwort. 2lls im Juni iory der Verband der Alten Herren des Primaner-
gesangvereins sich zu einem Verein ehemaliger Friedrichsgymnasiasien erweitern
wollte, wurde ich aufgefordert, in der Gründungsversammlung einen kurzen über-
blick über die Geschichte der Anstalt zu geben. Als Duelle benutzte ich bis zum
Iabrc iS)5 das Werk von Aarl Friedrich Weber „Geschichte der Städtischen Gc-
lehrtenschule zu Rassel" 184c-. Außer den einschlägigen Akten und Urkunden, die heute
im Staatsarchiv zu Marburg, in der Murhardbibliothck (Stadtarchiv), im hiesigen
Ronsisiorium und in dem jetzt neu geordneten Archiv des Friedrichsgymnasiums auf-
bewahrt werden, hat Weber eine reiche Literatur, die in der Einleitung im einzelnen
angegeben wird, gewissenhaft durchgearbeitet, und seine Darstellung konnte daher
als zuverlässig gelten. Für die spätere Zeit standen mir, abgesehen von persön-
lichen Erinnerungen und Auszeichnungen, die annähernd so Jahre zurückreichen,
die Jahresberichte, Personalakten und Ronsercnzprotokolle der Anstalt zur Ver-
fügung. — Die bevorstehende 150jährige Jubelfeier des Gymnasiums gibt mir
Veranlassung, den damals in kleinem Rrcise gehaltenen Vortrag zu einem etwas
eingehenderen Bericht zu erweitern. Ich habe mich zu diesem Beitrag für die
Festschrift um so lieber bereit erklärt, als ich annehme, daß manchem alten Schüler
ein kurzer überblick über die Geschichte der Schule, in der er einen Teil seiner
Jugend verbracht hat, nicht unwillkommen sein wird. Möge die Zusammenstellung,
die nur diesen praktischen Zweck im Auge hat, dazu dienen, das Band zwischen den
alten Schülern und dem ehrwürdigen Lrceum Fridericianum enger zu schließen,
und mögen, wenn der nüchterne Text des Chronisten die wünsche und Erwartungen
des Lesers nicht befriedigt, wenigstens die beigefügten Bilder dazu dienen, liebe
alte Erinnerungen wachzurufen. P.
I. Die Raffeler Stadtschule
1. Vorgeschichte
wenn wir auch die Geschichte unseres Gymnasiums nicht wie Rarl Friedrich
Weber in seinem bekannten Werk über die städtische Gelebrtenschule zu
Rassel bis zu dem Gründungsjahre des Rlosters Amöneburg (722) zurück-
führen wollen, so können wir ihm doch darin recht geben, daß winfried-
Bonifatius als der Begründer aller Rultur in festen anzusehen ist und daß
die von ihm gestifteten Rlöster wiege und Ausgangspunkt auch aller Schul-
bildung in unserem Lande gewesen sind. Die beiden alten Rloster unserer
Stadt sind zwar nicht von ihm selbst gegründet, sondern erst wesentlich später
entstanden, das Almaberger im Jahre 1140 und das Rarmeliterkloster )zOz,
aber die Vorbilder für ibre Schuleinrichtungen waren jedenfalls die Muster-
schulen in Fritzlar, Uersfeld und vor allem in Fulda, wo einst Hrabanus
Maurus gewaltet hatte, den man nicht mit Unrecht als den Schöpfer des
deutschen Schulwesens bezeichnet bat. — Heben diesen Rlosterschulen, die
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wesentlich auf die Ausbildung des theologischen Nachwuchses eingestellt
waren, entwickelten sich nun schon früh, allerdings in engem Anschluss an die
Stadtkirchen, parochialschulen, so bei der Cyriakuskirche und später bei
der Martinskirche. In der ersteren, die unter der Aufsicht des Almaberger
Klosters stand, wirkte ein Magister mit vier Helfern. Die Schule an der
Martinskirche, von einem der zwölf Cborberren des Stifts, dem Scholasticus,
geleitet, war eine8LÜola interior und diente wesentlich kirchlichen Interessen.
Der erste Scholasticus, dessen Name urkundlich feststellt, war Henricus (1375).
Einen mehr weltlichen Charakter trug die dritte Gemeindeschule, die Schule
der Unterneustadt, die in den fänden der Rugelherren war. Diese Bruder-
schaft war von Ludwig l. 1454 hierher berufen worden. In dem Besitztum
des wegen Hochverrats Hingerichteten Kunz Seeweis, dem späteren „Weißen
Hof", hatte er ilmen eine Stätte für ihre stille Tätigkeit angewiesen, und
Philipp der Großmütige fand sie nach Einführung der Reformation mit dem
St. Georgenstift* ab. Diese Kugelberren nahmen sich also besonders des
Schulwesens an und erfreuten sich als Lebrer bald eines so guten Rufes,
dass sie fogar Schüler von ausserhalb heranzogen, und ihre Schule bildete^
denn auch den Grundstock der von Philipp im Jahre 153g gegründeten Ge-
lehrtenschule. Philipp, dem durch die Aufhebung der Klöster die nötigen
Mittel für Schulzwecke zur Verfügung standen, vereinigte nämlich die drei
vorhandenen Stadtschulen in dem Martinsstift. Diese neue, wegen der be-
sonderen Betonung des Lateins als „Lateinschule" bezeichnete, auch „Päda-
gogium" genannte Schule verdankt idren Ursprung wodl einer r Iadre vorder
von dem Schmal-
kaldener Konvent
ausgegangenen An-
regung. Den Ver-
tretern der Refor-
mation war es Ge-
wissenssache, __ für
Schule und Volks-
bildung zu sorgen.
In dem eigentlich
zu Prozessionen be-
stimmten Kreuz-
gang des Domes,
angelebnt an seine
Nordseite und mit
ihm unmittelbar
* Die Rirchc im YPcifjen Hof wurde j6$o abgebrochen, die anderen Gebäude )$zq. 'Weißer
Hof vir. z enthält die letzten Reste.
4
durch zwei Eingänge ver-
bunden, lag in Hufeisen-
form die aus einem Mit-
telbau und zwei Flügeln
bestehende Schule. Der
Mittelbau enthielt die
drei überwölbten Schul-
säle, während in den
Flügeln der ludi magister,
der feit )5dd den Titel rec-
tor führte, und feine zwei
Rollaboranten wohnten.
Die Spuren dieses An-
baues, der fast die ganze
Nordseite der Rirche bis
zur Hohentorstraße ein-
nahm, sind noch heute an
derAußenwandderRirche
zu sinden, besonders find
die später vermauerten
alten Eingänge noch deut-
lich erkennbar. Diese alte,
von Philipp durch Zu-
sammenlegung neu ein-
gerichtete Lateinschule,
dies „Pädagogium" ist als das Mutterhaus des späteren Lyceums anzusehn,
das unmittelbar aus ihm hervorgegangen ist und nur mehrfach den Ort und
den Hainen gewechselt hat. So darf man also in gewissem Sinne das Jahr
153 9 als das Gründungsjahr des Friedrichsgymnastums ansehn.
Martinskirche, Nordseite
2. Das Pädagogium.
Der erste Leiter der Stadtschule war Peter Nigidius (Neige) aus Allendorf,
ein Schüler Luthers und Melanchthons, der sich als Gelehrter und Jugend-
erzieher des besten Rufes erfreute.* Für seine wissenschaftliche Tüchtigkeit
bürgt der Umstand, daß ihn spater die alma mater Philippina als Professor
nach Marburg berief. Auf gleicher Höhe stand einer seiner Nachfolger,
Goclenius (Gockel), dem dieselbe Ehre zuteil wurde. Die Anlehnung der
* Er ist der Gheim des Landsknechtshauptmanns und Rirchenlieddjchters gleichen Namens,
von dem der bekannte Choral „Aus meines Herzens Grunde" stammt, wie von Philipp
Losch im Heffenland i§rr (S. 140) nachgewiesen ist. Vergl. Hüpeden, Landsknechtshaupt-
mann Neige, Sonntagsbeilage zum Rasicler Tageblatt 7. )r. 1924.
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Schule an die Rieche war nicht nur eine äußerliche, räumliche. Die Refor-
mation wich in dieser Einsicht nicht von der alten Rirche ab und sah das
Heil nur in engstem Anschluß der Schule an die Rirche. In der Tat bat die
Rirche aus die neugegründete Lateinschule Jahrhunderte hindurch den größten
Einfluß ausgeübt und in der Schule immer eine ancilla theologiae gesehen.
Die Schüler wurden streng religiös erzogen. Sechs- bis neunmal wöchentlich
fanden Andachten in der Rirche statt, und der Besuch des Sonntagsgottes-
dienstes war selbstverständlich pflichtmäßig.
Die Rirche mußte sich zwar mit der Stadt in die Beaufsichtigung und
Verwaltung teilen, aber die maßgebende Persönlichkeit, der Scholarch, war
bis zum Jahre 1779 der Superintendent; er, bzw. das Ronststorium, bildete
die oberste Instanz in Verwaltungsfragen. Im Sinne Philipps, der die
Schule unter den Schutz der Rirche gestellt batte, war und blieb die Anstalt
ein Anhängsel der Martinskirche. Selbst als sie 1779 äußerlich losgelöst
und in einen anderen Bezirk verlegt wurde, blieb sie bei ihr eingepsarrt, und
bis in die neuesten Zeiten hatten die Lehrer des Gymnasiums einen besonderen
Stand aus der Empore. —
Ursprünglich eine Trivialschule*, eingerichtet nach dem aus Luther und
Melanchtbon zurückgehenden sächsischen Lehrplan, sah ste sich später ver-
anlaßt, um sicheren Anschluß an die Hochschule zu gewinnen, auch Griechisch,
Matbematik und Philosophie unter die Lehrfächer aufzunehmen. — Die
Anforderungen an die Schüler waren hoch, und es wurde fleißig gearbeitet.
Schon früh um 5 Ubr begann der Unterricht und nahm täglich sechs bis sieben
Stunden in Anspruch, wenn die in 45 Paragrapben niedergelegten Schul-
gesetze** wirklich durchgeführt sind, so muß eine strenge Zucht in der Schule
geherrscht baben. — Neben den wissenschaftlichen Fächern wurde auch die
Musik gepsiegt. Es bandelte sich natürlich vorwiegend um geistliche Musik,
und der Sängerchor batte besonders die Ausgabe, zur Verschönerung des
Gottesdienstes beizutragen. Aber diese sog. partimschüler verwandten ibre
Runst auch, um durch Umsingen in den Däusern reicher Bürger, besonders
zwischen den Jahren, sich kleine materielle Vorteile zu verschaffen und „par-
teken" einzuziehen.*** — Ein neues Leben zog in die Schule ein, als im
Jahre )5Si der Ronrektor Iodocus Iungmann aus Torbach hierher berufen
wurde. Die Erfahrungen, die dieser — unter dem Einfluß der Sturmschen
Lehrmethode — in Torbach gemacht hatte, wo er bei der Umwandlung der
dortigen Trivialschule in ein Gymnasium tätig mitwirkte, verwandte er nun
* Niedere Schule, in der nur das trivium Grammatik, Dialektik und Rhetorik gelehrt
wurde.
** Vergl. Weber a. a. <£>. S. z5 ff.
*** Luther gehörte bekanntlich auch einem solchen Thor an und nannte sich deshalb ge-
legentlich p>artekenhcngst.
0
hier in Raffel, indem er auch hier die dreiklasstge niedere Lateinschule in eine
höhere achtklassige umwandelte. Landgraf Moritz ebensowohl wie die Väter
der Stadt erkannten die Verdienste, die der wiffenschastlich wie praktisch
tüchtige Mann durch seine guten Schulbücher wie durch seine treffliche Lehr-
methode um die Schule sich erworben batte, in vollstem Maße an, und schon
hatte ihn der Landesfürst für die Hochschule in Marburg vorgesehen, als er
mit Frau und sechs Rindern plötzlich an der Pest starb.* Infolge seiner
Umgestaltung der Schule wurde setzt eine weit gründlichere Vorbereitung
für akademische Studien als bisher gewährleistet. Immerhin war der
Lehrplan noch etwas einseitig. Realien und neuere Sprachen kamen zu kurz,
und die körperliche Ausbildung wurde völlig vernachlässigt. Daher ver-
suchte später Landgraf Rarl zwischen Pädagogium und Hochschule noch ein
Zwischenglied einzuschieben mit seinem Collegium Carolinum. Auf dieser
Anstalt sollten die Abiturienten des Pädagogiums in einem zweijährigen
Rursus, soweit sie nicht als Ärzte, Wundärzte, Offiziere, Rünstler und
Hofbeamte sogleich ins Leben traten, sich für das akademische Studium
vorbereiten und die vorhandenen Lücken ausfüllen. Über 77 Iabre hat
diese Einrichtung bestanden, noch bis in die Zeiten des Lyceum Fride-
rrcianum hinein. Aber seit dem Jahre 1765 ließ Wilhelm IX., wesentlich aller-
dings aus finanziellen Gründen, dies Collegium allmählich eingeben und
vereinigte es mit der Landesuniversttät. Nebenbei sei erwäbnt, daß schon
vor Rarl Landgraf Moritz 1595 einen ähnlichen Versuch mit seinem Collegium
Mauritianum gemacht hatte, das sogar, als die Landesbochschule Marburg
an Darmstadt fiel, einen Ersatz für diese bildete und Raffel zwanzig Iabre
die Ehre verschaffte, eine Universitätsstadt zu sein. Auch dies Collegium
Mauritianum, obwohl es von Haus aus mehr als eine Art Hochschule
gedacht war mit dem ausgesprochenen Zweck, künftige Hof- und Staatsbeamte
heranzubilden, ist zeitweilig als ein Zwischenglied zwischen Pädagogium
und Universität angeseben und von den abgebenden Schülern des Päda-
gogiums, besonders von künftigen Staatsbeamten, besucht worden, wenn auch
der Besuch nicht pfiichtmäßig war. Die Sitte batte sich aber um so leichter
eingebürgert, als verschiedene Lehrer, speziell der Rektor Rrugk, an beiden
Anstalten zugleich unterrichteten.
Landgraf Moritz wandte übrigens, wie dem gesamten Schulwesen seines
Landes, so insbesondere dem Pädagogium sein lebbaftes Intereffe zu, und
Zwei wesentliche Schulverfaffungsänderungen** aus den Jahren 1599 und
)0$$ geben auf das persönliche Eingreifen des Landesfürsten zurück. —
* Ein Bild in der Brüdcrkirche erinnert an diesen traurigen Vorgang.
** cf. Weber a. a. ck>. S. )os ff.
7
s
3. Das Lyceum Frrdericianum.
Fast zwei und ein halbes Jahrhundert (genau 23S Jahre) hat das Päd-
agogium unter mannigfachen Schicksalen und wechselnden Leistungen in dem
Martinsstiste bestanden. Die Chronik nennt uns die Namen der verschiedenen
rectoces und conrectores, dialectici und grammatici, rudimentarii, cantores
und intimi bis hinab zu den collaboratores extraoickinani, sie berichtet von
dem eifrigen Interesse der einzelnen Landesfürsten, besonders der Landgrafen
Moritz, Karl, Wilhelm VI., Friedrich I., und ihren Bemühungen um die
Schule, andererseits auch von den furchtbaren Folgen der schweren Kriege
des Dreißigjährigen und Siebenjährigen, und von dem verderblichen Ein-
fluß französischer Leichtfertigkeit und Unmoral, die Zucht und Sitte unter-
gruben. Vloch etwas anderes kam hinzu, einen immer größeren Verfall der
Schule herbeizuführen. Die Klipp- und Nebenschulen, die vielfach in den
fänden skrupelloser Dilettanten waren, lockten die Schüler der Stadtschule
an durch größere Frei-
beiten, die sie gewahrten.
Es kam oft zu Reibun-
gen zwischen Lehrern und
Schülern, und rüdes Be-
nehmen und Raufereien
der Schüler auf der Stra-
ße waren an der Tages-
ordnung. Dem inneren
Verfall der Schule ent-
sprach der äußere Zu-
stand des Schulgebäudes.
Staat und Kirche stellten
sich das Armutszeugnis
aus, die Mittel für eine
Ausbesserung des bau-
fälligen Dauses nicht auf-
bringen zu können, ge-
schweige einen Neubau
zu errichten. Und doch
war das Gebäude in einer
Verfassung, daß seine wei-
tere Benutzung allmäh-
lich geradezu ein unver-
antwortlicher Leichtsinn
Das Doläussche Haus, Graben 40 war. In verschiedenen
s
Das Lyceum in der Rönigsstraße
Eingaben und Beschwerden wies der Rektor darauf hin, daß die Grundmauern
um fünf Zoll ausgewichen und daß infolgedessen überall Riffe entstanden seien.
Der Subkantor behauptet sogar in einer Eingabe, durch die wände unmittel-
bar auf die hohentorstraße sehen zu können. Die Fenster konnten zum Teil
nicht mebr geschloffen werden, und das ganze Haus litt unter der überall ein-
dringenden Feuchtigkeit. Die holzteile verfaulten, und öfter wurden die Be-
wobner durch ein bedenkliches Rrachen der Balken in Schrecken versetzt. Der
Stadtrat selbst nennt in einem Bericht das Haus eine „der ganzen Stadt zum
Spektakul stehende Mördergrube". — Da Stadt und Rirche völlig versagten,
sprang endlich der hochherzige Landgraf Friedrich II. ein und verschaffte der alten
Schule aus eigenen Mitteln ein neues <$dm. — Noch einmal fand zu Gstern 1777
die Entlastung der abgehenden Schüler in der Martinskirche statt. In feier-
lichem Zuge schritt die ganze Schulgemeinde unter Führung des Rektors aus
dem Rreuzgang in den Dom. Nach einem Dortrag des Sängerchors und
einem gemeinsamen Thor unter Grgel- und Posaunenbegleitung, dem eine
Einspräche des Geistlichen folgte, nahm der alte Rektor Deit den Abgehenden
am Altar das Gelübde ab, ein sittliches Leben zu führen und sich mit Ernst
der Wissenschaft zu widmen. Diese letzte Feier war zugleich die Totenfeier
der alten Stadtschule. Der alte Bau wurde endlich niedergeriffen. Die
heimatlosen fanden zunächst einen vorläufigen Unterschlupf im Hause eines
9
Herrn Doläus in der
Schloßstraße (Graben).
Zum zweiten Male griff
also der Landesfürst in
das Leben der Schule ein,
um unhaltbare Verhält-
niffe zu beseitigen. An-
geregt durch den Statt-
halter Dalberg in Erfurt
und den Direktor des
Larolinums, Ernst von
Schliessen, beschloß Land-
graf Friedrich II., eine
neue Grundlage für die
innerlich und äußerlich
stark heruntergekommene
Anstalt zu schaffen. Er
stellte zunächst ein vor-
nehm eingerichtetes Haus
in der schönsten Lage
der Stadt für die nach
neuen Ideen einzurichten-
de Schule zur Verfügung.
Im Jahre 1779 erwarb
er von dem Rammer-
direktor Zanthier das von
diesem zehn Jahre vor-
her in der 1767 begonne-
nen Rönigsstraße erbaute
Haus und nrachte dies
stattliche neue Gebäude
durch Urkunde vom rz.
April 1770 seiner Haupt-
und Residenzstadt zum Ge-
Das Portal des Lyceums mit den Haydschen Figuren schenk*, mit der Auflage,
die Schulverfaffung zu
verbeffern und die Schule zu möglichster Vervollkommnung zu entwickeln.
Die Anstalt wurde zum „Lyceum" (Gymnasium) erhoben und erhielt nach
ihrem Begründer von nun an den Namen LyceumFridericianum,
* Im Wortlaut wiedergegeben in dem Schulprogramm von )7§5.
IO
wie er mit goldenen Buchstaben auf der schwarzen Marmortafel über dem
Eingang eingegraben ist.* Zu den iSoooRtlr., die der Ankauf des Grundstücks
gekostet hatte, legte der Landgraf noch weitere 5OS7 Zu für die innere Ein-
richtung, den Aufbau einer Mansarde, und die Ausschmückung des Eingangs
durch die symbolischen Figuren 0ra et labora, die von den Gebrüdern Hayd
geschaffen wurden.
Am Geburtstage des Landgrafen, am i 4. A u g u st 17 7 9, fand die feier-
liche Einweihung der Anstalt statt. Im Rathause am Altmarkt versammelten
sich die Festteilnehmer, um von dort in festlichem Zuge unter dem Geläut
aller Glocken durch die Brüderstraße, vorbei an dem Schloß und dem bis-
herigen Schulgebäude, in das festlich geschmückte neue Haus einzuziehen.
Der Schulsaal des ersten Stockwerks bot kaum Platz für die Festgemeinde.
Vlacb Verlesung der Schenkungsurkunde durch den Geb. Rat Lennep und
Verteilung der goldenen und silbernen Denkmünzen dielt an Stelle des körper-
lich und geistig abständigen Rektors Paul Veit der Konrektor Karl Ludwig
Richter die Einweihungsrede.** Eine von Professor Easparson verfaßte und
von dem Hoforganisten Becker vertonte Cantate huldigte in überschweng-
licher weise dem großmütigen Fürsten. Hur einige Proben aus dem langen
Carmen mögen hier eine Stelle finden:
Cher: Ein Tag so groß wie eines Fürsten Tat,
Tie auf der Ahnherrn lorbeerreichem Pfad
Nun feine Schläfe neu umwindet,
Ihn neben sie durch eigne Größe setzt,
Und seine Welt und Nachwelt einst ergetzt,
Ist wenn' und Glück, die Rassel heut empfindet
Duett: Im Staub lag hingestürzt die Halle,
Die Schule unsrer Väter war.
Voll Milde sah bei ihrem Falle
Auf ihrer Rinder bange Schar
Der Vater Friedrich bin.
Neu stehet sie durch ihn.
Arie: tgeil uns zum wonnercichen Feste,
Das Rastels Dank ihm weiht.
Er gibt der Wissenschaft Paläste,
Den Musen gold'ne Zeit.
Sing' deiner Nachwelt, frohe Jugend,
Der weihe Jubel zu.
Hier blühet Wahrheit, reifet Tugend,
Die Früchte erntest du.
* Allerdings in der Schreibung Friedericianum, und zwar absichtlich nach einem großen
Streit unter den Gelehrten. Vergl. piderit, Geschichte der Stadt Rastel, S. zo5 A.
** Sie ist im Auszug im Schulprogramm von 17S0 abgedruckt.
11
Chor: Der Tempel steht durch Westens Friedrich,
Der Vorsicht Auge schau auf dich!
Dein Leben, Fürst, sei lang uns Segen!
Sic blickt auf deine Tat herab,
Die Rastels Bürgern Freude gab,
Und winkt Erhorung uns entgegen.
höher verstiegen sich in unterwürfigen Lobpreisungen die „sämtlichen
Gilden und Zünfte", die im Namen der ganzen Bürgerschaft der Residenzstadt
'Rastel dem „durchlauchtigsten, gnädigsten und wohltätigsten Fürsten und
Herrn" als „bochderofelben untertänigste Rnechte" in einem Festgedicht
huldigten, aus dem ich auch nur einige Strophen mitteile:
. . . Ich singe treuer Bürger Triebe,
Die voll von Sehnsucht, warm von Liebe
Die größte Fürstentat entzückt,
Die neu von tiefstem Dank belebet,
Der heiß in ihrer Brust sich hebet,
Des besten Fürsten Huld beglückt.
Ich singe nur noch feine Tugend,
Die seiner treuen Bürger Jugend
Heut eine neue Sphäre zeigt.
Blick auf, wie hoch sich Friedrich schwinget,
Der heut der Dummheit Dunst verdringet
Und fürstlich sich zum Bürger neigt.
Noch eins gebrach zu Rastels Zierde,
Ein Schulhaus, das ein Fürst regierte,
Mit weisen Lehren wohl versehn.
Sein Blick entdeckt auch diese Lücke,
Und schnell muß zu der Jugend Glücke
Palast und Einrichtung entstehn.
G Fürst, du Guclle reiner Gnaden,
Dies ist die größte deiner Taten . . .
Auch der Festredner stimmte in den Dank des Dolkes ein und schloß seine Rede
mit den Worten: „Glückliches festen, unter den glänzenden Hainen der
Fürsten, die diese Bewunderung verdienen und um derentwillen man einst
unser Zeitalter beneiden wird, prangt auch der Name Friedrichs, unseres
durchlauchtigsten Fürsten." Daß der Ronrektor Richter die Festrede bielt,
beweist, daß der alte Paul Deit nur noch zum Schein das Rektorat verwaltete.
Nach wenigen Monaten trat er denn auch endgültig zurück, und Richter
übernahm die Leitung. Richter war übrigens kein Hesse, er stammt aus
Sachsen und ist 1757 in Halle als Sobn eines Gerichtsaktuars geboren. Er
wandte sich zunächst dem Studium der Dbeologie zu, und zwar zuerst in seiner
Daterstadt, später in Leipzig, wo er besonders Geliert hörte. Doch hier
besuchte er auch philosophische Vorlesungen und bildete sich unter Ernestis
Leitung zu einem tüchtigen Latinisten aus. Mebr als zwanzig Programm-
abhandlungen zeugen von seiner Beherrschung der lateinischen Sprache. Nach
Raffel war er wohl hauptsächlich auf die Empfehlung eines älteren Bruders
gekommen, der hier das Amt eines Hofgerichtsrats bekleidete. Im Jahre 1760
erhielt der damals dreiundzwanzigjährige Randidat eine Lehrerstelle an der
hiesigen Stadtschule. Im Jahre 1772 wurde er zum Ronrektor befördert,
ir
L.YCEJJM fRIDERJcLfs-lUl-l AJ-fQ
Tfux^£ov>t>& - qocroRiss
L.YCE1UM T^UDEalci^NWt A-ff$
und acht Jahre spä-
ter trat er in die
Stelle des körper-
lich wie geistig sei-
nem Amte nicht
mehr gewachsenen
Rektors Paul Veit
(oder Vit). — Dem
neuen Leiter der
Schule lag nun nach
der ausdrücklichen
Bestimmung seines
Landesherrn ob, die
Schule von Grund
aus neu einzurichten
und mit den Män-
geln, die sich all-
mählich eingeschli-
chen hatten, gründ-
lich aufzuräumen.
Die räumliche Ver-
wendung des neuen
Baues ist aus den
beigefügten Plänen
zu ersehen, was die
innereGrganisation
anlangt, so fällt zu-
nächst eine heute
kaum begreifliche
Einrichtung auf, die
wohl zum Teil auf
die geringe Schülerzahl, zum Teil auf Mangel an Raum und Geldmitteln be-
ruht, daß mehrere Rlaffen in demselben Raum unterrichtet wurden. Da die
einzelnen Abteilungen bis zu vier Jahrgängen umfaßten, wurde ein tiber-
springen einzelner Rlaffen erleichtert, und so erklärt es sich, daß z. B. Jakob
Grimm die Rlaffen von Untertertia bis zu seinem Abgang aus Unterprima
in drei und einem halben Jahr durchlaufen hat.
Die vier oberen Rlaffen der Schule bildeten die eigentliche Gelehrtenschule
und wurden nur von solchen Schülern besucht, die später akademische Studien
treiben wollten. Es handelte sich hier wesentlich um Beamten- und Pfarrers-
söhne. Die Schüler dieser oberen Rlaffe waren äußerlich an ihrer Tracht
1 OBfi«J3iEÄCHOä&-Q|BJU«OSS.iÄö.
kenntlich, sie trugen einen blauen Mantel. Dieser galt als ehrendes Abzeichen,
und es gab keine empfindlichere Strafe für einen Scholaren, als zeitweilige
Aberkennung dieses Ehrenkleides. Die Klaffen V—VII waren mehr eine
höhere Bürgerschule und für solche Schüler bestimmt, die später ein Hand-
werk ergreifen oder sich dem Raufmannsstande widmen wollten. Dem neuen
Rektor, dem fünf ordentliche und drei außerordentliche Lehrer zur Seite
standen, war also von dem Landgrafen die Aufgabe gestellt, einen völlig
neuen Lehrplan zu entwerfen und überhaupt neue, vorbildliche Verhältniße
zu schaffen. Friedrich II., selbst ein hochbegabter und vielseitig gebildeter
Mensch, vor allem ein begeisterter Verehrer des klassischen Altertums, der
auf seinen Reisen nach dem Süden die Werke der Alten geschaut und be-
wundert und manches Kunstwerk mitgebracht hatte, um es seinem neuen
Museum Fridericianum einzuverleiben, verlangte von den Lyzeisten vor allem
gründliche Kenntnis der alten Literatur, überhaupt aber sollte in der neuen
Schule ernst und gründlich gearbeitet werden. Täglich waren sechs Schul-
stunden angesetzt. Auch auf Mittwoch- und Sonnabendnachmittag fielen
pfljchtstunden, außerdem aber sollte diese Zeit für das mit vier Stunden
bedachte wahlfreie Französisch verwandt werden. Ferien gab es nur wenig,
etwa halb so viel wie heute. Und auch für diese Erholungszeit wurden
umfangreiche Aufgaben gestellt. Am Ende jedes Halbjahrs mußten die Schüler
in öffentlichen Prüfungen Rechenschaft von dem Gelernten ablegen. Vor dem
Direktorium und der Elternschaft fand dann, nachdem noch einige abgehende
Schüler lateinische und deutsche Reden gebalten, die Verteilung der preise
statt. — Das eben genannte Direktorium war die vorgesetzte Behörde des
Rektors, bestehend aus fürstlichen Räten, Beamten des Konsistoriums, der
Kriegs- und Domänenkammer, ferner aus Professoren des Carolinums, dem
Oberschultheiß, dem Bürgermeister und einigen Mitgliedern des Magistrats.
Dies Direktorium, das in die früheren Rechte des Konsistoriums eintrat,
bildete also die Aufsichts- und Verwaltungsbehörde, es gab die Schulgesetze
und entschied endgültig bei schweren Disziplinarfällen, es leitete die Finanzen,
genehmigte die Lehrbücher und überwachte den Unterricht. — Der Geschäfts-
gang litt begreiflicherweise unter der großen Zahl der Mitglieder. Die Zu-
sammensetzung des Kollegiums zeigt, daß, wenn auch die Stadt nach wie vor
die eigentliche Besitzerin der Schule war, doch dem Staat wie auch der Kirche
ein großer Einfluß auf den inneren und äußeren Schulbetrieb zugestanden
wurde. Der Umstand, daß der Begründer des neuen Lyceums zur katholischen
Kirche übergetreten war, hat auf die Schule weiter keinen Einfluß ausgeübt.
Sie wahrte nach wie vor ihren evangelischen Charakter, wenn sie sich auch
nicht streng gegen Andersgläubige abschloß. Es entsprach der Zusammen-
setzung der Bevölkerung und vor allem des Beamtentums, aus dem das
Lyceum hauptsächlich seine Schüler bezog, daß der Prozentsatz der Katho-
14
liken ein geringer war. Da die Aufnahme jüdischer Schüler mit Schwierig-
keiten verknüpft und von der Erlaubnis des Direktoriums abhängig war, so
war ihre Zahl sehr klein. Die ersten finden sich im Jahre 17S7. Das Ver-
hältnis ist bis weit ins nächste Jahrhundert meist fo geblieben. Noch im
Jahre )S66 waren unter 44s Schülern nur )6 Katholiken und s Juden.
Auch im Lehrerkollegium war es ähnlich. Es blieb evangelisch, wenn auch
im ganzen zwei Juden ihm angehört haben und zehn Katholiken (G. Flügel,
Finsterwalder, Auth I und II, Uth, Ernst, Weidenbusch, Rübsam, Püttgen,
Ziegler). — So wurde denn auch das alte Verhältnis der Schule zur Martins-
kirche aufrecht erbalten. Vloch über hundert Jahre beging sie alljährlich, erst
im September, später im November, die gemeinsame Abendmahlsfeier in dem
alten Dom. Zwar beteiligten sich nicht immer alle konfirmierten Schüler an
dieser Feier, und in den Jahresberichten lesen wir öfter Klagen über diesen
Mangel an kirchlichem Interesse. Gideon Vogt hielt es später für angezeigt,
deshalb einen kleinen Druck auszuüben und verlangte von den Schülern, die
sich nicht beteiligen wollten, daß sie ihm persönlich die Gründe für ihr Ver-
halten angeben sollten. Auch Leugner war es Herzenssache, bei dieser Feier
möglichst alle evangelischen Lehrer und Schüler um sich zu haben. Aber nach
seinem Rücktritt beschloß das Lehrerkollegium, noch ehe der neue Direktor
eintrat, von dieser gemeinsamen Feier in Zukunft abzusehen, in der Über-
zeugung, daß die Einrichtung ohne Gewissenszwang nicht durchzuführen sei.
Es kam mit diesem Beschluß auch dein Wunsche vieler Eltern entgegen,
die lieber mit ibren Rindern in der Kirche ihrer Gemeinde die Feier begehen
wollten. Damit war allerdings das letzte Band, das das Lyceum mit der
Martinskirche verband, zerschnitten, überhaupt batte sich im Laufe der
Zeit das Verhältnis von Kirche und Schule mehr und mehr gelockert. In der
Ära Vilmar—Hassenpsiug war noch einmal der Versuch gemacht worden, der
Kirche einen starken Einfluß auf die Schule, vor allem auf das Lehrer-
kollegium, zu sichern. Schon 1647 war den angebenden Philologen dringend
geraten, zugleich Theologie zu studieren. Und es finden sich in der Tat unter
den späteren Lehrern der Anstalt eine ganze Reihe, die das Studium der
Philologie mit dem der Theologie vereinigt batten. — Jetzt wurde nun ver-
fügt, daß alle Religionslehrer vor Beginn ihrer Tätigkeit ordiniert werden
mußten. Bei piderit und Ostermann, die bereits als Religionslehrer tätig
waren, nahm Vilmar Ostern 1852 die Ordination persönlich in der Martins-
kirche vor. plur solche, denen die Kirche ihre Zustimmung gegeben und die sich
auf Bekenntnis und Kirchenordnung von 1057 verpflichtet hatten, wurden
zum Religionsunterricht zugelassen, und sie hatten durch Handschlag zu
geloben, auch ihre Schüler nach den Bekenntnissen und Ordnungen der Kirche
zu erziehen. Es galt als selbstverständlich, daß nur Vertreter der im Kur-
staat anerkannten christlichen Lehre Religionsunterricht erteilen durften,
und der Unterricht sollte dauernd unter der Kontrolle der Rirche stehn. Aber
auch die vornehmsten anderen Fächer, vor allem der ganze Sprachunterricht,
sollte nur Lehrern, die in dieser Beziehung bewährt gefunden wären, anver-
traut werden. — Mit dem Sturz des Ministeriums Hassenpsiug gerieten
diese Verordnungen bald in Vergessenheit, wenn später durch eine Verfügung
vom 9. 11. 1666 das Recht der Visitation des Religionsunterrichts aus Alt-
preußen auch auf die Provinz Hessen-Vlassau übertragen wurde und in den
späteren Jahren der Vertreter der Landeskirche, Generalsuperintendent
Lohr, zweimal (1690 und 1900) von diesem Recht Gebrauch machte, so trat
der Charakter der Oberaufsicht doch mehr zurück, und es handelte sich nur
um den Wunsch der Rirchenbehörde, mit den Religionslehrern Fühlung zu
nehmen.
wir kehren nach dieser Abschweifung noch einmal zu den Zeiten Richters
zurück. Die Arbeit, die dem körperlich keineswegs starken Manne — er war
lungenleidend — zugemutet wurde, wäre selbst einem widerstandsfähigeren
Menschen mit der Zeit zuviel geworden. Seine dienstlichen Obliegenheiten
erstreckten sich nämlich nicht nur auf die Gelehrtenschule, ihm waren auch
noch das dem Lyceum angegliederte Seminar und eine Bürgerschule unter-
stellt. Außerdem bemühte er sich nebenamtlich theoretisch und praktisch um
das Schulwesen des ganzen Landes.* Als Rektor batte er neben seiner Ver-
waltungstätigkeit wöchentlich 16 Stunden in den Oberklassen zu erteilen.
