© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE
YON JACOB GRIMM
GELESEN IN DER AKADEMIE AM 9. JANUAR 1851.
BERLIN
GEDRÜCKT IN DER DRUCKEREI DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
ÜBER DEN URSPRUNG DER SPRACHE.
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Vo.
'on dem grofsen weltweisen in unsrer mitte ist die frage, deren gegenständ ich
eben bezeichnet habe und die schon vor achtzig jahren unter uns zum preise
gestellt war, jüngst bei der philosophisch historischen classe zweimal ange-
regt worden. Herr von Schelling machte nemlich den Vorschlag eine solche
aufgabe jetzt zu wiederholen, zog ihn aber unmittelbar darauf zurück. Bald
hernach gab er in einer eignen Vorlesung einige auskunft über die Unzufrie-
denheit, welche Hamann gegen Herders damals von der akademie gekrönte
preisschrift an den tag gelegt hatte, so wie proben eines lateinischen gedichts
von noch unbekanntem Verfasser über der spräche Ursprung. Hoch zu be-
dauern ist, dafs er selbst dabei nirgend seine eigene ansicht kundgeben oder
errathen lassen wollte; an jener neuen preisaufgabe, wenn sie festgehalten
und näher entfaltet worden wäre, würde man darüber wol manches haben
entnehmen können, da es kaum möglich scheint einen solchen Vorschlag an-
schaulich zu machen, ohne dafs zugleich im entwurf selbst des preisstellers
und eines solchen preisstellers meinung bestimmend durchbräche. Nur das
eine dürfen wir als unzweifelhaft voraus setzen, dafs ihm die herderische
lösung wenigstens für unsere zeit keineswegs genug thut, denn sonst wäre
überflüssig gewesen sie neuerdings auf die bahn zu bringen.
Wie man aber auch den im jahr 1770 erlangten und erlangbaren er-
gebnissen zugethan oder ungeneigt sei, das läfst sich gar nicht in abrede
stellen, dafs seitdem die läge der Sprachforschung wesentlich oder gänzlich
verändert worden ist und darum schon ein versuch, was sie uns gegenwärtig
biete, auf jene frage in erneuter antwort anzuwenden wünschenswerth er-
scheinen mag, da auf jedweden in philosophische oder historische betrach-
tung zu ziehenden gegenständ die ihm gewordne gröfsere pflege und feinere
ausbildung günstig einwirken mufs. Alle Sprachstudien finden sich nun
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Jacob Grimm
heutzutage ungleich vorteilhafter gestellt und ausgerüstet, als zu jener zeit,
ja sie sind, kann man sagen, erst in unserm Jahrhundert zur wahren Wis-
senschaft gediehen. Die art und weise nach welcher die classischen spra-
chen ehdem betrieben wurden und in Wahrheit immer noch angebaut zu
werden pflegen (wie es auch den von mir gewis hochgestellten übrigen zwe-
cken der philologie nicht unangemessen ist), führte nie oder blols zufällig
zu allgemeinen und entscheidenden aufschlüssen über das Verhältnis der
sprachen unter einander. Man mühte sich in das wesen der lateinischen
oder griechischen zunge einzudringen so weit es nöthig war, um den geist
kostbarer, für alle Zeiten bewundernswerther denkmale zu erfassen, die sie
hervorgebracht und auf uns überliefert hatten, und dieses geistes habhaft
zu werden, dazu gehört unermefslich viel. Solchem ziel gegenüber verhielt
sich der spräche noch so gewaltige äufsere erscheinungund form dienend;
wahrzunehmen was in ihr über den redebrauch, über die technik der dichter
und den inhalt der werke hinaus gieng, war der classischen philologie ge-
wissermafsen gleichgültig und von allen feiner eingehenden beobachtungen
schienen ihr fast nur solche wrerthvoll, welche der textcritik zu festem re-
geln irgend verhelfen konnten, für sich selbst zog das innere gewebe der
spräche wenig an und wurde in seiner Schönheit und fülle gleichsam voraus
gesetzt, weshalb auch die auffallendsten Worterscheinungen, wro sie ihrem be-
grif nach klar sich darstellten, meistens unerwogen blieben, etwa wie der
seine spräche fertig handhabende, in ihr waltende dichter fast keiner künde
ihres innern baus noch minder ihrer geschichtlichen Veränderungen bedarf
und nur hin und wieder ein seltnes wort aufsucht, dem er eine gelegne stelle
zu geben hat; war der grammatiker auch blofs ausnahmsweise irgend einer
ihm anstöfsigen wortgestalt der wurzel auf der spur, an welcher er seine
kunst zu üben trachtete. So erklärt sich warum lange jahrhunderte hindurch
die unabhängig fortgesetzte aufmerksame behandlung lateinischer und grie-
chischer spräche auf der schule wie in den Stuben der gelehrten mit der ein-
fachen formlehre am wenigsten vorrückte und fast nur für die halb schon
aufserhalb der grammatik liegende syntax früchte trug. Weder verstand
man, wozu diese beiden classischen sprachen gerade mächtig reizen musten,
ihre gestalten scharf an einander zu halten und wrechselswreise jede mit glei-
cher berechtigung aus der andern zu erörtern, da man fehlerhaft die lateini-
sche als unterwürfige tochter der griechischen ansah; noch weniger unsrer
über den Ursprung der spräche. 3
muttersprache aufzuhelfen, die in der schule allenthalben frohndienste eines
unbefugten handlangers zu leisten hatte, geschweige ihr den dritten haupt-
platz einzuräumen, obgleich, wie aus drei gegebnen puncten eine figur zu
bilden, aus den Verhältnissen dreier unter sich verwandter sprachen ihr le-
bendiges gesetz zu finden ist.
Man hat das Sprachstudium vielfach und auch nicht ohne grund dem
der naturgeschichte an die Seite gestellt; sie gleichen einander sogar in der
art und weise ihres mangelhaften oder besseren betriebs. denn ins äuge
springt, dafs gerade wie jene philologen die classischen Sprachdenkmäler um
ihnen critische regeln für die emendation beschädigter und verderbter texte
abzugewinnen erforschten, so auch die botaniker ihre Wissenschaft ursprüng-
lich darauf anlegten in einzelnen kräutern heilsame kräfte zu entdecken, die
anatomen in die leiber schnitten, um des innern baus sicher zu werden, auf
dessen erkenntnis nun die herstellung der gestörten gesundheit gestützt wer-
den könnte, die Stoffe zogen als ein mittel, nicht für sich selbst an. All-
mälich aber bereitete sich eine änderung der ansicht und des Verfahrens vor.
Da es natürlich ist und durch alle erfahrung bestätigt wTird, dafs die men-
schen an dem einheimischen, ihren äugen täglich dargebotnen vorübergehend
vom fremden und neuen stärker berührt und zur betrachtung gereizt werden;
so darf man wol behaupten, dafs durch reisen ins ausland, wie durch zufuhr
fremder, seltner pflanzen in unsre gärten die Übersiedelung vielfacher thier-
gestalten aus fernen welttheilen nach Europa den Wissenschaften ein andres
gepräge aufgedrückt wurde und bei erforschung der gegenstände sie von je-
nen practischen zwecken gleichsam abstanden und sich auf unbefangnere,
darum wissenschaftlichere Untersuchungen einliefsen. denn das ist eben wah-
res Zeichen der Wissenschaft, dafs sie ihr netz auswerfe nach allseitigen er-
gebnissen und jede wahrnehmbare eigenheit der dinge hasche, hinstelle und
der zähesten prüfung unterwerfe, gleichviel wras zuletzt daraus hervor gehe.
Die Sprachwissenschaft, wie mich dünkt, hat auf demselben weg, dessen be-
treten die pflanzen und thierzergliederung ihrem engeren standpunct ent-
rückte, und zu einer vergleichenden botanik und anatomie erhob, endlich
eben so durchgreifende Umwälzung erfahren. Ohne zwreifel wurde durch
das von der kaiserin Catharina in den jahren 1787-90 veranstaltete Petersbur-
ger Wörterbuch, wenn es auch auf noch sehr ungenügenden grundlagen auf-
gerichtet war, Sprachvergleichung überhaupt wirksam angeregt und gefördert.
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Jacob Grimm
Allein weit gröfsern einflufs auf sie hatte die in allen welttheilen, hauptsäch-
lich in Indien befestigte herschaft der Briten, durch welche das genaue Ver-
ständnis einer der reinsten und ehrwürdigsten sprachen der ganzen weit, die
man früher beinahe gar nicht gekannt hatte, erweckt, gesichert und ver-
breitet wurde, die Vollkommenheit und gewaltige regel des sanskrit muste,
obschon auch den weg bahnend zu einer der ältesten und reichsten poesien,
recht dazu einladen sich mit ihr um ihrer selbst willen vertraut zu machen
und hat, nachdem das eis einmal gebrochen und gleichsam ein magnet ge-
funden war, zu welchem die auf dem sprachenocean schiffenden hinschauen
konnten, auf die weit erstreckte reihe der mit der indischen unmittelbar
zusammenhängenden und verwandten sprachen ein so erhellendes, sonst un-
geahntes licht fallen lassen, dafs daraus eine wahrhafte geschichte aller die-
ser sprachen, wie sie noch nie vor eines Sprachforschers äuge gestanden
hatte, mit tief eindringenden und überraschenden resultaten theils schon
hervor gegangen theils eingeleitet worden ist. Und da um dieselbe zeit man
zugleich bemüht gewesen war, das bisher unbegreiflich gering geachtete ge-
setz unserer eignen deutschen spräche historisch zu entfalten, wie der natur-
forscher in den halmen und knoten einheimischer gräser dieselben wunder-
baren triebe erkennen mufs, die er an ausländischen pflanzen wahrnahm;
so konnte nicht fehlen, dafs von unserm eigensten und unmittelbarsten Stand-
punkt aus zugleich der blick auf die uns benachbarten slavischen, littauischen
und keltischen spräche lebhafter geworfen wurde, welchen allmälich allen
die nemliche geschichtliche bedeutung und betrachtung zu theil geworden
ist oder zweifelsohne werden wird. Auf solche weise haben sich, wo nicht
alle, doch die meisten glieder einer grofsen fast unabsehbaren sprachkette
gefunden, die in ihren wurzeln und flexionen aus Asien bis her zu uns reicht,
beinahe ganz Europa erfüllt und schon jetzt die mächtigste zunge des erdbo-
dens genannt werden darf, auf welchem sie unaufhaltsam weiter fortschrei-
tet, den sie einmal überall erfüllen wird. Diese indogermanische spräche
mufs nun zugleich durch ihren innern bau, der sich an ihr in unendlichen
abstufungen klar verfolgen läfst, wenn es irgend eine andere spräche im
Stande ist, auch über den allgemeinen gang und verlauf der menschlichen sprä-
che, vielleicht über deren Ursprung die ergibigsten aufschlüsse darreichen.
Ich bin befugt die thunlichkeit dieser Untersuchung über den Ursprung
der spräche als blofses problem hinstellen, dessen gelingen noch von vielen
über den Ursprung der spräche.
darf in zweifei gezogen werden, sollte es sich lösen können, mögen solche
Zweifler einwenden, so hätten unsere sprachen und unsere geschichte viel
weiter als sie thun zurück zu reichen, denn es ist glaublich, vielmehr es ist
schon ausgemacht, dafs die ältesten denkmäler der sanskrit oder zendspra-
che, gleich den hebräischen oder was sonst man für die frühste spräche ausge-
ben wolle, um lange zeit, um viel Jahrtausende von dem wirklichen Ursprung
der spräche oder der Schöpfung des menschengeschlechts auf erden abstehn.
Wie kann über eine solche kluft hinweg ein anfang der spräche ermessen
werden? fällt die gesamte frage nicht in die reihe der Unmöglichkeiten?
