© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus : Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr.56#
1890,Feb.25,S. 1-2
AuZ den letzten fünf Jahren. 1)
* Die Verbindung von künstlerischer Begabung, die sich in dichterischen :
Erzählungen kundgab, mit dem wissenschaftlichen Sinn. der zur Literatur- und
Kunstgeschichte führte, hat Herman Grimm zu einem Meister des Essay's in der
Bedeutung geniacht, die er dem Worte selbst in der Vorrede zum vorliegenden
Buche gibt: „Ein aus dem Griechischen in das spätere Latein übergegangenes
exagium wird als Ursprung des französischen essai und des italienischen
saggio genommen. Saggio bedeutet einen Theil, aus dem man auf das Ganze
schließt, eine Probe." Es scheint, daß Montaigne das Wort zuerst als Vücher-
titel verwerthete. Er sagt in der Vorrede von 1680: er widme das Werk seinen
Freunden, damit sie nach seinem Tod einige Züge dessen, was er gewesen und
gefühlt, darin wiederfinden und so eine lebhaftere Kenntniß seiner Natur be-
wahren möchten. Proben seiner Denkungsart also, aus denen man auf den
ganzen Mann schließen sollte; seine persönliche Auffassungsweise steht im Vorder-
gründe. Geltung und Ruhm erlangte dann der essay und damit Wohl auch
das y am Ende in England, durch Bacon von Verulam durch die Sammlung
seiner Aufsätze 1597. Er nannte sie Bruchstücke seiner Lebensansicht, Betrach-
tungen und Studien, und äußerte in der Widmung der zweiten Auflage 1612
an den Prinzen von Wales: eine größere Zeit, wie sie urafassende Werke er-
fordern, stehe weder diesem bei seinen fürstlichen Verhältnissen noch dem Ver-
fasser bei seinem angestrengten Staatsdienste zu Gebote. Er biete kurze Be-
merkungen wie Salzkörner, die den Appetit reizen; essay sei ein neues Wort
für eine alte Sache; denn Seneca's Briefe an Lucilius seien solche zerstreute
Bemerkungen in Form von Briefen. „Bacons essays," sagt Grimm, „sind nicht,
wie die Montaigne's, Abhandlungen zur Jllustrirung seiner literarischen Lieb-
habereien, sondern kurze Auszüge gleichsam ungeschriebener umfangreicher Bücher
unb zugleich Aeußerungen persönlichen Denkens/' Zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts, als mit Addisons „Spectator" die Macht der Zeitschriften be-
gann, trat die völlige Entwicklung und Ausbeutung des Essay's ein. Voltaire
schrieb in dieser Form, um seinen Landsleuten die englische Bildung klar-
zumachen, seine Briefe ans Publicum wie Seneca. Ben Macaulay findet
öiimiu zk viel Vorwogen des Sachlichen, um fountmffe za'vHtbrettM? Carlyle
und zumeist Emerson sind ihm Anreger und Vorbilder gewesen: „zum wirk-
lichen Essay ist heute erforderlich, daß er in fließenden, 'individuell gehaltenen
Gedankenreihen etwas allgemein Verständliches rasch behandle."
Die Subjektivität des Schriftstellers tr.it bei Grimm stark hervor, so
stark, daß er manchmal zurückdrängt, was er gelernt, was die Wissenschaft er-
rungen hat, um einem großen Gegenstände, wie der Ilias, ganz frisch sich hin-
zugeben, wie wenn er ihn zum ersten Male erblickte, ganz naiv seme Eindrücke
und Betrachtungen aufzuschreiben, wie der arme Mann von Toggcnburg sich
über Shakespeare's Dramen aussprach, von denen er nichts wußte, als daß sie
fein Gemüth mächtig packten. Und wenn manche Essays wirklich kleme Bücher sind,
so kann auch von den größeren Büchern Hernran Grimms gesagt werden, sie
seien umfangreiche, durchgearbeitete Essays über Nüchel Angelo, Rafael, Goethe:
Spiegelungen ihrer Werke, ihrer Persönlichkeiten m seinem Geiste, der mit seinen
eigenthümlichen Betrachtungen sie umspielt, beleuchtet, sich und uns deutet; und
man freut sich gern einer Darstellung, die Frisches und Neues bietet, während
die Männer der strengeren Schule, der gemeinsamen Arbeit, der gesicherten Er-
gebnisse ihm heftig darüber schon gezürnt und sich ereifert haben, daß er nicht
„in Reih' und Glied" mitthue, sich nicht um ihre Uebereiukömmlichkeiten küm-
mere und nach Absoiiderlichem trachte, wie wenn er Schiller fast wie einen be-
triebsamen Literaten sich an Goethe herandrängen lasse oder den auf dem
rechten Main-Ufer geborenen Goethe dem nördlichen Deutschland aneignen
wolle, während Victor Hehn in ausführlichster Weise gerade das Süddeutsche
in Goethe's Wesen und Sprache glänzend hervorhebe. .
Auch im vorliegenden Buche hat Grimm eine solche subjeclive Meinung
eifrig und glänzend vertheidigt, ohne mich zu überzeugen. Er macht gar feine
Bemerkungen über das Heiligthum von Rafaels Frescomalerei, das Zimmer,
in welchem der Papst seine Erlasse unterzeichnet, wo er von den idealen Mächten
der Cultur, von Recht und Religion, Kunst und Wissenschaft umgeben sein
wollte, wo die weltberühmten Bilder der Disputa, der Schule von Athen, des
Parnasses die Wände schmücken. Da soll nach Grimm nicht Aristoteles in der
Mitte neben Plato stehen, sondern Paulus für den „unbekannten Gott" Gehör
von den Weisen Griechenlands verlangen — als ob das nicht eine Herabsetzung
der Philosophie statt der Verherrlichung wäre, als ob dadurch nicht die Bildung
der Renaissance verläugnct würde, die dem christlichen Himniel den Parnaß,
den Kirchenvätern die Philosophen des Alterthums zur Seite stellte. Was
sollten doch Pythagoras mit Arithmetik und Musik, was der Geometer Archi-
nrede-s mit seinen Schülern, so ganz um Paulus unbekümmert, im Vorder-
gründe? Sie bezeichnen die Vorstufen, die zur Philosophie emporführen, und
Plato und Aristoteles sind die Vertreter des Idealismus und Realismus, nicht
kämpfend, sondern sich verständigend, sie, die Denker, welche von der Weltweis-
heit aus sich zur Gotteserkenntniß erhoben.. Wie eigenartig herrlich hat Rafael
wirklich die Predigt Pauli in Athen auf einem der Cartons für die Teppiche
der Sixtinischen Capelle dargestellt!
Gar wohlthuend ist es, wie Gnmm das Recht der allgemeinen Geistes-
bildung und ihre Nothwendigkeit neben der Specialisirung der Fnchgclehrsam-
keit vertritt. Griechenland, Rom, k>as Italien Dante's und Michel Angelo's,
das Deutschland Lessings und Wmckelmanns, Goethe's und Schillers sind ihm
ein Ganzes, die Sprachen dev elastischen Alterthums, wie die romanische und
' i^FüufzehiiEssays von Herman Grimm. iKiitersloh bei Bertelsmann. 1890.
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&n™sÄ' <?-“ ?i“tWt£ ««Ursprache; « WA das Gricchenthum auch als
uccth.D Uslnjeu so wenig der Detailforschung wie dem Realiensinn der
ivtll es der Jugend in der Auffassung und im Spiegel
c.r u>ufe Herders und der großen Dichter retten. Der Archäologie, die heute
a gezt^t^» so vieler neuer Funde alles und jedes katalogisirt und beschreibt,
v lx. a}$ !>«* au den Dichtern und Rednern gebildete Kunsturtheil
und die astyetlsche Würdigung, das seelenvolle Verständniß der Meister-
werke gesellt wissen, wie das Heinrich Brunn übt und lehrt. Er ver-
langt von dem Archäologen ebenso die Kenntniß der Renaissance, wie
von rer neueren Kunstgeschichte die innige Vertrautheit mit der Antike. Ich
stunrne ihm freudig bei: „Hätten die Engländer Goethe und Winckelmann her-
vorgebracht, so würde Jemand, der den Standpunkt dieser Männer als wissen-
schaftlich überwunden proclamirte, in England wohl sein letztes Wort ge-
sprochen haben. Wissenschaft und Fachstudium sind nicht dieselben Begriffe.
Sie schließen sich öfter aus, als daß sie sich decken. Man sieht den unter der
Last ihrer Fachkcnntuisse seufzenden Alleinwissern oft mit gerechtem Mitleiden
nach. Die Frage ist heute: ob wir den Weg zu der verlassenen Tradition
Goethe's und WinckelmannS zurückfinden werden, oder ob wir uns dem red-
lichen, aber rohen Eifer der Fachleute anvertrauen und unter dem Anschein,
mühsame Pfade bergauf zu erklimmen, trotzdem bergab marschiren ivollen. Der
Begriff umfassender allgemeiner Bildung ist kein täuschender Traum, sondern
etwas Wirkliches. Die allgemeinen großen Ideen sind keine hohlen Redens-
arten. Immer war die in uns unbekannten Gedankentiefen bevorzugter Geister
gebildete Anschauung vom Wesen der Dinge das, was die Völker zum Licht
geleitet hat."
Als Grimin in Rom eine Rede für die Jahresversammlung der Goethe-
Gesellschaft ausarbeiten wollte, fehlten Goethe's und Herders Werke in der
Bibliothek des archäologischen Jnstitttts; ihre Büsten sah er freilich dort. Das
mag ihn veranlaßt haben, der hier mitgetheilten Rede (Goethe im Dienst unsrer
Zeit) die Sätze einzufügen: „Sollte die Meinung bei uns durchdringen, die
einige zu hegen scheinen, ein Gelehrter müsse diesen oder jenen Ausschnitt des
antiken Kunstlebens als abgetrenntes Beobachtungsobject, als völkerpsychologi-
fches Symptom für sich in Anspruch nehmen, und sollte einem Vertreter dieser
Art Studium gar die Aufgabe zufallen, die zukünftigen Lehrer unsrer Jugend
bilden ztt müssen, so würde der ganze Aufbau unsrer Entv icklung durch
die letzten Jahrhunderte sich in einen ungeheuren Schutthaufm vor deren
Augen verwandeln, dessen einzelne Bestandtheile zu beschrc.ben und zu
mmietiren wären.___Woh-r sss? Wv,... hc* .hi*. so «»«Mfern fmtntp s;*
Begeisterung nehmen, ohne di.e er seine Schüler zu nichts Lebendigem »oürde
leiten könnend" Gegenüber dein/Kleinkram, der heute in der Geschichte, in der
Literatur sich so gern an das Unbedeutende, an das glücklich durch das Sieb
der Zeit Hindurchgefallene hält, und auch bei Goethe über Lesarten und Notizen-
gelehrsamkcit den Gedankengehalt hintanstellt, in dem doch ein großer Theil
des besten Wissens ganzer Jahrhunderte aufgespeichert ist — erquickt uns in
der Goethe-Rede Grimms auch folgendes schöne Wort: „Die Völker führen
geistige Besitzthümer mit sich, die wie eine Art Atmosphäre über ihnen schweben.
Zu diesem Besitz gehören eine gewisse Fülle von Phantasiegebilden, die in
wechselnden Formen sie begleiten. Dichtkunst und Geschlchtschreibung suchen
diese Gebilde in Worten, bildende Kunst sie in leibhaftigem Anblicke zu ge-
stalten. Das, was wir die Größe eines Dichters, Schriftstellers oder bildenden
Künstlers nennen, ist die Anerkennung seiner Macht, sich mit solchen
Schöpfungen in der Phantasie der Völker an» festesten einzunisten. Der
Umfang dieser Macht ist cs, die Homer, Sophokles, Dante, Shake-
speare und Goethe selbst über die anderen Dichter erhebt. . Mit einer
Art Tyrannei drängen sich die Figuren dieser fünf Dichter . (nicht auch des
Cervantes?) an» klarsten in uns ein und nöthigen uns, sie vor uns, zu
sehen. Wie sie das machen, ist ihr Geheimniß. Was haben die wenigen
Verse, in denen Dante Fraucesca von Rimini vor uns erscheinen läßt. Be-
sonderes? Worte, und obendrein sehr wenige einfache Worte. Keme Kimst
nachweisbar. Aber wer sie gelesen hat, den verfolgen sie und das Bild, das
sie hervorrufen, durchs Leben." ^ ...
Ob Grimm über die Jubiläumsausstellung von 1838 in Berlm oder die
Denkmalentwürse für Kaiser Wilhelm 1., ob über die Verwüstung Noms oder
über den Unterricht im Deutschen auf unsern Gymnasien, oder die huirdertsten
Geburtstage von Uhland und Rückcrt redet, stets weiß er ein geistvolles Wort
zu sagen, den» rnan gern weiter nachsinnt, er schreibt nicht erschöpfend, selten
abschließend, stets anregend. Ich theile einige solche sinnschwere Aussprüche
mit. So redet Grimm von den» höhere Werth, den die in schöner Forrn aus-
geprägten edlen Gedanken der classischen Dichter gerade für die Gegenwart
haben, und sagt: „Wir sehen unser Jahrhundert überfluthet von einer die
Phantasie der Völker aufs äußerste reizenden und verwirrenden Literatur.
Gebilde von trügerischer ^ und erlogener Natürlichkeit drängen sich aus der
Phantasie derer, die sie schttsen, in die der anderer», die sie in sich aufnehnren.
Ein verführerisches Gewebe scheinbar wirklicher Erfahrungen, die an Wahrheit
aber weder jemals erlebt worden sind, noch erlebt werden können, umgibt die
Menschen und hält sie in geistiger Gefangenschaft. Dramen und Romane führen
in mächtiger Verbreitung solche Schöpfungen mit sich, die wie beängstigende
Nebelmassen sich tun uns lagern. Wie Sonnenstrahlen aber durchbrechen die
Worte der großen Dichter sie. Darüber gibt es keine statistischen Tabellen, in
wie viele durch die couranten Lügen der Zeit verdüsterte Menscheirseelen die
Worte der tvahren Dichter einströmend Licht und Wärme verbreiteten. Dafür
kann auch keine Dankbarkeit bewiesen werden, als durch die Wirkung selber,
die vollbracht wurde, und die, wie urrsichtbarer Opferdamps, z»» unsichtbarer»
Regionen emporsteigt. Empfunden haben es sicherlich Viele. Wenn Friedrich
der''Große sagte, der einzige wirkliche Ruhm sei doch nur der eines großen
Schriftstellers, so kann er nichts anderes im Sinne gehabt haben."
Das Unruhige und Unbefriedigte so vieler Zeitgenossen findet er auf
Sp« Kunstausstellungen wieder. Er sagt von der Plastik: „fSch* wnn
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st«Abct®tenunft«ft ^i[X Lebendigkeit, Verlr!irruug der,Gruirdmotive für
reiche Abwechslung, Verzerrung der GesiHtsmEcln für Aufdruck leidenschaft-
licher Kraft. flatternde Bärte, die wie Feuer flammen dahin und dorthin
streben, scheuten Muth, und gedrückte Augenbrauen Entschlossenheit auszu-
drücken. Der ersten momentanen Begegnung erscheint das als das Rechte, auf
die Länge wirken solche Gestalten als versteinerte Schauspieler. Unser Be-
streben, in Sculpturwerken nicht die bleibende Ruhe, sondern gleichsam einige
sehr bewegte Momente des realen Lebens zu verkörpern, wird später einmal als
ein Merkmal unsrer bcutigen Kunst gelten." Hab nach der Wanderung durch
die Gemäldcsäle der Berliner Jubiläumsausstellung fragt er: „Welches war
das schönste, das liebenswürdigste, das unser Herz om reinsten berührende,
dasjenige Werk, dessen Besitz eilte dauernde Bereicherung unsrer Existenz
wäre?... Interessant, frappant, merkwürdig, dergleichen Adjectiva dürfen
oft vergeben werden; aber herzerfrischend, erhebend, schön finden kaum
Verwendung. Zu allen Zeiten hat es des Zusantmeutresfens besonderer Um-
stände bedurft, damit Kunstwerke entständen, die als vollkommen harmonisch
eine befreiende Wirkung hätten. Mir scheint, soll gezeigt werden, welches die
höchsten Wirkungen der Kunst seien, so kann das mit Ausstellungen überhaupt
mmirtfS CT^r> ~—-----«* —* -----~ r rr'
--- — —vyuyuuuuu ^LH'IUL’U4* JUt C’lv'U’H iLIDU nCUUl l2>VUiUH uiv
Cartons von Gcselschap für die Kuppelgewölbe des Berliner Zeughauses,
Bilder von der Noth und dem Ernst des Krieges wie von der Freude des
Sieges, von der Ausrichtung des Deutschen Reiches, im Anschlug an die Werke
von Eornclius und Kaulbach, schwungvolle, ideale Eompostlioncn, lebenswahr
rrnd formcuschön. ,.Die Besucher sehen fast wie zu etwas Fremdem zu ihm
hinauf, zu dem sie lein rechtes Verhältnis; hatten. Meinem Gefühle nach l'.egen
hier die Keime der Kunst, die auch unsre Zeit einmal als in enger Verbindung
mit den Traditionen stehend zeigen wird, mit denen scheinbar für immer ge-
brochen worden war." Wir wollen die Berechtigung nicht verkennen, welche
dem Idealismus gegenüber das Ireuflcißige Nmursiudium. die feinere Aus-
bildung des Farbensinnes, die Erfassung der unmittelbaren Wirklichkeit und die
Einkehr der Kunst in das tägliche Leben hat, aber iüer das Herzcrhebcnde und
Befreiende, das Beglückende classischer Meisterwerke erlebt hat. der werd hoffen,
daß die betete vorwaltenden Richtungen in Vocsie und Malerei ein Ueber-
gangs- und Durchgangspunkt zu einer Kunst siitd, bei welcher uns wohl luitb,
deren harmonische Vollendung uns selber harmonisch macht.
M. Carriere.
aus : Kreuzzeitung, Berlin, 1890,Nov.2
aut!« SS, ÖCtt Wtcn fünf Jahrcu. Fünfzehn Essays von Her-
mnn Gütersloh, bei Bertelsmann. 1890.
eigenthümlich schönen Sprache, welche H. Grimm im
j£j.^ bishpÄrC,^l?l,lfCv ^ erworben hat. werden uns aus dem Gebiet
Kunst und Literatur eine Reihe von Abhandlungen über
Mater ^ Neuzeit gebote.t. auch wissenschaftlich-pädagogische
gefallen ^geitreut. Wrr folgen dem bewährten Führer mit Wohl-
Die Ȇi-P Anerkennung bleibt doch etwas Kuhle beigemischt.
Nart akadeimsch betonte Darstellung laßt keinen unmittelbaren Ein-
Lr injv »nt«!; vem ^lUslUst des Dozenten, der zur Ktittstgem
7-er Leser empfindet in dieser kunstgeträukten Gesellschaft .... .. ..
"Behaglichkeit. Hier gehen Geister um, die wir nicht begreifen. Willig
gestehen wir zu, dasi es uns viel zu hoch ist, was Sette 123 zu lesen
stylst: „Ueber feinen Werken steht Goethe als lebendige,
fortwirkende Persönlichkeit. (?!) Was er als solche werth k«,
stticl) davon ist von vielen Seiten her schon die Rede gewesen nur ganz
genüge Kenntniß seiner Vedeutuug in dieser Richtung aber doch in das
Mk eingedrungen. Dem Publikum ist das lebendige Wasser scmes
leerstes nur in soweit sichtbar, als es in glänzenden Fällen und Spring«
srunnen aufrauscht: die Zukunft aber wird es auch als Kraft kennen
lehren, die Mühlen treibt, aus denen tägliches Brot gemahlen
toirb (?!)" Dieser Kultus des unabhängig von sciuen Werken fort«
wirkenden Goethe-Genius hat etwas Spukhaftes und Uugestmdes, lvas
der Fassnugskraft nüchterner Christemnenschen hartnäckigen Wider«
starld leistet. vb.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
aus
I
The No-tion,
S.V
Nr
1079 91886,Mrz.4,
! Essays t>y Herman Grimm.
CUPPLES, UPHAM & CO., Boston,
ISSUE THIS DAY !
Sarah Holland Adams’s translat'ou of Her-
man Grimm’s delightful critical studies,
under the general title of
LITERA TÜRE.
COMPRISING:
Ralph Waldo Emerson; France and Voltaire ;
Voltaire and Frederick the Oreat;
Frederick the Oreat and Macaulay ;
Albert Dürer ; The Brothers Orimm ;
Bettina Von Arnim ; Dante.
“ Herman Grimm is a very cultivated man, and Miss
Adams is a painstakingtranslator. . . . Her lang and
loving famlliarity with his writings especlally flts her kor
the work An essayist ls to be esteemed happy who has
so falthful a translator. She will have the tlianks of
many iovers of Emerson. It is a great pleasure to get
those essays in Engllsh dress.”—The Christian Register.
1 vol., 12mo, cloth, gilt top, white label, uncut tedges,
price, 11.60.
Mailcd to any address on receipt of price.
CUPPLES, UPHAM & CO., Bosto
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus :
Boston Evening Traveller,
1885,Dez. 14
aus : ?,1885,Dez.19
Essays by Herman Grimm: Literature.
Cupples, Upham & Co. These essays by
the eminent Professor of Art and Literature
at the University of Berlin are varied in
ränge. They comprise two papers on Emer-
son, one written twenty-five years ago and
another published after bis death, France
and Voltaire, Frederick the Great, Macaulay
and Frederick the Great, The Brothers
Grimm, Bettina von Arnim, and Dante and
the Recent Political Changes in Italy. Her-
man Grimm is one of the marked characters
in modern literature. His Life of Michel
Angelo, his Lectures on Goethe, wilh his
Raphael, place him among the first writers
and thinkers of our day. It takes a great
mind truly to comprehend the genius and
originality of such men as Emerson, Goethe,
and Michel Angelo. Grimm has lived all
his life in an atmosphere charged with the
highest culture and pure intellect. Son of
William Grimm, one of the noble men
known with a world-wide reputation as the
Brothers Grimm, he has well sustained the
family narae as a synonyme for the finest in-
tellectual thought of Germany. No man has
done more in the present day for German
literature and national growth of thought
than Herman Grimm. Miss Adams has
done her work so admirably that the highest
praise one can give her is to say we only
read Grimm, we are brought face to face
with the great German himself. This was
no light task set herseif by Miss Adams, for
the essays are very strong in idiomatic ex-
pressions; and Grhmn’s style is peculiarly
individual and quite exceptional. She has
given us a charming little preface, making us
regret that she does not do some original
Work; for she can write as well as translate.
Herrn au GrimnTs Essays.
~ SfeVeral essays by Herman Grimm, on ‘'Ralph i
WaTdo Emerson,” “France and Voltaire,” “Vol- I
taiie and Frederick the Great,” “Frederick the
Great and Macaulay,” “Albert Dürer,” “The j
Brothers Grimm,” “Bettina von Arnim” and /
“Dante on the Reccnt Italien Strug-rle,” have !
been translated by Miss Sarah H. Adams, and
form a very valnable addition to Contemporary
literature. Prof. Herman Grimm is the son of
William Grimm, and was born at Cassel in 1828.
It was his father and his uncle, Jacob, who are
know as the “Brothers drimm,” who have ren-
dered such Service to letters. In their early
youth they set before themselves the destined
aim of a revival of aucient German literature,
and in their united publicatlons they omitted
their Christian names, preferring to be known as
the “Brothers Grimm.” “In them,” says Miss
Adams, “we find the truest repräsentatives of
Germantf—her highest culture, sweet sincerity
and simple, soulful life.” The clearnes3 with
which Hermann Grimm States his impressions
will be marked by the reader of these valuable
essays. In referrina to the sense of iiberation
that Emerson gave him, he says:
I assume that there rests upon the soul of
every man wbo has grown to mauhood a certain
buroen, the sums of bis experiences, recolkc-
tions, hopes, fears, and daily environments, and
that his bappiness is in proportion to bis success
in escaping from this pressure and living in a
sense of freedom........We rarely know what
the specific property is in an intellectual work
that has captivated us or which the word that
compels us to listen and obey.....But those
artists stand highest who, by their produetfons,
accomplish the still greater miracle of taking up
with steady hand this sorry every-day life, to
unravel artisticaily the confused web, and bring
out its intnnsic beauty........In Raphael and
Goethe we have examples of this elevating in-
lluence in its füllest potency..... Hiev recon-
cile us to life.......Emerson possesses this
power in the highest degree......What is to
be compared with the voiee of one who is speak-
ing out es his deepest soul what he belleves to
he true?
Again the reader findssuch ^ptences asthe3e:
■“A natlon has attained alT its
powers, great and small, are
productive activity"......Emerson views every
pbenomenon in connection with the highest
ldea.” Referring to the lailure of a learned
German to appreciate Emerson, Prof. Grimm
says: “Every man has the right to turn aside
from what does not plaase him. I did not feel
called upon to convert the worid by fire and
sword to Emerson.” Tbe essays are all suffi- |
cienlly fine and thoughtful to well-merit trans- ■
lation. It is the highest type of appreciativc
writingthat Prof. Grimtn gives us,—that which
i s vital with the life of the writer. Miss Adams's
translation is in pure and elegant English, and
the ’solutne is charmingly brought out by the
classic “Old Corner” Publishing house. It is
one of the most permanently valuable woiks.
(Boston: Cupples, Upham & Co.]
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus : The Nation, Nr.985,1884,Mai 15,
s. 432-433
GRIMM’S ESSAYS.
Fünfzehn Essays. Von Herman Grimm. Ber
lixx. New York: B. Westermann & Co.
The essay on Emerson, the first of this most inte-
resting series, was writteu shortly after the death
of our great thinker, and its appreciative tone
and high estimation of Emerson’s writiogs and
influence cannot fail to win the sympathy of
American readers. “Emerson desired that to
his countrymen should remain the advantage of
an unbiassed criticism of the Past,untrammelled
by the transfer of European historical bur-
thens.” Whether he was inspired by a feeling
prevailing around him, or whether his teachings
have become the mainspring of American lite-
rary culture, is a question Grimm cannot deter-
mine. Emerson’s essays tend to make man inde-
pendent in thought and action; they invite him
to self-examination, to seek his true vocation in
life and to follow it. To the Idealist he shows
the results of practical labor; to the realist the
beauty and usefulness of intellectual culture,
and these lessons have hörne rieh fruit in various
soils. Carlyle’s admiration of Emerson is well
known. Tyndall’s words have been quoted fre-
quently: “ lf any one can be said to have given
the Impulse to my mind, it is Emerson: what-
ever I have done, the world owes to him.”
Among his own people his influence ispara-
mount. Our critic is strack with the clearness
and simplicity with which New England Profes-
sors and students develop their theme, going to
the point at once with out superfluous allocu-
tions. He also finds much to praise in the func-
tion of the daily press in bringing together
“those who have something to teil and those
who wish to hear what is told.” This remark
relates to the accounts in the daily papers at the
time of the death of Longfellow and Emerson,
and the mass of interesting detail they gave con-
cerning both.
Grimm became acquainted in early youth
with Emerson’s writings, and describes the Im-
pression they made on him of deep understand-
ing, of sympathetic contemplation of the world
and just appreciation of past and present—an
inward power no other shares with him. Na-
ture seemed to have revealed her secrets to him,
and there was no question one might not have
asked him, feeling sure he must know all things.
His thoughts, rumfing in short oracular sen-
tences, were like the verses of some never end-
ing poem, the plan of which he would one day
unfold. All this and much more Grimm teils
us. In his own words : " As the wind by night,
passing through a wood or over a meadow,
bringe us the breath of trees and grasses and
flowers we cannot see, Emerson envelops us
with a feeling of things brought very near to
us. This fteling of my own I now hear ex-
pressed on all sides, as if all had feit thus from
the beginning.” It is needless to follow our au-
thor through the account of Emerson’s life, or
to Comment on the Sketch of his works incor-
porated in this article.
“Fiorenza : Remarks on Certain Poems of
Dante and Michael Angelo,” goes far to per-
suade us that Dante and Michael Angelo, in
several poems tili now supposed to have been
written to fair and cruel ladies, addressed the
personification of their native city. Lome critics
have seen Philosophy or some unknown lady in
Dante’s Canz. ix., beginning—
“ Cosi nel mlo parlar vogllo esser aspro.”
Others, because the beloved is apostrophized as
being of 8tone, have thought of Donna Pietra
degli Scrovegni, a Paduan lady, to whom an-
other poem is addressed. There is no doubt
that the reproaches so liberally bestowed were
merited by the poet’s ungrateful Florence. In
the case of Michael Angelo, Grimm argues the
point step by step so cleverly, bringing in fresh
indications in evidence of his theory, that we
cannot refuse to be convinced. The German
rendering of several of Dante’s sonnets and of
the above-cited canzone are very well done.
They are transcribed by Grimm with great
poetic freedom, and therefore do not lose the
beauty and freshness generally wanting in
translations. This article is full of interesting
historical and biographical detail, and deserves
to be carefully read and considered.
The essay on Raphael’s “ School of Athens ”
in the Vatican follows. It is not light reading,
nor have we space to examine our author’s ex-
haustive criticisms of previous writers on the
same Subject, of which there are not a few.
The great point of discussion is whether the
central figures of the composition represent
Plato and Aristotle, or Plato and Paul the
Apostle. Considerable diversity of opinion ex"
ists, also, as to the identity of the groups to the
right and lest of the foreground. No documents
of the time bear any record of this painting, or
make any mention of its existence. In the suc-
ceeding essay, on the early life and works of
Raphael, we are reminded how few reliable
documents exist concerning bis personal life. It
is only within the last fifty years that, through
the investigations of the priest Pungileoni in
the archives of Urbino, we know the real dates
of his birth, his father’s death, etc. Pungileoni
published his account, * Elogio Storico di Ras-.
faelJe Santi d’Urbino,’ in 1839, besides another,
of Giovanni Santi, his father, some years pre-
vious to this. From these it appeared how very
inexact Vasari’s life is, and how much more like
a romance thau «erious biography. Leven let-
ters written by Raphael’s band remain to us,
with 800 paintings, and more thau 600 drawings.
These alone suffice to reconstruct the history of
his work. We cannot, for want of space, dwell
at any length on this study. It may internst
our readers to leam that the small picture lately
purchased for a high price and sent to St. Pe-
tersburg, known as the Madonna Staffa, is
considered by Grimm to be Raphael s earliest
work.
The treatise on the origin of the populär story
of Doctor Faustus is one of the most interesting
essays of this Collection. The material got to-
gether for this was originally intended for a
book on the Subject, but as the author has little
hope of finding time for such a work he gives us
a resumd of his vast stock of lore. The interna-
tional popularity of the old book of ‘ Faustus’ he
ascribes chiefly to the fact that.although it treat-
ed of spiritual,clerical,and supernatural matters,
itkeptclear of any leaningtowardsthe Protestant
or the Catholic faith, so that the clergy of nei-
ther religion saw fit to take umbrage at its Con-
tents. The Strassburg puppet-show piece from
which Goethe got the principal facts of his
great creation, is generally traced back to the
“Faustus” of Marlowe. The English writer
had used a translation of the old book of ‘ Dr.
Faustus ’ brought to England in the year of its
Publication, 1587, by strolling actors. The au-
thor, or rather Compiler,of this boolf is unknown,
but it is not difficult to recognize the original
narrative as distinct from the innumerable dis-
connected adventures tacked on to it from va-
rious sources. Dr. Johannes Faust of the story
is neither Catholic nor Protestant, nor has he
any connection with the Reformation, while his
Prototype, Dr. George Faustus, is mentioned by
Luther and Melanchthon,and was a well-known
ebaraeter in his day. Trithemius, Abbot of
Sponheim, considered him a swindler, yet he
seems to have been received by Franz von Sick-
ingen and clerical persons of Spires and Er-
furt. He was a learned man, proficient in
Greek and mathematics, and boasted that he
. — ul .riato and Aristotle
from memory. George Faustus also dabbled in
the black arts, styling himsels “Magister Geor-
gius Sabellicus, Faustus junior, fons necroman -
ticorum, magus secundus, chiromanticus, agro-
manticus, pyromanticus, in hydra arte secun-
dus.” Trithemius first knew him under this ti-
tle in Gelnhausen in 1506. It must be remem-
bered that all learned men of the day were
loobed upon as sorcerers, and Trithemius him-
self had to clear himsels of this Charge,although
he never denied his faith in evil spirits, in pro-
phecy and prophetic dreams; and this faith he
held in common with Luther, Melanchthon, and
many others.
Trithemius, in his chronicle of Sponheim, teils
us also of Dr. Johannes Faustus, who appeared
I at the court of the French King in 1501, and
called himsels “ philosophus philosophorum,”and
also " Mercurius,” messenger of the gods. He
was supposed to be Italien, although Knüt-
lingen in Wurtemberg is mentioned as his birth-
place. Our notice is called to the circumstance,
in the old story of ‘Faustus,’ that the raven who
lends a feather from his wmg to sign the con-
tract with the Evil One, is also named Mercu-
rius. Düntzer, who has written on this subject,
believes that as Georgius Faustus calls himsels
“Faustus secundus,” wo must take “Faustus”
for a surname. Sabellicus indicates his origin.
Goethe accepted this, as he calls him “The
necromancer from Norcia the Sabine.” “Ma-
gus secundus ” refers to Simon Magus, known
to fame as “ Magus primus”; “in arte hydra
secundus,” to Pythagoras, who, according to St.
Augustine, was learned in hydromancy.
The Compiler of the old story of ‘Faustus’ was
utterly unable to give any artistic form to the
mass of material he had before him. Marlowe,
in his tragedy, was the first to select and give
shape to part of this accumulation of episodes.
The scene in which Faust, after revelling with
the students, conjures up Helena of Troy at
theil- request, who passes across the stage to the
sound of soft music, must have been emi-
nently dramatic. Faust after this remains
alone with Mephistopheles (wbose name de-
rives from jltj to <£«? being of the dass
of spirits qui lucem oderint). An old man tben
appears, who eutreats Faustus to give up magic
and to appeal to God’s mercy. Faustus, moved
by his earnest exbortation, promises to repent,
upon which the old man disappears and Mephis-
topheles counteracts his influence, cbanging to
evil Faustus’s good resolutions. The effective
conclusion is Mariowe’s own. "We translate
Grimm’s account of this episode according to
the old book :
“It is told how, Faustus bragging of bis Pow-
ers of magic, the students beg to be shown ■-
lena. He promises, on condition that none s
rise from his seat, or speak a word, or see
touch her. He then leaves the room ana
enters followed by Helena, whose cbanns
described. The students bid fair to break
contract of immobility, under the provoca
of her coquetry. Faust leads her away. ,
his return, the students, being allowed to sp «
surround him, begging that he will make a
turn the next day and that they may Dr* B,
painter with tbem. Then suddenly appear
old man, whose discourse brings Faust i
pentance. Then ensues the scorn or m ^ .
topheles, the renewed sorrow of Faust, anu,
conclusion, the resigned expectation of tne •
In this scene, so full of meaning, almost j
word leads up to a climax needed for dra
representation. Marlowe bere does vor
up to his original.”
We now come to still another Faustus, men
tioned in the letters of Erasmus—Faustus
dreolinus, an Italien studying in Paris throug
the bounty of some rieh patron. This man w
deeply inimical to the monks, and no doub ^
retaliated by giving him the reputation o a
rng a compact with the Evil One, wboL ^jast
posed to bave carried him away at t e -
Dryasdust eruditiou and sensually rea is ^
gies are all that remain to us of his
be seems to have been held in esteem an
ship by Erasmus, who kept up ® ^^änd in
with bim while tbe latter was in there
1499. He eveu invited him to foUow hm there
in a letter which we quote:
If thou knewest how pleasantly one lived in
England thou wouldst fly hitner throughtbeair
eyeninspiteof thy srout, which thou wouldstelude
JJaedalus fashion. Whatsball I begin to describe?
1 he maidens bere are ebarming, beautiful,amia-
ble,pleasing,far bester thau tbe Muses with whom
thou holdest converse. It is the custom here to
greet with a kiss on entering a house, and on
taking leave. Wbenever one meets an acquain-
tance, before any other forms, two kisses. Tbe
air is full of kissing. If thou badst once tasten
of those soft appetizing wares, thou wouldst not
wish to dose thy life any where but here.”
We conclude from this letter and Faustus’s
own poems that he was known for a man of
pleasure. Trithemius is supposed to have told
how Faustus exorcised the Virgin Mary, who
appeared at bis call before the Emperor Maxi-
milian. No doubt this was the foundation for
the appearance of Helena. As tbe student lifo of
Paris is also changed into the Wittenberg Uni-
versity, even Erasmus may bave changed into
Wagner. Erasmus’s letters were generally
known at the time of the appearance of the
Faustus story, and used for the teaching of La'
tin, so that no doubt they were familiär to its
Compiler.
The great question which Grimm seeks to solve
is, whether any drama of the kind existed in
Germany which the Compiler of the Faustus
story had before him, or if he himsels first in-
tended to dramatize the tale which gradually
took the more digressive form of a romance.
Notwithstanding the most careful researches, no
play on this subject has as yet been sound.
Grimm, iiowever, still maintalns on internal
evidence that the old German puppet play of
“Faustus,” which Goethe used for his ‘Faust,’
cannot derive either from Marlowe or from tbe
old book of ‘ Faustus,’ but from some earlier
work now beyond our reach. Goethe himsels
made use of all the elements belonging to tbe
different characters bearing the same name used
for the old story. To tbose he added tbe spi-
ritual development of bis day, besides bis own
experiences of sixty years.
Other essays of varying interest treat of Mi-
chel Angelo’s Medicean tombs in San Loren zo,of
two engravingsof Friedrich Weber after Titian’s
“ Divine Love ” and Holbein’s portrait of-Eras-
mus, Bettina von Arnim, the brothers Grimm,
Kaueh’s Centenary, Anselm Feuerbach, and two
Dürer engravings.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus : Magazin für die Literatur des Aus-
lands,Nr.48, S.700
— Über die fünfzehn Essays von Herman Grimm, Neue
i Folge*), werden wir noch ausführlicher berichten. Sie sind im
wesentlichen gesammelt aus einigen Berliner Zeitungen, den
preußischen Jahrbüchern, den Westermann'schen Monatsheften
und dem Morgenblatt, also aus Quellen, die nur bestimmt kon-
zentrirte Leserkreise haben, und erscheinen daher für die eigentliche
Lesewelt im Großen und Ganzen als neu. Bei der Bedeutung,
die Herman Grimm und gerade vorzugsweise als Essayist ein-
nimmt, und welche seine sonstigen, nicht unerheblichen Leistungen
in den Schatten stellt, wollen wir aber schon jetzt eine Andeutung
des Inhalts mittheilen. Von Malern sind Raphael, Holbein, die
florentinische Gallerte, vorzugsweise Cornelius, endlich der Brüsseler
Wiertz behandelt; von Bildhauern Rauch, anläßlich der in diesen
Blättern besprochenenBiographie von Eggers; ein bedeutsamer Ver-
such behandelt Schinkel und die Architektur Berlins, wie er sie wohl
im Sinne hatte, und wie sie bei gänzlich veränderten Verhält-
nissen geworden ist; die Ruinen von Ephesus und Aufsätze über
athenische Todtenkrüge schließen sich diesem Forschungsgebiete an;
endlich findet das Drama seinen Platz: Shakespeare, Alfieri und
das Theater des Herzogs Heinrich Julius zu Brannschweig. Es
ist nichts Geringes, wenn wir konstatiren, daß Herman Grimm
ein selbständiges und durchaus unabhängiges Urtheil ausspricht,
wo auch immer er die Feder ansetzt; natürlich reizt er dadurch
auch oft zum Widerspruch. Darum müssen wir auch ans das
Buck zurückkommen, wenn wir Zeit gewonnen haben, uns mit
seinem Inhalt genau vertraut zu machen, nicht bloß um uns zu
rüsten, wenn es eine abweichende Ansicht gilt, sondern auch, um
mit vollem Grunde loben zu können, wo uns das Lob recht von
Herzen kommt. _______ A. N.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus : Tagespost,Graz,Nr. 168,
1872,Jul.17, S. 1-2
Mn ausgewählte Essays zur Einführung in das
Studium der modernen Kunst, von Hermann
Grimm. Berlin, Ferd. Dümmler's Verlagsbuch-
handlung. 1871.
Der berühmte Verfasser deS BucheS „Michel An-
gelo" legt ur.S zehn kunfihistorische Essays vor, welche
ver ausgedehnten Beschäftigung deS Verfassers auf die
fern Gebiete - Hermann Grimm trägt moderne Kunst-
geschichte an der Universttät in Berlin vor - ihre Ent-
stehung danken. Nicht allen Aufsätzen würden Wir glei-
chen Werth einräumen. „Die VevuS von Milo" ist
weniger ein Essay als eine flüchtige, in lyrischem Styl
gehaltene Causcrie. Auch der Essay „Raphael und
Michel Angelo" - der Verfasser schrieb denselben 1857
vor feiner ersten italienischen Reise, sein Buch „Michel
Angelo" erschien 1860 - der sich zumeist auf Guhl's
„Könstlerbriefe" stützt, entbehrt, abgesehen von dem Man-
gel an formaler Abrundung, einer helleren intensiven
Beleuchtung der künstlerischen Thätigkeit dieser beiden
Heroen, die man doch nach dem Titel erwarten durfte.
Da- Gebotene ist zum größten Theile biographischer
Natur. Der Essay „Carlo Saraceni" ist insofern von
hohem Werthe, als darin der Verfasser ein ungern und
Zeitalter" gehören zu den inhaltttefstm und formschönsten
Produktionen der gesammten modernen Kunst. „Berlin
und Peter von Cornelius" bespricht nicht günstig die
Stellung, welche die preußische Hauptstadt zu dem Alt-
meister deutscher Malerei einnahm, während Grimm tu
dem folgenden Essay uns als geistvoller Cicerone bei Be-
trachtung der Cartons dieses Künstlers leitet. Den Schluß
der Sammlung bildet dann eine in ihren Ausgangspunk-
ten sowohl, wie in der Betrachtungsweise vertiefte Cha-
rakteristik Schinkel'S und dann „CurtiuS über Kunst-
museen". Dieser letzte Aufsatz verdient wohl nicht den
Namen einrS Effay'S; er nimmt sich nur wie ein Nach-
wort auS, worin der Verfasser Zeugniß ablegt für die
Wärme, mit der er den modernen Kunstbestrebungen an-
hängt uud wie wenig er geneigt ist, diese dem Kunstleben
Griechenlands nachzusetzen.
Auf zwei Punkte mache ich nun noch aufmerksam.
Es ist eine gewisse Kühle, mit der sich H. Grimm zur
antiken Kunst stellt. DaS Ideal dieser Kunst ist nicht
mehr das unsrige und da - meint Grimm - werde eS
deshalb schwer, unS tu daS Wesen antiker Kunstschöpfun-
gen völlig zu versetzen; es können diese unser Herz nicht
mehr ausfüllen; - daS wird nur ganz hingenommen,
wo Geist von unserem Geiste, Fleisch von unserem Fleische
ist . 'I daS ist aber nur der Fall in den Schöpfungen der
deshalb wenig beleuchtetes Gebiet betritt: dir Zeit deS
Verfalles der italienischen Kunst nach ihrer höchsten
Blüthevperiode. Carlo Saraceui, ein Schüler Cara-
vaggio'S, kaun durch seine schöpferische Thätigkeit nicht
interesstrm, umsomehr aber fällt daS Interesse auf die
Zeit, die Verhältnisse, unter welchen er arbeitete.
„Goethe'S Verhältniß zur bildenden Kunst" bringt
eigentlich wenig neue Gesichtspunkte; dagegen sind zwei
glanzvolle Arbeiten: „Albrecht Dürer" und „Jakob
ASmuS CarsteuS". Ja der Monographie Dürer'S trifft
der Verfasser den Kern der Sache; die künstlerische In-
dividualität unseres deutschen Raphael tritt in voller Be-
leuchtung hervor; kein Zug seines Wesens bleibt uns
fremd, und der Gesichtspunkt, unter den Grimm seine
Betrachtung stellt, ist nicht nur glücklich gewählt, er ver-
leiht der Auffassungsweise auch den Stempel der Origi-
nalität. Die Wärme, mit der Grimm für Carstens ein-
tritt, ist vollkommen gerechtfertigt; wer je Gelegenheit
hatte, die anspruchslose, bis in'S Peinliche jeden Auf-
wand von Mitteln meidende und MeS nur aus eigenster
voller Tiefe ihrer Genialität schöpfende Künstlernatur
in ihren Schöpfungen zu bewundern, wird Grimm völlig
beistimme».
