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srühroft und
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ADenNAsSCHEINN.
(AR. (FU (il
nn Ein Sang aus dem Lehrerleben
Von SPP FPFPFPHFSFFHPSFPSS
Heinrich Bertelmann.
x.
CASSEL 19083.
Kommissionsverlag der Hess. Schulbuchhandlung
(Rudolph Röttger).
LAND Lo-
\IBLIOTEL.
"A605
Der Lenz.
A
Die Amseln singen so froh und munter,
Der Frühling ist kommen vom Himmel
herunter.
Ganz leise schlich er zum Garten hinein,
Wo Primeln schlafen und Veigelein,
Und flüstert heimlich und flötet und lacht,
Bis sie erwachen in herrlicher Pracht.
Da läuten die Glocken in Busch und Beet. —
Und der Frühling schaffend im Walde steht.
Aus modernder Erde und Winterlaube
Keimt es empor wie neuer Glaube;
Von Hoffnung geschwellt, voll süsser
Träume
Wiegen sich lustig die knospenden Bäume.
Weit hängen heraus am Bache die Weiden,
Die silbernen Kätzchen, die mag er gern
leiden,
1
4
Und an den Hecken der Haselstrauch
Flaoxoet mit goldenen Fähnlein auch.
na Wiesen und Felder im Talesgrund
' ”iten T°npiche, farbenbunt.
t freudetränendem herzigen Gruss
>e-t Massliebchen des Frühlings Fuss,
"Ind der Lerche frohlockend Liedergetön
Klinget hernieder aus blauen Höhn. —
Pa setzt er sich endlich am Hügel nieder
Und atmet den Duft und lauschet der Lieder,
Die er gewecket in Berg und Tal
Und denket sehnend der Nachtigall. —
Da kommt ein. Bursch des Weges daher,
Als wüsst’ er. nicht, dass es Frühling wär’,
Geht in gar trübem, träumendem Sinn
Unter den lustigen Bäumen hin;
© -hw'rrt ihm ein Buchfink um’s Gesicht,
° 3ert ihm zu: „Du törichter Wicht,
"tu denn nicht den duftigen Gruss,
71 «lu zertrittst mit rauhem Fuss?
*'nickst mir alle die spriessenden Halme,
Fa Zeilen- der ‚Erde Dankpsalme !
Hörst du denn nicht des Bächleins Lied,
Wie es jubelt durch Wiese und Ried?“
War. nicht der Vogelsprache kund. —
„Fringilla coelebs — ist gar bunt;
— U d. -
Die Stirn ist schwarz, der Nacken blau,
P°”r Rücken braun, der Bürzel grau,
Pie Brust ist rot, die schwarzen Flügel
Sind weiss und gelb gestreift.“ — Am Hügel
Dor Frühling horcht ganz verwundert hin,
ar gar betrübt in seinem Sinn,
Z ass ein so junges Blut nicht sieht,
Wenn der Lenz in die Lande zieht;
Dass es nichts ahnt von dem neuen Leben,
Das wieder wirkt in stillem Weben;
Dass es nicht dankt für den Sonnenstrahl,
Den Wundertäter im Erdental. —
Am Hügelrand wie. in stillem Gebet,
Da steht nun der Bursch und steht und
steht,
Und wischt sich den Schweiss aus dem
Angesicht,
Doch die bittenden Veilchen, die sieht er
nicht.
Da leuchtet es rot aus dem Heckendorn,
Er bückt sich und pflückt sich den Lerchen-
sporn;
Doch kaum, dass er ihn abgepflückt,
Da wird er im Büchlein platt gedrückt,
Soll nun als Leiche zu den andern
In’s reich gefüllte Herbarium wandern. —
€ —
Der Frühling hat sich abgewandt,
Hält zu die Augen mit der Hand;
Die Veilchen zittern, auf ihren Wangen
Sieht man verstohlene Tränlein hangen. -
Nun steht er droben am Meilenstein
Und schaut verwundert in’s Tal hinein;
Zu seinen Füssen im grünen Grund
Birgt sich ein Dörflein traulich bunt.
„Am Ziel, am Ziel“, ruft er freudig bang,
Dann setzt er sich nieder und schauet lang
Unter des Abends goldenem Schein
In. seine neue Heimat hinein. —
Ay
Der Lenztag mag der Nacht nicht weichen,
WOoCh glänzt aus holdem Himmelblau
Dos Abendrotes glücklich Zeichen
::erab aufs kleine Friedenau.
Am £<chulhaus, nah’ beim Kirchlein droben,
Wo. .still die alte Linde harrt,
AuPs Kleid, das ihr der Lenz gewoben,
So oft er Herr im Lande ward,
Da liegt des Tages letztes Glühen
Am Fenster, wo die Rebe rankt,
Wo heimlich kleine Rosen blühen,
Und schaut hinein und lacht und dankt, -—
sum Bf
Und aus der Tür, die wilder Wein umrankt
Mit knospenreichen Trieben, tritt heraus
Die Kantorin mit leichtem Schritt; sie trägt
Den Rechen in der Hand; gar hurtig glättet
Die Wege sorglich sie im Blumengarten.
Zwar schauen unterm weissen Häubchen
schon
Die Silberlocken kraus und dicht hervor;
Indes die runden roten Wangen wollen
Von ihrem Alter noch kein Wort verraten.
Ihr klares Auge glänzet sonnenhaft,
Als wie. am Bach. ein. blau. Vergissmein-
nicht, —>
Des Hauses Arbeit, Sorge, Müh’ und Plage
Hat noch an jedem Morgen sie geweckt,
Zumal am heut’gen, der ihr nicht einmal
Zum Mittagsschläfchen mocht’ ein Stünd-
lein gönnen. —
Jetzt richtet sie sich von der Arbeit auf,
Zum Fenster trippelnd, bleibt sie lauschend
steh'’n:
„Schläft noch! Gott segne seine Ruh’ und
lass
Ihn froh erwachen mir zum Abendbrot“: —
Nun lässt sie aus den winterlichen Hüllen
Die Rosen aufersteh’n; wie freut sie sich,
Dass nicht ein Stamm des Winters Raub
geworden,
8 —
Zu neuem Leben drängt’s aus jedem Reis.
Und wie ihr Blick die blauen Krokus streift,
Ist ihr’s, als grüsse Gottes Güte, Treue
Aus diesen Blumen froh zu ihr empor.
Sie denkt vergang’ner Tage ihrer Jugend;
„Ein Lenztag war’s wie heut’, da ein wir
zogen;
Mir ist, als ob es gestern sei geschehen,
Grad so wie heute blühten Krokus hier.
Und manches Wetter, mancher schwere
Schlag
Bedrohte uns und machte uns so bange;
Dann war es lang vom Gestern bis zum
Heute1“-
Nach Last und Leid, sie zogen stets vorüber,
ı heute dünkt mich: hinter uns verloren
„€ lauter Lenzeszeit. Ich weiss es noch,
3 draussen standen uns’res Dörfleins Leute,
Hier drängte sich die frohe Kinderschar
Im Festtagsstaat mit Kränzen und Guir-
landen;
Dort stand er, wo der Fliederbaum nun
breitet
Die runde Krone; mit bewegtem Wort
Sprach er den Dank, versprach. die Treu’
zu wahren.
Und Treue hielt er bis zu dieser Stunde,
Of
Ihn lockte nie die reich’re fett’re Pfründe,
Sein Friedenau, es ging ihm nichts darüber.
Und wie er heute unter heissen Tränen
Abschied genommen von der kleinen Schar,
Wie sie ihm scheidend an den Händen
hingen,
Ich konnt’ ermessen seinen grossen Schmerz:
Wo man sein ganzes Herze hat versenket,
Wo man sein Bestes hat dahingegeben,
Das ward ein Teil von unserm ‚eignen
Selbst,
Und reisst man los sich auch, die Wunde
bleibt;
Doch musst’ es sein, die alte, arme Brust
Zerbrach ihm fast in seinem schweren Amt;
Nun sitzt er da und quält mit Sorgen sich,
Wer würdig nun in seinem Sinn und Geist
Fortfahren‘ wird, die Jugend“ zu erziehen:
Führ Gott uns nur den Rechten in das
Haus!“ —
Wie sie so denkt, fliegt gleich dem
Schmetterling
Marie, das munt’re Ding, ihr Töchterlein,
Froh aus dem Haus, das Mütterchen um-
schlingend:
10
„Nun kann er kommen, Mutter, blitzeblank
Erwartet ihn das Erkerstübchen droben;
Ob er wohl gross ist oder klein und ob
Er freundlich auch und wenig hübsch mag
sein ?“
„Was schwatzest du nur da, du töricht Kind,
Da wind dem Vater einen Sonntagsstrauss !“
Und lachend sich Marie herniederneigt,
Dass sie Aurikel, Veilchen, Krokus pflückt.
„Für Vater diesen und für „ihn“ den
andern“,
So lispelt leise sie und folgt der Mutter.
Drauf treten beide in das Haus; schon
mahnen
Die Kirchenglocken an des Sonntags Nähe.
Sie bleiben steh’n und horchen, — wie ein
Singen
Tönt es heraus, die Mutter drückt die Klinke:
Da, am Klaviere sitzt der alte Mann!
Was er so lange, lange nicht getan,
Nun singt er wieder mit bewegter Stimme,
Aus seinem Herzen quillt das alte Lied:
„Lobe den Herren, o meine Seele,
Ich will ihn loben bis in’n Tod.
Weil ich noch Stunden auf Erden lebe,
Will. ich lobsingen meinem Gott;
1
Der Leib und Seel’ gegeben hat,
Werde gepriesen früh und spat.
Hallelujah, Hallelujah!“ —
Und bei des Liedes letztem Loblaut,
Da streichelt sie sein Haar mit sanfter Hand.
Nun hat erhoben sich der würd’ge Greis;
Sein Auge strahlt, das bleiche Angesicht,
Sanift rötet es ein leichter, roter Schimmer.
„O teures Weib“, spricht er, „heut musst’
ich singen,
Ob meine Brust auch krank und sterbens-
wund,
Ich fühlt’ im Traume stark mich und gesund,
Im Gotteshause war’s, wo ich gestanden;
Dort sah ich unser Kind im holden Kranz;
Die beiden Hände wollt’ ich segnend breiten,
Den heissen Kuss auf ihre Lippen drücken,
5 ı wsckte mich der feierliche, Klang
ocken, die den lieben Sonntag rufen;
iummte mich zu einem Lobgesang.
/.bendrotes Leuchten lacht mir zu
wohe Zuversicht. Vollendet liegt
„In Tagewerk, das wie die gold’ne Sonne
Zur Rüste ging; ein rosenlichter‘ Schein
Fällt grüssend noch herüber in den Abend,
Die dunklen Schatten liebend zu verklären‘‘,
Die Kantorin wischt eine Träne still;
„So frohen Mutes, voll Vertrauen — ja,
So kenn’ ich Dich, so seh ich’ gern den
Blick !
Wie Frühling draussen nach der Winter-
nacht
Zurück uns kehrt, zu schmücken Feld und
Auen,
So bricht aus Deinem alten Herzen jetzt
Ein Sonnenstrahl, hell wie aus Jugendland,
Und lindernd wird er Deine Schmerzen
lösen. —
Sieh’ heute, da Dein Gott gerufen Dich
Aus seinem Feld zu stiller Rastezeit,
Erfährst Du seine Gnade, Treu und Liebe.
Schau diese Blumen aus dem Garten an:
Sie wollen heute Deine Lehrer sein,
Sie steh’n im Beet und steh’n und blüh'n
und warten
Auf Gottes Huld und warmen Sonnen-
schein‘. —
Und froh bewegt nimmt er aus ihrer Hand
Den Frühlingsgruss und küsset Weib und
Kind.
„Ja Blumen, Blumen, ach, die vollen Beete,
Sie blühten immer unter meiner Hand,
13 —
Und wenn ich ihnen nicht mehr nahe bin,
Dein bleibt, o Gott, die hoffnungsvolle Saat;
Die zarten Triebe, schütze ferner sie,
Und führ’ den rechten Gärtner auch herbei
Und sorg’, dass er mit meiner —' deiner
Liebe
Der Himmelsblumen treuer Hüter werde!“
Die Dämm’rung hat derweil sich einge-
schlichen.
An’s offene Fenster sind sie da getreten
Und schauen in die Nacht mit stillem
Beten. —
en
Da klopft es an die Türe zaghaft an.
„Herein!‘“ — „Grüss Gott! Ich komme,
würd’ger Herr,
Von Eures Amtes Last Euch zu erlösen.
Vertrauet mir und nehmt als Gast mich
auf!‘ —
„Willkommen heiss’ ich Euch viel tausend-
mal
In unserm weltverlass’nen Erdenwinkel !
Ein ernster Schritt ist’s, den Ihr da gewagt;
Man meint, man trüg’ den Himmel in den
Händen
Und könnte alle Welt damit beglücken.
-— 14
Wie ist der Kopf so voll von grossen
Plänen!
Wie jagen sich die kühnlichsten Gedanken!
Seht her, wie diese zarten Blümelein,
So tretet Ihr voll Frohsinn in die Welt,
Und Frost und Sonnenbrand — Ihr kennt
sie nicht.
Ihr seht mich fragend an, so ist’s mein
Freund‘;
Doch tretet nur herzu, Ihr bringet Glück
In unser Haus, in uns’re alten Herzen!“ —
Die Kantorin heisst ihren Gast recht
herzlich
Willkommen, schüttelt kräftig seine Hände;
Marie hat ihm das Ränzlein abgenommen.
D’rauf ist gar bald das Abendbrot bereitet.
Nun schau’n sie sich einander in die Augen
Beim Lampenschein. Marie läuft hin und
her
Und trägt im Kopf ein tolles Durcheinander,
Sie bringt den Tee und lässt den Zucker fort,
Stösst in der Eile an die offne Tür,
Dass sie des Giessers süssen Rahm ver-
schüttet.
Und wie sie endlich sich zum Tische setzt,
Nachdem sie eben Zucker noch geholt,
Versalzt sie sich den duft’gen Labetrank.
15
Ihr wird so heiss, sie sieht im Spiegel sich
Und schaut:empört sich an;:o, diese Pein!
Wie ist sie froh, als nun der Vater bricht
Das ernste Schweigen, da er freudig nickt:
„Aus Lenzbach also, ach wie manchesmal
Bin ich gewandert durch die schönen Auen,
Des lieben Orts, da ich noch jung, wie Ihr!
Schon lange schläft mein Freund im kühlen
Grab;
Mit seinem Namen tauchen Feld und
Fluren
Und Wald und Wiesen wunderbar empor
Wie ein verloren Paradies, darinnen
Lustwandelten wir einstmals Hand in
Hand. —
Kaum schlossen sich der Schule Pforten zu,
Dann nahm ich Hut und Wanderstab zur
Hand,
Gen Lenzbach gings, zum lieben, treuen
Freunde.
O glaubt es mir, das waren sel’ge Stunden,
Da wir, im Glauben, Lieben, Hoffen eins,
Den Himmel strahlen sahen voller Sterne. —
Und doch war’s eine böse, schlimme Zeit,
Liegt nun weit hinter uns, ist gern ver-
gessen,
Und das Geschlecht von heute wird sie kaum
So recht verstehn, weil gar zu hart sie war.
