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auf wie starken Widerwillen in einer deutschen Volksver-
tretung der Versuch stößt, auf einem Umwege ein politisches
Ziel zu erreichen, an das auf dem graden Wege
nickt zu gelangen war. Auch der direkte Antrag
auf Abänderung der Verfassung im Sinne der
Einführung zweijähriger Etatsperioden wäre heute mit
Von Berlin nach Danzig.
Daniel Chodowiecki's Künstlerfahrt im Jahr 1773.
(Berlin, Amsler u. Ruthardt, 1882.)
Wir verdanken der Photographie, mit dem intimsten
Schaffen der Künstler bekannt zu werden. Die Handzeichnungen
sind die eigentlichen Personalakten der Künstler. Was mühsame
und kostbare Facsimiles früher niemals völlig geleistet haben,
bringt der Photograph mit den heutigen Mitteln leicht und
billig zu Wege. Für eine halbe Lire ä Blatt kauft man in
Italien Nachbildungen der höchsten Mersterwerke. In Deutsch-
land wurde bisher gezögert, auf diese Preise einzugehen, aber
es scheint, als foUtcu auch bei uns die hohen Preise end-
lich aufgegeben werden: für dreißig Mark werden jetzt 108
Lichtdrucke von Zeichnungen Chodowiecki's angeboten, sammt
Mappe und Karton und Titel und Vorrede, und dem Publikum
damit wirklich fast ein Geschenk gemacht, während trotzdem
zugleich, wie wir hoffen, der Verleger nicht ohne Vortheil
bleibt. Die kgl. Akademie der Künste in Berlin bewahrte
Chodowiecki's Blätter, auf denen er, als Illustrationen eines
französisch geführten Reise - Journals, die Abenteuer
erzählt, die er auf einer 1773 von Berlin aus nach
seiner Vaterstadt Danzig unternommenen Reise gehabt hat.
Zu Pferde machte er sich den 3. Juni auf. Das erste Blatt
zeigt den betrübten Abschied von den Seinigen, das zweite
wie er mit einem Pferde nach FreienwaHe transportirenden
Reitknechte, dem er sich angeschlossen hat, über die vater-
ländische Ebene dahinreitet, das dritte wie er bei Freien-
walde auf einer Fähre über die Oder gesetzt wird (ein, wenn
auch einfaches, doch reizendes Landfchäftchen); das vierte wie
er in Pyritz sein Pferd beschlagen läßt, während ein preußi-
scher Hauptmann ihm zuredet, den Gaul, den er herunter-
macht, gegen einen für seine Zwecke geeigneteren einzutauschen,
und so weiter: es ist ein Genuß eigenthümlicher Art, die mit
zarter Feder und ricktig treffender Sicherheit gezeichneten
Blätter eines nach dem andern umzulegen. Die bürgerliche Ruhe
der längstvergangenen Jahre kommt uns wie ein sanfter
Athem daraus entgegen. Wir sehen, wie bescheiden, kahl und
still es dantals hier zu Lande noch zuging. Wir erleben die
Dinge mit, wünschen sie wahrhaftig nicht zurück, aber em-
pfinden das Wohlthuende lebhaft, das in ihnen lag, fast als
beneideten wir diese Vergangenheit um manches, was sie in
sieh schloß, und scheiden von dem letzten Blatte mit dein
Gefühl, etwas kennen gelernt zu haben, das als ein treuer
und liebenswürdiger Spiegel seiner Zeit betrachtet werden
dürfe. Denn das Beschränkte, Kleine dieser Erlebnisse und
ytivt|u
und Hob recht zu antworten, für die heutige Sitzung MN
so vollständiger zur Fortsetzung dieser Fehde ausgerüstet
worden: er hatte das Hobrecht'sche Votum selbst vor sich
liegen und bot, allerdings in nicht geradezu bindender
Weise, die Vorlesung desselben an. Die Wort-
führer der entschiedenen Opposition, die Herren Hänel und
der Art ihrer Darstellung entspricht durchaus dem Durch-
schnittscharakter des deutschen Lebens von vor 100 Jahren.
Chodowiecki führt uns ein in das vom großen Friedrich
geschaffene und regierte Preußen; die Gestalten, denen wir
da begegnen, lassen einen Theil des damaligen Publikums
vor uns vorüberziehen, und was die vorliegenden Zeichnungen,
von denen vorzugsweise diesmal die Rede ist, innerhalb ihres
beschränkten Horizontes nicht leisten, gewähren die auf viele
Hunderte sich belaufenden anderweitigen Blätter des Künstlers,
in denen er kleine Ausschnitte des Fridericianischen Daseins
stets gleich lebendig und gleich unbefangen kopirt hat. Diese
Figuren treten uns vor die Augen wie die unzähligen
Haupt- und NebenakteurS einer ganz Preußen umfassenden
bürgerlichen Sittenkomödie. Alle, selbst die Vornehmsten,
haben etwas Schlichtes, Einfaches, bürgerlich Gemäßigtes.
Die stärfften Affekte halten sich in den Grenzen mit der
Muttermilch eingesogener A.istandsregeln, an deren Gültigkeit
wie an die der Religion selber geglaubt wurde. Gesittung,
Ruhe, Zufriedenheit, Wohlanständigkeit, Begnügsamkeit sind
die Gipfel des moralischen Gebirges, das der Einzelne zu er-
klimmen trachtet, und mit dem Kultus der Gegenwart, dem
diese Anschauung entsprang war eine so beträchtliche Un-
bekümmertlfeit in Betreff der Vergangenheit und eine so
sichere Hoffnung auf günstige Fortgestaltung der Zukunft ver-
bunden, daß man diese beiden Elemente in Gedanken ruhig
aus sich beruhen ließ. Die eigene Zeit, die als die best-
mögliche galt, war der Kultur der Gebildeten geweiht.
In ihr sich wohlzufühlen, das Geschäft, bei dem sie alle ein-
ander friedfertig in die Hände arbeiteten. Man sehe das
kleine Bild, wie Chodowiecki, nach langem Ritte ermüdet,
Abends in einer Dorfschenke eingetroffen, endlich, eine Streu
unter sich und den Kopf auf seinemMautelsacke, eingeschlafen
ist. Da, in der Nacht, erscheinen zwei Herren in der Gast-
stube, welche drei bis vier musizirende Kerls bei sich haben.
Unbekümmert um den Schläfer lassen sie aufspielen und be-
ginnen beim Scheine eines einzigen Talglichtes gravitätisch
ein Mennet zu tanzen. Das Bildchen könnte als Motto des
Jahrhunderts gekommen werden, in dem es entstanden ist.
Dies führt mich nun etwas weiter.
Zu der von Friedrich Wilhelm IV. unternommenen Her-
ausgabe der WerkeFriedrich des Großen waren ihrer Zeit von
Adolf Menzel eine Reihe von Illustrationen gezeichnet wor-
den, die zu dem Besten gehören, was diesem unerschöpflichen
Künstler verdankt wird. Nur wenig Exemplare, die wiederum
in die Hände nur Weniger gelangten, sind von den nach diesen
als dieser sich nam>^vor sem-^, h it r .
Monopol erklärt ha. Le Der diesmalige Vorgang ist , &
noch auffallender, weil beim Mangel jedes erkennbarer- wreder
Interest es an einer solchen Berufung auf vertrau!^ °
Handlungen, zugleich jede Provokation seitens £
Hobrecht fehlte; er hatte, bis Herr Scholz am Siriversitä^^^
____
Zeichnungen ausgeführten vorzüglichen Holzschnitteiblatt^ ^
bekannt gewesen: endlich nun ist die Erlaubniß erll'^^x>
den, von den im königl. Museum lagernden Stören rwue
Abzüge machen zu dürfen, und heute ist Jeder im Stande,
mit geringen Mitteln den gesammten Darstellungsschatz zu
erwerben. Auch versetzt uns Menzel in das preußische Dasein,
wie cs unter Friedrich dem Großen sich gestaltete. Durch
eine wie andere Thüre aber treten wir Per ein und wie
anders muthet es uns an.
Vergleichen wir, was aus den Händen vaterländischer
Künstler zur Jllustrirung Friedrichs und seiner Zeit geschehen
sei, so sehen wir mit des Königs Tode die künstlerische
Darstellung seiner Thaten stocken und bald abschließen. Noch
Carstens hat die Schlacht von Roßbach im Sinne der klassi-
schen Bataiüentablenus gezeichnet: ins neue Jahr-
hundert hinein aber erstrecken sich derartige Versuche nicht
mehr. Den König selber im Denkmal so darzustellen, wie
Ranch's Statue ihn bietet, wäre vor den Tagen Friedrich
Wilhelm's IV. Niemanden in den Sinn gekommen. Zielens
Statue und die des alten Dessauers standen viele Jahre als
einsame Merkwürdigkeiten da und erweckten keine Nachfolge.
Menzel selbst hatte in seinen, in den dreißiger Jahren erschie-
nenen, von ihm selbst lithographirten Darstellungen aus der
vaterländischen Geschichte noch nicht den rechten Ton ge-
troffen. Erst in den Illustrationen zu Kugler's Geschichte
Friedrich's zeigt er die Hand, die von da ab nicht müde
geworden ist, ihre Gaben zu spenden. Menzel ist es ge-
wesen, der Friedrichs Jahrhundert und den großen König
mitten drin künstlerisch frisch geschaffen hat. Heute sind uns,
deren Augen an Menzels Auffassung sich völlig gewöhnt
haben, die Ereignisse der glorreichen Kriege des vorigen Jahr-
hunderts im Kostüme der Zeit so geläufig, als hätten wir
diese Truppen selber noch so marschiren sehen. Was oben
in den Schlöffern bis niedrigsten Bürgerhäusern herab vor-
ging, schließt sich in überzeugender Lebendigkeit dieser Dar-
stellung der kriegerischen Ereignisse an: wir sühlen uns, unab-
hängig bereits von Menzel's einzelnen Arbeiten, die uns in
Fleisch und Blut übergegangen sind, mit der Phantasie so
durchaus en pays de connaissance dem Zeitalter Friedrichs
gegenüber, daß an der realen Kenntniß seines gesammten
Inhalts nichts zu fehlen scheint. Wir wissen ja, wie sorg-
fältig Menzel studirt, in welchem Maße echte Ueberbleibsel
jeder Art ihm zu Gebote standen. Wir nehmen, was er uns
vor die Augen bringt, als sei es ein Spiegelbild der ver-
gangenen Tage selber.
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Kel
_ lgr das^IWMrungsblatt die That-
Gegensatz, day „das Licenzsteuergesetz Gefahr
tslegungen zu begegnen, alö ob dasselbe auch nur ein
sei, auf dessen Annahme die Regierung nicht
„Die Regierung mache ihre Vorlagen niemals,zum
so sei auch das Licenzsteuergesetz ein Glied in der
Reformgedanken, über dessen Werth und Bedeutung
ce^zel hat die besondere Gabe, das Nebensächliche mit
technischer Sorgfalt zu verfolgen, um es bei der Benutzung
aus Gemälde oder Zeichnungen dann doch der Hauptsache
unterzuordnen. Menzel liegen diese Dinge völlig in der
Hand. Und ebenso weit reichen die physiognomischen Stu-
dien, die er für seine Aufgabe gemacht hat. Jeder Zug in
den Gesichtern der Grenadiere Friedrichs ist echt. Ihn selbst
scheint er in persönlichem Umgänge von den Jugendjahren
des Königs bis zum gebeugten Alter beobachtet zu haben.
Wo Friedrich erscheint, als Kind, als junger Mann, als Greis,
Soldat, als Flötenbläser, als Tischgenosse seiner brillanten
Tafelrunde, übel oder gut gelaunt, gesund oder krank, im
Hausrock oder im Galaanzuge, keine Situation denkbar, bei
der wir Menzel als unsichtbaren Polizeibeamten der Un-
sterblichkeit nicht hinter ihm vermuthen, wie ec jede Bewe-
gung des Königs in sein Skizzenbuch einträgt. Ich wähle
Liesen etwas seltsamen Vergleich, weil in Menzel's Studien
manchmal beinahe die Absicht zu liegen scheint, neben dem
Bedeutenden auch das der gewöhnlichen Beobachtung säst sich
entziehende Unbedeutende festzuhalten. Man empfindet, man
hört. man sieht in Momenten Dies oder Jenes, das fatal
ist, das man als nicht vorhanden zu überwinden sucht, das
für den Augenblick aber doch wie einen leichten Schatten
über unsere'Züge legte. Es scheint, als seien Menzel's Blicke
für ein Durchschauen des Menschen in diesen Momenten be-
sonders geschärft und er weiß sie mit einer ruanchmal dämo-
nischen Deutlichkeit, festzuhalten. Wie sollte, wer so das
Kleinste erkennt, nicht die volle Realität selbst eines nie er-
lebten Daseins geistig in uns zu reproduciren im Stande
sein? So ohne Weiteres dürfen wir das aber doch nicht zugeben.
Wie verhält sich der gesammte ausgebreitete Mcnzel'sche
Apparat gegenüber dem ebenso umfassenden Chodowiecki's?
Menzel ist wie jeder, der Historie schreibt, doch nur ein
Romantiker, ein Künstler, der Dinge darstellt, die einzig in
seiner Phantasie Existenz haben. Unsere heutige Anschauung
der Friedericianischen Zeit, wie Menzel sie uns eingepflanzt
hat, ist nicht das reine Abbild der Dinge, sondern der Ab-
glanz des Bildes, zu dem sie sich in Menzel's Phantasie zu-
sammenstellten. Die Röcke der Soldaten und Generäle konnten
von Menzel doch nur aufgebürstet und aufgebügelt werden:
das glänzt und flimmert im Lichte des 19., nicht in dem des
18. Jahrhunderts, und den Sachen würde auch ihr Bestes
fehlen, wenn es anders wäre. Chodowiecki hat vor Menzel
eben voraus, daß er die Menschen und Dinge mit eignen Augen
gesellen hat und daß ihm jede Verführung fehlte, mehr
aband nur noch aus dem, M>Herr v. Benuigsen heute im
Reichstage aus dessen Werk mmheilte. Die Art, wie nach
dieser Mittheilung Herr Laband zu insinuiren scheint, man
könne den Wortlaut der Verfassung dazu benutzen, um den
in allseitig anerkannter Gültigkeit bestehenden Rechts zu st and
in Frage zu stellen, konnte nur aus allen Seiten den pein-
lichsten Eindruck machen. Herr Windthorst ließ in
tz ■ . — -----
hineinzulegen, als er seiner Zeit eben zu erkennen vermochte.
Chodowiecki's bekannte Portrait-Federzeichnung Friedrichs des
Zweiten enthält etwa vom Blicke des Königs, was alle
Darstellungen Menzel's zu enthalten ^ nicht im Stande
sind, denn glücklicherweise lebt und schafft Menzel noch unter
uns und ist nicht, wie Chodowiecki, länger als 80 Jahre bereits
aus der Welt gegangen. . .. ,
Menzel's Neuschöpsung der Friderrctantschen Welt rst eins
der merkwürdigsten Phänomene ans nationale Dinge gerich-
teter Kunst. Wer weiß, wie unsere Männer und Ereignisse
einmal aussehen werden, wenn nach abermals 100 Jahren
die Nachwelt die heutigen Zeiten in genauem Abbild zu
besitzen vermeinen wird, die ein zweiter Menzel (wenn die
Natur einen zweiten zu schaffen im Stande wäre) ihr dann
vorstellt. Ihr würde, was von heutigen Darstellungen etwa
dann noch vorhanden wäre, das Richtige vielleicht nicht ganz
zu treffen scheinen, gerade so wie Chodowiecki's Blätter neben
den lebensprühenden Erfindungen Menzel's heute etwas säst
zu Einfaches für unsere Augen haben. H. Grimm.
Königliche Schauspiele.
Sonnabend, den 9. Dezember: zum ersten Male:
Opfer um Opfer. Schauspiel in 5 Akten von Ernst
von Wildenbruch. In Scene gesetzt vom Direktor-
Deetz.
Das Verlangen, daß der Dramatiker immer neue Kon-
flikte erfinden, immer neue originelle Gestalten erschaffen, daß
er niemals ein schon behandeltes Thema ergreifen und in
seinem Sinne darstellen solle, kann im Ernste nicht gestellt
werden. Bei der geringen Anzahl dramatischer Situationen
und tragischer Gegensätze muß es dem Dichter gestattet sein,
Altes, schon ein- oder zwei mal Dagewesenes in seiner
Weise, mit dem Hauche seines Geistes neu zu beseelen.
Wenn mich darum Wildenbruch's Naturforscher und
Asrikareiscnder Wernshausen unwillkürlich an Gustav
Holm in Gntzkow's Schauspiel ■ „Ein weißes Blatt"
erinnert, der ebenfalls ein Natursorsch.er ist, ebenfalls
von längeren Reisen heimgekehrt, und gerade so zwischen der
älteren Beate, mit dem weißen Härchen unter ihren braunen
Haaren, und der jüngeren Eveline hinüber und herüber
schwankt, wie Wernshausen zwischen den Schwestern Hedwig
und Christine; wenn der eine und der andere Zug an Spiel-
hagen's Drama j,Liebe um Liebe" gemahnt, so soll dies nur
den historischen Zusammenhang der Wildenbruch'schen Dich-
tung mit der früheren Literatur darthun. Daß zwei Mädchen,
herüber und hinüber, und das Ende wnr, wie gewöhnlich in
Ungarn, eine Forderung. Heute Nachmittag hat das Pistolen-
duell zwischen Rohonczy und Hieronymi fuit zweimaligem Kugel-
wechsel stattgefunden.Verletztwurdekeincrvonbeiden.DieMagya-
ren rühmen sich in ihrerbekannten Ueberhebung gern ihrer geistigen
Superiorität, welche sie vor allen anderen Nationen aus-
zeichnet. . In welchem Lichte erscheint aber diese und gleich-
um den Fall dramatisch zuzuspitzen, zwei Schwestern, einen
Mann lieben, wird bis an das Weltende vorkommen: warum
sollte der Dichter den „alten, ewig neuen" Konflikt nicht anch
immer von Neuem behandeln dürfen?
Ist denn aber der Fall in der That dramatisch? Doch
nur, wenn ihn die Leidenschaft adelt und zur Tragödie erhebt.
Da aber, wo er nur aus der Willensschwäche und der feigen
Rücksicht des Mannes entspringt, der sein Herz der einzig
Geliebten nicht offenbart, um die andere, die Freundin, nicht
zu kränken, giebt es nichts als eine für den Zuschauer pein-
liche und unerquickliche Seelenquälerei. Gutzkow, der ein
viel zu grüblerischer Kops war, um die schwachen Seiten
seiner Dichtungen nicht vor allen Andern herauszufühlen,
pichte dies Unbehagliche dadurch zu mildern, daß er Eveline
und Beate nicht zu Schwestern machte und uns in dem
wackeren liebenswerthen Seeburg im Voraus den Mann
ahnen ließ, der nach einigen Wochen des Schmerzes Beate
über den Verlust Gnstav'ö trösten wird; Spielhagen giebt
feinem Herzensdrama die Völkerschlacht bei Leipzig
zum Hintergründe und [befreit seinen Helden, indem
er ihn mit politischer, mit patriotischer Leidenschaft
erfüllt, nach Möglichkeit von dem Vorwurf der Schwäche.
Wildenbruch steigert den Konflikt, indem er die ältere
Schwester die jüngere, wenn auch nur mit halben Worten,
zu einer unpassenden Verlobung antreiben läßt, um sich einer
gefährlichen Nebenbuhlerin zu entledigen, bis zum Tragischen.
Aber er hütet sich wohl, das gedrohte Schreckniß nun auch
wirklich herbeizuführen. Mit einem plötzlichen Ruck wirft er
sich, vermittelst eines alten Aberglaubens, in eine Rührselig-
keit, um bie ihn Charlotte Birch-Pfeiffer beneidet haben
würde. Statt uns zu erschüttern, zieht er es vor, die Taschen-
tücher der Damen in Bewegung zu setzen. Und in welche!
Als Fr!. Meyer (Christine), ganz und gar die verkörperte
Muse der Elegie, hinschmachtend um Mitternacht an ihrem
Brautkleide nähte, in der Hoffnung, sich in den Finger zu
stechen und dann acht Tage nach der Hochzeit zu sterben, und
sich nun in der That in den Finger stach und ein Bluts-
tropfen auf das weihe Gewand fiel — wie viel Thränen
flössen da! Iphigenien in Aulis, die als Opfer am
Altar der Artemis sterben soll, find nicht mehr geflossen.
Und alö Paul Kellenbcrg, der Thunichtsgut des Schau-
spiels, verwirrt und außer sich über den Tod seines Vaters,
der Bankrutt gemacht und sich selbst das Leben genommen hat,
in das Zimmer stürzte, die sechszigtausend Mark, mit denen
er sich kurz vorher von .Hedwig das Jawort Christinens hatte
1
Millionen weniger
als im November 1881! Das Jahr 1882 dürste im Ganzen
105—110 Millionen plus yalues ergeben; es wäre dies
genau die Hälfte von dem, was das Jahr 1881 an Ueber-
schüssen geliefert hat. Dieser Rückgang der indirekten Steuer-
erträge wird sehr bemerkt.
In der Depntirtenkammer entgegnete anläßlich des
Budgets der Ehrenlegion der Minister des Innern unter
abkaufen lasten, und obenein noch den Verlobungsring aus
den Tisch warf und reuezerkuirscht Besserung und ein neues
Leben in der Ferne gelobte — wer hätte sich da nicht über die
Bekehrung des Sünders gefreut! Der berühmte Afrikareisende
Wernshausen konnte zwar im ersten oder im zweiten Akte das
erlösende Wort: Ich liebe dich! für Christine nicht finden, er
niußte sich im dritten Akte, ohne Liebe — man erfährt nicht
warum — mit Hedwig verloben, aber er wird nun doch zum
Schluffe, ohne Verdienst und Würdigkeit, eine Frau für das
Herz und eine Freundin für den Geist haben. „Ich
habe Sie so tief geliebt, daß ich sogar Ihre Freundin
sein kann", sagt ihm Hedwig. Wildenbruch wird dem
Meuschenkenr - ein ironisches Lächeln über diese „Freund-
schaft aus Li<w nicht verargen. Si jeunesse savait! Das
Peinliche der Vorgänge: die jüngere Schwester, die sich blind-
lings mit einem ungeliebtest Manne verlobt, um der älteren
Schwester den Mann nicht zu rauben, aus dessen Hand diese
hofft; die ältere, die statt diese Verlobung zu hindern, sie be-
fördert; ein übermüthiger, nichtsnutziger Geck und Spieler,
der sich beständig als Gentleman ausspielt, die Todesangst
seiner Braut benutzt, sie zu dem Unterschreiben eines Reverses
zu zwingen, in dem sie ihn innerhalb dreier Wochen zu
heirathen verspricht — eines Scheines, mit dem er seine
Gläubiger binhält — und daun diesen Schein für eine Geld-
summe verkauft; das Mädchen, das ein solches Papier unter-
zeichnet, um ein Duell zwischen ihrem Bräutigam und Werns-
hausen, für dessen Leben sie fürchtet, zu hindern; ein Mann,
der einzige Mann.im Stück, Wernshausen, der von den Quellen
des Nil kommt, um im ersten Akte sein Herz zu entdecken, im
zweiten Herz, Kops und Lebensart zu verlieren und sie endlich
im vierten mühsam mit Hilfe der Andern wiederzufinden — all'
dies Peinliche läßt in dem Zuhörer weder eine fröhlich er-
hobene, noch eine tragisch bewegte Stimmung entstehen. Die
Elemente, die, bei den französischen Dramatikern etwa, solche
Vorfälle und Figuren anziehend und sympathisch machen: eine
seine, tiefgehende Motiviruug, eine verwickelte Handlung, fehlen
dem Wildenbruch'schen Schauspiel. Wie in seinen historischen
Dramen begnügt er sich auch hier mit einer leichten
Slizzirung der 'Charaktere. Wir müssen es ihm glauben,
daß aus dem muthwilligen und dann wieder ver-
schämten, dem heiteren und lebenslustigen Backfisch Christine
des ersten Aktes, hinter den Coulissen, aus einem
Spazierritt, eine ernsthafte Heroine wird; ihm glauben, daß
der Tod seines Vaters den leichtfertigen und halbwegs bos-
haften Paul Kettenberg in einen bußfertigen Sünder ver-
bürg und Mülheim erbotenvaMDDnßerdem hat die Gesellschaft
nach Bekanntwerden der Größerer Katastrophe telegraphisch der
Kaiserin 10,000 Portionen Carne pura-Suppen und die für die
Ausstellung für Hygiene konstrnirten Notbstandsherde kostenlos
zur Verfügung gestellt. Herr Dr. Me inert ist nach dem Rhein
lgereist und hat die meistbedrängten Ortschaften besucht. Der
Vaterländische Frauenverein hat, um durchgreifend zn helfen,
außerdem mit der städtischen Armen-Verwaltung in Neuwied eine
Verbindung dahin angeknüpft, daß diese für die sonstigen Be-
wandest. In einer Novelle würde es eine schöne Seite geben,
wenn wir Wernshausen in der Nacht vor einem Zweikampf
seinen kostbarsten Schatz, sein Reisetagebuch, durchblättern und
überall darin eine Erinnerung, einen Brief, ein Zeichen von
Hedwig finden sähen. Wie würden wir dann, alö Leser, mit
ihm mehr und mehr zu dem Glauben geleitet werden, daß
es ein Glück für ihn sein müsse, mit dieser Frau zu leben.
Auf der Bühne läßt uns seine Erzählung dieser Nacht völlig
kalt. Wir glauben ihm einfach nicht. Wildenbruch's Kunst
reicht eben nicht aus, uns diese Menschen, ihre Stimmungs-
wechsel, ihr Hin und Her ohne festes Ziel, ohne überschäu-
mende Leidenschaft glaubhaft erscheinen zu lassen. Die
tragisch angehauchten bleiben Schatten, die komi-
schen, Wernshausen's Diener Windeband und Hcdwig's
Dienerin Rieke, Masken. Die zwei Figuren, in denen
Wildenbruch's Talent sich am bedeutsamsten offenbart, Paul
und Hedwig, kommen viel zu kurz bei ihm weg, sie allein
hätten ein Drama ausgefüllt. Wie immer, prägt sich auch
hier das Unklare der Handlung und der Charakteristik in dem
Schemenhaften der Aeußerlichkeitcn aus. Wernshausen wohnt
mit den beiden jungen Schwestern in demselben Hause, sie
unten, er oben. Sie schmücken harmlos, als ob es ihres
Bruders Stube wäre, sein Arbeitszimmer mit Eichenkränzen,
fein Bild mit Lorbern bei seiner Heimkehr, harmlos empfangen
sie darin Besuche. Er seinerseits geht um Mitternacht durch
ihre Zimmer, um in seine Wohnung zu gelangen. Zornig
fragt er: war denn niemand da, Christine vor der Verlobung
mit Kellenberg zu warnen? Ja freilich, fragen wir mit ihm,
wo war der Vormund der Achtzehnjährigen? Wenn Wilden-
bruch's Gestalten in sich und durch sich allein lebten, wäre
ich der Letzte, so prosaische Fragen auszuwerfen, aber sie
wollen ja Abbilder des modernen Lebens sein und da muß
man sie leider nach dem Moser und Wohin fragen.
Wo die Kritik so manchen Schatten zu erkennen meint,
wird gewiß, sagt sich der Leser, auch viel Licht sein. Und
er irrt sich nicht. Das große Talent Wildenbruch's in der
Führung einer dramatischen Handlung hat gerade für den,
der ein wenig von den Kunstgriffen des Dichters versteht,
etwas Erstaunliches. Wie weiß er diese dürftige Fabel
zu theatralischen Wirkungen zu steigern, wie dicje in sich
selbst blutlosen Figuren, Wernshausen und Christine, mit
der Gewalt seiner eigenthümlich in Leidenschaft erzitternden
Sprache zn beseelen! So abgerissen, unzusammenhängend
Alles an Paul Kellenberg ist, wie lebendig steht er trotzdem
vbr uns da! Die ersten beiden und der vierte Akt sind nach
e a j i'.än!
Hofe, Gras v o n B bürg, ist nach
zurückgekehrt und hat dortigen Mission wieder
übernommen. o y- *
— Das im Druck erstWuslie amtliche Verzeichniß dcS Per-
sonals und der Stndirenden hiesiger Universität für daö Winter-
Semester 1882/83 ist crschrencn und im Bureau der Universität
käuflich zu haben._________________________________________________
Fortsetzung im ersten Beiblatt.
derSeite derTcchnikhinvortrefflich;bliebe das komische,'störende
Intermezzo aus dem vierten Akte fort, würde ich demselben
als technischer Leistung einen ersten Preis zusprechen. So
großer Begabung gegenüber giebt es keine wohlwollende, sondern
nur eine aufrichtige Kritik. Wildenbruch sollte, wie mich
dünkt, das Gebiet des historischen Drama's noch nicht ver-
lassen, noch nicht Shakespeare gegen Augier umtauschen. Die
grandiose, aber flüchtige Malerei, die ihm eigen ist, paßt
nicht für die Darstellung der modernen Gesellschaft. Während
er dort in den Geleisen Schiller's wandelt, droht er hier in
die Alltäglichkeit und Sentimentalität der Birch - Pfeiffer
zu sinken.
Der Erfolg des Stückes ist wesentlich von der Darstelle-
rin abhängig. Der „interessante Mädchencharakter" muß
wieder einmal die Sympathien der Zuschauer erobern. Frl.
Meyer ist, wie ich schon andeutete, für den zweiten Theil
der Rolle trefflich geeignet; das stille Dulden, das sauste
Weinen, die herzhafte Bezwingung ihres Seelenleidens, um
der Schwester em fröhliches Antlitz zu zeigen, bringt sie zu
wahrem und rührendem Ausdruck, in dem ersten Akte dagegen
hatte ihre Naivetät etwas Gezwungenes. Oder fühlte die
Künstlerin die Unmöglichkeit heraus, aus diesen zwei so ver-
schiedenen Wesen eins zu machen? Die säuerliche Hedwig spielte
mir Fr. Kahle-Keßler zu herbe in Haltung und Ausdruck.
Während sie das Harsche und Bittere der Gestalt zu sehr be-
tont, .würde ich mehr das milde gereifte Wesen, die hohe
Geistesbildung des älteren Mädchens 'hervortreten lassen und
nur hier und dort dem Unmuth und der Verstimmung der Zurück-
gesetzten einen,Laut verleihen. Wernshausen'sNeigungmuß doch
eine Art Grundlage haben. Angemessen fand sich Herr Ludwig
mit seinem Wernshausen gb, Relief ist diesem Schattenmanne
ja nicht zu geben. Hr. Kehler spielte den „Gentlenian"
Paul Kellenberg mit einer Wahrheit und einem Feuer, die
mich überraschten: cs ist die beste Leistung des Künstlers, die
ich kenne. So aus einem Gusse, daß ich ihm nicht einmal
rathen möchte, seine Heftigkeit im fünften Akte, die hart an
die Grenze des Möglichen auf der Bühne streift, zu mäßigen,
es ist ein 'Wagniß, aber ein charakteristisches. Ihre humo-
ristische Tantcnrolle hat Fr. Frieb-Blumauer (Ulrike) mit
ihrer sicheren und nie versagenden Meisterschaft gespielt.
Frl. Bergmann (Rieke) und Hr. Vollmer (Windcband)
bemühten sich nach Kräften, die trockenen Späße des Dichters
saftig zu machen. Die Darsteller und der Dichter, dem nach
dem fünften Akte ein Lorberkranz zu Theil wurde, sind
wiederholt gerufen worden. K. Fr.
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Hierzu zwei Beiblätter.
Bon Verl!u nach Danzig.
Daniel Chodowiecki's Kün stlerfahrt'im Jahr 177^
(B e r-li-u, Amsler n. Ruthardt, 1883.)
Wir verdanken der Photographie, mit dem intimsten
Schaffen der Künstler bekannt zu werden. Die Handzeichnungen
sind die eigentlichen Personalakten der Künstler. Was mühsame
und kostbare Faesimile's früher niemals völlig geleistet haben,
bringt der Photograph mit den heutigen Mitteln leicht und
billig zu Wege. Für eine halbe Lire a Blatt kaust wem in
Italien Nachbildungen der höchsten Meisterwerke. In Deutsch-
land wurde bisher gezögert, auf diese Preise einzugehen, aber
es scheint, als sollten auch bei uns die hohen Preise end-
lich ausgegeben werden: für dreißig Mark werden jetzt 108
Lichtdrucke von Zeichnungen Chodowiecki's angeboten, sammt
Mappe und Karton und Titel und Vorrede, und dem Publikum
damit wirklich fast ein Geschenk gemacht, während trotzdeck
zugleich, wie wir hoffen, der Verleger nicht ohne Vortheil
bleibt. Die kgl. Akademie der Künste in Berlin bewahrte
Chodow'iecki's Blätter, aus denen er, als Illustrationen eines
französisch geführten Reise-Journals, die Abenteuer
erzählt, die, er aus einer 1773 von Berlin aus nach
seiner Vaterstadt Danzig unternommenen Reise gehabt hat.
Zu Pferde machte er sich den 3. Juni aus. Das erste Blatt
zeigt den betrübten Abschied von den Seinigen, das zweite
wie er mit einem Pferde nach Freienwalde transportirenden
Reitknechte, dem ersieh angeschlossen hat, über die vater-
scher Hauptmann ihm zuredet, den Gaul, den er heru. ter-
macht, gegen einen für seine Zwecke geeigneteren einzutauschen,
und so weiter: es ist ein Genuß eigenthümlicher Art, die mit
zarter Feder und richtig treffender Sicherheit gezeichneten
Blatter eines nach dem andern umzulegen. Die bürgerliche Ruhe
der langstvergangenen Jahre kommt uns wie ein sanfter
Athem daraus entgegen. Wir sehen, wie bescheiden, kahl und
still es damals hier zu Lande noch zuging. Wir erleben die
Dinge mit, wünschen sie wahrhaftig nicht zurück, aber em-
pstnden das Wohlthuende lebhaft, das in ihnen lag, fast als
beneideten wir diese Vergangenheit um manches, was sie in
sich schloß, und scheiden von dem letzten Blatte mit dem
Gefühl, etwas kennen gelernt zu haben, das als ein treuer
und liebenswürdiger Spiegel seiner Zeit betrachtet werden
dürfe Denn das Beschränkte, Kleine dieser Erlebnisse und
der Art ihrer Darstellung entspricht durchaus dem Durch-
schntttscharakter des deutschen Lebens von vor 100 Jahren.
^Chodowiecki führt uns ein in das vom großen Friedrich
sreschtlsfene und regierte $>voufr<Mn) fej* "
mi>|i; nur
da begegnen, lassen einen Theil des damaligen Publikums
vor Unis vorüberziehen, und was die vorliegenden Zeichnungen,
stets gleich lebendig und gleich unbefangen topirt hat. Diese
Figuren treten uns vor die Augen wie die unzähligen
Haupt- und Nebenakteurs einer ganz Preußen umfassenden
bürgerlichen Sittenkomödie. Alle, selbst die Vornehmsten,
haben etwas Schlichtes, Einfaches, bürgerlich Gemäßigtes.
Die stärksten Affekte halten sich in den Grenzen mit der
Muttermilch eingesogener Anstandsregeln, an deren Gültigkeit
wie an die der Religion selber geglaubt wurde., Gesittung,
Ruhe, Zufriedenheit, Wohlanständigkeit, Begnügsamkeit sind
die Gipfel des moralischen Gebirges, das der Einzelne zu er-
klimmen trachtet, und mit dem Kultus der Gegenwart, dem
diese Anschauung entsprang, war eine so beträchtliche Un-
bekümmertheit in Betreff der Vergangenheit und eine so
sickere Hoffnung auf günstige Fortgestaltung der Zukunft ver-
bunden, daß man diese beiden Elemente in Gedanken ruhig
auf sich beruhen ließ. Die eigene Zeit, die als die best-
mögliche galt, war der Kultur der Gebildeten geweiht.
In ihr sich wohlzufühlen, das Geschäft, bei dem sie alle ein-
ander friedfertig in die Hände arbeiteten. Alan sehe das
kleine Bild, wie Chodowiecki, nach langem Ritte ermüdet,
Abends in einer Dorfschenke eingetroffen, endlich, eine Streu
unter sich und den Kopf auf seinem Mantelsacke, eingeschlafen
ist. Da, in der Nacht, erscheinen zwei Herren in der Gast-
stube, welche drei bis vier mnsizirende Kerls bei sich haben.
Unbekümmert um den Schläfer lassen sie ausspielen und be-
ginnen beim Scheine eines einzigen Talglichteö gravitätisch
ein Menuet zu tanzen. Das Bildchen könnte als Motto
des Jahrhunderts genommen werden, in dem es ent-
standen ist.
Dies führt inich nun etwas weiter.
ausgäbe
Adolf A .. M............
den, die zu dem Besten gehören, was diesem unerschöpflichen
Künstler verdankt wird. Nur wenig Exemplare, die wiederum
in die Hände nur Weniger gelangten, sind von den nach diesen
Zeichnungen ausgeführten vorzüglichen Holzschnitten bisher
bekannt gewesen: endlich nun ist die Erlaubniß ^erlangt wor-
den, von den im königl. Museum lagernden Stöcken neue
Abzüge machen zu dürfen, und heute ist Jeder im Stande,
mit geringen Mitteln den gesummten Darstellungsschatz zu
erwerben. Auch versetzt uns Menzel in das preußische Dasein,
wie es unter Friedrich dem Großen sich gestaltete. Durch
eine wie andere Thüre aber treten wir hier ein und wir
anders muthet es uns an.
> Vergleichen wir, was aus den Händen vaterländischer
tstler zur Jllustrirung Friedrichs und seiner Zeit geschehen
so sehen wir mit des Königs Tode die künstlerische
Erstellung seiner Thaten stocken und bald abschließen. Noch
arstens hat die Schlacht von Roßbach im Sinne der klassi-
hen Bataillentableaus gezeichnet: ins neue Jahr-
hundert hinein aber erstrecken sich derartige Versuche nicht
mehr. Den König selber im Denkmal so darzustellen, wie
Räuch's Statue ihn bietet, wäre vor den Tagen Friedrich
Wilhelm's IV. Niemanden in den Sinn gekommen. Zielens
Statue und die des alten Dessancrs standen viele Jahre als
einsame Merkwürdigkeiten da und erweckten keine Nachfolge.
Menzel selbst hatte in seinen, in den dreißiger Jahren erschie-
nenen, von ihm selbst lithographirten Darstellungen aus der
vaterländischen Geschichte noch nicht den rechten Ton ge-
troffen Erst in den Illustrationen zu Kugler's Geschichte
Friedrich's zeigt er die Hand, die von da ab nicht müde
geworden ist, ihre Gaben zu spenden. Menzel ist es ge-
wesen, der Friedrichs Jahrhundert und den großen König
mitten drin künstlerisch frisch geschaffen hat. Heute sind uns,
deren Augen an Menzels Auffassung sich völlig gewöhnt
haben, die Ereignisse der glorreichen Kriege des vorigen Jahr-
hunderts im Kostüme der Zeit so geläufig, als hätten wir
diese Truppen selber noch so marschiren sehen. Was oben
in den Schlössern bis niedrigsten Bürgerhäusern herab vor-
»»v »vorgegangen sind, mit der Phantasie so
durchaus en pays de counaissance dein Zeitalter Friedrichs
gegenüber, daß an der realen Kenntniß seines gesammten
Inhalts nichts zu fehlen scheint. Wir wissen ja, wie sorg-
fältig Menzel studirt, in welchem Maße echte Ueberbleibsel
jeder Art ihm zu Gebote standen. Wir nehmen, was er uns
vor die Augen bringt, als sei cs ein Spiegelbild der ver-
gangenen Tage selber.
Menzel hat die besondere Gabe, das Nebensächliche mit
technischer Sorgfalt zu verfolgen, um es bei der Benutzung
auf Gemälde oder Zeichnungen dann doch der Hauptsache
unterzuordnen. Menzel liegen diese Tinge völlig in der
Hand. Und ebenso weit reichen die physiognomischen Stu-
dien, die er für seine Aufgabe gemacht hat. Jeder Zug in
den Gesichtern der Grenadiere Friedrichs ist echt. Ihn selbst
scheint er in persönlichem Umgänge von den Jugendjahren
des Königs bis zum gebeugten Alter beobachtet zu haben.
