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Geschichte
irchenvisitationen
Hanauer ev. reformierten Kirche
im 18. Jahrhundert,
dazu:
Geschichtliche Abhandlung
über die
Hanauer Quartal-Convente
1m 17. Jahrhundert,
seinen verehrten Herren Amtsbrüdern im Hanauer Lande
in aufrichtiger Liebe. gewidmet
Georg Jung hans,
I. Pfarrer zu Steinau,
Coblenz 1893 ,
Buchädruckerei & Commissionsverlag des Evangl. Stifts St. Martin.
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der
von
Geschichte
Kirchenvisitationen
Hanauer ev. reformierten Kirche
im 18. Jahrhundert,
dazu:
Geschichtliche Abhandlung
über die
Hanauer Quartal-Convente
im ı7. Jahrhundert,
seinen verehrten Herren Amtsbrüdern im Hanauer Lande
in aufrichtiger Liebe gewidmet
Georg Junghans,
L. N DIRT du Steinau.
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Coblenz 1893,
Buchdruckerei & Commissionsverlag des Evangl. Stifts St. Martin.
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A LANDES- =
BIBLIOTHEK
KASSEL
2° Pa ac)
Geschichte
Kirchenvisitationen
Hanauer ev. reformierten Kirche
im 18. Jahrhundert.
HER
I. Abschnitt.
Kinleitung und Vorgeschichte.
Inspector Friedrich Grimm.
de1
der
Meine verehrtesten Herren Amtsbrüder!
Wenn ich mir gestatte, für einige Stunden Ihre Aufmerksamkeit
den Kirchenvisitationen unserer Hanauer ev. reformierten Kirche des
vorigen Jahrhunderts zuzuwenden, so befürchten Sie nicht, ich würde
den Anfang machen, mit einer gelehrten Abhandlung über die Bedeu-
tung von Kirchenvisitationen im Allgemeinen und im Besondern, oder
mit einer ethymologischen, historischen, theologisch-philosophischen Aus-
einandersetzung gewisser Art. Ichwerde nicht reden von den &7tL0%0704L5,
den Superintendenten, Inspectoren, Dekanen und Metropolitanen, auch
nicht von den Visitationsreisen des Apostels Paulus, oder der Inspection
des Kretensischen Bischofs Titus, oder der General-Kirchen - Visitation
Luthers, oder der Kirchenvisitation des Cardinals und Erzbischofs Fe-
derigo Borromeo von Mailand im Jahre 1629 -—, bekanntlich ‚eines der
ergreifendsten Kapitel des berühmten Buches von Alessandro Manzoni.
Ich gehe vielmehr in mediam rem, indem ich cs für eine Pflicht
der Pietät in unsern Tagen halte, nach Kräften das Gedächtnis unserer
geistlichen Väter wach zu rufen, auf deren Schultern wir ja doch stehen,
wissen ja doch die Meisten des jüngern Geschlechtes kaum die Namen
der ehrwürdigen Superintendenten und Inspectoren unserer Kirche aus
der Zeit vor 100 Jahren. Sie sind es wert, dass wir mit Gedanken
der Liebe und Verehrung, der Dankbarkeit bei ihnen verweilen, ist doch
Mancher unter uns, dem die milde Güte Eines von ihnen seiner Zeit
sogar materiell recht kräftig unter die Arme gegriffen hat.
Sie alle haben es treu und redlich in ihrem wichtigen Amte ge-
meint. Und wenn auch Manches von ihrer Art, das Beste der Kirche
wahrzunehmen, sich auf die Dauer als unbrauchbar erwies, fruchtbringend
anzuregen, so hat doch auch der von ihnen ausgestreute gute Samen
mit Gottes Hülfe bis in unsere Zeit edle Frucht gebracht. Kein Same
in der Welt geht alsbald auf, und auf dem Kirchenfelde bedarf er ge-
meiniglich erst rccht langer Zeit, bis er keimt, grünt, blüht und Frucht
bringt. — Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt
haben, welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach! das
sollen wir uns gesagt sein lassen, indem wir die ehrwürdigen Gestalten
der Alten vor uns aufsteigen sehen.
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Wir haben es in unsern Tagen vielfach leichter bei unserer Kir-
chenarbeit als jene und ihre Mitarbeiter. Auch um desswillen dürfte es
nützlich und heilsam sein, der Geschichte der Kirchenvisitationen des
vorigen Jahrhunderts nachzugehen. Danken wir Gott, dass er es uns
leichter gemacht als unsern Vorfahren, uns besser gerüstet hat als sie
zu ihrer Zeit, der Rohheit und Zuchtlosigkeit, Widerspenstigkeit, Un-
wissenheit und Thorheit, die sich wider den Herrn und seine Gemeinde
erhebt, entgegen zu treten. Freilich hat sich in unsern Tagen andrer-
seits eine Macht wider die Kirche Christi erhoben, von der die gute
alte Zeit noch nichts wusste, aber neue Gaben und Kräfte legen auch
neue Anforderungen und Verpflichtungen der Militia Christi auf. Im
Hinblick auf. dieselben den Mut verlieren, verzagen ist, wie die Ge-
schichte dem, der sie aufmerksam verfolgt, nur zu deutlich zeigt, un-
dankbar, gedankenlos, unnötig.
Also lassen Sie uns, meine lieben Herren Amtsbrüder, wenn wir
hin und wieder einmal unter der Last unserer Aufgabe seufzen, unter
Gottes Beistand’ fleissig neuen Mut, frische Lust schöpfen bei der Be-
trachtung kirchlicher Zustände, wie sich soiche bei den Kirchenvisita-
tionen in der sogenannten guten alten Zeit herausstellten!
Der Herr, der seiner Kirche kräftig weiter geholfen hat, wird auch
ferner über alle widerstrebenden Mächte den Sieg behalten und seine
Kirche mit ihm, jetzt und immerdar!
Es muss uns im höchsten Grade auffallen, dass unsere in Hin-
sicht auf das kirchliche Leben sonst so inhaltsreichen Pfarrei-Akten aus
dem 17. Jahrhundert bezügl. der Kirchenvisitationen nur dürftige Notizen
enthalten, und höchst beiläufiger Art, als hätten sie auf die Entwicke-
lung der Dinge wenig Einfluss ausgeübt. Es wird auch so gewesen
sein.*) Die Verwüstungen des 30 jährigen Krieges waren in unserm
Hanauer Lande, speciell in der oberen Grafschaft grenzenlos. Steinau
wurde anno 1634 gründlich zerstört. Pfarrer und Gemeinde zerstreuten
und salvierten sich, ein Jeder so gut als er geköntt. Erst im Jahre
1638 konnte mit vieler Mühe und Not ein geordnetes Kirchenwesen
wieder in Gang gebracht werden. Und als man sich endlich notdürftig
eingerichtet hatte, überfielen die Kriegsvölker 1646 abermals das arme
Städtlein, um unter A. sein Kirchenwesen dermassen zu parturbieren .und
zu zerstören, dass solche Trübsal fast unverwündlich gewesen ist, wie
der Chronist vermeldet. Dem benachbarten Schlüchtern ist’s nach Rull-
mann eher noch schlimmer ergangen. Aus den Trümmern des Neuen-
gronauer Pfarrhauses heraus wuchsen Bäume. Aller Orten war das
Kirchenwesen der Auflösung verfallen, — nur in Marjoss hinter den
Bergen war noch ein Pfarrer und eine kleine Gemeinde ungestört bei-
sammen,
*) Wie wir später hören werden, war es auch in der Tat so. Die Con-
vente, welche nachweisbar wenigstens in der unteren Grafschaft gehalten wurden,
besorgten die Visitationsgeschäfte, und zwar mit möglichster Gründlichkeit.
Wenn wir am Ende des 30jährigen Kriegs gelebt und eine mass-
gebende Entscheidung zu treffen gehabt hätten, wie dem Jammer der
Verwüstung am füglichsten hätte abgeholfen werden können, wir hätten
warscheinlich die Dominos consiliarios Hanovienses — die gräfliche Re-
gierung zu Hanau, nach unserer heutigen Weise zu reden — ernstlich
veranlasst, eine General-Kirchen- Commission ins Leben zu rufen, die
stante pede wenigstens das Oberland durchzogen hätte von Pfarrort zu
Pfarrort, um den Greuel der Verwüstung näher zu besehen und die
zerstörten Mauern Zions vorerst im Allgemeinen notdürftig wiederum
herzustellen. Nichts derartiges geschah. Es wird den meisten der neuen
Pfarrer ergangen sein wie ihrem Confrater Joh. Georg Busius von Stei-
nau. Er schreibt, dass er, nachdem der alte Pfarrherr Dominus inspector
Joh. Appelius am 1. Augusti 1635 an der Pest gestorben und er es
avisiert worden sei zu Hanau, sich uff Bewilligung und Vorwissen do-
minorum consiliariorum Hanoviensium heruff begeben und von der Zeit
an mit äusserster Lebensgefahr die Kirche bedient habe.
Man hat die geistlichen Kräfte, die sich anboten und irgendwie
annehmbar erschienen, kurzer Hand an den Ort ihrer Bestimmung ge-
sandt, indem man es ihnen überliess, sich mit den kümmerlichen Resten
der Gemeinden zurecht zu finden und einzurichten, „so gut als sie
geköntt“.
Und wenn die neuen Hirten ihre Aufgabe so treu und gewissen-
haft erfasst haben wie die Pfarrherrn von Steinau in der 2, Hälfte des
Jahrhunderts, so gebührt ihnen für ihre redliche Mühe und Arbeit alles
Lob und alle Anerkennung.
Von einer Kirchenvisitation ist auf lange hinaus keine Rede.
Endlich 1658 kommt einmal der Oberpfarrer von Hanau herauf, es war
der vor Kurzem zum inspector omnium classium bestellte inspector Pe-
trus Pezenius, um in Steinau und Schlüchtern nachzusehen, wie sich
die kirchlichen Zustände hier oben im Lande während des letzten Jahr-
zchents gestaltet haben. Die übrigen Pfarreien der obern Grafschaft
scheint er nicht berührt zu haben,
Danach ist von einer Kirchenvisitation im laufenden Jahrhundert
überhaupt keine Rede mehr. Erst auf der Schwelle des folgenden am
2. 11. 1699 wird durch Inspector Hackenius wieder einmal Kirchen-
visitation in Steinau abgehalten.
Die Presbyter und der Amtmann über des Pfarrer Bender bisher
geführten Wandel befragt, legen ihm allerseits cin gutes Zeugnis bei.
Auch wünschen sie von Herzen, dass Gott der Herr seine Arbeit an
den Herzen ferner segnen und durch ein recht exemplarisches Leben
und führende gute Lehre die Gemeinde dieses Orts je länger je mehr
erbaut werden mögte.
Danach hält Inspector Grimm seine erste Visitation zu Steinau
gelegentlich der Einführung des Pfarrer Ammon, am 209. 5. 1707.
Pfarrer Anımon war schon seit Neujahr dahier aufgezogen. Die Kirchen-
ältesten waren deshalb in der Lage, bezüglich der Lehre und des Wan-
dels ihres neuen Seelsorgers dem Herrn Inspector eine Liebescontestation
zu Protokoll zu geben, also dass dieser jenem darzu. naächdrücklichst
gratulierte. Darauf begaben wir uns, berichtet Pfarrer Ammon, in die
Kirche und da ich die Jugend in den Hauptstücken der christlichen
Religion angefangen hatte zu examinieren, so haben hiernach Ihro
Hochehrw. Herr Inspector damit weiter continuieret und auch mit vielen
Segenswünschungen geendiget,*)
Hiermit sind wir, meine Herren, unvermerkt und unmittelbar an
das Thema herangekommen, für das ich mir Ihre geneigte Aufmerksam-
keit erbeten habe, Wir werden ausser dem Hochwürdigen und Hoch-
gelehrten Herrn Inspector Grimm noch 3 andere Herren Inspectoren und
Superintendenten des vorigen Jahrhunderts kennen lernen. Um sie und
ihr Wirken als Kirchenvisitatoren mit wenigen Worten im Voraus kurz
zu Charakterisieren, darf ich wol sagen:
Inspector Friedrich Grimm, in der schweren Rüstung kor-
rekter reformierter Dogmatik einherschreitend, bis an sein Ende uner-
müdlich eifrig und tätig als Oberhirte seiner Heerde und seine Mitarbeiter
wissenschaftlich anregend, ist eine durchaus edle Erscheinung, einem
Jeden, der ihn näher kennen lernen wird, ebenso sympatisch als sein,
seiner würdiger Sohn, Pfarrer Friedrich Grimm zu Steinau.
Schiede ist der liebenswürdige, bescheidene Menschenfreund, —
Endemann der auf der Schwelle der neuern Zeit stehende
redselige und stellenweis zu einiger Eitelkeit geneigte Herr Professor, —
; Merz der ehrliche letzte Orthodoxe, ‘der letzte Repräsentant eines
untergehenden Zeitabschnittes unserer heimatlichen Kirchengeschichte.
Es war nicht das erste und letztemal, dass Insp. Grimm 1707
zu Visitationszwecken in Steinau weilte. Am 2. 9. 1711 hielt er aber-
mals eine Visitation daselbst ab und später noch mehrere. Er über-
zeugte sich bald, wie wichtig es im Interesse der Einzelgemeinde sowol
als des gesammten Kirchenwesens der ganzen Diöcese sei, wenn ihr
Oberhirte von Zeit zu Zeit an Ort und Stelle persönlich nach dem
Rechten sähe, um anregend und fördernd einzugreifen, Unregelmässig-
keiten und Ungehörigkeiten zu rügen und‘ abzustellen, heilsame Zucht
und Ordnung auf die Bahn zu bringen und zu erhalten, gottselige Lehre
und Erkenntnis bei Pfarrern und Gemeinden zu überwachen und zu
pflegen und auf rechtschaffen ‘christliches Leben in allen Ständen zu
dringen.
Anm. Hinsichtlich der Einführung und Vorstellung des Pfarrer Ammon
wird beiläufig bemerkt: „Nachdem ich Pfarrer Ammon bei geendigter Morgen-
predigt von Ihro Hochehrw. Herrn Insp. Grimm der hiesigen christlichen Ge-
meinde öffentlich und ordentlich als ihr Seelsorger, Lehrer und Aufseher vorge-
stellet worden, bin ich darauf von Ihro Hochedelheit Herrn Rat und Amtmann
Schmitten im Namen unsers Durchl. Hochgeborenen Grafen und Landesherrn
der Gemeinde vor der Kirchthür unter dem freien Himmel recommendieret wor-
den und hat die Gemeinde auch mit gegebener IIand mir alle christlich gezie-
mende Folge versprochen‘‘.
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Auf seine Anregung hin ergingen alsbald zwei wichtige Erlasse
des Gräflichen Consistoriums hinsichtlich der Kirchenvisitationen. Am
6.7. 1712 wurde "sämmtlichen reformierten Pfarrern der Grafschaft
eröffnet :
„Weilen man wahrnimmt, dass der öffentliche Gottesdienst aut
dem Lande mit "Predigen, Katechisieren, Betstunde halten an etlichen
Orten ziemlich schläferig und nicht der bestehenden Kirchen - Ordnung
gemäs gehalten wird und daneben zu besorgen ist, dass einer oder der
andere Prediger in seinem studieren nicht fleissig genug ist, und in
seinem Wandel und Umgang nicht Alles beobachten mögte, was zur
Ehre Gottes und zur Auferbauung der Gemeinde ohnumgänglich ge-
fordert wird, so soll
t. An allen Orten der Gottesdienst auf des Herrn Tag zweimal,
Vor- und Nachmittags, Winter und Sommer, gehalten werden,
Vormittags Predigt, Nachmittags Catechisation.
ı Sind wöchentlich Mittwochs erbauliche Predigten und von Esto-
mihi an Passionspredigten ohnausgesetzt zu halten.
» Sollen die Pfarrer nicht zulassen, dass Jemand fremdes auf
dem Lande ohne Vorwissen des Herrn Inspectoris predige.
Die Pfarrer, welche verreisen und über eine Nacht von ihrer
Gemeinde da bleiben wollen, haben dies nächst gehöriger In-
terims-Bestellung ihres Ampts dem Herrn Inspector zu schreiben,
oder so sie nur eine Nacht von der Gemeinde und zwar in
der Stadt Hanau bleiben wollten, sich wenigstens in Herrn
Inspectoris Haus anzumelden.
Die Schulen sollen von den Predigern fleissig besucht werden.
ı Werden die Pfarrer ermahnt, sich öfters die schweren Pflichten
ihres Amtes wegen der künftigen Rechenschaft vorzustellen,
auch deshalben mit den Ihrigen einen gottseligen, mässigens
keuschen, friedsamen, erbaulichen Wandel zu führen. |
Endlich sollen die Pfarrer die Concepte ihrer Predigten, die sie
das ganze Jahr hindurch tun, bei der Hand behalten, um solche erfor-
derlichen Falles bei den jeweiligen Visitationen vorlegen zu können.
Hinsichtlich dieser selbst werden sodann unter dem 5. 9. 1714 eine
grosse Anzahl (80) Punkte festgestellt, welche fürs Zukünftige bei den
Visitationen ins Auge gefasst werden sollen :
Il. Vom öffentlichen Gottesdienst:
e. gr. Ob er nach der KO. pag. 1—16 und dem Reskript des Con-
sistorli vom I, 7. 1712 des Sonntags 2mal und wie verrichtet werde etc.
Il. Vom Pfarrer:
6. gr. Wie er; sein: Amt verrichte, ober die. Schrift. fleissig in
den Grundsprachen lese und studiere, was er für ein systema theologiae
gebrauche, ob er seinen Zuhörern aus der Schrift deutlich den locus
zur Gemeinschaft Gottes in %0 anweise und nachdrücklich auf ein
gottseliges Leben dringe, ob er eine deutliche Aussprache habe, ob er
auf seiner Zuhörer Leben und Wandel fleissig acht gebe und seine
10
Predigten danach einrichte, ob er die Laster strafe, ob er sein Strafamt
etwa zur Ausübung seiner passionen. und affecten misbrauche, wie er
die catechumenos ad S. coenam konfirmiere und ob es öffentlich vor
der Gemeinde oder dem presbyterio geschehe, ob er die Schul wöchent-
lich einmal allein und monatlich in Gesellschaft eines oder zweier Ael-
testen besuche, ob er in seinem Leben sich als ein Vorbild der Heerde
exemplarisch und ohne Aergernis aufführe, ob er friedlich, nüchteın
und mässig lebe, ob er eine gottselige Haushaltung führe, wie er sich
mit seinem Eheweib begebe, ob er seine Kinder in der Demut, Mässig-
keit, Friedfertigkeit, Gottesfurcht und Ehrbarkeit Christlich erziehe, ob
er seine Predigten concipiere und von denen letztgehaltenen aufweisen
könne, ob die sogenannte Sabbaths-Ordnung jährlich Dom. 17. p. Tr,
abgelesen und darüber gehalten werde etc.
IH. Vom Schulmeister :
Wie ‚er sein Ambt tue, ob er etwa dem Trunk ergeben, cin
Zänker und Spieler sei, ob er ohne Erlaubnis verreise, ob er zu streng
oder zu gelinde sei, ob der Schulmeister bei der Schulvisite dem Herrn
Pfarrer in guten Erinnerungen folge, ob er auch eine besondere Mägd-
lein Schul halte,
IV. Von den Kirchen-Eltesten :
etc. etc.
V. Von den Kirchenrügern:
etc. etc.
VI. Von der Gemeinde:
Ob etwa Leute in der Gemeinde seien, die Gottes Wort gering
achten, nicht zur Versammlung kommen, noch zum heiligen Abendmal
gehen, ob des Herrn Tag mit Saufen, Spielen und andern Ueppigkeiten
etwa entheiligt werde, ob etwa in der Gemeinde sonst Aergernis mit
Aberglauben, Segensprechen, Saufen, Spielen, Fluchen, unzüchtigen
Werken, wie sonderlich zur Winterszeit an etlichen Orten bei denen
Spinnstuben geschehen soll, vorgehen, ob etwa Eltern in der Gemeinde,
die ikre Kinder nicht zur Kirche, Schule und Gottesdienst anhalten, ob
Eheleute in der Gemeinde uneinig leben, ob alle Zuhörer in ihren Häusern
Bibeln haben, ob sie oft vermahnet werden, die Heilige Schrift und sonst
erbauliche. Bücher zu Haus zu lesen u. 8. w.
Die letzten Punkte des wichtigen Consistörial-Ausschreibens handeln:
Vil. Von den kirchlichen Gebäuden.
Vill. Von den Kirchengefällen, von Almosen und sonstigen Sachen.
Aus diesen beiden umfangs- und inhaltsreichen Aktenstücken ist
zur Genüge zu ersehen, wie hoch Grimm das Institut der periodischen
Kirchenvisitationen angeschlagen haben muss. *
Noch wichtiger aber als alle Visitationen, als alle von Zeit zu
Zeit wiederkehrenden persönlichen Bereisungen seiner Diöcese erschien
ihm die unausgesetzte, fortwährende wissenschaftliche Anregung seiner
Diöcesan-Geistlichkeit. indem er der Ansicht gewesen sein wird, eine
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wissenschaftlich gebildete, wissenschaftlich arbeitende und strebende
Geistlichkeit werde auch allezeit geneigt sein, ihren hohen Beruf in
idealer Weise aufzufassen, während von einem geistlichen und geistigen
Proletariertum nicht viel Erspriesliches zur Ehre Gottes und zum Auf-
bau der Gemeinde zu erwarten sein werde.
Zur Anregung seiner Pfarrer in der angegebenen Richtung fructi-
ficierte Grimm die vorhandenen Quartal-Convente, auf welchen er
dieselben unter seinem Präsidium zu versammeln pflegte. | Die Quartal.
Convente, bereits im 16. Jahrhundert ins Leben gerufen, waren unmit-
telbar vor Grimm’s Zeiten officielle Zusammenkünfte der Hanauer re-
formierten Geistlichkeit in Hanau, alle Quartale einmal, zur Beratung
allgemeiner Angelegenheiten, u. A, um etwaigen Uebergriffen der Lu-
theraner wider den Hauptrecess von 1670 gegenüber Stellung zu nehmen.
Grimm’s Verdienst war es nun, dies Institut der Quartal- Convente
seinen edlen Bestrebungen dienstbar zu machen. Die Quartal-Convente
sind in der Folge seine Lieblingskinder gewesen, und man kann sagen:
Niemals hat wol ein Vorsitzender von Pfarrkonferenzen in unserm Ha-
nauer Lande mit grösserem Eifer und grösserer Treue seines Amtes
gewaltet und so lange ausgehalten wie er,
Ein Jahr ums andere schickte er seine Einladungsepisteln ins Land,
im Anfang des Jahres nie vergessend, den geliebten Herren Brüdern
Gottes Segen und alles Gute für Amt und Haus anzuwünschen,
Von einem Quartal zum andern pflegte er in einer Decas quaes-
tionum in conventu ventilandarum selbst die Schranken abzustecken zu
dem bevorstehenden geistlichen Redeturnier.
Unter den Vorbereitungen auf seinen letzten Quartal- Convent
überraschte ihn der Tod. |
Das Nähere über die Einrichtung der Grimm’schen Quartal-
Convente erfahren wir am eiufachsten aus dem Consistorial-Erlass vom
22. II, 1713... U. A. wird darin gesagt:
Zur Ersparuug unnötiger Kosten und zur Vermeidung von Weit-
läufigkeiten sollen hinfort nicht mehr indistincte alle Geistliche zum
Convent kommen, sondern soll darin eine gewisse und zwar folgende
Ordnung gehalten werden, dass auf den 1. Quartal-Convent im Januario
kommen :
Kesselstadt,
Bruchköbel,
Die Ehren - Pfarrherrn zu Bergen,
Wachenbuchen,
Rodenbach,
Rodheim,
auf den 2. Quartal- Convent im April:
Hochstadt,
Dorfelden,
Die Ehren - Pfarrhermn. zu Altenhasslau,
Eschbach,
Rüdigheim,
Oberissigheim,
mus JR im
auf den 3. Quartal-Convent im Julio:
Mittelbuchen,
Rumpenheim,
. Nauheim,
Die Ehren-Pfarrherrn zu Bleichenbach,
Vilbel,
Ostheim,
Bischofsheim,
und auf den 4. Quartal-Convent im Oktober:
Kiliansteten,
Dorheim,
Die Ehren - Pfarrherrn zu Fschersheim,
Marköbel,
Rossdorf und
Breunigsheim.
Und Keiner in der hier beschriebenen Ordnung soll ohne erheb-
liche excusation ausbleiben dürfen bei Straf eines Guldens, welcher
jedesmal in die dazu verordnete Armenbüchse zu legen ist. Derjenige,
an welchem die Ordnung ist, auf dem Quartal-Conventstag zu predigen,
hat seine Predigt zu verrichten. Die übrigen haben so thaner Predigt
und darauf folgender Censur (letzterer in der Consistorialstube) beizu-
wohnen.*) Da aber einer oder der andere, an dem die Ordnung an-
her zu kommen nicht ist, etwas zu erinnern hätte, so hat er: diesfalls
seinen Confratrihus, welche nach der Ordnung anhero gehn, commission
aufzutragen.
Hierbei wird auch denen Pfarrhermn der Obergrafschaft angefüget,
dass, obwol dieselben wegen Entlegenheit ihrer l’farren und zu Erspa-
rung „derer sonsten erfordernden vielen Kosten von ordinairer Besuchung
derer Quartal-Convente verschont bleiben sollen, sie dennoch dafern Etwas
gegen den Recess und Religion wider Verhoffen vorgehen sollte, solches
Aeissig und pflichtmässig zu berichten haben, damit davon bei denen con-
ventibus corporum allhier geredet werden könne. Und auf dass die-
selben ebenmässig in. deren Predigen sich. wol exercieren mögen, so
soll, so oft Jemand von Consistorii wegen und aus dessen Mittel hinauf-
gehen wird, solches vorher dorthin notificiert und einem oder ‘zweien
von dasigen Pfarrherrn ein Text aufgegeben werden, welcher demnächst
im Beisein der abgeschickten von dem Consistorio und derer sämmt-
lichen oder auch teils der übrigen Pfarrherrn der Obergrafschaft in
einer Predigt explicieret und zugeeignet und darauf von denen übrigen
Pfarrherrn über sothane Predigt ein christlich und brüderliches judi-
cium und censur gehalten werden soll.