16 -
Nur schweigen, hiess es, jedes Drängen,
Streben,
Nach Freiheit, Recht und Licht galt gott-
los, frech;
Knechtssinn und Finsternis und Heuchelei
Regierten hier zu Lande ohne Schranken.
Dass man verleugnet, was den Menschen
erst
Zum Menschen macht, die Freiheit der
Gedanken,
Mag sagen Euch, wie schlimm es ist ge-
wesen.
Auf uns’rer Schule gab es dürft’ge Bissen,
Und Goethe, Schiller lebten nicht für uns;
Klaudius und Hebel, viel mehr gab es nicht.
Wer immer trug ein fromm Gesicht zur
Schau,
D’rin auch kein Bart die sünd’ge Miene
barg,
Solch’ Muster gab die sicherste Gewähr,
Dass man den kleinen Geist der Zeit begriff.
Und als wir dann hinaus in’s Leben traten,
Da blies ein and’rer Wind uns um die
Ohren:
Wie atmeten wir auf in freier Luft!
Wie freuten wir uns Gottes schöner Welt,
Die der Allgütige auch für uns geschaffen!
17 —
Zur Freude; ach, wie mags ergrimmt ihn
haben,
Wenn junges Blut genarrt am straffen Seil
Hinstolpert blindlings durch die Blütenauen,
Wenn angstvoll viele Augen drüber wachen,
Dass plötzlich nicht die dreiste Hand er-
greife
Ein Blümlein, ums in froher Lust zu küssen,
Wenn harte Herzen grübeln Tag und Nacht,
Wie man der tollen Jugend abgewöhne
Das Lachen, dieses. Freudesprüh’n des
Herzens! —
Welch Glück, dass nimmer stille steht die
Zeit,
Die gütig uns entriss der dunklen Enge. —
Do« ı von dem Freunde wollte ich erzählen:
An cinem goldnen Sommertage wars,
E° hüllte rings den Haag ein Blütenschleier,
ir zogen still geniessend durch die Lust,
Frireuend uns an Farbe wie an Duft.
Und wo ein Bienlein süssen Honig trank,
Da setzten wir uns fröhlich wartend nieder,
Und schauten zu, bis ’es sich satt getrunken,
Und weiter gings, wie Kinder, jubelnd
weiter. —
Nun standen wir am steilen Hügelrande,
Wo hinter uns der Buchendom sich dehnte,
Vor uns im Tale Lenzbach lachend lag.
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Und wieder haben stille wir getrunken
Die Paradiesesstimmung; da — ich seh
mich um —
Und vor mir steht mein Freund verklärten
Auges,
Begeistert hielt ein Buch er in der Hand -
Er schwang es — und beglückt sah er
hernieder:
„Schillers Gedichte‘ — kams aus seinem
Munde
In einem Tone, der wie Jauchzen klang. —
Und in dem grünen Grase lasen wir
Bald laut, bald leise, bald mein Freund,
bald ich,
Und lasen bis die Stern am Himmel
standen ;
So haben wir noch manchen Sommertag
Geschlürft aus diesem reichen Liederborne.
Vergessen kann ich nie den Augenblick,
Wie wir einst ruhend auf der Wanderung
Im Wiesental am Bache Blumen. pflückten,
Und sie zu Schillers wehmutsüssem Sang
Den Wellen weihten; wie dann ahnungsvoll
Mein Freund mir mit Prophetenblick ver-
kündet:
„Du wirst einst glücklich deine Hütte bauen,
Mich reisst das Schicksal wie die Blume
fort!“ —
-— 19
Und so geschahs, in voller Jugendkraft
Ward unter Lenzesblumen er gebettet.
Mir hinterliess er jener Bände vier,
Die Werke Schillers, und so oft ich greife
Nach ihnen, ists, als wollte grüssen mich
Ein Händedruck aus meinem Jugendland. —
Doch Euch liegt das wohl fern, Euch ‚liegt
das weit;
Ich seh, das Mütterchen schläft uns bald
ein, -—
Will Euch nicht länger mit Geschichten
plagen
Aus ‚jener ‚alten, bösen — — schönen. Zeit;
Nun ists.an Euch, uns Neues zu:be-
richten“, -—-
„Ach, wenig ists was ich Euch hab zu
sagen“,
Erwidert drauf kleinlaut der junge Mann;
„Wenn man, wie ich, von toller Schicksals-
laune
Umhergeweht, ein Heimatloser heisst,
Wenn ich nicht weiss, wo meine Wiege
stand,
So wisst Ihr schon genug. Doch hört den
Grund :
Bei Sedan wars, wo einst mein Vater fiel.
O*
Ya
Im herben Schmerze schenkte meine
Mutter
Das Leben mir, das ihre dranzugeben. —
So hat mich nie in süssen Schlaf gesungen
Mein Mütterlein auf ihren lieben Armen;
Nie hat auf meinem jugendlichen Haupt
Geruht des Vaters treue Hand, zu segnen
Des Sohnes hoffnungsvolle, künftge Zeit. —
Und wenn ich wähnte, dass die Wissen-
schaft
Vergessen machte meine stillen Qualen,
Sie malte’ mir erst recht mein Unglück aus,
Wenn sie das Lied der Mutterliebe sang.
Ein Fremder kehr in Eurem Haus ich’ ein’;
Doch sonderbar — es heimelt mich hier
an“;
— Und zu der Kantorin sich traulich
wendend, —
„Verzeiht ‚es. mir, es brennt mir auf. den
Lippen,
Ihr schaut so lieb, so herzig heut mich an,
Mir ists, als grüsste mich mein Mütter-
lein‘“. —
Und näher rückt das traute Wort die Herzen,
Wie tröstend nickt die Kantorin ihm zu.
Indes der Vater atmet tief und schwer. —
21
Dann neigt sie sich, wischt heimlich eine
Träne;
Legt ihre Rechte auf den Arm ihm, spricht:
„Gewiss mein Freund, das Lieblichste auf
Erden
Bleibt stets der Heimat Glück; doch Ihr
seid jung.
Vor Euren Füssen breitet herrlich sich
Das Leben aus, drin. könnt Ihr wieder-
finden,
Was Ihr beklagt, könnt selber einst Euch
bauen
Ein eigen Heim, dann wird der treue Gott
Euch überschütten noch mit seinem
Segen. —
Ihr dürft nicht traurig, — sollt nicht freud-
los sein,
Das lasst dem Alter; seht uns Beide an,
Die wir einst dachten in dem goldnen Rot
Des Lebensabends stilles Glück zu trinken,
Wir stehn so einsam nun auf kahler Höh.
Wir hatten einen hoffnungsvollen Sohn,
Den hat uns auch der blutge Krieg ent-
rissen ;
Bei Sedan wars, wo Euer Vater fiel,
Da hat auch::er sein frühes Grab ge-
funden.“ —
Und schweigend sitzen dann sie eine Weile;
5 8 u
Nun feierlich erhebt der Kantor sich
Und nimmt des Sohnes Bildnis von der
Wand.
Sie neigen alle liebend sich herzu,
Betrachten innig seine edlen Züge:
Die schmalen Wangen und das scharfe
Auge,
Die vollen Lippen, über denen sich
Die zarten Spuren eines Bartes zeigen,
Die hohe Stirn, von schwarzem Haar um-
lockt. —
Da plötzlich schaut Marie vom Bilde auf,
Nimmt sich den Gast aufs Korn, — die
Stimme bebt,
Wie sie das sagt: „Ihr habt viel Ähnlichkeit
Mit meinem: selgen. Bruder, ‘finde ich.“ —
Die Mutter meint: „Das gleiche Alter trügt;
Franz war ja schwarz, und unser lieber Gast
Ist blond.“ — Errötend hörte es Marie,
Die wie verlegen an dem Tischtuch zupfte.
Der Kantor schaute, weit zurückgelehnt,
Empor, als’ wie in ferne, ferne Zeiten. —
Er hatte überhört Mariens Wort
Und wandte plötzlich sich zum jungen
Manne,
Griff seine‘ Hand. und hieltsie zitternd fest
Und sah ihm tief ergriffen in die Augen:
923
„In einem Felde schlafen unsre Toten,
Wie wunderbar!“ — Worauf der Jüngling
spricht:
„Es hat mir immer furchtbar weh getan,
Dass ich von meines Vaters letzter Stunde
Kein Wörtlein je vernommen; niemand
wusste
Von all den Streitern, die die Heimat sahn,
Jemals nur spärlich Kunde da zu melden.
Habt Ihr von Eurem Sohn nichts erfahren D“
„O ja, es. hat ein treuer Kamerad
Berichtet mir von meinem Heldensohne. —
Er sah den Führer von dem Tod bedrängt,
Den schlimmen Streich hat er wohl ab-
gewehrt.
An einem Hügel fand mein Bote ihn;
Ein Waffenbruder lag an seiner Seite,
Ein Sterbender wie er, und Himmelstrost
Rief einer noch dem andern liebend zu;
Drauf reichten sie sich noch die starren
Hände
Und zogen siegreich so ins ewge Land.: —
Ein letzter Gruss an Vater und an Mutter,
Das Tagebuch, die Uhr — der Totenschein
Ward uns bescheert zum heilgen Weih-
hachtsfest.®—
Jetzt schritt bedächtig er zum Schreibtisch
hin,
iQ
Und alle schauten nach ihm tief ergriffen.
Im Tagebuche blättert zitternd er:
„Hier steht des treuen Freundes Namenszug
Auf dem vergilbten, blutbefleckten Blatte;
Man siehts, der Tod hat diesen Gruss
diktiert.““ — —
„Was muss ich sehn hier — meines Vaters
Namen! —
Ja, ja, er ists, kein Zweifel ist daran! —
O tausend Dank für diese einzge Kunde;
Des lieben Vaters letzter Augenblick,
Er war nicht trostlos, nicht so ganz ver-
lassen!
Mit einem Freunde zog er droben ein,
Und dieser treue Freund war Euer Sohn! —
Lob meinem Gott, der her mich hat geführt
In Euer Haus, dass hier ich finden möchte
Am Tage, da ich ein in’s Leben trat,
Den letzten Gruss von lieber Vaterhand! —
O, dieses Blatt mit seinen teuren Zügen,
Ihr schenkt es mir, es ist ein Heiligtum,
Das ich bewahren will mein ganzes
Leben!“ —
Erhoben hatte ernst der Jüngling sich. —
Mit beiden Händen hielt er krampfhaft fest
Das teure Blatt; die Kantorin, Marie,
Sie standen alle tief erschüttert da. —
Drauf spricht der Kantor mit bewegter
Stimme:
„Dass heut’ Euch grüsste unter meinem
Dach
Der Vater, junger Freund, bedeutet Glück;
Es ist, als wolle mahnen er den Sohn,
Der in des Lebens Kampf sich mutig wagt:
Sei tapfer, streite bis zum letzten Zug,
Denn nur dem Sieger winkt der grüne
Kranz! —
Nehmt drum als gutes Zeichen dieses
Blatt: —
Stosst an, dies Glas, es gilt der schönen
Zeit,
Die Euch mit offnen Armen heut erwartet!
Vergangnes kehrt nicht wieder; doch es
gibt
Uns Mut und Lust, ins Zukunftsland zu
fahren;
Drum haltet. diese Züge stets in Ehren,
Sie reden still zu Euch von dem, was war,
Und dann von dem auch, was ihr werden
sollt. —
Ein wunderbarer Abend heut, fürwahr!
So ernst und still, voll heil’ger Sabbatruh
Und doch voll Kampf; ich habe ausge-
stritten,
25
Ihr fangt erst an, und beide weinen wir
Um Helden, .die zu früh für uns gefallen. —
Lasst ihrer uns beim Abendsegen denken,
Uns aber ernstlich vor die Augen stellen,
Dass auf uns rechnet bald ein neuer
Tagın —
Und nach dem Beten wünschen sie sich
alle
’ne gute Nacht. Die Kantorin noch scherzt:
„Nehmt hübsch in acht, was diese Nacht
Ihr träumt,
Erfüllen wird sichs, könnt mirs wirklich
glauben.“ —
Da, wie der Gast zur Türe wandte sich,
Glitt er fast aus auf einem Blumenstrauss,
Den ihm Marie im Stillen zugedacht,
Und ihrer Hand wohl ahnungslos entfiel;
Nun lag zertreten er am Boden da.
Marie, schnell bückend sich zur Erde,
schalt
Als Törin sich; der junge Mann wollt eben
Zuvor ihr kommen, weh! -— da stiessen
sich
Die beiden Köpfe unsanit aneinander;
MM
— OD
Doch lachten beide drauf sich heiter an
Und schauten sich verlegen in die
Augen, —
„Der holden Blumen Absicht war das nicht“,
Versetzte lächelnd gleich die Kantorin. —
„Die werd ich mir zum schönen
Angedenken
In meiner Sammlung sorgsam aufbewahren“,
Erwidert drauf der junge Mann und ging,
Geleitet von der Kantorin, zur Ruhe. —
An Pa
Der Sonntag.
Noch schläft das Tal in süsser Ruh’,
Ein Nebelschleier deckt es zu:
Da rauscht es und regt sich im Berges-
walde, -—
Es kommen die Rehe zur tauigen Halde
Und schauen so sicher, so froh umher,
Als wüssten sie, dass heut Sonntag wär;
Kommen bis an des Gartens Raum
Unter den alten Apfelbaum.
Droben in den knospenden Kronen
Tut ein lustger Buchfink wohnen.
Mitten in.rosige Blüten hinein
.aute er gestern sein Nestlein klein.
Ruhig noch schläft er im Bettlein weich,
Träumt in den Sommer sich glücklich und
reich. —
Da hat ein Hund die Rehe gewittert,
Und waldwärts rennen sie schreckdurch-
zittert.
N
29
Das hat das Finklein aufgeweckt,
Wies nun da steht, sich plustert und reckt!
Gar hurtig streichts sein Nestchen grad
Und ordnet seinen Sonntagsstaat.
Rasch hüpft es heraus vorn auf den Zweig,
Stimmt an sein. Morgenliedlein gleich.
Es war ein Lied gar frisch, nicht lang,
Doch klangs wie heller Lobgesang.
Und immer dann lauter schmettert er,
Als wüsste er, dass es Sonntag wär.
Und Blütenduft und Vogelsingen
Den Schulhausgiebel reich umdringen.
Da öffnet der Himmel‘ sein golden Tor:
Königin Sonne tritt hervor.
Des Diademes feuriger Kranz
Umstrahlt das Tal mit lichtem Glanz.
Und wie sie steht am Siegesbogen,
Da kommt der Sonntag ins Land gezogen.
Ganz leise durch den Wald er geht,
Bleibt stille stehn wie im Gebet;
Da eilen die Rehe auf ihn zus;
Wie er sie. streichelt! Er liebt.die Ruh,
Und Vöglein fliegen ihm auf den Hut,
Er lacht: und; nickt „Ich. bin Euch: gut!“
Und wo eine Knospe streift seinen Fuss,
Zerspringt sie freudig mit duftigem. Gruss
- A) —
Nun tritt er’heraus: ins: freie. Feld.
Wie hat sich verändert die ganze Welt!
