Zur Aufklärung und Kelehrirng
über die
Tuberkulose
ihre
Entstehung, Verhütung und Heilung.
Im Aufträge
des Vorstandes der Pensionskasse für die Arbeiter der
preußisch-hessischen Eisenbahn-Gemeinschaft verfaßt
von
Dr. O. Roepke
Chefarzt der Heilstätte-Stadtwald bei Melsungen.
Fünfte Auflage.
75.-80. Tausend.
1908.
Druck von A. Bernecker, Melsungen.
Zur Aufklärung «ud Kelehrung
über die
Tuberkulose
ihre
Enlstchuilg, Verhütung und Heilung.
Im Aufträge
des Vorstandes der pensionskaffe für die Arbeiter der
preußisch-hessischen Eisenbahn-Gemeinschaft versaßt
von
Dr. O. Roepke
Chefarzt der Hrttstätte-Stadtmald bei Melsungen.
Fünfte Auflage.
75. — 80. Tausend.
1908.
Druck von A. Bern eck er, Melsungen.
Inhaltsangabe
Seite
I. Die Verbreitung der Tuberkulose . . 3
II. Das Wesen der Tuberkulose: 4—7
Lungentuberkulose 4. — Kehlkopftuberkulose 5. — Darm-
tuberkulose 6. — Drüsentuberkulose 6. — Knochen- und
Gelenktuberkulose 6. — Hauttuberkulose 7. — Nieren-
tuberkulose u. a. m. 7. — Miliartuberkulose 7.
III. Die Entstehung der Tuberkulose: 7—10
I. Vorbedingung 7. — Vererbung 7. — Angeborene
Empfänglichkeit 8. — Erworbene Empfänglichkeit 8. —
II. Vorbedingung 8. — Quellen der Ansteckung 8. —
Eingangspforten der Ansteckung 8. — Uebertragung
durch Berührung 9. — Uebertragung durch verstäub-
ten Auswurf 10. — Uebertragung durch verspritzten
Auswurf 10.
IV. Die Verhütung der Tuberkulose: 10—22
A. Die Erhöhung der Widerstandskraft: Körper-
pflege 11. — Mund- und Zahnpflege 11. — Turn-
spiele, Leibesübungen 12. — Kleidung 12. — Er-
nährung 13. — Genußmittel 15. — Alkohol 15. —
Wohnung 15. — Beruf und Arbeit 18. — Für-
sorge für Genesende 19.
6. Die Verhütung der Ansteckung: Nahrungs-
mittel 20. — Auswurf 20. — Auswurfbeseitigung
20. — Husten 22.
V. Die Gesundheitspflege des Tuberkulösen: 22—29
Reinlichkeit 23. — Abhärtung 23. — Sport 23. —
Zahnbürste, Zahnpulver, Mundwasser 23. — Kleider-
Reinigung 24. — Wäschedesinfektion 24. — Kost 26. —
Milch 26. — Getränke 27. — Ehe 27. — Ehever-
bot 27. — Heiratserlaubnis 28. — Tuberkulöse Ehe-
gatten 29.
VI. Die Gesundheitspflege des Haushaltes: 29—34
Leichtkranke 30. — Schwerkranke 30. — Bettlägerige
Kranke 31. — Wohnungsdesinfektion 31. — Eisenbahn-
Desinfektor 32. — Familienpflege 33. — Familien-
fürsorge 33.
VII. Die Heilung der Tuberkulose: 34—36
Heilbarkeit 34. — Heilstättenbehandlung 34. — Tuber-
kulinbehandlung 34. — Heilstättenerfolge 35. — Die
Heilstätten der Pensionskasse 35. — Aufnahme von
Beamten 35. — Sommer- und Winterkuren 36. —
Schlußsatz 36.
Der Zweck dieses Schriftchens ist, Aufklärung und Be-
lehrung zu schaffen über eine Krankheit, die wegen ihrer
Häufigkeit als „Volkskrankheit", wegen ihrer verheerenden
Wirkungen als „Geißel der Menschheit" bezeichnet wird: über
die Tuberkulose.
I. Die Verbreitung der Tuberkulose.
Drei Zahlen sollen die gegenwärtige Verbreitung der Tuber-
kulose in Deutschland klar machen. Von den Menschen, die in
dem erwerbsfähigen Alter von 15 — 60 Jahren sterben, ist jeder
dritte ein Opfer der Tuberkulose. In den Familien, deren
Ernährer mit einem Jahreseinkommen bis zu 2000 Mark der
Alters- und Invaliditäts-Versicherung angehören, kommen jährlich
mindestens 80000 Sterbefälle an Lungenschwindsucht vor. Die
Gesamtheit der lebenden Tuberkulosekranken beläuft sich in
Deutschland auf etwa 11/2 Millionen Personen.
Diese Zahlen verlangen gebieterisch, daß ein jeder, ins-
besondere aber derjenige, der tuberkulös ist oder tuberkulöse
Familienangehörige hat, über das Wesen der Tuberkulose, über
ihre Entstehung, Verhütung und Heilung unterrichtet ist.
Darum Ihr Eisenbahner, Ihr Eisenbahner-Frauen, -Töchter und
-Söhne, vertieft Euch in dieses Schriftchen und handelt danach
in gesunden Tagen! Verwahrt es und holt es zur Belehrung
wieder hervor in kranken Tagen! Denn es weist Euch den
Weg, die Tuberkulose zu bannen, gesund zu bleiben oder, wenn
erkrankt, gesund zu werden! Und wer von Euch sollte diesen
Weg nicht kennen lernen und gehen wollen zu seinen: eigenen
Besten und zum Wohle aller derjenigen, die seinem Herzen als
Eltern, Ehegatten, Geschwister oder Kinder am nächsten stehen?
Die Tuberkulose ist ansteckend. Die Tuber-
kulose läßt sich verhüten. Die Tuberkulose ist heilbar.
Die drei knappen Sätze besagen das, was die folgenden Aus-
führungen jedem verständlich machen sollen.
Zunächst wollen wir uns aber des besseren Verständnisses
wegen über das Wesen der Tuberkulose klar werden.
4
II. Das Wesen der Tuberkulose.
Die Tuberkulose hat ihren Namen von dem Tuberkel-
bazillus erhalten, der im Jahre 1882 von unserm allbekannten
und vielgenannten deutschen Landsmann Robert Koch entdeckt
worden ist. Der Tuberkelbazillus ist ein winzig kleiner Spalt-
pilz; in den menschlichen Körper gelangt, ruft er am Orte seiner
Niederlassung Krankheitserscheiuungen hervor, schwächt dabei aber
gleichzeitig den ganzen Organismus unb bringt dessen Lebens-
kräfte zum Schwinden. Der Tuberkelbazillus ist sehr verbreitet,
wenn er auch nicht überall in der Außenwelt vorkommt. Seine
Verbreitung erfolgt durch den schwindsüchtigen Menschen
selbst, der unter Umständen in 24 Stunden mehrere Milliarden
Bazillen aushusten kann. Die ausgestreuten Tuberkelbazillen
können nun auf verschiedenen Wegen, die wir später kennen lernen
werden, in den Menschen hineingelangen und sich in allen
Organen ansiedeln. Wir unterscheiden daher eine Lungen-,
Kehlkopf-, Darm-, Drüsen-, Knochen-, Gelenk-, Haut-, Nieren-,
Gehirntuberkulose und andere mehr.
Lungen- Die weitaus häufigste Form ist die Lungentuberkulose,
tuberkulöse, die deshalb eine etwas eingehendere Besprechung verdient. Sie
entsteht in der Regel zuerst in den Lungenspitzen dadurch, daß
die Tuberkelbazilleu entweder direkt eingeatmet werden oder
indirekt von den Rachenmandeln oder Luugeudrüsen aus auf dem
Wege des Lymphstromes in die Lungenspitzen hineingelangen.
Von den Lungenspitzen aus erfolgt dann die Weiterver-
breitung der Bazillen auf dem Lymph- oder Blutwege in
die übrigen Lungeuabschnitte, überall unter den Erscheinungen
der Entzündung, Wucherung und Eiterung in dem befalle-
nen Lungengewebe. Die eingetretene Erkrankung macht sich
in der Regel durch Husten, Auswurf, Abmagerung, Nacht-
schweiße, Bruststiche und Kurzatmigkeit beim Laufen und
Treppensteigen bemerkbar. Doch können in der allerersten Zeit
diese Erscheinungen noch fehlen. Oft lassen Appetitlosigkeit,
Magenbeschwerden, blasses Aussehen, Schwäche des Körpers
und Unlust zur Arbeit an alle möglichen Gesundheitsstörungen
denken, bis eines Tages ohne jede äußere Veranlassung, oft
mitten in der Nacht oder am frühen Morgen, eine Lungen-
blutung eintritt. Diese verrät sich durch Aushusten von hell-
rotem, schleimigem Blut in größerer oder geringerer Menge;
immer bildet sie aber ein sehr ernstes Krankheitszeichen, das
unter allen Umständen, auch beim besten Allgemeinbefinden und
Fehlen aller Beschwerden, zum Arzte führen sollte. Stammt
das ausgehustete oder ausgespuckte Blut aus der Lunge, so
5
liegt in den allermeisten Fällen eine tuberkulöse Erkrankung
in der Lunge vor, die dringend und ohne Verzug der Behand-
lung bedarf. Geschieht dies nicht, so werden die Tuberkel-
bazillen weiter in die noch gesunden Lungenpartieen eindringen;
sie werden weiter die Blutgefäße anfressen und das Gewebe
der Lunge zerstören; sie werden weitere, noch stärkere Blutungen,
reichlicheren eitrigen Auswurf und höheres Fieber hervorrufen,
bis schließlich aus der ursprünglich leichten und beschränkten
Erkrankung der Lungenspitze eine schwere und ausgedehnte Er-
krankung der ganzen Lunge geworden ist. Um letztere dann
als Lungenschwindsucht zu erkennen, braucht man nicht mehr
Arzt zu sein. Jeder sieht es den bis zum Skelett abgemagerten
Gestalten mit den fieberhaft geröteten Backen und dem kurzen
hörbaren Atmen an, daß sie hochgradig und hoffnungslos
schwindsüchtig sind. Vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus
kannte man allgemein nur dieses Krankheitsbild als Lungen-
schwindsucht, der Volksmund als Auszehrung. Gegen sie
war damals ebenso wie heute noch kein Kräutlein gewachsen
und alle ärztliche Kunst vergeblich. Heute wissen wir Aerzte
aber, daß die Krankheit, welche schließlich als Schwindsucht zum
Tode führen muß, in ihrem Anfange heilbar ist. Und
dieses beginnende heilbare Stadium nennen wir
Lungentuberkulose!
Von der Lunge aus können die Tuberkelbazillen auf dem Kehlkopf-
Lymphwege in den Kehlkopf gelangen und hier an den stimm- tuberkulöse,
bildenden Teilen Geschwüre und Wucherungen hervorrufen.
Die Kehlkopftuberkulose macht sich durch stärkeren Hustenreiz,
Schmerzen beim Sprechen und Schlucken und vor allem durch
eine belegte oder heisere Stimme bemerkbar. Es sollte schon
eine der genannten Beschwerden geirügen, um zum Arzte zu
führen. Denn ganz ähnlich den Verhältnissen bei der Lunge
gibt es eine heilbare Kehlkopftuüerkulose und eine un-
heilbare Kehlkopffchwindsucht. Sorgt darum in der Zeit
für Hilfe, solange noch Aussicht auf Heilung vorhanden ist!
Die Kehlkopftuberkulose kann auch noch auf andere, zweifache
Weise entstehen: entweder setzen sich bei ganz gesunder Lunge
die in der Atmungsluft enthaltenen Tuberkelbazillen an den
Stimmlippen urrd an den vorspringenden Knorpeln des Kehlkopfs
fest, oder aber es siedeln sich im Kehlkopfe die Tuberkelbazillen
an, die irr dem Lungenauswurf den Kehlkopf berühren. Solche
Ansteckungen des Kehlkopfs direkt durch Berührung mit den
Bazillen treten indes an Häufigkeit zurück gegenüber der zuerst
angegebenen Ansteckungsart, die auf dem Lymphwege vou der
tuberkulösen Lunge aus zu stände kommt.
6
Darm- Für den Darm des Menschen gilt das umgekehrte,
tuberkulöse. Dieser erkrankt am häufigsten dadurch, daß bei bestehender
Lungentuberkulose der bazillenhaltige Auswurf verschluckt wird.
Durch die Verdauungssäfte werden die schleimigen und eitrigen
Bestandteile des Auswurfs aufgelöst; die Bazillen werden frei
und können sich in den Falten der Darmschleimhaut festsetzen.
Es entstehen ebenso wie in der Lunge und im Kehlkopfe
Geschwüre, die zu Durchfällen und zeitweise auftretenden, krampf-
artigen Leibschmerzen führen. Daneben besteht meist Fieber,
Appetitlosigkeit und schnelle Abnahme des Körpergewichtes und
der Körperkräfte. Darmtuberknlosen heilen nur sehr selten aus.
Darum, Ihr Kranken, verschluckt Euren Auswurf nicht; es ist
bequem, aber es rächt sich bald bitter! Die Darmtuberkulose
tritt bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen.