Wo Friedrich erscheint, als Kind, als junger Mann, als Greis,
Soldat, als Flötenbläser, als Tischgenosse seiner brillanten
Tafelrunde, übel oder gut cwl-mul. 'ad.,n,d nd,-r krank, im
Hausrock oder^' 7 der Un-
stern uchkelM nicht hinter ihm veünuthen, wie er jede Bewe-
gung des Königs in sein Skiz enbuch einträgt. Jch^ wähle
diesen etwas seltsamen Vergleich, weil in Menzel's Studien
manchmal beinahe die Absicht zu liegen scheint, neben dem
Bedeutenden auch das der gewöhnlichen Beobachtung fast sich
entziehende Unbedeutende, festzuhalten. Man empfindet, man
hört, man sieht in Mockenten Dies oder Jenes, das fatal
ist, das man als nicht vorhanden zu überwinden sucht, das
für den Augenblick aber doch wie einen leichten Schatten
über unsere Züge legte. Es scheint, als seien Menzel's Blicke
für ein Durchschauen des Menschen in diesen Momenten be-
sonders geschärft und er weiß sie mit einer manchmal dämo-
nischen Deutlichkeit festzuhalten. Wie sollte, wer so das
Kleinste erkennt, nicht die volle Realität selbst eines nie er-
lebten Daseins geistig in uns zu reproduciren im Stande
sein? So ohne Weiteres dürfen wir das aber doch nicht zu-
geben.
VJUUjCl l]i U/It Ul vy l H V H v [ vV/ V V »V
Romantiker, ein Künstler, der Dinge darstellt, die einzig m
seiner Phantasie Existenz haben. Unsere heutige Anschauung
der Friedericianischen Zeit, wie Menzel sie uns eingepflanzt
hat, ist nicht das reine Abbild der Dinge, sondern der Ab-
glanz des Bildes, zu dem sie sich in Menzel's Phantasie zu-
sammenstellten. Die Röcke der Soldaten und Generäle konnten
von Menzel doch nur aufgebürstet und aufgebügelt werden:
das glänzt und flimmert im Lichte des 19., nicht in dem des
18. Jahrhunderts, und den Sachen würde auch ihr Bestes
fehlen, wenn es anders wäre. Chodowiecki hat vor Menzel
eben voraus, daß er die Menschen und Dinge mit eignen Augen
gesehen hat und daß ihm jede Verführung fehlte, mehr
hineinzulegen, als er seiner Zeit eben zu erkennen vermochte.
Chodowiecki's bekannte Portrait-Federzeichnung Friedrichs des
Zweiten enthält etwa vom Blicke des Königs, was alle
Darstellungen Menzel's zu enthalten nicht im Stande
jknd, denn glücklicherweise lebt und schafft Menzel noch unter
ms und ist nicht, wie Chodowiecki, länger als 80 Jahre bereits
cks der Welt gegangen.
Menzel's Ncufchöpfung der Fridericianischen Welt ist eins
merkwürdigsten Phänomene auf nationale Dinge gerich-
e Kunst. Wer weiß, wie unsere Männer und Ereignisse
|ü aussehen werden, wenn nach abermals 100 Jahren
Machwelt die heutigen Zeiten in genauem Abbild zu
kn vermeinen wird, die ein zweiter Menzel (wenn die
.einen zweiten zu schaffen im Stande wäre) ihr dann
. Ihr würde, was von heutigen Darstellungen etwa
kd) vorhanden wäre, das Richtige vielleicht reicht ganz
V scheinen, gerade so rrie Chodowiecki's Blätter neben
Ansprühenden Erfindungen Menzel's heute etwas fast
' ches für unsere Augen haben. H. Grimm:
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
A
aus ? , 18&0|Mai 8
Die I« -er Königlichen Akademie der Künste
ausgestellten Cartons von Cornelius.
Die im vorigen Jahre ausgestellten großen Zeichnungen
von Cornelius find auch jetzt wieder auf kurze Zeit in dtn
Sülen der Akademie fichtbar gemacht.
Aechte Kunstwerke unterscheiden sich auch dadurch von
Mächten, daß über sie immer von Neuem gesprochen wer.
den kann. Ich will diesmal nur auf Eins hier aufmerk-
sam machen. Jeder, er mag eine Kunst oder ein Hand-
werk treiben, einer Wissenschaft sich hingegeben haben oder
ein Amt verwalten, macht die Erfahrung, daß der Anblick
eines Mannes ehrwürdig und mutherweckend fei, der sich
selbstständig durchgearbeitet und auf eigenthümlichen Wegen
etwas erreicht hat. Man folgt gern dem Entwicklungs-
gänge eines Meisters, der es dahin brachte, der Welt
wirkliche Dienste zu leisten. DaS Streben einer jeden
Kraft ist, in redlicher Weife dahin zu kommen, daß man
von sich selber sagen könne, hier stehe ich, das habe ich
geleistet in meiner Sphäre, Andere mögen Anderes besser
gethan haben, dies aber ist mein Werk.
Wenige vermögen dies Bewußtsein wohl so rein zu he-
§en als Cornelius. In einer Zeit beginnend vor langen
fahren, zu der die Kunst in der Irre schweifte, gelang eS
ihm, ihr einen festen, großartigen Inhalt zu geben, hat er
uns in den Stand gesetzt, auf die Frage, ob wir in Deutsch,
and einen großen Künstler hätten, eine bejahende Antwort
zu ertheilen. Abgehend von der gemeinen Methode, deren
einziges Ziel ist, gefällige, verkäufliche Werke herzustellen,
hat es sich um nichts gekümmert als um die Anforderungen
feines eignen Geistes, wie auch Goethe that, hat er darge-
stellt, was ihm das Herz bewegte, und ist fortgeschritten
wie es seiner großen Natur angemessen war. Niemandem
gestattete er Einfluß auf sich als denen, denen er freiwillig
nachstrebte: der antiken Kunst und den italienischen Meistern.
Die Nibelungen, die griechischen Dichter, Dante, Shakespeare
und die Bibel lieferten ihm die Gedanken, seine Werke
bilden Illustrationen zu ihnen. Wie sie hier aufgestellt
find, gewahrt man die Nacheinanderfolge dieser Einflüsse.
Ueberall find die Momente ergriffen, in denen das rein-
menschliche Gefühl am vollsten enthalten ist.
Cornelius' Stellung zur Nation ist die eines Künstlers
der das allgemeine Gut der edelsten Gedanken in sich auf-
nahm und eigenthümlich neu gestaltet zur Anschauung
brachte. Vor seinen Werken empfinden wir, daß die wahre
Originalität nicht darin bestehe, unerhörte, seltsame Dinge
zu erfinden, an die Niemand vorher dachte, sondern daS,
woran jeder denkt, was alle fühlen, so darzustellen, daß
dennoch Niemand, ohne überrascht zu werden, davor tritt.
Und wie bei Rafael und Michelangelo, denen er nach-
strebt, ohne sie freilich zu überbieten, bezeichnet jede neue
Schöpfung eine neue Stufe seines Fortschrittes. Jetzt ist
er alt und wird vielleicht bald auf immer auSruhn von
seiner Thätigkeit. Niemals aber ist er stehen geblieben,
und seine letzten Werke, die Entwürfe für das Campo-
santo, find seine schönsten.
ES ist bekannt, daß bereits vor zwanzig Jahren der
Plan gefaßt wurde, ein Museum für feine Zeichnungen
zu bauen. Wie viel mehr ist dies jetzt geboten, da die
Cartons, die er seitdem gearbeitet hat und an denen er in
Rom noch zeichnet, wahrscheinlich mit dem Bau deS Cam-
posanto selbst noch lange auf ihre malerische Ausführung
werden warten müssen. Sollen sie während dieser Zeit
verloren sein, und waö soll aus den anderen werden?
Müssen sie wieder in die Kisten hinein, in denen sie
so lange Jahre standen? Es nützt nichts, fie von Zeit
zu Zeit für Geld auszustellen. Ohne Entgelt wüsten
fie immer fichtbar und zugänglich sein. Wenn die Millio-
nen für die Museen aufzubringen waren, wüsten auch die
paar Tausend Thaler da sein, um für die Werke eines
solchen Mannes ein einfaches HauS zu errichten.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
z
Berlin ist nicht mehr blos die Hauptstadt von Preußen,
sondern die von Deutschland. Es darf nicht heißen, daß
hier der größte deutsche Künstler vergessen und vernachläs-
sigt werde, während für andere sogenannte Kunstzwecke
Geld genug vorhanden ist. Man bestellt und kauft Sta-
tuen für ungemeine Summen, und hier, wo man die Werke
schon besitzt, fehlt es, um sie uns aufzustellen. Wäre es
nicht besser, statt Cornelius nach seinem Tode ein Denk-
mal zu errichten, jetzt, bei seinen Lebzeiten noch, ihm
die Beruhigung zu geben, daß für seine Arbeiten
in würdiger Weise Sorge getragen sei? Unser Sün-
denregtster gegen die großen Männer deS eigenen Volkes
ist groß genug, wollen wir eS kühl darauf ankommen las-
sen, daß noch dieser neue Posten dazugeschrieben werde?
Ich glaube, cs wäre ehrenvoll für unS und für ihn, noch
einzugreifen; praktisch wäre es zugleich. Aber es müßte
dann etwas gethan werden und sogleich. Ich dächte, es
müßten sich doch am Ende einige Männer finden, die sich
beim bloßen Achselzucken und Bedauern nicht beruhigten,
sondern die Sache als eine Ehrensache der Nation in die
Hände nähmen.
Nachdem ich fast ein Jahr lang nichts von Cornelius
gehört hatte, erhielt ich in diesen Tag einen Brief von
ihm. Er spricht darin von seinem hohen Alter und der ge-
ringen Zeit, die ihm wohl noch übrig bliebe. »Mein einzi-
ger Wunsch ist*, schreibt er, „das begonnene Werk, soweit eö
mir möglich ist, zu einem gewissen Abschluffe zu bringen.
Ihr Ausspruch, daß große Künstler die größten Wohlthäter
eines Volkes seien, hat sich bei der Schillerfeier auf daS
Erhebendste bewährt. In wiefern das auch auf mich an-
wendbar ist, mögen Andere entscheiden, aber daS weiß ich
Md darf es aussprechen, daß jetzt keiner lebt, dem ein er-
babenereS Bild der Kunst vor der Seele gestanden, ein
Bild, daS immer größer und klarer wird, und nach dem
ich immer mit brennender Liebe gerungen und noch ringe.*
Ich hoffe, man wird eö entschuldigen, wenn ich diese
Worte aus einem Briefe mittheile, der freilich nicht für die
Oeffentlichkeit bestimmt ist. Ein achtzigjähriger Mann, der
seit langen Jahren der größte Künstler seines Volkes ge-
nannt wird, darf so von sich reden. Und in Berlin haben
wir seine Werke. Und es fehlt an Raum, sie aufzustellen.
Berlin, den 8. Mai 1860. Herman Grimm.
r
Berlin.
Freitag, 29. April
(Morgen-Ausgabe.)
Abonnement: für Berlin viertellährlich 75 S,
für das deutsche Reich und ganz Oesterreich
incl.derPostbeförderungsgebühren. Bestellungen
nehmen au die Expedition, W. (8), Mohreu-
straße 59, und sämmtliche Postanstalten.
M 341.
1887. — 40. Jahrgang.
Eolnmne
Inserate. — Die Petitzeile!
Morgen-Ausgabe 4°gespalten 40 A.
resp. deren Theile 300 JC u. s. w.
Abend-Ausgabe 3-gespalten 60K. — Reklame
3-gespalten MC 50 ^ — Columne 450^k u.s.w.
Inhalt.
Deutschland. Berlin: die Enthüllungen über Gortschakow'8
Orientpolitik; Schnäbele;militärischeMittheilnngen; landeskirchliche
Versammlung in Berlin; der Nachtragsetat zum Neichshanshalts-
etat in der Budgetkommission; Nachtragsetal zum preußischen
Staatshaushaltsetat; Bundesrath; Giers; englische Armee.
Frankreich. Paris: zur Vertagung der Lohengrin-Aufsührnng.
Verhandlungen des Abgeordnetenhauses.
Aus dem Reich und den Provinzen.
Parlamentarische Nachrichten.
Stadtverordneten-Versammlung.
Amtliche Nachrichten.
Berliner Nachrichten.
Gerichtsverhandlungen.
Berliner Börsenhalle n. Waaren» u. Vrodukteumärkte.
* Berlin, 28. April.
Die Enthüllungen über Gortschakow'S Orientpolitik.
Die Enthüllungen aus der Geschichte der Orientkrisis,
speziell über die Vorgeschichte der Okkupation Bosniens und
der Herzegowina, welche die „N. A. Z." gestern und heute ge
bracht hat und deren Ergänzung durch fernere und nöthigen-
salls noch genauere Angaben sie in Aussicht stellt, falls'der
offiziöse „Dniewnik Warschawski" und andere gleichfalls offiziöse
russische Zeitungen mit ihren systematischen Geschichtsfälschungen
fortfahren sollten, scheinen uns in mehr als einer Hinsicht sehr
beachtenswerther Natur zu sein.
Zunächst nämlich sind die Mittheilungen der „N. A. Z."
sehr geeignet, wieder einmal in Erinnerung zu bringen, auf
wie unsicherem Boden sich alle nicht aus diplomatischen Akten-
stücken geschöpfte oder auf die Aussagen authentischer Zeugen
gestützte Urtheile und Betrachtungen über die auswärtige Politik
bewegen. Elf Jahre sind vergangen, seit die vor etwa vier
Wochen zuerst von der offiziösen Wiener „Presse" angedeuteten,
von der „N. A. Z." setzt genauer skizzirten Verhandlungen
zwischen Rußland und Oesterreich ohne Wissen und Mit-
wirken Deutschlands begonnen haben, mehr als zehn
Jahre, seit sie ihren Abschluß in einem förmlichen Vertrage
fanden, welcher Oesterreich-Ungarn zur Besetzung Bosniens
imb der Herzegowina ermächtigte, falls es Rußlands Armeen
rrnbehclligt über den Balkan ziehen ließe. In die Oeffentlich-
keit ist von diesen Verhandlungen und von dem Vorhandensein
dieses Vertrages aber niemals etwas gedrungen, obgleich die
panslawistisch'-russische und auch die offiziöse russische Presse seit
1878 schon wiederholt, sowohl Deutschland als Oesterreich der
Persidie gegen Rußland und insbesondere der Uebervortheilung
desselben auf dem Berliner Kongresse beschuldigt hat. Auf diesen
Kongreß soll nämlich, nach nicht erst von heute stammender
russischer Darstellung, Fürst Bismarck im Interesse der öster-
reichischen Orientpolitik das „harmlose, vertrauensvolle Rußland"
gelockt haben, um es dort, unterstützt von Oesterreich und
England, aller Früchte seiner opservollen Siege über die Türkei
zu berauben. Eine Jrrefühnmg der öffentlichen Meinung
Europas war keineswegs ausgeschlossen, denn zur öffentlichen
Kenntniß war nur der Berliner Kongreß selbst und sein Ver-
lauf gekommen. Man wußte, daß Fürst Bismarck als Ver-
mittler zwischen den Mächten gewirkt hatte, und daß die Pro-
tokolle des Kongresses u. A. auch diejenigen Bestimmungen
enthielten, auf Grund deren Oesterreich-Üngarn in Bosnien
und der Herzegowina einrückte, während Rußland eine provi-
sorische Ausnahmestellung in Bulgarien eingeräumt wurde.
Selbstverständlich erschien unter solchen Umständen auch
die Ausdehnung der österreichischen Machtsphäre aus
zwei große türkische Provinzen lediglich als ein Ergebniß
des Kongresses, und Rußland konnte insofern allerdings dupirt
erscheinen, als auf der Balkanhalbinsel das sichtbare Ergebniß
seiner Siege über die Türkei ein dauernder Gebietszuwachs an
Oesterreich-Ungarn war, während ihm selbst in Bulgarien nur
aus Zeit eine maßgebende Stellung eingeräumt war. Die
russische Regierung konnte sich unter solchen Umständen leicht
als das Opfer perfider Freunde hinstellen, auch wenn unter
Hinweis auf Bosnien einerseits, auf Bulgarien andererseits
schon dagHs von einer Abgrenzung der beiderseitigen Interessen-
sphären zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland viel gesprochen
wurde.
Warum nun ließ man sowohl in Wien als in Berlin den
systematischen und immer wieder auftauchenden russischen Ver-
dächtigungen so lange Zeit freien Spielraum, wenn man das
Material in Händen hatte, sie mit einem Schlage in ihrer
ganzen Nichtigkeit bloßznstellen? Daß man nämlich auch
deutscherseits schon 1878, jedenfalls anläßlich des Wiener Kon-
gresses, Kenntniß von dem zwischen Rußland und Oesterreich-
Ungarn im Januar 1877 abgeschlossenen Vertrage erhalten
hatte, möchte man aus dem Satze der heutigen Enthüllung der
„N. A. Z." schließen, welcher konstatirt, daß derselbe sich 1878
nicht mehr habe rückgängig machen lassen, und daß Fürst Gortscha-
kow dies auch gar nicht versucht habe. Bisher beschränkte sich trotz-
dem die deutsche Abwehr der russisch-panslawistlschen und russisch-
offiziösen Verleumdungen und Geschichtssälschungen wesentlich
darauf, zu versichern und an einzelnen Thatsachen darznthun, daß
die deutsche Vermittelung zwischen Rußland und Oesterreich im
Orient eine durchaus unparteiische war. Wenn nun heute zur
Abwehr ganz gleichgearteter Verleumdungen mit einem Male
schweres Geschütz aufgefahren und nicht nur jener Vertrag
zwischen Rußland und Oesterreich skizzirt, sondern außerdem
auch konstatirt wird, daß, weit entfernt, Rußland auf den
Berliner Kongreß gelockt zu haben, die deutsche Regierung zur
Veranstaltung desselben lediglich durch das Verlangen Rußlands
bewogen worden ist, wenn endlich nöthigenfalls noch fernere
und noch genauere Enthüllungen in Aussicht gestellt werden,
so muß das die Vermuthung wachrufen, daß zu solchen Er-
klärungen ganz besondere Beweggründe vorliegen.
Sucht man solche zu entdecken, so wird der suchende Blick
unwillkürlich durch die jüngsten russischen Vorgänge, welche um
die Namen Katkow und Giers sich gruppiren, angezogen. Die
Ohnmacht des letzteren, ja des Zaren selbst Katkow gegenüber,
läßt die Bedeutung der panslawistischen Partei denn doch in
einem neuen Lichte erscheinen, und dies um so mehr im gegen-
wärtigen Augenblick, wo der Rücktritt des Herrn von Giers
als etwas nicht Unwahrscheinliches betrachtet wird. Angesichts
möglicher Weise einschneidender Umänderungen in Rußland
könnte die deutsche Regierung allerdings Grund genug haben,
die panslawistischen Geschichtsfälschungen, ehe sie in „geglaubte
Geschichte" sich verwandeln, in ihrer völligen Haltlosigkeit klar-
zulegen. Wenn nicht Alles täuscht, dürften die eventuell noch
in Aussicht gestellten weiteren Enthüllungen in dem Nachweis
gipfeln, daß nicht Fürst Bismarck, sondern ein anderer, und
zwar russischer Staatsmann es gewesen ist, welcher aus Uebervor-
theilnng eines aufrichtigen BüiDtbes, freilich mit sehr negativem
Erfolge, ausging. KoUstc
Eine allgemeine Be^?^'g erhalten die Enthüllungen
der „Nords. Attg. Zlg." da'ouM^ daß sie auf die Lage wieder
ein sehr scharfes Licht werfen« Dieselbe hat sich anscheinend
nicht zum Schlimmeren gefedert, aber wie wohl berathen
Deutschland war, indem es ifich für alle Fälle in dm Stand
nachdrücklichster Vertheidigung gesetzt hat, das erhellt, wenn
man auf der einen Seite' die Enthüllungen der „Nordd. Allg.
Zig.", auf der anderen den Fall Schnäbele beachtet; dort, von
Staatsmännern ausgehend, die in offiziösen Zeitungen syste-
matisch betriebene Verleumdung Deutschlands und des mit ihm
verbündeten Oesterreich - Ungarn, die Verhetzung der russischen
öffentlichen Meinung wider dieselben, hier die von französischen
Beamten betriebene Spionage im deutschen Nachbarlande, die
geschäftsmäßige Organisation des Landesverraths im Grenz-
gebiete. Mit solchen Nachbarn kann allerdings nur der Starke
im Frieden lieben.
Nachdruck verboten.
Deutsche Kunst.
Die Gemälde von Dürer und Wolgemut in Re-
produktionen nach den Originalen zu Augsburg,
Berlin, Bremen, Florenz rc. rc. Herausgegeben von
Sigmund Soldan. Mit Text von vr. Berthold Riehl.
In unvergänglichem Lichtdruck ausgeführt von F. Bruckmann.
Erste Lieferung. Nürnberg. Verlag von Sigmund
Soldan. (Mappe mit 13 Blatt.)
Dürers Arbeiten sind Gemälde, Haudzeichnungen, Holz-
schnitte und Kupferstiche. Don Liesen vier Kategorien werden
die Handzeichnungen durch die Publikation des köngl. Kupfer-
stichkabinetes zu Berlin in einstweilen unübertrefflicher Weise
rcproduzirt. Dem bereits erschienenen ersten Theile sollen
zwei andere nächstens folgen. Das Werk macht Deutschland
und Berlin Ehre. Was die Holzschnitte anlangt, so steht eine dem
Rangenach gleichstehende Veröffentlichung sämmtlicher Blätter noch
nt erwarten. Einzelnes ist in vortrefflicher Weise herausgekommen.
Für die Stiche hat Frankreich in Amand Durand's Heliogravüren
schon vor einer Reihe von Jahren das Beste geleistet. Daß
mit den heute zu Dienst stehenden verbesserten Prozeduren dieser
Versuch nicht überboten werden könne, wird man in Paris
selbst nicht behaupten, aber wie dem nun sei: Amand Durand's
Dürerwerk liegt vor und man muß dankbar dafür sein,
daß in Paris die Initiative in einer Sache ergriffen wurde,
die eigentlich uns obgelegen hätte.*)
Gefehlt hatte bis heute eine Ausgabe der gesammten Ge
mälde Dürer's. Diese ist jetzt unternommen worden und zwar
in so vorzüglicher Art, daß auch hier gesagt werden kann, es
gereiche das Unternehmen Deutschland zur Ehre. Diesmal ist
man in Nürnberg vorgegangen. Was würde Dürer für Augen
gemacht haben, wenn er seine malerische Thätigkeit so vor sich
hätte liegen sehen. Auch das würde ihm wohl in den kühnsten
Dre Franzosen sind uns, was den Betrieb der neueren Kunst,
geschrchte anlangt, übrigens nicht blos hierin voraus.. Während
tinr dem nach Rom reifenden, für Neuere Kunst arbeitenden Ge»
lehrten dort an wissenschaftlichen Hilfsmitteln Nichts bieten, arbeiten
ranzoflsche Gelehrte nun schon seit Jahren in den Archiven Romi»
nnt recchem Apparate und nöthigen unS, was die Resultate dieser
Thätigkeit anlangt, ihnen auch in dieser Richtung dankbar zu sei».
Zum Falle Schnäbele schreibt die „R. A. 3. ttt
Uebereinstimmung mit den früheren Mittheilungen der «Straß-
burger Post" und in Ergänzung derselben:
„Nachdem nunmehr in dem Fall Schnäbele einige wichtige
Thatsachen unzweifelhaft festgestellt sind, scheint es an der Zeit, den
wahren Sachverhalt darzulegen, und geben wir zu diesem Zweck
littheilu
im Folgenden die Mittheilung wieder, welche dem Auswär-
tigen Amt auf desseng Requisition seitens des Reichs»
justizamts über den Fall Schnäbele zugegangen ist:
Im Februar d. I. wurden der Handelsagent Tobias Klein zu
Straßburg und der Fabrikant Martin Grebert zu Schiltigheink
unter dem Verdacht des Landesverraths verhaftet, und wurde
gegen beide unter der Beschuldigung:
im Inlands in nicht rechtsverjährter Zeit Festungspläne und
Nachrichten, von denen sie wußten, daß ihre Geheimhaltung der
französischen Regierung gegenüber für daS Wohl des deutschen
Reiches erforderlich war, dieser Regierung mitgetheilt zu haben,
auf Grund des § 92 Nr. 1 Strafgesetzbuchs die gerichtliche Vor-
untersuchung eröffnet.
Klein wurde bei seiner Verhaftung im Besitz dreier Briefe ge»
funden, in welchen Auskunft über die Befestigungsarbeiten zu
Straßburg verlangt wird, und aus denen sich ergiebt, daß der
Briefschreiber gleiche Nachrichten bereits aus Metz erhalten hat.
Klein legte nach anfänglichem Leugnen — auf Vorhalt der
gegen ihn vorliegenden Verdachtsmomente, insbesondere nach Vor-
legung eines anscheinend von seiner Hand herrührenden, M. Marthe
unterzeichneten Schreibens an Hirsch vom 28. August 1882, in
welchem über die Armirung der Straßburger Forts nähere Angaben
gemacht werden — ein Geständniß ab.
Im Jahre 1879 oder 1880 sei er von dem ftanzösischen Polizei-
agenten Hirschbauer zn Paris mit der Spionage in Mainz und
Siraßburg beauftragt worden. Er habe die ihm von denselben
brieflich vorgelegten Fragen, welche sich meist ans die Beschaffenheit,
Lage und Konstruktion der Forts von Mainz und Straßburg be-
zogen, unter der Adresse Hirsch in Paris und unter anderen Adressen
beantwortet und habe für seine Thätigkeit bis zu seiner Verhaftung
monatlich 200 Mk. bezögen. An den Hirschbaner sei er durch den
damaligen französischen Grenz-Polizeibeamten Fleuriel zn Avriconrt
gewiesen worden, welcher Letztere auch gelegentlich selbst einzelne Sen-
dungen vermittelt habe. Vor etwa 2 Jahren habe ihm Hirschbaner
geschrieben, daß er von jetzt ab mit der Sache nichts weiter zn thun
habe, und ihn an den Oberst Vincent zu Paris, als den Chef des
bureau des renseignements empfehlen werde; einstweilen solle er
seine Briefe an Picard in Nancy adresstren. Letzteres habe er ge-i
than, bis er von dem französischen Polizeikommiffar Schnäbele zu
Pagny zn einer Zusammenkunft eingeladen und dabei von diesem
aufgefordert worden sei, in Zukunft seine Briefe an Kenzig irr
Pont-ü-Mousson zu adressiren. Denientsprechend habe er seitdem,
korrespondirt. Die bei ihm aufgefundenen Briefe rührten von,
Schnäbele her. Die auffällige Form der Briefe habe bezweckt, stq
im Falle einer etwaigen Beschlagnahme als Familienbriefe erscheinen,
zu lassen.
In Folge seines Geständnisses ertheilte der Untersuchungs-
richter dem ihm beigegebenen Kriminalkommissar v. Tausch den.
Auftrag, auf den des Landesverraths beschuldigten französischen
Polizeikommissar Schnäbele zu fahnden und ihn, im Fall er dass
deutsche Gebiet betreten sollte, zu verhaften und vorzuführen. Iw
Ausführung dieses Auftrages ist Schnäbele am 20. M. ver-
haftet worden.
Die Verhastnng hat erwiesenermaßen auf deutschem Gebiet
stattgefunden.
Nachdem Schnäbele bei seiner ersten Vernehmung jede Schuld
in Abrede gestellt und behauptet hatte, daß seine Verhaftung auf,
französischem Gebiet erfolgt sei, hält er die letztere Behauptung
nicht mehr bestimmt aufrecht, giebt vielmehr die Möglichkeit eines
Irrthums zu und räumt zugleich ein, die qu. drei Briefe geschrieben
und die als landeSverrätherisch gekennzeichnete Korrespondenz des
Klein vermittelt zu haben.
Der von ihm und dem Klein genannte französische Oberst
Vincent ist bei dem Reichsgericht bereits ans den LandeSverraths-
prozeffen wider den dänischen Kapitän Sarauw und wider den
Redakteur Prohl als Chef des französischen Nachrichtenbureaus zu
Paris bekannt.
Der Untersuchungsrichter hat gegen den Schnäbele den Haft-
befehl wegen Landesverraths aus Grund der §§ 92 Nr. 1 und 47
Strafgesetzbuchs erlassen.
. Der Angeschuldigte Grebert scheint zn französischen Grenz-
polizeibeamten, insbesondere zu dem Polizeikommissar Gerber zu
Avricourt, ähnliche Beziehungen wie Klein zu Schnäbele unterhalten
zn haben.
Schnäbele ist also geständig, und außerdem darf als er-
hoben betrachtet werden, daß er nicht der einzige französische
Grenzpolizeibeamte ist, welcher seine Stellung zur Spionage und
zur Organisirung des Landesverraths im deutschen Nachbarlande
ausgenützt hat. Damit ist eigentlich der Hauptzweck der Ver-
haftung Schnäbele's erreicht.
Gedankenflügen nicht vorgeschwebt haben, daß feine Gemälde in
dem Maße sich über die Welt jemals verbreiten würden, wie
diese Drucke jetzt möglich machen. Freilich, es wird eine Zeit
kommen, wo das, was heute gethan wird, nur als der erste schwache
Beginn einer Verbreitungsperiode der Werke Dürer's dasteht,
die dann wahrscheinlich — in Zukunft — in ganz anderer Fülle
über die Erde fliegen und, wo Deutsche sitzen, ihnen die geistige
Gemeinschaft mit ihrem ersten Meister bieten werden. Einst-
weilen sollte Niemand zögern, diese in der ersten Lieferung vor-
liegende Publikation der Gemälde sich und seiner Familie zu
stiften. Möchte von der Derlagshandlung dafür Sorge ge-
tragen werden, daß der zu erwartende erklärende Text ohne Ueber
schwang von Worten und kunsthistorischen Nebenblicken einfach
und fachgemäß gehalten fei. Frei von begleitendem Text über-
Haupt dürfen Dürer's Sachen allerdings noch nicht in die Welt
gesandt werden. Das Publikum steht zu sehr unter dem Ein
stuß der italienischen Formen des Cinquecento, die unzählige
Kupferstiche unseren Blicken seit Generationen eingeprägt haben,
um die deutsche Kunst früherer Jahrhunderte gleich zu der
stehen. Manches erscheint da steif, unbelebt, eckig, seltsam,
sogar geziert, was doch reinem Raturgefühl entsprungen war.
Ein vortreffliches Mittel, auf Dürer vorzubereiten und
zu zeigen, wie sehr er sich innerhalb seiner Zeit durch
eigenthümliche Auffassung der Natur über die Anschauungen
erhob, aus denen er hervorgegangen war, gewähren die in
der vorliegenden Publikation Dürer's Gemälden beigemischten
Gemälde seines Lehrmeisters Wolgemut. Allerdings gehören
die bis jetzt aus Wolgemut's Arbeiten zur Mittheilung ausge
wählten Stücke noch in deffen frühere Jahre, so daß der Abstand
groß erscheint und die Vermittlung fehlt, die folgenden
Lieferungen aber werden dies ausgleichen. Meiner Erfahrung
nach nehmen für daö Verständniß des Zusammenhanges zwischen
Dürer nnd Wolgemut die Goslarer Gemälde eine der vor-
nehmsten Stellen ein. Längst hätte eine Auswahl aus diesen
frei und rasch, zum Theil geistreich ausgeführten Darstellungen,
welche die niedrigen Wände des Rathszimmers und dessen tief
herabgedrückte und bequem sichtbare Decke völlig bo
decken, publizirt werden solnn. Sie bekunden die Der
wandtschast der frühesten Holzschnitte Dürers, der Großen
Passion zumal, mit der Art dieses Meisters. Sein Portrait,
kurz vor km Tode des uralten Marines von Dürer
gemalt, finden wir unter deu Blättern unserer ersten Lieferung.
Man traut dieser Stirn ernste und bedeutende Gedanken
zu und erfreut sich der dauernden Freundschaft, die zwischen
Wolgemut und seinem großen Schüler gewaltet haben
muß. Zu diesem Bildnisse ist Dürer's Zeichnung stu vergleichen,
die übrigens schon früher entstanden sein konnte. Wol-
gemut's Portrait ist wohl das Beste von Dürer's Bildnissen
aus seiner zweiten Epoche. Vergleichen wir es mit Holzschuher's
Portrait (in Berlin), dem besten der dritten, und mit dem der
Fürlegerin aus Dürer's ersten Zeit — ein Vergleich, den die
vorliegende Mappe gestattet — so treten uns die Eigenthüm-
lichkeiten der drei Perioden, was Dürer's Bildnißmalevei anlangt,
leicht vor die Augen. Zuerst die bewunderungswürdige Treue,
mit der die Natur, fast in einem gleichgültigen Momente, wieder-
gegeben wird; in der zweiten Epoche das Bestreben, zu charak-,
teristrcn, die Formen in einer gewissen Einfachheit zu einem
Ganzen zusammenzubringen, deffen geistige Wirkung wir
empfinden; in der dritten der Wunsch, nicht blos der Treue und
dem Charakterisiren genug zu thun, sondern ein Kunstwerh
an sich zu liefern. In den Niederlanden war Dürer das end-
lich aufgegangen. Wiedergaben der drei Tafeln, welche nicht
völlig die Güte der vorliegenden Reproduktionen erreichten,
würden das Studium so seiner Unterschiede nicht zulassen.
Ein heute nicht mehr oft benutztes Wort ist „Mission." Viele
Jahre las man überall von der Mission der ver-
schiedensten Dinge und Gedanken. Mir scheint es am
besten auszudrücken, was von der wiederauflebenden intimen
Bekanntschaft des deutschen Volkes mit Dürer's Arbeiten
zu erwarten sei. Dürer hat noch eine Mission. Sind wir
von diesen Bildern erst einmal so durchtränkt, wie wir es
(Viele, ohne zu wissen) von denen Raphaels sind, so wird sich
Ctv»*»». /tfatrfl b.atam vti/fif bfnä ft.« b/rS CV^bfftltltSprf
neben seinem Werke nun wieder in Betracht. Wie viel hängt
für die Wirkung der Arbeiten eines Künstlers oder
Schriftstellers ersten Ranges davon ab, wie sein Charakter
sei. Dürer's Werke bieten dem deutschen Volke Einblick in das
unschuldige Seelenleben eines Mannes, dem an nichts als an
seiner^ Arbeit gelegen war. Wie alle großen Maler schafft er
M aimitMngeit, zieht er unwillkürlich andere Künstler
m seine Kreise hinein, die die Dinge nun zu sehen beginne»
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Militärische Mittheilungen.
Bezüglich der Bewaffnung der Infanterie mit Mehr-
ladern sind die Staaten des mitteleuropäischen Dreibundes,
Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Italien, am weitesten vor-
geschritten. In Frankreich scheint zwar die Herstellung des
neuen Modells Gras-Lebel bereits in größerem Umfange statt-
zufinden, doch dürften wohl noch nicht alle Schwierigkeiten ge-
stoben sein, welche mit einer so tiefgreifenden Aenderung ver-
bunden sind und zu denen namentlich die nothwendige Peinlich-
keit in den Abmessungen der Läufe, sowie die Herstellung der
Munition Anlaß geben. Daß man auf einen längeren'Zeit-
raum bis zur Durchführung der Ncubewaffnung rechnet, beweist
die kürzlich vom Kriegsminister verfügte Anbringung einer
Schnelllade-Dorrichtung am bisherigen Gewehr. England ist
in Bezug auf die Wahl des Mehrlader-Modells noch zu keinem
endgültigen Entschluß gelangt, eine Zeit lang hatte das System
des Wiener Gewehrfabrikanten Schulhof Aussicht, jetzt spricht
man wieder von einem Gewehr von Richard Morris. Gänzlich
ablehnend gegen die Mehrlader verhielt sich bis jetzt Rußland; es
scheint in maßgebenden Kreisen die Ansicht zu herrschen,
als sei die Feuergeschwindigkeit des Berdan - Gewehres
auch > künftig ausreichend. In diesem Sinne äußerte
sich in neuester Zeit der bekannte General Dragomirow,
unter gleichzeitiger Hervorhebung aller mit dem Mehr-
lader verbundenen Nachtheile; ähnlich lautete auch ein
vom General Roop, Kommandant des Militär - Bezirks von
Odessa, an seine Truppen erlassener Tagesbefehl. Portugal
und Dänemark haben Mehrlader von 8 Mm. Kaliber an-
genommen; entsprechende Versuche finden schon seit Jahren in
Spanien statt. Die Türkei hat eine ansehnliche Bestellung von
Mehrladern des Systems Mauser in Deutschland gemacht.
Seitens Belgiens ist ein erheblicher Kredit zur Anschaffung
von Mehrladern der Landcs-Vertretung vorgelegt worden. Die
Schweiz hat den Mehrlader schon seit 1069^ denkt aber zu
einem kleineren Kaliber überzugehen.
Am weitesten vorgeschritten in der Einführung des Mehr-
laders ist gegenwärtig das deutsche Reich, bei welchem nicht nur
die Durchführung der Bewaffnung der Feldtruppen mit solchen
in diesem Jabre bevorsteht, sondern auch schon umfaffende
Uebungen der Mannschaften des beurlaubten Standes im Ge-
brauch des Gewehrs stattgefunden haben und noch stattfinden.
Italien hat die Bewaffnung dee Heeres der ersten Linie bis
Mitte 1888 in Aussicht genommen, während Oesterreich-Ungarn
die Ausrüstung der Infanterie binnen drei Jahren auszu-
führen gedenkt. Deutschland wie Oesterreich sind beim
bisherigen Kaliber von 11 Millimeter geblieben, ebenso
Italien bei seinem Kaliber von 10,5 Mm. Der deutsche Mehr-
lader hat das röhrenförmige Magazin im Vorderschaft, dasselbe
faßt 8 Patronen, außerdem 1 im Löffel. Der österreichische
Mehrlader des Systems Mannlicher (Modell 1886) hat ein
Mittelschaftsmagazin, in welches die Pattonen jedesmal bündel-
weise zu 5 Stück eingesetzt werden, ähnlich ist die Anordnung
beini italienischen Mehrlader, welcher eine ziemlich einfache Um-
arbeitung des bisherigen Vetterli-Gewehres nach einem Vor-
schlag des Hauptmanns Vitali ist, es werden hier jedesmal vier
Patronen, welche in eine besondere Ladebüchse gesteckt
find, eingeschoben. Die Umarbeitung kostet für jedes
Gewehr nur 10 Lire. Das österreichische Gewehr,
welches von Grund aus neu ist und 36 Gulden
das Stück kosten soll, erhält durch Annahme einer neuen Pulver-
gattung eine Geschohgeschwiudigkeit von 180 Meter. Bezüglich
rtcu?w französischen Gv.vcbrs, an welchem außer 'Ovvrst
Gras der Oberst Lebel, Direktor der Normalfchießschule zu
Ehalons, betheiligt ist bat bei eiitem Kaliber von 8 Mm. eben-
falls ein Mittelschafts-Magazin; das Gewicht ist dein des bis-
herigen Gewehrs gleich. Es verschießt ein Verbünd-Geschoß
nach Lorenz mit einem Pulver von Bruysre und erreicht eine
Geschoßgeschwindigkeit von 530 Meter. Es ist möglich, den
bisherigen Lauf zu verwerthen, welcher mittels eines kaliber-
mäßig ausgebohrten Rohrs verengt wird. Der für
das bisherige Gewehr Ende Februar d. I. eingeführte Schnell-
lader ist eine Ledcrtasche, welche 8 Patronen faßt und nach
Belieben am Gewehr in der Gegend der Patronen-Einlage befestigt
werden kann. Der Schütze hat die Patronen aus dieser Tasche
in das Gewehr einzuführen und somit einen kürzeren Weg,
als wenn er die Patronen aus der Patronentasche zu entnehmen
hätte. Der Gedanke ist schon vor 10 Jahren in Rußland beim
Kruka-Gewehr verwirklicht, aber wegen des nur geringen that-
sächlichen Nutzens der Anordnung bei vielen Nachtheilen wieder
aufgegeben worden. Die Auffrischung dieses Gedankens beim
französischen Gewehr wird wohl nur ein Mittel sein, das Ver-
trauen des Soldaten zu seiner bisherigen Waffe zu heben,
welches durch die als vollendete Thatsache hervorgetretene Be-
I waffnung des deutschen Heeres mit dein so sehr überlegenen
Mehrlader einen starker, Stoß erlitten hat.