Die Täler, die Höhn, sie scheinen erneut.
Wie er so lächelt und drüber sich freut,
Schwinden die Nebel vor seinen Blicken,
Da grüsste ihn die Sonne mit frohem Ent-
zücken,
Ist ja der Königin liebster Sohn,
Stehet am nächsten ihrem Tron;
Und wie er das Dörflein vor sich schaut,
Winkt er ihm Grüsse wie seiner Braut,
Lie-l so. versteckt. unter. knospender, Lust,
Möcht es wohl drücken gleich an die Brust.
Feierlich blinkt im Sonnenglanz
Still das Kirchlein aus blühendem Kranz;
Da klingen die Glocken
Erst fern, dann nah,
Es tönt wie Frohlocken:
„Der Sonntag ist da!“ —
Und wie er wandelt die Strasse herauf,
Fliegen die Fenster, die Türen auf.
Geputzte Kinder springen hervor,
Die Nachbarn plaudern am Gartentor.
Im Rasen spazieren die Mägdelein,
Suchen zum Sonntag sich Veigelein.
Und unter der Linde zu kurzer Rast,
Lässt er sich nieder, der liebe Gast.
9.
al
-= 83 —
Wie wartend schaut er zur Kirche hin,
Nickt „Guten Morgen‘ der Kantorin;
Öffnete eben die Fensterlein
Dem milden Sonntagssonnenschein.
Und wie der Buchfink den Sonntag sieht,
Schmettert er laut sein liebstes Lied.
Und aus dem Garten ruft es ihm zu:
„O Sonntag, o Sonntag, wie schön bist du!“
Marie hat sich zum Kirchgang geschmückt
Und schnell noch ein Blümchen abgepflückt,
Nun läuft sie hin und her im Garten,
Sie trägt ein wonnevolles Warten;
Der Sonntag lugt herüber und lacht
Und spricht für sich hin: „Ich hab mirs
gedacht!“ —
Dann steht er auf, und wie er winkt,
Vom Turme wieder die Glocke klingt,
Dass sie die Leute gross und klein
Lade zum Gottesdienste ein.
An der Tür bleibt er jetzt stille stehn,
Lässet alle vorübergehn.
Zuerst die heiteren, hüpfenden Jungen,
Die schon im Feld sich müd gesprungen;
Mit roten Wangen, zersaustem Haar
Eilen sie zu des Herrn Altar.
30
Dann trippeln kleine Mädchen daher,
Mustern sich, wer wohl die Schmuckste wär!
Burschen und Mädchen nahen dann bald,
Necken sich, denken schon an den Wald,
Wo sie sich heute wieder finden,
Beim Liederklang den Reigen zu winden.
Endlich kommen Männer und Frauen,
Die gar ernstlich vor sich schauen,
Grüssen kaum mit stummen Mienen,
Als hätt keine Sonne für sie geschienen,
Schlr nen daher von den Wochentagen
Schwer an bangen Sorgen und Plagen,
Haben den Sonntag noch nicht geseh’n,
Seh’n ihn auch nicht vor der Kirche steh’n.
Traur‘” schüttelt er da sein Haupt,
„Hütte °s nimmermehr geglaubt“,
Flüstert, :r, „dass zur Kirche hin
Ziehen die Menschen im Werktagssinn.“
Die Glocke hält schon manchmal ein,
Da wankt ein altes Mütterlein
Des Wegs daher zum Gotteshaus,
Im Buch den Rosmarienstrauss.
Das tiefgefurchte Antlitz trug
Im Auge noch den höhern Flug.
Sie drückt dem Sonntag still die Hand.
Beseli-t denkt sie an das Land,
Wo keine Sorge mehr beirrt,
Wo ewger Sonntag gefeiert wird.
Verhallt ist nun der letzte Klang,
Da schreitet mit bedächt'gem Gang
Der würd’ge Pfarrer zum Altar,
— Des Wegs wallt er schon dreissig Jahr —
Dar ist des Sonntags liebster Freund,
Der ’s stets am besten hat gemeint.
Zu seiner Seite gehet still
Der, den der Sonntag grüssen will.
Er hat ihn an die Hand genommen,
Heisst stumm, doch‘ herzlich ihn will-
kommen
Und führt ihn in die Kirche ein;
Drin flutet Sonntagssonnenschein.
BAR
Das Schulhaus liegt in Lenzessonnenpracht.
Der Sonntag steht am Fenster schon ein
Weilchen
Und nickt hinein viel lieben, treuen Gruss.
Wie ihm ums Herze heut so wohlig ist!
Da sitzt am Sofa der Pastor behäbig,
Der überstandnen Pflicht des Tags sich
freuend;
Wie schmeckt das Pfeifchen in der Ruh so
gut,
Das Friedenspfeifchen, wie ers scherzend
rennt,
ca
34 —
Das schon seit Jahren hier in Friedenau
Ihm Sonntags Labung reichet und Genuss.
Wie freut er immer sich auf diese Stunde,
Da mit dem Freund er wechselt die
Gedanken!
Heut’ tat’ er’s doppelt, denn der Kantor hat,
Der edlen Rauchkunst lange sich enthaltend,
— Schwer hielts, allein der Arzt wollt’ es
so) haben -—
Sein liebes Pfeifchen wieder hergeholt.
Die Gattin hob zwar drohend ihren Finger,
Doch meint der Pfarrer wichtig: „Schadet
nichts!
Ein gutes Zeichen, wenn die wieder
schmeckt!“ —
Und kräftig ziehend, fährt. er scherzend fort:
„Wer lange raucht, so heisst es, der wird
alt? —
Nun sitzen sie gemütlich da beisammen;
Aufsteigen blaue Wölkchen, Ringelein,
Bis eine Wolke hüllt die beiden Alten.
Die Kantorin besorgt den Kaffee spendet;
— Marie ging mit der Jugend in den
Wald. —
Hinstellt sie jetzt die Kanne mit Bedacht.
Denn einst zur Hochzeit ward sie ihr
geschenkt
Von ihrer Patin, nebst zierlichen Tassen,
Die von dem Goldrand zwar schon viel
verloren,
Doch unverblichen glänzten noch die
Röschen.
Nun öffnet sachte sie den Fensterflügel,
Weht mit der Hand den Qualm sich vom
Gesicht
Und wischt die Augen sich; zu den
Gardinen,
Den frisch gebleichten, schaut sie seufzend
auf.
Und wie sie wieder tritt zum Tische her,
Zum Trinken mahnend und den Kuchen
reichend,
Greift bei den Schultern sie den jungen
Freund:
„Und Ihr? — Wollt Ihr nicht auch ein
Pfeifchen rauchen?
Seht dort das Brett, es ist kein Mangel dran.“
Der wehret schüttelnd ab und lacht und
spricht:
„Ich danke, kann das Giftkraut wohl ent-
behren.“ —
„Ist einer von der neuen Welt, nicht wahr ?“
Lässt alsogleich der Kantor sich vernehmen.
Was man doch heut nicht alles besser weiss!
Q*
N —
Da seht einmal uns beiden Alten an!
Längst lägen wir im kühlen Grabesschoss,
Das liebe Pfeifchen hat uns nur erhalten.
Was fanet Ihr an nur mit der freien Zeit?
Wie wollt Ihr sie Euch eigentlich ver-
treiben ?‘“*
„Ich denke“, fährt da fort der junge Mann,
„Mich zu versenken ganz in der Natur
Gepries’ne Wissenschaften. Wenn da-
neben man
Des Tages Neuigkeiten will beachten,
Das, mein ich, gibt addiert zum Unterricht
Ein voller Tag wohl ohne Müssiggang!“ —
„Das ist ein Plan, recht löblich ausgedacht“,
Sagt drauf der Pfarrer, blaue Ringlein
blasend,
Von denen eins das and’re überholt,
Bis alle lösen sich in Rauch und Luft;
„Als wir noch jung, da waren and’re Zeiten.
Uns lockte noch kein bunter Flitterkram
Der Tagesneuigkeiten so wie heute,
Studierten fleissig auch, doch blieb viel
Raum
Dem frohen Jugendsinn, sich auszuleben.
Wir weilten länger in Natur und Welt,
Doch weniger im toten Bückerkram,
Der für das Leben oft den Blick verschleiert.
37 —
Nicht wechselte so oft des Umgangs Kreis;
Viel enger knüpften sich die Freundes-
herzen.
Man hielt vom Menschen mehr als von
dem Buche.
Wie anders heute ist die Welt geworden!
Gewachsen mächtig sind des Wissens
Weiten.
Wer mag wie einst das All noch zu um-
schliessen
In seinem Hirn! Unendlichkeit, sie quält
Den armen Geist des Menschen mehr als je.
Und weil er nicht das Ganze kann er-
fassen,
So will er einen Teil doch ganz beherrschen.
In solchem Wahn glaubt jeder im Besitz
Des Schatzes sich, den eig’ner Geist ge-
hoben,
Den Blick für's Ganze immer mehr ver-
lierend.
So irrt umher gleich losen Spinnenfäden,
Die in des Herbstes Sonne planlos spielen,
Des Menschen Geist, der’s herrlich weit
gebracht.
Gewiss, die Zeit verlangt ihr gutes Recht,
Und jede Zeit hat ihre.neuen Ziele,
Doch rat’ ich Euch bei allem, was Ihr
treibt,
Steigt nicht hinab in jene tiefe Schlucht
Der Wissenschaft, da überall der Weg
Des Irrtums auf sich tut und lüstern macht;
M-x der Gelehrte solche Bahnen wallen
Und grübelnd sitzen fern dem Tageslicht,
Dem Lehrer ziemt’s, wie unserm Stande
wohl,
Auf lichter Höh in freier Himmelsluft
Den ungetrübten Blick emporzuhalten,
Mit lieber Hand des Volkes Pulsschlag
fühlend,
Ihm nah zu sein mit immer treuem Rat,
Bedachtsam prüfend, was ihm heilsam
sei“. —
„Dank schuld’ ich Euch für Euer freundlich
Wort“,
Versetzt verlegen drauf der junge Mann,
„Doch kann man nicht aus seiner Haut
heraus.
Wenn Gott uns Neigung gab, was sollen wir
Nicht die verlieh’nen Kräfte froh entwickeln !
Auch sagt Ihr selbst, die Zeit verlang’ ihr
Recht.
Nun schauet in den Tag! Wohin Ihr blicket,
Beherrscht das Leben der Natur Gesetz.
Und wie der Mensch es meistert, herrscher-
gleich!
aid
Des Dampfes Kraft, des Blitzes Funken
zollen
Gehorsam ihm, selbst über Ozeane
Wird heut sein Wort und Wünschen weit
getragen.
Vor seinen Blicken treten gar die Sterne
Aus nebelhaften Hüllen licht hervor.
Und diese Wunder wirkt die Wissenschaft!
O, wer ihr wollte zaudernd ferne stehn,
Sie würde vorwärts schreiten über ihn
Mit Stiefeln und mit Sporen unaufhaltsam.“
Und aus dem Munde nimmt ihm gleich
das Wort
Der Kantor: „Freund, Ihr sprecht, wie Ihr’s
versteht,
Und die Begeist’rung nimmt Euch niemand
übel;
Doch könnt mit der gerühmten Wissenschaft
Gar wenig Ihr in Eurem Amt beginnen;
Wo Kinderherzen hungrig uns umstehn,
Beschränkte Blicke hilflos an uns stieren,
Verstocktheit gar und Trotz uns hält und
hemmt,
Da ist am Ende alle Wissenschaft.
Es hilft kein Phonograph, kein Teleskop,
Nur eines kann den bösen Bann noch lösen;
Nicht viel steht im Kompendium davon,
30
— YO) —
Es fliesst wie heil’ge Flut von Herz zu
Herzen,
Nur Aug’ in Auge fühlt man jene Kraft,
Die Wunder wirkt, wo der Verstand ver-
sagt:
Es ist die grosse, reine Menschenliebe!“ —
„So ist’s‘“, fährt nickend gleich der Pfarrer
fort,
Dann zu dem jungen Freunde hin sich
wendend:
„Wollt mich nicht falsch verstehn ; nicht
hasse ich
Die edle, reine, wahre Wissenschaft.
Ich achte:hoch den, der sie.immer pflegt,
Dass höher steigt der Menschheit Wert
und Wesen,
Doch darf sie nie sich selbst zum Zweck
erheben,
Sich wie ein Evangelium gebärden;
Denn was die Menschenseele sehnend
sucht,
Sie spendet’s nicht, weil sie’s nicht spenden
kann,
Die sich die Unruh schrieb auf ihre Fahne.
So bohrt sie immer tiefer sich hinein,
Um bald zu stehn vor felsenfesten Schranken,
Um bald am Abgrund schaudernd umzu-
kehren.
.„- 4): -
Wer Kinderherzen sich zum Feld erkiest,
Soll nicht das eigne Herz mit Zweifel
laden,
Die niederdrücken es mit Zentnerlast.
Ein frohes Herz nur weckt den Widerhall
im Kinderherzen, das nach Frohsinn lechzt.
Was die Natur, das Leben Schönes beut,
Was wahre Wissenschaft, in Gott gegründet,
Errungen hat, was endlich selbst erfahren
Das eigne Herz im heissen Lebensdrange,
Das sind die Quellen, unversiegbar, rein,
Daraus man schöpfend, Seelen mag er-
quicken“. —
„Und doch‘ erwidert drauf der junge
Mann,
„Denk’ ich mir’s wonnig, selber nachzu-
forschen
Dem Gang der Dinge, selber nachzudenken
Dem grossen Werke des Gedankenbaues,
Wie ihn der Meister einst so stolz errichtet;
Von Stein zu Stein in ihm emporzu-
klimmen,
Um endlich in Bewund’rung still zu stehn,
Mit Staunen auf die Bahn zurückeblickend,
Die eigner Geist mit vieler Lust durch-
wandert.
— 9
Und wenn ein jeder Mensch mit Müh und
Fleiss
Sein eigen Feld bebaut, bis Früchte reifen,
So kann er zeigen seine ganze Kralt,
Bis zur Vollendung mag er sie entfalten“. -
„Was Ihr Vollendung ‚heisst, ist Stückwerk
nur“,
So sagt der Kantor, „Seelenharmonie
Verleiht Ihr weder Euch noch Euren
Kindern,
Wenn Ihr an. einen Zweig der Wissenschaft
Euch hängen wollt, des and’ren nicht zu
achten.
Und schweigt mir still mit Euern Meistern
da!
Der eine rupft dem andern Federn aus,
Die schönsten meist — und nennt sie stolz
sein Eigen;
Und staunend steht die Menge da und
rühmt
Und brüstet sich mit der Errungenschaft,
Der grössten im Jahrhundert, ohne gleichen.
Doch ziehet; sie ‚an’s,.Licht,;-die. hellen
Sterne,
Da einer möcht’ den andern überstrahlen!
Verblassen muss all’ ihre Herrlichkeit,
— WB -
Wenn er, der Meister droben, an sie schaut
Mit seinem Sonnenblick, dem ewig klaren!