Hinzuzufügen ist noch, dass der Conventsprediger dem Inspector
ein Schema oder Disposition seiner zu haltenden Predigt, nicht über
1/, Bogen stark, lateinisch abgefasst, zu überreichen und nach der Cen-
*) Die Pfarrer versammelten sich nach dem zweiten Geläut in der Woh-
nung des Inspectors und gingen von da in Procession zur Kirche.
».
— 13 —
surierung seiner gehaltenen Predigt einen mit Text und Predigt zusam-
menstimmenden locus der reformierten Dogmatik zu verteidigen hatte, «-
während zwei aus der Convents-Geistlichkeit opponieren mussten,
In dieser Art und Weise sind die Quartal-Convente in der unteren
Grafschaft zu Hanau und namentlich die Disputationes in der Consisto-
rialstube von 1714—1748 unter dem Präsidium Grimm’s stricte ge-
halten worden, seltener in der Obergrafschaft. Von einem der letzteren
hat Pfarrer Ammon zu Steinau uns das Tableau aufbewahrt. Er schreibt:
Mittwochs den 22. Aug. (1714) predigt Herr Pfarrer Rüffer in
Schlüchtern‘ tempore consueto in locum 2. Petri 1, 20u. 21, habita con-
cione exhibetur concionis dispositio latine scripta, et locus theologicus
de S. Scriptura, praevia concionis habita censura, tractabitur opponen-
tibus D°- Franco, D°- Richtero et D°- Grillo, D°: inspectore E7L%gL0LV
suam addente,
Sonntags den 26. ejusdem in der Nachmittagspredigt zu Steinau
expliciere ego Pfarrherr Ammonius textum Rom. I, 19 u. 20. Finita concione
traditur dispositio, sub censuram vocatur cognio, et locus de cognitione
Dei, in specie ex natura, tractatur, opponentibus D°: Braunio, D° Rich-
tero et. D* Rüflero.
Mittwochs den 29. ejusdem predigt zu Schlüchtern Herr Pfarrherr
Richter von Oberkalbach in textum I Joh, 5, 7, quo facto exhibetur
dispositio, et, praemissa censura, locus de SS. Trinitate nostrae dis-
quisitoni subjicitur, opponentibus D°: Franco, D°: Schlemmero et Am-
monio.
Sonntags den 2. Septbr. predigt Herr Pfarrer Grill in textum
Rom 8, 29, zu Schlüchtern, Gundhelm oder Oberkalbach, welches noch
zu definieren ist. Tradita dispostione et praemissa censura tractatur
locus de consilio gratiae et ex parte irae exercendae, opponentibus D°“
Schlemmero, D°- Scilero et D°: Braunio.
Zum Schluss wird hinzugefügt:
Qui concionem habuit, non solum concionem suam, sed etiam locum
theologicum in thesi tuebitur, cui vero opponentis partes sunt, is ad mini-
mum duobus argumentis thesin oppugnabit, ad quem D°- concionator
respondebit. Si quis morbo impeditus officio suo ipse fungi non po-
tuit, alius ex confratribus in ejus locum substituendus est ab ipso.
In grosser Zahl dagegen liegen uns die ausführlichen Programme
der in Hanau abgehaltenen Quartal-Convente vor, Interessant ist es,
dieselben einmal näher anzusehen. Ich beschränke mich darauf einige
aus der grossen Schaar herauszugreifen und deren Inhalt mit wenigen
Worten der Hauptsache nach zu skizzieren.
Pfarrherr Weigel hat zu predigen über Col. 2, 9 und zu disputieren
de utriusque mediatoris naturae unione mysteriosa.
Bauscher über Phil. 2, 6—11 und de triplice munere mediatoris,
Mog über 2 Cor. 5, 15 und de duplice statu Christi, exinani-
tionis et exaltationis.
Hungrighausen ex Jerem. 31, 18 u. 190 de applicatione salutis im-
petratae per compassionem.
wm 14: um
Bröske über Joh, ı, 12 und de fide.
Schlemmer über Röm. 3, 24 und die justificatione.
Agricola über 2 Cor. 7, ı und de sanctificatione,
Kratzheller über 2 Cor. 1, 21 u. 22 und de perseverantia sancto-
rum et de certitudine salutis.
v. Konsheim über Rom. 4, 11 und de Sacramentis in genere,
vel vernacula vel latina lingua pro unius cujusque arbitrio.
Berlius über rı Petri 3, 21 und. de baptismo.
Uffelmann über ı Cor. 10, 16 und de sacra Coena.
Wagner über Hebr. 12, 22 u. 23 und de ecclesiae natura.
Bus über Eph, 4, 11 u. 12 und de ministeriis ecclesiasticis et ec-
clesiae:
Cress über Matth. 16, 19 und de disciplina ecclesiastica.
Hasenpflug über Joh. 5, 28 u. 29 und de ultimo loco system, theol.
Cress über ‘2: Tim. 3, 16 u. 17 und de sacra scriptura.
Schlee über 2 Cor.‘ 13,13 und de SS. Trinitate,
Stahl über Eph. 1, 4 und de electione,
Herr Bruder Junior (?) zu Hochstadt über Art. 17, 25 u. 26 und
de providentia Dei actuali.
Weitzel über Hebr. 11, 3 und de creatione.
Engel über Rom. 5, 12 und de peccato in mundum ingresso.
Benoit über Jerem. 31, 30 u 33 und de testamento et de foedere
gratiae.
Heilmann über Zach, 6, 13 und de pacto patris et filii, consilio
pacis.
Künstler über Hebr. 13, 8 und de foedere gratiae. —
Doch kann ich mir auch nicht versagen, wenigstens eins der den
Convent einleitenden Programme Grimm’s hier in wortgetreuer Ab-
schrift, der Vervollständigung des Bildes halber, beizufügen. Dieselben
kommen der Form nach sämmtlich überein. —
Inspector Grimm zeigt den Conventualen durch Circularschreiben
an, dass am II. Januarii der Quartal-Convent werde gehalten werden.
Herr Pfarrherr Cress zu Bischofsheim werde über Matth. 16, 19 predi-
gen und der locus theologicus de disciplina ecclesiastica vel de clavibus
regni coelorum ventilieret werden. Die Dekas thesium in «conventu
ministrorum ventilandarum lautet also:
I. Regiminis ecclesiastici partes vel ad evangelii dispensationem
vel ad ordinem in ecclesia constituendum et observandum spectant.
2. Ad evangelii dispensationem pertinet verbum Dei docere sacra-
menta administrare, quorum utrumque non omnibus ex 2EqUO,
sed solis pastoribus in ecclesia competit.
‚ Ordinis constituti vel quaedam expressa mandata et in s. scrip-
tura definita respicit Tit, 2, 1—10 vel generali regula, ut zwrTe
EUOXNUOVWS xaAL KATA TUE fant I Cor. 14, 40 nititur.
. Ordinis conservatio fit per disciplinam ecclesiasticam, a Christo
Matth. 16, 19 und 18, 15—18 definitam et ab Apostolis exer-
citam 1 Cor. 5, Ir und 2 Thess. 85. 3, 14—15.
m YO um
x. Disciplinae hujus exercitium non magistratui politico, ut Erartus
medicus Heidelbergensis et post eum Molinaeus in tractatu de
aedificatoribus imperii et hodie multi volunt, sed ecclesiae et,
qui cam repraesentant, pastoribus et senioribus traditum est.
; Ecclesia itaque, prout est societas ecclesiastica ex naturali om-
nium bene ordinatarum societatum jure potestatem habet, scan-
dalosos, qui societatis suae membra sunt, et societatis legibus
conformem vitam non ducunt, censuris ecclesiasticis notandi et
ex Societate sua removendi.
- Consistet ea in potestate spirituali, peccatores publicos, scanda-
losos post privatos publicosque correctiones rejectos a divinae
gratiae signis arcendi et si in contumacia perseverent, coram
ecclesia in nomine Dei ab ecclesiae communione excludendi,
resipiscentes autem recipiendi.
3, Haec exclusio, alias excommunicatio dicta, cum severitate spi-
ritualis mansuetudinis habere, non tamen ad societatem politicam
et officia charitativa seu moralia sempliciter, ad quae jure naturae
obligamur, extendi debet.
9. Objectum ejus est vel personale, quod non nisi circa fratres
peccantes ı Cor. 5, 10, vel reale, quod circa casum cum doc-
trinae tum vitae 2 Joh. 10, ı Cor. 5, 13 versatur.
10. Hunc disciplinae usum, dum quaedam ecclesiae, praesertim Hel-
veticae, sub christianis principibus non adeo esse necessarium et
magistratu christiano rite suo officio fungente, eum ecclesiam
tuto posse carere, existimant, non tamen, ubi receptum est eum
improbant, multo minus cum Erasto ut illicitum et injustum
damnant, eos suo judicio libere frui posse putamus.
Wenn wir die Ärbeit Grimm’s und seiner Diöcesangeistlichkeit
auf den Quartal-Conventen eingehend betrachten, so muss uns zunächst
das Gefühl staunender Bewunderung einem Mann gegenüber anwandeln,
der in so hingebender, treuer, nie ermüdender, geradezu grossartiger
Weise es sich hat angelegen sein lassen, seine Pfarrer wissenschaftlich
anzuregen, Nicht minder werden wir den letzteren unsere Anerkennung
nicht versagen dürfen, dass sie ihrem Inspector ermöglichten, seine
ihnen selbst wie ihren Gemeinden und der Hanauischen reformierten
Gesammtkirche gewidmeten Bestrebungen edelster Art Jahrzehnte hin-
durch bis an sein Lebensende fortzusetzen. Unsere Annerkennung
schwindet selbst dann nicht, wenn wir bedenken, dass es ihnen im
Grossen und Ganzen nicht zu schwer fallen konnte, in lateinischen
theologischen Disputationen ein halbes Jahrhundert auszuhalten, weil ihre
Gymnasialbildung vorzugsweise eine lateinische gewesen war, und ihre
theologische Ausbildung fast lediglich in der dogmatischen Ausrüstung
bestanden hatte.
Der Fehler Grimm’s und seiner theologischen Zeitgenossen war
nur der, dass sie zu dem kindlichen Glauben geneigt waren, diese
schwerfällige Rüstung einer korrecten evangelischen Dogmatik sei das
£y xaL eayv, mit welchem die Mächte der Finsternis, welche sich wider
WB I1GE--
das Reich Christi erheben, zu besiegen wären, und komme noch dazu
eine streng durchgeführte presbyteriale Zucht, zur Not auch die Mit-
hülfe der weltlichen Obrigkeit in besonders schwierigen Fällen, so habe
man die Wünschelrute in‘ der Hand, um in der Gemeinde alle verhbor-
genen Schätze der Weisheit und Gottseligkeit zu heben.
Aber schon der Hirtenknabe David hat gefunden, dass er in der
schweren königlichen Rüstung nicht gut gehen konnte. Die Kiesel-
steine in seinem Hirtentäschlein genügten ihm, den Riesen Goliath zu
erschlagen, und mehr als cinmal überwand er die bösen Geister sogar
durch sein Saitenspiel.*)
Dass eine kriegerische Rüstung im Allgemeinen nötig sei, um mit
Erfolg Kriege zn führen, unterliegt keinem Zweifel. So wird auch Kei-
ner ein rechter Theolog sein können, der nicht theologisch gerüstet ist,
nicht wie es oben heisst ein bestimmtes systema theologiae gebraucht,
wie die Kirche Christi aufhören würde, Kirche Christi zu sein, wenn sie
hinfort nicht mehr Pfeiler und Grundfeste der Warheit sein (Tim. 3, 15),
sondern ihren Gliedern die Freiheit der Meinungen grundsätzlich und
absolut überlassen sollte. Ein jeder Christ und ein Theologe erst recht,
muss sagen können: Ich weiss, an wen ich glaube, und seines Glaubens
in Uebereinstimmung mit der Kirche, deren Glied er ist, immer ge-
wisser werden.
Damit ist aber nicht gesagt, dass die theologische Erkenntnis, das
Wissen überall in den Vordergrund treten und die Aufklärung der Un-
wissenden allezeit das Beste tun müsste. Der Herr Christus, als er den
verlorenen Schafen vom Hause Israel nachging, hat denselben kein theo-
logisches System vorgetragen, sondern angehoben mit den sieben Selig-
preisungen, indem er dem ungestillten Seufzen der Menschenherzen, dem
Friedensbedürfnis der Mühseligen und Beladenen liebevoll entgegen
kam. Er hat die Blinden sehend, die Lahmen gehend, die Aussätzigen
rein gemacht, den Todten auferweckt und den Armen das Evangelium
verkündigt, in gottmenschlichem Erbarmen Menschenherzen, ein jegliches
nach seiner besonderen Art zu erfassen, zu gewinnen gesucht, Und
Paulus des grösste Dogmatiker aller Zeiten, bezeugt uns zwar im Brief
an die. Römer, dass er ein systema theologiae gebrauche, aber er ist
soweit davon entfernt, dasselbe nackt und blos unvermittelt hervortreten
zu lassen, dass er an die Corinther schreibt I. 9, 19—22: Obwohl ich
frei bin von Jedermann, habe ich mich doch selbst Jedermann zum
Knechte gemacht, auf dass ich ihrer Viele gewinne, Den Juden bin
ich gewesen als ein Jude, auf dass ich die Juden gewinne. Denen, die
unter dem Gesetz sind, bin ich gewesen als unter. dem Gesetz, auf
dass ich die, so unter dem Gesetz sind gewinne. Denen, die ohne
*) Sie werden merken, m. v. H., worauf ich hinaus will. Wenn College
M. in H. einen Jünglings-Verein oder eine Reiffeisen’sche Darlehnskasse gründet,
so greift er nach Kieselsteinen in seiner Hirtentasche, und wenn die Hochwür-
dige Geistlichkeit in S. einen Kirchengesang-Verein ins Leben ruft, so wird
kräftiglich in die Harfe Davids gegriffen u. Ss. W,
sm Yu
Gesetz sind, bin ich als ohne Gesetz geworden, (so ich doch nicht
ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi), auf
dass ich die, so ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich
geworden als ein Schwacher, auf dass ich die Schwachen gewinne. Ich
bin Jedermann allerlei geworden, auf dass ich allenthalben ja Etliche
selig mache.
Jedermann sich zum Knechte gemacht zu haben, Jedermann allerlei
gewesen zu sein, um ja Etliche selig zu machen, das ist der Universa-
lismus der Liebe zur Menschheit um Gottes und Christi willen, den
Paulus damit beweist, dass er auf alle Gebiete des socialen Lebens,
eins nach dem andern, ernstlich eingeht und mit dem Wort und Geist
Christi sie beleuchtend, strafend, erlösend, heiligend in Liebe auf die-
selben einzuwirken sucht. So handelt er von der Obrigkeit, von
den Gemeindezuständen, vom Hausregiment, vom Ehestand, von der
Kinderzucht, von der Sklaverei; so ist er voller Liebe und Barmherzig-
keit gegen seine verblendeten Volksgenossen nach dem Fleisch und
treibt selbst in einer nie wieder ‚erreichten Weise die grossartigste Hei-
denmission, indem er überall im römischen Reich Christengemeinden grün-
det bis in das Herz und in die Burg des Heidentums hinein, bis nach Rom.
Ja er trägt sich von dort aus mit dem Gedanken, das Evangelium von
der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes noch am Ende der Welt, an
den Säulen des Herkules, in Hispanien zu verkündigen. Da ruft der
Herr seinen frommen und getreuen Knecht, sein auserwähltes Rüstzeug
heim.
Von diesem Universalismus der apostolischen Liebe und Liebes-
arbeit hat die alte und die darum mit Recht todtgenannte Orthodoxie
keine Ahnung gehabt, also dass sie auch an Heidenmission kaum dachte.
Aber sie erwies sich auch als unfähig, die Gebiete des socialen Lebens
in. nächster Nähe, im eigenen Lande salzend zu durchdringen. Ihre
Dogmatik, das &y x ap ihres geistlichen Lebens behandelte im Grunde
ja doch nur die eine Frage: Was muss ich tun, dass ich selig werde?!
Indess wir würden den lieben Alten grosses Unrecht tun, wenn
wir ihnen ganz allein die Schuld beimessen wollten, dass sie in vielen
Stücken vergeblich gearbeitet haben, dergestalt dass sich am Ende die
ganze Theologenschaft des dürren und unfruchtbaren Dogmatismus satt
und müde der Theologie des gesunden Menschenverstandes in die
Arme warf, um mit ihren Gemeinden im öden Rationalismus zu endigen.
Die Verhältnisse waren zu allen Zeiten stärker als die Menschen, und
die Verhältnisse jener alten Zeit an und für sich sind grossen Teils
daran Schuld gewesen, dass das Ende nicht anders sein konnte.
Um nur Eins hier kurz anzuführen: die Schule war ausschliesslich
kirchliche Anstalt. Der Staat überliess sie ihr ganz und gar. Nur durch
fortwährendes Appelieren an die Herzen ihrer Glieder, durch Bitten
und Ermahnen vermochte sie dieselbe und zwar in ‚einer nur höchst
unbefriedigenden und ungenügenden Art im Gange zu erhalten. Die
Kirche hatte die Schule und hatte sie eigentlich doch nicht. Wenn
A
m
aber die Kirche schon die Jugend nicht. hat, weil sie. die Schule nicht
hat, so wird, wie die Erfahrung‘ zeigt, auch das erwachsene Kirchenvolk
hr nur lose anhangen.
Es war darum eine wahrhaft erlösende Tat, die durch Gottes
gnädigen Willen für die evangelische Kirche von unendlich reichen Fol-
gen des Segens begleitet sein sollte, als der Staat die Schule in seine
eigene pädagogische Zucht nahm und durch die Einführung des Schul-
zwanges der Kirche es erst recht ermöglichte, sich der Jugend kräftig
anzunehmen und aus Kindern nicht nur gesittete Menschen und brauch-
bare Staatsbürger, sondern auch ein bereit Volk dem Herrn zuzurichten.
Die Hebung der christlichen Volksschule durch die von da an
gemeinsame Arbeit von Kirche und Staat an derselben ist Epoche ma-
chend gewesen. Sie ist der Anfang geworden zu allen Werken der
innern Mission, und mit der Ausrichtung dieser hat sich dann. die Kir-
che bald auch wiederum ihre Pflichten nach Aussen hin ins Gedächtnis
rufen lassen.
Doch kehren wir nach diesem, ich denke nicht ganz überflüssigen
Exkurs 71 unserm ehrwürdigen Inspector Grimm und den Seinigen
zurück! Grimm hat selbst mit den Jahren die für ihn höchst betrü-
bende Erfahrung machen müssen, dass theologische Schulbildung der
Pfarrer allein das Heil der Kirche nicht sicher stelle, Der grundge-
lehrten Theologie seiner Geistlichkeit zum Trotz, ich möchte fast sagen
zum. Hohn, fand er auf seinen vielen Visitationsreisen die kirchlich-
sittlichen Zustände seiner Diöcese zum grossen Teil in‘ einer recht
traurigen Verfassung. Manche der Herren, welche im Convente‘ vor den
Augen der übrigen Hochwürdigen und Hochehrwürdigen Hochgelehrten
Herren Amtsbrüder als brennende und scheinende Lichter helle leuch-
teten, waren nicht im Stande, vom hohen Ross ihres theologischen
Wissens daheim demütig herabzusteigen und sich der weniger augen-
blickliche und ecclatante Anerkennung, aber desto mehr Mühe und
Last, auch gelegentlich manchen Aerger und Verdruss einbringenden,
einfältigen, alltäglichen kleinen und doch in Wahrheit so grossen Arbeit
der sich ganz hingebenden, nie aufhörenden Liebe an den anvertrauten
Seelen der eigenen Gemeinde völlig und ganz hinzugeben.
Es ist, wie Grimm ausdrücklich bemerkt, zu jener . Zeit viel
Schläfrigkeit im Pfarramt gewesen. Doch hören wir ihn selbst! Das
ergreifende Schreiben ist aus dem Jahre 1743. Grimm hatte lange
genug treu und redlich gewirkt und wäre ihm bei seinen edlen Bestre-
bungen bessere Früchte zu erlangen wol zu gönnen gewesen,
Sonders geehrte Herrn Pfarrer!
Weilen ich mit Betrübnis vernehme und mir auch aus denen Vi-
sitationen guten Teils bekannt ist, dass die Jugend an teils orthen auf
dem Lande täglich in grössere Unwissenheit und Wildheit des Lebens,
wmar 0 um
teils durch der Eltern Nachlässigkeit, teils durch Schläfrigkeit im Pfarr-
und Schulamt, teils und meistens der Jugend ungezäumbte Bosheit ge-
raten, meines Ambts aber ist darauf zu sehen, und bei den Visitationen
danach zu fragen, mithin den Zustand der Kirchen und Schulen und
darinnen vorkommende Aergerniss Sr. Hochf. Durchl., wie mir gnä-
digst befohlen ist, untertänigst anzeigen muss. — So habe nachstehendes,
so aller Orten in das Kirchenprotokoll einzutragen, in pleno presbyterio
in Gegenwart des Schullehrers abzulesen, demselben auch Copie davon
zu geben, darüber steif und fest zu halten und was es gefruchtet, bei
der künftigen Visitation schuldigst und gewissenhaft zu berichten ist,
überschicken wollen,
Nemlich ers/Zch soll in allen Stücken in Kirchen und Schulen
nach der Kirchen- und Schul-Ordnung die Jugend in Ordnung gehalten,
vom Herrn Pfarrer darauf gesehen und vom Schulmeister alle Presby-
terial-Tage ein. Verzeichniss der Unordnungen schriftlich zur Remedur
dem Herrn Pfarrer und Presbyteris übergeben werden.
Deswegen soll die Jugend zwertens besser zu den Kirchen und
Schulen angehalten werden, da leider an den ‚mehrsten Orten die Ju-
gend selbst im Winter wenig zur Schul und an einigen Orten die mehr-
sten kaum 5 oder 6 Wochen hinein kommen, ja selbst auf Sonn- und
Festtage an etlichen Orten, da 40 bis 50 Kinder in die Kirch kommen
könnten, kaum 2, 3 bis 6 derselben erscheinen. Der Schulmeister soll
deshalben ein Register der ausbleibenden halten, dem presbyterio über-
geben und nachgehends bei der Visitation mir überreichen, damit die
Aergernüss auch hierinnen geahndet werde.
Drittens: Da dem Vernehmen nach an vielen Orten sowol vor der
Früh- als Nachmittags-Kirche die unbändige Jugend auf der Gasse ihrem
Kinderspiel, e. gr. Klickern etc. häufig nachgehet, ja auch unter der
Predigt und Gottesdienst dieses Spiel treiben und selbst vor den Kir-
chenfenstern derwegen einen allarm machen sollen, dass man den Pfarrer
auf der Kanzel kaum hören und verstehen kann, | so soll die Jugend
vor dem Gottesdienst im Schulhaus versammelt und unter der Aufsicht
des Schulmeisters still zur Kirche geführt, das Spielen aber unter dem
Gottesdienst keineswegs geduldet, sondern auch durch Obrigkeitl. Hülfe
gesteuert werden.
Viertens: Diejenige Kinder aber, die sich in der Kirch einfinden,
sollen fleissig zuhören, den Text und ein oder andern Spruch behalten,
und nachmals in der Schul oder ihren Eltern hersagen und also die
Zeit über in der Kirch nicht miteinader plaudern, weniger Obst und
Nüss scheelen und essen, am wenigsten aber Mutwillen und Veppigkeit
treiben und lachen oder ein Gelächter, womit es auch geschehen möge,
verursachen, welches alles besonders der Schulmeister notieren und be-
Strafen oder denen Eltern, die ihrige deswegen ernstlich zu strafen,
anzeigen soll,
Fünftens: Unter dem Geläut soll alles still und andächtig, ohne
A
0
Geräusch mit entblösstem Haupt mit bäten und nicht lachen, plaudern
oder Mutwillen treiben. Es sollen auch
Sechstens : Die Kinder ehe und bevor sie ihren Catechismus oder
Kinderlehr und die 5 Hauptstücke kennen und wol verstehen, auch
soviel tunlich unter 14 Jahren nicht ad S. coenam Kkonfirmiert und
die Eltern sie fleissig bis dahin in die Schul und Catechisation zu
schicken oft und stetig vermahnet, die nachlässige Eltern und Kinder
aber mir schriftlich bekannt gemacht und zugeschickt werden, damit
ich solche bei der Visitation selber sprechen könne,
Srebentes letztlichen: Da bekannt, dass auf dem Land durchgehends
bei denen Eltern eine gar schlechte disciplin und Kinderzucht ist, sogar,
dass sie auch nicht wol leiden können, dass ihre Kinder in denen Schu-
len besser gezogen werden, ja gar, wann der Schulmeister sein Ambt
tun und eine ernstliche disciplin bei denen ungezogenen Kindern halten
will und den Mutwillen strafet, die Eltern solches nicht mit Dank an-
erkennen, sondern dem Schulmeister wol gar die Haut voll schelten
und die Kinder über das zu ihrer mehrerer Verwilderung aus der Schul
lassen, so müssen Pfarrer und Eltisten dem Schuldiener kräftig die Hand
bieten, ’den‘ unverständigen Eltern zureden, auch die Amtshülfe nach-
suchen und dem Consistorio den casum berichten.
Von allen diesen Punkten soll specifice, wie sichs zuträgt, in denen
Visitationibus berichtet werden. Gott wolle. sich erbarmen, dem Un-
wesen steuern und einen heiligen Gott gefälligen Eifer in die Herzen
der Eltern, der Lehrer in Kirchen und Schulen, sowie auch denen El-
tisten und Vorstehern eingeben, damit die nötige Erbauung nicht ge-
hindert und des Teufels Reich nicht gebaut, sondern ernstlich zerstört,
im Gegentheil aber das Reich des Sohnes Gottes, welches Er sich mit
seinem theuern Blut erkauft, aufgerichtet und der kostbaren erkauften
Seelen Heil und Seligkeit mit allem Ernst befördert werden möge!
| Man denke an die schwere Rechenschaft, welche Eltern, Pfarrer,
Schulmeister und Kirchen-Eltisten auf dem Todtbett und in der Ewigkeit
werden geben müssen! Dessen Gnade, Licht, Leben, Segen und Kraft
vermehre sich in uns täglich! Ich aber bin und bleibe
M. g. H. Pfarrer dienstwilliger
Friedr. Grimm,
Hanau, den 28. Aug. 1743. Inspector.