Dies bedenken scheint aber noch stärker einzuleuchten, wenn wir die
läge und den gegenständ der naturforschung, die, wie eben erhellte, sich zur
Sprachforschung ähnlich verhält, erwägen, jene forscher streben in die ge-
heimnisse des naturlebens zu dringen, d. h. die gesetze der zeugung und fort-
dauer der thiere, des keimes und wachsthums der pflanzen zu ergründen, nie
habe ich vernommen, dafs darüber hinaus ein seiner aufgabe sich bewuster
anatom oder botaniker auch die erschaffung der thiere und pflanzen hätte
wollen nachweisen; höchstens kann ihm klar werden, dafs einzelne thiere
oder kräuter, um ihren zweck vollständig zu erreichen, an bestimmter stelle
zuerst erscheinen und geschaffen sein musten. Wenn sodann analogie ob-
waltet zwischen Schöpfung und zeugung, sind doch beide als ein erster und
zweiter act wesentlich verschieden von einander, die ewig sich erneuende
forterzeugung erfolgt vermöge einer in das erschaffene wesen gelegten kraft,
während die erste Schöpfung durch eine aufserhalb dem erschafnen waltende
macht geschah, die zeugung ruft, wie das schlagen des Stahls an den stein
schlafenden funken weckt, neues dasein hervor, dessen bedingung und ge-
setz bereits dem zeugenden anerschaffen war. Hier aber scheint für den
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genau überlegenden in der that ein wendepunct zu liegen, wo naturforschung
und Sprachforschung wesentlich sich von einander scheiden, und alles fol-
gende wird gerade davon abhängen, ob wir die spräche als ein erschafnes
oder unerschafnes anerkennen. War sie erschaffen, so bleibt ihr erster Ur-
sprung unsern blicken eben so undurchdringbar als der des zuerst erschaffe-
nen thiers oder baums. Falls sie aber unerschaffen, d. h. nicht unmittelbar
durch göttliche macht, sondern durch die freiheit des menschen selbst her-
vorgebracht wurde und gebildet, so mag sie nach diesem gesetz ermessen,
ja von dem was uns ihre geschichte bis zum ältesten stamm hinauf ergibt,
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Jacob Gbi
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darf über jenen unerfüllten abgrund von jahrtausenden zurück geschritten
und in gedanken auch am ufer ihres Ursprungs gelandet werden. Der Sprach-
forscher braucht also nicht die hand abzulegen, sondern kann weiter gehn
als der naturforscher, weil er ein menschliches, in unsrer geschichte und
freiheit beruhendes, nicht plötzlich sondern stufenweise zu stände gebrach-
tes werk seiner betrachtung unterwirft, da im gegentheil alle erschafnen un-
freien wesen gar keine geschichte kennen und bis auf heute beinahe noch
eben so sich verhalten, wie sie aus des Schöpfers hand hervor gegangen sind.
Hiermit ist im voraus freilich schon ausgesprochen, was ich als mögli-
chen erfolg meiner ganzen angestellten Untersuchung betrachtet wissen will;
gleich wol müssen für sie eine reihe einzelner gründe in anschlag gebracht
werden und es wird aufserdem nicht ungerathen sein, diesen erst noch voran
gehn zu lassen, was zu gunsten eines unmittelbar von der gottheit ausgegang-
nen Ursprungs der spräche könnte gesagt werden, weil nun ein solcher noch
auf doppelte weise denkbar wäre, insofern nemlich gott die spräche den
menschen anerschaffen oder erst nach der Schöpfung selbst offenbart hätte;
so soll zuvörderst von einer geschaffenen, dann von einer offenbarten sprä-
che gehandelt und näher dargethan werden, warum keine von beiden anzu-
nehmen sei.
Eine geschaffene, naturwüchsige menschensprache voraus zu setzen
mahnt von der Oberfläche her angesehn nicht weniges, vergegenwärtigen wir
uns ihre Schönheit, macht und manigfaltigkeit, wie sie sich über den ganzen
boden der erde erstreckt, so erscheint in ihr etwas fast übermenschliches,
kaum vom menschen selbst ausgegangnes, vielmehr unter dessen händen hier
und da verderbtes und in seiner Vollkommenheit angetastetes. Gleichen die
geschlechter der sprachen nicht den geschlechtern der pflanzen, thiere, ja der
menschen selbst in aller beinahe endlosen Vielheit ihrer wechselnden gestalt?
erblüht nicht die spräche in günstiger läge wie ein bäum, dem nichts den weg
sperrt und der sich frei nach allen seiten ausbreiten kann, und wird unentfal-
tet, versäumt und absterbend sie nicht einem gewächs ähnlich, das bei man-
gel an licht oder erde schmachten und dorren muste? Auch die erstaunende
heilkraft der spräche, womit erlittenen schaden sie schnell verwächst und
neu ausgieicht, scheint die der mächtigen natur überhaupt, und nicht anders
als diese versteht sich die spräche darauf mit geringen mittein auszureichen
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über den Ursprung der spräche. 7
und volles haus zu halten: denn sie spart ohne zu geizen, sie gibt reichlich aus
und vergeudet nie.
Treten wir aber dem eignen element der spräche näher, fast die
ganze natur ist lautes und klanges erfüllt, wie sollte er ihrem edelsten ge-
schöpfe dem menschen nicht schon in der Schöpfung ertheilt worden sein?
machen die thiere mit ihrer der menschensprache gleich endlos verschiednen
stimme sich nicht unter einander verständlich, erschallt der vögel manigfal-
ter gesang nicht durch alle lüfte? menschliche einbildung hat den thieren
wirkliche spräche beigelegt, die sage meldet sogar, dafs im goldnen zeit-
alter alle thiere noch mit den menschen traulich gesprochen hätten, dafs
sie seitdem ihre spräche nur verhielten, aber im augenblick des drangs aus-
brechen liefsen, wie Bileams eselin, als ihr unrecht widerfahren und der engel
des herrn erschienen war, das wort erhob, diese redete in menschenweise,
andere thiere sollen in ihrer eignen spräche, oder wie es zu heifsen pflegt,
in ihrem wTelsch und latein sich vernünftig unterreden, was hören und ver-
stehn könne, wer durch genufs einer weifsen schlänge oder eines drachen-
herzens künde davon sich erworben habe, so sangen dem Sigurd, nachdem
er Fafni erlegt und seine fingerspitzen in dessen herzblut getaucht hatte, die
vögel auf den ästen was ihm ferner noch zu thun übrig sei. (*)
Wir unterscheiden die gesamte natur in eine todte und lebendige,
womit nicht zusammen fällt, dafs sie stumm oder laut sei. unter den ele-
menten stumm ist nur die träge erde, denn die luft saust und heult, das
feuer sprüht, knistert, prasselt, dem meer legen wir rauschen (2) bei, dem
bach klingeln, murmeln, plätschern, ja sein geriesel dünkt uns ein
schwatzen und plaudern (garrulus rivus.) Gleich der erde geben die star-
ren steine keinen laut von sich, auch den lebendigen, an den boden ge-
fesselten, gangs unfähigen pflanzen wurde er nicht verliehen: wenn baum-
blätter flüstern, ists der wind der sie von aufsen rührt. Allen thieren da-
gegen ist bewegung und gefühl verliehen, nicht allen stimme, denn die fische
bleiben lautlos, von den insecten machen sich nur hörbar die schwirrend im
flug durch ihre athemlöcher luft stofsen oder harte flügeldecke an einander
reiben; aus ihrem innersten durch ihren inund geht keine stimme. Aber
(*) fataque vocales praemonulsse boves.
Tibull. II. 5, 78.
(2) (pXoic-fiog. S’ciXaa-Ta Y^ystTarct.
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jedem vollkommneren warmblütigen thier, vögeln wie säugenden, ist immer
ein ganz besonderer laut eigen, mit welchem es seine empfindungen wech*
selsweise des behagens, der lust und des Schmerzes, lockend oder scheu-
chend kund thun kann; einigen unter ihnen und zwar nicht den uns sonst
verwandteren vierfüfsigen thieren, sondern voraus dem gevögel wurde ein
klangvoller, meistens anmutiger und herzerfreuender gesang zugetheilt.
stehn alle thierlaute nicht der menschensprache zur seite? hat man doch hei-
sere, rauhe, harte menschensprache dem gekrächze der raben, quaken der
frösche, bellen der hunde und wiehern der rosse verglichen.
Diese thierische in ihrer äufserung gleich der thiergestalt selbst ma-
nigfalteste stimme ist aber sichtbar von natur in jedes thier geprägt und wird
von ihm hervorgebracht ohne sie erlernt zu haben. Lafst ein eben ausge-
schloffenes vöglein dem nest entnommen von menschenhand aufgefüttert
werden, es wird aller laute mächtig sein, die seinesgleichen, unter welchen
es sich noch nie befand, eigen sind, darum bleibt die jeder thierart ange-
wiesene stimme immer einförmig und unveränderlich: ein hund bellt noch
heute wie er zu anfang der Schöpfung boll, und mit demselben tirelieren
schwingt die lerche sich auf wie sie vor vielen tausend jahren that. das an-
geschaffene hat weil es angeschaffen ist unvertilgbaren charakter.
Alle thiere leben und handeln also nach einem in sie gelegten dunkeln
trieb, der an sich gar keiner Steigerung fähig von anfang schon seine natür-
liche, dem menschen manchmal unerreichbare Vollkommenheit mit sich trug,
das Spinngewebe ist so zart und regelrecht vom thierlein aus seinem leib ge-
zogen und ausgespannt wie im laubblatt die selbstgewachsnen rippen, die
biene wirkt ihre kunstmäfsige sechseckenzelle ein wie das andere mal, ohne
haarbreit je von dem ihr vorgeordneten muster und bauplan abzuweichen.
Dennoch wohnt den thieren mehr oder minder aufser dem in ihnen her-
schenden instinct der nothwendigkeit ein analogon von freiheit bei, die sie
leise anfliegt, aus der sie unmittelbar wieder in ihre natur zurück treten,
wenn bienen ausgeflogen sind um honigstof einzuholen und sich auf eine
heide niederlassen, von welcher sie immer zu rechter zeit und sicher den
heimweg nach ihrem stock nicht verfehlen; mag es einzelne unter dem
schwärm geben, die sich ein paar hundert schritte abwärts verfliegen und
in der irre zu gründe gehn: ihnen ist die kleine freiheit verderblich gewor-
den. Es gibt gelehrige thiere, die der mensch für seine zwecke abrichtet
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über den Ursprung der spräche.
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und leicht ist wahrzunehmen, dafs je ausgebildeter jener kunsttrieb sich ent-
faltete, desto weniger solches abrichten von statten geht, die biene oder
ameise wären für alle menschliche lehre unempfänglich, aber hund, pferd,
rind, falke nehmen sie bis auf einen gewissen grad an und ergeben sich dem
willen des menschen. alle jedoch, erliefse man sie dessen, würden gern
in ihre natürliche Ungezwungenheit zurück kehren und das angelernte ver-
gessen. Das ganze thierleben scheint eine nothwendigkeit, aus der zuckende
richtungen oder blicke der freiheit sie nicht vermögen loszureifsen.
Die stimme mit welcher die thierweit für alle einzelnen geschlechter
einförmig und unabänderlich ausgestattet wurde, steht demnach in unmit-
telbarem gegensatz zur menschlichen spräche, die immer abänderlich ist,
unter den geschlechtern wechselt und stets erlernt werden mufs. Was der
mensch nicht zu lernen braucht und alsobald in das leben tretend von selbst
kann, das bei allen Völkern sich gleich bleibende wimmern, weinen und
stöhnen oder jede andern ausbrüche leiblicher empfindung, das allein könnte
dem schrei der thierischen stimme mit recht an die Seite gesetzt werden,
das gehört aber auch zur menschensprache nicht, und läfst mit deren Werk-
zeugen sich eben so wenig als der thierlaut genau ausdrücken, nicht einmal unf*?
vollständig nachahmen.
Wir wollen dem für des naturlauts unverrückbarkeit beigebrachten r
fall einen andern für das unangeborensein der menschensprache gegenüber °
halten und einmal setzen, dafs auf einem Schlachtfeld das neugeborne kind
einer französischen oder russischen mutter aufgenommen und mitten in
Deutschland erzogen würde; es wird nicht französisch, nicht russisch, son-
dern gleich allen andern hindern, unter welchen es erwächst, deutsch zu
sprechen anheben, seine spräche war ihm nicht angeboren.
Dieselben gleichgearteten menschen, die heute uns geboren bald alle
laute und eigenheiten unsrer jetzigen spräche sich erwerben, würden vor
fünfhundert oder tausend jahren zur weit gebracht eben so leicht und un-
vermerkt in den besitz alles dessen gelangt sein, was unsrer Vorfahren sprä-
che von der heutigen unterscheidet, die besonderheit jeder einzelnen spräche
ist also abhängig von dem raum und der zeit, in welcher die sie übenden
geboren und erzogen werdeu, raum und zeit sind anlafs aller Veränderungen
der menschensprache, aus ihnen allein läfst sich die manigfaltigkeit und ab-
weichung der einem quell entstammenden Völker begreifen, der heutige
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Jacob Grimm
Tiroler und Friese werden einander gegenüber ihre rede zu verstehn mühe
haben, obgleich ihre urväter näher zusammen gestanden, einem und dem-
selben volksschlag angehört haben müssen. Auch unter einander verstehen-
den, ungeschieden lebenden menschen pflegen je nach geschlecht und indi-
viduum dennoch eigenheiten und abstände der spräche einzutreten, die
bald einen gröfseren umfang und vorrath von Wörtern, bald armut oder
mangel daran wahrnehmen lassen, so dafs ihnen insgesamt ihre spräche zwar
als gemeinbesitzthum, zugleich aber einzelnen als besonders zuständige aus-
drucksweise erscheinen mufs, die von jener einförmigkeit thierischer stimm-
begabung himmelweit fern ist.
Nein, die spräche ist dem menschen weder angeboren noch anerschaf-
fen und in allen ihren leistungen wie erfolgen kann sie mit der thierstimme
nicht gleichgesetzt werden; nur eins müssen beide mit einander einigerma-
fsen gemein haben, die ihnen unterliegende nothwendig durch den erschaffe-
nen leib bedingte grundlage.