Dir beiden Zeichnungen Carstens': „Homer trägt
den Griechen seine Gedichte vor" und „DaS goldene
modernen Kunst. . . Ich möchte dem widersprechen; die
Schönheit ist zeitlos und es wird ein Zeugniß unserer
Armuth sein, wenn wir unsere TageSstimmung im An-
schauen nicht überwinden. Wer einmal - auch nur vor
einer MaSke „unserer lieben Frau von Milo" stand, der
hat doch kaum die „leise Stimme" in sich gehört, „es
sei für unS kein Herz mehr in dieser Schönheit", - wie
kaum vor einem modernen Kunstwerke wird er hier in
jene Stimmung versetzt, welche Schiller als die ästhetische
bezeichnet, wo vir aller unserer leidenden wie thätigen
Kräfte in gleichem Grade Meister, die „hohe Glrich-
müthlgkeit und Freiheit des Geistes, mit Kraft und
Rüstigkeit verbunden", in unS sindrn. Der Betrachtung
von Schöpfungen der modernen Kunst dagegen empfinden
wir nur in seltenen Fällen eine „rein ästhetische Wirkung";
eS bleibt meist ein mehr oder minder großes Residuum
zurück, daS pathologischer Natur ist. Ich bin dabei weit
entfernt, die moderne Kunst zurückzusetzen gegen die antike;
au§ dem Herzen seiner Zeit heraus dichtete und meißelte
der Grieche feine Kunsifchöpfungen, thun wir desgleichen,
- jedes Dilkttircu in anderen Zeitaltern trügt inneren
Zwiespalt an sich, weil doch Niemand dem Idcenlebrn
seiner Zeit entfliehen kann oder teuf; aber den Weg,
der zum hellenischen Geist zurückführt, dürfen wir nie
verlieren, und wahrhaftig, ich meine - im Gegensatze z»
s Grimm - eine große Kunstschöpfung des classischeu Alter-
thums dürste nuS nicht feil sein gegen mehr als eine
Madonna Murillo'S und Raphael'S.
Mit der Polemik H. Grimm'S gegen Kunstakade-
mien, wie sie mehrmals in dem Buche zu Tag: tritt, biu
ich vollkommen einverstanden. Kunst ist daS freieste Ele-
ment, man züchtet sic nicht. Wo sie auftritt, siegt sie durch
eigene Kraft. Abgesehen von dem Dilettantismus, den
solche Akademien großziehen, wirken sie auch nicht för-
dernd auf Ausbildung der künstlerischen Individua-
lität. Der Staat wird die Kunst mehr fördern, wenn
er durch Anlegung von Kunstmuseen den ästhetischen Sinn
feiner Bürger weckt vnd ausbildet und wenn er durch
Ankauf von Kunstschöpfungen daS wirkliche Talent un-
terstützt und fordert. „Selbst ist der Mann", das zieht
nicht nur im praktischen Leben große Charaktere, sondern
auch auf dem Gebiete der Kunst. . . .
Da GrimmS EssavS fast alle Richtungen der mo- '
dcrr.en Kunst berühren, so eignet sich sein Buch wirklich,!
ein leicht, aber in ziemlich scharfen Umrissen skizzirteS!
Bild der modernen Kunst zu geben und so in daS Stu-
dium derselben einzuführen. H. J.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
/l
aus
The Academy,Vol.III, No.45,S.124-125
1872,Apr.1
Grkßm’s Select Essays. [Zehn ansgeiüähZte Essays zur Einführung
rin das Studium der modernen Kunst, Von Hermann Grimm.]
Berlin: Dümmler’s Verlag, 1871.
The Student of classic art finds himself in a deserted ruin,
where out of mouldering fragments he strives to reconstruct
a whole, to divine the life of the dead, to Image forth their
work, their age, and the character and Succession of their
different periods of production. But, if we turn to modern
work, we are embarrassed by the very abundance of our
materials. Letters, documents, biographies, are at band,
with which to piece out, complete, and Interpret, the faults,
the doubts, the problems suggested by the Subject. Instead
of resting on the shifting sands of hypothesis, and the
uncertain bases of subjective impressions, we are able to
make deductions from facts. Yet, alter all, our mass of
materials is but a mass of materials which no one has yet
attempted to bring into shape and order. Every day the
want of anything like systematic arrangement is more and
more painfully feit. In the present volume of essays
Dr. Grimm contributes something towards the commence-
ment of the herculean task, rather, indeed, by the spirit in
which he writes than by actual fact of accomplishment.
linder the somewhat inappropriate title of " an introduction
the study of modern art ” we have what is strictly speaking
an introduction to the study of German work of the present
day. We pass from Raphael and Michel Angelo to Carlo
Saraceni, who becomes the text for an essay 011 the
decadence - Albrecht Dürer typifies the great movement of
the sixtecnth Century in Germany ; a chapter on Goethe’s
relations to the arts seizes the critical moment when German
art became again an expression of national life; Carstens
brings us to Cornelius and Schinkel; and the closing paper
discusses the fresh Impetus given in a wholly new direction
by the national art museums which are now springing
up over the whole of Europe. These essays are really
completely independent of each other, and were produced
at very different periods of time. They are now put before
us without any attempt having been made to give them a
connected literary form, and it is only because of the tone
common to them all that we are enabled to treat them as a
whole. In the opening paper, an address to the Venus of
Milo, the key-note of the book is Struck—
“ Bewunderung und Staunen erweckt sie, die Phantasie trägt uns
mit Macht zurück zu ihren Zeiten, aber fremd bleibt sie uns dennoch,
und während wir im Anschauen verloren sind, sagt uns eine leise
Stimme, es sei für uns kein Herz mehr in dieser Schönheit.”
The product of a past age may say much to us, but it
cannot have the full significance which attached to it in its
own place and day. There is no such thing as cosmopolitan
art. The charm of novelty is a legitimate charm. The age
in which we live is the best for us. It is impossible for us
to thrill with the emotions which quickened the pulse of
past life. Therefore the art of our own time has power to
move us when the work of the Past, however great, leaves
us cold in the midst of our admiration.
“ Orest und Oedipus, Ipigenie und Antigone, was haben sie gemein
mit meinem Herzen?”
The crowning beauty of that which is handed down to us
from the Past is fled. The surroundings are gone, the
people are no more who girt about the master and his
work—that work in which he shadowed forth his secret,
which was one and the same as the secret of his people and
his day. So, for us, to-day, the day which is ours, is the
best, and its art, however bad, better to us than any which
has been before.
It will be evident from these passages that Dr. Grimm
approaches the Subject of art from the literary point of
view. And this point of view, however full of value and
Interest, gives us only one side of the question, the side
which is alone intelligible to the artistically uneducated
mind. Form and Content, the constituent deinents of a
work of art actually inseparable, are separable in idea. To
the man trained in literature as to the public, the chief
dement of interest is Content, a quantity ever varying in
relation to the age. To the artist, the predominant interest
is sonn. The brotherhood of art is no empty word; each
artist is a Student of the same Science, the Science which
gives sonn. The learner of to-day can stand in spirit
without efifort by the teacher of the Tast. But he who
enteis on the study of art through the gate of literature has
ever to create for hirnseif by a mental process the conditions
which complete the work under Observation, before he can
see its import. As a consequence he Stands admiring,
moved rather by cold and conscious pressure than because
he has given himself over unreservedly to his impressions.
The skilled musician, on the contrary, reads a sonata of
Mozart’s unchecked by reflections on the conditions of life
in Austria when Mozart wrote; and the Venus of Milo is to
the artists of England as she was to the sculptors of Greece.
And even when we speak strictly of the Content—the
“ geistige Inhalt"—we must remember that works of the finest
art develop generally some simple strahl of passion, eternal
in human nature, which, as such, speaks straight to the heart
of all time in spite of unaccustomed mode of manifestation.
It is only after having made these limitations that we can
give a qualified assent to Dr. Grimm’s proposition—" the
art of the day is the best for the day." It is, indeed, the
outcome of the day’s striving, fashioned of the thoughts
common to us all. Doubtless to the German, Potsdam is
more lovely than the Parthenon; the frescoes of the Lud-
wigskirche surpass the hand of Raphael in the Vatican;
and Frederick, brave in the Berlin square, breathes a hoher
inspiration than the god-born sorrow of Niobe.
Yet, out of what may seem to some onesidedness and
defect, comes the special point and value of these essays.
Dr. Grimm has confined himself to criticism and Interpre-
tation in that province in which he is a master. He does.
not pretend to offer us here speculative theories, or aesthetic
criticism for which he has no gift, but seizes on the relätion
of the artist to the thought and life of his time. And he
has given us in every instance a suggestive and vivid picture,
without affectation in thought or mannen In the paper on
Michel Angelo and Raphael he has indicated the relative
Position of both by happy touches, which discriminate them
not only as artists but as men. The grand figure of Michel
Angelo is treated with a sympathy rare even in those ready
to do Ihm just honour, and the stress which is laid on the
depths of tenderness and sensitiveness in his nature shows
considerable power of insight into character. Wherever
there is any falling short in judgment, it would seem to
arise rather out of the influences of early association and
training than from any defect of natural power. It appears,
indeed, in the highest degree improbable that one who
so warmly enjoys modern German work, and who can
speak of the Cornelius movement in terms of such en-
thusiastic admiration, should be able to bring to his task
full appreciation of the qualities which are essential to
a genuine work of art. If, however, certain signs are here
noted which the English critic, in common with the non-
German world, holds to be. marks of imperfect or improperly
trained perception, it is with much reserve of judgment,
and with a strong desire to bring into full relief the valuable
qualities of Dr. Grimm’s book. No one who reads it will
fall to see its freedom from pretension and phrase-making,
or to be attracted by the way in which he Sketches the
leading lines of each age, the power with which he in-
dividualises each man, connects Ihm with his time, and reads
him in his work. E. F. S. Pattison.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Nr. 46.
Donnerstag, 15 Februar
1872)
Correapoadenzen sind an die Redaotlon, Inserate an die Expedition der Allgemeinen Zeltnng franco zu richten. Insertionspreis nach anfliegendem Tarif.
Verlag der I. G. Cotta'scheu Buchhandlung. Für die Redaction verantwortlich: Dr. I. v. Gosen.
Uebersicht.
Herman Grimm. Von I. Schmidt. (I? — Die naturhistorischen Sammlungen
des bayerischen Staates. — Die Ne,orm des Wahlgesetzes in Ungarn. — Die
Ophirfrage.
Neueste Posten. München: Se. Maj. der König. Aus den Kammeraus-
schüssen. — Industrie, Handel und Verkehr.
Telegraphische Berichte.
* London, 14 Febr. Die „Times" constatirt daß bezüglich der Alabama-
Frage eine heilsame Wendung der öffentlichen Meinung in Amerika sich bemerkbar
macht. Das Blatt drückt die Ueberzeugung aus: England werde jede Gelegenheit
freudig begrüßen welche eine Versöhnung der Ansichten beider Theile herbeizufüh-
ren im Stande wäre. — Wie es heißt, erhielt gestern der Unionsgesandte Schenck
die Antwort auf die Note Granville's.— Die „Morning Post" sagt: Die Unions-
regierung beharrt in festen, aber freundlichen Ausdrücken bei ihren Forderungen.
Diese Depesche aus dem Hauptblatt hier wiederholt.
(*) Berlin, 14 Febr. Die „Provincial-Correspondenz" enthält einen län-
zern Artikel welcher die Ausführungen der „Kreuz-Zeitung" betreffend die Rede
des Fürsten Bismarck vom 30 Jan. im einzelnen widerlegt. Der Artikel schließt:
„Der plötzlich mit so großer Entschiedenheit hervortretende Widerspruch der „Krz.-
Ztg." ist in hohem Grade überraschend. Die Regierung wird aus demselben
nur entnehmen können daß derjenige Theil der konservativen Partei, welchem diese
Zeitung dient, den Augenblick für geeignet hält um der Politik Bismarcks offen
entgegenzutreten."
* StraHburg, 14 Febr. Das eidgenössische statistische Bureau theilte
der hiesigen Bibliotheksverwaltung Namens des schweizerischen Bundesraths mit
daß derselbe, die Bemühungen der Kantone zu Gunsten der Wiederherstellung der
Straßburger Bibliothek unterstützend, je ein Exemplar der Bundespublicationen
derselben zuweise.
* Bukarest, 14 Febr. Die Consuln überreichten eine Collectivnote,
Schutz für die bedrängten Israeliten fordernd, indem sie jedoch gleichzeitig die ge-
troffenen Regierungsmaßregeln anerkennen. In Galatz wurde ein Ruhestörungs-
Versuch unterdrückt.
* Frankfurt a. M., 14 Febr. SröffmmgScm-sk. O sttrr. Creditacttea 361%,
Staatsbahu 419 %, 1860er L. —, 1882er Amerikaner 95%. Lombarden 221, Silber-
reute —, Galizier —, Banltacierr —. Tendenz: günstig.
(*) Frankfurt a. M., 14 Febr. Schlußcurse. Bayer. 5proe. Aul. v. 1870
100%, bayer. 4%proc. Aul. 100, 4proc. bayer. Präuu-Anl. 115%, 4%proc. bayer.
Ostbahll 153%, neue Emission —, mit 40 Proe. Ein;. 132, Älsenzbahn 127, bad.
Prämien-Aul. 114%. 1882er Amerikaner 96, Söln-Mindeuer-L. 98%, österr. Silber»
reute 63 %, Papierrente —, 1860er L. 91, 1864er L. —, Bankacnen 884. Tredit-
actien 363% Lombarden 221%, Staatsbahu 420% neue 261, Elisabeth 267, Franz-
Joseph Prior. 90, Rudolfsb. Pr. 83%, Ungar. Ostbahn Prior. 74%, span. Zproc. auöl.
Sch. 31%, Napoleons 9.20%, Darmstädter Bank 475, bohrn. Westbahu—, Nordwest-
bahu 90, Oberhesieu 87. Wechsel: Loudon 118%, Paris 92%, Wien 103%.
Tendenz: sehr fest.
(*) Frankfurt a. M., 14 Febr. Nachbörse. Oesterr. Treditacüen 3614z, Staats-
bahu 420, 1860er L, 91, 1882er Amerikaner 96, Lombarden 220%, Silberreute
63%k, Galizier 273, Elisabeth 257, Bavkactieu 886, Spanier 315/% neue Staatsbahu
260%, Böhmen 278, Deutsch-östcrr. B. 117%, bayer. Handelbank 119% Raab-Loose 88.
Tendenz: sest.
(*) Frankfurt a. M., 14 Febr. Schlnßnottmngen. (ErgänzuugSdepesche.) Zproc.
GtaatSbahn-Prior. 59%, Sproc. Südbahm-Prior. —, Zproc. Südbahm-Prior. 50,
Ungar. Nordost-Prior. 78, bproc. ital. Rente 65%. 6proc. Pacific Central 88% ?proc.
Chicago 86%, 7proc. Oregou-C-lis. 74.
(*) Frankfurt a. M., 14 Febr. Abeud-EffecteusocietA. 1882er Amerikaner
Bonds 96, Silberreute 63% 1860er L. 91% Creditactien 363%, Lombarden 221%,
Staatsbahu 420%, Galiüer.I73% Elisabeth 257, 3proc. span. ausl. Sch. 31%^, neu«
Staats bahn 260, Baukaeli^k 884% Raab Grazer Loose 88 %, Elbthalbatzu 199. Ten-
denz: fest. . Zjr
Weitere telegMhischc Curs« und Handelsberichte s. fünfte Seite.
Herman Grimm.
Zehn ausgewählte Cffays zur Einführung in das Studium der modernen Kunst. *)
Von Julian Schmidt.
V ' i.
)ie Aufschrift ist nicht glücklich gewählt; sie erregt Erwartungen die nicht
befriedigt werden: man denkt an eine Vorschule für Anfänger in der Kunstgeschichte,
statt dessen findet man eine Reihe von Studien für den Kenner. Auf die Methode
bey Zusammensetzung will ich nicht näher eingehen. Es ist überhaupt nicht meine
Absicht nur über die vorliegenden Effays zu schreiben, sondern über den Essayisten,
der eine eingehende Charakteristik mehr als irgendein anderer seines Faches ver-
dient.
Ist es aber überhaupt erlaubt und recht einen noch Lebenden, der vielleicht
^mitten seiner Entwicklung steht, charakterisiren zu wollen?
In dem Probeheft der Zeitschrift „Ueber Künstler und Kunstwerke, "Januar
1865, erklärt Herman Grimm die Beschreibung von Werken lebender Künstler
gänzlich auszuschließen.- Ein Urtheil ist nur nützlich wenn es unumwunden aus-
gesprochen wird: wie aber sollte Lebenden gegenüber eine solche Unumwundenheit
gestattet sein? „Man erwäge was Urtheil sagen will: nicht ein Hin - und Herreden
über Nebendinge, ein Halbaussprechen des einen, ein Halbverschweigen des andern;
Artheilen heißt: scharf ins Auge fassen was wirklich die lebendige Mitte des Werks,
oder des Charakters seines Urhebers bildet, und ohne Rücksicht zu rcknnen geben
*) Bertis, DttmMter.
welchen Rang man ihm anweist. Wer'chatte den Muth dem besten Freund im
geheimsten Vertrauen ganz offen alles zu sagen was er über ihn denkt? Es müßten
grausame Dinge ausgesprochen werden, wollte man die Gedanken voll zu erkennen
gebend die man hegt im Angesicht dessen was durchschnittlich auf dem Markte des
Lebens zu Tage kommt."
Herman Grimm sagt das zwar nur in Bezug auf Werke der bildenden
Kunst, aber es paßt ebenso auf alle Gattungen der Kunst und Literatur. Für ein
zartes und stolzes Gemüth hat jedes Urtheil, auch das freundlichste und günstigste,
etwas unbehagliches, ja die Unbehaglichkeit steigert sich je tiefer die Sonde ein-
dringt. Es ist als wenn der Arzt unsern Leib beklopft um die Organe zu unter-
suchen: wenn er auch alles im normalen Zustande findet, so ist es doch verdrießlich
daß er in Dinge eingreift die uns allein gehören.
Allein manches Verdrießliche und Unbequeme muß dennoch geschehen. Die
Kritik auch über Lebende ist nothwendig. Herman Grimm gibt im Verfolg seines
Aufsatzes selber den Grund an: „Ihr letztes Ziel ist das Volk zu bilden, damit
dieses seine Künstler besser erziehe; immer ist es das Publicum gewesen das seine
Künstler aufzog und zur Blüthe brachte." Das Publicum soll daran gewöhnt
werden über das was es genießt, und genießen soll, zu denken: in diesem Sinn
bringen selbst mißwollende und einseitige Kritiker Nutzen.
Freilich ist ein völlig unbefangenes Urtheil erst über Geschiedene möglich.
„Es liegt in unserer Natur erst das Vollendete als ein Ganzes zu begreifen und
zu genießen, und leider bedarf es des Todes ehe ein Mensch für den allgemeinen
Anblick als ein Vollendeter dasteht."
„Leider!" Denn es sollte anders sein. Gerade an jener Stelle beklagt sich
Herman Grimm über die geringe Anerkennung die Cornelius findet (damals
lebte er noch), und sucht dein Verständniß des Publicums durch Kritik zu Hülfe zu
kommen. Er hat seine eigene Methode des Urtheils, jeder hat die seinige: da§
Urtheilen an sich aber ist nicht zu verwerfen, es ist vielmehr nützlich und sogar
nothwendig, wenn das Publicum dazu gebildet werden soll „seineKünstler besser zu
erziehen."
Nur eins sollte der Kritiker festhalten, um der Gefahr der „Grausamkeit"
zu entgehen: er sollte über das „was durchschnittlich auf den Markt des Tages
kommt" seine Gedanken für sich behalten, wenn er überhaupt welche darüber hat;
er sollte „den vollen Ausdruck seiner Gedanken" für solche Dinge aufsparen die
Werth sind durchdacht zu werden. In diesem Sinn wird die gegenwärtige Kritik
geschrieben.
Von Herman Grimms Entwicklung ist mir wenig bekannt. Er hat das
Glück gehabt in dem auserlesensten Kreise des geistigen Lebens aufzuwachsen, er
hat vieler Menschen Städte gesehen: mit besonderer Vorliebe und Nutzen hat er
in Italien verweilt. Der „Michel Angelo" ist schon vor zwölf Jahren geschrieben,
Grimm war damals in den ersten dreißiger Jahren; unter den Effays sind einige
noch älter. Die neuern zeichnen sich Wohl durch größere Reife aus, allein der geistige
Zuschnitt der ältesten und der jüngsten ist so übereinstimmend, daß man bei ihrer
Charakteristik kaum nöthig hat auf die Zeitfolge zu achten. Ich habe keinen Zweifel
daß dieser geistige Zuschnitt im wesentlichen unverändert bleiben wird.
Herman Grimm zu charakterisiren hat eine eigenthümliche Schwierigkeit.
Er hat seine Ideen in die verschiedenartigsten Effays verzettelt, aus denen man sie
zusammensuchen muß, um durch ihre Combination seine eigentliche Weltanschauung
zu erkennen. Er hat sie, und sie ist ihm sehr fest, aber überall tritt sie in anderer
Färbung auf, je nachdem das augenblickliche Gefühl ihn veranlaßt die eine oder
die andere Seite stärker hervortreten zu lassen. Daher finden die Gegner überall
bei ihm Widersprüche, wobei es ihnen freilich mitunter begegnet einen Widerspruch
zu finden wenn er einmal sagt: „die Sonne ist rund," das anderemal: „sie ist hell."
Zuweilen muß man aber wirklich den einen Ausspruch aus dem andern nicht bloß
ergänzen, sondern corrigiren. Sein Denken wird überall durch ein lebhaftes Ge-
fühl getragen, also durch etwas Subjektives, und in seiner Abneigung gegen alles
Triviale macht er reichlich Gebrauch von dem was er dem wissenschaftlichen Geist'
unserer Zeit als Recht zuspricht: „EineUnbefangenheit ist eingetreten, die wir selbst
mit einer gewissen Verdutztheit ansehen: wir blicken mit einer Kühnheit nach allen
Seiten um uns der nichts unerreichbar scheint.... es ist eine Jagd nach neuen Ge-
sichtspunkten." Ich habe in seinen sämmtlichen Effays die Stellen hervorgesucht
m denen seine bleibende Ueberzeugung den prägnantesten Ausdruck findet. Der ge-
wöhnliche Leser nimmt diese Stellen, die sich auf das Allgemeine beziehen, nur so
mit in den Kauf: es ist aber sehr der Mühe werth sie in ihrem innern Zusammen-
hang zu betrachten.
Sehr lehrreich ist sein Verfahren mit dem anderer Essayisten zu vergleichen.
Otto Ludwig z. B. in seinen „Studien über Shakespeare" steht fest auf seinem
Standpunkt, er sieht immer genauer.hin, entdeckt immer etwas neues, aber er selber
rührt sich nicht, und darum erscheint ihm auch der Gegenstand nur von einer be-
stimmten Seite. Sein Zweck ist: Regeln für die dramatische Production festzu-
stellen. Aehnlich Heinrich v. Treitschke: er hat einen ungemeinen Scharf-
sinn, alle Eigenthümlichkeiten des Gegenstandes die er brauchen kann zu entdecken
und mit einander zu combiniren; er ist dabei noch gerecht und unbefangen, aber
er wird nie etwas anderes sehen als was mit seinem Zweck in Verbindung steht.
Auch er ist, wie Grimm, von einem Enthusiasmus beseelt, aber es ist der Enthusias-
mus des Willens, der That. Er will die Nation zu seinem Glauben fortreißen,
sie inBewegung bringen; ihm kommt es darauf an mit ihr inFühlung zu bleiben.-/
auch weny er heftig eifert, hört «nd versteht man ihn dennoch.. Seme Natur ist so
mmmrn
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
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geartet daß der Denkproccß der thätige» Menge, oder der Menge die thätig sein
kann, sich bei ihm nur rascher reproducirt oder von ihm vorausgenommen wird.
Herman Grimm geht nun von dem intellectuellen Enthusiasmus aus,
er hat keinen praktischen Zweck; wenn ein Zweck gelegentlich hervortritt, auch Wohl
mit Heftigkeit, so geschieht es immer nur im intellectuellen Jntcresie: Anlegung
von Museen, Kunstschule in Rom u. s. w.; der augenblicklicheZweck ist nur Mittel
zu Höherem. Bei Treitschke ist der Zweck das Höchste. Darum wird es Herman
Grimm viel schwerer Fühlung mit der Menge zu behalten: nicht bloß weil er eine
wahre Scheu vor jeder Trivialität hat, und jedes Wort verschmäht das ihm nicht
ganz eigen angehört, sondern auch weil die Menge viel leichter sich von demjenigen
ergreifen läßt der ihr sagt: »gehe dahin und thue das," als von dem der sie auf-
fordert im Genuß zu denken.
Die Mehrzahl der heutigen Menschen will im Genuß ruhen, ihre Arbeit, ihr
eigentliches Leben ist anderswo; Herman Grimm will den Genuß zur Arbeit, zu
fcer heiligsten Angelegenheit des Menschen machen. Er wird erst da wahrhaft
Mensch wo er sich interesielos und doch enthusiastisch dem Edelsten hingibt. Sonst
forderte nur die Kunst den Enthusiasmus heraus, er soll sich jetzt über die ganze
intellectuelle Existenz ausdehnen.
Indem ich Herman Grimm charakterisire, zeichne ich damit zugleich eine sehr-
merkliche Richtung der neuestenZeit, gegen die er freilich oft genug im leidenschaft-
lichen Gegensatz zu stehen scheint. Es wäre überhaupt thöricht den Geist einer
Zeit aus ihrer Durchschnittsphysiognomie studieren zu wollen: nur das Eigenartige
ist symbolisch für das Allgemeine.
„Unsere Zeit," sagt Herman Grimm in der Abhandlung über Dürer, „ist
die der gelehrten Forschung. Jedermann, der heut irgend im Stande war sich aus
dem thierischen Zustand interesseloser Unwissenheit empor zu arbeiten, sucht Theil-
Nehmer zu werden, der ungeheuren unsere Generation beherrschenden Verbindung
geweiht, der wisienschaftlichen Untersuchung alles Vorhandenen. Der diesen Ar-
beiten entströmende Reiz ist allmächtig heute."
„Fühlen wir nicht ein gränzenloses Verlangen zu wiffen von allem Großen
und Schönen was geschieht und was geschaffen wird, und je geschah und geschaffen
ward, um betheiligt zu sein daran? Wir möchten es erjagen, athemlos, und es an
uns reißen. Wir möchten zugleich mitten im Wirbel des Pariser und Londoner
und amerikanischen Lebens rc. im einsamen Schiffe sein, wo an menschenleeren
nördlichen Buchten ein Forscher sanft den Boden des Meeres in die Höhe windet
und seine Formen untersucht u. s. w."
Als Kant einmal sämmtliche Verhältnisse des Kreises untersuchte, wurde er
von der überraschenden Uebereinstimmung so gerührt, daß er, wenn ich mich recht
erinnere, sogar von Thränen sprach. Nun klingt es wunderlich genug an einen
mathematischen Lehrsatz gemüthliche Regungen zu knüpfen, aber die Sache ist rich-
tig: der intellectuelleEnthusiasmus beruht aus der Bewunderung darüber daß die
Welt der Erscheinung in ihrer ungeheuren Mannichfaltigkeit, in ihrer Fülle und
ihren Widersprüchen der Ausdruck von Gesetzen ist, und daß alle Gesetze der Welt
ein System bllden; er beruht auf der Freude daß sich das Einzelne als das Allge-
meine erweist.
Das Mitgefühl dieser Freude bewirkt daß wir den minutiösesten wiffen-
fchaftlichen Untersuchungen Jacob Grimms mit innerer Erregung des Gemüths
folgen. Ich erwähne gerade ihn mit besonderer Freude, weil sich aus seiner Art
der Arbeit, die doch dem Neffen ein heiliges Vorbild war, manche von den Eigen-
thümlichkeiten desselben erklärt.
Bei einer früheren Gelegenheit habe sich gesagt: Herman Grimms kleine
Kunstwerke litten an dem Fehler daß die Thür öfters zu groß sei für das Haus.
Der Ausdruck ist richtig, und ich bleibe dabei stehen. Es kommt noch dazu daß die
Thür öfters im andern Styl angelegt ist als das Haus. Z. B. die Einleitung zu
Albrecht Dürer über das wiffenschaftliche Treiben der Gegenwart wird zwar sehr
geistreich mit dem was folgt in Zusammenhang gebracht, aber das hebt doch den
Acbelstand nicht auf daß sie etwas mehr enthält als das Verständniß und der
logische Zusammenhang erfordert. Allein es handelt sich hier nicht um etwas zu-
fälliges, sondern um eine bleibende Eigenschaft, die in der innersten Natur des
Schriftstellers begründet ist, und in einem solchen Fall darf man einem bedeutew
den Menschen gegenüber kaum mehr den Ausdruck „Fehler" gebrauchen.
In den kleinen Schriften Jacob Grimms findet sich dieselbe Eigenthümlich-
reit wieder. Nur tritt sie nicht so stark hervor, weil die Gegenstände des älteren
Gelehrten einen kleineren Raum einnehmen: es handelt sich bei ihiren immer nur
Am Sprache und Sitten der deutschen Vergangenheit: was sonst vorkommt ist
Nebensache, und so ist zwischen der Einleitung und der eigentlichen Abhandlung
Angesucht überall ein sachlicherZusammeirhang. Die Eigenthümlichkeit desjüngern
aber liegt darin daß er mit seinen Gedanken und Empfindungen sich gleichzeitig m
so vielen und entlegenen Gebieten des Wissens bewegt, daß man zuwellen durch
den Uebergang von einem Gedanken zum andern geradezu überrascht wird.
Was ferner bei Jacob Grimm in seinem engeren Gebiet bestimmtes Wissen
war, ist bei dem jüngeren oft nur Ahnung, inneres Bedürfniß des Geistes; es ist
ihm' eine subjective Nothwendigkeit den einzelnen Fall im Licht einer Idee zu er-
blicken, und umgekehrt. Nicht immer bricht das Allgemeine durch das Individuelle
mit Naturkraft durch: dann sucht er es, zuweilen mit Unruhe. Oft trifft er es so
glücklich daß man förmlich erschrickt, so schön ist der Ausdruck: ein andermal wic-
ber weicht das gesuchte Bild zurück, und er greift nach einem neuen; um das rich-
tige Gesetz zu finden, wechselt er die Gesichtspunkte unaufhörlich: er sieht nach dem
Gegenstand von allen Seiten, er beleuchtet ihn in allen Verhältnissen und Verkür-
zungen, nicht sowohl um den Gegenstand selbst in seiner ganzen concreten Fülle an-
schaulich zu machen, als um alle Gesetze ans Licht zu bringen die sich in ihm ver-
zweigen.
Ich sagte: „Die Beziehung des Einzelnen zum Allgemeinen ist bei ihm oft
mehr Ahnung als Wissen." Es gilt das aberhiicht von ihm allein. Nach meinem
Gefühl vollkommen richtig schildert er das Tasten der eigentlichen, der erfindenden,
der productiven Wissenschaft. Einzelnes festzustellen ist durch geschulte Arbeit
möglich; aber was ihr die Hauptsache sein muß, die gesetzliche Combination des-
elbcn, das ist eine Function die nicht nach wissenschaftlicher Methode erfolgt. Je
nach dem subjectivcn Gefühl, je nach den Voraussetzungen die man mitbringt, sieht
man Zusammenhang wo vielleicht keiner ist, und umgekehrt. „Unmöglich, die volle
Wahrheit zu ergründen; dennoch ruht unsere Neugier nicht, nicht unser Trieb die
Ereigniffe und Charaktere zu rcconstruiren." (Abhandlung über Raffael.)
„Wahrhaft wissenschaftliche Forschung geht aus von Ideen, deren Herkunft
wir nickt kennen. Ein geheimer Zusammenhang des Mannes und der Dinge auf
die er sich richtet, scheint von Anfang an nothwendig. Der echte Geschichtschreiber
hat etwas von einem glücklichen Spieler, dem ein Dämon immer die Augen und
die Hand auf die Zahlen zu leiten scheint welche Treffer sind." (Abhandlung über
Voltaire.)
„Wer die Dinge dadurch kennen lernen will daß er sie zerlegt, die Gedanken
dadurch daß er sie entwirrt und im einzelnen verfolgt, die Geschicke der Menschen
und Völker dadurch daß er sie theilt, diese Theile zum zweitenmal und drittenmal
theilt, und immer vom Kleineren zum Kleineren fortschreitet — der nimmt eine
unendliche Arbeit vor, zu der ihn die menschliche Unvollkommcicheit nicht geschickt
genug macht."
„Was wir an großen Gelehrten bewundern, ist nicht der ungeheure Vorrach
ihrer Kenntniffe, sondern der dunkle Trieb durch den geleitet sie zu sammeln be-
gannen, und der sie in ihrem Geiste zu Resultaten der Erkenntniß ordnete; das
Wunder das geschah, indem die Betrachtung der Dinge den Menschengeist zu einem
schöpferischen Theil der Welt gestaltete. Die Ahnung des Ganzen, die ihm inns-
wohnt, bildet den Gegensatz zu der ungeheuren Zersplitterung in einzelne Symptome,
in die sich alles Leben auflöst sobald wir es in den kleinsten Momenten betrachten
wollen. Sie läßt uns die Welt, die in Staub zu zerfließen droht wdnn wir mit
den Händen nach ihr greifen, so fest dennoch erfaffen, daß nicht ein Atom ihrer Un-
endlichkeit verloren geht. Unsere Neugier nach rückwärts und vorwärts ist keine
Spielerei ohne Zweck und Ziel: tragen wir ein Gefühl der Dinge in uns, so lernen
wir sie kennen, und alles nirmnt Gestalt an und wird wahrhaft." (Abhandlung
über Macaulay.)
Ich weiß nicht ob der Verfaffer in dieser letzten Stelle unmittelbar Jacob
Grimm vor Augen gehabt hat: sie paßt aber auf ihn auf das genaueste, und er-
klärt das wunderbare Phänomen wie ein Mann so häufig die gemeinen Regeln
der wisienschaftlichen Forschung übertreten und dennoch den ungeheuersten Fort-
schritt machen konnte, den unser Jahrhundert, ja man kann wohl sagen, den in
dieser bestimmten Wiffenschaft irgendein Jahrhundert gemacht hat.
Das Eigene bei Herman Grimm ist nun daß sein Enthusiasmus ihm selbst
Gegenstand wird. Er ist Dichter und Kritiker, beides toächst nicht völlig zusammen,
zuweilen tritt der eine, zuweilen der andere Pol seiner Natur ausschließlich hervor.
Das Einzelne ins Licht des Allgemeinen zu stellen ist der Dichter wie der Kritiker
geschäftig, und dabei wechseln beide oft ihren Standpunkt: natürlich ist dem Dich-
terdas Bild, also das Einzelne, der Kritiker bringt durch Reflexion den allgemei-
nen Gedanken hinzu; dann aber bemächtigt sich auch der Dichter durch Enthusias-
mus des Allgemeinen, und der Kritiker hat durch Forschung die Anwendung aufs
Einzelne nachzutragen. Diesen Wechsel des Standpunktes muß man im Auge behal-
ten um manche scheinbare Widersprüche zu verstehen.
Die intellectuelle Genußfähigkeit ist bei ihm in einer Weise gesteigert wie
es in frühern Jahrhunderten kaum möglich war, und er hat das tiefe Bedürfniß
diesen Genuß mitzutheilen, sich über ihn auszusprechen, nicht wie ein Redner, sondern
wie ein Lyriker. Daher die entschieden subjective Färbung seiner Abhandlungen.
Es könnte das mißverstanden werden, da das Vorurtheil noch immer sehr
verbreitet ist, jede streng wissenschaftliche Arbeit müffe trocken und langweilig sein,
und folglich, was nicht trocken und langweilig ist, sei unwiffenschaftlich. Herman
Grimm ist immer höchst anziehend, anregend und unterhaltend; eben deßwegen
zweifeln sogenannte Kenner an seiner Gründlichkeit. Sie verwechseln die Arbeit
mit dem Resultat der Arbeit. Herman Grimm weist die Arbeit nur selten vor,
er drängt künstlerisch das Resultat zusammen, dem oft gewiß eine recht trockene
und langwier ige Arbeit voran gegangen ist. Z.B. die philologisch gründliche Durch-
arbeitung sämmtlicher Dramatiker des 16. und 17. Jahrhunderts: mancher
Gelehrte der nicht sehr unterhaltend, sondern sehr langweilig zu schreiben versieht,
wird doch einen gelinden Schreck darüber haben. So kann man sich auch in seinen
kunsthistorischen Schriften darauf verlassen daß er das, worüber er spricht, mit
eigenen Augen gesehen und gründlich geprüft .hat, gleichviel ob man mit seinen
Resultaten einverstanden ist, oder nicht. Ich glaube nicht daß man sich bei allen
Kunsthistorikern darauf verlaffen kann.
Die subjective Färbung liegt nicht in der wisienschaftlichen, sondern in der
künstlerischen Methode. Als Künstler sucht er oft die Dinge uns gegenständlich zu
machen, nicht indem er sie selber zeichnet, sondern indern er seine Empfindungen
ihnen gegenüber ausmalt. Ich wähle meine Beispiele aus dem „Michel Angelo."
Gleich zu Anfang. Er will uns Florenz und Athen vergegenwärtigen; wie
macht er das? — Er steht zuerst ganz in der Ferne und beschreibt was er zu sehen
glaubt, dann tritt er näher, ganz nahe; der Eindruck ändert sich völlig. Er tritt
wieder auf den alten Standpunkt zurück, und das erste Bild ist wieder da. Indem
er sich nun über diesen Widerspruch Rechenschaft gibt, wird das was wir sehen
sollen, in uns viel deutlicher hervorgebracht als wenn er es in der hergebrachten
Weise beschrieben hätte.
Ferner Rom. „Man meint, als die Welt geschaffen sei, da hätte an dem
Fleck der Erde wo Rom steht eine Stadt aus dem Boden wachsen müffen, auf-
sprossend ohne menschliches Zuthun. Bei andern Städten könnte man denken: hier
war einst eine wüste Fläche u. s. w., bei Rom sind solche Gedanken fast eine Un-
möglichkeit. Bei Berlin, Wien, Paris, könnte ich mir einen Sturm denken der
alles vomBoden abmähte, in Rom aber scheint es als müßten die Steine sich selbst
wieder zu Palästen zusammenfügen, wenn eine Erschütterung sie auseinanderrisse,
als sei es gegen die Gesetze des Daseins daß die Höhe des Capitols ohne Paläste,
Tempel und Thürme sei."
So der Lyriker; nun folgt aber die ergänzende Kritik. „Es ist ein Uebel-
stand daß man sich, um dergleichen Gedanken auszudrücken, fester Bilder mit be-
gränztem Inhalt bedienen muß. Praktisch genommen sind es werthlose Gedan-
ken: Rom kann einmal so gut wie Babylon und Perfepolis mit Stumpf und
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Stiel ausgerottet werden. Dennoch liegt in diesen Phantasien ein Inhalt höherer
Art, und die Nothwendigkeit ist vorhanden sie zu sagen. Das Gefühl des Ewigen,
Unvergänglichen sollte ausgedrückt werden, das uns in Rom beschleicht; die Liebe
zu dieser Stadt aller Städte."
Darum ist es nothwendig daß Hennan Grimm das über Rom aussprechen
muß? — Es ist eine subjective, eine lyrische Nothwendigkeit, sein Gefühl zwingt
ihn dazu, und wer ihn deßhalb der Uebertreibung ziehe, dem Würde er mit Faust
antworten: „Wenn ich empfinde, für das Gefühl, für das Gewühl nach Namen
suche, keinen finde, dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife, nach allen höch-
sten Worten greife, und diese Gluth, von der ich brenne, unendlich, ewig, ewig
nenne —" ist es dann eine Lüge?
Es ist nicht allein die Uebermacht des Gefühls, die den Künstler dem Kriti-
ker voraustreibt, so daß dieser ihn erst einholen und nachträglich ergänzen muß: der
Grund für sein starkes Colorit, das bei Unaufmerksamen den Widerspruch heraus-
fordert, liegt zugleich in seiner künstlerischen Methode. Wenn man die Gegenstände
nicht an sich. sondern durch ihren Reflex im Gefühl des Anschauenden malen will, so ist
es nöthig stärkere Farben anzuwenden, damit der zweite Reflex noch herauskomme.
Du ferner ein solches Spiegelbild immer nur eine Allegorie sein kann, da Bild und
Urbild sich nie vollkommen decken, so ist eine gewiffe Freiheit in der Wahl der Ver-
gleichungen, ja ein gewiffer Wechsel derselben, der mitunter den Schein des Wider-
spruchs annimmt, vollkommen gerechtfertigt. Freilich darf man diese Form der
Darstellung nur schonend anwenden, well sie, oft angewendet, das Bild insSchillern
bringt.
Zuweilen, wenn er nach einem recht bezeichnenden Symbol seiner Ideen und
Empfindungen hascht, das sich ihm immer wieder entzieht, klagt er das Medium der
Darstellung an. „Man betrachte die Sprachen, wie diese heut allmächtigen Werk-
zeuge des geistigen Verkehrs abgenutzt und ausgenutzt sinh, und wie sie in einem
immer geringern Maße brauchbar werden die tiefsten Gedanken des Menschen voll-
wichtig in sich aufzunehmen. Große Gebiete unseres Seelenlebens bedürfen neuer
Gestaltung und neuer Worte. Man sehnt sich vergebens nach dem Munde der sie
ausspricht: man traut keiner Sylbe mehr, weil die Sprache zu viel eingebüßt hat
von ihrer jungfräulichen Macht, und kaum mehr fähig ist das Geheimnißvolle zu
bergen und zu bewahren." (Essay über Saraceni.)
Ist das nicht zu hart geurtheilt? — Ich führe eine Autorität an, die er
nicht verwerfen wird. In der Einleitung zum „Wörterbuch" sagt Jacob Grimm
freilich: „Wer unsere alte Sprache erforscht» sieht anfangs sich unvermerkt zu den
Denkmälern der Vorzeit hingezogen und von denen der Gegenwart abgewandt.
Je weiter aufwärts er klimmen kann, desto schöner und vollkommener dünkt ihn
die leibliche Gestalt der Sprache; je näher er ihrer jetzigen Faffung tritt, desto
weher thut ihm jene Macht und Gewandtheit der Form in Abnahme zu finden."
„Allein," setzt er hinzu, „auch die neue Zeit weiß schon ihren Anspruch zu erheben.
Nicht nur ist der neue Grund und Boden viel breiter und fester als der oft ganz
schmale lockere und eingeengte alte, sondern jener Einbuße der Form gegenüber
steht auch eine geistigere Ausbildung und Durcharbeitung. Was dem Alterthum
doch meistens gebrach, Bestimmtheit und Leichtigkeit der Gedanken, ist in weit größe-
rem Maß der jetzigen zu eigen geworden, und muß auf die Länge alle lebendige
Sinnlichkeit des Ausdrucks überwiegen. Sie bietet einen ohne alles Verhältniß
größeren, in sich selbst zusammenhängenden und ausgeglichenen Reichthum dar,
der schwere Verluste, die sie erlitten hat, vergessen macht."
Und ebenso Unrecht wie dem Medium im allgemeinen thut er seinem eignen.
Mitunter freilich versagt ihm die Sprache, weil er ihr zu viel zumuthet, und dann
wird er hypochondrisch; oft aber erweist sie sich ihm als ein gefügiges und mäch-
tiges Instrument, auf dem er Passagen zum Ausdruck bringen kann an die sich im
vorigen Jahrhundert auch ein Virtuose nicht gewagt haben würde: und man merkt
ihm an wie herrlich ihn das freut.
Grimm hat für die deutsche Literatur den Ausdruck „Essay" eingeführt und
durchgesetzt: der Ausdruck paßt hauptsächlich für ihn. Für ihn ist darum alle
wissenschaftliche Arbeit ein Essay, weil er die Unendlichkeit der Aufgabe nicht bloß
deutlich erkennt, sondern leidenschaftlich fühlt; er fühlt ebenso leidenschaftlich nicht
bloß die Unzulänglichkeit seiner eigenen Mittel, sondern der Mittel überhaupt welche
die Sprache bietet, um das Allgemeine und das Endliche in Zusammenhang zu
setzen. Jeder Gedanke des Zusammenhangs schießt wie eine Ahnung in seinem
Geist auf, und er ist reich an solchen Blicken; dann bemüht er sich diese Gedanken
in einander zu verschlingen. Was man aber von jedem Schriftsteller mehr oder
minder sagen kann der nicht gerade nach der Schablone schreibt, gilt von ihm im
eminenten Grad: er wird von seinen Gedanken beherrscht, sie kommen über ihn
ohne Zuthun seines Willens, und es gelingt ihm nicht immer sie zu leiten wohin
er will.