Diesem Hirtenbrief des eifrigen und würdigen Mannes wollen wir
noch den letzten anfügen, mit welchem er nach einem langen Leben
voll Mühe und Arbeit, Liebe und Treue, da er den Tod herannahen
sah, von seinen Amtsbrüdern Abschied nimmt, dieselben zugleich der
Gnade Gottes befehlend.
Nachdem er wegen des bevorstehenden Conventstages Geschäft-
liches vorausgeschickt hat, fährt er alsbald, an die sonders geehrten und
geliebten Herren Pfarrer und Brüder gewendet, also fort:
mann DL mm
Anbei, vermuthlich wegen meines ‚Alters, Schwachheit, und. täg-
lichem Abnehmen der Kräfte zum letztenmal, berufe ich Sie zum Rich-
terstuhle Ihres Gewissens, wie oft und viel ich in allen meinen Cirkular-
schreiben meine Geehrten Herren Pfarrer obtestieret, ermahnet, gebeten
und geflehet, in Ihrem wichtig schweren Amt alle Treue, Fleiss, Kräfte
Leibes und der Seele anzuspannen und sich keiner öffentlichen und privat,
ordinären und extraordinären Arbeit und Mühe verdriessen zu lassen, in
Catechisationen publicis und privatis, wie auch visitationibus et cho-
lasticis et domesticis junge und alte aus der groben Unwissenheit
herauszureissen, ihnen den Weg zu zeigen, ihr inneres Verderben durch
die Erbsünde und lasterhafte Gewohnheit, Eitelkeit und - Weltliebe ernst-
lich einzusehen, und Gott um die Gnade des heiligen Geistes um Christi
Tod und Auferstehung zur wahren uw&eT@voL&/, in wahrhafter Buss und
Glauben ernstlich und inbrünstig zu bitten. Zu dem Ende ich mein
in 1727 ausgegebenes Pastoral-Schreiben, das hier auf der Registratur
zu haben, oder bei Herrn Kassen-Verwalter Mehlburger, gar sehr
zum fleissigen Lesen, Betracht- und Uebung will recommandieret haben.
Nebstdeme recommandiere auch Ihre Kirchengefälle, dass sie treulich
administrieret, der Ausstand eingetrieben, die liquidationes gemacht, mit
Amtshülfe eingefordert und der Bauleute recesse berichtiget, mithin
durch neue Capitalien der Kirchen-Renten vermehrt werden.‘ Wobei
ich mich schuldigst und dankbarlichst erinnere, wie meine Geehrten
Herrn Pfarrer bei Kirchenvisitationen und Rechnungsverhör mir. viele
Höflichkeit mit liebreicher Aufwartung, Speis, Trank und Lager erwiesen,
und mich ihrer Kirchen zum Besten und mir zum Vergnügen frei ge=
halten, da ich sonst nebst meinem gewöhnlichen. Gebühr 3 ä 4 Gulden
als partem salarıi pro Inspectoratu auch täglich 3 Gulden diaeten mit
Recht nehmen können, als der ich vom Inspectorat keinen Heller sala-
rium habe, sondern mit meinem College 2%° in allem gleichstehe, wel-
ches in 40 Jahren schon eine gute Summa hätte machen können. Doch
ist Alles zur Ehre Gottes und Dienst der Kirchen geschehen, nach meiner
Schuldigkeit. Indessen bin ich meinen Geehrten Herrn Brüdern zu
danken schuldig, wie hiermit geschiehet, und ich Ihnen davor Gottes
gnadenreichen Segen nach Seel und Leib von Herzen anwünsche, Gott
erhalte Sie in seiner scligmachenden Gnade bis zum spätesten Alter!
Ich aber bitte Gott vor dieselbigen und ersterbe in Liebe und schuldi-
gem Dank gegen Gott und Sie. Habe ich Jemanden etwas zu nahe
getan, so ist es in Unwissenheit oder krafft meines Ambts oder rechts-
wegen ohngefähr geschehen, bitte um Vergebung, der ich bin
Meiner geehrten Herrn Pfarrer
dienstwilliger
Fr. Grimm, moritura
Hanau, den 17. Marti 1748. manu e lecto.
aetat. 76, ministerii 50.,
inspectoratus 42.; totius
minister1i Senior. -
Sein Sohn Pfarrer Friedrich Grimm zu Steinau, bemerkt zur
Abschrift im dortigen Presbyterial-Protokoll:
Mein lieber Vater ist darauf den 4. Aprilis 1748 seeliglich ver-
schieden.
Und hiermit wollen wir uns unsererseits von Inspector Grimm
verabschieden. Es hat uns grosse Freude gewährt, das Bild dieses edeln
Mannes, soweit es uns vergönnt war, zu enthüllen.
DS AS EEE RA
99
Geschichte
Kirchenvisitationen
Hanauer ev. reformierten Kirche
im 18. Jahrhundert.
1X. Abschnitt.
Inspector J. G. Schiede,
Inspector Samuel Endemann,
Inspector Geo. Merz.
der
der
Meine verehrtesten Herren Amtsbrüder!
Di die mir vorliegenden Akten über die Wirksamkeit des .unmit-
telbaren Nachfolgers Fr. Grimms, des Superintendenten Ledderhose,
gar wenig, so ziemlich nichts zu berichten. wissen, so lade ich Sie ein,
heute mit mir die nähere Bekanntschaft Joh. Georg Schiedes zu
machen, eines Mannes, dem sich gewiss mancher von uns zu besonderem
Danke verpflichtet fühlt. Er hat der reformierten Diöcese des Hanauer
Landes vom Anfang der 60er Jahre an bis 1774 als Inspector vorge-
standen. Die Convente der Hanauer reformierten Geistlichkeit, wie sie
in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts blühten, hatten sich
allmälig ausgelebt. Sie haben zwar bis ans Ende desselben fortbestan-
den, ihr Leben trat jedoch mehr und mehr in den Hintergrund der
kirchlichen Vorgänge und erlosch allmälig vollständig.
In dem Masse als der kindliche Glaube an die allein seligmachende
und allgenugsame Unfehlbarkeit der reformierten Dogmatik dem nach-
geborenen Theologengeschlechte abhanden kam, schwand diesem auch
die Befähigung, in gelehrten lateinischen Disputationen nach der Weise
Grimms und seiner Zeitgenossen auszuhalten. Das Consistorium be-
merkte auf einen Bericht Schiedes hin zu seinem grossen Missfallen
(am 21. 4. 1773), dass bei denen Pfarrconventen nicht ein jeder von
den anwesenden Predigern opponiere und also die Absicht des Convents
in diesem Stück nicht erreicht werde; es giebt daher denen reformierten
Predigern der Grafschaft, welche zu sothanem Pfarrconvent kommen,
allen Ernstes auf, dass ein jeder von ihnen, wenn er zum Convent geht,
sich auf die dabei zu haltende Disputation anschicken und seine oppo-
sitiones in lateinischer Sprache ordentlich und mit der behörigen Be-
scheidenheit vortragen solle,
Es war ganz naturgemäss, dass die Nachfolger Grimms, Schiede
voran, grösseres Heil als von der gelehrten Conventsarbeit von der pe-
riodischen Bereisung der Diöcese erhofften.
Pfarrer und Gemeinden bedurften in jener Zeit wol noch ungleich
mehr als in unsern Tagen der persönlichen Anregung einer autoritären
Persönlickeit, welche den Zusammenhang der Einzelgemeinde mit der
Gesammtkirche zum lebendigen Bewusstsein brachte und aufrecht erhielt.
— 73 —
Das erleichterte Verkehrswesen unserer Zeit — ich bitte dem Aus-
druck den denkbar weitesten Sinn unterzulegen —, welches uns heutzu-
tage mit der Aussenwelt fort und fort in sozusagen unmittelbare Be-
rührung versetzt, infolge dessen wir uns Jahr aus Jahr ein auf Schritt
und Tritt von derselben anregen lassen, war für die Alten zum grössten
Teil noch nicht geboren. In die entlegenen Wald- und Gebirgsdörfer
verirrte sich keine politische Zeitung und kein theologisches Fachblatt.
Eine weltliche und kirchliche Tageslitteratur, die uns alle jetzt in Hin-
sicht auf jede Staat und Kirche bewegende Frage fortwährend auf dem
laufenden erhält, bestand noch nicht. Da war auch kein allgemeines
ernstliches und zielbewusstes Arbeiten auf dem Gebiete der inneren und
äusseren Mission, durch welches die Kirche in unsern Tagen je mehr
und mehr ihre Glieder zwingen darf mit Gottes Gnade und Hülfe eines
Herzens und eines Sinnes zu werden, zum wenigsten aber einen Jeden, der
die Ehre hat dem Stande ihrer Geistlichkeit anzugehören, unwiderstehlich
zur Reichs-Gottes-Sache Stellung zu nehmen. Da gabs keine christlichen
Liebes- und Volksvereine, keine christlichen Volksfeste. Es gab keine
Pfarrconferenzen aus freier Entschliessung, den Conferenzen, Vereinen
und Zusammenschlüssen anderer Fachgenossen entsprechend, zu denen
ein jeder, der überhaupt Standesinteresse hat, sich hingezogen fühlen
muss, um angeregt zu werden und um selber anzuregen, indem er das
Beste mitbringen kann und darf was er hat. Der Horizont der Alten
war so klein, gar zu klein! Der unsrige ist oft zu gross. Manchmal
ist Gefahr vorhanden, dass sich Einer in die Weite hinein verflacht und
verliert der Regel zuwider, dass in der Beschränkung der Meister liege,
und dass er versucht wird, sich der ernstlichen Vertiefung in Sich selbst
zu entschlagen und seine ihm Zunächst zugewiesene Aufgabe zu ver-
gessen. Solche Gefahr lag den Alten fern. Desto mehr waren sie der
Gefahr geistlicher und geistiger Verkümmerung ausgesetzt. Dieselbe trat
in der Tat öfters in höchst betrübender Weise vor aller Welt zu Tage,
wie wir aus einigen General-Erlassen des Gräflichen Consistoriums zu
Hanau in der guten alten Zeit sattsam zu ersehen haben. Es wird da
die Unwissenschaftlichkeit, Trägheit und namentlich ein rüdes, unan-
ständiges Auftreten verschiedener Prediger mit allem Ernst und Nach-
druck gerügt, und dass diese verschiedenen Prediger nicht verschwin-
dende Ausnahmen von der Regel gewesen sind, dafür sind diese Gene-
raldecrete an und für sich Beleg genug.
= Bereits am 20. 8. 1766 sieht sich das reformierte Consistorium
zu Hanau zu seinem grössten Missfallen genötigt, ein solches generale
zu erlassen von wegen des schlechten Predigens verschiedener Prediger
auf dem Lande und wegen ihrer üblen Aufführung und unanständigen
Kleidung, sonderlich wenn dieselben in hiesiger Residenzstadt erscheinen.
Es soll weiter keine Nachsicht geübt werden und wird allen evangeli-
schen Predigern der Grafschaft aufgegeben, dass dieselben insgesammt
und jeder seines Orts sich ihre theuern Pflichten und schwere Verant-
wortung auf alle Weise angelegen sein lassen sollen, nicht nur in der
Erkenntnis der Wahrheit zur Gottseligkeit zur Erbauung der Gemeinde
If
nn Wem
es immer weiter zu bringen, sondern auch durch ‚einen ‚wohlgesitteten
frommen und gottseligen Lebenswandel andern ein gutes Exempel zu
geben, mit der ernstlichen Verwarnung, dass diejenigen, so hiergegen
handeln, sich im Predigen vernachlässigen und andern ein böses Exem-
pel geben, auch den äussern Wolstand so weit aus den Augen setzen,
dass sic zumalen in hiesiger Residenz in einer der Würde des Orts und
ihres Standes ganz unangemessenen Weise unreinlich und in unanstän-
diger Kleidung erscheinen, nach Verdienst und anderen zum Exempel
gestraft werden sollen. . Einem Erlass, derselben Behörde vom 27. 9.
1773 liegen wiederholte Klagen zu Grunde über das gar schlechte
Predigen verschiedener Prediger auf dem Lande und deren Aufführung
sowohl in als ausser ihrem Wohnort und namentlich wenn dieselben in
hiesige Residenz kommen. Solche Klagen sind selbst bis zu den Ohren
Serenissimi gedrungen. Es wird dies sämmtlichen. reformierten Predigern
mitgetheilt mit dem Bedeuten, dass man auf jeden derselben genau in-
vigilieren und gegen schuldig Befundene mit aller Strenge verfahren
werde. Endlich wird durch Consistorialverfügung vom 21. 6. 1786
der reformierten Geistlichkeit eröffnet, es sei beim Consistorium die
Anzeige geschehen, als sollten Verschiedene unter den Predigern dieser
Grafschaft den ihnen obliegenden Gottesdienst oftmals ohne erhebliche
Ursachen und aus blosser Gemächlichkeit durch den Schulmeister halten
lassen, auch mit andern Predigern an den benachbarten Orten um-
wechseln.
Solche Dienstnachlässigkeit soll schlechterdings nicht weiter nach-
gesehen werden. Der Schullehrer soll niemals ‚als in Krankheitsfällen
oder sonst legalen Verhinderungen — und wenn sie in solchen Fällen
keine Candidaten bekommen können, den Gottesdienst für sie halten.
Die Pfarrer sollen so oft es ihre Amtspflicht erfordert selber predigen
und nicht aus Gemächlichkeit mit einem andern Prediger umwechseln,
bei Androhung nachdrücklicher Ahndung.
Schiede hatte sehr Recht, die Bereisung seiner Diöcese von
Pfarrei zu Pfarrei in regelmässig wiederkehrenden Zeiträumen, um überall
nach dem Rechten zu sehen, für das weitaus wichtigste Stück seiner
Obliegenheiten als Inspector der Hanauer reformierten Kirche anzusehen.
Unsere Akten setzen uns in den Stand, eine solche Visitationsreise
Schiedes von Hanau aus bis an die äussersten Enden der Obergraf-
schaft im Geiste mitzumachen. Es gereicht mir zum besonderen Ver-
gnügen, im Namen unseres hochverehrten Gönners, des hochwürdigen
Herrn Inspectors, Sie zu derselbigen hiermit einzuladen. Dieselbe soll
ungefähr 4 Wochen, nämlich die Zeit vom 23. April bis zum 24. Mai
1773, in Anspruch nehmen. Sie ist durch Circularschreiben vom 12. 4.
ejusdem zuvor angegündigt worden.
u u Anmerkung: Hinsichtlich der Beförderung der Superintendenten — der
lutherischen sowohl als der reformierten — auf ihren Visitationsreisen bestanden
ziemlich verwickelte Bestimmungen. Entweder die Geweinden holten ihn zur
Frohnde ab, oder die Pferde wurden auf Kosten der Kirchenkasse gestellt oder
die Fuhrkosten wurden aus der Gemeindekasse bestritten, wie zu Bieber. Am
zu DE un
Herr Pfarrer Theobald in Niederrodenbach hat Vorsorge getrof-
fen, dass Freitags den 23. April a. c. die Pferde des Morgens so
früh vor dem Hause des Inspectors zu Hanau eintreffen, dass dieser
um 7 Uhr abreisen und noch Vormittags die Visitation in der Kirche
zu Niederrodenbach vornehmen kann. Die übrigen Visitationsgeschäfte
gedenkt er bis zum folgenden Tage zu erledigen. Dazu gehören ausser
dem Hören der Predigt des Ortspfarrers sowie der Katechisation der
erwachsenen Jugend, Prespyterialsitzung, Abhörung der letzten Kirchen-
rechnungen durch den mitreisenden Rechnungsjustificator des Consisto-
riums und endlich die Besuchung der Schulen.
Am 24. Nachmittags wird die Reise nach .A//enhaslau fortgesetzt.
Diese umfangreiche Pfarrei nimmt 3 Tage in Anspruch.
Am 27. u. 28. d. M. findet sofort die Visitation in Breber statt.
Kempfenbrunn und Lohrhaupten bleiben rechts liegen — sie sind näm-
lich lutherisch. So geht die Reise weiter nach Marjoss.
Am ı. Mai begiebt sich der Herr Inspector über Al/fengronau
nach Neuengronau. Die Schule zu Jossa hält nicht lange auf. Das
Dörfchen ist noch nicht lange vorhanden. Nur eine Mühle lag vor
Kurzem dort in Waldeseinsamkeit am Bache, die Jossmühle. Noch heute
wird der Ort im Munde des Volkes so geheissen. Der Müller ist nur
Tages über da. Wenn das Tagewerk vollbracht ‚ist, schliesst er seine
Mühle ab und geht heim nach Altengronau.
Am 3. Mai kommen wir über Breunings, wo der Schule im Vor-
übergehen ein Besuch abgestattet wird, nach S/erbfrztz, und vom 5. bis
8. d. M. werden wir mit dem Herrn Inspector im Kirchspiel Mo//gers
sein, zu welchem zur Zeit noch die Pfarrei Oberzel!/ gehört.. Endlich
langen wir am 9. in Oberkalbach an, um bis zum 11. inclusive dort
und in Heubach und Uktrichshausen Kirchen- und Schulvisitation zu ha-
ben. Von dort geht die Reise nach glücklich vollendetem Geschäft
(soll es wenigstens), weiter nach G'undhelm. Hutten erhält seinen Be-
such am 13. Der 14. u. 15. Mai sind für /”intersieinau angesetzt, der
16. und 17. für Wallroth, Kressenbach und Breitenbach bestimmt, Den
18, soll, so Gott will, Visitation in Z/m sein und am Abend desselben
Tags gedenkt der Herr Inspector dann noch in Schlüchtern einzutreffen,
Ausser den Stadtschulen wird er daselbst auch das Gymnasium inspi-
cieren. Den 19. Nachmittags begiebt er sich über Nzederzell, wo er
die Schule besuchen wird, nach S/teinau. Am 21. aber will er von da
nach Schlüchtern returnieren und zwar über Bellings und Hohenzell, wo
die Schulen sollen visitiert werden. Den 22. Vormittags wird man die
Schule von den Klosterhöfen vornehmen und des Nachmittags Rech-
nungen abhören. Den 23. Vormittags soll die Visitation in der Kirche
zu Schlüchtern sein, und wenn alles andere vorüber ist, wird zuletzt
ebendaselbst Convent gehalten werden.
letztgenannten Orte verlangten infolge dessen die Katholiken ebenwohl die Ab-
holungskosten ihres Weihbischofs zur Firmung aus der dortigen Gemeindekasse
bezahlt zu sehen. (Co. Decr. vom 27. 9. 1775.)
u DD. nn
Etwas wird uns bei dieser Kirchenvisitation besonders seltsam
erschienen sein. Das ist die Auswahl der Texte, welche Inspector
Schiede den Pfarrern für ihre Predigt am Tage der Visitation vor-
schreibt.
Pfarrer Theobald zu Niederrodenbach hat zu predigen über Ps.
V, 5: Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt, wer böse ist,
bleibt nicht voh Dir,
Pfarrer Hassenpflug in Altenhaslau über Ps. V, 8: Ich will in
Dein Haus gehen auf Deine grosse Güte und anbeten gegen Deinen
heiligen Tempel in Deiner Furcht.
Pfarrer Theobald in Bieber über Ps. V, ı2: Lass sich freuen alle,
die auf Dich trauen; ewiglich lass sie rühmen,. denn Du beschirmest
sie; fröhlich lass sein in Dir die Deinen Namen rühmen.
Pfarrer Pauli in Marjoss über Ps, V, 13: Denn Du Herr segnest
die Gerechten, Du krönest sie mit Gnade wie mit einem Schilde,
Pfarrer Limberger in Neuengronau über Ps. VII, ı1: Mein Schild
ist bei Gott, der den frommen Herzen hilft.
Pfarrer Schlemmer zu Sterbfritz über Ps. IX, 2, 3: Ich danke
dem Herrn von ganzem Herzen und erzähle alle Deine Wunder, Ich
freue mich und bin fröhlich in Dir und lobe Deinen Namen, Du Aller-
höchster.
Pfarrer. Bode zu Mottgers über Ps. XI, 7: Der Herr ist gerecht
und hat Gerechtigkeit lieb.
Pfarrer Richter zu Oberkalbach über Ps. XII, 2: Hilf, Herr, die
Heiligen haben abgenommen und der Gläubigen ist wenig unter den
Menschenkindern.
Pfarrer Schlemmer zu Gundhelm über Ps. XIII, 6: Ich hoffe aber
darauf, dass Du so gnädig bist, mein Herz freuet sich, dass du so gerne
hitfst. Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir thut.
Pfarrer Hufnagel zu Hintersteinau über Ps. XIV, 3: Sie sind alle-
sammt abgewichen und allesammt untüchtig; da ist keiner, der Gutes
thue, auch nicht Einer.
Pfarrer Kochendörffer zu Wallroth über Ps. XVI, 5: Der Herr -
ist mein Gut und mein Theil, Du erhältst mir mein Erbtheil.
Pfarrer Rollmann zu Elm über Ps. XVI, 6: Das Loos ist mir ge-
gefallen aufs Lieblichste, mir ist ein schön Erbtheil geworden,
Pfarrer Grimm zu Steinau über Ps. XVI, ı1: Du thust mir kund
den Weg zum Leben, vor Dir ist Freude die Fülle und liebliches We-
sen zu Deiner Rechten ewiglich.
Der Pfarrer zu Schlüchtern, an welchem. die Tour ist, über Ps.
XVII, 2, 3: Herzlich lieb habe ich Dich, Herr, meine Stärke, Herr,
mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den
ich traue, mein Schild und Horn meines Heils und mein Schutz.
Nirgends sollen wir eine Predigt über eine kirchliche Perikope,
nirgends eine Auslegung und. Anwendung eines grösseren zusammenhän-
genden Schriftabschnitts zu hören bekommen. Lediglich freie Texte,
öfters nur aus wenigen Worten bestehend, sind gegeben, und in welcher,
-430 0—
offenbar nach rein äusserlichen Gesichtspunkten und ohne eigentlichen
innern Zusammenhang erwählten Aneinanderreihung! Vielleicht war die
Art, mit welcher Schiede seinen Visitanden sonderbarer Weise Texte
zudiktierte, die Art und Weise überhaupt, wie sich die Pfarrer Texte zu
ihren Predigten auswählten, deren sie in Anbetracht der noch zu ihrer
Zeit das ganze Jahr hindurch zu haltenden Wochenpredigten, noch ein-
mal soviel zu producieren hatten als wir heutzutage. Wenn dabei wenig
Erspriessliches für den Aufbau der Gemeinde zu Tage gefördert wurde,
so ist das leicht zu begreifen. Zwar gottbegnadigte Männer wie Schiede
waren wohl im Stande, den Reichtum ihres in aufrichtige Gottesfurcht,
lebendigen Glauben und ungefärbte Menschenliebe tiefeingetauchten
Geistes an der Hand eines jeden Schriftwortes ohne Unterschied an
den Tag zu bringen, aber die grossen Geister waren damals so gut wie
heute dünne gesäet. Das ‘Beispiel, das Schiede mit seiner Textwahl
gab, war in jedem Fall kein geschicktes. Es leistete einer Entartung
der homiletischen Leistungsfähigkeit unter den Predigern Vorschub, die
auf öde Battologie und leeres Phrasengeklingel hinauslief. Es war ganz
natürlich, dass, wie wir oben vernommen haben, ernste Klagen über
das schlechte Predigen der Pfarrer laut wurden. Die guten Alten,
Grimm, Schiede voran, von denen der erste dicta probantia zur
reformierten Dogmatik vor andern Worten der Schrift für wichtig und
werthvoll zu halten scheint, homiletisch behandelt zu werden, haben das
freilich nicht bedacht, nicht geahnt, aber die von ihnen beförderte Pre-
digtart und -weise hat unzweifelhaft mit dazu geholfen, die Ohren der
Hörer taub und die Gemeinde allmälig aus dem Worte Gottes hinaus-
zupredigen. Spätere Geschlechter mussten es wieder lernen, in die
Ohren der Menschheit zu greifen und ihnen mit der Gnade und Hülfe
des heiligen Geistes ein kräfıiges Hephata in die Herzen hinein zu seuf-
zen, indem es ihnen verstattet ward, denselben die reichen und uner-
schöpflichen Schätze des ganzen Wortes Gottes, wie sie der Kirche
namentlich in den Perikopen mit auf den Weg gegeben sind und die
unter dem Elend des Rationalismus am Ende fast gänzlich verschüttet
waren, wieder zugänglich zu machen.
Das oben erwähnte Circularschreiben, mit welchem Schiede die
Visitation ankündigte, auf der wir ihn im Geiste‘ begleitet haben, schloss
mit dem Wunsche, dass Gott das ganze Vorhaben segnen möge. Leider
ging dieser Wunsch nicht ganz so in Erfüllung, wie "er wol gedacht
hatte. Sie sollte durch einen jähen Abschluss unterbrochen werden.
Auf den schlechten Wegen in der Gegend von Oherkalbach, auf denen
man ‘noch zu unserer Zeit am hellen Tage über Stock und Stein stol-
pernd zu Schaden gelangen konnte, kam der Wagen, in dem Schiede
reisete, zu Fall und zerschellte. Der Schmied des Dorfes kurierte den
Wagen notdürftig — wie eine im Pfarrei-Archiv zu Oberkalbach aufge-
fundene Rechnung besagt, aber den Leibesschaden, welchen der pflicht-
eifrige, treue Mann davon getragen hatte, kurierte ihm Niemand.
Schiede sah sich infolge dessen genötigt, sich als Inspektor seiner
Diöcese emeritieren‘ zu lassen, und ist einige Jahre danach zur Ruhe
a
seines Gottes und Heilandes eingegangen. Ergreifend ist sein Valet-
schreiben an die Pfarrer der Obergrafschaft zu lesen. Es lässt uns
tiefe Blicke in ein Herz voll aufrichtiger Gottesfurcht und inniger Milde,
seltener Herzensgüte tun. Die hessischen Prediger, von welchen er sich
ebenwol verabschiedet, sind die Pfarrer des seit dem Jahre 1635 an
Hessen - Cassel verpfändeten Amtes ‘Brandenstein, welche zum Bezirke
des Consistoriums in Cassel gehörten, aber Namens desselben vom re-
tormierten Inspector des Hanauer Landes visisiert zu werden pflegten.
Wir können uns nicht versagen, dasselbe hiermit vorzulegen :
Hochwohlehrwürdige, Hochgelahrte besonders hochgeehrteste
Herrn Pfarrer!