Drüsen- Am häufigsten begegnen wir bei Kindern der Drüsen-
tuberkulose. tuberkulöse, auch Skrofulöse genannt. Kleinere Kinder
stecken bekanntlich beschmutzte Finger und Spielsachen gern in
beit Mund. Hierdurch wird es ermöglicht, daß die den Gegen-
ständen etwa anhaftenden Bazillen an die Rachen- und
Gaumenmandeln herangebracht und von hier in die Drüsen des
Halses verschleppt werden. Solche Kinder bekommen dann ein
ungesundes, blasses, meist schwammiges Aussehen; ihre Atmung
ist durch die vergrößerten Mandeln behindert, so daß sie beim
Schlafen den Mund offen halten und schnarchen; die Drüsen
am Halse und Unterkiefer sind geschwollen und als dicke Knoten
sichtbar bezw. fühlbar. Alle Erscheinungen zusammen bilden
das Krankheitsbild der Skrofulöse, die bei zweckmäßiger Pflege
und Behandlung wohl ausheilen kann. Immerhin erkrankt ein
sehr erheblicher Prozentsatz von skrofulösen Kindern im späteren
Alter an Lungentuberkulose. Bei Erwachsenen vereitern die
tuberkulösen Lymphdrüsen meist; sie brechen dann durch die
Haut durch und sondern durch enge Gänge, Fisteln genannt,
den tuberkulösen, ansteckenden Eiter beständig ab. Schon um
diese Quelle der Ansteckung zu beseitigen, empfiehlt sich die
Operation, die ganz ungefährlich ist und durch die Entfernung
des tuberkulösen Gewebes Heilung bringt.
Knochen- und Von den Drüsen aus können die Tuberkelbazillen in andere
Gelenk- Organe weiter wandern, so z. B. in die Knochen und Gelenke,
tuberkulöse, lochen- und Gelenktuberkulosen können aber auch dadurch ent-
stehen, daß Tuberkelbazillen durch kleinste Hautschrunden und
Hautwunden in den Körper hineingelangen und in den nächst-
gelegenen Knochen sich festsetzen. Von den Knochen aus werden
dann meist die Gelenke angesteckt. Knochen- und Gelenk-
tuberkulosen machen sich durch Schwellung, Schmerzhaftigkeit
7
\
und Gebrauchsunfähigkeit der befallenen Teile bemerkbar. In
den Knochen und Gelenken kommt es schließlich zu Eiterungen
und schweren Zerstörungen, wenn die eiternden Stellen nicht
entfernt werden (Knochenfraß). Wurde man immer gleich den
ärztlichen Ratschlägen folgen, wir sähen bald weniger Ver-
krüppelte infolge von Knochen- oder Gelenktuberkulose!
Auch in der Haut können sich die Tuberkelbazillen fest- Haut-
setzen und zu entstellenden Krankheitsbildern führen. Die Haut- tuberkulöse,
tuberkulöse des Gesichtes, auch Lupus genannt, ist wohl schon
jedem aufgefallen. Heute verliert sie ihren Schrecken, da sie,
rechtzeitig in Behandlung genommen, unter geeigneter Be-
handlung ohne entstellende Narben abzuheilen Pflegt.
Damit haben wir die häufigsten Formen der Tuberkulose Nieren-
besprochen. Es bleibt nur noch zu erwähnen übrig, daß von allen tuberkulöse
tuberkulösen Herden im Körper aus eine Weiterverschleppunglu stn ere me^r'
der Bazillen in andere Organe stattfinden kann, so in die Nieren
und Geschlechtsorgane, in die Hirnhäute, in Auge und Ohr usw.
Erfolgt die Verschleppung durch Einbruch eines tuber- Miliar-
kulösen Herdes in die Blutbahn, so wird mit dem nach allen tuberkulöse.
Körperteilen fließenden Blutstrom eine allgemeine Tuberkulose
sämtlicher lebenswichtigen Organe ausgelöst. Diese Form der
Tuberkulose wird Miliartuberkulose genannt nach den hirse-
korngroßen Tuberkelknötcheu, die sich überall bilden, (miliar
= von Hirsenkorngröße). Sie führt ausnahmslos und zwar
meist in kurzer Zeit zum Tode.
III. Die Entstehung der Tuberkulose.
Für eine erfolgreiche Verhütung der Tuberkulose ist es
notwendig zu wissen, welche Möglichkeit es für die Tuberkel-
bazillen gibt, in den menschlichen Körper hineinzukommen. Zum
Troste kann man vorausschicken, daß nicht jeder Tuberkelbazillus,
der z. B. in die Lunge gelangt, nun auch gleich eine Lungen-
tuberkulose verursacht. Wäre dem so, es gäbe nur tuberkulöse
Menschen oder überhaupt keine Menschen mehr. Wir müssen
vielmehr annehmen, daß das Zustandekommen der Tuberkulose
zwar ohne Tuberkelbazillus nicht möglich ist, aber außerdem I. Vor-
noch von zwei Bedingungen abhängt. Zunächst muß der mensch- bedingung.
liche Körper, um tuberkulös erkranken zu können, eine gewisse
Empfänglichkeit für das Tuberkelgift besitzen. Diese
Empfänglichkeit scheint allerdings sehr verbreitet zu sein; sie
kann angeboren oder erworben sein.
Die Uebertragung der Tuberkulose von schwindsüchtigen Vererbung
Eltern auf die Leibesfrucht kann als ein außerordentlich selten
vorkommender Ausnahmefall hier ganz übergangen werden.
8
Angeborene Nicht selten wird indes den Kindern eines tuberkulösen
Empfänglich- Vaters oder einer tuberkulösen Mutter eine gewisse Veranlagung
zur Tuberkuloseerkrankung angeboren. Solche erblich
belasteten Personen zeigen einen schwächlichen Körperbau mit
langem, schmalem Brustkorb, sie haben Neigung zu beschleunigter
Herztätigkeit, sind leicht erregbare Naturen und neigen von
früher Jugend an zu Erkältungskrankheiten der Luftwege.
Erworbene Erworben wird die Empfänglichkeit für Tuberkulose
Empfänglich- durch alle Schädigungen, die den Körper treffen und seine Wider-
standsfähigkeit herabsetzen. Als Schädigungen sind hier in erster
Linie zu nennen: ungesunde Wohnung, unzweckmäßige oder unge-
nügende Ernährung, mangelhafte Körperpflege, schwächende Krank-
heiten, häufige Erkältungen, Neberanstrengungen, Ausschweifungen
und vor allen andern der Alkoholmißbrauch, die Trunksucht.
II. Vor- Zweitens ist für das Zustandekommen einer Tuberkulose
bedingung. bin öfters wiederkehrendes oder lange anhaltendes oder
zahlreiches Eindringen von Tuberkelbazillen in den Körper
notwendig. Diese Bedingung scheint überall dort von vornherein
erfüllt zu sein, wo ein länger dauernder und inniger Verkehr mit
unreinlichen Tuberkulösen stattfindet, wie z. B. in der Familie des
unvorsichtig mit seinem Auswurf umgehenden Schwindsüchtigen.
Quellen der Als Hauptquelle der tuberkulösen Ansteckung haben
Ansteckung, bereits den schwindsüchtigen menschlichen Körper kennen
gelernt. Von ihm aus erfolgt die Verbreitung des Ansteckungs-
stoffes durch den bazillenhaltigen Lungenauswurf und durch die
Absonderungen anderer tuberkulös erkrankter Organe (Drüsen-
eiter usw.) Die Uebertragung der Tuberkulose durch ungekochte,
von perlsüchtigen Kühen stammende Milch ist für den
Erwachsenen wohl kaum zu fürchten. Dagegen ist an der
Gefährlichkeit solcher Milch für die Kinderernährung
unter allen Umständen festzuhalten.
Eingangs- Als Eingangspforten für die Tuberkelbazillen
Sorten halben wir die äußere Haut oder Schleimhaut (z. B. des
er.nf e ung.Mundes), den Verdauungskanal und die Lunge anzusehen.
Dabei ist es möglich, daß für einen Fall von Lungentuberkulose
die Eingangspforte in der Schleimhaut der Lunge, für einen
andern Fall in der Schleimhaut des Rachens liegt. — Der
Verdauungskanal, insbesondere der Darm, gewinnt im
Säuglingsalter eine gewisse Bedeutung als Eingangspforte,
wenn tuberkelbazillenhaltige Nahrungsmittel wie die Milch
perlsüchtiger Kllhe in ungekochtem Zustande genossen werden.
Ebenso kann mit Butter und Käse, ausnahmsweise auch mit dem
Fleisch solcher kranken Rinder der Ansteckungsstoff aufgenommen
9
werden. Das gleiche gilt von allen denjenigen Nahrungs-
mitteln, die zwar ihrem Ursprünge nach einwandsfrei sind,
aber bei der Gewinnung oder Zubereitung, beim Feilhalten
oder Transport mit Tuberkelbazillen in Berührung gekommen
sind. Ferner können beim Trinken Tuberkelbazillen, die vorher
in den Mund gelangt waren, in den Darm hinunter-
gespült werden und hier den ersten tuberkulösen Krankheitsherd
hervorrufen. — Die äußere Haut bietet mit ihren vielfachen,
meist unbeobachteten oberflächlichen Verletzungen dem Eintritt
des Tuberkuloseerregers in den menschlichen Körper gar keine
Schwierigkeiten, ebenso wenig die Schleimhaut der Nase, des
Mundes, Rachens, Kehlkopfs, die sogar bei völliger Unversehrt-
heit für den Tuberkelbazillus durchgängig ist.
Die Uebertragung der Tuberkelbazillen von außen Uebertragung
auf den gesunden Menschen erfolgt in verschiedener Weise. Am ^ kurd)
selbstverständlichsten klingt die Uebertragung durch Kontakt, eruhrung.
d. h. durch die Berührung und zwar entweder direkt von
Person zu Person oder indirekt durch Gegenstände, denen die
Krankheitskeime anhaften. Ersteres ist z. B. der Fall, wenn
Schwindsüchtige ihre gesunden Angehörigen auf den Mund küssen
oder ihnen direkt ins Gesicht husten, wenn schwindsüchtige Mütter
ihre kleinen Lieblinge anhusten oder im neckischen Spiel anblasen,
oder ans unmittelbarster Nähe ansprechen und dadurch die
Tuberkelbazillen übertragen. Die andere Uebertragungsmöglichkeit
ist z. B. gegeben durch Eß- und Trinkgeschirre, Handtücher u. dergl.,
die von einem Schwindsüchtigen benutzt und danach nicht gründlich
genug gereinigt sind; es können solchen Geräten von dem Kranken
her Bazillen angetrocknet sein oder anhaften, die beim gemein-
samen Gebrauch auf den Gesunden übergehen. So kann auch
eine tuberkulöse Mutter ansteckend wirken, die das für ihr Kind
bereitete Essen mit dem Löffel abschmeckt und dann mit dem-
selben Löffel ihr Kind sättigt. Ebenso können die besten
Nahrungsmittel, wenn sie durch die mit Bazillen verunreinigten
Hände von Geschäftsleuten oder Dienstboten gehen, Krankheits-
keime in den Darm verschleppen. Besondere Gefahren bietet
die Ansteckung durch Kontakt für die Kinder, besonders in den
ersten Lebensjahren. Kinder stecken alles Erreichbare, auch das
mit Auswurfstoffen Verunreinigte, in den Mund; sie bringen
sich mit den beschmutzten Fingernägeln häufig Kratzwunden bei,
sie kriechen mit nackten Körperteilen auf dem schmutzigen Erd-
boden herum und impfen sich so vorhandene Tuberkelbazillen
in die kleinsten Haut- und Schleimhautwnnden ein. All die
genannten Möglichkeiten werden zu Wahrscheinlichkeiten, wenn in
der Fanlilie ein einziger Tuberkulöser ist, der von seiner Krank-
10
Uebertmgung
durch
verstäubten
Auswurf.
Uebertragung
durch
verspritzten
Auswurf.
heit nichts wissen will, der an seinem Körper und seinen Kleidern
unsauber ist und achtlos um sich herumhustet nitd herumspuckt.
Wir haben bereits an ariderer Stelle erwähnt, daß die
Lungentuberkulose die häufigste Tuberkuloseform ist. Demgemäß
ist auch die Aufnahme des Tuberkelbazillus mit der
Atmungsluft die wichtigste und am meisten zu fürchtende. Wie
gehen nun die Tuberkelbazillen uriter natürlichen Verhältnissen in
die atmosphärische Luft über, rrm mit dieser eingeatmet werden
zu können? Der in die Außenwelt gelangte Auswurf der
Schwindsüchtigen trocknet auf beliebigen festen Gegenständen an und
zerfällt mit der Zeit irr feinsten Staub. Oder aber man tritt
dahin, wo ein Schwindsüchtiger ausgespuckt hat, oder fegt mit der
Schleppe darüber hin, bringt an den Stiefelsohlen oder am
Kleidersaume die Bazillen ins Hans und ladet sie hier am
Fußboden, ans Läufern und Teppichen ab. Wird nun dieser
Staub durch Zugluft oder beim Reinemachen ausgewirbelt, so
schweben in ihm und mit ihm die Tuberkelbazillen in der be-
wegten Luft und können mit der Atmung aufgenommen werden.
Eine gleiche Bedeutung ist der Tatsache beizumessen, daß
schwindsüchtige Menschen beim Husten mit offenem Munde
kleinste bazillenhaltige Schleim- und Speicheltröpfchen verspritzen.
Auch diese schweben eine Zeitlang in der Lust, senken sich dann
auf den Erdboden, uni bei der nächsten Gelegenheit mit dem
Bodenstaub aufzuwirbeln und in die Atmungsluft überzugehen.
Es kann also wahrlich nicht an Tuberkelbazillen fehlen in
der Luft eines Raumes, in dem ein Schwindsüchtiger lebt, der
mit seinem Auswurf unvorsichtig umgeht und viel hustet. Es
wird uns jetzt auch klar, daß gerade diejenigen am meisten
gefährdet sein müssen, Bazillen zu schlucken, die sich dem Erdboden
am nächsten befinden, die kleinen Kinder. Ebenso muß es als
selbstverständlich erscheinen, daß in der nächsten Umgebung des
Kranken die Gelegenheit, Krankheitskeime in sich aufzunehmen,
am größten sein wird. Beide Uebertragungsmöglichkeiten fallen
um so schwerer ins Gewicht, je kleiner der Raum ist, je
mehr Bewohner er zählt, je unsauberer er gehalten wird,
und je mehr die Krankheitskeime aufgewirbelt werden.