Jeder laut geht hervor durch eine bewegung und erschütterung der
luft, selbst jenes elementarische rauschen des wassers oder knistern des feu-
ers wrar im gewaltsamen an einander schlagen der wellen, die ihren druck
auf die luft übten, oder im verzehren der brennstoffe, welche die luft er-
regten, bedingt. Dem thier wie dem menschen sind Stimmwerkzeuge von
natur eigen, mittelst welcher sie in manigfache weise eindrücke auf die luft
bewirken können, deren unmittelbare folge ein regelrechter, gleichartig
wirkender schall ist. das thier bringt damit einzelne ähnliche laute wie der
mensch hervor, dieser vermag sie weit reicher und allseitiger zu entfalten,
das geordnete entfalten der laute heifst uns gliedern, articulieren und die
menschensprache erscheint eine gegliederte, w’omit das homerische beiwort
der menschen oi ixegoirsg, (xs^oirsg av3-goo7roi oder ßqoroi zusammentrift, von
fjLetgofjLai oder [xegi^uo, die ihre stimme theilenden, gliedernden, wesentlich
hängt aber diese lautgliederung ab von dem aufrechten gang und stand der
menschen (r), vermöge dessen sie die einzelnen laute ruhig und gemessen
vernehmen lassen können, während die thiere zur erde gebückt sind:
Z-tc bo^en £Vie/re*v
(*) selbst avSpooztos, mannes gesicht oder aussehn habend weist nach dieser aufrechten
Stellung des antlitzes. der erste theil des Wortes nimmt durch einflufs des P ein 0 statt
A an und gehört zu avyg uuBaog = skr. nri und nara, vir, homo. andere dachten an ccVüd
oeS‘gs7vy aufwärts schauen. '"äfcr ÄßU-idU . 0 -
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über den Ursprung der spräche.
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pronaque quum spectent animalia caetera terram,
os homini sublime dedit caelumque tueri
jussit, et erectos ad sidera tollere vultus. (*)
Die nothwendige reihe und das mafs dieser laute und schalle ist natür-
lich bedingt wie die tonleiter in der musik oder die folge und abstufung
der färben, ihrem gesetz kann nichts hinzu gethan wrerden. denn aufser den
sieben grundfarben, die unendliche mischung dargeben, sind keine andern
denkbar, und eben so wenig läfst sich den drei vocalen a i u, aus welchen
e und o, samt allen übrigen diphthongen und deren Verdichtung zur blofsen
länge entspringen, das geringste zufügen, noch die Ordnung der halbvocale
und consonanten, die sich in zahlloser manigfaltigkeit der Verbindungen er-
zeigen, dem gründe nach erweitern. Diese urlaute sind uns angeboren, da
sie durch Organe unseres leibs bedingt entweder aus voller brust und kehle
gestofsen und gehaucht, oder mit hilfe des gaumens, der zunge, zähne und lip-
pen hervor gebracht werden, einige ihrer bedingungen sind auch so greif oder
fafsbar, dafs es nicht völlig mislingen konnte, sie durch künstliche mechani-
sche Vorrichtungen bis auf einen gewissen grad nachzuahmen und scheinbar
darzustellen. Da nun aber die leibesorgane mehrerer thierarten den mensch-
lichen gleichen, so darf nicht befremden, dafs gerade unter den vögeln,
deren sonstiger bau weiter als der säugethiere von uns absteht, die uns aber
in aufrechter haltung des halses näher kommen, darum auch wollautige ge-
sangstimmen haben, dafs vorzugsweise papageien, raben, stare, elstern,
spechte (2) im stände sind menschliche Wörter fast vollkommen zu erfassen
und nachzusprechen. Von den säugethieren dagegen vermag das kein einzi-
ges, zumal nicht die in andern stücken uns zum erschrecken ähnlichen affen,
welche, obgleich sie uns manche gebärden abzusehn suchen, nie darauf ver-
fallen unsere spräche nachzuäffen, man sollte denken, den affenarten,
welche aufrecht zu gehn lernen, müste es gelingen vocale, zungen und zahn-
laute zu erreichen, wenn ihnen auch lippenlaute, weil ihre zähne blecken,
unmöglich fielen; aber keine spur, dafs sie sich Sprechens unterfangen.
(*) Ovid. met. 1, 84.
(2) der specht (wörtlich der spähende, weissagende vogel) hiefs darum gleich
dem menschen, und in altrömischer wie in altdeutscher sage verweben sich Picus und
Bienenwolf mit heldengeschlechtern. bemerkenswert!! scheint, dafs papageien und raben
auch die höhe des menschenlebensalters erlangen.
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Jacob Grimm
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Johannes Müller hat uns neulich die kehlen einiger Singvögel scharf
untersucht und darin nachgewiesen was ihren gesang hebe und zeuge, ich
weifs nicht, ob es möglich wäre, dafs die Zergliederung auch in den aus-
gebildeten kehlen menschlicher sänger eindrücke gewahrte, die eine grofse
entwickelung der gesangsfähigkeit verkündigten; oder um noch stärkeres zu
fragen, ob es dem anatom gelänge, in den sprachorganen solcher Völker,
die entschieden harter gutturale pflegen oder wie die Slaven schwere
Zischlautverbindungen eingeübt haben, äufsere spuren davon aufzuweisen,
wäre das der fall, so würde ich nicht abgeneigt sein, weil solche eigenthüm-
lichkeiten sich vererben können, wie einzelne gebärden und schulterdrehun-
gen unbewust vom vater auf den sohn übergehn oder geschwister häufig
dieselbe anlage zum gesang empfangen haben, (*) ich würde also geneigt sein,
schon in den kinderkehlen einzelner Völker eingeprägte anlage für die aus-
sprache eigner lautbestimmungen vorhanden zu glauben, so dafs jenem in
Deutschland zur weit gekommenen Russen oder Franzosenkind immer noch
einige unserer laute schwer gefallen wären. Dies ergäbe das gegenstück
zur thierischen beschränkung der nothwendigkeit durch die freiheit, insofern
hier umgekehrt die menschliche sprachfreiheit durch einen zug der nothwen-
digkeit beeinträchtigt schiene, den sie doch leicht überwindet. Die anato-
mie wird noch lange zu lernen haben, ehe sie die sprachwerkzeuge eines auf
der ebene eingewohnten Norddeutschen von denen eines süddeutschen al-
penhirten unterscheidet. Unserm hauptergebnis aber, dafs die menschliche
spräche unangeboren sei, wird nichts dadurch benommen, die natürliche
lautgrundlage, deren sie gleich der thierischen stimme bedarf und die sie
voraus setzt, wie unsre seele den menschlichen schädelbau, sind nichts als
das instrument, auf dem die spräche gespielt wird, und dies spiel erzeigt
sich beim menschen in einer manigfaltigkeit, die den unveränderbaren thier-
lauten völlig entgegen steht. Den physiologen wird doch mehr das instru-
ment selbst, den philologen das spiel darauf anziehen.
Nun aber wurde aufser der eben verworfnen angeborenheit der sprä-
che noch eine andre annahme als denkbar voraus gesetzt, dafs sie von des
menschengeschlechts Urheber diesem zwar nicht unmittelbar im act der
Schöpfung, vielmehr nach der Schöpfung mitgetheilt, durch das menschliche
(*) man nimmt selbst wahr, dafs geschwister ähnlich niesen.
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über den Ursprung der spräche.
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gedächtnis aufgefafst und dann von geschlecht zu geschlecht fortgepflanzt und
ausgebreitet worden sei, mit allem Wechsel und aller Verderbnis, die sie un-
ter des menschen hand habe erfahren müssen. Jene göttliche mittheilung
oder Offenbarung der spräche, vergleichbar der eines göttlichen gesetzes,
müste dennoch früher als dieses fast alsogleich nach vollbrachter Schöpfung
des ersten menschenpaares eingetreten sein, weil ein solches der spräche
beinahe keinen augenbliek hätte entrathen können, und mit der schöpferi-
schen allmacht unvereinbar schiene, dafs ihrer fertigen, edelsten creatur im
anfang gebrochen habe was ihr später zu theil werden sollte.
Diese auffassung würde von der ihr im verfolg entgegen zu setzenden
eines menschlichen Ursprungs der spräche sich zwar in der grundlage we-
sentlich, in bezug auf die fortpflanzung einer so kostbaren gäbe scheinbar
wenig unterscheiden, eine solche fortpflanzung erfolgt von geschlecht auf
geschlecht, da niemals alle menschen zugleich sterben, wie sie allmälich
zur weit kommen, folglich die überlebenden den nachlebenden hinterlassen
was sie selbst von ihren Vorfahren empfangen hatten, gleichviel ob eine von
gott offenbarte oder von den ersten menschen frei erworbene spräche wreiter
getragen worden sei. die Offenbarung brauchte nur einmal erfolgt zu sein,
voraus gesetzt, dafs sie nie wieder ganz erloschen war, sondern ihren schein
immer, wenn auch schwächer von sich geworfen hätte; die menschenerfin-
dung könnte sich öfter wiederholt haben, im fall der offenbarten spräche
wäre gleichwol anzunehmen, dafs die ersten ihr näher gestandnen menschen
gegenüber den späteren von der göttlichen macht bevorzugt, jene nachthei-
liger gestellt worden seien, was gottes gerechtigkeit widerstritte.
Die Vorstellung einer offenbarten spräche, dünkt mich, mufs denen
willkommen sein, welche in den anfang aller menschlichen geschichte einen
stand paradisischer Unschuld setzen, hernach durch den sündenfall die edel-
sten gaben und fähigkeiten des menschen zerrüttet werden, folglich auch die
gottähnliche spräche von ihrem gipfel herabsinken und dann nur geschwächt
den nachkommen zustehn lassen mögen. Diese ansicht könnte Zusagen,
und halt gewinnen, weil die ganze geschichte der spräche, so weit wir in
sie gedrungen sind, in der that ihren abfall von einer vollendeten gestalt zur
minder vollkomnen zu verrathen, somit anzudeuten scheint, dafs auch für
die spräche wie für die gesamte menschliche natur eine herstellung und
erlösung eintreten und nach dem verlornen zustand anfänglicher vollkom-
C 2
14
Jacob Grimm
menheit und reinheit auf geistigem wege allmälich müsse zurück gekehrt
werden.
Dennoch finden wir diese deutung schon im widerspruch mit den ur-
kunden unsrer heiligen schrift, welche einer statt gefundnen göttlichen Offen-
barung der spräche an den menschen nirgends gedenkt, vielmehr das von
ihr selbst unerklärt gelassene dasein der spräche voraus setzt und deren Ver-
wirrung erst lange zeit nach dem sündenfall eintreten läfst. Sinnreich und
ergreifend wird aller Sprachenzwiespalt aus einem gewaltsamen frevel über-
mütiger menschen abgeleitet, die den himmel stürmenden titanen des grie-
chischen mythus ähnlich der gottheit durch einen thörichten thurmbau näher
zu rücken wähnten, und darüber die einfachheit ihrer spräche verloren,
welche sie nun von dieser Stätte verworren in alle theile des erdbodens aus-
trugen. Neulich hat ein gewandter maler in reicher composition diese viel-
leicht aus blofsem misverstand des hebräischen Wortes babal, welches ver-
mischen, mengen bezeichnet, erwachsne sage veranschaulichen wollen, hier
aber kann die kunst nur spielen, nichts ausrichten; da die Zersplitterung
der spräche über die ganze erde und ihre endlose manigfaltigkeit (1) höchst
naturgemäfs war, und die gröfsten zwecke der menschheit förderte, darf
sie blofs wolthätig und nothwendig, keineswegs verwirrend heifsen und ist
sicher auf ganz andere weise erfolgt, als uns diese einem lauten einspruch
der Sprachgeschichte überhaupt ausgesetzte erzählung zu verstehn gibt.
Hier reicht meine Untersuchung an einen theologischen standpunct,
vor dem sie nicht zu erschrecken braucht.
Unter Offenbarung denken wir uns eine kundthuung oder manifesta-
tion, die Griechen nennen sie cnroxa\v^/ig enthüllung, die Römer revelatio
entschleierung, und diese Wörter alle laufen auf denselben begrif hinaus, das
offen gemachte war vorher verschlossen, das enthüllte bedeckt oder ver-
schleiert. Niemand kann bezweifeln, dafs eine schaffende urkraft unablässig
auch ihr werk fortdurchdringe und forterhalte: das wunder der weltdauer
kommt dem ihrer Schöpfung vollkommen gleich, diese sich unausgesetzt (*)
(*) die auch im mittelalter angenommen wurde, das sich oft auf 72 sprachen einschränkt
Parz. 736, 28 von einem heidnischen könig:
er hete fünf und zweinzec her,
der neheinez sandern rede vernam.
über den Ursprung der spräche.
15
kundthuende göttliche kraft ist keinem als dem verstehenden eine kennbare
Offenbarung, da sie die gesamte natur durchdringt und in allen dingen ent-
halten ist, liegt sie zugleich offen und verborgen da und mag blofs durch
das mittel der dinge selbst erforscht werden, denn sie ist in allen dingen,
eben darum nicht aufser ihnen, unverstanden redet die natur, so lange der
suchende nicht auf ihre spur kommt und sie ihm verständlich wird.