Solchen Anstrengungen war der schwächliche Mann auf die Dauer nicht ge-
wachsen. Aber er blieb trotzdem auf dem Posten und suchte seine psiichten
bis in die letzten Lebenstage zu erfüllen. Noch wenige Stunden vor seinem
Code saß er am Schreibtisch und verbesserte die lateinischen Aufsatzhefte
seiner Primaner. 42 Jahre hat er seinem Lande treu gedient und r? Jahre
die verantwortungsvolle Stellung eines Leiters von drei Anstalten inne
gehabt. Als Pädagoge stand er auf der Höbe seiner Zeit und wußte die Lebren
eines Aug. Herm. Francke, Job. Mattb. G e ß n e r, Basedow, Fr. Aug. Wolf,
Ernesti, G. Hermann, Pestalozzi auszumünzen und in die Wirklichkeit um-
zusetzen. wieder und wieder mahnt er, die Schüler zum Selbstdenken anzu-
regen, weniger das Gedächtnis als die Denkkraft zu entwickeln. Neben der
Sprachkenntnis betont er stets die Sachkenntnis, neben der Form den Inhalt,
und verlangt, die Schüler zur Selbständigkeit anzuleiten. Von Haus aus
Theologe — er hat auch als Rektor noch öfter die Ranzel bestiegen —, hat
er sich zu einem anerkannt tüchtigen Lateiner entwickelt. Mit dem Grie-
chischen befaßte er sich weniger. Schriftstellerisch trat er nur hervor, wenn
der Dienst es gebot. — Richter blieb unvermählt, aber man fah ihm den
* Im Jahre 1796 wurde ihm in Anerkennung seiner Verdienste auf diesem Gebiet von
seinem Landesherrn — in jenen Zeiten etwas ganz Außergewöhnliches — der Titel
Professor verliehen.
8M
Hagestolz nicht an. Stets vornehm gekleidet, die Perücke sorgfältig frisiert,
mit peinlich saubergehaltener Wäsche trug er seiner Stellung durch würde-
volles Auftreten Rechnung. Im Verkehr höflich und liebenswürdig, auch
heiterer Geselligkeit nicht abhold, war er bei Vorgesetzten wie Untergebenen
gleich beliebt und geachtet, wie seine Schüler ihn schätzten und ehrten, das
beweist die Stiftung, die 26 seiner ehemaligen Pflegebefohlenen noch 45 Jahre
nach seinem Tode, am rr. September i§47, gemacht haben. Mit Hilfe dieser,
aus )00 Reichstalern bestehenden Stiftung, zu der damals auch die beiden
Grimm ihr Scherflein beigetragen haben, sollte alljährlich einem Abiturienten,
der durch Fleiß und sittliches Betragen sich ausgezeichnet hatte, eine silberne
Denkmünze überreicht werden mit der Inschrift: Carolo Ludovico Richtero,
Lycei Cassellani rectori nat. MDCCXXXVII denat. MDCCCII grati, quot
supersunt, discipuli. Zu seinen Schülern gehörten außer den genannten
Grimms unter anderen die späteren hessischen Minister Schmincke, von Motz,
von Meysenbug, Hassenpflug; die Gelehrten Rommel, piderit, Murhard;
die Juristen garnier, Schotten, Schmerfeld; der Romantiker Ernst von der
Malsburg, der übrigens mit I. Grimm )§oi bei der öffentlichen Prüfung
als Redner auftrat. Der Jahresbericht gedenkt der beiden hoffnungsvollen
jungen Leute mit der ehrenden Bemerkung: iuveues duo pari iere uterque
iugenio doLlrinae ac virtutis laude ornandi. _____
Trotz aller genannten guten Eigenschaften vermochte Richter die mancherlei
Mängel und Gebrechen, unter denen das damalige Sd)ulleben litt, nicht zu
beseitigen, zumal sie zum Teil außerhalb seines Machtbereichs lagen. Es
fehlte an einer großen Gesamtorganisation und Einheitlichkeit der höheren
Schulen, an einer engen Verbindung mit der Hochschule und besonders
an fachmännischer Ausbildung der Lehrer. Man begnügte sich meist mit
Theologen, von denen viele die Lehrtätigkeit nur als Durchgangsstufe
betrachteten, einige aber auch deshalb sich auf dem Ratheder versuchten, weil
sie auf der Ranzel kein Glück gehabt hatten. Manche mußten geradezu als
entgleist bezeichnet werden.* Im ganzen also mangelte es an Sachkenntnis,
überblick und Gewissenhaftigkeit der überwachenden Behörde. Den allmählich
hervortretenden Mängeln des Innenbetriebs hätte wohl begegnet werden
können, wenn Richter rechtzeitig das Zepter einer jüngeren Rraft anvertraut
hätte. Aber er wartete, bis der Tod es ihm aus der Hand nahm. Gb nun
freilich fein Nachfolger die starke Persönlichkeit war, mit fester Hand die
eingetretenen Mißstände zu beseitigen, darf mit Recht bezweifelt werden. —
Vlathanael Tasar, ein Sohn unserer Stadt — sein Vater war hier Ronsi-
* Einen eigentlichen Philologenftand gab es damals noch nicht. Auf den Hochschulen
entwickelte sich die vierte Fakultät erst allmählich. Regel war, daß Theologen sich vor dem
Rektor und einigen Beisitzern einer Art pädagogischen Prüfung unterzogen und dann ins
Lehramt eintraten.
17
Nathanael Lasar
sistorialsekretar —, übernahm nach
Richters Tode im Jahre i6or das
Rektorat. Er war schon seit achtzehn
Jahren an der Schule tätig und mit
ihren Einrichtungen durchaus ver-
traut. Stets pünktlich im Dienst
und gewiffenhaft vorbereitet, wirkte
er vorbildlich auf seine Primaner.
Streng gegen sich selbst, durfte er
auch streng gegen seine Schüler sein;
aber sie liebten ihn trotzdem wegen
seiner Gerechtigkeit und schätzten ihn
als guten Lehrer. Auch als Ge-
lehrter war er tüchtig und galt be-
sonders als guter Lateiner, wie sein
Vorgänger. Aber zu einem guten
Direktor gehört doch noch mehr. Er
muß ein Führer und Wegweiser sein,
eine starke Persönlichkeit, die einer
Schule ihren Geist einhaucht. Das aber war Cäsar offenbar nicht. Im Gegen-
satz zu Richter, der den Fortschritten der pädagogischen Wissenschaft mit
größtem Eifer und Interesse folgte, war Cäsar etwas zu konservativ und
Neuerungen abbold. Er war außerdem eine ungesellige Natur und stand mit
seinen Mitarbeitern nicht in der engen Beziehung, wie man es von einem
Direktor wünschen und erwarten muß. Ihm merkte man ferner den Jung-
gesellen an, der auf das Äußere zu wenig wert legte und nicht seiner Stellung
und würde entsprechend auftrat. Kurz, er war nicht zum Direktor geboren, und
es ist begreiflich, daß die französische Regierung des neuen Rönigreichs West-
falen, die eine große Schulreform in Aussicht nahm, ihn nicht für geeignet
hielt, eine solche durchzuführen. Sie enthob ihn daher seines Amtes, mit der
Begründung, daß er nicht genug Rraft besitze, „um Enthusiasmus für das
Studium der klassischen Literatur und Geschichte einzuflößen". Es galt, eine
jugendfrischere, für moderne Bestrebungen zugänglichere Persönlichkeit als
Leiter der Anstalt zu gewinnen. Eine solche glaubte man in dem in der
Vollkraft seines Lebens stehenden, damals vierzigjährigen profeffor David
Suabedisien in Lübeck gefunden zu haben. Geboren in Melsungen im Jahre
1773, bekleidete er schon im Jahre 1600 das Amt eines profeffors der Philo-
sophie an der „hohen Landesschule" in Hanau. )6o? gründete er eine eigene
Erziehungsanstalt in Hamburg, die er im nächsten Jahre nach Hanau ver-
legte. 1605 wurde er nach Lübeck berufen. Seine schriftstellerischen und päd-
agogischen Erfolge lenkten die Aufmerksamkeit der westfälischen Regierung
is
auf ihn. Ein durchgebildeter philo*
soph und feiner Ropf, ein tüchtiger
Humanist, ein theoretisch und prak-
tisch erprobter Pädagog und zugleich
ein bewährter Organisator, schien
dieser vielseitig gebildete Mann, dem
außerdem noch große Ruhe und Be-
sonnenheit, Bescheidenheit und Un-
eigennützigkeit nachgerühmt wurden,
in der Tat die geeignete Persönlich-
keit zu sein, die geplante gründliche
Umwandlung der Schule vorzuneh-
men, die bisher hinter anderen, für
notwendiger gehaltenen Reformen
hatte zurückstehen müssen. Am j.
Oktober i§ir trat Suabediffen
sein neues Amt an. Cäsar, der zehn
Jahre die Schule geleitet hatte,
mußte sich dem weit jüngeren Manne
unterordnen. Aber er ertrug anscheinend die Demütigung mit Fassung. —
Zunächst wurde nun die Schule geteilt und in andere Raume verlegt. Das
Lyceumsgebäude war allmählich von dem Finanzministerium, das nebenan
in dem 1770 von Du Ry erbauten, sogenannten Prinzen- oder Fürstenhause,
dem heutigen PSR., untergebracht war, beschlagnahmt worden. Erst
drängte es in den Jahren 1S07, isos und 1611 die Lehrer aus den oberen
Stockwerken, dann nahm es auch die Schulräume in Anspruch. Ieröme hatte
freilich inzwischen das Malsburgsche Haus, Untere Rarlsstraße 1, für
109 660 Fr. erworben. Dies überwies er der Gelehrtenschule, während die
Bürgerschule abgezweigt und in das Hallengebäude am Ronigsplatz verlegt
wurde, an deffen Stelle später das Schollsche Raufhaus errichtet worden ist.
Der Unterbau der beiden Schulen war gemeinsam. Nach der Gabelung gab
es für die Bürgerschule noch zwei, für das Lyceum drei Rlaffcn, die in sieben
Jahren zu durchlaufen waren. Ziel des letzteren blieb die Vorbereitung für
die Hochschule mit starker Betonung von Latein und Griechisch. Die Schul-
verfaffung gestattete große Freiheiten. Um der Eigenart oder verschiedenen
Borbildung der Schüler Rechnung zu tragen, war der einzelne nicht an eine
Rlaffe gebunden, sondern konnte je nach seinen Leistungen am Unterricht
verschiedener Rlajsen teilnehmen.
Bom 2$. Juni i§ir an hieß die Schule amtlich „Neues Lyceum und neue
Bürgerschule zu Raffel". Die Befugniffe des Leiters wurden erweitert, inso-
fern die Rechte des früheren Direktoriums auf ihn übergingen, und er erhielt
David Suabediffen
)0
den Titel Direktor. Sein
unmittelbarer vorgesetz-
ter war der Generaldirek-
tor des öffenlichen Unter-
richts, und zwar zunächst
Johannes von Müller,
spater Baron von Leist.
Diesem lag es ob, den
Lehrplan zu genehmigen,
den Unterricht zu über-
wachen und den öffent-
lichen Prüfungen beizu-
wohnen; in seiner Hand
lag es, das Lehrpersonal
anzustellen und zu ent-
lasten. Er war seinerseits
dein Ministerium des In-
nern unterstellt. — Neben
dem Direktor arbeiteten
noch sechs ordentliche
Lehrer an der Anstalt. —
Die Richtlinien für die
gewünschten Reformen
D-- Malsburgsche H-ms, Unt-r- «arkstraß- , wurdenSuabediffenwohl
von oben gegeben, aber die
Ausarbeitung des neuen Lehrplans ist als fein Werk anzusehen. Neu war,
daß Philosophie und Redekunst in denselben aufgenommen und den neueren
Sprachen (auch dem Englischen und Italienischen) mehr Aufmerksamkeit ge-
widmet wurde. Ferner wurden die Realien (Mathematik, Physik, Zeichnen)
mehr gepflegt und von wirklichen Fachleuten unterrichtet. Der Zeichenunter-
richt z. B. wurde von einem Lehrer der Malerakademie erteilt. Der Direktor
ließ es sich überhaupt angelegen sein, tüchtige Lehrkräfte heranzuziehen.
Außerdem kämpfte er mit Erfolg gegen die eingeristene Zuchtlosigkeit. So
verdient die direktoriale Tätigkeit Suabedistens zweifellos volle Anerkennung.
Sie dauerte allerdings nur zwei Jahre. )Si4 kehrte der Rurfürst in sein Land
Zurück, und wie durch alle anderen französischen Einrichtungen und Neu-
ordnungen machte er auch durch die Schulreformen einen dicken Strich. Das
Finanzministerium wurde schleunigst aus dem Lyceumsgebäude entfernt und
dies seiner alten Bestimmung zurückgegeben. Die Instandsetzung nahm
freilich noch geraume Zeit in Anspruch, und erst im Jahre )6id konnte die
Schule wieder in ihr altes Heim einziehen. Der französische „Direktor"
20
mußte dem alten „Rektor" Cäsar das Feld räumen und sich vorläufig mit der
Leitung der abgezweigten Bürgerschule begnügen. Doch schon im nächsten
Jahre wurde er zum Erzieher des Rurprinzen erwählt und 1822 als Dozent
an die Landesuniversität berufen, Hier ist er nach langer gesegneter Tätigkeit
im Jahre 1835 gestorben. — Um Cäsar die erlittene Demütigung vergeffen zu
lasten, wurde ihm gleich nach der Rehabilitierung der Titel Profestor ver-
lieben. Die Marburger Universität ehrte ihn später (J82J) durch den
Dr. h. c. Auch das alte Direktorium trat jetzt wieder in seine früheren Rechte
und nabm Aufsicht und Verwaltung wieder in die Hand, wie in alten Seiten.
In diese zweite Periode des Cäsarschen Rektorats fällt nun noch ein außer-
ordentlich wichtiges Ereignis, das wir nicht übergeben dürfen, nämlich die
endgültige Scheidung von Lyceum und Seminar mit partimschule (1S22),
der dann im folgenden Jahre die Loslösung der Bürgerschule folgte. Jetzt
war endlich das Lyceum eine wirkliche Gelebrtenfchule mit klaren Zielen und
einheitlichem Lehrplan, und der entlastete Leiter konnte sich dieser mit seiner
ganzen Rraft widmen. Es liegt nabe, bei dieser Gelegenheit einen kurzen
Rückblick auf das Zusammenleben dieser lange Zeit vereinigten Anstalten zu
werfen. — Der Stifter des Lyceums, Friedrich II., hatte gleich in der
Stiftungsurkunde bestimmt, daß mit dem Lyceum ein Seminar verbunden
werden solle, und zwar unter der Leitung des Rektors. So wurde also schon
in: Jahre 1779 die Einrichtung getrosten, daß im Lyceum eine Anzahl
Schüler für den Volksschullebrerstand ausgebildet wurde. Anfangs waren es
nur sechs, und diese konnten in den Mansardenräumen des Lyceums unter-
gebracht werden. Für freie Wohnung, Heizung und Licht batten sie kleine
Dienste im Hause zu verrichten. Einer machte sich als Calefactor nützlich
und half der Dienstmagd, andere unterstützten die Lebrer der untersten
Rlasten beim Unterricht. Sie selbst erhielten ihren Unterricht unentgeltlich,
teils gesondert, teils mit den Lyceisten zusammen. Die Ausbildung dauerte
ein bis anderthalb Jahre. Als nun aber die Zahl der Seminaristen bald
auf acht und zwölf stieg, entschloß sich der Landgraf 1782, auch das
Hintergebäude des Zantbierschen Dauses mit Hof und Garten für 5000 Rtlr.
zu erwerben. Für weitere 1300 Rtlr. ließ er das Haus im Inneren Herrichten
und machte dann das ganze Anwesen im Jahre 1784 der Stadt zum Geschenk.
Nun war reichlich Platz vorbanden für Lehrerwohnungen und Schulräume.
Die Schülerzahl wuchs schnell. Im Jahre 1768 waren es bereits 28. Ein
schöner, wohlgepfiegter Garten, der das pkachbargrundstück hinter der jetzigen
Turnhalle noch mit umfaßte, dehnte sich hinter dem Hause aus. Gbstpfian-
zungen, Maulbeerbecken und Bienenstände dienten dazu, die Seminaristen
in Gartenbau, Seidengewinnung und Bienenzucht zu unterweisen. Für Be-
wasterung der Anlagen sorgte eine Verbindung mit dem überdeckten Drusel-
kanal, der den Garten in west-östlicher Richtung durchschnitt. Eine dem
ri
mm
Seminar angeschlossene partimschule mit 40 Rindern bot Gelegenbeit, die
Seminaristen im praktischen Unterricht zu üben. i§rr also ist dies Seminar,
das bis dabin unter der Leitung Lasars stand, von dem Lyceum losgelöst
und selbständig gemacht worden. Leider ging bei dieser Gelegenheit ein großes
Stück des Gartens verloren, nämlich der hinter der heutigen Turnhalle rn
der Verlängerung des Rangeschen Vlachbargrundstücks liegende Teil, den
Ministerialrat Rrafft, der damalige Besitzer des Rangeschen Dauses, käuflich
erwarb. Das Seminar hat dann noch dreizebn Iabre bier bestanden, bis es
im Jahre i§35 nach Homberg verlegt wurde, über das weitere Schicksal des
Seminargebäudes werden wir später noch jäheres hören.
Erwähnung verdient ferner, daß unter Täsar zuerst die Reifeprüfung, der
„Maturus", wie der echte Kasseler sagt, eingeführt worden ist. Es war zwar
von jeher Brauch im Lyceum gewesen, halbjährige öffentliche Prüfungen zu
veranstalten, und so legten auch die aus der ersten Rlaffe abgehenden Schüler
eine solche Prüfung ab. Aber es handelte sich hier nicht um eine eigentliche
Reifeprüfung im späteren Sinn; die Schule batte vielmebr von jeber die
Berechtigung, ihren Zöglingen obne besondere Prüfung die Reife für aka-
demische Studien zuzusprechen. Das Recht dieser sog. Exemtion wird ihr
wiederbolt zugesichert (so )5S), wo sie durch Iungmann in ein achtklassiges
Gymnasium umgewandelt wurde). 1709 scheint das Recht an das neuerrichtete
Tarolinum übergegangen zu sein, und seit dem Jahre 17io waren die Ent-
lastungen mit besonderen Feierlichkeiten verbunden. 17S5 fiel das Recht
wieder an das nunmehrige Lyceum zurück und wurde von diesem bis zum
Jahre )S3) ausgeübt. In der Regel meldete sich der Primaner nach drei-
semestrigem Besuch zum Abgang. Aber es wurden oft Ausnahmen gemacht.
So wurde Jakob Grimm nach halbjährigem Besuch der prima zur Hochschule
entlasten ()Sor), und sein jüngerer Bruder Wilhelm ging sogar nach halb-
jährigem Besuch der Gbersekunda zum Studium nach Marburg, obne daß
von der Schule oder der Universität Schwierigkeiten gemacht wurden, wenn
auch der Rektor Täsar offenbar nicht einverstanden war. Ulan war damals
bei der Aufnahme nichts weniger als engberzig. Der später in weiten Kreisen
bekanntgewordene Superintendent Schüler in Allendorf z. B. ließ sich im
Jahre 1609 als stucl, tbeol. in Marburg immatrikulieren, obne je ein Gym-
nasium besucht zu baben; er war privatim von seinem Vater, dem allerdings
wissenschaftlich sehr tüchtigen Rirchenrat Schüler in Uersfeld, vorbereitet
worden. Ja, es wird von einem Untersekundaner berichtet, der zur Hochschule
„entlaufen" sei. Im allgemeinen unterschied man, ob ein junger Mensch nur
zu seiner geistigen Ausbildung akademische Vorlesungen zu hören beabsichtige,
oder ob er sich die Berechtigung für den öffentlichen Dienst erwerben wollte.
Im ersteren Falle war ein Reifezeugnis überhaupt nicht nötig. In dem
zweiten aber war die Hochschule eigentlich gehalten, einen Berechtigungs-
rr
Nachweis zu verlangen. In erster Linie hatte der junge Student sich über
seine wissenschaftliche Vorbildung auszuweisen. Sodann aber war lange
Zeit der Besuch der Hochschule an die Erfüllung gewister sozialer Bedingungen
geknüpft, während nämlich in den ersten Zeiten nach Absolvierung des Päda-
gogiums jedem der Besuch der akademischen Vorlesungen freistand, traten
später wesentliche Beschränkungen ein. Unter Friedrich I. erschien die Ver-
ordnung, daß weder der Sobn eines Bürgers noch eines Bauern noch auch
eines herrschaftlichen Livreebedienten olme gnädigste Einwilligung des Fürsten
studieren dürfe, und 1793 wurde verfügt, daß nur die Söbne der Honoratioren,
die den ersten sieben Rangklasien angehörten, und der Prediger, und zwar
aus jeder Familie nur einer, zum Studium zugelassen werden sollten. Für
jeden anderen war die Erwirkung der Zulassung mit Schwierigkeiten ver-
bunden. — was nun die wissenschaftliche Vorbildung anlangt, so scheinen
trotz wiederholter Erinnerung von seiten der Behörde bei dem Übergang
zur Hochschule immer wieder Unregelmäßigkeiten vorgekommen zu sein, so
daß endlich die Regierung sich entschloß, ernstliche Ulaßregeln zu ergreifen.
In Preußen war die Sache schon im Jahre )S)r gesetzlich geregelt und eine
förmliche Reifeprüfung angeordnet worden.
Hier in Hessen erschien ein entsprechender Erlaß der kurfürstlichen Regierung
an: ii. April )Sro. Die bis ins einzelne gebenden und recht strengen Be-
stimmungen waren von nun ab für die Landesgymnasien bindend. Aber das
Direktorium des städtischen Lyceums glaubte sich weiter mit den üblichen
Semestralprüfungen begnügen zu dürfen und erteilte auch ferner Primanern,
die sich nach dreisemestrigem Besuch der prima zum Abgang auf die Hoch-
schule meldeten, auf Grund ibrer Leistungen die Berechtigung zum aka-
demischen Studium. Da indes mancherlei Unregelmäßigkeiten und Um-
gebungen der bestebenden Bestimmungen den Ruf der Schule gefährdeten,
entschloß sich das Direktorium im Juli )SZi, den staatlichen Vorschriften
entsprechend zu verfabren, und so ist denn im Oktober dieses Jahres zum
ersten Male im Lyceum eine wirkliche Reifeprüfung abgebalten worden. —
Von den Lebrern dieser letzten Periode nenne ich nur die bekannteren, zunächst
den im Jahre 1773 geborenen Konrektor Gustav Matthias, der 1602 von Rin-
teln hierhergekommen war. Er ist der Vater des nachmaligen Direktors Georg
Matthias, der später den alternden Vater ablöste, während jener nämlich
im Jahre 1S34 aus dem Dienste des alten Lyceums schied, wurde dieser i§35
an dem neuen Staatsgymnasium als ordentlicher Lehrer angestellt. Ferner
den Pfarrer Ferdinand Siebert aus Treysa, den Vater des später hier so
* bekanntgewordenen Pfarrers Otto Siebert, der im Iabre 1650 die nach ihm
benannte privatschule gründete, die heutige Henkelsche Vorschule. Er war
erst in seiner Vaterstadt sieben Jahre Rektor gewesen, erbielt dann i§ri eine
Stelle am Lyceum und blieb hier )z Jahre. 1S34 kam er als Pfarrer nach
rz
Mörshausen bei Spanyenberg und ist dort 1649 gestorben. Sodann Dr. Fried-
rich Theobald aus Hofgeismar, den Sohn des dortigen Pfarrers, der 1830
am Lyceum angestellt und 1635 vom Staat übernommen wurde, aber in seinen
besten Jahren, kaum 36 Jahre alt, 1646 am Typhus starb, tief betrauert von
seinen Amtsgenoffen und besonders von seinen Schülern, denen er in seinen
deutschen und griechischen Stunden viel Anregung geboten batte. Sein Bild
hängt noch im Lehrerzimmer der Anstalt. Endlich Rarl Brauns, den Sobn
des Hauptmanns Brauns in Rotenburg, der als zweiter vom Lyceum an das
Gymnasium versetzt wurde, aber schon nach vier Jahren einen Ruf als
Direktor an das Gymnasium in Rinteln erhielt. — Trotz dieser und anderer
tüchtiger Lehrkräfte konnte das Geschick des Lyceums, das offensichtlich
von Jahr zu Iabr zurückging, nicht aufgehalten werden. Ein Teil der Schuld
für den Verfall der Schule fällt jedenfalls auf den unter dem Alter leidenden
Rektor, der es sich nicht gestehen mochte, daß er seiner Aufgabe nicht mehr
gewachsen war. Aber mehr noch sind vielleicht Stadt, Staat und Aufsichts-
behörde für die Mängel verantwortlich zu machen. Die Stadt, insofern
sie mit den Geldmitteln zu sehr kargte: die Lehrkräfte waren überlastet und
wurden ungenügend bezahlt; die Schulräume reichten nicht aus, und noch
immer kam es vor, daß zwei Rlaffen in demselben Raume unterrichtet wurden.
Die Lehrmittel, die Bücherei und die Sammlungen waren völlig vernach-
lässigt. Der Staat versäumte seine Pflicht, da er weder in wiffenschaftlicher
noch in praktischer Einsicht für die genügende fachmännische Ausbildung der
Lehrer sorgte. Die Verwaltungsbehörde endlich ließ es an der nötigen
Aufsicht und Überwachung in unverantwortlicher weife fehlen. Manche Lehr-
fächer wurden allzu stiefmütterlich behandelt, und für die körperliche Ent-
wickelung und Ausbildung der Schüler geschah so gut wie nichts, wenn sich
im Jahre )83r ein Lehrer der Anstalt aus freien Stücken und auf eigene
Faust des Turnens annahm und wenigstens den drei unteren Rlaffen auf
einem Grundstück am Ratzensprung unentgeltlich Gelegenheit zu turnerischen
Übungen bot, so geschah das nicht auf Anregung, sondern trotz der Behörde. —
So wird man mit Weber zu dem Schluß kommen, daß die Stadt mit ihrer
Weisheit zu Ende war, und wenn das Schiff nicht ganz festfahren sollte, von
anderer Seite Hilfe kommen mußte.
II. Das Rurfürstljche Gymnasium
wie einst im Jahre 1539 Philipp der Großmütige und im Jahre i?79
Friedrich II. helfend eingegriffen batten, so war auch jetzt wieder der Landes-
fürst der Retter in der Vlot. Der Rurprinz Friedrich Wilhelm, feit )83i
Mitregent seines in Frankfurt weilenden Vaters, und sein vielgehaßter, aber
um die Entwicklung der hessischen Gymnasien zweifellos sehr verdienter
r4
Ratgeber Ludwig Fasten-
pflug nahmen die Sache
energisch in die Hand, ent-
schlossen, ganze Arbeit zu
tun. Schon im Jahre
1 §35 hatten Verhandlun-
gen mit der Stadt begon-
nen, die darauf abzielten,
die Anstalt zu verstaat-
lichen. Es hat allerdings
fast zehn Jahre gedauert,
bis eine endgültige Eini-
gung zustande kam. Sie
erfolgte erst, nachdem die
Stadt einen gegen den
Staat angestrengten Pro-
zeß in zwei Instanzen ver-
loren hatte. — Gleich bei
Beginn der Unterhand-
lung war auf Veranlas-
sung des Rurprinzen die
Angelegenheit vor den
Landtag gebracht, und
dieser hatte alsbald einen
Ausschuß zu den Vor-
arbeiten eingesetzt. Am 29. Oktober 1634 wurde endlich der Beschluß gefaßt, im
Anschluß an das alte städtische Lyceum eine staatliche Anstalt, ein Rurfürstliches
Landesgymnasium, zu gründen. Das alte Lyceum sollte einstweilen bestehen
bleiben, aber ihm sollten nur die drei unteren Rlasten gelassen werden, während
die vier oberen in die neue Anstalt überführt wurden. — Natürlich war es
nur ein Scheindasein, welches die in ihrem Rang heruntergesetzte und auf die
Stufe einer Vorschule herabgesunkene alte Stadtschule nun noch führte, und
ihr Todesurteil war endgültig untersiegelt, als das neue Gymnasium schon
bald nach der Eröffnung eine eigene Sexta und (Quinta einrichtete. Daß die
Stadt sich eine derartige Vergewaltigung zunächst nicht gutwillig gefallen
ließ, ist begreiflich. Sie berief sich auf die Urkunde des fürstlichen Stifters.
Aber der oberste Gerichtshof stellte sich im Gegensatz zu der Auffassung des
Landtags auf die Seite der Regierung und sprach dem Staate das Recht zu,
wenn es das Interesse des Landes erfordere, sich selbst über die Bestimmungen
des Stifters hinwegzusetzen. — So wurde denn am i). Mai i§35 das neue
Staatsgymnasium im Hölkeschen Hause, Friedrichsstraße zr, mit 173 Schülern
25
Das Schulgebäude Friedrichsstraße zr (Haus Hölke)
eröffnet. iZinft zu ganz anderen Zwecken errichtet — man erkennt seine eigens
liche Bestimmung als Marstall noch heute an den rundbogigen Fenstern des
Erdgeschosses —, bot es in dem aufgebauten Gberstock nicht nur genügenden
Raum für die vier zu übernebmenden Gberklassen des Lyceums, einen Mustk-
und Zeichensaal und einige Rabinette für Sammlungen, sondern es gewährte
noch ausreichenden Platz, um später drei weitere Zimmer für die unteren
Rlassen einzurichten. — Nachdem also die Stadt vom Gberappellationsgericht
in zweiter Instanz mit ibren Ansprüchen endgültig abgewiesen war, wurde
der weg friedlicher Verhandlung beschritten. Es ist das Verdienst des da-
maligen Stadtoberhaupts Schomburg und des Ronststorialdirektors Pfeiffer,
daß am i i. Januar 1640 endlich ein Vertrag zustande kam.* Cäsar erlebte
das Ende dieses Streites nicht mehr. Aber schon die Gründung der neuen
Staatsanstalt ließ ibn das Schicksal seiner Schule abnen. Diese zweite
große Demütigung, die dem 72jährigen Manne, der über dreißig Jahre
als Rektor an der Spitze der Vollanstalt gestanden batte, widerfuhr, bildete
den äußeren Anlaß für ihn, um seine Entlassung einzukommen. Ganz abge-
sehen davon, daß er besser längst vorher freiwillig von einem Platze bätte
weichen sollen, den er nicht mehr auszufüllen vermochte, kann man dem
alten Herrn, der der Anstalt sein ganzes Leben gewidmet und in treuer und
gewissenbafter Arbeit sich zweifellos Verdienste um dieselbe erworben batte,
ein gewisses Mitleid nicht versagen. Aber kurz vor seinem Abgang war es
ihm wenigstens vergönnt, noch eine Freude zu erleben, die ibn für manches
Bittere entschädigte, die Feier seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums. Im
großen Stadtbausaale fand sie statt, und Stadt, Staat und Schule wett-
eiferten, dem Jubilar ibre Huldigung darzubringen. Die Stadt widmete
ihm eine Ebrenmedaille, der Rurprinz verlieh ihm einen hohen Grden,
und die Schüler ließen ihm durch den (Oberprimaner Gtto Bähr, den
späteren Reichsgerichtsrat, einen silbernen Pokal überreichen mit der von
Bähr verfaßten Inschrift: accipe virtuti quod gratus amor tulit ultro
-- »(Akrostichon). Dieser Becher ging später in den Besitz seines Neffen, des
Professors an der Marburger Universität Julius Cäsar, über, der ibn vor
seinem am r). Juni 1686 erfolgten Code durch Testament dem Friedrichs-
gymnastum vermacht bat. — Der Sängerchor fang bei der Feier eine von
dem nachmals durch seinen Prinz Rosa Stramin berühmt gewordenen Dichter
Ernst Roch verfaßte Cantate, und Or. Cbeobald feierte den Jubilar mit
einem lateinischen Gedichte, das seine Verdienste gebührend würdigte. Am
). April i6?4 batte diese Feier stattgefunden. Am ). Januar i8;6 trat
Cäsar in den Ruhestand, und schon wenige Wochen später, an: 25. Februar,
führte ein Sturz den Cod des 73jährigen Mannes herbei.
* Die Urkunde befindet sich im Marburger Archiv M Nr. 86.
26
Die wesentlichen Bedingungen des Vergleichs zwischen Stadt und Staat
waren folgende:
1. Die Schule bebält den Namen Lyceum Fridericianum bei und heißt von
jetzt an „kurfürstliches Gymnasium, genannt Lyceum Fridericianum".
r. 2llle bisberigen Rechte der Stadt, besonders das Recht, die anzustellenden
Lehrer vorzuschlagen, geben aus den Staat über, der auch die Aufsicht
über die Schule übernimmt.
z. Gebäude, Platz sowie alles Inventar einschließlich Sammlungen werden
dem Staat zu dauerndem Nießbrauch überlasten.
4. Das s. Z. der Stadt zuerkannte Seminargebäude in der Gardedukorpsstraße
(Wolfsschlucht) mit Hof und Garten wird von jetzt ab Eigentum des
Staates.
5. Die Stadt bezahlt die Gehälter für Lehrer und Pedell, erbält aber dafür
aus den Einkünften des Lyceums jährlich 211s Rtlr. zur Verwendung für
anderweitige Schulzwecke.
So ist also seit dem Jahre )8?5 aus der alten Stadtschule ein staatliches
Gymnasium geworden. Dreibundert Jahre war die Stadt die eigentliche
Besitzerin gewesen und hatte ibre Rechte mehrfach unter Anrufung der Ge-
richte gegen übergriffe von seiten des Staates und der Rirche tapfer und
erfolgreich verteidigt, vor allem das Recht der Präsentation. Jetzt verzichtete
sie freiwillig auf alle ibre Rechte und setzte den Staat zum Erben ein. Ziebt
man neben dem Versagen der Stadtverwaltung in Rechnung, was im Laufe
der Jabrbunderte von seiten der
Fürsten für die Anstalt gescheben
war, so wird man sagen müsten, daß
es sich bier weniger um ein Gpfer
als um einen Akt der Gerechtigkeit
und vernünftiger Erwägung ban-
delt. Zum Direktor der neuen Schule
wurde auf die Verwendung Vilmars,
der sich überbaupt neben feinem
Ministerkollegen Hastenpflug große
Verdienste um die Hebung der bes-
sischen Gymnasien erworben bat,
Rarl Friedrich Weber berufen, der
schon mebrfach genannte Verfaster
des Werkes über die Rasteler Ge-
lebrtenfchule. Er war geboren in
Weimar als Sobn des dortigen Hof-
predigers im Jabre 1794. plach Be-
endigung seiner Studien in Jena und
Rarl Friedrich Weber
27
Leipzig unternahm er eine wissenschaftliche Reise nach Italien und trat dann
zuerst als Lehrer in die 1S04 von Emanuel Fellenberg begründete und rasch be-
rühmt gewordene Erziehungsanstalt in Hofwil bei Bern ein. )Sro wurde er
Konrektor in Zeitz und von dort -Sro an das Gymnasium in Darmstadt berufen.
1S35 übertrug ihm die kurfürstliche Regierung die Neueinrichtung des hiesigen
Gymnasiums. Ihm zur Seite standen sechs ordentliche, drei außerordentliche
und drei Hilfslehrer. Don dem alten Lyceum waren Brauns und Theobald
übernommen. Don den anderen Lehrern mögen drei genannt werden: Georg
Wilhelm Matthias, der Sohn des früheren Konrektors, der später Webers
Nachfolger wurde (geb. 1609), Johannes Flügel (geb. 1607) und Ronstantin
Schimmelpfeng (geb. 16)3). Im folgenden Jahre trat der junge, aus Halsdorf
in Gberhessen stammende Stürmer Franz Dingelstedt als Neusprachler in das
Kollegium ein, der aber, wie die Personalakten beweisen, bald seinem Direktor
und der Regierung durch seine politische Richtung, seine Vortrage und seine
Schriften (Spaziergänge eines Kasseler Poeten) viel Sorgen machte, bis er
nach zwei Jahren aus der Residenz verschwinden mußte und nach Fulda ver-
setzt wurde.*
Das neue staatliche Gymnasium blühte rasch auf. Die Schülerzahl wuchs
beträchtlich, seit es den Rest des Lyceums aufgesogen hatte, und die Räume
in dem neuen Schulhause, dem Elefanten, wie es der Dolkswitz nannte (eine
Benennung, die übrigens hier mehrfach vorzukommen scheint), wurden schon
bald nach der Gründung zu eng. Auf Antrag des Kurprinzen beschloß daher
der Landtag am 4. Juni 1S40 27 000 Rtlr. aufzuwenden, um in der Garde-
dukorpsstraße** an der Stelle des alten Seminargebäudes einen den modernen
Anforderungen entsprechenden stattlichen Neubau zu errichten. Das Seminar
war ja, wie oben berichtet wurde, 1635 nach Homberg verlegt worden, und
der alte Bau gewährte seit der Zeit einer Bürgerschule Unterkunft. Ulan
ging sofort an die Arbeit. Das alte Haus wurde abgeristen, der Grundstein
zu dem neuen gelegt und am ). September 1640 das Untergeschoß begonnen.