IV. Die Verhütung der Tuberkulose.
Die Verhütung der Tuberkulose muß auf zwei Ziele
hinarbeiten, einmal die Widerstandskraft des einzelnen
Menschen zu erhöhen und zweitens die Ansteckung mit
dem Tuberkelbazillus zu verhindern.
11
A. Die Erhöhung dev Widevstandskvaft.
Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersten Frage, die
alles das umfaßt, was wir unter privater und öffentlicher Ge-
sundheitspflege verstehen! Das Gebiet ist viel zu groß, um hier
auch nur einigermaßen erschöpfend behandelt zu werden. Wir
müssen uns mit den hauptsächlichsten Punkten begnügen.
Um einen widerstandsfähigen Körper zu schaffen und zu
erhalten, bedarf es einer allgemeinen Körperpflege. Schon Körperpflege,
im Kindesalter muß die Hautpflege durch regelmäßige Bäder
und Abwaschungen beginnen und im spätern Leben fortgesetzt
werden. Dadurch wird außer der ungeheuer wichtigen Reinigung
des Körpers eine ungestörte Abgabe schädlicher Stoffe durch
die Haut erzielt. Ferner wird die Haut befähigt, die
Schwankungen der Außentemperatur ohne Nachteil für den
Körper auszugleichen. Damit wird die vielgefürchtete Erkält-
barkeit, die Neigung zu Lungenkatarrhen, beseitigt. Das ist
sehr wichtig, denn nicht selten entsteht die Lungentuberkulose ans
der Grundlage von häufig wiederkehrenden und lang an-
haltenden, sogenannten chronischen Lungenkatarrhen. Die Er-
wachsenen sollen noch durch regelmäßige kalte Abreibungen,
durch kalte llebergießungen nach dem Bade und durch Duschen
ihrem Körper den Grad von Abhärtung verschaffen, den sie im
Kampfe ums Dasein gebrauchen. Wer also eine Badegelegen-
heit im Hause oder in seiner Arbeitsstätte hat, der benutze sie
fleißig und regelmäßig! Das hierfür angelegte Viertelstündchen
Morgenschlafes wird reichlich Zinsen tragen! Auch die Volks-
badeanstalten und Volksbrausebäder verdienen die größte Be-
achtung seitens der arbeitenden Bevölkerung; sie sollen den
Erwachsenen für wenig Geld das bieten, was bei der Jugend
mit den Schulbädern heute allgemein angebahnt wird, die Ge-
legenheit zur Reinigung und Kräftigung des Körpers.
Ebenso wichtig ist die Mund- und Zahnpflege, die Mund- und
auch schon in der Kinderstube mit Zahnbürste und Zahnpulver Zahnpflege,
beginnen und während des ganzen Lebens täglich zweimal
— morgens nach dem Aufstehen und abends vor dem Schlafen-
gehen — geübt werden soll. Nur durch eine regelmäßige
Mundpflege wird die normale Zahnbildung und die Erhaltung
der Zähne gewährleistet. Ein gesundes, volles Gebiß ist aber
die Vorbedingung für eine ungestörte Ernährung und Ver-
dauung. Kranke Zähne, Zahnstümpfe und Zahnlücken bieten
— ganz abgesehen von den häufigen Zahnschmerzen — allen
möglichen Krankheitskeimen, auch den Tuberkelbazillen, einen
äußerst günstigen Boden zum Wachstum und zur Vermehrung.
12
Turnspiele, Schließlich gehören zu der Körperpflege auch noch die
Leibes- Körperbewegungen durch freie Spiele, Leibes- und Turn-
u ungen. Zungen. Nuferer Jugend in bcu Entwickelungsjahren, den
jugendlichen Arbeitern und Lehrlingen, sind sie ganz besonders
zu empfehlen, weil sie in hervorragender Weise die Körper-
entwickelung fördern, Herz und Lunge stärken. Turnabteilungen
und Vereine, die den Sinn für Turnen, Fußwanderungen,
Rudern u. dergl. beleben wollen, sind daher durchaus berechtigt.
Nur müssen sie auch tatsächlich das Turnen und Wandern
betreiben, und nicht etwa in Tanzvergnügungen und Kneipereien
ihre Betätigung suchen. Immer aber heißt es bei körperlichen
Uebungen: Maßhalten und Vermeiden aller sportlichen Ueber-
anstrengungen! Letztere schädigen den Körper anstatt ihn zu
kräftigen. In selten harmonischer Weise steigert der Heeres-
dienst die körperliche Entwickelung durch Kräftigung der Musku-
latur und des Herzens und Zunahme des Brustumfanges.
Darum sollte es sich jeder junge Mann wünschen, durch den
Militärdienst seine Arbeitstüchtigkeit und die Erstarkung seiner
Gesundheit für ein langes Leben fördern zu können. Wen der
Beruf tagsüber an geschlossene Räume fesselt, der tut gut, nach
getaner Arbeit noch ins Freie hinauszugehen, wo er in frischer,
reiner Luft durch körperliche Bewegung und vertieftes Atmen
Erholung für den Körper und Stärkung für die Lunge finden
wird. Welch andere Erholungsgelegenheit als in der mit
Tabaksqualin geschwängerten Atmosphäre der Bier- und Schnaps-
wirtschaften! Leichte Gartenarbeit zwischen und nach den Dienst-
stunden wird zum Segen für diejenigen, die einen sitzenden,
körperlich nicht anstrengenden Beruf haben. Diesem Zweck dienen
in bester Weise die sogenannten Arbeitergärten, Laubenkolonieen,
Schrebergärten, wie man sie bereits vielfach in nächster Um-
gebung der größeren Städte sieht.
Kleidung. Von der Körperpflege nicht zu trennen ist die Kleidung.
Für die Gesundheit des Menschen ist es durchaus nicht gleich-
giltig, wie seine Kleidung beschaffen ist. Sie muß zunächst der
jeweiligen Jahreszeit angepaßt sein, um die Wärmeabgabe
unseres Körpers an die umgebende Luft zu regeln. So ist
es angezeigt, im Sommer eine leichtere Kleidung zu tragen als im
Winter. Auch nach der Beschäftigung, ob in geschlossenen Räumen
oder im Freien, wird die Kleidung einzurichten sein. Vor allen
Dingen ist vor feuchten und durchnäßten Kleidern zu warnen,
da sie dem Körper viel Wärme entziehen und dadurch plötzliche Ab-
kühlnngen, Erkältungen, herbeiführen. Mancher Rheumatismus,
manche Tuberkulose kommen zu stände, wenn durchnäßte Kleider
stundenlang, oft noch in der Zugluft oder bei Kälte, am Körper be-
13
halten werden. Jeder empfindet das nasse Hemd am Leibe, die
nassen Strümpfe an den Füßen als ein unangenehmes Gefühl.
Ist das Austauschen gegen trockene Sachen nicht angängig, so
empfiehlt es sich, den Körper in Bewegung zu halten. Außer-
dem erscheint es nach den Eigenheiten des Eisenbahndienstes
geraten, anstelle von leinener bezw. baumwollener Unterkleidung
(Hemd, Unterhose, Strümpfe) nur solche aus Wolle zu tragen,
denn die Wollfaser läßt den Schweiß nur langsam eindringen und
auch nur langsam verdunsten, sie schützt also bis zu einem ge-
wissen Grade vor dem unbehaglichen Kältegefühl und den nach-
folgenden Erkältungserscheinungen. Ferner soll die Kleidung
einen beständigen Luftwechsel zwischen der den Körper um-
gebenden Luftschicht und der Außenluft ermöglichen. Es ist
daher notwendig, daß die Unterkleidung von Zeit zu Zeit
durch Waschen von den schmierigen Bestandteilen gereinigt wird,
welche von dem Fett und Schweiß der Körperhaut herrührend,
die Poren der Kleidungsstücke verstopfen. Hemd und Strünipfe
sind wöchentlich zweimal, die Unterbeinkleider einmal zur Wäsche
zu wechseln! Außerdem empfiehlt es sich dringend, für die
Nachtruhe ein anderes Hemd anzuziehen und alle anderen
Kleidungsstücke abzulegen, damit die tagsüber getragenen Kleider
ordentlich aus- und durchlüften können. Zum Kapitel Kleidung
gehört schließlich auch noch das Korset, dessen Schädlichkeit
für den Gasaustausch in der Lunge über jeden Zweifel erhaben
ist. Behindert das Korset schon in aufrechter Körperhaltuug
das ruhige und tiefe Atmen, um wieviel mehr bei der Haus-
arbeit, bei der Wartung der Kinder, beim Waschen, Scheuern
n. dergl.! Alle Mädchen, welche gesunde Frauen und Mütter
werden wollen, sollten das Korset den Modedamen überlassen
und für sich das Leibchen wählen! Nicht zu unterschätzen ist
die Bedeutung der Reinlichkeit der Kleidung, die mit der
Reinlichkeit am Körper Hand in Hand zu gehen Pflegt. Wer
rein am Körper ist, der achtet auch auf seine Kleidung; und
wer durch eine unsaubere Kleidung auffällt, der Pflegt auch an
seinem Körper vor Schmutz zu starren. Schmutzige Kleider
sind aber wahre Brutstätten für Krankheitserreger aller Art,
die jeden Augenblick auf den Träger der Kleidung selbst über-
gehen und seine Widerstandskraft vernichten können.
Es dürfte allgemein bekannt sein, daß eine reichliche und Ernährung,
zweckmäßige Ernährung einen Hauptfaktor in der Tuberkulose-
behandlung bildet. Schon daraus läßt sich schließen, daß die
Ernührungsfrage auch für die Verhütung der Tuberkulose von
Bedeutung sein wird. Die Erfahrung bei Teuerungen, Hungers-
nöten, Belagerungen im Kriege u. s. w. bestätigt dies: die
14
Genußmittel.
Alkohol.
Widerstandsfähigkeit des Körpers gegen die Tuberkelbazillen
ninunt bei unzureichender oder unzweckmäßiger Nahrung ab.
In Eisenbahnerkreisen pflegt das Einkommen zu einer in jeder
Hinsicht genügenden Ernährung auszureichen. Umsomehr erscheint
es angezeigt, die Aufwendung der Mittel für die Ernährung in
die rechten Bahnen 51t lenken. Auf eine besonders reichliche und
kräftige Ernährung müssen die jugendlichen Eisenbahner wegen
ihres gesteigerten Wachstums bedacht sein. Ferner müssen die
körperlich schwer Arbeitenden eine größere Menge von Fett (Speck,
Schmalz, Butter, Fleisch) und Kohlenhydraten (Brot, Kartoffeln,
Gemüse) aufnehmen als Personen mit sitzender Lebensweise. Doch
bei allen kommt es nicht allein darauf an, was und wieviel sie essen,
sondern auch darauf, ivas und wieviel sie verdauen. Es muß
daher bei der Herstellung und Zusammensetzung der Mahlzeiten
stets auf die Verdaulichkeit Rücksicht genommen werden. Am besten
und leichtesten verdaulich ist für unsere klimatischen Verhältnisse die
gemischte Kost, für die Hauptmahlzeit bestehend aus Milch-,
Mehl-, Obst- oder Hülsenfruchtsuppe, einen: Stück Fleisch mit
Kartoffeln und Gemüse. Eier-, Reis- und Mehlspeisen werden
vom Gaumen und Magen als angenehme Abwechselung empfunden
werden. Dahingegen wird eine einseitige Fleischnahrung
von unserm Darme auf die Dauer ebenso wenig ausgenutzt und
vertragen wie eine einseitige Pflanzennahrung; im Gegen-
teil, jede für sich führt oft langsam, aber meist sicher zu einem
Zustande der Unterernährung, in welchem für die Tuberket-
bazillen die besten Ansiedelungsbedingungen gegeben sind. Nur
aus der Vereinigung der Kohlenhydrate mit dem Fett und dem
Eiweiß der aus dem Tierreich stammenden Nahrungsmittel kann
eine wirklich nahrhafte und gut verdauliche Volksernährung
hervorgehen. Das wollen wir gegenüber den Lehren der
Vegetarianer festhalten! Wie nun im einzelnen die Speisen zu-
bereitet und in welcher Abwechselung sie gereicht werden sollen,
das ist Geschmackssache, über die sich bekanntlich nicht streiten
läßt.
Kaffee und Tee sind an sich keine Nahrungsmittel,
sondern Genußmittel, die lediglich dadurch Nährwert bekommen,
daß man zum Kaffee und Tee Zucker oder Milch tut und
etwas Nahrhaftes dazu ißt. Wer morgens das Haus nur mit
einer Tasse Kaffee im Magen verläßt, der betrügt den Magen.
Ebenso wenig ist der Alkohol ein Nährmittel; er ist in ganz
geringen und nicht konzentrierten Mengen zum Essen oder
nach dem Essen genossen ein unschädliches Genußmittel, in
größerer: Mengen oder auf nüchternen Magen getrunken aber
eines der schwersten Gifte, die wir kennen. Und wer da
15
glaubt, daß er eine Tagesmahlzeit durch ein paar Schoppen
Bier oder ein paar Gläser Branntwein vollwertig ersetzen kann,
der befindet sich in einem verhängnisvollen Irrtum. Die Staats-
eisenbahn-Verwaltung hat es sich angelegen sein lassen, Aufenthalts-
und Unterkunftsräume zu schaffen, in denen sich ein jeder, der durch
seinen Dienst der Häuslichkeit ferngehalten ist, ein einfaches warmes
Mahl bereiten kann. Das gleiche ist dem Zugbegleitungspersonal
dank der in den Packwagen der Züge eingerichteten Kochvor-
richtungen möglich. Wo in diesen Kreisen heute trotzdem das
Bedürfnis nach Nahrung durch die Sucht nach Alkohol ver-
drängt wird, da beginnt das Säufertum. Und wo Alkoholisten,
da bald Tuberkulöse! Möchten vor allen Dingen die Eltern
sich stets bewußt bleiben, daß der Alkohol nicht aufbaut, sondern
zerstört, und daß deshalb der Alkohol unter allen Umstünden
denjenigen fernzuhalten und zu verbieten ist, deren Körper und
Geist im Aufbau begriffen ist: ihren Kindern! Es ist nichts
anderes als ein sträflicher Leichtsinn, wenn Kindern, manchmal
sogar Säuglingen — ersteren zur Stärkung, letzteren zur Be-
ruhigung — Wein, Bier oder Schnaps zu trinken gegeben wird.