Ueber diese Unfertigkeit des eigenen und des menschlichen Denkens und
Schaffens im allgemeinen ergießt sich ein gewisser Schmerz in den Ausdruck seiner
Schriften. Man hat ihm gegenüber genau das Gefühl das er gegen Lionardo
ausspricht: gerade dieser irrationelle Rest übt einen großen Reiz; man tritt dem
Schriftsteller gemüthlich näher, auch wo es sich nur um wissenschaftliche Fragen
handelt. Freilich würde es der Contrast allein nicht machen, sondern nur der
Contrast zwischen einem unendlichen Wollen und einem -großen, wenn auch an
das Wollen nicht binanreichenden Können.
Die naturhistorische« Sammlungen des bayerischen Staates.
-tö- In der Unterstützung naturwissenschaftlicher Bestrebungen wetteifern
hcutzutag alle Culturländer. England und Amerika verwenden seit Jahren wahr-
haft riesige Summen auf naturwissenschaftliche Unternehmungen aller Art. In
Deutschland stehen uns zwar jene reichen Mittel nicht zu Gebot, aber immerhin
zeigt sich auch hier ein erfreulicher Wetteifer unter den einzelnen Staaten. Allent-
halben entstehen chemische, physikalische, physiologische und ähnliche Institute, die
selbst weitgehenden Ansprüchen genügen. Auch für Naturgeschichte scheint eine
bessere Aera zu beginnen. In Berlin geht man mit dem Plan um die reichhaltigen
naturhistorischen Sammlungen in einem würdigen Gebäude unterzubringen: irr
Karlsruhe ist eben ein Palast für den gleichen Zweck fertig geworden, und in Wie«
hat man bereits den Grundstein zu einem großartigen Museum gelegt. Württem-
berg ist allen deutschen Staaten mit rühmlichem Beispiel vorangegangen. Scho»
seit 1865 erfreut sich Stuttgart eines geräumigen, stylvollen, im schönsten Theile
der Stadt gelegenen Gebäudes, dessen Erdgeschoß von der geognostischen Abthei-
lung der „vaterländischen Naturaliensammlung" eingenommen wird. Ein einziger
Saal von riesigem Umfang enthält in geschmackvoller Aufstellung sämmtliche berg-
männische Products, Mineralien, Gesteine und Fossilien Württembergs. Im ersten
Stockwerk ist die ganze einheimische Dhierwelt zur Schau gestellt. Die bekannterer
Arten von Säugethieren und Vögeln sind öfters zu Bildern von künstlerischem
Werthe vereinigt. Man steht hier ganze Familien, Männchen, Weibchen und
Junge, in Stellungen gruppirt wie sie nur ein aufmerksamer Beobachter dem Leben
ablauschen konnte. Alle weitern Räume des Gebäudes werden von den allgemeinen
naturwissenschaftlichen Sammlungen erfüllt.
Wie dürftig nimmt sich neben diesem Muster-Institut des Nachbarlandes
die Behausung der bayerischen naturhistorischen Staatssammlungen aus! Und
dieß in München, dessen Bedeutung als Weltstadt hauptsächlich auf seinen glänzen-
dm Musem jeder Art beruht; in München, das sich mit berechtigtem Stolze seines
Reichthums an monumentalen Bautm rühmt!
Allerdings für die Gemälde und Sculpturm der Künstler hat man Paläste
gebaut, in denen alles aufgeboten wird um die Schönheit der einzelnen Objecte
zur Geltung ju bringen und die Annehmlichkeit des Beschauers zu erhöhen. Die
naturhistorischen Sammlungen dagegm befinden sich in einem alten klosterartige»
Gebäude mit niedrigem Thorweg, mit schwer findbarm Aufgängen, mgm Treppen
und dunklen, labyrinthischen Gängm. Von dm zahlreichen Räumen im Innern
sind viele bei allen sonstigen Vorzügen für ihren jetzigm Zweck wenig geeignet
einzelne geradezu ungenügend. Vor allem fehlt ihnen der erforderliche Zusammen-
hang, wodurch wmigstens die umfangreicheren Sammlungen in mehrere getrennt
Parcellen zerrissen sind. Wägend der Wintermonate macht die riesige Kälte jeden
längern Aufenthalt in diesen unheizbaren Räumen zu einem gesundheitsgefähr-
denden Wagestück. Darum sind auch die naturhistorischen Sammlungen nur im
Sommer der unbehinderten wissenschaftlichen Benützung und dem Besuche des
Publimms zugänglich.
Welche Fülle von Belehrung und Anregung könnten aber diese Samm-
lungm in die weitestm Kreise verbreiten! Sind sie doch in großartigem Maßstab-
angelegt, und behaupten sie doch in ihrer Art keine niedrigere Rangstufe als ihre
der Kunst geweihten Schwester-Institute. Trotzdem sind sie den meisten Münchener»
nur vom Hörensagen bekannt. Auch von dm Fremden findet nur ein kleiner Bruch-
theil den Weg zum Akademie-Gebäude. Noch die fleißigsten Besucher trifft man
unter der lembegierigen Jugend und unter der ländlichen Bevölkerung. Während
des Octoberfestes sind alle Räume von Menschen überfüllt; leider müssen aber
gerade an diesen Tagen mehrere Abtheilungm der Staatssammlungm wegen
mangelnder Circulationswege geschlossen bleiben.
Rur ein neues zweckmäßiges Museumsgebäude könnte dem heutigm Be-
dürfniß der wissenschaftlichen Staatssammlungen in Münchm gmügm. Wir
würden aber auch die Errichtung eines speciell bayerischen naturhistorischen Mu-
smms, nach dem Muster des bereits in Württemberg existirendm, für einen wesent-
lichen Fortschritt und für ein wirksames Anziehungsmittel gerade auf die einhei-
mische Bevölkerung halten. Gegenwärtig verschwinden die vaterländischen Pro-
ducts unter der Masse von ftemdem Material. Wer sich von den in Bayern vor-
kommenden Mineralien, Gebirgsarten und Versteinerungen oder von der bei unS
existirenden Thierwelt ein Bild verschaffen will, wird in mancher Provincialsamm-
lung leichter zum Ziele gelangen als in München. Ohne reichhaltige, allgemeine
Samnllungen ist dm beschreibenden Naturwissenschaften allerdings jede Fori-
mtwicklung abgefchnittm. Arbeiten von weitern Gesichtspunkten bedürfen meist
ein so umfangreiches Material, wie es mit den bescheidenen Mitteln der Univer-
sitätsattribute nicht mehr zu beschaffen ist. Dafür müssm einzelne, wohlauS-
gestattete Centralmusem als wissenschaftliches Arsenal dienen. Daneben sollte
jedoch die Pflege der Naturgeschichte des engem Vaterlandes nicht vernachlässigt
werden. Gerade die Sammlungen von streng localem Charakter erfreuen sich vor-
züglich der Gunst sowohl der fremden Fachgelehrten als des Publicums. Der
äußerst lebhafte Besuch der „vaterländischen" Abtheilung des Stuttgarter Natu-
raliencabinets beweist am besten welches Interesse die Bevölkerung an diesem
Institut nimmt. Das Interesse beschränkt sich aber nicht allein auf die Betrach-
tung der vorhandenen Gegenstände, es äußert sich oft genug in werthvollm Ge-
schenken.
In Bayern ließe sich aus dem bereits vorhandenen Staatseigenthum cm
naturhistorisches Nationalmuseum zusammmstellen, das dem württembergischm
zum mindesten gleich käme. Unser Land ist größer, in geologischer Hinsicht man-
nichfaltiger zusammengesetzt und reich an Naturproducten aller Art. Würde man
aus den mineralogischen, geognostischen, Paläontologischen und zoologischen Samm-
lungen daS Vaterländische ausscheiden, und diesem etwa noch die bei der geognosti-
scheu Aufnahme gewonnenen Belegstücke beifügen, so wäre damit das Material zu
einem Landesmuseum von imponirender Reichhaltigkeit gewonnen. Zu einem der-
artigen Unternehmen würden sicherlich auch die Kreissammlungen oder Private
einzelne Prachtstücke beisteuern, die jetzt unbeachtet und wenig bekannt in den ver-
schiedenen Landestbeilen zerstreut liegen. Im Akademie-Gebäude wäre fteilich em
solchesLandesmuseum nicht unterzubringen. Jeder Ausdehnungsversuch der Samm-
lungen würde die bereits vorhandene Zerstückelung bis zur Unerträglichkeit steigern,
ganz abgesehen von andern kaum überwindbaren Schwierigkeiten. An die Errich-
tung eines isolirten vaterländischen Museums dürfte im Interesse der wissenschaft-
lichen Benützung noch weniger gedacht werden. Es scheint uns durchaus nöthig
daß die mineralogischen, zoologischen und andern Abtheilungen des Landesmuseum-
unter denselben Fachmännern stehen welche die entsprechenden Haupisammlunger.
verwalten, und daß alles in einem Hause vereinigt bleibe.
Wenn die beschreibenden Naturwissenschaften, die in Bayern lange Jahre
im Vergleich zu den schönen Künsten karg ausgestattet und fast stiefmütterlich be-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
handelt worden waren, jetzt ihre Stimme nach einer würdigern Wohnstätte erheben,
so wird man darin gewiß keine Unbescheidenheit erblicken dürfen. Lange Zeit mußte
dringlichern Anforderungen des Staatswesens der Vorzug gelassen werden. Jetzt aber,
wo die günstige finanzielle Lage den deutschen Staaten gestattet fich in jeder Be-
ziehung wohnlicher einzurichten, dürfte es wohl an der Zeit sein den Gedanken
nach einem neuen naturhistorischen Museumsgebäude wieder anzuregen, der schon
einmal, kurz vor dem Ableben des höchstseligen Königs Max, seiner Ausführung
nahe zu sein schien.
Möchte es diesen Zeilen gelingen die bayerische Staatsregierung mit dem
angeregten Gedanken zu befreunden; möchten aber auch unsere Reichsräthe und
Abgeordneten einem im besten Sinne bayerisch-particularen Vorhaben ihre Unter-
stützung nicht versagen!
Die Reform des Wahlgesetzes La Ungarn.
B. Aus Ungarn, im Februar. In nächster Zeit wird das Abgeord-
netenhaus ein Gesetzentwurf beschäftigen der wesentliche Aenderungen an dem in
Uebung stehenden Wahlgesetz vornimmt. Das ungarische Wahlgesetz datirt aus
dem Jahr 1648, und ist nebst dem Urbarialgesetz eines der wenigen Gesetze die sich
unverändert, wie sie Kossuth entworfen und der Landtag beschlossen hatte, bis
heut erhalten. Schon nach den ersten Wahlen zum 1848er Reichstag war die
öffentliche Meinung darüber einig daß das Wahlgesetz ob seiner Lücken und Feh-
ler einer Revision bedürfe. Seitdem sind, so oft es in Anwendung gekommen,
die Mängel desselben stets fühlbarer, der Wunsch stets reger geworden es einer
gründlichen Revision zu unterziehen, und zwar in zweifacher Richtung: einmal
sollten die Bestimmungen revidirt werden welche den Census feststellen, dann
sollte die Art und Weise der Wahl geregelt werden, da der wochenlange Taumel
und die ungesunde Aufregung in der sich das Land vor jeder Wahl befindet, die
dadurch herbeigeführte Vergeudung von Geld und Arbeitskräften, dann die be-
reits stereotyp gewordenen Excesse beim Wahlact selbst, nebst den im großen ge-
triebenen Bestechungskünsten, zumeist dem in dem gegenwärtigen Wahlgesetz nor-
mirten Modus der Wahl zugeschrieben werden, ferner die Willkürlichkeiten die
sich die Municipien bei Feststellung der Wahllisten erlauben, und die Abnormitä-
ten die hiebei vorkommen, ihren Ursprung in dem lückenhaften Gesetzestext den
Census betreffend haben sollen.
Wie bekannt, ist das ungarische Wahlgesetz als eine Errungenschaft des
Frühjahrs 1848 hinsichtlich der Censusbestimmungen äußerst freisinnig. Man
ist Wähler wenn man in Städten und Gemeinden mit geordnetem Magistrat ein
Haus oder einen Besitz im Werthe von 300 fl., vom Land einen Besitz von einem
Viertel Urbarialsession (6 bis 8 Joch) eigen nennt, oder im allgemeinen ein reines
Einkommen von 100 fl. genießt, als Handwerker stabil mit einem Gesellen ar-
beitet. Alles was der sogenannten Intelligenz angehört, hat an und für sich das
Wahlrecht, deßgleichen sämmtliche Adelige des Landes und sämmtliche Bürger
der k. Freistädte. Auf Grundlage der bei den letzten Wahlen veranstalteten Conscrip-
tion hatte das Ministerium des Innern eine Wählerstatistik anfertigen lassen.
Eingeschrieben waren für das gesammte eigentliche Ungarn 792,739 Wähler, die
nach dem Grund ihrer Wahlberechtigung sich folgenderweise vertheilten: Grund-
besitz 532,896, Handwerk 46,032, Fabrik 654, Handel 14,012, Einkommen
65,447 , Intelligenz 39,455, endlich 94,243 auf Grund „früheren Rechts," wo-
bei man jedoch nicht glauben darf daß sämmtliche 94,000 kein anderes Recht als
jenes, adelig oder Bürger einer Freistadt zu sein, geltend zu machen im Stande ge-
wesen wären. Der sogenannte Bundschuh-Adel ist doch vorwiegend nur ein ade-
liger Bauernstand; als Bauer wäre der Einzelne auf Grund seines Besitzes
wahlberechtigt und kommt das adelige Vorrecht nur wenigen zu gute.
Wie man sieht, ist die Zahl der Wähler nicht gering: es kommt ein Wähler
auf 15 Einwohner, während Italien z. B. bloß auf 60 Einwohner einen Wähler
zählt, und es haben sich demnach auch schon Stimmen für eine Beschränkung des
Census erhoben. Der Gesetzentwurf ist jedoch darauf nicht eingegangen — wohl
vorzüglich aus politischen Gründen — sondern hat den Census beibehalten, nur,
wo es angieng, statt auf Besitz und Einkommen, auf die erlegte direkte Steuer
basirt. Ja, es ist noch die Zahl der Wähler wesentlich vermehrt worden, da eine
ganze Classe neu aufgenommen wurde: die der Privat-, Bank-, Fabrikbeam-
ten, Handlungsdiener u. s. w., die bis jetzt ausgeschlossen waren, da das Gesetz
wohl nur das hinterlegte 20. Lebensjahr, aber eine strenge Selbständigkeit des Wäh-
lers verlangte. So kam es denn daß ein ehrsamer Flickschuster Wähler sein
konnte, nicht aber der Buchhalter eines Bankiers. Was die privilegirten Wähler
betrifft, so war es bei der 1348er Umwälzung eine Opportunitätsfrage: jene Ade-
ligen die bereits im Besitz des Wahlrechts waren, nicht durch dessen etwaige Ent-
ziehung zu Gegnern zu machen. Ein Mißbrauch war es aber wenn auch dem
Nachwuchs das privilegirte Wahlrecht erhalten oder gewährt wurde, wie es bis
jetzt geschehen. Hier mußte also Ordnung geschaffen werden. In den Städten
hatte sich der Mißbrauch eingeschlichen daß daselbst vor den Wahlen eine große
Anzahl neuer Bürger ernannt wurde, die, an und für sich Wähler, ihre Stimmen
dann zu verwerthen wußten, oder wenigstens einige Wochen lustig lebten.
Die Art und Weise der Wahl, d. i. die Vorbereitungen zur Wahl, und der
Wahlact werden durch den Gesetzentwurf ganz neu geregelt. Es enthält derselbe
darüber eine Reihe specieller Bestimmungen, die sich auf die Aufstellung fixer jähr-
lich zu revidirender Wählerlisten (diese wurden bis jetzt stets nur vor jeder Wahl
verfertigt), auf die Competenz der Wahlcommissionen, die Abkürzung der Zeit
zwischen dem Tage der Ausschreibung und dem Tage der Wahl selbst beziehen, letz-
teres um der Stimmenwerbung, und allem Unfug der damit verbunden ist, das Hand-
werk zu legen. Sämmtliche Wahlen würden nun an einem und demselben Tage
geschehen, der Tag soll vom Ministerium bestimmt, die Abstimmung durch Stimm-
karten vorgenommen werden, jede erwiesene Bestechung die Cassirung der Wahl zur
Folge haben. Die Abstimmung soll öffentlich bleiben wie bisher.
Im allgemeinen läßt sich sagen daß, enthielte derGesetzcntwurf nichts weiter als
was bisher auseinandergesetzt worden, derselbe keiner besondernOpposition begegnen
Würde, mögen nun auch hinsichtlich einiger Punkte die Ansichten auseinandergchen,
die äußerste Linke z. B. das allgemeine Stimmrecht, viele die geheime Abstimmung,
688
anders strengere Strafbestimmungen gegen die der Bestechung Ueberführten wün-
schen. Es enthält aber der Gesetzentwurf noch einen Paragraphen welcher tief
einschneidender Natur ist und die Opposition derLinken geweckt hat, so daß sie jetzt
bereit wäre den gesammten, wiederholt als nothwendig erkannten Gesetzentwurf zu
Verwerfen, nur um die Annahme jener Bestimmungen zu verhindern. Das Mini-
sterium schlägt nämlich vor: die Mandatsdauer von drei auf fünf Jahre zu verlän-
gern. Eigentlich ist auch darüber alle Welt einig daß drei Jahre eine zu kurze
Mandatsdauer vorstellen und, wenn die anfangs vorgeschlagenen sieben Jahre zu
lange schienen, fünf gerade die richtige Zahl sein dürften. Es ist in Ungarn nicht
zu fürchten daß die Berührung des Abgeordneten mit den Wählern verloren gehe und
er denselben fremd werde, dafür wird schon das Municipium, welches doch immer
Politik treiben dürfte, sorgen, wie auch dafür daß der Abgeordnete seiner Farbe
treu bleibe; überdieß wird nach den bisherigen Erfahrungen in fünf Jahren wohl
über % der Abgeordnetensitze durch Tod und Mandatsniederlegungen aller Art
leer, und würde so der Zufluß junger Kräfte nie aufhören. Die Linke macht dessen-
ungeachtet heftig Opposition gegen die fünfjährige Mandatsdauer, nicht zwar aus
principiellen Gründen, die in der Sache liegen, sondern aus Gründen die dem staats-
rechtlichen Princip der ausgleichsfeindlichen Partei entspringen. Geht nämlich
das fünfjährige Mandat durch, so besteht der im Sommer 1672 zu wählende
Reichstag bis 1877, es fällt also demselben auch die Erneuerung der finanziellen
und der handelspolitischen Verträge mit Oesterreich zu, die zwar erst 1877 ausgehen,
aber bereits einJahr früher gekündigt oder verlängert, beziehungsweise abgeändert
werden müssen. Die Aussichten für die Linke stehen nun so daß sie kaum hoffen
kann bei den bevorstehenden Wahlen zur Mehrheit zu gelangen, möglicherweise
aber 1875, wenn bei Beibehaltung der dreijährigen Mandatsdauer damals wieder
gewählt werden würde. Jedenfalls liegt es in ihrem Interesse die parlamentari-
schen Zügel der Gegenpartei auf so kurze Zeit als möglich in die Hände zu geben.
Die Linke bekämpft daher, ohne den wahren Grund zu nennen,. das fünfjährige
Mandat und auch den Gesetzentwurf im allgemeinen, und hat überdieß — hier in
Uebereinstimmung mit den unabhängigen Gliedern der Deak-Partei — auch die
Frage der Jncompatibilität aufs Tapet gebracht.
Jeder Unbefangene wird ihr hier hierin Recht geben, daß es nöthig sei gegen
den Unfug der mit den massenweise vorkommenden Cumulirungen von „Regierungs-
amt und Abgeordnetenmandat" geübt wird, gesetzliche Abhülfe zutreffen, damit
nicht eines schönen Tages auf der rechten Seite des Hauses nichts als Regierungs-
angestellte sitzen. Es wird wohl nicht möglich sein so weit zu gehen wie einige
wollen: d. i. jeden als unfähig zur Uebernahme des Abgeordnetenmandats zu er-
klären der mit der Regierung in irgendeinem Vertragsverhältniß.steht; aber sicher
sollte es unerlaubt sein ein besoldetes Regierungsamt mit dem Abgeordnetenmandat
zu verbinden. Ob nun ein solcher Regierungsbeamter für oder gegen die Regie-
rung stimmt, immer ist es schlimm: im ersteren Fall liegt alle Vermuthung vor seine
Abstimmung für erzioungen anzusehen; stimmt und spricht er aber gegen seine Re-
gierung, so lockert er die Disciplin im Beamtenkörper, und der Minister, welcher
den sprechenden Beamten fürchten muß, verliert jede Autorität. Heute kann es
in Pest geschehen daß man ganze Abtheilungen in den Ministerien leer findet, weit
der Chef, der Rath und der Secretär sämmtlich Abgeordnete sind und, statt iw
ihren Bureaux, im Reichstagssaal sitzen. Wenn sie auch nur immer dort wären.:
wer zwei Herren dienen soll, dient am Ende keinem! Die Deak-Partei hat keine
besondere Schwärmerei für das Jncompatibilitätsgesetz, welches ihre Stütze, das
Mamelukencorps, zu sprengen bestimmt wäre, und hat es auch schon dahin zu brin-
gen gewußt daß die Sache getrennt behandelt werden soll, zuerst die Wahlreform,
dann das Anti-Mamelukengesetz. Wenn nur nicht, nachdem das neue Wahlgesetz
beschlossen worden, die Zeit plötzlich zu kurz wird um auch das andere Gesetz zu.
beschließen, natürlich zum Leidwesen der Minister und der Partei!
Ebenso wichtig schiene uns—dermalen jedoch ohneAussicht auf Verwirklichung,
denn keine der beiden Parteien möchte auch nur einen Sitz verlieren — eine Herab-
setzung der Ziffer der Abgeordneten. Deutet ja die schon fast zur Regel gewordene
Abwesenheit von mindestens 100 Abgeordneten darauf hin daß die Ziffer von 430 zu
hoch gegriffen und auch unnöthig sei. Das Land ist kaum im Stande diese Summe
von unabhängigen gebildeten Politikern zu produciren, so daß einmal die Cumu-
lirung von Negierungsamt und Abgeordnetenmandat darin eine Art von Entschul-
digung findet, und andererseits politisches Mittelgut — gelinde gesagt — die-
Bänke des Hauses füllt. Das Abgeordnetenhaus steht bei keiner Frage von höherer
Bedeutung, betreffe sie das Unterrichts-, Eisenbahn -oder Bankwesen, auf der
Höhe der Lage, und es gilt von demselben was Eötvös in einem Augenblick des Un-
muths sagte: bei uns muß der Staatsmann zu den Abgeordneten herabsteigen,
nicht daß er sie zu sich heraufzöge.
Zur Ophirfrage.
* Ueber diesen durch die neueste Veröffentlichung A. Petermanns (s. Allg.
Ztg. Nr. 39) angeregten Gegenstand schreibt H. Kiepert in der „Nat. Ztg. :*
„So erfreulich es ist daß der unermüdliche Eifer des wackern deutschen Afrikareisen-
den Mauch nicht allein durch Gold und Diamantenfünde, sondern auch durch un-
geahnte Entdeckungen von hohem archäologischen Interesse belohnt wird, so nöthig
scheint cs uns die ernstesten Bedenken gegen die eiligen Schlußfolgerungen auszu-.
sprechen, welche Petermann sofort an die vorläufigen kurzen Nachrichten über den
Charakter jener Ruinen anknüpft. Schon zum dritten- oder viertenmal seit kur-
zem sehen wir hier wieder die vier Jahrhunderte alte portugiesische Fabel aufge-
wärmt , die das damals neucsttdeckte Goldland Sofala mit dem biblischen Ophir
in Zusammenhang bringt. Wer jene Ueberlieferungen über ältesten Völkerver-
kehr auch vom sprachlichen Standpunkt studiert hat, weiß daß die Ophirfrage
längst nicht mehr eine offene, sondern namentlich durch Lassens gründliche Unter-
suchung schon vor einem Vierteljahrhundert definitiv zu Gunsten Indiens entschie-
den ist: in erster Reihe dadurch daß die im Alten Testament überlieferten Namen
aller heimgebrachten Produkte Ophirs (Elfenbein, Pfauen, Affen, Spezereien>
als kaum veränderte Sanskritwörter und Ophirs Name selbst als die indische Be-
nennung des unteren Jnduslandes, Abhira, nachgewiesen, und die Bedenken we-
gen der natürlichen Goldarmuth dieses Theiles von Indien widerlegt worden
sind. Dieses Indien, dgs nachweislich seit und wahrscheinlich vor jener Zeit in
689
beständigem Seeverkehr mit den Ländern des Westens, namentlich der Euphrat-
Mündung, geblieben ist, soll durch eine vage Vermuthung wieder beseitigt werden
Lu Gunsten eines südafrikanischen Landstrichs, von dem die gesammte Culturwelt
des Alterthums, namentlich die wissenschaftliche Literatur der Griechen, der doch
keine der sonstigen phönizischen Entdeckungen entgangen ist, absolut nichts weiß?
Der zum erstenmal im arabischen Mittelalter und zwar erst von ziemlich späten
Autoren , aber von keinem der vielen arabischen Geographen vor dem 13. Jahr-
hundert mit Namen genannt wird? Wer gar auf angebliche einheimische (offenbar
Don den Arabern importirte) Sagen von König Salomons sabäischer Freundin
Gewicht legt, vergißt, daß diese mysteriöse Dame durch den ganzen Orient gerade.
wie Salomo selbst und Jskender-Dhulkarnein (d. h. Alexander der Große) oder
wie im Alterthum Semiramis vom Volk als Urheberin mächtiger Bauwerke un-
bekannten Ursprungs gefeiert wird."
Neueste P o fi e tt.
X München, 14 Febr. Se. Maj. der König wohnte heute Vormittags
bem Gottesdienst in der Allerheiligen-Hofkirche bei und ließ vor Beginn der hl.
Messe von dem celebrirenden Priester sich einäschern.
X München, 14 Febr.. Der Abgeordnete vr. Anton Schmid hat als Re-
ferent des H. Ausschusses, der Kammer der Abgeordneten über den Antrag
des Abg. Dr. Frankenburger und Genossen: „die Gründung eines allgemeinen Staats-
Schulfonds und die Aufhebung des Schulgeldes für den Unterricht in den Volksschulen
betreffend" — den Vorschlag gemacht, zu beschließen daß dem Antrag eine Folge nicht
zu geben sei. Der Abg. Frhr. v. Stauffenberg hat hierauf in der Sitzung des 2. Aus-
schusses 2 Anträge eingereicht: einen Modificationsantrag, der die Ausarbeitung eines
Gesetzentwurfes bezielte, durch welchen das Schulgeld für die Volksschule aufgehoben
mnd der dadurch entstehende Entgang auf Gemeinde, Kreis und Staat vertheilt würde,
und einen Präjudicialantrag: „daß die Sache bis zum Erlaß der neuen Geschäftsordnung
zurückgestellt werde." Bei der Abstimmung wird der Präjudicialantrag des Frhrn. v.
Stauffenberg mit 6 gegen 2 Stimmen, dessen Modificationsantrag mit 7 gegen
1 Stimme verworfen und der Antrag des Referenten mit 6 gegen 2 Stimmen
'(Frhr. v. Stauffenberg und Crämer) angenommen. Der Cultusminister v. Lutz hatte
in der Sitzung erklärt daß die kgl. Staatsregierung im Principe für die unbedingte Auf-
hebung des Schulgeldes ohne allen Vorbehalt sei; der unentgeltliche Unterricht fei eine
nothwendige Folge des Schulzwanges. Was die Ausführung betreffe, so könne die Re-
gierung gegenwärtig der Vorlage der Aufbesserung der Lehrer gegenüber ein solches
Postulat nicht stellen. Mit der Uebernahme der ganzen Last auf die Staatskasse würde
«ine Ungerechtigkeit gegen jene Gemeinden begangen welche das Schulgeld bereits auf
Ihre Caffen übernommen hätten. Die geforderte Summe von 10 Millionen würde
bei weitem nicht ausreichen, da nach den Berichten der Regierungen eine nicht
unerhebliche Vermehrung des Schulgeldes eingetreten sei; die Entnahme dieser 10
Millionen aus der Kriegsentschädigung sei übrigens auch nichts weiter als eine
Deckung aus laufenden Mitteln. Gegen den Antrag des Abg. Frhrn. v. Stauffenberg
sich auszusprechen, habe die Regierung keinen Anlaß, da er nur dahin abziele daß die-
selbe prüfe ob und wie das als richtig anerkannte Princip durchführbar sei. — Der
Gesetzgebungsausschuß kam in der heute abgehaltenen Sitzung in der Berathung
des Gesetzentwurfes, die durch die Einführung des Strafgesetzbuches für das Deutsche
Reich bedingten Abänderungen der Militärstrafgesetze betreffend, bis zu Artikel 115.
Hervorzuheben ist aus der Berathung daß die in dem Entwurf enthaltene Bestimmung
-einer motivirten Ablehnung der Geschwornen von dem Ausschuß nicht acceptirt wurde.
Industrie, Handel nud Verkehr.
0 New-Aork, 29Jan. (Vom amerikanischen Geldmarkt). Die Börse
hat viel Äehulichkeu mit einem Pferdemarkt. Dieselben Physiognomien, dieselbe Aufregung,
derselbe Lärm, Angebote und Zuschlag, Gewinn und Verlust, Schmuser und Roßknechle
(Reclamenschreiber), welch letztere den Kauflustigen deuBerkaufSgegenstand auf eine geschickte
und anziehende Weise vorzuführen wissen. Auch auf der Börse geht'» dem Käufer häufig
rvie auf dem Pferdemarkt: zumeist erst wenn er das erhandelte Object zu Haufe hat, eut-
deckt er daß er nicht den besten Handel gemacht. Diese Erfahrung wird dem Publicum
bei den ueueflenö in Deutschland geschehenen Einführungen amerikanischer Werthe nicht
erspart bleiben. Ziehen wir einmal die Morris- und Essex-Eisenbahn-Morr-
gage-BondS in nähere Betrachtung. Diese Compagnie hat ein Actiencapital im Nomi-
nalbetrag von 13,667,200 Dollars, wovon indessen höchstens 20 Procent baar von den
Actionären einbezahlt worden sind. Diesem gegenüber steht eine erste Hypothekenschuld mit
5,0.0,000 Dollars und eine zweite Hypothekenschuld von 3,000,000 Dollars, welchen jetzt
«ine dritte Hypothekenschulv von 5,000,000Dollars beigefügt werden soll, und wovon em
Theil mit 1,250,000 Dollars bereits in Deutschland zur Zerchnung aufgelegt worden ist.
Auch wenn man die Differenz deS gegenwärtige» MarktwerlhS mit dem Nominalwerth der
Morris- und Effcx-Actien, welche etwa 17 Proeent beträgt, außer Acht läßt, so ist doch
bereits das obige Actiencapital der Bahn durch die Hypothekenschuld von 13,000,0^0 D.
auch ohne den Betrag der unwandelbaren Bonds von 1,665,000 D. erreicht. ES hat zwar
die Delawarc-Lackawanna- und Western-Eisenbahn-Eompaguie mit dem Betrieb derMorriö-
nnd Essex-Bahn auch deren Verbindlichkeiten übernommen; hat aber auch den Actionären
der Morris- und Essex-Bahn eine jährliche Dividende von 7 Procent zu bezahlen, und die
Einnahme der Morris- und Essex Bahn betrug im Jahr 1870 nur 957,521 Dollars. Zu-,
dem bezieht die Delaware-Lackawanna- und Western-Bahn ihren Gewinn hauptsächlich aus
dem Kohlenbetricb, wobei nicht außer Acht zu lassen ist daß die bevorstehende Herabsetzung
de« Eingangszolls auf Kohlen die Einnahmen der Bahn wesentlich ändern kann. Ich
will invesseu nicht unterlassen anzuführen daß die genannten Securitäten hier noch unter
die Kategorie „gut" kommen; der Capitalist iu Deutschland mag sich hiernach zur Beur-
theilung amerikanischer Securttäteu seinen Maßstab bilden. Jedenfalls ist es etwas stark
«in Aulehen das in Currency heimbezahlt wird sich iu Gold bezahlen zu lassen. Wenden
wir uns nun zu der Anleihe der Stadt Washington Wir dürfen die schwache
Seite derselben um so weniger unvcrhüllt lassen, als das Anlehen in Stücken selbst von
50 Dollars geboten wird, also namentlich zur Anlegung für btc kleinen Leute eingerichtet ist.
Wen» Washington, der Sitz der Bundesbehörden und des Congresseö, im Fortschritt mit
den Schwesterstävten bedeutend nachhinkt, so ist daran gerade der Umstand schuld daß
es die Bundeshauptstadt ist. Wenn aber der Präsident in seiner Congreßbotschaft sagt
(siehe den Prospekt): „Unter der Leitung der Territorialbeamten ist ein System von Ver-
bisserungen eingeleitet worden, mittelst dessen Washington auf dem besten Weg ist eine solche
Stadt zu werden wie es die Hauptstadt der Station zu sein verdient u.s.w.," so steht dem
gegenürer eine Eingabe von 1000 Bürgern in Washington an den Congreß. In dieser Eingabe
wird die neue Territorialregierung grober Mißbräuche, der Verschleuderung, der Unfähigkeit
und der Corruption beschuldigt und eine Untersuchung verlangt. Namentlich ist betont daß die
Behörde für öffentliche Bauten ihre Befugnisse überschreite, und sich unbeschränkte Vollmacht von
der Legislatur zur Verausgabung von 12,000,000 D., welche durch Anleihen und Steuern auf-
zubringen sind, habe ertheilen lassen. Neben anderen Verschwendungen würden Bauten und
Anlagen aller Art in zum Theil höchst unsinniger Weise begonnen und dabei dem Bolle,
nicht die geringste Einsicht in die Amtsführung gestattet. In sieben Monaten seien für die
Legislatur über 200,000 Dollars verausgabt worden, und die Subvention der Presse werde
auf die schamloseste uub verschwenderischste Weise daneben u. w. Unter solchni Ver-
hältnissen, und solange nicht eine aufrichtig gemeinte und genaue Untersuchung über.oic Ankla-
gen stattgefunden hat, ist das Anlegn der Stadt Washington als keine sichere nnd ruhig
Capital-Anlage zu betrachten. Es gebricht mir heute an Raum um die übrigen amerikaui»
fchen Emissionen iu Deutschland einer Revision zu unterziehen; ich werde dieß aber in der
Folge nachholen und jetzt zu der Wochenübersicht der Börse übergehen. Die schon seit
einigen Wochen anhaltende SpeculationSlust in der Fondsbörse ist, wie schon der Einsatz
der Curse am Montag zeigte, im Abnehmen begriffen. Beinahe alle Actien eröffnete«
ziemlich niedriger als sie in der Vorwoche schlossen. Union-Pacific schlossen in der
Vorwoche mit 93% und setzten am Montag mit 36 ein; Wabash eröffneten um %,
Northwestern um % niedriger; Hannibal und St. Joseph pref. schloffen mit 71 und er-
öffneten sogar mit 65%; wobei freilich die Controverse über die TranSferirung der Hanni-
bal- und St. Joseph-Eisenbahn an die Atchison- und Pike'S-Peak-Eisenbahn-Compagnie
ihren ungünstigen Einfluß ausgeübt haben mag. Im Durchschnitt der Woche haben in-
dessen dre Curse nichts wesentliches eingebüßt. Dir Schlußcurse sind zum Theil etwas
besser als die Eröffnungscurse. So schlossen z. B. Union-Pacific mit 386 g, Wabash 75%,
Northwestern 73 V;, Hannibal und St. Joseph 65% Die unterbrochene SpeculationSlust findet
darin ihre Erklärung daß viele Actienbesitzer welche früher billig kauften zu demhohen Curs wieder
verkauften,um damit einen Gewinn zu realisiren. In State-BondS ist der Verkehr still. In den-
Angelegenheiten der repudiationssüchtigen Südstaat en hat sich nichts geändert, und die
Januar-Session der Legislatur in Georgia verlief ohne daß eine Abänderung des Re-
gistrirungsgesetzes zu Gunsten der auswärtigen Georgia-Bondsbesitzer getroffen worden
wäre. Die wiedererwachte Emissionslust für amerikanische Werthe auf europäischen.
Märkten hat ihre Rückwirkung für hier nicht verfehlt und zu weitern Versuchen er-
muntert. Der Capitalist in Deutschland welcher für amerikanische Anlagen eingenommen
ist wird für die nächste Zeit eine große Auswahl zur Verfügung haben; er braucht
also keineswegs sich zu beeilen. Leider sind die meisten in Deutschland verbreitete«
amerikanischen Mortgage-Bonds auf der New-Dorker Börse gar nicht zugelassen, und die
unterderhand empfangenen Notirungen sind nicht immer zuverlässig. An der Börse
notiren 70/0 Pacific-Miffouri 99%, Central-Pacific-Gold-Bonds 102%, Union-Paeific I.
M'ge Bonds 92%. Der Bank-Ausweis vom 27 Januar zeigt nur eine Zunahme von
918,800 Doll, in Legal Tenders und in der Ueberschuß-Reserve einen Rückgang von
1,703,900 Doll. Der Geldmarkt ist indessen dadurch noch nicht beeinflußt, die maßge-
bende Leihrate betrug 5—7% für Darlehen auf Einberuf; Platzwechsel auf drei Mo-
nate fanden Unterkommen zu 7%. Das Goldagio hat sich wieder mehr von de«
Einflüssen befreit welche das Gerücht von der 600,000,000 Doll. RegierungsboudS-
Emssston verursachten, und wenn sich auch bis jetzt in diesem Gebiete noch wenig-
Speculation zeigt, so scheint doch manches ' darauf hinzudeuten daß sich eine solche i«
der nächsten Zelt entwickeln und das Agio wieder höher gehen wird, wozu namentlich die
spanischen Verwicklungen eine Handhabe bieten werden. Es schloß mit 109% am Sams-
tag gegen 109% am Beginn der Woche. - Die Goldclarirung in der abgelaufenen Woche-
belief sich auf 161,450,000 Doll. Ueber Regierungsbonds ist nichts besonderes zu berichte«.
Telegraphische CurS- rrrrd Handelsberichte.
* Berlin, 14 Febr., 12 Uhr 10 M AnfangSbericht. Oesterr. Lreditactien 205%>
1860 Loose 91, österr.-franz. StaatSbahu 240%, Lombarden 126%, Italiener 65%, Die
Rerlten-Lommandit-Anth. 215%, 1882er Amerikaner 97, Türken 46$ 8, Rumänen 49, Köln-
Mi»d.Präm.-Aul. 99. Galizier 118%, Silberrente—. Stimmung: fest.
(*) Berlin, 14 Febr. Schlußcurse: Bayer. bproc. Aul. v. 1870 100%, bayer.
4%proc. Aul. 100, 4proc. Präm.-Anl> 117, bad. Präm.-Anl. 114%, 4%proc. preuß.
Alll. 100%, Preuß. Tentral-Boden-Lreditactieü 127%, DiSconto-Commaudit 217%, Köln-
Minden» L. 98%, 1882er Amerikaner 96%, österr. Silberrente 63% Papierrente 55%,
österr. 500fl.-L. v. 1860 91%. lOt-fl.-L. v. 1864 86%, Lreditactien 206%. Lombarde«
125%, österr.-franz. StaatSbahu 239%, junge StaatSbahu —, Prioritäteu 299, Galizier
117, Türken 48%, Rumänier 48%, ital. bproc. Rente 65%, Südd, Bodencreditbant
118% Nordwestb. 131%, Ungar.Ostv. 78%, bproc. Lombard-Prior. 86 %- Oberheffeu 87%
Unionbauk 122%, Rhein. Eisenbahn 174%, sächs. Hypoth.-Pfandbriefe 36%, Preuß. Bank
206, schweiz. Westbahn52%, Darmstädter 189, Gotthardbahn 102%. Wechsel: Wien 87%.
Tendenz: Schluß schwächer.
(*) Berlin, 14 Febr Productenmarkt. (Schlußbericht.) Roggen pkr Febr. 54%,
per April-Mai 55%, per Mai-Juni 55%, per Juni-Juli 56%&• Stimmung: matt. —
Weizen per Febr. 80, per April Mai 79%. — Rüböl per Febr. 28%, per April-Mat
28%. Spinlus per Febr. 3313, per Apnl-Mai 23.17.
* Köln, 14 Febr. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen Tendenz niedriger, effect.
hiesiger 8.15, fremder 6.15, per März 7.23, per Mai 7.26%, per Juli 8.15. Roggen,
Tendenz niedriger, effect. hiesiger 6.10, per März 5.12% per Mai 5.18, per Juli 5.22.
Rüböl, Tendenz unverändert, effect. hiesiges 14%. per Mai 14%o» per Oct. 13V»
Leinöl 13.
(*) Hamburg, 14 Febr. Productenmarkt. (Schlußbericht.) Weizen loco Tsndenx
ruhig, aus Termine Tendenz ruhig, per Febr.-März 162 Br,, 160 G., per März-April
— Br., — G., per April-Mai 164 Br., 163 G., Mai-Juni 164 Br., 183 S. Roggen
loco Tendenz ruhig, aus Termine Tendenz ruhig, per Febr.-März 113 Br., 112 G., per-
März-April — Br., — G., per Aprll-Mai 114 Br., 113 G., per Mai-Juni 114 Br..
113 G. Hafer loco Tendenz fest. Gerste loco Tendenz still. Wetter: leichter Froste
* Wien, 14 Febr. Vorbörse. Lreditactien 348%, Lombarden 212, Napoleons
9.04, Auglo-«uftriau 369.50, UuionSbauk 299.50. Tendenz: Hausse.
(*) Wien, 14 Febr. Schlußcurse: Silberrente 7120, Paprerrente 62.60, 1860er L.
104, 1864er Loose 148,25, BankacUeu 848, Lreditactien 353. Lombarden 215 30,
Staatsbank 409.50, Anglo-Austrian373 50- Franco-Austrian 137.75, Urions bank 30L Galizier
264.25, Franz-Joseph 209.50, Prioritäten 101.50, Rudolfsbahn 171, Prioritäten 93>,
Elisabeth 247, Napoleons 9.01%, Alföldbahu 183 50, Nordwestb. 333.75. Prior. 10130.
Wechsel: Augsburg 95 20, Frankfurt 95 35, London 113.50, Paris 44.20. Tendenzr
Hausse.
* Wien, 14 Febr. Abend-Privatverkehr. Lreditactien 351.80, 1860er. L. 104,
1864er L. 148, Staatsbahn 407, Lombarden 215.20, Napol. 9-.02, Papierrente 62.60,
Frauco-Austrian 138, Anglo-Aüstrian 373, UuionSbauk 302.50. Tendenz: sest^
* London, 14 Febr. Eröffnungscurse. Zproe. LousolS 92%. 1882er Amerikaner-
91%, Türken 49%, Spanier 31%g.
(*) London, 14 Febr. Gctreidemarkt. (Schlußbericht.), Beschräulter Umsatz be»
nominellen unveränderten Preisen. Wetter: feucht.
(*) Liverpool, 14 Febr. Baumwollmarkl. (AnfangAVicht.) Mutmaßlicher Um-
satz 10,000 B. Tendenz ruhig. Tagesimport 19,000 B.
(*) Paris, 14 Febr. Eröffnungscurse. 3proc. Rmte 56.70, Lproc. Anl. 91.80^
österr.-franz. Staaröb. 906.25, Lombarden 480> bproc. itai Aul. 66.60. 1882« Amerik.
105.25, lürk. Aul. 50.60. Tenderrz: fest.
* Paris, 14 Febr. Schlußcurse. bproc. Aul. —, 4%proc. Reute 82.5H 3pror.
Reute 56.72, 1882er Amerikaner 105.53, öproc. Italiener 86.75, Lredit Mobilier 477.50,
Lombarden 481.25, Staatsbahn 905, Spanier 31.43, Türken 5&50, Pariser Anleihe
253.75, Lrsdit foncier 932.50. Wechsel: Frankfurt A3, London 25.51. Goldagio 6.
Tendenz: fest.
(*) Paris, 14 Frhr. Productmmarkt. (Gck-lußbericht.) Mehl 8 Marken per lauf..
Monat 75, per März-Stzül 75.25, p« Mai-Aug. 74. Tendenz: Weichend. — Rüböl per
lauf. Monat 105, per März-Aprll 1V5, per Mai-Aug. 104 50. Tendenz: ruhig. Zucker
6850.
* Amsterdam, 14 Febr. Börse. 3proc. Sparner 31% 6proc. Amerikaner 97 %,
5proc. Papierrente 54%, bproc. Silberrente 62., 1864er L. 145%. bproc. Türken 49.
* Amsterdam, 14 FeLr. Productei.markt. (Schlußbericht.) Weizen geschästslos.