Unter der Leitung des Gberbaurats Schuchardt wurde der Bau nach den
von Gberbaurat Rudolph entworfenen Plänen in zwei Jahren fertiggestellt,
und am 17. Gktober 1642 konnte bereits das neue Schulgebäude eingeweiht
werden. Längst hatte man mit wachsender Sehnsucht dem Tage entgegen-
gesehen, wo man die engen Räume der Mietskaserne, in der man sich sieben
Jahre beholfen hatte, verlassen konnte. Es war ein Freudenfest, als die
* Aus dem hessischen Schuldienst entlasten, machte er Reisen ins Ausland, wurde 1S4;
Bibliothekar des Rönigs von Württemberg, 1S51 Theaterintendant in München, 1S57 in
Weimar, )6£>7 in Wien, wo er )95i starb. Trotz seiner trüben Erfahrungen an unserer
Anstalt hat er ihr später sein Bild gestiftet, das noch heute im Lehrerzimmer hängt.
** So hieß sie nach der an ihrem Ende stehenden Gardedukorpskafcrne. Vorher führte
sie den prosaischen Namen Schusterstraße, und später wurde sie nach Errichtung der
wolfschen Däuser zur Wolfsschlucht.
Schule endlich
in ein eigenes
Heim einziebn
durfte. Lehrer
und Schüler
versammel-
ten sich unten
im alten Ly-
ceum. Unter
den Klangen
des Tborals:
„Nun danket
alleGott",von
einem Blaser-
chor mit Po-
saunen und
Hauken vor- Gymnasium in der 'Molfsschlucht (Hofseite)
getragen, be-
wegte sich der von Pfarrer Kraushaar geführte Zug über den untern und
oberen Hof und nahm vor dem Neubau Aufstellung. Der Pfarrer stand
in der Mitte vor der Tür des Laufes, die Lehrer zu seinen Seiten und
die Schüler im weiten Halbkreise auf dem Hof. Nach einem gemeinsam ge-
sungenen Lhoral hielt der Pfarrer die Weiherede. Dann zog die Festgemeinde
in den geschmückten Schulsaal, der für die damalige Zeit einen glänzenden
Versammlungsraum bot. Eine von dem Gesanglehrer Wiegand komponierte
Tantate, zu der Dingelstedt den Text geliefert batte, eröffnete die Feier, Pri-
maner trugen Gedichte vor und bielten Reden. Den Mittelpunkt bildete die Fest-
rede des Direktors, die mit einem Hoch auf den Kurprinzen schloß. Am Nachmit-
tag fand ein gemeinsamer Ausflug nach wilhelmshohe statt. — Jetzt batte
die Anstalt Raum, sich auszuwachsen. Als sie nach zehn Jahren in der Stille
ihr erstes Jubiläum beging, zählte sie bereits 269 Schüler. Die Befürchtung,
daß die im Jahre 164? gegründete Realschule, die übrigens zuerst die von
dem Gymnasium verlassene Kaserne in der Friedrichsstraße bezog und erst
1§45 in das neugebaute Haus in der Hedwigstraße übersiedelte, dem Gymnasium
Abbruch tun würde, erwies sich als irrig. Als besondere Errungenschaft
dieses Jubeljahres erwähnt die Tbronik mit Stolz die lebnenlosen Eichen-
bänke des Schulsaales, die achtzig Jahre überdauert haben und erst im Jahre
durch ein neues Gestühl ersetzt worden sind. — Siebenzehn Jahre
hat Weber als Direktor an der Spitze des Gymnasiums gestanden und
sein Amt mit Ehren verwaltet. Seine Schule blühte. Das Lehrerkollegium
hielt zusammen. Seit 1639 bestand eine Lehrervereinigung, die man wohl
als Vorlauferin des zehn Jahre spater gegründeten pädagogischen Vereins
ansehen darf. Der Verkebr mit dem Elternhause wurde gepsiegt, und Weber
hat schon vor achtzig Jahren Elternversammlungen einberufen, die man
heute als eine ganz moderne Errungenschaft anzusetzen geneigt ist. Seine
wiffenschastliche Tätigkeit erstreckte sich, wie schon angefübrt wurde, besonders
auf die Erforschung der Gchulgeschichte. Er arbeitete das in staatlichen und
städtischen Archiven vorbandene reiche Material sorgfältig durch und ver-
öffentlichte das Ergebnis seiner Nachforschungen zuerst in zwei Schulpro-
grammen (1844 u. 45) und dann in Buchform (1846). Die Landesbochschule er-
kannte später seine wiffenschastliche Tätigkeit dadurch an, daß sie ihm im Jahre
1852 einen Lebrstubl für klassische Philologie anbot. So hat Weber die letzten
neun Jahre seines Lebens als profeffor in Marburg zugebracht und ist
hier im Jahre )8di gestorben. Er war übrigens der dritte Direktor des
Raffeler Lyceums, dem diese Ehre zuteil geworden ist. — Aus der letzten
Zeit seines Direktorats mochte ich ein Ereignis erwähnen, auf das ich früher
schon hingedeutet habe. Im Jahre 1647 wurde zu Ehren des ersten Rektors
der Anstalt die Richtersche Denkmünze gestiftet und zum ersten Male ver-
lieben. Unter den Stiftern nehmen besonders zwei unser Intereffe in Anspruch,
die beiden Brüder
Grimm. Es darf uns
mit Stolz erfüllen,
daß beide, besonders
Jakob, das Anden-
ken an die Schule
immer in Ebren ge-
balten baben. Zum
Beweise füge ich
einen Brief ein, den
Jakob Grimm an
den Direktor derAn-
stalt gerichtet bat.
Als am i d. Januar
1655 fünfzig Jabre
versioffen waren
seit dem Eintritt
Jakobs in den kur-
befstschen Staats-
dienst, versäumte
auch Direktor Mat-
tbias nicht, ibm in
einer Adreffe die
30
freudige Teilnahme der Anstalt zum
Ausdruck zu bringen. Am 24. Januar
lief folgendes Antwortschreiben des
siebzigjährigen Jubilars ein, das
einen Anspruch auf das Interesse
jedes alten Fridericianers hat und
deshalb einen Platz in der Geschichte
der Anstalt verdient.
„Verehrte Herren Lehrer des Gym-
nasiums zu Raffel, Sie haben, wie
ich voraussetzen muß, als Ihnen zu-
fällige Runde ward von dem Tage
meiner ersten Einstellung vor fünfzig
Jahren in Reffen, diese Gelegenheit
ergriffen, um mir ihre wohlwollende
Teilnahme zu bezeugen und mich da-
durch auf das höchste zu ehren, was
könnte mir, einem frommen Schüler
des Lyceums, wie es damals hieß,
schmeichelhafter sein, als mitten aus der Schule, in der ich zuerst gebildet
wurde, nach dem Verlauf so vieler Jahre durch den Mund der Lehrer
selbst, unter welchem eine fortlaufende Tradition waltet, ein lautes Zeugnis
der Anerkennung zu empfangen; plimmer erlischt in mir das frohe
Andenken an die heilsame Lehre, die mir in Ihren Räumen zuteil geworden
ist, noch an den ehrwürdigen Richter, der zu jener Zeit der Anstalt vorgesetzt
war. Möge auf ihr sein Geist segenvoll ruhen! Für den mir gesandten
Glückwunsch spreche ich Ihnen sämtlich diesen Gegenwunsch von ganzem
Kerzen aus und bin dankbarst in größter Hochachtung Ihr ergebenster
Jakob Grimm."
Als Weber Raffel verließ, übernahm zunächst der älteste Lehrer der Anstalt,
der Pfarrer vr. Grebe, der spätere Rektor der städtischen Realschule, seine
Vertretung. Der inzwischen zu Webers Nachfolger ernannte Direktor Georg
Matthias trat im Gktober )§53 feine Stelle an. Es wurde schon erwähnt,
daß er der Sohn des alten Ronrektors Gustav Matthias war, der ein Jahr,
nachdem der Vater in den Ruhestand getreten, als Lehrer an das neue staat-
liche Gymnastum berufen wurde, plach fünfzehnjähriger Tätigkeit wurde
er als Direktor nach Hanau versetzt und kehrte nun an seine alte Anstalt
zurück, wenn die Schule während seines siebzehnjährigen Rektorats ihren
guten Ruf bewahrte, so lag das wohl zum großen Teil an einer ganzen Reihe
tüchtiger Lehrkräfte, die ihn als Mitarbeiter unterstützten, waren doch unter
ihnen allein sieben, die später zu Direktoren berufen wurden (piderit,
3)
Georg Matthias
Fürstenau, Buchenau, jZreime, Rieß, Klingender und Vogt). Männer mit
bekannten Vlamen waren außerdem Flügel, der durch seine Schulbücher
berühmt gewordene Ehr. Gstermann und der große Mathematiker Auth l.
Durch seine mit peinlichster Gewissenhaftigkeit betriebenen statistischen
Forschungen bat Friedrich Groß sich einen Namen in der Geschichte der
Schule gemacht. Sein erstes Verzeichnis von Lehrern und Schülern der
Anstalt erschien bei Gelegenheit des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums der
Schule, das übrigens auf Beschluß des Lehrerkollegiums nicht besonders
gefeiert wurde. Groß ermittelt, daß in den ersten fünfundzwanzig Jahren
neunzig Lehrer an der Schule tätig gewesen waren und bringt die wichtigsten
Angaben über ihr Leben. Er gibt weiter eine vollständige Liste der i§or
Schüler, die seit 1835 die Schule besucht hatten und fügt einige intereffante
Zusammenstellungen an. Er stellt zum Beispiel fest, daß 1272 von diesen
1802 Schülern Söhne akademisch gebildeter Väter waren und daß von
diesen wieder 439 akademische Berufe erwählten, während 165 ins Heer
eintraten und rdo sich dem Raufmannsstand widmeten. Bei Gelegenheit der
Hundertjahrfeier des Lyceums im Jahre 1879 hat dann Groß, der inzwischen
seine Lehrerlaufbahn aufgegeben und eine Stelle als Bibliothekar an der
Landesbibliothek angenommen hatte, diese Schülerstatistik dahin erweitert,
daß er bis zum Jahre 1779 zurückgriff, wenn er auch in der ersten Periode
(1779—1835) nur die Schüler der oberen Klaffen, der eigentlichen Gelehrten-
schule, berücksichtigte. Als im Jahre 1865 das Staatsgymnasium sein fünfzig-
jähriges Jubiläum feierte, hat Vogt die Großfche Liste in dem Jahresbericht
bis zu dieser Zeit weitergeführt, wer sich über spätere Zeiten unterrichten
will, ist auf das von dem Direktor geführte Schüleralbum angewiesen, das im
ganzen am 1. September d. I., von i§35 an gerechnet, 7200 Schüler umfaßte.
Als trotz der gegenteiligen Bestrebungen des in dieser Beziehung etwas eng-
herzigen Landesherrn die Stadt sich von Jahr zu Jahr weiter ausdehnte und
infolgedeffen auch die Schülerzahl der einzigen Anstalt, die für die Hochschule
vorbereitete, entsprechend zunahm, so daß die Zahl der Klaffen im Jahre 1865
bereits auf vierzehn stieg, so wurden, weil die vorhandenen Schulräume nicht
mehr ausreichten, in dem Heffensteinfchen Hause, Gbere Rönigsstraße 3, erst
drei und dann vier Zimmer für die unteren Klaffen zugemietet. Da jedoch
dies Haus bereits im nächsten Jahre verkauft wurde, sah man sich genötigt,
wieder auf das alte Lyceumsgebäude zurückzugreifen, und zog bescheiden
wieder in die Räume ein, die man vor fünfundzwanzig Jahren als völlig
unzulänglich und unbrauchbar verlaffen hatte. Trotz aller hygienischen Be-
denken, trotz Enge und Mangels an Licht, trotz Staubs und Straßenlärms
hat die Schule noch zwanzig Jahre in diesen unglücklichen Räumen des Erd-
geschosses Hausen müssen, die seit 1842 nur als Dienstwohnungen benutzt
waren.
zr
III. Das Königlich preußische Staatsgymnasium
Die Einverleibung des Rurfürstentums in das Königreich Preußen im
Jahre i6öb hat in dem inneren und äußeren Betrieb zunächst keine wesent-
lichen Änderungen hervorgerufen. Der preußische Staat trat in alle Rechte
und pflichten der kurfürstlichen Regierung ein. Seit i8ö8 unterstand das
Gymnasium dem nach preußischem Vorbild neu eingerichteten provinzial-
schulkollegium, in das der bisherige Direktor des Christlichen Gymnasiums zu
Gütersloh, Rumpel, als Leiter und Dezernent für die höheren Schulen be-
rufen wurde. Ihm folgten später, um das gleich vorwegzunehmen, Labmeyer
0683), Baier (1904), waßner (1909), Ranzow 09) 1), Borbein (mir),
Unruh (19)3), von Rozlowski ()9)5), Borbein 0919), Sondag (1927).
Den Ausbruch des Französischen Krieges hat Matthias nicht mehr erlebt.
Er starb am 14. März 1670, und Flügel übernahm bis zum gerbst seine Ver-
tretung. Über hundert Schüler der Anstalt traten in das Heer ein und
nahmen teil an dem Kriege, und mehr als zwanzig baben ibr junges Leben
dem Vaterlande geopfert. — Am Tage der Schlacht von Sedan siedelte der
neue Direktor Gideon Vogt von Wetzlar nach Rastel über, und im Oktober
I670 trat er sein Amt an. Ihm waren weder Rastel noch die Anstalt fremd.
Zweimal schon hatte er als Lehrer an ihr gewirkt; ja, sein Schicksal war von
seiner Geburt an mit dem der Anstalt eng verknüpft gewesen. Seine wiege
batte in den: alten Seminargebäude gestanden, in dem er als Sobn des letzten
hiesigen Seminardirektors* geboren war. In dem schönen Garten der väter-
lichen Dienstwohnung hatte er als Rind gespielt. Über den Trümmern seines
Vaterhauses war dann das neue Staatsgymnasium erstanden, und diesem
hatte er neun Iabre, bis zur Reifeprüfung, als Schüler angebört. Als
junger Student bezog er die Landesuniversität und kehrte nach bestandener
Prüfung )653 als Praktikant in die vertrauten Räume des Lyceum Fride-
ricianum zurück. Im nächsten Iabre nahm er vorübergebend eine Stelle
an der Privatanstalt Institution Dor in Vevey am Genfer See an, um sich
in der französischen Sprache weiter auszubilden, kehrte aber schon 1856 hier-
her zurück. Von dem Wunsche beseelt, der ihm anvertrauten Jugend per-
sönlich näberzutreten, übernabm er neben seinen wistenschaftlichen Stunden mit
Freuden den Turnunterricht. Selbst ein eifriger Schlittschuhläufer, trieb
er gern mit seinen Schülern Eissport. Wanderfahrten mit seinen Primanern
gehörten bis in sein bobes Alter zu seinen schönsten Freuden, und wer einmal
an einer Rheinfahrt unter seiner Führung teilgenommen bat, der bat ge-
sehen, wie er es verstand, mit der Jugend fröhlich zu sein. Als junger
* Der Vater Vogts, aus Eisenach gebürtig, erst Seminarinspektor, später Schulreferent
im Ministerium des Innern, bat sich große Verdienste um das hessische Volksschulwesen
erworben. Er starb hier als Archivrat im Jahre -soz.
zz
Direktor richtete er in seinem Hause
gesellige Abende für seine Primaner
ein, und die Gattin unterstützte be-
reitwillig und verständnisvoll seine
Bestrebungen und machte die liebens-
würdige Wirtin. — 1S5S verließ
Bogt Raffel und nahm eine feste
Stelle in Elberfeld ein. Schon isor
wurde er zum Direktor in Eorbach
ernannt, wo er fünf Jahre blieb.
1607 nach Wetzlar berufen, trat er
wieder in preußische Dienste. Als
nun Matthias im Frühjahr 1670
starb, erhielt er von der Regierung
den ehrenvollen Auftrag, die Leitung
der Kasseler Doppelanstalt zu über-
nehmen. Geheimrat wiese, die maß-
gebende Persönlichkeit für personal-
fragen im Kultusministerium, hatte
ihn ausgewählt, und er wußte, weshalb er gerade Bogt für diesen schwie-
rigen Posten empfahl. Eine Schule mit etwa 6—700 Schülern in annähernd
20 Klaffen und 35 Lehrern sicher zu leiten, dazu gehörte eine starke männ-
liche Persönlichkeit. Jeder, der unter Bogt gearbeitet hat, wird ihm das
Zeugnis nicht versagen, daß er es verstand, Massen zu regieren, und daß eine
stramme Zucht in seinem Reiche herrschte. — Die Schwierigkeiten, die sich
ihm in seiner neuen Stellung boten, waren schon von vornherein nicht
gering, aber sie mehrten sich noch von Jahr zu Jahr. wie schon früher
dargelegt wurde, waren zunächst die räumlichen Verhältniße so ungünstig
wie nur denkbar. Aula und Orgelzimmer wurden zu Unterrichtszwecken
herangezogen. Nmr mit Mühe konnte bei den Andachten die Schul-
gemeinde in den beiden Sälen untergebracht werden, an den Festlichkeiten
durfte schon längst nur ein Geil der Schüler teilnehmen. Ein Lehrerzimmer
gab es überhaupt nicht, und für Lehrmittel und Sammlungen war kein
ausreichender Platz vorhanden, sie waren deshalb zur Verkümmerung ver-
urteilt. Die einzelnen Klaffen waren überfüllt, und immer mußten neue
parallelklaffen gebildet werden. Nachdem jeder Winkel des Laufes ausgenutzt
war, wurden noch vier Klaffen im alten Lyceum und fünf, später sogar sieben
in der städtischen Bürgerschule, Mauerstraße §, untergebracht, so daß drei
Däuser für die Schule in Anspruch genommen waren, von denen das eine
fünf Minuten vom Haupthause entfernt lag. Aber trotz aller dieser Anleihen
und Dependenzen konnte allmählich nicht allen Aufnahmegesuchen entsprochen
Gideon Vogt
34
werden. VUer als Schüler oder als Lehrer diese Zeiten miterlebt hat, denkt
mit Grauen an die geradezu unwürdigen Verhältnisse zurück. Alles drängte
längst zur Gründung eines zweiten Gymnasiums. Es fragte sich nur, wer
die Rosten tragen sollte, Stadt oder Staat. Ein Vergleich führte endlich zum
Ziele. Die Stadt schenkte im großen Iubiläumsjahre )$70 als Festgabe einen
außerordentlich günstig gelegenen Bauplatz, einen Teil des Kanarischen
Parks, und trat zugleich dem Staat, dem sie bis dahin nur den Nießbrauch
zugestanden hatte, jetzt ihr Eigentumsrecht am Lyceumsgebäude in der
Rönigsstraße ab. Endlich gewährte sie noch eine Geldbeibilfe, indem sie die
Rosten der Parallelklassen übernahm, die den Grundstock des neuen Gym-
nasiums bilden sollten. Im Jahre )S8? wurde der Neubau begonnen, und
schon nach drei Jahren stand er fertig da, die „Eulenburg", wie er mit
zweifacher Anspielung genannt wurde. Nun konnte der junge Schwarm aus-
siiegen und ein neues Reich gründen. Mit neun gerbst- und vier Ester-
klaffen eröffnete der aus Eutin in seine alte Heimat zurückgekehrte Direktor
Dr. Friedrich Heußner Estern iSSö in dem stattlichen Bau das neue Doppel-
gymnasium, dem der Raiser durch Erlaß von: 17. März iSSö den Namen
„wilhelmsgymnastum" verlieh, während das Lyceum Fridericianum von
diesem Tage an den Namen „Friedrichsgymnasium" erlüelt. Am Schluffe des
Winterhalbjahres versammelte Vogt zum letzten Male die ganze Schul-
gemeinde in der Turnballe und nabm mit herzlichen Worten von den
scheidenden Schülern Abschied. Noch ergreifender war der Abschied von den
Amtsgenoffen im Lehrerzimmer. Mit einem Schlage schrumpfte der Riese
zu einem Zwerge zusammen. Die Höchstzahl der Schüler wurde von der
Behörde, den vorhandenen Räumen entsprechend, auf 270 beschränkt.
Von den Lehrern blieben am Friedrichsgymnasium zurück: Vogt, Weber,
Riedel, Zuschlag, Paulus I, Rius, Stoll, Hüpeden, Paulus II, Heermann,
praetorius II, Brede, Bättenhausen.
An die Tochteranstalt gingen über: Auth I, praetorius I, Rrämer, Auth II,
Püttgen, Wagner, Langsdorf, Manns, Zülch, Franz, Eigenbrodt, Bochröder,
Bleckmann, Sunkel, Stern und Fürer. —
Alles atmete erleichtert auf, als endlich normale, reinliche, übersichtliche Ver-
hältniffe eintraten, als die Schüler die ilmen zustehenden Rubikmeter Luft
erhielten, als der Direktor sich ein anständiges Dienstzimmer einrichten durfte
und die Lehrer einen menschenwürdigen Raum fanden, in dem sie die pausen
und Zwischenstunden verbringen konnten. Als nun gar das ganze Gebäude
unter Leitung des Baurats Schuchardt neu hergerichtet und innerlich und
äußerlich völlig instandgesetzt war, da waren alle seine Bewohner so glücklich
und so stolz auf ihr altes „Pennal", daß keiner daran dachte, das wilbelms-
gymnastum um seinen vornehmen Neubau zu beneiden. — Das pietäts-
35
Verhältnis zwischen kNutter- und Tochteranstalt lockerte sich rasch. Eine
gewisse äußere Verbindung wurde noch etwa vier Jahre durch den ver-
einigten Primanergesangverein aufrecht erhalten. Doch es zeigte sich bald,
daß wie die beiden Leiter, Vogt und Heußner, zwei grundverschiedene
Charaktere waren, so auch ihre Anstalten sich rasch jede in ihrer Eigenart
entwickelten und jede ibre eigenen Wege wandelte. — Leider ging mit der
Trennung iSSd dem Friedrichsgymnasium das Lyceumsgebäude endgültig
prinzenklaffe is?<'
Brauneck Lengcmann Hevcr Ganslandt wittich 'Jung Blankenborn
Leichcr Schlichteisen Prinz Wilhelm Weber Sommer Gollmann
Herzog wöblcr »Acer Schmid Jouvenal Zicmann Gunkel Rlcpper
verloren. Dem Staat lag daran, sein neues Besitztum finanziell auszunutzen.
Die günstige Lage verlockte dazu, im Erdgeschoß Läden anzulegen; auch die
bisherigen Dienstwohnungen verloren diesen Charakter und mußten von
jetzt ab, wenn auch zunächst unter günstigen Bedingungen, vom Staat ge-
mietet werden. Zwar batte Vogt in diesen schweren, nun endlich über-
wundenen Jahren die ihm gestellte Aufgabe glänzend gelöst und das über seine
Tragfähigkeit belastete Schiff mit sicherer Hand und ruhig-festem Blick durch
wogen und Brandung hindurchgesteuert. Hätte ibm nicht die Natur einen
Rörper von außergewöhnlicher Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit ver-
30
lieben, so hätte er die Riesenarbeit nicht so lange leisten können. Und trotz
der großen Ansorderungen, die der Dienst an ihn stellte, fand der unermüdliche
Mann noch Zeit, in fünf Programmabhandlungen eine grundlegende und noch
heute immer wieder begehrte Arbeit über den Pädagogen Ratichius zu
schreiben. Aber trotz aller Anstrengungen batte es sich natürlich nicht ver-
meiden lasten, daß Lebrer und Schüler unter diesem Mastenbetrieb litten.
Der Direktor, an sich zurückhaltend, und, wie er sich in seiner Abschiedsrede
Direktor Vogt und das Lehrerkollegium 1877
Manns Wendel Püttgen Tcmme Wagner Franz
Finfterwaldcr Langsdorf Hartwig Stoll Zuschlag Auth II Paulus practorius Stern Hoffmann
Zülch Raufenberger Heußner Hartwig Rius
Schmidt Schorre Range Riedel Auth 1 Vogt Weber Lindenkohl Feldman« Rrämcr Schaub
ausdrückte, nicht immer mit der kleinen Scheidemünze der liebenswürdigen
Formen ausreichend versehen, vielmehr geneigt, im dienstlichen Verkehr stets
den Abstand zu wahren — es kam vor, daß er in amtlichen Angelegen-
heiten schriftlich mit seinen Untergebenen verhandelte —, war durch die Ver-
hältniße in Gefahr geraten, dem Rollegium etwas entfremdet zu werden.
Auch eine enge Beziehung zu den Schülern war bei einer Zabl von 600
bis 700 nicht immer möglich. Vogt gab sich zwar die größte Mühe, die Ver-
bindung herzustellen. Vor jeder Zeugnissitzung wobnte er dem Unterricht
m sämtlichen Rlasten bei, und in den Sitzungen selbst ließ er sich stets zunächst
37
Direktor Vogt und das Lehrerkollegium j$$6 (vor der Trennung)
Bleckmann practorius II Stern Sunkcl Wagner Manns Eigenbrsdt Roßbach Schotten Bredc Paulus II
Reinhard Lange Tcmmc Fra»; Rius Fürer Auth II Bättenhausen Stoll Bochrödcr Zülch Hoffman» Sandrock
pi'ittgcn practorius I Riedel Lindcnkohl Vogt Weber Auth I Zuschlag Paulus I Rrämcr
vom Rlastenleitcr einen ausführlichen Bericht über die Rlaste und eine
genaue Charakteristik der einzelnen Schüler geben. Mit den Familien der
Stadt von frühester Jugend bekannt, hatte er manche Anknüpfungspunkte
und Beziehungen, fo daß er doch im ganzen nicht nur feine Schulgemeinde
kannte, sondern sogar die Entwicklung und Schicksale der einzelnen Schüler
verfolgte. Die räudigen Schafe pflegte er sonnabendlich nach der Wochen«
andacht zur sogenannten Strafparade in sein Zimmer zu laden, einer von den
Schülern sehr wenig geschätzten Einrichtung, bei der oft ein sehr ernstes Wort
gesprochen, auch unter Umständen der Stab wehe nicht gespart wurde. —
Aber ein wirkliches persönliches Verhältnis zu Lehrern und Schülern wurde
dem Direktor doch erst nach der Trennung möglich. Jetzt waren wieder alle
Schüler unter einem Dache vereinigt. Auf dem Schulhof, in dem Schulsaal
war wieder die ganze Schulgemeinde beisammen, und der Direktor hatte
Gelegenbeit, während der pausen mit den Lehrern in dem geräumigen neuen
Lehrerzimmer in engere Berührung zu kommen. — Daß dem Direktor bei
der Zusammenstellung des neuen Lehrerkollegiums von der Behörde ein
gewiffer Einfluß eingeräumt wurde, war nicht mehr als billig und von
größtem Intereste für das Gedeiben der Anstalt, und diesem Umstand ist
38
es zu verdanken, dass in dem neuen Lehrerkollegium Jahrzehnte hindurch
die vollste Harmonie und das beste Einvernehmen der Lehrer unter sich und
mit dem Direktor bestand, — So bedeutet das Jahr iS6ö für den Direktor,
der sechzehn Jahre hindurch die Last einer Mammutanstalt getragen, der ohne
die eines Dberstudienrats oder einer Sekretärin das Doppelte, ja das
Dreifache einer normalen direktorialen Tätigkeit hatte leisten muffen, eine
wahre Erlösung. Jetzt konnte er sein Amt mit innerer Befriedigung führen
und seines Berufs endlich wieder froh werden, wenn auch vielleicht der Höhe-
punkt seines äußeren Ruhmes schon etwas zurücklag. Zur Erläuterung
dieser Behauptung müssen wir etwas weiter ausholen.
Es war im Sommer 1874, als der damalige Kronprinz Friedrich nach langem
Zögern und Überlegen den Entschluss fasste,* seinen Erstgeborenen, den künf-
tigen Thronerben, einer öffentlichen Schule anzuvertrauen. Ulan nimmt an,
dass Geheimrat wiese, der infolge feiner fortwährenden Inspektionsreisen
durch die ganze Monarchie über eine Personenkenntnis verfügte, wie kein
anderer Beamter des Kultusministeriums, bei der Wahl der Anstalt seine
Hand im Spiele hatte, wenn ihm auch, wie er in seinen Lebenserinnerungen
berichtet, der Kronprinz die Gründe für seinen Entschluß erst später bei einer
persönlichen Begegnung eingehend auseinandersetzte. Die schöne Lage des
Ortes, paffende Räume für ein kleines Hoflager in Kassel und Wilhelmshöhe,
gewiss auch der Wunsch, der annektierten Provinz einen Beweis königlicher
Huld zu geben und sie dadurch alte Wunden und Schmerzen vergessen zu lassen,
wirkten gewiss mit bei der Wahl des Gymnasiums. Jedenfalls, am 14. Sep-
tember erschien der Kronprinz mit seiner Gemahlin persönlich in der Anstalt,
um die Schule und ihren Leiter kennenzulernen. Er besichtigte die einzelnen
Räume, liess sich über alles unterrichten, sprach den entschiedenen Wunsch aus,
daß in dem Unterrichtsbetrieb nichts geändert und sein Solm wie die anderen
Schüler behandelt werden solle, und meldete dann endgültig den Prinzen
Wilhelm zum ). Oktober als Schüler an. lUit Beginn des Winterhalb-
jahres trat Prinz Wilhelm in die O II ein. Kurz nachher wiederholte der
Kronprinz seinen Besuch, wohnte einigen Unterrichtsstunden bei und liess
. . Es sollte die Erziehungsweise gewählt werden, die die sicherste Gewähr biete für
eine harmonische Ausbildung der Geisteskräfte des jungen Rnabcn mit Beiseitesetzung
jeder anderen Rücksicht, die früher hätte vorwalten dürfen. Es konnte kein Zweifel sein,
daß zur Erreichung eines solchen Zieles nur die altklassische Gymnasialbildung gewählt
werden könne, die so vielen Generationen der herrschenden Rlasse die höchste Bildung hatte
gewähren können, was nun der junge Prinz suchen sollte in Raffel, hieß ungefähr so:
er sollte dort suchen die strenge Disziplin des Geistes, die der altsprachigc Unterricht
des Gymnasiums allein imstande schien zu gewähren, er sollte suchen eine gewisse Übung
in der Lösung geistiger Aufgaben und ein gewisses Streben nach wahrem Erkennen und
wissen. Daneben hoffte man auch, es sollte sich in ihm dort eine historische Welt-
anschauung ausbilden mit einem gewissen Verständnis für feine Zeit . . ." Hinzpeter in
der Dezemberkonferenz 1690, f. Schulprogramm 1S91.
sich im Festsaal die Lehrer der Anstalt vorstellen. Da der Prinz bis dahin
eigentlich nicht für das Gymnasium vorgebildet war, batte er zunächst
manche Lücken auszufüllen. Besonders im Griechischen seblten die gram-
matischen Kenntnisse und jede Übung ins Hinübersetzen. Hier galt es in
angestrengter Arbeit Versäumtes nachzuholen. In Dr. Kius fand sich die
geeignete Persönlichkeit, diesen Privatunterricht zu übernehmen. Schon die
reckenhafte Gestalt des mit dem Eisernen Kreuz geschmückten Reserve-
offiziers verfehlte ihren Eindruck auf den Prinzen nicht. Eine frische,
natürliche, oft etwas burschikose Art des Verkehrs, ein fröhlicher Humor,
dabei mit sicherem wissen verbundenes pädagogisches Geschick wirkten zu-
sammen, Vertrauen und Achtung des lernbegierigen Schülers zu gewinnen. —
wenn es aber trotz ernstesten Bemühens dem Prinzen nicht bloss im Grie-
chischen, sondern auch im Lateinischen nicht gelang, mehr als Durchschnitts-
leistungen zu erzielen, so lag das keineswegs an seiner Begabung — diese ist
n i e von seinen Lehrern angezweifelt worden —, sondern vielmehr einerseits
an seiner dem Gymnasium nicht angepassten Vorbildung, ferner aber an dem
Übermaß von Anforderungen, die an den jungen Menschen gestellt wurden —
neben Schul- und privatstunden batte er noch regelmäßige Geschichtsvor-
lesungen bei seinem Erzieher, Dr. Hinzpeter, ausserdem Unterricht in modernen
Sprachen, in Reiten und Fechten. Endlich war der angelegte Maßstab inso-
fern strenger, als für die prinzcnklasse aus den Parallelklassen die leistungs-
fähigeren Schüler ausgewählt wurden. Leider war von dem Direktor bei der
Auswahl der Lebrer, um Kränkungen zu vermeiden, nicht nach demselben
Grundsatz verfahren*. Beide Umstände sind in Betracht zu zieben, wenn man
das barte Urteil und die berbe Kritik des jungen Kaisers über das Gymnasium
in der Dezemberkonferenz 1S90 richtig beurteilen will. — Vogt selbst trat zu
dem Prinzen in sebr nabe Beziehungen. In seinen Horazstunden wusste er ibn
für den Dichter, den er selbst gründlich kannte und schätzte, zu erwärmen.
Metrische Übersetzungen, die der Prinz freiwillig anfertigte, besprach er mit
ihm oder verbesserte sie. Durch diese tägliche Berübrung entwickelte sich ein
besonderes Vertrauensverbältnis, und wer Vogt in seiner Vollkraft gekannt
hat, wundert sich nicht, wenn die starke männliche Persönlichkeit des Lebrers
in seinem jungen Schüler ein Gefübl bober Achtung und Ehrfurcht erweckte,
* Es soll nicht verschwiegen werden, daß der altsprachige Unterricht damals noch litt
unter der einseitigen grammatischen Methode. was der Rajser damals vermißt bat, dar-
über spricht er sich nach Jahrzehnten in folgender weise aus: „. . . Besonders begeisternd
wirkte es auf die Zuhörer, wenn Dorpfeld den Homer zur Hand nahm und ihn las oder
zitierte und dann anschließend seine überzeugenden Erklärungen vortrug, O hätte dieser
Mann doch seinerzeit den Gymnasiasten in Raffel den Homer so vortragen können! welch
ein erhabener Hochgenuß wäre das für den Prinzen und seine Mitschüler gewesen. Leider
war der damaligen Lehrergencration das Reisen nach den klassischen Ländern noch
nicht möglich gemacht worden, und so mußte die Anschaulichkeit des Unterrichts natürlich
leiden." Rajser Wilhelm II., Erinnerungen an Rorfu. Berlin und Leipzig 1924. S. 140.
4O
ein Gefühl, das sich auch im späteren Leben erbalten und dem der gereifte
Mann noch oft Ausdruck verlieben hat. — Einen für äußere Ehrungen
empfänglicheren Menschen hätte es stolz und eitel machen können, daß dem
Beispiel des Herrscherhauses bald eine ganze Anzahl fürstlicher Familien
folgte und auch ihre Söhne dem Friedrichsgymnasium anvertraute*, wer aber
glaubt, daß Vogt das Geringste getan hätte, Grafen und Prinzen heranzu-
ziehen und seine Schule zu einer Fürstenschule zu machen, der irrt sich. Aber
andererseits kann nicht geleugnet werden, daß er sich der Ehre, die ihm und
seiner Anstalt durch den Vertrauensbeweis der höchsten vorgesetzten Bebörde
und des königlichen Dauses zuteil geworden, wohl bewußt war. Die
Anerkennung seiner pädagogischen und direktorialen Tätigkeit trat vielleicht
äußerlich am meisten in die Erscheinung an dem denkwürdigen 14. August
des Jahres 1679, an dem die Anstalt ihr hundertjähriges Bestehen feierte.
Da stand der noch nicht fünfzigjährige Mann in jugendlicher Frische vor der
großen, die alte Lutherkirche bis zum letzten Platz füllenden Festgemeinde
und begrüßte als Vertreter der altehrwürdigen Schule, die auf eine so lange,
ruhmreiche Vergangenbeit zurückblickte, die Versammlung. Vor ihm saßen
die hohen Ehrengäste, in vorderster Reibe der künftige Tbronerbe, Prinz
Wilhelm, als Abgesandter und Vertreter seines Vaters, des Kronprinzen,
dann der Fürst von waldeck, der feinen einzigen Sobn, den Erbprinzen
Friedrich, zum Besuch der Schule angemeldet batte, Prinz Alexander von
festen, dessen Sobn, Prinz Franz Joseph von Battenberg, die prima be-
suchte, der Eberpräsident der Provinz, die Spitzen der Bebörden, der Ver-
treter der Landeshochschule, und viele Direktoren aus Rassel und der Provinz.