Er gibt nur Ruh dem ruhelosen Streben,
Weil er ein Ziel steckt, unverrückbar fest,
Das ewig strahlt, so lang beseelte Menschen
Im Erdentale seinen Odem spüren. -—
Zu ihm geschaffen ist das Menschenherz,
Zu ihm führt alles, Wissenschaft und
Kunst,
In ihm ist Halt, weil Wahrheit in ihm ist.“ —-
„Und schaut ihr klar hinein in uns’re-Zeit,“
Fährt drauf der Pfarrer fort, „dann könnt
ihr sehen,
Wie man das Werk von seinem Meister
trennen,
Wie man mit viel Bedacht und Fleiss und
List
Loslösen möcht’ die Erde von dem Himmel;
Doch gingen fehl noch immer alle Pfeile.
Schon glauben viele an ein Paradies,
Das selbst hienieden sie sich bauen wollen,
Trotz Sünd’ und Schuld, die töricht sie ver-
neinen.
Und wenn auch in sich selber einst zerfällt
Solch Trugbild, das die Phantasie ersonnen,
So darf man doch am Weg nicht müssig
schauen;
44
Doch zwecklos wär’ es, mit gehäss’gem Wort
Unduldsam, ohne Christi sanften Sinn
Die Widersacher wütend zu bekämpfen.
Ideen laufen nicht so schnell davon;
Da heisst es: Stille, wie’s dem Christen
ziemt;
In reinem Wandel seines Weges gehen,
L<-.. er Zeuge seines Herrn zu sein;
Denn "berzeugen kann doch nur die Lehre,
P’e , hen wirkt für Zeit und Ewigkeit.
C% 1 es auch, am Scheidewege sich
Mit freiem Mute froh zum Herrn bekennen,
Wie er getan, wenn es die Zeit verlangt.“ —
Hierauf entgegnet ernst der junge Mann:
„Wohl bin ich mir des schweren Wegs be-
wusst,
Den ich zu wandeln habe, doch ich kann
Nicht sehen die Gefahren, die mir drohn.
Ein unwegsamer Wald scheint zwar mein
Amt,
Doch grüssen hoffnungsfroh mich Grün und
Blüten,
Und ferne wähn’ ich schädliches Getier;
Hoch auf den Wipfeln liegt es sonnenklar.
So lasst mich schreiten, .wie’s der Jugend
ziemt,
Ohn’ Vorurteil, hinein mit freiem Blick.
— 45
Ihr habt nun der Erfahrung weite Bahn
Durcheilt, so lasst auch mich es nun .
beginnen.
Es möcht’ das Alter ja so herzensgern
Die Jugend treu vor jedem Fehltritt hüten,
Doch scheint’s unmöglich; jedes Menschen-
herz,
Ob es gleich achtet auf bewährten Rat,
Will doch ureig’nes Wesen froh entfalten,
Geht gern den eig’nen, selbstgewies’nen
Weg.
Und ob es auch in Irrsal sich verliere,
Es wächst der Mut, sich kühnlich durch-
zuschlagen.
Mit eig’ner Kraft zur Wahrheit durchzu-
dringen,
Das ist allein des Mannes würdig Los.“ —
Die Kantorin am offnen Fenster sass,
Leicht war sie eingenickt in süssem
Schlummer,
Das Sonntagsblatt war ihrer Hand ent-
glitten.
Da sprang das Kätzchen auf die Fenster-
bank
Vom Garten her, und schnurrend steht’s
und nickt.
Erschrocken schaut die Mutter plötzlich auf.
46
An ihre Schulter schmiegt das Tierchen sich,
Sie streichelt ihren Liebling mit Behagen.
F ı hört sie leises Kichern unterm Fenster,
vei Z5öpfe fliegen, Schelmenaugen lugen,
Marie ist aus dem Walde heimgekehrt.
Die Mutter schilt, indessen lacht Marie.
Der Pfarrer hört die lustiglaute Stimme,
Die in des jungen Mannes Rede klingt.
„Sie muss herein, dass sie uns etwas
spiele.“
So wünscht er. — In die Stube tritt Marie.
Wie eine frische aufgebroch’ne Rose
Glühn ihre Wangen. Von dem blauen
Kleide
Hob sauber sich das weisse Schürzchen ab,
Das zarte £nitzen zierlich fein umrändern.
„Nun, liebes Kind, besinne Dich nicht lang,
Und lass von Deiner schönen Kunst uns
hören!“
Bat, wie sie grüsste, noch einmal der Pfarrer.
Und sitzend am Klavier, schaut sie empor.
In düst’rer Schwermut grüsste ernst hernieder
Beethovens Bild. Jetzt weiss sie, was sie
will.
Wie Funken sprühend, springt der Töne
Reigen
Aus ihren Fingern durch den stillen Raum.
47T -
Wild vorwärts stürmend wie die Meeres-
wogen,
Wächst an des Liedes Macht; dann wieder
klingt
Der erste Sang wie mahnend noch zurück.
So pocht der Frühling an den Eispalast
Des Winters, stürmisch Einlass hier
begehrend.
Noch einmal kehrt’s wie liebes Echo wieder,
Dann murmelt’s tief wie heimlich Quellen-
rauschen
[In unerforscht geheimnissvollen Gründen; —
Dann Ruhe und erwartungsvolles
Schweigen! -—
Nun hebet an ein wunderlieblich Singen.
Das ist der Lenz mit seinem neuen Klang,
Der Vöglein froh Gezwitscher klingt im
Wald.
Ein Jubellied heisst aufersteh’n die Welt.
Gleich schreitet dann in schnellem Schritt
daher
Der Töne Reihe wie in neuem Bunde.
Allüberall regt sich ein Streben, Schaffen.
Dazwischen rauscht es, wie ein Freuden-
sang.
In froher Tat, der Herzbefreierin,
Klingt siegbewusst dann die Sonate aus. —
Aufatmen alle. — Feierliche Stille!
48 -
Sacht hat das Mädchen sich herumgewandt.
Der Kantor wischt verstohlen an den Augen.
Die Mutter lächelt, strahlt in Seligkeit.
Der Pfarrer mit den Händen klatschend,
spricht:
„Ein Bravo Deinem Spiel! Welch schöne
Gabe,
Der Töne Sprache so wie Du zu deuten!
Welch eine Welt tut sich dem Menschen auf,
Der sie verstehet, oder meistert gar!“
Indessen hat der Kantor sich erhoben,
Dem jungen Freunde still die Hand
gedrückt:
Das — unser Trost in Trübnis, Einsamkeit,
Das — "unser Quell, der uns Erfrischung
reichet,
Uns idealen Sinn für's Leben beut!
O pfleget ja die edle Musika!
Sie mahnet ans verlor’ne Paradies.
In ihrem Reiche wohnet heilger Friede —.“
Der junge Mann sass wie im Traume da.
Er wusste nichts, auch nicht ein Wort zu
sagen.
Noch schwirrt in seinem Ohr ein wirrer
Sang,
Vor seinen Augen tanzt es durcheinander,
zz AO =
Nichts sieht er deutlich als zwei blonde
Zöpfe
Und von der Seite rosenrote Wangen. —
Jetzt neigt die Mutter stolz sich zu Marie:
„Ein Lied von Schubert musst Du drauf
noch singen.“ —
„Ich komme vom Gebirge her‘. — das
Lied,
Sie sang es froh mit tiefbewegter Seele.
„Wo bist du, mein geliebtes Land?“ die
Mutter
Konnt’ hier der Rührung Träne nicht mehr
bergen.
Und als sie. bebend. kam zum. .herben
Schluss:
„Dort, wo du nicht bist, ist das Glück,‘“ da
wandte
Der Sonntag, der am Fenster lang gelauscht,
Mit feuchtem Auge leis zum Gehen sich. —
Noch einer wäre gerne jetzt gegangen,
Gleichviel wohin, -zum Wald, in’s Kämmer-
lein,
Um seinem Herzen einmal Luft zu machen.
So hat noch nie ein Ton sein Herz berührt.
Der Klang voll Wehmut fand den Wieder-
hall
- 590 —
In seinem Herzen. Wie ein himmlisch
Wesen
Erschien sie ihm gleich einer Seherin,
Die seiner Seele Tiefen konnt’ ergründen.
Der Pfarrer sah den Sonntag sinnend ziehn.
Die Pfeife war ihm längst schon aus-
gegangen. —
Er eilte sich, dass mit dem Sonntag er
Heimkehre noch zu eig’nem Herd und Haus.
Beim Scheiden drückt’ dem jungen
Freunde er
Innig die Hand. Wie segnend fuhr er fort:
„Gott sei mit Euch, er lenke Eure Fahrt!
Im übrigen — hier steht mein alter Freund,
Der Eure ist er doppelt, traut ihm ganz!“
„Ich danke Euch“ — sonst konnte er nichts
sagen.
Dann schieden sie. Der Abend brach herein.
Die Sonne sank; von ihrem gold’nen Kleide
Lag noch der Saum am schwarzen Waldes-
rande:#—
Der Sonntag hüllt in kühler Abendluft
Am Hügel droben sich in seinen Mantel
Und schreitet bergwärts still dem Walde zu,
Wo längst ein Rudel Rehe auf ihn wartet.
51 —
Am Feldrain wandeln traulich Liebespaare.
Sie schaun ihm nach in stiller Wehmut, bis
Der holde Gast dem Tale ist ent-
schwunden. —
Das Abendläuten mahnt, zu neuer Tat
Am nächsten Tage wieder sich zu rüsten.
Der Buchfink sitzt geduckt in seinem Nest. —
Und droben in dem Erkerstübchen träumt
Mit off’nen Augen in die tiefe Nacht
Ein Jüngling, dessen Herz voll Sehnen,
Suchen: —
„Gibt es noch Schön’res als die Wissen-
schaft? —
Was pochst du Herz und fragst so un-
gestüm!
Ich weiss dir keine Antwort. — War’s das
Lied,
Der Töne wunderbare Harmonie? —
Ein ander: Herz, in "dem das eigene
Ein wiederhallend frohes Echo findet ?“
Sn
52
Der Spaziergang.
Hinaus in Gottes Sonnenzelt !
Fahrt wohl, ihr dumpfen Hallen
Mit der papiernen, staub’gen Welt,
Fahrt wohl, ihr Bücherballen,
Mit eurer /roten Tinte Spur!
Mein Herz sehnt sich nach grüner Flur.
Gebannet hielt es Tag um Tag
Mich fest..in öden Räumen;
Heut will ich. ziehn zum Blütenhag,
Will ruhen: unter. Bäumen.
Einmal gelöst von Sorg’ und Qual,
Soll küssen mich. der Sonnenstrahl.
Ihr kleinen Seelen, lasst mich los,
Die ihr mich fest gebunden.
Tief drinnen in des Waldes Schoss,
Dort winken frohe Stunden.
Da bin ich frei, da darf ich’s sein:
Noch einmal Kind im holden Main!
Fahrt hin in euer Moderland,
Ihr Listen denn und Lasten.
Es reisst mich fort zum grünen Strand,
Im Lichten muss :ich’ rasten.
Ich schlürf” euch schon wie firnen Wein:
Gott grüss’ euch, Licht und Sonnenschein!
Ay
Durch Schlehdornhecken, wo der Frühling
webt
Mit zarten Fäden seinen Hochzeitsschleier,
Wo in der Knospe: zarter Wunderhülle
Die wilde Rose schwillt dem Mai entgegen,
Wo Lerchensporn und Scharbockskraut am
Boden
Des Winters Moder überwuchert: haben,
Da schreitet hin langsam dem Wald ent-
gegen
Die Jugend mit dem Alter an dem Arm,
Fritz Ritter rüstig mit dem alten Kantor.
Erst war’s ihm gar nicht recht, die freien
Stunden
Des schönen Tages zwecklos zu verbringen
Mit dem Spaziergang; doch der Kantor bat.
Und als Marie im Garten drunten stand,
Den weissen Strohhut auf, den Korb am
Arm,
532
54 —
Da konnten ihn die Bücher nicht mehr
halten,
Die er heut früh sich schon zurecht gelegt,
Um Nachmittags mit Wonne drin zu
schwelgen.
Hinaus trieb’s ihn... Der tolle Frühlingswind
Durchblättert nun neugier’gen Blicks den
Band,
Darinnen Baum und Blum’ und Blatt be-
schrieben ;
Doch schien’s zu kraus für seine hellen
Augen.
Und weil’s nicht grün und bunt, schlug laut
er’s zu. —
Marie ging mit nur bis zum Mühlbachsteg.
Des Müllers Kind, das jahrelang schon
lahm
Und ihre Freundin, wollte sie besuchen.
Enttäuscht sah Fritz ihr nach ; in’s Wiesental
Schaut’ oft er noch zurück und hörte kaum
Was ihm der Kantor von vergang’nen Tagen
Des Dorfes: mit‘! Bedacht und Fleiss er-
zählte. —
Jetzt höher wand der Pfad sich durch das
Feld. —
Ein junger Bauer schlendert hinterm Pfluge.
F
Da, wie er sieht die beiden Wand’rer nahn,
Schwingt grüssend er den Hut, hält an so-
gleich
Das mutige Gespann, die lange Leine
Festknüpfend an den Pflugsterz. Schweren
Schrittes
Kommt er den beiden frohen Blicks ent-
gegen,
Die schwiel’ge Hand dem Kantor reichend,
spricht:
„O wie’s mich freut, Euch wieder hier zu
sehn!
Der schöne Tag hat Euch hervorgelockt.
Dem Lenze traut, der macht Euch wieder
jung.“
„Das hoff” ich nicht,“ erwidert gleich der
Kantor,
„Doch wünschte ich, da ich die Zügel legte
In diese junge Hand, in Ruhe noch
Vom Lebensabend wenig zu geniessen.“
„Wie gönnt’ ich’s Euch,“ fährt drauf der;
Bauer fort,
Und wendet zu dem jungen Manne sich,
Die Hand ihm drückend: „Haltet Treue uns,
Wie er sie hielt, da er die beste Kraft
Des Lebens unserm Dörflein liebend
weihte.“ =:
55
„ PS
„Ihr wünscht mir viel, o möcht’ es Wahrheit
werden!
Was heiss das Herz in stillem Wunsche
hegt,
Nicht immer wird’s zur Tat, nicht jede Blüte
Des Feldes. hier entwickelt sich zur Frucht.“
„Da habt Ihr Recht“, versetzt der Bauer
gleich,
„Doch wo.sie Sonn’ und Himmelstau darf
trinken,
Da blüht sie froh und schlägt die Wurzeln
ein.
Wo Liebe bindet, gibt man sich gefangen.
Mein. Kleiner. geht durch’s Feuer wohl für
Euch.“ —
Jetzt fasst der Kantor seines Freundes Hand:
„Was wollt Ihr noch? Vom Alter wie der
Jugend
Gleich heiss begehrt — wir lassen Euch
nicht los.“ -—
„So:.ist es.recht,‘. fängt. jetzt:.der, Bauer :an.
Wenn ich Euch seh so jugendfrisch da-
stehn,
Kehrt mir zurück der Traum der Kinder-
jahre.
„Y
dr
So stand einst er vor mir, dem zarten
Knaben,
Da voll Verehrung zu ihm auf ich schaute.
An seiner Treu und Stetigkeit und Liebe
Rankt’ ich empor und wurde, was ich bin.