Des alterthums kindliche Vorstellung pflegte aber unmittelbaren ver-
kehr der gottheit mit den menschen anzunehmen, dessen Wirklichkeit unsrer
Vernunft unbegreiflich und so unzulässig ist wie die der meisten andern my-
then. denn hat die gottheit anfangs sichtbar sich gezeigt, warum sollte sie
je nachher aufgehört haben es zu thun? dies ist dem ihr nothwendig beiwoh-
nenden begrif der Stätigkeit entgegen; das unerschaffene kann keine geschichte
haben, mufs sich ewig gleich bleiben, man fühlt sich in einen kreis von
widersprächen gebannt, die wenn überall vortretend kaum irgend greller
obwalten, als wo ein göttlicher Ursprung der spräche behauptet werden soll.
Der griechischen poesie verursacht es nicht den mindesten anstofs,
dafs die götter erscheinen und in der spräche des landes reden, so wenig es
heute auf unsrer Schaubühne befremdet, dafs helden und männer aller län-
der sich einstimmig in der jetzigen spräche ausdrücken, da sie nur durch
das mittel unsrer eignen Vorstellungen uns anschaubar werden. Es mufs
aber ein grund vorhanden gewesen sein, warum bei Homer wie noch bei den
tragikern zwar Apollo, Hermes, Athene und andere götter und göttinnen, nie-
mals Zeus selbst (1) den menschen leiblich erscheinend und redend vorgeführt
wird; gleichsam stellen sich jene nur als seine boten dar, die den höchsten,
an sich unaussprechlichen willen in menschenworte zu kleiden und zu fassen
beauftragt sind und in der wuchernden Vielgötterei treten lauter unterwür-
fige handlanger des höchsten wesens auf, dessen eigenschaften sie vorstellen,
dessen geheifs sie verkünden und ausrichten, wie die catholischen engel
oder heiligen.
toxi ük ^ ^
Im alten testament erscheint gott gleich von anfang leibhaft und redet f^
mit Adam Eva Noah Abraham Moses, die seine rede von selbst verstehend
JoSulol^
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(1) diesen anstand verletzt also Plautus, wenn er im Amphitruo{( den Jupiter selbst er- 0v> itrftAA
scheinen und reden läfst. Auch ln der edda, als die drei götter Odinn, Hoenir, Loki auf
erden wandeln, fuhrt nur Loki die rede, die andern schweigen. tv'T
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16
Jacob Grimm
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und darauf antwortend dargestellt werden; nirgend ist gesagt, dafs eine erste
eröfnung dieses Verständnisses eingetreten oder nöthig befunden werden sei.
Doch schon zu Moses zeit beginnt sich gott ferner zu stellen, nur auf dem
berg zu erscheinen, nur in der wolke zu reden, aus welcher donner und
blitz fahren, ganz wie der donnernde Zeus im gewölk sich erzeigt, allmä-
lich pflegt er gar nicht mehr selbst, sondern der engel des herrn aufzutreten,
und bereits Moses gegenüber wird es einigemal zweifelhaft, ob ihm des
herrn stimme oder die seines boten erschollen sei. später redet gott zu den
menschen nur durch der weissagen und engel mund, deren höhere gäbe von
einem näheren Verhältnis zu gott abgeleitet werden könnte, wie die aus-
schüttung des geistes in der apostelgeschichte (10, 44-46) unmittelbar die
zungen löst(1), daraus läfst sich aber der einfache Ursprung der längst be-
standnen menschensprache nicht begreifen, wenn man auch jenem ausgufs
über das bild hinaus die wirkliche eingebung menschlicher sprachpraxis bei-
legen will, das buch, von welchem wir den namen der apocalypsis entneh-
men, wurde zu Johannes durch einen engel des herrn gesandt, und der apostel
Paulus redet von zungen der menschen und engel, wie Plato den verkehr
(ofJLiXicc kol biaXenrog) zwischen göttern und menschen durch daemone vermit-
teln läfst, aber alle Vorstellung von daemonen und engein ist in der natur
der weit unbezeugt, in der geschichte, so glaublich man sie zu machen ge-
strebt hat, unbegründet.
Wie soll unsre Vernunft der menschlichen spräche Ursprung aus gött-
licher Offenbarung, die doch nothwendig keine heftige inspiration, sondern
einfache rede gewesen und mittelst dieser rede weiter getragen sein müste,
fassen? waren die ersten menschen fähig gottes Worte zu vernehmen, d. h.
zu verstehn, so scheint es unvonnöthen ihnen eine spräche zu enthüllen,
die als jenes Verständnisses bedingung sie bereits besitzen musten. vorhin
jedoch haben wir erwiesen, dafs ihnen keine spräche anerschaffen war, folg-
lich dafs sie gar nicht im bereich eines mittels standen, von welchem das
verstehn, dessen sie unerläfslich bedurften, abhieng. Die natur des menschen
war zur zeit der Schöpfung nicht anders als sie heute ist, sie vermochte le-
diglich durch ihre sinne und die Vernunft, womit sie ausgestattet war, ein-
drücke zu empfangen, die auf anderm wege ihr gar nicht zu theil werden
(i) auch die sage meldet, dafs die gäbe des dichte^s plötzlich über einen gekommen sei.
über den Ursprung der spräche.
17
konnten, nirgends steigt eine lehre so gewaltsam auf die menschen herab,
dafs ihr nicht ein inneres lernen entgegenkommen müste.
Noch mehr, sollen und dürfen wir uns gott redend denken? redete,
d. h. spräche er menschliche worte, so müsten wir ihm auch menschlichen
leib, zumal alle jene leiblichen Organe beilegen, von welchen gegliederte
rede abhängt, es scheint mir aber gleich widersinnig einen vollkommnen
menschenleib ohne eins seiner gliedmafse, z. b. ohne zähne, als die gottheit
mit zähnen, folglich essend sich vorzustellen, da die zähne nach unsrer wei-
sen natur zwar mit beholfen sind zum sprechen, hauptsächlich aber zum
zermalmen der speise dienen, auf solche weise würde es ganz unmöglich
sein, eins der andern glieder des leibs, deren innerer und äufserer einklang
unsre höchste bewunderung rege macht, irgend der schaffenden gottheit
abzusprechen oder beizulegen. (1)
Wenn aber überhaupt ein leib, mindestens ein menschlicher der gott-
heit gar nicht anstände, wie könnte rede oder bedürfnis der rede ihr bei-
gemessen werden? was sie nur denkt, das will sie auch, was sie will hat sie
ohne aufenthalt und zweifei mit mehr als blitzesschnelle vollführt, wozu
hätte sie sich eines boten bedient um langsamer auszurichten, was sie mit
einem wink, wenn es ihrer Weisheit gefällig gewesen wäre, vollbringt? rin-
nen in dem göttlichen sein alle jene von uns gesondert betrachteten eigen-
schaften, allmacht, urplan und ausführung nicht zusammen? ohne ihres
gleichen, doch uneinsam waltet die gottheit allenthalben in der unendlichen
natur fülle, des behelfs einer der menschlichen auch nur von ferne vergleich-
baren spräche bedarf sie nicht, wie ihre gedanken nicht den weg des men-
schendenkens gehn.
Dafs an eines menschen ohr jemals, so lange die weit steht, ein un- . ätvVuW dv\ ÖchM^o^aK
mittelbares wort gottes gedrungen sei, kann alle menschliche geschichte mit ^ Ctorou* taV*.
nichts erweisen, seine Verlautbarung würde keiner menschensprache nahe \Joee£
kommen, eine harmonie der Sphären sein, wo, dafs gott redete, aufgezeich- sooA .4-
net ist, hat der geschichtschreiber einer sage gefolgt, die für die dunkelheit cuA’\b v<>Uy+ h. cmIjo
j . . ■» i o i . i i j. . 1U i i ,.,i ]• i vt7Cv.Yv40rti|vuA
der vorzeit eines gangbaren bildes sich bediente; wer wollte buchstäblich ^ ^ ^
nehmen, wenn gesagt ist, dafs gott das gesetz mit seinem finger in die her- )J^^ ßmfoU- vW
tar Öfcnh)» (
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(*) mit recht Wolfram im Parz. 119,20 von gott: der antlitzes sich bewac (nicht ge- ,
bildet war) nach menschen antlitze. tfnuaiuvy V4 !^0YnM idi ^(jßj't
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18 Jacob Grimm
nach von Moses zerbrochne steintafel geschrieben habe? die heilige Schrift
die wir gottes wort nennen, ist uns ehrwürdig durch ihr hohes alterthum
und die edle einfachheit ihrer darstellung; allein wer sie auch zuerst abfafste
stand von dem anfang der Schöpfung bereits allzuweit ab, als dafs er anderes
als bild und sage davon mit zu theilen vermocht hätte, was von der heid-
nischen sage jeder allenthalben zugesteht, mufs er auch für die des A. T.
ein zu räumen wahrheitliebend und besonnen sein. Arnobius eifert mit
schlagenden gründen wider das heidenthum, ohne zu ahnen, dafs manche
derselben auch gegen die neue lehre gebraucht werden können.
Das Verhältnis gottes zur natur beruht auf gleich festen, unerschüt-
terbaren gesetzen wrie die bande der natur unter sich, und da diese ihr ge-
heimnis und wunder nur in sich selbst, nicht aufser sich tragen, so mufs
jedes nicht natürliche mittel von ihnen ausgeschieden sein, ein geheimnis,
bei dem es unnatürlich hergienge, gibt es nicht. (*)
Es mag auffallen, dafs weder das griechische noch indische alterthum
versucht haben die frage nach dem Ursprung und der manigfaltigkeit mensch-
licher zungen zu stellen und darauf zu antworten, die heilige Schrift strebte
wenigstens das eine der beiden räthsel, das der manigfaltigkeit durch den thurm
von Babel zu lösen. ich kenne nur noch eine arme estnische volksage,
welche dieser lösung sich etwa an die Seite stellen liefse. Der alte gott, als
den menschen ihr erster Wohnsitz zu eng geworden war, beschlofs sie über
den ganzen erdboden auszubreiten, jedem volk auch eine besondere spräche
zu ertheilen. in dieser absicht stellte er einen kessel mit wasser zum feuer,
liefs die einzelnen Stämme der reihe nach heran treten und für sich die töne
entnehmen, welche das eingesperrte und gequälte wasser singend hervor
brachte. Hier also wurde den menschen wo nicht ihre erste, wenigstens eine
neue spräche durch die naturlaute eines elements überwiesen.
(1) Lessing (sämtl. Schriften 10, 4. 5) bemerkt zu einem aufsatze Jerusalems über den
Ursprung der spräche, dafs die spräche durch ein wunder dem ersten menschen nicht mit-
getheilt sein könne, darum der mensch sie noch nicht erfunden zu haben brauche; im
Umgang mit höheren geschöpfen, durch herablassung des Schöpfers selbst könne sie ge-
lernt worden sein, was einige Wahrscheinlichkeit gewinne dadurch, dafs die menschliche
erfmdung lange Jahrhunderte gedauert haben müsse und des Schöpfers güte den armen
doch nicht so lange die spräche entzogen haben werde, alle solche Voraussetzungen sind
sichtbar ohne boden.
19
über den Ursprung der spräche.
Ich habe, worauf mein ziel sich beschränkte, dargethan, dafs die
menschensprache so wenig eine unmittelbar geoffenbarte sein könne, als sie
eine anerschafne war; eine angeborne spräche hätte die menschen zu thieren
gemacht, eine geoffenbarte in ihnen götter voraus gesetzt, es bleibt nichts
übrig, als dafs sie eine menschliche, mit voller freiheit ihrem Ursprung und
fortschritt nach von uns selbst erworbne sein müsse: nichts anders kann sie
sein, sie ist unsre geschichte, unsre erbschaft.
Das was wir sind, wodurch wir uns von allen thieren unterscheiden,
führt im sanskrit den bedeutsamen ehrwürdigen namen manudscha, welcher
auch vorzugsweise in unsrer deutschen spräche bis auf heute sich erhalten
hat, goth. manniska, ahd. mannisco, nhd. mensch und so durch alle mund-
arten; dies wort darf zwar mit gutem grund auf einen mythischen ahnen
Manna, Mannus, den schon Tacitus bezeugt, auf einen indischen könig
Manas zurückgeleitet werden, dessen wurzel man d. h. denken ist und wozu
unmittelbar auch manas, pivog, mensch fallen.
Der mensch heifst nicht nur so, weil er denkt, sondern ist auch
mensch weil er denkt, und spricht, weil er denkt, dieser engste Zusammen-
hang zwischen seinem vermögen zu denken und zu reden bezeichnet und ver-
bürgt uns seiner spräche grund und Ursprung, vorhin sahen wir griechische
benennungen des menschen hergenommen von seinem empor gerichteten
antlitz, von seiner gegliederten rede, hier ist er noch treffender nach seinem
denken genannt. Die thiere reden nicht, weil sie nicht denken, und heifsen
darum die unredenden, altn. ömaelandi, wie die unvernünftigen, mutae
bestiae, mutum et turpe pecus, das gr. aXoyog drückt zugleich aus unredend
und undenkend. (*) Das kind beginnt zu reden, wie es anhebt zu denken
und die rede wächst ihm wie ihm der gedanke wächst, beides nicht additiv,
sondern multiplicativ. Menschen mit den tiefsten gedanken, weltweise,
dichter, redner haben auch die gröfste sprachgewalt; die kraft der spräche
bildet Völker und hält sie zusammen, ohne solches band würden sie sich ver-
sprengen, der gedankenreichthum bei jedem volk ist es hauptsächlich was
seine weltherschaft festigt.