Erden und Ehrenzeichen wurden verteilt, und aus berufenem Munde erklang
das Lob der Anstalt und seines verdienstvollen Leiters. Schon durch die
Vorfeier im Tbaliatbeater mit der vortrefflichen Aufführung der Antigone
in griechischer Sprache, zu der der Primaner Speck, der nachmalige bekannte
Schriftsteller, einen poetischen Vorspruch geliefert batte, waren die Gemüter
in eine gebobene Stimmung versetzt. Das nachfolgende Bankett und das
Gartenfest in der Aue** ließen diese festliche Stimmung in denkbar schönster
weise ausklingen. Ja, das waren Tage und Stunden, die das Herz des
Mannes, der die Verantwortung für die Schule trug, höher schlagen ließen,
auch wenn er nicht zu Eitelkeit neigte, wer die Verhältnisse kannte und
wußte, was Vogt in nie ermattender pflichttreuer Tätigkeit all die Jahre
geleistet batte, gönnte ihm gern die Ehre und Anerkennung, die ihm bei
Gelegenheit dieses Jubelfestes zuteil wurden. — Doch unmittelbar nach diesen
* Der Prinz von Battenberg, die Erbprinzen von waldeck und zu Wied, zwei Prinzen
zu Solms, der Erbgraf zu Stolberg-Wernigerode und vier Grafen Stolberg, zwei Grafen
zu waldeck und später der Fürst zu Stolberg-Roßla waren Schüler der Anstalt.
** Es darf wohl an die humorvolle Schilderung von Heinrich Jonas in Rastelcr Mundart
erinnert werden „Aus dem Festjubel der Hundertjahrfeier des Lyceum Fridericianum".
41
mm
Direktor Vogt und das Lehrerkollegium 1690 (nach der Trennung)
Schneider praetorius Grammelsdorf Battenhausen Brede Heermann pistor Paulus
Hüpede» Püttgen Zuschlag Vogt Rius Stoll
frohen, glücklichen Feiertagen ging es wieder hinein in die Mühen und Sorgen
des Alltags. Die Arbeit des Direktors wurde vervielfacht, als dem Doppel-
gymnasium allmählich noch ein drittes angegliedert wurde. Sieben schwere
Jahre mußten noch durchgekämpft werden, ehe der überlastete Leiter durch
Loslosung des neuen Wilhelmsgymnasiums endlich erleichtert wurde. Jetzt
begann für ihn eine Periode ruhigen Ausbauens und Ausgestaltens, eine Zeit
befriedigender, weil übersehbarer Tätigkeit nach all der Unrast der früheren
Jahre. Doch in dies stille Glück schlug wie eine Bombe die Rede ein, die der
junge Kaiser im Dezember 1S90 auf der Berliner Schulkonferenz hielt. Die
harte Kritik, die dieser damals am Gymnasium im allgemeinen übte, wurde
von V>ogt als eine persönliche Kränkung empfunden. Der Stachel bohrte sich
noch tiefer in sein Herz, als schadenfrohe Neider in Altpreußen die Gelegenbeit
mit Freuden ergriffen und in hämischen Zeitungsartikeln das Kasseler Gym-
nasium herunterzusetzen suchten. Zwar bemühte sich Hinzpeter, der ehemalige
Erzieher des Kaisers, noch in derselben Dezemberkonferenz, den Eindruck der
kaiserlichen Äußerungen zu verwischen durch eine öffentliche Ehrenerklärung, die
mit den Worten schloß: „Ich will nichts ändern, nichts hinzufügen, ich möchte
nur erklären: alle Beteiligten haben es seinerzeit anerkannt und, soweit sie noch
leben, erkennen sie es noch heute dankbar an, daß das Gymnasium zu Kaffel an
4r
diesem doch sehr eigenartigen und sehr eigentümlich gestellten Schüler seine
Schuldigkeit redlich getan bat und daß es die großen Hoffnungen, die auf
dasselbe gesetzt worden sind, in hohem Maße erfüllt hat." Auch das Mini-
sterium und das Provinzialschulkollegium goffen Öl in die Wunde. Aber
Vogts Freunde wußten, daß hier etwas zerbrochen war, was nicht wieder
ganz gebeilt werden konnte. Ja, man darf wohl sagen, daß von der Zeit an
ihm die wahre innere Freudigkeit an seinem Beruf stark herabgemindert
war. Um dem Kaiser nicht persönlich zu begegnen, nahm er mehrfach Urlaub,
wenn der Hof im Sommer in Wilhelmshöhe residierte, und reichte schließlich
sein Abschiedsgesuch ein, welches zunächst zurückgewiesen, aber 1893 genehmigt
wurde, wie schwer er seinen ehemaligen Direktor getroffen batte, ist dem
Kaiser wohl erst später zum Bewußtsein gekommen, besonders infolge einer
Unterredung des Generalsuperintendenten Lobr mit dem Prinzen Heinrich.
Jedenfalls bemühte er sich anscheinend, den Verletzten zu versöhnen.* Äußer-
lich ist denn auch das Verhältnis wieder hergestellt worden. Vogt war wieder
öfter der Gast fernes kaiserlichen Herrn, zuletzt im August 190;, und dieser
gab ihm selbst und der Anstalt vielfach Beweise seiner Huld durch persönliche
Ehrungen und Schenkungen.** Noch heute zieren die wände des Festsaales
und des Grgelzimmers außer den beiden bei seinem Abgang von der Schule
gestifteten großen Lichtbildern von ihm und seinem Bruder Heinrich das
von Stankiewitz gemalte Ölbild seines Vaters, das er krrrz nach deffen Code
der Anstalt stiftete (1889), sein eigenes das am 7. September 1891 folgte,
ferner Fachbildungen der in seinem Auftrag von Professor Knackfuß
entworfenen Zeichnungen, und ein Bild der Königin Luise (1910). Alljährlich
liefen vom Hofmarschallamt Bücher und Kunstwerke ein, die an tüchtige
Schüler verteilt werden sollten, endlich wurde das von seinem Vater bei
seinem Abgang von der Schule im Jahre 1877 gestiftete prinz-wilhelm-
Stipendium in Höhe von tausend Mark auf seine Anordnung von der Kaiser-
lichen Schatulle weitergezahlt. Die Räume der einst von ihm besuchten
Schule hat der Kaiser allerdings, so oft er auch hier in Kassel weilte, trotz
mehrfach geäußerter Absicht nicht wieder betreten. Aber seine alten Lehrer
Vogt, Heußner und Kius bat er häufig zu sich ins wilhelmshöher Schloß
entboten, und als die schöne, alte Prinzenfahne, die er einst als Schüler im
Auftrag seines Vaters gestiftet und bei der Sedanfeier 1875 selbst der Schule
vorangetragen hatte, allmählich zerschliß, bat er diese nicht nur völlig
wieder herstellen, sondern auf die Bitte des damaligen Direktors Baltzer eine
noch kostbarere neue anfertigen lassen und diese am 19. August 1911 in
* Vergl. seine Rede vom rS. August 1903.
** Er verlieh ihm den Roten Adlerorden II. Rlaste mit Eichlaub. Schon vorher befaß
Vogt neben waldeckschen und hessischen Orden Adler und Rreuz der Ritter des Hohen-
zollcrnschen Hausordens, den R A IV. und III. Rlaffe.
43
Gegenwart der Lehrer und einiger seiner früheren Mitschüler aus der Frei-
treppe des wilhelmshöher Schlosses der prima der Schule übergeben. Die
eingehende Beschreibung der denkwürdigen Feier und die ernsten Worte,
die der Raiser an die Schüler richtete, kann man in dem Jahresbericht der
Schule von 19)2 nachlesen. — Daß der Raiser seinen Lehrern ein freundliches
Andenken auch über das Grab hinaus bewahrte, bewiesen die Blumenspenden,
mit denen er die verstorbenen ehrte. Bei der Beerdigung Vogts legte Gber-
prästdent von Windheim in seinem Auftrag einen prächtigen Rranz auf seinen
Sarg. Als später die ehemaligen Schüler Vogts ihm ein würdiges Grabmal
errichteten, hat sich auch der Raiser mit einer nambaften Spende beteiligt".
Um das Andenken Vogts für alle Zeiten wach zu erbalten, batten dankbare
Schüler dem aus feinem Amte scheidenden Direktor bei seinem Abschied
Estern i§93 eine Stiftung von 4000 Mark überreicht, aus der tüchtigen
Schülern Unterstützungen für ibr weiteres Studium gewährt werden sollten.
Bloch elf Jahre bat Bogt das otium cum'cli^nitLte genießen und in Rüstigkeit
und Frische in der Stille seines Studierzimmers weiterschaffen dürfen. Ein
besonderes Arbeitsfeld für praktische Betätigung fand er in seiner Gemeinde
als Vorsitzender des Rirchenvorstandes. Er erwarb sich in dieser Eigenschaft
große Verdienste um den Bau der neuen Lutherkirche und die Umgestaltung
des alten Friedhofs. Im Jahre 1904 ist er dann infolge einer (Operation ver-
schieden und hat auf dem neuen Friedhof seine letzte Rubestatt gefunden.
Eine wertvolle Prachtbibel, die er am io. Mai 1S93 seinem lieben Friedrichs-
gymnasium gestiftet batte, weckt bei jeder Schulandacht die Erinnerung an
den verdienstvollen Leiter, der so oft und so wirkungsvoll von dieser Stelle
zu seiner Schülergemeinde gesprochen bat. Zum Nachfolger Vogts wurde der
bisherige Leiter des Wilhelmsgymnasiums, Dr. Friedrich Heußner, ernannt.
Da die Arbeit an der Doppelanstalt seine Rräfte überstieg, batte er um die
Versetzung an das Friedrichsgymnasium gebeten, an dem er schon früher
dreizehn Jahre gearbeitet hatte ()6ö5—76).
* Vergl. Prinz Wilhelm, Lebenslauf, 1877, handschriftlich in den Akten des Friedrichs-
gymnasiüms. — Wilhelm II., Aus meinem Leben 1859—88. — Wilhelm II., Jugend-
erinnerungen. — Wilhelm II., Erinnerungen an Rorfu. — G. Hinzpeter, Raiser Wilhelm II.,
eine Skizze nach der Natur gezeichnet, 1888. — L. wiese, Lcbenserinnerungen, 1886, II.,
S. 75 tt* — Arme, Raiser Wilhelm II. und seine Erziehung. Aus den Erinnerungen seines
französischen Lehrers, 1898. — J. Arren, Wilhelm II., was er sagt und denkt, 191z (teilt
unter anderem den berühmten Brief des Raisers vom 2. April 1885 an seinen Mitschüler
Richter ^gemeint wohl Ritters mit). — Paul Meinhold, Wilhelm II., 25 Jahre Raiser und
Rönig, 19)2. — Theodor Descoudres, Das Raffeler Gymnasium der siebziger Jahre, 1891.—
Phil. Losch, Gideon Vogt, Biogr. Jahrb., Bd. 9, S. 162 ff. — Baltzer, Zur Rechtfertigung
Vogts im Deutschen Philologenblatt, 2. Jan. 1913. Entgegnung Meinholds in der nächsten
Nummer. — Gtto Schneider, Zur Rechtfertigung des Raffeler Gymnasiums. Sonntags-
beilage des Dresdener Anzeigers, 26. Juni 1913. Besonders Vogt, Schulprogramm des
Friedrichsgymnasiums, 1891. — Wilhelm II., Ereigniffe und Gestalten, 1922, S. 152 ff.
44
Dr. Friedrich Heußner (geboren zu
Fulda i§4r, Probekandidat am Gym-
nasium zu Hanau i§04/ beauftragter
Lehrer am Friedrichsgymnasium zu
Raffel )86f, spater ordentlicher und
Oberlehrer daselbst, in gleicher Eigen-
schaft in Kanari 1676—6), Direktor
des Gymnasiums in Eutin )SS)—§d,
Direktor des Wilhelmsgymnasiums
in Raffel )6So—9?) trat Ostern 1S93
das Erbe Vogts an. Er fand ein
einheitliches und in seltener Har-
monie zusammenarbeitendes Lehrer-
kollegium und eine an stramme Zucht
und Ordnung gewöhnte Schule.
Heußner und Vogt waren Gegen-
satze. Vogt ein Willensmensch,
zum herrschen geboren, stramm im
Dienst, unnachsichtlich bis zur Harte
nicht nur gegen andere, auch gegen sich selbst, wesentlich praktisch ver-
anlagt und ein tüchtiger Organisator, dem Untergebenen gegenüber etwas
zugeknöpft und unnahbar, das Muster eines preußischen Beamten. Leugner
dagegen war eine viel sanftere Natur, immer zur Milde geneigt, liebens-
würdig, zugänglich, entgegenkommend, mehr Buchgelehrter und ein Mann
der Feder als praktischer Gestalter. Zahlreiche pädagogische Aufsätze
in Fricks Lehrproben und Lehrgängen und anderen Zeitschriften bewiesen,
wie er die Fortschritte in der Erziehungskunst mit lebhaften: Interesse ver-
folgte und selbst das Seinige zu ihrer Förderung beizutragen suchte. Sein
besonderes Arbeitsfeld war die Germanistik. — Durch große pflichttreue,
peinliche Gewiffenhaftigkeit und Pünktlichkeit im Dienst, durch warmes
Interesse für seine Schüler wie für die ihm zur Ausbildung zugewiesenen
gingen Lehrer erwarb sich die Anerkennung seiner Vorgesetzten wie seiner
Amtsgenoffen und die Liebe seiner Schüler. Besonders verdient noch her-
vorgehoben zu werden sein eifriges Bemühen um das gesellschaftliche Zu-
sammenhalten des Rollegiums. Seine persönliche Liebenswürdigkeit, seine
Neigung zu zwangloser Geselligkeit und sein Sinn für harmlos heiteren und
gemütlichen Verkehr trugen dazu bei, die vorhandene Einmütigkeit und
Harmonie des Lehrkörpers einschließlich der Familien weiter zu fördern.
Fünfzehn Jahre leitete Heußner die Anstalt als ein allezeit wohlmeinender
und milder Herrscher, :90s trat er mit Rücksicht auf die zunehmenden Be-
schwerden des Alters — die Augen versagten allmählich den Dienst, und ein
Friedrich Heußner
45
schweres Darmleiden konnte trotz mehrerer Eingriffe nicht beseitigt werden —
von seinem Amt zurück.
An seine Stelle trat Dr. Martin Baltzer (geb. i§55 in Dresden, früher
Direktor erst in Schweiz, dann in Marienwerder), ein pädagogisch wie wiffen-
schaftlich tüchtiger lNann. waren Vogt und ^eußner schon Muster an
pflichttreue gewesen, so überbot Baltzer beide womöglich noch an Dienst-
eifer. Er lebte nur für sein Gymnasium, in dem er von früh bis in den späten
Abend eigentlich stets zu stnden war, selbst an Sonn- und Feiertagen arbeitete
er stundenlang in seinem Geschäftszimmer. Immer sann er auf Verbesserungen.
Nichts war ihm unwichtig, und kaum war ein berechtigter Wunsch von den
Lehrern geäußert, so war er auch bereits erfüllt. Dabei verlor er sich nicht in
den kleinlichen Geschäften des Alltags, sondern war bestrebt, sich wiffenschaftlich
weiterzubilden und auf der Höbe zu balten, um durch Vorbild und Rat
die Lehrer anzuspornen und das Interesse der Schüler zu heben. Bei ihm gab
es keinen eisernen Stundenplan. Er selbst führte bald eine prima, bald eine
Serta. Besonderen wert legte er darauf, den Turnunterricht in seiner Rlasse
zu leiten, und obwohl er die fünfzig bereits überschritten batte, turnte er
seinen Primanern noch alle Übungen vor. Die Schulfeiern wurden nach wohl-
durchdachtem Plane mit peinlicher Sorgfalt vorbereitet und auf die Vor-
Direktor Heußner und das Lehrerkollegium )Soz
Säckel practorius Hcermaiin pokl Bättenhausen pistor Lrcde Saumann Lode Autl)
Hüpeden Rius Zuschlag e u § n e r Püttgen Gtoll Paulus
tragskunst großer Wert gelegt, 3u
ihrer Pflege fanden regelmäßige
Übungen vor versammelter Schul-
gemeinde in dem Schulsaal statt.
Leider war Raffel für Balyer nur
eine Durchgangsstation. Seine Ver-
dienste wurden von der Behörde an-
erkannt und belohnt durch die Er-
nennung zum Provinzialschulrat in
Münster (Michaelis 1913). Glicht
lange freilich ist es ihm vergönnt ge-
wesen, das neue Amt zu bekleiden.
Bald nachdem der Weltkrieg aus-
gebrochen war, übernahm der fast
Sechzigjährige die Ausbildung einer
Kompanie des Landwehr-Infan-
terie-Regiments 53 in Wesel. Die
Strapazen des Dienstes, die unge-
wohnten körperlichen Anstrengungen
in der heißen Jahreszeit, die durch die täglichen weiten Märsche zum Exerzier-
platz noch vermehrt wurden, zermürbten rasch die Kräfte des schon längere
Zeit an Arterienverkalkung leidenden Mannes, der in seiner vaterländischen
Begeisterung als Soldat wonlöglich noch mehr als in seinem bürgerlichen
Beruf mit fast übertriebener Gewissenhaftigkeit seinen pflichten oblag. So
wurde er ein Opfer seines Diensteifers und starb an den Folgen körperlicher
Überanstrengung am 6. November 1914.
In seine Stelle am Friedrichsgymnasium wurde wieder ein Mann aus
dem fernen Osten berufen. Paul Glogau (geb. in proeculs i. Ostpr., feit
1909 Direktor des Königlichen Friedrichskollegiums in Königsberg, vorher
Leiter der höheren Knabenschule in Goldap, dann seit 1904 schultechnischer
Mitarbeiter des p. S. K.) trat sein Amt als Direktor des Friedrichsgvm-
nastums im November 191? an. Aber er war in seiner neuen Stelle kaum
warm geworden, da rief ihn der ausbrechende Weltkrieg zu den Fahnen, und
er rückte als Hauptmann der Landwehr ins Feld. Die Abreise zu seinem
Regiment erfolgte so rasch, daß er sich nur schriftlich von den Lehrern und
Schülern verabschieden konnte. Verwundet kehrte er, mit dem Eisernen
Kreuz geschmückt, im nächsten Jahre in die Garnison zurück iind konnte von
da ab nur im Innendienst verwendet werden. Seine Vertretung während
der Rriegszeit übernahm Professor Hüpeden, der seines Amtes mit großer
Umsicht und väterlicher Milde waltete. Seine ernsten Ansprachen in den
Schulandachten, seine begeisternden, oft mit prächtigem Humor durchwürzten
47
Reden bei den Siegesfeiern während der Kriegsjahre werden von keinem,
der sie angehört hat, vergessen werden. — Das Ende des verlorenen Krieges
bedeutete für Preußen und das Reich den Sturz der Monarchie und des
Kaisertums. Am 9. November iois wurde Preußen zur Republik erklärt,
und am zo. November )gro wurde die neue Verfassung verkündigt, und
die Lehrer wurden auf dieselbe vereidigt. Über dem Eingang des Friedrichs-
gymnastums verschwand das Wort Königlich, und zum neunten Male änderte
die Anstalt ibren Namen. Sie hieß von jetzt an „Staatliches Friedrichs-
gymnasium".
Glogau hatte nach Beendigung des Krieges die Leitung wieder übernommen,
führte sie aber nur noch wenige Jahre. Im Jahre 1024 trat er in den
Ruhestand und zog sich, um feinen Studien zu leben, nach München zurück.
Die Stelle wurde erst im folgenden Jahre durch Studienrat Dr. Luckhard
vom Wilhelmsgymnasium neu besetzt. Für die Zwischenzeit wurde Studien-
rat Laue mit der Vertretung beauftragt.
Der große Krieg.
Sobald der Krieg ausbrach, mußte die Schule der Begeisterung der Schüler
und ihrem Drang, zu den Fahnen zu eilen und für die Ehre des Vater-
Direktor Glogau und das Lehrerkollegium
Fridcrici Ncumann Becker Vcrchau Hcermann Dieterich Richter pistor Fcchncr Tcmmc Laue
Brede praetorius Hebel Glogau Hüpeden Paulus
48
landes zu kämpfen, Rech-
nung tragen. Die Ober-
prima wurde sofort zur
Reifeprüfung zugelassen.
Außer vierzehn Ober-
primanern traten aber
alsbald noch fünf Unter-
primaner, sechs Ober-
fekundaner und zwei Un-
tersekundaner freiwillig
in das Heer ein. Auch bei
den folgenden Iabrgän-
gen der Oberprima wurde
die Ablegung der Reife-
prüfung erleichtert, in-
sofern diese dreiviertel
Iabre vor dem eigent-
lichen Termin stattfand.
Die Oberklassen wurden
leer und leerer. Aber wenn
auch in den einzelnen bis-
weilen nur zebn Schüler
oder noch weniger vor-
banden waren, so konnte
der Betrieb doch aufrecht
erbalten werden, da es an
Lehrkräften nicht feblte.
Außer dem Direktor
wurde zunächst keiner der festangestellten Lehrer zur Fahne einberufen. Erst
später wurden einige jüngere Mitglieder des Kollegiums zu militärischen
Dienstleistungen herangezogen. Im ganzen waren es im Laufe des Rrieges
acht. Aber, wie gesagt, es ging alles seinen Gang, und die Lebrpensen in den
einzelnen Rlassen wurden pünktlich erledigt, obwohl häufige Storungen des
Unterrichts vorkamen, da vielfach einzelne Schüler oder auch ganze Rlaffen zum
Teil auf Wochen und Monate zu Dlotstandsarbeiten beurlaubt werden mußten.
Dor allem war es die Landwirtschaft, die in ihrer Bedrängnis die höheren
Schulen immer wieder um Beistand bat. Bei der Heu- und Getreideernte war
die Hilfe oft besonders dringlich. Schon im ersten Sommer wurden 45
Schüler zu diesem Zweck beurlaubt. Mit jugendlicher Begeisterung zogen die
jungen Scharen zu der ungewobnten Arbeit aus. Don Jahr zu Jahr nabm
die Entblößung von männlichen Rräften auf dem Lande zu, und in gleichem
Direktor Luckdard und das Lehrerkollegium ior§
Schaake Ziegler Groß Haarbcrg
Laue Wagner Zuny Frost
Meyer LuckKard Temme Feyerabend Lau
49
Maße wuchsen die Anforderungen, die an die Schulen gestellt wurden.
Bald rückten nach allen Richtungen kleinere und größere Kommandos ab unter
Leitung von Vertrauensschülern und unter Oberaufsicht eines Lehrers, der
die Arbeitsstellen abwechselnd aufsuchte, um nach dem Rechten zu sehen und
etwaige kleine Mißhelligkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu
schlichten. Solche kleine Reibungen ließen sich begreiflicherweise nicht ganz
vermeiden, war es doch ebenso schwer für den Gutsherrn und Bauern, sich
gegenüber so ungewohntem Arbeitermaterial an den richtigen Ton und die
entsprechende Behandlungsweise zu gewöhnen, wie für diese z. T. noch halben
Rinder, sich in die Rolle eines Rnechtes oder Tagelöhners hineinzufinden.
In: ganzen ist das redliche Bemühen der jungen Hilfsarbeiter und der
Arbeitseifer sowohl von den einzelnen Landwirten wie auch von der Land-
wirtschaftskammer durchaus anerkannt worden, und die letztere hat vielen
Schülern ein dauerndes Zeichen der Anerkennung und des Dankes in Form
eines Abzeichens verlieben. Viel beschwerlicher als die Sommerernte war
die Herbsternte bei oft schon recht kaltem und nafiem Wetter. Den ganzen
Tag auf den Kartoffeläckern zu hocken oder gar bis in den November Rüben,
besonders Zuckerrüben,zu ziehen, das ist eine so sauere und anstrengende
Arbeit, daß selbst unser ländlicher 2lrbeiter oft versagt und nur der beschei-
denere und ausdauerndere Pole noch zu brauchen ist. 2lber auch diese schwere
Arbeit haben unsere Schüler mit rühmenswertem Fleiß und großer Gewiffen-
haftigkeit erledigt, und es war für den betreffenden Lebrer, dem dieser Be-
trieb unterstellt war, eine herzliche Freude, bei seinen Bestchtigungsreisen
festzustellen, daß jeder nach Rräften den ihm zugewiesenen Posten auszufüllen
suchte. Unsere landwirtschaftlichen Rolonieen erstreckten sich bis weit ins
Land: in Weimar, Ehrsten, stimme, Rarlsdorf, Grebenstein, Rörle, Alt-
melsungen, Dorla, Frielendorf, Udenborn, Felsberg, Sieberhausen, Gilser-
berg, Weißenhasel, 2lsbach, Vollmarshausen, Harmutsachsen und noch manchen
anderen Orten saßen unsere Jungen bald acht, bald vierzehn Tage, auch
drei bis vier Wochen und länger, und arbeiteten unverdroffen, wenn es auch
manchem schwer wurde. Jetzt wurde den zum Teil verwöhnten und verzärtelten
Stadtkindern erst einmal klar, was ländliche Arbeit bedeutet. Von früh bis
spät bei wind und Wetter auf schmutzigem Acker zu arbeiten, draußen
auf dem Felde oder auf hölzernem Schemel am ungedeckten Tisch die einfache
ländliche Rost zu verzehren, auf hartem Strohsack in zugiger Bodenkammer
zu schlafen, das war nicht so einfach. 2lber das Bewußtsein, dem bedrängten
Vaterland in seiner Plot zu helfen, mußte alles Mißbehagen verscheuchen,
alle Klagen zum Schweigen bringen. Zweifellos hat diese gemeinsame kame-
radschaftliche Tätigkeit auch erziehlich auf alle einen günstigen Einfluß aus-
geübt und vielleicht bei manchem den Grund zu sozialerem Empfinden ge-
legt. — Für die Schule war es bei solchen Störungen natürlich nicht leicht,
die Iahrespensen zu erledigen und die Rlaffenziele zu erreichen. Da hieß es
intensiver arbeiten, was bei den kleinen Rlaffen leichter möglich war, und hie
und da Abstriche und Rürzungen des Stoffes vornehmen. — Die Landwirtschaft
war es außerdem nicht allein, die die Schüler in Anspruch nahm, Heute kam
die Post und morgen die Eisenbahn und verlangte Hilfskräfte zum Ein-
und Ausladen. Dann wieder erbat das Rote Rreuz iS Radfahrer für seine
Dienste. In der Reichswollwoche sollten 35 Schüler beim Einsammeln von
Rleidungsstücken, Teppichen und Wolldecken helfen, beim Goldsammeln 16.
Andere wurden auf den Schießplatz zum Patronensuchen kommandiert, von
wieder anderen wurden gebrechlichen Leuten und armen Witwen die Rohlen
auf Handwagen zugeführt und in den Reller geschafft. — Im Jahre 1017
wurde festgestellt, daß die Mehrzahl der Schüler der oberen Rlaffen dreizehn
bis vierzehn Wochen den Unterricht versäumt hatte. — Aber außer diesen
Beurlaubungen zu Notstandsarbeiten gab es auch sonst noch Störungen
mancherlei Art. So mußte, als im letzten Rriegsjahr die Rohlen so spärlich
einliefen, daß die Schulräume nicht mehr geheizt werden konnten, der Unter-
richt fast zwei volle Monate ausgesetzt werden. Siebzig unserer Schüler waren
ferner in die Reichsjugendwehr eingetreten und mußten oft zu weiten Tages-
märschen und nächtlichen Übungen antreten. Als das Futter für die Pferde
knapp wurde, zog die ganze Schule tagelang hinaus in die Wälder, um
unter Führung von Forstbeamten grünes Laub zu sammeln, das in Papier-
säcke verpackt, auf Lastautos verladen und zum Dörren in eine Fabrik an der
Leipziger Straße abgefahren wurde. Auf einer Dampfdarre getrocknet,
wurde das Laub dann in einer Mühle bei Altmorschen zermahlen und zu
Rüchen geformt. Ulan hoffte, auf diese weise einen Ersatz für das fehlende
Heu gefunden zu haben, doch die Pferde waren, wie man hörte, anderer
Uleinung. Außerdem erlebten wir den Rümmer, daß ein beträchtlicher Teil
unserer mühsam gesammelten Schätze mit der genannten Ulühle in Flammen
aufging. — In dem Bucheckernjahre 1916 wurden vom 15. Oktober ab
wochenlang im ganzen Habichtswalde Bucheln gelesen, um dem empfind-
lichen Fettmangel abzuhelfen. Teils wurden die Buchen abgeklopft und die
Früchte in ausgebreiteten Bettüchern und Decken aufgefangen, teils kroch
alt und jung am Boden, um die von selbst abgefallenen Eckern einzeln auf-
zulesen. Brachte auch eine Rlaffe höchstens ein Rilogramm für den Ropf
heim, so summierten sich doch allmählich die Erträge zu vielen Zentnern. Daß
auch dem Sammler ein Prozentsatz des gewonnenen Öles zufiel, erhöhte den
Sammeleifer. — Als die Not immer höher stieg, wurde auch den ver-
achtetsten Dingen Beachtung geschenkt und die minderwertigsten Sachen zu
Geld gemacht. In den unterirdischen Räumen des Gymnasiums, wo einst die
armen Sünder ihre Rarzerstrafen verbüßt hatten, wurde letzt ein Magazin
für Lumpen, Rnochen, Flaschen, Arzneigläser, Blei, Rupfer, Messing, Bronze
5)
und besonders für Altpapier eingerichtet. Allwöchentlich erschien der Alt-
händler R. aus der Mittelgaffe mit seinem Eselgespann und fuhr zentner-
weise ach was besonders von den Kleinen in Rucksäcken und Körben mühsam
zusammengeschleppt war. Der Erlös wurde in den Kreditverein getragen,
und mit Freude und Stolz saben wir, wie die Ziffern im Sparkaffenbuch sich
vergrößerten. Die Zahl iooo, ja rooo wurde überschritten, und da unserem
Sparkonto auch der Ertrag einer Schüleraufführung zufloß, brachten wir es
zuletzt auf annähernd zooo Mark. Ein großer Gedanke schwebte uns vor.
Unseren Gefallenen sollte ein würdiges Denkmal errichtet werden. Diele
Pläne wurden gemacht. Gute Freunde waren bereit, das Feblende zuzu-
schießen; aber über zu langem Schwanken über die Art der Ehrung brach die
Inflationszeit herein: alles, was wir im Schweiß unseres Angesichts zu-
sammengespart batten, war verloren, alle unsere schönen Pläne zer-
rannen, und so ist das Denkmal nicht zustande gekommen. Zu Estern
sandten die Schüler ihren im Felde stellenden alten Kameraden einen
Estergruß in Form eines Flugblattes. Auch sonst suchte die Schule nach Mög-
lichkeit die Derbindung mit ibren alten Schülern aufrechtzuerhalten und ibre
Schicksale zu verfolgen. Es wurde schon früh begonnen, eine Liste der Ge-
fallenen aufzustellen. Diese Liste mußte natürlich unvollständig bleiben,
wenigstens soweit es sich um ebemalige Schüler der Anstalt bandelte. Be-
sonders bei den älteren Jahrgängen batten wir es meist nur einem Zufall
zu verdanken, wenn uns Nachrichten über die Schicksale der einzelnen er-
reichten. wir stellten im ganzen 139 fest, die entweder vor dem Feinde ge-
fallen oder infolge von Derwundungen und Erkrankungen, die sie sich im Felde
zugezogen batten, gestorben waren. Unsere Bemühung, von allen Gefallenen
ein Bild zu erbalten, um es zur dauernden Erinnerung in dem Treppenhause
der Schule aufzuhängen, hatte nur in 110 Fällen Erfolg. (Siehe Anbang VI.)
IV. Rückblick
Überschauen wir noch einmal die Geschichte und die Entwicklung der Schule,
so können wir zunächst feststellen, daß sie durch die vier Jahrhunderte ibres
Bestehens ihren Grundsätzen treu geblieben ist. Ihren christlichen Ebarakter
hat sie nicht nur in ihren Gesetzen immer betont, sondern auch in ibren
Einrichtungen, bei ihren Feiern und Festen stets gewahrt. Sodann war
sie allezeit eine Pflegestätte des humanistischen Gedankens. Plicht nur alle
ihre Leiter waren tüchtige Altpbilologen, auch unter den übrigen Lebrern
findet sich eine ganze Reihe von Männern, die gründliche Kenner der Antike
waren und besonders auf altsprachigem Gebiet hervorragendes geleistet
haben. Ich nenne nur einige: Tbeodor Bergk, der später vier Uni-
versitäten (Marburg, Freiburg, Halle und Bonn) zur Zierde gereicht und sich
besonders durch seine Geschichte der griechischen Literatur und die heraus-
52
gäbe der griechischen Lyriker einen Namen gemacht Kat; OstKoff, der einen
Ruf nach Heidelberg bekam; den Tacitusforscher heraus; den tüchtigen Grä-
zisten TKeobald, ferner Flügel, Weber, Ostermann, Schmidt, Klingender und
Weidmann. 39 lateinische Abhandlungen in den Jahresberichten, deren letzte
im Jahre )S66 erschien, zeugen von der philologischen Tüchtigkeit und dein
Fleiß der Lehrer auf altsprachigem Gebiet. — Es würde nicht schwer sein,
auch für die ethischen Fächer, selbst für die in früherer Zeit auf den Gym-
nasien zurücktretenden Realien eine ganze Reihe nambafter Vertreter zu
nennen. Doch ich will dem Urteil der alten Schüler nicht weiter vorgreifen.
Auch in künstlerisch ästhetischer Beziehung ist die Schule von jeber bemüht ge-
wesen, ihre Zöglinge anzuregen. Schon im 16. Jahrhundert (zuerst i. I. i5§5),
und später besonders unter der Regierung des gelekrten und vielseitigen
Landgrafen Moritz wurden von den Schülern lateinische Komödien, wie die
Berichte bekunden, vielfach mit großem Erfolg aufgeführt. Sehr oft werden
musikalische Darbietungen mit zum Teil schwierigem Programm erwähnt.