Im Elternhaus zur Tätigkeit erzogen,
Fat er gelehret mich mit rechtem Sinn,
Mit Lieb und Lust der Arbeit Wert erfassen,
Dass nicht nur das, was uns’re Hand voll-
bringt,
Arbeiten heisst; denn auch des Menschen
Geist
Müht ehrlich ab sich oft in schwerem
Ringen.
Wie meine Kraft auf dieser Scholle baut,
Dass sie Genuss dem Mund des Menschen
reiche,
So schafft der Geist uns manches teure Gut,
Das Labung und Erquickung beut für’s
Herz. .—
Noch weiss ich Tag und Stunde wohl zu
nennen,
Da Ihr die Rute über mir geschwungen,
Der bösen Triebe Trotz in mir zu brechen.
Heut’. :kränkt’s; mich noch, :wie:;ich:Euch:so
erschwert
Des Amtes Last mit losen, list’gen
Streichen.
58 —
Ich zürnt’ Euch einst ob der gerechten Strafe.
Heut weiss ich erst den Wert der Zucht
zu schätzen,
Seit eig’nen Kindern ich zu wehren habe.
Und wenn ich hier so hinterm Pfluge
schreite,
Dem Boden seine tiefen Wunden ritze,
Dass des verborg’nen Unkrauts böse Keime
An’s Licht der Sonne treten, ist mir’s klar:
Das Kinderherz, voll eitler, böser Triebe,
Bedarf der Zucht sowie der Leib des Brots.“
Und tief gerührt erwidert da der Kantor:
„Hab’ Dank, mein Lieber, dass Du nicht
vergessen
Des alten Mannes, der die Pflicht erfüllte
An Dir, wie an den ungezählten Andern!
Dass Dir hat die Erfahrung Deines Lebens
Bestätigt meine Lehre, macht mich stolz,
Sagt mir, dass ich das Rechte wohl ge-
troffen.‘“
Da griff Fritz Ritter rasch des Bauern Hand,
Sie innig drückend: „Lasst uns Freunde
sein!“
Der nickt und schüttelt kräftig. Doch den
Braunen
Währt viel zu lang die Zeit, sie stampfen
wiehernd.
Di
Flugs eilt der junge Bauer da herzu,
Den beiden Männern wünschend guten
Weg.
Die steigen jetzt waldaufwärts ihren
Pfad. —
Und unterm ersten Buchenbaum, der sich
Aus der Genossen Reih’ herausgerissen,
Als wollt’ er freundlich das Willkommen
bieten
Den Nahenden mit seinen Riesenästen,
Auf jener Bank, die einst des Försters Hand
Fürsorglich allen Müden hat errichtet,
Dort liessen sie sich ruhbedürftig nieder.
Und schweigend schauten sie von dort
hinab
Aufs traute Dorf, hin über Wiesentiefen,
Durch die des Flusses buschbesäumtes Band
Sich lieblich windet, bis ein Hügelwall,
Den ferne blaue Berge überragen,
Den Blick beschränkt. Der Kantor hebt
jetzt an,
Hinunterzeigend auf den Ackermann:
„Er war ein Schmerzenskind mir in der
Schule,
Hat manchen Seufzer meiner Brust entlockt.
Und doch ward er ein Mann — Ihr sahet
ihn —
3
60
Der Dankbarkeit; die sel’ne Tugend, übte.
Ein leuchtend Vorbild ist er der Gemeinde.
Schon hörf’ ich, dass zum Bürgermeister er
ist ausersehen bei der nächsten Wahl.
Wenn ich-bedenke, wie so manchen ich
Entliess, in Fleiss und Treue musterhafit,
Z20i dem in’s Gegenteil sich alles kehrte;
Dann sag’ ich mir: Es ist verzweifelt wenig,
Was du gewirkt mit vieler Müh und Not.
Der grosse Lehrer droben lenkt zuletzt
Und zieht sich alle seine Menschenkinder
Ganz wie er will, drum soll man nie ver-
zagen,
Wenn uns ein Kinderherz nicht richtig
scheint.
Wir zwingen’s nicht in den gezählten Stunden
Mit uns’rer Kunst, die ach so oft am Ende.
Des Lebens tatenreiche Wirklichkeit,
Die wahre Schule, kann erst Menschen
bilden,“
„So haltet Ihr gering ‚von. unserm Werk,
Schätzt wertlos, drauf die Schule heut so
stolz:
Psychologie, Methodik, Pädagogik,
Die uns der Seele wunderbares Wesen
Wie die Gesetze ihrer eignen Welt
. 61 -
Und gleich wohl auch den Weg uns offen-
baren,
Auf dem wir den geheimnissvollen Bahnen
Nachspüren können? — O, ich kann’s nicht
glauben,“
Erwidert ganz enttäuscht der junge Mann.
Doch allsogleich fährt drauf der Kantor fort:
„Versteht mich recht, ich preise immer laut,
Was uns die Wissenschaft mühsam er-
rungen;
Doch darf man alles nicht von ihr erwarten.
Sie schreitet fort in eigenen Gedanken.
Wie Wellenkreise in den Meeresfluten
Entfernt sie sich. in einsam ferne Welten,
Und wie der Kreis der Wellen oft zerbricht
Am starren. Fels, so an der Wirklichkeit
Des Lebens werden plötzlich oft gestört
Der Wissenschaften regelrechte Kreise.
Ich schätze die Persönlichkeit am höchsten.
Denn sie, die sittlich reine, gleichgestimmte,
Ist einzig Bürgschaft, dass das Werk gelingt.
Seht, alles, was das Leben. Grosses beut,
Was unserm Ohre reine Harmonie,
Was unser Herz mit froher Lust durch-
zittert,
Wir geben’s weiter, damit es durchdringe
Die jungen Seelen gleich dem Sauerteig.
C2
Mein Glauben ist's, mein Hoffen und
mein Lieben,
Was mir mit Leidenschaft vom Munde
fliesst.
Gern geb ich zu, dass manches Euch
gelingt
Nach Eurer neuen Wissenschaft Gesetzen.
Doch wenn Ihr ehrlich seid, müsst Ihr
bekennen:
Zuweilen zerrt Ihr an dem Leib herum,
Dem lebensvollen, dass er passen soll
In’s neue Kleid — weil er’s nun einmal
soll; —
Anstatt das Kleid dem Leibe zuzuschneiden,
Macht Ihr ein Kleid und reckt den Leib
danach,
Und wenn Ihr meint, das Ding soll endlich
gehen,
Dann fällt ein Leichnam Euch in Euren
Schoss.
Seht, wie zur Unnatur oft führen kann
Die Wissenschaft. Doch schaut nur erst
hinein
In uns’re Schule, und Ihr werdet sehn,
Wie die Methode oft sie ganz beherrscht.
Theologie ward oft dem Christentum
Ein Ballast, der es hemmte, niederdrückte.
A
zZ
y —
So dünkt mich, hemmt uns heute die
Methode, —
Ich will das Wort in weitem Sinne fassen. —
Da stellt man Euch in Euer Amt hinein.
Euch schauen an viel kleine, frohe Augen,
Begierig fragend: Was wird er uns bringen ?
Doch and’re wenden blöde ihren Blick,
Verlangen nichts und sehnen sich nach Ruhe.
Da holt Ihr flugs die Stoffverteilung her,
Gebt jeder Woche erst ihr Mass und Ziel
Und eilet dann, den Reigen zu vollenden.
Und eine Woche jagt die andre so.
Da — mitten in des Tages heissem Ringen
Fährt’s Euch wie kalter Schreck durch alle
Glieder;
Die Revision, sie stehet vor der Tür.
Nun fangen an die bitt'ren Marterstunden.
O dieses Seufzen, diese Klagelaute!
Nichts blieb mehr, nichts als Stumpf und
Stoppelfeld.
Nur hier und da reckt zagend sich ein Arm,
Wenn Ihr durch das Gefilde rasend eilt.
Von biblischer Geschichte, Kirchenlied
Geht’s auf des Katechismus engem Pfad
Im Holpertritt oft, dennoch immer weiter.
Gedichte werden fleissig aufgesagt;
Kein Wörtlein darf um Gotteswillen fehlen.
Vom Deklinieren, Konjugieren springt’s
62
64 —
Wie im Galopp durch‘ Zeiten und durch
Welten,
Durch der Natur unendliches Bereich.
Das Einmaleins geht wie der Atemzug.
Ein Sang zum Schluss tönt wie ein Halali
Und Jubelruf, dass nun die Jagd zu
Ende. —
Und bricht der grosse Morgen endlich an,
Ist man bescheiden, füllt den Bogen aus
Ganz Fach für Fach mit‘, Ja‘ und „Nein“ so
kalt.
Nichts steht darin von Eurem sauren
Schweiss,
Von Euren ungezählten Trauerstunden,
Von den Gebeten, die zum Himmel drangen,
Von Zentnerlasten, die das Herz
beschwerten,
Da Ihr in Gottes freier Luft und Sonne
Aufatmen solltet einmal froh und frei.
Nichts ‚steht darin. von Eurer Lammsgeduld,
Mit der Ihr Trägheit, Schwachheit still ge-
tragen.
Doch wenn im Katechismus oder Lied
Ein Wörtlein ward verdreht, wenn’s Einmal-
eins
Nicht klappen wollt’, wenn die Regenten-
reihe
Nicht wie Soldaten reihweis’ aufmarschierte;,
6 —
Dann weiss der Bogen manches zu er-
zählen. —
Nicht Übelwollen oder Bosheit ist’s,
Mit derıman so mit uns’rer Schule spielt,
Doch ist’s — Methode, ‚die zum Bannfluch
wird.‘
„Wie aber..denkt Ihr Euch. das Schul-
getriebe,
Wenn nicht. Methode. herrscht in. allen
Dingen ?“
So fragt bedenklich da der junge Mann.
Und allsogleich erwidert jener drauf:
„Fern sei es mir, dass ich verkennen wollte,
Was die Methode uns’rer Schule nützt,
Die wahre, aus der Wissenschaft gebor’ne;
Doch dass sie herrscht, das ist es, was ich
hasse.
Sie ist der Weg, der hin zum Ziele führt.
Doch höher als den Weg stell’ ich den
Führer,
Der; wohlvertrauet. mit den sichern
Spuren
Wie mit den Klippen, steilen Höhn und
Krümmen,
Ihn wandelt klaren, frohen Blicks, stets
schauend
In’s. kommende Gelände, um zu rechter Zeit
FR
gb
Den Seitenpfad, den lieblichen, bequemeren,
Zu wählen frei, zur Lust den Mitgefährten.
Doch wie steht’s heut? In den gewies’nen
Schranken
Hin wandelt da der Lehrer durch die Au,
Zur Linken und zur Rechten eingekettet,
In ausgetret’nem Gleise selbst ermüdend,
Der and’re führen und ermuntern soll,
Dass froh sie wallen durch das Erdental.
Wenn er zu führen meint — 0 eitler Wahn!
Er selber schreitet hin am Gängelband,
Und reisst und zerrt und zaust und kann
nicht los.
Was ihn so gängelt, nennen wir’s Methode.
Im Gleichschritt hält sie richtig alle Wesen,
In Uniformen wird der Geist gesteckt.
Die Schule wird als beste stets gepriesen,
Drin alles ist auf gleichen Ton gestimmt.
Man. wird zum Rad in dem Fabrikgetriebe.
Man leiert seine Weis’, dreht seinen Kreis,
Und ist: man ‚ausgeleiert, lässt man sich
Unbrauchbar dann zu altem Eisen werfen.
Wo bleibt da die Persönlichkeit? O sagt!
Und doch ist uns’re Arbeit eine Kunst,
Die heiligste, die es auf Erden gibt.
Dem Schöpfer gleich sollt Eure Seele Ihr
Dem zarten Kinde in’s Gemüte hauchen,
C
Dass Euer Glaube seine Hände falte,
Dass Eure Liebe heiss sein Herz entflamme,
Dass seine Wünsche himmelwärts sich
wenden
An Eurem Hoffen, wie der Efeuranken
Empor sich hebet an der Eiche Stamm.
Wo ist die Kunst, die dieser sich ver-
gleicht? —
Und nun schaut hin, wie man sie ein-
gezwängt
In leere Formen gleich dem wilden Tiere,
Das hinter Eisengittern man verwahrt,
Weil seiner Kräfte Übermacht man
fürchtet! -—
O dass man endlich uns Vertrauen schenkte,
So ganz, so voll, wie’s uns’rer Kunst geziemt!
Dass man nicht immer meint, man müsse
hüten
Jedweden Schritt, der wenig seitwärts führt
Vom vielbetret’'nen Weg! Dass Ruh man
gönnte
Dem stillen Werden unter uns’rer Hand!
Ja — Ruhe, Ruhe! — Seht die Knospen
hier! —
Will ich hineinsehn, wo geheimnisvoll
Der Zukunft Blätter zart sich innig
schmiegen
In engen Falten an der Knospe Herz,
A»
Ep *
Zerstöre ich mit‘ meiner rauhen Hand,
Was die Natur in stillem Wirken baut.
öan trete ein in unsern Garten immer,
Nicht, um Gericht und Erntetag zu halten.
Was soll’s im Land auch, wo nur Blumen
blühn ?
Man nah als Freund, der sich mitfreuen
möchte
Am Wachstum, oder schauen will, wie
schwer
Die Arbeit oft auf dürrem Ödeland,
Mit vieler Mühe Samen keimend machen.“ —
Da in die Rede tönt ein lustig’ Singen.
Die beiden lauschen — still ist's — Tritte
nahen.
{m Laube rauscht es. Wie sie rückwärts
sehen,
Dringt aus dem dichten Busch, der’s wehren
möchte,
Marie hervor und winkt mit beiden Händen.
Gleich einem Reh kommt flink sie her-
geschritten.
Und wie sie liest Verwund’rung in den
Blicken,
Lacht laut sie, und der Wald gibt gern zurück
Noch einmal diesen silberhellen Klang.
Nun setzt sie zu den Beiden nieder sich,
A
Erzählend von der stillen Dulderin,
Die hinterm Fenster sich des Frühlings freut,
Die dankbar ist, dass sie den Wiesengrund
Mit ihren Augen täglich darf durchwandern.
„Nur vor dem Winter ist ihr schrecklich
bang,
Wenn rings verschneit die Höhn und Täler
liegen,
Wenn kaum den Nachbar man mit Müh
erreicht
Und niemand lenkt den Fuss zur fernen
Mühle,
Das ist ihr furchtbar; Träge schleichet hin
Der Tage Reih. Es ist, als halte dann
Der eine noch den andern bang zurück.
Entlaufen möchte sie dem toten Tal
Bis hin zum Lande, wo der Sommer wohnt,
Und kann doch nicht. Das arme, arme
Ding!
Ach, weinend.spricht sie immer von der Zeit,
Da wir als Kinder mit dem Vater streiften
Durch Feld und Wald, und er uns freund-
lich zeigte
So manche Blume, manches Käferlein;
Im Geist durcheilt sie noch die Wege immer,
Weiss, wo wir selt’ne Pflanzen einst ge-
funden,
704
70
Weiss, wo geruht wir dann im Sonnen-
strahl.ı-—=-
Nur Sonne, Sonne ist ihr einzig Wünschen.
Und Sonnenkinder sind wir Menschen alle.