So schwer es mir gefallen, dieses mein Valetschreiben, weil da-
durch meine Empfindlichkeit aufs neue merklich rege gemacht wird ab-
zufassen, so wenig habe ich jedoch solches unterlassen können, um Ihnen
allesammt die unwandelbare Beständigkeit meiner aufrichtigen Liebe und
herzlichen Zuneigung aufs feierlichste zu versichern und davon ein im-
merwährendes Denkmal zu geben.
Wenn es dem grossen Gott gnädig gefallen hätte, mich bei guter
Gesundheit zu erhalten, so würde ich nach dem Wunsch meines Her-
zens fernerhin mit Freuden, wie alle meine Amtsgeschäfte, also auch
die Kirchen-Visitationen zu verrichten, mir haben angelegen sein lassen.
Allein es hat dem Allmächtigen nach seiner weisesten Vorsehung ge-
fallen, ein anderes über mich zu verhängen. Seine Hand ist schwer
auf mich gefallen, Er hat mich mitten im Lauf meiner Geschäfte, und
da ich eben in Verrichtung der Kirchen-Visitationen begriffen war, em-
pfindlich geschlagen. Alle gebrauchten Mittel sind zur völligen Her-
stellung meiner Gesundheit nicht zureichend gewesen. Es haben daher
Ihro Hochf. Durchl., Mein gnädigster Fürst und Herr, ob ich wohl nur
um einige Erleichterung in meinen Amtsgeschäften unterthänig nachge-
gesucht, mich von allen Geschäften unter Beibehaltung meines Charak-‘
ters und Ranges gänzlich in Gnaden dispensieret, ausser dass ich die
mit meiner Consistorialraths-Stelle verbundenen Dienstobliegenheiten, so
viel es meine Gesundheits-Umstände und Kräfte zulassen, fernerhin ge-
hörig zu besorgen haben solle.
Jener unglückliche Zufall hat mich also nicht nur meiner Gesund-
heit, sondern auch eben dadurch verschiedener anderer Vortheile be-
raubet, wozu namentlich auch gehöret, dass ich von nun an und vor’s
künftige nicht mehr das Vergnügen haben kann, Sie meine werthesten
Herrn Pfarrer, in Ihren Wohnungen und die Ihrer Aufsicht anvertrauten
Kirchen- und Schulen zu besuchen. Ich habe solches hierdurch dem-
nach nicht nur bekannt machen, sondern auch denenselben sammt und
sonders den verbindlichsten Dank vor alle mir jemals und besonders
bei meinem Aufenthalt bei Ihnen erzeigte Liebe und Höflichkeit ab-
statten wollen. Und wie ich mir jederzeit ein Hauptgeschäfte ‘daraus
.20ud —
mache, nach der Lehre und dem Beispiel unsers theuersten Heilandes
Liebe und Gefälligkeit gegen Jedermann nach meinem Vermögen zu
erzeigen, daher auch meine grösseste Freude darinnen setze, wenn ich
meinem Nächsten zu dienen Gelegenheit bekommen und etwas zu dessen
Vergnügen und Glückseligkeit beitragen kann, also hoffe ich, meine
wertheste Freunde! Sie werden dergleichen Gesinnungen gegen Sie in
meinem ganzen Betragen wahrgenommen und erkannt haben. Dabei
kann ich auftrichtig vor dem allwissenden Golt versichern, dass wenn
ich auch zuweilen mich genöthigt gefunden, Amtshalber eine Erinnerung
zu thun, solches jederzeit mit einem innerlichen Missvergnüngen, zugleich
aber aus herzlicher Liebe und Sorgfalt und mit dem inbrünstigsten
Wunsch geschehen, dass solches zu thun mir niemals wiederum Anlass
gegeben werden möchte, sondern ich jederzeit vergnügt und freudig
mit und bei Ihnen sein könnte, Es ist dies besonders Hauptzweck und
Geschäfte bei denen von mir gehaltenen Kirchen-Visitationen gewesen,
dieselben zur getreulichen Gott gefälligen Führung ihres heiligen Amtes
und ihre Gemeinden zum Wachsthum in allem guten und deswegen auch
zum gebührlichen Gehorsam gegen ihre Lehrer als Wächter über ihre
Seelen, weniger nicht die Elteste und Schulmeister zur genauen Beobach-
tung ihrer Pflichten zwar ernstlich aber zugleich liebreich und väterlich
zu ermuntern und dazu den Segen des Allerhöchsten in meinen Gebeten
zu erflehen.
Ich hoffe auch, dieselben werden, wenn ich gleich nicht mehr
persönlich zu Ihnen komme, dennoch das Zutrauen zu mir haben, wie
ich denn hier aufs verbindlichste versichere, dass ich nicht nur als ein
Glied des Consistoriums vor das Beste der Kirchen und Schulen dieses
Tandes mit allem treuen Fleiss zu sorgen, weniger nicht beständig bereit
und willig zu sein fortfahren werde, denen sämmtlichen Hanauischen
Predigern und einem jeden unter Ihnen nach allem meinem Vermögen
zu dienen, sondern auch die Hessischen Herrn Prediger, die bisher unter
meiner Aufsicht gestanden, ob ich zwar mit Ihnen fernerhin in keiner
besondern Verbindung stehe, können versichert sein, dass meine auf-
richtige Liebe und herzlichste Geneigtheit gegen dieselbe niemals ver-
ändert, vielweniger aufhören werde, und mir dahero jederzeit ein wahres
Vergnügen daraus machen werde, bei jeder vorfallenden Gelegenheit
davon werkthätige Proben abzulegen. Darum werde ich auch niemals
aufhören, den Geber aller guten Gaben, wie bishero geschehen, also
auch fernerhin von ganzem Herzen anzurufen, dass derselbe sie alle-
sammt jederzeit in seinen mächtigen Schutz nehme, Ihnen alle nöthigen
Kräfte, Leibes und der Seelen besonders auch den mächtigen Beistand
und Gaben seines heiligen Geistes zur gesegneten Führung Ihres heiligen
Amtes verleihen, Sie auf allen ihren Wegen begleiten, alles Uebel und
Gefahr in Gnaden von Ihnen abwenden, seinen Segen beständig über Ihnen
und Ihren werthesten Angehörigen walten und seine Güte und Treue bei
Ihnen täglich neu werden lassen wolle. Wo ich mich zu dero ferneren Liebe
und Geneigtheit auch zu dero Gebät bestens empfehle, und wie ich glaube,
dass ich zu verschiedenen unter Ihnen eben dasselbige sagen könne, was der
C
— Id —
heilige Paulus und denen Aeltesten der Gemeinde zu Ephesus sagte: „Ich
weiss, dass ihr mein Angesicht. nicht mehr sehen werdet“ — so sei es mir
auch erlaubt zum Beschlusse Sie allesammt mit folgenden Worten eben des
gedachten Apostels anzureden: So habt nun Acht auf euch selbst und
auf die ganze Heerde, unter welche euch der heilige Geist gesetzt hat
zu Bischöfen, zu weiden die Gemeine Gottes, welche er durch sein
eigen Blut erworben hat. Und nun liebe Brüder, ich befehle euch Gott
und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und
zu geben das Erbe unter denen, die geheiligt werden.
Ja, der allgenugsame Gott, der Vater der Barmherzigkeit wolle uns
alle durch seinen Geist in dieser Gnadenzeit regieren und leiten, dass
wir uns alle dermaleins in vollkommener Freude und Seligkeit in der
himmlischen Herrlichkeit sehen mögen. Dieses wünsche ich von ganzem
Herzen nebst der aufrichtigsten Versicherung, dass ich mich lebenslang
befleissigen werde zu sein
Meiner hochgeehrtesten
Sehr werthesten Herrn Pfarrer dienstwilligster
J. G. Schiede,
Superintendent und Consistorialrath.
Hanau, 2. 11. ‘1774,
Der Nachfolger Schiedes im Ephoralamt der Diöcese wurde der
seitherige 2. Pfarrer an der Hochdeutschen reformierten Kirche und
professor theologiae an der Hohen Landesschule zu Hanau
Samuel Endemann,
ein Niederhesse von Geburt.
Die im August 1776 und im Frühjahr 1779 in der oberen Graf-
schaft von ihm abgehaltenen Kirchenvisitationen verliefen im allgemeinen
in derselben Ordnung wie seither, nur dass er das zweitemal in
Schlüchtern die Visitationsarbeit begann und in Niederrodenbach endigte.
In dem betr. Ausschreiben heisst es u. A. In Ansehung der Predigten,
welche bei dieser Gelegenheit gehalten werden, wünsche ich, dass die
Herrn Pfarrer mehr als sonsten auf eine für ihre Zuhörer fassliche
und erbauliche Art, nicht aber, wie man es nennt für Gelehrte predigen,
indem es wohl sonsten Gelegenheit geben wird, von gelehrten Sachen
zu sprechen, als wozu bekanntlich die Kanzel nicht gewidmet ist. Ich
hoffe ferner, dass die Predigten nicht so lang gedehnt, sondern der
herrschaftlichen Verordnung gemäs gehalten werden.*) Texte dazu will
*) Anmerkung Consistorial-Decret vom 5.11. 1711, mitgeteilt in meinem
Bericht über das Kirchenwesen zu Steinau an der Strasse im 17. und 18. Jahr-
hundert.
9
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ich vor. diesmal nicht vorschreiben, sondern die Wahl derselben einem
Jeden der Herrn Prediger überlassen. Bei denen in der Kirche: zu
haltenden Catechisationen können die Herrn Pfarrer sich länger auf-
halten. Es wäre mir angenehm, wenn dieselben samt und sonders diese
Catechisation so halten wollten. damit Visitans dadurch überzeugt werde,
das Catechisandi den Heidelbergischen Katechismus auswendig können
und verstehen, sodann dass der katechisierende Pfarrer eine Fertigkeit
besitze, dieses Geschäft nach der Fähigkeit der Catechisanden gründlich
und so zu verrichten, dass dadurch nicht nur ihr Verstand, sondern auch
ihr Herz gebessert werde. Diesen Zweck zu erreichen wird cs wohl
rathsam sein, dass in der Kirche nicht sowohl die Schulkinder (als mit
welchen man sich in der Schule beschäftigt), sondern vielmehr die er-
wachsenen jungen Leute und zwar dergestalt katechisiert werden, dass
man sie zuerst den Text des Katechismus und dabei zuweilen etliche
Sprüche ausser der Ordnung fragt, sodann eine besondere materia aus
dem Katechismus ordentlich umständlich mit ihnen durchgehe. Ich
werde an jeglichem Orte sagen, was am nächst vorgehenden für eine
Materie in der Catechisation ist abgehandelt worden, damit ich nicht
an allen Orten einerlei hören müsse.
In Ansehung der gewöhnlichen und bekannten Kirchenvisitations-
fragen*) will ich nur dieses erinnern, dass die Herrn Pfarrer dasjenige
was ihnen in Ansehung ihrer Gemeinde besonders wichtig ist, zum Vor-
aus reiflich erwägen und mir bei meiner Anwesenheit besondere Punkte
schriftlich übergeben mögen, damit ich solche dem zu haltenden
Protokoll an dem gehörigen Orte desto umständlicher inserieren oder
beifügen könne, ex. gr. Religions-Beschwerden (d. h. Conflicte mit den
Lutherischen), Reparationen an Kirchen- und Pfarrhäusern u, s. W.
Man wird dafür sorgen, dass die Verzeichnisse von Gemeinde-
gliedern, Schulkindern und Catechisanden ordentlich eingerichtet und
rechter Zeit überliefert werden. Insbesondere bitte ich das Verzeichnis
der jungen Leute, die in der Kirche bei der Catechisation erscheinen
müssen, gleichgenau anfertigen zu lassen, damit man nach geendigtem
Gottesdienst alsbald anmerken könne, wer von ihnen gefehlt habe, und
wegen dieser Versäumnis das Weitere besorgen könne.
- Uebrigens versteht es sich von selbsten, dass ein jeder der Herrn
Pfarrer seiner Gemeinde die vorseiende Kirchenvisitation gewöhnlicher
massen bekannt mache.
Was meine Bewirtung angeht, fährt Endemann fort, so will ich
zwar Niemanden vorschreiben, wie er bei dieser Gelegenheit seinen Tisch
einrichten solle, inzwischen kann ich mich doch nicht enthalten zu ver-
sichern, dass der Ueberfluss bei mir nicht angewandt ist, dass gewöhnliche
Speisen in geringer Qualität, jedoch ordentlich und sauber zubereitet,
mir die liebsten sind.
*) Anmerkung 8. 0.
— 1 9).
Endlich teilt Endemann den Pfarrern mit, dass Regierungsrat
Ledderhose (derselbe war zugleich Consistorial-Präsident) ihn auf seiner
Visitationsreise begleiten werde, um die Geschäfte, welche ihm Hoch-
fürstliche Durchlaucht aufgetragen habe und welche die Kirchenvisitation
weder angehen noch hindern würden, zu verrichten. In Ansehung der
Bewirtung sind wolgedachter Herr Regierungsrat mit dem Superintendenten
Endemann gleicher Meinung, Dieselben hoffen nämlich, dass die Herrn
Pfarrer dahin besorgt sein werden, dass. Sie entweder in der Pfarr-
wohnung oder anderwärts ein gutes Logis antreffen mögen. Der Herr
Regierungsrat würde alles bezahlen und wie es mit dem Visitanten
gehalten werde, sei ihm Ohnehin bekannt. Regierungsrat Ledderhose
hat den Superintendenten Endemann auf beiden Visitationsreisen be-
gleitet. Der Zweck dieser Begleitung, der im ersten Circularschreiben
in mystisches Dunkel gehüllt wird, trat bald klar zu Tage.
Ledderhose sollte und wollte sich nämlich persönlich an Ort und
Stelle Kenntniss von den Localumständen der Gemeinden erwerben.
Er hat auf diesen Reisen Materialien zu seiner grundlegenden und bahn-
brechenden Kirchenstatistik gesammelt, welche im Jahre 1780 zu Cassel
herausgegeben wurde unter dem Titel „Beiträge zur Beschreibung des
Kirchenstaates der Hessen -Casselschen Lande“, später umgearbeitet
von Bach in Jesberg, und zuletzt von Hochhuth, Metropolitan in
Frankenberg 1872 unter dem Titel: „Statistik der evangelischen Kirche
im Regierungsbezirk Cassel etc.“
Beidemale auf seinen Visitationsreisen in die Obergrafschaft hat
Endemann nach hergebrachter Weise auch Pastoral-Convent in Schlüchtern
abgehalten.
Die Prediger, welche das 65. Lebensjahr zurückgelegt hatten,
waren nach einem Consistorial-Decret vom 14. 9. 1776 vom Besuch
desselben dispensiert. Den übrigen soll, da sie den Convent in Hanau
nicht besuchen, hier Gelegenheit gegeben werden, eine besondere Probe
ihres Fleisses und ihrer Geschicklichkeit abzulegen. Welche Stellung
Endemann zu dem Conventen und der Conventsarbeit einnahm, ergibt
sich aus dem nachfolgenden Pastoralschreiben vom 12. 7. 1776. Es
ist nicht zu leugnen, es geht ein Luftzug einer neueren praktischeren
Zeit da hindurch. Wir merken es wohl, man fühlt das Bedürfniss die
schwere dogmatische Rüstung der alten Zeit mit ihren endlosen, massiven,
dürren Thesen und Antithesen, Quästionen und Oppositionen zu lüften,
den Bann der Unfruchtbarkeit derselben zu durchbrechen. Das unfruchtbare
Princip verschwand jedoch gänzlich erst mit den Pastoralconventen über-
haupt,
Das angeführte Schreiben des Herrn Superintendenten vom
I2, 7. 1776 hat folgenden Wortlaut:
QM
wm) m
Hochwohlehrwürdige und Hochgelehrte, Hochzuverehrende
Herrn Pfarrer und Wertheste Brüder!
Gleichwie derjenige, in dessen Hause ein köstlich Kleinod ver-
borgen ist, darüber kein Vergnügen empfindet noch solches gebrauchen
kann, solange derselbe nicht weiss, dass er einen Schatz besitzt, also
kann auch der Mensch, welcher Busse gethan ‚und Christum im Glauben
angenommen hat, desswegen Gottes Gnade, Vergebung der Sünden,
Schutz und Segen auf allen seinen Wegen und endlich selige Unsterblichkeit
hoffen darf, dennoch sich über so schätzbare Vorrechte nicht freuen,
Gott nicht dafür danken, noch sich damit in vorkommenden Versuchungen
trösten, solange er sich nicht bewusst ist, dass er sie erlanget hat. Ja
der Mangel dieses wichtigen Theils der Selbsterkenntniss macht, dass
Gottes Kinder, welche gerechte Freude haben könnten, zuweilen die
Angst der Gottlosen empfinden.
Wer aber mit einem Paulus sagen kann „ich weiss an wen ich
glaube und bin gewiss, dass er mir meine Beilage bewahren wird bis
an jenen Tag“ der geniesset eine überschwängliche Freude, ist muthig
in allen Gefahren, auch selbst im Tod getrost, der danket Gott mit
freudiger Seele für die Barmherzigkeit, die er ihm durch Christum erzeigt
hat, gehet weiter fort auf denen Wegen, die ihm die Vorsehung anweiset
und kommt endlich zum Ziel, welches vorhält die himmlische Berufung
in Christo. Meine Brüder, wir haben solchen Trost, solche Aufmunterung
nöthig sowohl für uns selbst als für andere, damit wir nicht verzagen,
wenn wir sündigen, wenn Unglück auf uns losstürmet, wenn wir schen,
dass die Apostel des Satans, die Unglauben und Laster Prediger, so
grossen Schaden bei der Heerde Jesu verursachen, wenn wir andere
trösten und aufrichten wollen.
Derowegen kann es uns nicht anders als angenehm und nützlich
sein, wenn wir Gelegenheit finden, die sehr praktische Lehre, dass der
Christ. sich seines Gnadenstandes bewusst sein könne und solle, aber-
mals durchzudenken.
In der 20. Dekade unserer Thesium kommen zweimal vor de
constantia und de certitudine salutis. Die erste ist bei dem letzten
Convent abgehandelt worden, die letzte soll uns also bei dem nächst-
künftigen Convent beschäftigen und erbauen.
Es wird aber derselbe, geliebts Gott, den 21, August in Hanau
gehalten werden. Herr Pfarrer Müller aus Bleichenbach wird die sehr
nützliche und tröstliche Lehre vortragen, und zwar nach Anlass der
Worte Pauli Röm. 8, 16, auch wie gewöhnlich 3 schemata Latina seiner
Predigt spätest den nächsten Samstag vorher an mich einschicken.
Ohne Zweifel wird uns Heır Pfarrer Müller nicht nur das
Gewöhnliche sagen, dass nämlich der Christ seines Gnadenstandes gewiss
sein könne und solle, sondern auch was Gott und was der Christ selbst
A
+
u Gl
hierzu beiträgt und welcher Weg der sicherste ist zu jenem Zweck zu
gelangen. —
Gerichtet ist das Ausschreiben an die Pfarrer zu Kesselstadt,
Dörnigheim, Hochstadt, Bischofsheim, Fechenheim, Seckbach, Bergen,
Wachenbuchen, Kilianstädten, Windecken, Rossdorf, Bruchköbel, Nieder-
und Oberissigheim, Rüdigheim und Niedererlenbach.
4. ad. Hanau, 172. Julius. 1770,
KEw. Hochwohlehrwürden ergebenster Diener
S. Endemann,
Co.-Rath und Inspector.
Wir fügen alsbald hinzu ein anderes Schreiben Endemanns betr.
seine Verabschiedung,
Hochwohlehrwürdige, Hochgelehrte, Hochzuverehrende
Herrn Pfarrer!
Auf gnädigsten Befehl Ihro Hochf. Durchlaucht, des Regier. H.
Landgrafen von Hessen-Cassel hat Höchstdero Akademia zu Marburg als
Professor theologiae primarius et Co.-Rath unterm 18. Jan. 1. J. mich
berufen. Ich nehme sothanen beruf in Gottes Namen an und habe
auch schon ‚die Entlassung aus hiesigen Diensten von unserm gnädigsten
Landes-Herrn erhalten.
Nie dachte ich Hanau zu verlassen als mein zweites Vaterland,
in welchem Gott mir unzählige Wohlthaten erwiesen hat. Nun aber
Ca ich ohne mein Zutun in mein eigentliches Vaterland zurückgerufen
worden, um dorten an dem Bau des Reiches Gottes zu arbeiten, Lehrer
der Religion zu bilden etc., und aus dieser Ursache sowohl als einigen
anderen, die hier anzuführen überflüssig ist, jenen Beruf als einen Wink
der göttlichen Vorsehung betrachte, so ist es meine Schuldigkeit, dem-
selben zu folgen.
Ich habe die feste Hoffnung, dass weder Sie noch andere Hanauer
Unwillen deswegen gegen mich fassen werden. Meine beste Jahre und
munterste Kräfte habe ich meiner hiesigen geliebten Gemeinde, der
Hohen Landesschule, Ihnen, meine Herrn, Ihren Gemeinden und Schulen
gewidmet. Mein Vaterland verlanget den Rest meiner Kräfte, sollte ich
ihm soichen abschlagen? Das Irdische hat auf meine Entschliessung
keinen Einfluss gehabt, dennoch hat es der Himmel gefüget, dass ich in
dieser Rücksicht nichts verliere. Ich kann dem gütigen Gott nicht
genug danken für alles Gute, das er mir so reichlich hat lassen zufliessen.
Mit gerührtem Herzen sage ich: Herr! ich bin nicht wert aller Barmherzigkeit
CE Ss —..
und Treue, die: Du an mir getan hast. Ich verlasse mich auf ihn den
allgenugsamen. Er wird auch weiter helfen mir und Ihnen.
Bei dem allen wird mir die Brust zu enge, ich werde gerührt da
ich Ihnen schreibe, dass ich mich nun von Ihnen trennen muss. Ich
glaube dass Sie mich lieben und“ auch aus Liebe zu mir das Gute, so
ich Ihnen angeraten habe, suchen zu befolgen, demohngeachtet muss
ich Sie verlassen, doch nein! ich höre nur auf, Ihr Inspector zu sein.
Nur mein Leib entfernt sich etwas weiter von Ihnen. Nie werde ich
aufhören, Ihr Freund zu sein, werde mich in Gedanken oft mit Ihnen
beschäftigen, für Sie bäten, zweifle auch nicht, dass Sie mich lieb
behalten und für mich bäten werden. Gott sei mit Ihnen! Er segne
Sie vornehmlich in Ihren Amtsverrichtungen, damit sie sich selbsten
selig machen und die Sie hören! Grüssen Sie Ihre Kirchenältesten, Ihre
Praeceptores und Schulmeister von meinetwegen und versichern Sie
dieselben sammt und sonders meiner fortdauernden Liebe, wie auch da-
von, dass ich mir die Hoffnung mache, Sie werden fernerhin für das
Wohl ihrer Gemeinden und Schulen ernstlich sorgen, und die Anleitung,
die ich. Ihnen dazu gegeben habe, nicht vergessen, damit auch sie als
treue Knechte dereinst in die Freude ihres Herrn eingehen mögen.
Ohne Zweifel mache ich Ihnen eine Freude, wenn ich Ihnen den
sehr gnädigen Abschied zu lesen gebe, welchen Ihro Hochf. Durchl.
unser gnädigster Landes-Herr mir ertheilet haben, des Endes ich solchen
in der Beilage beifüge.
Mit aufrichtiger Liebe und Hochachtung verharre ich
Ew. Hochwohlehrwürden und Hochgelahrten
ergebenster Diener
Samuel Endemann
Hanau am I. Februar 1782.
Von Gottes Gnaden Wilhelm, Landgraf und Erbprinz zu Hessen,
Fürst zu Hersfeld, Graf zu Katzenellenbogen, Dietz, Ziegenhain, Nidda
und Schaumburg etc. Regierender Graf zu Hanau etc.
' Nachdem Uns unser lieber Getreuer der Zeit allhier gestandene
würkliche Co.-Rath und Inspector über unserer Ev. Reform. Kirchen
hiesiger Grafschaft und Professor primarius der Gottesgelahrtheit und
derer heiligen Sprachen bei hiesiger hoher Landesschule, wie auch
Erster Pfarrer der Hochdeutschen ev. reform. hiesigen Stadtgemeinde
Samuel Endemann
zu vernehmen gegeben, welchergestalt er von der Universität zu Marburg
eine vocation als professor primarius theologiae und Co.-Rath erhalten
und solcher zur Erfüllung derer auch seinem Vaterland schuldigen
>.
in DZ] u
Pflichten zu folgen bereit sei, mithin um unsere gnädigste Einwilligung
zur Annahme dieses Rufs sowohl als auch um die Entlassung seiner
bisher allhier geleisteten Dienste bei uns unterthänigst nachgesucht hat
und Wir dann zwar gewünscht hätten, dass gedachter Co.-Rath Endemann
seine sowohl mit unserm als auch einem ganz allgemeinen Beifall uns,
dem ganzen Kirchenwesen und der hohen Landesschule geleistete vor-
zügliche treue und erspriessliche Dienste fernerhin mit dem ihm eigenen
Eifer hätte fortsetzen mögen: so haben Wir jedoch zur Bezeigung unserer
besonderen Teilnehmung an dem Wolstand der Universitaet Marburg
und zu Beförderung deren mehrerer Aufnahme keinen Anstand nehmen
wollen, Ihm, Co.-Rath Endemann, als auch einem durch seine Recht-
schaffenheit hierzu vorzüglich tüchtigen und geschickten Mann nicht
nur unsere Höchste Einwilligung zu Annehmung sothaner Stelle, sondern
auch die nachgesuchte Entlassung seiner bis in das dreissigste Jahr da-
hier zu unserer vollkommensten Zufriedenheit geleisteten treu unter-
thänigsten Dienste in Gnaden hiermit zu erteilen und unter Zusicherung
unserer Gnade demselben hierüber gegenwärtiges Zeugnis seines besonderen
Wolverhaltens mittelst dieses Abschieds anfertigen zu lassen.
Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und beigedruckten
Fürstl. Secret Stempels,
So geschehen
Hanau, den 24. Januar 1782.
(1... S.) Wilhelm, EPz, Hessen
vdt. Malsburg.