Man schreibt uns: „Die „landeskirchliche Versamm-
lung" irr Berlin trug, wie von vorn herein beabsichtigt war,
einen ausschließlich dernonstrativen Charakter. Von einer Er-
örterung der sechs zur Verhandlung stehenden Fragen, deren
jede ernzelne von größter Tragweite war, konnte natürlich im
Zeitraum weniger Stunden nicht die Rede sein. Die vorher
als sogenannte Referenten bestellten Redner sagten ihr Berschen
her und damit war die Sache erledigt. Die nach dem sechsten
Vortrage eröffnete „Diskussion" entbehrte jedes inneren Zu-
sammenhanges mit den vorhergegangenen Ausführungen und
wurde sehr bald durch wiederholte Schlnßanträge abgeschnitten,
zumal nachdem ein Redner, ein junger Privatdozent, gewagt
hatte, einige Worte zu stammeln, die auf eine nicht völlige
Zustimmung schließen ließen. Der Vorsitzende einer 1000 bis
1200 Mitglieder zählenden Versammlung hat wohl niemals
eine mühelosere Aufgabe gehabt, als hier Herr von Maltzahn.
Die vorher vertheilten Reden über die einzelnen „Forderungen
größerer kirchlicher Selbständigkeit und Freiheit" waren zum
Theil recht dürftige, aber mit großem Pathos vorgetragene
Wiederholungen der landläufigen Behauptungen von der Un-
freiheit und Gebundenheit, in welcher die evangelische Kirche
bei „der Umklammerung des Staates" zu seufzen habe. Dabei
wurden die eigentlichen Ziele der Bewegung aufs
sorgfältigste verschleiert und verschwiegen. Allerdings ent-
schlüpfte dem ersten Redner, der die Gesammtlage
der evangelischen Kirche zu- schildern hatte, General-
Snperint. Schulze aus Magdeburg gelegentlich die Aeußerung:
„Unsere heutigen Forderungen sind nur ein Schritt auf der
Bahn zu den Zielen, die wir zu erreichen haben", aber im All-
gemeinen bemühte man sich, die Forderungen als möglichst
harmlose darzustellen. Herr von Kleist-Retzow hütete sich
wohl, sein in Kammin im vorigen Jahre entwickeltes Ideal von
einer „episkopalen Ausgestaltung" der kirchlichen Verfassung in
dieser Versammlung zu wiederholen; vielmehr bemühte er sich,
die den Antragstellern schuldgegebenen hierarchischen Tendenzen
mit der Versicherung abzulehnen, daß die evangelische Kirche
überhaupt keinen besonderen geistlichen Stand kenne. Die in
Kammin und anderwärts ausgesprochene Sehnsucht nach einem
bischöflichen Regiment wurde aber auch mit keinem Worte aus-
drücklich verleugnet. Im Gegentheil, es wurde andererseits im
harmlosesten Widerspruch mit jener Ablehnung eines besonderen
geistlichen Standes die Behauptung aufgestellt, daß das Lehr-
amt eine über der Gemeinde stehende göttliche Stiftung sei. Am
schroffsten kam die antistaatliche Tendenz der ganzen Ver-
sammlung in dem Referate des Hofpredigers Stöcker zum Aus-
druck. Verstieg sich doch diese Redner in Betreff der vor Er-
laß eines Kirchengefetzes erforderlichen Erklärung des Staats-
ministeriums, daß das Kirchengesetz mit keinem Interesse des
Staats in Widerspruch stehe, zu dem Satze: „Wenn der Staat
kirchliche Gesetze im Entstehen inhibiren darf, das heißt nichts
anders, als die Gewalt an Stelle rechtlicher Motive setzen."
Das Referat über die Mitwirkung der synodalen Organe an
der Besetzung der theologischen Profcffuren, zeugte von einer
sehr niedrigen Auffassung der theologischen' Wiffenschaft,
deren Hauptaufgabe es danach
dogmattsche Auffassung zu vert
wie er sie sieht. Ihre Atlgen sonnt er gleichsam um, wie ein
großer Dichter die Sprache der Menschen umgestaltet. All das
über nur durch den sanften Zwang, den seine Werke mit ihrem
bloßen Dasein ausüben. Er will Niemand bekehren, Nientand
verdrängen, Niemand bekämpfen. Auch heute, wo ftir seine
Werke die neue Wirksamkeit beginnt, braucht es, uni Dürer in
frischem Ruhme emporsteigen zu lassen, keiner besonderen An-
strengung, sondern was geschieht, ergiebt sich von selbst, wie ein
Naturprozeß, den wir kaum zu befördern brauchen.
Wie abgethan erscheint neben der Glorie der nur auf sich
gestellten Natur dieses Mannes der einstmalige, ihrer Zeit nicht
gering anzuschlagende, nun für immer todtliegende Ruhm anderer
Künstler. Eine beginnende deutsche Edition der Biographien
Vasari's läßt auch diesen heute in der Gesammtheit seiner Existenz
wieder mehr ans Licht treten. Vasari hatte es als berühmter
Künstler weit gebracht und bis zu seinem Tode sich in hohen
Ehren behauptet. Dennoch, wie unwiederbringlich vorüber-
gegangen ist heute das. Mit Dürer wäre an und in ihm nichts zu
vergleichen, aber ich flizzire Vasari's Wirksamkeit doch mit einigen
Worten hier, weil der Gegensatz, in dem sie zu der Dürers steht,
ein so durchdringender ist. Vasari war Aleffandro's und Cosimo's,
der ersten Herzöge der Stadt Florenz, die sich bis dahin
als unabhängige Republik selbst regiert hatte, ständiger
Verttauensmann in artistischen Angelegenheiten. Florenz
wurde zu einer großen Centralwerkstätte für künstlerische
Straßendekoration gemacht. Dasari genügte allen Anforderungen
dieses anstrengenden Dienstes, neben dem starke Privatproduktron
von Gemälden nebenherlief. Dasari, von oberflächlicher aber
prompter Erfindungskraft, exakt in der Fertigstellung deS schein-
bar Unmöglichen, stets selber an der Spitze der Arbeit und un-
kimüdlich dabei, überbot sich in seinen Leistungen. DaS unter
dem Einflüsse Michelangelo's stehende Publikum riß er zu
lautem Bestalle und viele Gehilfen zu Genossen seiner Erfolge mit
hin. Michelangelo, der fonst wohl mit rauher Faust dazwischenfuhr,
wagte einen urächttgen Mann wie Vasari nur mit sanften
Fingern zu berühren. Was ist von diesen Erfolgen übrig
geblieben? Vasari's einst bewunderten, oder doch wenigstens
stark begehrten Zusammenstellungen von scheinbar be-
wegten Körpern, innerlich starr, elegant, leblos, Nach-
ahmungen ftemder Arbeit unter dem Anscheine eigener Erfindung:
welche' Galerie würde eins dieser Werke geschenkt heute an-
vehmeu? Und doch vermochte er den BeyellunLen kaum nach-
Das wegwerfende Urtheil, w
kaum mißzuverstehender Weis
geschichte gefällt werden durft
Widerspruchs zu erfahren, bell?
fein würde, die jeweilige
en und als richtig zu erweisen,
"on diesem Reterenten in
die Harnack'fche Dogmen-
auch nur ein Wort des
ätz nach der Meinung der
dort versammelten Herren die Tleologie nur dazu da ist, eine
dienende Magd der Kirche zu »in. Herr Stöcker glaubte, die
geringschätzige Art, mit welcher die theologische Wissenschaft schon
in dem Referate behandelt worden war, noch durch einige Aus-
fälle auf die „Herren Profefforen" ergänzen zu sollen, welche
dem Vorsitzenden, Freiherrn von Maltzahn, zu einer, wenn auch
sehr höflichen Zurückweisung Veranlassung gaben. Sehr naiv
war die von Herrn Stöcker ausgesprochene Klage, daß der theo-
logische Nachwuchs fast durchweg der liberalen Richtung ange-
höre, und die demgemäß an die versammelten orthodoxen
Pastoren gerichtete Aufforderung, für positive theologische
Dozenten zu sorgen. — Der sonst so übel beleumdeten Aera
Falk wurde in dem auf die Dotationsfrage bezüglichen Referate
des Obcrverwaltungsgerichtsraths Hahn,' vielleicht wider Willen
und Absicht des Vortragenden, die glänzendste Rechtfertigung zu
Theil. Derselbe wies aus einer von dem Minister Falk
auf der außerordentlichen Generalsynode gehaltenen Rede
nach, daß derselbe eine Dotirung der evangelischen Kirche
ganz im Sinne der jetzt gestellten Forderungen in Aussicht ge-
nonunen und zur Verwirklichung derselben die landesgesetzliche
Anerkennung der synodalen Verfassung als unentbehrliche Vor-
zitkommen und in der Nachbarschaft von Gentälden Raphaels
thronten die seinigen. Als Schriftsteller verunglimpft er in der
Sprache eines biedern Naturalisten diejenigen gelegentlich, die
nicht zu ihm hielten: heute kommt das Alles endlich an
den Tag. Das Verderbliche seines Einflusses zeigte sich darin
zumal, daß die vom Herzoge gestiftete Florentiner Zeichen-
akademie von der Anschauung erfüllt wurde, als ob Herstellung
dekorativ wirksamer Kunstwerke die eigentliche Aufgabe des
Künstlers sei, und von der Ueberzeugung, daß der Ruhm nach der
Schnelligkeit mitbemeffen werde, mit der ein Maler fertig ge-
worden war. Florenz, bis dahin Vorort der italienischen Kunst,
stockte in seiner Entwickelung und trat zurück. Dennoch wurden
Vasari bis zuletzt die Ehren und Vortheile zu Theil, die er
sich zu verschaffen wußte. Heute können Künstler nicht in dieser
Weise emporkommen, da die künstlerischen Neigungen der
Fürsten nicht mehr so durchgreifend sich geltend machen' wie in
früheren Jahrhunderten; Männer mit dem Machtumfange
Bernini's in Rom oder Lebrun's, des Hofmalers Ludwig'S XIV.,
würden in unserer beweglichen Zeit nicht möglich sein: hoher
Ruhm aber kann auch heute in allen Lebensstellungen von
energischen Männern zweiten Ranges immer noch erworben
werden, ein Mittel jedoch, ihn gegen die Zeit zu schützen, wird
es nie geben. Wie weit war Dürer von solcher Aufsaffung
seiner Kunst entfernt! Ganz bescheiden gestalteten sich seine
äußeren Schicksale, verglichen mit denen des stolzen, seiner
Sache gewissen Italieners, der mit einem kolossalen Kapital
zusammengeborgter Anschauungen wirthschaftete. Dasari würde
nie eingefallen sein, einem Manne wie Dürer von feinen
Naturftudien ein Blatt zu senden, wie Raphael that. Vasari
zeichnete überhaupt wohl nie streng nach der Natur.
Es ist von Wichtigkeit, die Lebensläufe der Künstler so zu
vergleichen, weil das Publikum zu wenig weiß, unter wie völltg
verschiedenen Verhältniffen die geistige Produktion sich vollzieht.
Die Geschichte der bildenden Künste gewährt deshalb, waö
die allgemeine Geschichtsbettachtung angeht, so tiefe Einblicke
in die Entwicklungsgeschichte der Völker und deshalb auch so reine
historische Resultate, weil in der bildenden Kunst am wenigsten
Täuschung möglich ist. Ein Dichter oder Schriftsteller vermag
bis auf einen gewissen Grad zu l verhüllen, woher er seine Ge-
danken und deren Ausdruck genommen habe: beim bildenden
Künstler unterscheidet man sofort, was auf eigenem Boden
wuchs und was entlehnt ®url% Heute erst steht Dürer in
bedingung bezeichnet habe. Um so mehr ist es zu bedauern,
daß gerade die in der „laudeskirchlichen Versammlung" vertre-
tenen Richtungen den Minister Falk aus seinem Amte verdrängt
haben, bevor es ihm möglich gewesen ist, seine wohlwollenden
Absichten zu verwirklichen. — Der Grundton, der durch alle
Referate und Reden sich hindurchzog, war ein tiefer Gegensatz
gegen den Staat und seine konstitutionellen Einrichtungen,
durch welchen sich einzelne Redner zu den ärgsten Uebertrei-
bungen fortreißen ließen. So mußte man z. B. aus der Rede
des Herrn v. Kleist-Retzow den Eindruck gewinnen, als ob
das auch aus „Ungläubigen, Katholiken und Juden" zusammen-
gesetzte Abgeordnetenhaus der Kirche ihre Katechismen und
Agenden, ihre Bekenntnisse und Gottesdienstordnuug vorschreiben
wollte. Eine Unterscheidung zwischen der staatsrechtlichen
und kirchlichen Seite der Frage wurde überhaupt nicht ge-
macht. Jedenfalls hat diese Versammlung dem aufmerksamen
Beobachter einen Vorschmack davon geben können, welcher „Frei-
heiten" wir uns in der evangelischen Kirche zu erfreuen haben
würden, wenn diesen Herren im Namen und unter dem
Vorwände der „kirchlichen Freiheit und Selbstständigkeit" die
evangelische Kirche zu unbeschränkter Alleinherrschaft ausgeliefert
würde." ____________
Die Budgetkommission des Reichstags begann heute
die Berathung des Nachtragsetats. Sämmtliche Anforde-
rungen, welche eine Folge der beschlossenen Heeresverstärkung
sind, wurden ohne erhebliche Debatte genehmigt. Der Kriegs-
minister rekapitulirte die schon in der vorigen Session erörter-
ten Gründe, welche zur Beseitigung der Rekrutenvakanz bei der
Kavallerie d. h. zur Einberufung der Mannschaft jeweils am
1. Oktober statt 1. November geführt hätten. Diese Gründe
wurden gutgeheißen. Ebenso wurde die Uebertragung der an
die Kammerunteroffiziere zu zahlenden Zulagen, und zwar nicht
blos für die eines Ersparnißfonds entbehrenden neuen Truppen-
theile, sondern auch für die übrigen genehmigt. Auch die Ver-
mehrung der Uebuugsmunition zur Einübung der Truppen mit
dem Repetirgewehr fand die Zustimmung der Komtnission. Als-
dann wurde zur Berathung der einmaligen Aus-
gaben übergegangen. Zunächst wurde zur Entgegen-
nahme der vertraulichen Mittheilungen der Regierung
eine Subkommission eingesetzt, bestehend aus den Abgg.
v. Maltzahn, v. Bennigsen, v. Hüne, Graf Behr, Schräder.
Diskussionslos wurden die Forderungen für „besondere Zulagen"
(117 675 Mk.) und „für Bekleidung und Ausrüstung der neu
aufzustellenden Truppentheile" (Z 37 < 692 Mk.) bewilligt. Bei
dem Abschnitt „Gamisonverwaltungswesen" wurde der Neubau
einer Kaserne für zwei Eifenbahnbataillone bei Berlin nach
längerer Debatte einstimmig bewilligt, ebenso die Forderungen
für Kasernenbauten in einer ganzen Reihe von Städten, fast
sämmtlich Konsequenzen der Heeresverstärkung. Die für
Kasernen, Exerzier- und Schießplätze bewilligte Summe beläuft
sich auf 5 436 581 Mk. Die Anforderung von 750 000 Mk.
für ein Garnisonlazareth in Mainz wurde bis zur Einholung
weiterer Auskunft zurückgestellt, ebenso die Anforderung „zur
Steigerung der Operattons- und Schlagfertigkeit des Heeres", im
Ganzen etwa 51 Mill. Mk. Alsdann wurde die Generaldebatte
über die Eisenbahnbauten eröffnet (36 311000 Mk.). Gegenüber
einigen Bemerkungen derAbgg.Hammacher und Schräder führte der
Kriegsminister aus, daß es ihm nicht möglich sei, die staats-
rechtlichen und finanziellen Gesichtspunkte voll zu würdigen;
er habe die Angelegenheit nur vom militärischen Gesichtspunkte
prüfen können und müsse bitten, der Verwaltung Vertrauen
entgegenzubringen. Bezüglich der staatsrechtlichen und fiNanzielteck'
Bedenken mache er nur darauf auftnerksam, daß man sich in
dem vorliegenden Fall in einer Zwangslage befand. Die Noth-
wendigkeit des Ausbaus der süddeutschen Bahnen im Landes-
vertheidigungSinteresse fei schon vor drei Jahren erkannt worden.
Es wurde s. Z. dem Bundesrath eine Vorlage wegen Regelung
des Verhältnisses zu den Prtvatbahnen gemacht; doch stellten
sich so erhebliche Schwierigkeiten heraus, daß die gesetzliche
Ordnung der Angelegenheit aufgegeben wurde. Auch die grund-
sätzliche Regelung des Verhältnisses zu den Staatsbahnen er-
wies sich als unausführbar. Man sei daher schließlich zur Ab-
machung von Fall zu Fall gezwungen gewesen. Die Frage, ob
die Vertheilung der Kosten in den vorliegenden Eiuzelsälleu
eine sachentsprechende fei, werde später in der Subkoimnission
von sachverständiger Seite eingehend beleuchtet werden. In
die Subkommission für die Eisenbahnen wurden delegirt dis
Abgg. Hammacher, Bürklin, Bormann, Roß und Schräder.
Der Nachtragsetat zum preußischen Staatshaushalt hat
das Staatsministerium bereits beschäftigt und wird voraus-
sichtlich vom Finanzminister allein eingebracht werden. Die
Erledigung bietet keine Schwierigkeiten, so daß nach Fertig-
stellung des Gesetzentwurfs über 'die Theilung der Kreise um
seinem vollen Reichthnme vor uns. Unwillkürlich verleihen
wir einen Theil dieser Gaben seiner Epoche. Große Strecken
deutschen Bodens, die ohne Dürer nichts als monotone
Grasflächen zu bieten schienen, sind nun überall wie von
leuchtenden Feldblumen durchschossen. Unsere Aufgabe
heute ist, die einfacheren geistigen Grundlagen unseres natio-
nalen Lebens wieder zu erkennen und neu zu schaffen, aus die es
für uns so sehr ankommt. Die furchtbaren sozialen Um-
wälzungen, von denen wir als bevorstehenden Uebeln träumen,
sind Schreckbilder, die dem Gefühle entwachsen, daß unser
öffentliches ästhetisches Dasein zum Theil eine Lüge sei. Ebenso
trostreich aber ist es, zu sehen, mit welchem Eifer man überall
zugleich damit beschäftigt ist, etrte Aenderung herbeizuführen.
Dürer, Alles in Allem genommen, wird als eins der heilsamen
Elemente für diesen Zweck immer weniger zu entbehren sein.
Ich wiederhole: die Vorsehung, wenn sie solche Männer ein-
treten läßt, hatte nicht blos das im Auge, was ihren Zeitgenossen
an erfreulichem Schmuckder Existenz aus ihrerHand geliefert wurde:
solche Kräfte sind für Jahrhunderte berechnet, denen sie in auf-
und absteigender Wirkung zu Gute kommen. —
Ein Wunsch noch. Dürer's Gemälde sollen in einer Anzahl
von Lieferungen hier herauskommen. Die in der ersten uns vor-
liegenden Lichtdrucke, in passender Größe auf Karton gezogen,
bilden als dreizehn Stück den Inhalt einer Mappe. Bequem
und wie es sein soll, auch billig, bei 28 Mark für die Liefe-
rung. Schöner aber würde sein, wenn nach Abschluß dieser
Edition in aümäligern Erscheinen nun sämmtliche Aufnahmen
gleich auf gutes kräftiges Papier gedruckt und in chronologischer
Reihenfolge als ein Band herausgegeben würden, demjenigen
etwa entsprechend, in welchem die Berliner Handzeichnungen
Dürer'ö eftchienen find. Ein Band ist als solcher eine sinnlich
greifbare Einheit, etwas für sich Existirendes, das den einzelnen
Blättern eine feste Stelle gewährt und zu dem der Mensch m
einem anderen Verhältnisse steht als zur Mappe, deren Inhalt
man einzeln herausgreift und durcheinander wirft. Die kost-
barste, solideste Mappe erhebt sich nie zum Range gleichsam
einer Persönlichkeit wie ein Band, der nnt Energie die einmal
bestimmte Ordnung der Seiten innehält und zerrissen werden
müßte ehe eine Aenderung darin einträte.
Daraufhin wäre dann auch noch zu bedenken, ob das ver-
schiedene Größenverhältniß der Aufnahmen dem Eindrucke der.
Gemälde nicht zuweilen Einttag thue. Zn gewisser Weise
die Mitte Mai der Schluß der Landtagssession wird erfolgen
können.
Der Bnndesrath hat in seiner heutigen Sitzung die
mitgetheilte Tagesordnung schnell erledigt. Die nächste Plenar-
sitzung des Bundesraths wird vermuthlich am Sonnabend statt-
finden; in derselben soll u. A. über die Branntweinsteuer-
vorlage Beschluß gefaßt werden. Jedenfalls wird der Ent-
wurf bis zur Wiederaufnahme der Reichstagsverhand-
lungen festgestellt werden. Es kann, wie man uns
schreibt, mit ziemlicher Bestimmtheit angenommen werden,
daß der Reichstag am 9. oder 10. Mai die erste Lesung der
Branntweinsteuer-Vorlage beginnen wird. Die Ver-
weisung der Vorlage an eine Kommission seitens des Reichs-
tages ist zweifellos. Bezüglich der Zuckerstener-Vorlage wird
uns mitgetheilt, daß über 'diese vor ihrer Einbringung eine
Verständigung mit den Mehrheitsparteien des Reichstages erzielt
werden soll; es wird sich diese Angelegenheit trotz der späten
Einbringung verhältnißmäßig schnell abwickeln.
Die Nachricht von dem bevorstehenden Rücktritt des
Ministers von Giers wird auch von Petersburg aus ver-
breitet. Bisher ist dieselbe jedoch noch unbeglaubigt. Dagegen
scheint die Abberufung des hiesigen russischen Botschafters
Grafen Schuwalow, der bekanntlich als Nachfolger des
Fürsten Dondnkow-Korfakow als Statthalter im Kaukasus in
Aussicht genommen ist, festzustehen. Graf Schuwalow, welcher
sich schon feit einigen Wochen in Petersburg aufhält, soll von
dort aus, wie die „Post" hört, bereits Auftrag gegeben haben,
seine Pferde zu verkaufen._________
Zu der von uns bereits früher erwähnten Herstellung der
Kriegsbereitschaft zweier englischen Armeekorps bemerken
die „B. P. N.":
DaS Londoner Kriegsamt vermag zwar nicht die Schwerfällig-
keit der britischen Heeresorganisation im Handumdrehen zu be-
seitigen, so hat man denn zu einem Palliativmittel gegriffen und
s. Z. beschlossen, wenigstens zwei Armeekorps so weit zu
bringen, daß sie ohne Zeitverlust schlagfertig dastehen. Beide
Korps zählen in runder Summe zusammen etwa 60 000
Kombattanten. Die militärischen Autoritäten haben sich
während der letzten zwölf Monate viel Zeit und Mühe kosten
lassen, diese Heeresabtheilung auf das Niveau ständiger
Kriegsbereitschaft zu erbeben, und wenn man dem in solchen Dingen
doch zweifellos kompetenten Urtheil eines so erprobten Kriegsmannes,
wie General Lord Wolseley ist, trauen darf, so wäre die Lösung
der organisatorischen Aufgabe bestens gelungen. Jedes Regiment,
jedes Bataillon, jede Batterie oder Abtheilung von Spezialtruppen,
Train-, Sanitätskorps rc. hat feine Anordnungen so getroffen, daß
beide Korps 24 Stunden nach erhaltenem Marschbefehl in feld-
mäßiger Verfassung ausrücken, und wenn nöthig, dem Feinde
sofort entgegentreten können. Die permanente Mobilistrung
ist so gründlich vorbereitet, daß, wie der „Daily Telegraph" be-
hauptet, für den Fall einer etwaigen Einschiffungsordre Mann und
Roß längst an Bord sein können, ehe, selbst bei größtmöglicher Be-
schlennigung, die Bagage zu verladen möglich sei. Uebrigens sollen
die in Rede stehenden Armeekorps weniger für den überseeischen als
für den inländischen Dienst bereit gehalten werden. Nach Lord
Wolseleys Ansicht bilden zwei Armeekorps die geringste Truppen-
macht, womit ein halbwegs kriegserfahrener General die
Verhinderung einer feindlichen Landung mit Aussicht
auf Erfolg zu bewirken im Stande ist. Er betrachtet
daher mehrberegte beide Korps als den Kern, die „Feuer-
brigade", der Landesvertheidigung. Dieselben stellen 50 000 Ba-
jonette und 2000 Reiter ins Feld, der Rest besteht aus Artillerie
und Pionieren. Dazu käme dann noch eine zwischen 3000 bis
4000 Pferde starke Kavallerie-Division zu zwei Brigaden, die gleich-
falls peunanent bereit gehalten werden soll. Diese Truppen sollen
des weiteren den festen Rahmen für das Aufgebot von 100000
bis 150 000 Mann an Reserven und Freiwilligen abgeben, welche
man im Fall eintretender Nothwendigkeit unschwer binnen kürzester
Frist auf die Beine bringen und in gleicher Weise wie die Linien-
truppen verwenden zu können hofft.
Frankreich.
Paris, 28. April. Die Aufführung des „Lohen-
grin", welche bei ausverkauftem Haufe angesagt war, ist, wie
bereits telegraphisch gemeldet, nun doch vertagt. Die Einen
sagen, auf zwei oder drei Wochen, die Anderen, auf unabseh-
bare Zeit. Der Konseilspräsident Goblet ließ Herrn Lamoureux
zu sich rufen und bearbeitete ihn, wie der „Figaro" versichert,
zwei Stunden lang, bis er endlich nachgab und auf die sofortige
Darstellung des Werkes, für die er 2—300 000 Franken ge-
opfert hat, verzichtete.
„Ich will glauben", schreibt Francis Maynard, „daß das Mi-
nisterium, indem es sich in den Handel mischte, die löbliche Absicht
hatte, die öffentliche Ruhe zu sichern, welche durch einige Lärm-
macher bedroht ist, deren Sprache und Dummheit den Patriotis-
mns verhaßt machen könnten. Man weiß in der That nicht, wie
weit sich die aufgestachelte Menge verirren könnte. Von diesem
Standpunkte darf man das Verbot nicht tadeln; aber andererseits
müßte durch dasselbe der Umfang der Tafel oder Leinwand an-
gedeutet werden. So wären die 'Portraits, deren Maßstab unter
sich der gleiche ist, in gleiches Format zu bringen. Auf den
beiden Anbetungen der Könige zu Florenz und, München
kommt die relative Kleinheit der Figuren allerdings durch das
geringere Format zur Erscheinung, etwas umfangreicher hätten
die Blätter aber doch ausfallen' duften. Der Güte derselben
au und ftrr sich sollen difte Bemerkungen nichts nehmen. Viel-
leicht könnte man ausgewählte Köpfe derartiger Gemälde in
größerer Aufnahme besonders beigeben. Dies würde ich zumal
für das Wiener Dreifaltigkeitsbild empfehlen.
Wir wünschen dem Unternehmen glücklichen Fortgang
Anfängern darf Kunstgeschichte nur im Hinweis auf die großen
Meister vorgetragen werden: für diesen Zweck zumal ist Soldans
Publikati o n w ertyvoll.
16. April 1887. B. K. F.
Nirgeliea Farins.
Im Goethe-Zelter'fchcu Briefwechsel wird wiederholt die
„ebenso hübsche als geschickte Facius", „die kleine gute Facius".
„der kleine Faciuschen" erwähnt, „das sich ganz artig macht".
£>uje kleine Facius ist am 20. April auf dem Weimarifchen
Friedhofe zur letzten Ruhe bestattet worden. Mit ihr ist wohl
die letzte Persönlichkeit aus dem Weimarischen Kreise derer, die
tm Goethe-Hause verkehrt haben, geschieden. Schon diese, wenn
auch nur leicht geknüpften Beziehungen zwischen Angelica
Facius und Goethe sichern der jetzt in hohem Alter Gestorbenen
ein gewisses Interesse; aber sie ist dessen auch als Künstlerin
werth.
Angelica war die Tochter eines tüchtigen Steinschneiders
und Medailleurs, der in Greiz geboren, mit vierundzwanzig
Jahren nach Weimar kam, wo er bis 1813 gelebt hat. Unter
feinen Arbeiten werden namentlich eine Medaille genannt, die
er auf das Jubelfest des weimarifchen Staatsministers v. Voigt,
auf den achtzigsten Geburtstag Wieland's, auf die Zusammen-
kunft Kaiser Alexander's mit Napoleon, die zwischen Efturt
und Weimar stattfand, schuf. 1806 war ihm seine Tochter ge-
boren, zwei Tage vor der Schlacht bei Jena; sie erhielt,
wie denn der Vater überhaupt ein Mann vors barocken
Einfällen gewesen zu fein scheint, die Namen Bellona
— in Erinnerung an die Krieasleiden. denen Weimar
kann man auch denken, die Negierung habe die Schwäche'
gehabt, dem Drängen einiger Individuen zu gehorchen, welche um
jeden Preis die Wagner - Vorstellungen verhindern wollten. EL
wird eines Tages lehrreich fein, zu erzählen, mit welchem
Krämergeiste verfehlte „nationale" Musiker, enttäuschte Sängerinnen,
an der Schwelle des Fallissements stehende Theaterdirektoren die
Kabale in Scene setzten, welche Dank dem Zwischenfalle Schnäbele,
wir wollen hoffen: nur vorübergehend, siegte. Ich weiß wohl, was
man Alles gegen den systematischen Wagnerismus sagen kann, und
daß die anmaßenden Kindereien der-Revue Viüsuerieuue" nicht
dazu angethan sind, der Musik der Bayreuther Schule Anhänger
zu gewinnen. Ich will noch hinzufügen, daß diese Musik zu köm-
plizirt ist und allzu eingehender Vorstudien bedarf, um in Frank-
reich populär zu werden, wo man der „More Dodilon" Iren bleibt;
aber man könnte verzweifeln, wenn man sieht, daß von den hartnäckigsten
Feinden Wagners fünf Sechstheile nur einzelne Brüchstücke feiner
Kompositionen kennen, die nicht die geringste Idee von dem Um-
fange seines Werkes geben. Aus Nachahmungsgeist, aus Liebe zu
den althergebrachten Formeln und Vorurtheilen, drängten auch sie
mehr oder minder offen zu der Kundgebung gegen „Lohengrin".
Diese kleinen Gemeinheiten, diese krasse Unwissenheit hat die Re-
gierung durch ihr Verbot begünstigt und es macht einen schmerz-
lich-komischen Eindruck, zu sehen, daß sie, welche den Direktor der
„Revanche" zuerst wegen eines eingebildeten Vergehens verfolgte,
sich nun in das Schlepptau feiner gefährlichen Deklamationen
nehmen läßt." ____________
Aus dem Neich und den Provinzen.
Stuttgart, 24. April. Der Landesausfchnß der deutschen
Partei in Würtemberg versammelte sich gestern unter dem Vorsitz
des R.-A. Karl Schott. Insbesondere auch die auswärtigen Mit-
glieder aus den verschiedensten Wahlkreisen waren zahlreich
erschienen. Außer einigen inneren Angelegenheiten der Partei bez.
der Organisation, der'Verbindung des Laudesausschusses mit den
Ortsvereinen und bez. der Unterstützung und Verbreitung des
Organs der Partei, des „Bürgerfreundes", Fragen, welche rasch zu
befriedigendem Ergebniß geführt wurden, stand die Wahl eines
Vorsitzenden und feines Stellvertreters auf der Tages
ordnuug, nachdem der bisherige Vorstand, Oberstlieutenant a. D.
Abg. v. Wolff, gebeten hatte, von der eine Reihe von Jahren
geübten Dorstandfchaft enthoben zu werden. Der Landesausschuß
beschloß einstimmig, dem zurückgetretenen Vorstand, Herrn Oberst-
lieutenant a. D. v. Wolff, den Dank und die volle Anerkennung
seiner großen Verdienste um die Partei öffentlich auszusprechen und
ihn zum Zeichen dieser Anerkennung zum Ehrenmitglied der
deutschen Partei zu ernennen. Zum Vorsitzenden des Landes-
Ausschusses wurde, nachdem auch der bisherige Stellvertreter R.-A.
Karl Schott die Wahl sowohl als Vorstand wie als Stellvertreter
nicht annehmen zn können erklärt hatte, der Landtagsabgeordnete
vr. Göz, Vicepräsident der Kammer der Abgeordneten, zum ersten
Stellvertreter Kommerzien-Rath Widemann, zum zweiten Stell-
vertreter Gustav Stälin gewählt.
Stuttgart, 27. Slpril. In der heutigen Sitzung der Abge-
ordnetenkammer sprach vor Eintritt in die Tagesordnung der
Präsident von Hohl folgende Worte: „Lassen Sie uns, meine
Herren, eine schöne patriotische Pflicht erfüllen und heute Ludwig
Uhland's, des edlen herrlichen Mannes, dessen lOOjähriges Gebnrts-
fest in der schwäbischen Heimath und sonst im deutschen Vaterland
in diesen Tagen gefeiert wird, auch in unserem Hause gedenken,
welchem derselbe — nach dem harten, aber siegreichen Kampfe für
unsere noch heute bestehende segensreiche Verfassung — zwölf Jahre
lang angehört hat. Das weitere Wort ertheile ich dem Herrn
Kanzler." Hierauf hielt der Kanzler, Staatsrath vr. von Rümelin
eine Gedächtnißrede auf den Dichter und den Politiker Ludwig
Uhland und forderte das Haus aus, sich zu Ehren desselben von
den Sitzen zu erheben, was in einmßthiger Begeisterung geschah.
Kohlstatt, 25. April. Bei Kohlstati fand jüngst ein Zusammen-
stoß der bairischen Grenzwachmännschaft mit österreichischen
Ochseuschmngglern im sogenannten-ukuufbüchelholze statt. Der in
dortiger Gegend vielgenannte S ivärzer Franz Kickingereder,
welcher aus unmittelbarer Nähe vi f Schüsse auf den Stations-
fübrer Schnellhammer abfeuern wollte, wobei jedoch immer das Ge-
wehr versagte, wurde von Schnellt »tmer, nachdem auch diesem das
Gewehr dreimal versagt hatte, durchweinen Schuß verwundet. Im
Ganzen wurden etwa 30 Schüsse gewechselt. Die Schwärzer hatten
ihre Gewehre mit gehacktem Blei geladen und in dem Baume,
hinter welchem die Grenzwache sich zu decken suchte, fanden sich 25
Bleistücke vor. Der verwundete Kickingereder ist den „Münch.
Nachr." zufolge ein Schmuggler gefährlichster Sorte.
Darmstadt, 27. April. Die zweite Kammer hat den Häupt-
grundfatz des das Dammbauwesen betreffenden Gesetzes: staatlichen
Zuschuß von drei Vierteln der Dammbaukosten, unter Ablehnung
weiter oder niedriger gehender Anträge angenommen.
Königsberg, 26. April. Der Ministerial-Direktor aus dem
Kultus-Ministerium, Herr Greifs, weilt zur Zeit hier, um durch
örtliche Besichtigungen und Konferenzen die Nothwendigkeit und
Durchführung verschiedener in den staatlichen höheren Lehranstalten
projektirten baulichen Veränderungen festzustellen. Am gestrigen
Tage wurden unter Theilnahme deS Herrn Ober-Prästdenten von
Schlieckmann und mehrerer Baubeamten das Friedrichs-Kolle-
aium, das Wilhelms. Gymnasium und das Waisenhaus bt
sichtigst Die sich anschließenden Konferenzen wurden heute
fortgesetzt. Wie der „Köuigsberger Allgem. Ztg." berichtet
wird, sind in Begleitung des Herrn Greiff auch die Herren
ausgesetzt gewesen — Angelica. Schon ftüh zeigte sich in
ihr eine Begabung für die Kunstfertigkeit ihres Vaters; im
vierzehnten Jahre bereits beschäftigte sie sich unter dessen Lei
tung mit der Steinschneidekunst und dem Medaillensache. Ihr
Talent lenkte die Aufmerksamkeit Goethe's aus sich. Anfangs
1825 erhielt sie, wie anzuehmen ist, auf seinen Betrieb, die
Erlaubniß, nach den aus der Weimarifchen Bibliothek aufgestell
ten Mustern aus der Sammlung von Schwefelabgüssen zu ar-
beiten, um „das Talent ru exkoliren, was ihr von der
Vorsehung gewährt worden", wie es in der betreffenden
Zuschrift heißt. Sie wurde der speziellen Aufsicht und
Anführung der Demoiselle Seidler — der aus der Goethe-
fchen Zeit wohlbekannten Malerin Caroline Seidler
unterstellt. Als erste bedeutendere Frucht ihrer Arbeit ist wohl
te Medaille zu bezeichnen, die sie für das fünfzigjährige Re-
gierungsjubiläum Karl August's 1825 verfertigte. Später ward
sie durch den Großherzog nach Berlin gesendet, wo sie die
Schülerin Rauch's ward, und in dem Medaillenfach, das sie
niemals vernachlässigte, unter der Leitung von Loos arbeitete. Als
Zeitpunkt ihrer Ankunft in Berlin wird das Jahr 1825 an-
gegeben; ob diese Zahl die richtige ist, bleibe dahingestellt. Im
Goethe - Zelter'schen Briefwechsel wird sie zuerst in einem
Schreiben des Ersteren vom 22. April 1827 erwähnt als nach
Berlin gehend, und unter dem 28. April desselben Jahres
meldet Zelter ihre Ankunst, und zwar lassen beide Briefe an-
nehmen, daß sie damals zum ersten Male nach Berlin kam.
Wie lange ihr Aufenthalt gedauert hat, ist mit völliger Sicher-
heit nicht festzustellen, doch scheint er bis 1836 gewährt zu
haben. Aus jener Zeit stammen verschiedene größere Arbeiten
von ihr, u. a. eine kleine Büste des Kaisers Nicolaus, der Prin-
zessin Carl und des Prinzen Wilhelm, des jetzigen Kaisers.
Ueber die letztere schreibt ihr Goethe, dem sie ein Exemplar
hatte überreichen lassen, unter dem 12. Dezember sehr aner-
kennende Worte. „Wie mir dieselbe von Ihrem
sich vorzüglich ausbildenden Talente ein hinlängliches
Zeugniß giebt, so ist sie auch hier mit Beifall aufgenommen
worden. Senden Sie mir daher noch zwei Exemplare, sorg-
fältig gereinigt und wohlgepackt, damit ich solche den Theil-
nehmenden übergeben könne." Ejlne besonders anerkannte
Schöpfung der Künstlerin aus jener! Zeit ist auch die Medaille
auf den Tod Karl August's. A/uch Zelter's „Kops hat die
kleine arttge Facius" — wie er im Jahre 1831 an Goethe
1
Ober-Regierungsräthe vr. Wehrenpfennig und Spicker hier an-
genommen. Gerüchtweise verlautet, dem genannten Blatt zufolge,
daß auch die Baulichkeiten und Reparaturen im Schloß^ besichtigt
werden sollen, welche zur Anwesenheit des Kaisers während der
Kaiser-Manöver in nuferer Stadt in letzter Zeit eifrig gefördert
worden sind. Der Kaiser wird, wie es heißt, zehn Gemächer in
unserem Schlosse bewohnen, deren Grundfarbe nach der Nenovirnng
bis auf den Audienz-Saal in Kornblumen-Blau gehalten ist, letzterer
erhält dagegen eine helle Farbe. Zu Ehren der kaiserlichen An-
wesenheit soll auch unser Ostbahnhof nach der Perronseite zu neu
gestrichen, sowie renovirt werden; überhaupt sollen die Haupt-
vorbereitungen zu dem ftrr unsere Stadt so denkwürdigen Tage in
nächster Zeit allgemein in Angriff genommen werden.
Wilhelmshaven, 26. April. Das Kanonenboot „Iltis",
Kommandant Kapitänlieutenant v. Eickstedt, hat gestern Nachmittag
um 5 Uhr, nach vorausgegangener Jnspizirung auf Seeklarheit
durch den Chef der Marinestation, Viccadmiral Graf v. Monts,
den hiesigen Hafen verlassen und ist nach der ostastatifchen Station
in See gegangen, um den daselbst stationirten Kreuzer „Nautilus"
abzulöseu. Letzteres Schiff tritt zur ostaftikanischen Station über.