Bald sind es gute klassische Sachen, bald eigene Schöpfungen der betreffenden
Mustklekrer der Anstalt, die bei Schulfestlichkeiten dargeboten wurden. Neben
den üblichen vaterländischen Feiern führte wohl als erster K. F. Weber
regelmäßige Abendunterkaltungen ein. Später kaben immer wieder einzelne
Lehrer mit ihren Primanern und Sekundanern oder mit Hilfe der Schüler-
vereine schauspielerische Aufführungen veranstaltet. Es sei nur an die Auf-
führung des Ödipus bei der Jubelfeier )$79, der Antigone 1909 und die mehr-
fache Darstellung von Wallensteins Lager erinnert. — wenn auch der
Lehrplan des Gymnasiums einen eigentlichen Kunstunterricht nicht kannte,
so katten doch die archäologischen Kurse, die seit Ende der achtziger Jahre
erst in deutschen Universitätsstädten und dann in Italien eingerichtet wurden,
zur Folge, daß die von den jungen Philologen gemachten Kunststudien sich bald
auch in den Schulen auswirkten. In den Sprach- und Geschichtsstunden,
außerdem in besonderen Vorträgen, wurde unter Benutzung der rasch ver-
mehrten Anschauungsmittel auch in unserer Anstalt Verständnis und Interesse
der Schüler für die Antike, insbesondere für die bildende Kunst, geweckt. Ein
Lichtbilderapparat mit etwa dreihundert Diapositiven, der von der Schule
angeschafft wurde, ermöglichte eine Erweiterung und Vertiefung dieser
archäologischen Propädeutik, wirksamer noch als Pkotograpkien und
Drucke waren die Marmorwerke und Gipsabgüsse des Museums, durch das
in und außer der Schulzeit vielfach Führungen stattfanden. Aber allmählich
erweiterte sich das Stoffgebiet. Die Kunst des Mittelalters und der Neuzeit
wurde herangezogen und in Einzelvorträgen oder Führungen durch die Bilder-
galerie und die Kirchen der Stadt erläutert. —
was endlich die körperliche Entwickelung anlangt, so ist diese zwar zweifellos,
wie überall, so auch in unserer Schule, jahrhundertelang in unverantwortlicher
53
weise vernachlässigt worden. Die Schuld lag keineswegs immer an der
fehlenden Einsicht der Lehrer und Schulleiter. Die Jahresberichte beweisen,
daß diese Rückständigkeit von der Schule langst lebbaft empfunden und bitter
beklagt wurde. Aber es gefchab von oben wenig oder nichts, um dem Übel-
stande abzuhelfen, wenn in dem immer, insbesondere auch für das Schul-
wesen, als Vorbild dienenden Königreich Preußen noch im Jahre 1619 die aus
heißer Liebe zur Jugend und zu seinem Vaterlande entsprungenen Versuche
und Bestrebungen des Turnvaters Iahn mit der amtlichen Schließung seines
Turnplatzes und zweijäbriger Festungsbaft des Leiters endeten, so dürfen wir
uns nicht wundern, daß unser Lyceum hier in jenen Tagen noch keinen eigent-
lichen Turnunterricht kannte. Ich erwähnte schon, daß der erste Versuch eines
solchen im Iabre 1832 gemacht wurde. Der Name dieses Mannes, der aus
Liebe zur Jugend in uneigennütziger weise sich der körperlichen Ausbildung
seiner Schüler annahm, darf in den Annalen der Schule nicht vergesten
werden, es war, wie schon oben erwähnt, der Pfarrer Tollmann. Zunächst zog
er die kleinsten heran; aber zwei Iabre später eröffnete er auf dem Schulbof
einen Turnunterricht für Schüler aller Massen. Die Teilnabme war frei-
willig. — Der neue Leiter des Staatsgymnasiums R. F. Weber brachte der
Körperpflege von vornberein das größte Intereffe entgegen. Gleich im Be-
ginn seiner Tätigkeit sorgte er für eine Gelegenbeit zum Baden und
Schwimmen, wir finden bald nachber in einem Bericht an Oberbürgermeister
Schomburg als Inventarstücke des Gymnasiums verzeichnet: Reck, Barren,
Rletterbaum, Schwebebalken, Taue und Springstangen. Seit 1639 scheint
ein regelmäßiger Turnunterricht gegeben zu sein. Als erster Turnlebrer wird
Schwaab genannt. Später baden sich Schorre, G. Vogt und Ernst um die
körperliche Ausbildung der Schüler verdient gemacht. 1846 lesen wir von
einer gemeinsamen Turnfahrt der ganzen Schule nach Ihringshausen. 1850
wurden siebzig Holzgewehre angeschafft, mit denen die Schüler exerzieren
mußten. Seit )851 verfügte die Schule über eine beizbare Halle, so daß auch
im Winter geturnt werden konnte. Eine den neuen Anforderungen entspre-
chende geräumige Turnballe wurde allerdings erst im Jahre 1883 gebaut. —
Die Leistungen in Turnen und Spielen wurden nach 1870 wesentlich gefördert
durch die Feier des Sedanfestes, während von 1872—80 die Feier baupt-
sächlich in einem gemeinsamen Aufmarsch aller Schulen auf der Auewiese
bestand, dem sich am Nachmittag von seiten des Gymnasiums ein Spazier-
gang nach der Rnallhütte, von 1873 an nach Wilhelmsthal anschloß, trat
später, seit die Feier auf die Dönche (1863—65), dann auf den Saurasen und
nach etwa zwanzig Jahren wieder auf die Dönche verlegt wurde, die Vor-
führung turnerischer Übungen und sportlicher Wettkämpfe in den Vorder-
grund. — Einen besonderen Antrieb, die Spiele auszugestalten und die
Leistungen den fachmännischen Anforderungen entsprechend zu steigern, bot
54
die Tausendjahrfeier der Stadt im Jahre 1913. Besonders die Wettspiele
um das von der Stadt gestiftete Banner reizten von jetzt ab zu größerer An-
strengung. Die immer wachsende Zahl turnerisch ausgebildeter Lehrer und der
Zusammenschluß der Fachlehrer aller höheren Schulen wirkten weiter fördernd
auf die Entwicklung der Turnspiele und des Sports. Eine große Bedeutung für
die Entwicklung von Spiel und Sport gewann das Jahr 1907. Nachdem schon
mehrfach von einem Lehrer der Anstalt bei der Königlichen Regierung der
Versuch, die Erlaubnis zur Benutzung der Karlswiefe (Bowlinggreen) für
Jugendspiele zu erhalten, gemacht, aber immer an dem widerstand des da-
maligen Dezernenten, des Regierungsrats Rosenblatt, gescheitert war, dem
anscheinend die weidende Hammelherde der Kasseler Metzgergilde ein er-
freulicherer Anblick war als die spielende Jugend, gelang es jetzt endlich dem
Provinzialschulrat Baier, mit dieser Forderung durchzudringen, und fünfzehn
Jahre lang hat sich von da ab die Jugend auf diesem Platz tummeln dürfen,
wenn auch im Laufe des Krieges mehr als die Hälfte der wiese zu Küchen-
gärten an weniger bemittelte Bürger abgegeben wurde. Auf diesem idealen
Sportplatz wurden die Wettkämpfe bei der Tausendjahrfeier der Stadt im
Jahre 1913 ausgefochten. — Außerdem wurde im Jahre 1907 der Ruderverein
der Anstalt gegründet. Der Minister schenkte aus Staatsmitteln das erste Boot.
Auf dem rechten Fuldaufer wurde ein bescheidenes Bootshaus von den
Schülern selbst erbaut. Freunde der guten Sache stifteten dann die nötigen
Gelder, um weitere Boote anzukaufen, und bald sah man stolze Zweier und
Vierer unter der rot-weißen Flagge auf der weiten Fläche der Fulda ihre
ersten Probefahrten machen. Daß der Verein sich diese Farben wählte, lag
nahe. Seit j$0) hatten die Primaner ihre Mützen in den hessischen Farben
rot-weiß getragen, und diese Farben waren sozusagen das Wahrzeichen des
Gymnasiums geworden.
Endlich wurde noch im Winter dieses Jahres im Schloßhotel in Wilhelms-
höhe der wintersportverein gegründet, der es übernahm, das neuentstehende
Sportleben in geordnete Bahnen zu lenken. Dadurch, daß ein Lehrer des
Friedrichsgymnasiums an die Spitze trat und länger als zwölf Jahre die
Leitung in der Hand hatte, war es möglich, die Interessen der höheren
Schulen in besonderem Maße zu wahren. Unter den mehr als zweitausend
Mitgliedern, die bald dem Verein beitraten, waren bei weitem die meisten
Schüler und Schülerinnen der höheren Lehranstalten. Durch freundliches Ent-
gegenkommen der Schloßverwaltung wurden einige Parkwege für den Rodel-
sport freigegeben, und es entwickelte sich hier bald ein ungeahntes munteres
Treiben. Der Verein baute sich außerdem eine eigene Balm im Druseltal,
auf der mehrfach Wettfahrten veranstaltet wurden. Zur Hebung des Schlitt-
schuhlaufs wurde der Schloßteich in Pacht genommen. In besonderen Kursen
wurden Schneeschuhläufer ausgebildet. Bei allen diesen Veranstaltungen
waren die Schüler des Friedrichsgymnasiums mit größtem Eifer beteiligt.
Für das gesellige Bedürfnis der Primaner sorgte seit 1684 der Primaner-
gesangverein. Er sollte ein Sicherheitsventil sein für den natürlichen Drang
der Jugend zu heiterer Geselligkeit, der, weil die höheren Schulen ihm im
allgemeinen nicht genügend Rechnung trugen, fast überall trotz aller Verbote
zu geheimen Verbindungen Anlaß gab. In obskuren Rneipen, die nach studen-
tischer weise mit Schlägern, Trinkhörnern und bunten Fahnen geschmückt
waren, saßen die mit Mützen und Bändern als Studenten herausgeputzten
jungen Leute und kommersterten und zechten bis spät in die Mächte, wurde
ein solches Nest ausgehoben, dann war der Rarzer wochenlang mit den
gefaßten Übeltätern besetzt. Vogt hatte nun die richtige Einsicht, daß die
Schule sich nicht daraus beschränken dürfe, zu verbieten und die ertappten
Bösewichter tagelang in den Rarzer zu sperren, vielmehr war es nach seiner
Ansicht ihre Pflicht, vorzubeugen und einen befriedigenden Ersatz für das
Verbotene zu bieten. So gründete er im gerbst 1884 den Primanergesang-
verein. Hier sollten die Primaner den letzten Abend der Woche bei einem
Glas Bier in fröhlicher Unterhaltung gemütlich zufammensttzen, gemeinsam
Der primanergesangverein im Gründungsjahr 1SS4
Haffe Ebcrt Schmidt Freese Borncmann Erst Roch Dclius Frcnzcl Fuchs Gtto Sturmscdcr Zuschlag
Goldschmidt Schuchhard Stein
Rlcin Uthemann Solms
Schirmer Drackle Telschow Leuschncr Bickel Scherer Scidlcr Wiegand Prack Brodtmann
Reerink Florence Schaumlöffel Rall Stolberg Brcde piffor Hagedorn Rern Fromme
90
schöne Lieder singen und auch sonst der edelen Frau Mustka huldigen. In
Dr. Rudolf Brede, der gerade als Kandidat eingetreten war, fand er den
richtigen Mann, der auf feine Ideen einging und bereit war, sein hervor-
ragendes musikalisches Talent in den Dienst der guten Sache zu stellen. Am
L). April i§§4 legte Bogt die von ihm entworfenen Satzungen der Lehrer-
konferenz vor. Die eigentliche Gründung des Vereins erfolgte aber erst im
Oktober diefes Jahres, wenn auch der Verein sich in musikalischer Be-
ziehung hohe Ziele steckte und gediegene Ouartettleistungen erstrebte, so war
es trotzdem Vogts Wunsch, daß alle Primaner, auch die unmusikalischen, ihm
angehören sollten. So mußte diesem neuen Verein der bis dahin unter den
Primanern bestehende Freundschaftsbund, die Amicitia, weichen. Die Ami-
citia war im Jahre 1665 am )3. Januar von den Primanern Iatho, Böffer,
Henze, Bürger, Lollmann und Hüpeden gegründet worden und batte in
ihrem Wappen nach der Zahl der Gründer sechs Sterne. Als Abzeichen trugen
sie ein blau-rotes Seidenband. Bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften
lasen sie klassische Dramen mit verteilten Rollen und begeisterten sich be-
sonders an den Iugendwerken Schillers. Aber sie spornten sich auch zu eigenen
Schöpfungen an, und zu der von ibnen gegründeten „Literarischen Land-, See-
und Wiesenzeitung" hatte jedes Mitglied wöchentlich einen Beitrag, sei es
in gebundener oder ungebundener Form, zu liefern. Daneben wurde die beitere
Geselligkeit gepflegt, Bier getrunken, geraucht und gesungen. Bei ihrer
Weihnachtsfeier umtanzten sie den brennenden Lichterbaum und sangen in
jugendlicher Begeisterung ihr Bundeslied:
Seht her, wie stolz ich um mich schau,
Die Brust geschmückt mit Rot und Blau;
Die Treue blau, die Liebe rot,
Die Farben lieb' ich bis zum Tod.
Die Lehrer wußten um diesen Verein; aber sie ließen ihn trotz farbiger
Bänder und Schläger gewähren, sie sahen, daß es sich hier um harmlose
Spielereien handelte und daß in der Hauptsache ideale Bestrebungen in dem
Freundschaftsbunde gepflegt wurden. Aber mit dem Vogtschen Gedanken eines
Gesamtprimanervereins ließ sich eine derartige Absonderung natürlich nickt
vereinigen, und so wurde das Gesuch von sieben Primanern, im Sommer i§§4
die Verbindung, die zeitweilig geruht batte, wieder aufzutun, abschlägig
beschieden. Noch einmal versuchte im nächsten Jahre ein Alter Herr der
Amicitia, Iustizrat Scheffer, diesen Beschluß rückgängig zu machen; aber auch
dies Gesuch wurde durch Konferenzbeschluß vom ir. Oktober j665 abgelebnt,
und damit war die Amicitia, die im Laufe der Jahre 7) Mitglieder gezählt
und deren letzte »corona“ am 25. August getagt batte*, nach zwanzigjährigem
* Das Schlußprotokoll mit den Verhandlungen von Starts und Scheffers ist in den fänden
des Herrn Geheimrats Hüpeden.
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Bestehen endgültig aufgelöst. — Inzwischen also war der Primanergesang-
verein ins Leben getreten. Jeder weiß, daß altere Schüler derartige
Einrichtungen, wenn sie von den Lehrern ausgeben, als einen unange-
nehmen Zwang empfinden, dem sie sich nur ungern fügen. Aber Vogt geborte
nicht zu denen, die sich leicht einschüchtern lasten, was er einmal anfaßte,
das faßte er mit fester Hand an. Und er fetzte in diesem Falle seine ganze
Person ein, das begonnene Werk durchzuführen. Fast zehn Jahre hat er
jeden Sonnabendabend, ausgesucht den Abend, auf den als den schönsten
weil sorgenfreisten, bekanntlich jeder Lehrer sich die ganze Woche hindurch
freut, seinem neuen Verein geopfert. Mit dem Glockenschlag sieben saß er
an seinem Platze in der Rrone, später bei Losch, im Lesemuseum, in dem
Auewirtshaus, bei Verzett, oder wo sonst der Verein tagte, und harrte
aus, bis mit militärischer Pünktlichkeit um zebn Uhr Schluß gemacht wurde.
Reine Rücksicht auf die Familie oder auf Freunde ließ ibn seinem Vorsatz
untreu werden. Es kam vor, daß er bei einer Partie des Guartettvereins,
desten begeistertes Mitglied er war und dem wohl seine besten Freunde
angehörten, plötzlich verschwand, um rechtzeitig bei seinen Primanern zu
sein. Eine solche Eingebung, eine solche pflichttreue konnte nicht ohne Ein-
druck auf die Schüler bleiben. Vogt setzte seinen willen durch. Und was
erst vielleicht Zwang und Druck von oben war, dem man sich bei der Autorität
des Direktors nicht gut entziehen konnte, das wurde bald Bedürfnis und eine
liebe Gewohnheit. Festlichkeiten, Rbein-, Rbön- und Harzfahrten, Ausflüge
mit Damen erhöhten rasch die Liebe zu dem Verein, und immer wieder
machte sich die jugendliche Begeisterung Luft in dem „stolzen Adler". Rudolf
Brede war und blieb Vogts treuer Mithelfer, und die Mustk, vor allem der
Männergesang, bildete jahrelang die Grundlage des Vereins. Flaute die
musikalische Begeisterung einmal ab oder sank die Stimmung, weil der
gesangliche Erfolg hinter den Erwartungen zurückblieb, so wußte Brede sie
durch sein temperamentvolles, wunderbares Geigenspiel von neuem zu ent-
flammen. Vogt hat diesem von ihm gegründeten Verein seine Liebe und sein
wärmstes Intereste bis zu seinem Code bewahrt, und noch kurz vor seinem
Ende hat er Brede das Versprechen abgenommen, ihn als sein Vermächtnis
anzusehen und ihm weiter ein treuer Leiter, Freund und Beschützer zu bleiben.
Brede hat dies Versprechen gehalten, wenn er dem Verein auch infolge
des zunehmenden Alters nicht mehr so viel Zeit wie in früheren Jahren
widmen konnte, wie sehr alle Mitglieder des Vereins, besonders die älteren
Jahrgänge, den beiden Gründern ihre Dankbarkeit allezeit bewahrten, dafür
legt das Grabdenkmal Vogts* und die Bredestiftung ein beredtes Zeugnis ab.
* Das von einem Verwandten Vogts, Hugo Lauer in Kreuznach, angefertigte Denkmal
wurde am )5. Juni 1015 eingeweiht; 107 Mitglieder hatten 2700 Mark gestiftet. Auch
Kaiser Wilhelm war mit einer Summe von doo Mark beteiligt. Die Weiherede hielt
Pfarrer Ruetz.
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Es ist kein Zweifel, daß der Gesangverein segensreich gewirkt hat. Die Pri-
maner fanden in ihm Befriedigung für ihre geselligen Bedürfnisse und wurden
auf diese weise vor dem unerlaubten Verbindungswesen bewahrt, sie schloffen
Jugendsreundschasten, die bei vielen für das Leben dauerten, sie fanden
mancherlei Anregung, besonders in musikalischer Beziehung, und Höhepunkte,
wie eine Antigoneaufführung mit den Mendelssolmschen Thören werden die
Beteiligten nie vergeffen. wie sehr sie an dem Verein hingen, das geht aus
der alsbald gegründeten Altherrenvereinigung hervor, der fast alle Mit-
glieder nach der Reifeprüfung beitraten, und aus dem zahlreichen Besuch der
geradezu glänzenden Jubelfeiern, des 25jährigen, 35jährigen und 40jährigen
Stiftungsfestes. Mit dem Tode der beiden Gründer scheint auch der Verein
ins Grab gesunken zu sein. Aber vielleicht wird es einem jungen, tatkräftigen
Lehrer oder Leiter gelingen, ihn noch einmal zu neuem Leben zu erwecken.
Daß der Altherrenverband sich im Sommer 1927 zu einem Verein ehemaliger
Friedrichsgymnasiasten erweiterte, das bat Brede noch auf seinem Toten-
bette gutgeheißen.
*
wir haben die Geschichte des Gymnasiums von 1539 bis in unsere Tage ver-
folgt, also durch fast 400 Jahre. Schon i§ Rektoren und eine große Zahl von
Lehrern hatten bis zum Jahre 1779 ihre Rraft in den Dienst der Schule
gestellt. Von 1779 bis 1929 waren es 10 Direktoren und über 400 Lehrer.
Unser Verzeichnis im Anhang bietet nur die Namen der Lehrer, die seit Be-
gründung der Staatsanstalt am Lyceum unterrichtet haben. Auch die Schüler
sind nur von diesem Jahre i§35 an gezählt. Ihre Zahl betrug am ). Oktober
dieses Jahres 7200. Es wird kaum eine Bürgerfamilie der Stadt geben, die
nicht in irgendeiner Beziehung zum Friedrichsgymnasium stände. Möge die
Liebe und Achtung, die sich die Schule in ihrem jahrhundertelangen Bestehen
in allen Rreifen unserer Stadt je länger je mehr erworben hat, ihr dauernd
erhalten bleiben, und möge sie auch ferner eine mutige Vorkämpserin und
tapfere Verfechterin sein des von so vielen Seiten angefeindeten Gymnasiums
und des humanistischen Gedankens. Möge die Schule auch im neuen Staat
ihren alten guten Ruf bewahren und weiter blühen zum Heil und Segen des
Vaterlandes! Professor Paulus.
Einige Zusammenstellungen und Nachträge
I. Die verschiedenen Namen der Anstalt
j. Pädagogium (Lateinschule, Stadtschule)
2. Lyceum Fridcricianum
z. Neues Lyceum und neue Bürgerschule
4. Lyceum zu Rassel (oder Lyceum Fridcricianum)
5. Rursurstliches Gymnasium zu Raffel
6. Gymnasium zu Raffel, gen. Lyceum Fridericianum
7. Rönigliches Gymnasium zu Raffel, gen. Lyceum Fridcricianum
S. Rönigliches Friedrichsgymnasium
9. Staatliches Friedrichsgymnasium
1539—1779
1779—1S35
IS07, bzw. 1S12—14
1S15—35
1635—42
I S40 bzw. 1S42—66
1866—86
1886—1918
1918
II. Verzeichnis sämtlicher Rektoren und Direktoren
von 1539—loro
1. Die Rektoren des Pädagogiums:
1- "Peter Nigidius (Neige) aus 11. "Sebastian Rurtz (Curtius)
Allcndorf a. d. Werra 1539—49 aus Raffel 1647—53
2. Georg Schacher 1549—53 12. Hcrm. Gokenholtz (Gocken-
3. Johannes Blau 1554—62 holdus) aus Braunschweig 1653
4- Christianus aus Frankenberg 1563—65 13. Thomas Rrug (Lrugius) aus
5. Andreas Lithos (Stein) aus Rothenbergen 1654—75
Sontra 1566—70 14. Jakob Vogeley aus Rassel 1676—1702
6. Lhaspar Arcularius (Ristner) 15. Sebastian Boclo aus Crum-
aus Raffel 1571—75 bach 1702—12
7- "Rudolf Goclenius (Gockel) 16. Stephan Veit (Vitus) aus
aus Corbach 1575—81 Schaffhauscn 1713—36
8. "Iodocus Jungmann aus 17- Justus Heinrich wetze! aus
Rausungen (Corbach) 1581—97 Waldkappel 1736—71
9- pancratius Rulmann aus 18. Paul Veit (Vit. Vitus) aus
Nidda 1598—99 Schaff Hausen 1772—79
io. Nikolaus Rrugk (Crugius)
aus Spangenberg 1599—1647
r. Rektoren des Lyceum Fridericianum:
1. Paul Veit, Aug. bis Okt. 1779, t 1781 3. Nathanael Cäsar 1802—ir, 1814—35
2. Rarl Ludwig Richter 1779—1802 4. "David CH. Aug. Suabediffen 1812—14
z. Direktoren des staatlichen Gymnasiums:
1. "Rarl Friedr. Weber 1835—5r, t 1865
Vertreter Ernst wilh. Grebe 1852—53
2. Georg Matthias 1853—70
Vertreter Johannes Flügel
Ostern bis tNich. 1870
3. Gideon Vogt 1870—93, t 1904
Vertreter Rarl Zuschlag 1891—92
4. Friedrich Heußner 1893—1908, t 1917
Vertreter Gustav Hüpedcn 1908—09
5. Martin Baltzcr 1909—13, t 1914
6. Paul Glogau 1913—24
Vertreter Gustav Hüpeden 1914—18
Robert Laue 1924
7. Fritz Luckbard 1924 bis setzt
* Spater Hochschullehrer.
III. Verzeichnis der Lehrer des Friedrichsgrmnasiums
von i §35—1929
Zusammengestellt nach den von Fr. Groß im Jahre )S6j, von G. Vogt im Jahre 1885 in
den Jahresberichten veröffentlichten Listen, den Schulprogrammcn von 1886 bis 1914, dem
Runzekalender 1894—I9r4 und den personallisten der Anstalt. Scheinbare Unrichtigkeiten
beruhen zum Teil darauf, daß wirklicher Aufenthalt und Zuweisung nicht immer mit-
einander übereinstimmen.
Erklärung der Zeichen:
* Lehrer, die nur vorübergehend tätig oder dem Friedrichsgymnasium zur Ausbildung
überwiesen waren.
** Lehrer für technische Fächer, Musik, Zeichnen, Turnen usw.
*** Lehrer für katholische Religion.
"Abt, Hans 1897—9S "Borsum, Bernhard 1916—17
"Adam, Emil I89S—99 * Bosse, Wilhelm 1891
"Amelungk, Arnold 1900—0) Brandes, 2luguft 1889- -90, 1891—93
"Anacker, Ferdinand I89S Braun, Friedrich 1855—56
"Appel, Hans 1913—14 Brauns, Rarl 18Z5—39
""Appel, Otto l8z8—48 Brede, Rudolf 1884- -1923, t 1924
Auth, Eduard 1S5Z—S6, t 1890 """Breidenbach, Josef I852
Auth, Eduard l868—86 Buchenau, Georg 1854—55
"Auth, Rarl 1891—92 (93) "Burmeister, Adolf 1908—09
"Bach, Ludwig 1903—04 "Taffelmann, Ronrad 1922—24
"Bachmann, Heinrich 1913—14 (1924) Taffelmann, Ludwig JS40
"Baetz, Ludwig 1896—97, t 1924 von Dalwigk, Hans 1850
"Ballauf, Friedrich 1908—99 Debes, Wilhelm 1902—09
"Barlen, Otto 1902—03 "Degenhardt, Hermann 1906—07
"Barmeyer, Rarl 1S99 "Dchnhardt, Heinrich 1899—00
Bartsch, Adolf 1921—22 Deichmann, Richard 1873—74
""Bättenhausen, Heinrich Baumann, Ludwig 1875—1912 Dieterich, Heinrich 1918—26
1893—95 Dieterich, 2lugust 18Z7—38
* Bausch, Hermann 1920—21 Dieterich, Hermann 1845—48
Beckby, Hermann 1923 "Dietrich, Ludwig 1921—26
Becker, Emil 1 §94—95,1890—99 Dingelstedt, Franz 1836—38
Becker, Emil 1915—21 Dommerich, Ferdinand I8Z8—42
"Becker, Ludwig 1923—24 ""Dönges, Georg 1924
Becker, Friedrich I848—50 ""Eckoldt, Robert 1924 bis jetzt
"Bender, Hermann "Benkert, Rarl 1871—72 "Eckhardt, Georg 1921
1905—06 Eigenbrodt, 2lugust I880—86
Bergk, Theodor I840—42 "Endemann, Rarl I883—84
"Bernhardt, Georg 1922—24 "Endemann, Theobald 1897—98
"Bcrtrand, 2lchille 1907—08 "Engelhardt, Friedrich 1898—99
"Best, Rarl 1907—08 "Engelhardt, Rarl 1912
Bickel, Ernst 1917—18 Engelhard, Otto 1871—72
Bleckmann, Paul I884—86, t 1925 Ernst, Julius 1856—74
Bochroder, Hermann I884—86 "Efau, Gustav 1920—21
Bode, Rarl 1887—97, t 1917 "Eskuche, Gustav 1888—90
"Bödeker, Friedrich 1899—00 ""Euler, Adolf 1858—59
"Bohne, Werner 1923 "Evrat, Maurice 1905—06
Bormann, Thomas I842—46 Fechner, Wilhelm 1903—24
Borsch, Friedrich 1842—44 "Fenner, Heinrich 1914—16(1917)
Börsch, Otto 1844—45 Feyerabend, Eduard 1925 bis jetzt
Finfterwalder, Rarl
"Fischer, Ernst
* Fischer, Erich
Flügel, Georg
Flügel, Johann
Franz, Richard
"Freund, Julius
Friderici, Robert
"Friedrich, Rurt
"Fromme, Bernhard
Frost, Johannes
"Führer, Justus
Fuhrmann, Gustav
1S76—77
1907—0S
1910—11
1S72
1SZ5—70, t 1S94
I876—86, t 1906
1S95—96
1912—15, 1919—20
1019
1897—06
1029
1692—93
1651
Fürer, Rarl Eduard 1875—86
Fürstenau, Eduard 1848
Fürstenau, Johann 1836—41, 1846—57
"Geiß-Bender, Friedrich 1908—09
Gerland, Georg 1856—57
Gerland, Ernst 1865—71
"Gerland, Ernst 1896—97
""Geyer, Friedrich Ronrad 18Z5—74
Gies, Theodor 1659—40
"Grammelsdorf, Rarl 1690—91
Grebe, Ernst, Wilhelm 16Z5—55
Groß, Friedr. 1845—50,1855—75,1-1679
Groß, Paul 1914—16, 1922 bis jetzt
Groß, Theodor 1863—64
'""Gruß, Ferdinand 1893—96
"Gundlach, Wilhelm 1881
"Gutsche, Fritz 1915—16
Gutsche, Oskar 1875—75
""Haarberg, Wilhelm 1926 bis jetzt
"Handwerk, Hugo 1888—90
Hartwig, Theodor 1865—76, t 1921
Hebel, Otto 1697—1922
"Heckmann, Friedrich 1924
Heermann, Adolf 1850—51
Heermann, Rudolph 1885—1922(27)
"Heinze, Rarl 1902
Heldmann, Rarl 1866—85
"Heller, Hermann 1915
"Hellmuth, Wilhelm 1921—22
'""Hellinger 1901—02
"Henkel, Heinrich 1904—05
Henkel, Wilhelm 1852—55
Heraus, Rarl 1848—51
"Hering, Oskar 1922—27
"Hermsdorff, Emil 1921—22
"Herzog, Wilhelm 1921—22
**Hesse, Richard 1871—72
"Heuer, Wilhelm 1922—25
"Heuser, Friedrich 1899
Heußner, Friedrich 1865—76
"Himmelreich, Reinhold 1920—21
Hinkel, Rarl 1638—45
"Hippenstiel, Wilhelm
Hochhuth, Hermann
*Hoffa, Wilhelm
"""Hoffmann, Joseph
"Hoffmann, Heinrich
"Hofmann, Georg
"Hollstein, Heinrich
""Hollstein, Georg
Hölting, Rarl
Hölting, Rarl
Homburg, Rudolf
Hopf, Wilhelm
"Hornschu, Adolf
"Howindt, Edgar
Hüpede«, Gustav
Hupfeld, Wilhelm
"Ickler, Rudolf
Israel, Philipp
Israel, Wilhelm
Jacob, Arnd
Jacobi, Rarl
"Iaeckel, Paul
Jatho, Louis
"""Jestädt, Wilhelm
""Jentzfch, Wilhelm
Jost, Richard
"Junker, Martin
1928—29
1672—76
1012—13
I872—86
1923—24
1909—10
1015—16
1907—09
1643
1866—67
1695—97
1866—72
1012
1921—23 (24)
1886—1920
1840—42
1016
1635—36
1905, 1908—17
1922—24
1835—36
1693—94 (96)
I642—47
1892—93
1909—12
1677—76
1920—21
Rellner, Wilhelm 1856—57,1658—60
Rius, Oskar 1872—1902
Rlee, Franz 1837
"Rleeberg, Ludwig 1913—17, 1926—27
Rlingender, wilh. 1840—42,1852—1868
""Rneip, Otto 1924—26
Rnöpfel, Philipp 1840—42
"Roch, Rarl 1904
""Roch, Georg 1849
Röhler, Otto 1877—78
Rohlrausch, Rudolf 1851
"Rolb, Heinrich 1927
'""Rörber, Joseph 1862—63
"Rrägelius, Rarl 1922—25(1926)
Rrämer, Wilhelm 1872—86, t 1916
Rraus, Friedrich 1919
"Rühnemuth, Gustav 1696—99
"Ruhring, Otto 1914—16
Rühnert, Ernst 1844
,*"Rüpker, Bernhard 1882
"Rüster, Rarl 1922—23
Rutsch, Johannes 1641—45
Lahmerer, Ludwig 1879—66,41928
"Lammeyer 1S96—00
Lange, Adolf 1679—66
Langsdorf, Christian 1875—66, t 1907
Lau, Fritz 1922 bis jetzt
Laue, Robert 1917 bis jetzt
62
"Lauer, Joseph 1865—72 preime, August 1852- -69,t 1882
"Lecher, Pius 192Z—25 püttgen,Iohs. 1871—86,1890- -08,t 1909
Lichtenberg, Friedrich )SZ5—58 "Ramb, Aloys 1920—21
Lindenkohl, Georg 1S55—65,11SSS Range, Otto 1868—80
"Littmann, Artur 1909—10 Raufenberger, Siegmund 1876—77
-Lohmann, Albert 1885—84 Reinhard, Arnold I884—86
Lotz, Friedrich 1866—71 ""Reinhardt, Johannes 1856—59
Ludwig, Ernst IS70—71 ""Richter, Ernst 1912—21
-Mager, Wilhelm 1905—04 "Richter, Johannes 1925
-Mahlinger, Ludwig 1892—95 Riedel, Julius 1856- -89, t 1905
"Malitz, Rurt 1019 (29)—24 Rieß, Heinrich 1856—65
-Männlein, ^>ans 1926—27 Ries, Heinrich 1914—K'
Manns, Otto 1875—86, t 1997 "Roeser, Heinrich 1920—22
Martin, Rarl 1874/ 1914—17 ""Rohde, Rarl 1849—55
"Ulartin, Ludwig l886—91 " "Rosenkranz, August 1850—58
Matthei, Heinrich 1845—56 "Roßbach, Christian 1885—86
Ulatthias, Georg Wilhelm 1855—50 Roth, Christian 1841—42
-Maurer, Eugen I887—88 Rowecki, Johannes 1885—87
"Merkel, Rarl 1855—56 "Rübsam, Joseph 1882
Meyer, August 1922 bis jetzt Rudolph, Wilhelm 1921—24
Michels, Ferdinand 1898—01 Sander, Julius 1873—74
"Mirgel, Hubert 1928—29 Sandrock, Heinrich 1885- -86,tl927
-Mohl, Rarl 1901—02 Sauer, Gerhard 1910—12
-Möhl, Ludolf 1879—80 ""Schaake, Ludwig i92isbis jetzt
-Mohr, Erich 1925—24 Schäfer, Philipp I885—87
"Molly, Eduard 1898 "Schanze, Rarl 1919
Most, Eduard I844—46 ""Schaper, Friedrich 1902—19
-Muster, Rarl 1928 Schaub, Wilhelm 1875—77
-Müller, Erich 1902—05 Schell, Nikolaus 1852—55
-Müller, Georg 1920—21 "Schellenberg, Rarl 1895
Müller, Hermann 1858—42 "Schesmer, Ingmar 1928
-Müller, Otto 1925—24 Schimmelpfeng, Conftantin 1855—75
Mülot, Eduard 1682—85 Schimmelpfeng, Gustav 1851—52
Münscher, Rarl 1855—56 "Schlunk, Rudolf 1900—01
"Neumann, Friedrich 1919 "Schlüter, Franz 1901—02
tbrtel, Richard I882—84 Schmidt, Bernhard 1865—82
Ostermann, Christian I848—66 "Schmidt, Richard 1927
Osthoff, Hermann 1S71—74 Schmitt, Heinrich 1845—46
Otto, Friedrich 1901—02 Schneider, Eduard I887—95
Otto, Rarl 1650—51 Schorre, Rarl 1846— 84, t 1887
"pactus, Georges 1909—10 Schotten, Heinrich 1882—86, 1895—96
Paul, Reinhard 1900—17 "Schräder, Hans 1925—24
Paulus, Ernst 1865—72 "Schulze, Heinrich 1920—21
Paulus, Otto 1881 — 1921 Schulze, Ferdinand 1920—25
Paulus, Siegmund I872—87, t 1919 "Schunck, Wilhelm 1877—78
Paulus, Wilhelm 1900—01 Schwaab, Wilhelm 1858—45
pellens, Franz 1894—95 (98) ""Schwarz, Heinrich 1857—70
Petri, Heinrich I847—65 Schwarzentraub, Christian 1891—92
-pfaff, Wilhelm 1856—57 "von Seidel, CKeodor 1897
"pfankuch, Rar! 1856—58 Siebert, Friedrich 1857—56
piderit, Rarl 1850—55 "Siebert, Otto 1889—90
pistor, Julius 1889— 1925, t 1024 "Siebold, Rurt 1911 — 12
-Pohl, Moritz 1895—94 "Sierig, Ernst 1925—27
praetorius, Christian 1869—86, t 1897 "Simon, Adolf 1926—27
praetorius, Rarl 1882—1925 "Sippell, Georg I842—5Z
§3
Spangenberg, Friedrich 1 §55—5b "Volkmann 1927
"Spanuth, Bruno 19)5—)b Volkmar, Gustav 1835—57
Spieß, Ludwig 1878—79 "Volpel, Robert 1922
Spilling, Hugo IS78—79 "Voltz, Ernst 1911—15,1925—25
* Sprengel, Johann Georg 1887—90 Wagner, Rarl 1874—86,1- 1905
"Spohr, Ludwig 1914—16 Wagner, Paul 1908- -14, 192b bis jetzt
"Spring, Wilhelm 1923—24 wahl, Georg I8S0—82
Stähle, Georg l85b—57 waldeck, Oskar 190b—09
Steitz, Wilhelm 19)8 (29)—25 """Weber, Wilhelm' 1900—02
""Stern, Wilhelm 1874—Sb, t 1923 Weber, Gottfried IS42—44
Stern, Ludwig 19)2—16 Weber, Heinrich 189b—97
"Sterzenbach, Theodor 1909—10 Weber, Otto 1857—89
Stevenson, Harry 184b—49 Wehmeyer, Ludwig 1895—99
Stoll, Adolf 1874—1915, t 1928 ""Weidenbusch, Wilhelm 1875
"Qtütf, Wilhelm 1914 Weidemüller, Rarl )8b4—b5
Suchier, Hugo I846 Wendel, Gottlieb 1874—8), t 1882
Sunkel, Ernst I885—8b, t 192b ""Wenzel, Rarl l68b—01
""Temme, Franz 1859—87 "westmeier, Wilhelm 1921—22
Temme, Rarl 1909 bis jetzt Wiegand, Heinrich 1879
Theobald, Friedrich iS 35—4b * "Wiegand, Johann 1835—59
"Thiel, Rarl 1922—25, 1927—28 wilcke, Albert 1839—40
"Thieme. Ernst 1S95 witzcl, Otto 1851—54
Thies, Ludwig 1S85—87 "wöbbeking, Richard 1912—13
* Uckermann, Rarl 1890—91 "wolff, Friedrich 1883
* Umbach 192b wolscht, Emil 1885—Sb
Uth, Rarl )Sb7—79, t I S90 Ziegler, Roman 1923 bis jetzt
"Vcrchau, Wilhelm 1919—29 Ziehen, Ludwig IS95—9b
Vilmar, Eduard 1857 Zimmermann, wilh. 1881—82, t 1905
"Vilmar, Georg * Vilmar, Wilhelm 1915—14 Zülch, Julius 1878—86, t 1905
189b—97 "Zuntz, Günther 1927 bis jetzt
Vogt, Gideon 1855—54, 1856—58 Zuschlag, Rarl 1860—95, t 1899
"Völker, Rarl 19)7—18
i Der Unterricht fand im wilhelmsgymnastum statt, wo Weber ioo; angestellt wurde.
IV. Aus dem Lehrerkollegium des Friedrichsgymnasiums
sind hervorgegangen:
j. Direktoren:
1. Nlatthias in Hanau, später in Raffel,
r. Brauns in Rinteln,
z. piderit in Hanau.
4. Fürstenau in Hanau.
5. Grebe in Raffel RS.
6. Vogt in Torbach, später in Wetzlar
und Raffel.
7. Rlingendcr in Gütersloh.
S. Riep in Rinteln.
9. Heußner in Eutin, später in Raffel
WG. u. FG.
