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Ein Kinder-Märchen
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Nach dem Französischen
von
H. Klette.
Werkln.
Zinckelmann und Söhne.
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Bibliothek der
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Ein Müller starb und hinterließ seinen drei
Söhnen nichts weiter, als seine Mühle, seinen
Esel und seinen Kater.
Die Theilung war bald gemacht, ohne daß
man Notar und Gerichte dazugerufen hätte;
die hätten wohl das bischeil Erbe bald auf-
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gezehrt! Der Aelteste bekam die Mühle, der
Zweite bekam den Esel und der Jüngste be-
kani nichts als den Kater. Ueber ein so arm-
seliges Erbe konnte sich aber der Jüngste gar
nicht zufrieden geben. „Meine Brüder", sagte
er, „können doch, wenn einer dem andern aus-
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hilft, ihren Lebensunterhalt rechtschaffen ver-
dienen; ich aber, wenn ich den Kater aufge-
gessen und mir aus seinem Fell einen Muff
gemacht habe, ich muß vor Hunger sterben."
Der Kater hatte die Rede seines Herrn
gar wohl verstanden, so wenig man's ihm
anmerken konnte, und entgegnete ihm jetzt
mit einem ernsten und verständigen Gesichte:
„Habt keinen Kummer, mein guter Herr;
gebt mir nur einen Sack und laßt mir ein
Paar Stiefeln machen, daß ich auch ins
Gehege gehen kann, und Ihr sollt sehen,
daß Ihr so übel nicht gefahren seid, als Ihr
jetzt glaubt." —
Obgleich der Herr des Katers auf dessen
tröstliche Verheißung nicht übertrieben baute,
so gedachte er doch der List, die er so oft an
dem Kater bewundert hatte, wenn dieser den
Ratten und Mäusen nachging und sich bald
an den Beinen aufhing, bald zwischen die
Mehlsäcke legte und sich todt stellte, so daß
er nicht daran zweifelte, er könne ihm
gute Dienste in seiner Noth leisten.
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Als der Kater alles Verlangte bekom-
men hatte, zog er sich guten Muths seine
Stiefeln an, hing sich den Sack um den
Hals, faßte die Stricke mit beiden Vorder-
pfoten und ging in ein Gehege, wo es eine
große Menge oon Kaninchen gab. Er that
Kohl und Klee in seinen Sack, streckte sich
aus, wie todt, und erwartete nun, daß irgend
ein junges Kaninchen, mit den Schlichen dieser
Welt noch wenig vertraut, in den Sack schlüpfen
würde, um von dem Kohl und dem Klee zu
naschen. Er hat sich kaum hingelegt, richtig,
so geschieht's auch! Ein junges unverständiges
Kaninchen geht in den Sack, und mein Herr
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Kater zieht gleich an den Stricken, ergreift
es und erwürgt es ohne Barmherzigkeit.
Nicht wenig stolz auf seine Beute, geht
er zum Könige und verlangt ihn zu spreche«.
Man heißt ihn in das Zimmer Seiner Ma-
jestät hinaufsteigen. Er tritt ein, macht dem
Könige einen tiefen Bückling und sagt:
„Allergnädigster Herr! Der Herr Gras
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von Larabas (dies war der Name, den
er seinem Herrn geben wollte) erlaubt sich,
dieses wilde Kaninchen Eurer Majestät zu
übersenden."
„Sage Deinem Herrn," entgegnete der
König, „ich ließ mich bedankeil, und er habe
mir eine Freude damit gemacht."
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Ein anderes Mal ging der Kater und
legte sich auf's Feld, den Sack immer offen
haltend; kaum waren aber zwei Rebhühner
hineingelaufen, so zog er die Stricke zusam-
men, nahm sie alle beide und ging aus der
Stelle zum Könige, dem er sie überreichte,
ganz wie er es mit dem wilden Kaninchen
gethan hatte. Der König bezeigte über die
beiden Rebhühner eine noch größere Freude,
und befahl, ihm ein Trinkgeld zu geben. So
fuhr der Kater durch zwei, drei Monate fort,
von Zeit zu Zeit dem Könige von der Jagd
seines Herrn Wildpret zu überbringen.
Eines Tages nun, da er erfahren hatte,
daß der König mit seiner Tochter, der aller-
schönsten Prinzessin von der Welt, am Ufer
des Flusses eine Spazierfahrt machen würde,
sprach er zu seinem Herrn: „Wenn Ihr seht
meinem Rathe folgen wollt, so ist Euer Glück
gemacht; Ihr braucht Euch nur in bcm
Flusse an der Stelle zu baden, die ich Euch
zeigen werde, und das Uebrige laßt mich
nur machen." — Der Graf von Carabas
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that, wie es sein Kater ihm rieth, ohne zn
wissen, wozu es dienen sollte.