Der „Iltis" hat 4 Geschütze und 87 Mann Besatzung. Seine
Segelordre ist Plymouth, Gibraltar, Malta, Port-Said, Aden,
Siugapore, Hongkong, woselbst das Schiff Mitte Juli eintreffen
dürfte. Die deutsche Flagge wird demnach auf der ostastatischen
Station nur durch zwei kleinere Fahrzeuge, „Wolf" und „Iltis",
repräsentirt. Ersteres Schiff befindet sich bereits seit einem Jahre
auf der genannten Station. An Bord des Panzerschiffes „Fried-
rich Karl", welches am Sonnabend aus See zurückkehrte und
heute in den Hafen dampfte, fand am Vormittag die Schlnßiuspi-
zirung über das Maschinisten- und Heizerpersonal durch den In-
fpekteur der zweiten Marineinspektiou, Kapt z. S. von Valois,
statt. — Die Kreuzerfregatte „Stein" hat ins Trockendock gelegt
und wird in der ersten Hälfte nächsten Monats mit der Kretuer-
fregatte „Prinz Adalbert" Wilhelmshaben verlassen und nach Kiel
geben, woselbst sich der Stab des Schulgeschwaders befindet.
____________ Meter-Ztg.)
Preußischer Landtag.
Slbgeordnetenhans.
43. Sitzung vom 28. April.
12 Uhr. Am Ministertische: von Puttkauter, vr. Lucius u. A.
Eingegangen: Staatsvertrag vom 2. März 1887 betr. die
Fortführung der Verwaltung der Fürstenthümer Waldeck und
Pyrmont durch Preußen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärt Abg. Kleine (frk.),
daß auch er sich der Abstimmung über das kircheupolitische Gesetz
enthalten habe.
Die zweite Berathung des Gesetzentwurfs bett. die Gewäh-
rung einer staatlichen Subvention an die Provinzial-
hilfskasse der Rheinprovinz behufs Hebung deS Grund-
kredits wird fortgesetzt.
Abg. Frhr. v. Erffa (kons.): Meine politischen Freunde sind
geneigt, für diese Vorlage einzutreten. So blühend die Rhein-
provinz auch ist und so ttoftlos die Verhältnisse in anderen
Provinzen sind, so wollen wir doch keinen Neid zeigen. Die
Nheinvrovinz ist ja besonders vom Wucher heimgesucht, speziell tritt
derselbe dort in der Form der sog. Viehleihe auf. Es ist allerdings
bedauerlich, daß die kleinen Landwirthe daselbst noch nicht auf-
geklärt genug find, um sich gegen solche Ausbeutung zu wehren.
Es ist die hier zu gewährende Subvention geradezu eine Prämie
auf die Dummheit. Indeß begrüßen wir diese Vorlage als Vor-
läufer einer anderweitigen Regelung des Kreditwesens für die ganze
Monarchie. Leider wird ja jetzt von Seite des Kapita-
lismus Grundbesitz lediglich als Speknlatiousobjekt betrachtet.
Daher erklären sich auch die traurigen Verhältnisse, bezüglich des
Personal- und Nealkredits auf dem Lande. Die bestehenden
Kreditkassen genügen einerseits dem Bedürfniß nicht, nehmen außer-
dem durch die vorgeschriebene Solidarhaft das sämmtliche Vermögen
der betreffenden Kreditsncher in Anspruch. Hier dürfte sich daher
eine Beschränkung der Solidarhaft empfehlen.
Herr v. Schorlemer hat in seiner übrigens vortrefflichen Rede
gesagt, er hätte nur aus Liebe zur Landwirthfchaft gesprochen. Das
glauben wir ihm alle gern. Er schlug u. a. vor Seßhaftmachung
der Arbeiter im Orte. Dies ist in den russischen Ostseeprovinzen
bereits geschehen. Ich möchte dann aber Herrn v. Schorlemer bitten,
uns mit feiner Fraktion seinen Beistand zn leihen für die Ein-
führnng von Rentengütern. Ferner schlug Herr v. Schorlemer Er-
höhung der landwirthschaftlichen Zölle vor. Damit sind wir durch-
aus einverstanden. Hoffentlich stimmen die Freunde des Herrn von
Schorlemer-Alst im Reichstag für die Erhöhung dieser Zölle. Auch
von Seiten der freisinnigen Partei scheint dabei auf Beistand ge-
rechnet werden zu können. Hat doch Herr vr. Meyer im Januar
hier erklärt, da die befürchtete Lebensmittel - Dertheuerung
nicht eingetreten fei, so würde er einer eventuellen
Erhöhung der Schutzzölle nicht abgeneigt fein. (Widerspruch des
Abg. vr. Meyer. Heiterkeit.) Hoffen wir, daß die deutsche Land-
wirthschaft ans dem Konkurrenzkampf mit dem Ausland siegreich
hervorgeht und sich wieder auf die ihr zukommende Höhe erheben
werde. (Beifall rechts.)
Abg. v. Körber (freikonf.) spricht sich für die Vorlage aus und
begründet feine Ansicht unter Hinweis auf die westpreußsschen Ver-
hältnisse.. An und für sich seien die dortigen Kreditverhältnisse
Fortsetzung iin ersten Beiblatt.
meldet — „so artig in Wachs bossirt, daß ich mir selber
darin gefalle." Es handelte sich um die Herstellung der
Zelter-Medaille, für die daun noch Goethe's Mitwirkung,
in besonderer Weise in Anspruch genommen ward. Goethe äußert
sich Zelter gegenüber sehr befriedigt von der Arbeit der Künstlerin.
Auch eine frühere Medaille, die ihm Angelica übersendet hatte,
findet seinen Beifall. Er wünscht ihr zu dem Beifall, bett die-
selbe gefunden, in einem Schreiben vom 9. August 1829 Glück,
und giebt ihr zugleich Rathschläge, die sie erbeten hatte, zu einem
Basrelief. „Sie möge im idyllischen Sinne eine glückliche Fa-
milie vorstellen: Vater, Mutter, Söhne, Töchter in verschiedenen
Altern und Charakteren, mit einer ideellen Familienähnlichkeit",
Motive, wie sie sie hundertfach gesehen habe. „Möge Ihnen
der gute Geist und ein frauenzirtnuerliches Gefühl hierbei zn
Statten kommen." Auch auf die Vermählung des Prinzen
Wilhelm mit der Prinzessin Auguste und auf die des Prinzen
Carl mit der Prinzessin Marie hatte die fleißige Künstlerin
Medaillen gefertigt.
Rach ihrer Rückkehr nach Weimar hat Angelica Facius
hier sein stilles thätiges Leben geführt. Von größeren Werketi
sind zn nennen eine Büste Carl Friedrich's, eine Figur seiner
Gemahlin, der Großfürstin Marie Paulowna, ein großes Me-
daillon, Goethe darstellend, namentlich aber die Ausführung
zweier Thüren für, die Dichterzimmer im Weimarifchen Schlosse,
die sie nach Neher'schen Zeichnungen modellirte. Auch in der
Kunst des Steinschneidens hat sie manche treffliche Arbeit voll-
endet, namentlich im Auftrage der Mitglieder des großherzog-
lichen Hauses und der Kaiserin, die stets der Künstlerin sym-
pathisches Interesse bekundeten und ihr durch Bcstellutigen und
Unterstützungen eine bescheidene Lebensmöglichkeit sicherten.
Innige Freundschaft verband die Künstlerin mit ihrer
einstigen Lehrerin, Caroline Seidler, die ebenfalls in Weimar
ihre Lebenstage beschloß. Als wenige Tage vor dem Tode der
Letzteren der Großherzoa Carl Alexander diese besuchte, sprach
sie als letzten Wunsch die Bitte aus, es möge für sie ein ein-
faches Grabdenkmal von der Hand ihrer Freundin Facius herge-
stellt werden. Dieser Wunsch ist erfüllt worden: zu Häupten
des Grabes von Caroline Seidler steht der von Artgelica Facius
modellirte Heiland, eine der letzten größeren Arbeiten, die
sie hergestellt hat. Die letzten Lebensjahre hat sie mannichfach
leidend zugebracht, nahezu in Vergessenheit lebend. Erst ihr
Tod hat die Aufmerkjanlkeit wieder auf sie hingelenkt. I.
Vergnügungs-Anzeigen.
Königliche Schauspiele. «
Freitag, den 29. April. Im OpernMse.
107. Vorst. Merlin. Große Oper in 3 Akten
von vr. Ludwig Hoffmann. Musik von Philipp
Rufer. Anfang 7 Uhr.
Im Schauspielhause. Keine Vorstellung.
Sonnabend, den 30. April. Zm Opernhause.
108. Vorst. Carmen. Oper in 4 Akten, von
H. Meilhac und Halevy. Musik von Bizet.
Anfang 7 Uhr.
Im Schauspielhause. Keine Vorstellung.
Deutsches Theater.
Freitag: Goldfische.
Sonnabend: Nriel Acosta. (Uriel Acosta:
Herr Tauber als Gast.)
Sonntag: Goldfische.
Die nächste Aufführung von Dorr Carlos
findet am Montag, den 8. Mai statt.__
Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater.
teilte: Strauß-Cyclus. Carneval in Rom.
ionnabend: Die Fledermaus.__________
Wallner-Theater.
Die Nachbarinnen.
Anfang ^8 Uhr.
Victoria-Theater.
„Im Zwanzigsten Jahrhundert".
KrollsTheater.
Freitag, den 29. April,
71- Uhr Abends:
Zum
Male:
Residenz-Theater.
Freitag. Letztes Gastsp. Ludwig Varnay.
Gräfin Lea. Schausp. i. 5 A. v. P. Lindau, £
Sonnabend. Z. ersten M. Rosmersholm.
Schausp. i. 4 A. v. H. Ibsen.____________
Belle-Alliance-Theater.
Freitag: Fatinitza.____________________
alhalla-Theater.
„Das verwunschene Schloß".
_______________Anfang 7tz Uhr.___________
Central-Theater.
3-127. gi.= Spottvögel.
v Osteud-Theater.
Zum letzten Male: Die Tochter des
Gefangenen. Anfang 71- Ubr.
218.
LOÜCOlülcl. Telephon 2313.
Großes Aufsehen erregendes Gastspiel
des Hypnotiseurs (1182
MM- Earl Hansen. ^
Experimente a. d. Gebiete des
animal. Magnetismus. — Auf. 8 Uhr.
— Bestell, a. feste Plätze v. 11—1 Uhr.
Eden-Theater..
5. Gastspiel der Hamburger plattdeutschen
Gesellschaft. Z. 5. Male: Familie Eggers.
Circus Aug. Krembser.
Karlstraßc — Kronprinzenbrncke.
Freitag, d. 29. April, Abends Uhr: Große
Brillant-Dorft. Besonders hervorzuheben: Zum
6. Male zM- Pariser Jugend oder lustige
Mädchen. Große Ballet-Pantomime in
1 Act, einstudirt vom Balletmeister Herrn Holtzer,
ausgeführt von 80 Personen unter Mitwirkung
des gesammten Ballet-Corps. Außerdem Auf-
treten sämmtlicher Specialitäten, Künstler, sowie
Künstlerinnen in ihren hervorragenden Leistungen.
Reiten und Vorführen der bestdressirten Schul-
und Freiheitöpferde, Komische Entrees sammt-
sicher Clowns und August des Dummen. Sonn-
abend. d. 30. April: Grosze Gala - Damen-
Vorst. zum Benefiz der beliebten Schnl-
reiterinnen Frl. Anna und Hedwig Brose.
Außer mehrmaligem Auftr. der Beneficiantinnen
wird sich Dir. Aug. Krembser seit langer Zeit
wiederum im feu de la rose stehend zu Pferde
produciren, ferner wird Frau Dir. Paula Krembser
den in Freiheit dressirten arabischen Schimmel-
hengst zum ersten Mal vorführen. Sonntag,
den 1. Mai 2 gr. Vorst. Nachm. 4 und Abends
7sz Uhr. Nachm, l Kind frei.
Hochachtungsvoll ^r’
3 ChoraufTiihrimgen.
I. Montag, 2. Mai, 7%, Philharmonie:
Concert der Ochs’sehen, Mohr’schen
u. Senfs scheu Ges.-Vereine: Dirig.:
Herr 8. Ochs.
„Zur Weihe d. Hauses“ . . Beet-
hoven. Lieder, „Requiem für
Mignon“ .. Schumann. „Loreley“ . .
Mendelssohn.
Soli: Frl. Mine Friede, Fr. Her-
mann - Praetorius, Fr. Marg. Sa-
bcrsky, Hr. Ad. Schulze.
II. Montag, 9. Mai: Stern’schcr Ges.-
Verein, (1865
„Leouorenouvert“, „Klav. - Gone.
C-moll“, „IX. Sinf.“ . Beethoven.
III. Freitag, 13. Mai: Stern’scher Ges.-
Verein „Achilleus“.
Dirig.: Herr Prof. Franz Mannstadt.
Abonn. 6, 4,50, 2 Mk. Einzbill. 3, 2,
1 Mk. bei Bose u. Bock.
Bei langjährigem Magenkatarrh, verbunden mit
Appetitlosigkeit, bedeutende Besserung erzielt.
Platkow, 4. Januar 1887.
Die letzte Sendung Ihres Malzextrakt-Gesundheitsbieres hat mir
sehr wohl gethan. Ganz besonders hat mein Appetit sich eingestellt,
desgleichen 0er Schlaf, fttrj, ich fühle mich wohler, frischer und stärker
als zuvor. Ich hoffe nunmehr zuversichtlich, daß Ihr geschätztes Fabrikat zu
meiner vollständigen Wiederherstellung beitragen wird, habe jetzt schon
nach dem Gebrauch der ersten Flasche neuen Lebensmuth und Lebens-
kraft, und ersuche Sie daher, baldmöglichst eine neue Sendung an mich gelangen
zu lassen. Hille, Lehrer.
Berlin, 11. Februar, Bernauerstr. 121.
Seit einiger Zeit gebrauche ich bei meinem Kinde Ihr geschätztes Malzbier.
War es schon auffallend, daß ein unangenehmer Husten, der das Kind schon oft
und vielfach lange anhaltend gequält hatte, nach dem Gebrauch einiger Flaschen
Bier und einiger Beutel Malzbonbons vollständig geschwunden, so war der darauf-
folgende Appetit und in Folge deffen eine sichtbare Kräftigung und Lebensfrische
geradezu wunderbar. (1848
Ich freue mich aufrichtig, Ihnen, geehrter Herr, dies mittheilen und gleich-
zeitig meinen Dank aussprechen zu können. Zur Fortsetzung der Kur und um
dieses stärkende und appetiterregende Heilmittel auch meiner alten Mutter, die es
früher schon mit gutem Erfolge angewandt, zukommen zu lassen, bitte ich um eine
neue Sendung von 12 Flaschen. F. O. Heilmann, städt. Lehrer.
An Herrn Johann Hoff, Erfinder der nach seinem Namen benannten
Johann Hoffschen Malzextrakt - Hcilnahrungs - Präparate, Besitzer des
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dem Landwirth Herrn Carl Arndt beehre in)
mich hierdurch ganz ergebenst anzuzeigen. , (1864
Brielow b. Brandenburg a./H., im Avru 188 *.
A. Dietrich, geb. Voigt.
Nach kurzem, schwerem Krankenlager enschlief
hente um 8 Nhr morgens sanft mein innig ge-
liebter Mann, unser theurer Vater, Schwieger-
vater, der Rittergutsbesitzer (1867
iijjä
dFL i^Ji
i^UUU
Dies zeigen mit der Bitte um stille Theilnahme
die schmepzgebeugten Hinterbliebenen an.
Die Beerdigung findet am Sonnabend den
30. April Nachmittags um b\ Uhr vom Trauer-
hause Knrfürstenstraße 131 I. aus statt.
Marie Nonnemanu geb. Steichenbach.
Friedrich Nonnemann.
Walther Nonnemanu.
Lisbety Nonnemanu geb. Schnitze.
Berlin, den 27. April 1887^
Verlobt:
Frl. Anna Bnki mit Hrn. vr. Ph. Stern-
berg (Breslau—Berlin).
Göboren:
Ein Sohn: Hrn. Paul Crahmer. — Hrn.
Gust. von Beckerath (Krefeld). — Hrn. Amts-
richter Thomsen (Bordesholm).
Eine Tochter: Hrn. Diakonus Kob (Gingst
a. Rügen). — Hrn. Max Loewenheim.
Hr. Kfm. Will). Gordan jrm. (Potsdam).
Hrn. W.Wiesenthal jüngste Tochter (Boizeu-
bürg, a. E.).
Hr. Graf zu Inn- und Knyphausen-
I e n n e l t (Stuttgart).
Hr. Sec.-Lieut. Moritz Frhr. von Wittgen-
stein (Nervi b. Gkmici).
Frl. Franziska Müller (Sonntag 4 Uhr
vom Trauerhause).
Hr. Major a. D. Ad. Woltmann (Bückebarg).
Hr. Kammerherr, Staatsrath und Konsul C. A.
von Radetzky-Mikulicz (Leipzig).
Hr. W. H. Th. Chassot von Florencourt.
Hr. Oberst Alfred von Liers und Wilkau
(Schwerin).
Hr. Gutsbes. Albert Müller (Nuhberg).
Fr. Ioh. de Wolfs geb. Sinsteden
(Münster i. W.).
Hrn. Prem.-Lieut. Artelt Tochter Erika
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Hrn. Max Wustrau Tochter Charlotte
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ihn in gleicher Bedeutsamkeit die deutsche
Literatur bisher noeh kaum aufzuweisen hat.
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spannende, an Abenteuern röiche Handlung
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durch die packendsten Schilderungen aus dem
Seemannsleben das Gemüth des Lesers zu
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Charlottenburg, den 16. April 1887. (1367
Der Magistrat.____________
Hierzu zwei Beiblätter.
so ttnu (tn&7 und auch in dieser FragV bei Jahresschluß die
Marksteine zu setzen.
Während unter Pius IX. die Vertretung der katholischen
Interessen in Deutschland durch die oberste Potenz der katho-
lischen Kirche einerseits, durch die 'politische Partei des deut-
schen Katholizismus andererseits eine vollkommen einheitliche
und dadurch sichere, in sich geschloffene war. sind die Dinge
heute anders geworden. Die Geschichte des Papstthums ist
reich an Beispielen, daß der Nachfolger bei aller Festhaltung
der Prinzipien doch in der-praktischen Politik ganz andere
Bahnen eingeschlagen hat, als welche der Vorgänger gewan-
delt war. So that auch Leo XIII. und die unmittelbare
Folge davon war die Anknüpfung von persönlichen Beziehun-
gen zwischen Papst und Kaiser, welche in kurzer Zeit zu
Negociationen zwischen der päpstlichen Kurie und der Staatö-
regierung -führten.
Untiefer Entwickelung der Dinge hatte der andere Faktor,
welcher bisher die katholischen Interessen in der deutschen
Politik mit Energie und Geschick vertreten hatte, keinen
Antheil. Die parlamentarischen Führer des Centrums
sowohl wie deffen Presse gestehen selbst ein, von dem Gange
allen sind: TTes G'esty wtu> tSB tun Centrum mit mathe-
matischer Gewißheit sich vollenden.
Nichts aber beweist klarer, daß das Centrum mit seinem
Latein gänzlich zu Ende ist, alt. die verschiedenen Windt-
horstschen Anträge. Was hat das Centrum damit erreicht:
es hat dem Kultusminister die Gelegenheit zu einem glänzen-
den parlamentarischen Siege gegeben und es hat durch den
Mund seines Führers seine gänzliche Anmacht in der der-
maligen kirchenpolitischen Situation in bester Form anerkannt.
Der 11. Dezember 1878 ist in den Annalen des Centrums
als der Tag einer durch eigene Ungeschicklichkeit provocirten
und zu einer verbängnihvollen Niederlage gewordenen Schlacht
zu verzeichnen. Nichts dokumentirt dies deutlicher, als die
Sprache der süddeutschen klerikalen Organe und vor allem die
Kommentare, welche die der römischen Kurie nabe stehenden
italienischen und französischen Blätter zu der Sitzung vom
11. Dezember geben.
Mit Recht komburirte der Kultusminister in seiner Rede
den Antrag auf Sistirung der Ausführung des Kloftergesehes
mit dem Äntrag auf Wiederherstellung der abgeschafften Ver-
faffungsartikel. Wäre die Politik des Centrums nicht völlig
z!^^^chrzehnw!^au^?e^^e7b!^andiMrt^er^l i et) 11 ttfi-i s
Korporationen im Rahmen des die souveräne Staatsgewalt
revräsentirenden Gesetzes die kanonische „Freiheit" der katho-
lischen Kirche als eine dem Staate im Prinzip übergeord-
nete, in Betracht der ungünstigen Zeiten aber doch mindestens
gleichgeordnete Potenz werden lasten.
Indem durch Abschaffung des Artikel 15 die letztere Inter-
pretation aus der Welt geschafft und damit der ganzen im
Sinne der kanonischen Freiheit geübten Verwaltungspraxis
ein definitives Ende bereitet wurde, war eine zweifellos sichere
Rechtsposition auf der Basis der Staatssouveränetät geschaffen,
aber doch sollte dadurch der in diesem Rahmen sich bewegenden
„Selbstständigkeit" der katholischen Kirche die Anerkennung
nicht entzogen werden. Man war keineswegs geneigt, zu den
Auswüchsen des territorialistischen Staatskirchenthums zurück-
zukehren; man wollte die aus dem Prinzipe der Gewiffens-
freiheit und der Konfessionslosigkeit des Staatswesens als
nothwendige Konsequenz sich ergebende Autonomie der Re-
'igionsgesellschaften nicht beseitigen, aber man wollte in voller
Gewißheit vor allem den Grundsatz feststellen, daß es eine
Autonomie von Religionsgesellschasten nur in Unterordnung
Q
/
Holbein's Portrait des Erasmus von Rotterdam,
gestochen von Friedrich Weber.
Seit einer Reihe von Jabren wird mir in fast regel-
mäßigen Zwischenräumen die Freude zu Tbeil, neue Arbeiten
meines Freundes Friedrich Weber zu Basel anzeigen zu
dürfen. Ich machte den Ansang mit der sogenannten Bella
Visconti, nach dem schönen, von seinem Besitzer mit diesem
Phantasienamen belegten Gemälde zu Aarau. Es folgten
Luini's Madonna di Lugano, Holbein's Lais corinthiaca
vom Baseler Museum, der Bonifazius Amerbach des-
selben Meisters an derselben Stelle und endlich Tizians
Irdische und himmlische Liebe, ein Blatt, welches zu noch
höherer Geltung gelangt sein würde, wäre der Druck der
meisten Exemplare nicht so weit hinter dem zurückgeblieben,
was billiger Weise verlangt werden konnte. Mit seiner letzten
Arbeit, von der fetzt die Rede sein soll, hat Weber, waö den
Druck anlangt, sich wieder nach Paris gewandt, wo er ja ge-
lernt und seine früheren Sachen gearbeitet bat, und das die
Heimath aller modernen künstlerischen Technik ist.
Weber sieht das Baseler Museum als den natürlichen
Boden seiner Thätigkeit an. Ueber die bürgerlich-moralische
Seite dieses Patriotismus habe ich beim Erscheinen des
Amerbachbildniffes schon gesprochen. So natürlich und noth-
wendig es ist, daß ein beginnender Künstler ohne Rücksicht
auf Heimath und Vaterland Hand und Auge da bilde, wo
diese Bildung am vorzüglichsten zu erlangen ist (so daß es
eine Verkehrtheit wäre, wenn man, wie neuerdings in un-
verständigem Eifer verlangt worden ist, unsere jungen Künstler
von Italien und Frankreich zurückhalten wollte), so sittlich
berechtigt ist der Anspruch, daß der fertige Mann die hei-
mische Scholle bearbeite, mag der Ertrag auch vielleicht kärg-
licher ausfallen als es anderswo der Fall gewesen wäre.
Weber, den die Akademien von Berlin und Paris zu ihrem
Mitgliede ernannt haben, sitzt in Basel in seiner bescheidenen
Ecke und trägt in seiner Weise dafür Sorge, daß der Ruhm
seiner Vaterstadt auch als Pflegerin der Kunst erhalten bleibe.
Man weist bei uns auf die guten alten Tage hin, wo in den
freien Reichsstädten Kunst und Handwerk noch ungeschieden
waren, wo Dürer oder Bischer und seine Söhne wie Hand-
werkerdarauflos arbeiteten undjeder Schloffermeister oder Tischler
seine Arbeit der Architektur eines Haukes künstlerisch anzupassen
wußte, als ob er selber ein Stück Architekt sei; diese Zeiten
sind noch nicht verschwunden, wir müßen nur die Stellen zu
finden wissen, wo heute noch in ihrem Sinne gedacht und
gewirkt wird. Es finden sich roch Existenzen, welche inner-
> halb der großen Weltumuhe, die Alles in's Dröhnen und
Zittern bringt, ihren stillen Umkreis rein halten. Wie orga-
nisch natürlich ist Weber's Thätigkeit. Wie gut stimmt eine
Bedingung mit der andern hier, unter denen allen sein
Erasmusvortrait zu Stande kam. Als Grundlage: die Be-
deurung Basels, des Sitzes unabhängiger Gelehrsamkeit und
unternehmender Buchdrucker, was eins wie das andere
Erasmus bestimmten, seiner: Wohnsitz dahin zu verlegen.
Sodann der glückliche Zufall, welcher Erasmus den jungen
Holbein hier finden ließ. Dann die Kunst und die Liebe,
mit welcher dieser ihn gemalt hat. Dann die Sorge, mit der
man die Tafel in ’ Basel aufbewahrte, bis sie in
die dortige öffentliche Sarnmlung kam. Und zrrm Abschluffe
die Kunst und der Fleiß, mit welchem der Baseler Kupfer-
stecher der selbstgestellten Aufgabe gerecht zu werden suchte.
Weber's Arbeit bringt, da sie nun endlich fertig daliegt, die
natürliche Aufforderung mit, von alle dem zu reden, was ich
so aufgezählt habe.
Wenige wiffen heute von Erasmus» über den Namen
hinaus, den seine Zeitgenossen, ehe Luther auftrat, als die
größte geistige Macht verehrten und von dem sie erhofften,
was freilich er weder leisten wollte noch konnte, und was
Luther thun mußte, wenn es gethan werden sollte. Luther
aber kam erst nach ihm Erasmus war eine andere Aufgabe
zugefallen, die er glänzend erfüllt hat. Er drückte der Ge-
lehrsamkeit des Reformationszeitalters den letzten Stempel
auf und war ihr vornehmster Vertreter ohne Nebenbuhler.
Und alles, was er erreichte, hat er als ächter Selfmäder nur
sich selbst zu verdanken gehabt.
Erasmus kam so zu sagen aus dem Nichts, um diese
Herrschaft zu gründen. Fast überall, wohin er sich wandte,
wußte er mehr als seine Lehrer. Von seinen ersten Anfängen
an mußte er sich selber unterrichten. Er war der uneheliche
Sohn eines beliebigen Vaters und einer beliebigen Mutter,
kam an einem beliebigen Orte der Niederlande 1467 zur
Welt und sollte Geistlicher werden. Die Geschichte seiner
Jugend ist die seines Widerstrebens gegen diese Carriöre.
! Hier, indem er durch eigene Kraft in die Wissenschaften ein-!
l drang, sog er den Haß gegen die Mönchswirchschaft und die
intime Kenntniß ihrer Existenzgeheimniffe ein. was ihn bei
seiner späteren literarischen Thätigkeit als Kenner all' der
Schlupfwinkel auftreten ließ, in welche er die faule Geselle
schaff verfolgte. Bis zum beinahe dreißigsten Jahre bliA
er im Kloster, bis ihm erlaubt wurde, in Paris Theo-
logie zu studiren. Dort, unter harten Entbehrungen,
welche seinen schwachen Körper vollends ruinirten, formte sich
sein Charakter und hier sammelte er den Grundstock der vor-
nehmen Freundschaften, an denen er später reich war. In
Paris blühte damals die jüngere Gelehrtengenerairon, die
„ueerrimi mormeliorum psrsseutores", die »ckoetores
birrettati“, welche unabhängig von der Geistlichkeit die welt-
liche Kritik emporzubringen suchten. Diese Anstrengungen
bilden das Vorspiel der Reformation.. Die Macht der dummen
Mönche sollte gebrochen werden. Man lese, noch tief im
15. Jahrhundert, die Klagen Ulrich Faber's, dex zu den
Klostergeistlichen der alten Schule gehörte, über den neuen
Geist auf den Universitäten und seine kindliche Freude, wo
man ihn scheinbar siegreich niederhielt. Dies Bestreben
war überall das gleiche in Europa. Erasmus besuchte Eng-
land und Italien und sammelte Kenutniffe und Ver-
bindungen. Der Ortswechsel scheint ihm zuletzt Bedürfniß
geworden zu sein. Wir finden ihn wie aus einer ewigen
Entdeckungsreise nach der Stelle, wo sich ruhig arbeiten und
gesund leben laffe. Vorzüglich hält er sich in den Nieder-
landen auf. Hier, in den Jahren, welche dem Ausbruche der
Bewegung in Deutschland vorausgingen, trat seine literarische
Blüthezei't ein. In der Mitte von Freunden und Genossen
war er die Seele der hoffnungsreichen Opposition des Deut-
schen Geistes gegen den römischen. Eine Frucht jener Tage
und ein Zeichen ihres Uebermuthes war Thomas Morus' da-
mals geschmiedete Utosna, das politische Märchen, das scheinbar
nur lächelndes Nachdenken erregen sollte und hinter dessen
spielender Phantasie der Gedanke eines möglichen Umsturzes
alles Bestehenden lag. Schärfer noch war Erasmus' „Lob
der Narrheit", an dem sich die Welt nicht satt lesen konnte.
Dergleichen galt freilich nur als Beiwerk neben ungeheurer
philologischer Thätigkeit, welche Erasmus in Erinnerung an die
Ställe des Augiaö seine Herkulesarbeit nannte. Im Grunde
verfolgte all seine Arbeit stets den einen Zweck: Erziehung
einer von der Kirche unabhängigen kritischen Schule, welche
beffsre Zustände herbeiführen würde. Hierfür schrieb er nun
nicht blos seine-Bücher, sondern auch die unzähligen Briefe,
lwclche für uns heute als eigentliches Denkmal seiner Per-
sönlichkeit, neben denen Luthers und Huttens, die beste Ge-
schichte der Reformation bilden.
Der größte Theil der Briefe des Erasmus steht in der
Leydener Aüsgaüe seiner Werke in ein paar staatlichen Folio-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
eine Art von Schreckmittel und Popanz bei den Zollverhan^
lungen mit anderen Staaten aufgefaßt worden; wie
weit er Aufsicht bat, praktisch zu werden, ist
uns unbekannt. Wohl aber wissen wir, daß eine Anzahl
deutscher Industriezweige durch die Einführung des Tarifes
von dem schweizer Markt absolut ausgeschlossen werden würde.
Die „Augsb. Abendzeitung" enthält eine Zuschrift des
bekannten Freiherrn v. Thüngen, in welcher er die von ihm
beantragte Resolution der Wanderversammlung bairischer Land-
wirthe auf Einführung von Werthzöllen auf landwirthschaft-
liche Produkte in folgender Weise zu rechtfertigen sucht:
„In der Begründung ni meiner obigen Resolution habe ich
eine Eingangsgebühr von 5-7 Proz. deS Werthes auf die land-
wirthschastlichen Produkte verlangt, was nach den heutigen Ge-
treidepreisen auf den Centner Getreide 50—60 Pfennig aus-
macht. Es wird dies Niemand, der überhaupt in Zollsachen
bewandert ist, einen Schutzzoll nennen, und läßt sich zur
Motivirnng dieser Sätze ganz daffelbe anführen, was in dem
fraglichen Artikel zu dem dort verlangten Satze gesagt ist.
Ich verlange also ebenfalls nur einen Finanzzoll, oder.
wenn man so will, einen Steuerausgleichszoll, welcher
bezweckt, diß die vom Auslande in Form von Waaren und
landwirthschastlichen Produkten bisher steuerfrei bei uns einge-
Bänden zusammengedruckt. Eine Lektüre, zu der ich immer
wieder zurückkehre. Luther schreibt von den dreien am robustesten,
Hutten am blühendsten, Erasmus' Latein dagegen klingt am
meisten wie Muttersprache. Er hat kein zweites noch aus-
giebigetes Idiom für seine Gedanken in petto. Wie behag,
lich und sicher er sich darin fühlte, merkt man recht an den
beigedruckten Antworten seiner Korrespondenten, unter
denen so ziemlich kein bedeutender Name des beginnenden
16. Jahrhunderts fehlt: sie wissen nicht in der unge-
zierten accentlosen Sprache zu schrerben, als welche
Erasmus selber die lateinische handhabt. Seine Briefe denn
auch, welche stets als Cirkulare für ganze Kreise anzusehen
sind, und seine Bücher in immer neuen Publikationen und
rasch sich folgenden Auflagen beherrschten dieGebild"ten seiner
Zeit wie Voltaire's Schriften und Briefe die europäische
Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.
Der Vergleich mit Voltaire drängt sich bei Erasmus auf
und ist oft gemacht worden. Die Charaktere haben gleiche
Anlage und ihre Methode gleicht sich. Ich bringe sogar die
Studienzeit des Erasmus zu Paris hier mit in Anschlag.
Sie legen beide aus das Formale hohen Werth und wiffen
die aufgewandte Mühe zu verstecken, was ihren Schriften
für alle Zeilen zu Gute kommen wird. Sie besitzen beide
die Kunst, inmitten widerstreitender Meinungen zu Jedem so
zu sprechen wie dieser es wünschte und bei scheinbarer Nach-
giebigkeit den eigenen Weg doch innezuhalten. Sie haben
beide fast ein Bedürfniß nach Feindschaften, weil ihr
Talent, anzugreifen oder sich zu vertheidigen, so groß
ist. Sie waren beide revolutionär gesinnt, konnten aber doch
nur vorbereiten. Sie hätten beide mit den Massen nichts
anzufangen gewußt, sie wendeten sich nur an die. welche Kennt-
nisse und Feinheit besaßen; mit den großen Leidenschaften der
Menschheit haben sie nie zu thun gehabt. D-shalb haßte
Voltaire Nousieau, der bei seinen Lesern nichts verlangte als
ein Hezr mit warm pulsirendcm Blute darin, und deshalb
war dem Erasmus Luther in der Seele zuwider, der sich in
Deutscher Sprache an Hoch und Niedrig wandte. Und wie
Voltaire bei Rousseau vielleicht das unbehagliche Vorgefühl
hatte, daß dieser nach ihm die Geister beherrschen werde, so
hat Erasmus Luther gegenüber wohl etwas Aehnliches
empfunden. Er fühlte, daß er mit dieser Kraft weder werde
zusammengehen, noch sich wider sic werde stemmen können.
Weis würde Voltaire, der bei seinem letzten Einzuge in
Paris wie ein siegreicher Fürst triumphirte, nur wenige Jahre
er Zolle auf Seide in den
habe der Lyoner Fabri-
in steigendem Maße ent-
die Erhöhung des Zolles
nehmen konnten. Allein
die inländischen Produzenten mft der Erhöhung der Einfuhr-
zölle zeigen. Die Erhöhung
Vereinigten Staaten z. B.
kation den dortigen Markt
zogen, da die Fabrikanten
nicht auf ihre Rechnung
selbst unterstellt, daß der fremde Produzent die Totalität oder
fast die Totalität des Zolles trage, so folge nicht daraus, daß
ein Land wie Deutschland alle ausländischen Artikel taxiren
dürfe.
„In der That, heißt es, wenn es ein Gebiet giebt, auf
welchem die Strafe der Wiedervcrgeltung, der Talion, herrscht, so
ist daö die Zollgesetzgebung. Die Behandlung, welche Deutsch-
land den anderen Völkern angedcihen lassen wird, wird
man ihm voraussichtlich mit Zinsen wiedergeben. Dann
werden die deutschen Fabrikanten, welche cxportiren. nach
der Theorie des Fürsten Bismarck die ganze Vermehrung
der Zölle zu tragen haben, welche andere Länder auf deutsche
Produkte legen. Wo wird der Gewinn sein? Der Reichskanzler
wird nur die Gewinne und Vermögen anders vertheilen, die
Einkünfte der Exporteure vermindern und die der Fabrikanten,
welche nur für den inländischen Markt arbeiten, vermehren. Mit
später denselben Franzosen zu sagen gehabt haben, wenn sie
von ihm die Leitung der ungeheueren Bewegung verlangt
hätten, die er heraufbeschwören balf? Voltaire wurde dieser
Schrecken erspart. Erasmus dagegen ward dergleichen in
der That angcsonnen: er vermochte der Aufgabe nicht nach-
zukommen. Der endliche Ausbruch der Deutschen Bewegung
war die Klippe, an der sein Schiff ein Leck bekam. Es war
ein Verhängniß für ihn: er hatte in den Zeiten, wo Hutten
und Luther entscheidend vorzugehen begannen, die Stellung
gerade errungen, auf deren Gewinn sein ganzes Leben ein-
gerichtet war'. Von Italien aus betrachtet, stand er der ge-
fürchtete liberale Beherrscher der germanischen Geister da,
von Deutschland aus betrachtet, war er der Einzige, welcher
die Deutschen vertheidigen und gegen Rom und Romanisten
aufkommen konnte. Als Luther auf die Wartburg abgeführt
worden war, redet Dürer in seinem Tagebuche Erasmus als
die letzte Hoffnung des Volkes an. Als Luther dann wicder-
erscheint, sieht die Kurie in Erasmus den einzigen Mann,
welcher die Bewegung hemmen könnte. Von beiden Seiten
drängle man von'Ansang an und erwartete, der grcße Ge-
lehrte werde eigene Gedanken enthüllen, welche den Weg aus
dem großen Chaos zeigten.
Erasmus aber hatte ganz anderes im Sinn: er sucht
nach beiden Seiten seinen Nimbus (von dem leider auch seine
Einkünfte abhingen) aufrecht zu erhalten und weiß mit einer
Feinheit, die wir bewundern müffen, nicht nur die bedenkliche
Rolle durchzuführen, sondern sogar im alten gemäßigt liberalen
Sinne weiterzuarbeiten. Nach Rom hin hatte er sich zuerst gestellt,
als kenne er Luther kaum, und als er endlich dann doch gegen
diesen auftreten muß. läßt er sich nicht auf das Allgemeine
ein, sondern behandelt mit gelehrter Schärfe einzelne Streit-
fragen. Den Deutschen gegenüber beklagt er Luther's Leiden-
schaftlichkeit und läßt die Annahme offen, als gingen sie beide
doch nur in Einzelnheiten scharf auseinander. Was Erasmus
im tiefsten Herzen Luther und Hutten vorwarf, war ihre rauhe
demagogische Art, das mit Gewalt durchsetzen zu wollen, was
er mit seinen feinen Mitteln viel sicherer zu erreichen gedachte.
Die Mönche sollten mit Spott und Hohn aus der mensch-
lichen Gesellschaft vertilgt, nicht mit Gewalt von ihren
Sitzen vertrieben werden. Erasmus war überzeugt, seine
Imus stultitiae und die das Mönchswesen betreffenden
Kapitel der Colloquia würden drastischer wirken,
als wenn man die Kloster stürmen und berauben
wollte. Eine große Hauptsache freilich trennte Erasmus
länger mit niedriger versteuertem Rohstoff arbeiten, so ver-
mögen wir auch darin keinen unerlaubten Vortheil zu
sehen, keine „Spekulation auf Kosten des Reichs" im schuld-
baren Sinne. Für die Reichskasse ist dies eine ganz er-
trägliche Bedingung des Ueberaangs zu dem ergiebigeren
System. Wollte der Bundesrath schon von setzt oder von
einem nahen Zeitpunkt an die eingehenden Tabaksendungen
aufschreiben und bis an ihr Ziel im Inland verfolgen lassen,
um demnächst Handhaben für eine durchgreifende Nachversteue-
rung zu besitzen, so könnte viel Ungerechtigkeit und Härte kaum
ausbleiben. Der Nachzcll wäre einer Prämie gleich für geschicktes
Verstecken, und die ehrlicheren Bezieher hätten es nieder Kon-
kurrenz zu büßen, daß sie sich nickt ebenfalls noch für längere
Zeit wohlfeilen Rohstoff gesichert. Eine widerwärtige Häufung
von Haussuchungen und Defraudationsprozessen wurde sich daran
schließen. Wir möchten daher annehmen, es wäre besser, auf
den Gedanken einer Nackvcrzollung diesmal ganz verzichtzu-
leisten. Ueber ein gewisses engbegrenztes Maß kann die
Vorausversorgung, und folglich der spätere Eintritt der
erhöhten einträglicheren Eingangszölle sa doch nicht hin-
ausgehen; die deutsche Tabakindustrie aber, der _ dies
hauptsächlich zugute käme (und nicht etwa vorzugsweise der
hansische Rohtabakhandel), hätte daran, so weit es reichte, eine
billige kleine Enschädigung für lange quälende Ungewißheit
wiederum von Luther und den Reformatoren: der Umstand,
daß ihm der Gedanke fern lag, an Stelle der päpstlichen Kirche
eine germanische aufzubauen, in fester einfacher Gliederung
dem Cbarakter des Volkes und seiner Sehnsucht entsprechend,
sondern daß cs ihm nur um freie Bahn für die freie Gelehr-
samkeit zu thun war, in deren Verfolg er die höchste eigene
Befriedi,ung fand.