Die spräche erscheint also eine fortschreitende arbeit, ein werk, eine
zugleich rasche und langsame errungenschaft der menschen, die sie der freien
(*) ratio ist auch oratio, wie Xoyog wort und Vernunft.
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20
Jacob Grimm
entfaltung ihres denkens verdanken, wodurch sie zugleich getrennt und ge-
eint werden, alles was die menschen sind haben sie gott, alles was sie über-
haupt erringen in gutem und bösem haben sie sich selbst zu danken, die
inspiration des propheten ist nur ein bild für den in ihm erweckten und wachen
gedanken. weil aber die spräche anfangs unvollkommen war und ihr werth
erst steigt, kann sie nicht von gott, der vollendetes prägt, ausgegangen sein.
Der Schöpfer hat die seele, d. h. die kraft zu denken, er hat die
sprach Werkzeuge, d. h. die kraft zu reden in uns beides als kostbare gaben
gelegt, aber wir denken erst indem wir jenes vermögen üben, wir sprechen
erst indem wir die spräche lernen, gedanke wie spräche sind unser eigen-
thum, auf beiden beruht unsrer natur sich aufwindende freiheit, das sentire
quae velis et quae sentias dicere, ohne sie würden wir thieren gleich baarer
nothwendigkeit hingegeben sein und mit ihr sind wir empor geklommen.
Diese spräche, dies denken steht aber nicht abgesondert da für einzelne
menschen, sondern alle sprachen sind eine in die geschichte gegangene gemein-
schaft und knüpfen die weit aneinander, ihre manigfaltigkeit eben ist bestimmt,
den ideengang zu vervielfachen und zu beleben, von dem sich ewig erneu-
ernden, wechselnden menschengeschlecbt wird der köstliche allen dargebotne
erwerb auf die nachkommen übertragen und vererbt, ein gut das die nach-
weit zu erhalten, zu verwalten und zu mehren angewiesen ist. denn hier grei-
fen lernen und lehre unmittelbar und unvermerkt in einander, die ersten
worte vernimmt der Säugling an der mutterbrust von der weichen und sanften
mutterstimme ihm entgegen gesprochen, und sie schmiegen sich fest in sein
reines gedächtnijfs, bevor er noch der eignen sprechorgane mächtig geworden
ist, darum heifst sie die muttersprache und so erfüllt sich mit den jahren
in schnell erweiterten kreisen ihr umfang, sie allein vermittelt uns am un-
vertilgbarsten heimat und Vaterland, und was von den einzelnen geschlechtern
und Stämmen, die gleiche spracheigenheit eingedrückt empfangen, mufs wei-
terhin von der ganzen menschlichen gesellschaft gelten. Ohne spräche,
dichtkunst und die zur rechten zeit sich eingestellten erfindungen der Schrift
und des bücherdrucks würde die beste kraft der menschheit sich verzehrt
haben und ermattet sein, auch die schrift hat man die götter den menschen
weisen lassen wollen; doch ihr überzeugend menschlicher Ursprung, ihre
wachsende Vollkommenheit mufs, wenn es nöthig wäre, den erweis des
menschlichen Ursprungs der spräche bestätigen und vollführen.
über den Ursprung der spräche.
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Herodot meldet uns, Psammetich der Ägypter könig um zu versuchen,
welches volk und welche spräche zuerst erschaffen worden sei, habe zwei
neugeborne kinder einem hirten einsam aufzuziehen gegeben mit befehl kein
wort vor ihren ohren auszusprechen und zu achten, welchen laut sie nun
hervor bringen würden, nach einiger zeit verlauf, als der hirt diesen kin-
dern sich genähert, hätten sie mit ausgestreckten händen ßsKcg ausgerufen, ^ ^ \
und dann öfter dasselbe wort in gegenwart des königs wiederholt. auf ^ «— > -
angestellte erkundigung sei man aber gewahr worden, dafs die Phryger das oa r
brot ßsKog nennen und habe dadurch die Überzeugung gewonnen, dafs die
Phryger das älteste volk der erde seien. (*)
Wäre es möglich, denn die ganze erzählung klingt höchst abenteuer-
lich, einen solchen versuch jemals anzustellen und in der weise durchzufüh-
ren, dafs man neugeborne kinder grausam auf eine abgelegne insei aussetzen
und von stummen dienern grofsziehen liefse; so würde man zwar keine worte
der ältesten menschensprache, die ihnen ja durchaus nicht angeboren sein
konnte, vernehmen, wol aber hätten diese elenden dem menschlichen erb-
theil entrissenen geschöpfe mit ihrem erwachenden denkvermögen von vornen
an beginnend gleich den ersterschafnen menschen eine spräche sich zu erfin-
den, und falls ihre abgeschiedenheit andauern könnte, auf ihre nachkom-
men fortzupflanzen. Nur um so theuern preis, was jedoch nie so lange
die erde dauern wird, zur ausführung gelangen dürfte, weil sich zahllose
hindernisse entgegen stemmen müsten, könnte die Sprachforschung unmit-
telbare bestätigung dessen entnehmen, was sie aus andern gründen zu fol-
gern berechtigt ist.
Ich nähere mich meiner eigentlichen aufgabe oder doch dem für die
meisten meiner zuhörer anziehendsten theil derselben, welcher auf die frage
antwort geben soll, wie man sich zu denken habe, dafs die ersten menschen
die erfindung ihrer spräche bewerkstelligten.
Vorausgeschickt werden mufs jedoch in aller kürze, ob, ganz abge-
sehn von dem hier noch bei Seite gelassenen problem, in wie fern die grund-
verschiedenen sprachen der erde auf eine erste bildung oder nur auf meh-
rere bildungen sich zurück führen lassen, ob man auch da, wo eine einzige,
weit verbreitete und hernach in viele äste zerfallende Ursprache vorliegt, nur
(*) Herod. 2, 2, vgl. fragm. histor. graecor. 1, 22. 23.
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Jacob Grimm
ein menschenpaar oder mehr als eins anzusetzen habe, durch welches sie
hervorgebracht und fortgepflanzt worden sei?
Das ist anzunehmen, dafs mann und weib zusammen, vollwüchsig
und zeugungsfähig erschaffen wurden, denn nicht setzt der vogel das ei, die
pflanze den samen, soüdern das ei den vogel voraus, das körn die pflanze;
kind, ei, Samenkorn sind erzeugnisse, folglich unurerschaffen: der erste
mensch war also nie kind, doch das erste kind hatte jfeinen vater. Aber dafs
von jedem thier, von jedem kraut nur ein paar, nicht mehrere neben einan-
der erschaffen worden, dafs alle gräser in ihrer fülle aus eines halmes Wucher
vervielfacht seien, hat wenig für, mehr gegen sich, die ein paar entstehn
lassende schöpferische kraft konnte unbehindert auch mehrere zusammen
schaffen, wie sie schon im ersten paar das gleichartige zweimal hervor zu brin-
gen genöthigt war. gegen den ausgang der gesamten thiermenge aus einem
paar jeder gattung hat man auch nicht ohne schein den gesellschaftstrieb der
ameisen und bienen eingewandt, der ihnen mufs angeboren gewesen, nicht
allmälich entwickelt sein, folglich nicht erst auf die entwickelte menge ge-
wartet haben kann. Auf den menschen und die spräche angewandt ist es
sogar wahrscheinlich, dafs mehr als ein paar erschaffen wurde, schon aus
dem natürlichen gründe, weil die erste mutter möglicherweise lauter söhne
oder lauter töchter hätte gebären können, wodurch alle forterzeugung ge-
hindert worden wäre, noch mehr aus dem sittlichen, um Vermischung von
geschwistern, wovor die natur ein grauen hat, zu verhüten, die bibel geht
darüber still hinweg, dafs Adams und Evas, wenn sie allein standen, kinder
unter einander sich begatten musten. (*)
Auch erklärt sich der spräche Ursprung viel leichter, wenn alsogleich
zwei oder drei menschenpaare, und bald ihre kinder, an ihr bildeten, so
dafs alle sprachverhältnisse auf der stelle sich zahlreich vervielfachen konn-
ten; die einheit der entspringenden regel läuft darunter keine gefahr, weil
auch schon bei einem menschenpaar zwei individuen, mann und frau, die
spräche erfinden musten und hernach ihre kinder sich mit daran betheiligten,
man kann den frauen, die nach einigen generationen, zumal wenn mehrere
paare stattfanden, gern ihre eigne, von den männern in manchem gesonderte
sitte and Stellung einnahmen, sogar eigenheiten der mundart für ausprägung
(*) Göthe läfst die ersten menschenpaare zu dutzenden hervor gehn. Eckermann 2, 21.
ÄK' kcj %Aß- ubA
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Dia*- ÖaA at//XtiAA -*i£ihtUX Us&j ftc
3ja- VC
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über den Ursprung der spräche.
23
der ihnen vorzugsweise geläufigen begriffe von frühe beilegen, wie sie uns
am bestimmtesten das prakrit gegenüber dem sanskrit bezeugt, aber in allen
alten sprachen sehen wir männliche und weibliche flexionen neben einander
unterschieden, was auf keinen fall ohne einflufs des frauengeschlechts auf
die sprachgestaltung selbst kann geschehen sein.
Aus dem Verhältnis der sprachen nun, welches uns über die Verwandt-
schaft der einzelnen Völker sichereren aufschlufs darreicht, als alle urkunden
der geschichte es vermögen, läfst sich auf den Urzustand der menschen im
Zeitraum der Schöpfung und auf die unter ihnen erfolgte sprachbildung zu-
rück schliefsen. dem menschlichen geist macht es erhebende freude über
die greifbaren beweismittel hinaus das zu ahnen, was er blofs in der Vernunft
empfinden und erschliefsen kann, wofür noch die äufsere bewahrheitung
mangelt, wir gewahren in den sprachen, deren denkmäler aus einem hohen
alterthum bis zu uns gelangt sind, zwei verschiedne und abweichende rich-
tungen, aus welchen eine dritte ihnen vorher gegangene, aber hinter dem
bereich unsrer Zeugnisse liegende nothwendig gefolgert werden mufs.
Den alten sprachtypus stellen uns sanskrit und zend, grofsentheils
auch noch die griechische und lateinische zunge vor; er zeigt eine reiche,
wolgefällige, bewundernswerthe Vollendung der form, in welcher sich alle
sinnlichen und geistigen bestandtheile lebensvoll durchdrungen haben. In
den fortsetzungen und späteren erscheinungen derselben sprachen, wie den
dialecten des heutigen Indiens, im Persischen, Neugriechischen und Roma-
nischen ist die innere kraft und gelenkigkeit der flexion meistens aufgegeben
und gestört, zum theil durch äufsere mittel und behelfe wieder eingebracht.
Auch in unsrer deutschen spräche, deren bald schwach rieselnde, bald mäch-
tig ausströmende quellen sich durch lange Zeiten hin verfolgen und in die
wagschale legen lassen, ist dasselbe herabsinken vom früheren höhepunct
gröfserer formvollkommenheit unverkennbar und dieselben wege des ersatzes
werden eingeschlagen, halten wir die gothische spräche des vierten jh. ge-
gen unsre heutige, dort ist wollaut und schöne behendigkeit, hier, auf ko-
sten jener, vielfach gesteigerte ausbildung der rede, überall erscheint die
alte gewalt der spräche in dem mafse gemindert als etwas anderes an die stelle
der alten gaben und mittel getreten ist, dessen vortheile auch nicht dürfen
unterschätzt werden.
Beide richtungen stehn einander keineswegs schrof entgegen und alle
sprachen erzeigen sich auf manigfalten, ähnlichen aber ungleichen stufen.
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24
Jacob Gbimm
die formabnahme hat z.b. auch im gothischen oder lateinischen bereits begon-
nen und für die eine wie die andere spräche darf man eine vorausgegangene
ältere und reichere gestalt ansetzen, die sich zu ihrem classischen bestand ver-
hält wie dieser etwa zum neuhochdeutschen oder französischen, anders und
allgemein ausgedrückt, ein erreichter gipfel der förmlichen Vollendung alter
spräche läfst sich historisch gar nicht feststellen, so wenig die ihr entgegen-
gesetzte geistige sprachausbildung heute auch schon zum abschlufs gelangt
ist, sie wird es noch unabsehbar lange zeit nicht sein. Es ist zulässig selbst
dem sanskrit voraus noch einen älteren sprachstand zu behaupten, in wel-
cher die fülle seiner natur und anlage noch reiner ausgeprägt gewesen wäre,
die geschichtlich wir gar nicht mehr erreichen.