Eben, als er sich badete, kam der König
vorüber, und jetzt fing der Kater sogleich an
aus Leibeskräften zu schreien: „Zu Hülfe! zu
Hülfe! der Herr Graf von Earabas ist am
Ertrinken!" Auf dies Geschrei sah der König
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zum Wagen hinaus, und da er den Kater
erkannte, der ihm so oft Wildpret gebracht
hatte, befahl er seinen Leuten, sie sollten
schleunigst dem Herrn Grafen von Carabas
heraushelfen. — Während man den armen
Grafen aus dem Wasser zog, war der Kater
an den Wagen herangetreten und erzählte dem
Könige: Als sich sein Herr gebadet, sei ein
Dieb gekommen und habe, ohne sich um sein
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Nachrufen zu kümmern, die Kleider desselben
fortgetragen; aber der Spitzbube von Kater
hatte sie selbst unter einen großen Stein ver-
steckt. — Sogleich befahl der König seinen
Kammerdienern, sie sockten gehen und für den
Herrn Grafen von Carabas von seinen eige-
nen Kleidern eins der schönsten holen. Der
König bezeigte dem Herrn Grafen tausend
Artigkeiten, und da das prächtige Kleid, wel-
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ches man für ihn gebracht hatte, sein an-
genehmes Aeußere (denn er war schön und
wohlgebaut non Gestalt) noch mehr hervor-
hob, so fand ihn die Tochter des Königs
ganz nach ihrem Geschmack, und der Graf
von Carabas hatte ihr nur zwei oder drei
sehr ehrfurchtsvolle und ein wenig zärtliche
Blicke zugeworfen, als sie schon eine über-
aus heftige Liebe für ihn empfand. Der
König bestand darauf, er solle in den Wagen
steigen und die Spazierfahrt mitmachen.
Der Kater, voller Freude, daß sein Werk
einen so guten Anfang genommen, lief vor-
an, und als er Bauern traf, welche eine
Wiese mähten, rief er ihnen zu: „Liebe Leute,
die Ihr hier mäht, wenn Ihr dem Könige
nicht sagt, daß diese Wiese, die ihr mäht,
dem Herrn Grafen von Carabas gehört,
so sollt Ihr alle kurz und klein gehackt wer-
den, wie Pastetenfleisch."
Der König verfehlte nicht, die Mäher zu
fragen, wem die Wiese gehöre, die sie mäh-
ten. „Dem Herrn Grafen von Carabas", ent-
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gegiieten sie Alle einstimmig; denn die Dro-
hung des Katers hatte ihnen Furcht gemacht.
„Da habt Ihr ja ein schönes Erbstück",
sagte der König zum Grafen von Carabas.
„Wie Euer Majestät sehen", erwiederte
der Graf, „so ist das eine Wiese, die alle
Jahre ihren reichlichen Ertrag bringt."
Mein Herr Kater, der immer voranlief,
traf nun auf Schnitter, denen er gleichfalls
zurief: „Liebe Leute, die Ihr hier erntet,
wenn Ihr nicht sagt, daß alle diese Felder
dem Herrn Grafen von Carabas gehören,
so sollt Ihr alle kurz und klein gehackt wer-
den, wie Pastetenfleisch."
Der König, welcher einen Augenblick
darauf vorbeifuhr, wollte wissen, wem alle
die Felder gehörten, die er vor sich sähe.
„Dem Herrn Grafen von Carabas", ent-
gegneten die Schnitter, und der König wie
der Graf freuten sich darüber. Der Kater,
welcher beständig dem Wagen voran war,
sagte immer ein und dasselbe zu Allen, denen
er begegnete, und der König war ganz er-
staunt über die großen Besitzthümer des Herrn
Grafen von Carabas. —
Zuletzt kam der Kater in ein schönes
Schloß, dessen Besitzer ein Menschenfresser
war, aber auch zugleich der reichste, der je
gelebt hatte; beim alle die Ländereien, durch
welche der König gekommen war, gehörten
zu diesem Schlosse.
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Der Kater, der über den Menschenfresser
und seine Künste schon Erkundigungen einge-
zogen hatte, verlangte ihn zu sprechen, indem
er vorgab, er habe seinem Schlosse nicht vor-
überreisen wollen, ohne sich die Ehre zu ge-
ben, ihm sein Compliment zu machen. Der
Menschenfresser empfing ihn so höflich, wie
es so ein Menschenfresser nur kann, und hieß
ihn Platz nehmen.