Es war nöthig, auf die sich folgenden Daten dieser Ent-
wicklung bei Erasmus hinzuweisen, wenn das Portrait Hol-
beins, von dem ich ausgehe, zu voller Würdigung kommen
sollte. Zwei Typen von Bildnissen des Erasmus hat Hoibein
hergestellt, sbeide in mehrfachen Exemplaren verbreitet. Das
eine, 1530 entstandene, aus Zeiten, wo der Umschwung im
Leben des Mannes längst vollzogen und er in heim-
licher Resignation, zugleich aber doch mit der alten
Geistesschärfe weiterdenkend, fühlend und arbeitend, ruhig
die Hände vor sich, grade ausblickt: ein Antlitz, dem
man Alter und Lebensmühen ansieht: eckige Züge mit viel
Schärfe und wenig Milde im Ausdruck. Das andere das,
welches im Stiche nun vorliegt, vom Jahre 1523, wo all
sein früherer Ruhm noch unverwelkt und die späteren Strei-
tigkeiten noch unvergiftet waren, die sein Alter umdüsterten.
Als verkörperte'Gelehrsamkeit hat Holbein Erasmus aus
unserem Portrait dargestellt. Im scharfen Profil sehen wir ihn
an seinem Pulte stehen und schreiben, den in eine Art von
Kutte gehüllten Körper bis zu den Ellnbogen sichtbar. Er predigt
nicht wie Luther: er denkt und schreibt. Er übersetzt nicht
wie Luther die Bibel für alle Welt, sondern er reinigt ihren
lateinischen Text für den Gebrauch der Gelehrten. Wir
sehen die auf dem Papier liegende Hand den Beginn des
Markusevangelium schreiben. Wenn irgend Erasmus ideal
darzustellen war, so mußte es so geschehen: in dieser
Stellung, an dieser Arbeit und in diesen letzten Zetten
der inneren Befriedigung. Seine Studirstube in Basel war
der Punkt noch, von dem aus in einer von Spanien brS
Polen ganz Europa überspannenden Korrespondenz den an-
gesehensten Personen die vielleicht entscheidende Auffassung
der Verhältniße ertheilt wurde. Päpste und Könige, geistliche
und weltliche Fürsten jeden Ranges empfingen Briefe und
Dedikationen von ihm, antworteten und sandten Geschenke.
Erasmus hatte sich für diesen Verkehr einen eigenen Depeschen-
dienst eingerichtet. Eine Anzahl Famuli, junge Leute, denen
er vertrauen durfte, wurden zu bestimmten Zeiten im Jahre
mit den Briefschaften in der Tasche zu Pferde ausgeschickt,
kellten, trieben den Wortführer des Föderalismus,
Dr. Dubs, aus dem Bundesratbe und zu seinem Nach-
folger wurde Scherer erkoren (12. Juli 1872). Im Anfang
und bis zu Ende des Jahres 1873 stand er dem Finanz- und
Zolldepartement vor; während des Jahres 1871 war ihm das
schwierige Eisenbahn- und Handelsdepartement übertragen.
Im Dezember 1871 ward er. für 1875 zum Bundesprässt
dcnten gewählt und von 1876 ün bis zu seinem Tode hat er
das Militärdepartement verwaltet. Die neue Militärorgani-
fation war nicht sein Werk, obwohl er zu ihrem Zustande-
kommen wesentlich beigetragen hat, aber ihm fiel die schwie-
rige Aufgabe zu. die neue Schöpfung vor Verstümmlung zu
bewahren, als volksthümliche Gegenströmung das Errungene
in Frage zu stellen drohte, bevor es nur recht ins Leben ge-
treten war.
FrasekreLch.
Paris, 28. Dezember. Die republikanischen Journale
veröffenilichen die Namen der Kandidaten der Linken für die
-am 5. Januar bevorstehenden Senatorenwahlen. Das
leitende Parteiorgan, die „Rep. Franchise", weist immer von
um mit den Antworten, Geldern oder sonstigen Präsenten
nach Monaten zurückzukehren. Die Portraits spielten
hierbei ihre eigene Rolle. Solche Bildnisse waren
gleichsam präsentirte Wechsel auf die Großmuth der
Könige, Prälaten und reichen Adligen. Anfangs
verschenkte Erasmus eine- in den Niederlanden angefertigte
sehr ungeschickte Medaille (Berliner Kabinet), welche Dürer
einmal, wie die vorhandene Korrespondenz mit Pirckheymer
zeigt, umarbeiten und ähnlicher machen sollte. Dürer's Stich
dann wieder, an dessen Vollendung Erasmus viel gelegen
war, hatte den Fehler, erst 1526 in Nürnberg nach der fünf
Jähre früher in den Niederlanden gemachten Zeichnung ge-
macht zu sein, wobei wiederum Erasmus brieflich allerlei
Aenderungen verlangte, da sich sein Aussehen inzwischen ge-
ändert habe. Holvein dagegen genügte seinen Ansprüchen
durchaus.
In wie hohem Grade Holbein unter dem Einflüsse des
Erasmus gestandm habe, läßt der Umschwung erkennen, wel-
cher in den ersten zwanziger Jahren plötzlich bei ihm eintrat.
Dürer hätte ohne Pirckheymer'ö Gelehrsamkeit, Holbein ohne
die des Erasmus nicht die hohe Stufe erreicht, auf der wir sie
erbl»-* n. Bei Holbein's Todtentanze und bei der Passion in
de. zweiten Redaktion setzt uns neben der künstlerischen
Meisterschaft die Freiheit der historischen Auffassung in Er-
staunen. Die Weltanschauung, welche der Todtentanz offen-
bart, führe ich auf Erasmus zurück. Im Todtentanze bricht
Luctans ironische Verachtung der Menschen und der Dinge
durch. Nur die historische Kenntniß, die Erasmus besaß, ver-
bunden mit der eigenthümlich heidnisch-christlichen Philosophie,
mit der gerade er die Welt ansah, konnten den Geist gestal-
ten, dem diese Bilder entsprangen, diese Reche drama-
tischer Scenen, in denen das plötzliche Aufhören irdisch
gefälliger Eitelkeiten so erschütternd dargestellt ist.
Und noch mehr: niemals hätte Holbein ‘ aus eige-
nen Gedanken allein die historische Objektivität sich
verliehen, mit der in der zweiten Passion der Fortschritt des
Leidens Christi zu den Gesängen eines gemalten Epos gleich-
sam aneinander gereiht sind, in welchem das Reinmenschliche
so durchaus -die erschütternde Kraft bildet. Holbein hat in
England, sich selbst wieder überlassen, in diesem Geiste nichts
Neues geschaffen.
Holbeins Portrait des Erasmus vom Jahre 1523 liefert
Linen neuen Beweis dafür, wieviel der unmittelbare Einfluß
eines überlegenM Geistes wirkt. Freilich muß im Allge
In Fränkreich wrtd ein immer ~
Schießausbildung der Infanterie gerW; das bezeugen
manche Maßnahmen'der höheren Behörden, wie die seit einiger
Zeit in den Militärjournalen zu einer stehenden Rubrik gewor-
denen Mittheilungen über die in allen TheiLn des Landes be-
stehenden und von der Regierung durch LiefeUng von Gewehren
und Munition unterstützten Schießvererne und deren Preis-
schießcn. Registrirt muß in dieser Beziehung auch eine Anordnung
werden, welche sich in der kriegsministeriellen Verfügung vom 7. Ok-
tober 1878über dreVertheilung der Mannschaften der Klasse 1877anf
die verschiedenen Truppentheilebefindet, deren erstePortion am8.und
1?. November und deren zweite Portion am 16. November 1878
eingestellt wird. In diesem Erlaß wird vorgeschrieben, daß die-
jenigen jungen Leute, welche bei einem Konkurrenzschießen im
In- oder Auslande einen Preis erhalten haben, das betreffende
Diplom vorzuzeigen aufgefordert werden sollen, und daß dann
in deren Soldbuch Oivret indivicluel) der Empfang der Prämie
verzeichnet werde. Hervorgehoben wird ausdrücklich, daß, da die
Schießausbildung eine große militärische Wichtigkeit besitze, man
die jungen Leute nicht genug ermuthigen könne, schon vor ihrem
Eintritte in den Dienst sich die bezügliche Fertigkeit anzueignen.
„I/^vemr rnilitaire" vom 21. November berichtet, daß der
Kriegsminister General Borel bestimmt habe, die Eleven der
Kriegsakademie (ecole superieure de guerre) sollen 1879
meinen gesagt werden — wie auch schon öfter hervorgehoben
worden ist — daß Holbein als Bildnißmaler in Basel anders
arbeitete als in Eng land, wo sein persönlichesJnteresse an den Per-
sonen zurückirctenmußte.JnBaselbatteerFreundeundBeschützer
zu portrailiren, deren Gedankenströme ihn selber mit sich
trugen. Sein Bildniß des Erasmus aber läßt eine ganz be-
sondere Intimität erkennen. Feinheiten sind hier zum Aus-
drucke gebracht, welche den Künstler als dem großen Ge-
lehrten besonders nahestehend erscheinen lassen. Und zugleich,
neben diesen individuellen Zügen, wie schön hat er den
Erasmus des Jahres 1523 zum großen Gelehrten des
16. Jahrhunderts erhoben, überzeugend wahr nun auch für
unsere Augen heute. Holbeins Werk, böte es nichts weiter
als ein realistisch getreues Abbild des Erasmus, etwa wie
die Bildnisse Luthers von Lucas Cranach, würde nur ein
Abbild des Vergänglichen im Erasmus sein. Holbein hat
mehr geleistet. Sein Portrait ist zugleich die Verkörperung
der die Welt mitregierenden gelehrten Kritik, welche alle
Reformationen vorbereiten hals und ohne deren belebenden
Einfluß die Völker thatlos zusammensinken würden.
Holbein hat Erasmus als Typus der ganzen Klasse hin-
gestellt, deren Wirksamkeit jener Zeit größer war als je zuvor
und nachher.
Die Kunst der Renaissance hatte wie die des Alterthums
ihre besonderen Mittel, das Individuelle zum Allgemeinen zu
erheben oder wiederum im Allgemeinen das Individuelle an-
zudeuten. Sollte menschliche Schönheit in ihrer reinsten Ent-
faltung dargestellt werden, so formte der antike Künstler eine
Venus, der er, neben dem allgemein göttlichen Typus, den
Zusatz irgend besonderer irdischer Gestaltung, die seiner per-
sönlichen'Auffasiung am nächsten stand, zufügte. Und wiederum
sollte er das Portrait einer schönen Frau arbeiten, so suchte
er deren besondere Züge dem allgemeinen Typus einer Göttin
so weit zu nähern, als seiner Kunst irgend erlaubt schien.
Und so der Künstler der Renaissance. Sollte eine Frau in
höchster Schönheit dargestellt werden, so boten sich verschiedene
Heilige oder eine Eva, den Spätern eiml Magdalena, am
nächsten wohl eine Maria dar, in deren allgemein idealisirte
Gestaltung dann die Erinnerung irdischer besonderer Lieb-
haberei einfließt. Sollten aber benannte irdische Reize als
Portrait höchsten Styles dargestellt werden, so suchte man sie
unwillkürlich jcnachdem einer Eva, Magdalena oder Maria
anzunähern, ja ließ sie bei idealistrten Zügen direkt als eine
Heilige erscheinen.
des Prinzen Alexander von Preußen, die Rettungs-Medaille am
Baude zu verleihen. ___________
Deutsches Reich.
Se. Majestät der Kaiser und König haben Allergnädigst
geruht:
die vortragenden Räthe im Auswärtigen Amte, Wirkliche
Legations-Räthe Freiherr von Buddenbrock und Dr. Clemens
August Busch zu Geheimen Legations Räthen zu ernennen,
sowie dem Legations-Sekretär bei der kaiserlichen Gesandtschaft
in Madrid, von Thielau, den Charakter als Legations-Rath
und dem im Centralbureau des Auswärtigen Amts angestellten
Geheimen expedirenden Sekretär Wo ll mann den Charakterals
Hofrath beizulegen.
Koni
Se. Majestät der
dem Premierlient
die Kammerjnnkerwür
Se. Majestät der
den Provinzialsch
und Dr. Klix zu B
rungsrath, sowie dem
Nicht aber bei dj
Wechselwirkungen st
die Evangelisten bei
als Bibelübersetzer zus
den Gelehrten zu im
ben oder Lesen und
selber sorgfältig mit
um Portraits handelt!
gleich direkt als Heils
denn doch nicht Unvis
gelist eintreten zu __________________________________
lehrten innerhalb seines Studirstübchens oder im Freien,
bei ungestört nachdenkender Abgeschiedenheit, so daß
rinas Alles sich schweigend verhielt, um die Gedanken
nicht zu stören, war ' für die Maler der Renaissance
deshalb ein wohl vertrauter Vorwurf. Ich erinnere an die
beiden Fresken Signorelli's und Ghirlandajo's in S. Apostvli
in Florenz, oder an das freundliche Bild des Lotto auf dem
Städelschen Museum zu Frankfurt, wo sich ein Perlhuhn
in die Studirstube des Heiligen verirrt hat, dessen vorsichts-
volle Tritte und leises Picken hierin und dorthin die Phantasie
des Betrachtenden zu vernehmen glaubt- oder an Dürers herr-
lichen Hieronvmusim Gehäus, wo bei sonntäglichem Sonnen-
schein durchs Fenster die Arbeitsstube Dürer's selbst portraitirt
sein soll, und wo das Athmen des unter der Bank schlafenden
Dachshundesunddasheroische Schnurren des halbschlummernden
Löwen wie aus dem Bilde heraustöneu. Dürer hatte seinen
Erasmus umgeben von Büchern am Schreibtische gezeichnet,
vielleicht indem eine Hieronymusdarftellung ihm dabei vor-
schwebte. Holbein hat auf dem Pariser Exemplare unseres
Portraits im Hintergründe Bücher angebracht, aus dem Basler
Gemälde dagegen hat er alles äußere Beiwerk verschmäht
und dennoch den höchsten Effekt in dieser Richtung hervor-
gebracht. Es ist, als habe er die tief in der Seele auf- und
absteigende Gedankenarbeit selber hörbar machen wollen. _
Ich erinnere mich als Kind in der Studirstube meines
seligen Vaters oder meines Onkels still gesessen zu haben,
wo nur das Kritzeln der Feder und dann wieder das seufzende
Rutschen der schreibenden Hand über das Papier zu hören
waren. Wenn ich dann herüberblickte, sah ich in den Zügen
des einen oder des anderen eine leise Bewegung: Die Brauen
hoben oder senkten sich. dann wieder im geschlossenen Munde
Fortsetzung im ersten Beiblatt,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
k
Unterschrift auf dem Etiquett ist zu be-
achten, um sich vor Contrefaijon zu schützen.
ÜBST“ Durch alle DelicatesscBihandlg. hier*
orts zu beziehen. (8001
Fracks
werde» . verliehen £8247
— Leipzigerstraße HO, tut Laden.
©elbfdircinfe iei,cr Größe. 1 u. 2tHürige, m.
auch alte. sehr billig
rm Cvmtoir v. H.Goldbera, NeueFrredricbftr.71.
»er Begründung zu meiner obigen Resoumona
rmasgebühr von 5—7 Proz. des Werthes auf
pichen Produkte verlangt, was nach den heut
^n auf den Centn er Getreide 50—60 Pfen
wird dies Niemand, der überhaupt in
ist, einen Schutzzoll nennen, nnd läßt
g dieser Sätze ganz dasselbe anführen, wa
Artikel zu dem dort verlangten Satze g
nge also ebenfalls nur einen Finanzzo'
rn so will, einen Steuerausgleichszoll,
drß die vom Auslande in Form von Wac
chaftlichen Produkten bisher steuerfrei bei u
Zusammengedruckt. Eine Lektüre, zu der h
fückkehre. Luther schreibt von den dreien am ro
blühendsten, Erasmus' Latein dagegen k
|te Muttersprache. Er hat kein zweites
! Idiom für seine Gedanken in petto,
sicher er sich darin fühlte, merkt man rech
ten Antworten seiner Korrespondenten
ziemlich kein bedeutender Name des beg
7" Zur letzten Ziehung
«gut
der k. k. osterr.
[l83ÖerStaats-Loose! i
welche unbedingt
am 1. März 1879
s mit Treffer gezogen werden müssen, ver-
) kaufen wir, so lange der Borrath reicht:
Reichsmark
j 9 ganzes Origiual-Loos 1550
} 9 Fünftel
i 1 Halbes von letzt«
* I Viertel „ „
1 Zehntel „
1 Zwanzigstel von letzt.
Haupttreffer 315.00011. --- 030.000 Rm.
Nieten existircn bei diesen Loosen nicht,
und gelangen auch die kleinsten Treffer
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1-jP giebt sich die größte Mühe, immer weitere Gebiete unseres öffentl. u. unseres 181819 privaten Lebens in den Kreis seiner fröhlichen Erörterungen zu ziehen. Er **!**♦*' will ein ächtes, heiteres Schalksblatt für Haus u. Familie sein.
hat den Ehrgeiz. unserem deutschen Hanse ein gern gesehener Freund zu 811 h 8 1 | werden. Unser Blatt wird der Familienvater ohne Bedenken aus den Tisch Y***' seines Hanfes legen dürfen. Schalks Humor ist rein u. gesund.
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Sonnabend, 29. März.
Abonnement: für Berlin vierteljährl. 6 J6 75 S[l
für das deutsche Reich und ganz Oesterreich 9 JL
Bestellungen nehmen an die Expedition, Fraii-
zöfische Str. 51, und sämmtliche Postanstalten.
NatimlalZeitlmg.
M149.
1879. — 32. Jahrgang.
Inserate:
die Petitzeile: Morgen-Ausgabe 4-gespalten
35 A, tabellarischer Satz 40 H
Abend - Ausgabe 3-gespalten 60 ^
Geneigte Bestellungen aus die National-Zeitung ür das II. Quartal 1879 wolle man auswärt
bei der nächsten Postanstalt möglichst frühzeitig machen Der Pränumerations-Preis beträgt bei allen
Postanstalten im Deutschen Reich und in ganz Oesterr-il 9 Mark.
Für Frankreich Aug. Ammei in Paris 2 cour du commerce, Saint-Andre des-/ts.— Für Großbritannien Aug. Siegle in London, Iw Leadenhall Street.
Inhalt.
Deutschland. Berlin: die politische Korrespondenz Fricdrich's
deS Großen; ReichStagßfitzung.
Frankreich. Paris: Adresse der Handelskammern; Tages
bericht.
Italien. Rom: auS der Kammer; zum Jahrestage der
Schlacht von Novara.
Rußland. Petersburg: der Großfürst-Thronfolger.
Bulgarien. Tirnowa: die bulgarische Versammlung.
Die Trauerfeier für den Prinzen Waldemar.
Amtliche Nachrichten.
Berliner Nachrichten.
Verhandlungen deS Reichstages.
AuS dem Reich und den Provinzen.
Der Gesetzentwurf betreffend die Vollstreckung 'der
Frerheitsstrafen.
Berliner Börsenhalle.
* Berlin, 28. März.
Die politische Korrespondenz Friedrich des Große».
Wenn immer der Name des großen Friedrich in Folge
einer neuen Veröffentlichung in den Vordergrund tritt, bleibt
der Blick wie gebannt an dieser Erscheinung hängen und nur
schwer trennt man sich dav.n. ES ist nicht blos der Zauber,
den diese einzige Gestalt an sich ausübt, der solche Wirkung
hat — ein tiefer und geheimnißvoller Zug scheint unsere Zeit mit
lener Epoche zu verbinden. Wie Friedrich die preußische Großmacht
gründete, so ist unter dem Schlachtendonner unserer Zeit das
preußisch-deutsche Reich aufgerichtet worden: daß etwas Vorbild-
liches in jener Geschichte liegt, das istuns mehrfach verkündet wor-
den. P: ofeffor v. Treitschke hat in dem epischen Schwung
feiner historischen Anschauung ein Gegenstück des siebenjährigen
Krieges für unsere Entwicklung vorausgesagt, Generalfeld.
marschall Graf Moltke war, wenn auch weniger drastisch in
leinen Worten, doch kaum weniger bestimmt in seiner Charak-
terisirung der Lage, da er fünfzig Jahre als die Frist be.
zeichnete, innerhalb deren Deutschland das zu vertheidigen be-
reit sein müffe, was es in sieben Monaten gewonnen hat.
Die eigenen Erlebniffe nähern uns der Zeit Friedrich II., er-
dringen in seine Geschichte und in seine Gesinnung vielleicht
ein Blick hinter den Schleier sich aufthün möge, der unsere
Zukunft, das Schicksal eines großen Reiches verhüllt.
Alle Geschichtschreiber, die sich mit Friedrich II. beschäf.
tigtsu^haven den schweren Kamps zu führen gehabt, aus der
Maffe der Details, welche uns über den König erhalten sind,
das Bild eines Mannes, einer Individualität heraus zu
konstruiren. Carlyle, der vielleicht am direktesten auf den
Kern des Wesens des großen Mannes losging, hat in vergeb-
lichem Ringen gestanden, wie ihm das letzte Motiv so oft
unter den Händen entschwinde. Bei jeder Ankündigung einer
neuen Veröffentlichung, welche die Masse der Thatsachen ver«
mehrt, tritt die Befürchtung lDhe, daß nur neue Räthsel sich
den alten zufügen mögen. Der Beginn der politischen Korre-
spondenz, deffen wir '.schön mehrfach gedachten, rechtfertigt
aber eine solche Befürchtung glücklicher Weise nicht. Man
glaubte uns in der That der Lösung einer Reihe psychologi-
scher Rärhsel durch die neu echll^seneQuelle näher geführt;,
nicht daß dem Zusammenhang V Begebenheiten ein neues
Glied jetzt erst eingefügt würde. 6iner der Herausgeber der
Korrespondenz, Pröfeffor Dropse, bat mit einer Treue und
einem Scharfsinn, deffen man si> >ei Durchlesung der Korre-
spondenz erst recht bewußt wird,ir seiner Geschichte der preu-
ßischen Politik unter Friedrich dem (roßen, den äußeren Gang der
Dinge an der Hand dieser ihm Länglichen Korrespondenz
festgestellt. Was der Leser sich jetz'wch weiter herauszuholen
vermag, das ist im Ganzen aller psychologisches Material.
Aber deffen wird er — mag er tut lesen oder blättern —
in reicher Fülle finden. Die bekn Deutschen, von denen
und über welche am meisten veröffulicht ist. sind wohl Goethe
und Friedrich II. Nur immer -edeutender und liebens-
würdiger ist die Figur Goethe's us jeder Veröffentlichung
hervorgegangen. Bewundernswert in seiner Intelligenz,
herrlich in seiner Gesinnung war ki ihm der schwache Punkt
im Handeln und Wollen; das S/wergewicht lag hier auf
den einfacheren Qualitäten. Bc Friedrich II. aber, dem
Feldherrn und Staatsmann, tritt jee andere Eigenschaft hinter
der eines gewaltigen Wollens und Bllbrin^ens zurück und es ist
außerordentlich viel schwerer, dieZurmmenhängedes Charakters
zu entzrffern als den Gängen eine. großartigen und schöpferi-
schen Intelligenz zu folgen. Einfch aber war der Charakter
Friedrich II. am wenigsten. Vollrire, der dem Räthsel am
nächsten gekommen zu sein glaubt; faßte seine Ansicht dahin
zusammen: Niemals gab es einen Nann, der mehr die Vernunft
erkannt und mehr dre Leidenschaft gehört hätte. Es läge in
der Natur des Königs, immer dasGegentheil deffen zu thun,
was er sage und schreibe. Nicht ms Heuchelei, sondern weil
er mit der einen Art von Enthusiasmus spreche und schreibe
und dann mit einer anderen Alt )on Enthusiasmus handele.
Wollte man diesen Worten des boshaften Spötters nachgeben
und sie als allgemeinen Charakter l:s großen Königs ausstellen,
so würde man einen großen Irrthum und zugleich eine außer-
ordentliche Ungerechtigkeit begehen. Aber das Doppelverhältniß,
in welchem Friedrich von Beginn seiner Regiecung zu Frank-
reich und demFranzosenthum stand, kann man kaum richtiger
bitterer Spot^^eg^^eren Träger erscheinen semam neben
einander. Freilich tritt in der Korrespondenz nicht der Ver-
geanete. Bei der Wahl, welche möglich erschien zwischen der
französischen und englischen Allianz, zieht ein ununterbrochenes
bald leiser ' “ ' ------ -
; bald mehr accentuirt auftretendes Bestreben der
Diplomaten und „Geheimräthe" des jungenKönigs nach England
Kaiser Karls Einzug in Antwerpen.
,33$ dem Interesse, welches das Makart'sche Gemälde
erMt, dürfte auch dasjenige interessant erscheinen, was an
historischem Material dem Künstler vorlag oder hätte vor-
liegen können.
Zuerst haben wir die beiden Aeußerungen in Dürers
Tagebuch seiner niederländischen Reise:
„Item, mein Wirth hat mich geführt in der Maler Werk-
stätt zu Antorff (Antwerpen) im Zeughaus, da sie den Triumph
zurichten, dardurch man den König Karl sollte einführen.
Dasselb Werk ist lang vierhundert Bögen, ein jeglicher 40
Schuh lang und wird auf beeden Seiten der Gaffen auf-
gemacht, hübsch geordnet, zweier Gaden (Stockwerke) hoch,
daraus würde man die Kammersviel machen, und dies kost
zusammen, von Schreinern und Malern, 4000 Gulden, und
dies Ding ist alle überköstlich gemacht."
Dies also die Vorbereitungen. Von dem Einzuge selber
erzählt Dürer dann weiter:
„Item, hab ein Stüber geben für das gedruckte Einreiten
zu Antorff, wie der König mit einem köstlichen Triumph em-
pfangen ist worden, mit Kammerspi len, groß Freudigkeit,
und schöne Jungfrauen: Bilder (d. h. Jungfrauen), dergleichen
ich wenig gesehen hab."
Run (in deutscher Uebersetzung), was Manlius aus den
Erzählungen Melanchthons mittheilt:
„Ich will euch eine Geschichte erzählen. Als nach seiner
Wahl der Kaiser in Antwerpen einzog, veranstaltete der Rath
der Stadt, um seine Freude über die Ankunft des Kaisers zu
bezeugen, Spiele und Darstellungen (Indes tzt speetaeula)
in den Straßen, durch welche der Zug ging. Dabei, wie es
dergleichen Schaustellungen mit sich brachten, kamen auch die
schönsten und reizendsten Jungfrauen zur Erscheinung, so gut
wie nackt am ganzen Körper, nur daß sie von ganz dünnen
und durchsichtigen Gewändern umgeben waren. Als der
Kaiser nun bei allgemeinem ungeheuren Zulaufe bis zu diesen
Darstellungen gelangt war, gönnte er den jungen Mädchen nicht
einmal einen Blick. Dies erzählte mir der vortreffliche und hockst
ehrbare Maler Dürer aus Nürnberg, der mit dem Kaiser damals
einzog. Er fügte hinzu, er sei sehr gern dabei gewesen, einmal um
Alles mit anzusehen, dann aber auch um die vollendete Schön-
heit der Jungfrauen recht genau zu betrachten. Weil ich ein
Maler war, sagte er, so habe ich mich ganz ungenirt umge-
sehen. (Ego, quia eram pictor, aliquantulum inverecun-
dius circumspexi.) Schöne junge Mädchen also waren aus-
gestellt, so gut wie nackt und nur von dünnen Gewändern
umgeben, als Theilnehmerinnen scenischer Ausführungen
Worin diese bestanden haben oder vielmehr bestehen sollten
besagt das (gleichfalls lateinisch abgefaßte) Programm der
ehrer Voltaire's und seiner göttlichen Emilie aus, sondern
der König, der Allianzen sucht und Bundesgenossen wirbt.
Allein das Verhältniß zu Frankreich, welches hier im Vorder-
grund steht, läßt in der Behandlung, die es vom König er-
fährt, auch politisch einen ähnliche Doppelsinn hervortreten.
Man hat den leitenden Staa mann unserer Tage be-
klagt wegen der Schwierigkeiten, die er fand, um seine Politik
:m Jahre 1866, namentlich das Bündniß mit Italien all-
seitig acccptiren zu machen. Die Leichtigkeit, mit welcher
Friedrich II. zu Beginn des schlesischen Krieges seine Haltung
bestimmen konnte, wird damit in Vergleich gestellt. Sieht
man sich in der vorliegenden Korrespondenz um, so treten
uns an den verschiedensten Stellen die Beweise eines nach-
haltigen und zähen Widerstandes vor Augen, welchem die
Politik Fricdrich's bei seinen Ministern und Diplomaten be-
hin. Diesem werden alle Begünstigungen zu Therl, der Verständr-
aung mit Frankreich alle Hindernisse. Vorstellungen. Vermöge,
rungen. Sicher bedurfte es auchhier eines starken undunerschutter-
lichen Willens, um gegenüber solchen die ganze Umgebung
durchziehenden Einflüssen, die Gefahr und Unpopulantat
einer französischen Allianz der bescheidenen Sicherheit der
englischen Verbindung vorzuziehen. Die Sache geht so west,
daß Friedrich am 16. Juni 1741 an seinen Minister v. PodewrlS
Sie flößen mir schließlich Mißtrauen ein und ich würde
Sie als von England bestochen ansehen, wenn Sie mcht meme
Aufträge vollziehen und nicht mit Valory, dem französischen Ge-
sandten, abschließen. Ich warne Sie, spielen Sre nicht mrt nnr
und führen Sie genau meine Anweisungen aus oder Ihr
Kopf wird ohne Weiteres springen (santera, sans fa<?on).
Darauf antwortet Podewils mit männlichen Worten:
Meine Armuth und mein Ruf sprechen Gott sei Dank für
mich und lasten mich über jeden Verdacht erhaben fern. Dfe
Drohungen Ew. Majestät schrecken einen Mann nicht, der die
Ehre dem Leben vorzieht.
Aber diese französische Allianz, die der König seinen
Ministern mit Drohungen gleichsam abzwingt, hindert ihn
nicht, mit einer unsäglichen und überlegenen Ironie Kardinal
"leury, den alten Schleicher, und seine ganze diplomatische
Juite zu behandeln, und schließlich durch die Thüre, welche
die Franzosen selbst offen gelaffen, sich ruhig von ihnen zu
entfernen^r Schichte des ersten schlesischen Krieges sieht
man schon die Wolkenbildungen heraufsteigen, welche sich
später zu jener europäischen Koalition gegen Friedrich ver-
dichteten. Schon macht er sich mit dem Gedanken an Ge-
fangenschaft und Tod vertraut. Er begehrt wenn er fallt nach
alter Römerweise verbrannt zu werden. Die Eigenschaften
geben stchbercits zu erkennen, die uns den großenKönig am nierk-
würdigsten machen. Schlachten haben viele Feldherren schon
gewonnen, schwerer ist den Kamps mit,dem Mrßersol
~aüpf'.uic(/Uit.««r „ .
sterben als nachzügeber^^m schwersten, diesen' Willen
schüttcrlich durchzuführen. Dies gethan zu haben ist der
S
u erwartenden Darstellungen, welches Petrus Aegidius,
athsherr in Antwerpen und Freund des Erasmus von
Rotterdam, verfaßt hat.
Dreizehn Gerüste (pe&mata) mit Bögen waren diesem
Programm zufolge errichtet worden. (Sollten dies die „400
Bögen" sein, von welchen Dürer in seinem Tagebuche schreibt,
deffen Kopist statt IIIX fälschlich eccc gelesen haben könnte?)
Aus diesen Bögen sollten die Darstellungen (speetaeula)
stattfinden. -
„Das eiste Gerüst wird mit verschiedenen Malereien und
Schmuck geziert sein; hier wird, auf dem Proscenium, der
Genius der Stadt Antwerpen, gleichsam als Herold all deffen,
was geschehen soll, die heranziehenden Gäste freundlich
empfangen. Hinter ihm werden drei reizende und vergnügte
junge Mädchen (tres lepidae et hilares virgunculae) als
Charitinnen oder Grazien, mit faltenreichen Gewändern schön
bekleidet, mit verschränkten rechten Händen dastehend und
einander betrachtend, mit der andern Hand goldene Aepfel
darreichen. Pasithea, Aglaja und Thalia sind ihre Namen.
Warum sie aber in fliegenden und glänzenden Gewändern
dastehen, warum sie sich an der rechten Hand gefaßt haben,
warum sie einander freundlich ansehen, warum es Jungfrauen
und zwar ganz junge sind, warum sie goldne Aepfel darreichen,
werden wir gelegentlich an anderer Stelle erklären." Aegidius
verweist damit auf eine Beschreibung des Ganzen, welche mit
bildlichen Darstellungen der Einrclnheiten nach dem Feste
erscheinen sollte. Wahrscheinlich jener Druck, für welchen
Dürer einen Stüber bezahlt hat.
„Zwischen den Säulen, fährt er fort, werden „die Treue"
und „die Liebe" als Quell und Ursprung des ganzen
Triumphes stehen, beider Namen auf das Fußgestell ge-
schrieben. Auf der Krönung des Gerüstes folgende Inschrift:
DIVO CAROLO IMP. CAESAR! rc. Auf dem Bogen:
„Liebe und Treue haben alles Dies geschaffen." U. s. w."
Das hier beschriebene Gerüst war also ein die Straße
nicht breit überspannender, sondern nur als Fayade zu der
Seite aufgeführter'Triumphbogen, deffen Krönung, die wahr-
scheinlich in kolossalen Buchstaben (welche Cornelius Grapheus
lieferte) abgefaßte Inschrift trug. während rechts und links
zwischen Säulen die zwei, wohl auch von lebenden Personen
dargestellten Standbilder der Liebe und Treue postirt waren,
unter dem Bogen, oder vielmehr vor demselben aber der
Herold, mit den drei Grazien hinter sich, ihren Platz fanden,
das Ganze aus einem Hypopodium ruhend, welches abermals
eine besondere Inschrift trug.
In gleicher Weise sehen wir nun die anderen „Pegmata"
arrangirt, nur mit dem Unterschiede, daß immer nur zwei
weibliche Gestalten als Fortsetzung der allegorischen Person-
ewige Ruhm Fricdrich's, macht ihn für einzelne wie für Par-
teien und Nationen, vor Allem für feine eigene zum leuchtenden
Vorbild. Napoleon hatte mit unermeßlichen Hülfsmitteln
kaum so viel Monate gegen das Unglück gekämpft als es
Friedrich Iahn that, da der französische Imperator in
Fontainebleau noch mehr innerlich gebrochen als äußerlich
niedergeworfen sich dem Mißgeschick beugte. Friedrich hat
durch sein ganzes Leben die Bitterkeit getragen, welche frühes
Unglück über den Menschen bringt. Aber den Kampf gegen den
Mißerfolg hat er nie aufgegeben; ja liest man feineBriefe, so hat
er eine so kühne und herausfordernde Sprache gegen das Schicksal
geführt, als hätte ihn das Bewußtsein nie verlaffen, auch
den härtesten Schlägen gewachsen zu sein. Und auch diesen
ersten schlesischen Feldzug hat das Geschick für Friedrich mit
lichkeiten rechts und links vom Bogen und unter demselben
nur eine einzige männliche Gestalt, in der Allegorie den
Kaiser selber bedeutend, erscheint. Jene drei Grazien wieder-
holen sich nicht. Möglich, daß sie allein von lebenden Ge-
stalten repräfentirt worden sind, während es sich bei
den anderen Figuren nur um Gemälde handelte. Nur
das letzte Spektakulum ist von mehr Figuren
ausgeführt. Hier schaaren sich um den Kaiser
der Friede, der Krieg, Griechenland, Europa, Asien, Afrika
und zwei Feldherren (Duee8 duo). Alle in sehr bewegter
Gruppe zu einem Ganzen verbunden, wahrscheinlich aber doch
von lebenden Personen dargestellt. Nirgends aber finden wir
bei diesen ziemlich genau beschriebenen Gestalten Nacktheiten,
was diese anlangt, so dürften nur'die drei ganz jugendlichen
Grazien dergleichen dargeboten haben. Indessen bemerken wir
auch bei diesen, erstens, daß sie „hinter dem Herolde" standen
und zweitens, daß sie der genauen Beschreibung der Gruppe
zufolge, welche sie zu bilden hatten, dem Püblikum wohl nur
von der Rückseite sichtbar waren. Offenbar schwebte beim
Arrangement dieses lebenden Bildes die bekannte antike
Gruppe der drei Grazien vor, die in vielen Wiederholungen
erhalten ist.
Den Schluß des Programmes macht die Aufzählung des
übrigen Straßenschmuckes aus, bei welchem, wie es scheint,
von den Häusern selber kaum noch etwas sichtbar bleiben konnte,
so sehr müssen sie von architektonischem und botanischem Zier-
rath überdeckt gewesen sein. 250 eingeborene Maler und 300
Zimmerleute hatten das Ganze aufgerichtet.
Hat eS sich bei den Spektakulis in der That um lebende
Figuren gehandelt, so würde Aegidius die Gemälde also mit
Stillschweigen übergangen haben. Vielleicht bezieht sich auf
diese eine in Luthers Tischreden zu findende Aeußerung:
„Die von Antorff haben Kaiser Carlen laffen ein schön
Tapet machen, darauf die Schlacht von Pavia, wie der König
von Frankreich gefangen, gewirkt war. Aber der Kaiser hat
nicht annehmen wollen, auf daß man nicht meinet, er freuete
sich anderer Leute Elends."
Zwar ist hier von einer „gewirkten Tapete" die Rede-
dergleichen aber konnte leicht verwechselt werden. Auffallend
nämlich ist der wiederkehrende Zug des Ablehnens von
Seiten des Kaisers. Dort würdigt er die jungen Mädchen
keines Blickes, hier wendet er vom Unglück Franz des Ersten
die Auaen ab: kaum anzunehmen ist, der Kaiser habe das
effektvolle Nichthinsehenwollen den Antwerpnern gegenüber
zweimal zur Anwendung gebracht. Möglich, daß beide Züge
nur die mythische Wendung von irgend etwas sind, was da-
mals vorgefallen ist, ohne uns näher bekannt zu sein.