10. preime in Raffel RS. ). O., RG.
11. Flügel in Fulda.
12. Hartwig in Torbach, später in Frank-
furt.
13. Langsdorf in Dillcnburg.
14. Lange in Lochst, später in Solingen.
15. S. Paulus in weilburg.
1b. Schotten in Halle.
17. Ziehen in Brandenburg.
18. Vilmar in Grunewald.
19. Endemann in Dillenburg.
20. Israel in Oberursel, später in Freien-
walde.
21. Eskuche in Stettin.
22. w. Paulus in Biedenkopf.
23. Becker in Dillenburg.
24. Dieterich in Torbach.
64
2. 3u Provinzialschulräten wurden ernannt:
1. Julius Ernst in Straßburg. 2. Martin Baltzer in Münster.
3. An Hochschulen wurden berufen
(vor 1779: Peter pligidius, Rudolf Goclenius, Iodocus Iungmann, Sebastian Rury):
1. Theodor Bergk nach Marburg, später
nach Freiburg und ^allc (alte Phi-
lologie).
2. Rarl Friedrich Weber nach Marburg
(alte Philologie).
z. Rudolf RoKIrausch nach Erlangen
(Physik).
4. Gustav Volkmar nach Zürich (Theo-
logie).
5. Hermann Osthoff nach Heidelberg
(alte Philologie).
6. Friedrich pleumann nach Leipzig, später
Göttingen (Germanistik).
V. Die Schulgebäude
1. Der Rreuzgang der Martinskirche 1367 (1539)—1777
2. Haus Doläus in der Schloßstraße (Graben 40) 1777—79
3. Lyceum Fridericianum in der Rönigsstraße (Zanthiersches Haus, erbaut von
du Ry 1769), Erdgeschoß und teilweise erster Stock (sonst benutzt zu Lehrer-
wohnungen, 1542—67 nur für Lehrerwohnungen), 1867—86 Erdgeschoß,
1886 Staatseigentum, vermietet, 1905 Läden im Erdgeschoß 1779—1S86
4. Das Malsburgschc Haus Untere Rarlsstraße 1 (auch für Lehrerwohnungen) 1812—16
5. Das Holkesche Haus, Große Friedrichsstraßc 32 1835—42
6. Gymnasium, an Stelle des alten Seminars, Wolfsschlucht (Gardcducorps-
straße) 20 1842 bis jetzt
I840—42 von Rudolph und Schuchardt erbaut
1842 Rcgelbahn im Hofraum rechts
1843 zwei weitere Rcgelbahnen links, Brunnen, Verbindung mit Drusel-
kanal, Turnhalle rechts
1863 Hinterer Erkeraufbau (Bibliothek)
1883 Turnhalle links (1901 Vorbau), 1886 innere und äußere Erneuerung
1892 Ausbau des Erkers für Sammlungen und Rlaffenzimmer
1901 Vorderer Erker für Zeichensaal, Archiv, Sammlungen
1905 Innere Veränderungen
7. Das Gräflich Heffensteinfche Haus, Obere Rönigsstraße 3 1865—66
8. Volksschule Mauerstraße 8 (zwei Stockwerke) 1882—86
9. wilhelmsgvmnasium 1886
Ü5
C'
VI. Im großen Weltkrieg 1014—1§ sind gefallen oder an den Folgen des Rrieges gestorben
1. Schüler der Anstalt (22)
auf der Schule gefallen oder gestorben auf der Schule gefallen oder gestorben
2lchcnbach, Paul 1908—14 30. 6.15 Rohatyn Hütterott, Bernd 1908—17 4.6.18 Romigny
Barmeyer, Ernst 1908—17 r6. 8.18 Arras Lottig, Oskar 1908—16 14. 9.18 St. Mihel
Blackert, Hermann 1907—15 27.12. 19 Raffel Martin, Wilhelm 1907—15 3. 8.16 Verdun
Böttcher, Rudolf 1907—14 3.11.18 im Lazarett Ripps, Johannes 1927—16 25.11-17 Langemark
Felsing, Hans 1900—15 1.4.16 Schaub, Werner 1904—14 2. 5. 15 St. Julien
Friede, Hans 1905—14 15. 7.16 Verdun Scheel, Georg 1906-14 l8.i2.i4iJowofolna
Friedrichs, Hans 1911 — 14 14. io. 16 Somme Schneider, Rudolf 1929—16 16. 9.17 Champagne
Gottschalk, Rarl 1906—14 4. 2.18 Berlin Seelig, Wilhelm 1909—14 4. 3.16 Dünaburg
Hochapfel, Otto 1909—17 16. 8.18 Fresnoy Spengler, Otto 1906—14 26.1.15 Zeitz
Hohmann, Albert 1909—16 4. 2.17 Rarpathen weis, Rarl-Franz 1908—15 1.6.16 Skagerrak
Hubach, Reinhard 1914—16 18.7. iS Nauteuil wunderlich, Werner 1911—16 30. 3.18 Soiffons
2. Ehemalige Schüler* (117)
Appel, Hans I896—05 6. 8.14 Lüttich Rugel, Rarl I885—89 io. 4.18 Raffel
v. Baumbach, Ernst-Gerd 1891—99 30. 9.15 Cernierze Lauterbach, Hans I900—04 io. 4.18 Bogdanow
Baumann, Rudolf 1904—15 18.10.15 Flandern von Lengerke, Otto 1879—82 25. 8.14. Serres
Becker, Siegfried 1911-15 15.9.14 Bertonery von Lorentz, Georg I884—90 22. 8.14 Longwy
Beinhauer, Richard I900—09 6. 8.14 Lüttich v.d. Malsburg, Eckebrecht 1890—97 8.9.14 Vitry
Beinhauer, Egon 1907—ir 8.10.18 Romagne Cierges v. d. Malsburg, Rurt I903—04 7. 9.14 Champenoife
Bergener, Rarl 1908—14 29. 8. 18 Cambrai Mehrhardt, Walter 1903—04
Bernd, Albert 1889—9r 26. 5.16 Galizien Mittelstadt, Gerhard 1890—00 20. 6.15 Champagne
Beyer, Heinrich 1888—90 22. 8.17 Verdun Most, Julius 1906—10 22. 4.15
Braun, Wilhelm 1905—ir 5. 5.15 Les Esparges Nordmann, Theodor 1909—10 26. 8.14 Aifeau
Braunhof, Paul 1909 8.1.15 Varennes Nörr, Rarl 1882—83 20. 9.14 Fontenoy
Buchenau, Rarl 19or—1; 30. 5.18 Soiffons Oppermann, Hermann 1885—88 25. 9.17 Brüssel
Buchholtz, Fritz 1908—09 28. 2.16 Fresnes Pflug, Emil 1895—02
Buchholtz, Walter 19or—08 22.11.14 Lodz Prinz, Walter 1903—07 5. 5.17 Chemin des Dames
Budnitz, Walter 1883—89 Püttgen, Hans 1890—96 24.10.14 Flandern
Collmar, Rarl Eichler, Rurt 1896 — 06 2. 6.16 Verdun Range, Hans 1902—11 10.10.15 westroofebeeke
1894—01 16.12.14 plichtow Rexerodt, Georg 1896—05 16. 7.16 Lothringen
Entzerodt, Wilhelm 1907—10 12. 5.15 Poelcapelle Riehm, Eduard 1902—08 15. 7.18
Falckenheiner, Otto I870—74 51.12.14 Metz Rohnert, Wilhelm 1898—08 8. 8. 18
Fjchter, Rarl 1901—05 17-9-15 Bartosze Rottmann, Rudolf 1912—14 25. 4-15 Langemarck
Fischer, Heinrich 1892—01 6. 8.14 Lüttich Ruch, Franz 1905—10 28. 8.18 Valenciennes
Förderer, Otto 1883—89 15. 5.15 pultusk Rundnagel, Ernst 1879—89 12. 8.14
Friecke, Ulax 1899—02 17914 Reims Sandrock, Otto 1905—14 28. 9.16 Tambrai
Friede, Paul 1906-12 ro. 7.18 Villemontoire Schaub, Hans 1899—08 4. 7.16 Radomysl
von Götz, Georg 1889-93 r. 11. iS Schaub, Martin 190*1—1 4 1. 5.15 Augustowo
von Graß, W 1880—8$~ Scheffer, Edward 1909-11 6.1.15 La Baffee
Grebe, Oskar 1905—14 Oktober 1916 Somme Scheffer, Ernst I87S—82 4. io. 14 Richecourt
Grimke, Günter I905—09 19-11-14 wola Zytowska Scheffer, Paul 1887 4. 4-16 Berlin (Lazarett)
Groß, Rarl 1896—05 vermißt (engl. Rüste) von Schirp, Herbert 1906—10 5. 3.15 Loretto
Groffart, Rarl 189S—07 11. r. 15 Lodz von Schlotheim, Heinrich 1883—93 19. 8.14 Hennegau
^annemann, Erwin 1905—13 Oktober 1914 vermißt Schmidt, Friedrich 1893-01 iS. 9.14 Marnekanal
^annig, Artur I899—05 14. 1 r. 17. Lodz Schmuhl, Hans 1907—12 11. 4.18 Valenciennes
^as, Wilhelm 1881—86 14. 4.17 Laon Graf v. d. Schulenburg,
Lederer, <^ans 1899 — 08 31. 8.14 Metz Rurd 1888—96 26.12. i4 Tlamecy
Heymell, Ernst 1906—13 15. 7. 16 Schwarzkopf, Emil 1883—88 5-11.14 Darmstadt
von Heyking, 2llfred 1895—01 6.9.16 Tofsteres i. Lazarett Sebold, Rarl 1899—08 9.10.17 pafchendaale
Wöstmann, Rarl 1907—14 24. 3.18 Morchies Sentz, Otto 1904—11 9.11.16 Swinjuchi
Vorwitz, 2lrtur 1900—02 (oz—06) ro. 8.17 Toter Mann Soltmann, Rurt 1905—08 22. 8.14 Neuf-Thateau
Hühn, Julius l88r—85 15-7.16 Baratowitfchi Steinbach, Fritz 1897—07 25. 8.14 Pierremont
Hupfeld, Eduard 1875—Sr 7-5-17 Laon Steinbock, Walter I907—09 2. 5.15 La Baffee
Hütterott, Rurt 1904—14 io. 9. 14 Tarputfchen Stern, Rarl 1905-14 19- 10. 15
von Ibell, Ulax 1902—07 r8.10 14 Hollebeeke Fürst zu Stolberg-Roßla,
Iber, Heinrich 1897—06 Juli 1916 Somme Christian I904—05 1. 7.16 Rowel
Ide, Wilhelm 1891—01 20.10.15 Mitau Thomas, Paul 1895—02
Raupert, Helmut 1905—10 6.11.14 Westen Sunkel, Ernst 1904—06 5. 3. 1 5
Rimpel, Wilhelm 1S97—05 r. 6.18 Montigny t'lhling, Walter 1900—01 9.1.15 Novon
Rleb, Albrecht 1907—14 23. r. 15 Rawa Volland, Ernst 1899—02
Rnackfufi, Norman 1897—or 15. 3. iS Alincourt Waldhaufen, August I895—04 8. 7.15 Nouvron
Rnetfch, Richard 1890—99 16. 6.15 Tewkow Wallach, Ernst 1905—13 5. 9.18 Tambrai
Rnierim, Georg 1889—99 7-11.16 Schömberg Wäscher, Rurt 1901—11 26. 4.15 Apern
Roch, Fritz 1904—13 ri. 6.16 Verdun Wattenberg, Rudolf 1900—01
Röhler, Eduard 1904—08 19- 5.16 Arras Wedel, Jürgen 1907-13 19.9.16 Epehy
Roenemann, Friedr.-Franz 1S98—05 io. 11.14 Poelcapelle Weitzel, Fritz 1904—14 6.9. iS Gouzecourt
Roenig, Georg I89S—05 5. 8. 15 weymar, Otto 1891—93 4. r. 16
Rrapf, Arnold 1897—01 4- 4- 15 Winkelstern, Heinrich 1891-00 2.11.14 Zillebeke
Rray, Otto 19or—06 24. 6.16 Auchy wiffemann, Wilhelm 1893—96 20.11. i4 Lodz
Rröfchell, 2llfred 1901—05 27. 9. 15 Wolf, Heinrich IS93—02 10.11.16 Somme
Rrüger, Nlartin 1895—04 22. 10. 14 wolff, Rarl 1901—12 Vermißt
Rrüger, Rarl 19or—11 18. 5.15 Debelowka Zahn, Rudolf 1884—93 10. 3.16 Rabenwalb
Rruhöffer, Rarl J89J—94 14. 9.14 Braye
* Dic^Liste ist nicht vollständig; die Zeit- und Ortsangaben beruhen auf Mitteilung cn der Angehörigen
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Aus den Lebenserinnerungen
des wirklichen Geh. Rats Or. Adolf Stölzel
Aus der Schulzeit 1639—1649
Der Verfasser leitet das zweite Heft seiner Lcbenscrinnerungcn: Haus und Schule
l8;y—1849 ein mit den Worten, die mir bedeutungsvoll erscheinen für die feine,
weiche, empfängliche Art des früh vaterverwaisten Rnaben, der troydcm als
primu» omnium das Friedrichsgymnasium verließ: „wie weife hat es doch der
liebe Gott eingerichtet, daß er so oft den Eltern ein paar treffliche Tanten zur
Seite gegeben hat, die Fehler wieder gut zu machen, welche die Eltern in der Er-
ziehung ihrer Rinder begehen." Das sagte einst der witzige Freund des Schmidt-
fchcn Kaufes in Raffel, Staatsanwalt (spater Vberappellationsrat) Büff, zu meiner
Mutter, als sie einmal zu erkennen gab, wie wenig angenehm sie empfand,
wenn ihre Schwestern an meinem Bruder und mir andere Erziehungsgrundsätze
zur Geltung bringen wollten als sie.
Er schließt das Rapitel Haus mit den Worten: Nach allem bisher Gesagten
herrschte in meiner Erziehung der Einfluß des weiblichen Elementes stark vor.
Die Gelegenheit, einsichtsvolle Männer über die Lebensaufgaben des Mannes oder
über die großen Ereignisse des Tages, über Wissenschaft oder Runst, über heimische
und fremde Literatur urteilen oder sich unterhalten zu hören, ist mir niemals
geboten gewesen in meiner Jugend, was an männlicher Leitung mir zuteil
werden konnte, fiel allein der Schule anheim.
Schule.
Öffentliche Anstalten, die zum Gymnasium vorbereiteten, gab es im Jahre
IS39 noch nicht. Der Gymnasialkursus war vom neunten Jabre ab auf neun
Jahre berechnet. Die Vorbereitung dazu lag privatschulen ob. Eine solche
Schule hielt Pfarrer Landgrebe in Raffel. Ihr wurde ich alsbald nach
unserer Ankunft dort, also zum dritten (Quartal j£?9, genau mit meinem
achten Jahre zugeführt und blieb darin fünf VierteljaKre bis zu dem ersten
Zeitpunkt der Möglichkeit, in das Gymnasium, „Lyceum Fridericianum" ge-
nannt, einzutreten, das einzige damalige Gymnasium in Raffel. Die drei
von Landgrebe mir ausgestellten Zeugnisse (für das dritte (Quartal 1S39 und
für die beiden folgenden Semester) stnd günstig, reden aber einmal von
„einigem gezeigten Mutwillen" und zweimal von „nicht genügend schöner
Schrift". Der Schreibledrer stebt mir noch als ein recht derber, unange-
nehmer Mensch vor. Ich erinnere mich, daß ich nach einem Tadel meiner
Schrift mir das nächste Mal ganz besondere Müde gab, aber nach falscher
Richtung hin. Es war gerügt worden, daß ich die Grundstriche nicht kräftig
genug von den Haarstrichen unterschied, desbalb drückte ich bei den Grund-
6c)
strichen der folgenden Schreibaufgabe ganz besonders auf, ließ aber jeden
Grundstrich in eine feine Spitze auslaufen. Als der Lehrer in der Stunde
an die Durchsicht des Stoßes Schreibhefte ging, sagte er, ehe er das meinige
aufschlug: „Nun wollen wir doch einmal sehen, was diesmal der Stölzel
gemacht hat"; er schlug das Heft auf und brach in ein lautes Gelächter aus,
das die ganze Rlaffe ergötzte. Noch einmal löste ich ein ähnliches, mir empfind-
liches und deshalb unvergessen gebliebenes homerisches Schulgelächter aus,
als ich einige Stunden versäumt und die Mutter schriftlich mich mit „Un-
wohlsein" entschuldigt hatte, auf die Frage des Lehrers, was mir gefehlt
habe, die Antwort gab: „Ich hatte es hinter den Ohren." Nach dem Schluß-
zeugnis Landgrebes, das mich „wohl zur Aufnahme in die sechste Rlaffe
des Gymnasiums" für fäbig hielt, verdiente ich zwar „das Zeugnis eines in
jeder Einsicht sehr guten Schülers, indem ich durch Betragen, Eifer und
schnelle Fortschritte allen Lehrern Freude machte", dem gingen aber die be-
denklichen Worte voraus: „abgesehen von einiger Flüchtigkeit, die mit seinem
Wesen eng verbunden ist". Diesen Tadel muß ich in gewiffer Beziehung
als berechtigt anerkennen, und er hat mich mein ganzes Leben in Gedanken
begleitet, auch vielfach dazu angetrieben, in meinen Arbeiten das Gegenteil
von Flüchtigkeit zu beweisen. Bei Dingen, die ich zu behandeln habe, ohne
daß sie mich recht interessieren, neige ich allerdings zu flüchtiger Behandlung;
bei Dingen aber, die ich mir selbst zur Behandlung auswähle, glaube ich es
an Gründlichkeit nicht fehlen gelaffen zu haben. Dem entspricht es, daß der
Gymnasialdirektor Weber, unter welchem ich meine neunjährige Gymnasial-
zeit verbrachte, nach einer Mitteilung seines Nachfolgers G. Bogt in die über
die Abiturienten geführten Notizen die Bemerkung eintrug, meine Leistungen
seien „ungleich" gewesen.* Bogt sagte mir das mit dem Anfügen, das sei eines
der Beispiele, in denen das Urteil Webers sich als nicht zutreffend erwiesen
habe. Nachdem ich Ende August 1S49 das Abiturienteneramen als pri'mus
omnium und „als sehr gut vorbereitet" — das war die erste Note — be-
standen, empfahl Weber das Gesuch, das Onkel August für mich um Ber-
leihung des Thilianschen Familienstipendiums nach Sondershausen richtete,
unter dem 15. September 1S49 zur Unterstützung; er nannte mich dabei „einen
Jüngling, der viele und erfreuliche Hoffnungen erwecke", bezeugte mir auch
„sehr gutes Betragen" und den Erwerb „solcher Renntniffe", daß ich „nicht
nur von allen Gegenständen des mündlichen Maturitätsexamens" — soweit
dies gesetzlich gestattet — dispensiert werden konnte, sondern auch nunmehr
werde zur Akademie entlasten werden.
* Anlaß war vielleicht, daß ich einmal ertappt wurde, die von Weber zum hersagen auf.
gegebenen Verse Homers oder Virgils nicht auswendig gelernt zu haben. Ich glaubte,
das mir ersparen zu dürfen, weil ich in der vorausgegangenen griechischen oder lateinischen
Stunde die für diese aufgegebenen Verse befriedigend hergesagt hatte.
Der Direktor Weber stammte aus Weimar. Er war Altphilologe, be-
geisterter Freund der griechischen und römischen Rlassiker, wegen seines etwas
rauhen, unschönen Äußern und einiger Pedanterie bei den Schülern nicht
gerade beliebt, aber ihnen mit großer Liebe zugetan. Das kam in geradezu
rührender weise zum Durchbruch an seinen beiden Geburtstagen der Jadre
1646 und 1649, an denen ich namens der prima als deren Erster ihm die
Ansprache hielt. Der Freiheitsdrang des Jahres 1646 hatte auch seinen
Sturm im wafferglase des Gymnasiums erzeugt. Ich sei, so erzählten mir
später die Tanten Schmidt, in der Stube auf- und abgewandelt und hätte
erregt über den Mangel von Freiheiten geklagt, unter dem wir litten. Auf
die Frage: „Idr armen Jungen, inwiefern seid ihr denn so gedrückt;" hätte
ich dann eine rechte Antwort nicht gewußt. Auf Beschluß der Rlaffe mußte
ich aber dem Direktor vorstellen, „wir wünschten: Erstens erweiterte Er-
laubnis, öffentliche Lokale zu besuchen; zweitens in prima mit „Sie" ange-
redet zu werden, und — damit die Sache doch auch einen wiffenschaftlichen
Hintergrund bekam — drittens den Geschichtsunterricht nicht mit dem Jahre
1789 abgebrochen zu sehen". Auf Befürwortung des Direktors wurde alles
vom Ministerium genehmigt, und ich muß sagen, daß allerdings der dritte
Punkt, die Ausdehnung des Geschichtsunterrichts auf die Zeit der fran-
zösischen Revolution nebst ihren Folgen, mir für mein ganzes Leben von erheb-
lichem werte gewesen ist. Meine Geburtstagsrede zum 6. Mai J848 sprach
den: Direktor den Dank der Schüler für die Gewährung unserer wünsche
aus. Es zeigte sich aber das folgende Jahr hindurch, daß er künstlich die Sie-
Anrede an die Primaner konsequent vermied. Am nächsten Geburtstag kam
die Erklärung. Mit tränenden Augen erwiderte er auf meine damalige
Ansprache: „Ihr lieben Schüler, wenn Ihr mir deute eine rechte Freude
machen wollt, dann erlaubt mir, daß ich Euch wieder du nenne, ich k a n n' s
nicht anders!" Und den Wunsch erfüllte man ohne Murren; so gewann der
Direktor für seine Person das Privileg der Du-Anrede und bedielt es.
Aus den Schuljahren, die ich den unteren Gymnasialklaffen angedörte,
habe ich keine besonderen Erinnerungen; auch waren mir die Ledrer ziemlich
gleichgültig. Eine Mitteilung über mich aus dem Munde eines damaligen
Mitschülers ging mir kürzlich aus Wiesbaden zu, wo dieser in Amerika
reichgewordene Mitschüler noch lebt. Sie dat einen stark komischen Bei-
geschmack, indem sie das sonderbare Verdältnis des Direktors zu einem gegen
seinen willen in das Kollegium ihm gesetzten älteren Marburger profeffor
namens Börsch beleuchtet. In deffen Geographiestunde erschien einst Weber
der Kontrolle wegen. Auf Börschs Frage: „wo liegt das Rap Garda-Fui;"
blieben die Gefragten die Antwort schuldig. Da erfolgte die Frage: „Herr
Direktor, wiffen Sie es;" Auch hier reine Antwort. Der Mitschüler —
Ludovici heißt er — erzählte dann weiter: „So blamierte Börsch den
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Direktor vor den Augen der Schüler. Stölzel, der immer alles wußte* (er war
ein Musterschüler), erhob den Finger und gab die richtige Antwort."
Dieser Vorfall ist meiner Erinnerung entschwunden, weniger ein anderer,
der mir zwei tüchtige Obrfeigen zuzog. In einer Stunde des (Ordinarius der
Ouarta oder Tertia (Dr. Schimmelpfeng) ließ sich plötzlich ein quietschender
oder pfeifender Ton vernehmen; der Täter meldete sich nicht; der Lehrer
drohte für etwaige Wiederholung ein paar Ohrfeigen an; trotzdem quietschte
oder pfiff es noch einmal, und der Täter blieb wieder unentdeckt. Da wollte
es mein Unglücksstern, daß ich, während der Lebrer sein Auge auf meine
Bank gerichtet hatte, auf dem mit Ölfarbe angestrichenen Pult vor mir mit
meinem Finger herfuhr, der vielleicht von der Hitze feucht war — es
quietschte infolgedessen wieder; der Lehrer stürzte von seinem Ratbeder auf
mich herunter, und ich batte meine Ohrfeigen weg. Vlach der Stunde mußte
ich die -s^cfte der Rlaste dem Lehrer ins Haus tragen. Er brachte die Obr-
feigen zur Sprache, hörte ruhig meine Darstellung des Falles an und glaubte
meiner Versicherung, daß nur eine Unvorsichtigkeit meinerseits vorgelegen
habe. So schieden wir in Frieden, aber die Obrfeigen blieben zeitlebens
auf mir sitzen.
Ein wirkliches Intereste an der Schule erwuchs mir erst in den oberen
Rlasten, eigentlich erst in prima, feit es zur kursorischen Lektüre der Alten
kam und der Geschichtsunterricht wie der Unterricht im Deutschen sich hob.
In Odystee und Ilias brachten wir es dahin, daß wir obne jede Vorbereitung
beliebige Stellen alsbald vom Blatte ab deutsch vortrugen. Auch an platos
Gespräche ging es schließlich beran. Tibull und Tatull waren Lieblingsdichter
des Direktors, machten uns aber gleich Tacitus und Livius ziemliche Schwie-
rigkeiten. So interestant ich Ovid fand, so langweilig Virgil; ich begriff nicht
und begreife es auch heute noch nicht, wie der Dichter so viel Furore im
mittelalterlichen Italien machen konnte. Obenan stand der Unterricht in Ge-
schichte, dann der in Deutsch (Literatur wie Stil) und in Matbematik bei den
drei ausgezeichneten Lebrern Flügel, Rieß und Grebe, denen alle Schüler
mit großer Anhänglichkeit zugetan waren und auch an ibnen als echten
deutschen Männern emporsahen. Ich glaube kaum, daß ein besterer, ja nur
ein gleich guter Geschichtsunterricht an irgendwelchem Gymnasium je gegeben
worden ist. Der Lebrer trug frei vor, die Schüler schrieben (von Ouarta an)
nach; ich besitze und benutze die Hefte, welche die ganze Geschichte ein-
schließlich der neueren Geschichte umfasten, beute noch. Darin steckt die
Grundlage für den mir eingepflanzten geschichtlichen Sinn. Ihn danke ich
Dr. Flügel, babe ihm das auch in späteren Jahren geschrieben und manche
Zeile von ihm erbalten, in der er sich desten freute. Einen Brief von ihm nach
* was mir übrigens keineswegs erinnerlich ist, und was ich mir auch niemals eingebildet
habe.
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der Feier seines achtzigjährigen Geburtstages füge ich bei, desgleichen einen
Brief von meinem Freunde G. Vogt auf eine Zusendung meiner „Fünfzehn
Vorträge aus der badisch-preußischen Rechts- und Staatsgeschichte", die ich
dem Gymnasium in einem Exemplar stiftete.
In die Zeit, während deren ich Untersekunda besuchte, fiel meine Konfir-
mation und die Vorbereitung dazu vom Sommer i§45 bis Pfingsten )S4d.
Die Mutter hatte sich m GotKa dem dort ausschließlich Kerrschenden luthe-
rischen Bekenntnis zugewandt und deshalb in Rastel auch der lutkerischen
Kirchengemeinde angeschlosten. Deren Existenz außerhalb der reformierten
Landeskirche beruhte auf einem vom Landgrafen Friedrich zu Ehren seiner
schwedischen Gemaklin Ulrike Eleonore, der Tochter Karls XU., erteilten
Privileg aus ein lutherisches Bethaus in Kastei — olme Kirchturm —
zu errichten. Dies Haus stand im Straßenzuge der Mittelgaste* und reichte
mit seinem Zubehör zum Marställerplatz (Schloßstraße). Erst in den iSyoer
Jahren trat an die Stelle des Bethauses die auf einem alten Friedhofsterrain
erbaute neue lutherische Kirche. Zu meiner Konfirmationszeit waren luthe-
rische Geistliche Lang und Meyer. Ersterer ein älterer, biederer, aber wenig
anregender, vielmehr recht trockener Herr, desten Unterricht und predigten
auf uns keinerlei Eindruck machten, letzterer ein geistvoller, feuriger Lehrer
wie Kanzelredner, der den Ruf genoß, öfter seine predigten aus dem Stegreif
zu kalten und uns sehr ansprach. Beide wechselten im Unterricht ab, ich
glaube, monatsweise, und zwar für Knaben und Mädchen gemeinsam. Die
Gemeinde wählte und bestellte ihre Prediger durch den Gemeindeausschuß
und durch den Vorstand okne Mitwirkung des Konsistoriums selbständig und
gekörte einer freieren kirchlichen Richtung an. Meyer gefiel in den iSdoer
Jahren auf einem Thüringer Lutkerfest dem Herzog Ernst II. so sehr, daß
er ikn erst zu seinem Hofprediger nach Gotha, dann zu seinem General-
superintendenten nach Koburg berief. Auch unter den Nachfolgern Längs
und Meyers (Iatho** und VZeipert) blieb ich bis zu meinem Abzug von Rastel
der lutherischen Gemeinde treu und fungierte eine Reike von Jahren als
Mitglied des Gemeindeausschustes, setzte auch bei Beginn der preußischen Zeit
die Proteste an den Kultusminister auf, die in 1867 oder isds gegen die
Unterordnung der lutherischen Kirchengemeinde unter das Konsistorium und
in )Sdy gegen die damals angeordnete V?akl zur Kirchensynode vom Ge-
meindeausschuß ausgingen. Dem Kirchenvorstande gekörte zur Zeit meiner
Konfirmation der Geheime Gberfinanzrat Gschwind an, ein reicher Herr, der
einen eigenen Kirchenstand besaß. Sein einziger Sokn Fritz, der mit mir der
Sekunda angehörte, war zugleich mein Mitkonfirmand. V?ir schlosten uns
dadurch näher aneinander an; allsonntäglich saß ich in seinem Stand; wir ver-
* Irrtümlich für: Graben.
** Vater des jetzt vielgenannten Rolncr Pfarrers Iatho.
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einten uns auch zum gemeinsamen Dank- und Abschiedsbesuch bei den
Pfarrern, wie üblich bewaffnet mit den ein oder zwei eingewickelten Gold-
stücken, die wir als Honorar beim ersten Pfarrer abzugeben hatten, traten
wir verlegen und in der gedrückten Stimmung, wie sie der Abschied mit sich
brachte, ein; aber aller Verlegenheit und aller gerübrten Dankesworte über-
boben uns die Empfangsworte des Pfarrers. „Da legt's nur hin!" rief er uns
entgegen, auf eine Tischecke weisend. Diese Szene ist mir zu einer unvergeß-
lichen aus der Ronfirmationszeit geworden, ivb dem gegebenen Befehle dann
noch Ermahnungen für das künftige Leben folgten, ich weiß es nicht mehr.
Der Zeuge derselben ist einer der wenigen meiner Iugendgenoffen, die noch
heute leben. Unsere gegenseitige Anhänglichkeit bat sich erhalten.
Ihr damaliger nächster Erfolg war, daß wir im Winter nach der Ronfir-
mation — zum Tanzunterricht uns wieder zusammentrafen. Einige töchter-
besitzende Familien — darunter die Familien Friede und Rnatz — engagierten
den Hoftanzlebrer Labaffe, der Reibe um zu ihnen ins Haus kam. Die Tänzer
waren die Brüder der Tänzerinnen oder einige zugezogene Freunde. Die
Tanten Schmidt
ließen es sich dann
auch nicht nebmen,
um mir eine Freude
zu machen, einen
Tanzabend in ibrer
wobnung einmal
einzurichten. Mei-
ner dabei anwesen-
den Mutter bereite-
te Labaffe das be-
sondere Vergnügen,
ibr mit ernstester
Miene zu bezeugen,
ich „arbeite gut"!
Das mag auch wobl
richtig gewesen sein,
denn ich tanzte nicht
bloß in der Tanz-
stunde, sondern spä-
ter auch eifrigst und
anscheinend nicht
obne Erfolg; be-
zeugte mir doch auf
einem der Gffiziers-
Lanzschleifen vom zartesten Rosa bis zum dunkelsten Rot
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bälle der nächsten
Jahre der einstige
Mitschüler, damali-
ge Leutnant und ex-
quisite Tänzer Fer-
dinand von Stein
(jetzt fast gelähm-
terGeneralleutnant
z. D. in Kleinschmal-
kalden): „Du tanzest
eine j?olka-Mazur-
ka, ich habe noch nie
einen Zivilisten so
gut tanzen gesehen,
wie dich \" In ande-
ren „Nebenfächern"
der Schule gewann
ich gleiches Lob
nicht! Am übelsten
stand es mit dem
Singen. Die Mit-
schüler, die neben
mich zu stehen ka-
men, rückten mög-
lichst von mir ab,
um nicht durch meine falschen Töne gestört zu werden, und als die Rom-
bergsche Schiller-Glocke öffentlich vorgetragen werden sollte, fand es
der Gesanglehrer Wiegand an: besten, wenn ich schwieg. Im Turnen ver-
mied ich krampfhaft die Übungen, bei denen der Kopf nach unten zu hangen
kam; Arm- und Kniewellen, sogar der Aufschwung, blieben mir unerreich-
bare Leistungen; Stützmachen, Klettern, Lausen und Springen gelangen
mir bester, so daß ich einst sogar den Ausruf des Lehrers zu hören bekam:
„Seht einmal den Stölzel, springt er nicht wie ein Floh!" Im Zeichnen
stand ich meinen Mann. Hier gehörte ich zu den besten, wir hatten einen
guten Zeichenlehrer, nur befolgte er eine andere Methode als die heutige.
Er ließ nur abzeichnen nach Vorlagen, erst mit Blei, allmählich unter Zuhilfe-
nahme des Wischers, dann mit der Feder oder mit Tusche. Bei der letzten
Arbeit, die er mich machen ließ, ging er ausnahmsweise über zum Aquarel-
lieren. So entstand das heute noch in unserer Wohnung aufgehängte Bildchen
„Nyon" (bei Genf). Da ich damit bis zum Schlüße des Abiturientenexamens
nicht fertig wurde, gestattete mir der Lehrer (er hieß Appel) in seiner
75
Yl\>hnuncf weitere In-
struktionen zur Voll-
endung des Bildes
entgegenzunehmen, ob-
wohl ich schon vom
Gymnasium entlasten
war. Niedrere frühere
größere Zeichnungen
von mir dabc ich
noch aufbewahrt. Die
Fädigkeit, odne Vor-
lage Menschen oder
Tiere aus dem Ropf
zu zeichnen, dabe ich
nie erworben. Mein
Freund Rnatz besaß sie
in erfreulichem Maße.
Dagegen versuchte ich
mich ()S41 und 1647),
Silhouetten (odne
Hilfe des Storchschna-
bels) nach der Dlatur
zu tuschen, wenn es
auch keine j?rachtwerke
wurden, so gelang es
mir doch, sie bis zu
einer gewisten Ähnlich-
keit herzustellen. Ich
begann mit meinem elf-
jährigen Bruder und
mit meinem vierzehnjährigen Detter weiß, dann folgten die S. 3. r. mit-
geteilten Silhouetten der Großmutter Schmidt und der Tante Raroline
Schmidt, weiter auch die der Freunde Rnatz und Hermann von Roques,
endlich aber auch die etwas karikierte, aber wohlgelungene Silhouette des
Direktors Weber.