Roggen flau, r-er Mai 196%. Rüböl lo-.-o 4fc, per Mai 48, per Herbst 45.
(") Vt0w-Yor?, 13. Febr. Goldagio 110%, Wechsel m Gold 109%. 1885er
BoudS 111%, neue 108%, Eriebahn 31..% Illinois 131%. Baumwolle 22%. Petro-
leum in Phtladelvbia 21%.
^1571—76) IRST Lvir machen setzen Leidenden aus die..Naturyrll»nst.ult des Pe^rn 4h, in Hhal, Thüringen, ausmertsam. Prospeele un» J»yres<-crityie gratis^
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Königl. Polytechnische Schule in München.
Vorlesungen und Uebungen
welche im Sommersemester 1872 (vom 8 April bis 15 August) in den fünf Abtheilungen der fawlmiVhfln Hochschule
gehalten werden.
I. Mathematische Wissenschaften.
Neuere Geometrie, algebraische Ana’yste: Prof. Bischofs. — Integral-Rechnung, analytische Geometrie des Raumes, analytische Mechanik: Prof. Dr. Hesse.
— Mathematisches Seminar: Prof. Dr. Hesse and Prof. Bischofs gemeinschaftlich. — Wahrschemlichkeifcarechnnng (Methode der kleinste» Quadrate): Prof Dr. Seidel.
— Geodäsie, geodätische Uebungen: Prof. Dr. Ba*ernfeImL — Darstellende Geometrie: Prof. Klingeafeld.
II. Naturwissenschaften.
Allgemeine Mineralogie, minern’og. Prakticmn, Krystallographie und krystullographische Uebungen: Prof. Dr. C. Haashofer. — Specielle Botanik (System-
knade und angewandte Botanik): Prof. Dr. Radlkofer. — Zoologie II. Theil (wirbellose Thiere); Prof. Dr. v. Siebald. — Erperimental-Physik II. Theil (Magnetis-
mus, Elektromagnetismus, Schall, Licht), physikalische Uebungen: Prof. Dr. Beetz. — Mechanische Wärmetheorie, Einleitung in die mathematische Physik: Prof.
Dr. V. Bezold. — Organisch© Experimental Chemie, praktische Uebungen im chemischen Laboratorium, Uebungen im chemischen Unterricht: Prof. Dr. Erlenrneyer.
— Oeffentliehe Gesucdheitepflege: Prof Dr. V. Petteakoser. — Analytische Chemie, Chemie der organischen Faibstoffe: Priratdocent Dr. v. Schneider.
III. Bau- und Ingenieur-Wissenschaften.
Conetroctionslehre für Losh baute», Baumaterialienlehre: Prof. Gottgetreu. — Cirilbaakunde, Entwerfen ron Hoch harnten: Prof. Goal. — Geschichte der an-
tiken Baustyle IL The-1, architektonische Componirübungen: Prof. Nearenther. — Construetionslebre für Ingenieurbauten, Wasserbaukunde, Entwerfen ▼on Wasser-
bauten, Kostenanschläge für Ingenieurbauten: Prof. Franenholz. — Brückenbaukunde (eiserne Brücken), Entwerfen tob Brückenbauten, Feuaungskucde: Prof Döh-
Icttcuia. — Eisen bahn bankunde, Entwerten too Eis« hahnbauten: Prof. Dr. Baflernsrtnd,
IV. Mechanisch-technische Wiss«nschafteiL
Technische Mechanik, elemente e Mechanik, graphische 8m>ik: Pr f. Baaschinger. — Theoretische Maschinenlehre (I. Dampfmaschine, IL Locomoiiv« und
D* uplbcmffe', allgemeine Maschinenlehre (Bau- uni Trensporimascbinen): Prof. Linde. — Mechsn sehe Technologie (die Mühlen, Verarbeitung der Metalle und des
Lolzes): Prot. Klingeflfeld. — Mascbii enbaukunde (einfache Maschinentheile, active Maschin«theile, Kraftmaschinen, Kniemaük), Maschmen-Constrnimi: Prof UldawJg,
V. Chemisch-technische Wissenschaften.
Chemische Technologie mit Metallurgie: Prof. Dr. Stolzes—■ Uebungen im chemischen Laboratoriam: Prof. Dr. Erleameyer.— Mineralogisehes Prakticmn:
Prof. Dr. C. Haashofer.
VI. Allgemeine Wissenschaften.
Deutsche Literaturgeschichte: Prof. Dr. Hertz. — Allgemeine Kunstgeschichte ron der Blfi'heaeit der Renaissance bis zur Gegenwart (1500—1870) Ge-
schichte der christlichen Malerei nach den Gemälden der k. Pynakotheken: Prof. Dr. Robor. — Handels- ued Culturge>chichte, neueste deutsche Geschichte: Prof;
Dr. Klaekhohl. — Bayerisch« Verwaltung» echt: Prof. Dr. v. Piizl. —- Allgemsiue Statistik, Finanzwisrerschaft: Prof. Dr. M. Haushofer. — Französische Conver-
»ation mit schriftlichen Uebungen: Prof. Traatnann. — Englische Literatur und Conrersatmn: Hr. O Brleu B. A. — Italienische Sprache: Hr. Meioler. — Steno-
graphie: Hr. Laatenhamiaer.
VII. Zeichnen und Modelliren.
Ornamenten-, Figuren« und Landschaf «zeichne«: Prof Mozet. — Linearzeichnen, topographisches Zeichnen, Uebungen im Steinschnitt: Prof. Fischer. —
Uebungen in der darstellenden Geometrie Perspective und Scha>tenconstrnction): Prof. Kliagenfsid. — Bezeichnen: Prof Gattgetreu. — Arohit* ktomachea und
landschaftliches Aquarelliren: Privatdocent Prof. Lange. —- Orramentale und figürliche Plastik: Prof Kaeli.
Nähere Auskunft über die Bedingungen des Eintritts, Ho o are für Vorlesungen und Uebungen, Einrichtung der Fachschulen, zu benutzende Sammlungen
specielle Stundenpläne für Bau Ingenieure, Architekten, Maschinen L genieure, technische Chemiker, Lehiamtscandidateu der Mathematik, der Naturwissenschaften^
des Zeichnern und Modellirens, für Adspiran eu des Verkehrs- und Zollweaens eio. gibt das Programm der polytechnischen Schale zu Münch« für 1871/72, welches
sowohl ftuf dem Wege des Buchhandels als auch durch das Seeretariaä der königl. polytechnischen Schule bezogen werden kann. (1209)
Oer Director: Dr. C. IL Banernfeind.
Institut de jeunes gens.
Neuveville prös Neuchätel. (Suisse.)
Langn« aneiecnes et modern«. Instruction litt^raire, industrielle et
Icommerdale. Soins tont ä fält patemels et deaint^resses. Bonn« röfören-
L« cours coramencent le 1er Avril. ß’adreeeer au directeur
[599-604] (h. 93) JL. Watthey.
DMIjkii'schks Pensionat in Hanau.
Za Ostern d. I. können in meiner ErztehMgSanstalt für Töchter gebildeter Stände
Zöglinge vom siebenten Lebensjahre an Aufnahme gaben, und wird die treueste Sorgfalt für
körperliche und geistige Pflege zugesichert. An die mit der Anstalt verbundene böher« Töchter-
schule schließt sich eine FortbildungSclafse, welche in einem fvstematischen geordneten zwei-
jährigen TlnsuS die Schülerinnen auf dre LehrerimPrüfimg vorbereitet, und können auch dazu
noch einige Thetlnehmerinnen Aufnahme finden. Dem Pensionate sowie der Schule sieben
die besten Referenzen zur Seite. Alle nähere Auskunft ertheilt und Profpecte versendet
[539—30] DZarie Neumann, Vorsteherin.
Aenston in Zürich.
Der Uuterzeichrrete, mit Familie ein freundliche« Haus nebst »arten bewohnend, hat
ftit Jahren einige frenide Knaben und Jünglinge, welche die hiesigen Schulanstalten besuchen,
zur Erziehung in Pension aufgenommen. Gegenwärtig könnten noch einige Zöglinge einkretiN.
Zürich, Mühlebach. " "(1225—27)
K. Nauwerck, Dr, aus Berlin.
Die Leipziger Theaterschule
eröffnet zu Ostern d. I. neue Lurse und bietet vollständige theoretische und praktische
Ausbildung für Schauspiel und Oper. Profpecte und nähere Auskunft durch
Director Franz Deutschinger, Langestr. 18, I, Leipzig. [1337—39]
Verkauf eines Fadrikgruudstückes.
Das GrstehungSrecht an dem von einem Geldinstitut iu nothwendiger Ber-
steigernug erworbenen Fabrikgrundftück soll so bald als möglich abgetreten werden.
Der Preis ist, da nur auf vollständige Deckung des guf dem bezeichneten Grundstücke zur
ersten Hypothek haftenden Capital- uebst Zinsen, Kosten und Spesen Bedacht zu nehmen
ist, circa 8000 Thaler. Dem Erwerber werden wegen Zahlung dieser Summe die mög-
lichsten Erleichterungen gewährt werden. Da- Grundstück liegt iu der unmittelbaren Nähe
einer kleinen Stadt des sächsischen Erzgebirges, eine Stunde Fahrzeit ,auf einer noch im
benrigeu Jahre zu bauenden Chaussee) entfernt von der Chemnttz-Annaberger Eisen-
bahn und wenig weiter von der Stadt Annabcrg selbst. DaS Fabrikgkbäude, in welchem
Baumwollenspinnerei betrieben worden, ist durchaus massiv, enthält außer dem Souterrain
und Erdgesteck 4 Stockwerke unv 3 Mansarden-Etagen. Es befinden sich darin 7 große
Arbeitsfälc und andere zweckmäßige Räumstchkeiten. Die Wasserkraft ist eine starke
vnd aushaltende. Der Unterzeichnete ertheilt auf portofreie Anfrage nähere Auskunft, ge-
währt auch gegen Pofldorfchuß Abschrift von der gcrichtticheu Coustgnaüou des Grund-
stückes.
Rochlitz in Sachsen, de« 31 Ion. 1872.
Advoeat W. Zür«. (1304—5)
In Dr. Kefersteins Knaben-Erziehungsschule
in Jena (Thüringen) beginnt der neue Cursua in ck'U Elementar-, Real- und
Gymnasialclassen am 4 April. — Ländliche Lage der Schal- und Wohngebäude;
allseitige erzieherische Pflege der Zöglinge. (933—84)
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Neapel u. Messina alle 5., 15., 25. jeden Monats.
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sind gente bereit die Herren:
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Wolfs in Seulberg»
Pfarrer Sauvin in FriedrichSdorf,
tkon sistorialroth B o n n e t in Frankfurt a. M ■
Unser Sommer-Semester beginnt
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solche die schon in der Branche thätig waren,
über Fähigkeit und Solidität genügende Re-
ferenzen bringen können, wollen ihre Adresse
unter „Tigarrenfabrik" an die An-
noncen-Expedition von Haaseustein
».Vogler iu Hamburg franco richten. [1596]
691
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Professor au der land- und sorstwirthschaftliehen Akademie ln Hohenheim.
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des Gegenstandes und eine Menge Abbildungen dem vielseitig laut gewordenen
Wunsche nach einer populären Abhandlung der wichtigsten landwirtschaftlich
eahädlichen und lästigen insecten gerecht zu werden. Um ihm eine weitere Yer-
breitung zu sichern, bat die Verlagshandlung den Preis überaus niedrig gesetzt.
Stuttgart [53] J. G. Cotta’sohe Buchhandlung.
Bei Orell, Füßli 8 Comp, in Zürich ist erschienen und durch alle Buchhaud-
rnllgen zu beziehen:
Geschichte Jesu von Klyiira
in ihrer Berketlung mit vem Gesawmtleben seines Volkes,
frei untersucht und ausführlich erzählt
von Dr. Theodor Keim.
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II. Baud. DaS Maische Lehrjahr. 1. Abtheilung. Der galil. Frühling.
2. Abtheiluug. Die galil. Stürme .
UI. Band. Da« jernsalemische TodeSosteru. 1. Abthlg. Der MesfiaSzvg.
2. Abtbig. Der MefstaStod.
(Das vollständige Werk Rthlr. 11. 14.)
Das in weiten Kreisen gekannte unv begehrte GeschichtSwerk liegt jetzt vollendet vor.
Der erste Band beschreibt die HerodeSzeit und die Jugend Jesu; der zweite das galiläifche
Lchramt; der dritte und letzte Band widmet sich ausschließlich dem Helden von Golgatha,
dessen Streiten und Sterben urkundlich getreu und anschaulich, wie me zuvor, geschildert ist.
DaS Buch noch weiter zu empfehlen oder zu rechtfertigen, ist überflüssig; es ist aner-
kanntermaßen eine reife Frucht der ueueu protestantischen Wlssenschast. [1154—85]
Rthlr. 3. 10.
n 2. -
.. 1. 27.
„ 1. 27.
.. 2. 10.
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Handlungen zu beziehen: ,
Religio« «nd Staatsidee
drr vorchristlichen ZnL^
und ^
Die Draae »evlder Anfehcöarkeit der öiölischeu Wücher in der christtichen Zeit.
Aus vem Nachlasse Kurt Adoif Menzels,
herausgegeben mit einer LebensMchreibung K. 2l. MevzelS
von Heinrich) WüttVe.
gr. 80. 19'!/* Bozen mit Menzels Hörtrait. Preis Rthlr. 1. 20. (1588)
In der C. F. Wruter'fchen Berlagshaudlung in Leipzig ist so eben erschienen:
Karl Kemrich gou’ö fthrhudj der WanMffeilMt.
Sechste Ausgabe, vielfach verändert und theilweife völlig neu bearbeitet
von Or. Adolph Wagner,
ord. ö. Profeffor der EtaatSwisienfchasten an der k. Umversttät Berlin, Mitglied de- t
preuß. statistischen Bureau'- wld der statistischen Centraleommisflon, Ritter 1. Classe
de- großh. bad. Zäbrinzer LLwen-OrdenS.
Erste Abtheilung. Siuleitung. Ausgaben. Krivatewerb des Staats.
39 Druckbogen, gr. 8. geh. 2 Thlr. 20 Ngr. [1631]
Auch unter dem Titel: ^ Ä ^
Lehrbuch der politischen Oekonomte von Dr. Karl Hetnrtch Rau, well.
großh. bad. Geh. Rath und o. Professor zu Heidelberg. Dritter Band. Finanz-
Wissenschaft. Sechste Ausgabe, vielfach verändert und theüweise völlig neu brarbei-
Nt von Prof. Dr. Adolph Wagner. Erste Abtheilung.
«Die zweite Abtheilung wird auch sehr bald erscheinen.)
Früher erschienen:
L Band in 2 Abth.: Grundsätze der Volkswirthschiftslehre. 8. Ausgabe. 4 Thlr.
IL Band m 2 Ab:b.: Grundsätze der Bolkswirthschafrspolitik. 5. Ausgabe. 5 Thlr.
Bei Christian Kaiser m München ist
erschienen: (1646)
Reden der f. Staatsminister Graf
v. Hegnenber-Dux und v. Lutz,
gehalten in der XXIII. öffentlichen Sitzung
der Kammer der Abgeordneten am Sams-
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Preis 9 kr.
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tragreich auch auf ganz leichtem Boden, ist
wieder bei mir zuhaben. Pr. 50Kilogramm
(1 Ltr.) 4 Thlr. Größere Quantitäten billiger.
Lindenberg, b./Berlin. (1622—24)
ßtaffßfofifcFr
pranz und Engl, ohne m
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Unterricht gut u. grün : 1 h
zu erlernen durch die Unterrichtsbriefe
nach der Methode ToHSSaiot - Langei-
sebeidt. Probebriese iu jeder Bnehh.
(1632—40)
Tübingen. Im Verlage der H- Lanpp’
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schienen :
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Staatswissenschaft.
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Göttin gen, Prof. Helferich in München,
R. v. Mohl, Prof. Roscher in Leipzig und
Dr. A. E. F. Schäffle in Wien, heraus-
gegeben Ton den Mitgliedern der ataats-
wirthechaftliehen Facultät in Tübingen,
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93. 1399. 1. Heft.
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Laspeyree, Welche Waaren weiden im
Verlaufe der Zeiten immer theurer?
Fr ick er, Das Problem des Völkerrechts.
Besobrasow, Die staats- und volkB-
wirihschaftliche Literatur in Russland.
II. Miscellen.
III. Literatur.
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diese Zeitschrift an. [1585]
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!K t p 111» v i n m Wi j c |« m m t e K 4! • |
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lilAtt (ämmilic^rt Il^mxviiiit,
tr9|rtu«b«, Statuts »r (cfcer, ft»
r»k *tfie Ifeltürt für f(rnin»f »i'StitSiev
?iorutti>ifffufi$<m. vilir» teste« S»»„-
«« g J 1> 1 c 11 für Gebildete jedes St«udeg
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folge : Krebs, innere und äußere Tuberculosis
(Schwindsucht), syphilitische und scrophulöse
Geschwüre, Neuralgie und. Rheumatismus, alle
Blutkrankheiten. Seit der erst vor wenigen
Monaten erfolgten Entdeckung hat nie ein
Mittel so ungeheures Aussehen in der ganzen
gebildeten Welt für und wider erregt als
dieses. Mitthellnng darüber sende ich unentgelt-
lich und fr., gegen Einlage von fr. Markern
R. Süß. Berlin,
Gesundbrunnen, General-Depot derechtm
(1279-80) Eundurango-llünve.
Paulus in Leipzig.l
I Die »Heu Pauliner werden I
hierdurch von neuem und anfj
da« dringendste gebeten, ihres
Adressen bis zum 15 März a. c.
an den Unterzeichneten einzu-
senden, gleichviel ob sie an der
Feier de« 50jährigen Bestehens
des Vereines vom 4 August ab
theilzunchmen gedenken, oder!
I nicht (1625—26)
MPr. Jennifer.
Ein in der jederbrniche
erfahrener tüchtiger junger Mann, welcher
sowohl auf dem Comptoir als auf Reisen
tüchtig ist, wird unter sehr Vortheilhaften
Bedingungen nach München zum sofortigen
Eintritt zu engagiren gesucht. Nur in obiger
Branche ganz routinirte Reflectanten wollen
sich schleunigst unter Angabe von Referenzen
und Beilage von Zeugniß-Covien eub H. S.
Nr. 987 an die Annoncen - Erpedition von
Rudolf Mosse in München wenden.
Bekamtmachullg.
Auf dem Anwesen HavS-Nr. 5 in Weißen
ist für Laver Weber von dort, gebo.ru am
15 Juli 1785 außer feinem WohnungSrecht
ein Capital von 300 fl. eingetragen.
Da jedoch Xaver Weber feit dem russische«
Feldzuge vermißt wird, so ergeht au dcu-
selbm oder dessen allfälltge Nachkommen-
schaft die Auftorderuug
binnen sechs Monaten
.. die insarat. dahier sich zu melden, als
außerdem Xaver Weber, als ohne Nachkom-
menschaft verstorben, für todt erklärt und
sein Capital zu 300 fi. nebst WohnungSrecht
desselben auf dem Anwesen HS.Nr. 5 i«
Weißen gelöscht werden würde. [1647]
Oberdorf, am 9 Februar 1872.
Kgl. Landgericht Oberdorf.
Fischer, Ldr
Klotz, k. Ass.
Bekanntmachung.
Ueber den Nachlaß de« hlerfelbst am
22 August 1871 verstorbenen, iu der Schu-
manns straße Nr. 13 wohnhaft gttvefene«
Professor« Johann Karl Wilh. Zahn
ist das erbfcyaflliche Liquidationöverfahren er-
öffnet worden. Es werdru daher die sämmt-
lichen Erbschaftsgläubiger und Legatare auf-
gefordert, ihre Ansprüche an den Nachlaß,
dieselben mögen bereits rechtshängig sein oder
nicht, dis zum 1 Mai 1872 einschließlich bei
uns schriftlich oder zu Protokoll anzumelden.
Wer seine Anmeldung schriftlich einreicht, hat
zugleich eine Abschrift derselben und ihrer An-
lagen beizufügen.
Die Erbschafts gläubiger und Legatare, welche
ihre Forderungen nicht innerhalb der bestimm-
ten Frist anmelden, werden mit ihren An-
fprücheu an' den Nachlaß dergestalt ausge-
schlossen werden, daß sie sich wegen ihrer Vs-
ftiedigsng nur an dasjenige halten können
waSMach vollständiger Berichtigung aller recht-
zriüg angemeldeten Forderungen von der Nach-
laßmasse, mit Ausschluß aller seit dem Ab-
leben de» Erblassers gezogenen Nutzungen,
übrig bleibt.
Die Abfassung des Präclusiouserkenutniffes
findet nach Äerhandluv g der Sache in der auf
den 3« Mai 1872, Vormittags
11 Uhr,
in nnfenn Audienzzimmer Nr. 12 im Stadt-
gerlchtsgebände, Portal III., anberaumt«
öffentlichen Sitzung statt.
Berlin, den 30 Januar 1872.
Königl. Stadtgericht, Abtheilung fite
Cioilsachen. (1302-3)
Bekalintmachmg.
Mit Erkenntniß vom Heutig« ist die
Forderung des Joseph Anton Fischer von
Fexen zu 300 fl. und das Wohnungsrcch
desselben für erloschen erklärt, und verfügt
worden daß diese Forderung nebst Wohnungö-
recht auf dem Anwesen des Georg Fischer,
Hs.'Nr. 12 in Fexen, zu löschen sei, was
besannt gemacht wird. [1648]
Oberdorf, am 9 Februar 1872.
Kgl. Landgericht Oberdorf.
V Fischer, Ldr.
" L Ass.
Stuttgart.
-Gesuch
Ein solider, noch jüngerer Kaufmann,
verheirathet, wünscht noch verschiedene
leistungsfähige Firmen für Stuttgart, resp.
Württemberg zu vertreten.
Da der Bettrffende früher schon mehrere
Jahre im Assecuranzfach mit sehr gutem
Erfolg thätig war, so würde sich derselbe
auch sehr gerne zur Ueberuahme einer
Haupt- resp. General-Agentur verstehen.
Offerte unter Chiffre E. A. 2487 be-
fördert die Süddeutsche Anuoneen-
Expedition in Stuttgart. [1523-25}
Cigarren.
Ein englisches Haus wünscht mit lei-
stungsfähigeu Cigirreu-Manufaclveen m
Derdindv»! zu Ireleo. Offerte mit Preis-
listen und Bedingungen zu richten sab I».
Nr. 1353 an du Äuuouceu-Expeditio»
von Rudolf Mosse in Hsmburg. ,1609]
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692
Mechanische Kammil-Mnn- L Weberei Kanstemen.
Die Herren ActionLre werden zn der am 9 März d. IS. Vormittags </z10 Uhr im RestauratiorrS-Local der Fabrik stattfindendm ordentliche» General-Verfammümg
Höflich eingeladen.
Gegenstände der TageSordnvng sind:
Vortrag deS Geschäftsberichts durch den Director.
Vorlage der Bilanz pro 1871 und Beschlußfassung über das Ergebniß.
Antrag auf Vermehrung resp. Neubau von Arbeiterwohuuugeu.
Neuwahl für die statutenmäßig austretenden vier Vorstandsmitglieder.
Die Eintrittskarten können gegen Vorweis der Actien vom 7 März an bis kurz vor Beginn der General-Versammlung ans dem Kabrik-Lomptoir in Empfang ge-
nommen werden.
Kaufb euren, 13 Februar 1873.
Der Vorstand: Theodor Walch, Vorsitzender. (i65i-52)
Wasserleitung.
Die Stadt Regensburg soll eine Wasserleitung erhalten. Unternehmer welche auf
eigene Rechnung, oder gemeinsam mit der Gemeinde, oder auf Rechnung derselbe« dieses
Werk auszuführen wünschen, wollen fich bis 15 März au den Magistrat wenden,
welcher weitere Aufschlüsse ertheilt. 11049/1] (1659)
Im Verlage der Deutschen Buchhandlung in Metz erschien so eben;
Revue de Mets
et de Lorraine.
Histoire — Litterature — Sciences — Beaux-Arts.
Premiere livraison — Janvier 1872,
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La Revue ä ses lecteurs.
1. Mdmoire eur les commencements de
l’Histoire de Metz.
3. Itineraire de Clovis apräs Tolbiac.
3. Mnmiematiqne.
4. Prix proposds par la Soci6t6 Royale.
5» Chroniqae inedite concernant la eite
de Metz.
Die „Revue de Metz“ erscheint in Monatsheften von L—3 Bo-
gen gross 8°. und kostet ausserhalb Metz jährlich Thlr. 4. —
Abonnements nehmen alle Buchhandlungen und Postanstalten an.
6. Sur le Retour de Hie d’Ellae.
7. Epttre d’un homme de lettre»,
8. La Mort de la No vice.
9. Vues d’avenir.
10. Chronique.
11 Correspondance.
12. Bibliographie.
Tübingen. Im Verlage der H. Laupp'scheu Buchhandlung ist so eben
erschienen:
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Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie zu Tübingen.
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schen Rechts, mit Ausschluß des Toncursprocrffes. 7. verbesserte Auflage, fl. 2.13 kr.
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handlungen und Postanstaltru zu beziehen:
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kommen sein und kann sich Jedermann durch
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Zweckes unv dabei volle Theilnahme an einem
herzlichen Familienleben werden zugesichert.
Jena, den 11 Februar 1872. [1649]
Dr. Gb. Zeiß,
Direktor der 1. und kl. BLrgerfchMe.
Die Stadtgemeinde Tübingen besitzt ant
Neckar, welcher auf der ganzen Länge der
Markung frei ist, Gelegenheit zur
Hrrstkllnug großem WchrrkrSstr»
und wünscht daß dieselben zur Benützung,
gebracht werden.
Vorerst bietet sie eine solche nach dem.
niedersten Stande deS Neckars zu 150 und
im Mittel zu 200 Pferdekräften berechnet,,
ganz in der Nähe der Stadt und in schön-
ster Lage befindlich, zur Verwerthung auS.
Die Fabrikgebäude können vollständig wafk
serfrei gestellt werden.
Die Gemeinde ist bereit besagte Wasser-
kraft, welche ungefähr 6 Minuten vom Bahn-
hof entfernt ist, an einen oder mehrere Un-
ternehmer zu vergeben, und könnte, da sie
im Besitze der zur Anlegung eines Canals
und zur Erbauung von Fabrik-Gebäuden
nöthigen Grundstücke ist, denselben äußerst
Vortheilhafte Bedingungen gewähren. Tü-
bingen mit ca. 10,000 Einwohnern, Rnt*
versitäts- und zukünftige Garmsous-Stadt,
liegt in schönster Geg-ud,' umgeben von zahb-
rcichen Ortschaften mit einerdichten Bevölke-
rung, am Knotenpunkte von 3 Eisenbahnerz,
und der Hauptstraßen deS Schwarzwald^
kreises. Lusttragende wollen sich wegen nähe-
rer Auskunft an den Unterzeichneten wen-
den, der von den bürgerlichen Collegien
hiezu beauftragt ist. [8t. 557] (1056—59)
W. F. Reichrnann.
In günstiger Lage Ungarn- ist et»
aufgeschlossenes über 60 Millionen Centner
enthaltendes Brau neisenst ein -Lagermit
einem von einer Universität anaiystnen
Eisengehalt von 59% und 20% Mangan
mit emem Hyverorhd-Gehalt von 70% für
ca. 250,000 Thlr. zu verkanten. Bekannt
ist, daß die Lhnnikallen-Fabriken Oesterreichs
den größten Theil ihres Bedarfs von Man-
gan auS Spanien beziehen. Roheisen kostet
per Centner 2% Thlr. Aus den nahen
reichen Waldungen istdie Klafter Buchen- und
Tannenholz für 1% Thlr. in jeder Menge
zu kaufen.
Näheres auf frankirte, mit „Glück auf*
Nr. 366 bezeichnete Briefe, welche die An-
noncen-Erpedttton von Haasenstein u~
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turen werden entgegen genommen in unserem
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Moste in Nürnberg zu adresfiren. [657s
Lehm-Gesuch.
Für die höhere Bürgerschule wird eiu aka-
demisch gebildeter Lehrer gesucht, der bei 2U
Wochenstuudeu 1500 fl. bezieht. Die An-
stellung soll auf Grund der eingereichten Pa-
piere sogleich in ein Definitivum verwandelt
werden. Bewerber des höheren Schulamtes
welche die Faeultät für Geschichte, Geographie,
Deutsch und Französisch für Oberclafleu er-
langt haben, wollen ihre Gesuche bis 1 Märze,
an de« Uvterzeichneteu einreichen, und bleiben
Meldungen ohne Qrigiualzeügniffe unberück-
sichtigt. Tonfcsstou kommt nicht in Betracht,
/rudrichshaftn »WürttewbL, 12. Febr. 1872.
(16I8—58) Prof, Schneid, Dr.
in Friedrichshasen, Hanptstraße89.
aus : The saturday Kev.iew,
1872,Jan.20, S. 96
A collection of Jacob Grimm’s minor writings || is less interest-
ing for the actual importance of the Contents tlian as an Illustra-
tion of the robust and dianified character of the author. His
äutooiograpliical remimscences, ins impresslons of a visit to Rome,
and bis essay on old age deserve especial notice in this respect.
Hermann Grimm’s collectpd essays on art are very a^reeable
reading. Tbey include valuable notices of tbe great GernTab
artists, Dürer, Cornelius, ScIiinkeI7 ancT Carstens. —
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
I
Magazin für die Literatur des Auslandes.
Erscheint jeden Sonnabend. Herausgegeben von Joseph Lehmann. Preis vierteljährlich 1 Thlr.
40. Iahrg-1 ------Berlin, den 23. Dezember 1871.------- [N°- 51
Inhalt.
Deutschland und das Ausland. Herman Grimm s ausgewählte Essays
über moderne Kunst. 727.— Die Notenschrift des Mittelalters. 729.
— Jahrbuch des deutschen Protestanten-Vereins. 729. — Eine
neue Schiller-Ausgabe. 730.— Schriften über den Krieg. 730.
Frankreich. Tagebuch eines Offiziers der französischen Rhein-Armee. 731.
Holland. Niederländische Geschichte und Literatur. 733.
Schweiz. Aus dem Bernerland. 734.
Dänemark. H. I. Ewald, der dänische Novellist. 735.
Italien. Marianna Florenzi-Waddington. 735. — Der archäologische
Congreß in Bologna. 736.
England. Zwei irländische Volksparteien und Ordens Bündnisse. 737.
Nord-Amerika. Die deutsch-amerikanischen Friedensfeste. 737.
Kleine literarische Revue. Deutsche Bibliographie von 1801—1868.
739. — Meyer's Handlexikon des allgemeinen Wissens. 739. —
Kompaß für Auswanderer. 739. — Zur Erinnerung an Henrich
Steffens. 739. — Eine Dorfgeschichte von Katharina Diez. 739. —
„Herr Klappenborg." 740. — Ein antiliberales Lebensbild. 740. —
Schweizerklänge. 740. — Brockhaus' Ausgaben spanischer und italiä-
nischer Autoren. 740. — Neue Uebersetzungen alter Schriften. 740.
Literarischer Sprechsaal. Die Tollhäusler der Pariser Commune. 741.
— Geistesleben der Kinder. 741. — Religiöse Bewegung in Indien.
741. — Salomonisches Urtel eines amerikanischen Rabbiners. 741.
Benachrichtigung.
Die Erneuerung des Abonnements wird hiermit den geehrten
Abonnenten in geneigte Erinnerung gebracht.
Die Verlagsbuchhandlung.
Deutschland und das Ausland.
Herman Grimm's ausgewählte Essays über moderne Kunst.*)
Die junge Kaiserstadt Berlin besitzt einen artistischen Denker,
von dem man sagen kann, er habe Goethe's knnstphilosophische
Erbschaft übernommen; es ist Herman Grimm, dessen Vater und
Vatersbruder, Wilhelm und Jacob Grimm, die Leuchten der ger-
manistischen Sprachforschung, die Erwecker einer tieferen wissen-
schaftlichen Erforschung unserer Muttersprache gewesen sind. Aber,
wenn Herman Grimm den deutschen Redefluß leicht und un-
muthig, mit sicherer Meisterschaft entwickelt und eine große Ge-
schmeidigkeit der stlistischen Formen offenbart, ist er doch selbst
in formaler Hinsicht ein echter Sprößling des Goethe'schen Kunst-
Idealismus; er ist im engsten Sinne ein Geistesverwandter der
Pfleger des Goethekultus, dessen Ueberlieferungen er zum Heilig-
thum seines Hauses erkoren hat. Freilich geht ein Mann der
modernen Zeit nicht in Ueberlieferungen auf. Wer diesen geist-
reichen und anregsamen Kunstphilosophcn nur nach den Ein-
gebungen, die aus dem Kreise Arnim-Brentano nachweisbar
wären, oder als einen Ausläufer der Romantik beurtheilen wollte,
würde seiner Eigenthüntlichkeit nicht Genüge thun. Herman
Grimm steht, so weit es in Kunst und Wissenschaft überhaupt
möglich, auf eigenen Füßen; er hat als Aesthetiker viel zu tief
in den innersten Schooß des Schönheitsbereiches geschaut, viel
zu mannigfaltige Eindrücke verarbeitet, um lediglich von den
Verhältnissen, unter denen er zu wirken begann, bestimmt zu
werden. Dieser liebenswürdige Geist hat sein festes Maaß in
*) Zehn ausgewählte Essays zur Einführung in das Studium der
vtodernen Kunst, von Herman Grimm. Berlin, Ferd. Dümmler's Ver-
lagsbuchhandlung, 1871. (VI. u. 356 S. Mitteloctav.)
sich; er ist deutscher und nationaler, als er dem oberflächlichen
Betrachter erscheinen dürfte; er ist ein Kind und ein Bürger
unserer Epoche und weil er das ist, hat er den natürlichen Beruf
der Vermittlung zwischen den Ansprüchen der Gegenwart und
den künstlerischen Errungenschaften der neudeutschen Klassicität.
Sein jüngstes Werk: „Zehn ausgewählte Essays zur Ein-
führung in das Studium der modernen Kunst" bietet uits nicht
nur eine reichhaltige Quelle von Anregungen zu selbständiger
Forschung, sondern auch ein farbensattes Bild seiner ästhetischen
Anschauungsweise und sogar seines persönlichen Charakters. Her-
man Grimm's Kunsturtheile sind Herman Grimm durch und
durch; in jedem Satze fast spiegelt sich die Persönlichkeit des
Autors wieder. Er schildert nicht sowohl die artistischen Objecte,
sondern dasjenige, was die Gegenstände ihm zu denken und zu
empfinden gaben, und am liebsten und besten schildert er deshalb
die Kunstwerke aus der Lebensgeschichte ihrer Meister heraus.
Der feinfühlige Denker, der „über Künstler und Kunstwerke" so
trefflich zu schreiben wußte, hat von vornherein darin den Kern-
j Punkt dieser Probleme getroffen, daß er den seelischen Zu-
sammenhang von Künstler und Kunstwerk, von Meister und
Schöpfung, in den Vordergrund schiebt. Es ist dies nach unserer,
von keiner Parteimeinung dictirten Ansicht ein hohes ästhetisches
Verdienst. Der nur kann einen Künstler begreifen, der ihn in
seinen schöpferischen Momenten gleichsam vor Augen sah und der
allein empfängt von einem Bilde oder Denkmal eine lichtvolle,
des Kunstideals würdige Vorstellung, der aus dem Werke auf
die schöpferischen Momente des Meisters zu schließen vermag.
Das Essay: „Raphael und Michelangelo" ist in dieser
Beziehung typisch zu nennen. Bei aller Fülle des Stoffs, der
die Abhandlung besonders auszeichnet, waltet eine durchsichtige
Klarheit in der Charakteristik beider Kunstheroen Italiens. Man
! merkt es den Wendungen des Autors an, daß seine innerste
! Sympathie der Schöpfungsart Michel Angelo's folgt; denn das
Wirken des Letzteren verkörpert recht eigentlich den Titanenkampf
des Genius, der in jeder Natur wie in jedem Gemälde, wie
selbst in seinen Sonetten aus die anbetend verehrte Vittoria Co-
lonna, Marquise von Pescara, das geheimste Triebrad der Werk-
statt seines Strebens enthüllt. Was Michel Angelo geschaffen,
giebt Kunde von dem dämonischen Drange nach Gestaltung, der
seine Seele rastlos angestachelt hat. Es weist jenseits der un-
mittelbaren Erscheinung aus deren sieghaften Urheber hin; es
nimmt nicht völlig gefangen, wie Raphael's Madonnen-Köpfe,
welche den Maler über das Bild vergessen machen und den Be-
trachter eintauchen in ein Meer von Schönheit und erhabenster
Vollendung; es läßt dem Beschauer seine ästhetische Freiheit, weil
es selbst aus der Freiheit geboren und durch den Freiheitsdrang
des Meisters, der die Materie groß und gewaltig bezwungen hat,
Persönlich geadelt worden ist. Mit Recht vergleicht Herman Grimm
Raphael mit Mozart, Michel Angelo aber mitBeethoven. Die Erste-
ren zeigen, was sie geschaffen haben als ein Abgeschlossenes, in
sich unverrückbar Fertiges, die Letzteren, wie sie geschaffen haben
und worauf ihr unerschöpfliches Ziel ging. Keine von beiden
Gestaltungsarten entbehrt der ureigenen Größe, die Raphael's
und Mozart's entspricht mehr dem romanischen, die Michel An-
gelo's und Beethovens mehr dem germanischen Genius.
728
Magazin für die Literatur des Auslandes.
No. 51.
Ein tüchtiger Aesthetiker hat ein tiefes Gefühl dafür, daß
Künstler und Kunstwerke in dem Medium geschaut werden müssen,
das ihr Werden umfangen hat. Wenn Herman Grimm seinem
ersten Essay, dem über die „Venus von Milo", den künst-
lerischen Abschluß geben will, so versetzt er uns auf die zauberische
Insel im Aegeischen Meer, dorthin, wo das Heiligthum der unent-
weihten Göttin gestanden und sie dereinst vor den staunenden
Blicken ihrer Gläubigen in entzückender Erhabenheit thronte.
Da hat sie anders ausgesehen, als nach der Berührung von
rohen Händen, als nach der Eingrabung und Ausgrabung! Sie
war ein Moment des höchsten Lebens einer Nation gewesen, sie
hatte mitgelebt mit den Ihrigen, weil sie von der ganzen Em-
pfindung ihres Volkes getragen ward. Und ähnlich, wie mit der
hellenischen Gottheit, ging es mit Sein und Schaffen eines
Raphael und Michel Angelo. Der Verfasser schildert diese
Beiden, indem er das Rom und das Florenz ihres Zeitalters
schildert. Ein farbenreiches Bild jener Tage rollt er in kurzen
Umrissen vor uns auf. Die Mediceer in Florenz, die -Päpste in
Rom seit Julius II. und Leo X. und die Welt, die zu ihren
Füßen lag oder gegen sie ankämpfte; die politischen, die sozialen
und die kirchlichen Zustände der Epoche bilden die Staffage zu
diesem reizvollen Gemälde, aus dessen Rahmen die Künstler in
der Größe ihrer lebendigen Erscheinung hervortreten. Ihr mensch-
liches Theil neben dem unsterblichen ist nicht verdunkelt; der
Zauberglanz, der die alten Meister umstrahlt hat; wurde zum
hellsten Lichte eben durch ihre Persönlichkeit gesteigert, es schafft
nichts Großes, wer nicht ein großer Mensch ist!
Der Verfall giebt sich kund, wenn die Macht der Persönlich-
keit abnimmt. So ist es in der staatlichen Entwickelung, so ist
es auch im Reiche der Kunst. Ein Caravaggio, ein Carlo
Saraceui. welchem Letzteren der Verfasser eine ausführliche
Studie gewidmet hat, wirkten in einer Epoche des Verfalls, weil
sie nicht im Stande gewesen sind, die Schranke der Zeitgenossen-
schaft zu durchbrechen und den Bestrebungen derselben einen
neuen künstlerischen Gehalt einzuhauchen. Der höhere oder ge-
ringere Grad der Technik kommt hierbei wenig in Betracht. Im
Gegentheil, es ist oft eine überfeinerte Technik das deutlichste
Anzeichen des Verfalls. Mit einfachen Mitteln haben die
größten Meister Unvergängliches hervorgezaubert; es waren nicht
Aeußerlichkeiten, welche ihnen den erhabenen Rang anwiesen und
sicherten; es war der tiefe seelische Zug, der sie mit den höchsten
Idealen der Menschheit und den gewaltigsten Aufgaben ihres
Zeitalters verband. Herman Grimm hat an Albrecht Dürers
edelem Charakterkopf dies am kräftigsten dargethan. Er stellt für
die Aera der Reformation Luther, Hutten und Dürer als das
Dreigestirn des damaligen Deutschlands zusammen; der Maler,
Zeichner und Kupferstecher von Nürnberg ist zugleich der Dichter
seines Zeitalters gewesen, mit liebevoller Hingabe an den Stoff
hat er sich in Sein, Denken und Empfinden der Menschen um
ihn her versenkt und ihrem eigensten und innersten Kern zur
leicht erkennbaren Erscheinung verholfen. Darin steckt der eigen-
thümliche Werth dessen, was er im Portrait geleistet hat. In-
dem er seine Individualität in all' seine Schöpfungen ergoß, hat
er die unscheinbarste seelisch geadelt und jedweder Arbeit seines
Genius bleibende Bedeutung errungen.
Der neueren deutschen Kunst ist in den vorliegenden Stu-
dien mehr als die Hälfte des Raumes gewährt. Vom Stand-
punkte Herman Grimm's ist es natürlich und aus kulturhisto-
rischen Gründen ebenso sachgemäß, daß er diesen Theil der Essays
mit seinem 1871 im Berliner wissenschaftlichen Verein gehaltenen
Vortrage über „Goethe's Verhältniß zur bildenden
Kunst" eingeleitet hat. Nicht was Goethe im Einzelnen auf
diesem Gebiete anregend gewirkt, sondern im Großen und Ganzen
sein dichterisch-künstlerisches Interesse an den Fortschritten der
deutschen Plastik und Malerei, sein Hand in Hand gehen mit
den Gebrüdern Boisseröe, der feine ästhetische, echt beschauliche
Sinn seines Waltens hat unzählig viel Tüchtiges in's Dasein
gerufen und eine ansehnliche Menge von Talenten gefördert.
Wenn ein Künstler, wie Jacob Asmus Carstens, dessen Zeich-
nungen eine neue Epoche in der deutschen Malerei begründet
haben, bei den Zeitgenossen nicht die verdiente Würdigung fand,
obwohl er doch die lebensvolle Natur wieder zu Ehren gebracht,
so hat Goethe an dieser Vernachlässigung keine Schuld gehabt,
insofern sein Einfluß nicht allmächtig war; aber er hat doch da-
für gesorgt, daß Carstens' artistischer Nachlaß in Weimar ange-
kauft ward; er hat die Aufmerksamkeit der gebildetsten Kreise
Deutschlands auf die Blätter dieses urwüchsigen Meisters gelenkt,
ihm eine Stätte für alle Zukunft bereitet! Am nächsten steht
Carstens an kulturhistorischer Wichtigkeit der ftüh bereitwillig
anerkannte Peter von Cornelius, der die oberste Höhe der
neudeutschen Malerei gewaltigen Schrittes erstieg. Herman
Grimm hat ihn mit zwei Essays bedacht: zuerst mit einer all-
gemeinen Schilderung seiner Verdienste unter dem Titel „Ber-
lin und Peter von Cornelius", dann in einer besonderen
Studie über die Cartons unseres großen Malers das Haupt-
feld seines Schaffens beleuchtet. Grimm's Auffassung ist würdig,
gehaltvoll, gerecht und unbefangen; sie läßt inzwischen das reli-
giöse Moment bei diesem so innerlich religiös gestimmten Meister
nur als Nebennmstand zur Geltung gelangen, während es wohl
schwerlich bestritten werden kann, daß die katholischen Motive
bei Cornelius eine sehr maßgebende Stelle eingenommen haben.
Dennoch ist Grimm auch darin im Recht, daß er den Vorwurf
einer im Dienste der Konfession stehenden Kunstübung mit Wärme
von Cornelius abwehrt. Wer so groß von der Kunst dachte, wie
dieser Mann, hat nicht dogmatische Formeln verherrlichen wollen.
Das hat die Sammlung seiner Cartons ein fiir alle Mal klargestellt.