I
einem schwarzen St, ich bezeichnet S)te Schlacht von Moll-
witz ein verbältnißmäßig noch klerneö Faktum rn der Oe°
schichte, ist ein immer bedeutsameres Erergnry geworden,
seit Leipzig, Waterloo, Königgrätz und Sedan dazu get^-
ren sind, als die Tage, wo die neue mrtteleuropariche
Macht sich der Welt verkündete. In dreser Schlacht von
Mollwitz ist Friedrich ein Unheil begegnet, das noch schlimmer
als ein tragisches war, ein lächerliches. Seme Umgebung
ängstete in die Flucht vom Schlachtfeld weg. Mrt büterer
Selbstironie schrieb er einige Tage_ darauf: „Man
sagt die Schlacht von Moüwrtz in gewonnen, rch
glaube es." Aber er versprach es sich, daß dre Fehler, dre er
a» jenem Tage begangen, ihm d'-Ü-hr-n sur die Zukunft
sein sollen und wir können herausfühlen, daß der Entschluß,
inskünftige als der letzte vom Schlachtfeld zu gehen, rn dresen
Taaen sick festgestellt hat. Er ist ihm treu geblreben. ^
^ Der heitere Ton, in welchem Friedrich regelmährg mrt
Dodewils. wie mit einem Freund und Genoffen verkehrt,
kontrastirt seltsam gegen den despotischen Klang rn dem erseinem
Minister kurzer Hand mrt Enthauptung droht. Ern liberaler
König aber ein Selbstherrscher, der neben fernem Willen kernen
andern duldet: erchemchtet sklavischen Gehorsam und der Wrder-
stand erzürnt ihn! In seinem Alter erklärte er sich müde, über
Sklaven zu herrschen und seineUnterthanen, die nrchts wenrger wrc
Sklaven waren, ertrugen mit Ungeduld dre ^enge und ernste
Hand, die über ihnen waltete Darüber geben^ Beuchte aus
jener Zeit unzweifelhafte Auskunft. Der Wrder pruch laßt
sich nicht wegwischen, er tritt in zahlrerchen persönlichen Ver-
hältnisftn des Königs zu Tage. Charakteristisch aber für den
König ist, daß doch regelmäßig das Gute schließlich dre Oberhand
behält -- die Gerechtigkeit rm Staate und dre Treue rn der
Freundschaft. Mit wie Vielen hatsich Fnednch erzürnt,
aber wie mit Wenigen hat er sich»nrcht versöhnt! Auch rn
der geistigen Welt gilt das Gesetz des Stoffwechsels; wer
viel 'produzirff, verbraucht vrel an Menschen und ^zdeen.
Friedrich aber, und das war wohl mrt seme Große, betrachtete
die Menschen nie als bloße Werkzeuge; das Wort Huryanrlat
war ihm am Beginn seiner Herrschaft so herlrg als rm Alter.
Gr verband einen hohen ernsten Begriff damit, er sah
darin Zden letzten Zielpunkt alles Wirkens und Strebens.
Diese seltene Verbindung des festesten Willens uut Mr Ge-
sinnung, die auf das Höchste ging, giebt dem großen Komy
seine Stellung in der Geschichte wre rn der Verehrung Aller,
die sich seinem Andenken nahen, die er Mit festen Banden
an sich zu fesseln weiß.
Der Reichstag hat in seiner heutigen Sitzung, über
deren letzten Theil nicht mehr in der gesammten Abendaus.
gäbe berichtet werden konnte, die dritte Berathung des
Reichyaushaltsetats beendigt. In der Generaldebatte
ergriff nach dem Abg. vr. Bamberger der Präsident des
Reichskanzleramts Hosmann das Wort, derselbe lehnte es
ab, auf die Kritik der Zoütarifvorlagen naher einzugehen,
bis dieselben in das Haus eingebracht seien und erklärte es
für das zweckmäßigere Verfahren, das Elaborat der
kommission alsbald im Plenum deS ^Bundesraths
und nicht erst in einem Ausschüsse desselben zu
berathen. — Abgeordneter Richte r (Sagen) wendete sich
gegen diese Ausführungen. Der Reichstag dürfe die
Regierung ihre Belagerungsarbeiten nicht ungestört vollenden
lassen, noch gar durch Kompromiffe zum Zustandekonunen der
verderblichen Projekte des Reichskanzlers mitwirken. Nachdem
--...mm strh im Kinne des Mästdeuten Hofmemn
wenn sich übersehen rafsvre rn ;n Ab- ' ° der sckutzzöllnerrfcyen
nähme, die Regierung qusordern, den Pla r Er- von Industrien, die von staatlrchem Schrche zu
LSL KS-MLLS
das Anleihe- und dasEtatgesetz. Schluß der Snzung
MlLgZLllEinLe V°Ln unlWahlpK^
DieFerien deSReichsags werden erstEnde nacyfrr
Woche beginnen. ___^
Di- „N°rdd.All-,.ZK"
bis V-lstSndigung !«chm den ft" 2 pflellniij
Zolltarif so weit gedehen, daß dre sonn » '
der Ergebnisse derselben buch ^Mdesraths-Beschluß r
Zeit erfordern wrrd und demnach dre entfpre ) Reichstag
mit dem Ablauf der nächsten Woche - rn dm Mercherag
eingebracht werden kann. Für erne Vertagung ^ck^
und zwar eine ungewölnlrch lange, imn g Ü ^s
Eingänge der wichtigster! Vorlage der Selsi ^ Bevölkerung
und, wie wir glauben, auch der Mehrzahl
das Verständniß festen, jmual da cm Geschäften, i« ttjm
Erlediciunq durch den Reichstag harren, auch ich 1
in u '
betonen zum Schluß, daß ?i ^ her Sache der
Kaufleute ihrer BeUle erwarieu, da ste sürch-
Handelsir-ih-it »uns^e EntMidung erw , Handeis.
ttn uckü-u,,.»<>» Achtung d°» S«N-n „„Lmerjeu
°7'«1rd?u!'7i? m1t"ÄWnni-rnehmnngcu °°u nmger
Dauer unverträglich feien. .
* Ans Pari«. 28. März, geht uuS jolgeudeö Preval-
... •sss&B aas
AS 'ÄSSiBSiÄS
affen, noch gar durch Kompromisse zum Zustandeiommen oer Mm»»«-.' # 1 q, » K,-.: .Durch diese Nach. aeceaaea^^^E-^,
lerderblicken Projekte des Reichskanzlers Mitwirken. Nachdem -^A^vemerrr oeun M jwv fgpK; üMW^Mr^ra^rMr^er^ur
>%f HM ÄT&IiM fÄl"wlÄ voffLen «i
^L^^rM^-rachjdemBeücht derZolitariikommiiston Recht h°abeu, fich auchSinV
Von dem erwähnten, bildlich dargestellten und int Druck
ausgegebenen Einzuge des Kaisers ist mir nichts bekannt.
Der Künstler des in der Akademie ausgestellten Brldes
hat von diesen Mittheilungen nichts dafür benutzt, als daß
er Dürer im Gedränge erscheinen läßt. Die nackten
Mädchen, von denen geleitet der Kaiser einherzieht, sind seine
eigene Zuthat. Der Werth des Gemäldes als künstlerische
Leistung wird dadurch um nichts verringert, allein hervor
zuheben bleibt doch, daß wenn in ihm die exakte, reale Wieder-
gabe dessen, was im Oktober 1520 in Antwerpen geschah,
oder auch nur ein annäherndes Bild der damals ausgeführten
Schaustellungen erblickt wird, dieser Vorzug des Werkes sich
rn nichts auflösen dürste. H. Grimm
Turgvl als Nationalökonom.
Turgot's Amtsantritt ward mit ungeheurem Jubel im
Lande begrüßt uncr'Turgot machte, wie später der Reichs-
sreiherr vom Stein, mit dem er überhaupt große Aehnlrchkeit
besitzt, sogar Bedingungen bei seiner Uebernahme des Amts.
Sem Programm lautete: kein Staatsbankerot, keine Anleihen
kd-ine neuen Steuern. ES galt, die Hülfsquellen des Landes zu
eröffnen, eine neueHandels- und Gewerbepolitik zu inauguriren.
'den Ueberrest des alten Merkantilsystems und des 'Feuda-
lismus zu beseitigen, die alten Monopole, Gerechtsame und
Prrvilegicn aufzuheben. Turgot's erste That war die
Emführung der Freiheit des Getreidchandels. Schon
fett dem Ministerium Colbert's war die Freiheit des
Getreidehandels, selbst im Binnenverkehr, von Provinz zu
Provinz, verboten worden. Man glaubte so den Grundsätzen
des Merkantilismus gemäß am besten einem etwaigen Ernte-
ausfall und Getreidemangcl vorbeugen zu können. Trat dieser
dennoch ein, so waren die Behörden sogar befugt, jeden Privat-
mann zu zwingen, das Getreide, über das er verfügte, zu
Markte zu bringen und nach einer bestimmten Taxe zu ver-
kaufen. Man ging selbst so weit, Haussuchungen vor-
zunehmen; man verbot, Getreide anderswo als auf dem
Markte zu kaufen und wer Fruchthandcl treiben wollte,
mußte sich der lästigsten Kontrole unterziehen. Gleichwohl
fanden sich Leute genug, welche solche Geschäfte liebten und
den schlimmsten Kornwucher trieben. ES waren meist ganze
Kompagnien, die von der Regierung den Kornhandel förmlich
pachteten, unermeßliche Magazine vollstopften und aus Mangel!
jeglicher Konkurrenz den Preis des Kornes nach Belieben er-'
höhten oder herabsetzten. Die Franzosen wurden, von diesen
Gesellschaften nicht anders behandelt, als die Indier von der
englischen Ostindischen Kompagnie. Schloffen diese Korn
Wucherer ihre Vorrathshäuser,-so war in Frankreich Hungers
noth, öffneten sie die dieselben, so herrschte' Ueber,
fluß. Das Schmählichste aber war, daß die höch-
sten Kreise der Aristokratie, ja der Hof selbst,
sich an diesem Handel betheiligten. Eine über jeden Verdacht
erhabene Zeugin, die deutsche'Prinzessin Charlotte Elisabeth
von der Pfalz, die Mutier des Regenten Philipp von Orleans,
zur Zeit der Minderjährigkeit Ludwig XV., erzählt in ihren
Briefen, daß^die Frau von Mainteuon selbst sich an jener
abscheulichen Spekulation auf den Hunger der Armen be-
reichert habe. Zugleich verbot die Regierung auf's strengste,
irgend etwas über diese Dinge zu schreiben oder zu drucken;
sie hatte überall ihre Spione, um auch die Reden und Ge-
spräche des Volkes zu überwachen. Das Aergste aber ist, daß
diese elende Machination einer sittlich tief herabgesunkenen,
aristokratischen Gesellschaft sich noch heuchlerisch in das
Gewand christlicher Tugend und Barmherzigkeit hüllte, Ge-
treide unter die Armen vertheilte und den Segen der Kirche
auf die abgeschlossenen Kontrakte herabflehte.
Diesen Zuständen gegenüber war vas edle und kühne
Auftreten Turgot's nicht allein -eine sittliche That. sondern es
zeugte zugleich von tieferer nationalökonomischer Einsicht,
wenn er mit dem ganzen System nunmehr gründlich ausge-
räumt wissen wollte, indem er die Freiheit des Getreidehan-
dels wieder anordnete. In sieben langen Briefen, von denen
noch vier uns erhalten sind, stellte Turgot die Gründe zu-
sammen, welche für diese Freiheit sprachen. Er zeigte, wie
die Sperre und der Maügel der freien Konkurrenz gerade
das Uebel, das sie bekämpften, unausbleiblich herbeiführen
müßten und daß nur durch die freie B-wegung des Handels
die Mißernten, die örtlichen Verschiedenheiten des Mangels
und Neberflusfes, die Preise ihre harmonische Ausgleichung
erhalten könnten.
Noch größere und entscheidendere Maßregeln Turgot's
md freilich nie zur Ausführung'gekommen, sondern auf dem
Papiere geblieben. Aber die bezüglichen Memoiren zeugen
doch für den umfaffenden Geist Turgot's, insbesondere für
lein Streben, das physiokratische System mit dem politischen
zu verbinden, um ein neues Staatsgebäude an die Stelle des
alten zu setzen. Bekannt ist sein Versuch, das ganze Finanz-
und insbesondere Steuerwesen gründlich zu reformiren: eine
Reform, welche, wenn sie durchgeführt worden wäre, zugleich
die französische Gesellichaft umgestaltet hätte.
Die Physiokratie ging von dem obersten Satze aus, daß
der Grundbesitz die einzige Quelle des Nationalwohlstandes
sei. Da aber doch nur - so schloß Turgot weiter — verhält,
nißmähig Wenige in der Nation im Besitze dreser Quelle sich
befinden, so muß eine höchst ungleiche Vertheilung des Volks-
einkommens und damit eine große Ungleichheit im Wohl-
befinden der Einzelnen eintreten. Dieser muß aber im Jn-
tereffc der Gesammtheit vorgebeugt werden und der Weg
hierzu ist die alleinige Besteuerung'des Grundbesitzes. Ganz
abgesehen davon, ob eine solche Einrichtung richtig oder durch-
führbar ist. so müssen wir gleichwohl schon Turgot das Ver-
dienst zuerkennen, zuerst über das sozialistische Vertheilungs-
Problem, das eine so wichtige Rolle in der heutigen National-
ökonomie spielt, speziell in der Steuerlehre, zusammenhängende
gute Ideen geäußert zu haben.
Sieht man auf den reellen Erfolg, welchen Turgot mit
seinen Maßregeln, namentlich mit der Freiheit des Getreide-
Handels davontrug, so kann man nur bedauern, daß er kein
Glück damit gehabt hat. Schlimm war es schon, daß er diese
Maßregel in einem Augenblick durchsetzte, wo nach einer
schlechten Ernte eine Theuerung drohte. ' Dazu hatte er sich
schon vorher viele Feinde gemacht, insbesondere die Geistlich-
keit erbittert, weil er den Fieischverkauf zur Zeit der Fasten
gestattet. Seine Gegner waren mit Verläumdungen nicht
sparsam, sie schürten den Brand mit Wort und Schrift. Aber
Turgot ließ sich durch Nichts von seinem Vorhaben abbringen,
' elb[t nicht durch die Furcht, seine Popularität beim Volke zu
verlieren. Und er theilte das Schicksal edler Reformer,
er ward zum Märtyrer seines wohlmeinenden Strebens.
Alle seine gut gemeinten Entwürfe und Maßregeln wurden
leider mißverstanden. ja von den Masten übel gedeutet. Als
im Jahre 1774 die Theuerung eintrat, schrieb man diese der
von Turgot dekretirten Freiheit des Kornhandels zu. Ein
Aufruhr brach aus, der Pöbel zerstörte in Dijon und anderen
Orten die Kornmagazine, plünderte die Bäckerläden, und er-
chien sogar in Versailles, wo der König eine Herabsetzung des
Brodpreiseö um zwei Sous befahl, Tag^ daraus aber, von
Turgot überredet, den Befehl wieder zurücknahm. Der Auf-
ruhr wiederholte sich, da von Seiten der bewaffneten Macht
nur geringer Widerstand geleistet wurde^ bis das Parlament
ick ins Mittel legte und eine Petition an den König richtete,
er möge den Preis des Brodes auf eine entsprechende Taxe
wieder ermäßigen. Turgot sah in allen diesen Dingen
nur Versuche seiner Gegner m Betreff der Handelsfreiheit
und bestand hartnäckig auf der Beibehaltung des bisherigen
Preises. Damit begann der sogenannte Mehlkrieg, der den
Parisern Stoff zu witzigen Ausfällen und Couplets bot und
mit der Hinrichtung zweier armer Schelme auf dem Greve-
platz endete. Unverdroffen setzte Turgot noch eine Weile sein
Berlin, 30. Dezember.
— Der Handelsmknister Maybach ist gestern Abend
Don Friedrichsruh hierher zurückgekehrt.
— Die vereinigten Ausschüsse des Bundesraths für
das Seewesen und für Handel und Verkehr hielten heute
Sitzungen.
— Der Bundesrath hielt heute Nachmittag 1 Uhr
eine Plenarsitzung unter Vorsitz des Staatsminifters Hof-
mann. Das Protokoll des Zoll- und Steuerausschusses wurde
genehmigt. Vorlagen über Beschränkung der Bauthätigkeit
in den neuen Stadttheilen Strasiburgs und über den An-
trag der Fürstlich Waldeck'schen Regierung über die Fabrik-
arbeiter gingen an die Ausschüsse, und es folgte darauf die
an anderer Stelle bereits mitgetheilte Beschlußfaffung über
das Schreiben des Reichskanzlers bezüglich der Zollfragen.
Außerdem wurden noch einige laufende Geschäfte erledigt.
O Wie man uns schreibt, wird bereits morgen, am
31. Dezember, der Vorsitzende der Tarifkommission Freiherr
eine Art Schmecken manchmal, als sprächen sie innerlich, und
zu Zeiten blickten sie auf und sahen auf die stummen Bücher
hinüber, die an den Wänden in Reihen standen, als fragten
sie bei diesen an und erhielten unmittelbar Antwort. Ich hätte
in meinen Gedanken damals nichtfürmöglich gehalten, daß irgend
eine Macht cs gewagt hätte, diese heilige Stille zu unterbrechen.
Die fast verklungene Erinnerung 'brachte mir Weber's
Erasmus in die Seele zurück. So wie wir ihn hier sehen,
war Eiasmus am meisten er selber. Sein Streiten und
Kämpfen mit der Außenwelt und seine ewige Unruhe ver-
schwinden in dem ihn völlig beherrschenden Verkehre mit den
eigenen Gedanken. So sahen Holbein und Dürer selber,
wenn sie ihren Arbeiten mit unablassendem Fleiße den Schim-
mer der höchsten Vollendung verliehen. So arbeitete das
Jahrhundert der Reformation überhaupt. Wie langsam reifen
da die Gedanken.
Man muß das Gesicht länger betrachten, wenn man es
verstehen will. Man sehe diese starke und zugleich fein ge-
baute Nase: sie scheint sich mit leisem Schnüffeln an der
Kritik zu betheiligen. Den festgeschlossenen Mund. dessen
Lippenzug bei energischen Mundwinkeln in urmcrklicher Be-
wegung den Gedankcngang zu begleiten scheint, die Augen-
brauen, die zu zucken scheinen, und den auf das Papier m-
senktcn Blick. All das hat Weber dem Gemälde richtig
abgelauscht und in seine Linien übertragen. Was ich an dem
Stiche zumeist bewundere, ist die einfache und meisterhafte
Wiedergabe dieses Haupteindruckes. Ich habe ihn nun schon
seit vielen Wochen an der Wand vor mir und finde, daß er
immer nur noch neues Leben zu gewinnen scheint.
Weihnachten, 1878. > H. Grimm.
ser deutschen Gymnasial-
flnregung gebracht worden,
-nstalten mit dem Kalen-
;en. Dem Vernehmen nach
weisen jetzt in Erörterung
man sich sebr gute Resultate vo
mänen und Forsten unter das Nestor
— Bekanntlich ist von ' Seiten
und Realscknllehrer - Gesellschaft in
das Schuljahr in höheren Lehr
derjahr in Uebereinstimmung zu brin
wird diese Frage in maßgebenden S
gezogen.
ck. Da8 Examen für Lehrer asi der Mittelschule und
für das Rektorat hat unmittelbar vor Weihnachten stattge-
runden. An dem ersteren nahmen 8 Kandidaten Theil, von denen
5 bestanden, während sich an der Rcktoralsprüfung 13 Herren
betbciligten, von denen jedoch nur 5 alls genügend vorbereitet zur
Uebernahme eines Rektorats erachtet wurden.
— Der bereits avisirten Bekanntmachung de8 hiesigen Poli-
zei-Präsidiums wegen der Arbeitsbücher und Arbeitskarten
ist nunmehr auch mittelst Anschlags an den Säulen die weiteste
Verbreitung gegeben. Es heißt duin, daß das Gesetz vom
17. Juli d. I., betreffend die Einführung von Arbeitsbüchern
und Arbeitskarten mit dem 1. k. M. in Kraft tritt. Es bedürfen
Arbeitsbücher die aus der Volksschule — d. h. der gewöhnlichen
oerUnterstellun^oe^^
der Landwirthschaft.
Musik.
Das von Herrn und Frau Joachim Sonnabend den
28. Dezember gegebene Konzert, das erste nach der weihnacht-
lichen Generalpause, fand die Räume der Singakademie bis
in Die letzten Winkel gefüllt. Das Publikum weiß sehr wohl,
was eS an den beiden hat und versäumt keine Gelegenheit
ihnen zu begegnen. Wenn es sich an ihren Gaben nicht
ersättigen kann, diese immer von Neuem dankbarstes Gehör
bei ihm finden, so dürfen freilich unsere Laran geknüpften
Bemerkungen gewiß nicht auf die gleiche Gunst rechnen.
Statt unzählig oft Gesagtes zu wiederholen, Wollen wir des-
halb nur melden, daß der Geiger das Beethovensche Kon-
zert und sein eigenes in ungarischer Weise abermals
meisterhaft gespielt. Mit jenem war er vor einem Viertel-
jahrhundert zum erstenmal in unserer Mitte erschie-
nen. Täuscht uns die Erinnerung nicht, so hat sich
seitdem seine Auffassung des Werks einigermaßen
gewandelt. Damals vor Allem feurig, schwungvoll, pathetisch,
trägt sie jetzt weit mehr den Charakter ruhigster Milde und
Beschaulichkeit. Wie weich klang der Schluß des ersten Satzes
aus! Der Vortrag des Adagio war ein das Ohr ununter-
brochen liebkosender Strom der zartesten rhythmischen und
dynamischen Schattirungen. Auch diesmal kam im Finale
der Humor zu seinem Recht, aber er mied doch alles schärfere
Gewürz des Ausdrucks, zog das lächelnde Behagen dem lauten
Jubel vor. Besondere Freude hatten wir an den beiden
ebenso trefflich gesetzten wie ausgeführten Kadenzen. Sie
wiesen ein sebr verschiedenes Gepräge auf. Jmponirte uns
die eiste durch den breiten Wurf, die thematische Vertiefung,
so streifte die zweite, viel knapper gehaltene, blos in raschem,
neckischem Spiele die Hauptmotive des letzten Satzes, einem
leicht beschwingten Schmetterling gleichend, der naschend von
Blume zu Blume flattert. Das eine wie das andere ent-
sprach durchaus dem Wesen der Sache.
Frau Joachim bot uns eine hier noch nicht gehörte Kom-
position von Brahms „Rhapsodie für Alt, Männerchor
und Orchester", ferner Beethoven's „Ah, perfid o", um einen
Ton tiefer gerückt. Das letztere, dies Muster einer ttltilalie-
nischen Konzertarie, gab reichste Gelegenheit zur Entfaltung
edelster Klangschönheit und vornehm 'gemessener Auffassung,
während das andere Stück das charakteristische Vermögen der
Stimme in das hellste Licht setzte. An der Sängerin lag
nicht die Schuld, wenn uns die Rhapsodie keineswegs nur
erfreuliche Eindrücke gespendet. Schon der Wahl des der
Goethcschen Haizreise „im Winter" entlehnten Textes können
wir nicht das Wort reden. Um was es sich hier eigentlich
handelt, tritt in dem herausgepftücktcn Bruchstück nicht mit
Klarheit zu Tage. Dabei entzieht sich der Stimmungsgebalt
durch seine Gedankenschwere der musikalischen Deutung. 'Die
erste Halste der Arbeit hat uns blos befremdet und verwirrt,
Nachdem die Männerstimmen eingefallen, geräth die Ton-
sprache etwas mehr in Fluß. In einer Heinrich von Kleist
gewidmeten Joachimscken Ouvertüre lernten wir ein for-
menfestes, klar entwickeltes, Schumannschen Mustern nach-
trachtendes Werk kennen. Die Mitwirkung der königlichen
^mm*
u. s w. zu suchen, sollten ja daheim bleiben, da die großen'
Städte von Arbeitern überfüllt seien und für Neuzuziehende jede
Aussicht auf Erwerb fehle."
Fr. Eine auS Damen und Herren bestehende, ziemlickßzahlreich
besuchte Vmsammlung Zwecks Gründung eines „Berliner
Schulvereins für Fortbildung von Mädchen der arbei-
tenden Klassen" fand am vergangenen Sonnabend Abend in
der Aula der Friedrich-Werderschen Gewerbeschule (Niederwall-
sttaße 12) statt. Man bemerkte Frau Schepeler Lette, Frau
Obertribunalsratb Henschke, Fräulein Jenny Hirsch, Stadt-
schulrath vr. Bertram, Stadtsyndikus Dr. Eberty, Justizrath
Masower. Abg.Dr.Hammacher, der der Versammlung mäsidirtc,
bemerkte einleitend: Auf Anregung der Gesellschaft für Verbreitung
von Volksbildung seien im Laufe der letzten Jahre mehrere Fort-
bildungsschulen für Mädchen der arbeitenden Klaffen in Berlin
eingerichtet worden, in denen den Schülerinnen Gelegenheit
geboten werde, das in der Volksschule Erlernte festzudalten und
*u vertiefen und für das vraktische Leben werthvolle Fertigkeiten
sich anzueignen. Daß diese Anstalten einem wirklichen Bedürf-
nisse entsprechen, erhelle aus der Thatsache, daß der Andrang zur
Theilnahme an dem Unterricht bei diesen Schulen fortwährend
Kapelle kam dem ganzen Konzert auf's nachdrücklichste zu
Statten. —t.
Königliche Schauspiele.
Sonnabend, den 28. Dezember, setzte in Schiller's
Schauspiel „Wilhelm Tell" Herr Hellmuth-Bräm vom
herzoglichen Hoftheater in Meiningen fein Gastspiel in
der Rolle des Werner Stausfachcr fort. Die Figur sagt dem
Naturell und dem Talent des Künstlers in jeder Hinsicht
trefflich zu: eine gedrungene, fest in sich und auf sich beru-
hende Gestalt, beredtsam, ohne jemals aus dem Ton und der
Art eines Volksredners in die akademische Weise eines kunst-
geübten Rhetors zu verfallen, ansprechend und gemüthvoll.
Weniger befriedigte Herr Hacker vom Stadttheater zu Bre-
men, der als Gast in der Rolle des Melchthal auftrat.
Seine Bewegungen wie seine Haltung entbehren der Fein-
heit und der anmuthigcn Freiheit, sie gerathen in
der Hast und der Leidenschaft des Darstellers noch zu oft in
das Harte und> Unschöne; seine Dition ist nicht ohne Wärme,
aber sie übeistürzt sich häufig und zerhackt die Verse zuweilen
auf das Grausamste. Ein cnwiffe Verve ist dem jungen
Künstler nicht abzusprechen. Von den Unsrigen hatte Herr
Kahle den Aitinahausen übernommen: die letzte Rolle, die
Theodor Döring gespielt. Er hat mir im Ausdruck und
Haltung sehr gut gefallen, r ist würdig in seinem Alter, von
schöner Begeisterung erglühend, wenn er das Lob der Hei-
math unv seines Volkes verkündigt. Herrn Klein's Gehler
steckt noch zu sehr im Theaterbösewicht; die Figur ist äußerlich
nicht unrichtig erfaßt, aber sie entbehrt der rechten Eigen-
art und erscheint noch nicht voll und rund genug
herausgearbeitet. Als Stauffacher's Frau ist Frl. Haverlandt
bester und glücklicher an ihrem Platz, als neulich in der Rolle
der Grillparzer'schen Gülnare; die Holzschnittmanier der
Künstlerin bringt hier die beste Wirkung hervor. Herrn
Krause's Walther Fürst ist mir nicht großväterlich genug.
Tausche ich mich, oder hat Schiller in den drei Bauernführer
zugleich die Jugend (Melchthal), das Manncsalter (Stauffacher)
nnd das Greisenthum (Walther Fürst) charaktettsiren wollend
Herr Krause ist mir zu kräftig, zu veiolut, wo er gelassen, wo
er bedächtig sein sollte. Herrn Berndal's Wilhelm Test ist
bekannt, er hat die Schlußscene des dritten Aktes lebenswahr,
in echter Ergriffenheit und Schlichtheit, ohne pathetische Zu-
thaten. gespielt. Die Gäste und die übrigen Hauptdarsteller
sind wiederholt gerufen worden. K. Fr,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
Itret nJinbtu; auf wein)cm eine grotze PUN?
dampfte. Alle Gesichter spiegelten Frohsinn nnö Heiterkeit
wieder und erst in später Abendstunde wurde die Rückkehr nach
Hanse angetreten. Der zweite und dritte Festabend verliefen in
ähnlicher Weise.
— Am Sonntag, den 22. d.M., fand die diesjährige Weih
nachtsbescheerung der Unterfiützungskafse des Berliner
Hausfrauenvereins in einem Saale des Hauses Beuthstraße 14
parterre statt. 600 Familien waren per Karte eingeladen, die
Gaben in Empfang zu nehmen, welche die Vorstands- und Be-
zirkedamen unter der Leitung der Vorsitzenden vertheilten. Auf
langen Tafeln lagen alphabetisch geordnet die Packete, welche
Kleidungsstücke. Wäsche, Schube, Bücher, Hefte und Svielsachen
je nach dem Alter der Kinder oder der Zahl der Familien
Mitglieder enthielten. In einem Nebensaale waren die Lebens
mittel aufgestellt. Vertheilt wurden: Erbsen, Linsen, Mehl,
Gries, Reis, Kaffee. Zucker, Kaffeemehl, Speck, Wurst,
kondenstrte Suppen, Chokolade. Aepfel, Pfefferkuchen für circa
700 Mark und 500 von einem Lieferanten zu diesem Zweck ge-
schenkte Büchsen Erbsen. Außer diesen 600 Familien wurden
nachträglich noch 100 beschenkt, deren Recherchen erst nach dem
Feste einliefen, denn der Verein hat den Grnndsatz. nur nach
Senauer Prüfung der Verhältnisse die wirklich Bedürftigen zu
erückstchtigen. Von den Damen, welche sich der großen Mühe-
waltung des Recherchirens unterzogen, hat manche bis 160
Recherchen in den äußersten Peripherien der Stadt gemacht
Die Lieferanten des Centralbureaus betheiligten sich in gross
herzigster Weife bei den Beiträaen. Die Einnahme der Unter
stühungskasse im verflossenen Jahre betrug im Ganzen 3400
Mark, die Ausgabe 3>00 Mark. Es ist das -Möglichste hiermit
geleistet worden, da außer obiger Bescheerung im Laufe des
Jahres Volksküchenmarken. Lebensmittel, Schulgelder und Dar-
lehne Zertheilt wurden. Auch die 4100 Portionen, welche zu
Ehren der Rückkehr des Kaisers in dcu Volksküchen verschenkt
wurden, gingen durch diese Kaffe, sind also in der Einnahme
und Ausgabe mit inbegriffen.
— In der letzten VerwaltnngSrathSsitzung des Berliner
Asyl-Vereins für Obdachlose fand nach heftigem Wider-
spruch der Antrag des Vorstandes Annahme: „Ohne bauliche
Veränderungen, versuchsweise, die vor dem Hause angesammel-
ten Obdachsuchenden bis Eröffnung des Asyls sämmtlich in den
tos zu «affen und von dort deren Aufnahme zu bewirken."
ollte sich diese Einrichtung der Art bewähren, daß die Be-
schwerden der Anwohner dadurch erledigt werden, so wird die-
selbe eine dauernde bleiben und dann auch eine bauliche Vor-
richtung getroffen werden, um die Obdachlosen vor der Unbill
des WetterS zu schützen. Seit dem Weihnachtsabend wird dieser
Beschluß des Vcrwaltnngsraths bereits ausgeführt.
w. Am 15. Dezember d. I. wurde der von einer Vorlesung
im Königftädtischen Handwerkerve'ein zurückkehrende Lehrer
Leonhardt Hell, wie seiner Z it gemeldet, beim Betreten
seines Hauses Pallifadenstraße 91 von einem Tischler Kempf,
der mit ihm in einem Haufe wohnte, plötzlich überfallen und mit
einem Schlüssel derart auf den Kopf geschlagen, daß er schwer
verletzt sofort niederstürzte. Hell ist nun mehr infolge dieser Ver-
letzungen gestorben. Die Leiche wurde am Sonntc»g ihrer letzten
Ruhestätte auf dem Georgenkirchhofe zugeführt. Der Verstorbene
hinterläßt feine Frau mit drei unversorgten Kindern. Der
Tischler Kempf wurde bereits am Tage nach der That verhaftet.
— Romberg's Zeitschrift für praktische Baukunst,
die älteste aller existirenden Bauzeitungen, wird in dem neu be-
ginnenden Jahrgang, dem 29. unter Chefredaktion des Re-
gierungs- und Bauraths, Herrn Professor C. Schwatlo
treten. Der klangvolle Name des Leiters sowie die Gewinnung
einer bedeutenden Anzahl von tüchtigen Mitarbeitern im Jn-
und Auslande, mögen eine sichere Gewähr dafür sein, daß dag
altbewährte Organ für die praktischen Ziele der Baukunst seinen
Lesern eine ebenso belehrende wie interessante Lektüre bieten
wird. Das Blatt wird auch ferner monatlich 2 mal in solider
Ausstattung, mit Zahlreichen Tafeln, Zeichnungen versehen, im
Verlage von Julius Engel mann in Berlin erscheinen. 1
' -ck- Nach dem kompetenten Urtheil der von v. Sallet
au ]ll)" zur mm A!iend^lvird das neue
Stück „Sein Meisterstück", das vielen Beifall gefunden, wie-
derholt. - Im Ration^l-Theater bleibt A. Slottko's
Lebensbild „Leid und Freud" für längere Zeit auf dem
Repertoir. — Im Residechztheater werden amSylvesterabend
die Vorstellungen der „Fourchambanlt" für einen Abend unter-
brochen. und gelangen an diesem Abend 3 einaktige Stücke aus
dem früheren Repertoir zur Aufführung und zwar „Mein zweites
Ich"/ „Hohe Gäste" und „Hang Taps". Am Neujahrstage wer-
den die Vorstellungen der „Fonrchambault" bereits fortgesetzt
und zwar an diesem Tage mit der ursprünglichen Besetzung.
Äon Donnerstag den 2. Januar ab wird der Darsteller des
^Bernard", Herr Keppler, durch Herrn Oberregisfenr Grans aus
Breslau ersetzt werden.
— Am Sonnabend, 11. Januar k. I., findet im Flora-
Etablissement zu Charlotten bürg eine Subskriptions-
Redoute statt. Anfang 9 Uhr, Ende 4 Uhr. Schluß der Zeich-
nungen am 9. Januar Abends. Die Theilnehmer werden er-
sucht, in Maske oder Domino zu erscheinen; die gesammten
Räume des Etablissements, vornehmlich das PalmenhauS, sind
festlich erleuchtet und dekorirt. Die Ballmusik wird von zwei
großen Musikchören, die Tänze werden von königlichen Tänzern
geleitet werden. Näheres werden die s. Z. zu veröffentlichenden
Inserate ergeben.
— Polizeibericht. Am 28. Nachmittags war der Klempner-
Lehrling Georg Simon auf dem Grundstück der Wilhclmsstraßc
Nr. 66 auf einem Glasdache beschäftigt. Hierbei fiel er aus
eigener Unvorsichtigkeit elwa 4 Meter hoch vom Dach herunter
und erlitt anscheinend außer einigen Kopfwunden eine Gehirn-
erschütterung, so daß er mittelst Droschke zunächst in seine Woh-
nung und von dort nach dem Elisabeth-Krankenhause gebracht
werden mußte. — An demselben Nachmittag sprang ein in der
Luckanerstrahe in Dienst flehendes Mädchen vom Kohlen-Ufer
aus, um sich zu ertränken, in den Schifffahrttzkanal. Dasselbe
wurde jedoch sofort durch einen Schiffer, ohne Schaden genommen
zu haben, gerettet und seiner Dienstherrschaft zugeführt. — An
demselben Tage Abends machte ein Mädchen den Versuch, an-
scheinend durch Genuß eines Kup crpräparates sich zu vergiften,
dasselbe wurde noch lebend nach dem Krankenhause Friedrichshain
gebracht. —An demselben Tage Vormittags fand in dcrFrankfurter-
straße Nr. 80 ein Feuer statt, durch welches ein Theil des Dach-
stuhles des Seitengebäudes zerstört wurde. — AIS am 28. Abends
mehrere Arbeiter auf dem Boden des Hauses Neue Friedrichs-
straße Nr. 92 mit dem Aufwinden von Mehl beschäftigt waren,
glitten 2 etwa acht Centner schwere Säcke beim Einbringen in
die Luke aus dem Tau und fielen herunter. In Folge dessen
schnellte die hölzerne Winde zurück und wurde der Arbeiter
RochowSki von dem Windebaum derartig gegen dcn Kopf ge-
schlagen, daß er auf, der Stelle todt niederstürzte. — Am 29. Nach
mittags stieß der 13jährigc Knabe Otto Stümke in der Wohnung
seiner Mutter Werfrstraße Nr. 4 eine auf dem Tische stehende
brennende Petroleumlampe um, so daß dieselbe in den Schooß
seiner am Tische sitzenden Schwester fiel und deren Klcidungs-
stücke in Brand setzte. Bei den Löschungsversucheu erlitt auch die
Mutter hierbei erhebliche Brandwunden am Rücken und an bei-
den Händen und Füßen. — Wafferstand an den Damm-Mühlen.
Oberwasser: 2,18; Unterwasser: 0,78.
Städtisches.
» DE kaiserlicheOberpostdircktion hat der GrundligenthumS-
Deputation mitgetheilt, daß sie die drei Läden im Erdgeschoß
des neuen östlichen Thorgebäudes am Bellealltance-
Platz und an der GitschincrStraße auf drei Jahre zum Zwecke
der Errichtung eines Post- und Telegraphen-Bürcaus
miethen wolle. Die Eröffnung des Büreaus ist auf den 1. April
1879 in Aussicht genommen.
* Der Hollmann'scken Wilhelmine-Amalien-Stif-
tung ist vor Kurzem ein Legat von 9000 Mk. zugeflossen, das
für dieselbe um so werthvoller ist, als die Stiftung noch nicht
ausreichende Mittel besitzt, um alle Stiftnngsstellen, welche be-
kanntlich an Jungfrauen besserer Stände vergeben werden, zu
verleihen.
L
solle, auch seien die Angelegenheiten der Stadt unter der gegen"
wärtigen Geschäftsordnung nicht geschädigt.
Die Versammlung beschließt Vertagung auf. vier Wochen.
Das Kuratorium der ersten Fortbildungsschule für Mädchen
ist beim Magistrat um eine extraordinäre Bewilligung einer Bei-
hilfe von 375 Mk. als nachträgliche Bewilligung pro 1878 vor-
stellig geworden, die damit motivirt wird, daß die Schule wegen
der großen Zahl der Schülerinnen erhebliche Erweiterungen er-
fahren hat, das Schulgeld aber kaum die Hälfte der Kosten auf-
bringe. Seitens der zweiten Fortbildungsschule für Mädchen
liegt das Ersuchen vor, derselben eine Beihilfe von 1500 Mk.
zu gewähren. - ,
Stadtvv Mamroth und Kochhann erklären sich für so-
fortige Bewilligung; der Stadtv. Eg er fordert Vertagung der
Sache bis zur Etatberathung. Stadtschulrath Bertram erklärt,
daß wenn diese Bewilligung nicht sofort erfolge, die an sich
lebensfähigen Schulen eingehen wü den, ehe sich die Versamm-
lung über das Prinzip schlüssig gemacht habe. Die Versammlung
genehmigt den MagistratSantrag.
Bezüglich der Vorlage wogen Erbaunug je eines Re-
servoirs auf den Grundstücken der Wasserleitung in
Tegel und Charlottenburg verweisen wir auf unsere aus-
führliche Darlegung in Nr. 596 der „Nat.-Ztg." vom 18- d.M.
Stadtv. Bertheim hat Bedenken gegen die Annahme des
Antrags wegen der sich widersprechenden Gutachten der Sachver-
ständigen. Man solle gleich Filter bauen und nicht erst wieder
dcn Versuch mit diesen Klärungsbassins machen, da die Ver-
mehrung der Algen in den Tiefbrunnen nicht nur im Sommer
konstatirt sri.
Stadtv. Dietmar glaubt, daß man die Frage dcS Filters,
bie heute leider noch nicht vorliege, nicht trennen solle von der
gegenwärtigen. Man solle doch nicht Wasser filtriren für Zwecke,
wo daS nicht erforderlich fei; das könne man ruhig den einzelnen
Konsumenten übcrlassen.
Stadtralh Loewe führt aus, daß der Magistrat erst die Gut-
achten der cVachverständigen abwarten müsse, um entscheiden zu
können, ob Filter gebaut werten müssen oder nicht. Die Er-
bauung dieser Reservoirs sei abtzr ganz unabhängig vom Aus-
falle dieser Gutachten, da sie erfolgen müsse, um während des
Wechsels der Reservoire dieselben reinigen zu können.
Stadt. Virchow: Man wolle hier etwas ausführen, was
doch uothnendig ansgeführt werden müsse in dem Augenblicke,
wo ein größerer Theil der Stadt an die Kanalisation ange-
schlossen werde, deshalb könne man unbedenklich den Antrag deS
Magistrats genehmigen.