Ich. fühl’ es nach ihr, Sonne nur macht
froh.‘ —
„Wohl wahr,“ versetzt der Alte drauf, „es ist
Was wunderbares um den Sonnenschein,
Pen Sorgenbrecher und den Wunderdoktor,
Dan milden Spender, der das Armenhaus
Mit seinem Glanz umflutet wie das Schloss,
Den Adler unter. freiem Himmelsbogen
So reich umstrahlt, doch auch zur Kerkerzelle
[äinunter einen lichten Gruss noch schickt,
Der nicht nur Leben wirkt in der Natur,
Nein, auch aus Menschenherzen Blüten
lockt!
Doch ist es gut von unserm Gott bedacht,
Dass seine Sonne dann und wann den
Rücken
Dem Erdentale kehrt; denn heilsam ist
Uns Menschenkindern nur der stete Wechsel.
Den ewig eb’nen Weg, wer wird ihn wählen?
Im Auf und Ab da liegt der wahre Reiz.
Den Wintermüden kann der Frühling nur
Beglücken recht. Im ew’gen Sonnenschein
Verwelkt der Hoffnung immergrüner Kranz,
.. MY
Du bist ein Sonntagskind wie Deine
Freundin.
Dir geht es wie der Lerche über uns,
Nur: Sonne ist Dein Leben, macht Dich.
singen.
Und wo ein Schatten Deinen frohen Sinn
Nur mählich streift, sprichst Du von Wetter-
wolken.
Du musst Dich bald, mein Kind, daran ge-
wöhnen:
Das Leben ist nicht lauter Sonnenschein.
Je älter, um so öfter kommen Wolken. —
Und Ihr, mein junger Freunc, o glaubet
nicht,
Dass Euer Amt voll Sonnenglanz Euch
bliebe.
Es kommen Tage, da Ihr wirklich
wünscht,
Ihr wäret nimmer, wo Ihr just nun seid.
Da heist es festgestanden, ausgehalten!
Ein Sonnentag indessen lässt vergessen,
Was uns das Schicksal Böses angetan. -
Doch Kinder, kommt, jetzt lasst uns heim-
wärts ziehn,
Die langen Schatten künden uns den
Abend.
Mich fröstelt, und die Mutter wird schon
warten.‘
— TO)
So sprechend, steht der Kantor auf. Nun
steigen
Die drei: hinunter ihrem Dörflein zu.
Und wo der Weg zu steil, stützt er sich fest
Auf junge Schultern zwei, da geht sich’s
sicher.
Am ersten Haus, das aus den Wiesentiefen
A ti seinem Gärtchen an die Strasse tritt,
C’itzt auf: der Bank geduckt ein Mütterlein.
Daneben hält ihr: Enkelkind im Mantel
Den ‚kleinen Bruder, dem ’s nicht mehr
behast,
Jetzt springt sie auf und drohet mit dem
Finger:
„Wart’, wart’, ‚du Schelm, da kommt der
Kantor her!‘
Der hat’s vernommen, was die Alte sagt:
„Hier seht Ihr, junger Freund, wie die es
treiben!
Als Schreckgespenst, so stellen sie mich hin
Eei ihrem Knaben, der ein Jahr kaum zählt.
So schätzen die uns. Büttel ist man nur,
Der. es:!versteht; sich gut Respekt zu
schaffen
Mit seinem Bakel. Unausrottbar scheint
Solch’. böse Meinung in dem Volk zu
wurzeln,; — —
T)
Die Alte hat zu meinen Füssen noch
Gesessen, als ich meinen Lauf begann.
Dann schickte sie mir zu bald ihre
Tochter.
Und wieder währt’s nicht lang, da kam der
Enkel.
So sah ich drei Geschlechter um mich. her,
Die meines Herzens Schätze weifer
tragen. =
Am Schulhaus sind sie endlich ange-
kommen.
Die Kantorin steht in der Gartentür:
„Mit einer schlimmen Botschaft grüss’ ich
Euch:
Der Sohn der armen Hirtenhäuslerin,
Der wilde Robert, ist beim Abendläuten
Von hoher Treppe abgestürzt im Turm.
Heim trugen sie ihn mit zerbroch’nem
Bein.‘ —
„Kein Wunder, wenn. die. alte, morsche
Treppe
Nun endlich. hat ein. Unglück ‘angerichtet.
194 —
Jetzt wird sich die Gemeinde wohl
bequemen,
Dem argen Übel einmal abzuhelfen,“
Erwidert ärgerlich der Kantor drauf.
„Das Unglück ist geschehn und heischet
Hilfe.
Vor allem muss ein Arzt sofort herbei.
Wollt Ihr. den Weg zur fernen Stadt nicht
wagen
Für Euren Schüler ? — für ein Mutterherz ?“
Betroffen hörte Fritz des Mädchens Rede.
Wie stand er da beschämt! Dann stammelt
er:
„Gewiss — recht gern — ich bin sofort
bereit!“
Die Mutter mahnte an das Abendbrot,
Doch hielt ihn nichts zurück, er. eilte fort.
Marie war schnell am Gartenzaun ver-
schwunden,
Im Hirtenhaus zu sehen, ob sie nicht
Handreichung tun und Stärkung könnte
bringen.
Fritz Ritter aber, der doch heute Abend
Studieren fleissig wollte ohne Störung,
Er dacht’ in seinem Sinn so unterwegs :
— AD
„Da ras’ ich hin nun für den Bösewicht,
Der mir so manche Stunde hat vergällt,
Für‘ seine:Mutter, -die ich-gar nicht. kenne,“
— Und zürnend legt’ sich seine Stirn in
Falten —
Doch glättet sie sich wieder allsogleich:
„Am Ende ist’s doch richtig so, Marie!“
- 75
Im Maı.
Wie ist die Welt so wonnig heut!
So festlich hat sie sich geschmückt,
Und lachend jedem Gruss sie beut,
Auch dem, den Gram und Qual bedrückt.
Verschwie@en liegt das Wiesental,
Von zarten Schleiern zugedeckt
Und wartet auf den Sonnenstrahl,
Der seinen Wunderzauber weckt.
Und an des Hügels hohem Rand
Steht noch der Wald in stolzer Ruh
Und träumt verwundert in das Land
Und hört den Nachtigallen zu.
Und überm Dorf ein Wonneduft
Als Dankesopfer steigt empor,
Getragen hoch in freie Luft
Ven froher Lerchen Liederchor. —
Una jede graue Giebelwand
Und jedes rote Ziegeldach
Hat nächtlich eine Wunderhand
Geschmückt zum ersten Maientag.
77
Der altersgraue Apfelbaum
Trägt wieder stolz sein lichtrot Kleid,
Und in dem blauen Himmelsraum
Wird ihm sein Herze jung und weit.
„Ein altes Herz, das jubeln kann,
Po ist um Früchte nimmer bang;
U'ır lieben Freunde hört mich an:
""ammt in den Mai, er währt nicht lang.“ —
Und was ihn schaut am Gartenraum,
Das strebt ihm nach und bricht und blüht,
Frohlockt, dass in dem Wonnetraum
Des Maien noch das Leben glüht. —
Ay
Im Schulhaus in dem Erkerstübchen droben
Sitzt an dem Schreibtisch übers Buch ge-
beugt,
Ganz ernst versunken in die Wissenschaftt,
D-+ irnge Lehrer Friedenaus. Rings liegen
D ei!e:b'x da auf Tisch und Bank und Boden
Por Pände viel, wie Mauern aufgetürmt,
D'2 alle überfliessen von Natur,
— Doch einer toten, ohne Grün und
Blüten: —
Da liegt der Wust im wunderschönen Mai,
Und hält ein junges Menschenherz gefangen,
Das seinen gold’nen. Maitag fast verträumt,
T*
Jetzt, wie des Apfelbaumes Blütenzweig
Im Morgenwinde auf und ab sich wiegt,
Streift er im Übermut das Erkerfenster,
Das maienfremd sich fest verschlossen hält.
Auf wacht er da, erschreckt fährt er empor,
Reckt gähnend sich und reibt die matten
Augen,
Die wie geblendet in das Lichte schauen,
Triit aus: dem Bann der Bücher da heraus,
Mia etürzen unter seinem Tritt zusammen.
"r- ıtet’s nicht, steht am besonnten Fenster
„rn. rsstiesyaufjesoweit: es; gehen! wills.
„/2s war's nur, das ihn irre ganz gemacht,
Am: olenkt von dem Gedankenspinnen ?
“aut hinaus — wie frisch umfächelt ihm
‘ ‚asse. Stirn der kalte Morgenwind!
“ tmet tief. — Da fährt der tolle Ast
rauhem Gruss hin über seine Hand
.':. Kichernd grinst ihn das Gezweige an,
i.3 1.02’ sein rosenroter Blütenschimmer
‚4 ..l/eichen Jüngling einmal herzhaft aus.
. Mer Seufzer, dann ein leises Lächeln
__.. über sein Gesicht. — Da trillert laut
- „üchfink in die Morgenlust sein Lied.
.T Sar7’s zum Zeitvertreib dem Ehgesponnst,
„.1s ab sich quält in mütterlicher Sorge
4.0 Zukunftsträumen um die eig’ne Brut,
Und blinzt dabei den müden Jüngling an,
Als wollt’ er sagen: Gelt, du langweilst
© OÖdieh!
Wie wir zu Zwei’n, das ist ein ander Ding,
Als so allein Trübsal auf Noten blasen!
Und wie er ’hinhorcht auf den munf’ren
Klang,
Da naht ein Rauschen unterm Apfelbaum.
Durch Beerenbüsche und die Blumenbeete
Hinschreitet da gleich einer holden Fee
Der Laube zu, wo wilder Wein noch webt
Am dichten Dach, der Sommerglut zu
wehren,
Marie, nach links und rechts ihr Köpfchen
werfend.
Sie nickt den Blümlein „Guten Morgen“ zu,
Zunft hier ein Unkraut aus, und bindet dort
Den ünp’gen Trieb gar sorgsam ans Spalier.
Wie fuegen dabei lustig ihre Zöpfe!
Jetzt kehrt sie hurtig ab den Gartentisch
Und breitet eine weisse Decke aus,
Wie frisch gefall’ner Schnee, — mit roter
Kante.
Mit Wohlgefallen ruht ihr Auge drauf.
Es hatten ihre Hände einst mit Fleiss
Der Mutter zum Geburtstag sie bereitet.
Drauf holt sie aus dem Arbeitskorb heraus
Ein glänzend Linnenstück. Sie setzt sich
nieder.
z CI —
Die Nadel fliegt, und leise summt ihr Mund
Ein Liedlein, das doch einen Hörer fand. —
Der stand noch immer da —- und war so
rot: —
Es pocht sein Herz, er weiss nicht, wie
ihm ist,
Geht in dem Erkerstübchen hin und: her,
— Es war nicht gross — und immer kehrt
zum Fenster
Er froh zurück und Jauscht und lugt und
lacht:
Die ganze Welt, er möchte sie umarmen.
Die Bände, die ihm in.dem Wege sind,
— So manchen hatte teuer er erstanden,
Stets sorglich eingeschlagen, um: zu
schonen. —
Er schleudert sie mit Fusstritt in die Ecke.
Ihm wird so wohl, er möchte jubeln, singen,
Aufjauchzen einmal recht aus Herzensgrund.
„Doch ja nicht — leise nur. — sie darf’s
nicht merken,
Dass ich sie sah“, beschwichtigt er sich
selbst,
Und greift sich. an die fieberheisse Stirn:
„War ich. denn blind? War fühllos denn
mein Herz,
Dass ich so kalt blieb bis. zu: dieser Stunde
In nächster Nähe dieses holden Kindes?
*
61
} Xi
Was ich gesucht unklaren, trüben Blickes,
Wonach mein armes Herz sich oft gesehnt,
Enthüllet ungeahnt mir das Geschick.
In meinem Herzen brennt ein lodernd
Feuer,
Nun weiss ich erst, ich lebe, weil ich
liebe.“ —
Da ruft vom Kirchturm heller Glockenton
Und mahnt eindringlich an des Tages
Pflicht.
Wie wird’s so schwer, sie heute zu erfüllen!
Verklungen ist des Morgens Weihelied.
Und wie die Kinder betend noch sich neigen,
Schaut Fritz empor, verstohl’nen Blicks,
dass ihm
Durchs Fenster sich das liebe Bild erneure.
Das „Amen“ weckt ihn wie aus einem
Traume.
Dass Gott verzeih, er hat nicht mitgebetet!
Nun gilt’s, mit Ernst zu sammeln sich, es
schauen
So vieler Augen auf erwartungsvoll.
„Wie Elieser einst ein Weib geworben
Für seines Herren Sohn,“ war zu erzählen.
Und wie die Stelle kam: „Als er geredet,
Da kam daher Rebekka aus der Stadt,
G
fr
Bethuels Tochter, eine schöne Dirne,
Und stieg hinab, den Wasserkrug zu füllen,“
Da stand er auf, und ab und auf und ab
Trieb’s ihn, er hatte nirgends Rast und Ruh.
Zwei blaue Augen lachten froh ihn an,
Und eh er’s nur gedacht, im Augenblick
Sah er dann wieder die zwei Zöpfe fliegen.
Jetzt wollt’ im Ernst er wirklich sich vertiefen
In die Geschichte, fragte hin und her.
Wie war die Antwort über alle Massen
So dumm, und was er wünschte, blieb
ganz aus;
Erbost, erzürnt schalt er die faulen Rangen.
Die sahen ihn dabei verwundert an.
Ihm war’s, als wollten ihre Blicke sagen:
V/as können wir darum, wenn du verliebt,
Nicht sammeln kannst die eigenen
Gedanken! —
So quält er hin sich mit der Kinderschar
Die liebe, lange, leid’ge Morgenstunde. —
Es folgte Lesen endlich, ja, wie gut!
Nun schauten sie ihn doch nicht immer an!
Dabei liess sich doch mal durchs Fenster
blinzeln k
„Dornröschen“. —— Ach, wie ging das Lesen
flott!
Gleich waren sie schon wieder an dem
Schlusse.
NUR)
83 —
Ö der beneidenswerte Königssohn,
Der die Prinzessin mit dem Kuss durft’
wecken!
Da waren wieder die zwei schönen Augen
Und die zwei Zöpie blond... Hei, wie sie
flogen! —
„Schreibt einmal auf: warum uns so
gefällt
Dornröschen, nicht das Mädchen meine ich,
Das Märchen, wie wir’s hier gelesen
haben!“ —
Und gleich drauf rauscht es auf der
Schiefertafel.
Zum Fenster geht er wie von ungefähr;
Da ist verschwunden, was er sehnend sucht.
Er schaut hinein in eine leere Laube.
Wie war der Morgen lang! Die Stunden
schlichen
So träge hin, als wär es ihre Lust,
Zu foltern einen liebekranken Menschen.
Nun Rechnen noch. — O diese trocknen
Zahlen!
Zur Zeitrechnung gebraucht man doch die
Uhr.