Der Vortrag, welchen Herman Grimm 1867, wenige Tage
nach Cornelius' Hinscheiden, bei der Schinkel-Feier zu Berlin ge-
halten, reiht sich an die beiden, Cornelius gewidmeten Essays
bedeutungsvoll an. Er ward Schinkel zu Ehren gesprochen
und er setzt das in den vorhergehenden Abhandelungen behan-
delte Thema unmittelbar fort. Ein enger Zusammenhang ist
hier deutlich sichtbar gemacht. Grimm weist in der Einleitung
auf Goethe und auf Cornelius hin und erklärt: „wenn Goethe
der Dichter der neueren Zeit und Cornelius ihr Maler gewesen
ist, so muß Schinkel als der Architekt des neueren Deutschlands
ebenbürtig ihnen beiden zugesellt werden." Der Baukünstler
hat „aus der ganzen Fülle des deutschen Geisteslebens Nah-
rung entnommen für seine Kunst"; er war nach dem Urtheile
seiner Zeitgenossen seinen eigenen Schöpfungen überlegen, d. h.
er hat sich nie erschöpft, er ist, wie feine uns aufbewahrten Skizzen
verrathen, unaufhaltsam und rastlos gewachsen; er hat sein per-
sönliches Streben als ein Moment in der Geschichte der Kunst-
entwickelung begriffen und den Werth des Studiums der Kunst-
geschichte, den er an sich selbst erfahren hatte, daher immer eifrig
empfohlen und lebhaft betont. So stand er auf den Schultern
der gesammten Vergangenheit und hat für eine weite Zukunft
gearbeitet, nicht einsam und allein, sondern im Anschluß an die
verschiedenartigsten Aeußerungen und mannigfache Pfleger des
künstlerischen Bewußtseins. So ist er neben Goethe und Cor-
nelius einer der hauptsächlichsten Träger der „Wiedergeburt"
i unserer deutschen Kunst. Von Albrecht Dürer bis zur Schwelle
729
^0. 51. Magazin für die Literatur des Auslandes.
des 19. Jahrhunderts hatte es keine nationale Kunst der Deutschen
gegeben; mit jenem Dreigestirn der Neuzeit ist sie wieder lebendig
geworden und hat einen gar buntfarbigen Charakter enthüllt.
Zwar nicht einen rundweg abgeschlossenen — Schinkel's Thätig-
keit, die vor keinem Versuch zurückschreckte, bezeugt es — es war
eine sammelnde Thätigkeit, und sie hat in dem Berliner Museum,
in einem Kolossalbau griechischen Stils, ihren würdigsten Aus-
druck gefunden.
Was nun Kunstmuseen überhaupt zu bedeuten haben, ist
Grimm's letzte Studie, eine Besprechung des 1870 vom Pro-
fessor Ernst Curtius über diesen Gegenstand gehaltenen Vor-
trages. Sie sollen Tempel der Kunstgeschichte sein, aber
Grimm ergänzt den verehrten Lehrer sehr richtig, wenn er diese
Tempelhallen nicht aus die Antike und deren Nachbildungen be-
schränkt, sondern ihre Umfassungsmauern so ausdehnt, daß auch
die Helden der neueren Klassicität, ein Raphael und ein Michel
Angelo, ein Dürer und ein Holbein daselbst hervorragende Plätze
empfangen. Nicht bloß die griechische Kunst, cs hat alle Kunst,
alle, die in eigenthümlichen Typen das Schönheitsgesühl der
Menschheit verkörpert hat, Anspruch auf gastliche Wohnstatt
in den Heiligthümern des ästhetischen Geschmacks. Ein Uni-
versum soll sich dort öffnen vor unseren Blicken, und dieses Uni-
versum der Schönheit ist eine hohe Schule, aber durchaus
keine überflüssige Schule der Bildung, die den Menschen
jedes Standes und jedes Geschlechts und den Bürgern jedweder
Zeit köstlichen Trost, lebensfrische Erhebung und Thaten weckende
Anregung schafft. Trauttwein von Belle.
Die Notenschrift des Mittelalters.*)
Wir haben hier die Forscherarbeit eines jungen Mustkge-
lehrten über einen der dunkelsten Abschnitte der neueren Musik-
geschichte vor uns. Es ist erfreulich, zu sehen, wie sich immer
mehr und mehr Pioniere dieser Wissenschaft einfinden, um das
Dickicht zu lichten, das uns noch am Eindringen in das Ver-
ständniß früherer Epochen hindert. Die hier behandelte Periode
des 12. und 13. Jahrhunderts anlangend, so sind diese
Hindernisse gar mannigfacher Art; das hauptsächlichste aberliegt
in der damals gebräuchlichen Notenschrift, da wir dieselbe
nicht mit Sicherheit zu entziffern vermögen. Diese, sogenannte
Mensural-Notenschrift — welche als die wesentlichste Vorstufe zu
der heute gebräuchlichen Notation zu betrachten ist — hatte sich
allmählich aus den Schriftsystemen früherer Zeiten entwickelt.
Der Gedanke, die Noten auf Parallellinien zu setzen, um durch
höhere und tiefere Stellung die Tonhöhen zu unterscheiden, war
bereits lange in Aufnahme gekommen; andererseits war in den
sogenannten „Nemnen“ (eine Notenbezeichnung durch verschieden
geformte Striche) eine ungefähre Unterscheidung der längeren
und kiirzeren Zeitdauer der Töne vorhanden.
Beide Systeme hatten genügt für eine Epoche, in welcher
ausschließlich der einstimmige Gesang existirte oder nur die
ersten, ungemein dürftigen Versuche einer mehrstimmigen Musik
auftauchten. Als aber diese mehrstimmige Musik — der Contra-
punkt — nicht nur herrschend zu werden, sondern auch den An-
laus zu einer ungemein reichen Entwickelung zu nehmen begann,
da traten ganz andere Bedürfnisse für die Notation hervor. Man
strebte jetzt danach, einer jeden der zusammenwirkenden Stimmen
*) Die Mensuralnotenschrift des 12. und 13. Jahrhunderts. Von
Gustav Jacobsthal. Berlin, Julius Springer, 1871.
einen eigenthümlichen, selbständigen Tongang — statt eines
sklavischen simplen Begleitens der Hauptstimme — zu geben; die
Stimmen sollten sich möglichst stark von einander unterscheiden,
nicht nur tonisch, sondern auch rhythmisch; daher wurde von
jetzt an der Zeitwerth der Töne nach einem bestimmten Maaß
(mvn8uru) gemessen, und vielfache Unterschiede ihrer Längen und
Kürzen statnirt; und in Folge dessen mußte eine neue Notirungs-
art eingeführt werden, welche alle diese Unterschiede deutlich be-
zeichnete. Man begann, — wie unser Verfasser in der Einlei-
tung aufweist — mit einer Verschmelzung der Neumen und der
Linicn-Notirung, und bildete nach und nach ein complicirtes
System aus, weit complicirter als unser heutiges, da man, wie
es stets bei neuen Erfindungen zu gehen pflegt, erst spät auf
jene einfachen, einheitlichen Grundsätze kam, die unsere moderne
Notenschrift auszeichnen. Wie gesagt, allmählich entwickelte
sich die Mensural-Notation, und daher jene Schwierigkeit und
Unsicherheit der Entzifferung bei den Werken des 12. und 13.
Jahrhunderts. Jeder neue Lehrer und Tonschöpfer brachte neue
Modistcationen und Reformen hinein, und in den hinterlassenen
Traktaten jener Meister finden wir die Schrift bald so, bald
anders gelehrt. Nun weiß man aber bei den meisten Compo-
sttioncn aus jener Epoche nicht genau Zeit und Ort ihrer Ent-
stehung, hat also keinen Anhaltepunkt dafür, ob dieselben nach
dem einen oder nach dem andern Schriftsystem zu lesen sind.
In den späteren Zeiten geben die festen Regeln des Contra-
punkts oft den Aufschluß über dunkle Stellen in der Notirung;
in jenen Jahrhunderten jedoch waren auch die contrapunktischen
Gesetze noch zu unausgebildet und zu schwankend, um eine Stütze
für die richtige Lesung bieten zu können. Nehmen wir hierzu die
oft unklare oder zweideutige Ausdrucksweise des Mönchslatein,
in dem die Traktate geschrieben sind, so finden wir, wie sich die
Verwirrung bis zu einem abschreckenden Grade steigert. Der
einzige Franco von Cöln (Anfang des 13. Jahrhunderts), der
berühmteste Mann aus dieser Periode, giebt uns eine deutliche
Auseinandersetzung eines bestimmten Notirungssystems.
Herr Dr. Jacobsthal nun wagt es, als einer der Ersten,
jenen steinigen Boden zu durchpflügen. Er sammelt die in den
Traktaten auffindbaren Systeme, stellt sie nebeneinander, und
sucht die Dunkelheiten durch Combinationen aufzuhellen, wobei
er vorsichtig genug verfährt, und, wie es der strengen Wissen-
schaft ziemt, das nicht unbedingt Nachweisbare nur als Ver-
muthung hingestellt sein läßt. Dieser Darstellung geht eine Ein-
leitung voran, die den Stand der musikalischen Dinge von da-
mals im Allgemeinen erörtert. Er nennt sein Wcrkchen einen
„fast verschwindend kleinen" Beitrag zur Lösung der gewaltigen
Aufgabe, welche sich die Musikgeschichte in Betreff jener Jahr-
hunderte zu stellen hat. Aber keine solcher Arbeiten ist un-
wichtig , möge sic auch noch so wenig Positives an's Tageslicht
fördern. Und gerade der erste, der die Hindernisse wegzuräumen,
der den Acker erst urbar zu machen versucht, übernimmt den
mühseligsten Theil der Arbeit und verdient sich dadurch den
meisten Dank. Möge der junge Forscher in seinem emsigen
Streben Glück und Anerkennung finden! William Wolf.
Jahrbuch des deutschen Protestanten-Vereins.*)
Die literarische Thätigkeit innerhalb des deutschen Protestan
ten-Vereins ist ungemein rege. Die Kraft der Ueberzeugung, von
*) Zweiter Jahrgang. Elberfeld, R. L. Friderichö, 1871.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
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Magazin für die Literatur des Auslandes.
No. 51.
welcher die Mitglieder des Vereins erfüllt sind, bewährt sich bei
vielen der leitenden Persönlichkeiten in einer schriftstellerischen
Beredsamkeit, die einen Vergleich mit dem Wirken der Apostel
nicht zu kühn erscheinen läßt. Der Verleger des Vereins, R. L.
Friderichs in Elberfeld, kann mit Fug und Recht schon von
einer Literatur des Protestanten-Vereins sprechen, die, indem ste
sich in der evangelischen Welt gleich Flugblättern verbreitet, nicht
zu geringem Theile dazu beiträgt, daß die protestantische Be-
wegung der Gegenwart etwas von dem Charakter der späteren
Reformations-Zeit an sich trägt. Einen glücklichen Gedanken hat
die Leitung des Vereins durch die Herausgabe des „Jahrbuchs"
ausgeführt, von welchem kürzlich der durch die Kriegsperiode um
ein Jahr zurückgehaltene zweite Jahrgang erschienen ist. Der-
selbe enthält eine Reihe höchst gediegener, nach vielen Seiten
hin anregend wirkender Artikel, von denen ein jeder Zeugniß
davon ablegt, daß die von Deutschland errungene glücklichere
politische Lage nicht ohne günstige Rückwirkung auf die Ziele :
des Protestanten-Vereins bleiben kann.
Eingeleitet durch ein Vorwort aus der Feder des Berliner
Predigers Dr. Thomas, worin namentlich auch, aus Veranlas-
sung der neuerdings an den Geistlichen Schröder im Nassauschen
und Dr. Hanne in Kolberg begangene Härten, auf die parallele
infallibilistische Richtung des evangelischen Oberkirchenraths und !
des Papstthums hingewiesen wird, bietet das Jahrbuch zunächst j
eine kirchenpolitische Rundschau von Lic. Hoßbach in Berlin,
welche die Stellung des Protestanten-Vereins zu den Ereignissen
der letzten beiden Jahre darlegt. Es folgt ein aufklärender Ar-
tikel „die Grundanschauung der Urgemcinde" von R. A. Lipsius,
ferner ein von Dr. D. Schenkel, wie jedes Produkt seiner Feder,
frisch und kraftvoll geschriebener Aufsatz „Zur Erinnerung an
E. M. Arndt", den eisernen, gläubigen Mann, den der Pro-
testanten-Verein mit Recht als einen Vorläufer auf seiner Bahn
betrachtet. Prof. Baumgarten ist mit einem beredten, tief in
die Verhältnisse eingehenden Vortrage „ProtestantischesZeugniß
wider das Neulutherthum" vertreten. Ein Aufsatz „Der Dar-
winismus und die Religion", von Dr. Zittel in Heidelberg,
sucht eine vermittelnde Stellung zwischen den beiden anscheinen-
den Gegensätzen. „Zwei Ketzer-Prozesse", von Dr. Ni pp old,
gewähren eine historische Parallele zwischen dem Verfahren gegen
Leon, den spanischen Katholiken, und gegen Sinstra, den nie-
derländischen Protestanten von Seiten der dort katholischen und
hier evangelischen Inquisition. Den Schluß bildet der Jahres-
bericht, welcher in Verbindung mit der angefügten Statistik, ins-
besondere im Südwesten Deutschlands ein erfreuliches Wachs-
thum des Vereins und seiner Wirksamkeit ersehen läßt. Möge
der Verein muthig fortfahren — Deutschland wird ihm einst
dankbar sein für seine That: die Rettung der deutschen Bekennt-
niß- und Gewissens-Freiheit!
Eine neue Schiller-Ausgabe.
Zn den vielen neuen Editionen, welche seit dem Aufhören
des ausschließlichen Verlagsrechtes der Cotta'schen Buchhandlung
von Goethe's und in noch weit beträchtlicherer Anzahl von Schillcr's
Schriften veranstaltet worden, ist in diesem Augenblicke eine
neue getreten, welche wir aus mehr als Einem Grunde mit be-
sonderer Freude begriißen und warm empfehlen möchten.*)
*) Schiller’s sämmtliche Werke in zehn Bänden. Druck und
Verlag von Karl Prochaska. Leipzig und Teschen.
Von dem Augenblicke an, wo das Privilegium der Cotta'schen
Verlagshandlung aufhörte, schienen die Werke unserer Dichter,
namentlich Schiller's, erst recht eigentlich das Eigenthum aller
Deutschen, des gestimmten Volkes geworden. In den verschiedensten
Ausgaben, vollständig und in Auszügen, mit und ohne Erläu-
terungen, in höchster Eleganz und in anspruchslosester Einfachheit
erschienen Schiller's Werke auf dem Büchermärkte, es Jedem
ermöglichend, seinen Verhältnissen, seinen Bedürfnissen und
seinem Geschmacke nach, sich den Lieblingsdichter unseres Volkes
als bleibendes Eigenthum, als unvergänglichen Schatz zu erwerben.
Die uns heute vorliegende Ausgabe geht noch einen Schritt
weiter. „Ad nationes“ ist ihr Motto; nicht nur an das deutsche
Volk, sondern an die Nationen wendet ste sich. An Alle,
welche, seien sie germanischen, romanischen oder slavischen Ur-
sprungs, die deutsche Sprache lieben, lesen und so weit verstehen,
daß sie wissen, welch reiches Gut nicht nur Deutschland, sondern
die gesammte gebildete Welt an Schiller's Werken besitzt.
Die Art und Weise wie diese Vermittelung geschieht, ist sehr-
einfach und doch von ganz immenser Tragweite. Die Ausgabe
ist nämlich in Antiqua-Schrift gedruckt, und wer da weiß, welche
Schwierigkeiten allen Ausländern, selbst solchen, die mit unserer
Sprache innig vertraut sind, unsere Lettern und Schriftzeichen
machen, der wird zugestehen, daß hier wirklich der Weg gefunden
ist, „den Nationen", die sich ja jetzt, sei es fteundlich, sei es
feindlich, mehr denn je mit der deutschen Sprache beschäftigen,
eine ihrer edelsten Blüthen leichter zugänglich zu machen.
Die Ausstattung des in zehn Bänden erschienenen Werkes
ist eine ganz vortreffliche. Jedem Bande ist als Titelkupfer eine
Photographie von Bruckmann, nach Zeichnungen von C. Jaeger
beigegeben, die sämmtlich von großer künstlerischer Vollendung
zeugen. Wir möchten als ganz besonders gelungen „Laura am
Klavier" und die Gruppe „Schiller in Weimar" hervorheben.
Schriften über den Krieg.
Die zahlreichen, den Krieg von 1870—71 behandelnden Werke
zerfallen in zwei Klassen: die einen wollen durch Schilderungen oder
Beschreibungen der Aktionen, an denen sie handelnd oder zuschauend
Theil genommen haben, Beiträge für Bearbeitungen des Ver-
laufes des gesammten Feldzugs liefern; die andern glauben es
schon jetzt an der Zeit, aus offiziellen Berichten und jenen Detail-
darstellungen eine umfassende Geschichte des riesenhaften und
weitverzweigten Krieges zu schreiben. Die Schriften, die uns
vorliegen, sind Vertreter dieser beiden Richtungen.
Herr Dr. Adolf Zehlicke hat seine Kriegsberichte für die Schle-
sische Zeitung revidirt, Manches unterdrückt, was von nur tem-
porärem Interesse war, andererseits Bereicherungen und Ausfüh-
rungen nach seinen Aufzeichnungen und den Mittheilungen An-
derer gegeben.*)
Uns scheint nun zwar eine Veröffentlichung derartiger per-
sönlicher Erinnerungen auch noch jetzt keineswegs ungerechtfertigt
eben weil das Material zu einer Geschichte des Krieges herbei-
geschafft werden muß, welche militärisch sowohl, als im Einzelnen
schildernd, ein vollständiges Bild der Ereignisse geben könne.
*) „Von Weißenburg bis Paris." Kriegs- und Siegeszug der
deutschen Heere in Frankreich 1870—1871. Nach seinen Berichten für
die „Schlesische Zeitung" dargestellt von Dr. Adolf Zehlicke. Breslau
W. G. Korn. 463 S. 8.
k
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Indessen haben wir ein Bedenken in Bezug auf die Form solcher
Darstellungen; wir meinen nämlich, daß die Verfasser derartiger
Beschreibungen sich nun auch auf das beschränken sollten, was ste
wirklich beobachtet haben und aus eigener Erfahrung erzählen
können. Ziehen sie dagegen auch das mit in den Bereich ihrer
Darstellung, was sie nur durch Erkundigungen erfahren haben,
um ihre eigenen Beobachtungen zu vervollständigen, so machen
sie eben damit schon den Uebergang zur Geschichtsschreibung,
ohne ihn indeß zu vollenden. Ein solches Werk wird ein Mittel-
ding zwischen Tagebuch und anschaulicher Schilderung und an-
dererseits einer umfassenden Darstellung. Von diesem Stand-
punkte aus scheinen uns z. B. alle Einleitungen, welche die Ent-
stehung des Krieges, die Vorbereitungen dazu, den Aufmarsch
der beiden Armeen darstellen, völlig überflüssig; es sind bekannte
Dinge, und sie gehören wohl zu einer Geschichte des Feldzugs,
nicht aber in Schriften, welche beanspruchen, nur Beobachtungen
zu geben, die zu machen nicht jedem Anderen möglich ge-
wesen ist und welche in ihrer Art einzig und schätzbar als Vor-
arbeit und Material sein sollen.
Andererseits ist es gewiß irrig, anzunehmen, daß viele rein
persönliche Erinnerungen jetzt ihren Werth verloren hätten. Die
Geschichte eines Feldzugs besteht nicht allein in der Darstellung
alles streng zu den eigentlichen Aktionen Gehörigen, etwa in der
Weise, wie Rüstow taktisch und statistisch seine Geschichte ver-
faßt; sondern für uns Leser, mögen wir Theil genommen haben
an den Operationen oder nicht, wird jetzt und später auch alles
das von großem Interesse sein, was, sozusagen, die Qualität der
Begebenheiten, den Charakter der kriegführenden Parteien und
Völker, die individuellen Züge, an denen ein solcher Krieg nach
allen Richtungen des Seelenlebens hin so reich ist, irgendwie be-
trifft. Daher glauben wir, gerade in der Zusammenstellung vieler
solcher einzelnen Züge und Erfahrungen liegt für immer ein
Werth und sie sind zugleich eine Quelle für eine Geschichtsschrei-
bung, welche eine sorgsame wissenschaftliche Darstellung in an-
ziehender Form geben und zugleich ästhetisch und charakteristisch
beftiedigen will.
Das Gesagte trifft auch dasBuch von Zehlicke, welches aber trotz-
dem recht lesenswerth und vor allem unbefangen geschrieben ist. Be-
sonderes Interesse wird es ftir Diejenigen haben, welche bei den
entsprechenden Ereignissen zugegen gewesen sind und durch solche
Aufzeichnungen sich gern das Ueberstandene und ihre Thaten in
die Erinnerung zurückrufen lassen; wie denn überhaupt alle diese
Bücher, mögen sie auch die von uns angeführten Fehler der
Methode und andere treffen, immer ihren Leserkreis finden werden
und mit ihm zugleich eine Rechtfertigung ihres Erscheinens; denn
der Soldat wird gern jetzt das klar und ausführlich dargestellt
lesen, was er zum Theil mit ausgeführt, oder worüber er sich im
Felde bei der Enge des Gesichtskreises nicht hinreichend orientirt hat.
Wir schließen daran gern auch die gesammelten Kriegsberichte
eines anderen Zeitungskorrespondenten, des Herrn Herrn. Uh de,
Berichterstatters der „Hamburger Nachrichten", an; seine „Streif-
züge auf dem Kriegsschauplatz"*) schildern nur selbst Gesehenes
und werden namentlich Denjenigen, die unter der Führung des
Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin in Frankreich kämpften,
eine willkommene Erinnerung sein.
Der zweite Theil von A. Niemann 's Buch**) verdient das
*) Hamburg, Otto Meißner, 1871.
") Der französische Feldzug 1870-1871. Militärische Beschrei-
bung von A. Niemann; dem deutschen Heere gewidmet. Zweite Ab-
theilung. Mit 12 Karten. Hildburghausen, Bibi. Institut.
Lob, das schon dem ersten auch in diesen Blättern ertheilt
worden ist. Das Einzige, was Referent bedauern möchte, ist,
daß die Darstellung nicht ein wenig umfangreicher, da manches
Ereigniß auf diese Weise zu kurz behandelt ist. Der Ver-
fasser hat die bis jetzt zu Gebote stehenden Hülfsmittel ver-
werthet, auch die französischen Darstellungen, wie u. a.
Faidherbe's „Campagne du nord“, sorgsam verglichen. Be-
sonders hervorzuheben ist in dieser Beziehung die Unpartei-
lichkeit, mit der er auch dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren
läßt. Die Ereignisse, bei denen Ref. selbst zugegen gewesen
ist, kann er als getreu dargestellt bezeugen. Die 12 Karten
sind sorgsam und genau entworfen; außerdem ist dem Werke der
Wortlaut der Konvention von Versailles, sowie der über die
Uebergabe Belforts, ein Feldzugskalender, eine Erklärung tech-
nischer Ausdrücke und ein Register beigefügt. Das nun voll-
endete Werk wird gewiß Anerkennung finden und in einer zweiten
Auflage manche Bereicherung erfahren, vielleicht überhaupt eine
etwas ausführlichere Bearbeitung mancher Abschnitte, über welche
das Material sich reichlicher ansammeln wird.
Frankreich.
Tagebuch eines Bfjhiers der französischen Rhein-Armee.*)
Nicht um sich von einer vorgeworfenen Schuld zu reinigen,
oder den Verdacht einer verrätherischen Handlung abzuwehren,
hat der Verfasser zur Feder gegriffen, sondern vielmehr um ein-
fach seine Erfahrungen und Eindrücke, vom Anfange des Feld-
zuges bis zur Kapitulation von Metz, wiederzugeben. Es sind
größtentheils Klagen über den Gang der Mobilmachung und
über die Organisation, Bedenken, Befürchtungen, Vorwürfe, die
der tüchtige und vorhersehende Soldat seinem Tagebuche anver-
traut hat, und die nun — hofft er — beitragen sollen zur
Wiedergeburt einer tapfern französischen Armee. Im General-
stabe der sogenannten Rhein-Armee befindlich, hatte Oberstlieute-
nant Fay vollauf Gelegenheit, jene Mängel ans nächster Nähe
zu sehen, und sehr bald kommt er zu der Ueberzeugung, daß die
preußische Armee in jeder Beziehung der ftanzöstschen überlegen,
daß erstere der letzteren bei ihrer künftigen Reorganisation überall
als Muster dienen müsse. Fah's Darstellung zeugt von einem
gesunden Verstände, und was wir bei den heutigen Franzosen
so selten anzuerkennen Gelegenheit finden, von Gerechtigkeitssinn
und Billigkeitsgefühl; denn was er auch über die deutsche Krieg-
führung — zuweilen nach falschen Berichten — sagen möge, es
verschwindet völlig gegen die, wenn auch möglichst zurückgehalte-
nen Klagen über die eigene Heerführung.
Nachdem er zunächst die unendliche Langsamkeit, mit welcher
der angreifende Theil die Kriegsbereitschaft erreichte, kritistrt,
schildert er die gänzliche Rathlosigkeit jenes in Frankreich all-
mächtigen, aber keineswegs auf der Höhe seiner Aufgabe stehen-
den Institutes der Intendantur. Mit drei Worten: überall
fehlte Alles. Der vorwitzige Kriegsminister wird in Paris mit
eineni Hagel von Telegrammen überschüttet; überallhin werden
*) Von Charles Fay, Oberstlieutenant im Generalstabe. Mit einer
Karte vom Kriegstheater bei Metz. Nach der dritten französischen Aus-
gabe deutsch von Dr. Oskar Schmidt. Posen, Louis Merzbach, 1871.
276 S. in 8.
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Ausrüstungs-Gegenstände, Munition, Lebensmittel u. s. w. ver-
langt; er vermag nichts, als nach allen Winden mit einem „Helft
euch selbst!" zu antworten. So einschneidend treten schon bei
den ersten Märschen Nahrungssorgen und Bekleidungsmangel zu
Tage, daß Verfasser es mehrmals wie ein Glück betrachtet, daß
die französische Armee sich nicht vorweg in Feindesland gewagt,
denn sie würde mit dem: Helft euch selbst! nicht weit gekommen
und bald isolirt worden sein. Nach diesem nicht sehr tröstlichen
Bilde wendet sich Fay zu den Feldzugsplänen, die doch nicht so
feststehend gewesen sein müssen, als der Kaiser nachträglich hat
glauben machen wollen, denn sonst würde man die Armee nicht
aus die ganze Gränze vertheilt haben. Auch die an Einem Tage
zehnmal wechselnden Marschbefehle sprechen nicht dafür, daß
man genau gewußt, was man wollte.
„Die Nacht vergeht damit", so schreibt Fay am 4. August
in sein Tagebuch, „Befehle und Gegenbefehle zu expediren; ich
will nur ein Beispiel anführen, damit man von der Unsicherheit
aller unserer Bewegungen in diesen ersten entscheidenden Tagen
des Feldzugs einen Begriff bekomme. Bei der ersten Nachricht
von jenem Uebergange preußischer Truppen bei Trier, erhielt
die Garde Befehl, aus Metz auszurücken, dann ihre Bivouaks
nicht zu verlassen, endlich ist sie an diesem Morgen aus Wolme-
range dirigirt worden; einige Stunden später erhielt sie den
Befehl, nach Metz zurückzukehren; aber dieser Ordre folgte un-
mittelbar eine neue Instruction, welche die frühere aufhob, und
diesem Corps für den folgenden Tag die Stellung Courcelles-
Chaussy zuwies. Das ist der Hauptcharakter aller Pläne und
Ideen beim Beginne des Krieges: Befehle und Gegenbefehle
folgen und kreuzen sich ohne Ende, so daß die Armee-Corps sich
in zwecklosen Märschen abnützen, ermüden und desorganisiren,
bevor sie nur an den Feind gekommen sind. Eine Oberleitung
ist wegen ihrer Vielfältigkeit so gut wie gar nicht vorhanden."
Von den Stellungen und der Zahl der gegenüberstehenden
deutschen Truppen hatte man niemals eine Idee; während diese
ihre Kavallerie ebensowohl zur Auskundschaftung der französischen
Stellungen, wie zu ihrer eigenen Verhüllung auszunützen wuß-
ten, hat die französische Heerführung, wie Fay klagt, während
des ganzen Feldzugs nicht gewußt, wozu sie überhaupt Reiter
und Pferde füttert. Sehr interessant sind die dem Tagebuche
anvertrauten Eindrücke und Bettachtungcn, welche sich an die
Nachrichten von den Niederlagen bei Weihenburg, Spichern und
Wörth knüpfen. Ueber den fluchtartigen Rückmarsch von Wörth
giebt ein im Anhange mitgetheilter Auszug aus dem Tagebuche
eines bei Sedan gefallenen Offiziers ein überaus lebendiges,
wenn auch tief düsteres Bild.
Von dem beabsichtigten Rückzüge der Rhein - Armee auf
Chalons sprechend, schiebt der Verfasser die Hauptschuld der
Verzögerung, in Folge deren sie auf Metz zurückgeworfen wurde,
der unendlichen Bagage von oft sehr entbehrlichen Dingen zu,
die man mit sich führte: „Bazaine hatte Unrecht, die Bagagen,
unsere wunde Stelle bis zum letzten Tage, nicht schonungslos
vermindern zu lassen; dieselben halten am 14. und 15. unsern
Marsch auf, der gerade sehr schnell hätte sein müssen, und geben
uns nach einem Ausspruche der auf Aller Lippen ist, das Aus-
sehen der Armee des Darms." Nachdem Fay an den bereits
klanglosen Abschied des Kaisers von der Armee (am 14. August
in Metz) einige Bemerkungen über die Wandlungen menschlicher
Größe und Hoffnungen geknüpft, folgt die Schilderung der drei
blutigen Schlachttage bei Metz, die den Mittelpunkt unseres
Interesses für das Buch einnehmen, welche aber keines Auszugs
fähig ist. Man bettachtete den ersten Zusammenstoß als einen
entschiedenen Sieg; zum erstenmal war Jubel in der Armee, und
der Kaiser begrüßte am Abend Bazaine, der nach Moulins zu
ihm kam, mit dem Zuruf: „Nun Marschall, Sie haben also den
Zauber gebrochen?" Auch die Schlacht bei Nezonville zählt der
Verfasser zu den Erfolgen der französischen Waffen und meint,
daß es ein großer Fehler gewesen sein würde, die Rhein-Armee
auf Metz zurückzudrängen — „wenn" dieses genügenden Proviant
gehabt hätte. Die blutige Schlacht von Gravelotte hat in Fay's
Darstellung eine Beimischung von furchtbarer Komik; Bazaine
kehrt im frohen Bewußtsein, sie gewonnen zu haben, nach seinem
Hauptquartier Plappeville zurück, ohne Ahnung, daß beim ein-
brechenden Abend, sechs Kilometer (J Meilen) davon, bei Saint-
Privat erst die Entscheidung stattfindet. „Es läßt sich in der
That für sein Wegbleiben von einem Schlachtfelde, auf welchem
sich der König, der General v. Moltke und zwei preußische Ar-
meen befanden, kein anderer Grund denken, als daß man einfach
sagt, er habe keine Ahnung von der Wichtigkeit der Schlacht ge-
habt." Unterdessen war die Umgehung der französischen Armee
gelungen. Es wird Manchem unglaublich erscheinen, daß Bazaine
in Plappeville nicht den Kanonendonner von St. Privat ver-
nommen hat, während man später in Metz die Beschießungen
von Monmedy, Toul und Verdun aus resp. 72, 52 und 60 Kilo-
meter Entfernung vernommen hat. Allein Windrichtungen und
Terrain-Verhältniffe haben den wunderbarsten Einfluß auf die
Schaüfortpflanzung, wozu Referent aus eigener Erinnerung hin-
zufügen kann, daß man an einzelnen Tagen den furchtbaren
Kanonendonner der Batterieen von Meudon und Chatillon in
dem kaum eine halbe Meile davon entfernten Dörfchen Chaville
absolut nicht vernahm.
Die Armee war nunmehr um Metz eingeschlossen, hatte aber
nichtsdestoweniger mit Mac-Mahon Depeschen gewechselt, in der
Absicht einander womöglich zu Hülfe zu kommen und gemeinsam
weiter zu handeln. Leider fehlte cs bei der Rheinarmee bereits
an Munition. Da wurden in den Eisenbahn-Magazinen Vier-
Millionen Kartuschen entdeckt, deren Existenz Niemand „ahnte!"
Man konnte also in der That ein Paar Versuche machen, nach
Sedan durchzubrechen, doch geschah der zweite Versuch erst zur
Zeit der Schlacht bei Sedan, und wenn er gelungen wäre, wür-
den die „Sieger" gerade den mit der Armee Mac-Mahon's fer-
tigen Deutschen „zur Fortsetzung" in die Arme gelaufen sein. —
Man sah nachher den unabsehbaren Zug der Gefangenen von
Sedan, unweit Metz vorüberziehen, und hielt die Bewegung
anfangs für eine großartige Dislokation der deutschen Truppen.
Die inzwischen in die Festung gelangten Gerüchte von den un-
geheuren Ereignissen und Umwälzungen, die sich in Folge der
Schlacht und Capitulation von Sedan vollzogen, die Gefangen-
nahme des Kaisers und die Erklärung der Republik fanden
natürlich nur sehr geringen Glauben, und erst als Prinz Friedrich
Carl in einer Anwandlung rauhen Kriegshumors, ihnen zur
Auswechselung einige Hundert Sedan-Gefangene nach Metz hinein-
sandte, gewöhnte man sich allmählich an die furchtbare Wahrheit.
Im hohen Grade anziehend ist der tageweise Bericht über
die nach und nach sich einstellenden Proviant-Sorgen. Zunächst
mangelte Futter für Pferde. Man nährt sie zum Theil mit welken
Blättern und mit den jungen Aesten der Weinrebe. Aber trotz-
dem daß man bereits am vierten September mit der Verthei-
lung von Pferdefleisch begann, also täglich Hunderte zur Schlacht-
bank geführt werden, verfallen Viele dem Hungertode. Es wäre
ein bedeutender Vortheil gewesen, wenn man sogleich eine größere
Anzahl hätte schlachten und das Fleisch einsalzen können, aber
gerade an Salz herrschte der empfindlichste Mangel. Glücklicher-
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weise fand sich im Bereiche des Einschließungs-Ringes eine schwache
Salzquelle, aus welcher man zwar nicht mit Erfolg Salz ge-
winnen, aber doch das Wasser zur Suppen- und Speisen-Berei-
tung, sowie zum Brodbacken entnehmen konnte. Die meisten
Ausfälle, welche gemacht wurden, hatten den Zweck, Getraide-
und Stroh-Vorräthe aus den nahen Ortschaften wegzunehmen.
Ein großer Durchbruchs-Versuch, wie ihn der Verfasser für zwei-
fellos ausführbar ansah, wurde nicht wiederholt, und verlor mit
der Zeit immer mehr an Wahrscheinlichkeit des Gelingens. Die
Noth steigt täglich höher, und der „Regen regnet jeglichen Tag",
Trübsinn und Krankheiten in Menge erzeugend. Man beginnt,
sich bis an die feindlichen Vorposten zu wagen, um dort auf den
nicht abgeärndteten Feldern Kartoffeln zu sammeln. Der Verfasser
kann nicht umhin, das Mitgefühl des Feindes zu loben, welcher
die armen Leute nicht nur nicht belästigt, sondern ihnen hier und
da die eigene Ration des kostbaren Salzes zu den Kartoffeln
geschenkt habe. Marschall Canrobert sah sich genöthigt, durch
Tagesbefehl diesen Verkehr mit den feindlichen Vorposten zu
verbieten, während auch die deutschen Truppen Befehl erhielten,
auf die Kartoffelsammler zu schießen, was übrigens jene durch
die Noth gegen die Lebensgefahr gleichgiltig gewordenen Leute
kaum hinderte, ihre Arbeit fortzusetzen.
Der Verkehr mit der Außenwelt wurde zwar von den Ein-
schließenden erleichtert, allein bei dem begreiflichen Mißtrauen
der Eingeschlossenen zog man cs meistens vor, seine Briefe kleinen
Ballons anzuvertrauen, welche ein Apotheker in Metz zu expe-
diren verstand. Oberstlieutenant Fay kann sich nicht enthalten,
dem einen derselben, der auch von ihm Briefe trägt, den Gruß
an die „nach Frankreich" ziehenden „Segler der Lüfte" nachzu-
rufen, welchen Schiller der Maria Stuart in den Mund legte:
„Ich bin gefangen, ich bin in Banden — Ach, ich hab' keinen
andern Gesandten! — Frei in Lüften ist eure Bahn." u. s. w.
Der Verfasser gehört nicht zu den blinden Preußen-Hassern; er
sammelt mit einer gewissen Vorliebe edelmüthige Züge vom
Feinde, und theilt voller Mitgefühl Stellen aus einzelnen Briefen
mit, die er bei verschiedenen, auf dem Schlachtfelde verschiedenen
deutschen Soldaten gefunden, besonders, wenn sie vom baldigen
frohen Wiedersehen in der Heimat sprechen!
Inzwischen werden die zum Theil wunderlichen diploma-
tischen Sendungen besprochen, die des Bourbaki nach Chislehurst,
des General Boyer nach Versailles und England. Die Noth
erreicht den höchsten Grad, denn auch das Pferdefleisch droht
endlich auszugehen; die armen Thiere nagen die Baumrinden
ab und fressen einander gegenseitig die Schwänze ab; man führt
die zusammenbrechendLn Thiere möglichst bei Lebzeiten nach dem
Schindanger, da man den überlebenden jede unnütze Anstrengung
ersparen muß. Das Schreckensgespenst der Capitulation kommt
immer näher heran. Der Gedanke an einen Durchbruchs-
Versuch, welcher den Verfasser drängte, seinen General mit
stillen Vorwürfen zu überhäufen, erscheint ihm nunmehr selbst
hoffnungslos; aber daß diese mehr als Hunderttausend Mann,
ohne einen letzten Schwertstreich die Waffen strecken sollen,
ist ihm auch ein sittchterlicher Gedanke. Freilich, wer sollte
von dem zusammentretenden Kriegsrath wohl noch „männ-
liche Entschließungen" verlangen, „wo seit vielen Jahren schon
ein entnervendes System Offiziere und Soldaten, sogar Bürger
von den Gedanken an Opfer für das Vaterland entwöhnt hat?"
wie soll man da ein „Moriamur“ erwarten, das Männer erfor-
dert! Das Tagebuch endigt mit schrecklichen Bildern aus den
Tagen der Capitulation: „Ein kleiner Regimentswagen hat
auf einer Brücke umgeworfen, die Leute haben sich nicht die
Mühe genommen, ihn wieder aufzurichten; das arme gefallene
Pferd aber war sofort zwischen seinen Gabeldeichseln zerstückt
worden, und war noch folgenden Tages als blutiges Skelet da-
selbst angespannt zu erblicken."
Das Buch wird überall durch sein gesundes Urtheil, und
durch die verständige leidenschaftslose Sprache ansprechen. Jeder
wird es mit Theilnahme und Nutzen lesen, und nicht am wenigsten
bei dem alten Soldaten durch die vielfachen Zeichen eines leb-
haften Mitgefühls für das Unglück Anderer erfreut werden. Die
Schilderung der Operationen ist klar und die Darstellungsweise
überall anmuthend. Ernst Krause.
Holland.
Niederländische Geschichte und Literatur?-)
Schlagbäume und Gränzlinicn können ein Volk nicht ab-
schließen — sein Geist reicht überall hin, wo er Fleisch von seinem
Fleische und Bein von seinem Beine findet. Seit Jahrhunderten
nun schon führen die Niederlande eine von Deutschland gesonderte
politische Existenz, und selbst damals, als sie noch dem heiligen
römischen Reiche angehörten, hatten sie sich doch bereits in
ihrer vollen Eigenthümlichkeit entwickelt, unterschieden sich ihre
Bewohner so scharMvon den übrigen Bewohnern der deutschen
Tiefebene, daß sie au^. eine eigene Individualität unter den euro-
päischen Nationen gelten durften. Trotzdem sind es Söhne des
deutschen Stammes, die diese fruchtbaren Marken dem Meere
abgerungen haben; trotzdem hat die äußerliche Abschließung gegen
das große Mutterland Niederland innerlich nie ganz von Deutsch-
land losreißen können. Nie wird dieses etwaige Rechte recla-
miren und im Stile des ersten Napoleon decretiren, Holland sei
nur eine Alluvion deutscher Ströme und die Holländer vergeß-
liche Auswanderer aus deutschen Gauen. Gewiß sind wir über-
zeugt, daß die Zukunft das fast ganz zerrissene Band zwischen
den germanischen -Niederländern — seien es Vlamingen oder
Holländer — wieder herstellen und fester und fester verknüpfen wird;
aber Deutschland wird ihre Selbständigkeit, ihre große Vergangen-
heit achten und ehren, denn Deutschland ist nicht Frankreich.
Aber die Niederlande selbst werden einsehen, daß sie ihre Kraft nur
in der erwachten Treue gegen die alte Heimat finden können, daß
von dort her, wo die Ströme entspringen, in denen ihr Ldben
pulstrt, auch die geistigen Ströme fließen, welche sie vor schwäch-
lichem Alter schützen und ihnen die Jugend zurückgeben. Nur in
fester Freundschaft mit Deutschland, nur in rückhaltloser An-
lehnung an das neue Reich liegt die Gewähr, daß die Nieder-
lande auch noch ferner eine Geschichte haben und den glorreichen
Tagen der Vorfahren etwas mehr hinzuzufügen sein wird, als
statistische Notizen, Regenten- und Ministerien-Wechsel. Wie viel
hat das nordische Phönicien eingebüßt! Jener fünfte Erdtheil,
den seine kühnen Seeleute im fernen Oceane entdeckten, seine
Niederlassungen am südlichen Ende Afrikas, seine amerikanischen
Colonieen, Alles ward ihm genommen! Einst die erste Macht
Europas, ist es jetzt ohne Stimme im Rathe der europäischen
Nationen. Wohl hatte Napoleon IH. Recht, wenn er unsere
*) Nederlandsche Letterkunde door D. de Groot, L. Leopold en
R. R. Rijkens. Te Groningen, bij J. B. Wouters, 1871.
sieschiedenis van het Yaderland door Dr. J. A. Wijnne. Derde
Druk. Ibid.
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Magazin für die Literatur des Auslandes.
No. 51.
Epoche als die des Nationalitäts--Principes und der großen
Staat-Agglomeration bezeichnete. Indessen wenn der -Pariser-
ganz Frankreich unterwarf, dem Provenzalen die Poesie der
Troubadoure, dem Bretagner die schwermüthigen Gesänge seiner
Barden nahm, ja selbst dem armen Brüsseler, der seinen vlamischen
Ursprung durchaus vergessen wollte, nichts übrig ließ, als ihn
nachzuäffen — der Deutsche gönnt einem Jeden seine Beson-
derheit.
Wir möchten die niederländische Geschichte nicht missen; denn
sie hilft uns über Jahre hinweg, die, wenn wir jene nicht auch
unser nennen dürften, gar zu trüb und trostlos wären. Wohl
hatte Deutschland die Reformation erstritten, aber die Glaubens-
freiheit war noch nicht gewonnen. Cujus regio, ejus religio hieß
die tyrannische Maxime, nach der die Gewissen in Deutschland
regiert wurden. Die Glaubensfreiheit bestand darin, daß man
aus einem katholischen Lande in ein protestantisches flüchten
durste: wo Parität bestand, wurde doch keine weitere Sekte ge-
duldet. Der spanischen Gewaltherrschaft gegenüber entwickelte
sich in den Niederlanden endlich das Princip einer allgemeinen
Toleranz. Es kostete harte Kämpfe, denn die befreiten Calvi-
nisten und Lutheraner hätten gar zu gern Inquisition mit In-
quisition vergolten. Den großen -Prinzen von Oranien nannte
man einen Atheisten, weil seine starke Hand zugleich Katholiken
und Anabaptisten beschützte. Aber die gerechte Sache siegte: die
französische Aufklärung von Bayle bis zur Encyklopädie ließ fast
alle ihre Schriften in Holland drucken. Amsterdam lebte
Spinoza, der religionslose Denker. So sc- /eit die Niederlande
die Reformation fort, welche im eigentliche Deutschland zu leerem
tbeologischen Gezänk herabgesunken war. Sie allein waren es
weiter, die den ftanzösischen Eroberungs-Gelüsten einen Damm
entgegenwarfen: ein erster Wilhelm vereitelte die universalistischen
Gelüste des Habsburgers, ein zweiter ebenso großer, die des
Bourbonen. Aber schon kämpfen brandenburgische Truppen mit:
Hollands Macht stecht langsam hin. Als Deutschland den dreißig-
jährigen Krieg überwunden und seine Glieder wieder bewegen
kann, als -Preußen erstanden, ist der Ruhm der Niederlande dahin.