Stadtv. Reichnow hält das zweite Reservoir in Tegel für
nöthig, will aber mit der Bewilligung desselben nicht die der
Filter präjudizirt sehen.
Oberbürgermeister Dr. v. Forckenbeck: Die gegenwärtige
Vorlage schließe sich auf das Engste an die Gutachten des Dr.
Behrendt und Hobrecht und andererseits an daS Votum des
Gesammtausschusses an. Nur durch die Reinigung der Reser-
voire sei dem Eintritt der Algen in die Röhrenleitung
vorzubeugen, dieses führen auch die Sachverständigengutachten
auS und betonen, daß die Anlage der Tegeler Wasserwerke in
Betrieb genommen sei mit einem Reservoir, während sie für
drei Reservoire projektirt gewesen sei. ES werde also nur hier
vorgeschlagen, etwas rascher auszuführen, da man durch die
schleunigere Ausführung hoffen dürfe, den vorhandenen Uebel-
ständen wenigstens therlweise abzuhclfen. Der Magistrat gebe
jedoch den Gedanken der Filter keineswegs auf, behalie sich im
Gegentheil vor, die Einwürfe zn prüfen, die gegen die Vorschläge
der hervorragendsten Sachverständigen erhoben würden. Wenn
diese Prüfung feststelle, daß man Filter bauen müsse, so müsse
man sie sofort bauen, um reines Wasser zu erhalten, das könne
die Hauptstadt verlangen. Doch werde dieser Frage durch die
Vorlage nicht präjudizirt.
Nachdem Stadtv. Berthe!m seine Bedenken gerade durch
die Anik'ärung deS Oberbürgermeisters als beseitigt erklärt hat,
führt Stadtv. Gerth aus, man müsse, weil jedenfalls Filter zu.
bauen seien, RetnwafserreservoirS haben, und könne dieses Reser-
voir entbehren.
Stadtrath Loewe widerspricht dem; daS zweite Reservoir
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
vierzehn Mal gesvielt. Dazwischen versuchte auch Ludwig
Deffoir am Lear seine Kraft, bis derselbe Richard Kahle, dem
gegenwärtigen Darsteller der Rolle, zufiel.
Daö nächste Shakespeare'sche Stück, mit dem nach Ein-
führung des „König Lear" das Berliner Publikum bekannt
gemacht wurde, war der erste Theil „Heinrich's IV.", in wel-
chem Schröder 1780 als Falstaff gastirte. Daran schloß sich
nach längerer Pause 1788 der „Kaufmann von Venedig".
Ein Rückschritt auf der Bahn, welche seiner Zeit durch die
Hamletaufführung für den britischen Dichter frei gemacht
wurde, war nicht mehr möglich. G. Malkewitz.
Raphael's Gesichtsbildung betreffend«
Ein die neuesten Erwerbungen der Nationalgalcrie be-
sprechender Aufsatz in der Morgeunummer des Dienstags-
blattes dieser Zeitung rühmt bei Hähnel's Raphaelstatue die
Portraitähnlichkeit. Ich sehe diese Statue als eine der ge-
lungensten Arbeiten des Meisters au und freue mich über
ihren Ankauf, von Portraitähulichkeit kann hier jedoch nicht
gut die Rede sein.
Die Frage über den Werth der vorhandenen Raphael-
portraits ist von mir an verschiedenen Stellen bereits ein»
gehend behandelt worden. Zwei Darstellungen pflegen heute
an erster Linie genannt zu werden: das Portrait aus der
Schule von Athen, wo Raphael sich neben Perugino
-gemalt hat, und daö sogcnannnte Jugendportrait, welches
er in noch jüngeren Jahren von sich selbst gemacht hätte,
in der Sammlung der Ufficien zu Florenz. Meine
Untersuchung hatte das Ziel, darzulegen, beide Arbeiten könnten
nicht als maßgebend gelten, weil sie durch Uebcrmalungen ent-
stellt worden seien. Aus dem eher runden Kopfe Raphaels habe
man in beiden Fällen einen schmalen, etwas gezogenen, gemacht,
wieder und wieder in diesem Sinne die Portraits überarbeitet
und so dasjenige geschaffen, was sie an Ort und Stelle heute
dem Beschauer darbieten. Ich will bereits Gesagtes (vergl.
XV Eff. Neue Folge (1875) S. 293 ff. sowie L. Raph.
I-, S. 211 ff.) hier nicht wiederholen und besch'änke mich
auf die Angabe, daß die richtige Ansicht von der Kopfbildung
Raphaels auf der Formation seines vor fünfundvierzig Jahren
in seinem Grabe aufgefundenen ächten Schädels beruht, dessen
Verhältnisse mit den bisher im Schwange gehenden Raphael-
darstellungen unvereinbar sind, während' sie dagegen mit
anderen bisher zurückgeschobenen Bildnissen Raphaels stimmen.
Meine Ausführungen haben bis Dato jedoch wenig Glück
gemacht. Ans die vorgebrachten Bedenken hat man entweder
leichthin geantwortet oder sie ignorirt. Wenn ich jetzt
darauf zurückkomme, so geschieht es. weil das wissenschaftliche
Material in den letzten Jahren durch eine neue Entdeckung
so sehr zu meinen Gunsten vermehrt worden ist, daß wohl
noch einige weitere Worte erlaubt sind.
' Daß das Florentiner Juaendportrait durch Uebermalungen
entstellt worden sei, pflegte allmälig außerhalb Florenz aller-
dings zugegeben zu werden. Die Ueberarbeitung war zu deutlich.
Man brauchte nur die innerhalb dieses Jahrhunderts nach
dem Gemälde angefertigten Stiche chronologisch neben einander
zu legen, um die Veränderungen zu verfolgen, denen cs zum
Opfer gefallen war. Für die neuere Zeit bestätigten, als noch
zuverlässigeres Material, Photographien diese Beobachtung.
In den letzten Jahren ist es von frischem durchweg übermalt
worden, so daß von dem Zustande sogar, in dem rch es vor
20 Jahren zuerst sah, heute nur wenig übrig ist. Diese letzte
Redaktion des Florentiner Portraits hat Hähnel bei seiner
Raphaelstatue vorzugsweise verwandt und damit, so angenehm
der Kopf wirkt, auch nicht eine einzige richtige Linie des
ächten Raphaeltypus seinem Werke mitgegeben. Desto fester
aber wurde nun an der Aechtheit des Portraits auf der Schule
von Athen festgehalten. Gerade für dieses aber ist gleich-
falls, und zwar vor einigen Jahren bereits, der schlagende
Beweis nachträglicher Entstellung gefunden worden.
Die Technik der Freskomalerei erfordert bekanntlich ein
rasches, die Malerei gleich fertig stellendes Arbeiten auf eben
aufgetragener, frischer Kalkfläche.' Ein Vorznchnen der Umrisse
ist da nicht möglich: der Maler pflegt sie in den weichen
Kalk einzuritzen. So nun hat Raphael auf der Schule von
Athen seine eigenen Gesichtszüge gerettet. Die Far-
ben konnte man verändern: diese Einritzungcn dagegen
waren unvertilgbar. Läßt man ein scharfes Streiflicht
auf die Mauerflache fallen, so lösen sich die Farben in allge-
meine vcrschwlmmende Töne auf, wählend die Unebenheiten
des Grundes im grellem Gegensatze von Licht?und Schatten
hervortreten. Diese Beleuchtung'hat man Raphaels Kopfe
auf der Schule von Athen angedeihen lassen und den hervor-
gebrachten Effekt photographirt. Um ganz sicher zu gehen,
ist das Licht einmal von der linken, dann von der rechten Seite
her auf die Wand geworfen worden. Die gewonnenen Photo-
graphien lassen die Linien auf das unzweideutigste Hervor-
treten, welche Raphael als die maßgebenden Umrisse ansah,
und zugleich bleiben immer noch auch die Farben genug er-
kennbar, um allen Zweifel darüber schwinden zu lassen, daß
Zeichnung und Malerei, wie diese jetzt beschaffen ist, einander
nicht decken. Die Farben zeigen ein gezogenes Antlitz mit
schmaler Nase bei verhältnißmähig eng zusammenliegenden
Augen (entsprechend dem in früheren Zcitcn in der Akademie
von San Luca gezeigten falschen Schädel Raphaels), während
die darunter liegende eingeritzte Zeichnung ein eher rundes
Antlitz erkennen läßt, das in seinen Proportionen dem Holz-
schnitte entspricht, welchen Vasari seinem Leben Raphaels als
Bildnitz vorgesetzt hat und dessen vermeintliche Unrichtigkeit
mau bisher nicht erklären konnte. Rumohr meinte, der
Spiegsl, in welchem Raphael sich gesehen, sei nicht glatt, son»
dern sphärisch gewesen, so daß seine Züge in unmerklicher
Entstellung zusammengedrängt hätten erscheinen müssen.
Ich halte Carlo Maratta, den berühmten Restaurator der
Schule von Athen, für den ersten Urheber des umgestaltenden
Prozeßes. Marwta hat seine Ansichten über Raphaels
Kopfbildung in einer Marmorbüste verewigt, welche heute in
der Sammlung des Konservatorenpalastes zu Rom befindlich
iit und nach deren Vorbild die späteren italienischen Büsten
Raphaels sämmtlich gearbeitet zu sein scheinen. Sie trägt
alle die Eigenschaften, welche auch die heutige Malerei auf
der Schule von Athen auszeichnen.
Photographien der betreffenden Stelle der Schule von
Athen sind überall billig zu kaufen. Vasari's Holzschnitt
findet sich fast in allen Ausgaben, auch in der bei Cotta er-
schienenen deutschen Uebersctzung. Was den ächten Schädel
Raphaels anlangt, so erlaube ich mir eine Anfrage.
In einem Berichte über die Aufdeckung des Grabes
Raphaels in der Rotunde zu Rom, welche am 9. September
1833 stattfand, habe ich gelesen, es sei von den über den
Schädel gemachten Gypsabgüffen einer für den Kronprinzen
von Preußen (Friedrich Wilhelm IV.) bestimmt und nach
Berlin gesandt worden. Es Ist mir nicht möglich gewesen,
eine Spur dieses Abgusses zu entdecken. Sollte einer der
Leser der „National-Zeitung" darum wissen, so bitte ich ihn,
mir einige Worte zukommen zu lassen, falls er es nicht vor-
zieht, öffentliche Mittheilung zu machen. Einen Abguß deS
falschen Schädels besaß seiner Z^it Goethe, der ihn in hohen
Ehren hielt.
Berlin, den 27. November 1878. H. Grimm.
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med. Krause (Posen). — Frl. Gertlud
Uelsmann mit Hrn. Carl Schulze. — Frl.^
Elisabeth Kraft mit Hrn. Kaufmann Bern-
hard Berndt. — Frl. Margaret Benningion
mit Hrn. Burcharo Thöntz (New-Orleans—
Louistana).
Verehelicht: Hr. Prem.-Lientenant Felix von
Lettow - Vordeck mit Frl. Elisabeth von
Glasenapp. — Hr. Friedrich Graf Pfeil mit
Frl. Fanny von L'Estocq (Dresden). — Hr..
Bernhard Warnecke mit Frl. Marie Fnetz
^Herzberg). — Hr. Hauptmann Wilhelm von
Löfeckc mrt Frl. Babette Petcrssen (Klein-
Malchin bei Stolp). — Hr. Hermann Mode
mit Frl. Ernestine Plackte.
Geboren: Ein Sohn: Hrn.Hauptmann von
Schröder (Stralsund). — Hrn. N. Rosenfeld«.
— Hrn. Louis Wensch. — Hrn. Arvcd Baarts.
Hrn. Pastor Scherwinsky (Aslau). — Eine
Tochter: Hrn. Pastor H. Harms (Caden-
berge). — Hrn. Otto Elsholz.
Gestorben: Hr. Ziegeleibefitzer Wilhelm Born
(Werder). — Verw. Fr. Prediger Metzner,
geb. Denst (Reppen). — Hr. Proviantmeistcr
a.D. Alexander von Wyschetzki (Minden).—
Hr. Commerzienrath Carl Bolbingge (Gra-
bow i. Meckibg.). — Hr. Dr. med. Schaff-
ranck lLipine). — Fr. Wilhelmine Hecht, geb«
Engelhardt (Carlsruhe). — Hrn. Prof. Kayser
Sohn Theodor (Tübingen). — Fr. Clara
Höhne, geb. Vogt (Jnrer). — Hr. Rentier
F. W. Huck. — Hrn Ferdinand Ilse Sohn
terdinand. — Fr. Henriette Fleischer, geb«
ux. — Hr. Otto Zeitz. — Hr F. Kuhlmay«
Hr. Carl Maxdorff. — Fr. Wilhelmine Küh-
nemann, geb. Achilles (Küstrin).
Solon & Co.,
Metall-Särge-Fabrik,
Kommandantenstrahe 31.8.
Telegraphische Aufträge per Eilgut erpedirt.
Hierzu Beivlalt.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
4
aus : Nationalzeitung, 1878, Nov, 30
Naphael's Gestchcksbildmig betreffend»
Ein die neuestell-Er werbungen der Nationalgalcrie be-
sprechender Aussatz in der Morgennummer des Dienstags-
blattes dieses ZKtung rühmt bei Hähiiel's Rciphaelstatue die
PorträitMkMkeit. Ich sehe diese Statue als eine der ge-
lungensten Arbeiten des Meisters an und freue mich über
ihren Ankauf, von Portraitähnlichkeit kann hier jedoch nicht
gut die Rede sein.
Die Frage über den Werth der vorhandenen Raphael-
portraits ist von mir an verschiedenen Stellen bereits ein-
gehend behandelt worden. Zwei Darstellungen pflegen heute
in erster Linie genannt zu werden: das Portrait auf der
Schule von Athen, wo Raphael sich neben Perugino
gemalt hat, und daS fogenannnte Jugendportrait, welches
er in noch jüngeren Jahren von sich selbst gemacht hätte,
in der Sammlung der Ufficien zu Florenz. Meine
Untersuchung hatte das Ziel, darzulegen, beide Arbeiten könnten
nicht als maßgebend gelten, weil sie durch Uebermalungen ent-
stellt worden seien. Aus dem eher runden Kopfe Raphaels habe
man in beiden Fällen einen schmalen, etwas gezogenen, gemacht,
wieder und wieder in diesem Sinne die Portraits überarbeitet
und so dasjenige geschaffen, was sie an Ort und Stelle heute
dem Beschauer darbieten. Ich will bereits Gesagtes (verql.
XV Eff. Neue Folge (1875) S. 293 ff sowie' L. Raph.
I., ©. 241 ff.) hier nicht wiederholen und beschränke mich
auf die Angabe, daß die richtige Ansicht von der Kopfbildung
Raphaels auf der Formation seines vor fünfundvierzig Jahren
in seinem Grabe aufgefundenen ächten Schädels beruht, dessen
Verhältnisse mit den bisher im Schwange gehenden Raphael-
darstellungen unvereinbar sind, während sie dagegen mit
anderen bisher zurückgeschobenen Bildnissen Raphaels stimmen.
Meine Ausführungen haben bis Dato jedoch wenig Glück
gemacht. Auf die vorgebrachten Bedenken hat man entweder >
leichthin geantwortet oder sie ignorirt. Wenn ich jetzt
darauf zurückkomme, so geschieht es, weil das wissenschaftliche
Material in den letzten Jahren durch eine neue Entdeckung
so sehr zu meinen Gunsten vermehrt worden ist, daß wohl
noch einige weitere Motte erlaubt sind.
Daß das Florentiner Jugendportrait durch Uebermalungen
entstellt worden sei, pflegte allmälig außerhalb Florenz aller-
dings zugegeben zu werden. Die Überarbeitung war zu deutlich.
Man brauchte nur die innerhalb dieses Jahrhunderts nach
dem Gemälde angefertigten Stiche chronologisch neben einander
zu legen, um die Veränderungen zu verfolgen, denen es zum
Opfer gefallen war. Für die neuere Zeit bestätigten, als noch
zuverlässigeres Material. Photographien diese Beobachtung.
In den letzten Jahren ist es von frischem durchweg übermalt
worden, so daß von dem Zustande sogar, in dem ich es vor
20 Jahren zuerst sah, heute nur wenig übrig ist. Diese letzte
Redaktion des Florentiner Portraits hat Hähnel bei seiner
Raphaelstatue vorzugsweise verwandt und damit, so angenehm
der Kopf wirkt, auch nicht eine einzige richtige Linie des
ächten Raphaeltypus seinem Werke mitgegeben. Desto fester
aber wurde nun an der Aechtheit des Portraits auf der Schule
von Athen festgehalten. Gerade für dieses aber ist gleich-
falls, und zwar vor einigen Jahren bereits, der schlagende
Beweis nachträglicher Entstellung gefunden worden.
Die Technik der Freskomalerei erfordert bekanntlich ein
rasches, die Malerei gleich fertig stellendes Arbeiten auf eben
ausgetragener, frischer Kalkfläche. Ein Vorzeichnen der Umrisse
ist da nicht möglich: der Maler pflegt sie in den weichen
Kalk einzuritzen. So nun hat Raphael auf der Schule von
Athen seine eigenen Gesichtszüge gerettet. Die Far-
ben konnte man verändern: diese Einritzungen dagegen
waren unvcrtilgbar. Läßt man ein scharfes Streiflicht
auf die Mauer flache fallen, so lösen sich die Farben in allge-
meine verschwnnmende Töne auf, während die Unebenheiten
des Grundes im grellem Gegensatze von Licht!und Schatten
hervortreten. Diese Beleuchtung hat man Raphaels Kopfe
auf der Schule von Athen angedeiheri lassen und den hervor-
gebrachten Effekt photographirt. Um ganz sicher zu gehen,
ist das Licht einmal von der linken, dann von der rechten Seite
her auf die Wand geworfen worden. Die gewonnenen Photo-
graphien lassen die Linien aus das unzweideutigste hervor-
treten, welche Raphael als die maßgebenden Umriffe ansah,
---------------------------------—----
und zugleich bleiben immer noch auch die Farben genug er-
kennbar, um allen Zweifel darüber schwinden zu lassen, daß
Zeichnung und Malerei, wie diese jetzt beschaffen ist, einander
nicht decken. Die Farben zeigen ein gezogenes Antlitz mit
schmaler Nase bei verhältnismäßig eng zusammenliegenden
Augen (entsprechend dem in früheren Zeiten in der Akademie
von San Luca gezeigten falschen Schädel Raphaels), während
die darunter liegende eingeritzte Zeichnung ein eher rundes
Antlitz erkennen'läßt, das in seinen Proportionen dem Holz-
schnitte entspricht, welchen Vasari seinem Leben Raphaels als
Bildniß vorgesetzt hat und dessen vermeintliche Unrichtigkeit
man bisher nicht erklären konnte. Rumohr meinte, der
Spiegel, in welchem Raphael sich gesehen, sei nicht glatt, son-
dern sphärisch gewesen, so daß seine Züge in unmerklicher
Entstellung zusammengedrängt hätten erscheinen müssen.
Ich halte Carlo Maratta, den berühmten Restaurator der
Schule von Athen, für den ersten Urheber des umgestaltenden
Prozeßes. Marasta hat seine Ansichten über Raphaels
Kopfbildung in einer Marmorbüste verewigt, welche heute in
der Sammlung des Konservatorenpalastes zu Rom befindlich
iit und nach deren Vorbild die späteren italienischen Büsten
Raphaels sämmtlich gearbeitet zu sein scheinen. Sie trägt
alle die Eigenschaften, welche auch die heutige Malerei aus
der Schule von Athen auszeichnen.
Photographien der betreffenden Stelle der Schule von
Athen sind überall billig zu kaufen. Vasari's Holzschnitt
findet sich fast in allen Ausgaben, auch in der bei Cotta er-
schienenen deutschen Uebersetzung. Was den ächten Schädel
Raphaels anlangt, so erlaube ich mir eine Anfrage.
In einem Berichte über die Aufdeckung des Grabes
Raphaels in der Rotunde zu Rom, welche am 9. September
1833 stattfand, habe ich gelesen, es sei von den über den
Schädel gemachten Gypsabgüssen einer für den Kronprinzen
von Preußen (Friedrich Wilhelm IV.) bestimmt und nach
Berlin gesandt worden. Es ist mir nicht möglich gewesen,
eine Spur dieses Abgußes zu entdecken. Sollte einer der
Leser der „National-Zertung" darum wißen, so bitte ich ihn,
mir einige Worte zukommen zu laßen, falls er es nicht vor-
zieht, öffentliche Mittheilung zu machen. Einen Abguß des
falschen Schädels besaß seiner Zeit Goethe, der ihn in hohen
Ehren hielt.
Berlin, den 27. November 1878. H. Grimm.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
7
aus : ?
Madonna Alba.
Das ip -cm FeEeton vom 19. September „Archäologi-
sche un-künstlerische Rundschau in Italien" besprochene
GenMser Ex^Mlar der Madonna Alba gehört, soweit eine
gut^ vor drei fahren von Sgr. Peirani mir zugesandte Photo-
graphie zn urtheilen erlaubt, zu den geringeren Reproduktio-
nen des Werkes. Auch scheint eine starke Ucbermalung statt-
gefunden zu haben. Von Zeit zu Zeit pflegt eine in Berlin
befindliche Kopie, gleichfalls in quadratischem Formate ge-
halten, als Neuigkeit aufzutauchen und Ansprüche zu erheben.
Raphael hat diese Madonna zu einer Zeit gemalt, wo Papst
Giulio II. längst vorübergegangen war und die Rovere in
Rom wenig mehr zu thun hatten. Das im Museum, zu
Lille vorhandene, auf zwei Seiten mit Skizze und Studien-
zeichnung bedeckte Blatt giebt über die Entstehung des
Werkes genügende Auskunft.
Was die Zeit anlangt, so werden wir auf die Negierung
s X., etwa 1515 oder 1516 verwiesen. Einmal deutet
dirs die Behandlung der Naturstudie zur Madonna an, zu>
welcher Raphael einen jungen Mann von 18 bis 20 Jahren
diesmal benutzt zu haben scheint. Sodann abrr befinden fich
auf demselben Blatte die ersten Gedanken der Madonna della
Sedia, nebeneinander in zwei kleinen Federskizzen ausgeführt.
Die eine hat noch sehr unklare Formen, da mit der Arm-
I stcllung gewechselt Word i ist, die andere zeigt die Komposition
schon reiner. Beidemale Ibrigens ist quadratischeUmgränzung
für sie gewählt, während für die Madonna Alba hier schon
die Kreislinie mit leichten Strichen als Umrahmung an-
gegeben wurde. ,
Was die Entstehung der Komposition der Madonna
Alba anbetrifft, so zeigt das L'ller Blatt deutlicher noch als
das Gemälde den lionatdesken Ursprung. Einige in London
befindliche Skizzenblätter Lionardo's lasftn die Genesis der
Gruppe in ihren ersten Anfängen erkennen. Hier ist der kleine
Johannes noch mit einem Lämmchen beschäftigt, welches Ra-
phael beibehalten hatte und erst auf dem Gemälde fortließ.
Die im Besitz der Albertina befindliche getuschte Zeich-
nung der Madonna Alba scheint nach einem Modelle der
Gruppe ausgeführt worden zu sein. Raphael pflegte (nach-
weisbar öfter, faktisch vielleicht immer) seine Figuren klein
modeüiren zu lassen, um sie dann genau dem Lichte auszu-
setzen, in dem er sie wiederzugeben wünschte. Wir besitzen
eine Anzahl Blätter von seiner Hand, die von der Anwen-
dung dieses Hülfsmittels zeugen, welches zu Anfang fernes
Jahrhunderts aufgekommen war und bis zum Ende deS
18. bei den europäischen Künstlern üblich blieb.
Berlin, den 19. September 1877.
Herman Grunm.
J\H 47. Erste Beilage zur König!- pnvilkgirte» Berlmische» Zcitimg. 186!.
Sonnrag den 24. Februar.
Disputs und Schule von Athen
oder
wie weit ist man gebunden an die Meinungen
der Zeitgenossen
bei der
Erklärung von Kunstwerken.
4.
Drei Werke können als die bedeutendsten Schöpfungen
der italienischen Kunst in Rom genannt werden: die Ma-
lereien Michelangelos in der Sistinischen Kapelle, die
Compositionen Rafaels für die päpstlichen Teppiche und
seine Wandgemälde in den Zimmern deS vaticanifchen
Palastes. Unter den letzteren nehmen die beiden, welche
unter den Namen Disputa und Schule von Athen welt.
bekannt sind, die erste Stelle ein.
Ueber das, was diese beiden Gemälde zur Darstellung
bringen sollten, waren schon zur Zeit Rafaels die Mei-
nungen nicht ganz übereinstimmend; im Laufe des 18. und
deS 19. Jahrhunderts jedoch haben sich von den alten
durchaus abweichende Ansichten Geltung verschafft, Deu-
tungsversuche, die von theoretischen Begriffen ausgehend
stch bis auf die genauesten Details erstrecken, und mit de.
nen sich gelehrte und scharfsinnige Männer befaßt haben.
In der neuesten Zeit find diese Arbeiten mit frischer Theil-
nahme aufgenommen worden. Aenßerlichen Anstoß mag
Kellers vielbesprochener Stich der Disputa gegeben haben,
im Allgemeinen aber liegt der Grund wohl tiefer: man ist
zu der Erkenntniß zurückgekehrt, daß ohne das Studium
dessen, was in früheren Zeiten von großen Künstlern ge-
schaffen worden ist, aller Fortschritt in der eigenen Zeit
unmöglich sei, und wendet sich zu den Meisterwerken der
Vergangenheit zurück, nicht um sie nachzuahmen, sondern
um in der Ergründung des Geistes, aus dem sie entstan-
den find, den eigenen zu bilden und auszudehnen.
Rafael wurde im Jahre 1508 aus Florenz nach Rom
berufen, um bei der Ausmalung des in einer Umgestal-
tung begriffenen vatikanischen Palastes verwandt zu wer-
den. Für Diejenigen, welche Rom nicht kennen, sei be-
merkt, daß die Stadt in drei Theile zerfällt. In den
Theil, welcher innerhalb des von der Tiber gebildeten
Kniees liegt: daö eigentliche Rom. In den schmalen
Streifen ferner, der sich nach Westen jenseits am andern
Ufer des Flusses hingeht, Trastevere genannt. Und in
den dritten endlich: die ebenfalls am andern Ufer der Tiber
gelegene, gerade an der Stelle, wo deren Wendung eintritt,
nördlich angebaute leoninische Vorstadt. Diese, mit Traste-
vere, an daö sie anstößt, durch ein starkes Thor, mitderübrigen
Stadt durch eine einzige Brücke in leicht zu lösender Ver.
binduNg, ist ei:.e Schöpfung der karolingischen Zeit. Die
Päpste haben sie gebaut. Sie enthält die Peterskirche,
den Vatican und dicht an der Brücke die Engelsburg,
AlleS durch Festungswerke verbunden und geschützt, und
derartig gelegen, daß der Inhaber dieses Theils der Stadt
ganz Rom beherrschte.
Die leoninische Vorstadt war in dem der Reformation
vorangehenden Jahrhundert der eigentliche Sitz der Päpste.
Hier vertheidigten sie sich. Ununterbrochen wurde hier
gebaut, befestigt und verschönert; Petcrskirche, Vatican und
Engelsburg erfuhren fortwährend Veränderungen; Pläne
wurden gemacht, halb ausgeführt, umgestoßen, durch neue
ersetzt und immer und immer wieder daran gemodelt, und
dies Einreißen und Zufügen bis auf die heutigen Tage
fortgesetzt. Jeder Papst hat hier Spuren seiner Thätig,
feit zurückgelassen.
Es war nichts Außerordentliches, daß Julius der Zweite
gleich nach Antritt seiner Regierung im Jahre 1503 die-
sem Bauwesen sich zuwandte. Für die Befestigungen hat-
ten die Borgia'S, seine Vorgänger genügend gesorgt, er
nun wollte den Palast erweitern und daö alte, bereits
vorhandene dem mit zu erbauenden
beschloß er, die uralte Veterskirchc
eine neue zu errichten. Einer seiner
dazu bereits den Anfang gemacht, und
“55
anpassen. Dazu
einzureißen und
Vorgänger hatte
die Mauern der
neuen Tribune erhoben sich schon 5 Fuß über der Erde.
Julius ließ an ihnen weiter arbeiten. Oberster Baumei-
ster für all das war Bramante aus Urbino. Durch ihn
kam Rafael nach Rom, alS 25jähriger junger Mensch trat
er dort ein, der ganze Palast-saß voll Künstler, die darin
zu thun hatten: ihm wurde die Wand eines von andern
Malern bereits bis auf diese eine Stelle, wie eS scheint,
ausgemalten Zimmers anvertraut und er begann als erste
Arbeir, (abermals, wie es scheint, denn sicher wissen wir
es nicht), die Disputa.
Das Zimmer gehört zu einer Reihe von Gemächern,
welche den zweiten Stock des Torre Borgia, so heißt die-
ser Theil des vaticanifchen Palastes, einnehmen. Es ist
von vier ziemlich gleich breiten Wänden eingeschlossen,
welchen die Decke, ein Kreuzgewölbe, nach obenhin kreis,
förmige Gestalt giebt, und da die Zwickel der Wölbung
in den Ecken tief herabreichen, so erscheint die ganz.' Wand-
fläche beinahe auf diese Weise halbmondförmig zugeschnit-
ten. Rafael's erste Skizze zur Disputa ist bekannt, sie
befindet sich in England.) Er wollte daö Halbrund der
Wand mit einer damals in Italien nicht selten angebrach-
ten Darstellung ausfüllen: der Ansicht des Himmels mit
den göttlichen Personen in der Mitte und den Heerschaa-
ren um sie her, und mit den Helden des alten und neuen
Testamentes in langer Reihe, sich gegenüber auf Wolken
sitzend, als Boden deS Ganzen. Rafael hatte in früheren
Jahren schon ein ähnliches Gemälde ausgeführt.
Was zumeist wohl an der Aechtheit seiner ersten Skizze
zweifeln lassen könnte, ist der Abstand zwischen ihr und
dem Gemälde selbst, wie es sich später entfaltet hat. Be-
trachtet man sie jedoch im Verhältniß zu dem, was Ra-
fael früher leistete, so hat sie nichts ungewöhnliches. Es
muß über Rafael in Rom plötzlich gekommen sein wie
ein Frühlingsregen, denn er leistete in dem Gemälde so
Großes wie keiner von denen, die vor ihm gearbeitet hatten,
Leonardo da Vinci und Michelangelo ausgenommen. Die
Werke dieser beiden aber, die Rafael in Florenz sah, tra-
gen nichts in sich, was ihm gerade bei dieser Arbeit hätte
förderlich sein können. Möglich, baß die Leidenschaft, in
die er in Rom verfiel, als er an den vorbereitenden Zeich-
nungen zu seinem Werke arbeitete, ihn so plötzlich entwik-
feite und erhob. Wir wissen von ihr weil er vier So-
nette auf Studienblätter zur Disputa geschrieben hat, die
das Gefühl, daö ihn beherrschte, in glühenden Wor-
ten ausdrücken, und eine Heftigkeit der Empfindung
zeigen, die über den damaligen Zustand seiner Seele kei-
nen Zweifel zuläßt.
Das Gemälde enthält in seiner oberen Partie die Ele-
mente der ersten Skizze: den Einblick in das sich öffnende
Himmelreich nach katholischer Anschauung. Was dazu
kam aber waren die Gestalten auf dem Boden der Erde
darunter. In der Mitte des Bildes sehen wir einen
Altar; sanfte breite Stufen führen von drei Seiten zu
ihm auf, ein Teppich mit arabeökenartigem Muster bedeckt
ihn, bis zu seinem Fuße herabfallend, und eine Monstranz
steht mitten auf ihm. Lichter Glanz umgiebt sie, wie wenn
die Sonne auf polirtes Metall strahlt, und eine Taube,
hoch darüberschwebend, senkt sich zu ihr herab, durchbrechend
zwischen vier Kinderengeln, welche gerade zu Christi Füßen
schwebend, mit beiden Armen die aufgeschlagenen Evan-
gelien über sich erhoben halten.
Um den Altar ist eine dichte Menge versammelt, von
beiden Seiten jedoch derart herankommend, daß vor ihm
der Raum frei bleibt. Die zunächst befindlichen sehen wir
auf schönen antik geformten Sesselbänken sitzen, cs sind
ehrwürdige alte Männergestalten, einige in großen Büchern
lesend, andere zum Himmel aufblickend, andere im Ge-
spräche miteinander. Je weiter zur Rechten und Linken
die Versammlung vom Altare sich entfernt, um so
näher tritt sie in den Vordergrund und um so
dcnilicher erkennt man in den Einzelnen, welche größer
*) Eine Photographie danach im Dresdener Kupferstich,
kadinet. Auf dem hiesigen nicht vorhanden.
find weil sie uns näher stehen, die Bewegung, die
fie erfüllt. Alle find sie entweder mit fich selbst
beschäftigt indem sie die Augen zur Höhe gerichtet
haben, oder sie geben anderen den Anstoß, wahrzunehmen,
was sich in den Lüften über ihnen offenbart hat. Das
Ganze ereignet fich im Freien; zur Rechten jedoch erblickt
man mächtrge ebenbegonnene Mauern eines Gebäudes, die
etwa menschenhoch sich nahe zum Altare erstrecken, links da-
gegen sehen wir in der Weite eine Kirche, an der noch gebaut
wird; die Linie des Horizontes aber fällt zusammen mit
der obersten Linie des Altars, so daß die um die Mon-
stranz waltende Klarheit mit dem Glanz der Ferne, in die
mgn hineinzublicken glaubt, in eins verschwimmt.
Dieses Gemälde machte nach seiner Vollendung einen
solchen Eindruck auf den Papst, daß er Alles, waS in dem
Gemache von den übrigen Meistern bereits vollendet wor.
den war, wieder herunterschlagen ließ, und Rafael allein
mit der neuen Arbeit betraute.
2.
Was bedeutet diese erste Malerei?
Vasari sagt: „Rafael malte einen Himmel mit Christus
und der heiligen Jungfrau, Johannes dem Täufer, den
Aposteln, den Evangelisten und Märtirern auf dem Ge-
wölle, mit Gottvater, der auf alle den heiligen Geist
herabsendet, besonders aber auf eine unendliche Zahl
von Heiligen, welche unten die Messe schreiben*) und
über die auf dem Altare stehende Hostie verschiedene Mei-
nungen aussprechen." So übersetze ich dispntano, denn
„zanken" liegt nicht nothwendigerweise in dem Worte.
„Unter ihnen befinden sich die vier Doktoren der Kirche,
um sie her unendliche Heilige, darunter Dominicus, Fran-
ciscus, Thomas vpn Aquino, Bonaventnra, Scotuö, Nie-
colo de Lira, Dante, Fra Girolamo (Savonarola) von
Ferrara und alle christlichen Theologen und unzählige Por-
traits, und in der Luft sind vier Ktnder, welche die Evan-
gelien geöffnet halten."
So weit Vasari. Einen Namen giebt er dem Gemälde
nicht. Dennoch scheint die Benennung „Disputa" zu seinen
Zeiten für solche Darstellungen gebräuchlich gewesen zu
fein, denn er berichtet an anderer Stelle (XU. 16. ed.
Lemonnier) von lebenden Bildern, welche eme Künstler-
gesellschaft in Florenz arrangirte und unter denen auch
eine Dieputa der Philosophen über die Dreieinigkeit mit
geöffnetem Himmel und Engelchören vorkommt. Vasari
ließ bei Rafaels Gemälde wohl die ausdrückliche Bezeich-
nung fort, weil fie fich von selbst verstand.
Was die Composition Rafaels vor andern ähnli-
cher Art auszeichnet, ist die ungemeine, aufS spre-
chendste ausgedrückte Aufgeregtheit der versammelten
Menge. Man hat jedoch einen Streit über geistliche
Dinge für einen, im höheren Sinne des Wortes, zu
gemeinen Moment gehalten, als daß um seinetwillen
eine so tiefgreifende Bewegung solche Männer hätte ergreifen
dürfen. Es sei unmöglich, daß es sich hier um einen Zank
handeln könne. Viel Höheres sei hier dargestellt: die
ganze Theologie der katholischen Kirche finde sich symbo-
lisch in den Personen ihrer höchsten Geister aufgebaut,
und in diesem Sinne hat man die Bewegungen der Ein-
zelnen nicht als von einem Allen gemeinsamen momenta-
nen Gefühl erweckt gelten lassen wollen, sondern ihren
Gesten, jedem für seine Person allein, die höchste Bedeu.
tung untergelegt. Jeder dieser Männer drücke durchseine
Bewegung seine Stellung aus zur Wahrheit der katholi-
sch n Kirche, argumentirte man. Und indem von dieser
Idee dann wieder rückwärts geschloffen wurde, hat man
auf die Körperbewegungen hin allen den hier sichtbaren
Personen historische Namen beigelegt. Und so ist aus dem
Bilde ein theologisches System geworden, gleichsam die
verkörperte Idee des Katholicismus. Paffavant in seinem
L«Den Rafaels und I. W. I. Braun in einer besonderen
Scbrift über Rafaels Disputa (Düsseldorf 1859) sind
darin am weitesten gegangen. Zwar weichen diese bei-
den , wie auch die andern, die sich in dieser Materie
versucht haben, von einander ab in einigen Punkten der
*) che sotto scrivato hat die, erste Ausgabe statt sottoscrivLQO.
Erklärung, allein sie stimmen darin überein, daß Vasari
den eigentlichen Sinn des Gemäldes verkannt und sogar
unter den namentlich angeführten Männern einige genannt
habe, die gar nicht auf dem Bilde befindlich wären.
In hohem Grade befestigt erschien diese Ansicht ihren
Vertretern durch einen außerhalb des Gemäldes liegenden
Grund. Die auf den andern drei Wänden in nachfol-
gender Zeit ausgeführten Gemälde nämlich stellten ihrer
Idee nach die Philosophie, die Poesie und Jurisprudenz
dar. Somit fiel der Disputa, wie von selber, die Bedeu-
tung der Theologie zu. Man nahm an, der Papst habe
das höhere geistige Dasein der menschlichen Natur in jene
vier Strömungen zerlegt und als ein Ganzes in diesem
Gemache ausdrücken wollen, und da es natürlich erschien,
daß ein solcher auf Befehl des Oberhauptes der Christen-
heit aufgenommener Gedanke bei feiner Ausführung nicht
dem einsamen Gutdünken eines unstudirten jungen Malers
überlasten bleiben durfte, so glaubte man, weitergehend,
den Einfluß der ersten in Rom befindlichen geistigen
Autoritäten bei Schaffung der Gemälde voraussetzen zu
müssen. Und so erscheint Rafaels erstes Auftreten in
der Stadt im Glanze freundschaftlich höheren Verkehrs
mit der Blüthe der damaligen Gelehrsamkeit: ein bei
der Beschreibung seines Lebens gern und reichlich aus-
gebeuteter Umstand.
Was den spezielleren Inhalt jener modernen Deutungen
der Disputa anlangt, so ist er hier von keiner Wichtigkeit.
Eö genüge, daß man Heiden, Juden. Judenchristen, Ketzer,
Repräsentanten der christlichen Nationen Europas und der-
gleichen darauf entdeckt und mit einiger Bestimmtheit be-
zeichnet hat. Gesagt aber muß werden, daß man zu diesen
Annahmen nicht nur durch keine Sylbe VasariS, sondern
auch durch keine Mittheilung anderer Schriftsteller des
16. oder 17. Jahrhunderts berechtigt war, sondern daß
man lediglich einer rein theoretischen, die Composition an
sich ergreifenden Anschauung Folge gab. Ausgenommen
natürlich die Personen, welche aus ähnlichen Darstellungen,
oder aus den, auf das Gemälde selbst aufgeschriebenen
Namen zu erkennen sind, wie die Kirchenväter und einige
Päpste, und wie Dante und Savonarola, die fich aus der
Portraitähnlichkeit als mit Vasari's Angaben indentisch
weisen.
6.
Rafael ging nach Vollendung der Disputa an daS ihr
gegenüberliegende Wandgemälde, welches, wenn auch von
geringerer Erhabenheit dem Gegenstände nach, das erste
dennoch durch Freiheit der Bewegung in den Gestalten
und durch den Reichthum der Composition weit übertrifft.