So erzieht man Schwindsnchtskandidaten und noch schlimmeres:
ein Geschlecht von Blödsinnigen, Geisteskranken, Verbrechern!
Man hat die Tuberkulose eine Wohnungskrankheit Wohnung,
genannt. Diese Bezeichnung trifft nur zu sehr zu, wenn wir
an die dumpfen, stickigen Quartiere in den Arbeitervierteln der
Industriezentren denken. Auch in den lichtlosen Hinterhäusern,
in den feuchten Kellergeschossen und staubigen Dachkammern
unserer Großstädte fordert die Tuberkulose ungezählte Opfer.
Wie kann es auch anders sein? „Wo die Sonne nicht hinein-
kommt, da geht der Arzt hinein," sagt sehr bezeichnend ein
italienisches Sprichwort. Jede Pflanze braucht Licht zum Ge-
deihen, wieviel mehr der Aufbau eines Menschen?
Wo der für die Einzelperson vorhandene Luftraum von dem
Minimum von 16 cbm auf 4 cbm herab gedrückt ist, da muß in
ganz kurzer Zeit aus der Atmungsluft ein Gemisch übelriechender
Stoffe werden, das die Atmung benimmt. Wenn wir uns solche
Räume nun gleichzeitig noch von mehreren Personen bewohnt
und gleichzeitig als Wohn-, Schlaf-, Wasch- und Arbeitsraum
benutzt vorstellen, so erhalten wir ein Bild des Wohnungs-
elends, wie es heute sicherlich noch existiert, aber doch langsam
verschwindet. In solcher: Wohnungen kann kein Mensch gesund
bleiben. Nicht nur der Gasanstausch in der Lunge, auch der
Stoffwechsel, die Blutbildung, Schlaf, dlppetit, kurzum alle
Lebensenergie selbst des widerstandsfähigsten Organismus muß
zusammenbrechen. Damit ist dem Eindriirgen der Tuberkel-
16
bazillen dann Tür und Tor geöffnet. Denn gerade das, was
den Menschen widerstandsunfähig macht, das fördert
den Tuberkelbazillus: die dumpfe, feuchte Atmosphäre
solcher Wohnungen. Und was den Menschen stärkt
und kräftigt, das schwächt und tötet die Tuberkel-
bazillen: Licht und Sonne.
Aehnliche traurige Wohnungsverhältnisse liegen für Eisen-
bahner wohl kaun: vor, da gerade an Orten mit teuren und schlechten
Wohnungen die Eisenbahn-Verwaltung ihren Bediensteten zahl-
reiche gesunde und billige Dienst- und Mietsräume herstellt. Aber
auch Unverstand und Eitelkeit können eine an sich gesunde
Wohnung ungesund machen. Eine Wohnung mit Licht, Sonne
und genügendem Luftraum (mindestens 16 cbm pro Person)
ist gesund. Bleibt sie es auch noch nach dem Beziehen? Gewiß;
vorausgesetzt, daß die Wohn- und Nebenräume gründlich und oft
genug gereinigt und gelüftet werden. Vor allen Dingen darf
man nicht den Eintritt der Licht- und Sonnenstrahlen durch dichte
Gardinen und Vorhänge unnötig und übermäßig einschränken, denn
Licht und Sonne reinigen schneller und gründlicher auch die ver-
stecktesten Ecken und Schlupfwinkel als Besen und Scheuerbürste.
Wo Dunkelheit herrscht, da macht sich bald die Unordnung und
Unsauberkeit breit. Ist aber eine Wohnung erst im wahren Sinne
des Wortes unsauber geworden, dann wird man sie während des
Bewohnens ohne Aufwendung von viel Zeit und besonderen
Hilfsmitteln so leicht nicht wieder rein bekommen. Darum, Ihr
Hausfrauen, widersteht den Anfängen der Unsauberkeit, der
Nachlässigkeit beim täglichen Reinemachen; laßt vor allen Dingen
Eure besten Bundesgenossen im Kampfe gegen Schmutz und
Krankheitserreger, Licht und Sonne, ins Zimmer herein.
DieReinhaltung hatmöglichst ohne Staubentwickelung
zu erfolgen. Das Klopfen der Polstermöbel, Matratzen u. dergl.
soll nur bei offenem Fenster, das Klopfen der Teppiche nur
auf dem Hofe bezw. im Freien geschehen. Auch biejenigeu Staub-
arten, denen keine Krankheitserreger beigemischt sind, verursachen in
der Lunge krankhafte Zustände, die so häufig vorkommen, daß man
für sie die Bezeichnung „Staubinhalations- (Staubeinatmungs-)
Krankheit" geprägt hat; sie bilden die weitaus häufigste Grund-
lage für die Entstehung der Lungentuberkulose. Die Staub-
entwickelung läßt sich vermeiden, wenn die Wohnräume ent-
weder feucht aufgewischt oder zum wenigsten nach gehöriger
Anfeuchtung des Fußbodens gekehrt werden. Das in manchen
Gegenden noch übliche Streuen des Fußbodens mit weißem
Sand sollte überall, auch in der einfachsten Arbeiterwohnung,
durch geölte oder mit Oelfarbe gestrichene Fußböden überflüssig
17
gemacht werden. Das trockene Kehren der Korridore, Treppen-
häuser und vor allem der Treppen von Stufe zu Stufe ist
eine direkte Rücksichtslosigkeit gegen alle diejenigen, die in dem
Hause ein- und ausgehen müssen. Gerade an solchen viel und
von den verschiedensten Leuten betretenen Stellen müssen mit dem
Staub beim Fegen Unmengen von Krankheitserregern, auch Tuberkel-
bazillen, aufgewirbelt werden. Läßt sich die Staubbildnng nicht
ganz vermeiden, so empfiehlt es sich, durch ausgiebiges Oefsuen
aller Fenster den Abzug des Staubes zu beschleunigen.
Das Oeffnen der Fenster ist aber auch notwendig für
die Lüftung. In Mietswohnungen und Privathänsern be-
stehen keine besonderen Vorrichtungen, um die verbrauchte Luft
aus den Zimmern fortzuführen und reine Luft an ihre Stelle
zu schaffen. Wir sind ausschließlich auf die Fenster als die
natürlichen Lüftungsöffnungen angewiesen. Da ist es natür-
lich ganz verkehrt, mit Herannahen der kälteren Jahreszeit die
Fenster abzudichten oder gar zuzunageln, damit jeder frische
Luftzug abgehalten würde, und ja niemand in Versuchung käme,
das Fenster zu öffnen. O heilige Einfalt! Gerade im Winter
ist die Luftverunreinigung in den Wohnräumen eine erhöhte,
weil außer dem Menschen die künstliche Beleuchtung und die
Heizung schädliche, ja giftige Gase der Luft beimischen. Und
diese Gase hintanzuhalten bezw. auf einen unschädlichen Grad
der Beimischung herabzudrücken, gibt es kein einfacheres Mittel
als das Oeffnen der Fenster. Kann dies wegen der zu
befürchtenden Auskühlung der Wohnung nicht dauernd oder
längere Zeit der Fall sein, so soll es wenigstens öfter am Tage
auf kurze Zeit geschehen. Im Schlafzimmer enrpfiehlt sich das
spaltförmige Offenlassen des einen Fensterflügels für die ganze
Nacht. — Eine gesunde Wohnung, die den genügenden Luft-
raum hat, kann trotzdem gesundheitsschädlich wirken, wenn die
Ausnutzung der einzelnen Räume eine unzweckmäßige
ist. So sieht man oft das geräumigste und hellste Zimmer als
„gute Stube", den engsten und dunkelsten Raum als gemein-
sames Schlafzimmer für Eltern und Kinder eingerichtet. Solche
Eitelkeit von seiten der Hausfrau ist ein Frevel gegen sich selbst,
ein Unrecht auch gegen den Ernährer der Familie und gegen
die kleinen Kinder. Ersterer kann unmöglich in der schlechten
Luft eines überfüllten Schlafraumes die für die Tagesarbeit
erforderliche Spannkraft und Frische des Körpers und Geistes
wiederfinden, letztere werden nicht gedeihen, wenn sie ihre ersten
Lebensjahre fast ausschließlich in solchem Raume zubringen müssen.
Mair tut besser, aus der wenig oder nur Sonntags nachmittags
benutzten „guten Stube" ein zweites Schlafzimmer und in Krank-
18
Beruf
und Arbeit.
heitsfüllen das Krankenzimmer zu machen. Für die Reinigung
eines als Krankenzimmer benutzten Wahnraumes gelten besondere
Vorschriften, deren genaue Befolgung zur Verhütung weiterer
Ansteckungen in allen Fällen geboten ist. Auch diejenigen Woh-
nungen, in denen ein Tuberkulöser mit ben gesunden Familien-
mitgliedern zusammenwohnt, erheischen hinsichtlich der Ausstattung,
Reinigung und Lüftung besondere Vorsichtsmaßregeln. Auf
beides werden wir später einzugehen haben.
Daß die Art der Beschäftigung auf die Entstehung
der Tuberkulose nicht ohne Einfluß ist, geht aus der verschieden
hohen Sterblichkeit der einzelnen Berufe hervor. So haben z. B.
die Metallschleifer eine erheblich höhere Sterblichkeit au Tuber-
kulose als die Schreiner und Schlosser, und die im Freien be-
schäftigten Personen erkranken weniger häufig an Tuberkulose
als die in geschlossenen Räumen Arbeitenden. Mit jedem Beruf
sind heute Schädigungen verbunden, die die Widerstandskraft
des ganzen Körpers oder einzelner Organe, wie die der Lunge,
herabsetzen können. Bei den im Freien Beschäftigten sind es
die Witterungseinflüsse; bei den in geschlossenen Räumen
Arbeitenden wirkt die schlechte, staubreiche Luft nachteilig; bei
den sitzend Tätigen wird der Stoffwechsel herabgesetzt; wieder
bei anderen, z. B. bei Heizern, rufen die jähen Temperatur-
wechsel Erkältungskrankheiten hervor, kurzum es gibt keinen
Beruf und auch keine Eisenbahnertätigkeit vom Ministerplatz bis
zum Arbeiterstand herunter, der nicht den Körper ungünstig beeür-
flußt und damit die Empfänglichkeit für Tuberkulose steigert.
Um so mehr muß man darauf bedacht sein, daß der jugendliche
im besten Wachstum befindliche Körper nicht durch ungünstige
Lebeusbediuguugen und zu frühe und schwere Arbeit in seiner
Entwicklung gehemmt oder gar unterdrückt wird. Es ist auch,
ganz abgesehen von der Elternpflicht, eine heilige Pflicht gegen
das Vaterland, ihm einen körperlich wohlausgebildeten und
widerstandsfähigen Nachwuchs heranzuziehen! Daher sollen wir
vor der Wahl des Lebensberufes überlegen und prüfen, ob der
körperliche Zustand eines jungen Mannes oder Mädchens den
Eigenheiten, Anforderungen und Schädigungen der betreffenden
Berufsausübung gewachsen ist. Dies gilt ganz besonders dann,
wenn es sich um erblich Belastete und zur Tuberkulose
Veranlagte handelt. Hier und in allen zweifelhaften Fällen
soll der Arzt zu Rate gezogen werden, um aus seiner ärztlichen
Erfahrung heraus den jeweilig geeignetsten Beruf vorzuschlagen.
Ist der Beruf gewühlt, dann kommt alles daraus an, die
Schädigungen während der Arbeit einzuschränken und
durch eine geregelte, gesundheitsgemüße Lebensführung
19
bei und nach der Arbeit auszugleichen. Das erstere geschieht
staatlicherseits durch die Gewerbeordnung und Gewerbeaufsicht,
die über Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit, über die
Ruhepausen, über die Staubbeseitigung in Werkstätten und über
die Lüftung der Arbeitsräume, über die Beschäftigung jugend-
licher Personen in besonders gefährdeten Berufen und dergl.
Bestimmungen trifft. Auch die Arbeitgeber lassen es nicht an
Vorschriften und Einrichtungen fehlen, um die Gefahren der
einzelnen Berufs,pveige für die Arbeitnehmer nach Möglich-
keit auszuschalten. Immer aber wird es von dem Arbeiter
selbst abhängen, ob er bei seiner Berufstätigkeit mehr oder
weniger Schaden an seiner Gesundheit nimmt. Denn die besten
Einrichtungen für Lüftung und Staubabführung nützen der
Allgemeinheit und dem einzelnen nichts, wenn sie überhaupt nicht
oder nicht vorschriftsmäßig bedient und benutzt werden.
Alle Verbote und Strafandrohungen, die sich auf das Beschmutzen
der Fußböden mit Lungenanswurf beziehen, bleiben tote Buch-
staben, wenn nicht die in Räumen beschäftigten Mitarbeiter selbst
Kontrolle ausüben und den Schuldigen zur Anzeige bringen.
Jeder, der einmal eine schwere Erkrankung an Typhus, Fürsorge für
Lungenentzündung, Scharlach, Influenza durchgemacht hat, weiß Genesende,
aus eigener Erfahrung, daß seine körperliche Leistungsfähigkeit
und Widerstandskraft gegen äußere Einflüsse oft noch Wochen
lang nach der bereits üb erstand enen Krankheit herabgesetzt war.