Als der Gründer der niederländischen Freiheit, von den ver-
gifteten Kugeln des fanatischen Gerard durchbohrt, sterbend zu
Boden sank, ries er aus: Dieu, ayez pitie de mon äme, ayez pitie
de ce pauvre peuple! Gott erhörte sein Gebet nur theilweise.
Ihm wäre es vielleicht gelungen, alle siebzehn Provinzen vom
spanischen Joche zu befreien, oder wenigstens, wenn die Wallonen
die Knechtschaft durchaus vorgezogen, alle diejenigen mit germa-
nischer Bevölkerung. So wurden nur sieben -Provinzen ftei und
Parma durfte die vlamischen seinem Könige zurückerobern. Ant-
werpen verblühte, der Katholicismus gründete eine seiner festesten
Zwingburgen. Im Königreiche Belgien ist das französische, wal-
lonische Wesen obenauf; der spanische Geist ist nicht aus dem
Lande gewichen, trotz aller constitutionellen Freiheit—denn diese
hat bis jetzt nur den Klerikalen Vortheil gebracht: die Scheiter-
haufen der Ketzer haben nicht umsonst dnrch's Land geleuchtet.
Allmählich — mit dem Erstarken des großen deutschen Mutter-
landes — erholt sich der Vlaming wieder und macht seine ange-
borenen Rechte geltend. Schon ist Antwerpen wieder ein blü-
hender Handelsplatz geworden, Antwerpen, das man zu seiner
belgischen Freiheit mit Kanonen zwingen mußte. Je mehr es
der vlamischen Bevölkerung bewußt, daß nur im deutschen Geiste
ihre Kraft liegt, desto fester wird sie allen Entnationalisirungs-
Tendenzen entgegenarbeiten können.
Das innerste Leben eines Volkes spricht sich in seiner Lite-
ratur und Kunst aus. Hier webt der Geist ftei und unbehindert,
hier ist am leichtesten zu erkennen, was zu einander gehört und
was nicht. Die Niederlande haben Großes geleistet in Musik
und Malerei. Die Malerei scheint sich immer weiter nach Norden
geflüchtet zu haben: als Albrecht Dürer begraben, als die Kölner-
Schule dahin, traten van Dyck, Rubens und Rembrandt auf.
Wie Italien und -Niederland analog sich entwickelten auf den
Handel: hier Antwerpen, dort Venedig; aus die Malerei, so auch
auf die Musik: beide erreichten hier das Höchste, als Deutschland
noch nicht viel von seiner ureigensten Kunst wußte, als Sebastian
Bach noch nicht geboren war.
Die mittelalterliche Literatur der Niederdeutschen ist ein inte-
grirender Bestandtheil der deutschen National-Literatur. Aber
auch die anderen Perioden halten mit den unsrigen Schritt. Trotz
alles mannhaften Kämpfens gegen den großen König Ludwig,
unterlagen die Holländer derselben Invasion des französischen
Geistes, der die Deutschen ein Opfer wurden. Was Freiheit
und Staatsleben sei, hätte ein Opitz lieber in Leyden lernen
sollen: er aber profitirte dort nur die hölzernen Regeln einer
unnatürlichen Poesie. Vondel, der bedeutendste holländische
Dichter, bewahrt in seinen Dramen allerdings gewisse Eigenthüm-
lichkeiten, die im niederländischen Leben wurzeln: das ist aber
auch Alles. Neues Schaffen kommt in die holländische Literatur
erst, als auch die deutsche aus ihrem Schlummer erwacht. Eine
große, monumentale Persönlichkeit besitzt diese Literatur nicht:
denn trotz alles nationalen und staatlichen Selbstgefühls, ist sie
ein Dialekt: noch nie redete ein Genius im Dialekte, da er aus
der Tiefe des Dolksgeistes geboren wird, dessen Gewand die all-
gemeine Sprache ist.
Wenn wir etwas an dem Buche des Herrn Wijnne auszu-
setzen haben, so ist es, daß er die neuere Geschichte mit allzu-
großer Ausführlichkeit behandelt. Der Freiheitskampf und die
Blüthezeit müßten den größten Raum einnehmen, denn da liegt
Hollands Ehre, da kann der Holländer sich erinnern, was es heißt
und kostet, eine Geschichte zu haben! — Die Geschichte der nieder-
ländischen Literatur, welche auch die vlamischen Schriftsteller be-
rücksichtigt, bringt tüchtige Charakteristiken und Biographieen
der einzelnen Autoren, sowie mit Geschick ausgewählte Proben und
ist zum Nachschlagen sehr empsehlenswerth. H. H.
Beim Anblicke der schönen Vautier'schen Illustrationen zum
„Oberhof" ist uns öfter die Frage entgegengetreten, warum wohl
die Erzählungen des besten schweizer Volksschriftsteüers noch so
wenig sich der künstlerischen Ausbeutung und Ausschmückung zu
erfteuen gehabt? Denn ein Erzähler, der wieJeremias Gott-
helf (Albert Bitzins) aus der tiefsten Anschauung und aus dem
genauesten Verständniß von Land und Leuten heraus schildert,
der so wunderbar zu individualistren versteht, und so behaglich
bei idyllischen Bildern zu verweilen, dessen Sprache und Witz
so durchweg volksthümlich und herzlich wirken, er müsse, meine
ich, vor Andern einen Maler zu den lieblichsten Genre-Bildern
*) Sechs Erzählungen aus dem Emmenthal von Jeremias Gott-
helf. Mit Illustrationen von G. Roux, Fr. Walthard und A. Anker.
Berlin, 1872. Julius Springer. (Bern, K. Sd)mid.) 286 S. in 4.
Schweiz.
Aus dem Bernerland.*)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus
Zweite Beilage zur Königlich privilegierten
Berlinischen Zeitung, Nr. 305, 1871,Dez.21
S. 1
Zehn ausgewählte Essays zur Einführung in daS
dium der modernen KunftvonHermanu Grimm. Berlin,
erd. Dümmler. — Essay nennt man eine eigenthümliche kri-
tische Kunstgattung, den Versuch einem vielleicht oft behandelten
Gegenstände, neue und charakteristische Seiten abzugewinnen,
und möglichst den allgemeinen Inhalt, den Geist der Sacke,
Allen sichtbar, herauszutreiben. Darum wenden sich die Essays
mehr den Geistcswerken, als den Personen, die sie hervorbrach,
ten, zu, und ziehen die Lebcnkverhältnisse und Eigenthümlichkeiten
derselben nur so weit heran, als sie geeignet erscheinen, die er-
steren mit aufzuklären. Die grenzenlose Freiheit dieser Form
erfordert neben vollständiger Zeit- und Personen-Kenntniß
vor Allem eine sehr geschickte Hand, um anS der Fülle deö vor-
liegenden Materials das Wesentliche glücklich herauszuschälen;
denn ihre Fassung soll so kurz und gedrängt sein, wie möglich.
Hermann Grrmm hat feit vielen Jahren dreie Kunstgattung mit
stets wachsender Meisterschaft behandelt, und wir können als Be-
leg dafür den in der vorliegenden Auswahl enthaltenen Aufsatz
über Raphael und Michelangelo anführen, der beinahe alle die
Hauptgesichtöpuntte so zu sagen autieipirt, welche in seinem
großen Werke über Michelangelo die leitenden geblieben sind.
In das Studium der modernen Kunst einzuführen, lautet die
ausgesprochene Absicht dieser Auswahl, und wir glauben, daß
sie in ihrer zum Selbstdenken anregenden geistvollen Darstellung
hierzu ganz besonders geeignet sein möchte, viel mehr, als aus-
v führliche Compeudien der Kunstgeschichte, nur massenhaftem
erdrückenden Material und voller ftupender Gelehrsamkeit. Nach-
den, ein kleiner feurig geschriebener Aussatz über die „VenuS
von Milo" gezeigt, warum die antike Kunst bei aller ihrer Er-
habenheit uns ferne bleiben muß. werden wir sogleich in die
Dlüthczeit der italienischen Kunst — Rapbael und Michelan-
gelo — versetzt, um darauf den Verfall derselben in einer be-
sonders gedankenreichen Schilderung „Carlo Seraccni" zu ver-
folgen. In einem vierten Essay gelangt Grimm bereits zur
deutschen Kunst, und zeichnet uns im liebevollsten Eingehen das
herrlicke Wirken unseres „Dürer". Dann dw spanische, nieder-
ländische, französische Schule völlig bei reite lassend, ver-
weilt er kurz bei dem „Einfluß Gocthe's auf die bil-
dende Kunst", um sogleich dw neue klassische Richtung
in „Cmstcnö" und besonders in „Cornelius" zu feiern,
dessen Bedeutung in zwei längeren Essays verständlich
zu machen versucht wird. Diese, wie der foigende Versuch über
„Schinkel" und der Schluß-Aufsatz über Kunstmuseen sind gleich,
sam Zugab n speziell für den Berliner Leserkreis, denn eigent-
lich mußte der Verfasser wohl die Reihe seiner Essays mit Cor-
nelius schließen. Diese Anknüpfung an 5 oder 6 bedeutende
Namen mag sehr fragmentarisch erscheinen, allein cs kam vor
Allem darauf an, zu zeigen, daß Cornelius in gerader Linie
von Michelangelo abstammt, und ihn in ideeller Hinsicht viel-
leicht wirklich überragte. Grimm's Verehrung für den vielfach
verkannten großen Meister ist so absolut, daß er einige seiner
letzten Werke, die ihm nicht wie die früheren zusagen, nicht zu
verstehen fürchtet. Im klebrigen kann die hier und noch an
einzelnen andern Stellen hervortretende Erclusivität seines Stand-
Punktes uns nicht im Mindesten verhindern, den Werth dieser
in verschiedenen Zeiten verfaßten Essays nach ihrer Gedanken-
! fülle, ihrer voüenbeien Form und ihrer überaus ansprechenden
Darstellung vollkommen zu würdigen, und sie auf das Angele-
gütlichste allen Kunstliebhabern zu empfehlen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
/
aus : Kieler Zeitung-Morgenausgabe,Nr* 2429,2431,
1871,Dez.14,15,21, S. 1 2441
Asmus Jacob Carstsus.
Zehn ausgewählte Essays zur ^Einführung in
das Studium der modernen Kunst von Hermann
Grimm. Berlin. Dümmler 1871.
Von Klaus Groth.
Unter dem obigen Titel hat Hermann Grimm
(der Pater, Wilhelm, ist jedem deutschen Kinde
bekannt als der eigentliche Märchenerzähler, der
jüngere von dem berühmten sprachforschenden
Brüderpaar Jacob und Wilhelm Grimm) eine
Auswahl aus seinen Abhandlungen über Kunst
und Künstler zusammengestellt, die mir allerdings
bis auf Einen schon bekannt waren, die ich aber,
zumal in diesem Zusammenhange gern wieder-
gelesen habe, und die ich hiermit dringend Jedem
empfehle, der sich für bildende Kunst ernstlich zu
unterrichten strebt.
Es gewährt mir immer einen hohen und
reinen Genuß, einen Esiay von Hermann Grimm
zu lesen. Ich lese ihn mit der ruhigen Erwar-
tung: eine selbst gewonnene Ueberzeugung voll
und klar ausgesprochen zu finden, so weit sie
sagt stets das letzte Wort, das aus dieser un-
mittelbar als die Wahrheit für ihn emporsteigt.
Daher spricht er ohne Furcht und sagt manch'
kühnes Wort, aber ohne Haß, denn er spricht
nur in der Sache. Wer in neuerer Zeit den
Controversen zwischen Kunstkennern und Künst-
lern über die Holbeinschen Madonnen von Dres-
den und Mannheim und zugleich Grimm's Auf-
satz in den Preuß. Jahrbüchern gelesen hat, der
mag ein Urtheil gewinnen über die Schwierigkeit,
eine objective Ueberzeugung über das wirklich
Schöne zu bekommen (denn natürlich: es läßt
nicht kalt, sondern fordert heraus zu Liebe und
Haß, zu An- oder Ablehnung) und Zutrauen zu
einem Führer in diesem Reiche, wie Hermann
Grimm es ist. Dies beruht zum Theil auf
höchst feiner Organisation dieses Mannes. Wer
in seinen „Unüberwindlichen Mächten" die Schil-
derung des Gemäldes erinnert von der Mutter
des Helden, den wird diese Schilderung noch
anfassen wie wenn er das Bild selbst geschaut
und den Geist, der es geschaffen, wie den, besten
körperliche Hülle es vergegenwärtigen soll. Ich
serm Lande besonders zu empfehlen, das ist der
Aufsatz über Asmus Jacob Carstens, unsern
Landsmann.
Jeder Schleswig-Holsteiner wird den Namen
Asmus Jacob Carstens mit Stolz nennen, mit
demselben Stolz, womit der Däne den seines
Thorwaldsen ausspricht. Denn er war unser,
wie Goethe von Schiller sagt. Es wächst kein
Gravensteiner auf einem Dornstrauch. Es er-
hebt sich kein Genius so über seinen Stamm
h'naus, daß nicht die Wurzeln noch im beimi-
schen Boden stehen. Etwas wird der große
Künstler wohl aus der Hcimath mitbekommen
haben. War eS vielleicht auch bloß die Zähig-
keit und Auedauer, die wir unL doch wohl ohne
Ueberhebung zuschreiben dürfen, der Mannesstolz,
der ihn über das Gemeine erhob. Tie Mitgift
wäre keine kleine gewesen, wenn auch zugleich
eine verhängnißvolle. „Carstens war der erste
bildende Künstler seit Michelangelo/ sagt Her-
man Grimm, „bei dem Charakter und Thätigkeit
ein einziges Ganzes ausmachten, und das Ge-
fühl von der Nothwendigkeit dieser Vereinigung
war es, aus dem die Generation, die nach ihm
sich voll und klar durch Worte aussprechen läßt.
Es findet sich deshalb niemals eine leere Phrase
in irgend einem Aufsatze von Hermann Grimm.
Er sucht vielmehr immer nach dem reinsten Aus-
druck seiner Gedanken, und sein Stil kann daher
mitunter den Eindruck des Gesuchten machen,
wenn er z. B. zur genaueren Bestimmung seiner
Meinung noch ein beschränkendes oder verstärken-
des Adverbium gegen die gewöhnlichen Regeln
der Topik an das Ende des Satzes schiebt. Ge-
sucht freilich nur in dem Sinn, daß er auch
gefunden. Denn auch sein Stil ist im Ganzen
klar, ja schön.
Ich habe jahrelang am Rhein und in Dresden
im Kreise von Künstlern, Malern und Bildhauern
gelebt, gewohnt, täglich verkehrt, vor Kunstwerken
aller Art in Ateliers und Gallerten in tage-
langen Gesprächen mich zu belehren das Glück
gehabt. An diese mündlichen Belehrungen von
Ritschl, Ehrhardt, Bendemann erinnern mich die
Aufsätze, erinnert mich die Sprache Grimm's.
Er spricht — auch in der Schrift — immer wie
aus der unmittelbaren Anschauung heraus und
kenne nichts so Meisterhaftes in dieser Art, durchs
Wort ein Bild zu geben. — Es beruht zum
Theil auf der umfassenden Bildung des Ver-
fassers, dem geistige Mittel zu Gebote stehen,
daß er oft die Summe ziehen darf der gegen-
wärtigen Bildung.
Die zehn Essays handeln über die Venus von
Milo, Raphael und Michelangelo, Carlo Sara-
ceni, Albrecht Dürer, Goethe's Verhältniß zur
bildenden Kunst, Asmus Jacob Carstens,
Berlin und Peter von Cornelius, die Cartons
von Peter von Cornelius, Schinkel, E. CurtiuS
über Kunstmuseen.
Sie beginnen also mit dem schönsten antiken
Kunstwerk, das auf uns gekommen ist — gleichsam
als Einleitung — und gehen von den italieni-
scheu Meistern des Cinquecento über unsere größ-
ten deutschen bis an die Gegenwart. Man
möchte nur bedauern, das Mittelglied der Nie-
derländer nicht durch einen Repräsentanten —
Rubens, Rembrandt, van Dyk — vertreten zu
sehen.
Was mich aber veranlaßt, das Buch in un-
genannt werben muß, sich bildete. Denn was
die moderne Thätigkeit, wo sie groß und nach-
haltig auftritt, in allen Fächern hoch über die
früheren erhaben binstellt, ist diese allgemein
als nothwendig anerkannte Verbindung zwischen
Leben und Thun, daß jedes Werk ein Denkmal
sei der gesammten Existenz. Das giebt Goethe's,
Schiller's und Lessivg's Schriften ihre Wirkung,
das erhebt Beethoven, ja das leuchtet deute selbst
aus Wissenschaften bcraus, bei denen in früheren
Tagen ein dem Charakter des Gelehrten nach
eigenthümlicher Antrieb kaum denkbar war. Und
das auch kennzeichnet beute die echte bildende
Kunst, und wo dieser Zusammenhang zwischen
Werk und Meister fehlt, da ist das Werk in
unserer Zeit machtlos. Denn sei immerhin zu-
gegeben, daß es gelingen kann, für Wachen,
Monate, ja für kurze Jahre auch heute kirnst-
lichen Ruhm aufrecht zu erhalten: keine Macht
dennoch ist stark genug, zu verhindern, daß nach
Ablauf dieser Zeit all' der Ruhm sich in be-
schämende Lächerlichkeit verwandle.
(Fortsetzung folgt.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
2
Asnr-ts Jacob Carstens.
Zehn ausgewählte Essays zur Einführung in das
Studium dev modernen Kunst von Herman Grimm.
Berlin, Dümmler. 1867. 2
Von Klaus Groth.
Von Carstens sogt Herman Grimm in dieser
Beziehung: „Von Anfang an verfolgen wir sein
Streben nach Umfassen alles Geistigen, sein Be-
mühen, sich auf die Höhe der Bildung seiner Zeit
emporzubringen, als muffe ihm alles Uebrige
dann von selbst zufallen."
Ich kann nicht leugnen, daß mir bei diesen
Worten ein anderer großer Landsmann, dessen
Ringen aus dem Nichts empor zu einem unserer
ersten Dramatiker ich genau verfolgt habe, Friedrich
Hebbel, immer mit vorgeschwebt hat. — Herman
Grimm fährt fort: „Dieser Drang, den man die
Seele unsers modernen Bewußtseins nennen
könnte, muß wie in der Luft geschwebt haben.
Denn woher nahm wohl Carstens diese Lehre,
mit der er überall anstieß, an der er beinahe zu
Grunde ging und die unerschütterlich in ihm
lebendig war." Bei allen früheren Künstlern
1 war das Erste: zu leben und dafür vor allem
! Andern zu arbeiten. Selbst Michelangelo will
j Geld gewinnen, sei cs auch nur für seinen Va-
I ter oder seine Brüder. Carstens' große Dürftig-
keit (in Berlin namentlich) entstand besonders
daraus, daß er, als unwürdig erachtend, ferner
sein Brod durch Portraitirm zu erwerben, mit
aller Kraft sich nur auf seine idealen Arbeiten
warf. Zu mächtig aber war das Gefühl in
ihm, er dürfe keinem andern Wegweiser folgen,
als seinem eigensten Instinkte, wie er ihn vor-
wärts trieb. Er freilich ging darauf in diesem
Kampfe, aber er bildete die Lehre, wodurch
Männer wie Schinkel und Cornelius so groß
geworden sind, die Lehre, daß nicht einseitig Kunst,
sondern daß das Leben studirt werden muffe in
seinem ganzen Umfange."
Also wenn eine Mitgift von zu Haus: ver-
hängnißvoll zugleich, ja sogleich vom Anfang
seiner Laufbahn an. Grimm erzählt: „Carstens
hätte früher (ehe er Lehrling bei einem Wein-
bändler in Eckernsörde wurde) bereits treffliche
Gelegenheit gehabt, die Malerei zu erlernen, zu
der von der ersten Jugend auf seine Neigung
stand. Was ihn aber verhinderte, zuzugreifen,
war sein Stolz, und dieser Stolz weht wie ein
schneidender Ostwind, möchte ich sogen, fein gan-
zes Leben durch und hat zum großen Theil seine
Schicksale mit gestaltet.
Durch Vermittelung von Freunden nämlich
war bei dem damals berühmten, in Caffel woh-
nenden Maler Tischbein angefragt worden, ob er
ihn in die Lehre nehmen wolle. Dieser ver-
langte Verpflichtung auf sieben Jahre, Lehrgeld
nicht, wohl aber Dienste seines Schülers als eines
Bedienten. Ties nun hätte Carstens erduldet,
aber daß er auch erforderlichen Falles hinten auf der
Kutsche stehen sollte, wenn der Geheimrath Tisch-
bein ausfuhr, schien dem jungen Menschen zu
stark, und er wies den Vorschlag von der Hand."
Mit demselben Stolz erklärte er später als
Schüler der Malerakademie in Kopenhagen, als
einem mittelmäßigen Schüler ungerechter Weise
eine Auszeichnung zu Theil wurde, die ein An-
derer verdient hatte und hätte haben sollen, in
öffentlicher Sitzung, in der auch er eine Medaille
empfangen sollte: er weise sie zurück. Wofür
mit warmem Strohdach unter hohen Eschen steht,
Enten und Hühner umgackeln es, die Grotdör
steht gastlich offen, wer so weit gekommen, und
die ehrliche Hand von Mann und Frau gedrückt,
der wappne sich gegen die unangenehmste Ucbcr-
raschung, wenn ihm diese harten Hände die
Staatszimmer öffnen: Alles blank und Maha-
gonibolz! Sopha, Stühle, Alles unbequem, auch
eigentlich nur zum Bewundern. Spiegel mit
Svldrahmen, die scheußlichsten bunten Steindrucke,
meistens französische aus Paul und Virginic
und dergl. on den Wänden. Alles aus den
ersten Läden von Kiel oder Hamburg für theu-
res Geld gekauft. Alles erste Mode. Tie ehr-
lichen unmodischen Besitzer paffen dahinein wie
der Müller in einen Tuchladen, fühlen sich auch
selbst unbehaglich.
Das war in früheren Zeiten ganz anders und
bester. Damals war unser Volk ein Volk mit
Kunstsinn und Geschmack. Und warum denn
nicht? Weil es zu nüchtern und verständig ist?
Daö widerspricht gar nicht der Behauptung.
Jeder Handlungslehrling wird sich freilich sogleich
ausnehmen, wenn er einige Jahre an Zeug und
er dann durch ein förmliches Decret aus der
Akademie gestoßen wurde.
Doch mit Zähigkeit und Ausdauer, gar Stolz
und Starrsinn, wird Niemand allein am wenig-
sten ein großer Künstler. Vielleicht, ja wahr-
scheinlich hat Carstens noch eine andere Mitgift
vom Hause, von seinem Volke aus mit erhalten,
die in ihm diesen feinen Formensinn und den
Trieb zu künstlerischer Gestaltung zur Lust und
Leidenschaft erweckt; eine Gabe, von der weder
Grimm noch Carstens' eigentlicher Biograph Fer-
now, der sonst mit so großer Umsicht, mit Liebe
und Verehrung uns alle Spuren dieses kurzen
leisen aber gewaltigen Daseins aufbewahrt hat,
spricht. Darüber möge man mir denn einige
Worte zur Ergänzung gestatten.
Unser Ländchen war in früheren Zeilen, noch
im 17. Jahrhundert nicht so nüchtern. leer an
Kunst und haar des Geschmackes, wie man nach
seinen jetzigen Bewohnern, Wohnungen, Möbeln,
Hausschmuck und Kleidung schließen sollte. Da
herrscht jetzt freilich bei uns die nackte Prosa
oder der Ungeschmack. Wer in das Hans eines
wohlhabenden Bauers tritt, das noch wie einst
bunten Bändern seinen Geschmack geübt. Also
wenigstens ließe Geschmack sich lernen, demnach
auch ruiniren. Wer einmal eine junge schöne
Föhringerin in ihrem Sonntagsstaat gesehen, der
wird zugeben muffen, daß dies wirklichen Ge-
schmaü bekundet nach Formen und Farben. Der
Stamm, der sich diese Kleidung allmählich ange-
paßt, ist noch derselbe von alt her, derselbe der
eben südlrch über die Elbe hinaus die großen
Maler in ganzen Schaarcn geliefert bat. Wo-
durch sollte der denn nördlich der Elbe sogleich
Formen - und Farbensinn eingebüßt haben?
Wodurch sollten wohl N ederländer und SchleS-
wig-Holsteinische Sachsen und Friesen so grund-
verschieden nach Einer Richtung geworden sein,
die dieselbe Sprache redeten, denselben Gedan-
kenkreis in Poesie, Mythologie u. s. w. durch-
laufen hatten? sich dieselben Mährchen erzählten,
dieselben Lieder sangen? Auch keineswegs aus
dem täglichen Verkehr mit einander getreten
waren, wie leider in unseren Tagen.
(Fortsetzung folgt.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
3
Asmus Jacob Carstens.
Zehn ausgewählte Essays zur Einführung in das
Studium der modernen Kunst von Herman Grimm.
Berlin, Dümmler. 1867. 4
Von Klaus G r o t h.
Wodurch mach und nach Kunstsinn und Ge-
schmack bet uns zu Grunde gingen, darüber ließe
sich ein langes Trauerlied anstimmen. Die ge-
bildeten Stände haben aber am wenigsten Ur-
sache, auf die unteren herabzusehen. Sie haben
jedenfalls am meisten Schuld. Die Gleichmacherei
und Glattmacherei kam von Oben herab. AuS
den Kirchen warfen zuerst die Prediger pietäts-
los den „barbarischen" Schmuck, aus ihren Häu-
sern entfernten die Beamten die Schnitzwerke
ihrer Vorväter wie ihre platte Sprache. Dann
folgten die Bauern nach. Sprechen ja jetzt auch
schon, wie jener Wilstermarschbauer sich rühmte,
zur Uebung mit ihren Kindern schlechtes Hoch
und werden dafür auch im „Jtzehoer Wochen-
blatt" von dem Prediger aus der Cremper-Marsch
belobt. So geht es zusammen. Die friesische
: Kleidung z. B. wird ganz sicher aufgehört haben
i zu existiren, sobald die friesische Sprache am
Ende ist.
Man könnte davon eine Reihe tragi-komischer
Geschichten erzählen. Für eine sei nur hier der
Raum gestattet. Daß man allmählich übers
ganze Land die alten zum Theil werthvollsten
Schnitzwerke aus den Kirchen entfernte, sie auf
die Kirchenböden warf, verbrannte, verkaufte, ist
bekannt, hat doch Prof. Thaulow die schönsten
Sachen seiner Sammlung noch vor wenig Jahren
auf einer Auction in Bordesholm erstanden, die
dort Zufall oder Pietät noch an dem bezeichneten
Platze erhalten hatte. Aber daß auch eine ganze
Kirche wegrestaurirt werden konnte, muß wohl
als geschichtliches Curiosum aus der damaligen
Zeit erzählt und aufbewahrt werden.
Husum besaß eine schöne gothische Kirche, in
deren Nähe ein höherer Beamter wohnte. Es
geschahe eines Tages, daß dieser Beamte be-
merkte, wie der Thurm der Kirche nicht bloß
schief geworden, sondern sich zu ihm herüber-
neigte und sein Haus, Heerd und Haupt bedrohe.
Setzte sich alsobald und berichtete nach Kopen-
Hagen an die Kanzlei von diesem drohenden Un-
heil, vorfcagend um Erlaubniß und Geld, selbi-
gem Unheil vorzubeugen.
Nachdem darüber hin und her berichtet und
die Sache wohl erwogen, sahen die Husumer
eines Tages mit Erstaunen, wie man anfing,
ihren Thurm abzutragen. Aber es blieb nicht
beim Thurm, die ganze Kirche verschwand nach
vieler Arbeit und Mühe, denn das alte ehrwür-
dige Gemäuer war so wohl gefugt, daß es der
Aexte und Kuhfüße bedurfte, um es in Stücke
zu zerbrechen und wegzuführen.
Das war gründliche Restauration, wenigstens
der Anfang dazu, gründlicher als an den meisten
Orten, wo man bloß die Wände innen glatt
machte und mit Kalk anstrich.
Freilich hatte sie viel Geld gekostet, so viel,
daß für eine neue Kirche neues Geld beschafft
werden mußte. Woher? das mag uns wenig
interessiren, uns geht nur der ästhetische' Unsinn
hier etwas an, die Barbarei der damaligen sog.
Bildung. Denn sie beging diese Frevel. Der
Bauer ist passiv und conservativ. Er hätte es
schon beim Alten belasten, der Thurm wäre
sicher nicht gefallen und die Husumer besäßen
jetzt noch ihre schöne Kirche. Jetzt baut man
denn einen Kasten wieder, den der Fremde schon
aus der Ferne mit der Frage beschaut, was es
wohl bedeuten möge? Schauspielhaus? Circus
Renz? Biertrichter? Sägemühle? Irgend etwas
Sonderbares müsse es sein. Und er nimmt die
Idee mit zu Hause: welch ein geschmackloses
Volk in diesen friesischen Marschen wohne. Frei-
lich, das sei, meint er, ja auch ganz natürlich,
denn die Leute sprächen plattdeutsch.
Zur Zeit von AsmuS Jacob Carstens, vor
nun bald 100 Jahren, mag von dem alten
Kunst- und Formensinn noch etwas im Volke
übrig gewesen sein, das ihm sich offenbarte.
Gezeichnet hat er schon sehr früh. Auch hatte
er im schleswiger Dom das größte Kunstwerk
friesischer Holzschnitzerei, den herrlichen Allar von
Brüggemann, der vollständig mit den berühmten
Ghuibertischen Broncethüren in Florenz wetteifern
kann, ein Kunstwerk, das für sich allein beweisen
würde, daß hier eine lang trainirte Schule und
ein lange erzogenes Volksurtheil ihin vorherge-
gangen und zur Seite gestattden, dies hatte
Carstens beim Kirchenbesuch und gewiß auch in
den Spielstunden vom nahen Gymrtasium ans
vor Augen.
Der directe Einfluß dieses Bildwerks auf
Carstens ist niemals nachgewiesen. Doch finden
sich, wie ich meine, Beweise dafür in den Ge-
stalten deL Malers. Er ist freilich Brüggemann
gegenüber selbständiger als z. B. Thorwaldsen es
ihm gegenüber ist. Beim Thorwaldsen möchte
man fast in jeder Linie die Conturen Carsiens'-
scher Erfindung erblicken, einzellie Gestalten wie
die herrliche Nacht und Morgen gehören der
Hauptsache nach Carstens ganz und gar an.
Aber z. B. in dem schönen Carstens'schen
Blatt, wo der Socrates im Korbe am Boden
hängend darstellt, ist der Sophist, der mit Süffi-
sance zu ihm ausblickt, ganz dieselbe Figur, welche
sich bei Brüggemann in dem Felde von den
ausziehenden Juden findet.
Mit Recht also dürfte sich Schleswig-Holstein
des Mannes als des Seinen rühmen, da es ihm
nicht blos das nackte Dasein gegeben, sondern
ihn reich ausgerüstet aus dem Schatze uralten
Besitzthums, aus dem Erbtheil seiner Vorväter
mit den Gaben des Geistes und Gemüths, mit
denen er gewuchert, als deren treuer Verwalter
er aber auch einsam dasteht in unerkannter Größe
und untergeht in der Fremde.
Denn wenn man es den Dänen gönnt, daß
sie ihren Thorwaldsen hoch halten, sich seiner
rühmen als Landeswunder, wenn utan es als
die reinste. Fornt des Patriotismus, als edelste
Seite ihres Characters lobt: daß sie ihre großen
Männer hoch halten, wenn man es nicht anders
als natürlich findet, daß jeder Italiener die Fla-
men Raphael und Michelangelo im Munde führt,
so wird man uns schon ein ähnliches gönnen.
(Schluß folgt.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Asmus Jakob Carstens
Bon vr. Klaus Groth.
HI.
Nun aber, was hat denn Carstens gemacht? Wo findet sich
etwas von ihm, was man sehen kann, um es mit zu bewundern
und freudig nachzuholen, was der Einzelne doch ohne Schuld
versäumt hat? Im Lande gar nichts. Das Beste ist in Wei-
mar, der große Goethe hat dessen Ankauf veranlaßt, vieles in
Kopenhagen. Das Verzeichniß zum Schluß der Brochüre des
Herrn von Alten gibt über manches das Nähere an. Doch
ist es darin nicht vollständig. Es wäre zu wünschen, daß Kun-
dige das Fehlende ergänzten. Gewiß finden sich noch in Lübeck
einzelne Portraits von Carstens, die Niemand kennt und die das
Verzeichuiß des Herrn von Alten (108 Nummern stark) ver-
größern könnten. Carstens verdient wohl diese Nachforschung.
Vielleicht sind selbst noch in Schleswig-Holstein Arbeiten von
ihm versteckt. Nur Kenner werden sie entdecken, denn sie sind
unscheinbar. Carstens verschmähte jeden Schmuck, selbst meistens
die Farbe.
Einen Theil seiner schönsten Arbeiten sahen wir in Kiel bei
der Eröffnung unserer Kunsthalle im Jahre 1857 vereinigt.
Unter ihnen war dasselbe Thema behandelt wie von Ra hl in
dessen vielbewunderten Wandgemälden, dessen Entwürfe wir im
letzten Winter bei uns ausgestellt sahen: Homer, der den ver-
sammelten Griechen seine Gedichte vorträgt. Worin lag denn
das staunenswerth Große, das Epochemachende dieser einfachen
Rothstiftzcichnungen im Vergleich zu Rahl's strahlender Darstel-
lung? So fragt mit Recht mancher einsichtige Beschauer, dem
keine weitere kunsthistorische Kenntnisse zu Gebote stehen. Auch
darauf werbe ick ffitimm antworten lassen. Nur sage ich im
Voraus, daß alles, was auch wir von Carstens gesehen, nur
Entwürfe waren, daß Carstens es niemals bis zu einem ferti-
gen Gemälde gebracht, daß er niemals ein monumentales Werk
geschaffen, das auch dem Laien in der Kunst seine Größe ver-
ständlich und eindringlich gemacht. Und dies ist eben das Trost-
lose seiner Zeit, seiner Lage, seiner Verhältnisse, dies ist eine Schuld,
die nicht er zu tragen hat. Er hat darum gekämpft mit Man-
gel, mit Neid, mit Verkennung, bis er endlich, eh' er das Ziel
seines Lebens erreicht, das Ziel seines Daseins und Leidens fand.
Er wurde geboren 1754 den 10. Mai und starb, erst 44 Jahr
alt, den 25. Mai 1798 zu Rom an der Schwindsucht.
Ich unternehme es nicht, hier diesen schmerzlichen Lebenslauf
im Einzelnen zu schildern; ich verweise deswegen besonders auf
obige kleine Schrift von F. v. Alten. Ausführlichere Nach-
richten gibt, wie schon erwähnt, Fernow, ein treuer Gefährte
der letzten Jahre unseres großen Landsmannes, in einer hübsch
geschriebenen Biographie über ihn. Nur so viel sei vorläufig
mitgetheilt, daß Carstens, nachdem seine Eltern früh gestorben,
von seinen Vormündern als Lehrling in eine Weinhandlung in
Eckernföcde gegeben wurde, wo er es 3 Jahre aushielt. Dann
ging er nach Kopenhagen, später nach Lübeck. Er versuchte nach
Italien zu dringen, mußte aber Mangels halber umkehren.
Dann kam er nach Berlin und fand hier nach Jahren in
dem Minister v. Heinitz einen Protektor. So gelangte er nach
Rom. Doch hatte er noch schmählich zu leiden, bis er die Pro-
tektion, die eine Fessel wurde, abschüttelte. Mit stolzem Haupt
ging er einsam seine Wege bis zum Grabe, fast nur Italiener
und Engländer haben ihn bei Lebzeiten anerkannt.
„Kein schmerzlicherer Anblick, sagt Hermann Grimm, als
die Laufbahn eines solchen Schicksals. Man möchte irre werden
an der Vorsehung. Die auf gegenseitiger liebevoller Hülfe be-
ruhende menschliche Gesellschaft erscheint dann wie ein trübes
Gewässer, in dessen Tiefe ein Vogel hinabgerissen wurde. Das
Element, das die Fische und das Gewürm da unten belebt,
nimmt ihm den Athem, und bald liegt er todt auf dem Grunde,
während die Fische kalt und theilnahmlos wie zuvor durch ein-
ander eilen und ihre Nahrung suchen. Berühmt, aber in seinen
Werken kaum gekannt; ein "deutscher Künstler, aber nichts
empfangend von seinem Vatcrlande, und in Italien von Ita-
lienern und Engländern zumeist gewürdigt; ohne Einfluß beinahe
auf die deutsche Kunst seiner Tage, und mit Hohn von den
deutschen Künstlern zurückgewiesen, dennoch von solcher Einwir-
kung auf die Entwickelung der europäischen Kunst, daß er heute
schon als der Urheber der Richtung dasteht, deren Werth und
Größe immer deutlicher hervortreten, und die einst alle andern
Anstrengungen heutiger Kunst überragend dastehen wird. Ein
Mann, der, was die Höhe der Begabung und den Reichthum
der Anschauungen anlangt, auf einer Linie mit den allergrößten
Meistern steht. Aber nur Wenigen bin ich bisher begegnet, die
ein deutliches Gefühl von dem Umfange seines Einflusses hatten "
Diesen Einfluß und damit die Große des Mannes zeichnet
Grimm am besten in folgenden Worten. Nachdem er gesagt,
daß ein widriges Schicksal ihn spät habe beginnen lassen und
früh durch den Tod abgerufen, fährt er fort: »Das Wenige,
was er in dieser geringen-Zeit leistete, ist bedeutend genug und
hat ungemeine Frucht getragen. Denn obgleich Carstens keinen
Schüler hatte und seine Werke nicht in öffentlichen Besitz ge-
langten, um in spätern Zeiten dem Volke sich einzuprägen: sie
und der Charakter des Mannes haben dennoch in großen Künst-
lern fortgelebt, Malern und Bildhauern, und in ihnen wie eine
neue Incarnation des hinweggeschwundenen Meisters arbeitend,
die moderne Kunst geschaffen und ihr Inhalt, Namen und
Würde verliehen. Thorwaldsen in erster Linie, Wächter,
Schick und Cornelius empfingen in dieser Schule den ent-
scheidenden Anstoß. Auch Schinkel ging aus ihr hervor.
Carstens war der erste bildende Künstler seit Michelangelo,
bei dem Charakter und Thätigkeit ein einziges Ganze ausmach-
ten, und das Gefühl von der Nothwendigkeit dieser Vereinigung
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war es, aus dem die Generation, die nach ihm genannt werden
muß, sich bildete." Dürfen wi" uns rühmen, daß er von die-
sem Charakter etwas aus der engeren Heimach mitgebracht?
Fast scheint es. Hebbel zeigt.Jch in mancher Beziehung ähn-
lich, auch Roß wie mir scheinen will; die Gegenwart, in der sic
leben mußten, nannte es natürlich Stolz.
»Es giebt ein Wort, mit dem man das zu bezeichnen pflegt,
was vor Carstens' Zeiten in der Kunst geherrscht. Man sagt,
er und seine Schule hätten dem Zopf ein Ende gemacht. Was
ist das eigentlich, das so genannt wird?" Doch für die Antwort
auf diese Frage muß ich den Leser auf Grim m's Brochüre ver-
weisen, mich freuend, wenn ich seine Neugier erregt habe. Nur
noch zum Schluß ein Citat in Bezug auf Carstens' letztes Werk:
»Alles ihm verwehrt vom.Schicksal, Alles trug er in seiner
Seele, und was er niemals selbst genoß, stellte er schöner und
wahrhaftiger hin, als die selber, die es besaßen oder besitzen, es
nur zu empfinden im Stande wären. Und auch dies letzte
Werk, alle früheren überragend, es wäre, hätte Carstens weiter
schaffen dürfen, nur eine Vorstufe , gewesen zu dem, was er dann
erst, in voller Meisterschaft vielleicht, der Welt geschenkt, und es
konnte in diesem Sinne an seiner Gruft von Fernow gesagt
werden, ein Künstler werde hier in die Erde gesenkt, der von ihr
habe scheiden müssen, ehe er sich durch ein großes monumentales
Werk, das einmal zu schaffen seine ganze Sehnsucht gewesen,
den Eintritt in die Unsterblich^'? erkaufte. Diese Unsterblichkeit
wird, denk ich, die Zukunft Carstens dennoch nicht streitig
machen; heute schon kann das mit Sicherheit gesprochen werden.
Je weiter wir fortrücken von den Tagen, in denen er arbeitete,
um so einsamer wird er über diese Zeit hinauswachsen. Schon
jetzt steht er groß genug da. Aber es genügt nicht. Deutlicher
noch als heut' wird einst erkannt werden, wie viel die Nach-
folgenden ihm verdanken. Selbst wenn seine Werke untergingen,
sein Name würde bestehen und Jeder wissen, was er bedeutet."
Noch empfehle ich „die Zeichnungen von A. I. Carstens in
der großherzogl. Kunstsammlung zu Weimar. In Umrissen ge-
stochen rc. von W. Müller. Mit Erläuterungen von CH.
Schuchardt, ! l Hefte Weimar und Leipzig & Heft V* Thlr.,
auf chines. Papier I Thlr." Sie sollten bei jedem Wohlhaben-
den nicht auf dem Tische fehlen, wenn diesen Sommer die Künst-
ler Deutschlands erscheinen, unserm großen Landsmann zu Ehren.
Kiel, Mai 1865.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
>1
aus : Beilage zum Kieler Wochenblatt, 1865, Mai
Asmus Jakob Carstens.
Bon Dr. Klaus Groth.
Der Maler Asmuö Jakob Carstens, geb. 1754 zu
St. Jürgen bei Schleswig, ch 1708. Skizze von F.
M. Alten. Schleswig 1865.
t Künstler und Kunstwerke von Hermann Grimm.
Aprilhest. Inhalt: Asmus Jakob Ca rsten s. Vortrag.
— Michelangelo's Gedichte rc. Berlin. December 1865.
I.
Zu rechter Zeit erscheint unter obigem Titel von dem Baron
v. Alten in Oldenburg ein Schriftchen über unsern berühmten
Landsmann, das wenn es auch (nach Fernow's Arbeiten) nicht
gerade Neues an Material liefern kann, wenigstens in einem
neuen Gewände in kurzem Umriffe die Erinnerung an Carstens
auffrischt. — Die deutschen Künstler haben nämlich in ihrem
Verein im vergangenen Jahre den Entschluß gefaßt, dem Vater
und Schöpfer der neueren Kunst — denn das ist Asmus Car-
stens für die Malerei sowohl wie für die Bildhauerei — in
St. Jürgen, auf der Stelle, wo er geboren, ein Denkmal zu
setzen. Der Bildhauer Gilli in Berlin hat sich erboten, einen
Marmorblock dazu zu schenken; ich vermuthe, daß er ein Relief-
portrait von Carstens in Marmor liefern und daß man dieses
an einem geeigneten Postament, umgeben vielleicht von einem
schützenden Eisengeländer, anbringen wird. So wenigstens sprach
sich Herr Gilli auf der Reise nach Schleswig bei seiner Anwesen-
heit in Kiel im vorigen Jahre über das Unternehmen auS.
Aber was ist ein Denkmal ohne Erinnerung? Den gefalle-
nen Helden unserer Kämpfe und Kriege mag man eine schlichte
Gedenktafel in der Kirche aufhängen, ihre Namen genügen zur
Erzählung ihrer Thaten, die Jedermann bekannt sind und die
in der Erinnerung ewig bleiben werden; eine Kanone mit dem
Namen Preußer auf dem Eckernfö'rder Kirchhofe erweckt die
ganze Geschichte vom muthigen Kampfe, vom Leiden des Volks,
von seiner Erlösung. — Wer aber weiß etwaS von Asmus Car-
stens und seinen Thaten? Wo fände sich in Ditmarschen, in
Eiderstedt, in der Wilstermarsch, in Stormarn etwa einmal eine
Gesellschaft zusammen, die bei dem Namen Carstens elektrisirt
würde? ja die ihn vielleicht nur einmal gehört! Selbst in Dorf-
schulen erzählt man den Kindern von dem »berühmten griechi-
schen Maler Apelles", oder von Raphael, aber es ist die Frage,
ob unsere Gymnasiasten von dem Müllerslohn aus Schleswig
an der Schlei wissen, der nicht weniger unsterblich leben wird,
so lange noch von Malerei die Rede ist.