Zu den nebensächlichen Unterrichtsgegenständen durfte auch das Schwimmen
gerechnet werden. Es bestand für die Schüler eine besondere Bade- und
Schwimmanstalt neben der gleichen Militäranstalt, beide am rechten Fulda-
ufer der Aue gegenüber. Der weg dahin von der Wohnung des einzelnen
betrug etwa eine Halbe Stunde. Für ein Jahresabonnement von 7^ Slg.
stand — unglaublich, aber wahr — jedem Schüler die beliebige Benutzung
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Wm
der 2lnstalt einschließlich der Über- und Rückfahrt über die Fulda und ein-
schließlich des Schwimmunterrichts frei. Schwimmhose und Handtuch mußte
jeder mitbringen. Der Lehrer war anfänglich ein alter Franzose namens
Tollet, der das Deutsche nur radebrechte, später loste ihn sein Sohn ab,
der zugleich Goldarbeiter war. Zunächst legte der Lehrer den Schüler über
einen Stuhl am Lande und lehrte ilm, die Arme und Beine hin- und her-
ziehend, die Schwimmbewegungen, dann folgten Übungen im Wasser; der
Lehrer führte den Schüler an der Leine, auch standen dem Schüler Kork-
hölzer zur Verfügung, die ihn trugen, wenn er sich auf die Gurte legte,
mit denen die Rorkhölzer verbunden waren. Der Unterricht galt als abge-
schloffen mit dem „überschwimmen", einer Art von Prüfung, die darin be-
stand, daß der Schüler zu dem Versuch verstattet wurde, neben einem Schiffe,
das ihn zu seinem Schutze begleitete, über die Fulda an das jenseitige Ufer
und zurück zu schwimmen. Gelang das, so war das Recht erworben, überhaupt
frei außerhalb der Anstalt zu schwimmen. So ziemlich jeder erwarb das
Recht, auch ich. Die besten Schwimmer sprangen oft von hoher Leiter, eine
„Tete" machend, ins waffer. Dazu habe ich mich nie emporschwingen können,
ich ging aber möglichst täglich (nach der Vlachmittagsschule) ins Bad; j6—)$u
Reaumur war die Durchschnittstemperatur, wenige Male habe ich auch noch
bei )3° gebadet, fand das nicht gerade aber einen Genuß. — Ein ganz be-
sonderes Ereignis war es, daß in meinem vorletzten Semester ein preu-
ßischer Artillerieleutnant a. D. Scharff, Lehrer der „Mnemonik", die Er-
laubnis erhielt, im Gymnasium denjenigen Schülern, die Lust dazu hatten,
Unterricht in seiner Kunst zu erteilen. Ich ergriff gleich vielen mit Freuden
die Gelegenheit und bereue es nicht. Leistete freilich die Mnemonik für den
praktischen Gebrauch nicht das, was ihr Lehrer davon versprach, so befähigte
sie doch, manche Geschichtszahlen ohne Schwierigkeit dauernd festzuhalten,
leistete auch sonst Unterstützung im Auswendiglernen und lehrte namentlich
eine Anzahl außerordentlich überraschender Kunststücke zur Erheiterung
geselliger Kreise. Alsbald in der ersten Stunde lernten wir an 52 in Ver-
bindung gebrachten Schlagwörtern die bekannte Ludolphsche Zahl mit 154
Dezimalstellen auswendig hersagen, eine Leistung, die sicher ohne
Mnemonik niemandem je gelingen wird. Ich habe das von Scharff Gegebene
in zwei Heftchen alsbald nach dem Unterricht ausgearbeitet und mir zugleich
eine Tabelle für die Schlagwörter sämtlicher 999 dreiziffriger Zahlen auf-
gestellt, die für Anwendung der Mnemonik in Frage kommen können. Aus
diesen Materialien wird man ein genaues Bildchen gewinnen, was die
Mnemonik will und leistet.
Lege ich dazu noch die schönen plastischen Lösungen, die unser Mathematik-
lehrer Grebe vom pythagoreischen Lehrsatz gab, das nach dem Geographie-
lehrer Schwab ausgearbeitete Heft über „mathematische Geographie", wie
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über „physische Geographie", ferner das Heft des Dr. Rieß über „deutsche
Literaturgeschichte" und die Flügelschen Geschichtshefte nebst Schülerüber-
setzungen aus Virgil und Sallust bei, so läßt sich wohl der Stand der Raffeler
Gymnasialbildung in den i§4oer Jahren genügend ermessen. Als ich im
Winter 19OY auf 19)o das Berliner Rolleg des Roofeveltprofeffors wheeler
über die „öffentliche Meinung in Amerika" besuchte und einmal mit dem
Mathematikprofeffor Schwartz zusammentraf, der im nämlichen Auditorium
der Berliner Universität las, erzählte dieser, er habe eben den Studenten
seinen „pythagoreischen Lehrsatz in der Westentasche" gezeigt; dabei holte er
aus seiner Westentasche Stückchen Metallblech, die dem entsprachen, was den
Raffeler Tertianern im Jahre 1845 Dr. Grebe mitgeteilt hatte. Ich brachte
deshalb zur nächsten Vorlesung meinen papiernen pythagoreischen Lehrsatz
mit; Schwartz prüfte ihn zu Hause und fand ihn im übrigen konform mit
seinen Blechstücken, die man schon im Altertum gekannt, neu und sehr hübsch
sei aber die eine Nummer meiner Sammlung, ich glaube, es war Nr. 4.
Grebe lehrte also uns Tertianern etwas, was 19io dem namhaften Ordinarius
der Berliner Universität neu und wiffenswert schien.*
Außer der Neuerung, die das Jahr 164s im Schulplan herbeiführte,
machte stch dasselbe noch dadurch sehr bemerkbar, daß es die Schul-
stube zeitweilig in ein Waffendepot verwandelte. Als es sich um Bildung
freiwilliger Schutzmannschaften handelte, war auch an die Primaner, wie an
die Lehrer der Schlachtenruf ergangen. Es gab nun eine alte und eine junge
Schutzwache, ja auch noch eine demokratische in Raffel, daneben die Bürger-
garde. Der alten Schutzwache gehörte auch der Direktor an; ich sehe ihn
noch mit der schwarz-rot-goldenen Binde um den Arm und einer Mütze auf
dem Ropf, den Schießprügel über der Schulter als Posten am wilhelmshöher
Tor auf und abwandeln, und, wenn ich ihn im Vorbeigehen grüßte, mir ernst,
aber sehr unmilitärisch zunicken. Alle Primaner außer mir waren, nachdem
ihre Eltern die Genehmigung erteilt, der jungen Schutzwache beigetreten.
Diese war im Gegensatz zur alten uniformiert (schwarzleinene Bluse mit
schwarzem Ledergürtel, grauem, breitkrempigem, einseitig in die Höhe ge-
schlagenem Filzhut mit schwarz-rot-goldener Rokarde und aus dem Zeughaus
geliefertem Pioniergewehr). Da die Exerzierübungen der jugendlichen Rrie-
ger stch unmittelbar an die Schulstunden anschloffen, mußte wohl oder übel
die Schule dulden, daß die Schüler uniformiert erschienen und ihre Ge-
wehre rottenweise in irgendwelchen Schulraum kunstgerecht aufstellten. Meine
Mutter — eigentlich als einzig Vernünftige der ganzen Elternschaft — hatte
das alles für törichte Soldatenspielerei erklärt und mir den Beitritt
* Nachträglich fällt mir noch ein, daß wir vom Lehrer der Mineralogie auch ange-
halten wurden, die Formen der Rristalle (Würfel, Rhomboeder, Octaeder, Dodekaeder) in
Pappe nachzubilden. Einen Rasten voll solcher Muster habe ich jahrelang aufbewahrt,
er wurde bei einem Umzug vernichtet.
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abgeschlagen. Ich war darüber nicht groß mißgestimmt; meine Zurück-
haltung verdachte mir auch niemand; ich erinnere mich nicht, irgendwelchen
Tadel oder Spott gehört zu haben, wie sonst doch in den Schulen üblich
ist, wenn jemand von der Allgemeinbeit sich ausschließt. Mit dem wacht-
dienst waren natürlich auch Nachtwachen, Postenstehen, Biergelage ver-
bunden, wie sie schlecht zur Schule paßten, Ob die junge Schutzwache schon
vor der sogenannten „Gardedukorps-Nacht" bestand oder erst durch sie
hervorgerufen wurde, weiß ich nicht mehr. Ich erlebte diese Nacht in der
Wohnung drei Treppen hoch, gegenüber dem großmütterlichen Hause und
sah von hier aus die Barrikaden an der Wilhelms- und Rönigsstraße bauen,
dre erst wieder verschwanden, nachdem der Rurfürst auf weiß' Rat die
Gardedukorps aus der Stadt verlegt und aufgelöst hatte. — In den Herbst-
ferien i§46 kam ich dazu, meine erste selbständige Reise zu machen. Der da-
mals am Rintelner Obergericht tätige Obergerichtsrat Grandidier und seine
Schwestern hatten ihren Neffen Georg Gerland nach Rinteln eingeladen und
mich ihm zum Begleiter erwählt. Es ging über Rarlshafen. Ob dortbin da-
mals schon die Eisenbabn fuhr, weiß ich nicht mebr. Am Weserufer, wo zu
unserer Erheiterung das Wirtshausschild mit dem schönen Verse lockte:
Hier bekommt man Brot und Branntewein,
Und Fische, wann sie gefangen sein —
bestiegen wir das Dampfschiff, das uns nach Hameln fübren sollte. Statt
deffen setzte es uns aber vor Hameln wegen des, wie bäufig, auch diesmal
seichten waffers mitten im Fluß auf den Sand. Auf die Frage, wo wir feien,
bieß es: unfern des Dorfes „Oos". Hier batten die Tanten Schmidt und die
Mutter Gerland die pfarrerin Pape zur nahen Freundin, die wir von Hameln
oder Rinteln aus besuchen sollten. Das ließ sich nun desto einfacher bewerk-
stelligen; nach freundlich gebotenem Empfange und Nachtlager zogen wir
anderen Tages mit der Post weiter. Der vierzebntägige Aufenthalt im Haufe
des Obergerichtsrates Grandidier sagte uns Jünglingen ausnehmend zu; an
dem klugen, rubigen, liebenswürdigen Manne sah ich gern empor und freute
mich, mit einem solchen Manne einmal näheren Umgang pflegen zu können.
Dabei gab es reichliche Gelegenheit zu Ausflügen in die Umgegend. Ein
paar dort aufgenommene Bleistiftzeichnungen besitze ich noch.
Im Frühjahr )S49 traf mich der herbste Schmerz, den ich bis dahin zu er-
fahren gebabt hatte. Er überstieg den Schmerz um den Verlust der Groß-
mutter, der mich wenige Wochen zuvor traf; denn sie ging im achtzigsten
Jahre nach langem, schwerem Rrankheitslager heim, von dem der Tod ihr
eine Erlösung brachte, und den Schmerz um den Tod des Vaters tief zu
fühlen, war ich mit sieben Jahren noch zu jung.
Ich verlor den liebsten meiner Mitschüler, der mir besonders nabegestanden,
Rarl Engelhard, deffen Eltern oberhalb unserer Wohnung in der Wilhelms-
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Höherallee ^aus und Garten besaßen, aber beide im Jahre 1S46 versterben,
so daß die Rinder von da an in jenem Hause allein wohnten. Der Sohn Rarl
war in meinem Alter und saß i§4§ mit mir in prima. Ein prächtiger,
breitschulteriger Mensch, bester Turner, tüchtig in der Schule, munter und
lebenslustig, huldigte er gleich mir dem Schlittschuhlauf, war mir aber in
der Runst desselben, ebenso wie im Turnen, weit voraus. Das große Bassin
der Aue war der allgemein benutzte und beliebte Platz zum Schlittschuh-
vergnügen. Die Dachdeckerzunft batte das Privileg, dort Bahn zu kehren,
Stuhlschlitten und Schlittschuhe zu vermieten gegen Einkassierung einiger
Pfennige. Niemals wurde das ganze Bafstn vom Schnee reingebalten, son-
dern nur im Anfange des Bassins eine elliptisch geformte Straße, auf der
sich der Eissport abspielte. Äußerste Seltenheit war es, wenn das Bassin
seinem ganzen Umfange nach dem Schlittschuhläufer freistand, weil es zufror
obne vorherigen Schneefall. So verhielt es sich am Schluß des Januar 1649.
An einem dieser Tage fuhr Rarl Engelhard eine junge Dame, der er sebr
zugetan war, im Schlitten. Das Schlittenfahren in dieser weise ergab sich
als übliches Vergnügen, weil damals noch keine Dame selbst Schlittschuh lief;
das weibliche Geschlecht promenierte in Gestalt von Müttern und Töchtern
am Ufer, einer Einladung zum Schlittenfahren harrend, wie auf dem Ball
einer Einladung zum Tanze. Da das Schlittenschieben und die dabei nicht
zu entbehrende gleichzeitige Unterhaltung der süßen Last eine große An-
strengung verursachte, war es üblich, daß die Rameraden desjenigen, der eine
Dame vom Ufer engagiert hatte, ihn ablösten und jeder von ihnen einmal den
Schlitten um die gekehrte Bahn herumfuhr. An jenem Tage konnte aber
Engelhard sich im Gefühle seiner Rraft nicht genug tun: er fuhr seine Dame
dicht am Ufer des spiegelblanken, schneefreien, enormen Bassins ohne Rast
und Rübe zweimal herum; dann überlieferte er sie wieder ihrer Mutter. Ich
traf ilm in diesem Augenblick; mit blaugerötetem, erhitztem Gesicht erzählte
er mir freudestrahlend seine Heldentat und stieß mit dem Absätze des Schlitt-
schuhes ein Stück Eis aus dem Boden, sich den Durst zu löschen. Damit war
der Todeskeim in sein junges Leben gelegt, wäre noch Rettung möglich ge-
wesen, so wurde sie ausgeschlosien durch eine neue Unvorsichtigkeit. Der
Gymnasialdirektor batte in den Räumen des Gymnasiums eine Abendunter-
haltung für die oberen Rlasten mit Vorträgen und Tanz gestattet. Sie spielte
sich am z. Februar, also wenige Tage nach jenem Schlittschuhlauf, ab. Jeder
Schüler durfte zu dem Feste eine Dame seiner Verwandt- oder Bekanntschaft
laden; die Mutter Stölzel als Mutter des Primus wurde aufgefordert, die
Patronage des Damenkranzes zu übernehmen. In denselben fügte Engelhard
die nämliche junge Dame ein, der er auf dem Eise gehuldigt batte, und tanzte
mit ibr ebenso übereifrig, wie er hinter ibr kurz zuvor den Schlitten ge-
schoben. Nach der mir vom Direktor gegebenen Weisung sollte nicht in der
So
mit dem ernsten Spruche: „Ora et labora« gezierten Aula, sondern im kleinen,
anstoßenden Zeichensaal getanzt werden. 2lber beim Eröffnen des Tanzes trat
sehr wohlmeinend Dr. Flügel an mich heran: „Ach, auf meine Verantwortung!
Folgen Sie mir nur und führen Sie die Kolonne in die Aula!" So geschah
es. Hirn tobte der Tanz noch ausgiebiger. plur noch drei Tage danach konnte
Engelhard die Schule besuchen. Es hatte ihn die galoppierende Schwindsucht
erfaßt, die ihn binnen wenigen Wochen dem Tode in die 2lrme warf. Täglich
saß ich zeitweilig am Bette in Gegenwart der ältesten Schwester, die ihn
sorglichst pflegte. 2lm 27. 2lpril traf ich ibn schlafend und hörte nur sein
Röcheln, dem er am nächsten Tage erlag. Das ganze Gymnasium fühlte den
Schlag mit. Am ). Mai geleiteten ihn die oberen Klaffen und die Kompanie
der Schutzwache, der er angehört hatte, zu Grabe; wir sangen mit Musik-
begleitung drei Verse eines Thorals. 2lußer dem Pfarrer hielt der Religions-
lehrer der Klaffe Dr. Matthias eine ergreifende Ansprache, die ich hier bei-
füge, ich selbst aber schrieb ein stilles Gedächtniswort in die Sammlung
meiner wenigen poetischen Ergriffe. 2lls ich wenige Tage später dem Direktor
die oben erwähnte Geburtstagsrede hielt, konnte es nicht fehlen, daß ich darin
unserer Trauer um Engelhard Erwähnung tat.
Ihren Abschluß erhielt die Schulzeit am Ende desselben Semesters durch das
Abiturienteneyamen. Dasselbe fand schriftlich am 2j. August in Griechisch
und Geschichte, am rr. August im deutschen Aufsatz, am r;. in Mathematik,
am 24. im Lateinischen statt. Um meine 2lrbeiten herzustellen, nutzte ich für
keinen Gegenstand die dafür bestimmte Zeit voll aus; für den deutschen Auf-
satz, der die Ursachen, warum den Römern die Unterjochung Deutschlands
nicht gelungen, behandeln sollte, und ebenso für das lateinische Eyerzitium
genügten mir zweidreiviertel statt der gewährten fünf Stunden. Die mir,
soweit gesetzlich zulässig, erteilte Dispensation von der mündlichen Prüfung,
wofür der 2lusfall der schriftlichen Arbeiten maßgebend war, erstreckte sich
auf Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Geschichte und Mathematik. Die
Dispensation wurde mir kundgetan am 3. September, am 12. fand die münd-
liche Prüfung statt in Religion, Französisch und Physik; sie währte eindrei-
viertel Stunden. Die Fragen wurden in Zetteln verlost.
Das Abiturienteneyamen war jedenfalls das schwierigste und weitgreifendste
Eyamen, das in meinem Leben an mich herantrat. Viel Sorge hat es mir
nicht gemacht. Zwischen dem mündlichen und schriftlichen Teil desselben lag
die Säkularfeier für Goethe am 26. August. Ich hatte in der 2lula die öffent-
liche Festrede über Götz von Berlichingen zu halten. Erst heute kommt mir
zum Bewußtsein, daß es doch eine eigentümliche Zumutung an einen Abi
turienten stellen hieß, angesichts seiner Prüfung eine solche Rede abzufassen,
ste zu memorieren und zwischen schriftlicher und mündlicher Prüfung sie zu
halten. Die Rede fiel so aus, daß mir der Tag durch die Worte, die ich zu
si
boren bekam, zum ersten der freudigen Gedenktage meines Gebens wurde.
So war es vielleicht doch keine Ungerechtigkeit, daß ich am z6. September
das recht seltene Zeugnis „sehr guter Vorbereitung" und die silberne Richter-
Medaille erhielt. Als ich gegenwärtig den von mir zum Maturitätsexamen
binnen zweidreiviertel Stunden gelieferten deutschen Aussatz noch einmal
durchlas, erschien er mir doch so sehr als ein Beleg, bis zu welchem Grade
unser damaliges Gymnasium seine Schüler in rascher Konzentrierung brauch-
barer Gedanken und in deren geschickter Fastung zu fordern verstanden
haben muß, daß ich den Aussatz hier abschriftlich anschließe. Ich bemerke
dabei, daß der Aussatz nicht etwa einen Gegenstand betraf, der im voraus-
gegangenen oder einem früheren Semester vom Lehrer näher besprochen
worden war, sondern daß der Abiturient nur mit seinen eigenen Gedanken
arbeiten konnte. Solche in Aussätzen niederzulegen, werden meines Erachtens
die heutigen Schüler allzuwenig geübt. Dazu trägt auch wesentlich die Ent-
wöhnung vom Briesschreiben bei und sein Ersatz durch Rartenbilder, die
nur Raum lasten, ein paar Worte beizufügen.
Deutscher Aussatz im Maturitätsexamen
(am rr. August 1849. Frist: 7 bis 12 Uhr; beendet 9% Uhr).
Über die Ursachen, warum den Römern die Unterjochung Deutschlands nicht gelungen ist.
Als der junge Pompejus, siegreich einst vom Rriege heimkehrend, von dem in Jahren
vorgerückten Sulla, dem glücklichen Bezwinger so vieler Länder und Volker, sich die Gunst
erbat, ihn einen Triumph feiern zu lasten, lehnte Sulla, eifersüchtig auf die steigende
Große und den Namen, den sich in kurzer Zeit ein noch nicht lange bekannter Held erworben,
diese Bitte ab. Da sagte Pompejus die berühmten Worte: „Bedenke, daß die Welt
nicht auf die untergehende, sondern auf die aufgehende Sonne blickt!" Die Wahrheit hier-
von erkennend und wohl fühlend, daß seine Sonne wirklich im Untergehen war, gab
Sulla nach und ließ Pompejus triumphieren. Auch wir müsten anerkennen, daß jene Worte
des Pompejus nur zu oft im Leben ihre Anwendung finden und wenn wir dann auch
Schmerz empfinden, wenn es uns mit Trauer erfüllt, daß nicht bloß der Mensch selbst
vergänglich ist, sondern auch sein Name, seine Taten, sein Streben und sein wirken
allmählich der Vergangenheit anheimfällt, so blicken wir doch hoffnungsvoll und in
freudiger Erwartung auf eine aufgehende Sonne, auf eine junge Größe, folgen mit
Aufmerksamkeit ihrer Fortschreitung und Entwicklung und begleiten sie gern bis auf
den Punkt, wo auch sie eine untergehende wird.
wie wir aber diese Betrachtung bei einzelnen machen können, so auch bei Entwicklung und
Entartung eines ganzen Volkes. Mit Schmerz sehen wir Völker untergehen, mit Freude
seben wir sie von unbedeutenden Anfängen zu immer größerer Bedeutsamkeit beran-
schreiten. Ein solches Bild nun bieten uns die Römer dar, als sie im Rampfe lagen mit
den Germanen, sie, die untergehende Sonne, als sie der aufgehenden entgegenkämpfte,
welche Ursachen die Römer zur untergehenden, die Germanen zur aufgehenden Sonne
machte, welche Gründe den Römern die Unterjochung der Germanen mißlingen ließen, will
ich jetzt hier darzulegen versuchen.
Bei jedem Rampfe, bei jeder Schlacht gewinnt nicht Mut allein, nicht die Übermacht den
Sieg, sondern zu der inneren Rraft und den inneren Eigenschaften der Rämpfenden kommen
oft äußere Umstände, welche dem auf seine Rraft oder auf seinen Ulut, auf seine Rriegs-
zucht oder überzahl pochenden Rämpfenden so sicher gehofften Sieg aus den fänden
geristen haben, wie oft haben nicht kleine Scharen mit Hilfe der für sie günstigen <brt-
lichkeit des Rampfplatzes über die ihnen an Zahl weit überlegenen Feinde Siege erkämpft;
Ich will nur erinnern an die Schweizer, wie sie, ein kleines Häuflein, ein kampfgerüstetes,
auserwähltes Heer, die Blume der österreichischen Reiterschaft — begünstigt durch ihre
Berge und Höhen — niederschmetterten und sich die Freiheit errangen, oder wie die
Tiroler französischer Übermacht standhielten. Solche Umstände waren es auch, welche die
Germanen im Rampfc mit den Römern begünstigten, und solche waren es, welche den
alten Germanen ihre Siege erleichterten und ihren Niederlagen die schlimmen Folgen
benahmen. Der römische Soldat, schwerbepackt, in die feste Rüstung eingezwängt, war
tauglich für den Rampf in der Ebene, da konnte er standhalten und Schlachten gewinnen;
wenn er aber in waldigen Gegenden kämpfen sollte, wo er überall zu straucheln fürchten
mußte, wo seine Reihen und Glieder beim Marsche sich lösen mußten, dann hatte er nicht
nur einen Feind an den ihm gegenüberstehenden Germanen, sondern auch am Boden des
Landes. Don Feinden in unbekannten Gegenden überall umgeben, wußten die Römer nicht,
gegen wen zuerst sie kämpfen, wohin sie die Geschosse richten sollten. Dazu kam der
sumpfige Boden in den dichten Waldungen Deutschlands. Oft mußten die Römer tief im
Schlamme waten, ein Umstand, der den Rampf für sie ganz besonders erschwerte. Doch
trat nicht diese Ungunst des Rampfplatzes auch den Germanen entgegen; Allerdings müssen
wir dies bejahen, aber teils waren sie an den Boden ihrer Heimat gewöhnt, sie waren
dort aufgewachsen und verstanden nicht anders als gerade auf diesem Boden zu kämpfen,
teils waren sie leichter bewaffnet als die Römer; nicht schwere eiserne Helme und Panzer,
nicht gewichtige Schilde führten sie, sondern ihre Ropfbedeckung von rohem Leder, ihre
Schilde von Holz und ihre Speere waren durch Brand gehärtete Stangen, wo die
Germanen alle diese Umstände für sich hatten, erfochten sie Siege; nur wenn sie in der
Ebene auf freiem Felde oder Mann gegen Mann mit den Römern kämpften, wurden sie
ungeschützten Leibes öfter geschlagen.
„Aber nicht die Gewalt der Waffen und die Stärke der Arme ist es," sagt Fichte in seinen
Reden an die deutsche Nation, „sondern die Rraft des Gemütes, welche Siege erficht."
Und diese verschaffte auch den Germanen die Überlegenheit über die Römer, wo lebte
eine Rraft des Gemütes in den Leeren, welche aus gedungenen Söldnern bestanden, die nur
für Geld und andere, nicht für sich oder Ehre, Ruhm und Freiheit kämpften und sich selbst
gegen ihre eigenen Führer meuterisch auflehnten, oder in den Soldaten, welche wohl dem
Namen nach Römer waren, aber nicht der Gesinnung; wie konnten gemietete und durch
Sittenvcrderbniö entnervte Truppen ohne Zucht und Ordnung siegen gegen ein Volk,
das mächtig durch ursprüngliche Naturkraft, stark durch Vaterlandsliebe und durch Ver-
langen nach Unabhängigkeit, für den eigenen Herd, für die eigene Freiheit, für das
heimische Recht, für die heimischen Götter und Altäre kämpften; Es galt einen Rampf
der Entscheidung; alles stand auf dem Spiele, darum mußte alles gewagt werden, lind
diese feste Überzeugung, dieser innere moralische Zwang war es, der den germanischen
Leeren, wenn sie auch an Zahl schwächer waren als die römischen, diesen Ulangel über-
reich ersetzte und sie stark genug machte, mit einem Volke zu kämpfen, das zwar damals
noch die Welt beherrschte, aber doch allen Halt verloren hatte, gleich einem Gebäude,
dessen Inneres die wütende Flamme verzehrt hatte, so daß nur äußere wände übrig
blieben, die von außen den Anblick gewähren, als sei das Haus noch unversehrt, wenn
nun auch die Römer einen Führer hatten, der an Renntnis der Rriegskunst wie an per-
sönlicher Tapferkeit Arminius wohl gleichkam, wenn auch viele einzelne Soldaten großen
Mut zeigten und oft den Ruhm und die Ehre ihrer Väter nicht schändeten, so fehlte doch
dem Ganzen die Rraft des Gemütes, und diese gerade lebte in den alten Germanen.
Dürfen wir aber solche Rraft des Gemütes auch bei ihren Nachkommen voraussetzen,
dürfen wir sic unseren Geschlechtern mit Recht zuschreiben; Trotz der inneren Zer-
splitterung und Haltlosigkeit des jetzigen Deutschlands, trotz der allseitigen Parteien-
spaltung können wir, glaube ich, doch auch jetzt noch eine solche Rraft des Gemütes
annehmen; denn die Geschichte nicht langer Vergangenheit hat es bewiesen, wie bei dem
Andränge der Feinde von außen die Feinde im Innern sich einen, wie jeder parteihaß
und jede persönliche Leidenschaft schwindet und dem gemeinsamen Gefühle, der gemein-
samen Begeisterung fürs Vaterland, für Freiheit zu kämpfen und zu siegen, urplötzlich
weichen muß.
sz
Die Steiermarkfahrt 1027
vom 10. August bis zum ry. September nach Bad Austee
Ln ihrer wirtschaftlichen,
erziehlichen und gesundheitlichen 2luswirkung
Mit guten Gründen habe ich eine geraume Zeitspanne seit unserer Steiermark-
fahrt verstreichen lasten, bevor ich den schriftlichen Rechenschaftsbericht her-
ausgebe, aus dem Glauben heraus, es werde uns und der guten Sache nur
zweckdienlich fein, wenn wir Abstand gewinnen zu dem kühnen Unternehmen.
Ruhn war es auf alle Fälle, und nun nach glücklichem Gelingen kann man
geheimsorgenden Gedanken offen das Wort geben:
wird nicht das finanzielle Exempel über uns zusammenstürzen?
wird ein ordnungsgemäßer Unterricht in der Fremde wirklich möglich und
die geistige Entwicklung der uns anvertrauten Jugend gleich günstig
herbeizuführen fein wie in der Heimat?
werden Schüler und Lehrer und hiermit der Landheimgedanke gesund
bleiben?
Jetzt freue ich mich ungemein, daß dies alles lediglich sorgende Gedanken und
keine Wirklichkeiten waren, daß frischer Mut heute noch in unserem be-
drückten Vaterlande mehr wie je am Platze ist, und daß kühne Tat, mit
reinem Kerzen begonnen und mit gesunder Rraft durchgeführt, auch heute
noch die Richtigkeit des alten Zauberworts beweist: wer frisch umherspäht
mit gesunden Sinnen, auf Gott vertraut und die gelenke Rraft, der ringt
sich leicht aus jeder Fahr und Not. Diesen Ansporn geistiger und körperlicher
Energie haben wir Schulmeister mehr als andere nötig, wollen wir wirkliche
Führer der frischen Jugend sein und bleiben.
Ich habe die Ehre, die große Abrechnung vorzulegen, und möchte einige
Zahlen bekannt geben, beziehungsweise in das Gedächtnis zurückrufen. Die
Elternschaft gab in ehrlichem Vertrauen ihr Liebstes, 117 Rnaben und Iüng-
S5
linge der oberen sechs Rlasten, uns
in Verwallr,* zahlte auf den Ropf
So RM. in die Fahrtkaste ein, eine
anerkennenswerte Schar von Gön-
nern der Schule schuf einen Reserve-
fonds von rund iroo RM. und gab
uns die schöne, erhebende Möglich-
keit, elf Schüler, in erster Linie
Witwensöhne und zweite Brüder,
zu verkürzten Rosten oder frei mit-
zunehmen. Nach unserer Rückkehr
zahlte die Elternschaft in die Schluß-
repartierung nochmals 4 RM. für
den Ropf, und damit ist die große
Rechnung abgegolten. Sie wurde
geprüft von den Studienräten Herrn
Meyer, dem umsichtigen Fahrdienst-
leiter, und Herrn Lau, sie wurde für
richtig befunden, sie hat dem Eltern-
beirat in der Sitzung vom 15. De-
zember J927 vorgelegen, dem Rasten-
führer, Herrn Studienrat Groß, konnte für feine mühevolle Arbeit Entlastung
erteilt werden auf der Gefamtkonferenz vom 10. Januar 192S.
Es stellen einander gegenüber:
ir örö,36 RM. Einnahme
12 do 1,39 „ Ausgabe
24,99 RM. Uberschuß.
Die fast einander berüllrenden Summen von Einnallme und Ausgabe dürfen
nicht Wunder nehmen, wir haben sie llerbeigefüllrt durch die letzte 4-RM.-
Repartition. Einen erlleblichen Überschuß konnten wir nicht bellalten, weil
den Eltern noch weitere Lasten durch privat verbrauchte Geldsummen der
Schüler erwuchsen. Ich hatte anfänglich beabsichtigt, diesen Zustrom — er
sollte eine Ergänzung der Verpflegung sein durch Brotaufstrich zum zweiten
Frühstück und zum Vesper — zu überwachen, llabe es jedoch unterlaßen,
da das schöne Vertrauen der Elternschaft uns gegenüber die Erwiderung
des gleichen Vertrauens nach sich zog. Vielleicht wäre eine taktvolle Über-
wachung doch richtig gewesen; denn der Zustrom war sellr verschieden. Er
wechselte zwischen 120 und )o RM., wie ich mir llabe berichten lasten. Zur
* Fünf Zurückbleiber genossen in der Zeit unserer Fahrt in dankenswerter weife das Gaft-
fchülerrecht im Staatlichen wilhelmsgymnastum zu Rassel.
$0
Belebung der Sparsamkeit im Rinde und zur Belobnung der jugendlichen
Spartaner will ich den geringsten Nebenverbrauch hier nambaft machen,
abgesehen von dem Verbrauch der Herren Oberprimaner:
Robde U I A 20 RM.,
Roth U I B n RM.,
Schesmer O II j 7 RM.,
wörner und Furie U II je 25 RM.,
Robde 0 III )o RlN.
Ich glaube, daß, ungerechnet 2lusgaben für Lichtbildkünste und alpine Sonder-
leistungen, jeder Schüler, auch der stärkste Ester, mit 20 RM. Neben-
kosten hätte auskommen können. Ich knüpfe Kieran die Bitte, die Schule,
welche auf ihren Fabrten große Ziele mit geringen Rosten verbindend billig
zu arbeiten stch die größte Mühe gibt, wirksam durch Zuwendung nur kleiner
Summen an die Jugend unterstützen zu wollen.
Hier wäre ich am Ende des Rechnerischen angelangt, nur ein Geständnis fei
mir noch gestattet. Als Leiter der Anstalt hätte ich gern einen Wirtschafts-
Überschuß des Gesamtunternehmens von rund )ooo RM. erzielt, aus fol-
gender Rechnung Keraus. Unsere Schule war vor dem Währungszerfall reich
und konnte die Zinsen von 102 000 M. als Unterstützungen an unvermögende
Studienrat Groß mit O I
87
Prof. Rolb mit OIL
und geistig wertvolle Schüler jährlich vergeben. Ich stelle zurzeit eine
Statistik zusammen, wieviel kluge, aber vermögensarme Röpfe ihren Lebens-
weg mit gymnasialer Hilfe und Unterstützung zu hoher Leistungsfähigkeit in
bedeutenden Staatsämtern und freien Lebensstellungen begonnen baben. Es
ist eine große Zahl! Die Aufwertung unseres Schulvermögens wird uns
rzoo RNl. Auslosungsrechte wiedergeben. Ich werde nicht ruhen, bis das im
Jahre )<)Z9 an uns vorüberziehende Jubiläum des 150 Jahre alten Gym-
nasiums uns einen Bermögensstand von 10 ooo RNl. beschert, hierzu wäre
mir jeder Beitrag, auch aus einer Schulfahrt, lieb gewesen; aber die Jungen
haben alles aufgegessen. Ich kebre zur Austeeabrechnung zurück.
Es ist gut, wenn eine wirtschaftliche Abrechnung stimmt. Aber eine noch so
gut stimmende wirtschaftliche Abrechnung ist wertlos, wenn nicht die päd-
agogische, wissenschaftliche, erziehliche A b r e ch n u n g
gleichfalls stimmt. Ja, dies schien uns wichtiger als das erste, weil es eine
Staffel auf dem Lebensweg bedeutet, und von diesem Gelingen oder Ulicht-
gelingen, so versprachen wir vor dem Auszug, sollte eine Wiederholung
des Gesamtunternehmens abhängig sein, Hier ist nun ein endgültiges, ab-
schließendes Urteil weniger leicht als beim ersten Punkt meines Berichts.
Denn Bildungsmöglichkeiten lasten sich nie genau mathematisch verrechnen
und aufaddieren. Auch sind Selbsttäuschungen möglich getreu dem Erfabrungs-
$$
wort: quae volumus, libenter credimus! selbst bei ehrlichster Abrechnung. So
mögen die an der Fahrt beteiligten Herren Studienräte zu Worte kommen.
Nach dem Urteil sämtlicher Herren erreichten die Auffeer Leistungen das
Raffeler Maß, ja gingen zum Teil darüber hinaus. Ich persönlich habe in
äußerer und innerer Rontrolle, die bei dem Mangel an Entfernungen leicht
zu verschaffen war, die Überzeugung gewonnen, daß die Schularbeit dort nicht
geringer zu bewerten war als in Raffel unter gewohnten Verhältnissen. Es
war auch nichts anderes zu erwarten; denn der Unterricht war in sämtlichen
wissenschaftlichen Fächern, mit Ausnahme von Physik (0 l, 0 II, U II und
O III), in der Gesamtstundenzahl angesetzt worden, über die Erwartung der
Behörde hinaus, die der Ansicht war, daß lokale Landeskunde der neuen
Umgebung sehr wirkungsreich einen Teil des Gesamtunterrichts ersetzen
könnte. Aber wir wußten, daß unsere Schüler leistungsfähig find, wenn wir
ihre Bereitwilligkeit gewinnen, und blieben bei unserem Plan. Für die fremd-
sprachlichen Fächer, auch für Deutsch, wählten wir Schriftsteller aus; der die
Fahrt begleitende Herr Pfarrer Tonrad, Raffel, übernahm in liebens-
würdigem Entgegenkommen Ronfirmandenunterricht und Religionsstunden,
durch Verlegung von Zeichnen und Turnen auf Mal- und Turnausflüge in
den Nachmittagsstunden, durch Beschränkung des Musikunterrichts auf Lieder
bei Wanderungen und den täglichen Märschen zu und vom Mittagstisch und
$0
Studienrat (pberzeichenlehrer Rneipp mit 0111
Studiendirektor Dr. Luckhard mit 01
Abendtisch, auf musikalische Abende im Heim gewannen wir, früh um 7 Uhr
beginnend, soviel Raum, daß wir einen Tag der Woche für große Wande-
rungen heraussparen konnten. Unendlich wohltätig wirkte die Arbeitsstunde
von r bis 3^, bzw. 4 Uhr nachmittags. Sie sollte die treue Überwachung der
Schüler durch das Elternhaus bei häuslichen Arbeiten ersetzen und bat so
segensreich gewirkt, daß kaum ein Schüler unvorbereitet im Unterricht
erschien. Es war eine Lust, ging man durch die Arbeitszimmer, zu sehen, wie
allentbalben unsere Schüler zu zweien oder dreien in gegenseitiger Anregung
und Belebung über den Schriftstellern saßen und sich gegenseitig abschliffen.
Ein Vergleich der Zeugnisse am darauffolgenden weihnachts- und Ester-
termin mit den in Auffee auf der Schlußkonferenz gegebenen fällt zugunsten
der Auffeer Zeit aus. Ulan sollte an einer treuen Erledigung der häuslichen
Arbeiten hier in dem ablenkungsüberreichen Raffel verzweifeln und die Ein-
führung einer Arbeitsstunde als sehr segensreich überall da ins Auge faffen,
wo häusliche Verhältnisse die Überwachung des Rindes für das Minimum
moderner Hausaufgaben als unmöglich erscheinen lassen.