In solchem Erschöpfungszustände bildet der menschliche Körper
den denkbar besten Nähr- und Ansiedelnngsboden für die
Tuberkelbazillen. Jetzt braucht nicht wie in gesunden Tagen
eine länger dauernde Gelegenheit vorhanden zu sein, immer
wieder die Bazillen in sich aufzunehmen; es genügt meist
eine einzige Gelegenheit zur Ansteckung. Wie viele
schwindsüchtige Eisenbahner müssen heute ihr Leiden auf eine
Lungenentzündung oder Influenza zurückführen, weil sie nach
Ablauf derselben der Lunge keine Zeit ließen, sich wieder zu
kräftigen und völlig widerstandsfähig zu werden! Wir werden
daher begreifen, daß Genesende nicht gleich wieder ihren
Arbeitsplatz aufsuchen dürfen, daß eben gesundete Frauen nicht
gleich wieder alle Hansfrauensorgen und -Arbeiten übernehmen
dürfen, daß noch geschwächte Kinder nicht gleich wieder die
Schule besuchen dürfen. Die Arbeit an sich schädigt weniger
als das, was bei der Arbeit entsteht: der Staub und die
schlechte Luft und in diesen der Tuberkelbazillus. Wir
werden vielmehr raten, daß solche in Genesung befindliche
Personen bei kräftiger Ernährung die stärkende Luft nüchst-
gelegener Waldungen aufsuchen (Walderholungsstütten), oder daß
20
sie durch Ruhe und Pflege in Erholungsstätten (Lokomotivführerheim
in Münden, Erholungsheim in Borkum, Jlsenburg i. H., Elgers-
burg i.Th.), durch Teilnahme an den Ferienkolonieen wieder in den
Vollbesitz ihrer Widerstandskraft zu gelangen suchen. Damit würde
vorbeugend manch Opfer der Schwindsucht entrissen werden!
Das andere Hauptziel der Tuberkuloseverhütung geht
dahin, die Ansteckung mit dem Tuberkelbazillus zu verhindern.
B. Die Verhütung der Ansteckung.
Nahrungs- Daß durch die Nahrungsmittel Tuberkulose übertragen
mittel. werden kann, haben wir bereits erwähnt. Der praktisch wich-
tigsten Tuberkuloseübertragung durch die Milch hochgradig
tuberkulöser Kühe beugt am sichersten das Aufkochen oder die
halbstündige Erhitzung der Milch auf 70" mit nachfolgender
schneller Abkühlung — das Pasteurisieren der Milch — vor.
Durch letzteres wird insbesondere der Geschmack der Milch und
ihre Bekömmlichkeit für kleine Kinder gar nicht beeinträchtigt.
Hinsichtlich der übrigen Nahrungs- und Genußmittel genügt im
allgemeinen ein gewisser Grad von Vorsicht und Umsicht seitens
der Hausfrau. So ist z. B. das vom Schlachter geholte Fleisch
in allen Fällen gründlich abzuwaschen; gekauftes Obst ist vor
dem Genuß abzuspülen, abzureiben oder zu schälen; die Backware
ist nicht im Arm oder in der Schürze, sondern im Brotbeutel
oder Brötchenkorb zu holen; übriggebliebene Speisen dürfen
nicht herumstehen, wo Staub oder Fliegen herankommen
können u. dergl. mehr. Schwindsüchtige Personen, die viel
husten, sollen der Küche aus gesundheitlichen wie appetitlichen
Gründen ganz fernbleiben. Im großen ganzen schützt vor einem
Ueberhandnehmen der Ansteckungsgefahr durch die Ernährung
unsere Nahrungsmittel-Gesetzgebung.
Auswurf. Die Hauptgefahr ist und bleibt das achtlose Ausspucken
Tuberkulöser auf den Boden und das rücksichtslose
Husten Tuberkulöser mit offenem Munde. Auf anderen
Wegen würden wohl noch hier und da ein paar Tuberkelbazillen ihrem
Träger entschlüpfen können, aber die Jagd auf sie wäre überflüssig.
Licht und Sonne, Regen und Kälte, schließlich der menschliche
Körper mit seinen Schutz- und Abwehrvorrichtungen würden den
vereinzelt vorkommenden Exemplaren den Garaus machen. Aber
das Spucken hört trotz aller Spuckverbote noch immer nicht auf.
Auswurf- Die Uebertragung der Tuberkelbazillen durch ver-
Beseitigung. stäubten Auswurf wird zur Unmöglichkeit, wenn jeglicher
Auswurf in eine Flüssigkeit entleert wird, denn dann ist sein
Austrocknen und Uebergehen in die Luft ausgeschlossen. Zur
Erreichung dieses Zieles dienen die Zimmerspucknäpfe und die
21
Taschenspuckfläschchen. Erstere sollen in jedem Privathause,
in dem ein Lungenkranker wohnt, ferner überall dort, wo viele
Menschen verkehren (Wartezimmer und Bahnsteige, Wirtschaften,
Eisenbahnwagen, Fabriken, Treppenhäuser, öffentliche Gebäude
u. s. w.), aufgestellt werden. Sie sind bis zur Hälfte mit
Wasser zu füllen und so aufzustellen, daß sie leicht gesehen,
aber schwer umgestoßen werden können. Ein Taschenspuck-
fläschchen soll jeder Lungenkranke, der überhaupt Auswurf hat,
bei sich tragen und benutzen. Am bekanntesten ist wegen seiner
mannigfachen Vorzüge vor allen andern Spuckfläschchen das
Dettweilersche. In den meisten Heilstätten sind nur Taschen-
spuckfläschchen im Gebrauch und in jedermanns beständigem
Besitz, während Zimmerspeinäpfe gar nicht aufgestellt sind. Die
Benutzung der letzteren im Hause hat beit Nachteil, daß gelegentlich
die Haustiere (Hunde, Katzen) daran gehen, dabei den Inhalt
auf die Umgebung verspritzen, oder durch Lecken auf Menschen
übertragen. Auch verschleppen von hier im Sommer Fliegen
und andere Insekten bazillenhaltiges Material auf Nahrungs-
mittel, Gebrauchsgegenstände, schlafende Kinder u. s. w. Doch
diese kleinen Nachteile kommen gar nicht in betracht gegenüber
der großen Gefahr, die durch das Ausspucken auf den Fußboden
gegeben ist. Bettlägerige Kranke müssen einen Zimmerspucknapf
oder noch besser einen bequemen Handspuckbecher mit Deckel am
Bett zu stehen haben, falls sie es nicht vorziehen, das Taschen-
spuckfläschchen zu benutzen.
Die Reinigung des Taschenspuckfläschchens soll
morgens und bei reichlichem Auswurf auch tagsüber oder abends
erfolgen in der Weise, daß der Auswurf ins Kloset entleert
und das Fläschchen mit einer einprozentigen Roh-Lysoformlösung
nach- oder durchgespült wird. Der Zimmerspucknapf ist all-
morgendlich durch einfaches Ausgießen des Inhalts direkt ins
Kloset zu entleeren. Daß eine Verunreinigung des Abortsitzes
hierbei peinlichst zu vermeiden bezw., wenn geschehen, durch ein
mit Roh-Lysoform angefeuchtetes Läppchen gründlich zu ent-
fernen und letzteres sofort in den Abort zu werfen ist, wird
jedem selbstverständlich erscheinen. Darauf hat man sich die
Hände zu waschen. Das Kochen des Auswurfs vor dem Aus-
gießen sollte man niemandem zumuten; es ist auch nicht un-
bedingt notwendig. Dagegen halte ich das Nachspülen des
Fläschchens mit einer einprozentigen Roh-Lysoformlösung für
sehr wichtig und notwendig, damit in dem Fläschchen keine
Bakterien zurückbleiben, die fäulniserregend wirken und durch
den entstehenden Geruch den Gebrauch der Flasche unangenehm
machen könnten. Es empfiehlt sich ein besonderes irdenes Gefäß
22
Husten.
(Kännchen) für das Nachspülen anzuschaffen und üt diesem eine
Roh-Lysoformlösung (1 Kaffeelöffel Roh-Lysoform auf 1/2 Liter
Wasser) vorrätig zu halten. Man wird nicht behaupten können,
daß das vorgeschlagene Reinigungsverfahren so zeitraubend oder
so unappetitlich ist, um deshalb den Gebrauch der Spuckflasche
von sich zu weisen. Jeder Tuberkulöse sollte vielmehr stets
beherzigen, daß er die Spuckflasche in erster Linie zu seinem
eignen Schutz und Vorteil gebraucht. Durch Wiedereinatmuug
der ausgespuckten Bazillen werden nämlich in erster Linie seine bis
dahin gesund gebliebenen Lungenpartieen auch noch tuberkulös.
Wir kommen zur Verhütung der Tuberkulose-
ansteckung durch den verspritzten Auswurf. Man braucht
nur einmal gegen einen Handspiegel zu niesen oder denselben
mit offenem Munde anzuhusten, um sich davon zu überzeugen,
wieviel kleine und kleinste Tröpfchen durch den Akt des Niesens
und Hustens gegen den Spiegel geschleudert sind. Da nun bei
Schwindsüchtigen solche verspritzten Tröpfchen Tuberkelbazillen
enthalten können, ist von den Kranken zu verlangen, daß sie
beim Husten den Mund fest schließen. Dies bedarf keiner
langen Uebung, wer daran denkt, bringt es auch fertig. Die
beabsichtigte Wirkung, das Verspritzen von Auswurfteilchen zu
verhindern, kann noch dadurch gesichert werden, daß der Hustende
die Hand oder das Taschentuch vor den Mund hält.
Die Vorsicht des Hustens mit geschlossenem Munde und vor-
gehaltener Hand bezw. Taschentuch empfiehlt sich besonders für
den engen Verkehr der Tuberkulösen mit ihren Familien-
angehörigen; sie ist geboten bei der Pflege und Wartung der
Kinder durch tuberkulöse Mütter. Die Möglichkeit der Krank-
heitsübertragung durch verspritzten Auswurf zwingt ferner zu
dem Verbot, daß ein Tuberkulöser mit einem Gesunden das
Bett teilt, daß ein Tuberkulöser Gesunde auf den Mund küßt
und dergl. mehr. Damit kommen wir zu einer besonderen
Gesundheitspflege des Tuberkulösen und zu besonderen
gesundheitlichen Vorschriften für denjenigen Haus-
halt, in dem ein Tuberkulöser lebt.
V. Die
Gesundheitspflege des Tuberkulösen.
Die Gesundheitspflege des Lungenkranken hat außer
den eben gegebenen Vorschriften über Auswurfbeseitigung und Art
des Hustens die Körperpflege, Kleidung und Ernährung zu berück-
sichtigen. Alles, was wir früher zu diesen Punkten bemerkt haben,
gilt im allgemeinen auch für den Tuberkulösen. Wo Unklarheit und
Ungewißheit besteht, soll in jedem einzelnen Falle der Rat des Arztes
23
eingeholt werden. In erster Linie hat der Tuberkulöse auf die
peinlichste Reinlichkeit an seinem Körper zu achten. Ins- Reinlichkeit,
besondere sind die Lippen nach jedesmaligem Husten und Aus-
werfen mit dem reinen Taschentuche abzuwischen; der Bart ist
zu Pflegen und der Schnurrbart so zu tragen, daß in demselben
keine Auswurfteilchen hängen bleiben können; die Hände sind
besonders häufig mit Wasser und Seife zu reinigen, regelmäßig
nach dem Reinigen der Spuckslasche, nach der Arbeit und vor
jedem Essen. Dabei ist die Entfernung des Schmutzes unter
den Fingernägeln nicht zu vergessen.
Die Abhärtung der Haut und des ganzen Körpers ist Abhärtung,
für beit Lungenkranken eine zwingende Notwendigkeit; sie wird
erzielt durch allmorgendliche Abreibungen des Körpers, besonders
des ganzen Oberkörpers mit stubenwarmem Wasser, ferner durch
den regelmäßigen Gebrauch von Wannenbädern (340 C) mit
kühlen Uebergießungen (24—28 °C) und durch Duschen von
20—30 °C. Man hüte sich nur vor zu einseitigen und an-
greifenden Wasserkuren, die der kranken Lunge mehr schaden, als
sie der Abhärtung je nützen können. Dies gilt ganz besonders
von den sog. Kneippkuren! Flußbäder sind ganz zu meiden bezw. nur
im Hochsommer tiach ausdrücklicher ärztlicher Erlaubnis zu nehmen.
Der Tuberkulöse hüte sich auch vor jedem Zuviel im Sport usw.
Turnen, Bergsteigen und in den sportlichen Uebungen des
Ruderns, Radfahrens, Schwimmens und dergl. Die Gefahr
der Lungenblntung schwebt dabei über jedes Tuberkulösen Haupte.
In allen Fällen ist vor der Teilnahme an Turn-, Schwimm-,
Rudervereinen der Arzt zu fragen. Im allgemeinen genügen
für den Lungenkranken Spaziergänge auf ebenem oder mäßig
ansteigendem Terrain, verbunden mit Tiefatmungen, unterbrochen
durch Ruhepausen. Das Spielen von Blasinstrumenten wird
vom Lungenkranken am besten ganz eingestellt und nur auf
ärztlichen Rat wieder aufgenommen. Auch die Frage, ob der
Kranke einem Gesangverein als Sänger angehören oder bei-
treten kann, wird der Arzt je nach dem Lungen- und Kehlkopf-
befund zu entscheiden haben.