Ein verderblicher fehler würde aber sein, und er scheint mir gerade
bei Untersuchung der Ursprache hemmend eingewirkt zu haben, jene Vollen-
dung der form noch höher aufwärts und bis in ein vermeintes paradis zurück
zu verlegen, vielmehr ergiebt der beiden letztem sprachperioden aneinan-
der halten, dafs wie an den platz der flexion eine auflösung derselben getre-
ten sei, so auch die flexion selbst aus dem verband einmal erst entsprungen
sein müsse. Nothwendig demnach sind drei, nicht blofs zwei staffeln der
entwickelung menschlicher spräche anzusetzen, des Schaffens, gleichsam
Wachsens und sich aufstellens der wurzeln und Wörter, die andere des em-
porblühens einer vollendeten flexion, die dritte des triebs zum gedanken,
wobei die flexion als noch nicht befriedigend wieder fahren gelassen und was
im ersten Zeitraum naiv geschah, im zweiten prachtvoll vorgebildet war,
die Verknüpfung der worte und gedanken abermals mit hellerem bewrustsein
bewerkstelligt wird. Es sind laub, blüte und reifende frucht, die, wie es die
natur verlangt, in unverrückbarer folge neben und hinter einander eintreten.
Durch die blofse nothwendigkeit einer ersten unsichtbaren, den beiden an-
dern für uns sichtbaren perioden voraus gegangnen wird, dünkt mich, der
wahn eines göttlichen Ursprungs der spräche ganz beseitigt, weil es gottes
Weisheit widerstritte dem, was eine freie menschengeschichte haben soll,
im voraus zwang an zu thun, wie es seiner gerechtigkeit entgegen gewiesen
wäre, eine den ersten menschen verliehne göttliche spräche für die nachle-
benden von ihrem gipfel herab sinken zu lassen.
Mit betrachtung der spräche, wie sie im letzten Zeitraum erscheint,
allein würde man nie dem geheimnis ihres Ursprungs näher getreten sein,
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25
über den Ursprung der spräche.
und allen aus dem gegenwärtigen sprachstand nach dem etjmon eines Wortes
forschenden pflegt es damit fehlzuschlagen, da sie weder die bildungstheile
von der wurzel rein abzulösen noch den sinnlichen gehalt derselben zu er-
mitteln vermögen.
Anfangs entfalteten sich, scheint es, die Wörter unbehindert in idylli-
schem behagen, ohne einen andern haft als ihre natürliche vom gefühl an-
gegebne aufeinanderfolge; ihr eindruck war rein und ungesucht, doch zu voll
und überladen, so dafs licht und schatten sich nicht vertheilen konnten. (*)
Allmälich aber läfst ein unbewust waltender sprachgeist auf die nebenbegriffe
sehwächeres gewicht fallen und sie verdünnt und gekürzt den hauptvorstel-
lung als mitbestimmende theile sich anfügen, die flexion entspringt aus
dem einwuchs lenkender und bewegender bestimmwörter, die nun wie halb
und fast ganz verdeckte triebräder von dem hauptwort, das sie anregten,
mitgeschleppt werden, und aus ihrer ursprünglich auch sinnlichen bedeu-
tung in eine abgezogne übergegangen sind, durch die jene nur zuweilen noch
schimmert. Zuletzt hat sich auch die flexion abgenutzt und zum blofsen
ungefühlten Zeichen verengt, dann beginnt der eingefügte hebel wieder gelöst
und fester bestimmt nochmals äufserlich gesetzt zu werden; die spräche
büfst einen theil ihrer elasticität ein, gewinnt aber für den unendlich gestei-
gerten gedankenreichthum überall mafs und regel.
Erst nach gelungner Zergliederung der flexionen und ableitungen, wo-
durch Bopps Scharfsinn so grofses verdienst errungen hat, hoben sich die
wurzeln hervor und es ward klar, dafs die flexionen gröfstentheils aus dem
anhang derselben Wörter und Vorstellungen zusammen gedrängt sind, welche
im dritten Zeitraum gewöhnlich aufsen voran gehn, ihm sind präpositionen
und deutliche Zusammensetzungen angemessen, dem zweiten flexionen, Suf-
fixe und kühnere composition, der erste liefs freie Wörter sinnlicher Vorstel-
lungen für alle grammatischen Verhältnisse auf einander folgen. Die älteste
spräche war melodisch aber weitschweifig und haltlos, die mittlere voll ge-
dungener poetischer kraft, die neue spräche sucht den abgang an Schönheit
durch harmonie des ganzen sicher einzubringen, und vermag mit geringeren
mittein dennoch mehr.
(*) man könnte sagen, dafs die flexionslose chinesische spräche gewissermafsen in der
ersten bildungsperiode verharrt sei.
26
Jacob Grimm
Der den Ursprung der spräche hüllende schieier ist gelüftet, nicht
vollends aufgedeckt. Es kann hier weder ausführbar noch mein zweck sein
alle oder die meisten beweise für die vorgetragene ansicht aus zu heben,* was
ein eignes schweres buch fordern würde, ich strebe nur die wesentlichen
grundlagen der Untersuchung hinzusteilen.
Nichts in der spräche, wie in der ganzen sie gleichsam auf ihren schofs
nehmenden natur, geschieht umsonst, alles, was ich schon oben sagte, aus-
reichend ohne Verschwendung, einfache mittel richten das stärkste aus, kein
buchstab ursprünglich steht bedeutungslos oder überflüssig.
Jeder laut hat seinen natürlichen, im organ das ihn hervorbringt
gegründeten und zur anwendung kommenden gehalt. Von den vocalen
hält a die reine mitte, i höhe, u tiefe; a ist rein und starr, i und u sind
flüssig und der consonantierung fähig, offenbar mufs den vocalen ins-
gesamt ein weiblicher, den consonanten insgesamt ein männlicher grund bei-
gelegt werden.
Yon den consonanten wird l das linde, r das rauhe bezeichnen, wahr-
zunehmen ist, dafs in vielen Wörtern der ältesten spräche r waltet, wo die
jüngeren l setzen, während das s der älteren dem r der jüngeren weicht,
niemals aber gehn s und l in einander über, entweder wollte der sprach-
geist eine entsprungne lücke ausgleichen, oder was richtiger scheint, beiderlei
r sind auch in der aussprache schon verschieden, jenes dem l naherein und
rollend, dieses mit s verwandte heiser und unrein.
Alle consonantverdoppelungen sind der ältesten spräche ab zu erken-
nen, und erst allmälich durch assimilation verschiedner consonanten und
zumal häufig aus anstofsendem i entsprungen. Consonantlautabstufung, die
sich am aller deutlichsten und zu zweien malen in den Verschiebungen der
deutschen spräche ereignete, pflegt mit wundervollem instinct, indem sie
alle stummen laute verrückt, ihnen doch jedesmal wieder die rechte stelle
anzuweisen, haben irgendwo in der spräche naturtrieb und freie kraft zu-
sammen gewirkt, so geschah es in dieser höchst auffallenden erscheinung.
Der Ursprache waren e und o fremd, wenn diphthonge und brechun-
gen dem zweiten Zeitraum, dem dritten umlaute und noch andere vocaltrü-
bungen gemäfs sind, so wird man dem ersten vorzugsweise fast nur kurze
vocale und einfache consonanten beizumessen haben.
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27
über den Ursprung der spräche.
Doch die natur der einzelnen laute zu erörtern liegt mir hier nicht
ferner ob; dies würde mehr da an seiner stelle sein, wo jene leibliche an-
lage unsers Organismus auf die spräche sorgfältig angewandt werden soll.
Hebel aller Wörter scheinen pronomina und verba. das pronomen
ist nicht blofs, wie sein name könnte glauben machen, Vertreter des nomens,
sondern gerade zu beginn und anfang alles nomens. wie das kind dessen
denkvermögen wach geworden ist 'ich3 ausspricht, finde ich auch im Ja-
dschurveda ausdrücklich anerkannt, dafs das ursprüngliche wresen'ich bin
ich3 spreche und der mensch, wenn er gerufen werde 'ich bin es3 antworte.
Alle verba und nomina, das persönliche Verhältnis an sich bezeichnend, fü-
gen pronomina ein, wie sie in der dritten sprachperiode äufserlich dazu aus-
gedrückt werden. Als der mensch das erstemal sein ich, das im sanskrit
aham lautet, sprach, stiefs er es aus voller brust im geleit eines kehlhauchs
und alle urverwandten zungen sind sich hierin gleich geblieben, nur dafs
sie das reine a schwächen oder die gutturalstufe verschieben, im obliquen
Casus tritt ein halb zurück weisendes labiales m vor. das deutende t der an-
geredeten zweiten person mufs hingegen im casus rectus und obliquus haften,
gröfsere manigfaltigkeit als die beiden ersten sich gegenüberstehenden per-
sonen fordert aber die fernere dritte, und ihr hauptkennzeichen war entweder
s oder /, jenes vorzugsweise zur bezeichnung des flüssigen reflexivbegriffes,
der sich auch dem verbum suffigiert.
Aufser dem belebenden pronomen liegt die gröfste und eigentliche
kraft der spräche im verbum, das fast alle wrurzeln in sich darstellt.
Alle verbal wurzeln, deren anzahl im ersten sprachzeitraum beim be-
ginn nicht über einige hundert hinaus gereicht zu haben braucht, aber äu-
fserst schnell wuchs, enthalten sinnliche Vorstellungen, aus welchen unmit-
telbar auch analoge und abstracte knospen und sich erschliefsen konnten,
wie z. b. dem begrif des athmens der des lebens, dem des ausathmens der
des Sterbens entspriefst. es ist ein folgenschwerer satz, dafs licht und schall
aus denselben wurzeln fliefsen.
Alle verbalwurzeln wurden aber mit dem einfachsten aufwand an mit-
teln erfunden, indem ein consonant dem vocal vor oder nachtrat, ob aus
blofsem vocal wurzeln bestehn können, darf noch in zweifei gezogen werden,
da nach dem vorhin vom wesen der vocale und consonanten überhaupt ge-
sagten die zeugung einer Wurzel von dem sich vermählen beider geschlechter
E
28
Jacob Grimm
abhängig scheint, das sanskrit kennt keine allein von kurzem a gebildete
Wurzel, wogegen kurzes i als Wurzel für den begrif gehn (die auch im latei-
nischen i9 welches aber lang ist, blos läge) und kurzes u als wurzel für tö-
nen angenommen wird; ihnen beiden könnten aber consonanten abgefallen
sein. Unter den mit consonant und vocal gebildeten scheinen die consonan-
tisch anlautenden den consonantisch auslautenden im alter voranzugehn, weil
auch den vocalisch auslautenden ein zweiter consonant allmälieh zuzutreten
pflegt, nicht den vocalisch anlautenden vorzutreten, z. b. neben der wurzel
mä ergibt sich eine zweite wurzel mad, welche dem lat. metiri, unserm
messen entspricht, etwas anders ist, dafs die wehenden anlaute v h und s
vor liquiden bald vorzutreten bald abzufallen pflegen, was man nun für das
ältere halte: das vortreten, denke ich.
Welchen vocal und welchen consonant der erfinder für ein verbum
nehmen wollte, lag abgesehn von der natürlich vorbrechenden und sich
geltend machenden organischen gewalt des lautes meist in seiner willkür,
die gar nicht statt gefunden hätte, wäre sie von jenem einflufs immer und
völlig abhängend, selbst aber mit feinerem oder gröberem gefühl geübt wer-
den konnte, in diesen einfachsten bildungsgesetzen sehn wir also auch hier
nothwendigkeit und freiheit einander durchdringen. Wenn z. b. im sanskrit
die wurzel pä, gr. ttiziv, sl. piti ausdrückt, so hindert nichts, dafs ein andrer
spracherfinder dafür auch kä oder tä ergriffen hätte, ein grofser theil der
indogermanischen wurzeln hat blofs sein historisches urrecht, dem nur or-
ganische bestimmungen zutreten können. Doch instinctmäfsig ist vorgesehn,
dafs in der einzelnen spräche wenig oder keine gleichlautige wurzeln für ver-
verschiedene Vorstellungen statt haben, d. h. von den erfindern nicht mehr-
mals dieselben laute für grundverschiedne Vorstellungen gewählt wurden,
was unabsehbar verwirren müste. zu unterscheiden hiervon ist aber sorg-
sam die uns oft noch unerkannte und dunkle Verwandtschaft mehrfacher
sinnlicher und abgezogner begriffe, die aus den buchstaben einer und der-
selben wurzel erwachsen.
Ob und wie viel wurzeln, die auf doppelten stummen consonant an
und auslauten, man im ersten Zeitraum gestatten dürfe, lassen die bisherigen
Untersuchungen noch unentschieden.