Ist dies nicht ein beklagenswerther Zustand deutscher oder
schleswig-holsteinischer Bildung? England zählt keinen einzigen
so berühmten Namen unter seinen Malern, wie Carstens es ist,
aber in England weiß Jedermann von seinem Thiermaler Landseer,
von seinem Landschafter Turner. Auf einem großen Feste in
Antwerpen 186! sah ich bei einer Illumination Tafeln mit den
Namen der einheimischen Künstler: Teniers, Jan Steen, Ru-
bens rc., ich hörte, wie die Leute aus dem Volke auf Hvlzschuhen
sich die Namen mit Begeisterung beim Vorübergehen vorlasen,
wie sie Zurechtweisung gaben oder empfingen, wenn man ein-
heimische Namen, z. B. Teniers, französisch und nicht nach
den Buchstaben las. Ich hörte cs mit Rührung an, aber auch
mit Beschämung, denn ich dachte, wenn man bei uns einige Ge-
denktafeln errichten würde, etwa mit den Namen Hans Brügge-
mann, Asmus Carstens, Charles Roß — wie viele
würden sie wohl auch nur mit Verständniß lesen? wie viele
wissen, daß es drei berühmte Schleswig-Holsteinische Bildner
bezeichne.
Auch hieran ist zum Theil unsere frühere Verbindung mit
Dänemark schuld. Sie nahmen uns nicht blos das Geld, sie
raubten uns auch unsere großen Männer. Was sich locken ließ,
lockten sie nach Kopenhagen und dann mußte es ihr eigen wer-
den mit Leib und Seele, wie z. B. der noch lebende Bildhauer
Bissen aus Schleswig, der sich dazu konnte gebrauchen lassen,
den berüchtigten Flensburger Löwen zu machen. Was nicht zu
locken war, wurde gehetzt, das trieben sie nach dem Süden hin-
aus aus dem Lande oder vernachlässigten es, bis Mangel oder
Ueberdruß dies Geschäft übernahmen. Carstens' Grabmal ist
in Rom an der Pyramide des Cestius, Hebbel liegt in Wien
begraben, Niebuhr in Bonn.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Sb
Doch das wäre nicht das Schlimmste, deutsche Erde ist ja
heimische Erde, und selbst wer im fremden Lande ruht, ruht
wohl, wenn er im Herzen der Seinigen fortlebt. Und dafür
müssen die Seinigen sorgen können. Sie müssen von ihm er-
zählen, von seinen Thaten, seinen Leiden, seinem Streben, —
wenns ein Privatmann ist, im Familienkreise, wenn ein öffent-
licher Charakter : Künstler, Dichter oder Gelehrter, öffentlich und
laut. Jede neue Generation muß zu ihm aufblicken lernen,
ähnlich Strebenden muß er ein Vorbild werden. Dies ist das
rechte Denkmal, das ein Land seinen edlen Söhnen setzt, dazu
ist ein Maal in Erz oder Stein blos ein Mittel der An-
knüpfung. Aber dazu muß man ihn fühlen ganz als den
Seinigen, und dieß haben unsere dänischen Herrscher nie gelitten.
Sie haben unsern Größen das Herz des Volkes geraubt, ja was
das Aergste, dem Herzen des Volkes seine Größen, seine beste
Nahrung. Darum ist auch sein Mund zuletzt verstummt.
Wenn die deutschen Künstler vor zwei Jahren den Vorschlag ge-
macht hätten, unserm Carstens einen Denkstein zu setzen, so
wäre gewiß die kopenhagener Akademie ihnen zuvor gekommen,
hätte den deutschen Mann als den ihrigen erklärt, als einen
Südjüten, der auch einmal auf der dänischen Malcrschule seine
Künste gelernt und den Deutschen später beigebracht, der freilich
nie eine Medaille bekommen, aber blos weil er so grob gewesen
sie sich zu verbitten.
Jetzt ist er unser. Und wenn die deutschen Künstler, ihm
zu besonderm Dank verpflichtet, sein Andenken in ihrer Weise
ehren, so wollen wir im Lande wenigstens etwas von dem
unsererseits Versäumten nachholen. Denn leider können wir
nicht alle Last der Schuld auf fremde Schultern wälzen.
Wiederum ist uns ein kunstsinniger Mann, der nicht dem enge-
ren Vaterlands angehört, in dem Baren von Alcen vorange-
gangen. Und während ich dieses schreibe, folgt ihm der Sohn
des Märchenerzählers und großen Sprachgelchctcn Wilhelm
Grimm, als der Verfasser des Lebens Michelangelos in der
Kunstgeschichte mit hohen Ehren genannt, in der zweiten Schrift,
die ich oben angeführt habe.
Beide Schriftchen ergänzen sich gegenseitig glücklich. Von
Aliens Brochürc ist mehr erzählender Art. Von Alten kennt
unser Land, er har einst in unsern Reihen mitgesochlen. Grimm's
Büchlein ist, als eine am 6. Ma'rz.d. I. in Berlin gehaltene
Rede, mehr betrachtender kunsthistorischer Natur. Es soll aber
hier nicht meine Ausgabe sein, diese Bücher kritisch zu besprechen
oder gar ihren Werth vergleichend abzuwägen, sondern nur sie
zu benutzen, um einige Thatsachen über Carstens mitzutheilen
und einige Reflexionen aus den Schriften anzuführen, die, aus
der Ferne kommend, die Ueberzeugung beibringen, daß ich als
Eingeborner nicht zu hoch von unserm Landsmann rede. Doch
darf ich auch noch auf die vorangehenden 3 Hefte der Zeitschrift
Grimm's, die sich nach Zweck und Art der Darstellung an seine
bekannten „Neuen Essays" und an seinen Michelangelo an-
schließen, als auf eine geistvolle und ansprechende Lectüre jeden
Kunstfreund aufmerksam machen. Ein Mann von so feinem
Sinn und solcher unbestechlichen Wahrheitsliebe ist gerade in
diesem Fache ein Schatz für die Literatur und die Kunstwelt.
(Fortsetzung folgt.)
Asmus Jakob Carstens.
Von vr. Klaus Groth.
II.
Wenn man in der Stadt Schleswig die Straße nach An-
geln hinaus den steilen Gallberg hinansteigt, wie ich daß auf
meinen Fußreisen im lieben Vaterlande so oft, im schönen
Sommer mit solchem Entzücken gethan, so trifft man fast auf
der Höhe eine Windmühle in holländischer Form, eine Achtkant,
wie der technische Ausdruck ist, mit Zwickstell, wie der balcon-
artige Umlauf um die Mühle genannt wird. Unsere Wind-
mühlen sind für die Landschaft ein gar fröhlicher Schmuck.
Belebend winken sie aus der Ferne mit ihren beweglichen Armen,
gar oft verbergen sie in ihrem Innern eine poetische Existenz,
jedenfalls bezeichnen sie immer einen Fleck, wo die Elemente die
rohe Arbeit verrichten und der Mensch für Beachtung und Be-
trachtung Zeit und Ruhe hat. — Auch Claus Harms war eines
Müllers Sohn. Er spricht es in seiner Lebensbeschreibung aus,
daß er sein Lebelang mit rechter Herzensfreude jede Windmühle
habe gehen sehen, — so lange seinen erblindeten Augen das
Sehen möglich war. Die Mühle auf dem Gallberge in Schles-
wig, zum St. Jürgenskirchfpiele der Stadt gehörig, ist nicht
genau der Fleck, an dem Asmus Carstens' Wiege stand. Die
väterliche Mühle lag, wenn man über Schleswig hinaus steht,
etwas weiter hinunter. Es war eine alte sogenannte Bockmühle,
das Gebäude vielleicht noch malerischer, die Aussicht über die
Stadt, den Dom, das Schloß Gottorf, die Schlei und Haddebye
mit der ältesten Landeskirche ebenso schön wie jetzt. Dort wird
man das Denkmal setzen. Kein Wunder wenn hier ein großer
Landschafter geboren worden. —
Aber so klar sind nicht immer die Beziehungen zwischen Jugend-
eindrücken und Entwicklung. Was Carstens dargestellt, das sind,
was er hier nicht, was er mit leiblichen Augen überhaupt nicht
sah, fast nur griechische Menschengestalten: Homer, Achill,
Odysseus, Alcibiades, Socrates, die griechische Unterwelt mit ihren
mythischen Figuren. Was hat er dazu zu Hause empfangen? —
Wer kann cs sagen? Vielleicht doch den Grundstoff zu allem:
Poesie, als Empfindung für Reinheit, Wahrheit und Tiefe. Denn
in seinen Arbeiten ist, wie Goethe sagt, das Verdienst, welches
seine Quelle in der Brust des Künstlers, in den schönen Eigen-
schaften seines Geistes und Herzens hat. — Seine Mutter war
eine gebildete Frau, sie trieb unter andern etwas Blumenmalerei,
von ihr bekam er also wohl die erste Anregung zum Zeichnen
und zum Farbengebrauch. Welche Anregung konnte er auch
sonst bekommen in einem Lande, wo man nur Butter macht,
Ochsen gräs't oder Rappsaat und Weizen erzeugt, wo für die
Künste kein Boden, für Künstler keine Luft, wo man nicht
fingt — wie das ja alles längst geschrieben steht. Italien er-
zeugte Bildhauer und Maler, der Geist wuchs in Frankreich wie
bei uns die Gerste, am Rhein der Wein und die Sänger. So
hat man uns gelehrt. Oder hätten wir's nicht glauben sollen?
Oder war vielleicht das unsere wahre Schuld, daß wir's geglaubt?
Asmus Carstens besuchte die'Domschule, oder vielmehr er
besuchte, den Dom, denn in der Schule hat er nichts gelernt
noch empfangen. In dessen weiten Hallen verzehrte er sein
Butterbrod, und dann sprach zu ihm ein hoher schleSwig-holstei-
nischer längst abgeschiedener verwandter Geist vom Altare her-
unter, dem auch das Vaterland noch ein Denkmal in seinen
Herzen schuldig ist, denn das Monument hat er sich selber ge-
setzt : Hans Brüggemann aus Husum, der Schnitzer des Altar-
blattes in der Schleswiger Domkirche. An ihm ist Carstens
zum großen Maler, zum Gründer geworden einer neuen Rich-
tung der Kunst, die nach Raphael's und Michelangelo's Zeit mit
einem neuen Princip einsetzte und eben auf diesem fußend eine
frische Blüthe statt der absterbenden künstlichen Blumen möglich
gemacht, ja ihre höchste Entfaltung gewiß noch nicht erreicht hat.
— Doch darüber lasse ich besser nachdem Hermann Grimm als
Autorität sprechen. — Also eine heimische Wurzel! Und von
Schleswig-Holstein aus wäre der Anstoß gekommen zur neuen
Kunst, die dann in Rom Wurzel faßte, deren Zweige in Frank-
reich, Belgien, England und Deutschland, auch in Dänemark
durch einen Thorwaldsen aufgeblüht? Und wir hätten kaum auch .
nur davon sagen hören? Wie wär es möglich/ Und doch ist es
einfache Thatsache. Gerade in der allerprosaischsten Marsch und
ihren Grenzen, um Husum, Bredstedt herum, nach Eiderstedt
und Ditmarfchen hinein muß sich im 13. und 16. Jahrhundert
wie in Holland eine Malerschule so hier eine Schule der
Bildschnitzerei entwickelt haben, von der Brüggemann
nur die Spitze war. Ein solches Genie kann niemals einsam
stehen, cs bedarf einer Unterlage an Heuern und Theilnehmern,
begeisterte Mitarbeiter und Abnehmer, mit einem Worte Schule
und Publikum, um so hoch zu ragen und doch zu stehen, so gut wie
ein Thurm einen Unterbau bedarf. Damals ist das halbe Volk
dort ein künstlerisches gewesen. Dies wird auch bestätigt durch
die Unzahl von Schnitzwerken, die leider feit 30 Jahren aus dem
Lande verkauft sind, verschleppt nach England und Frankreich,
bis nach Pau in den Pyrenäen. Manche Pariserin wiegt sich
üppig in einem Lehnstuhl, neu mit Seide gepolstert, den vielleicht
ein Bredstedter oder Ostenfelder Bauer für seine Braut oder
Tochter geschnitzt hat. — Brüggemann's Altarblatt aus Eichen-
holz aber ist in seiner Weise so vollendet, wie nur (dem Mate-
rial angemessen) die berühmten Thüren von Ghiberti an der
St. Johanniskirche in Florenz, wie sie in genauer Nachbildung
im Krystallpallast in London zu sehen sind, von denen Hermann
Grimm in seinem „Michelangelo" schreibt: „Am 19. April 14*24
wurden die beiden Thüren in ihre Angeln gehoben. Ghiberti's
Ruhm verbreitete sich jetzt in ganz Italien. Ghiberti nebst drei
anderen sind die Gründer einer neuen Kunst, die in Raphael
und Michelangelo zur Blüthe kam." — Ich scheue mich fast
hinzuzusetzen: Brüggemann und Carstens wurden vergessen.
(Schluß folgr.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
aus: Nationalzeitung- Mrgenausgabe, Nr.267,
1865,Jun.11, S. 2-3
Hermann Grimm s Essay s.
Neue Essays überKunst und Literatur von Hermann
Grimm (Berlin, Dümmler's Verlagsbuchhandlung, 1865).
Aus England und Frankreich herübergekommen, findet
seit einer Reihe von Jahren die Kunst deS EffaY'S eine
immer größere Pflege, größeren Anklang bei uns. Die Ueber-
zeugung bricht sich Bahn, daß wir auch in dieser Gattung
der Literatur unsere Vorgänger und Vorbilder erreichen wer-
den; wie ja die jüngst veröffentlichten Briessammlungen be-
wiesen haben, daß unsere besten Geister ebenso gut Briefe
zu schreibe» verstanden, als Voltaire und Diderot und Marie
von Sevigne. Man möchte sagen, unsere vielgeschäftige
Gegenwart habe ein dunkfis Gefühl von der Nothwendigkeit
der Essay's, die ihr in gefälliger, leicht übersehbarer Form
eine Fülle deS Wtssenswürdigstm darbieten und sie, ohne ihr
einen allzugroßen Theil ihrer kostbaren, für politische Fragen
und industrielle Bestrebungen verwendbaren Zeit zu rauben,
über die verschiedenartigsten Dinge unterrichten. Fast uner-
meßlich ist unser Besitz in Künsten und WisseHchaften,
täglich schwillt er durch neue Entdeckungen und Forschun-
gen an, mit ihm steigen die Forderungen, die wir an
einen gebildeten Mann stellen. Was brauchte vor hundert
Jahren selbst ein Gelehrter von Aegypten und China zu
wissen? Jeder, der jetzt eine Universität bezieht, weiß mehr
von diesen Ländern und Völkern, als Voltaire. Und wie in
diesem, so in allen Fällen. Die „bewunderungswürdige"
Kenntniß deS Alterthums, daS heißt: eine außerordentliche
Belesenheit in den klassischen Schriftstellern der Griechen und
Römer — die das achtzehnte Jahrhundert in einzelnen
feiner Gelehrten anstaunte, war leicht zu erlangen.
Damals betrachtete man eben dies Alterthum als einzige
und hauptsächliche Quelle der Bildung. Nur in den
dürftigsten Fragmenten war die Geschichte, Kunst und Kultur
deS Mittelalters bekannt. Namen wie die Dante'S, Shak-
speare'S, Calderon'S wurden nie in der gebildeten Gesellschaft,
bis in die Mitte deS 18. Jahrhunderts, gehört. In Lessing'S
„Laokoon" sucht man vergebens eine Bemerkung über Michel
Angelo, Rubens oder die großen niederländischen Landschaf-
ter; wer könnte heute „über die Grenzen d-r Dichtkunst und
Malerei" schreiben, ohne sie zu erwähnen? Es ist die Auf-
gabe der Gegenwart, diesen geistigen Besitz, den die Mensch-
heit erworben, zu ordnen, die Goldbarren dieses Schatzes zu
Goldmünzen zu verarbeiten und zu verbreiten. Nur Wenige
finden jetzt noch Zeit und Muhe, sich ausschließlich einem
Gegenstände zu widmen. Dies mag beklagt werden, aber
zuletzt lebt doch Jeder nur in feiner Zeit und muß sich wider-
strebend oder gutwillig ihren Forderungen fügen. Hier tritt
nun der Essay als die Erfüllung eines unabweiSlichen Be-
dürfnisses auf. In engster Verbindung steht er mit dem Auf-
kommen und der wachsenden Macht der Zeitungen. Die
erste Zeitschrift — im würdigen Sinne des Worts — der
englische „Zuschauer" hat auch die ersten Essay's, die von Addison
und Steele hervorgebracht. Der Essay giebt mehr und we-
niger als ein gelehrtes Werk über denselben Gegenstand;
weniger, denn er vermag und will den Gegenstand weder
nach allen Seiten betrachten noch in all' seine Beziehungen,
Ursachen und folgen eindringen; mehr, denn indem er eine
Seite vor allen ins Auge faßt, hierauf Aufmerksamkeit und
®eoanfctt macht er sie und mit ihr den Gegen-
Übst dem Leser oder Hörer deutlicher, verständlicher,
zugänglicher. Es ist da wie beim Bergsteigen. Wer während
des Weges nicht stillsteht, sich nicht wiederholt umschaut, ge°
nicht vom Gipfel eines schöneren und überraschenderen An-
bucks,. als der andere, der überall verweilend, den Weg mit
all fernen Krummungen, den Berg mit seinen Eigenheiten
besser kennen lernt, oben aber, da seine Augen schon gesättigt
fiud, nur noch die Hälfte deS Genusses empfindet. Der
Essay soll ein Kunstwerk sein, unsern Verstand wie unsere
Phantasie gleich beschäftigen, nicht eine wissenschaftliche Ab-
Handlung, die nur den Inhalt, nicht die Form der Dar-
stellung berücksichtigt. Wie im Kunstwerke soll sich auch in
ihm der Geist des AutorS abspiegeln, je reicher und origina-
ler dieser Geist ist- desto eher wird sich dann der Essay an
die größeren und reineren Kunftschöpsungen anschließen dür-
se». Emerson in philosophischer, Macaulay in historischer
Anficht schemen mir zwei hervorragende Muster zu sein, ihre
Vorzüge zu vereinigen bleibt die schöne und schwere Aufgabe
d.s deutschen Geistes.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
L
Weitaus befriedigen die neuen Essay's von Hermann
Trimm jeden künstlerischen Anspruch, den wir erheben können.
In gewählter Form redet ein vornehmer Geist zu unS, eine
edle Sprache umrauscht unS mit wohllautendem Klang. Wer
ein Ohr für den Fall der Worte hat, fühlt sich, ganz abge-
sehen von dem Inhalt, schon durch die Zusammenstellung
glücklich gewählter Ausdrücke, angezogen. „Wir haben heute
kaum ein Stück Arbeit," sagt Grimm einmal, „daS wir mit
Sicherheit für eine eigenhändige Arbeit dcS PhidiaS erklären
könnten, aber der bloße Name des Mannes, welch' ein Klang! alS
sagte man Frühling, Sonne, Ruhm, Liebe, Glück, wo jedes
Wort nichts Bestimmtes und doch Alles bedeutet. Oder
wenn wir RafaelS Namen aussprechen — eS ist alS rissen
die Wolken und es verwandelte sich ein trüber Herbsttag in
einen lachenden Junimorgen." Solchen Sonncnglanz besitzt
auch Grimm'S Darstellung nicht immer, denn er fällt zu-
weilen, oder besser, läßt sich mit einer gewissen Absichtlichkeit
aus dem Erhabenen in die Trivialität fallen, so wenn er
von den Genossen deS Platonischen Gastmahls sagt: sie wären
einer nach dem andern „besoffen" hingefallen und nur
Sokrates habe mit wenigen andern bis zum Morgen „fort-
gekneipt." Im Allgemeinen herrscht daS Glänzende, das
Schöne vor. Dem Gewände entspricht das Wesen. Eine
liebenswürdige Empfänglichkeit, eine warme Begeisterung
bringt Grimm feinen Lieblingen und ihren Schöpfungen ent-
gegen. Oft werden die Ansichten deS LeserS und deö Ver-
fassers weit auseinander gehen, dennoch folgt man willig der
ruhigen, klaren Auseinandersetzung. Humboldt, Göthe, Ewer«
son, Rafael und Cornelius gegenüber verhält sich' Grimm
mehr bewundernd als kritisch. Seiner Auffassung flhlt fast
durchgängig daS zersetzende Element. WaS jene großen
Güster unS geschenkt, wird von ihm wie eine göttliche
Gabe mit Ehrfurcht aufgenommen. Diese rückhaltlose Hin-
gabe an daS Schöne und Große erfreut doppelt in Tagen,
die so gern „dag Erhabene in den Staub ziehen", daS milde,
schonende Urtheil Grimms auch gegen Persönlichkeiten, welche
ihm nicht sympathisch sind, stimmt damit harmonisch überein.
Nur fragt sich, ob die Bewunderung eines Kunstwerks uns
in seiner Erkenntniß fördert? Ob wir nicht, in einseitiger
Vorliebe befangen, das Maß der Dinge verlieren? DieS
scheint uns in GrimmS Beurtheilung der CorneliuS'fchm
Kartons geschehen zu sein.
Zwei Aufsätze „Berlin und Peter von Cornelius" und
„die Kartons von Peter von Cornelius" sind diesem Gegen-
stände gewidmet. Cornelius ist ein großer Maler. Niemand
bestreitet dies; unangefochten steht er an der Spitze der
deutschen Malerei, seiner geistigen Bedeutung nach. Wie
Grimm beklagen auch wir die finstere Ungunst der Ver-
haltmsse, die seine Arbeiten getroffen; daß weder Dom
noch Camposanto, die mit seinen Fresken zu schmücken
er von Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen
wurde, im Lauf der nächsten zwanzig oder dreißig
Jahre vollendet werden; daß, da jene Bauten wahrschein-
uch sogar nie wieder in Angriff genommen werden, auch die
Kartons bestimmt sind, eine Art Torso zu bleiben. Es er-
scheint alS eine Ehrenschuld des Staates, der ihn in seinem
Dienste verwandte, als eine Ehrenpflicht der Stadt, in deren
Mauern dieser außerordentliche Mann lebt, wenigstens für
feine Arbeiten zu sorgen, sie vor Vernichtung zu schützen.
Wenn Grimm in die bittern Worte ausbricht: in keinem an-
dern Lande könnte eö geschehen, daß die Schöpfungen eines
solchen Geistes in Kisten verpackt auf demBoden undindenDach-
kammern dcrAkademieumherstäuden und langsamer, aber unaus-
bleiblicher Vernichtung entgegengingen, wer könnte ihn tadeln?
Jeder, der auch nur dievier apokalyptischenReitervon Cornelius
gesehen, theilt die Empfindung Grimm'S, daß solche Werke
dem Volke nickt länger vorenthalten, der Betrachtung ent-
zogen werden dürften. Statt mit Kunstraritäten und Schnur-
Pfeifereien ganze Säle des neuen Museums anzufüllen, hätte man
hier Raum fürdie Schöpfungen des Genius schaffen sollen. Hier
aber beginnt Grimm'S Irrthum. Er übersieht dieweiteKluft, die
Cornelius von dem gegenwärtigen Geschlechte trennt; und wenn
diese WerkeunS noch so nahe „auf den Leib rückten", sie würden
stets wie AeschyloS Tragödien und Dante'S Gedicht eine sehr
geringe Zahl von Verehrern um sich sammeln. In Cornelius
steckt ein theologischer, allegorischer Kern; ein Etwas, waL
Viele persönlich abstößt und den Meisten wenig-
stens nicht wahlverwandt noch anziehend erscheint. Zu
sagen ist eS leicht: man brauche sich ja nur an
den allgemein menschlichen Inhalt dieser Darstellungen
zu halten; zu vollführen schwer. Raubt man nicht der
PeterSkirche die Hälfte ihrer Hoheit und Wirkung, wenn
man in ihr nicht mehr den Haupttempel der katholischen
Christenheit sicht? Wer die körperliche Auferstehung von
den Todten, die Erwartung des jüngsten Gerichtes für
Probleme hält. waS soll der „allgemein Menschliches" in den
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
entsprechenden Zeichnungen von Cornelius entdecken? Nichts
kann ihn da sympathisch berühren. AlS Michel Angela und
Rubens diese letzten Dinge malten, glaubte ihnen die Welt;
Cornelius ist, um Allen zu gefallen, Alle zu begeistern, zu
spät gekommen. Zweimal hat man eine Ausstellung seiner
Kartons in Berlin verarstaltet, sie hat in weiteren Kreisen
nicht annähernd die Theilnahme erregt, die z. B. die Aus-
stellung des Lesfing'schen „Hust vor dem Scheiterhaufen" in
unsererStadt erweckte. ES kann nicht dieAbsicht sein,Lessina mit
Cornelius vergleichen^ wollen. nur stutzig hätte diese That-
sache unfern Autor machen sollen, nicht in seiner Begeisterung
für Cornelius, wohl aber in der Behauptung, die er so
sicher ausspricht, wenn man diese Werke sähe, müßten sie die
Herzen erobern, ,.mühte daS Geschrei derer verstummen,
welche behaupten, hier seien mystische, unverständliche, alle-
gorische Begebenheiten dargestellt" Wie wir Dante, genau
so wird die Nachwelt Cornelius betrachten. Sie wird mit
kühler Bewunderung an ihm vorübergehen, Einzelnes wird
Wurzel fasten in der Phantasie der Menge; die apokalypti-
schen Reiter, Kassandra, Joseph mit seinen Brüdern, das
Andere ein Studium Weniger sein und bleiben, wie daS
, Fegefeuer" und daS „ParadicS" der „Göttlichen Komödie.".
Dasselbe Verdienst erwirbt sich Grimm um den amcrika-
Aischen Schriftsteller Ralph Waldo Emerson; er macht uns
nicht sowohl mit den Schriften deS eigenthümlichen Mannes
als mit dem Eindruck bekannt, den sie auf ihn ausgeübt, so
sucht er ihn uns zumeist menschlich nahe zu bringen. Des
Autors Weise ist mehr eine subjektiv betrachtende, als eine
objektiv untersuchende und zerlegende. So viel er kann, ver-
meidet er eine Kritik, die das Gold von den unedler» Me-
tallen scheidet. Darum dringen seine Bemerkungen nicht
immer tief genug in die Dinge ein, sondern streifen nur ihre
Oberfläche. Ausgezeichnet sind sie durch die Feinheit ihrcS
UrtbeilS, durch ihren selten sich irrenden SchönhritSsinn.
Von den übrigen Aufsätzen des vorliegenden Bandes be-
schäftigen sich „RaphaelS DiSputa und Schule von Athen,
sitne Sonette und feine Geliebte" und „der Verfall der
Kunst in Italien; Carlo Saracerin; ein Vorschlag an Re-
gierungen und Kunstfreunde" in ausführlicher Weife mit
tur.fthistorischen Fragen, cs find Betrachtungen, Randbemer-
kungen, Notizen, denen zum Theil noch der künstlerische Ab-
schluß fehlt. „Alexander von Humboldt" und „Herrn von
Varnhagens Tagebücher" bedurften der Ausführung, statt
eines Aufsatzes enthalten wir nur eine kurze, allerdings geist-
volle Anzeige eines Buchs. In „die Akademie der Künste
und das Verhältniß der Künstler zum Staate" wird scharf-
sinnig und überzeugend die Thorheit nachgewiesen, junge
Leute zu Künstlern auf Akademien heranbilden zu wollen,
wie Aerzte in einer Klinik, Assessoren im Gerichts-
tag!. Zu den Perlen der Sammlung gehört der
Aufsatz: „Goethe in Italien", eine Arbeit, in der
sich alle Vorzüge Grimm'S entfalten; denn hier war Lob,
Begeisterung für den Dichter und das Land seiner Sehnsucht
berechtigt. „Dante und die letzten Kämpfe in Italien" be-
streitet siegreich die Anficht Karl Witte'S, die italienischen
Liberalen hätten kein Recht, Dante den ihrigen zu
nennen, im Gegentheil, seine Anschauungen seien den ihrigen
entgegengesetzt.
Niemand wird das Buch Hermann Grimm'S aus der
Hand legen, ohne von der edlen Wärme feineö Enthusiasmus,
der meisterhaften Darstellung und so vielen schönen und
sinnigen Gedanken auf das Wohthuendste berührt worden
zu sein; reiche Belehrung und ein reiner Genuß werden un?
Theil. Was diesen Essay'S vielleicht fehlt, kritische
Schärfe und ein leidenschaftlicher Ausdruck, ist von der Eigen-
art des Verfassers nicht zu foroern; diese lehnt lieber ab als
duß sie kämpft und streitet. Der beschauliche, still betrach-
tende Zug, daS Streben nach allseitiger künstlerischer Aus-
bildung. die ihn beherrschen, geben seinen Arbeiten den ruhi-
gen äußern Glanz, seine Empfindung sür die Schönheit die
innere Lebenswärme. K. Fr.
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696
Notizen.
spätere Geschichte nicht nur in einem tieferen Sinne unverständlich sondern auch
reizlos sein würde, wenn nicht jene Vorgeschichte den Leser bereits in spanischer
Art und Weise orientirt und ihn mit den Personen bekannt gemacht hätte, welche
auch dort die Hauptrolle spielen. Wie es dem Verfasser gelingen wird, bei der
dürftigen Beschaffenheit der Quellen gelingen wird, ein Bild von jenem ver-
wirrenden Wechsel von Revolution und Contrerevolution zu skizziren, welcher
die letzten fünfzig Jahre der spanischen Geschichte erfüllt hat, müssen wir ab-
warten. Auf alle Fälle hat er sich den Grund und Boden dazu gesichert und
auf alle Fälle auch die Erwartung erregt, daß sein Fleiß, seine Kraft und Dar-
stellungMnstMbst dem verwickeltsten und sprödesten Stoffe gewachsen sein werde.
Moderne Essayisten. Herman Grimmst, sehr recht gethan, das
fremde „Essay" in unsere SpracheelAM^vkU^Telt Steele's und Addison's
Zeiten bis auf Macaulay har' dÄÄegrtff sich so verfeinert, daß das hausbackene
„Versuch" des vorigen Jahrhunderts ihn weder ganz noch transparent genug
deckt. Das Moment des Untersuchens tritt etwas in den Hintergrund; die
Hauptabsicht geht auf die künstlerische Darstellung einer Anschauung, welche eine
unmittelbar an den Schriftsteller herantretende Frage oder Thatsache in dessen
Seele eher lebendig angeregt als zu vollem Abschluß gebracht hat. Der ächte Es-
say hat darum ein Anrecht darauf, subjectiv sein zu dürfen, wie er nur bedeu-
tenderen Naturen ganz gelingen wird: er ist die ausgeführte prosaische Lyrik
unsers modernen Bewußtseins und erhebt sich so über die kältere Skizze. Dann
wird er uns fesseln, wenn wir mit einer tüchtigen Persönlichkeit durch diese ihre
Bekenntnisse über Menschen und Dinge vertraut zu werden meinen, und in diesem
fast persönlichen Verkehr zwischen Schriftsteller und Leser liegt auch der erste und
nächste Reiz der „Neuen Essays über Kunst und Literatur von Herman
Grimm" (Berlin, Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung, 1865). Ueberall in
diesen vorzugsweise das Gebiet der Kunst betreffenden Darstellungen giebt sich
uns mit lebendigster Unmittelbarkeit eine Persönlichkeit, die wir lieb haben und
schätzen, selbst da wo wir vielleicht nicht ganz mit ihren Anschauungen überein-
stimmen; wir empfangen den vollen Eindruck einer ganzen Bildung, welche sich
selbst bei begrenzten Themen zu ihrem vollen Recht verhilft. Mit diesem Schrift-
steller unterhält man sich nicht nur, man lernt nicht allein von ihm, sondern
gewinnt Vertrauen. Das Vorbild und Muster eines solchen Essayisten war in
dem Amerikaner Ralph Waldo Emerson gegeben, dessen Charakteristik der Ver-
fasser daher mit Recht an die Spitze seiner Sammlung gestellt hat, und mit
immerhin bisweilen sehr subjectiven Aeußerungen über seine Zuneigung zu dem,
aus ganz abweichenden Bildungselementen hervorgegangenen, in einem ganz an-
deren Culturkreise arbeitenden Philosophen, finden wir doch diesen wunderbaren
Mann hier zum ersten Mal treffend charakterisirt. Eine Ausführung des Um-
standes, daß Emerson sich an Fichte's Philosophie anlehnte, würde noch weitere
Aufschlüsse ergeben haben; aber das Interesse an einem ganzen Charakter, dem
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692
Notizen.
noch richtiger trifft: Es ist außerordentlich populär, Geld zu verweigern, und
es ist sehr leicht, wenn man für einen solchen Beschluß keine Verantwortlichkeit
trägt. In England ist die Opposition für ihre Beschlüsie verantwortlich; sie
muß sie selbst ausführen, sobald sie die Majorität erlangt, dort würde sich der
Fäll nicht ereignen können, daß eine schlechthin erforderliche Ausgabe abgelehnt
wird. Die Durchführung des parlamentarischen Princips allein schützt ein Par-
lament davor, unmögliche Beschlüsie zu fassen. Diese dem allgemeinen Staats-
rechte entlehnten Betrachtungen werden aber der deutschen Rhederei nicht sehr
zu statten kommen, wenn demnächst bei einem Seekriege die Rechte deutscher
Neutralen gröblich mißachtet werden, weil sie durch keine Flotte geschützt sind.
Notizen.
Mit aufrichtiger Freude haben wir von Anbeginn an das Erscheinen der
durch Hirzel in's Leben gerufenen „Staatengeschichte der neuesten Zeit"
begleitet, schien es uns doch, daß mit jedem weiteren Bande auch für den von
uns vertretenen Interessen-Kreis mehr und mehr Terrain erobert, das Verständ-
niß der politischen Aufgaben der Gegenwart zugleich fester begründet und zugleich
auf die rechte Weise allgemeiner gemacht werde. Immer rascher sind die ein-
zelnen Bände aufeinander gefolgt. Unsere Erwartung, freilich, spannt sich am
meisten auf die Geschichte der neueren Entwickelung Preußens und der deutschen
Bundesstaaten. Inzwischen haben wir doch auch hierfür in der Springer'schen
Geschichte Oesterreichs und in Bernhardi's Geschichte der europäischen Politik
von 1814 bis 1831 bereits sehr dankenswerthe Abschlagszahlungen erhalten, und
am Ende kann es für die Darstellung unserer heimischen Verhältnisse nur för-
derlich sein, wenn sie sich, den Cyklus dieser europäischen Staatengeschichten
gleichsam abschließend, auf die gleichzeitige Geschichte der übrigen Länder als
auf ebenso viele Vorarbeiten stützen darf. Wie lehrreich in dieser Hinsicht die
Geschichte des englischen Parlamentarismus, die Geschichte der französischen Um-
wälzungen, endlich die der Freiheits- und Einheitsbestrebuugen Italiens sei, be-
darf keines Wortes. Allein dasselbe gilt von der Geschichte Spaniens. Es
war freilich eine romantische Schrulle, wenn Fr. Schlegel im Jahre 1803 beklagte,
daß die Verbindung Deutschlands und Spaniens zu spät und in einem zu be-
schränkt politischen Sinne von Karl V. versucht worden sei — aber unvergeßlich
bleibt doch uns Heutigen, daß es die Spanier waren, welche zuerst in Europa das
Beispiel einer Volkserhebung gegen die Napoleonische Herrschaft gaben, die dann
mit deutschem Geiste, in deutscher Weise von uus wiederholt wurde. Doch das
möchte unser Mitgefühl für die merkwürdige Nation rechtfertigen: mehr bedeutet
es, daß ihre Geschichte wie keine andere einen tiefen Einblick in die Umstände
und in die dornenvollen Wege gewährt, welche überhaupt die Zerstörung mittel-
alterlichen Wesens, den Sturz des Absolutismus, die Herbeiführung constitutio-
neller Ordnungen in unserem Zeitalter begleiten. Nur auf den Sinn des Dar-
Notizen.
697
wir, wenn er sein Inneres nur aufrichtig giebt, trotz absonderlicher Züge im-
mer unser Herz zuwenden werden, der praktische Elemente und dichterische Be-
dürfnisse lebensvoll verbindet, wird uns in Grimm's Darstellung erklärt und
begründet. Mit gleicher Gerechtigkeit geht in zwei späteren Abschnitten der Ver-
fasser auf A. v. Humboldt und Varnhagen v. Ense ein, von welchen er den er-
steren nach dem wenig umfangreichen Briefwechsel und den Gesprächen mit einem
Gliede der Dräseke'schen Familie, dem jetzt in England lebenden Fr. Althaus
(denn dieser ist unter dem idealisirenden Studenten von 1848 S. 111 zu ver-
stehen), in einem fast zarten Humanismus, den andern nach seinen Tagebüchern
in seinem bedürftigen Lungern nach der von ihm doch verachteten Menschenwelt
darstellt: doch sind diese anziehenden Capitel halb und halb Fremdlinge in dem
sonst von den höchsten und edelsten Kunstinteressen erfüllten Buche. Auch
Emerson hängt mit diesen zusammen, nicht als ob seine auch diesseits des Oceans
(London 1847) gedruckten Gedichte irgend hervorragender Art wären: aber in
ihm liegt eine Sehnsucht nach künstlerischer Gestaltung, welche seine philosophi-
schen, ästhetischen und psychologischen Abhandlungen bisweilen strahlend durch-
bricht. und doch auch wieder die Unterordnung der Ideale unter die Forderungen
des praktischen Lebens, in welchem nur ein fester Charakter seine Pflicht thut.
Grimm faßt die Kunst mit ernster Begeisterung nach ihren Rechten und Pflichten
auf, und wir können zum Heil der gegenwärtigen Bildung nur wünschen, daß
seine Klagen und Rathschläge an wirkungsreicher Stelle Gehör fänden, ja daß es
ihm selbst einmal beschieden sein möchte selbständig und bestimmend aus die Schick-
sale des Kunstlebens zu wirken. Denn was er will, ist durchaus praktischer Art
und bei allem Enthusiasmus von einer einseitigen Parteinahme weit entfernt.
In einer umfangreichen Abhandlung, der zweiten der Sammlung, wird „die
Akademie der Künste und das Verhältniß der Künstler zum Staate" besprochen;
mit glücklichem, den Leitern aller derartigen Anstalten wohl zu wünschendem Takt
das Handwerksmäßige aller Kunstübung und die Unabhängigkeit von der besonde-
ren Kunstweise des Lehrers oder akademischen Directors ausgeglichen und ein
fruchtbarer Parallelismus zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Lernen
hergestellt. Denn dreierlei ist klar. Erstens hat die Kunst eine so bestimmte
Technik und so eigenthümliche Handgriffe, daß Gelegenheit zur Aneignung dersel-
ben geboten sein muß; hierfür fordert der Verfasser einmal als erste Stufe eine
Zeichenschule, welche mit dem übrigen die geistige Ausbildung betrefseuden Un-
terricht etwa einem Gymnasium entsprechen und unentgeltlich benutzt werden
solle; daran schließe sich als eine höhere, freiere, universitätsartige Stufe das
freie Handzeichnen mit Vorlesungen. Mit Recht ist aus beiden Stufen das
Zeichnen in den Vordergrund gestellt, in welchem selbst Tizian, ein Meister der
Farbe, die eigentliche Grundlage der malerischen Schönheit fand. Die Kunst
selbst ist nicht mittheilbar (S. 33), also auch nicht lehrbar: es genügt in den
Akademien eine gründliche Vorbereitung darzubieten. Zweitens ist es immer
als ein Nachtheil empfunden worden, daß auf den bisherigen Bilduugsaustalten
für Kunst die besondere Individualität des Directors einen zu bestimmten Ein-
fluß nicht allein auf Technik, sondern auch auf Auffassung und künstlerische Ge-
staltung ausüben und die weniger widerstandsfähigen, weil noch nicht entwickel-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
698 Notizen.
ten Eigenthümlichkeiten der Schüler beeinträchtigen mußte. Dem geht Grimm's
Vorschlag aus dem Wege, indem er den Schüler von der Lehranstalt in dem
Augenblicke emancipirt, wo die Technik erworben und die allgemeine Bildung
weit genug fortgeschritten ist, sich nach eigener Wahl und mit Erfolg an ein-
zelne Ateliers und Meister zu wenden; ein erleichterter Aufenthalt in Nom
werde Technik und Anschauungen vollenden. Endlich ein Drittes. Der Ver-
faffer legt ein großes Gewicht auf die elementare und höhere allgemeine Bil-
dung der künftigen Künstler. Der verstorbene Guhl bemerkte als Lehrer an der
Königl. Akademie der Künste in Berlin bedenkliche Lücken in dem Wissen seiner
Zuhörer und sah sich genöthigt, unter Anderem einen Cursus von Geschichts-
vorträgen einzurichten, damit der künftige Historienmaler einmal wisse, an wel-
cher Stelle des großen Ganzen der ihm vielleicht sehr zufällig zugekommene
Vorwurf seine Stelle habe. Die^ Rafael, Michel-Angelo, Lionardo da Vinci,
Albrecht Dürer stehen mitten inne im Strom einer großen allgemeinen Bil-
dung, so daß alle ihre Wirkungen durch tausend feine Fasern nicht allein mit dem
intuitiven, sondern auch mit dem intellectuellen Leben der Menschheit zu-
sammen zu hangen scheinen; aber nicht alle Zeit fällt solches Manna in das
arbeitvolle und zerrissene Leben, und dann mag man sich wohl hüten zu mei-
nen, daß Barett und Mangel an Orthographie das Genie machten. Die uni-
verselle und freie künstlerische Bildung der Künstler zu fördern ist der Verfasser
auf alle Weise bedacht; in dem drittletzten, an feinen kunstgeschichtlichen Bemer-
kungen und nachdrücklichen Warnungen reichen Effay „der Verfall der Kunst in
Italien" dringt er auf großartige Sammlungen photographischer Nachbildungen
„aller vorhandenen Gemälde, begleitet jedes einzelne Blatt von Angaben über
Größe, Herkunft, allgemeinen Zustand und besondere Eigenheiten des Werkes;"
in dem Februarheft seiner allen Künstlern und Kunstfreunden dringend zu em-
pfehlenden Monatsschrift „Ueber Künstler und Kunstwerke" (Berlin, Ferd.Dümm-
ler's Verlagsbuchhandlung, 1865) kommt er ebenfalls auf die Nothwendigkeit einer
photographischen Bibliothek für das gesammte kunstgeschichtliche Material zurück.
Er sieht die Gefahren, welche die Nachahmung niit sich führen kann: aber er
schätzt sie mit Recht gering gegen den ungemeinen Vortheil der Belehrung.
Diese Vorschläge gehen nicht hervor aus kleinlich praktischen Erwägungen,
sondern aus einer tiefen Achtung der Würde der Kunst. Nirgends redet der
Verfasser deutlicher und wärmer von ihr als in den beiden Essays „Berlin
und Peter von Cornelius" und „die Cartons von Peter von Cornelius" und
hier wird der Leser mit uns innig empfinden, was vorhin von der individuell
lebendigen Wirkung des Essay überhaupt gesagt wurde. Dieser einsame unter
den Malern, in seiner persönlichen Erscheinung mehr einen Niesen im Denken
darstellend, von Grimm als Biographen Michel-Angelds ganz verstanden und
empfunden, tritt hier unserem herzlichsten Interesse nahe. Wir sehen ihn, wie
einen Helden, nicht beirrt durch die stumme Theilnahmlosigkeit der Menge, fast
wie einen tragischen Helten, der ernst und gefaßt seine Ideale in der Ruine
des Berliner Campo santo (das nicht ist und nicht sein wird) und in den, Sär-
gen gleichenven Holzkisten auf Berliner Boden und Kammern oder sonstwo be-
stattet, ohne Aussicht, daß die herrlichen Cartons, diese Skelette der Gemälde,
Notizen.
699
sich jemals mit Fleisch umkleiden und durch die Jncarnation der Farbe Leben
finden werden! Das hebt Grimm ergreifend hervor, fein skizzirt er die wunder-
baren Schönheiten dieser vereinsamten Kunstleistungen; aber es ehrt ihn, daß
er vor dem jüngsten Gericht der Ludwigskirche sein Urtheil frei bewahrt, die
Einmischung Luther's unter die Verdammten tadelnd und Michel-Angelo's
Schöpfung in ihrer Superiorität anerkennend.