Die Mundpflege mittels Zahnbürste und Zahnpulver Zahnhürste,
ist durch den Gebrauch keimtötender Mundwässer noch wirksamer Zahnpulver,
zu gestalten als in gesunden Tagen. Jeder Tuberkulöse muß un st,a"er’
eine eigene Zahnbürste besitzen, die von keinem anderen
Familienmitgliede benutzt werden darf und von Zeit zu Zeit
mit kochendem Wasser abzubrühen ist. Als Zahnpulver enipfiehlt
sich Schlemmkreide, die man in der Schachtel mit einigen
Tropfen Pfefferminzöl verrührt hat. Ein in jeder Hinsicht vor-
zügliches Mundwasser entsteht durch Mischung und Auflösung
24
von 3 Gramm Thymol und 2 Gramm Pfefferminzöl mit 100 Gramm
bestem Spiritus. Man kann es sich selbst Herstellen oder in
jeder Apotheke oder Drogenhandlung nach .dieser Angabe an-
fertigen lassen. Für den Gebrauch nimmt man auf ein Gläs-
chen Wasser 3—6 Tropfen, je nachdem man das Mundwasser
kräftiger oder milder wünscht. Zum Spülen des Mundes und
Gurgeln des Rachens kann man auch Wasser benutzen, dem
einige Tropfen Myrrhentinktur zugesetzt sind. Durch regelmäßige
Mnndspülungen — morgens, mittags und abends — werden
etwa im Munde haften gebliebene Bazillen entfernt. Damit
wird der Kranke die Gefahr, die Tuberkelbazillen auf sich, z. B.
von der Lunge auf den Darm, weiter zu verbreiten oder von
sich auf seine Familienmitglieder zu übertragen, ganz erheblich
einschränken, wenn nicht ganz ausschalten.
Kleider- Die mit Auswurfstoffen beschmutzten Kleidungsstücke
Reinigung, bilden eine große Ansteckungsgefahr. Werden doch z. B.
Kinder, die auf den Armen einer tuberkulösen Person spielen
oder an deren Kleidern sich festhalten, mit ihren Händchen die
Tuberkelbazillen aufgreifen und in den Mund führen können.
Schmutzflecke an der Oberkleidung, besonders vorn am Brustteil
derselben, sind gründlich mit Seife und heißem Wasser oder
mit Seifenspiritns auszureiben. Anzüge und Kleider sind von
Zeit zu Zeit an sonnigen und luftigen Plätzen aufzuhängen und
danach iin Freien auszuklopfen und auszubürsten. Von Tuber-
kulöser: getragene Kleidungsstücke dürfen nur dann an Ge-
sunde verschenkt oder für Gesunde umgearbeitet werden, wenn
sie vorher gründlich desinfiziert sind. Die Desinfektion erfolgt
für wollene, baumwollene und leinene Kleider mittels strömenden
Wasserdampfes oder mittels Formalindämpfen durch besonders
konstruierte Desinfektionsapparate (siehe Wohnungsdesinfektion
Seite 32). Lederwaren, Pelzwerk, Felle, Gummisachen, Filz
vertrage:: das Desinfizieren mit strömendem Danyif nicht; für
diese empfiehlt es sich, sie längere Zeit den Licht- und Sonnen-
strahlen auszusetzen und dann mit einer einprozentigen Roh-
Lysoformlösung (1 Kaffeelöffel auf 1/2 Liter Wasser) abzureiben
oder damit im Freien feucht zu bürsten.
Wäsche- Eine ganz besondere Sorgfalt ist auf die Reinigung der Leib-
Desinfektion. ^ Zs che des Tuberkulösen zu verwenden. Sie muß nach dem Ge-
brauch gesammelt werden, damit nicht durch Herumwerfen derselben
der bazillenhaltige Wäschestaub in die Luft gelange:: kann; sie
muß ferner vor dem Waschen desinfiziert werden, damit nicht
die Krankheitserreger auf die ganze übrige Wäsche, auf die
Atmungswege oder die Finger der Waschenden übertragen
werden. Zu empfehlen ist folgendes Verfahren, den: auch
unter ganz bescheidenen Verhältnissen entsprochen werden kann:
Der Kranke steckt seine sämtliche Leibwäsche sofort nach dem
Ablegen in einen dichten, leinenen Wäschebeutel, der in nächster
Nähe des Bettes — am besten am Kopfende der Bettstelle —
aufgehängt ist. Etwa 24 Stunden vor Beginn des Waschens
wird dann der Beutel mit der Wäsche in eine ein-
prozentige Roh-Lysoformlösung gelegt, wobei darauf zu
achten ist, daß das Gefäß groß genug ist und genügend Flüssig-
keit enthält, damit sämtliche Wäsche von letzterer bedeckt wird.
Es ist also der gefüllte Wäschebeutel Sonntags früh in der
schnell herzustellenden Roh-Lyfoformlösnng (siehe unten) einzu-
weichen, wenn die Hausfrau Montags früh zu waschen an-
fangen will. Nach der 24stündigen Einwirkung wird die Wäsche
in feuchtem Zustande auseinander gesucht, je nachdem sie jetzt
gekocht oder kalt gewaschen werden soll. Wollene Strümpfe
braucht man weder im Wäschebeutel zu sammeln noch mit einzu-
weichen, weil sie durch das Einweichen zu schrumpfen Pflegen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß Strümpfe Tnberkelbazillen beher-
bergen, liegt eigentlich auch nur beim Vorhandensein von tuber-
kulösen Knocheneiterungen (Knochenfraß) an den Füßen vor.
In diesem Falle wird man die Strümpfe in einer kalten ein-
prozentigen Roh-Lysoformlösung durchzuwaschen haben. Dagegen
ist die Maßnahme des 24ftünbigen Einweichens in einprozentiger
Roh-Lysoformlösung für die Behandlung der Taschentücher
außerordentlich wichtig. Da die Taschentücher zum Abwischen des
Mundes benutzt und beim Niesen und Husten vor den Mund
gehalten werden, müssen sie im Gebrauch von Tuberkulösen zu
Bazillenträgern werden, auch wenn in sie nicht hineingespuckt
wird. Letzteres soll eigentlich nicht vorkommen, wird aber als
das kleinere Uebel gegenüber dem Ausspucken auf den Fußboden
gestattet werden müssen, wenn dem Kranken ein Taschenspuck-
fläschchen oder Zimmerspucknapf nicht zur Verfügung steht.
Geschieht es, so ist das Taschentuch bei nächster Gelegenheit zur
schmutzigen Wäsche in den Wäschebeutel zu stecken. Ueberhanpt
sollte man niemals ein Taschentuch eine ganze Woche lang be-
nutzen, wie es vielfach geschieht. Der Tuberkulöse soll sich jeden
Morgen ein reines Taschentuch leisten und abends das gebrauchte
in den Wäschebeutel stecken, gleichgiltig, ob es sichtbar schmutzig
ist oder nicht. Zur Herstellung der desinfizierenden Lösung
benutzt man das „Roh-Ly so form", das einerseits erheblich billiger
ist als das gereinigte Präparat „Lysoform", andererseits energischer
desinfiziert. Auf jeden Liter Wasser kommen 2 Kaffeelöffel =
10 ccm Roh-Lysoform, in einem kleineren Eimer also auf
5 Liter Wasser 50 ccm oder 10 Teelöffel, in einem größeren
26
Eimer auf 10 Liter Wasser 100 ccm oder 20 Teelöffel Noh-
Lysoform. Geeignete Meßbecher erleichtern das Abmessen. Van
anderer Seite wird verdünntes Kresolwasser oder eine Lysol-
lösung zur Desinfektion der Wäsche empfohlen. Es läßt sich
indes gegen die Anwendung beider Mittel mit Recht der Ein-
wand erheben, daß die Wäsche danach trotz des folgenden
Waschens, Kochens u. s. w. den unangenehmen Kresolgeruch
behält. Das ist beim Roh-Lysoform nicht der Fall, im Gegen-
teil, die Wäsche, die durch die Roh-Lysoformlösung nicht im
geringsten leidet, nimmt den sehr angenehmen Geruch an, als
ob sie nnt parfümierter Seife gewaschen wäre. Auch sind
Kresol und Lysol wegen ihrer Giftigkeit jetzt nur auf ärztliches
Rezept hin in der Apotheke zu bekommen und deshalb recht
teuer, während das Roh-Lysoform den: freien Verkauf überlassen
und billig ist.
Die Bedeutung einer reichlichen, nahrhaften und ab-
Kost. wechselungsreichen Kost für der: Verlauf der Tuberkulose ist
bekannt. Besonderer Diätvorschriften bedarf es für den
Tuberkulösen nicht, solange die Verdauungsorgane gesund sind
und normal funktionieren. Bestehen Appetits- oder Verdauungs-
störungen, so wird nur der Arzt von Fall zu Fall die richtigen
Anweisungen geben können. Auch der Tuberkulöse soll an der
gemischten Kost festhalten, in ihr liegt sein Heil, nicht in der aus-
schließlichen Fleischnahrung, ixocf) weniger in der ausschließlichen
Pflanzennahrung und auch nicht in einem Massenkonsum von Eiern,
die in ihrer Ernührungswirkung ganz allgemein und sehr überschätzt
werden. Die Hühnereier sind zwar für die Küche außerordentlich
wertvoll als Hilfsmittel bei der Zubereitung von Suppen, Fleisch-
und Mehlspeisen, aber man sollte nie vergessen, das 1/s Liter Milch
mehr an ernährenden Stoffen enthält als ein Hühnerei von
50 Gramm Gewicht. Daher ist auch für den Lungenkranken neben
Milch, der gemischten Kost das beste und billigste Stärkungsmittel die Mil ch,
die er zu den einzelnen Mahlzeiten oder zwischen dieselben ein-
geschaltet bis zur Menge von 1, höchstens 11/2 Litern pro Tag
trinken soll. Was darüber ist, ist vom Uebel, denn zu viel Milch
füllt den Magen und benimmt den Älppetit und das Verlangen
nach den Hauptmahlzeiten. Widersteht die Milch nach lange fort-
gesetztem Genuß, so ist ihr Geschmack durch Zusatz von etwas
Kaffee oder Tee zu verdecken; bekommt sie nicht gut (Völle,
Durchfälle), so genügt oft der Zusatz eines Eßlöffels Kalkwasser
zum Becher Milch, um sie bekömmlich zu machen. Ist das
nicht der Fall, so werden bei den einzelnen Mahlzeiten Milch-
suppen, Milchbreie oder nnt Milch bereiteter Kakao zu bevor-
zugen sein. Wenn man nicht sicher weiß, daß die Milch aus
27
einem gesunden und saubern Stall stammt, empfiehlt es sich
immer, dieselbe sofort nach Empfang bis zum Kochen zu
erhitzen oder zu pasteurisieren. Letzteres (siehe Seite 20)
empfiehlt sich stets für die Kindermilch. Durch das Kochen
bezw. Pasteurisieren erzielt man gleichzeitig, daß sich die Milch
auch im Sommer hält, ohne sauer zu werden. Die Milch ist
stets zugedeckt an kühlen Orten aufzubewahren.
Bier und Wein sind den Lungenkranken nur in ganz Getränke,
geringen Mengen zu gestatten. 1/2 Liter leichtes Bier oder
1/i Liter leichter Wein werden, auf die Mittags- und Abend-
Mahlzeit verteilt, in vielen Fällen die Nahrungsaufnahme
steigern und die Verdauung fördern. Dagegen ist jeglicher
Schnapsgenuß und jede Ausschreitung im Bier- und
Weingenuß aufs dringlichste zu widerraten. Wie mancher
„kleiner" Rausch mit seinen unausbleiblichen Folgen hat eine
tätliche Lungenblutung bei Tnberknlösen verursacht! Den
Durst bei der Arbeit löscht kalter Kaffee oder Tee oder ein
Schluck kühlen Leitungs- oder Selterswassers besser als Bier;
zu kaltes Bier ruft gerade bei Lungenkranken oft sehr hartnäckige
Verdauungsbeschwerden hervor, und der Schnapsgenuß steigert
nur das Durstgefühl und gleichzeitig den Hustenreiz.
Zu dem Kapitel über die Gesundheitspflege des Tuberkulösen
gehört schließlich auch noch ein Thema, das dem Kranken gegen-
über meist totgeschwiegen oder nur oberflächlich gestreift wird
— Tuberkulose und Ehe. Und doch sollten gerade die Be- Ehe.
ziehungen der Tuberkulose zur Ehe wegen ihrer gesundheitlichen
und volkswirtschaftlichen Bedeutung für den einzelnen und die
Allgemeinheit genau bekannt sein. Die Frage, ob und wann
Tuberkulöse heiraten dürfen, ist nicht für alle Verhältnisse
gleich zu entscheiden. Es werden in unserer Zeit, die wie keine
frühere ihr Augenmerk auf die Tuberkulose-Bekämpfung gerichtet
hat, immer wieder Stimmen laut, die mit drakonischen Gesetzes-
bestimmungen das Eheverbot für alle Tuberkulösen fordern. Eheverbot.
Eine solche Forderung ist undurchführbar und auch ungerecht-
fertigt; sie beweist aber, welche Rolle der Ehe hinsichtlich der
Erkrankungen und Sterbefülle an Tuberkulose zugeschrieben wird.
Und in der Tat gibt es ein recht düsteres Bild von dem Segen
und Glück der Ehe, wenn wir folgende Gedanken aneinander
reihen: Für denjenigen Tuberkulösen, der allein von seiner
Hände Arbeit lebt, bedeutet die Ehe eine Verschlechterung seiner
wirtschaftlichen Lage. Er muß mit der Frau und der zu-
nehmenden Kopfzahl der Kinder Nahrung nnd Wohnung teilen,
die er vorher sich allein gönnen konnte. Beides ist aber, wie
wir gesehen haben, für die Erhaltung seiner körperlichen Wider-
28
Heirats-
Erlaubnis.
standskraft von bestimmendem Einfluß und darf daher eine allzu
große Einschränkung nicht erfahren. Für den tuberkulösen weib-
lichen Teil bringt die Ehegemeinschaft sogar direkte Gefahren:
die Schwangerschaft beeinflußt auffallend häufig den Gesamt-
zustand tuberkulöser Frauen ungünstig, Entbindung und Wochen-
bett Pflegen den Verlauf der Tuberkulose zu verschlimmern,
Früh- und Fehlgeburten können eine verschlossene oder zum Stillstand
gekommene Tuberkulose wieder zum Aufflackern bringen. Und
wie steht es mit der Nachkommenschaft Tuberkulöser? An
reichem Kindersegen fehlt's meist nicht, aber in der Nach-
kommenschaft Tuberkulöser kommt wieder sehr häufig
Tuberkulose vor. Die Kinder kommen mit Körpereigen-
schasten zur Welt, die die Entstehung der Tuberkulose be-
günstigen, und das enge Zusammenleben in der Familie
ermöglicht den Uebergang des Tuberkelbazillus von dem
Kranken auf das empfängliche Kind. So werden tuberkulöse
Hirnhautentzündungen, tuberkulöse Darm- und Lungenkatarrhe,
tuberkulöse Drüsen-, Knochen- und Gelenkkrankheiten die Würg-
engel, die die Nachkommenschaft Tuberkulöser meist schon in den
Kinderjahren dahinraffen.