An jedem verbum können im zweiten Zeitraum personen, numerus,
tempus, modus und genus bezeichnet werden, die personen durch angefügte
29
über den Ursprung der spräche.
persönliche pronomina, die tempora meistens durch hilfswörter, die ur-
sprüglich los angeschlossen allmälich zur flexion verwuchsen. Aufser be-
zeichnung der Vergangenheit durch ein solches hilfswort, trat zu gleichem
zweck auch ein wiederholen der wurzel oder reduplication derselben ein, da
das vergangne natürlicherweise im wiederholen seinen ausdruck findet, mit
solcher reduplicierenden form hängt aber nach erlöschen der reduplications-
silbe noch der deutsche ablaut innig zusammen, und wie diphthonge in vocal-
längen sich verengen, thun es die reduplicationen im ablaute. in unsern
deutschen mit ablaut gebildeten praeteriten darf demnach kein hilfsverbum
einverleibt gedacht werden.
Alle nomina, d. h. die den Sachen beigelegten namen oder eigenschaf-
ten setzen verba voraus, deren sinnlicher begrif auf jene angewandt wurde,
z.b. unser hahn, goth. hana bezeichnet den krähenden vogel, setzt also
ein verlornes verbum hanan voraus, das dem skr. kan, lat. canere entsprach,
und dessen ablaut goth. hon, ahd. huon uns zugleich über huon pullus gal-
linaceus, nhd. huhn ins klare bringt, nicht anders führt sich der sl. name
des hahns pjetel auf pjeti singen, der litt, gaidys auf giedmi zurück, Der
wind, lat. ventus, sl. vjetr, litt, vejas, skr. väju heifst der wehende von vä,
goth. vaian spirare, genau wie avefJLog animus zum goth. anan spirare, unser
geist zu einem alten geisan vento fervi gehören; den in väju, vejas abgehen-
den linguallaut haben ventus wind vjetr, ehenso geist eingeschaltet, wie es
unzählige mal, z.b. auch in unserm hund gegenüber dem lat. canis, gr.
kvüov geschah, hier strömen beispiele von allen seiten ohne ende zu. unser
heute verdunkeltes bohne steht gleich dem lat. faba wurzellos, doch ergibt
sich leicht, faba müsse aus fagba, bohne, ahd. bona, folglich goth. bauna
aus bagbana, bagbuna hervorgegangen sein, wozu auch das sl. bob gefügt
werden darf; zu fagba, bagba lehrt uns dann das gr. cpayeiv die rechte Wur-
zel: fagba war efsbare frucht, wie auch fagus, unser ahd. puocha, nhd.
buche und gr. (pctKY\ linse denselben Ursprung verraten.
Höchst natürlich und menschlich aber war, dafs die sprachfindung jedem
namen ein geschleckt ertheilte, wie es entweder an der sache selbst ersichtlich
vorlag oder ihr in gedanken beigelegt werden konnte. In der flexion wurde
jedoch das männliche genus am vollkommensten und rührigsten geprägt,
das weibliche ruhiger und schwerer, so dafs jenem mehr consonanzen und
kurze vocale, diesem lange Zusagen, ein aus beiden erzeugtes neutrum sich
E 2
au*» vtrhucr* oujj, a!^i* f
(XhJ> ^
30
Jacob Grimm
aber in die eigenheiten beider tbeilt. Durch die Unterscheidung der ge-
schlechter wird mit dem glücklichsten grif, wie durch einen ruck, in alle
lagen, denen das nomen unterzogen werden mufs, regel gebracht und
klarheit.
Diese lagen sind zumal Verhältnisse des casus und numerus. während
nemlich den gerad stehenden, im satz herschenden casus ein pronomen kenn-
zeichnet, müssen die obliquen casus ihre räumlichen begriffe durch partikeln
ausdrücken, die gleich jenen auxiliären des verbums dem nomen hinzutre-
ten, nach und nach fest mit ihm verwachsen manigfache flexionen erzeugen.
Den flexionen, als sie entsprangen, wird solcher Verengungen und zusam-
menziehungen wegen überwiegend langer vocal oder diphthong zugestanden
haben und wie er sich verdünnte, die flexion erblafst sein. In den neueren
sprachen sehn wir endlich die erblichne flexion fast oder ganz gewichen und
von aufsen durch artikel und praepositionen ersetzt, welche uns ahnen las-
las, dafs die flexion selbst einmal aus ähnlichen bestandtheilen hervorgegan-
gen sein muste. Wenn das franz. le loup und du loup dem lat. lupus und
lupi gleich steht, nachweislich aber aus ille lupus, de illo lupo entsprungen
ist, so folgt dafs auch der ausgang s ein pronomen enthalten und die flexion
i auf eine volle ursprüngliche form zurück geleitet eine partikel erscheinen
lassen werde.
Da nun die partikeln selbst, mit ausnahme der dem angebornen Or-
ganismus heimfallenden, halbthierischen interjectionen, ursprünglich leben-
dige nomina oder pronomina waren, denen nach und nach abgezogne func-
tionen beigelegt werden, so ist der spräche lebendiger kreislauf abgeschlossen.
Die spräche kann einzelne und grofse vortheile fahren lassen, z. b.
das medium und passivum, den Optativ, viele tempora und casus der form
nach aufgeben und sich dafür mit deutlicheren Umschreibungen schleppen
oder auch den sinnlichen ausdruck mit gar nichts ersetzen, z.b. die schöne,
beholfne dualform, ein zeitlang erreichten wir noch das skr. tschaksusi, das
gr. oorfxe durch beide äugen, das gr. %sgo7v durch mit beiden händen, und
der beisatz erweist die naturgemäfsheit des alten dualis, endlich genügte das
blofse äugen und händen.
Ich bin in raschen Umrissen über reichhaltige, unerschöpfliche, meinem
vortrag sich hier oft versagende sprachverhältnisse geglitten, um noch für
eine allgemeinere betrachtung der angesetzten drei periodeu raum zu gewin-
31
über den Ursprung der spräche.
nen. Es ergibt sich, dafs die menschliche spräche nur scheinbar und von
einzelnem aus betrachtet im rückschritt, vom ganzen her immer im fortschritt
und Zuwachs ihrer inneren kraft begriffen angesehen werden müsse.
Unsere spräche ist auch unsere geschichte. wie eines Volkes, eines
reiches grund gelegt wurde von einzelnen geschlechtern, die sich vereinten,
gemeinsame sitten und gesetze annahmen, im bunde handelten und den um-
fang ihres besitzthums erweiterten; so forderte auch die sitte einen findenden
ersten act, aus dem alle nachfolgenden hergeleitet werden, auf den zurück
sie sich beziehen, die dauer der gemeinschaft legte hernach eine menge von
abänderungen auf.
Den stand der spräche im ersten Zeitraum kann man keinen paradisi-
schen nennen in dem gewöhnlich mit diesem ausdruck verknüpften sinn
irdischer Vollkommenheit; denn sie durchlebt fast ein pflanzenleben, in dem
hohe gaben des geistes noch schlummern, oder nur halb erwacht sind, ihre
Schilderung darf ich etwa in folgende züge zusammen fassen.
Ihr auftreten ist einfach, kunstlos, voll leben, wie das blut in jugend-
lichem leib raschen umlauf hat. alle Wörter sind kurz, einsilbig, fast nur
mit kurzen vocalen und einfachen consonanten gebildet, der wortvorrat drängt
sich schnell und dicht wie halme des grases. alle begriffe gehn hervor aus
sinnlicher, ungetrübter anschauung, die selbst schon ein gedanke war, der
nach allen seiten hin leichte und neue gedanken entsteigen. Die Verhältnisse
der Wörter und Vorstellungen sind naiv und frisch, aber ungeschmückt durch
nachfolgende, noch unangereihte Wörter ausgedrückt, mit jeden schritt,
den sie thut, entfaltet die geschwätzige spräche fülle und befähigung,
aber sie wirkt im ganzen ohne mafs und einklang. ihre gedanken haben
nichts bleibendes, stätiges, darum stiftet diese früheste spräche noch keine
denkmale des geistes und verhallt wie das glückliche leben jener ältesten
menschen ohne spur in der geschichte. zahlloser same ist in den boden ge-
fallen, der die andere periode vorbereitet.
In dieser haben alle lautgesetze sich vervielfacht und glänzend aufge-
than. aus prachtvollen diphthongen und ihrer ermäfsigung zu vocallängen
entspringt neben der noch waltenden fülle der kurzen wollautender Wechsel;
auf solche weise rücken auch consonanten, nicht mehr überall durch vocale
gesondert, aneinander und steigen kraft und gewalt des ausdrucks. Wie
aber die einzelnen laute sich fester schliefsen, beginnen partikeln und auxi-
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
32 Jacob Grimm
liare näher anzurücken und indem sich der ihnen selbst einwohnende sinn
allmälich abschwächt, mit dem wort das sie bestimmen sollten sich zu eini-
gen. statt der bei verminderter sinneskraft der spräche schwer überschau-
lichen sonderbegriffe und unabsehbaren wortreihen ergeben sich wolthätige
anhäufungen und ruhepuncte, welche das wesentliche aus dem zufälligen,
das waltende aus dem untergeordneten vortreten lassen. Die Wörter sind
länger geworden und vielsilbig, aus der losen Ordnung bilden sich nun mas-
sen der Zusammensetzung, wie die einzelnen vocale in doppellaute drängten
die einzelnen Wörter sich in flexionen, und wie der doppelte vocal in dichter «
Verengung wurden auch die flexionenbestandtheile unkenntlich, aber desto
anwendbarer, zu fühllos gediehnen anhängen gesellen sich neue deutlicher
bleibende. Die gesamte spräche ist zwar noch sinnlich reich, aber mächti-
ger an gedanken und allem was diese knüpft, die geschmeidigkeit der flexion
sichert einen wuchernden Vorrat lebendiger und geregelter ausdrücke. Um
diese zeit sehen wir die spräche für metrum und poesie, denen Schönheit,
wollaut und Wechsel der form unerläfslich sind, aufs höchste geeignet und
die indische und griechische poesie bezeichnen uns einen im rechten augen-
blick erreichten, später unerreichbaren gipfel in unsterblichen werken.
Da nun aber die ganze natur des menschen, folglich auch die spräche
dennoch in ewigem, unaufhaltbarem aufschwung begriffen sind, konnte das
gesetz dieser zweiten periode der Sprachentwicklung nicht für immer genügen,
sondern muste dem streben nach einer noch gröfseren ungebundenheit des
gedankens weichen, welchem sogar durch die anmut und macht einer vol-
lendeten form fessel angelegt schien. Mit welcher gewalt auch in den chören
der tragiker oder in Pindars öden worte und gedanken sich verschlingen; es
entspringt dabei das gefiihl einer der klarheit eintrag thuenden Spannung,
die noch stärker in den indischen bild auf bild häufenden Zusammensetzun-
gen wahrnehmbar wird; aus dem eindruck dieser wahrhaft übermächtigen
form trachtete der sprachgeist sich zu entbinden, indem er den einflüssen
der vulgaridiome nachgab, die bei dem wechselnden geschick der Völker auf
der Oberfläche wieder vortauchten. Gegenüber dem seit einführung des
christenthums versinkenden latein trieben auf andrer Schicht und unterläge
die romansprachen empor und neben ihnen machten sich im lauf der zeit
die deutsche und die englische spräche nicht einmal mit ihren ältesten mit-
teln, sondern in der durch die] blofse kraft der gegenwart bedingten mi-
über den Ursprung der spräche.
33
schling luft. Den reinen vocalen war längst trübung, die wir durch umlaut,
brechung und noch auf andere dem alterthum unbekannte weise bezeichnen,
gefolgt, unserm consonantismus war beschieden verschoben, entstellt und
verhärtet zu sein, man mag bedauern, dafs die reinheit des ganzen lautsy-
stems geschwächt last aus der fuge geriet; allein niemand wird auch ver-
kennen, durch entsprungne zwischentöne seien unerwartet neue behelfe, mit
welchen aufs freiste geschaltet werden konnte, zu wege gebracht worden.
Eine masse von wurzeln wurde durch solche lautänderungen verfinstert, fortan
nicht mehr in ihrer sinnlichen Urbedeutung, nur für abgezogne Vorstellungen
fort unterhalten; von den ehmaligen flexionen gieng das meiste verloren und
wird durch reichere, freiere partikeln ersetzt, vielmehr überboten, weil der
gedanke aufser der Sicherheit auch an vielseitiger wendung gewinnen kann.
Wie schon die vier oder fünf griechischen und lateinischen casus an sich un-
vermögender erscheinen als die vierzehn der finnischen spräche, und den-
noch mit aller solcher mehr scheinbaren als wirklichen behendigkeit diese
weniger ausrichtet; so ist auch unsern neuern sprachen überhaupt minder
als man glauben sollte dadurch benommen, dafs sie die überreiche form des
griechischen verbums entweder unausgedrückt lassen oder wo es daran liegt
umschreiben müssen.