Georg Merz
schliesst die Reihe der Inspektoren unserer Hanauischen ev. reformierten
Kirche im vorigen Jahrhundert. Seine Gestalt ragt bis in das gegen-
wärtige herüber als des letzten Orthodoxen der alten Schule, eine einsam
stehende Säule aus verschwundenen Zeiten. Er war, ehe er zur Leitung
der Diöcese berufen wurde, 2. Pfarrer an der reformierten Kirche und
Consistorial-Assessor zu Hanau gewesen.
Ihm fiel die undankbare Aufgabe zu, alte und abgelebte Institutionen -
vollends zu Ende zu führen. Hinsichtlich der Convente, auf welchen
nach Endemann die Pfarrer „eine besondere Probe ihres Fleisses und
ihrer Geschicklichkeit“ ablegen sollten, gieng das am ehesten und
gründlichsten. Von den Quartal-Conventen der unteren Grafschaft ist
längst keine Rede mehr. Nur ein Pastoral-Convent pflegt noch alljährlich
einmal gehalten zu werden, zu welchem abteilungsweise eine Anzahl
Prediger beschieden werden und mit Unlust erscheinen. Die dogmatischen
a‘
40 —
Disputatorien «haben aufgehört. Dagegen soll das Interesse für den
Convent durch Abhörung der Rechnung der Pfarr-Witwenkasse belebt
werden.
Am 190. 3. 1794 sind so wenig Pfarrer auf dem Convent er-
schienen, dass zu dem letzteren Geschäfte nur 4 Pfarrer als Deputirte
zugezogen werden konnten, und doch hatte schon in den zwei letztver-
wichenen Jahren kein Convent stattgefunden, so dass man auf einc
regere Beteiligung seitens der Geistlichen hätte rechnen dürfen. Dieser
Convent von 1794 ist überhaupt der letzte der Hanauer reformierten
Pfarrer gewesen.
Der letzte Convent in der Obergrafschaft, an welchem sämmtliche
Pfarrer derselben Teil nahmen, hat sich anno 1787 zu Schlüchtern ver-
sammelt. Der Pfarrer Weitzel zu Elm hielt die Conventspredigt, indem
er mit Zugrundelegung von Ephes. ı, 7 „von der völligen Beruhigung
der Gläubigen in ihrem. Heilande“ redete.
Die Visitationsreisen setzte Merz in der alten Weise und Reihen-
folge zwischen Hanau und Schlüchtern unermüdlich fort. Es fanden
solche statt: 1784, 1787, 1790, 1793, 1798, allemal zur gelegensten
Zeit des Jahres, in den Monaten August und September. Die ‚letzte
Visitationsreise ins Oberland ist 1801 vor sich gegangen. In der poli-
tischen Verwirrung zu Anfang unseres Jahrhunderts sind sie mit so man-
chen altehrwürdigen Ordnungen sanft und stille eingeschlafen. Es mutet
uns gar wehmüthig an, es ist uns als hörten wir die letzten im Winde
verhallenden Stimmen eines in vollem Abzug unaufhaltsam begriffenen
Geisterheeres, wenn wir die Themata vernehmen, über welche der letzte
Orthodoxe von seinen Pfarrern Predigten hören will, — deckte sich doch
die langweilige Dürre und Oede des nachgeborenen Rationalistenge-
schlechtes längst nicht mehr mit den Gedanken der gemütvollen und
ehrwürdigen Väter, in denen Georg Merz noch wurzelte. /
Der Pfarrer zu Niederrodenbach soll predigen nach ı Cor. 1, 30
von der göttlichen Verordnung unseres Heilandes zu seinem dreifachen
Mittleramte.
Der zu Altenhaslau nach Deutero. 18, 18—19 von dem prophe-
tischen Amt des Erlösers;
zu Breber nach Hebr. 4. 14 vom Hohenpriesteramt desselben;
zu Marjoss über Jerem. 23, 5 von seinem Königlichen Amte;
zu Neuengronau über Ephes. 4, 11 u. I2 von der göttlichen Ein-
setzung des Lehramtes durch unsern erhöhten KErlöser;
zu Sterbfritz über Art. 10, 42 von der Verherrlichung des Erlösers
durch sein Richteramt;
‘zu Mottgers nach 2 Cor. 5; 20 von der trostvollen Absicht des
Predigeramtes ;
a 41 —
zu Oberkalbach über 1 Thess. 5, 12 u. 13 von der Pflicht: der
Zuhörer gegen ihre Lehrer;
zu Gundhelm nach Matth. 25, 31 von der majestätischen Zukunft
des Richters;
zu Hintersteinau über Matth. 25, 32 u. 33 von der unparteiischen
Gerechtigkeit des Weltrichters;
zu Wallro'h nach Matth. 25, 34 von dem trostvollen Urteil des
Richters über die Frommen;
zu Schlüchtern nach Joh. 10, 27 über das entscheidende Kenn-
zeichen der Frommen, und nach Joh, 10, 28 über die feste und untrüg-
liche Hoffnung der Frommen durch die Erwartung ihres Heilandes,
Sämmtliche Pfarıer haben dem Herrn Inspector alsbald nach seiner
Ankunft in ihrer Pfarrei eine lateinische Disposition ihrer Predigt in
triplo zu überreichen. Dispensiert hiervon sind nur diejenigen Prediger,
welche das 65. Lebensjahr bereits überschritten haben. Verzeichnisse
der Gemeindeglieder und der Schüler sind ebenfalls vorzulegen. Nament-
lich wird aber zur ernstlichen Nachachtung aus der allerhöchsten In-
struction für den Superintendenten vom 18. 8. 1784 bez. der Kirchen-
visitationen folgendes mitgeteilt :
„Dass derselbe die ernste und gemessene Vorkehrung bei allen
Landpredigern zu machen und auf deren strackliche Befolgung zu sehen
hätte, dass bei dieser Gelegenheit aller übermässige Aufwand sowol im
Essen und Trinken als sonsten gänzlich vermieden bleibe und ausser
denen zum Geschäfte selbsten gehörigen Personen zu den Malzeiten
keine fremden Gäste eingeladen und. zugelassen‘ werden“. —
Wir werden dergleichen Ermahnungen zur Einschränkung der Ta-
felfreuden bei den Kirchenvisitationen, wie wir sie im Laufe des Jahr-
hunderts öfters können wiederkehren sehen, nicht allzu tragisch zu neh-
men haben, als wären die guten Alten vorzugsweise zu Kulinarischen
Extravaganzen geneigt gewesen, obendrein zur unrechten Zeii,
Sollte hier oder da wirklich einmal ein Landprediger unglückse-
liger Weise den Verdacht erweckt haben, als wolle er seine mangelhaften
kirchlichen Leistungen durch die Produkte seiner Küche vor den Augen
des Hochwürdigen Inspectors sachte verdecken, so hat es doch zu allen
Zeiten in der Natur der Dinge gelegen, dass man besondere Festtage
des kirchlichen wie des allgemein menschlichen Lebens, an welchen man
Gäste bei sich sah, dadurch vor anderen Tagen auszeichnete, dass man
seine Gäste in einer ihrem Stande und der Bedeutung ihrer Gegenwart
entsprechenden Weise auch bei Tisch ehrte,
Die Alten kannten weder kirchliche noch weltliche Volksfeste der
Art, wie sie sich in unsern Tagen während der günstigeren Jahreszeit
in bunter Reihenfolge unausgesetzt ablösen. Wenn man nicht etwa an
den Besuch der Jahrmärkte denken soll, so bot sich ihnen bei der
schwierigen Communication zu ihren Tagen äusserst selten Gelegenheit,
‚42 --
an die Kosten eines festlichen Zusammenseins denken zu müssen, Der
Tag der gewöhnlich alle 3 Jahre wiederkehrenden Kirchenvisitation
war wol für die meisten Pfarrhäuser auf dem Lande so ziemlich der
einzige Festtag, abgesehen von den allgemeinen Festen und Feiertagen
des Kirchenjahres, der die einförmige und eintönige Anfeinanderfolge
ihrer Tage ahnungsvoll unterbrach, sie dem Gefühl der Vereinsamung
auf kurze Zeit enthob und dem grossen Ganzen in einigen weihevollen
Stunden näher rückte. Es war deshalb im allgemeinen ganz natürlich,
dass es sich die Pfarrerfamilien nun einmal nicht nehmen liessen, die
Bewirtung des bei ihnen einkehrenden Superintendenten aus gutem Her-
zen und bestmöglichst zu bewirken. Im Grunde werden die Hochwür-
digen Herren auch nichts dagegen gehabt haben, wenn sie sehen durften,
wie Liebe und Freundlichkeit ihnen den Tisch deckte, sieht sich doch
selbst Endemann in einem seiner Circularschreiben zur bevorstehenden
Kirchenvisitation bemüssigt, etwaigen Missverständnissen behutsam vor-
zubauen, indem er bemerkt, er wolle Niemanden vorschreiben, wie er
bei dieser Gelegenheit seinen Tisch einzurichten gedenke, und er wie
Schiede und Grimm alle sammt und sonders sind am Ende voll
herzlichen Dankes für alle auf ihren Visitationsreisen genossene Liebe
und Freundschaft. — Zu den Zeiten des Inspector Merz scheint aber
allerdings Gefahr vorhanden gewesen zu sein, über Nebendingen die
Hauptsache bei der Kirchenvisitation hintanzusetzen.
Wie wenig Manche seiner Pfarrer geneigt waren, sich durch sein
Auftreten anregen zu lassen, sich in ihre pastoralen Aufgaben zu ver-
tiefen, das zu erfahren hat Inspector Merz Gelegenheit genug gehabt.
Da ist Einer, dem er die Anerkennung nicht versagen kann, auf dem
Gebiete des Schulwesens mit Erfolg tätig gewesen zu sein, aber von
seiner Wirksamkeit als Pfarrer ist positiv rein nichts zu vermelden.
Während die Prespiterial-Protokolle zur Zeit seiner Amtsvorgänger und
zwei Jahrhunderte hindurch -allezeit ein treuer Spiegel und ein beredter
Verkündiger der religiös-sittlichen Zustände in seiner, einer in jeder Hin-
sicht hervorragenden Gemeinde gewesen sind, weiss er selbst die ganze
Zeit seiner Amtsdauer hindurch, 23 lange Jahre, nichts von Belang hin-
sichtlich derselben zu berichten.
Die Presbyterial - Protokolle sind unter seiner Hand zum Ööden,
nichtssagenden Stuhlbuch und Fornikanten-Register geworden, Der kalte
Hauch des Todes weht uns auf jeder Seite entgegen.
Und als es mit ihm selbst zum Sterben gekommen ist, da sollte
man nicht meinen, der Mann hätte einmal eine Visitationspredigt zu
halten gehabt über die Worte Eph. 1, 7 und Phil. 3, 20 u. 21: Unser
Wandel ist im Himmel, von dannen wir auch erwarten des Heilandes
Jesu Christi, ‚des Herrn, welcher unsern nichtigen Leib verklären wird,
dass er ähnlich werde seinem verklärten Leibe nach der Wirkung, damit
er kann auch alle Dinge ihm untertänig machen, — er lässt sich näm-
lich bei Nacht und Nebel in der Stille einscharren (am 8. 4. 1800
Abends 5 Uhr), als wäre er ein Selbstmörder, ein Missethäter gewesen.
43 -
Auch Keiner seiner Collegen aus der Nähe oder aus der Ferne hat es
für angemessen erachtet, am Grabe zu erscheinen, um durch Wort
Gottes und Gebet in Gegenwart einer leidtragenden Gemeinde dasselbe
zu weihen, das verdorrte Gebein für den Tag der Auferstehung und
seiner herrlichen Verklärung einzusegnen und die abgeschiedenc Seele
in die Hände Gottes zu befehlen. Und doch wird im Todtenbuche
eingetragen, dass der Verstorbene als ein um die hiesige Kirche wolver-
dienter Prediger derselben beinahe 23 Jahre würdig vorgestanden und
nun im 73. Jahre. in dem Herrn ‚entschlafen sei. — Eine tiefere De-
pression kirchlichen Gemeingefühls, bei welcher selbst das Bewusstsein
für die primitivsten Forderungen eines kirchlichen Decorums abhanden
gekommen ist, wird wol seit den Tagen der Reformation bei uns nicht
offenbar geworden sein. Da konnte ma wol von einer guten alten Zeit
reden, in welcher derartige Vorgänge nicht möglich gewesen wären.
Es stand wirklich besser um Hirten und Heerden hinsichtlich der
Erkenntnis dessen, was sich im Leben und im Sterben für evangelische
Christen schickt, als man 70 Jahre früher gelegentlich des Begräbnisses
eines mit Recht wol verdient zu nennenden Pfarrers derselben Gemeinde
in dasselbe Todtenbuch schrieb: Den 22, Octobris 1729 ist nach einer
langwierigen. ausgestandenen Krankheit in unserm Erlöser Christo Jesu
selig entschlafen der Hochwohlehrwürdige und Hochgelahrte Herr Joh.
Justus Ammonius, treufleissig gewesener Pfarrer, und den 26. Octobris
bei sehr volkreicher Versammlung in unsere allhiesige Stadtkirche be-
graben worden, alt 55 Jahre. —
Aber es dürfte sehr zu bezweifeln sein, ob jene aufgeklärten Pre-
diger in ihrer suffisanten Superklugheit geneigt gewesen sind, Vergleiche
zwischen sonst und jetzt zum Nachteil ihrer Zeit anzustellen.
Bei einem derartigen Uebermaas von kirchlicher Taktlosigkeit, wie
es auf Seiten der Geistlichkeit gelegentlich des hier berichteten Begräb-
nisses des Pfarrers Jonas Bauscher von Steinau zu Tage trat, will es
wenig besagen, wenn Inspector Merz einige Jahre vorher die Auf-
merksamkeit des Consistoriums auf die unpassende Erscheinung mancher
Prediger in der Oeffentlichkeit, namentlich der jüngern, glaubt hinlenken
zu müssen. Es braucht zwar nicht wie früher über rusticales Auftreten
geklagt zu werden, über Mangel an äusserm Anstand, bei dem man
zumalen in der Residenz in einer der Würde des Orts und des Standes
ganz unangemessenen Weise unreinlich und in unanständiger Kleidung
erscheine, — im Gegenteil, stutzerhafte Art und Weise sich aufzuspielen,
wird gerügt.
Das General-Decret vom 16, 6. 1790 lautet also:
Es ist zwar durch ein generale vom 20. 8. 1766 den evangelisch-
reformierten Predigern hiesiger Grafschaft u. A. aufgegeben worden,
nicht nur durch einen wolgesitteten‘ fremmen und gottseligen Lebens-
wandel Andern ein gutes Exempel zu geben, sondern dabei auch auf
— YE —-
den äussern Wolstand in Ansehung einer ihrem Stande anständigen
Kleidung zu sehen. — Nachdem aber seit einiger Zeit wahrzunehmen
gewesen, dass verschiedene junge Prediger sich in einer solchen Tracht,
deren sich nur weltliche Bedienten und sonstige junge Leute bedienen
können, als der über die Stirne hangenden geschnittenen Haaren, runden
unaufgeschlagenen Hüten, allzumodischen Prae-gilets und allzugrossen
Schuhschnallen, oder andern unschicklichen Kleidungsstücken, besonders
auch von unschicklichen Farben (zeisiggrün, pfirsigblüthfarben ?!) kleiden,
solches aber für einen Prediger höchst unanständig ist, — so haben wir
denselben hierdurch alles Ernstes weiter aufgegeben, sich sothaner un-
anständiger Tracht völlig zu enthalten und keiner anderen als als ihrem
Predigerstand anständigen Kleidung zu bedienen.
Fürstl. Ev. Reform. Consistorium
gez. Ihm.
ref, Bramerell.
Tiefere Blicke in den Jammer der Würdelosigkeit in kirchlichen
Dingen, einer: Würdelosigkeit, die ganz dazu angetan ist, uns noch nach-
träglich mit tiefster Betrübnis und Scham zu erfüllen, eröffnet uns ein
ebenfalls auf die Initiative des Inspector Merz zurückzuführendes Gene-
rale der kirchlichen Oberbehörde wegen der bei der heiligen Commu-
nion übrig gebliebenen Elemente.
Es folge hier :
Es ist diesem Collegium durch Herr Inspector und Co.-Rath Merz
dahier unter dem 23. cur. die berichtl. Anzeige geschehen, wie der-
selbe bei Abhör der diesjährigen Kirchbaurechnungen bemerkt habe,
dass an einigen Orten gar zu viel für Wein bei dem hlig. Abendmal
verrechnet werde, und nachdem er diesseits genauer nachgeforschet,
man ihm endlich gestanden habe, wie in vielen Orten im Lande der
äusserst anstössige und die Religion sowie das Ansehn der Geistlichkeit
entehrende Misbrauch eingeschlichen sei, dass Prediger und Aeltesten der
Kirchen sich beikommen liessen, den bei ihrer Communion übrig bleibenden
Wein nicht nur gemeinschaftlich mit dem Schulmeister zu verzehren,
sondern dass einige zur Schande der Christenheit‘ sich soweit vergessen
können, solchen annoch vor dem Ausgang der Kirchen sogar bei dem
Altar, daselbst aus dem Kelch und oftmals annoch unter heftigem Zank
und Streit, wenn etwa einer mehr als der andere getrunken hätte, zu
sich zu nehmen.
Gleichwie aber ein solches anstössige Benehmen und von den
Predigern sich kaum zu denken stehender Misbrauch dem Consistorium
allerdings zum äussersten Misfallen notwendig gereichen müssen, und
dasselbe daher diesem Unfug von Pflichts- und Amtswegen nachdrück-
lichst zu steuern sich gemüssigt siehet, als wird vorerst sämmtlichen
unter diesem Collegium stehenden Predigern. welche entweder an diesem
u AD
schändlichen‘ Misbrauch selbst Teil gehabt oder auch nur zugegeben
haben, dass solches von Vorstehern und Kirchenältesten vorgenommen
werden möge, ein solches nicht nur alles Ernstes hierdurch verwiesen
und sonach nachdrucksamst gewarnt, solcher schändlichen und ihr Amt
höchst entehrenden Handlung sich bei Vermeidung harter Strafe und
nach Befinden förmlicher Entsetzung ihres Amts nie wieder zu Schulden
kommen zu lassen; sondern es wird hiermit überhaupt und für die Zu-
kunft alle Gelegenheit zu solchen schändlichen Vergehungen abzuschei-
den, verordnet und befohlen, dass hinkünftig nicht mehr Wein als nach
dem pflichtmässigen Ermessen der Prediger zum hl. Abendmal nötig ist,
angekauft werden und in Rechnung passieren solle, aller bei Commu-
nionen aber übrig verbleibende Wein nebst dem Brod nicht mehr, wie
bisher geschehen ist, dem Prediger, Schulmeister oder Aeltesten zum
Genuss heimfallen, sondern Beides, Brod und Wein, jedesmal unter die
Armen des Orts ausgeteilt werden sollen.
Decretum.
Hanau, den 28, Junius 1786.
Refor. Consistorium daselbst
gez. Ihm.
ordt. Bramerell.
Man sollte es nicht für möglich‘ halten, dass gegen eine solche
Verfügung remonstriert worden wäre, und doch geschah es von verschie-
denen Seiten unter dem Vorgeben, dass nicht an allen Orten jederzeit
Arme vorhanden seien, auch die Austeilung des übrig gebliebenen Bro-
des und Weines unter solche nicht jedesmal tunlich sein wolle. Man
bat, es bei der seitherigen Observanz zu belassen. Einige der Prediger
hatten es sich sogar beigehen lassen, das Circularschreiben des Con-
sistoriums in dieser Sache mit ordnungs- und respektswidrigen Anmer-
kungen zu versehen.
Es wird dies denselben ernstlich verwiesen. Sie sollen sich der-
gleichen hinführo nicht mehr unterfangen bei unausbleiblicher nachdruck-
samer Ahndung.
Es war hohe Zeit, dass Gott der Herr selbst einmal wieder die
Visitation seiner Kirche in die Hand nahm, und nicht blos im Hanaui-
schen, sondern im ganzen weiten deutschen Lande und weit über dessen
Grenzen hinaus.
Die alten ehrwürdigen Herren Inspectoren haben in ihrem engbe-
grenzten Wirkungskreise ehrlich und redlich getan, was sie konnten,
und an gleichgesinnten Geistern in der Nähe und in der Ferne hat es
nicht gefehlt, selbst in den dunkelsten Zeiten der Kirchengeschichte
niemals ganz und gar; aber Menschen haben den Kuin, die Dürre, die
u: AO
Versumpfung des theologischen, kirchlichen und socialen Lebens nicht
aufhalten können.
„Gott der Herr musste immer und immer wieder seinem Menschen-
und Kirchenvolke zu Hülfe kommen, und unter schwer drückenden,
tief demütigenden Strafgerichten und neuen Gnadenerweisungen einen
neuen Geist über das Völkerleben ausgiessen, damit das neue Glaubens-
und Liebesleben geboren werden konnte, in welches wir uns mitten
hinein gestellt sehn. Es ist nicht Menschenwerk, sondern Gotteswerk,
Deshalb dürfen wir auch unter allen Gefahren, die uns umgeben,
getrost unser Haupt erheben und der Zukunft zuversichtlich entgegen-
sehen, selbverständlich unter der Voraussetzung, dass wir mit allem
Volke Gottes Gnade je länger je besser erkennen und in der Treue
und Dankbarkeit immer mehr wachsen und zunehmen. Menschenwerk
wird untergehn, Gottes Werk wird bestehn!
Mit diesem tröstlichen Gedanken, meine verehrten Herren Amts-
brüder, wollen wir uns von der Geschichte der Kirchenvisitationen unserer
Hanauer evangelisch - reformierten Kirche im 18. Jahrhundert jetzt ver-
abschieden !
Z—— onde.,
Geschichtliche Abhandlung
über die
Hanauer Quartal-Convente
im ı7. Jahrhundert,
speziell der
Klasse Bücherthal,
kurz vor, während und nach dem dreissigjährigen Kriege.
S SS
Meine verehrtesten. Herren Amtsbrüder!
Ars ich mit meiner Geschichte der Kirchenvisitationen der Ha-
naueı reformierten Kirche im 18; Jahrhundert bereits zu Ende gekom-
men war, wurde mir Seitens unserer kirchlichen Oberbehörde ein Folio-
band aus dem 17. Jahrhundert nachgewiesen, der sich in der Bücherthaler
Klassenbibliothek zu Bruchköbel befand, und mir zugleich anempfohlen,
durch Auszüge aus demselben meine Arbeit zu vervollständigen. Da
diese Nachweisung und Anempfehlung dem vielfach lebhaft vorhandenen,
Verlangen, in die bis jetzt viel zu wenig und allgemeiner kultivierte Ge-
schichte unserer Hanauer evangelischen Kirche tiefer einzudringen, in
der erwünschtesten Weise entgegen kam, so setzte ich mich alsbald in
den hochwillkommenen Besitz des ehrwürdigen Folianten. Er liegt nun
seit einigen Wochen auf meinem Schreibtische und wird nicht müde,
mir die merkwürdigsten Dinge zu erzählen über kirchliche Gemeindezu-
stände im Hanauer Lande vor, während und nach dem grossen Kriege,
der so viel Jammer und Elend über unser Land und Volk gebracht.
hat, und zugleich zu berichten von der treu eifrigen und unermüdlichen,
zugleich auch von Gottes Segen sichtbar begleiteten‘ Arbeit unserer geist-
lichen Vorfahren, am ‚zerstörten Kirchenwesen zu bauen.
Der altehrwürdige schweinslederne Freund trägt an seiner Stirn
die köstliche Ueberschrift geschrieben:
Protocollum sive Acta conventuum classicorum sic dictorum: pro
classe Faginorum, quam vocant alias „die Bücherthalsklass“, inchoatum
Mediofagi (d. i. zu Mittelbuchen) in conventu classico anno Christianae
epochae MDCXH,
Der Band enthält zunächst die Protokolle von 15 Conventen, die
zwischen 1611 und 1616 unter dem Inspectorate des D°- Sebastianus
Seydelius. gehalten ‚worden sind, und zwar zu Mittelbuchen, Kestadt,
Issigheim, Altenhasel, Rüdigheim, Wachenbuchen, Niederrodenbach,
Rosturph und Bruchköbel. Hochstadt kam später zur Klasse noch hinzu.
Sodann folgen 9 Conventsprotokolle aus den Jahren 1631—1634, nach-
dem wegen Altersschwäche des anno 1631 mit Tod abgegangenen Seyde-
lius und propter. continuos Bellonae furores 15 Jahre lang keine Con-
vente abgehalten worden waren. Inspector Joh. Daniel Wildius, der
Nachfolger Seydels, stellte mit seinem Amtsantritt die Ordnung der Con-
vente alsbald wiederum her, Hieran schliessen sich an nach einer aber-
maligen Unterbrechung von 7 Jahren die Protokolle der 6 Convente,
A
welche zur Zeit des Inspectors Heinrich Oraeus 1641—1644 im Bücher-
thal abgehalten worden sind. Den Schluss des Ganzen machen am
Ende noch 2 Conventsverhandlungen, die eine vom 5. 2. 1657 zu Hoch-
stadt, die andere am I. 7. 1658 zu Kesselstadt. An letzter Stelle sind
zugleich die leges conventuales eingetragen, zusammengestellt vom je-
weiligen Inspector und Öberpfarrer zu Hanau Petrus Pezenius, von 1657
an auch inspector omnium classium., Da diese leges conventuales die
Normen enthalten, nach welchen die Convente von 1611 an sammt und
sonders verlaufen sind, — nur ganz weniges hat Pezenius hinzugefügt,
das bis zu seiner Zeit nicht üblich war, — so werden wir sie zunächst
mitteilen, um zu unserer allgemeinen Orientierung einen vorläufigen
Ueberblick über die .so wichtigen Conventsverhandlungen der Hanauer
reformierten Kirche im 17. Jahrhundert zu gewinnen. Danach gedenken
wir, diese selbst .aus dem in unserm Protokollbuch so überaus reichlich
vorhandenen Aktenmaterial in geeigneter Weise zu illustrieren.