Weiter haben wir die Gefährdung des mit dem Tuber-
kulösen in ehelicher Gemeinschaft lebenden gesunden
Teiles zu berücksichtigen. Da die Tuberkulose eine ansteckende
Krankheit ist, wird die Möglichkeit der Ansteckung durch nichts
mehr erleichtert als durch den ehelichen Verkehr in der Familie.
So oft und so lange der Tuberkulöse Bazillen aushustet, bildet er
eine Gefahr für den andern Ehegatten. Diese Gefahr läßt sich nur
durch eine streng und ständig durchgeführte Befolgung der ge-
gebenen Vorsichts- und Verhütungs-Maßregeln auf einen ge-
ringen Grad herabdrücken bezw. ausschalten. Darum, Ihr tuber-
kulösen Ehemänner und Ehefrauen, befolgt — es kann nicht
oft genug eingeschärft werden — das hierüber Gesagte aufs
gewissenhafteste in beiderseitigem Interesse! Ihr tuberkulösen
Junggesellen und Jungfrauen aber prüft Euch selbst auch in
gesundheitlicher Hinsicht und laßt Euch vor allem prüfen und
beraten durch Euren Arzt, bevor Ihr ein Verlöbnis eingeht.
Wann Tuberkulösen die ärztliche Heiratserlaubnis zu
erteilen, wann zu versagen ist, läßt sich nur von Fall zu Fall
entscheiden. Es ist hier nicht der Ort, auf alle die in Frage
kommenden Einzelheiten einzugehen; es genüge, die springenden
Punkte hervorzuheben. Zunächst ist zuzugeben, daß unter ge-
wissen Umstünden die Vorteile der Ehe größer sein können als
die Nachteile z. B. für leichtlebige Tuberkulöse in günstigen
Verhältnissen, vorausgesetzt, daß die Gefahr der Ansteckung wegen
29
Fehlens von bazillenhaltigem Auswurf nicht vorliegt. Ist der
tuberkulöse Lungenprozeß abgeheilt und zwei Jahre lang ab-
geheilt geblieben, so stehen der Erteilung der Heiratserlanbnis
im allgemeinen keine Bedenken entgegen. Auch dann, wenn
zwar ein noch nachweisbarer, aber jahrelang zum Stillstand ge-
kommener Krankheitsherd vorliegt, wird der Arzt eine beab-
sichtigte Heirat zugeben können, falls der Krankheitsträger ein
männliches Individuum in gutem Allgemeinbefinden und Kräfte-
zustand, ungestörter Arbeitsfähigkeit, günstiger Vermögens-
lage und sicherer Lebensstellung ist. Handelt es sich unter den
gleichen Bedingungen aber um eine weibliche Kranke, so wird
man von der Ehe abraten und dies mit besonderem Nachdruck
dann, wenn der Kehlkopf tuberkulös erkrankt ist, sei es auch
nur in leichtester Form. In allen frischen Fällen von Tuber-
kulose ist beiden Geschlechtern das Eingehen der Ehe unter allen
Umständen zu widerraten, weil man gar nicht weiß und voraus-
sagen kann, wie die Tuberkulose im Einzelfall verlaufen wird.
Erkrankt während der Ehe der eine Teil an Tuber- Tuberkulöse
kulose, so gehe er sofort zum Arzt und befolge dessen Ratschläge, Ehegatten,
auch wenn es große Ueberwindung kostet, die eigene Häuslich-
keit der Kur wegen zu verlassen. Auch im Hause wird der Kranke
in mancher Hinsicht Entsagung üben müssen, aber das Familien-
und Eheleben braucht keineswegs ein weniger glückliches zu sein,
selbst wenn hinsichtlich der Zärtlichkeiten, Liebkosungen und des
Geschlechtsverkehrs Entsagung oder weise Mäßigung geübt wird.
Tritt bei einer tuberkulösen Ehefrau Schwangerschaft ein, so ziehe
man bei Zeiten den Arzt zu Rate, denn nur dieser kann ent-
scheiden, was im Interesse von Mutter und Frucht geschehen muß.
Tuberkulöse Frauen dürfen ihre Kinder niemals stillen, gleich-
gültig, ob sie sich kräftig mid gesund fühlen, ob Schwangerschaft
und Entbindung gut oder schlecht verlaufen sind. Auch tuber-
kuloseverdächtigen Müttern ist das Stillen im eigensten Interesse
zu widerraten. Im übrigen gilt für die Pflege des Lungen-
kranken und zum Schutze des gesunden Teiles in der Ehegemeinschaft
das, was das folgende Kapitel über den Haushalt des Tuber-
kulösen besagt.
VI. Die
Gesundheitspflege des Haushaltes.
Welcher Art müssen die gesundheitlichen Vorschriften für
den Haushalt sein, in dem ein Tuberkulöser lebt? Sie haben
den Zweck, den Kranken für seine Familie und in seiner
Familie zu erhalten, ohne daß durch sein Zusammenleben
mit Gesunden letztere angesteckt werden.
30
Leichtkranke.
Schwerkranke.
Was hinsichtlich der Wohnung für die Gesunden verlangt
wurde, das gilt erst recht, wenn ein Kranker im Hause ist; es
stellt das Mindestmaß dar, das der Tuberkulöse haben muß, um
nicht kränker zu werden. In Einzelheiten wird sich die Gesund-
heitspflege des Haushaltes nach der Schwere der Erkrankung
des Familienmitgliedes richten.
Der leichtkranke Tuberkulöse bedarf im allgemeinen
keines besonderen Schlafzimmers; nur muß er stets ein Bett
für sich alleür haben, das nicht dicht an ein anderes Bett
heranznstellen ist, um die Ansteckungsmöglichkeit durch verspritzte
Tröpfchen hintanzuhalten. Die Bettwäsche soll alle 14 Tage
gewechselt werden. Sie wird dann in einen Bezug zusammen-
gesteckt und vor dem Waschen — zusammen mit der Leibwäsche
des Kranken — etwa 24 Stunden lang in einer einprozentigen
Roh-Lysoformlösung eingeweicht (siehe S. 25 n. 26). Danach
kann die Wäsche ohne Rücksicht auf die Schwere der Erkrankung
gemeinsam mit der der gesunden Familienmitglieder gewaschen
werden.
Für die Wartung und Pflege eines Schwerkranken in
der Familie kommen noch folgende Vorsichtsmaßregeln hinzu.
Muß der Tuberkulöse auch nachts husten und auswerfen, oder
ist der Schlafraum an sich eng oder dunkel, so ist dem Kranken
ein Zimmer, und zwar das hellste und sonnigste der Wohnung,
zum Krankenzimmer einzurichten. Aus demselben sind alle
überflüssigen Möbel und Gerätschaften zu entfernen, um die
tägliche Reinigung des Raumes zu erleichtern. Auch Polster-
möbel, Teppiche und Gardinen sind nur soweit im Raume zu
belassen, als sie zur Wahrung des wohnlichen und gemütlichen
Charakters eines Wohnzimmers unbedingt notwendig sind.
Das Zimmer ist tagtäglich zu reinigen, und zwar ist es
zur Staubvermeidung dringend geboten, die Reinigung des
Fußbodens nur feucht — dem Wasser wird etwas Soda oder
Schmierseife oder Roh-Lysoform zugesetzt — vorzunehmen.
Schleppende Hauskleider, durch die der Bodenstaub aufgewirbelt
oder in andere Räume verschleppt wird, sind selbstverständlich
nicht am Platze. Die Möbel werden nicht abgestaubt, sondern
ebenfalls feucht mit einer einprozentigen Roh-Lysoformlösung
abgerieben. Während des Reinigens find die Fenster offen zu
halten, desgleichen ist tagsüber und auch nachts durch teilweises
Oeffnen eines Fensterflügels eine dauernde Lüftung des
Raumes zu bewirken. Der Kranke muß seine eigene Wasch-
gelegenheit mit sämtlichem Zubehör, Handtuch, Schwamm und
dergleichen im Zimmer haben, ferner sein besonderes Eß- und
Trinkgeschirr und gegebenen Falles sein eigenes Mundtuch. Das
31
Waschgeschirr ist mit eigenen Tüchern auszutrocknen, das Eß-
und Trinkgeschirr nach Gebrauch ein paar Minuten in heißem
Sodawasser zu belassen und dann abzuwaschen.
Wird der Schwindsüchtige ganz bettlägerig, so ist ihm
ein Spncknapf an das Bett zu stellen. Mit Auswurf beschmutzte
Stellen des Fußbodens sind sofort mit Roh-Lysoform aufzu-
nehmen und aufzureiben; das benutzte Läppchen kommt ins Feuer.
Der Körper des Kranken, namentlich Gesicht und Hände, müssen
täglich mehrmals sorgfältig mit warmem Seifenwasser gereinigt
werden. Mit Eiter oder anderen kranken Absonderungen be-
schmutztes Verbandzeug, Watte, Binden n. dergl. sind zu ver-
brennen. Bei allen Hilfeleistungen achte die pflegende Person
darauf, daß ihr nicht direkt ins Gesicht gehustet wird; ist es
geschehen, so wasche sie sich mit Seife. Nach jeder Wartung
des Kranken wasche man sich die Hände, regelmäßig aber vor
dem Essen, vor dem Betreten der Küche, vor dem Anrichten
der Speisen u. s. w. Im Krankenzimmer dürfen die Gesunden
nicht die Mahlzeiten einnehmen. Man küsse den Kranken nicht
auf den Mund und suche auch die Liebkosungen zwischen dem
Kranken und den gesunden Familienmitgliedern nach Möglichkeit
zu verhindern oder zum wenigsten einzuschränken. Tuberkulöse
und gesunde Kinder dürfen nicht das gleiche Spielzeug benutzen;
wertlos gewordene Spielsachen, zerrissene Bücher, gelesene
Zeitungen u. dergl. mehr werfe man in den Ofen.
Ist die Aufnahme des Tuberkulösen in die Heilstätte oder
in ein Krankenhaus erfolgt, so ist der günstigste Augenblick für
die Desinfektion der Wohnung gekommen. Diese erfolgt
durch die Entwickelung von Formalindämpfen in dem Raume.
Hierdurch werden alle an den Wänden, Möbeln, Kleidern und
Gebrauchsgegenständen haftenden Tuberkelbazillen abgetötet. Die
Gesunden können nach der Desinfektion das Zimmer und alles,
was drinnen ist, ohne Sorge benutzen, und das gesund zurück-
kehrende Familienmitglied braucht nicht zu fürchten, sich von
neuem anzustecken. Damit die Formalindesinsektion einerseits
diesen Zweck erfüllt, andererseits jede Beschädigung der Wohnung
oder ihres Inhalts ausschließt, muß sie nach ganz bestimmten
Vorschriften ausgeführt werden. Man hat daher Desinfektoren
ausgebildet und mit den erforderlichen Apparaten zur Vornahme
der Wohnungsdesinfektion ausgestattet. Es sollte darum keiner
mehr verabsäumen, die Formalindesinfektion bei der Tuberkulose
und bei andern ansteckenden Krankheiten in seiner Wohnung
vornehmen zu lassen. Für solche Wohnungen, in denen sich
hochgradig Tuberkulöse aufhalten, erscheint sogar eine häufigere
Desinfektion während der Krankheitsdauer sehr wünschens-
Bettlägerige
Kranke.
Wvhnungs-
Desinfektion.
32
Eisenbahn-
Desinfektor.
wert. Sie entzieht zwar für einige Tagesstunden den zu des-
infizierenden Raum der Benutzung, schafft dafür aber den
gesunden Mitbewohnern das beruhigende Gefühl, daß man von
ganz gefährlichen Nachbarn befreit ist, die das teuerste Gut,
die Gesundheit, bedrohen.
Nach Todesfällen infolge Tuberkulose ist die Wohnungs-
Desinfektion unter allen Umständen durchzuführen, damit
nicht durch die in den Räumen abgesetzten Tuberkelbazillen, die
monatelang ansteckungsfähig bleiben, weitere Tuberknlosefälle in
der Familie verursacht werden können. Die Wohnungsdesinfektion
mittels Formalin ermöglicht es auch gleichzeitig, die von dem
Verstorbenen benutzten Betten, Decken, Kleider so zu
reinigen, daß deren weiterer Benutzung durch andere Be-
denken nicht entgegenstehen. Man erspart sich also die früher
erwähnte Desinfektion in strömendem Wasferdampf, vor allem
die kostspieligen und umständlichen Transporte der Sachen
nach der Desinfektionsanstalt und von hier wieder nach Hause
zurück.