Er hielt sie in der Hand. „Wieviel Minuten
Sind noch — lies es vom Zifferblatt nur
ab?“ —
Ach, endlich schlägt die heissersehnte Stunde,
6*
US
Die Freiheit bringt, dass sich das Herze kann
Hingeben ganz den quälenden Gedanken. —
Und als er aus des Schulsaals dumpfem
Raume
Hinaustrat, fand Marie er vor der Tür,
Gemüse zubereitend für den Mittag,
Und sie erzählte gleich ihm, dass noch heute
Sie nach dem kranken Robert sehen wollte.
Der junge Mann versprach, sie zu be-
gleiten: —
Ay
Wie sommerliche Glut lag’s auf dem Tale.
Hin auf dem engen Pfad, der durch die
Hecken
Sich windet bis zum freien Wiesengrund,
Gehn still die zwei, und keiner denkt an
Kranke.
Der schwarze Dornbusch hat zu beiden
Seiten
Ganz überladen sich mit grünem Putz
Von Labkraut, das mit seinen zarten
Blättchen
Hindurch sich zwängte, auf zum freien Licht.
„Galium anarine — zwanzig Arten
Zählt Deutschland von der Art, der Stengel ist
Vierkantig immer und quirlig beblättert.
85
Die gelbe Schwester, die im Niedern steht
Mit breitern Blättern, birgt noch Farbestoff,“
Belehrt der junge Mann Marie, doch die
fährt fort:
„Wie wunderbar, dass dieser schwache Trieb
Hindurch sich fand durch Dickicht und
durch Dorn!
Der Drang zum Licht gab Kraft dem jungen
Streben.
Und schaut die tausend Finger, die hier
halten,
Festklammern sich, dass man Gewalt muss
brauchen,
Sie abzulösen. Auch bei Pflanzen scheint
Im Kampf ums Dasein erst die Kraft zu
wachsen.
So rankt die Schwachheit an der Stärke auf.“
Und staunend hörte Fritz dem Mädchen zu.
In seinen Arm hätt’ er sie schliessen mögen,
Und sprach nur drauf: „Das Schwache
aber ist
Das Lebensvolle, das die Stütze
schmückt.‘““ —-
Da standen sie schon mitten in den Wiesen.
Der Pfad zum Hirtenhause war verfehlt.
„Nun kehren. wir erst in der Mühle ein,
Im Rückweg dann Versäumtes nachzu-
holen,‘
$
Sprach kurz entschlossen da Marie. Wie
blühte
Es reich zu ihren Füssen! Festlich stritten
Mit Klee und Gras die Blumen allzumal,
Und niemand wagt’ den Preis hier zu ver-
teilen,
So viel war da an Anmut, Farbe, Duft.
Bis auf den staub’gen, vielbetret’nen Weg
Hindrängte sich zahllos ein blühend Volk.
Zaungästen gleich, die schlichter Herkunft
wegen
Nicht wagen sich in schmucke, frohe Menge,
Steht manch ein Löwenzahn am Wiesen-
rand. —
„Leontoton taraxacum — die Blätter
Schrotsägig wie des Löwen spitze Zähne,
Der Blütenschaft ist milchig, trägt den
Pappus.‘““ —
Nicht weiter hört das Mädchen auf sein Wort.
„E:, seht einmal, die hier am Wege stehn
Und jene dort im Klee und Gras Euch an!
Wie-kurz die Schafte hier — und dort wie
lang!
Wie schmiegt sich alles hier dem Boden
an, —
Und drüben streben Blatt wie Blum’
emnor. —
36
87
Dieselbe Pflanze ist es doch, und zeigt
Am andern Ort ein anderes Gesicht.
Wie die Umgebung doch die Dinge formt!
Mein Vater lehrte früh mich darauf achten,
Dass jedes Pflänzchen nur aus seinem Ort
Verstanden wird, und auch wir Menschen-
kinder
Am Boden nur, dem wir entsprossen sind,
Das ganz nur sind, was ganz nur sein wit
können.“
„Ihr öffnet mir da eine neue Welt,“
Fährt fast gedrückt der junge Mann da fort,
‚„”ıs hab ich nie in der Natur gelesen.
- ...1 hat gelehrt man, sie sei Vorratskammer,
"rinnen alles wohl und fein geordnet,
In Klassen und Familien gebracht,
Ein jedes Ding doch von besondrer Art,
Das hoch man schätzt, soweit es nützlich ist.
Nun knüpft Ihr Fäden, die Natur und Leben
Der Geisteswelt so wunderbar verbinden,
Die nie ich sah. Durch Euer klärend Wort
Fällt es wie Schuppen mir von meinen
Augen.
O habet Dank! Was dank’ ich alles Euch!“ -
Sie sind nun an der Mühle auch vorbei.
Im Hohlweg stehn sie, wo zur Rechten,
Linken
= 188 —
Die Rosenknospen an den Strauch sich
wiegen.
Der Jüngling bricht rasch eine Dolde ab,
Die steckt sie dankend an den Busen sich.
Durch Äcker steigen sie zum Hügel ’nauf.
». * eine Linde an dem Feldrain steht
« t runder Kuppel, wo der Landmann rastet
....£ seinen Tieren in des Sommers Glut,
Sein Mittagsmahl zu halten mit den Seinen,
Lockt eine Rasenbank zu trauter Ruh.
Dort setzet nieder sich das stumme Paar
Und schauet schweigend in den nahen
Grund,
Ein jeder von des andern Näh beglückt.
Ds
In Liebeswonne liegt das Land.
Das ist ein Leuchten, farbenbunt,
Bis an des Himmels lichten Rand.
Es schwillt der Erde Blütenmund,
Und seinen Kuss der Himmel drückt
So innig warm, so lange, lang. —
Nun schauen sie sich an beglückt,
Und jeder: Blick zu Herzen drang.
Und Jubelklänge steigen auf,
Und jeder Erdhauch ist ein Lied.
€)
Die goldne Sonne hemmt den Lauf,
Wie sie die Lust im Maien sieht.
Und an des Waldes dunklem Saum,
Da wisnert’s. hinter Blum und Busch.
[wo _ sind aus des Winters Traum
[+ wer Elfen, Husch,husch, husch --
f ntan-en se am schatt’gen Rain
Un taumein kichernd in das Blühn
Un setzen traulich sich zu zwein
Liebkosend in das junge Grün,
Und schlürfen Wein, taufrisch und klar
Und schwenken Kelche blau und weiss;
Sie trinken auf ein gutes Jahr
Und stossen an, dem Mai zum Preis: —
Die Halme flüstern hin und her,
Als wär ein Wunder wo geschehn.
Und weiter übers grüne Meer
Sieht man’s wie frohe Kunde wehn.
Die ersten Ähren quellen vor
Aus dem verborg’nen Segensgrund.
Es rauscht und schwillt in vollem Chor:
„Des Himmels Güte ward uns kund!“
Und vor des Feldes Wonnelied
Des Eächleins Rauschen stille schweigt.
Und wie es zaudernd so verzieht,
Die Weide sich verwundert neigt.
an
Die Nixe schaut mit feuchtem Haar
Neugierig aus dem Schilf heraus ;
Der Weide wird so wunderbar,
Sie wischt sich schnell die Augen aus,
Ob sie” auch recht‘ gesehen hat: -—
Wie sich verklärt ihr Angesicht!
Sie steht und starrt und rührt kein Blatt,
Denn Alter schützt vor Torheit nicht.
Und aus dem gold’nen Löwenzahn
Schallt laut herüber froher Laut.
Dort fängt die Hochzeitstafel an:
„Hoch leben Bräutigam und Braut!“
Und Käferlein ziehn goldbeschwert
Zum Hochzeitshause langsam hin,
Und manches Schöpplein wird geleert,
Denn Maientrank bringt frohen Sinn.
Auch eilt herzu manch Hungergast
Und schmaust am reichgedeckten Tisch.
Viel Wandervolk hält lange Rast
Und trinkt ein Tröpfchen gut und frisch. —
In Liebeswonne liegt das Land. —
Und jedes Blümlein in dem Grund
Und jedes Gras in Staub und Sand
Preist laut den Mai mit Herz und Mund. —
— 91
In Liebeswonne liegt das Land. — —
„O Mädchen schau ins Auge mir, -
Komm, reich mir Deine liebe Hand,
!”’eut kam der Mai zu mir und Dir!
Ich war im Traumland, winterweit. —
Geweckt hat mich Dein süsser Mund,
Frlöst von bösem Bann und Leid.
‚a war mein Herz so krank und wund! —
"1 halfst mir durch, nun ist mir gut,
" gabst mir einzig rechten Rat,
[c ı fühl’s durch Dich: mein wallend Blut,
Es treibt hinein ins Land der Tat.
Weltfernem, freudelosem Sein
Hab ich den Rücken nun gewandt.
ins volle Leben hast hinein,
7 1, meine Sonne, mich gebannt.
un sag mir, was Du sagen musst:
Willst immer Du mein Lichtstrahl sein
Und leuchten mir in heilger Lust
In meinen fernsten Tag hinein?“ —
Der Jüngling ihre Hände fasst
Und schaut ins Auge ihr so tief; —
Ihm: war’s, ‚als; schaut. er in;ein Meer,
Drin all sein Glück und Sehnen schlief. —
Das Mädchen sah verschämt ihn an;
Es wusste nichts, gar nichts zu sagen
cz
Dem wilden, ungestümen Mann
Auf all sein drängend Wort und Fragen.
Sie nickte nur, es starb ihr „Ja“
In heissem Kuss an seinem Munde.
Mit. holder Braut auf seinem Schoss
Verfiox so schnell die sel’ge Stunde.
Die Linde hielt den Atem an,
Sie konnt’ zwei Herzen schlagen hören.
Der Fink im Laube schwieg und sann,
Die Wonnestunde nicht zu stören. —
Und ihre blonden Zöpfe schlägt
Er um con Hals sich in Gedanken
Und meint, das Labkraut habe ihn,
Den Dorn, geschmückt mit seinen Ranken.
Und wie sıe von dem Kranken spricht,
Zı em sie heute wollten gehen,
Lacl.t °r sie schelmisch an und meint:
„Fia‘* : eut mit Zaubertrank versehen
Den «-itten, dass er jubelnd lacht,
Um And’re sollst Du nicht mehr bangen,
Was wund Gott in die Hand Dir legt,
Hat gleich zu heilen angefangen.“ —
Dann küsst er sie mit langem Kuss. -
Ganz irre wird die alte Linde
Im Zählen da, sich zum Verdruss;
Er streicht durchs Haar dem lieben Kinde.
- © —
Sie meint: „Mich dünket sündhaft fast,
Dass kosen wir im Sonnenlicht.“
Auf seinen Knien, die süsse Last,
Er wiegt sie her und hin und spricht:
„Geliebte mein, der helle Tag
Darf immer sehn, wenn wir zu Zwein
Liebhaben uns im Blütenhag
In wahrer Treu, mein Herz ist rein.
In alle Himmel ruf ichs laut:
Heil mir Ich halte‘ meine Braut!‘ —
A
Längst neigte schon der Sonne goldnes
Haupt
Zum Hügelrande sich, dass unters Dach
Dor alten Linde vor dem Schlafengehn
Noch einmal richte sie den Mutterblick
Voll zärtlicher Besorgnis und — voll
Neugier:
Sie fand nichts als ein liebetrunken Paar.
Und weil ihr das so gar nichts, gar nichts
Neues,
Sank sie hinunter, müd vom Tagewerk,
Indess ihr letztes Leuchten‘ mild umfloss
Die Lindenkrone und ein glücklich Paar. —
Und unbemerkt vom Bergwald: stieg her-
nieder
94 -
Die Maiennacht wie wunderreiches Märchen,
Umhüllend sanft ein glückversunken Paar,
Das sich umschlungen hielt in sel’gem
Schweigen. —
Und plötzlich aus dem nahen Rosendorn
Schwillt Jubel und Frohlocken in das Tal.
Aus seinem Liebestraume weckt das Lied
Der Nachtigall zwei weltvergessne
Träumer. —
„Komm, lass uns ziehn, der Abend kam
herbei.
Mir ist so bang, die Eltern werden warten,“
Spricht bittend sie und zieht den Liebsten
mit.
Der schaut wie sehnend um zum trauten
Ort;
Als wollt sein Bild er mit den Augen
trinken.
Dann gehn sie Arm in Arm. Die Nachtigall,
Sie sendet nach gleich feur’gen Liebes-
pfeilen
Noch Lied um Lied. Am Hügelrande, wo
Das Abendrot verglüht, steht eine Wand
Tief dunkler Wolken, draus es wetter-
leuchtet.
©
Wie schmerzdurchzuckt fuhr plötzlich da
zusammen
Das bange Mädchen bei dem grellen Blitz.
„Die Nacht,“ so meint sie, „wird nichts
Gutes bringen.“
Jetzt fester fasst der Jüngling seine Braut:
„Das erste Wetter über unserm Haupt
Am ersten Tage unsrer jungen Liebe, —
Es soll nicht schwach uns finden, zage
nicht!“ —
So wandeln sie des Wegs der Mühle zu.
Der linde Abend hielt die Kranke noch
Im Freien unterm Fliederbaum am Garten.
741 kurzem Grusse weilten sie nur hier.
Pie Freundin sah den Beiden lange nach —
Und wischte heimlich eine Träne ab.
Der Fliederbaum nur merkt’ es, und der
plaudert
Es nimmer aus. — Im Hirtenhause war
Der wilde Robert längst schon ein-
geschlafen.
Die Mutter stammelt heisse Dankesworte.
Die Wunde wird, so hat der Arzt versichert,
In wenig Wochen heilen. Dann nach
Haus
a -
9% —
Nun eilt das Paar rasch durch den
Heckenpfad
Vorbei am Dornbusch mit dem grünen
Labkraut. —
Am Fenster stand die Mutter, sich ver-
zehrend
In bangem Warten; denn im Abendschein,
Als sie des Dämmerstündchens Frieden
trank
Mit dem Gemahl, brach er zusammen ihr.
<> Weiss es nicht, wie sie es fertig brachte,
_ „°tten ihn, doch hat sie es gekonnt.
„27 Schläft er sanft fast eine ganze Stunde,
In] immer sind die Beiden noch nicht da.
Vielleicht ein Unfall — ach, nicht aus-
zudenken!
Und dann schoss es ihr plötzlich durch den
Sinn:
Vielleicht — doch nein — wie konnte das
sie denken!
— Und eine Mutter denkt gar viel und
weit. —
Da knarrt es. Ging die Gartentüre nicht ?
Gottlob sie sinds. Sie treten leise ein.
Die Mutter winkt, den Vater nicht zu
wecken,
Berichtet flüsternd dann, was hier geschehn.
7 -
„Ich hab’s geahnt‘“, so seufzt Marie für sich.
Nun. sitzen da die drei in dunkler Stube
Voll banger Ahnung, bleichen Angesichtes,
Wenn grell durch Fenster Himmels-
flammen leuchten,
In langem Schweigen, wenn der Donner
grollt.
Und näher, immer näher kommt das Wetter
Mit Allgewalt. sich‘ furchtbar zu entladen
Im maienjungen Tal von Friedenau. —
98
Zum Frieden.
ve f
Der Sonntag kam mit trübem Angesicht.
Voll Wehmut stand er an dem Hügelrand.
Die Wolken sah er unheilvoll sich jagen.
Sie gossen in das blütenlust’ge Tal
Ingrimmig einen Schauer nach dem andern.