Das einzige Bedenken, welches mich bei meinen Bemühungen, den
ebenso interessanten als reichlichen Stoff nach Gebühr zu bewältigen,
öfters anwandelte, bestand darin, es möchte mir nicht durchweg ge-
lungen sein, das rechte Mass in den Mitteilungen und die richtige Mit-
telstrasse im Fortschritt der Darstellung einzuhalten. Indess ich hoffe
auf Ihre gütige Nachsicht und werde mich für meine Arbeit reichlich
belohnt wissen, wenn es mir, meine verehrtesten Herren Amtsbrüder,
sollte gelungen sein, Sie für das eingehende Studium unserer Hanauer
Kirchengeschichte in etwas zu erwärmen, die warlich verdient mit Lust
und Eifer eingehend untersucht zu werden. Am meisten aber würde
es mich freuen, wenn Einer oder der Andere der Herren Amtsbrüder
mit dazu helfen würde, gewisse Punkte derselben, deren noch manche
der Aufhellung bedürfen, klar zu stellen. —
Leges conventuales,
hactenus in conventibus classium reformatarum Hanovicarum desideratae,
jussu Dn. Dn. Consiliarium collectae et in ordinem digestae a Petro
Pezenio, pastore Hanov, vicinarumque ecclesiarum inspectore, anno a
Christo nato MDCLVIUIIL
I,
Conventus classicus in qualibet classe bis habeatur, nempe semel
tempore Maji et semel tempore vindemiae quotannis.
Zi
Venerandum consistorium in tempore Inspectorem Classis aut prae-
sidem, et per hunc pastorem loci respondendem, de termino Conventus:
textu ex libris canonicis pro concione vonventuali exponendo, gravami-
nibus sive personalibus sive realibus ecclesiae consignandis, quaestionibus
theologicis ventilandis, et responsionibus ad illas formandis, catalogo au-
ditorum et discipulorum aliisque rebus, quae ad salutem ecclesiae spectare
videntur, monebit literis g0lxAntıxaıs, a quolibet fratre lectis, in con-
ventu Inspectori reddendis.
Nomine Consistorii plerumque solent adesse Archisatrapas!) sive
Consiliarius et Assessor, Inspector vel ejus. nomine Collega. ..
Conventus incho&tur tempore aestivo circa horam 8., hiemali au-
tem circa !/, nonam, in medio positis sacris bibliis utriusque testamenti
originalis, cum precibus, si fieri potest, latinis ab Inspectore vel praeside,
C,
Nemo exfratribus sine sufficiente excusatione emaneat, aut aureum
rotatum floren. Conventui in usum pauperum persolvat.
G.
Conventuales honesto vestitu compareant et modeste discedant.
7
Instructi cum concionis et textus conventualis dispositione, grava-
minibus ecclesiae personalibus et realibus consignatis, responsionibus ad
quaestiones positas, denique cum libro sive ephemeritibus, in quibus
consignent quaestiones, recensiones vel acta et monita notatu digna et
necessaria sub poena !/ floreni.
Initium Conventus sit sacrum cum precibus, quos excipiat visitatio
scholae.
Ty
Visitatio scholae fiat per fratres quosdam seniores et unum atque
alterum juniorem, ‘per Inspectorem vel praesidem deputatos,
Iv.
Interea pastor loci exhibeat Inspectori vel praesidi: Catalogum
auditorum, monendorum, orthodoxorum, heterodoxorum et ‘Lutheranorum
et pontificiorum: item registra ecclesiastica, protocollum presbyteriale,
dispositionem textus, gravamina, alhum neogamorum, baptizatorum, mor-
tuorum, communicantium, et si quae alia sunt litteraria ecclesiae docu-
menta perlustranda, ut sunt libri aedilium,?) eleemosynarum etc.
11
Inspector depositis istis reposcat literas guyxAnııxus a pastore loci
et exquirat ex eo de praetore, presbyteris, ludimoderatore, aedilibus,?)
corydis?) ecclesiae, auditorio, ut quilibet se gerat quoad orthodoxiam
fidei, pietatem in cultu-divino, probitatem in vita privata et publica atque
assiduitatem officii.
1) Archisatrapas oder archipraetor territorialis ist der. „Oberschultheiss“
des Bücherthals, der gräfliche Verwaltungsbeamte, heutzutage der Landrath.
2?) Die Kirchbaumeister sind gemeint.
3) Die Kirchenrüger (52).
3
1
a
1
Wr
52 —
Ludimoderator itidem exhibeat catalogum discipulorum, profectus,
diligentiae, parentum piorum vel impiorum, denique gravaminum de
schola, salarıo, statu suo, etc.
13.
Post visitatam schölam et judicia de ludimoderatore ejusque dili-
gentia vel negligentia, dexteritate in docendo, gubernando, item de dis-
cipulorum profectu laudando et praemiis exornando, deniquc de aedibus
scholae et ejus necessariis requisitis etc. deposita, instituatur jentaculum,
quod non excrescat !/„ horam.
14;
Quo finito bini bini fratres accedant ad templum modeste, com-
posite, devote, bone. praeparatli.
DS
In templo cultus incho@tur cum canto textui injuncto appropriato,
Oo.
Post cantum brevem pastor loci habeat concionem ex textu prae-
scripto, brevem, orthodoxam, textui et desiderio auditorii Satisfacientem.
17.
Hac finita Inspector vel praeses brevi prosphonemate animos au-
ditorum ad instans. examen et tentamen juniorum et adultiorum prae-
paret, annexis precibus.
Vz
Hisce habitis interea conventuales per Inspectorem distribuendi
sunt inter discipulos et auditores ex Catechesi et 5 capp. examinandos;,
ubi suis pugillaribus excipiant quaedam in concione, cantu, catechisatione
et cultu, monitu utilia et observatu digna in rebus, verbis, gestibus,
methodo, phrasibus et actionibus.
19.
Finito examine catechetico Inspector breviore epilogo ad coetum
directo, laudet diligentiam quorundam, aliorumve negligentiam reprehen-
dat, segniores excitet, errantes revocet, vacillantes confortet etc., et de-
nique omnes precibus Deo commendet.
Ubi. in silentio et modestia fratres Inspectorem disserentem audiant.
2,
In templo vel aedibus pastoris loci post acceptationem novitiorum
fratrum et sermonem brevissimum ad conventuales Di. Inspectoris vel
pr. habitum, producatur protocollum Conventus, in quo consignentur
acta conventus: hoc autem tantum in Consistorio custodiatur, nihilque
nisi prius censurae Dn. Consiliariorum aut Inspectoris subjectum inseratur,
12:
Gr
20-
Ft
quod iguominiam vero, convitium, scandalum vel rixas creare possit,
e contra omittatur.
2
Scriba eligatur ad biennium sicut et quaestor.
Nemo in loquendo alterum praecipitet, vel in ejus sermones non-
dum absolutos imprudenter et impudenter cum @tTaEım et scandalo irruat,
2
Novelli fratres homagium stipulata manu Illustrissimo Dn. comiti,
conventui et Consistorio deponant, sic que hisce legibus sancte sub-
scribant.
Juniores senioribus reverentiam, silentium, honorem et modestiam
in verbis, factis et gestibus exhibeant.
26.
Post preces et acceptationem ‚neohyptorum leges conventuales
praelegantur et conventuales fratres de observantia moneantur.
=.
Examen praetoris loci, presbyterorum, acdilium, ludimoderatoris
et pastoris censurati accurate observandum.
Censura fratrum quetanuis bishabeatur, et huic fratres placide et
fraterne in silentio subscribant.
20.
Inspector sive praeses interroget de rituum conformitate, scholis,
presbyteris, officiariis, politicis, ludimoderatoribus, pauperibus, Concionc,
catechisatione et toto coetu auditorii.
55,
Gravamina generalia et specialia a fratribus deposita examinentur.
3:
Quaestiones theologicae injunctae cum suis responsionibus et textus
praescripti dispositionibus . Inspectori exhibeantur, ubi opus fuerit ad-
dantur nonnulla, quae juniores calamo excipere poterunt.
Divulgans acta Conventus multandus est !/„ floreno. NB. proverb
25. Q et 20. 10,
Yyt
Ministerium evangelii a quolibet fratre fideliter, pie, constanter,
diligenter, sancte, &vutaxTOS xal EUO/TLOVWS IN Vita, doctrina, cruce et
patientia ad mortem usque juxta tenorem’ scripturae sacrac obcundum.
12
Ei
ax
T
32
en
Omnia munera fratrum eo semper dirigenda in et extra Conven-
tum, ut homines discant &UCwry. xat EUFavaoLaV.
35°
Unde nullum nisi ex libris canonicis textuum pro concionibus
fratres sumant tractandum.
>
Imo et conciones maxime analyticae, methodo ad feliciorem captum
auditorum informandum erunt disponendae.
37-
Ideoque nimium quarundam Luther. Postillarum usum ex nostro
acroaterio exterminandum meditentur fratres in posterum, ne sic pro-
stituatur veneranda ministerii dignitas.
38.
Et sic conciones ex fonte bene disponendae, ut pro necessitate ex-
agitata et Dn. Dn. consistorialibus dispositiones annuas singulorum textuum
anniversariorum exhibere, suam diligentiam, solertiam, in toties mutatis
concionum thematibus monstratam quilibet testari possit.
59:
In liturgiis consuetis ecclesiasticis nihil exomittendum, addendum,
mutandum, corrigendum, detrahendum, insciis ecclesiarum directoribus
superioribus.
40.
A novitatibus suspectis, inusitatis, novis, archaecologis et pericu-
losis phrasibus, verbis, rebus, gestibus et actis in concionibus absti-
nendum.
Omnia verba, dicta et acta etc. dirigenda ad praxim pietatis, ec-
cClesiae aedificationem et gloriam Dei aeternam.
A tempore adventus ad festum nativitatis J. Chr. locus com. de
vario J. Chr. adventu diligenter est urgendus et enucleandus.
45: .
Tempore quadragesimali usque ad festum Paschatis historia pas-
sionis J. Chr. explicanda et auditoribus quotanuis in 7 septimanis, ne-
que tum absque superiorum dispensatione debeant fieri nuptiae neque 3.
primis diebus, ante diem precum menstruum.
4b
Conciones catecheticae et preces ad minimum bis in septimanis
atque diligentissime habeantur.
34
36
Ca 5) Su.
20
Praeparatoriae conciones ad. S. Synaxin habeantur, in quibus
L. C. de vero verborum S. coenae intellectu et praxi nervose tractandus.
An,
Nemo extraneorum neogamorum copulandus sine‘ sufficienti‘ pro-
ducto testimonio, ant superiorum mandato impetrato.
47:
Prophanationes Sabbathi observentur, prohibeantur, indicentur etc. !
48.
Vidui ad nova vota-accessuri non copulentur nisi effluxo justo
luctus tempore, vel dispensatione a judicibus gamisterii impetrata, et in-
ventariis (si &yrexvot vel molvrtexvoL sunt) prius confectis.
4.
In concionibus exequialibus abstinendum a panegyricis et epae-
naticis
50.
Constitutiones presbyteriales, competentiales, instructionales, ut et
catechisationes et scholae accurate observentur.
ST.
Registra defunctorum, neogamorum, baptizatorum, novorum com-
municantium, aedilium sive fabricae, eleomosynarum, redituum, praedio-
tum, mobiliorum et immobiliorum ecclesiasticorum, hypothecarum, syn-
grapharum, salariorum: item capitalia, privilegia, jura, consuetudines,
ecclesiae ratione nobiles, praejudicia, documenta literaria alia p. p. pa-
stores fideliter custodiant, aut ad consistorium remittant.
SE
Corydi ecclesiastici (Kirchenrüger) ordinandi sunt.
GS:
Inquisitio fiat diligens in impie et scandalose viventes.
Ott
Encaenia, luperculia, Eleusynia*) in Orcum releganda.
Juventutis accolarum Lutheranorum et pontificiorum ratio habenda.
56,
Ideoque quilibet ita vigilet ut alios ex Lutheranismo vel papismo
cum bono Deo veritatis luce vitaeque integritatis tramite lucretur.
57-
Maxime igitur theoria cum praxi sancte et docendi et discendi
*yJ Kirmessen, Tröster und Spinnstuben. (?)
Br
HAN
45
46.
iQ.
z2
1
55-
SE 55 .—_..
est conjungenda, adhibitis bonis commentariis et practicis reformatorum
opusculis.
Et pastor non sit turpis auricupidus, non exerceat agriculturam,
vel artes fabriles, vel negotia mercatoria ad explendam avaritiam.
S9-
Si fuerint delinquentes, illi #rvuz0%x9LTwE Cum Modestia, mansuetu-
dine, sine passione sunt corrigendi.
60.
Errantes quoque sunt revocandi, aegroti visitandi, tristes solamine
erigendi, obstinati acrius corrigendi, vel arcendi ab usu sacramentorum,
donec resipiscant.
Pastores fratribus et auditoribus suis vitae sanctitate et doctrinae
sinceritate praeluceant: fraterne cum iis agant et paterne: Nullus de
altero loquatur, scoptice, obscoene, invidiose, odiose et acerbe eum tra-
ducat; si quis habet aliquid contra fratrem correctione dignum, illud in
tempore et silentio notificet Inspectori componendum, ne adversarliis
ita vel minima scandalizandi occasio offeratur.
62.
In polemicis concionibus abstineant a diris exanathematismis.
63.
Inscio Consistorio vel ad minimum Inspectore nemo ad exteras
longum ex currat terras, suamque pastore vacuam linquat parrochiam.
64.
Oboedientiam conventuales testentur et reverentiam erga praepo-
sitos Dn. Dn. Consistoriales, Inspectorem, praesidem, conventum et leges
hasce acceptas.
65.
Conventus semper maximi faciendus, honeste de eo loquendum,
ejus autoritas, necessitas et utilitas contra alios scurras asserenda. In eo
alii alios placide audire et exercere studeant, nemo alterum ob exilia
dona contemnat vel de suis superbius glorietur,
Hisce regulis subscripturus nomen suum det albo ministrorum pe-
culiari. quod asservatur in consistorio, hisque subscribat!
G 7.
Huic conventui vale dicturus et alio evocatus, in tempore discessum
in consistorio significet, quo eo citius de alio surrogato tempestiva Ca-
piantur consilia.
58
61
66
* } f 5
Quantum fieri potest, omnes conventuales eo dirigant sermones,
ut latinitate sermonis se invicem recreent et exerceant, abstinendo a ver-
bis nauci (?) et rebus inutilibus, risibus, jocis, putritis et foedis etc. sed
potissimum studeant miscere sermones honestos, pios, et conditos sale
sapientiae et pingnetudine. prudentiae, ad aedificationem directos, et
ne juniores aliique scandalizentur.
569.
Facescat igitur omnis profanitas, vanitas, impietas, levitas, rixandı,
contradicendi et superbe gloriandi studium: item ingenli ostentationes,
susurri, cachinni, explosiones, irrisiones, aliorum exagitationes, multo
magis criminationes: item jurgia et .... mutua, Scopus vero Sit gloria
Dei, mutua aedificatio, sincera aliorum per fraternam directionem coalitio.
Imo et aliorum dicta et facta gA0ovsıx&ı0 quadam et animi malevo-
lentia non accipiantur, nec in alium detorqueantur sensum, sed in illis acci-
piendis et interpretandis candor et &Tt&ix&tm adhibenda, juxta regulam
charitatis 1 Cor. 13. 4.
JE.
Porro in censura morum, cujus supra facta mentio, nullus dissi-
mulationibus, aut assentationibus parasiticis neque affectibus privatis aut
praejudiciis male informatis det locum, sed ex sincera charitate et cum
spiritu mansuetudinis mutua emendatio, existimatio et salus quaeratur.
72,
Denique si quid dissidii inter fıatres crtum fuerit, tum reliqui
omnibus viribus pro mutua inter illos reconciliatione laborabunt ac quan-
tum fieri, potest, non prius discedant aut desistant, quam reconciliatio
successerit, ne videl. in publicum hoc dimaneat et scandalum praebeat
ecclesiae.
73°
In praesidiis plerumque alternatio olim observata fuit, sic quidem
ut ultime praecedentis conventus respondens sit praeses Ssubsequentis
conventus.
1
Conventus tandem finiatur precibus latine conceptis ab Inspectore
sive praeside aut pastore loci,
73:
Omnia acta terse protocollo inserta, fratribus praelegantur sub-
scribenda,
79:
Finito Conventu et precibus sanctificato Inspector sive Praeses
habeat brevem sermonem paraeneticum ad fratres, quo cohortentur ad
di
68.
70
1%
“ft
diligentiam, fidem, pacem et curam ecclesiae gerendam, ad unitatem et
concordiam animorum mutuam confiliorum et auxiliaram communica-
tionem: ad silentium praestandum, et executionem eorum quae cuilibet
dicta fuerunt et alter alterum prodat aliis.
"7,
Haec omnia tandem excipiat coena frugalis, non ultra trihorium
durans, absque luxu, inebriationibus, levitate, scandaloso verborum et
poculorum strepitu et certamine.
43
In hac coena instituatur placida 0vint76cig €X injuncto 10c0o com-
muni absque tamen rancore, rixandi ardore, sp. vertiginis et superbia,
sed in pace et amore veritatis ad aedificationem fratrum et refectionem
animorum majoremque studii Theologici theoretici diligentiam et fre-
quentiam.
„7
Sic in silentio, amicitia, confidentia, modeste, ut decet fidos Christi
servos. et operarios alli aliis in D"° valedicant fraterne optantes, ut
opera transacta Deo placeant et cedant in ejus gloriam, ecclesiae aedi-
ficationem et omnium eorum aeternam post mortem beatam salutem!
Amen! Et qui hoc optat, speret ac spiret et spirando suum
fidele subjiciat Amen!
Yinis legum.
Nach 8 4 der voranstehenden Conventsstatuten versammelten sich
die Herren Klassenbrüder an dem bei der letzten Gelegenheit dazu
bestimmten Conventstag und -orte im Sommer um 8, im Winter um
1/9 Uhr. Ohne Entschuldigung Fehlende verfielen in eine Busse von
1 Gulden zu Gunsten der Pfarrwittwenkasse. Ebenso wurde das Ver-
lassen: des Convents, ehe derselbe ordnungsmässig zu Ende geführt
war, durch eine multa von !/„ Gulden geahndet.
Der Anfang der Tagesarbeit wurde regelmässig mit dem Besuch
der Schule gemacht.
Was die aus der Mitte der Fratres Conventuales zur Schulvisi-
tation entsandte Commission bei ihrer Rückkehr in pleno zu berichten
hatte und was sonst im Laufe des Tages über Schulzustände zu Tage
gefördert wurde, muss uns, die wir in unsern Tagen von Kindheit auf
Eindrücke eines nach allen Richtungen hin wolgeordneten Schulwesens
empfangen haben, zum grössten Teil höchst merkwürdig vorkommen.
Dass die Presbyter zu Mittelhuchen sehr klagen über den Unfleiss
des Schulmeisters wie auch über seine libidinem rixandi in conVviviis
58
JS =
(1611) wäre nichts Sonderliches, eher schon die mehr allgemeine Wahr-
nehmung, dass die Schuldiener mehr ihren Sachen nachlaufen als der
Schule, auch den Kindern mit keinem guten Exempel vorgehen. :
Der Pfarrer zu Rossdorf klagt wiederholt, dass, obwol viel Kinder
des Orts, doch die Schul übel versehen werde, weil jene durch. des
Schulmeisters Weib vertrieben würden, teils um des geringen stipendii
willen, teils weil sich diese über jene öfters habe ärgern müssen.
In Niederrodenbach wird zur selben Zeit überhaupt keine Schule
vorgefunden und deshalb vom Convent beschlossen, sie soll vom pastor,
loci Martino Heilmann gehalten werden. Aber noch 1643 wird im Con-
vent Folgendes konstatiert: Weilen kein Schuldiener vorhanden und
pastor loci vor etlichen Wochen die Gemeinde vermahnt, dass sie ihm
in Mangelung eines Schuldieners die Kinder des Tags nur 2 Stundt
zur Unterweisung schicken sollten und sie solches nicht getan, also ward
der Conventsschluss gemacht, dass die Kinder neben den alten in der
Kirch examiniert und gehöret, die Rodenbächer aber wegen mutwilliger
und unverantwortlicher Versäumnis ihrer Kinder vom Herrn Inspector
hart bestraft würden, Dies geschieht denn auch alsbald. Am Schluss
des Kirchenexamens hat der Herr Inspector die Fahrlässigkeit und Ver-
säumnis ihrer Kinder hart gestraft, zur Gottseligkeit und christlicher
Obacht ihrer Kinder vermahnt, dass, weilen sie einen Kuhhirten hielten
und denselben wol lohnten, vielmehr und tausend mal mehr sie ihren lie-
ben Kindern einen Schuldiener halten und wol belohnen sollten (1643).
Anno 1613 bezeugen die Seniores zu Rüdigheim ihrem Schul-
meister, dass er zur Winterszeit, weil zu Sommerszeiten die Nachbarn
ihre Kinder zur Arbeit gebreucheten, bei der Jugend tue, was ihme
besten Fleisses möglich sei. Durch die Verwirrungen des Kriegs aber
ist es im Jahre 1642 dahin gekommen, dass der Convent weder Schul-
kinder noch Schuldiener daselbst vorfindet. Zwar existiert ein solcher,
zugleich Ortsdiener, aber er ist nicht am Orte wohnhaft. Des Näheren
heisst es: Als man die Schul hat visitieren wollen, sind weder Schul-
haus noch Schüler vorhanden gewesen. Die Seniores sagen aus: Sie
seien verbrannte Leute, müssten ihre eigenen Häuser erst bauen, müss-
ten sich manchmal 3 Hausgesäss unter einem Dache behelfen, so stünde
es auch in ihrem Vermögen nicht, Fenster oder Ofen dem Schulmeister
aufs Rathshaus zu machen, propter eandem difficultatem, wissen noch
keine Mittel.
Wegen der Schul weiss der Schultheiss im Geringsten auch kein
Mittel wie zu helfen. So wäre es auch in ihrem Vermögen nicht, das
geringste Fenster auf die gemeine Stube, dahin sich die Kinder im
lernen verfügen könnten, machen zu lassen. — Darauf sind. dann den
Rüdigheimer armen und verbrannten Leuten von Herrn Theodoro Leu-
relio, Pfarrherrn zu Hanau, zur Reparierung der Fenster auf der ge-
meinen Stube im Rathhause als einstweiligem Schullokale 2 Gulden aus
dem Kasten zu Hanau gesteuert worden, die sie durch einen Senioren
sollen abholen lassen.
7C
60 --
Zu Mittelbuchen anno 1615 wird von den Leuten sehr geklagt,
dass der Schulmeister, der zugleich Büttel und Unterschultheiss ist, wenig
Fleiss auf die Schule verwende. Er laufe lieber zu seinen Gütern und
nach Hanau, treibe sein Schulamt nur so nebenher,
Am 3. 3. 1642 aber ereignete sich gelegentlich des daselbst ab-
gehaltenen Conventes folgendes höchst lächerliche Factum. Als die
Schulkommission gegen die Schule vorrückte, um daselbsten die pro-
fectus discipulorum zu erkundigen, haben die 3 Fratres nur 3 Söhne
und 5 Töchter zur Stelle finden können, die übrigen haben die Flucht
ergriffen und sind aufs Feld gelaufen. Daraus denn des praeceptoris
schlechte und’ allzugelinde disciplin und der Schüler Ungehorsam ver-
spüret wurde. Die 3 vorgefundenen Knaben haben wol lesen, auch die
kleinen catechismi Fragen auswendig hersagen können, auch etwas aus
dem mittelmässigen Catechesmo gewusst. Die 5 Mädchen haben syl-
labiert und die: 3 Hauptstücke der christlichen Religion fein gebetet. —
Jedenfalls war das ein gutes und anerkennenswertes Resultat der gegen”
wärtigen Schulprüfung.
Ab und zu und namentlich im Fortschritt der Zeit und der uner-
müdlichen Conventsarbeit wird nämlich bald hier bald dort auch des
Schuldieners Fleiss gelobt. Schon zu Altenhasel wird demselben nach-
gerühmt, er habe sich, obwol er hiebevor mangelhaftig gewesen, doch
bisher merklich und wol gebessert (1614). Zu gleicher Zeit wird die
Schuljugend zu Bruchköbel ziemlicher massen befunden, ebenso zu Kes-
selstadt und Dörnikheim. Desto betrübender gestalten sich die dortigen
Schulzustände im Jahre 1632. Die Kesselstädter verwahrlosen ihre Kinder
schändlich.. Statt. sie zur Schule‘ zu schicken, lassen. sie dieselben in
otio et petulantia auf der Gassen umbherlaufen.
Schulmeister zu Dörnikheim Petrus Pistorius ist erinnert worden,
ob er etwan Ursach gebe, dass ihm Niemand wolle Kinder schicken,
ob er etwan zuviel aufstolziere oder dem Weintrinken nachlaufe, wie
man wol allerlei vernommen habe. Sagt: nein, dafür sollte ihn Gott
behüten! Ist ihm anbefohlen worden, dass er diejenige Kinder, so zur
Schul tüchtig und doch den ganzen Tag auf der Gasssn umherlaufen,
sollte aufzeichnen, damit das Presbyterium beneben dem Schultheissen
solche raben Eltern wisse vorzunehmen. Weil er auch beim Todtschlag
gewesen, der neulich zwischen Kestadt und Dörnikheim begangen wor-
den, hat man ihm zugeredt, ob er etwan mitgezankt und sein Gewissen
beladen, ob er sich mit unterstanden hätte, solche bösen Sachen nach
Vermögen abzuwehren? Entschuldigt sich aber zum allerhöchsten, da-
rauf er ist dimittieret worden,
Die Kesselstädter Seniores repetieren die alte Klag de praeceptore,
er wohne nit bei ihnen, sondern zu Hanau, sei auch mehr bei der
Edelfraw von Lautern in ihren Dienstgeschäften und Haushaltung (er
war wol deren Lakai?!), als bei den Schulknaben. Der Schul-
meister entschuldigt sich damit, dass er in dem ruinierten Schulhaus
nicht wohnen könne. er halte alle Tage seine gewissen Stunden, hoffe
— 1
nit, dass man ihm das Accidenz, das er von der Fraw von Lautern
habe, werde abstricken. Es ginge ja der Schul weder ab noch zu.
; Ganz besonders befriedigt hingegen über den Befund der Schulen
in der Pfarrei Kesselstadt äussert sich das Protokoll des am I. 7. 1658
daselbst abgehaltenen Convents. Es heisst a. a. O: Darauf die Schu-
len von den Fratribus visitiert, die Kesselstädter Schulkinder in dem
Schulhaus daselbst, die Dörnikheimer aber in der Kesselstädter Kirchen
examiniert, ziemlicher massen im Beten, Lesen und Schreiben unter-
wiesen befunden, der beiden Schuldiener Joh. Peter Daussen und Johs
Höltzels Fleiss verspürt und demnach unter die Kesselstädter Schul-
kinder 1!/, Gulden, unter die Dörnikheimer aber ı Gulden loco praemif”
ausgeteilet worden. Ebenso wird gleichzeitig der Schule und dem Schul-
meister zu Hochstadt rühmende Erwähnung zu Teil.