Was das gewicht und ergebnis dieser erörterungen angeht, so mag
ich mit einem einzigen aber entschiedenen beispiel ihrer beinahe enthoben
sein, ^keine unter allen neueren sprachen hat gerade durch das aufgeben
und zerrütten alter lautgesetze, durch den Wegfall beinahe sämtlicher flexio-
nen eine gröfsere kraft und stärke empfangen als die englische und von ihrer
nicht einmal lehrbaren, nur lernbaren fülle freier mitteltöne ist eine wesent-
liche gewalt des ausdrucks abhängig geworden, wie sie vielleicht noch nie
einer andern menschlichen zunge zu gebot stand. Ihre ganze überaus gei-
stige, wunderbar geglückte anlage und durchbildung war hervorgegangen aus
einer überraschenden Vermählung der beiden edelsten sprachen des späteren
Europas, der germanischen und romanischen, und bekannt ist wie im eng-
lischen sich beide zu einander verhalten, indem jene bei weitem die sinnliche
grundlage hergab, diese die geistigen begriffe zuführte. Ja die englische
spräche, von der nicht umsonst auch der gröfste und überlegenste dichter
der neuen zeit im gegensatz zur classischen alten poesie, ich kann natürlich
nur Shakespeare meinen, gezeugt und getragen worden ist, sie darf mit vol-
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JUß
34
Jacob Grimm
lern recht eine Weltsprache heifsen und scheint gleich dem englischen volk
ausersehn künftig noch in höherem mafse an allen enden der erde zu walten.
Denn an reichthum, Vernunft und gedrängter fuge läfst sich keine aller noch
lebenden sprachen ihr an die seite setzen, auch unsre deutsche nicht,
die zerrissen ist wie wir selbst zerrissen sind, und erst manche gebrechen
von sich abschütteln müste ehe sie kühn mit in die laufbahn trätej^ doch
einige wolthuende erinnerungen wird sie darbieten und wer möchte ihr die
hofnung abschneiden? Die Schönheit menschlicher spräche blühte nicht im
anfang, sondern in ihrer mitte; ihre reichste frucht wird sie erst einmal in
der Zukunft darreichen.
Wer aber kann dieser zukunft heimliche wege alle spähen? einer grofsen
weltordnung angemessen war, dafs im lauf der Zeiten dichte wälder wrichen
vor rankenden reben und mehltragenden halmen, die beim anbau des erd-
bodens immer breitere strecken einnahmen; so auch scheinen unter ausein-
ander gelaufenen, im weiten raum zerarbeiteten, später sich wieder berüh-
renden sprachen endlich nur solche des feldes meister zu werden, die
nährende geistesfrucht gebracht und geboren hatten. Und statt dafs von
den stufen jenes babylonischen thurms herab, der gen himmel strebte, wie
es aegyptische pyramiden, griechische tempelhallen und der Christen ge-
wölbte kirchen auch thun, alle menschensprachen getrübt und zerrüttet aus-
getreten sein sollen, könnten sie einmal, in unabsehbarer zeit, rein und lau-
ter zusammen fliefsen.
Nicht starr und ewig wirkendem naturgesetz, wie des lichts und der
schwere, anheim gefallen waren die sprachen, sondern menschlicher freiheit
in die warme hand gegeben, sowol durch blühende kraft der Völker geför-
dert als durch deren barbarei niedergehalten, bald fröhlich gedeihend, bald
in langer, magerer brache stockend. Nur insofern überhaupt unser ge-
schlecht am widerstreit des freien und nothwendigen unausweichlichen ein-
flüssen einer aufserhalb ihm selben waltenden macht unterliegt, werden auch
in der menschlichen spräche Vibration, abdämpfung oder gravitation dürfen
gewahrt werden.
Wohin uns aber ihre geschichte den blick aufthut erscheinen leben-
dige regungen, fester halt und weiches, nachgibiges gelenk, farbige manig-
faltigkeit, ungestillter Wechsel, der noch nie zum letzten abschlufs gelangen
liefs; alles verbürgt uns, dafs die spräche werk und that der menschen ist,
über den Ursprung der spräche.
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tilgenden und mängel unserer natur an sich trägt. Ihre gleichförmigkeit
wäre völlig undenkbar, da dem neu hinzutretenden und nachwachsenden ein
Spielraum offen stehn muste, dessen nur das ruhig fortbestehende nicht bedarf.
Im langen, unabsehbaren gebrauch sind die Wörter zwar gefestigt und geglät-
tet, aber auch vernutzt und abgegriffen worden oder durch die gewalt zufäl-
liger ereignisse verloren gegangen. Wie die blätter vom bäum fallen sie von
ihrem stamm zu boden, und werden von neuen bildungen überwachsen und
verdrängt: die ihren stand behaupteten, haben so oft färbe und bedeutung
gewechselt, dafs sie kaum mehr zu erkennen sind. Für die meisten einbu-
fsen und Verluste pflegt aber beinahe auf der stelle und von selbst sich ersatz
und ausgleichung darzubieten. Das ist das stille äuge jenes hütenden sprach-
geistes, der ihr alle wunden schnell heilt und vernarben läfst, alle ihre an-
gelegenheiten ordnet und vor Verwirrung bewahrt, nur dafs er einzelnen spra-
chen seine höchste gunst, andern geringere erwiesen hat. Das ist auch,
wenn man will, eine naturgrundkraft, die aus den uns angebornen, einge-
pflanzten urlauten unerschöpflich hervorquillt, dem menschlichen Sprachbau
sich vermählt, jede spräche in ihre arme schliefst, doch jenes lautvermögen
steht zum sprachvermögen wie der leib zur seele, welche das mittelalter
treffend die herrin, den leib den kämmerer oder das kammerweib nannte.
Von allem was die menschen erfunden und ausgedacht, bei sich ge-
hegt und einander überliefert, was sie im verein mit der in sie gelegten und
geschaffenen natur hervor gebracht haben, scheint die spräche das gröfste,
edelste und unentbehrlichste besitzthum. unmittelbar aus dem menschlichen
denken empor gestiegen, sich ihm anschmiegend, mit ihm schritt haltend ist
sie allgemeines gut und erbe geworden aller menschen, das sich keinem ver-
sagt, dessen sie gleich der luft zum athmen nicht entrathen könnten, ein
erwerb, der uns zugleich leicht und schwer fällt. Leicht, weil von kindes
beinen an die eigenheiten der spräche unserm wesen eingeprägt sind und wir
unvermerkt der gäbe der rede uns bemächtigen, wie wir gebärden und mienen
einander absehn, deren abstufung endlos ähnlich und verschieden ist gleich
der der spräche, poesie, musik und andere künste sind nur bevorzugter
menschen, die spräche ist unser aller eigenthum, und doch bleibt es höchst
schwierig sie vollständig zu besitzen und bis auf das innerste zu ergründen.
Musik aus todtem instrument geweckt, mit ihrem schweifenden, glei-
tenden, mehr gefühlten als verstandnen ausdruck, steht der alle gedanken
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Jacob Grimm
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deutlich fassenden, bestimmt greifenden, gegliederten spräche entgegen, im
gesang aber tritt sie gesprochnen Worten hinzu und gibt ihnen feierliches ge-
leit. Solchen menschengesang vergleichen mag man dem der vögel, welcher
über das bedürfnis thierischer schreie hinaus tiefere, anhaltende empfindung
bekundet, wie auch einzelne gelehrige vögel ihnen oft wiederholte weisen
ablauschen und herpfeifen, dennoch, so beseelt er scheine, ist der süfse
nachtigallenschlag immer derselbe und nur angeborne, unwandelbare fertig-
keit, unsre musik aber aus dem gefühl und der phantasie der menschen her-
vorgegangen, überall verschieden. In Zeichen gesetzt kann das lied nach-
gesungen, die musik nachgespielt, wie das wort aus dem buch gelesen werden.,
Die sprachmaschine, von der ich oben redete, gieng davon aus die menschen-
sprache weniger im gedanken als im wortschall nachzuahmen und physiolo-
gisch hinter den mechanismus der grundlaute zu kommen.
Darin aber dafs musik, was ihr name andeutet, und poesie einer hö-
heren eingebung beigelegt, göttlich oder himmlisch genannt werden, Zeug-
nis für der spräche übermenschlichen Ursprung zu suchen, scheint schon
darum unstatthaft, weil die spräche, bei welcher eine gleiche annahme ge-
bricht, jenen beiden nothwendig voran gieng. denn aus betonter, gemesse-
ner recitation der worte entsprangen gesang und lied, aus dem lied die andere
dichtkunst, aus dem gesang durch gesteigerte abstraction alle übrige musik,
die nach aufgegebnem wort geflügelt in solche höhe schwimmt, dafs ihr
kein gedanke sicher folgen kann. Wer nun Überzeugung gewonnen hat, dafs
die Sprache freie menschenerfindung war, wird auch nicht zweifeln über die
quelle der poesie und tonkunst in Vernunft, gefühl und einbildungskraft des
dichters. viel eher dürfte die musik ein Sublimat der spräche heifsen als die
spräche ein niederschlag der musik.
Traun geheimnisvoll und wunderbar ist der spräche Ursprung, doch
rings umgeben von andern wundern und geheimnissen. schwerlich ein kleine-
res liegt in dem der sage, die bei allen Völkern über den ganzen erdboden in
gleicher unermessenheit und abwechselung zuckt und auftaucht, durch lange
gemeinschaft der menschen erwachsen und weit fortgepflanzt worden sein mufs.
Nicht sowol in ihrem wesen selbst beruht das räthsel der spräche, als viel mehr
in unsrer schwachen künde von dem ersten Zeitraum ihrer erscheinung, da
sie noch in der wiege lag, den ich dadurch mir zu verdeutlichen strebte,
dafs ich kunstlose einfachheit sinnlicher entfaltung als sein merkmal setzte:
über den Ursprung der spräche.
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um diesen angel dreht sich meine ganze Vorstellung, darin unterscheide ich
mich von meinen Vorgängern, war uns das wesen der flexion nicht auch in
dunkel gehüllt, eh eine decke nach der andern davon weggezogen wurde?
Zahllose begebenheiten selbst aus historischer zeit sind erst dem äuge des ge-
schichtforschers klar geworden, des menschengeschlechts älteste geschichte
lagert verborgen gleich der seiner spräche, und nur die sprchforschung wird
lichtstralen darauf zurück werfen.
Eine spräche ist schöner und scheint ergibiger als die andere; dem dich-
ter verschlägt es nichts, und er weifs geringen mittein dennoch grofse Wirkung
zu entlocken, wie aus grauem gefieder entzückende stimme schallt, auch
die nordischen skalden verstanden sich auf kunstreiche liederform und thürm-
ten band auf band, bild auf bild; ist man eingedrungen in ihre weise, so
läfst sie bald leer, weil immer nur von kampf, sieg und milde gesun-
genwird, Pindar regt aber alle saiten der seele an. Ein mythus ist tie-
fer und lieblicher als der andere, doch am stärksten ergreift uns der,
um welchen die gröfste fülle der poesie erwachsen war; gegen den griechi-
schen, dessen grundlage er oft bilden soll, verliert der aegyptische, weil er
fast nur samen und frucht darreicht, laub und blüte der dichtkunst ihm ganz
mangeln. In der gesamten poesie steht aber nichts seiner anlage und ent-
faltung nach der spräche so nah und ebenbürtig als das epos, und auch es
mufs von einfachem boden zur höhe sich aufgeschwungen haben, die wir an
ihm bewundern. Wer in ihm und in den edelsten denkmälern menschlicher
dichtung und spräche nur geschwächten Widerschein oder abglanz gewaltige-
rer gestaltungen, die der weit entschwunden seien, sehn wollte, erklärte
damit weniger als nichts, weil das worauf zurück geschoben wird, stände es
irgend zu erlangen, noch lauter nach erklärung schriee.
Ich gedachte hier zuletzt noch aufzuwerfen, in wie fern mit der im
voraus gehenden fast einzig und allein ins äuge gefafsten indogermanischen
spräche die andern zungen der erde aus einer und derselben quelle dürfen
abgeleitet werden oder nicht? wesentlich würde das über den allgemeinen
Ursprung aller gewonnene ergebnis dadurch nicht verändert werden; doch
hinter dem aufserordentlichen kaum sich abgrenzenden umfang einer solchen
auch nur angerührten Untersuchung, selbst wenn ich beispielsweise sie auf
den verhalt der finnischen spräche zu jener, worüber ich verschiedentlich
nachgedacht habe, einschränken wollte, müsten meine kräfte bleiben. Bei
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Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Dr 205
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J& c o b Grimm über den Ursprung der spräche.
dem fortgang historischer forschungen, wenn sie sich zu allen bedeutenden
sprachgeschlechtern der erde gewendet haben, werden grofse aufschlüsse
für das hier erörterte und hoffentlich zu gunsten des von mir gefundnen
sich einmal ergeben, jetzt aber würde ich doch nur das wasser getrübt ha-
ben für fremde fischer.
Enden kann ich nicht, ohne vorher dem genius des mannes zu huldi-
gen, der was ihm an tiefe der forschung oder strenge der gelehrsamkeit ab-
gieng, durch sinnvollen tact, durch reges gefühl der Wahrheit ersetzend wie
manche andere auch die schwierige frage nach der spräche Ursprung bereits
so erledigt hatte, dafs seine ertheilte antwort immer noch zutreffend bleibt,
wenn sie gleich mit andern gründen, als ihm dafür schon zu gebot standen,
aufzustellen und zu bestätigen ist.
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