Geduckt ging er am Kornfelde entlang.
Die jungen Ähren weinten wie die Kinder,
Wenn Festesfreude jäh zunichte wird.
Der Sonntag tat, als hörte er es nicht,
Und weiss doch Gott, wie weh ums Herz
ihm war!
Und abwärts durch die Gärten schlich er
sich. —
Da kauerte der Fink auf niederm Aste
Und seufzte, stöhnte lange Klagelaute.
Am Schulhaus steht die Gartentüre offen,
Und ungesehen tritt der Sonntag ein,
Lugt durch das Fenster. Auf dem Bette
liegt
Der Kantor da, umgeben von den Seinen,
9
Der Pfarrer spendet ihm das Abendmahl.
Und nach der Handlung nimmt er bei der
Hand
Marie und Fritz, spricht mit bewegtem Wort:
„Sieh, diese Herzen haben sich gefunden,
Den Weg zu wallen hin zur Ewigkeit.
Nun fahr in Frieden heim, Du treuer Freund!
Versorgt sind Weib und Kind. Hier steht
Dein Sohn.
Ich lege ihre Hände ineinander,
Dass Du sie segnest an des Priesters Statt
Mit Deinem letzten heil’gen Vatersegen.“ —
Und niederknieen schluchzend, wie zwei
Kinder,
Die„beiden da. Es richtet. sich. empor
Mit letzter Kraft der lebensmüde Greis.
Die Mutter stützt den Rücken sorglich ihm.
Der. Pfarrer. hebt. zum. Segen ‚seine ‚Hände,
Und auch der Sonntag draussen betet mit.
Ganz leise mit gebroch’nen Worten klingt’s:
„Nun lasse fliessen, Himmelsvater, nieder
Auf uns’re Kinder Deinen Segensstrom
Durch meine Hand, die schwache, sterbende!
Erhalte rein Dir diese jungen Seelen!
In Deinem Dienste lass erstarken sie! --
Verleih ihm Kraft und Weisheit zu dem Amt,
Das Du zu treiben ihm befohlen hast;
74
100
Dass’es ihm möge doch gegeben sein,
Die kleinen Herzen fest an Dich zu ketten,
Damit das kommende Geschlecht Dich suche
Und in Dir finde Trost und Halt und
Heil. —
Und diesem Kinde voller Lieb’ und Treue,
Das " ı uns hast als Engel zugesellt,
rhal.2 ihm die heil’ge Gabe doch,
»' * voller Hand die Freude auszuteilen,
” “ _titen stets der Stirne Sorgenfalten.
_ mEchten ferner hier in Friedenau
Die Armen und Elenden sicher fühlen
Sich ihres Beistands und hilfreicher Tat!
In Gottes Namen — werdet glücklich,
Kinder !“ —-
Er sank zurück. Auf stand gerührt das Paar
Und küsste weinend da dem Greis die
Hände. —
„Mein Vater! — Einmal doch in meinem
Leben
Gab Gott den süssen Laut mir in den
Mund!“ —
Und lange sah der Greis ihn innig an. -
Sein Auge glänzt in überird’schem Lichte.
Jetzt zieht er zu sich nieder seinen Sohn
Und flüstert leis und nickt. Der winkt Marie,
Die setzt sich in. der Stube ans Klavier.
Und wie sie spielt, tönt es ins Kämmerlein:
101 —
„Lobe den Herren, o meine Seele,
Ich will ihn loben bis in’n Tod.
Weil ich noch Stunden auf Erden lebe,
Will ich lobsingen meinem Gott;
Der Leib und Seel’ gegeben hat,
Werde gepriesen früh und spat!
Hallelujah, Hallelujah!“
Nie hatte Fritz so innig je gesungen!
Heut war es zum Bewusstsein ihm ge-
kommen,
Der Töne Quell entströmt dem heil’gen Reich
Des Friedens und der ew’gen Harmonie.
Nie ward ein Lied so dankbar hin-
genommen! —
Die Mutter hielt den Sterbenden um-
schlungen. —
Die sagten ab und zu sich was ins Ohr.
Und als das Hallelujah leis verklang,
Winkt sacht der Pfarrer, der am Vorhang
stand,
Dem dunkelroten, der die Kammer schied,
Dem Paare, und es trat ans Bett heran.
Des Todesengels schwere Flügel rauschten
Im stillen Raum. Bang ging der Atem
noch. -—
Das Auge irrte suchend wirr umher. —
Die welke Hand, sie tastet blindlings
ZU.
102
Die Mutter fasst sie innig, und ihr ist
Als ob wie einst sie am Altare ständen:
„Ich komme — Franz! — — Marie und
Fritz — wie schön!“ —
Dann war es aus. -— Ein heller Sonnenstrahl
Stahl durch das Fenster sich zum Sterbe-
bett.
Derweil sie alle aus sich weinten, kam
Der Sonntag ungesehn ins Kämmerlein,
Küsste im Sonnenschein des Toten
Wangen,
Drückte recht sanft ihm beide Augen zu
Und ging davon, wie er gekommen war.
Ein Lächeln spielte um des Toten Mund. — —-
Und in der Stube blieb. der Pfarrer noch
Trostspendend, ratend, wie der Freund es
tut.
„Gönnt ihm die Ruh, er ist 'am schönen
Ziel;
Derweil wir noch auf dornenvollem Pfad!
Vollendet liegt sein Werk vor Gottes Thron;
Denn er war treu wie wenig Sterbliche.
Wer so. wie er in seinem ganzen Leben
Von Schwachheit stets und Mängel kleiner
Wesen
Umgeben und in Demut und Geduld
Zufrieden wandelt. seinen engen Pfad,
In Liebe hängt an dem, was oft ihn plagt, —
-- 103
Der ist zwar treu im Kleinen, doch kein
König
Kann gröss’re Treue seinem Gott bewahren.
Der wird ihm nun auch seine Krone
reichen.‘“. —
Da tritt herein ein junger Bauersmann.
Sein Pochen hatte niemand wohl ver-
nommen.
Es war der neue Bürgermeister, der
Den alten Lehrer wollt’ einmal noch grüssen.
Ach, wie erstaunte er, als Fritz ihn führte
Ins Kämmerlein! Wie weinte er da laut:
„Ich kam, um eine Freude herzutragen,
Doch war’s zu spät! Das tut dem Herzen
weh! —
Beschlossen wurde im Gemeinderat,
Dem Kantor hundert Taler zum Gehalt
Noch zuzulegen.“ — „Er bedarf’s nicht mehr,
Hat alles nun genug,“ — erwidert drauf
Die Kantorin. Der Pfarrer fügt hinzu:
„Wohltat aufschieben ist kein Wohltun
mehr.
Doch wollt im Sinn Ihr des Verstorb’nen
handeln,
Des Losung: Für sich nichts, alles für
and’re, —
So steht vor Euch die Witwe da, sie sei
— 104 —
Empfohlen Euch, ihr wendet’ zu, was Ihr
Bestimmtet dem Gemahl, sie wird’s Euch
danken.‘
Und ihre Hand ergreift der Bürgermeister:
„So soll es sein, wir halten Treue Euch!‘ —
Und als der Pfarrer ihm vom Glück
berichtet,
Das mit dem Tode seinen Einzug hielt,
Da grüsst mit frohem Wunsch er laut das
Paar:
„So von Geschlechte zu Geschlechte sollte
Der Echule Amt forterben sich fürwahr!
\velch reicher Segen würde der Gemeinde
Daraus erblühen, wenn das Schulhaus blieb,
Der feste Hort, drin durch der Zeiten Lauf
Und ewgen Wechsel immer ungestört
Der alte, gute Geist vergang’ner Tage
Fortleben würde, wenn erhalten bliebe
Ureigne Art uns, die von Mund zu Mund
Der Vater seinem Sohn könnt’ offenbaren!
Ein Ewigkeitsgehalt durchwebte uns
Und. uns’re rasche, neurungssücht’ge Zeit.“ —
Erwidert drauf der junge Mann sogleich :
„Ich preise glücklich mich, mit solchen
Männern
Zu stehen am Altare uns’res Volkes,
Ihm darzureichen, was ihm.nützt und frommt!
105 —
Wo so zu reiner Harmonie vereint,
Sich finden. Kirche, Schule und Gemeinde,
Aa muss ein glückliches Geschlecht gedeihen,
"4 kann die Schule ihr Versprechen lösen,
' 188 ihre Glieder tüchtig, fromm sie mache,
“ _t . irche und Gemeinde einst. zur Zier.
Tı wird der Schule heiliger Beruf
Erfahren stets die rechte Förderung,
Wo sie sich sicher solcher Freunde weiss.
Hier an des treusten Lehrers Totenbette
Lasst uns der Freundschaft hehres Bündnis
schliessen
Und schwören: „Es gilt Treue ja um
Treue 1“ —
Und ernsten Blickes hörten es die Männer.
Zu heil’gem Schwure fanden sich die Hände,
Und betend standen ferne die zwei Frauen. —
Und als der Pfarrer spät am Nachmittag
Am Waldrand auf dem Heimweg sinnend
rastet,
Rauscht aus dem regenschweren Wald-
gebüsche
Ein altes Mütterchen mit ihrem Enkel.
Mit Moos und Laub und Efeu schwer
beladen,
Begrüssen sie in Ehrfurcht scheu den Herrn. —
106
Der sieht noch lange hinter ihnen her. —
Dann wendet er sich endlich um und denkt:
„Welch schöner Schluss, wenn uns ge-
wunden wird
Der letzte Kranz vom Alter wie der Jugend
Und stille Einfalt Tränen nach uns weint!
Was ist der Lorbeer auf des Königs Grab,
Der prunkend predigt eitle Heldentaten,
Doch gegen solches schlichte Laubgewinde,
Womit die Liebe innig Liebe grüsst!
Hier ist gewiss, dass eingegraben stehn
Wir in den Herzen, dass Unsterblichkeit
Uns reichte ihre immergrüne Palme. —
Was ist es aber, das uns überdauert,
Das länger währt als unser Atemzug? —
Die Liebestat, die reine, gottgewollte,
Der Herzschlag unsers bessern Ichs, das
eo
Arglose Streben nach des andern Glück!“ —
BA zn
Ein Sommersonntag wars, ein Hochzeitstag,
Da Erd’ und Himmel sich entgegenjauchzen.
Hin durch die blütenüberlad’nen Hecken
Zum Friedhof lenkten langsam ihre Schritte
Der Pfarrer und der Lehrer Friedenaus.
a
Wan
. 107 —
Ein Blumenbeet schien rings der Gottes-
garten. —
Auf jedem Grabe glühten rote Nelken
Und Goldlack unter duft’gem Fliederbusch
Und Potdorn. Im den Trauereschenlauben
Sann Efeu innig nach vergang’nem Glück.
Selbst aus vergess’nen Grabeshöhlen nickten
Narzissen freundlich. einen fernen Gruss. —
Vorbei an Kreuzen, über welke Kränze
Hinschritten stumm sie zu dem frischen
Hügel,
Der sich zuletzt an diesem Ort gewölbt.
Versunken erst in herzlichem Gebet,
Legt drauf der Pfarrer einen Rosenstrauss,
Den ersten, den der Sommer ihm geschenkt
Im eignen Garten, auf des Freundes Grab. —
Still schauten dann die beiden lang sich
um.
Her über’n Zaun wogt das Getreidefeld
Im Sonnenglanz der Ernte schon entgegen.
Und drüber steigt der Bergwald kühn empor.
Die Buchenbäume, die ihn schwellend
säumen,
Mit jungem Grün, sie rauschen Friedens-
psalmen
Und Schlummerlieder all’ den lieben
Schläfern.
Und durch der Gärten reiche Sommerlust
— 1068 —
Schaun wie in Neugier Giebel, Firsten,
Dächer,
Verbergend Unrast, Glück und Neid und
Not,
Herüber zu der ruhigen Gemeinde,
Die unter bunter Pracht sich friedlich bettet.
Und hoch empor ins Himmelblau hinein
xagt, nah den Toten wie den Lebenden,
Der wettergraue Kirchturm, ernsten Blickes.
Und wie er heisst mit seinem eh’rnen
Munde
Die müden Waller her zur Ruhe kommen,
So weist als ew’ger Wächter er empor
Mit starrem Finger in das Land des
Friedens,
Verknüpfend Erdenland und Himmelreich. -
Und wie die beiden schweigend heimwärts
gehn,
Das Herz so voll von Himmelsharmonien,
Drückt sich der Sonntag durch den Hecken-
.dorn,
An seinem Hut die erste volle Rose,
Und setzt sich nieder auf des Kantors Grab
Und summt ein Lied für sich so in den
Bart:
„Wie lieb’ ich dich, du Sonnenwelt,
Du fruchtverheissend Ährenfeld,
199
Du rauschende Waldeinsamkeit,
Dy Grüssen aus der Ewigkeit,
P4 blühender Dorn im Heckenhag,
« taufrische Rose am jungen Tag,
. 1 Rosmarin und Vergissmeinnicht,
“senn Treu und Liebe mit Euch spricht,
Ihr Fliederbäume über der Gruft,
V’orressene Hügel voll Grün und Dufit,
Du stilles Träumen am Grabesrand,
Ihr heimlichen Tränen auf Blatt und Hand;
Euch Giebel und Dörfer voll Schwalben-
sang,
Und drüber den hellen Glockenklang! —
Wie hab’ ich Euch lieb, Ihr Menschenherzen
In Eurer Lust, in Euren Schmerzen,
Wie hör’ ich Euch lachen gern und singen,
Wie seh’ ich Euch kämpfen gern und ringen
Und hör’ Euer Sehnen so gern nach Ruh
Und drück’ Euch so gern die Augen zu! —
O dass doch niemand in Winkel und Ecken
Wollte verkriechen sich und verstecken
Und jeder nützen seine Zeit,
Zu trinken Wonne und Herrlichkeit
In Licht und Sonne, in Lust und Klang,
In mutigem Schaffen und Tatendrang,
Kräfte entfalten und bilden und bauen
Und auf des Himmels Segen trauen.
- 110 —
Doch neben Wirken im Sonnenschein
Auch etwas werden und etwas sein,
Stille blühen und wachsen und warten
Wie knospende Rosen draussen im Garten;
Wenn and’re an uns vorübergehn,
Dass sie uns lieben und uns verstehn,
Dass sie sich freuen, wenn Gottes Licht
Sich anders in unserm Herzen bricht,
Dass uns entstrahle, was Gott uns gegeben,
Hinieden schon lenzfrohes, seliges Leben,
Dass uns durchklingen in Lust wie Leid
Harmonieen der Ewigkeit!‘ —
14
Berichtigungen.
S. 4 Z. 5 v. 0. lies: Mit freudetränendem, herzigem
Gruss.
Ss. 7 Z. 19 v. o. lies: Abendbrot.“
Ss. 9Z. 1 v. o. lies: reich’re, fett’re.
Ss. 11 Z. 4 v. 0. lies: Lobelaut.
S. 17 Z. 14 v. o. lies: Hag.
Ss. 30 7. 6 v. o. lies: Da grüsst.
8.830 Z. 8 v. 0. lies: Thron.
Ss. 88 Z. 1 v. o. lies: an dem Strauch.
Sa 4097 Ss
A .
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