Der Erfolg der Ausseer Zeit liegt auch darin begründet, daß ein Lehrerwechsel
fast ausnahmslos vermieden werden konnte. Anders schon mußten die in
Raffel zurückbleibenden Rlaffen VI—U III, obwobl der Unterrichtsverteilungs-
plan Estern )yr7 die große Fahrt vorsah, sich Lehrerwechsel gefallen lassen.
Jugendlich elastische Anpaffungsfäbigkeit muß jeden Lehrerwechsel in wenigen
90
Studienrat Lemme mit OII
Stunden überwinden. Das alte Preußentum bat seine jungen Bürger im
unerbittlichen pflichtbegriff selbst unter den ungünstigsten Erziehungsverhält-
nissen berangezogen, und so bat es auch an starken Männern nie gefehlt, und
eine staatliche Struktur wurde geschaffen, die in unserem unglücklichen Rriegs-
ausgang den Auseinanderfall des Reiches verhütete.
Disziplinarstrafen kamen in Auffee kaum vor, die verschwindend wenigen Falle
von Unbotmäßigkeit glich man durch Hausarrest aus. wir Lebrer haben
unsere Schüler menschlich bis zur Durchleuchtung des Innersten kennengelernt,
mit dem guten Geist, der aus ibren Augen berausleuchtet, kann man als
Erzieher sehr zufrieden sein, wir verfügen über ein guterzogenes Schüler-
material, das enge Zusammenleben im Heim und den Nachbarvillen gab
reichlich Gelegenheit, die guten Anlagen der seelischen Verfassungen klar zu
entwickeln, mehr noch als daheim im Drang des Großstadttages. Es sind
meine amtlich schönsten Erfabrungen, die ich in Aussee machte, und die reizen-
den Bilder bleiben den Kerzen der Fabrtgenossen buntlebendig und lebens-
frisch für alle Zeiten.
Es ist daber möglich, wenn ich noch einmal zusammenfassen darf, einen Ge-
samtunterricht umzulagern, in ein fremdes Gelände zu verpflanzen und unter
denkbar einfachsten Verhältnissen der Lebensweise Unterricht zu geben analog
den beimatlichen Bedingungen. Allerdings müssen einige wenige Grundbedin-
gungen in der Fremde erfüllt sein: Die Fahrtteilnebmer vom Amt müssen
9)
Studienrat tUcrcr mit UII
Herr und Meister sein in ihrem kleinen Rlaffenbereich, so daß in dem engen,
vertrauten Zusammenleben von Lebrer und Schüler auch die erziehliche
Wirkung neben der unterrichtlichen beobachtet werden kann. Sie muffen die
Rlaffe unterrichten können auf einem Baumstamm am Dorfausgang, auf der
wiese am Waldrand, auf Stühlen der Rurpromenade, auf der Gartenbank
an der Landstraße, auf der Veranda am Brückenwehr, ja selbst an Regentagen
im Schlafsaal (omen absit) und im Zimmer der naben Gastwirtschaft. —
Die Jugend muß sich willig und freudig geben. — Reine Disharmonie der
Fahrtleiter untereinander darf die Fahrt beeinträchtigen. — Damen, die die
Fahrt begleiten, find gern gesehen, wenn sie in den sechs Wochen keine An-
sprüche an ihre Männer stellen. — Jeder, der mitfährt, muß sich bereithalten,
zu helfen und zu dienen.
Das war auf unserer Auffeefabrt Gott sei Dank der Fall. Auf dieser glück-
basten Grundlage zeigte sich von Anbeginn ein Gemeinschaftsgeist, der bei den
österreichischen Brüdern aufrichtige Bewunderung fand. Rückhaltlos be-
staunte man die preußische Bedürfnislosigkeit, die unermüdliche Pflicht-
erfüllung, die treue Dienstauffaffung, mit der wir — so sagte mir ein Öster-
reicher — (wir Hessen) den Siebenjährigen Rrieg und die Freiheitskriege
gewonnen baden sollten. Äußerlich zeigte sich dieser Geist in dem Trommel-
klang, der uns um 6 Uhr früh weckte, in den Unterrichtsstunden, die durch-
yr
Studienrat Ziegler mit 016
weg, abgesehen von acht bis neun Regentagen, im Freien stattfinden konnten.
Die Raffeler Gruppe war in aller Leute gutem Mund. Aussee bat unsere
Schüler liebgewonnen, wenn sie in bester Form, unter primanerkommando,
ein frisches Lred auf den Lippen, zu Tisch und zurück marschierten, wenn sie zu
Ausflügen ausrückten oder jede Ermüdung tapfer niederkämpfend wieder in
die (Quartiere zurückzogen. Ein jeder war getragen von der großen Ver-
antwortung: was du tust, es fällt auf dein Gymnasium zurück. Schöner und
würdiger kann ich mir eine Schulgemeinde nicht denken. Ihre wahren
Grundlagen liegen im Dienst für die Allgemeinheit. Auch scheint mir dies
kein kleines Stück Erziehung zu echtem, wahrhaftigem Staatsbürgertum.
Mit leichter Mühe ließ sich der Rlaffengeist in die rechte Bahn des neuen,
ungewohnten Zusammenlebens lenken. Das Rapitel Selbstverwaltung löste
sich von selbst in trefflicher Selbstzucht. Der Morgentrommler brauchte nie,
selbst nicht, wenn eine Ausfahrt auf 4V2 Uhr früh angesetzt war, aus einer
Verschlafenheit geweckt zu werden, und als ein nervöser Rurgast sich die
nächtliche Trommelei verbat, stand er stramm und rief zum Fenster hinauf:
„handele nur auf höheren Befehl!", worauf der österreichische Rurgast
sich vor dieser preußischen Selbstverständlichkeit zurückzog. Nach dem Früh-
stück, das auf den hölzernen Tischplatten sich nicht ganz fleckenrein vollzog,
da Marmelade leicht träufelt und Raffee sehr dünnflüssig sein kann, blinkten
93
Studienrat Dr. Feyerabend mit 0111
die Tischflächen sofort unter den fänden des Hilfsdienstes wieder sauber, um
der nächsten Unterrichtsstunde eine würdige Grundlage zu geben. Gkne
Mucken verlief der Rüchendienst: Holzhacken, Rartoffelschälen, BoKnen-
schneiden, Butter und Wurst abwiegen, Koffentlich mit nachhaltiger Wirkung
für das Familienleben, pünktlich lief der Dienst ab, durch das Glocklein des
Heims geregelt, oft auf StüKlen der beiden Promenadenwege, die durch
unser Schülerquartier hindurchzogen. Mancher Rurgast Kat hospitiert, ein
altes Bäuerlein war häufiger Stammgast bei den Raffeler Studenterln,
selbst bei dem Binomischen Lehrsatz. Reibungslos vollzog sich Sport-
und Spielwartschaft, Heimbüchereiverwaltung, Gerätverwaltung, Wetter-
beobachtung (für Ausflüge), ja selbst eine Gberpostdirektion für den Brief-
verkehr nach und aus der Heimat. Auch eine gesunde Rritik im Schülermund
stellte sich ein: der Mittagstisch der Herren Studienräte auf der Veranda
vor dem Schülerspeisesaal hieß das „Hauptquartier", und das Abend-
kommando „zu Bett", um 9 Uhr für die Mittleren, um )o Uhr für die
Großen, die „Polizeistunde".
Daß bei einer solchen Symbiose einer ganzen Schule oder wie Kier der sechs
oberen Rlaffenverbände tüchtige, wertvolle Freundschaften entsteken und die
Schüler, die sich sonst in großen Städten nur von der Schulbank kennen, eine
kameradschaftliche Treue für das ganze Leben Kerausbilden, daß Lekrer
94
und Erzieher ein ganz anderes Verhältnis zu ibren Schülern gewinnen, ist
wohl allseitig anerkannt, so daß es besonderer Erwähnung nicht bedarf. Ver-
steckte Fähigkeiten werden entdeckt, -Hemmungen werden klar, Lösungen
lasten sich finden. Die kleinen Idealisten und Materialisten offenbaren sich,
und ein neuer Maßstab der Beurteilung wird gewonnen. Die Bildungs-
möglichkeiten der Umgebung (Mundart, Sitte, Gebrauch, Bevölkerungs-
charakter, beimische Runst, Baustil, Landeskunde, Feldbestellung) werden im
Unterricht ausgenutzt nach Rräften und festeln Lehrer und Schüler ungemein.
Lokalgeschichte wird in den Rahmen des großen weltgefchebens eingearbeitet.
Geologische Erkenntnis der durch eiszeitliche Vorgänge umgestalteten Land-
schaft wird gewonnen. Die Lichtbildkunst der Schüler hält Land und Leute
im Bilde fest. Der steierische Menschenschlag ist feingliedrig und gewandt,
süddeutsch liebenswürdig und innerlich fein. Ein Feuerwehrfest im ^Valde bei
St. Leonhard, das wir mitfeiern durften, stach durch feines Taktgefühl, reine
Festfreude und würdige Lebensform so sehr ab von manchem Gegenstück in
unserem engeren Vaterlande, daß man glauben mochte, das Volksfest spiele
sich in den gebildeten Formen der Schauspieler auf der Kasseler Bühne ab.
Das Hochgebirge veredelt die Menschen innerlich und äußerlich, nach alt-
germanischen Begriffen ist es Götterbezirk mit fühlbarer Götternähe.
Studienrat Meyer mit 016
95
Ausiee mit Sandling
Es ist gut, daß solch ein Landaufenthalt sechs
Wochen nicht übersteigt; denn er verlangt von
dem Erzieher eine ideale Dreingabe von Lebens-
kraft und auch Vermogensgut in dem Maße,
daß uns die Ferien nie willkommener am Hori-
zont unseres Gymnasialhimmels ausleuchteten
als nach der Steiermarkfahrt. Durch Anspan-
nung und Abschleifung von früh bis spät, durch
die stets lebendige Verantwortlichkeit für Seele
und Rorper der anvertrauten Jugend muß nach
unserer sechseinhalbwochigen Erfahrung der
aufrichtige Lehrer eines Dauerinstituts dieser
Art, etwa eines Landerziehungsheimes, sich
zweifelsohne frühzeitig aufreiben. Der freie
Lehrer der deutschen Schule darf jedoch auch
einmal durch dieses Fegefeuer der Verantwort-
lichkeit hindurchgehen, und wäre es nur für
einen Monat im Jahr, damit ihm Verantwortungstiefe und Verantwortungs-
freude in vollem Umfange zuteil werde. Die Landheimfahrt für sechs Wochen
Der Hausmeister von Auffee
96
Auf der Loserhütte
Landheimaufenthalt dünkt mich ein unentbehrlich Stück moderner Pädagogik.
Und nrin komme ich dazu, das hohe Lied der alpinen Landschaft zu singen und
ihrer Einwirkung auf die Seele unserer Schüler aus dem Mittelgebirge.
Auffee liegt auf dem Grunde eines großen eiszeitlichen Sees, den rooo m
hohe Ralkfelsen in grotesken, charaktervollen, eigenartigen Formen umgeben.
Rein Gipfel gleicht dem anderen, ein jeder ist von verschiedenen Seiten be-
trachtet verschiedenartig schon. Bon diesem prähistorischen Seenbecken sind
nur vier kleinere Wasserflächen übriggeblieben: Auffeersee, Grundlsee,
Toplitzsee, Rammersee; der ehemalige Seeboden liegt, eine grüne wiesen-
matte, in einstündiger Ausdehnung zwischen den Bergen; in ihn haben drei
Arme der Traun, 5—6 m tief, sich eingegraben. Am Bereinigungspunkt der
Traunarme liegt Bad Auffee, zehn Minuten flußaufwärts das Rosegger-
Jugendheim, unser (Quartier, mit seinen Nachbarvillen. Es gibt wohl nichts
Reizvolleres als, in glänzendem Sonnenschein gebadet, diesen imposanten
Wechsel von Flußtal, Hochwiese und Alpenbergen: Loser, Triffelwand, Rad-
ling, Rotelstein, Zinken, Saarstein und Sandling täglich zu erleben und an
Wandertagen in zwei bis drei Stunden zu erreichen bis zu den Ruppen
hinauf. Und steht man auf diesen beherrschenden \£öben, das reizendste Bildchen
zu Füßen, den Weitblick über die Alpenketten bis zu den Hohentauern im
07
Gottesdienst
I
Vor dem Dachstein
Esten und dem Berchtesgadener
watzmann im Westen, dann emp-
findet man die Allmacht Gottes
und seiner unbegreiflich schönen
Werke, lind mitten in diese
Zauberwelt hinein ein Gottes-
dienst in Sonntagsfrühe auf der
Hochwiese am Heim: zwei Geigen
präludieren ein zweistimmiges
Solo von Gorelli in die blaue Luft
hinein: rings an den Rändern der
Hochwicsen die stolzen Berge, fern
im Süden der blinkende Dachstein-
gletscher, eine fromm-freudige
predigt von Herrn Pfarrer Gon-
rad, — oder nicht minder ergrei-
fend in der kleinen Diasporakapel-
le, die wir Evangelische seit Iahr-
hunderten mal wieder füllten,
ein greiser Prediger, ein feurig-
geistiger Gottesmann, mit den
evangelischen Resten aus der Zeit der Gegenreformation. Reiner kann
stch dem schönen Land entziehen, hiervon verspreche ich mir den nach-
haltigsten Eindruck auf die jugendlichen Seelen. Die stolze Erhabenheit der
Landschaft verändert bald die Einstellung zur Ulatur, man verliert zunächst
den heimatlichen Maßstab, aber nach einer Woche bat man Abstand
gewonnen, um mit dauerndem Gewinn beobachten zu können,
llnd dann nur acht bis neun Regentage.* Aber was für Regentage! Um
Ruppen und Höhen wirbeln Wolkenfetzen, von allen hängen stürzen waster-
bäche, oft senkrecht, herunter, die sonst so sanfte Graun donnert, ein wilder
Strom, zu Gal. Das find unvergefiene Eindrücke, sie haften ewig. Gott redet
zu den Menschen im Gebirge eine andere Sprache als zu den Ulenschen der
Ebene, wer das erlebt, besten Gefühlsleben ist tief und für Lebenszeit
ergriffen. Ulan begreift, daß fromme Nlalerei und Herrgottsschnitzkunst in
den Bergen immer wieder neue Heimstätten fanden, und daß die Lieder hier
oben kein Ende nehmen. Zudem lebten wir inmitten eines kerndeutschen
Stammes, der aus seiner Sehnsucht, ins Reich zurückzukehren, kein Hehl
macht. Ich persönlich bin dem Anschlußgedanken gegenüber skeptisch in die
Steiermark gefahren und kehre als ein begeisterter Freund des 2lnfchluß-
* „Heuer babn mer an Sommer!" sagten stolz die Steirer, in deren Land, wie eine garstige
Sage kündet, die Säuglinge mit einem Regenschirm geboren werden.
00
gcdankens zurück, mag vom utilitaristischen Standpunkt aus dagegen geltend
gemacht werden, was da will. Ich glaube, es ist eine Angelegenheit der
Ehre unseres Volkes.
Der landschaftliche und erdkundliche Ersahrungsgewinn unserer Jugend mit
gründlicher Inaugenscheinnahme einer Eiszeitlandschaft im Kalksteingebirge
ist nicht abzuschätzen. Er ergriff durch den gleichzeitigen Zauber der Schönheit
alt und jung und prägte sich tief ein. Ich brauche nur kurz die Zielpunkte
unserer Ausflüge auszuzählen, um frohe Bestätigung bei Teilnehmern zu
finden und Fernerstehende zu überzeugen:
Altauffeersee (709 m), Grundlsee (709 m), Toplitzsee (716 m), Kammersee
(7)0 m), Hallstättersee.(497 m), Gosausee (90S m), Ödensee (764 m), Augst-
see (1600 m), Wildensee (1554 m); Treffenstein (1214 m), Loserhütte,
Loser 0836 m), ^ochanger (1832 m), Sandling mit Salzbergwerk (17)6 m),
Lawinenstein (1961 m), pübringerkütte, Schönbergalpe mit Rieseneishöhlen
(1463 m), darinnen parstvaldom (no m lang, 35 breit, 20 hoch), König-
Artus-Dom (155X65X16), deffen Bodenfläche fast 5600 qm, die Höble selbst
in gewundenen und verzweigten Gängen mehrere Kilometer sich unter
dem Dachsteinmassiv ausstreckend; Simonyhütte (1200 m), Dachstein (2996 m)
mit Dachstemgletscher. Auch die Stationen der Hin- und Rückfahrt: Dürnberg,
Xoseyyer-Landheim 2lussee
1 00
Große Wäsche der UII
paffau, Ischl, St. Wolfgang, Nlondsee, Salzburg (Jugendherberge auf
der ^ohen Salzburg), München (Deutsches Museum, Jugendherberge
plvmphenburg) erhöhen den Bildungswert der Fahrt.
Ich hatte vor der Ausfahrt versprochen, Hochgebirgstouren nicht zu unter-
nehmen. In Auffee jedoch hörten wir, auf den Dachstein könne man in Lack-
schuhen steigen. Fünfzehn Erlaubnisscheine der Eltern ausgesucht kräftiger
Oberprimaner trafen ein, die ihren Söhnen die Besteigung mit erprobtem
Führer gestatteten, da habe ich zur Bekrönung der Fahrt zum Schluß den
Dachstein freigegeben, habe mein Geschick mit dem der fünfzehn Teilnehmer
verbunden und bin an einem günstigen Tage mit zwei Führern hinaufgestiegen.
Unsere Jugend ist in Auffee nicht verwöhnt worden, weder durch Guartiere
noch Verpflegung. Die Anstrengung des Bergsteigens nahm sie gern auf sich,
die wissenschaftliche Tagesarbeit als etwas Gegebenes, das eben dazugehört;
denn in eine Ferienfahrt hatten wir uns nicht hineinbegeben. Unter dieser
Voraussetzung nur fand die Fahrt ihre pädagogische Berechtigung. Ver-
wöhnung wird niemals ein starkes Rönnen zustande bringen. Zur Arbeit
und Leistung bringen in der Pflicht des Tages und gleichzeitig die jungen
Kerzen gewinnen im Turnen, Spielen, Zeichnen, auf Ausflügen und in Land-
heimaufenthalten, durch umfassende Arbeit für die Jugend, scheint mir aller
Erziehungskunst Rätsel.
IO)
X>on einer gesundheitlichenAus-
wirkung unserer Steiermark-
fahrt könnten wir nicht reden,
batten wir zehn Jugendführer
uns nicht unterstützt gesehen
von vierzehn Damen, die —
teils Schülermütter, teils An-
gehörige des Rollegiums —
sich den Dank unserer Schüler
für unermüdliche, aufopfernde
Tätigkeit in allen Fragen der
Verpflegung und der Jugend-
pflege verdient haben. Dfsiziell
hatte wohl Herr (Oberschulleh-
rer Schaake die wirtschaftliche
Verpflegung und das Rechen-
exempel für Mittag- und Abend-
brot übernommen, und er führ-
te sein Amt mit einem Eifer,
der ihm in Austee allgemein
Rang und Titel eines Magen-
inspektors eintrug. Aber wie
in Haus und Hof der Haus-
herr von fleißigen weiblichen fanden umgeben sein muß, so war in unserem
Eßquartier, dem Alpenheim, im Roseggerheim und in den anderen Guar-
treren eine rastlose Tätigkeit fleißiger Frauenhände zu bemerken, die
jederzeit hilfsbereit, besonders bei den jüngeren Schülern, Zugriffen und
das ganze Werk erst lebensfähig gestalteten, Und nicht allein im Küchen-
dienst, den die Schüler abwechselnd stellten, und der unterstützt werden
mußte, nicht nur bei Ausgabe vom ersten Frühstück, Mittag, Kaffee und
Vesper, im Flicken zerrissener Hosen, Stopfen zertrümmerter Strümpfe,
Durchsehen der Leibwäsche und waschen der Bettwäsche, nein, auch in
gesundheitlicher Überwachung, im Verbinden kleiner Wunden, im Ersticken
aller Anginafälle in den ersten drei Rrankheitstagen, in der Verwaltung der
Revierkrankenstube, auch in seelischem Zuspruch und manch beruhigendem
Wort haben unsere Damen es fertiggebracht, daß kaum ein Schüler Heim-
weh nach Vater und Mutter bekam. Ich möchte auch hier dem tiefempfundenen
Dank der Schule unseren Damen gegenüber nochmals Ausdruck verleihen,
wir hatten in Austee nur Z4 kleinere Krankheitsfälle, fieberhafte Hals-
befchwerden, von zwei bis drei Tagen Ausdehnung, gegenüber zirka So
in dem vorhergehenden Vierteljahr hier in Rastel. Ein Krankheitsfall,
)CZ
Am Bruckenwehr
Blinddarmentzündung, machte sich bereits in Bebra auf der Hinfahrt bemerk-
bar und führte zur sofortigen Operation nach der Ankunft im Krankenhaus
Auffee. Diesen Fall kann man wohl nicht gut auf Konto unserer Fahrt setzen,
er war nach drei Wochen völlig ausgeheilt. Unsere einfache, reichhaltige,
unkomplizierte Ernährung bewirkte, daß nur eine ernsthafte Magenver-
stimmung vorkam. Die Verpflegung war kräftig und hat vollauf genügt.
Bei der Jugend freilich entwickelte sich, ohne daß die Gestalten korpulenter
wurden, bald ein unheimlicher Appetit. Messungen nach drei Wochen zeigten
eine kleine Gewichtsabnahme, bei einer Messung zum Schluß konnte ein Er-
reichen des alten Körpergewichts und ein Darüberhinaus in den meisten
Fällen beobachtet werden. Aber die Substanz war verändert. Unsere Jugend
sah prachtvoll gesund aus in den Bergen, tieffonngebräunt, ohne überflüssige
Fettpolster, ohne Hustenerscheinungen; hoffentlich ist auch bei allen Be-
teiligten eine tüchtige Abhärtung gegen Infektionen aller Art, auch eine
dauernde Kräftigung der hierzulande leichtempfindlichen Drüsen infolge des
salzhaltigen Klimas im Salzkammergut zu verzeichnen. Vierzehn Stunden
im Freien, sechs Unterrichtsstunden in sonnigen Gärten (die Ausseer sagten:
Homer in Badehosen), Luftbad in allen pausen, Flußbad täglich, Turnspiele,
Geländeläufe, Wanderungen, Bergfahrten, und zu allem sofort zur Ver-
fügung nette Kameraden, dies muß äußerlich und innerlich für unsere Schüler
Im Grundlsee
Diel, sehr viel bedeuten. Ge-
rade Landkeimaufentkalte mit
starkem klimatischen Reizwech-
sel sind von vorzüglicher Wir-
kung auf den jugendlichen Or-
ganismus und geeignet, Rrank-
Keitsreste und versteckte Scha-
den zu entfernen, wir lebten
oro Meter Koch und befanden
uns in nächster Umgebung des
Heims in einviertelstündiger
Entfernung bereits i ooo Meter
Koch. Solbäder Kaben wir nicht
nehmen lasten, weil die schwie-
rige Rurmethode unsern ersten
Fakrtversuchen schwer durch-
führbar erschien, auch liefen
wenige Meldungen ein. Die
Jugend gediek auch ohne dies,
sie fak nicht mekr wie Rriegs-
und Nachkriegsjugend aus, und
cödenseebad ein nächstes Mal würde es
schwer fallen, die gleiche An-
zahl Schüler auf Erholungsfürsorge fakren zu lasten wie 1027. Nach all
dem, was ich angefükrt, läßt sich meines Erachtens die Frage, die bereits
ein Ouell rechtswistenschaftlicher Erörterung geworden sein soll: Darf
die Schule für sechseinhalb Wochen ein Rind der erziekenden Gewalt des
Elternkauses entzieken; leicht beantworten. Unsere Schüler haben Abstand
gewonnen von den keimatlichen Verhältnissen, um desto inniger nach ikrer
Rückkehr die alte Heimat lieben zu können. Sie Kaben in der primitivsten
weise geschlafen, spartanisch einfach gegessen und unter denkbar einfachen
woknungsverkältnisten gearbeitet, selbst Rleider und Schuhe gereinigt, Eß-
tische gesäubert, Lagerstätten geordnet, Stubendienst und Reinigungsdienst
jeder Art im t^eim getan, so daß sie bei ikrer wiederkekr eine bessere
Würdigung der mütterlichen Rüche und der Rulturgüter in der väterlichen
Wohnung nach Hause bringen. Eine Vorwegnähme großer Erlebnisse ist es
nicht, was wir taten, im Gegenteil, wir tun, wenn wir einen vergleichenden
Blick auf dre Erziehung des jungen Engländers werfen, zu wenig in dieser
Einsicht. Denn der gewinnt in jungen Jahren durch Reisen einen überblick
über die ganze Welt, erweitert seinen Anschauungskomplex in umfassender
Form, er verliert die kleinen Bedenken und das hemmende, Einengende der
IO 4
alten Heimat und bleibt doch
ein treuer Sohn von Alt-Eng-
land, in dem seine wiege ge-
standen. Er ist frei von inne-
ren Rümpfen, in denen wir
Deutsche uns erschöpfen.
Zudem sind wir in deutsch-
redenden Landen gewesen, die
uns die liebevollste Aufnahme
bereiteten, auf die man kosten
durfte. Frau Medizinalrat
Mizzi Hofer*, Bad Austee,
überwachte in nie ermüdender
Treue wirtschaftlich unsere
Selbstverpsiegung, wie ikr
Herr Gemahl gesundheitlich die
Fahrt betreute. Herr Lehrer
und Schriftsteller Rarl Dank-
wart Zwerger führte die (Or-
ganisation von (Quartier und
Ausflug mit Feuereifer durch.
In seiner Schöpfung, dem Ro-
seggerheim, wohnten die mitt-
leren Rlasten. Herr Apothekenbesttzer Mlady gab kostenfrei für uns Rasteler
alle Salben, wattemengen und Verbandsstoffe für Fußkranke, auch Arzneien
bei AnginadroKung, Herr Zahnarzt Dr. Zelenka behandelte kostenlos. Eine
liebenswürdigere Aufnahme als wir in Auffee hatten, durch die Greste, die
städtischen Behörden, durch Herrn und Frau Landesoberregierungsrat
Dr. Frauberger ist schlechtweg nicht denkbar. In Österreich findet man noch
deutsche Treue wie in den Zeiten Walthers von der Vogelweide. Zum Ein-
stand wurde uns fast vom ganzen Städtchen ein Fackelzug gebracht und ein
Willkommabend veranstaltet im Vleuper Prater mit Feuerwehr- und Rur-
kapelle, zum Abschied ehrten unsere Schüler die Hauptverdienstvollen der
Fahrt mit folgenden Versen:
Für Herrn Landesoberregierungsrat Dr. Frauberger und Frau Gemahlin
(mit einem Landgrafenorden):
Niemand hat es so nett auf Erden wie sie's
Als Landgraf und -gräfin vom irdischen Paradies.
* Nur einmal, als auf einem Gesellschaftsabend mit Steirern unsere Primaner absolut
das Auffeclied mit Jodlern vortragen wollten, vrlor sie die Geduld und sagte: „wann's
singen wollt, singt's fesch, sonst blamiert's Euch lieber gar net."
105
Arbeitsstunde
X>on Zauberbergen umgibt ein Band
In hehrer Schönheit Ihr grünes Land,
Ihre weißen Felsen in schimmernden Höhn,
lln dunkeln Wäldern Ihre tiefblauen Seen.
Gott gebe, daß hier sich stets erneue
in strahlender Rlarheit die deutsche Treue.
Für Frau Mizzi Hofer, Medizinalratsgattin
(mit einem Rrönchen und einer Torte):
Muse, verleihe mir die Rraft
lind dichterische Leidenschaft,
Daß es mir gelinge,
wenn ich das Lob von Frau Hofer singe.
was wäre die Raffcler Gruppe
Ohne sie! Eine wickelpuppe!
lind die ganze Expedition
wäre verlaufen im Hohn
Der kleinen Bedenken!
So aber am Ende der Fahrt
Sei nicht mit dem Lobe gespart,
Und ein Wunsch sei eingeflochten
In dieses Stück Torten:
Daß nie das Alter bremse
Diese Ausseer Gemse
Und die allerhöchsten Berge
Für sie seien nur Zwerge,
Und sie stets klimme und steige
lind der deutschen Jugend
Ulit rüstiger Tugend
Die Bergpfade zeige.
Dafür wird sie heute abend verwöhnt
Und dankbar gekrönt.
Für Herrn Apotbekenbesitzer Mlady
(mit einem Sanitätsorden):
Jetzt bringen die wunden Füße,
Die zerstoßenen Arme und Hände
Ihnen Dankesgrüßc
lind wünsche ohne Ende.
Hoch lebe in Ihnen die Pharmacie,
Apotheke und Drogerie!
wie wären doch jedenfalls
Die Schmerzen in Leib und Hals
Gewichen ohne Ihre nie endenden
und gütigst gespendeten
Binden und Pillen und Tropfen und Jod.
Sie vertrieben den Tod
Aus unseren Reihen:
Drum in bester O.ualität
Den Orden der Sanität
wir Ihnen weihen.
Für <$errn Studienrat Meyer
(mit dem Reiscmarschallorden):
Auch die Mühe der Reise
perlangt ihre Preise:
Das Spekulieren nach bester Verbindung
lind ihre Verkündung
lind das Organisieren,
Daß das Gepäck wird getragen
lind keiner entpurzelt dem wagen,
Daß die Scheiben
Ganz bleiben
lind die zerbrochenen man repariere
lind die Sorge für gute Ouartiere,
Für päffe und Zoll
lind daß die Jugend nicht gar zu toll
Es treibe im wagen,
Dafür möchten Dank wir sagen,
wir Schüler all
llnserem Reisemarschall
lNit diesem Orden. —
Er ist reizend geworden.
Für Herrn Studienrat Groß
(mit dem Reisekassenordcn):
Das Geld
Beherrscht noch immer die Welt,
Drum sei auch dem Herrn der Raffe,
In der Geld in Maffe,
linser aller Dank nicht verwehrt
Und er durch diese Zier
Aus Goldpapicr
Geehrt.
Er rechne und spare weise
Für die nächstjährige Reise.
Für Herrn Dberschullebrer Schaake
(mit dem Erbswurstorden):
Ludwig, bücke dich;
Ludwig, ich schmücke dich
Für all deine Braten,
Rakaos und Rouladen,
Brote und Rase und Würste
Und die köstlichen Specktunken,
Die Erreger der Dürste,
Mit denen du uns delektiert,
wirst du jetzt freudetrunken
Geziert:
Für die Genüsse aller Sorten
Empfange den Erbswurstordcn.
Der Abschiedsabend verlief köstlich. Unsere Schüler haben eine nicht zu unter-
schätzende Gewandtheit erhalten des Einlebens und Einsindens in fremde Ver-
hältnisse, die bald befreundete wurden, in das Leben von Deutschen, die sich
nicht deutsch nennen dürfen, die sich ins Reich zurücksehnen, weil sie wissen,
daß sie sich wirtschaftlich und national verbluten unter dem Druck umgebender
Feinde, wenn nicht ilmen die Rückkehr gelingt, was ich bei unseren Schülern
höher halte als realen Gewinn an Gesundbeit und wisiensgut, das ist der
unermeßlich große ideelle Gewinn, mit den Idealen einer wunderbar schönen
und edlen Landschaft, die eine deutsche ist, erfüllt zu werden. Nichts vermag
in unserer Zeit kleiner Kämpfe dabeim und großer Kämpfe draußen um unser
Volksschicksal mehr zu stärken innerlich und damit auch äußerlich, als eine
Fahrt in das Ideal-Schöne. Dr. Luckbard.
JO 7
Rückblick und Ausblick
Das i5o. Jubiläum feiert die Anstalt als Gymnasium, ste kann jedoch als
Lateinschule auf weit größere Zeiträume zurückschauen. Als Rechtsnach-
folgerin ist ste durch Umwandlung aus der izdy im Martinsstift begründeten
Gtiftsschule und der i5Z9 neugeordneten Städtischen Latein-
s ch ule, gleichfalls im Kreuzgang der Martinskirche, erwachsen; ste ist in
der Lage, in den nächsten Iahrzebnten die 400. und 600. Jubelfeier festlich zu
begeben. Die Anstaltsgefchichte ist demnach ein großes Stück deutscher
Schicksalsgeschichte und der Entwicklungsgeschichte der deutschen Bildung.
In die Geburtsstunde der Anstalt als Stiftsschule fallen die langwierigen
Kämpfe Hermanns des Gelebrten gegen die ritterlichen Bünde, in denen er,
gestützt auf Stadtburgen und Bürgerbeere, seinen hessischen Territorialstaat
schuf. Bürgerliches Beamtentum, auf seiner Schule vorgebildet, löst den
Feudaldienst ab, der ritterliche Großgrundbesitz beginnt der bäuerlichen
Wirtschaft das Feld zu räumen. Die Stürme der Reformation verdrängen
aus den Mauern der Stiftsschule den Geist der Scholastik und brechen Babn
dein Humanismus. Als Städtische Lateinschule überstand ste die
wirren der großen Kriege von dreißig und sieben Jahren. Mit überlegener
Kraft kämpften am Ausgang dieser Zeiten gegen die althumanistische Bildung
im Kreuzgang von St. Martin die ritterlichen Hofschulen, die seit dem
großen Krieg französischen, technischen, realen, modernen Bildungszielen
Raum gaben, und als die Anstalt, in sich zu starr und von sich aus zu schwach,
um Reformen sich zu erschließen, erdrückt zu werden drobte durch die Kon-
kurrenz vornehmlich des Larolinums, da rettete sie ein neuzeitlich empfin-
dender, bochgebildeter Fürst, Landgraf Friedrich II., indem er ibr das
Gepräge eines neuhumanistischen Gymnasiums gab. Seitdem,
seit 1779/ ist ste, lange Zeit konkurrenzlos, die Trägerin gelcbrter Bildung in
unserer Heimatstadt gewesen. Die Romantik schenkte ibr den bedeutendsten
Schüler, Jakob Grimm, das Bismarcksche Zeitalter einen der strebsamsten,
Prinz Wilhelm, den Erben des alten Reiches. Freiheitskriege, der Deutsche
Krieg, der Weltkrieg fanden unsere Schüler auf allen Schlachtfeldern, sicher-
lief) nicht als weltfremde Idealisten. Nach der großen Niederlage stellte
die Schule ihre vollen Rräfte ein, beim Wiederaufbau unseres Staates, zu
ihrem Teil unwandelbar treu dem humanistischen Ideal. Im kamerad-
schaftlichen Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler brauchte kein Wechsel
einzutreten, wohl änderten sich die Methoden des Unterrichts durch Aus-
bildung: des arbeitsunterrichtlichen Verfahrens, einer engeren Arbeits-
gemeinschaft der Lehrer untereinander aus Grund des Ronzentrations-
gedankens, der freien Arbeitsgemeinschaften von Schüler und Lehrer, des
Demonstrationsunterrichts mit Sprechapparat und Epidiaskop in allen
Fächern, der Mustklehre, des künstlerischen und handwerklichen Unterrichts in
Papp-, Holz- und Metallarbeit, schließlich des orthopädischen Turnunter-
richts.
was wir erstreben, ist vor kurzem auf knappem Raum gesagt worden, wir
möchten unsere Schüler zu deutschen Männern heranbilden, die mit der voll-
endeten Selbststcherheit des antiken Menschen, unter voller Selbstverant-
wortung freudig das Leben ergreifen und werterfüllt zu gestalten verstehen,
wir möchten ihnen die von den edelsten Griechen so heiß erstrebte öüxpooomni
einhauchen, den Sinn für Maß und 3iel, den Formwillen im weitesten Um-
fang, der alle Lebensäußerungen adelt und das Leben, ja schließlich die ganze
Welt zu einer Wohlordnung, zu einem xoo[xog werden läßt, wir möchten
in ihnen bei unbedingter Behauptung der Einzelpersönlichkeit die heiße Hin-
gabe an das Ganze, an die gemeinsame Sache, an den Staat als eine Selbst-
verständlichkeit erreichen, wir möchten die Schüler zu kräftiger Abstraktion
zwingen von modernen zu antiken Gedanken, um sie desto urteilskrästiger
und urteilsfähiger zurückzuführen in ihr pflichtbereich im Vaterlande,
wir möchten in ihnen den treuen Thristen erhalten und den lebenstüch-
tigen, schaffensfrohen Deutschen heranbilden. Gott schenke dem Friedrichs-
gymnastum in unserem Freistaat gesunde Entwicklung und langwährende
Blüte! Or. Luckbard.
1)0
Die meisten Lichtbilder
sind von Schülern aufgenommen
Die Titelzeichnung ist durch Schülerhand entstanden
Druck von
Tkicle $ Schwarz, Rassel
13- Mai 1981 -zg.
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QpCARD 101
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