Als nämlich die Schul daselbst visitiert wurde, sind 29 Söhne und
27 Töchter, in Sa. 56 Schüler in dem gemeinen Schulhaus in guter
Ordnung zugegen gewesen und wurden im Beten, Lesen, Schreiben,
Catechismo und insonderheit in den 23. Fragen (?) wol und fleissig
unterwiesen befunden. Darauf erstlich loco praemii 1 Gulden 17 albus
unter die Schulkinder ausgeteilet, einem 10, dem andern 6 und dem
dritten 4 alb. gegeben, und damit zu grösserem Fleiss aufgemuntert,
darnach des Schuldieners Fleiss belobt und befragt, ob auch pastor loci
die Schul fleissig besuche, worauf er geantwortet: Ja! Drittens des
Schuldieners gravamina entgegengenommen, unter Anderm, dass das
Schulhaus baufällig, dass der Schultisch abgängig und dass etliche Schul-
bänk vonnöten wären, und insonderheit der Schultheiss sammt den
Senioren zu möglichster Reparation vermahnet worden (5. 2. 1657).
Nachdem die Schulkommission sich ihrer Aufgabe entledigt und
den im Pfarrhaus zurückgebliebenen Fratribus pflichtschuldigen Bericht
abgestattet, begab man sich nun unter dem Geläute der Glocken, in
feierlicher Procession paarweise, zum Gotteshause, wo sich zu gleicher
Zeit auch die Gemeinde zusammenfand, um mit ihr nach einem unani-
miter angestimmten Psalm zunächst die Conventspredigt des pastor loci
zu vernehmen. Die lateinische Disposition musste er zuvor dem In-
spector eingehändigt haben. Nach gehaltener Predigt ist dann wie ge-
bräuchlich der Inspector bezw. Präses vor den Tisch getreten und hat
der ganzen Gemeinde angezeigt, warum anjetzo die benachbarte Kir-
Chendiener daselbst zugegen, nämlich dass aus Anordnung unserer got-
tesfürchtigen Landesobrigkeit visitation und Umfrag oder Examen sive
Tentamen abgehalten werden solle, wie es dieses Orts umb Kirchen und
Schulen, christliche Religion und ganze Gemeinde bewandt wäre, Bitte
deshalb, dass ein Jeder unter den Nachbarn ruhig und stille auf seinem
ort verpleiben wolle, bis die anwesenden Herrn Pfarrer sich unter die
Gemeinde verteilen und die Alten sowol als die Jungen würden bge-
fragt und erforschet haben, was doch ein Jeglicher unter ihnen in sei-
nem christlichen Catechismo gelernet und behalten haben würde, Solche
exhortationes hat der Herr Inspector nach seiner Gewohnheit in einen
geistreichen Sermon verpflochten, ‚so auf. dem Ccenvent zu Hochstadt
Sk
am 5. 2. 1657 mit Zugrundelegung von Sirach ır, 8: Du sollst nicht
urteilen, ehe Du die Sache hörst und lass zuvor die Leute ausreden,
nachdem pastor loci in seiner Predigt das‘ Wort Lucas 19, 2-—10:
Heute ist diesem Haus Heil widerfahren —, nämlich dem Kirchen-,
Pfarr- und Schulhaus, ja jedem Haus in der Gemeine Hochstadt er-
baulich, beweglich, tröstlich und zu aller anwesenden Herrn und Zuhörer
sattem Verständnis ausgeführt hatte. Derselbe geistreiche Herr Inspector
Petrus Pezenius hat das examen seu tentamen der Gemeinde; , Kessel-
stadt und Dörnikheim auf dem Conventstag zu Kesselstadt am 1.7.1658
mit Jesus Sirach 6, 27 eingeleitet: Culturam arboris demonstrat fructus
illius: Soll wol tragen der Baum und der Garten, so muss man seiner
warten. Wir müssen zusehen, wie diesem Kirchenbaum und Garten
allhier gewartet worden sei! Fructus illius demonstrabit,
Finito sermone hat dann pastor loci das examen seu tentamen
der Gemeinde begonnen, bis sich die Confratres sämmtlich unter die-
selbe begeben und Alt und Jung, Männer und Weiber, Kinder und
Greise, keines ausgenommen, vorgenommen haben. Der Inspector ist
dabei auf- und abgegangen und hat bald hie bald da geforscht, wie
sichs verhielte mit dem Wissen und Verstand der Pfarrkinder. Da hat
sichs dann gemeiniglich befunden, dass Einige derselben intelligentes,
Andere medii, Manche aber auch rudes seien. In Niederissigheim sind
die Jugend und die Weibspersonen besser unterrichtet gewesen als die
Mannspersonen. In Bruchköbel haben die sämmtlichen Conventuales
eine wol erbaute Gemeinde gefunden, und war eine Lust anzuhören,
dass eine jegliche erwachsene Person utriusque sexus beneben den Haupt-
stücken und 23 Fragen noch 2, 3, 4 oder 5 schöne Lehr- und Trost-
sprüch recitieren können, wie sie dann deswegen auch vom Inspectore
D°. Henrico Oraeo publice gelobet und zu beharrlichem Fleisse wie
auch zur praxi und Gottseligkeit sind ermahnet worden (1634).
Das Zeugnis über den Ausfall des examen catecheticum an dem-
selben Orte vom 3. 3. 1642 lautet: Bei etlichen ward ziemliche Wissen-
schaft befunden, bei etlichen aber noch ziemlicher Unverstand, darumb
dann etliche gelobt, etliche ad majorem diligentiam et incrementum er*
mahnet, etliche wegen grosser Fahrlässigkeit scharpf gestraft wurden.
Besonders dürftig fiel das Kirchenexamen am 8. I1. 1632 zu Rüdig-
heim aus. Manche wussten weder das Gebet des Herrn ‘noch die ar-
ticul des Symboli Apostolici herzusagen, glaubten an drei Götter und
was dergleichen damals mehr vorgewesen.
Nach geendigtem Kirchenexamen wurde die Gemeinde mit Gebet
und Segen des Praesidis entlassen, Senioren, Schultheiss und Schul-
meister aber begleiteten die Pfarrherren zurück ins Pfarrhaus, um bei
den weiteren Verhandlungen des Tages Auskunft zu geben, Rede und
Antwort zu stehen.
Der Anfang des nunmehr beginnenden consessus und derer rerum
in conventu agendarum ist mit einem christlichen Gebet durch den prae-
sidem geschehen. Zunächst hat alsdann der pastor loci zugleich mit
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na e
mn (3) m
seinen vorzulegenden Kirchenbüchern und Kirchenlitteralien dem Convente
eine ‚Art schriftlichen Berichts von seiner Gemeinde, den sogenannten cata-
logus, überreicht, zugleich auch über die Zustände in derselben mündlich
Auskunft gegeben. Der catalogus enthielt, wie wir auf dem Convent zu Kes-
selstadt am I. 7. 1658 hören: 1, Die Angabe über die Seelenzahl der Paro-
chie, (Kesselstadt zählte damals 129 Seelen, Dörnikheim 162.) 2. Wie viel
Pısbvter seien und wie lange im Amte. 3. Wie viel Communikanten.
4. Wie viel refractarii oder Halsstarrige d. h. Lutheraner oder Papisten
am Orte wären. Ob'derselben Einige zu uns oder der Unsrigen zu ihnen
getreten. . 5. Wie viel Eheleute in der Gemeinde vorhanden, seit wann
sie. verheirathet seien und wie sie in ‚der Ehe beisammen lebten. 6.
Wic viel Wittwen und Waisen, seit wann und wie sie sich verhalten.
7. Ob die Kinder der. refractariorum unsere Schule hesuchen. 8, Wie
viel Juden und Bettler. vorhanden sind und. wie sich die erstern ver-
halten. — Namentlich hat sich der pastor loci. auch mündlich über die
Seniores, über den Schultheiss und den Schulmeister hinsichtlich ihres
amtlichen und privaten Verhaltens zu äussern gehabt.
Danach sind diese Letzteren vicibus versis auch vernommen wor-
den. Ihr hinsichtlich des Pfarrers abgegebenes Zeugnis fällt für dieselben
gemeiniglich gut aus. Er halte sich in Lehre und Leben wol, es sei
an ihm kein Mangel. Doch wird auch hin und wieder von Seiten der
Vorsteher Eins und das Andere an Diesem oder Jenem zu erinnern
gefunden. Die Schultheissen zu Ober- und Niederissigheim über ihren
Pfarrer befragt geben ihm ein gut Zeugnis, klagen nur, dass derselbe
die Predigten ziemlich lang protrahiere und dadurch die Leute verdriess-
lich mache, dass er die Predigten zu lang aufhalte und sonderlich zu
Mittag, dass sichs danach mit den catechisationes und imformationes
zu weit und zu lang hinaus verweilen tue.
Den Kirchenältesten zu Rossdorf und Mittelbuchen misfällt es,
dass ihr Pfarrer am. Sonntag gar zu nachsichtig bei Erteilung von Urlaub
sei, so dass namentlich von «den Alten Manche die Catechisation und
Information am Sonntag Nachmittag versäumten und. truppweise zu 10
und 12 nach Hanau zögen, um daselbst ihren Geschäften nachzugehn.
In ihrem eigenen Interesse pflegen die Aeltesten lange Zeit regel-
mässig das dringende Anliegen vorzubringen, es möge ihnen eine Er-
götzung in ihrem Kirchendienst zu Teil werden. Dieweil sie in ihrem
Amt viel Unlust und Widerwillen von Seiten der Nachbarn ausstehen
müssten, könne ihnen wol eine Ergötzlichkeit oder ein Stücklein Freiheit
der gemeinen Beschwerung vor Andern vergönnt werden, damit sie ihr
Amt desto williger ausrichten möchten.
Die Schultheissen werden öfter getadelt, dass sie nachlässig seien
in der Execution der Kirchendisciplin und in der Eintreibung der Kir-
chenstrafen.*)
Der zu Mittelbuchen erklärt auf die Frage, ob er in executione
der Kirchendisciplin die Hand biete — : „Ja, er tue so viel als ihm
*) Conferatur mein Aufsatz vom Kirchenwesen zu Steinnu a. Strasse a a. 0.
AS
— 064. -—
möglich“! — Es klage doch pastor, dass er oft gar zu gelinde in exe-
cutione disciplinae Ecclesiasticae verfahre. — Resp. „Zu scharpf schneidt
nit, ich habe noch Niemanden nichts geschenkt!“ —
Einen besonders wichtigen, nunmehr folgenden Abschnitt der Con-
ventsarbeiten bildeten die Verhandlungen mit den refractariis oder Hals-
starrigen. Man begriff unter dieser Rubrik nicht nur alle unordentlich
Wandelnden in der Gemeinde, welche man um besonders schwerer Ver-
gehungen willen vor den Convent stellen zu müssen glaubte, sondern
s. 0. auch namentlich und vornemlich Lutherische und Papisten. Ihre
Existenz war nach dem Grundsatz cujus regio illius religio eigentlich
durchaus unberechtigt. Kein Convent in der ganzen Zeit von 1612—
1658 verstrich demnach ohne dass diese refractarii oder renitentes Ci-
tiert wurden und sich den mit ihnen angestellten Bekehrungsversuchen
unterwerfen mussten, — wie es scheint, mit nicht allzugrossem Erfolg.
Auf dem Convente zu Bruchköbel am 7. 7. 1614 bekennt An-
dreas Reuning, der Bäcker, ohne Scheu, dass er zwar nicht bei uns,
doch zu Rückingen zum Abendmal gehe. Johs Kaus, Hans Engelschall,
Friedr. Köhler verheissen sich einzustellen. Aber es wird wol hinterher
gegangen sein wie in ähnlichen Fällen anderwärts. Die Betr. verspra-
chen dem Convent dasselbe, hielten es aber nicht.
Die Uebrigen berufen sich auf die verba Christi und sind insge-
mein angewiesen worden, sich von ihrem Pfarrer bekehren zu lassen.
Auf einem anderen Convent aber daselbst am 18. 12. 1616 haben
die renitentes folgendes erklärt, Hans Wörner: Er wolle zum Abendmal
gehn, wenn ihm nur in der Ausspendung desselbigen die Worte Christi:
„Dies ist mein Leib“ zugesprochen würden. Darauf man ihm geant-
wortet: Man verlese doch zweimal die Worte des Herrn J. Chr. in’der
Vorbereitung zu einem Jeden; ob er damit nicht genug hätte? Wie er
es haben wolle, davon befinde sich in der Einsetzung des heiligen
Abendmals kein Befehl Christi, wäre auch kein Exempel der apostoli-
schen Kirchen vorhanden, dass man auf dieselbige Weise allen und
jedem Communikanten zugesprochen hätte, Ja, ein Diener Gottes könne
in Wahrheit zu einem jeden Communikanten nicht also sprechen: Neh-
met, esset, das ist mein Leib etc. Das könnte und müsste Christus
allein tun. Damit wollte er sich nicht befriedigen lassen, auch nicht
die Worte des heilgen Apostels Pauli aus grosser Unwissenheit pro ca-
nonicis lassen passieren, sondern gieng hinaus in seiner Halsstarrigkeit.
Ein Anderer antwortete: Er hätte hiebevor seine Confession vom
heiligen Abendmal schriftlich weiland Pastori loci D*- Leonhardo Schlem-
mero p. m. übergeben. Der gegenwärtige pastor loci Henricus Oraeus
spricht: Das sei wahr! Er, Oraeus, habe sie revidiert und auch schrift-
lich refutiert und ihm wieder zugestellt. Ob er sie dann nicht ge-
lesen? Resp. refractarius: Ja! sei ihm aber nichts nütze, er wolle die-
selbe Pfarrern wieder zustellen. Darüber er von den sämmtlichen fra-
tribus zu mehrerer Bescheidenheit und zu einer fleissigen Verlesung und
Erwägung solcher refutationsschrift ist angehalten und vermahnet worden,
— 00 —
Er aber nichts mehr vorgewandt, sondern ist bei seiner Halsstarrigkeit
verblieben und also weggelassen worden.
Hans Heil will sich weisen und unterrichten lassen, sed pastor loci
putat, dass er sich nur für dies mal höflich draus wickele,
Thönges Hopf spricht: Bei,dem Glauben, dabei er geboren und
aufgezogen wo:den (— ist pontificia religione —) will. er verbleiben,
und ıst. also trotziglichen hinausgangen. Wörner Sigfried will zum Pfarrer
kommen und sich unterweisen lassen.
Besonders merkwürdig ist, wie sich der Pfarrer. von Rossdorf auf
dem Convent daselbst 5. 10. 1615 über die renitenten, katholischen
Bauern zu den Butterstädter Höfen beschwert. Die Nachbarn. zu Butter-
stadt kämen langsam ‚zur Predigt und zum heiligen Abendmal gar
nicht. und vermeinen ‚also, exemt zu sein. Sie sind zur Besserung an-
gemuhnet worden und haben Besserung verheissen und sich. vom Pfarrer
unterrichten zu lassen. Sie habens bis heute bleiben lassen.
Nachdem die meist unfruchtbaren , Verhandlungen mit den refrac-
tarlis zu Ende geführt worden sind, wird die Conventspredigt des pastor
loci,, wie. sichs, gebührt, ‚vom, Convente recensiert. Es gereicht ihr zu
besonderem Lob, wenn sie, wie das häufig der Fall ist, die Censur ‚er-
hält „orthodoxa, ad captum populi directa“, , dass sie schriftmässig und
erbaulich gewesen sei. Was sich sonsten für Mängel. befunden. haben,
die sind dem concionatori brüderlich angezeigt worden. So wird. dem
Pfarrer Joh. Musius. zu Bruchköbel eröffnet, seine Predigt sei orthodoxa
und erudita befunden, doch quod ad gestus attinet, so soll er nicht so
oft und laut die Hände zusammenschlagen, dass es platze, sonsten
soll er sich der Kürze im Predigen befleissigen so viel ihm möglich
(9.8: 1610);
Dem Pfarrer zu Rüdigheim wird gesagt, da man ‚seine ‚Predigt
fraterne consuriert, man finde sie zwar methodicam und orthodoxam,
doch wurde ihm fraterne untersagt, dass er nicht nur ‚den halben,
sondern den ganzen. Teil gegebenen Conventstexes lesen, erklären und
nicht so ohne Scheu zum öfteren ins Brieflein hätte sehen sollen (24.
9: 1642).
Die. Kritik über die Predigt des Pfarrers ‚Joh. Wolfgang Walther zu
Kesselstadt vom 1. 7.1658. fasst Inspector P. Pezenius in ‚die, $*:
Sie sei gewesen orthodoxa et S. scripturae consentanea, desiderabatur
tamen solitior methodus et cohaerentia, phrasium elegantia applicatio
partium fusior et pinguior.
Selbstverständlich durften sich die Confratres conventuales . folgends
auch‘ der ihnen durch & 71 der leges conventuales auferlegten, un-
tereinander gegenseitig zu übenden Selbstkritik nicht entziehen. ‚Da
sie berufen. waren, die in ihren. Gemeinden vorhandenen Uebel-
stände ans Licht zu ziehn, zu richten und zu schlichten, so sollte sich
zunächst. ein Jeglicher von ihnen in Hinsicht auf seinen Wandel und seine
Amtsführung .der censura morum des Convents , unterwerfen, gleichwie
diesem die heilige Pflicht oblag, auf Lehre und Leben seiner Mitglieder
ernstlich zu achten. Und man muss gestehen: Wenn man. die Con-
— 66 —
ventsprotokolle nach dieser Richtung hin aufmerksam ‚durchsieht, so
kommt man zu dem Schluss, man darf den ehrwürdigen Alten das
ehrenvolle Zeugnis nicht vorenthalten, sie haben ihrer Aufgahe im Gan-
zen ehrlich und treu, zur Ehre der Kirche, ohne Ansehen der Person,
im Geiste aufrichtiger Gottesfurcht und aufrichtiger Bruderliebe und
Sanftmut zu genügen gesucht,
Der Hochwürdige Herr Inspector musste selbst den Anfang ma-
chen, die enge Pforte der censura morum hindurch zu passieren. So
hat bei dem Convent zu Wachenbuchen am 6. 7. 1615 Inspector re-
verendisimus D°- Sebastianus Seydelius abtreten müssen und haben, als
er wiederum erschienen, die sämmtlichen Herren Fratres Gott gedankt,
dass wir ihn zum Vorgänger und gleichsam zum Vater haben, bitten
Gott den Herrn, dass wir ihn lang behalten und seine Lehr recht lang
brauchen mögen.
Auf dem Convent vom 19. 8. 1641 ebendaselbst wird dagegen
an den Herrn Inspectorem Henricum Oraeum begehrt, 1) dass er der
Kürze in seinen Predigten sich befleissigen wolle, 2) dass er so viel die
Mittelding betrifft, in specie des Kniefallens wegen ein wachendes Aug
haben wollte, dass eine feine harmonia in der Stadt und auf dem Lande
gesehen werden mögte, und endlich 3) weil sie die Landpastores von
einem hie und dem andern da unfreundlich angeschnaubet und oft raw und
unverantwortlich angefahren würden, sonderlich wann sie Besoldung be-
gehrten, dass er als Inspector doch über ihnen halten und vor sie reden
wolle, wie sichs gebührt, welches ist sobald ihm Herrn Inspectori an-
gezeiget worden. Doctrinam et vitam könnten sie nicht tadeln. —
D°- Oraeo pastori Bruchkebelano ist am 18. 12. 1616 freundlich
untersagt worden, er sei in etwas zu vehemens in seinen Sachen. Das
hat er teils bekannt et cum gratia angenommen, teils aber mit der
Aussersten Bosheit und Widersetzlichkeit seiner Zuhörer, dass ein solches
erfordert werde, entschuldigt.
D°- Martino Heilmann ist bei eben dieser Gelegenheit bescheident-
lich vorgehalten und untersagt worden, dass das Geschrei gienge, er
wäre dem Weintrinken in etwas zu viel zugetan, also dass er auch et-
liche mal bis in die lange Nacht dabei sitzen bliebe. Dannenhero er
hiebevor von einem oder dem andern erinnert, weil es nahe am Sonntag
war, ob er nicht bedenke, was er morgenden Tags zu verrichten habe.
Darauf er damalen soll geantwortet haben: Er hätte nun so lange Zeit
gepredigt, er dürfe nit eben für diesmal auf eine neuere Predigt stu-
dieren etc. — Auf diese wolgemeinte christbrüderliche Erinnerung hat
er eine vast harte Antwort geben, nämlich dass diese Vorbringung nit
allein falsch und ein splendidum mendacium sei etlicher Ohrenbläser,
sondern auch wider die Conventsordnung, welche klärlich ausweiset, die
Censores sollen keine ungewisse, viel weniger unwahrhafte Dinge dem
Nächsten zur Confusion vorbringen, observata regula Christi, Matth. 18.
Hierauf ist ihm geantwortet, ungern hätte man ihm dieses in Consessu
fratrum vorgehalten, aber weil davon ein gemein Geschrei unter den
Nachbarn gienge, so hätte mans ihm nit verhalten sollen.
. Ol —
‚Ebenmässige treue Warnung ist von Herrn Thyllio, Oberschult-
heissen im Bücherthal, welcher dem Convent beiwohnte, im Namen der
gnädigen Hohen Landes -Obrigkeit allen Kirchendienern insgemein ge-
schehen, sie wollen sich doch wol vor Trunkenheit hüten, sintemalen
das nit allein wider Gottes Wort, sondern auch allenthalben gewisse
Leute bestellet wären, die auf solche excess und dergleichen andere
Sachen fleissige Acht und Aufsicht haben sollen.
Auf dem Convent zu Kesselstadt am 9. 8. 1641, wo Inspector
Oraeus, wie oben erwähnt, censuriert wurde, begehrte man an Hen-
ningio, Pfarrern zu Hanau, dass er ebenmässig der Kürze in den Wo-
chenpredigten sich wollte befleissigen. Auch wurde er darum angesehen,
dass er mit den politicis (ist aber nicht gesagt, mit welchen) so sehr
umgehe, und da er sich entschuldiget und, welche es wären, wollte
wissen, hat man ihm keinen benennen wollen oder können.
An Reuserum, Pfarrherrn zu Rüdigheim, geschah eine Vermahnung,
dass er wol fleissiger sein könnte in seinem Studieren und in Verrich-
tung seines Amts, wenn er nur wollte, sintemal ihm Gott schöne Gaben
hätte gegeben, die er besser inskünftige sollte anlegen, sed summa
paupertas impedit hunc bonum virum et pium hominem quam propter
ut ipsi succuratur, fratres petunt.
Sartorius zu Wachenbuchen wird ermahnt zum fleissigen Lesen
und zur Langsamkeit des Redens in den Predigten.
Palthenius von Rodenbach hingegen ist vermahnt worden, dass er
unsere Theologos ihm gemein sollte machen und fleissig dieselben lesen,
die Kinderlehr, so er bisher unterlassen, halten mit Alten und Jungen,
und mit der excommunication nicht mehr ohne erhebliche Ursachen
seinen Zuhörern drohen, desgleichen weilen er zu uns jüngsthin getreten,
dass er die lutherischen caerimonien, sonderlich Entblössung seines
Hauptes, unterlasse, damit nicht dasselbige, was sonst einem jeden
Christen freisteht, zu einem notwendigen unvermeidlichen Ding gebracht
und gemacht mögt werden, so durch ihn gar leicht geschehen könnte.
Riccius, Pfarrherr zu Bruchköbel, aber ward vermahnt, keine unge-
bräuchlichen und hochtrabenden Wort im Eingang seiner Predigten
inskünftige anzuwenden, desgleichen sich mit den Weltlichen und dem
Tabakstrinken nicht soxar zu befreunden und neben der Catechisation
auch Katechismuspredigten zu halten. Und als er sich entschuldiget,
dass er lieber seinen Dienstwein hergeben wolle als das Tabaktrinken
lassen, auch, so allen Fratribus neben der Catechisation auch Katechis-
muspredigten injungiert würden, zugesagt hat, auch mit Treu, Ernst,
Eifer und Fleiss durch die Gnade Gottes solche Katechismuspredigten
verrichten zu wollen, und desto mehr wenn ihm eine Pfarrbehausung
in loco gebauet und er der Läufe geledigt würde, also ist das erste
gefallen und das andere in höher Bedenken gezogen worden.
Der Pfarrer zu Hochstadt, Joh. Cressius, ist vom Convent am 5.
2, 1657 wegen des Lebens propter nimiam liberalitatem, hospitalitatem
activam et passivam et familiaritatem, quam ipse confitetur, freundlich
und brüderlich bedeutet worden.
—— 05
Alles was sonsten von Misständen an Personen und Sachen, die
im Interesse der Kirche der Abhülfe zu bedürfen schienen, im TI.auf des
Tages aufgedeckt und zur Sprache gebracht wurde, nahm man als
gravamina partim generalia partim specialia in das an das Consistorium
einzusendende Protokoll. auf.
Hin und wieder liessen auch die anwesenden Commissare dess lben
sofortige Remedur eintreten oder bereiteten dieselbe wenigstens vor.
Z. B.: "Als ‚am 8. 9. 1642 zu‘ Bruchköbel. Convent gehalten wurde,
fand man Kirche und Pfarrhaus von Grund aus verwüstet vor. Das
letztere war im Kriege abgebrannt. Von der Kirche stand nur noch das
Mauerwerk. Oben war sie offen, ohne Dach. Inspector und Pfarer cxhor-
tierten finito tentamine sammt dem ganzen Convent den Schultheissen
und die Senioren eifrig zur Reparation‘ und Deckung der Kirche und
zur Herstellung des Pfarrhauses, wie auch auf die Kirchendisciplin und
-zucht zu schlagen, wie sie dann auch zugesagt und verheissen.
Unterdessen und inzwischen ‚sind die anwesenden beide H ırren
D°: D° Joh. Geiselius consiliarius und D” Joh. Caspar Wipmerus, Praetor
territorialis, draussen vor der Kirche bei der versammelten: und aufwar-
tenden Gemeinde gewesen und haben aus den vom pastor loci über-
reichten gravaminibus mit ihnen geredt und gehandelt.