Bei einem fast ausschließlich Kunstinteressen erwägenden Werke ist eS na-
türlich, daß es seine Hauptaufmerksamkeit Italien zuwendet. Auch die beiden
ersten Hefte der genannten Knnstzcitschrift bringen vorwiegend italienische Themen,
unter denen besonders die Zurückführung des den: Correggio beigelegten Ant-
litzes Christi im Berliner Museum auf Lionardo da Vinci sich durch glückliche
Combination auszeichnet. Von den Essays greift der fünfte „Dante und die letz-
ten Kämpfe in Italien" mit lebendigster, würdiger Bezugnahme auf die neueste
Geschichte, in die arbcitvolle Epoche des Anbruchs der modernen Zeit, welche
für Italien man könnte fast sagen ästhetisch verfrüht begann, zurück. Es thut
wohl, dem Verfasser hier als Gegner Witte's zu begegnen. Der große Dante-
forscher hatte in seinem Lieblingsdichter einen Antipoden der letzten italienischen
Bewegungen aufgezeigt; sehr wahrscheinlich, weil er seine persönliche Ansicht
ohne eine solche litterarische Autorität in die Welt gehen zu lassen nicht den
vollen Muth besaß. Man kann verschieden über das Königreich Italien denken,
welches noch einige Jahrzehnte wird leben müssen, bis daß nach allen Seiten auch
sein historisches Recht anerkannt werde, und bereits sind auch die von einem
sogenannten conservativen Geschichtslehrer als äußerster Termin seiner Existenz
gesetzten fünf Jahre verflossen; aber das ergiebt sich aus Grimm's eingehender
Besprechung als sicheres Resultat, daß Dante nicht einmal für sein Zeitalter
eine „gliedschaftliche Unterordnung Italiens unter das römisch-deutsche Kaiser-
thum" als höchstes national-politisches Problem aufgestellt haben würde, und
daß, wenn von Mißverftändniß und Fälschung Dante'scher Anschauungen die
Rede sein soll, die Parteileidenschaft Witte weiter geführt hat als Mazzini und
Tommaseo, welche in dem Dichter der Commedia eine Autorität für die italie-
nische Einheit finden wollten. In daö concrete Leben. der classischen Epoche
der italienischen Kunst führt der siebente, den Lesern dieser Blätter bereits be-
kannte Essay „Raphael's Disputa und Schule von Athen, seine Sonette und
seine Geliebte," der ausgeführteste von allen; ergiebt zahlreiche Beweise, wie
Pasiavant's Darstellung stofflich und ästhetisch-kritisch könne berichtigt und be-
reichert werden. Wir erhalten nicht allein scharfsinnige Aufschlüsse zur Deutung
der beiden großen Rafael'schen Werke, deren mächtiger gedankenvoller Inhalt
so weit von dem Phantasieleben eines Künstlers und insonderheit von dem achil-
lisch-frischen Wesen dieses nie gealterten Malers abzuliegen scheint; sondern auch
als eine reine ganze menschliche Persönlichkeit tritt er uns entgegen, unter den
großen Gedanken für die Disput« eines schönen Weibes nicht vergessend, welche
er in vier schönen Sonetten grüßt. Kunst und Leben hängen bei den großen
Genien organisch zusammen: darum dürfen biographische Einzelheiten beleuchtet
werden, doch soll man sich nicht grämen, wenn sich für namenlose Persönlichkei-
ten keine „bürgerliche Auskunft" findet. Eigenthümliche Verhältnisse mußten in
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
700 Notizen.
Italien eintreten, um die Kunst aus diesem ihrem natürlichen großen Leben auf
die erst unmerklich abschüssige Bahn des Verfalls zu führen. Anfänglich hat
man noch die großen Vorbilder in der Nähe; nach und nach verlieren sie sich
in der hohen Ferne und unten angelangt bemerkt man kaum, daß der Geist
entwichen, das eigentliche Ideal abhanden gekommen sei, weil noch etwas Vor-
rath an Formen vorhanden ist. Diese Epoche stellt der schon erwähnte achte
Essay „der Verfall der Kunst in Italien" bis auf den ausführlich behandelten
Carlo Saraceni oder Carlo Veneziano ('s 1625 in Venedig) in der lehrreichsten
Weise dar. Wir sagen lehrreich, denn der Begriff des Verfalls gehört zu den
schwierigsten in der Kunst und Litteratur, ja in aller Cultur. Aller Same
ist Verfall der Blüthe; aber den allgemeinen oder wir sagen lieber gemeinen
Trost haben menschliche Dinge bei aller homerischen Aehnljchkeit der Blätter
und der Geschlechter der sterblichen Menschen nicht, nach den großen Iahreszei-
tenwechseln der Geschichte in sicherer Regelmäßigkeit wieder einen reichen Früh-
ling ihresgleichen zu erzeugen. Bei dem Menschen kommt ein anderes, seine
Geschichten sind keine gesetzlichen Naturphänomene: aber wo unterscheidet sich
die freie Gesetzlosigkeit von der ungesetzlichen Willkür? Wo die zufällige Ohn-
macht, die fragmentarische That von dem subjectiven Eigensinn? Eine Reihe
von Antworten auch für nicht künstlerische Gebiete wird der aufmerksame Le-
ser in dem trefflichen Essay finden. Endlich das letzte Stück der Sammlung
„Goethe in Italien" zeigt uns mit unmittelbarstem Interesse die Berührungen
des italienischen Lebens, seines Volkes, seiner Kunst und einer großen deutschen
Natur. Schön wird Goethe's Reise als Symbol eines fast natürlich eingetre-
tenen Culturprocesses bezeichnet; man fühlt es der Wärme der Darstellung an,
daß der Verfasser gleich Goethen die Segnungen solcher künstlerischen Wall-
fahrten empfunden haben muß.
Die erste buntere Sammlung der Essays von H. Grimm wird durch diese
zweite weit übertroffen. Hier tritt uns eine befestigte künstlerische Mannhaftigkeit
entgegen mit großen zugleich culturgeschichtlichen Interessen, selbständig anziehende
Momente der Kunst und Litteratur in einer fast durchweg eigenthümlichen, den
Leser persönlich fesselnden Form auffassend, und von dem sicher erkannten und frisch
dargestellten Detail immer zu allgemein bedeutsamen, wenn auch bisweilen nur
leicht hervorgehobenen Resultaten fortschreitend. —
“ Zum Essay bildet die Skizze als litterarische Form ein interessantes Sei-
tenstück. Sie bedarf im Grunde des Herzens nicht in dem Grade wie der er-
stere; eine flüchtige, pikante Zeichnung wird mit dem Object fertig. An der
Skizze wird sich eine gewisse Souveränetät der Beobachtung wahrnehmen lasten,
welche Gefahr läuft Menschen und Dinge en bagatelle zu behandeln, radical
zu werden und an: Negiren ihre letzte Freude zu finden. Große Städte mit
reichem, wechselnden: Leben verführen leicht dazu; sie sind aber auch der natur-
gemäße Boden für die Skizze im besten Sinne. Berlin, Paris, London, Rom
— das sind daher die Namen, an welche der geistreiche Verfasser des „Torso
und Corso," des „Vor und nach dem März!" anknüpft; an diesen Centralstel-
len modernen Lebens hat derselbe Hermann Lessing auch sein „Daheim und
Draußen. Bunte Bilder" (Berlin, Verlag von I. Springer, 1865) gesammelt.
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688 Politische (Korrespondenz.
Zeit einmal seine Pflichten in Deutschland getreu erfüllt, außer der Beruhigung,
die es empfinden mag, seine 1849 in Ungar« und 1859 in Italien so schwer
geschädigte Waffenehre wieder hergestellt zu haben, und als eine mäßige Geld-
summe. Wir haben den Gedanken an eine Garantie der italienischen Besitzun-
gen zurückgewiesen; wir können auch dem Gedanken an eine Ländercompensation
nicht folgen. Territorialveränderungen haben in diesem Jahrhundert nur da eine
Berechtigung, wo sie einer sittlichen, einer volksthümlichen Idee entsprechen, so
bei der Einigung Italiens, der Befreiung Schleswig-Holsteins, der Absorption
Hohenzollerns. Ein Ländertausch, bei welchem lediglich die volkswirthschaftlichen
Beziehungen von Preis und Waare hervortreten, ist uns nicht erlaubt. Man
stellt uns die Alternative: Compensation oder Bürgerkrieg? Wir glauben an
dieselbe nicht; wir glauben, daß hei einem festen Ausharren Preußens Oester-
reich der erste Staat sein wird, der vor dem Bürgerkriege zurückweicht. Be-
stände aber jene Alternative, so haben wir für dieselbe einen anderen Ausdruck.
Er lautet: Bürgerkrieg oder moralische Selbstvernichtung Preußens? Än dieser
veränderten Fragestellung liegt unsere Antwort.
Immerhin aber ist eine Position eingetreten, in welcher die Politik des Zu-
wartens nicht mehr ausreicht und lästig zu werden beginnt. Eine Fortdauer
des Provisoriums führt zu fortdauernden Reibungen, die nachtheilig auf die Lage
Preußens zurückwirken. Einen Schritt zur Herbeiführung einer definitiven Ge-
stalt der Dinge hat die preußische Negierung versucht, indem sie im Anfang der
zweiten Hälfte des April die Einberufung der schleswig-holsteinischen Stände bei
Oesterreich beantragte. Noch ist das Dunkel nicht völlig gelichtet, das über den
Absichten der Regierung bei Stellung dieses Antrags ruhte. Bei vielen An-
hängern der nationalen Partei hat dieser Schritt Bedenken wachgerufen. Denn
oft genug war, und zwar von den besten Kennern der schleswig-holsteinischen
Verhältnisse auseinandergesetzt worden, daß bei der durch die Carrieremacher im
Lande angeregten Agitation jede Ständeversammlung sich für die Augustenbur-
gische Erbfolge saus phrase aussprechen würde. Wir können dem gegenüber zu-
nächst darauf aufmerksam machen, daß jene Besorgnisse so offenkundig vor aller
Welt dalagen, daß man sie am Berliner Hofe unmöglich übersehen haben kann.
Es mag ferner als beruhigend hervorgehoben werden, daß während die nationale
Partei in Preußen durch ihre Organe ihr Bedenken an den Tag legte, die na-
tionale Partei in Schleswig nicht ähnliche Bedenken äußerte. Die Norddeutsche
Zeitung in Flensburg insbesondere hat dem Schritte der preußischen Regierung
gegenüber eine abwartende Haltung eingenommen, und es gewinnt den Anschein,
als ob sie denselben nicht mißbilligte. Aus der Mitte dieser Partei heraus hat
sich sogar eine Stimme vernehmen lasten, die es allerdings als unzweifelhaft
darstellte, daß der erste Schritt der einzuberufenden Ständeversammlung die
Proclamation Herzog Friedrich's sein möge, daß sie aber, nachdem sie in dieser
Weise ihr Gewissen gewahrt, es vorziehen werde mit Preußen in weitere Ver-
handlungen zu treten, als durch eine Weigerung sich selbst und das Land, wel-
ches so lange darüber geklagt hat, daß ihm kein Gehör geschenkt werde, mund-
todt zu machen. Endlich mag auch noch in Betracht gezogen werden, daß durch
Eiuführung eines demokratischen Gedankens, durch die Anhörung der Volksstimme,
Das ist ein specifisch geistreiches Bilderbuch ohne Bilder. Ueberall sieht man
das gescheidte dunkle Auge seines Verfassers durchblitzen. Börne's Witz in con-,
centrirter und beweglichster Weise ist die Art dieses Schriftstellers: aber Bör-
ne's Herz hat er nicht oder er thut, als ob er überhaupt keines habe, damit
er mit der vollkommensten Freiheit seines kritischen Geistes an seine Stoffe tre-
ten dürfe. Die Atmosphäre ist eine ganz andere als bei Herman Grimm: statt
künstlerischer Ideale flattern die kühnen Witze über die social-politische Cultur
umher, aber in der Anerkennung Berlins, aus welchem Lessing die Hauptmasse
seiner Skizzen bringt, stimmen doch beide überein, wenn auch von verschiedenen
Standpunkten: der künstlerische Essayist, weil man dort mitten im lebendigsten
Leben iucognito leben (d. h. seine Individualität retten) könne, der prosaischere
Satiriker, weil in der Berliner Sandwüste keine Kameele seien. In den rascher
hingeworfenen Skizzen überwiegen Momente des geselligen und politischen Le-
bens, wie sie der unserm Verfasser im Allgemeinen verwandte, aber doch etwas
realistisch-schwerfälligere Herausgeber der Montagszeitung zu bringen liebt, und
sie werden unbefangen und unparteiisch genug behandelt, so daß „das häus-
liche Leben der Deputaten" und „der Jockey-Club," „der Schmerzensschrei der
kleinen Herren" und „der Völkercongreß," „Eisen und Baumwolle" zu ihrem
Rechte kommen; das scheinbar in sich Widerspruchsvolle wird sorgsam analysirt:
„Ein politisches Ballet," „Eine tugendhafte Näherin," „Industrie, Poesie und
Moabit," „Die unnatürlichen Grenzen," „Kurhessische Kunst und Polizei;" hier
und da springen die Ideen der Gegenwart wohl auch mit sittlicher Gewalt hervor,
in „II y a des juges a Berlin!“ und in „Die Wahrheit auf dem Katheder,"
aber nicht so stark und anhaltend, damit der Leser nicht gedrückt werde, der sich
eben durch den Witz von einer beängstigenden Zeit befreien lassen will. Die specu-
lativen Denker müssen es daher dem Verfasser nachsehen, wenn er principiell eben
nur Beiträge „zur Philosophie der Feiertage" und „zur Philosophie der Zweck-
effen" bringt, im klebrigen aber das Sein und Werden und das Ding an
sich auf sich beruhn läßt.
Der Fremde gehört kaum ein Fünftel der Skizzen; „das Kaiserliche Paris
und seine Götter" zeigen das scheinbar freie Volk der privilegirten politischen
Initiative (auch der Staatsstreich ist eine Art Initiative, hoffentlich keine frucht-
bare und sich leicht akklimatisirende) als den größten Liebhaber des Reglements;
in den „Englischen 'Charakterstudien" sehen wir mit Vergnügen den Verfasser
die sittliche Kraft schildern, welche in einem freien Volke das Interesse am Staat
natürlich erzeugt; „loyale Poeten" sind ein heiteres Bild, wenn sie in wallisi-
scher Unbefangenheit und naivem Kunsthandwerk wie hier, und nicht etwa pen-
sionssüchtig erscheinen. — Wäre es möglich, die vielen einzelnen leuchtenden
Strahlen dieses Witzes zu einer Lichtmasse zu vereinen: wir könnten leicht diesem
Lessing ein großes socialistisches Werk voll wärmender Kraft verdanken, Bilder
europäischer Gegenwart zu „Bildern deutscher Vergangenheit!"
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
äftit Rücksicht auf die bevorstehende Jubelfeier der großen Iunitage von
1815 machen wir unsere Leser auf eine Darstellung aufmerksam, welche so eben
bei S. Hirzel in Leipzig erscheint. Der Titel ist: „Der Krieg von 1815
und die Verträge von Wien und Paris, von Julius Königer,'
Hauptmann im Gr. Hess. 3. Infanterieregiment." Die Schrift, etwa
30 Bogen stark, umfaßt die folgenden drei Bücher: „Der Wiener Congreß
und die Wiederaufrichtung des französischen Kaiserreichs; der Feldzug von Belle-
Alliance; der zweite Pariser Friede." Die Arbeit beruht zum Theil auf Akten
im Archiv des Generalstabs in Berlin, bereu Einsicht dem Verfasser gestattet
war. Während die neueren Quellenwerke über diesen wichtigen Zeitabschnitt
meist besondere Zwecke verfolgen, während z. B. bei Pertz sichrer reiche Stoff
um das Leben Stein's gruppirt, während Bernhardt sich die kritische Aufklärung
der entscheidenden politischen und militärischen Momente zum Ziele gesetzt und
erreicht hat, will die vorliegende Darstellung ein übersichtliches, nach allen Sei-
ten gleichmäßig ausgeführtes Bild der großen Thaten geben, in Welchen die
Befreiung Deutschlands ihren Abschluß fand, und der ersten Versuche für die
Neubegründuug unseres staatlichen Daseins, welche daraus hervorgingen. Der
Verfasser hat sich durch seine im vorigen Jahr erschienene „Völkerschlacht bei
Leipzig" die Anerkennung erworben, daß er für solche Stoffe befähigt ist.
Die Bedeutung der Feier, welche die Rheinlands im verflossenen Monat
begingen, ist nirgend schöner dargestellt worden als in der Festrede, welche
Heinrich von Sybel in der Aula der Bonner Universität hielt. Shbel hat
drei Jahre hindurch zu ren Führern unserer parlamentarischen Opposition gehört,
er hat schneidiger, leidenschaftlicher als irgend ein Anderer den Kampf gegen das
reactionäre Regime geführt. Und doch feiert er im wärmsten Dankgefüht den Tag
der Vereinigung des Rheinlandes mit Preußen, und doch erklärt er: „wie dieses
Preußen einmal ist, mit seinen Schroffheiten und Schwächen, mit seiner Tüch-
tigkeit und Kraft, mit seiner großen Geschichte und seiner gewaltigen Zukunft,
— wir gehören zu ihm, wir wollen zu ihm gehören und zu keinem andern."
Das macht: die Kämpfer in den Reihen der Opposition sind sich nicht gleich.
Die Einen treibt eine reine Vaterlandsliebe, ein ernster historischer Sinn, sie
streiten um das Ideal, das sie aus den geschichtlichen Lebenszügen des Staats
herausgelesen haben. Die Anderen sind die Philistermaffe, deren Gedanken nicht
weiter reichen, als auf Hinwegschaffung der Staatslasten, Verminderung der
Steuern, Verminderung der militärischen Pflichten und Machtmittel, Herbei-
führung eines, von den Ordnungen und Anforderungen des Ganzen möglichst
ungestörten sinnlichen Behagens, nach dem Wahlspruch: udi bene, ibi patria.
Dem großen Historiker erscheint es als ,,ein Ausdruck niedriger Gesinnung,"
wenn die rheinische Hochschule an jenem festlichen Tage „in stumpfem Schweigen
verharren wollte.« Dem Gemeinderath der ersten Stadt am Rhein erschien es
als eine Pflicht der Opposition, in solchem stumpfen Schweigen zu verharren.
Notizen.
695
eines Mannes geführt wird, der mit männlicher Einsicht und mit politisch geüb-
tem Blick den Kern der Dinge und dgs innerste Wesen des großen Processes
zu durchschauen weiß, den er Schritt für Schritt verfolgt. Mit der Einsicht in
die politischen Kräfte wird aber auch ein neues Licht für das Verständniß der
Kriegsbegebenheiten gewonnen. Daß Spanien in sechs Jahren nicht dazu kam,
ein respectables Heer regelmäßiger Soldaten in's Feld zu stellen, während doch
etwa durchschnittlich eine halbe Million Menschen den Volkskrieg führte, das
hört auf uns ein Räthsel zu sein, indem wir von der Lage der spanischen Regierung
und Verwaltung ein anschauliches Bild bekommen. Wir geben gern dafür die
Relation der militärischen Details preis, mit denen Rapier dreizehn Bände ge-
füllt hat und finden ebenso die Kürze'zu loben, mit der sich der Verfasser be-
schied, die wichtigsten Actionen und den Gang im Großen hervorzuheben, wie
das Geschick, mit dem er, zum Theil in ergreifender Schilderung, an einzelnen
Beispielen, wie an der wiederholten Belagerung Saragossas, die wunderbare
Art des Kampfes zu illustriren verstand.
Die vorliegende Arbeit greift weit hinter die Zeit zurück, welche nach dem
Plan der ganzen Sammlung den Anfangspunkt der einzelnen Staatengeschichten
bilden sollte; der Band schließt mit dem Jahre, von dem wir im Ganzen und
Großen die „neueste Geschichte" der europäischen Staaten zu datiren gewohnt
sind. Niemand wird darin eine willkürliche Abweichung von der allgemeinen
Regel sehen. Wir sind vielmehr gewiß,, daß^das Buch selbst für jeden Leser den
Beweis führen werde, wie dieses Zurückgehen auf das Jahr 1788 eine in der
Natur der Sache begründete Nothwendigkeit war. Die einzelnen Staaten und
Völker sind ja wohl ebensoviel eigenthümliche Individuen; ihre Stufenjahre und
Entwickelungsperioden fallen nicht ohne Weiteres mit weltgeschichtlichen Epochen
zusammen, die Geschichte jedes Volkes folgt eigenen Gesetzen, und zwar um so
mehr, je eigenartiger sein Charakter, je abgelegener seine Bildung und Entwick-
lung von dem allgemeinen Weltgetriebe war. In der That, auch wenn es dem
Verfasser nicht gelingen sollte, dem zweiten Bande seines Werkes, der Geschichte
von 1814 bis auf unsere Tage, ein gleiches Interesse zu verleihen wie dem jetzt
vorliegenden — schon durch diesen würde die neuere und neueste Geschichte Eu-
ropas eine unschätzbare Bereicherung erhalten haben. Denn soviel ist gewiß:
die neueste Geschichte Spaniens konnte entweder gar nicht oder sie mußte in der
von Baumgarten gewählten Begrenzung gegeben werden. Es ist so, wie er
sagt: „die Kenntniß der zwanzigjährigen Regierung Karl's IV. ist für denjeni-
gen unentbehrlich, welcher die große Erschütterung verstehen will, der das alte
Spanien in den denkwürdigen Jahren 1808 bis 1812 erlag." Und wiederum.
Niemand wird verstehn, was seit 1814 in Spanien geschehen ist, wer nicht jene
Jahre genau kennt, die den großen Wendepunkt seines Lebens bildeten. In ih-
nen offenbart sich wunderbar deutlich und unendlich anziehend die innerste Na-
tur des spanischen Volkes, der spanischen Zustände, der spanischen Regierung,
Verwaltung und Politik. Die Quellen, welche dem Historiker über die Jahre
nach 1814 zu Gebote stehen, sind unseres Wissens um Vieles mangelhafter als
die, welche für jene merkwürdigen sechs Jahre der Erhebung benutzt werden
konnten. Wir irren uns vielleicht, aber fast möchten wir glauben, daß diese
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
r
bare Literatur in spanischer, französischer und englischer Sprache beschäftigt sich
mit dieser Periode. Allein Franzosen und Engländer ließen die politische Be-
wegung fast ganz außer Augen. Wie sich das von seiner Dynastie 1808 ver-
lassene Volk in dem ungeheuren Kampfe gegen die Fremdherrschaft organisirte,
wie die Provinzialjunten und wie die Centraljunta thätig war, welchen An-
theil an der Erhebung reformatorische oder revolutionäre Tendenzen hatten, wie
mit Einem Äorte inmitten des Kampfes gegen das Ausland Spanien zugleich
eine bedeutsanie innere Krisis durchzumachen hatte — von dem Allen findet
-man bei Southey, Rapier, Thiers u. s. w. so gut wie nichts. Franzosen und
Engländer wie die wenigen Deutschen, welche Unbedeutendes über dieselbe Zeit
geschrieben haben, berücksichtigen fast einzig die militärischen Begebenheiten. Wir
danken es dem Verfasier, daß er sich nicht durch die Fülle dieses Materials zu
einer detaillirten Schilderung des Kriegs verleiten ließ, sondern statt dessen be-
dacht war, vie bisher vernachlässigten Partien, die politischen Hergänge, in ihr
gebührendes Recht einzusetzen. Die Arbeit war nicht leicht und nicht ohne die
umsichtigste Kritik zu vollbringen. Denn die Spanier, die Arguelles, Toreno
u. s. w., auf deren Darstellung er sich für den Gang der inneren Entwickelung
zunächst angewiesen sah, waren bei der Revolution selbst in hervorragender Weise
beiheiligt; ihre Werke konnten wohl als Quelle, aber in keiner Weise als un-
mittelbar zu benutzende objective Darstellungen betrachtet werden. Ein wie aus-
gedehntes Material nun zur Ergänzung und Berichtigung dieser Quellen von
dem Verfasser herangezogen worden ist, davon legt fast jede Seite in den be-
treffenden Capiteln seiner Schrift Zeugniß ab. Er schöpft theils aus den
großen Sammlungen' der Depeschen von Wellington und Castlereagh, theils
aus den Memoiren von Llorente und Iovellanos, von Dalrymple und Sir
John Moore, den Denkwürdigkeiten des Marques R. Wellesley und des jun-
gen Louis Philippe, so wie aus der Correspondenz König Ioseph's. Damit
nicht genug. „Um den wahren Charakter der Bewegung von 1608 bis 1814 zu
erkennen," sagt er uns selbst in der Vorrede, „habe ich die höchst werthvolle
Sammlung von spanischen Flugschriften, Aktetistücken und Zeitungen aus jenen
Jahren, welche die Berliner Bibliothek besitzt, sodann vor Allem die Cortes-
verhandlungen und das jüngst erschienene Tagebuch Villanueva's über die gehei-
nren Sitzungen der Cortes zu Rathe gezogen, in seiner Gesammtheit ein sehr
umfasiendes Material, in das wohl noch kaum ein Historiker einen Blick ge-
worfen hat." Seines Fleißes darf sich Jedermann rühmen. Wie freilich auch
all' diese Hülfsmittel noch nicht ausreichen, um den Gang der Dinge in allen
Einzelheiten aufzuhellen, deutet gleichfalls der Verfasser selbst an. Genug aber
— zum ersten Male ist doch hier der preiswürdige Versuch gemacht, eine histo-
rische Schilderung der Kräfte und Umstände zu geben, welche die merkwürdige
politische Umwandlung des spanischen Volkes in einer Zeit von sechs Jahren
herbeiführten, der Versuch, die Genesis der Verfassung von 1812 zu
schreiben, jener wunderlichen, ja abenteuerlichen Verfassung, welche dann bis in
die zwanziger Jahre die Fahne des europäischen Liberalismus blieb. Fortwäh-
rend begleitet den Leser, während er sich von dem reichen Stoffe und von der
Lebendigkeit der Darstellung gefeffelt findet, das Gefühl, daß er an der Hand
i
Politische Correspondenz.
687
Berücksichtigung der berechtigten Stellung Oesterreichs. Ein sachliches Interesse
hat sie nie dargeboten; Oesterreich hat keine Veranlassung und keinen ernsten
Willen, Preußen in dem Genusse der Vortheile zu stören, welche der Besitz des
Kieler Hafens ihm darbietet. — Der ganze Streit, wie überhaupt das wider-
wärtige Auftreten des Herrn von Halbhuber haben nur den Zweck, dem preußi-
schen Cabinet recht ernst zu Gemüthe zu führen, welche Bedeutung der „Mit-
besitz" hat. Zu spät, jetzt noch Reflexionen darüber anzustellen, ob Preußen
recht und klug daran that, im December 1863 sich in eine Lage zu stürzen, die
nach Jahr und Tag dahin führen mußte, sich wegen diese« Mitbesitzes ausein-
anderzusetzen. Die dem Abgeordnetenhause vorgelegte Denkschrift bietet keine
Gründe dafür, die uns befriedigen könnten. Jndeffen der Mitbesitz ist da und
muß zur Erledigung gebracht werden. Oesterreich sucht ihn so hoch wie mög-
lich zu verkaufen, und läßt ihn zu diesem Zwecke den Preußen so lästig erschei-
nen wie irgend möglich. Preußen darf und wird nicht mehr dafür zahlen, als
er werth ist. Das Interesse, welches Oesterreich jetzt für das Augustenburgische
Erbrecht an den Tag legt, ist hohler Schein. Dasselbe Oesterreich, welches im
November 1863 durch Herrn von Nechberg's Mund erklärte, es sei im Grunde
gleich, ob Christian oder Friedrich in Schleswig-Holstein regiere, welches im Ja-
nuar 1864 den Prinzen Friedrich von Kiel ausweisen wollte, welches durch ein
erst vor Kurzem bekannt gewordenes Actenstllck vom 30. April 1864 sich die von
Herrn von Scheel-Plessen über das schleswig-holsteinische Erbrecht entwickelten
Ausführungen aneignete, kann jetzt keinen Grund haben, für das Recht Herzog
Friedrich's einzutreten. Ebenso wenig kann es ihm Ernst sein mit dem Eifer,
den es zur Schau trägt, dem deutschen Vaterlande einen neuen vollsouveränen
Mittelfürsten zuzuführen. Kein Zweifel, die Kleinstaaterei in Deutschland dient
der österreichischen Machtstellung zum Piedestal. Indessen auch ein Mittelstaat
kann unter Umständen Oesterreichs Gegner sein. Bei der Abstimmung vom
6. April sah Oesterreich sich gegenüber Hannover, den Concurrenten Preußens
zur See, Mecklenburg, dessen erlauchter Herrscher sich einst gehorsamst meldend
zum Mitgenusie des historischen Ochsen einfand, Kurhessen, dem Oesterreich einen
Feldmarschall-Lieutenant sandte, als Preußen es mit einem Feldjäger versuchte.
Die Schöpfung eines neuen Mittelstaates ist ein zu geringer Gewinn für Oester-
reich, als daß es ihn hoch erkaufen sollte. Alle diese Schachzüge sind Mittel,
um Oesterreich der Verlegenheit zu überheben, für seinen Mitbesitz einen Preis
zu fordern, und Preußen in die Nothwendigkeit zu versetzen, einen Preis zu
bieten. Jeder von beiden Contrahenten versucht, sich den anderen „kommen zu
lasten," um günstigere Bedingungen zu erzielen. Oesterreichs Partie steht etwas
günstiger, als vor einigen Monaten. Die Handelsvertragsfrage, lange Zeit hin-
durch ein Vehikel für politische Anstrengungen beider Theile, ist nach den Ab-
stimmungen in den Abgeordnetenhäusern beider Staaten als erledigt anzusehen.
Die Finanzfrage, die ungarische Frage, beides zwar noch offene Wunden, bren-
nen doch in diesem Augenblick nicht; in Italien sieht cs ruhiger aus als seit
Jahren. Oesterreich übt seine alte Stärke aus: „es kann warten," kann auch
in Schleswig warten. Nun, und dennoch, — Preußen hat keine andere Ent-
schädigung an Oesterreich zu bieten, außer dem Bewußtsein, daß es nach langer
Preußische Jahrbücher. Bd. XV. Heft 6. 46
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Notizen. 693
stellers käme es an, um gerade die spanische Geschichte in das belehrendste und
ergreifendste Gemälde zu verwandeln, in welchem die große Wendung der eu-
ropäischen Geschicke nicht minder in großen Lettern zu lesen wäre wie in der
Geschichte der französischen Revolution.
Wir freuen uns sagen zu dürfen, daß der Bearbeiter der spanischen Ge-
schichte in der Hirzel'schen Sammlung seine Aufgabe in eben diesem, daß er sie
im größten und würdigsten Sinne ergriffen hat. Von diesem Gesichtspunkt
aus stehen wir nicht an, dem so eben erschienenen neuesten Bande jener Samm-
lung (Geschichte Spaniens vom Ausbruch der französischen Revolution bis auf
unsere Tage, von Hermann Baumgarten, Erster Theil, Leipzig 1865) den
Preis vor all' seinen Vorgängern zu ertheilen. Die ganze Darstellung ist so
durchdrungen und gleichsam gesättigt von den ernsten Gedanken, die eine höhere
sittliche Ansicht von den Schicksalen der Völker im Verein mit einem reinen
und hellen politischen Verstände dem Betrachter eingeben muß, daß sich mit den
farbenreichen Bildern unwillkürlich zugleich die schneidenden Lehren der erzähl-
ten Thatsachen einprägen. Da ist nirgends ein Bestreben, durch anekdotische
Kleinmalerei die Geschichte vor Allem unterhaltsam zu machen, nirgends eine
Spur von absichtsvoller Schönrednerei oder von koketter Gruppirungskunst, da
ist ebenso wenig jenes Uebermaaß von meisternder Reflexionsweisheit, welches
in anderen modernen Geschichlswerken die Thatsachen zu bloßen Stützpunkten
zudringlicher Beurtheilung macht —: überall statt dessen ein großer Zug ein-
fach feffelnder Erzählung, ein frei gewonnenes Ebenmaaß zwischen den Dingen
und ihrer Bedeutung, ein sicherer Takt für das Wichtige und Entscheidende
für das dem eignen Werth der Begebenheiten entsprechende Tempo ihrer Dar-
stellung.
Solche Tugenden schöpft ein Historiker in erster Linie natürlich aus dem
eignen Talent und Charakter, aber sie sind zugleich bedingt durch die Hinge-
bung an und durch die Vertrautheit mit seinem Stoff. Wenige Menschen in
Deutschland werden in der Lage sein, die Gründlichkeit unseres Verfaffers im
Einzelnen zu controliren. Auch wir gestehen unsere Unzulänglichkeit; aber wie
es Portraits giebt, die auch ohne Vergleichung mit dem Original den Stempel
der Aehnlichkeit an der Stirn tragen, so verbürgt, meinen wir, dieses Buch
seine Gründlichkeit und Zuverlässigkeit durch sich selbst. Baumgarten war der
Erste, der in seinem früher erschienenen Werke „Geschichte Spaniens zur Zeit
der französischen Revolution," (Berlin 1861) die Anfänge der Regierung
Karl's IV. bis zum Jahre 1795 aus den Berichten des damaligen preußischen
Gesandten am spanischen Hofe, Herrn v. Sandoz-Rollin, aufhellte. Mit Hülfe
dieser Depeschen war ihm nun ein zuverlässiges Fundament gewonnen, auf wel-
chem in gegenwärtigem Bande auch die Darstellung der späteren Regierungs-
zeit jenes unseligen Monarchen unternommen werden konnte. Welche weiteren
Ressourcen er dafür benutzte, giebt er überall selbst an; es sind die neuerlich
von Lafuente mitgetheilten Aktenstücke über die geheimen Verhandlungen des
„Friedenssürsten" mit Napoleon, die Briefe von Iovellanos, die Correspondenz
Napoleon's und die spanische Gesetzsammlung. Anders lagen die Dinge für die
Periode des Kampfes und der Erhebung von 1808 bis 1814. Eine unüberseh-
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690 Politische Corresponbenz.
boten ist, desto mehr wird die Erreichung des Zieles gesichert, desto größer wird
die Hoffnung, daß die gegenwärtige Periode der Stagnation schnell und glücklich
überwunden wird. Indem wir die Ansicht ansiprachen, daß jedem Preußen
ohne Unterschied seiner politischen Richtung die Durchsetzung der Februarforde-
rungen eine Sache der Ehre sein muß, können wir leider nicht verschweigen, daß
diese Ansicht nicht von allen Seiten getheilt wird. Wir wollen wiederholt fest-
stellen, daß innerhalb jeder Partei Meinungsverschiedenheiten obwalten und daß
namentlich auch einige der hervorragendsten Männer, die wir als die Führer
unserer Partei zu betrachten gewohnt sind, die schleswig-holsteinische Frage anders
ansehen, als wir.
Die Schwierigkeit der auswärtigen Lage hat weder das Ministerium rück-
sichtsvoller gemacht in seinem Auftreten gegen die Volksvertretung, noch hat
es den Blick der letzteren geschärft für diejenigen realelt Bedürfnisse des Staats,
die auch unter dem gegenwärtigen Ministerium Befriedigung heischen. Die Mi-
litärfrage hat eine Erledigung gefunden, welche die Extreme befriedigt, jeden
andern mit Sorge erfüllt. Jede der beiden extremen Parteien rühmt sich eines
Sieges, weil der Versuch der Vermittelung fehlgeschlagen. Eine von beiden
kann höchstens gesiegt haben. Welche? und ob überhaupt eine von beiden? —
wird erst die Zukunft lehren. Mit der Ablehnung des Amendements Bonin
ist nach menschlichem Ermessen für lange Zeit die Möglichkeit aufgehoben, auf
dem Wege eines Compromisses den Militärconflict zu erledigen. Das Wesent-
liche des Amendements war Folgendes: In der Sache hielt es die Reorga-
nisation in vollem Umfange fest und befriedigte so die Regierung; in der Form
erfüllte es die Anforderungen, welche die Majorität des Abgeordnetenhauses
an eine zu vereinbarende Militärnovelle stellt. Die Regierung, um es annehm-
bar zu finden, hatte Nichts anderes nöthig, als das Vorurtheil aufzugeben, daß
es in einem Staate dauernde Einrichtungen geben kann, die nicht durch ein
Gesetz fixirt werden dürfen. Das Haus, um es annehmbar zu finden, hatte
nur nöthig, die Zahlen an Demselben um Etwas zu vermindern. Man lasse
bei dem Amendement Bonin die Zahlen offen und überlasse es jeder Partei,
jedem Individuum, dieselben nach ihrem Ermessen auszufüllen, und jede Partei,
jedes Individuum kann dasselbe acceptiren. Durch die Gestalt des von Herrn
von Bonin entworfenen Gesetzes war eine Grundlage geschaffen, auf welcher
die Regierung und das Haus über die Zahlen mit einander hätten verhandeln
können. Es wurde durch dasselbe das Princip festgestellt, daß die Friedens-
stärke der Armee und manche andere Bestimmungen, über welche das Ministe-
rium seit 1859 nach administrativem Ermessen geschaltet hat, der gesetzlichen
Normirung bedürfen. Es ist bekannt, daß die einzelnen Minister kein Beden-
ken getragen haben würden, den Antrag zu acceptiren, und daß der Grund,
aus welchem das Ministerium als solch.s sich nicht für denselben ausgesprochen
hat, in Umständen lag, die es nicht zu überwinden vermochte. Ebenso ist nach
den Erklärungen, besonders welche die Abgeordneten Michaelis und Faucher ab-
gegeben haben, nickt zu bezweifeln, daß die Majorität des Hauses den Antrag
vorbehaltlich einer Ermäßigung in den Zahlen angenommen haben würde, etwa
gegen die 30 Stimmen derer, welche mit Waldeck und Iacobh die Wehrkraft
Politische Corresponbenz.
691
des preußischen Staats von der Wiederherstellung der Bürgerwehr von 1848
erwarten — falls das Ministerium sich zuvor dafür erklärt hätte. Eine Eini-
gung in dieser Session würde zwar nicht erreichbar gewesen sein, aber sie konnte
angebahnt werden. Unseres Dafürhaltens hätte daS Ministerium die Pflichr
gehabt, entweder die Hindernisse zu beseitigen, die sich einer Erklärung für das
Amendement entgegenstellten, oder sich selbst vor diesen Hindernissen zurückzu-
ziehen. Die Majorität hätte die Pflicht gehabt, nach ihrem Ermessen zu han-
deln, ohne Rücksicht auf die Stellung, welche das Ministerium einnahm. An-
statt dessen erscholl von der einen Seite der Ruf: Keine Verhandlung über die
Militärfrage bevor das Ministerium zurückgetreten ist; von der anderen Seite:
Keine Concession bevor es uns gelungen ist, eine andere Majorität zusammen
zu bringen. Worauf hoffen nun die beiden Extreme, die sich so sehr bemüh-
ten, den Versuch einer Vermittelung zum Scheitern zu bringen, und sich jetzt
der gelungenen Bemühung freuen? Die Reactionspartei kann bei Neuwahlen
darauf rechnen Stimmen zu gewinnen, allein eine imposante Majorität wird
sie nicht erhalten. Sie kann bei den gegebenen Verhältnissen nicht darauf rech-
nen, die Erlaubniß zu einem Staatsstreiche zu erlangen. Allerdings hat sie
die Reorganisation factisch durchgesetzt und sieht mit einer gewissen Ruhe auf
das parlamentarische Treiben, das dagegen ankämpft; allein die Budgetlosigkeit,
die Dechargelosigkeit wird ihr dennoch beschwerlich. Die Fortschrittspartei kann
auf die Dauer es durchsetzen, daß der factisch bestehenden Reorganisation daS
gesetzliche Gewand vorenthalten bleibt, allein während sie dieses Sieges sich er-
freut, wird das Communalleben, das Beamtenthum durch politische Parteibe-
strebungen mehr und mehr zerrüttet. Worauf hoffen nun die beiden Extre-
me? Niemand vermag es zu sagen. Beide Parteien haben ihre letzten Waffen
verbraucht. Nur unvorhergesehene Ereignisse können eine Aenderung in der Si-
tuation herbeiführen. Das parlamentarische Leben in Preußen ist zum Spiele
des Zufalls geworden. Von der Behandlung der Militärfrage in den nächsten
Sessionen können wir uns kein anderes Bild machen, als daß das Ministerium
seinen bekannten Gesetzentwurf immer wieder von Neuem einbringt und das
Haus ihn ohne Debatte, en dloo ablehnt. Dabei werden wenigstens so unwür-
dige Scenen vermieden werden, als sie in dieser Session durch unüberlegte An-
griffe und plötzliche Rückzüge herbeigeführt wurden.
Der Antrag auf Ablehnung der Gebäudesteuer war ein in jeder Weise
unbegreiflicher Versuch. Praktischen Erfolg konnte er nicht haben. Da entschie-
den vorauszusehen ist, daß das Budget wiederum nicht zu Stande kommt, daß
trotzdem die Regierung ohne Budget verwalten wird, so könnte ein einzelner
Budgetbeschluß nicht von Erfolg sein. Nur staatsrechtliche Gründe von unleug-
barer Evidenz hätten solchen Beschluß rechtfertigen können, und solche sind doch
gewiß nicht vorgebracht worden.
Verlorene Worte würden wir sprechen, wollten wir für die Bewilligung
der Marineforderungen des Ministeriums an dieser Stelle eintreten. Die Schluß-
folgerung: „Weil wir kein Budget haben, verdienen wir auch keine Flotte zu
haben," ist Vielen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie sich nicht
davon trennen können. Oder ein Grund, der vielleicht daS Sachverhältniß
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Politische Correspondenz.
689
ein Mittel geboten ist, Frankreich gegenüber Fühlung zu gewinnen, ein Umstand,
auf welchen doch auch immer einige Rücksicht zu nehmen ist. Jedenfalls hat die
beabsichtigte Ständeberufung nur den Zweck, daß Preußen auf Grund seiner
Februarforderungen verhandle^ nicht den, daß es über dieselben verhandle. Von
ihnen kann und — wie wir hoffen — wird Preußen nicht zurückweichen. Es
hat es Oesterreich gegenüber abgerungen, diese Forderungen den Ständen vorzu-
legen; es hat sie in der dem Landtage vorgelegten Denkschrift als das Minimum
bezeichnet, woran unter allen Umständen festgehalten werden müsse, während die
Annexion das allerdings Wünschenswerthere Ziel sei, es hat sie festzuhalten in
seinem wie in Deutschlands Interesse, es ist an dieselben gebunden mit hundert
Ketten. Preußen wird auf Grund der Februarforderungen entweder die Ver-
ständigung oder den Bruch mit Oesterreich herbeiführen. Die letzte Eventualität
mögen wir nicht zu Ende denken; wer spräche ruhigen Blutes von einem dro-
henden Bürgerkriege, dessen Schrecken uns vier Jahre lang die transatlantischen
Zeitungen geschildert? Allein es handelt sich für den preußischen Staat um die
Existenz und die Ehre und keine Regierung, die ihm nicht den Todesstoß geben
will, kann von den Februarforderungen etwas Wesentliches herunterlassen. Viele
Federn sind geschäftig zu erzählen, daß die Umkehr bereits erfolgt sei, daß Preu-
ßen vor französischen Drohungen den Rückzug angetreten habe. Manche von
den Urhebern dieser Gerüchte sind dem preußischen Staat feindselig gesinnt;
sie wollen ihre Wünsche erreichen, indem sie dieselben als bereits erreicht dar-
stellen. Andere aber, und diese thun mehr Schaden, sind die Preußen, welche
ihren Kleinmuth hinter der Abneigung gegen das Ministerium Bismarck ver-
stecken. Weil ihnen der Muth fehlt, ein würdiges nationales Ziel, das einmal
fest und offen ausgesprochen ist, unbeirrt zu verfolgen, benutzen sie das in Preu-
ßen herrschende System, um -aus demselben den Beweis zu führen, daß gegen-
wärtig dies Ziel nicht erreicht werden könnte. Sie vertrösten uns auf eine ferne
Zeit, in der ein liberales Preußen Deutschland einigen werde, und bedenken nicht
daß, was in dieser Frage heute versäumt wird, in keiner Ewigkeit nachgeholt
werden kann. Sie prophezeien täglich ein neues Olmütz und vergessen, daß der
Mangel an Selbstvertrauen im preußischen Volke allein uns nach Olmütz führen
kann. Das Ziel ist gesteckt für die Regierung und für das Volk; giebt die Re-
gierung es auf oder vermag sie es nicht zu erreichen, so bricht die Regierung
zusammen, und eine andere, fähigere und glücklichere tritt an ihre Stelle. Giebt
aber das Volk dieses Ziel auf, so bricht das Volk zusammen, und wer soll an
dessen Stelle treten? Grade die, welche von der Unfähigkeit des Herrn von Bis-
marck den Mund so voll nehmen, welche am liebsten durch die reine Logik be-
weisen möchten, daß Schleswig nicht befreit sei, daß die Siege von Düppel und
Alsen nicht gewonnen seien, grade sie sollten am eifrigsten dahin trachten daß
man dem Ziele unverwandt nachgeht, grade sie sollten sich freuen, wenn an die-
ses Ministerium unerbittlich eine Aufgabe herantritt, der es nach ihrer Meinung
nicht gewachsen ist; sie würden ja dadurch den Sturz dieses Ministeriums be-
fördern.
Je mehr in dem preußischen Volke die Ueberzeugung verbreitet wird, daß
ein Zurückweichen schlechthin unmöglich, ein Vorwärtsgehen um jeden Preis ge-
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