Nach dem Gesagten wird auch die Vorsicht berechtigt er-
scheinen, daß man niemals in eine Wohnung einzieht, die von
einem Schwindsüchtigen bewohnt war und nach dessen Wegzug
oder Tod undesinfiziert geblieben ist. Das Zimmer, in welchem
der Schwindsüchtige geschlafen oder sich am meisten aufgehalten
hat oder bettlägerig gewesen oder gestorben ist, ist unter allen
Umständen mittels Formalin zu desinfizieren, alle übrigen Räume
werden durch gründliche Durchlüftung und Reinigung mit Scheuer-
bürste und Roh-Lysoformlösung (3 °/0tg) oder durch einen neuen
Fußboden- und Wandnnstrich zu säubern sein. Wer darauf beim
Mieten einer Wohnung bezw. vor dem Einziehen in die gemietete
Wohnung nicht achtet, der begeht eine oft schwer sich rächende
Nachlässigkeit. Wer aber daran denkt und es beherzigt, daß
selbst die größte und schönste Wohnung die Insassen gefährdet,
wenn sie durch den Tuberknloseerreger verseucht ist, dem soll die
Möglichkeit geboten sein, solche Wohnung rein machen, d. h. des-
infizieren zu lassen. Das gilt für die Mietswohnungen im
allgemeinen und für die Dienstwohnungen und Eisenbahn-
Arbeiter- und Beamten-Wohnhäuser im besonderen. In letzteren
sollen ja die Eisenbahner nicht nur gute und billige, sondern
auch gesunde Wohnungen finden.
Um nun die allgemeine Durchführung der Wohnungs-
Desinfektion nicht an der Kostenfrage scheitern zu lassen, empfiehlt
ein gesundheitlich und volkswirtschaftlich weitblickender Erlaß des
Herrn Ministers vom 27. Juni 1905 betr. Bekämpfung der
Tuberkulose, geeignete Leute als Desinfektoren für den Direktions-
33
bezirk auszubilden und mit Formalindesinfektionsapparaten aus-
zustatten. Diese Eisenbahn-Desinfektoren werden nunmehr in
allen Fällen, in denen die Wohnungsdesinfektion ärztlicherseits
angeordnet oder von dem Wohnungsinhaber gewünscht wird, in
Funktion treten, ohne daß den Beteiligten besondere Kosten entstehen.
Mit der Möglichkeit, Tuberkulöse im eignen Haushalt zu
haben und zu behalten, müssen bei der großen Verbreitung der
Tuberkulose sehr viele Familien rechnen. Für alle Beteiligten
wird es daher ein großer Trost sein zu hören, daß
die Kranken bei richtigem Verhalten ihrerseits und
richtigem Verhalten ihrer Angehörigen keine Gefahr
bilden für den gesunden Haus- und Wohnnngsinsassen,
ja daß sie sogar bei genauer Befolgung der gesundheitlichen und
ärztlichen Vorschriften die eigene Gesundung anbahnen, Besserung
oder Stillstand ihrer Krankheit erleben und noch jahrelang nützliche
Mitglieder der menschlichen Gesellschaft bleiben können. Und
dieser Trost sollte allen das feste Wollen und Können verleihen,
sich genau und immer so zu verhalten, wie es ihnen hier in
dem Kapitel über Verhütung der Tuberkulose nach bestem ärzt-
lichen Wissen geraten ist!
Aber fehlt es meist auch nicht an dem guten Willen, oft
werden, namentlich bei Bediensteten mit kleinem Einkommen und
großer Familie, die Mittel nicht vorhanden sein, um den Vor-
schriften über Pflege und Wartung der Kranken, über Ernährung
und Absperrung der noch Gesunden, über Desinfektion der Wäsche
und Wohnung entsprechen zu können. Und solcher Mangel wird
sich bei dem langwierigen Verlauf der tuberkulösen Erkrankungen
mit der Zeit auch dort bemerkbar machen, wo es sich um unheilbar
erkrankte Bedienstete oder um erkrankte Angehörigehandelt, fürwelche
die satznngsmäßigen Krankenkassenleistungen nur in beschränktem
Maße Platz greifen oder bereits abgelaufen sind. Hier die Eisenbahn-
verwaltungen mit ihren Unterstützungsfonds eingreifen und
letztere mehr als bisher zu einer systematischen Tuberkulose- und
Familienfürsorge verwenden zu lassen, ist der Zweck des schon
genannten humanen Ministerial-Erlasses vom 27. Juni 1905
betreffend Bekämpfung der Tuberkulose. Nach demselben kann
den Eisenbahnbediensteten je nach der Eigenart des Einzelsalles
eine Beihilfe gewährt werden, so zur besseren Ernährung und
Verpflegung, Beschaffung von Heizmaterialien, Anschaffung von
hygienischen Spnckslaschen, von Desinfektionsmitteln, von speziell
für den Kranken bestimmten Gebranchsgegenständen, zur Durch-
führung der Behandlung in einer Volksheilstätte oder Wald-
erholungsstätte, als Beitrag zu den Mietkosten usw. Möchten
die wirtschaftlich schwachen und gering besoldeten Eisen-
Familien-
pflege.
Familien-
fürsorge.
34
Heilbarkeit.
Heilstätten-
behandlung.
Tuberkulin-
behandlung.
bahnbediensteten von diesen Fürsorgemöglichkeiten und Ver-
günstigungen ausgiebigen Gebrauch machen!
VII. Die Heilung der Tuberkulose.
Die Tuberkulose ist heilbar. Doch wie bei allen Krank-
heiten, selbst den leichtesten Kinderkrankheiten, so ist auch bei der
Tuberkulose die Heilbarkeit von gewissen Bedingungen abhängig. Die
erste und beherzigenswerteste ist die, daß die Tuberkulose in
einem möglichst frühzeitigen Stadium zur Behandlung
kommen muß. Unsere früheren Ausführungen über das Wesen
der Tuberkulose sollen den Eisenbahnern die ersten Anzeichen
und den Verlauf der Tuberkulose einschärfen, damit sie nicht aus
Unwissenheit den günstigsten Zeitpunkt, geheilt zu werden, verpassen.
Die zweite Bedingung ist die, daß der Tuberkulöse mit
seinem Leiden vor die richtige Schmiede, d. h. in die
richtige Behandlung kommt. Ein Allheilmittel gegen die
Tuberkulose besitzen wir noch nicht und sind anscheinend auch
noch weit davon entfernt. Auch die Heilstätte ist das Allheil-
mittel nicht, aber sie bietet von allen Behandlungsmethoden der
Tuberkulose den Kranken die meisten Aussichten, durch eine
gewissenhaft und lange genug durchgeführte Kur wieder gesund
oder zum wenigsten erheblich gebessert und wieder arbeitsfähig
zu werden.
Die Heilstättenbehandlung im einzelnen zu schildern,
entspricht nicht dem Zweck dieses Schristchens. Hier genüge
der Hinweis, daß die Heilstätte mit den altbewährten Heil-
kräften der Natur — Licht, Luft und Wasser —, mit einer
kräftigen und reichlichen Ernährung und einer geregelten Ver-
teilung von körperlicher Ruhe und Bewegung die im Kampfe
gegen den Tuberkelbazillus unterlegene Widerstandskraft des
einzelnen wieder zu beleben und zu stärken sucht. In der
Mehrzahl der Fälle gelingt es: der Körper überwindet die Krank-
heit! Die Heilstätten halten sich aber keineswegs für unfehlbar
und allein wirksam. Im Gegenteil: sie suchen fortgesetzt nach
weiteren brauchbaren Hilfsmitteln, um möglichst allen Tuberkulösen
zu helfen, und nehmen das Gute, wo sie es finden. Als solches
ist in neuerer Zeit wieder das Tuberkulin erkannt, jenes
bekannte Mittel Robert Kochs, das schon vor vielen Jahren mit
einer grenzenlosen Begeisterung als Allheilmittel gegen die
Schwindsucht aufgenommen war, aber damals im Stich gelassen
hatte. Heute wissen wir es, daß die Schuld daran nicht an dem
Mittel lag, sondern an seiner unzweckmäßigen Anwendung. Die
Aerzte haben im Verlaufe der Jahre gelernt, die richtigen Fälle
35
für die Tuberkulinkur auszuwählen und das Mittel selbst so
anzuwenden, daß niemand von den Einspritzungen Schaden haben
kann, die Tuberkulösen aber großen Vorteil für ihre Genesung.
Auch nach den Beobachtungen in den Eisenbahn-Heilstätten kann
mit Recht behauptet werden, daß die vereinigte Heilstütten-
und Tuberkulinbehandlung vorzügliche Erfolge zeitigt, und daß
ihr Segen im Kampfe gegen die Tuberkulose in demselben
Maße zunehmen wird, in welchem die Scheu vor deni Impfen
mit dem Tuberkulin abnimmt.
Wie wenig berechtigt die von den Heilstättengegnern aus- Heilstätten-
gestreuten Zweifel an den Heilstättenerfolgen sind, beweist die erfolge,
statistische Erhebung der Pensionskasse für die Arbeiter der
Preußisch-Hessischen Eisenbahn-Gemeinschaft; nach derselben sind
Anfang 1907 von den im Jahre 1902 behandelten 540
Tuberkulösen, also im 5. Jahre nach der Kur, 59,63 Prozent,
d. h. mehr als die Hälfte der Behandelten, voll erwerbsfähig
gewesen. Annähernd günstige Erfolge sind bisher durch keine
andere Behandlungsmethode erzielt worden.
Die Pensionskasse gewährt diese zur Zeit beste uttd aus- Heilstätten
sichtsvollste Behandlung der Tuberkulose ihren kranken Mit- Pensionskasse
gliedern tu zwei eigenen Heilstätten — in der „Heilstätte
Moltkefels" in Nieder-Schreiberhau im Riesengebirge und in
der „Heilstätte Stadtwald" in Melsungen bei Cassel — unter
voller Uebernahme der Kosten. Beide Heilstätten wenden in
ausgedehntem Maße das Tuberkulin an bei allen den Patienten,
die sich auf Vorschlag des Arztes freiwillig zur Tuberkulinkur
entschließen. Kurbedürftige weibliche Eisenbahnbedienstete werden
von der Pensionskasse, sofern sie ihr als Mitglieder angehören,
in Frauenheilstätten überwiesen.
Beamte der Staatseisenbahnverwaltung werden auf ihren Aufnahme
Antrag zu dem Tagespflegesatz von 4,25 Mk. in die Heilstätten öon Beamten.
„Moltkefels" und „Stadtwald" aufgenommen, soweit sie nach
ärztlichem Gutachten für die Aufnahme geeignet sind. Es sind
sogar durch den dankenswerten Erlaß des Herrn Ministers der
öffentlichen Arbeiten vom 14. November 1904 die Königlichen
Eisenbahndirektionen ermächtigt, bei Beamten auch dann die
Kosten der Heilstättenbehandlung auf die Staatskasse zu über-
nehmen oder den erkranktet: Beamten eine angemessene Beihilfe
zur Bestreitung der Kurkosten zu gewähren, wenn durch eine
rechtzeitige Heilbehandlung der Eintritt der Pensio-
nierung vermieden oder wenigstens auf längere Zeit
hinausgeschoben wird. Ueber die Aufnahme in die Heil-
stätten entscheidet in allen Fällen der Vorstand der Pensionskasse
in Berlin. Den Gesuchen um Aufnahme ist ein bahnärztliches
36
Zeugnis — auf dem für die Pensionskasfemnitglieder vorge-
schriebenen Formular ausgestellt — beizufügen; ant zweckmäßigsten
erfolgt der Antrag an den Penfionskaffenvorstand durch Ver-
mittelung der zuständigen Eifenbahndirektion.
Die Heilstättenkuren werden allgemein im Sommer mehr
Sommer-und bevorzugt als im Winter. Das ist vom Standpunkt der
Winterkuren. Kranken begreiflich und doch vom Standpunkt des Arztes nicht
richtig, denn nach den Erfahrungen in allen Heilstätten find
die Erfolge der Winterkuren günstiger als die der Sommerkuren.
Es kommt noch hinzu, daß während des Winters die heimatlichen
Wohnungs- und Arbeitsverhältniffe infolge der Heizung und Be-
leuchtung und des Mangels an frischer Luft für den Lungenkranken
besonders nachteilig find, während zu gleicher Zeit in der Heilstätte
dank ihrer Zentralheizung, ihrer elektrischen Lichtanlage, ihrer
geschützten sonnigen Lage die denkbar besten gesundheitlichen Ver-
hältnisse herrschen. Auch ist es gerade für den Eisenbahner
am empfehlenswertesten, sich während der Wintermonate aus-
heilen zu lassen und mit der wärmeren Jahreszeit den Dienst
wieder aufzunehmen.
Die Tuberktüofe ist heilbar. Darum achtet auf Euren Gesund-
Schlußsatz. heitszustand! Nehmt jeden längerdauernden Husten und Auswurf
ernst! Beruhigt Euch nicht bei den Bezeichnungen der Nichtärzte
oder Kurpfuscher „Lungenverschleimung". „Lungenschwäche"; denn
in fast allen solchen Fällen liegt eine Tuberkulose zu gründe!
Verliert nicht die für die Heilung kostbare Zeit damit, daß Ihr auf
schwindelhafte Reklamen hin alle möglichen Mittel und Methoden
versucht! Befolgt vielmehr sofort den ärztlichen Rat, die Aus-
heilung Eurer Lungentuberkulose in der Heilstätte zu suchen!
Laßt nicht durch Zuwarten auf die Sommerkur den Winter
unbenutzt verstreichen, denn die heilbare Lungentuberkulose kann
inzwischen zur unheilbaren Lungenschwindsucht werden! Bedenkt,
was sich in vielen taufend Fällen bestätigt hat, daß die Lungen-
tuberkulose um so schneller und sicherer heilt, je frühzeitiger sie
in geeignete ärztliche Behandlung kommt! Vor allem aber
meidet die Ansteckung für Euch und durch Euch, da es leichter
ist, die Tuberkulose zu verhüten als sie zu heilen. —
Nil
III
llll|llll|llll|llll|llll|llll|llll|ltll|llll|llll|llll|llll|llil|IIM|llll|llll|llll|IIM|llll|lltl|lill|tlll|llll|MM|lill|
cm M 12 I3 14 'S >6 >7 lg >9 >10 >11 >12 >13
Colour & Grey Control Chart
Blue____Cyan_____Green____Yellow___Red____Magenta
White Grey 1 Grey 2 Grey 3 Grey 4 Black