Unter die gravamina generalia ‚wurden Dinge wie folgenceein-
gereiht:
Nachdem es sich durch Erfahrung unterschiedener vieler Exempel
bewährt habe, wie die armen hinterlassenen Wittiben und Waisen der
abgestorbenen Prediger und Kirchendiener von den Nachbarn und Bau-
ernschaften, deren Orten sie am Wort und im Predigtamt gedient, zu
gemeinen Frohndiensten und Beschwerung mit grossem Ungestün: und
Unbarmherzigkeit angetrieben und genötigt werden, als bitten sie con-
ventuales untertänigst, es wolle die liebe Landesobrigkeit hierinnen gnä-
digst Mittel schaffen und mit solchen und dergleichen Beschwerungen
ihrer armen hinterlassenen Weiber und Kinder zur Ehre dem heiligen
Predigtamt und den armen Hinterlassenen zur Ergötzung der geleisteten
ihrer Abgestorbenen Dienste gnädigst verschonen (1614 und öfters).
Ferner: Die Schultheissen sollen vor den Kirchthüren kein: 'po-
litica mit der Gemeinde verhandeln. Es wird nämlich von verschiedenen
Seiten und öfters geklagt, dass nach gehaltenen Sonntags- und anderen
Predigten die Schultheissen ihre Amtsgeschäfte verrichteten, die Rügen
und. andere Herrn Gebote vor den Kirchen anzeigen und vorbringen,
dadurch oftmals Gezänk entstehe und also den auditoribus alle devotion
und memoria angehörter Lehr benommen werde. (Bruchköbel 9 8.
1616). —
Zu Rodenbach wurden am 25. 8. 1631 dieselben Beschwerden
vernehmbar. Als man den dortigen Schultheissen befragte, ob die Be-
fehle der Beamten von den Kriegscontributionibus etc. auf den Sonn-
tag vor der Kirchen nach der Predigt vorgelesen würden, darauf manch-
mal lauter Schelten, Fluchen und Schwören, sammt andern Unordnungen
erfolge, so erwiderte er: Ja, und kommen gemeinschaftlich‘ die Befehl
OD)
unter der Klausel heraus: Es soll dies oder jenes der Gemeinde vor
der‘ Kirchen angezeigt werden. Doch täte ers nicht, es wären denn
der Herrschaft Geschäfte. —
Darauf wird geschlossen: Soll abgeschafft werden so viel möglich und
sollen nachmals die Befelch vor dem gemeinen Haus angesagt werden.
Weiter finden wir unter den allgemeinen gravaminibus: Dass’ die
gräflichen‘ Jaeger die armen Leute zu Frohndiensten an Sonn- und’ Bet-
tagen treiben unter Androhung von Gefängnisstrafen (Kesselstadt 4.
S. 1632).
Dass die Juden an Sonntagen auf den Dörfern herumlaufen und
schachern. Das‘ Consistorium soll entscheiden, ob dieselben bestraft
werden sollen, so oft sie ertappt werden. (Ebenda.)
Wiederholt findet‘ sich auch unter den gravaminibus generalibus
die teilweise heutiges‘ Tages noch auffallende Bemerkung, dass Unfleiss
und Saumbhaftigkeit der Weibspersonen im Bücherthal bei Besuchung
der Sonn- und Bettagspredigten gespürt werde (1613). Ein andermal
wird geklagt, dass die Gemeinde nach dem letzten Geläut sogar lang-
sam zur Kirche komme, wie denn auch der Augenschein desfalls inge-
nommen (nämlich zu Rossdorf am 5. Io. 1615), da Etliche auchwol
fast mitten: in der Predigt, die doch ziemlich lang gewesen, kommen sind,
Sodann gehört unter die Generalgravamina die oft vernommene
Beschwerde der Pfarrer an manchen Orten, dass die Bauern ihnen durch
Abzackern die Aecker ziemlich verringerten und‘ schmälerten.‘ (Ross-
dorf 11.5. 1614 und sonst), dass: eine. Absteinung der Pfarr-
äcker vorgenommen werden müsse, und dass namentlich‘ die Pfarr-
bäw (Pfarrhäuser) in ordentlichem ‘esse wieder aufgerichtet und wieder
hergestellt werden möchten. Um das esse der Pfarrbäw mag es nach-
dem, was uns die Conventsprotokolle im Einzelnen darüber mitteilen,
falls sie überhaupt noch standen, allerdings traurig genug bestellt ge-
wesen sein.
Erwähnung mögen hier auch noch die folgenden unter ‚die grava-
mina generalia subsumierten Forderungen’ finden:
Die jungen Eheleute sollen, ehe sie vor der christlichen Gemeinde
eingesegnet werden, ermahnt und angehalten werden, dass sie die 5
Hauptstück des christlichen Catechismi lerneten (Wachenbuchen 6. 7,
1615).
Die Huren sollen ihre neugeborenen Kinder selbst zur Taufe,
bringen und alsobald Kirchenbuss tun wie zu Hanau bräuchlich (Issig-
heim 8. 9. 1631).
Unter den gravaminibus specialibus nehmen die Klagen der ein-
zelnen Pfarrer über die namentlich durch die Kriegswetter hereingebro-
chenen Verwüstungen von Kirchen und Pfarrhäusern besonders viel
Raum ein. Von der Kirche zu Bruchköbel, deren vier Wände noch
standen, während Dach, Thurm und Fenster fehlten, ist schon die Rede
gewesen. Wo ein Kirchengebäude noch vorhanden war, mangelten die
letztern regelmässig, so namentlich zu Hochstadt und Wachenbuchen,
oder die Glocken waren geraubt worden. Die Gemeinde Mittelbuchen
m TO mm
hatte einstweilen eine Schelle gekauft und dieselbe am Schulhaus an-
bringen. lassen, um das Zeichen zum Beginn des Gottesdienstes geben
zu können.
Im Pfarrhaus zu Rüdigheim fehlte es an einem geeigneten Raum
zur Abhaltung des Convents, nicht einmal ein sonderlich Gemach sei
vorhanden, so klagt der Pfarrer, darinnen er seine studia halten könne.
Auch werde er von der Gemeinde und dem Ordenshaus jährlich mit
Brennholz so spärlich gehalten, dass er mit Weib und Kindern manch-
mal in der zumal kalten Pfarrstube grossen Frost leiden müsse. In
seiner Kirche stehe Bibel und Pultbett (sic! — soll wol die Kanzel
gemeint sein,) in Mangel, welche dem Schaffner des Ordenshauses ge-
bührete zu beschaffen.
Da auf. einen Bericht des Schultheissen hin festgestellt wird, dass
vor 30 oder mehr Jahren die Conventus, Visitationes und deren Arbeit
im Ordenshaus gehalten worden seien, welches doch vor diesmal aus
Verweigerung nicht geschehen können, — so sieht sich der Convent
in Folge dessen veranlasst, alsbald an den Schaffner des Johanniter Or-
denshauses zu Rüdigheim folgendes Schreiben betr. die Beschwerungs-
punkte des Pfarrers Wendelinus Seipelius ergehen zu lassen:
Ehrenvester und Führnehmer, insonders lieber Herr Schaffner,
guter Freund!
N Demnach wir dieses Ambts Bücherthals Kirchendiener, im Namen
der Hochgeborenen und gnädigst Regierenden Landesherrschaft vor
diesmal anhero gen Rüdigheim kommen, Kirchen und Schulen zu be-
suchen, und verhofft hatten, wir sollten, unsern Convent zu halten, im
Ordenshaus eingelassen worden sein, wie hiebevor vor 30 und mehr
Jahren dergleichen geschehen, welches aber anjetzo verweigert worden,
und wir derhalben mit dem Herrn mündlich nicht haben reden können,
gleichwol aber sichs befindet, dass‘ sowol in der Kirchen als im Pfarr-
haus grosser Raummangel vorfallen, welcher billig sollte und könnte aus
dem Kirchenbaw gedachtes Ordenshauses verbessert, und sonderlich in
der Kirchen, dass dieselbe sampt den Fenstern möchte ergänzet und
ausgestrichen werden, im Pfarrhaus aber sonst allerhand Notturft, wie
dasselbige der Pfarrer wird wissen zu berichten, gemacht werde, so hat
man nit unterlassen können, dieses dem Herrn schriftlich zu hinterlassen,
damit wir freundlichst gebeten haben wollen, der Herr wolle diesem
unserm Aviso nachsetzen, damit nicht verursacht werde, solches ander-
wertlich zu versuchen, uns hiermit allerseits in Gottes gnädigen Schutz
empfehlend.
Signatum.
Rüdigkheim, 4. 9. 1613.
Ob in Folge dieser strengen Epistel den gravaminibus des armen
pastor loci zu Rüdigheim eine nach allen Seiten hin befriedigende Ab-
hülfe zu Teil geworden sei, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Ohne
alle Wirkung wird sie gewis nicht gewesen sein. —
PR
Auf dem Convent zu Kesselstadt am 4. 10. 1632 beschwert sich
der Pfarrer wegen des Hofmanns, so in Gnä. Herrschaft Hof ist, dass
er auf alle Sonntage vom Oberkeller Herrn Heinrich Apel hin und wieder
auf die Dörfer, Schulden, Dienstgeld, Hühner etc. einzutreiben geschickt
werde und aber itzt nit vorhanden, auch sonst nimmer zum Gottesdienst
komme. Der Inspector wird hierüber selbst mit dem Keller reden.
Ebendaselbst wird vorgebracht, dass die Alten, wenn man das 2,
mal zur Kirche läutet, gemeiniglich gen Hanau laufen mit Vorwendung,
sie gehen daselbst zur Mittagspredigt, da sie doch andern ihren Sachen
nachgingen, und also Gott den Herrn zu betrügen sich unterständen,
Sie sollen sich in Zukunft hiefür treulich hüten und sich sowol die Alten
als die jungen Leute bei der wieder aufzurichtenden information ein-
stellen.
Als gravamina specialissiıma Kestadiana werden zu gleicher Zeit
ebenfalls noch aufgeführt: ı) dass die Landbettler von 20, 30 Meilen
her einander in beide leere Häuser bescheiden, etliche Wochen lang
sich darinnen aufhalten, dem Almosenkasten zu Hanau und den Bürgern
beschwerlich seien, dass sie oft eine ganze Nacht bei einem Feuer singen,
springen, tanzen, spielen, Hurerei und Ehebruch treiben, welches ad
notam genommen wird, mit dem praetore davon zu reden; 2) dass die
Sonntage zu Mittag die Hanawer Leut, sonderlich zu Sommerszeiten,
ein solch Jauchzen und Unwesen im Wirtshaus haben, dass mans in
der Kirch hört und gestört wird.
Das hochgräfliche Consistorium zu Hanau unterzog allezeit die
ihm referierten gravamina et generalia et specialia einer hochgeneigten
Erwägung, um, soweit es in seinen Kräften stand, denselben Abhülfe
zu Teil werden zu lassen. Jedenfalls ist die in den Conventsverhand-
lungen von Zeit zu Zeit wiederkehrende Bemerkung, das gravamen gra-
vissimum sei, dass denen gravaminibus nicht abgeholfen würde, nicht
ganz richtig. Sie kann nur in soweit passieren, als sie ein löbliches
Zeugnis abgibt für die treue und eifrige Hingebung der Conventualen
an ihre Aufgabe, das daniederliegende Kirchenwesen zu bauen und auf-
zurichten.
Welche weitgehenden Competenzen in dieser Hinsicht dem Con-
vent überlassen waren, können wir in ganz besonders auffälliger Weise
aus den ihm den Pfarrern der Klasse gegenüber zustehenden Befug-
nissen wahrnehmen, und zwar abgesehen von der fleissig geübten cen-
sura morum. Nicht nur dass der Convent derselben gemäss Lehre und
Leben, amtliches und ausseramtliches Verhalten der Pfarrer fortwährend
übersah und kritisierte, er unterwarf auch die neu hinzukommenden
einer Verpflichtung ev. sogar einer Prüfung, die sonst nur dem eigent-
lichen Kirchenregiment, der oberstbischöflichen Behörde zuzustehen pflegt.
Sogar der vom Consistorium bestellte Inspector der Klasse musste sich
förmlich und feierlich in den Convent einführen lassen, ehe er an den
Arbeiten desselben Teil nahm.
Ueber ein Pfarrexamen vor versammeltem Convent finden sich im
— ;
Protokoll des. Convents zu Bruchköbel am 18. 12. 1616 der folgende
ausführliche Bericht.
„Examen ordinandi“,
„Des andern Tages war der. 19. Xbr;. Hat: Ds Joa, Lütcae von
Rodenbach, von J: F. Gn. jetzo designierter Pfarrer zu Rüdigkheim,
eine Predigt getan ex 15. Lucae a. v. 26 ad 39 de conceptione Christi
etc.; wie ihme dieselbige zuvoren von D*° Inspectore aufgegeben. Nach
gehaltener Predigt sind wir Alle wieder ins Pfarrhaus gangen, haben
uns. niedergesetzt und ist praedictus Joa. Iucae in pleno consessu con-
ventualium praemissis precibus von D° Inspectore. ohngefähr nach An-
leitung. unseres christlichen catechismi ‚abgefragt und examinieret worden.
Finito examine et tentamine haben der Herr Oberschultheiss und
die sämptliche pastores ihre Censur et Vota über gehaltene D': Lucae
predigt und examen angezeiget und die Predigt sich ziemblich quod ad
dispositionem gefallen lassen, doch ihm angezeiget, er solle sich des
sehr. laut Schreiens, so viel er könnte, mässigen: und wenn er die ad-
versarios wollte auf der Kanzel anziehen und refutieren, dass ers gründ-
lich und mit der heiligen Schrift täte, sonsten würde er wenig Nutzen
schaffen. |
In.dem examine hat er ziemblich richtig und bescheiden geant-
wortet, ‚daher es den sämptlichen fratribus allen gefallen, dass er ad
sacrosancti ministerii publicam functionem zugelassen und ordinieret würde,
haben ihn auch zu stetigem Fleiss und Lesung der heiligen Schrift an-
gemahnet. und von Gott dem Herrn Geist, Gabe, Gnade, Eifer, Bestän-
digkeit. und , dergleichen andere hohe Gaben, zum heiligen ministerio
nötig und nützlich, durch Christum Jesum.zugewünschet und mit Hand-
gebung ‚ihm christbrüderliche Freundschaft angeboten. /
Ebenso ist Pfaırer Walther, nachmals, Pfarrer zu Kesselstadt auf
dem ‚Convent daselbst am 19. 8. 1641 examinieret und für würdig zum
heiligen Predigtamt erachtet worden.
Nicolaus Oberlinus ist als neu in. der Class und der wegen Alters
und Leibesunpässlichkeit noch auf keinem Convent gewesen, am. 8. 7bris
1642 vom. Convent zu Bruchköbel in Pflicht genommen worden. Item
Herr Friedericus Schlemmerus ist als. neu in der Classe am 24. gbris
1642 zu Rüdigheim in Pflicht genommen worden.
. Feierlicher als der der übrigen Fratres conventuales gestaltete sich
natürlicher Weise der, An- und Auftritt eines neuen Inspectors. Der
wie wir oben gehört haben von den seinem Inspectorate unterstellten
Pfarrern so hochgeehrte. Oberpfarrer zu Hanau Sebastianus Seydelius
ist also eingeführt worden:
) Sobald nach verrichtetem examen der Aeltern und Jungen in der
Kirche sind die pastores conventuales ins Pfarrhaus zurückgegangen, um
allda den consessum zu halten und ist derselbe mit dem Gebet durch
D". Inspectorem angefangen worden. Alsobald und folgends ist Herr
Sebastianus Seydelus obbemeldt von Herrn Georgio Fäabricio, inspectore
6
1
Windeccense, tanquam inspector der Bücherthals Class präsentieret und
dem ministris fratribus conventualibus fürgestellet worden, dabei er
einen sermon de vocationibus ministrorum et ministrorum officiis gehalten
und mit der gratulation geschlossen.
Welcher Sermon und Praesentation von Herrn D"°- Bothio mit kur-
zen Worten im Namen und von wegen der hohen Obrigkeit, nämlich
der durchlauchtigen Fürstin ‚und Frawen, Frau Catharinae Belgicae, Prin-
zessin von Uranien, Grävin zu Nassaw, Grävin und Frawen zu Hanaw,
Muntzenberg und Rhyneck, Wittiben etc., Vormünderin und Regentin,
unserer gnädigsten Fürstin und regierenden Landfrawen, bekräftiget und
dem Herrn präsentierten Inspectori von Allen gratulieret worden.
Als die propter continuos Bellonae furores seit 1616 unterbroche-
nen conventus classici am 15. 8. 1631 zu Rodenbach restauriert wur-
den, ward alsbald Herr Joh. Daniel Wildius von consultissimo DI;
Schlörio präsentieret tanquam inspector Bücherthals und den ıninistris
conventualibus fürgestellet und nach vorgegangener gratulation sobalde
in die Conventualpflicht eingenommen.
Von Henricus Oraeus, welcher den Conventen von 1641—1643
als Inspector beiwohnte, finden wir wegen seiner Einführung nichts an-
gemerkt.
Desto bemerklicher gestaltete sich die Vorstellung des Inspectoris
Petrus Pezenius als Praeses und Senior gelegentlich der nach langer
Unterbrechung ins Werk gesetzten Wiederaufrichtung der Convents-Ord-
nung am 5. 2. 1657 zu Hochstadt.
Ante jentaculum (vor dem Frühstück) und nachdem sich die an-
wesenden Herren Fratres conventuales sämmtlich eingefunden, nämlich
nächst den beiden Politicis:
Dus. Petrus Reichardus Schefferus, consiliarius et D“* Schorrius,
Praetor. territorialis,
„ Detrus Pezenius, pastor Hanovicusis primarius et inspector,
# ‚egorgius Keckius, Mittelbuchensis, ;
, |oh. Valent. Reuserus, Rodenbaccensis,
. ‚7h. Cressius, Hochstadensis, pastor loci,
„ Joh. Antonius Riccius, Bruchköbelanus, scriba,
„Joh. Sartorius, Wachenbuchensis,
„Joh. Wolfgangus Waltherus, Kesselstadensis,
Ludovicus Philippus Agricola, Rüdigheimensis,
„Joh, Hartlöw, Altenhaselanus —
hat Dws. P. R. Schefferus consiliarius nomine consistorii
i\ in des Pfärrherrn eigener Behausung praesentibus omnibus Con-
ventualibus einen Vortrag de restitutione et restauratione (ad imitatio -
nem majorum nostrorum p. m. et aliarum ecclesiarum reformatarum
conventüs classicos instituentium et habentium) hoc anno denuo in
choaudarum et in posterum, Deo dante et annuente, continuandorum
conventuum classicorum getan, dass vigore verborum Paulinorum I Tim,
3, 2—7 et dicti Nazianzeni:
+
SH
m TA mn
Praxis cum Theoria sit conjungenda, vita cum doctrina debeat
esse consentanea. — qui Scopus conventuum.
2) praedictum D“m. Pezenium loco inspectoris et praesidis p. t.
in hoc et sequentibus conventibus classicis nomine Consistorii den ver-
sammelten Herren Fratribus präsentiert, recommandiert und zu behörigem
respect diesfalls angewiesen, welcher darauf pancis angezeigt, dass er
seine mO0SWPNOLV, NQLOHWINLEA Aıhızoy bis nach gehaltener Predigt
wegen der Zeit und Kürze versparen wölle, worauf die gesambte Herrn
Fratres ihm Glück gewünschet. — Nachdem nun das Frühstück vor-
über, auch die Predigt und tentamen der Gemeinde abgehalten worden
war, hat Rev. Dws. Praeses im Pfarrhaus den Consessus mit einem
lateinischen Gebet angefangen und danach ex capite 3. Ecclesiastae v. 2:
est tempus plantandi et exstirpandi etc. eine latinam 7005@WVNOLV
de ecclesiae statu plantandae, plantatae conservandae, conservatae Vi-
sitandae restauratae restituendae eine gute viertheil Stundt lang gehalten.
Auf dem letzten Convent von welchem unser Protokollbuch weiss,
dem zu Kesselstadt, am 1. 7. 1658, wurde mitgeteilt, dass nunmehr
Des. Petrus Pezenius inspector nicht nur Inspector des Bücherthals, sondern
omnium classium. sein werde. Sofort fand in Folge dessen eine aber-
malige, nicht minder feierliche Introduction desselben statt.
Vor dem Frühstück hat nomine Illustrissimi et Generosissimi co-
mitis in Hanau, Clementissimi Dni. nostri, ita etiam nobili et laudabili
annuente Consistorio Amplissimus, Clarissimus et Consultissimus vir D“*.
Petrus Richardus Schaefferus Consiliarius admodum Reverendum D um.
Petrum Pezenium den Fratibus Classicis in Inspectorem omnium Clas-
sium präsentieret, welcher, nachdem er eine schöne lateinische oration
de dignate animae gehalten und neben Erinnerung seiner tenuitaet et
infirmitaet auch seine dexteritaet, integritaet, facilitaet und allen geneig-
ten Willen den Herrn Fratribus anerboten und mit dem andächtigen
Gebet Alles beschlossen, — von allen anwesenden Welt- und Geistlichen
Herren mit herzlicher gratulation ist verehret worden.
Die Zeit, wo den Hanauer Pfarrern und ihren Gemeinden das
Feuer auf den Nägeln brannte, die Tage und Jahre, wo der Greuel der
Verwüstung an heiliger Stätte gefunden wurde, der eingestürzten Kirchen
und Pfarrhäuser, der verbrannten Dörfer, eines armen Volkes, das in
leiblichem und geistlichem Elend zu verkommen in Gefahr stand, rückte
mehr und mehr in die Ferne, und machte geordneteren Zuständen Platz.
Praeses et fratres conventuales fanden bereits ihre, wie es scheint, ganz
besondere Freude an der ornamentalen Ausgestaltung von Nebensäch-
lichkeiten, an geistreichen lateinischen Reden, hatten sogar lateinisch
beten gelernt. Der Gedanke fand Anklang, es solle in Zukunft auf dem
Convent regelmässig ein locus communis ventilieret werden, zunächst
allerdings unter dem Tischgespräch (Hochstadt 5. 2. 1657).
An diesen Gedanken anknüpfend hat die Folgezeit den seitherigen
Bestand des Hanauer Conventswesens bald .von Grund ‚aus umgestaltet.
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Unser Protokollbuch der Conventsverhandlungen im ‚Bücherthal
verzeichnet als letzten Convent der Classe den zu Kesselstadt am 1.
7. 1658, und, obwol der Folioband kaum über die Hälfte ausgeschrie-
ben ist, so weiss es doch von keinem mehr. War derselbe wol der
letzte Quartalconvent, der in der alten Art und Weise gehalten ‚wurde?
Allem Anschein nach war er der letzte in der Tat. Doch, ehe wir
diese unsere Meinung zu stützen suchen, kehren wir vorerst wieder zu
unsern Conventsverhandlungen zurück! Nur wenige Worte werden
genügen, um mit dem noch zurückstehenden Reste aufzuräumen. |
War die Tagesordnung erschöpft, so richtete der Vorsitzende die
Frage an die versammelten Conventualen, ob vielleicht noch Etwas ver-
gessen worden sei, und, wenn nichts vergessen worden war, so wurde
Ort und Tag des nächsten Quartalconvents bestimmt, auch der Text
für die an demselben vom pastor loci zu haltende Conventspredigt auf-
gegeben. Nun gieng man mit dem sinkenden Tag zu Tische. Ein
geistliches convivium sollte das Mal sein, ein bihoricum, höchstens tri-
horicum, und war bereits auf dem Convent zu Bruchköbel am 26, 7"
anno 1634 abgeredet worden, dass zur Verhütung vieler Unkosten und
allerhand böser Nachred, als wenn diese conventus nur wegen Gaste-
rügen angestellet würden, hinfüro nicht über vier Hauptessen sollten
aufgetragen werden — sub poena arbitvaria, und dass ein Jeder eine
Mass Wein zahlen sollte.
Nach Tisch trennte man sich, —
Der Convent, der sich in der Not der Zeit als ein eminent prak-
tisches Organ der Selbstverwaltung zum Aufbau der Kirche bewährte,
sah sich, wie wir bemerkt haben, allmälig in einem derartigen Besitz
umfangreicher kirchenregimentlicher Competenzen, dass notwendigerweise
früher oder später die Frage zum Austrag gebracht werden musste, ob
in der Kirche, ohne die Einheit ihrer Leitung zu gefährden, der Dualis-
mus zweier Gewalten statthaft sei. Es musste sich entscheiden, ob das
Kirchenregiment beim Convent oder beim Consistorium sein und ver-
bleiben sollte. Die Frage wurde, wie sich aus leichtbegreiflichen Grün-
den von vornherein annehmen lässt, bald und gründlich zu Gunsten der
landesbischöflichen Kirchenbehörde entschieden.
Zwei Masregeln waren es, durch welche Gestalt und Bedeutung
des Convents von Stund an eine gründlich veränderte Physiognomie
gewannen, nämlich erstlich die Ernennung des Inspectors der Classe
Bücherthal und Oberpfarrers zu Hanau Peter Pezenius zum Inspector
omnium classium, s. 0., und dann, die Bestimmung, dass der Convent,
der bisher eine Wanderversammlung in einer bestimmten Classe gewesen
war, ein für allemal in Hanau abgehalten werden sollte und dass alle
Pfarrer der reformierten Kirche in der Grafschaft Hanau tutti quanti
verpflichtet wurden, demselben beizuwohnen.
Da sich die letztere Bestimmung nicht stricte durchführen liess,
so wurden die Pfarrer der oberen Grafschaft später vom regelmässigen
Besuch der Hanauer Quartalconvente dispensiert.
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Ein derartiger auf gänzlich umgestalteter Grundlage aufgebauter
Pfarrconvent konnte natürlich nicht mehr daran denken, ständige Kir-
Chenvisitation zu üben, Uebelstände aller Arten zu konstatieren und
deren Beseitigung unmittelbar zu betreiben. Ebenso wenig konnte er
hinfort als eine in jeder Hinsicht bedeutungsvolle Repräsentanz der
Kirche gelten und kirchenregimentliche Functionen ausrichten, er musste
sich viel mehr in der Hauptsache zu einer Art von theologischer Con-
ferenz umgestalten, wie dies ja die Quartalconvente des ehrwürdigen
Inspectors Friedrich Grimm allerdings gewesen sind. —
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