„Man hat mich versichert", sagte der Ka-
ter, „daß Ihr die Gabe hättet, die Gestalt
eines jeden Thieres anzunehmen, daß Ihr Euch
zum Beispiel in einen Löwen, in einen Elephan-
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tcn verwandeln könntet?" — „Ja, das ist
wahr", erwiederte der Menschenfresser hoch-
müthig; „und daß Ihr Euch selbst davon
überzeugt, so will ich auf der Stelle zu einen:
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Löwen werden." Der Kater war so erschrocken,
einen Löwen vor sich zu sehen, daß er schnell
auf das Dach kletterte, nicht ohne Mühe und
Gefahr, der Stiefeln wegen, die gar nicht
dazu taugten, auf den Ziegeln zu laufen.
Eine Weile darauf, da der Kater sah,
daß der Menschenfreffer seine alte Gestalt wie-
der angenommen hatte, stieg er herunter und
gestand, er habe eine rechte Furcht gehabt.
„Man hat mich auch noch versichert", sprach
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er sodann, „aber ich kann es kaum glauben,
daß es eben so in Eurer Macht stände, auch
die Gestalt der kleinsten Thiere anzunehmen,
zum Beispiel Euch in eine Ratte, in eine
Maus zu verwandeln? Ich muß gestehen, ich
halte das für durchaus unmöglich." — „Un-
möglich?" sagte der Menschenfreffer, „Ihr sollt
es sehen"; und sogleich verwandelte er sich in
eine Maus, die auf dem Fußboden hin- und
herlief. Kaum hatte sie aber der Kater erblickt,
als er auf sie lossprang und sie auffraß.
Der König inzwischen, der im Vorbeifah-
ren das schöne Schloß des Menschenfressers
gewahr wurde, wünschte das Innere zu be-
sichtigen. Als der Kater das Rasseln des Wa-
gens hörte, der über die Zugbrücke fuhr, lief
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er hinaus und sprach zum Könige: „Will-
kommen, Ew. Majestät, in dem Schlosse des
Herrn Grafen von Carabas."
„Wie, Herr Graf", rief der König, „und
das Schloß gehört Euch auch noch? — Es
kann nichts Schöneres geben, als diesen
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Hof und alle die Gebäude, die ihn um-
geben; aber laßt uns nun, wenn's Euch ge-
fällig ist, auch das Innere besehen." — Der
Graf reichte der jungen Prinzessin den Arm
und folgte dem Könige, der voranging. Sie
kamen in einen großen Saal, wo sie eine
vortreffliche Mahlzeit fanden, die der Men-
22,
schenfreffer für seine Freunde hatte zurichten
lassen, die ihn gerade an diesem Tage be-
suchen wollten, aber sich nicht unterstanden,
hineinzutreten, da sie erfuhren, daß der König
im Schlöffe sei.
Der König, von den schönen Eigenschaften
des Herrn Grasen von Carabas entzückt, gleich
seiner Tochter, die ganz bezaubert van ihm
war, und da er gesehen, welches große Besih-
thum der Graf besaß, sagte zu ihm, nachdem
er fünf bis sechs Gläser getrunken hatte: „Es
wird nur auf Euch ankommen, Herr Graf,
mein Schwiegersohn zu werden."
Der Graf verbeugte sich einigemal auf's
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tiefste, nahm die Ehre an, die ihm der König
darbot, und heirathete noch an demselben Tage
die Prinzessin.
Der Kater aber wurde ein großer Herr,
und wenn er von jetzt an noch einmal den
Mäusen nachlies, so geschah es nur einzig zu
seiner Unterhaltung.
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Nutzanwendung.
Wenn ein Vater seinen Kindern ein großes Ver-
mögen hinterlassen kann, so ist ihnen freilich ihr Fort-
kommen in der Welt gar sehr dadurch erleichtert; sie
hängen nicht um ihres Lebensunterhaltes willen, der
ihnen schon vom Vater erworben ist, von den Launen
und der Willkür Anderer ab, sie dürfen Keinem ihre
Dienste antragen, der sie mit Geringschätzung vielleicht
zurückweist, und welche Mittel besitzen sie endlich nicht,
in dem, was ihr Berus ist, vollkommener zu werden
und sich geachtet und angesehen zu machen: dennoch
aber, nützlicher meist als alles ererbte Vermögen, ist
jungen Leuten Emsigkeit und ein gewandtes Benehmen.
Eine andere Nutzanwendung.
Wenn eines Müllers Sohn mit solcher Schnelligkeit
Sich der Prinzessin Herz gewinnt,
Daß ihre Blicke nur auf ihn gerichtet sind:
So ist das ein Beweis, daß Jugend, Schönheit, Kleid,
Um einzuflößen Zärtlichkeit,
Gewiß zu aller Zeit ganz gute Mittel sind.
Druck von W. Pormetter in Berlin.
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