Dieser Unterschied allein war eö, der uns die Berechtigung
giebt, Vasari's Worten entgegen, die Disputa als die
frühere und die Schule von Athen, unter welchem Namen
die zweite Arbeit berühmt ist, als die nachfolgende Schöp-
fung anzunehmen. Vasari läßt Rafael mit der Schule
von Athen beginnen: auch ich glaube, daß er darin rrrt,
jedoch bei diesem Werke soll Vasari noch mehr verbrochen
haben. Denn während man bei der Disputa seine Er-
klärung nur ausgedehnt hat uud ihm nichts als Unwissen-
heit zum Vorwurf machte, findet man in der Schule von
Athen absolut andere Dinge dargestellt als Vascui will,
und giebt ihm die Frucht seiner, an vielen Stellen seines
Buches allerdings gar nicht zu leugnenden fahrlässigen
Ungenauigkeit nirgends saurer zu kosten, als bei dieser
Gelegenheit.
Die Schule von Athen bildet schon durch ihre kräftigen
Schatten einen Gegensatz zu der lichten Freundlichkeit der
Disputa. Wir blicken in das Innere eines großartig con-
struirten tempelartigen Gebäudes hinein, Mit tief in den
Hintergrund sich verlierenden hohen und dunklen Bogen-
gängen. Es erhebt sich auf einem breiten, das ganze Ge-
mälde quer durchziehenden Unterbau, zu dem Stufen hin-
anführen. Ganz im Vordergründe des Bildes zu Füßen
dieser Treppe sehen wir zur Rechten md zur Sinsen zwei
in sich abgeschlossene Gruppen von Gestalte r, dann oben
in der Mitte zwei nebeneinanderstehende Männer, in ru-
higem Streite, wie ihre Handbewegungen anzudeuten schei-
nen, umgeben von anderen, an die sich abermals andere
anschließen, und so, indem sich diese Menge nach beiden
Seiten in den Rahmen verliert, erscheint der ganze Raum
von Figuren erfüllt. Auch auf den Stufen der Treppe
erblicken wir einige Gestalten, fast alle aber in Bewegung
zu den beiden mittelsten hingewandt, indem fie entweder
wirklich auf fie zueilen, oder auf fie deuten, oder andere
auf sie hinlenken, deren Aufmerksamkeit abgezogen ist.
Nur die Nächsten stehen ruhig um fie her und haben die
Blicke auf fie gerichtet.,
Von diesen berden m der Mttte stehenden, sie nehmen
zugleich gerade unter dem Bogen des Gebäudes die Mitte
-ein, ist der eine ein Greis mit herabwallendem Bart und
Haupthaar. Der Scheitel ist kahl. Mit aufgehobenem
rechten Arme und Zeigefinger deutet er zur Höhe; unter
^dem linken Arme trägt er ein Buch. Der neben ihm, um
-ein Geringes mehr vortretend, scheint dagegen im besten
Mannesalter, mit kurzem dichten dunkeln Haupt, und
Barthaar. Ein Buch, auf dessen oberen Rand er die linke
ausgestreckte Hand gelegt hat, stützt er auf den Schenkel
des linken Beines, während die uns entgegengestreckte
Rechte mit ausgebreiteten Fingern, deren Inneres dem
Boden zugekehrt ist, einen Gegensatz zur himmelzeigenden
Bewegung des Andern anzudeuten scheint. Rechts und
links in den Nischen der breiten Pfeiler, welche die Wöl.
Dung des Baues tragen, stehen die Statuen des Apollo
und der Minerva und unter demselben find Basreliefs mit
Mythologischen Begebenheiten angebracht.
Von den beiden Gruppen im Vordergründe zeigt die
zur Rechten einen mit dem Zirkel in der Hand zu einer
auf dem Boden liegenden Tafel gebeugten Mann mit kah-
lem Scheitel, deffen Demonstration mehrere Jünglinge um-
her mit dem höchsten Erstaunen verfolgen, während zwei
ehrwürdige Gestalten in langen Gewändern, die eine mit
einer Krone auf dem Haupte, Kugeln in den Händen tra-
gen. Die Gruppe auf der linken Seite des Gemäldes
dagegen zeigt als Mittelpunkt einen zu Boden hockenden
Alten, eifrig bemüht in ein auf seinem Knie ruhendes
Buch zu schreiben, und zwar von einer Tafel ab, welche
ein schöner, engelarliger Knabe vor ihn hin auf die Erde
gestellt hat, der ihm zugleich etwas zuzuflüstern scheint.
Hinter ihnen ein Gedränge von Volk, alle in Aufre»
gung, zu erhaschen, was der Alte in sein Buch schreibt,
Männer, Kinder, eine Frau, ein Greis der nachschreibt, ein
Mann der. sich weit überbeugend, darin zu lesen sucht, und
nah am Rande des Gemäldes eine Säulenbasis, die einem
mit Laub bekränzten Manne als Lesepult dient, während
ein Alter, der wie ein Großvater ein Kind auf dem Arm
trägt, ihm zuhört. ^ a f.. ,
Auf der anderen Sette des schretbenden Alten mtt dem
Engel aber, die Gestalt eines Mannes, der seinem ganzen
Habitus nach gleich jenem, vorhin genannten in der Mitte
oben, etwas jugendlich kräftiges an fich trägt. Er stützt,
wie er, ein Buch auf den Schenkel des einen, auf einen
Steinblock tretenden Beines und deutet mit der Rechten
hinein, während er auf den schreibenden Greis unter sich
mit gesenktem Kopfe hinblickt. Zwischen beiden, ein wenig
zurück, ein schöner, in seinen Mantel gehüllter Jüngling,
mit gescheiteltem, lang herabhängendem Haare, auf die
Brust deutend mit der Linken und von der Seite blickend
als wäre er im Spiegel gemalt. Die äußerste Gestalt
dieser Gruppe aber nach der Mitte hin ist ein auf der
Erde sitzender in sich versunkener Mann. Er hat den lin-
ken Arm auf einen Steinwürfel neben fich mit dem Ellen-
bogen ausgesetzt uud lehnt das Haupt auf die umgeknickte
Fhand, während die andere mit einem Grrffel auf einem
Llatte Pergament ruht. Zwischen diesem und der Gruppe
drüben hindurch sieht man auf die Stufen, die zu dem
Gebäude hinanführen, einen in einem Buche lesenden
Greis lang hingestreckt, auf den ein jüngerer, der dte
Treppe hinansteigt einen anderen hinzuweisen sucht, welcher
fick jedoch den beiden in der Mitte zugewandt hat. —
Vasart sagt, dargestellt sei, wie die Theologen die Phi-
losophie und Astrologie mit der Theologie vereintsten,
una storia quando i teologi accordano la filososia e l’a-
«trologi'a con la teologia. " Alle Weisen, savi, der Welt
seien da zu sehen, wie sie in verschiedener Weise disputir-
ten, disputano, dasselbe Wort, wie bei der Disputa; vom
den Berden in der Mitte fei der eine Aristoteles mit betr
Ethika in der Hand, der andere Plato mit dem TimäuSp
der auf den Stufen liegende Diogenes. Unten rechtö be-
zeichnet er die Portraits des jungen Herzogs von Man-
tua, Rafaels selber und Bramantes. Die eure der beiden
Gestalten mit den Kugeln nennt er Zoroaster. Von der
anderen Gruppe wird gesagt, daß der schreibende Alte der
Evangelist Matthäus sei, der den übrigen die auf der von
einem Engel gehaltenen Tafel befindlichen astrologischen
Figuren, welche ihm von der Gruppe drüben zugesandt
wären, auslege.
Diese Behauptung, daß wir die Evangelisten vor uns
hätten, hat Vasari hier wohl zumeist um seine Autorität
gebracht. ES sei eine völlige Verwirrung bei seinen Er-
klärungen eingetreten, sagt man, er bringe Dinge aus dem
einen ins andere Gemälde. Was denn hier die Evange-
listen sollten? Und indem man ihn nicht einmal des Irr-
thums, sondern der Verirrung anklagt, strich man ohne
Weiteres aus, was er über den Inhalt des Gemäldes
sagt, und ist mit der Geschichte der griechischen Philoso-
phie in der Hand so gründlich zu Werke gegangen, daß
man ihre Entwickelung in systematischer Folge, sogar der
Chronologie nach stimmend, wie Paffavant nachweist, hier
dargestellt gefunden und fast keine der etwa 50 Personen
ohne vollwichtigen griechischen Namen gelassen hat. Ge-
lehrte Männer versuchten daran ihren Scharfsinn. Na-
türlich wiederum mit erheblichen Abweichungen unterein-
ander, der Hauptsache nach indeß derselben Meinung.
Diogenes auf der Treppe, so wie Plato und Aristoteles
in der Mitte, auch Zoroaster bleiben als ausgemacht be-
stehen. Sokrates läßt sich in der That an der Aehnlich-
keit erkennen. Der ihm gegenüberstehende Jüngling mit
Helm und Panzer trägt bereits den doppelten Namen
Alexander und Alcibiades. Der von Vasari Matthäus
genannte schreibende Alte wird zu Pythagoras, der Engel
mit der Tafel vor ihm zu feinem Sohne, einer der an-
dern Evangelisten zu Herakleitos dem Dunkeln, der le-
sende Mann an der Säule des Weinlaubes wegen, mit
dem er bekränzt ist, za Epikur u. s. w. Und ausgehend
wieder von der tiefen Kenntniß der griechischen Philoso-
phie, ohne welche dergleichen doch unmöglich durchzufüh-
ren war, haben abermals gelehrte hochstehende Freunde
dem Künstler Namen und Leben zutragen müssen.
4.
Es läßt sich nicht läugnen, diese Auslegungen find
geistreich und in manchem Betracht höchst zutreffend. Warum,
soll Vasari hier nicht geirrt haben, da er es so oft gethan?
Entspräche daö Gemälde nicht in der ihm untergelegten
Bedeutung der Höhe der klassischen Studien, die zur Zeit
seiner Entstehung m Italien blühten? Wir wissen, wie
geläufig dem damaligen Publikum die Geschichte der grie-
chischen Philosophie war. Sagt nicht Vasari wiederum
selbst, alle Weisen der Welt seien hier dargestellt und er-
giebt fich aus dem gegenüberliegenden, die'Theologie be-
deutenden Gemälde nicht als der einfachste Gedanke, hier
sei die Entwickelung der heidnischen Philosophie zu malen
aufgegeben worden? Eö könnte so scheinen. Aber was
mich zuerst zweifeln ließ an den Auslegungen des Moder-
nen, war dieser supponirte Gegensatz zwischen christlicher
Theologie und heidnischer Philosophie, der, soviel ich die
Zeiten Julius deS Zweiten kenne, in solcher Schärfe für
sie fast eine Unmöglichkeit war.
Stand man damals schon so hoch über den Diniert, um
die griechische Philosophie als ein abgeschlossenes Moment
der geistigen Entwickelung der Menschheit aufzufassen?
Wie tief waren doch die Werke der griechischen Philoso-
phen hineingeflossen in die Quellen christlicher Gelehrsam-
keit! Noch ahnte man nicht die über dreißig Jahre später
in Italien einbrechende deutsche Reformation, und all ihre
Folgen für denKatholicismuslagennochinderZukunft. Pla-
toniker und Aristoteliker bekämpften sich damals wie sie es Jahr-
hunderte vorher gethan und noch thun, aber Alles, was
während dieser Jahrhunderte über den großen Widerspruch
gedacht und geschrieben worden war, bildete zu einem
Ganzen mit den Lehren der beiden großen Griechen ver-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
4
Jochten, keine durch reinliche Grenzen von der christlichen,
Theologie geschiedenen Gegensatz, sondern gehörte ihr an,
ohne daß das Eine des Andern hätte entrathen können. §
Wir wissen, in welch persönlicher Abhängigkeit Julius
der Zweite von der damaligen praktischen Astrologie stand.
Bei der Grundsteinlegung der Citadelle von Bologna
ließ er eine halbe Stunde auf sich warten, um den von
den Astrologen als günstig indicirten Moment nicht zu
Verfehlen. Gerade zu seinen Zeiten, wo statt der scharfen
Behandlung der Philosophie in ftüheren Jahrhunderten
ein nach allen Seiten greifender Dilettantismus eingerissen
war, verdichtete sich die Verwirrung des geistigen Lebens
dis zu jenem völligen Chaos, in das Luther dann hinein,
brach. Es wäre ein fast hypermoderner Gedanke für den
Papst gewesen, hier die christliche Theologie, dort die an-
tike Philosophie als zwei vollendete Gegensätze in Gemäl-
den verewigen zu lassen.
Und nun, wer sagt zuerst, frage ich, daß dies von
Ihm gewollt sei? Passavant nennt Niemanden, der vor
1695 eine solche Behauptung aufgestellt hätte. Sicher ist:
1648 war man noch anderer Ansicht in Rom. Zweihun.
dert Jahre beinahe also nach Entstehung der Gemälde
beginnt die heure allgemein acceptirte Meinung zuerst
ausgesprochen zu werden, während bis dahin Vasari's
Deutung (einen einzigen, sogleich zu erwähnenden Umstand
abgerechnet) Geltung behielt: es sei die Vereinigung der
Philosophie, Astrologie und Theologie hier dargestellt, eine
Erklärung^ die durchaus den Charakter der julianisch-
Tafaelischen Zeit zum Ausdruck bringt.
Ein zweites ernstes Bedenken, und dies auch in Va-
sari's Auslegung. Der von ihm und von den neueren
Elklärern als Aristoteles bezeichnete Mann erscheint in
auffallender Weise jugendlicher als der neben ihm stehende
sogenannte Plato. Man würde ihn in anderer Umbebung
anstandslos für die Figur eines Apostels halten, wie Ra-
fael sie oft gemalt hat. Ein BildBenozzo GozzoliS*) ist öfter
citirt worden, auf dem wir Thomas von Aquin in der
Mitte zwischen Plato und Aristoteles erblicken, die wie
Engel in den Lüften ihm zur Rechten und Linken schwe-
ben, aber weder hier noch sonstwo ist Aristoteles in jün-
gerer Gestalt als Plato dargestellt: beide sind ehrwürdige
Greise, und es erschiene als ein mit der symbolischen Ma-
lerei unerträglicher Naturalismus, die Jahre, welche zwi-
scheu der Geburt des einen und des andern liegen an ihrer
Äußeren Gestalt merklich werden zu laffen. Wie sollte es denn
mit denen gehalten werden, deren Geburt nicht einmal in
daffelbe Jahrhundert fällt? Denn auch Pythagoras erblicken
wir auf der Schule von Athen nach dem Willen der mo.
deinen Erklärer, der in Zeiten lebte, in denen Plato noch
nicht geboren war? Wie könnte Plato diesem gegenüber
als ein Greis erscheinen dürfen?
Doch nun ein dritter Grund des Zweifels, eine Frage,
neben der die Beantwortung der beiden ersteren ziemlich
gleichgültig ist: ob eS dem Wesen der Kunst nach über-
haupt möglich sei, daß Rafael hier nichts weiter als eine
Versammlung von Repräsentanten irgend einer Richtung
menschlicher Geistesthätigkeit zu einer Composition habe
Vereinigen wollen. __________________(Fortsetzung folgt.)
Xylographisches.
Die Künstler und Kunstfreunde mögen uns diesmal in
bie Werkstatt August Gabe r'ö folgen, welcher vornämlich
durch sein Bibelwerk, jüngst mit dem 240sten Blatte ge-
schlossen, so wie durch die Schnitte der zahlreichen lyri-
schen Zeichnungen Ludwig Richt er's sich einen ehren-
vollen Ruf erworben hat. Zuvörderst feien die beiden
Schillerblätter genannt, welche jedem Inhaber eines
Looses zur Schillerlotterie gespendet werden, nämlich ein
Schillerkalender, ein höchst gefälliges, trefflich von dem
hiesigen Maler Diettrich componirtcs Folioblatt, welches
in zwölf Kindergrnppen die Monate darstellt und bereits
im Druck sich befindet, und ein vorzügliches, in seinen
Einzclgruppen die Hauptgestalten der Schiller'schen Dra-
"*) Rosini, Storia della Pittura italiana tav. CCV. Dazu
das Bild von Trains, tav.XX. Aus der König!. Biblio-
thek vorhanden.
men und Tragödien treffend und geistreich, kunstschöu und
poetisch schilderndes, Gedenkblatt von dem talentvollen
Maler Wislicenus nach des Dichters Worten aus der
„Theilung der Erde:"
„Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr;
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!
Was thun! spricht Zeus; die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein,
Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft du kommst, er soll dir offen sein."
So sehen wir denn auch auf diesem Blatte oben, nach-
dem er unten für die Menschenwelt seine Ideale geschaffen,,
unseren erhabenen Dichter vor JoviS Thron stehen, zu
dessen Rechten Ganymed die Schaale mit göttlichem Nek-
tar füllt. Diese beiden Nietenblätter find geistig mehr
werth als hundert Gewinne und bilden einen künstlerisch-
würdigen Abschluß der ganzen Schillerfeier. An diese
Schtüerblätter reiht sich als das Neueste, binnen Kurzem
Vollendete „der Sonntag", eine Suite von zehn Blät-
tern Ludwig Richter's, in denen sich die ganze kindliche
Herzinnigkert und himmlische Seelenreinheit des gefeierten
Meisters in wahrhaft nährender Anmuth offenbart. Einsin-^
niges, nach Art der Kleinmeister in den ersten Jahrzehnten deö
sechszehnten Jahrhunderts, Altdorfer, Aldegrever, Pencz, Bink
u. A. ausgeführtes Merkchen voll religiöser Empfindung
find Gaber's „Festbilder mit Liedern für das christliche
Volk" nach Compositionenvon Andreä, Frankel, Diettrich u. A.
Tritt uns in diesen zarten und gemüthvollen Festbildchen,
welche besonders für die Kinderwelt bestimmt sind, um
ihren religiösen Sinn zu wecken und ihr zugleich von frühe
an in künstlerisch - edler Gestalt daö Christenthum vorzu-
führen und einzuprägen gegenüber den tausend fratzenhaf-
ten Heiligen und Mavonnen, die religiöse Kunst in zier-
lichster Mtniaturgestalt entgegen, so schwingen sich die drei,
mehrere Ouadratsuß einnehmenden Blätter, mit die umfang-
reichsten Holztafeldrucke, welche existiren, eigene Compo-
sttionen Gaber's, eine Anbetung und eine Kreuzigung im
Style Martin Schön's und eine Auferstehung im Gtyle
Dürer's, in ihren kühnen Zügen auch zu formeller Größe
auf. Es wäre recht sehr zu wünschen, daß diese wahr-
haften Christbilder keinem evangelischen und katholischen
Schulzimmer fehlen möchten, um auch in der Schule selbst
das Auge und das Gemüth des KindeS durch diese edeln
großen Züge zu dem Tiefen und Erhabenen der christlichen
Kunst und Lehre zu erziehen. Ein nicht minder gediegenes^
nach Art mittelalterlicher Miniaturen ausgeführtes Büchel-
chen ist die Komödie von Hans Sachs „die unvergleichlichen
Kinder Evae, wie sie der Herr anredt, hat 19 Personen
und 5 Actus" mit den Illustrationen und Randleisten
Gaber's nach Karl Andreae, ein in literarischer wie arti-
stischer Hinsicht sehr empfchlenswertheö Schriftchen. So
wie der oben genannte „Sonntag" vollendet ist, geht Ga-
ber an eine sehr interessante Und geistreiche, aber auch sehr
schwierige Arbeit, nämlich an die xylographische Wieder-
gabe der Frescen in dem Landgrafenzimmer auf der
Wartburg von Moritz v. Schwindt, nach seinen vorlie-
genden Originalcartons und Aquarellen, welche die Ge-
schichte der Wartburg behandeln. Binnen wenigen Mo-
naten wird auch dieses treffliche, in sieben Blättern er-
scheinende Werk der Kunstwelt übergeben werden. Ist
Richter ein Hauptvertreter der naiven Lyrik in der mo-
dernen deutschen Kunst, so Schwindt der heroischen Ro-
mantik. Jedes seiner Blätter, man betrachte nur die vor
wenig Tagen erst photographisch vervielfältigten Blätter
zu dem Märchen von den sieben Raben, ist eine Dichtung
von schwungreichster Romantik. Kein Maler hat sich so
tief und sceleneins in das Wesen des Märchens, der Le-
gende und der Romanze hineingelebt und versteht und
vermag ihre Phantasiegebilde in so zauberhaft romanti-
schen Kunstformen zu schildern, als Schwindt. Von den
Schülern Gaber's möge noch Karl Oertel genannt wer-
den, der bereits durch die Ausführung des Nürnberger
Dürer-Albums sich einen Namen unter den deutschen Xy-
lographen erworben hat.
Dresden, im Februar 1861. R. F.
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Ji LS Erste Beilage ;ar Königt- prwstegirtm Berlinischen Zeitmig. 1861.
PÜS
Athen
wie weit
Dispnta und Schule
oder.
man gebunden an die
der Zeitgenossen
bei der
Erklärung von Kunstwerken.
5.
Die vollendete Kunst, diejenige also, welche weder Vor-
stufe noch Verfall ist, will deu Menschen etwas vordre
Augen bringen, das ihnen im höchsten Grade bedeutungs-
voll ist. Um dies zu erreichen, genügt es ihr nicht, einen
beliebigen Moment darzustellen, der an sich als historisch
ergreifend erscheint, sondern der Künstler will ihn so er-
scheinen lassen, daß er, wenn alle Erklärung dessen, was
fr bedeutet, fortfiele, durch die bloße Macht der Form
dennoch seinen Zweck erreichte.
Wir find keine Griechen, und die Mythen, in deren
Kreise sich die Tragödien des «Sophokles oder Aeschylus
bewegen, haben für uns nichts, was ihnen den natio-
nalen erschütternden Inhalt verliehe, den sie für die
Griechen besaßen, dennoch ergreifen uns die Tragödien,
wenn wir die darin handelnden Personen nur als bloße
Charaktere mit beliebigen Namen nehmen. Oder. um
«ine einzelne einfache Figur zu nennen: die Venus von
Melos; wir beten nicht mehr zu ihr, es ist unö gleich-
gültig. wer fie sei, eine Göttin oder ein Mädchen von
der Straße, aber als die Gestalt einer Frau an sich be-
zaubert sie uns. Ein großer Künstler giebt feinem Werke
neben dem seiner Zeit allein verständlichen Inhalte einen
zweiten höheren Inhalt, den wir den allgemein menschli-
chen nennen, und der unabhängig von dem, was Zeitge-
nossen in dem Werke erblicken oder von ihm verlangten,
unvertilgbar, so lange es selbst dauert, an ihm haften
bleibt.
Was bliebe als dieser ideale Inhalt zurück, wenn wir
bei ganzen Reihen der Darstellung des heiligen Abend-
maleS zum Beispiel Unwissenheit über seine Bedeutung
voraussetzten? Man sähe auf den meisten Gemälden
nichts als eine Anzahl Männer, welche zusammen an
einer Tafel speisen. Lionardo da Vinci malte diese
Darstellung zuerst so, daß man fühlt, die Handlung Christi
in der Mitte unter den andern, wie er das Brot bricht
und die erklärenden Worte redet, sei wie ein elektrischer
Funke, der die Uebrigen durchzuckt und ihre Bewegungen
und Mienen bedingt. Ohne Kenntniß besten, was gesche-
hen sei, würde Zeder dennoch fühlen, eine Anzahl vereinter
Männer sei durch eine fie überraschende, tief bedeutende
That in die höchste Erregung versetzt. Denn in Allen
drückt fich eine, die ganze Seele ergreifende Erschütterung
aus, bei jedem anders, seinem eigenthümlichen Charakter
nach; lauter Schicksale glauben wir vor unö zu sehen, und
mitten unter ihnen Chrtstuö, so schön, so einsam; einsam
wie eine Seele in einem Körper, der ihr nichts mehr
nützen kann in ihrer Todesstunde.
Waö die Cornposition eines Malers haben muß, wenn
fie ohne die historische Bedeutung der Figuren, welche
dargestellt find, durch ihre bloße Vereinigung zu einem
Ganzen auf den Zuschauer wirken soll, ist Einheit,
oder bester gesagt, dramatisches Jntereste der Handlung.
Gtne Kraft, die alles in Bewegung bringt und die
Mitte des Gemäldes bildet, muß vorhanden sein. In
Rafael's siorentinischer Zeit fehlt fie nicht selten, auf sei-
nen römischen Arbeiten aber fast nie. Der Umschwung der
Dinge, die erschütternde That ist da immer die Seele
deS Bildeö. Gehen wir die Zimmer des Vatikans durch.
Der Moment, wo der Priester die Hostie sich in Blut
verwandeln steht, aus der Meste von Bolsena; oder, wo der
Papst durch sein Wort die Feuersbrunst zum stehen bringt,
auf dem Burgbrand; oder, wo Petrus aus dem Gefäng-
niß entführt und die Wächter auf der anderen Seite
eben im Erwachen find; oder wo Attila und Heliodor
durch plötzlich einbrechende Mächte vertrieben und
bestraft werden; oder endlich, der Moment, wo das Kreuz
Sonntag den 3.
erscheint und die Schlacht fich für den kämpfenden Con-
I stantin entscheidet*. überall weiß Rafael durch die
Meinungen! richtige Wahl des dargestellten Augenblrcks seinen Zweck
i zu erreichen, und oft, wenn der seltsam zugeschnittene
! Raum es fast unmöglich macht, hat er dennoch mit dem
größten Geschick die Grundbedingung einer guten Com-
pofition innegehalten. Immer ist es ein das Ganze for-
mender Gedanke, der sie gleichsam zum Cristallifiren
bringt, und je länger Rafael's Künstlerlaufbahn sich aus-
dehnt, um so prägnanter wtrd diese Eigenschaft seiner
Werke. Ein Zeichen aber. daß er hier bewußt verfuhr,
find oft die ersten Skizzen seiner Compositionen. So
die Vertreibung Attila's, wo die anfangs abgetrennt im
Hintergründe heranziehende Gruppe des Papstes bei der
Ausführung auf das Genauste dem leitenden Gedanken
des Ganzen einverleibt wurde, oder bei den Teppichen
der Fischzug Petri, wo er eine ähnliche Trennung verschieden,
artiger Gruppen später aufhob.
6.
Von den Wandgemälden der Vatikanischen Zimmer fehlt
nur einer Compofttion diese Einheit: dem Parnaß, der
aus einer sehr ungünstigen Fläche freilich, über und um
eins der in die Wandstäche hineingreifenden Fenster ge-
malt worden ist. Ich möchte das Werk aus diesem
Grunde, wie auch deshalb, weil es deutliche Spuren
von Rafael's florentinisch mehr graziöser und etwas ma-
gerer Manier an sich trägt, für seine frühste römische Ar-
beit halten. Denn die darunterstehende Jahreszahl scheint
sich, da fie bei den andern Gemälden mangelt, auf die
Vollendung des ganzen Zimmers zu beziehen. Auf dem
Parnaß sehen wir in der That nur einzelne, durch das
bloße Arrangement vereinigte Gruppen. Jedoch, wenn
wir den neueren Erklärern trauen, wäre dies auch bei
der Schule von Athen und der Disputa der Fall, und
ohne genaue Kenntniß der katholischen Kirchengeschichte
wie der der Philosophie blieben es unverständliche Gruppen,
die ohne inneren Zusammenhang auseinanderfielen. Qua-
trenwre de Ouincy sagt schlichlhin, es sei keine Handlung
in der Disputa. Die Anderen scheinen diesen Punkt über-
haupt nicht in Betracht gezogen zu haben. Nur in der
im vorigen Jahre erschienenen Schrift von Anton Sprin-
ger ist darauf hingewiesen; der eine, sämmtliche Per-
sonen vereinigende große Zug der Begeisterung wird
dringend hervorgehoben und dies Moment für wichtiger
erklärt, als die Deutung der einzelnen Figuren aus der
Kirchengefchichte.
Allein auck Springer bleibt auf einem gewissen Punkte
stehen und findet nur die Hälfte von dem in dem Ge-
mälde, das fick mir darauf mit sprechender Deutlichkeit
vor die Augen stellt.
Einen Moment der höchsten Ueberraschung erblicken wir.
Die bisherigen Erklärer haben als etwas, was weiter kei-
ner Erwähnung bedürfte, angenommen, der aufgethane
Himmel mit seiner Herrlichkeit stehe über der Versammlung
unten fest da, wie ein dauernder Regenbogen etwa über
einer Landschaft. Vielmehr die Minute hat Rafael zur
Anschauung bringen wollen, wo die Gewölks eben reißen
und die überirdische Herrlichkeit durchbricht, die alles wei-
tere Dispntircn unnütz macht. Und dieser Uebergang vom
Suchen zum Schauen der Wahrheit finden wir ausgeprägt
in den Bewegungen der Versammlung.
Einige find noch versunken in das Gespräch oder ein-
sam in ihre Bücher, andere aber, entzückt vom plötzlichen
Glanze, blicken auf, die Bücher liegen vor ihnen auf
dem Boden, die ihren Händen entfallen find, deren sie
nicht mehr bedürfen, und entweder völlig erfüllt von
Staunen und Anbetung, blicken sie empor, oder einer sich
des andern erinnernd theilt ihm mit, was geschehen ist, und
fordert ihn auf, hinanzusehen. So die Gruppe links im
Vordergründe, wo der Jüngling dem älteren Manne, der
in sein Buch vertieft ist und nichts von der neuen Offen-
barun g ahnt, einen Anstoß giebt. Dieser denkt er wolle
eine der feinigen entgegenstehende Meinung äußern, und
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
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deutet, sich nur halb nach ihm umwendend, auf die Seile
des Buches, wo die für ihn sprechenden Gründe^eschrieben
seien, der Jüngling aber hebt die Hand auf zu der Erschei-
nung, die allem Streiten ein Ziel setzt. Und so, als die na-
türlichsten Zwischenstufen von der Versenkung in die eignen
Gedanken bis zum Erkennen des erscheinenden Glanzes,
sind alle Gestalten in ihrer Bewegung zu deuten, und
deshalb erschöpft auch die Unterschrift eines alten Stiches
der Diöputa aus dem Jahre 1552 den Inhalt des Bildes
mit den Worten „Die vornehmsten Männer, (procerös)
der heiligen Kirche loben und beten an die heilige Drei-
einigkeit und die von den Bewohnenr des Himmels um-
gebene Majestät GotteS. Wen sollte ihr Beispiel nicht
zur Frömmigkeit anregen?" Diese Worte widersprechen
denen Vasari's nicht. Vasari theilt den Inhalt des Ge-
mäldes nur zur Hälfte mit: er sagt was geschieht. d:e
Unterschrift des Stiches fügt hinzu, wie eö geschieht; was
bei Vasori ein Zustand war, wird so zu einer Handlung.
Es sind die Männer der Kirche, welche über die Drei-
einigkeit verschiedene Meinungen hegen, die dann aber
durch die Erscheinung der Dreieinigkeit selbst ihrem Streite
entrückt und durch eine höhere Gewalt als die menschlicher
Logik zu dem sie alle vereinigenden Resultate gelangen.
Kann eö danach noch als verlockend erscheinen, für die
einzelnen, in ihrer Bewegung so deutlichen Personen histo--
rische Namen herauszufinden? Es bedarf dessen nicht.
Und wenn es uns gelänge, das Verständnis; des Gemäl-
des würde dadurch kaum gefördert werden.
Eine historische Anspielung anderer Art jedoch fällt mir
auf, die es enthalten könnte. Wir gedenken, daß ui j neu
Jahren, in denen Rafael im Vaticau zu malen begann,
der Bau der Peterskircbe vom Papste neu aufgenommen
worden war. Darauf könnten die mächtigen Anfänge ei-
nes Gebäudes Bezug haben, die sich auf dem Bilde etwas
gewaltsam sogar tm Vordergründe rectfts bemerklich machen.
Auch der Bau der Kirche links in der Ferne könnte mit
Beziehung darauf in das Bild gekommen fein. Damit
erinnerte das Ganze an diese erste ungeheure Unterneh-
mung des PapfteS, und das Bild träte somit, als ein hi-
storisch symbolisches in eine Reihe mit den übrigen Ge-
mälden in den Zimmern deö Vatican, in denen die Tha-
ten Julius des Zweiten oder Leo's verherrlicht sind. Da-
mit stimmten daun auch die vielen Portraits, die sich nach
Vai'ari auf dem Gemälde befunden haben sollen.
Welches Symbol aber wäre passender gewesen, um
den Neubau der Peterökirche, die gewissermaßen für dre
Christenheit das war. was der Tempel deö Zeus in
Delphi für die Griechen, zu verewigen, als die sich of-
fenbarende Dreieinigkeit? Und ihr zu Füßen, als Tauf»
pathen der neuen Kirche gleichsam, die vornehmsten Män-
ner, die im Dienste des Glaubens unter den Andern her-
vorragten? Savonavola wurde von Rafael ihnen der.
gesellt, aus dankbarer Erinnerung an Fra Bartolo-
meo, seinen Lehrer in Florenz, der ein Mönch in San
Marco und eifriger Anhänger des großen Mannes gewe-
sen war. Man verehrte thu damals wie einen Heiligen;
zum Ketzer war er, wie Einige schreiben, niemals erklärt
worden. Zu alledem noch ein äußerlicher Grund dafür,
daß mit dem begonnenen Gemäuer der neue Sankt Peter
gemeint sei: die Höhe scheint dem Maaße von 5 Fuß zu
eutsptecheu, zu dem die Mauern des Papstes NicoiavS
gediehen waren, als Julius H. deren Fvrtbau in Angriff
nahm.
Auch der Schule von Athen würde jede Bewegung ab-
gehen, wenn wir sie für das gelten ließen, waS Die neuere
Erklärung aus ihr gemacht hat. Statt mtt einem Gedichte
müßte man sie dann mit einer gelehrten Vorlesung verglei-
chen. Welcher belebende Gedanke hätte diese Massen so
geformt, wenn es lauter einzelne Erscheinungen aus der
Historie der Philosophie wären? Worüber diöputircn Plato
und Aristoteles? Was lockt die Anderen, ihnen mit so
plötzlich erwachenden Eifer zuzuhören? Was bewegte die
Gruppen im Vordergründe? Was ist geschehen, ehe alle
diese Männer so zusammen kamen? Waö geschieht im
Momente? Was wird geschehen? — Das find dre drei
Fragen, die ein ächtes Kunstwerk beantworten muß. unv
die hier vergebens gethan würden. Mau könnte höchstens
denken, die Männer würden so sitzen und stehen bis sie
ermüdeten und dann nach Belieben dahin und dorthin
gehen. ES wäre nichts als eine große Gelehrtenparade.
Hätte man wenigstens gesagt, der symbolische Augen-
blick sei dargestellt, in welchem Plato und Aristoteles ihre
im höchsten Widersprüche befindlichen ersten Ideen einan-
der gegenüberstellen und die übrigen Philosophen je ihren
Neigungen nach dahin oder dorthin zu sich hinüberziehen.
Aber diese Bewegung hätte doch nur ernste Männer er-
faßt, während wir hier auch Kinder sehen und überhaupt
eine Versammlung, die nicht aus Gelehrten, sondern auS
Leuten jedes Alters zusammengesetzt ist: Volk, um es mit
einem Worte zu sagen.
Indessen, diese Einwürfe ließen sich immer noch beseitigen.
Rafael könnte ja, obgleich es sich hier darum handeln folh.
das System des uralten Plato dem des nicht weniger uralten
Aristoteles entgegenzusetzen, diesen trotzdem als den Schüler
und somit als den jüngeren Mann haben auffassen wollen.
Und des Papstes Wille hätte es sein können, eine Illu-
stration zu des Diogenes von Laörte Geschichte der griechi-
schen Philosophie (wie Passavant die Sache nimmt), auf
der Wand seines Zimmers gemalt zu sehn. Und endlich,
Vasari sagt in der That etwas augenscheinlich unhalt-
bares, wenn er behauptet, die Astrologen hätten den Evan-
gelisten ihre Tafeln gesandt, damit diese sie erklären möch-
ten. Das ist sichtbar, daß zwischen der Gruppe der Astro-
logen und der der Evangelisten keine Spur von Zusam-
menhang vom Künstler angedeutet wurde. Ebensowenig
! erklären die Evangelisten etwaö. Sie schreiben, mehr
thun sie nicht. Sie könnten allenfalls schriftliche Erklä-
rungen geben.
Lassen wir deshalb auch Vasari fallen. . Er liefert
zu häufige Beweise von Unzuverlässigkeit, als daß man
seine Sache irgendwo durchfechten möchte. Sei es den
neuen Erkläreru der beiden Bilder zugegeben, daß
seine Angaben unbrauchbar sind, und daß man das Recht
habe, sie beim mindesten Widerspruch mit andern Quellen
oder auch nur mit deut, waö heute die von ihm belpro-
chenen Arbeiten rein an sich betrachtet zu enthalten ichei-
nen. unberücksichtigt zu lassen. Sei auch ferner das an-
erkannt, daß Lomazzo, der in seinem Trattato della Pit-
tura (Mailand, 1555), mit Vasari übereinstimmt, ihn nur
ausgeschrieben habe ohne selbst in-Rom die Gemälde zu
prüfen, und daß es sich mit Borghini (il Riposo, 1585)
ebenso verhalte: zwei Quellen für die Erklärung der
Schule von Athen bleiben übrig, denen sich nichts anhaben
läßt, und die dadurch, daß sie von Vasari in Einigem ab-
weichen, in Anderen, aber mit ihm übereinstimmen, seinen
Angaben sogar auf's neue eine theilweise Brauchbarkeit
verleihen.
Derselbe Künstler nämlich, von dem jener bei der Dis-
pnta citirte Stich ausging, hat auch die Schule von Athen
gestochen, ein Blatt, welches in demselben Jahre mit Va-
sari's erster Ausgabe herauskam. Eö ist Giorgio Ghifi,
ein Schüler Giufto Romano's und in den Traditionen
der Rafaelischen Schule groß geworden. Die von Ghisi
aus sein Blatt gesetzte Erklärung der Schule von Athen
aber lautet dahin, daß der Apostel Paulus dargestellt
sei, der in Athen daö Christenthum verkündigt. „Paulus,
zu Athen durch einige Epikuräer und Stoiker in den Areo-
pag geführt und mitten darauf stehend, erblickt den Altar
(mit der Inschrift „dem unb kannten Gotte") und erklärt,
wer dieser unbekannte Gott sei. Er greift den Götzen-
dienst tadelnd an, giebt den Rath, in sich zu gehen, und
verkündet das jüngste Gericht und die Auferstehung Christi.^
Bringt das nicht mit einem Schlage Leben in die Masse
und erklärt ihre Bewegung? Und eben so klar, wie die-
ses Blatt die Mittelgruppe deutet, zeigt der Stich eines
noch früheren Kupferstechers, welcher Kern in Vasari'S
Angabe, die Gruppe vorn linkö seien die Evangelisten
eigentlich enthalten war. Agostiuo Venetiano, ein Schü-
r ler Marc Anton's, stach in, Jahre 1524 diese Figuren für
! sich allein, zu einer Zeit also, zu der das Gemälde
i
kaum fünfzehn Jahre alt und weder der ersten Be-
schädigung im Jahre 1527, als der Vatican nach der Grobe-
rung der Stadr vom Prinzen von Orange bewohnt wurde,
ausgesetzt, noch auch von den unzähligen späteren Miß-
handlungen berührt worden war, die es durch Beschmutzen,
Reinigen, Uebermalen und fahrlässiges Copiren erfahren
hat. Aus Agostino's Arbeit erkennen wir, daß nicht
Matthäus, wie Vasari will, sondern der Evangelist Lucas
hi dem schreibenden Alten dargestellt sei, und daß nicht
geomantische Figuren auf der Tafel des Engels befind-
lich, sondern Worte seines Evangeliums darauf verzeich-
net sind, die er abzuschreiben begriffen ist. Auf den
Blättern des Buches, in das er schreibt, steht:
s'ttuvf 6irtt£X<ra n't •yvvv, cpai/q» s’j& reu a"XXou s'tiriv —
„Da er solches redete, erhob ein Weib im Volk die
Stimme und sprach zu ihm" «Luc. 11. 27.); auf der Ta-
fel des Engels dagegen weiter: ,ev^ye-
UiVC « p yt/Mu£s?; «aä iv Xtiyotiites o iwtgJFe? mxA.'stj A
Zyns - 3-mY“ „Gebenedeyt bist Du unter den
Weibern und gcbenedeyt die Frucht deines Leibes. Hei-
lig, heilig-heilig, Gott der Herr". (Luc. 1. 42.)
Beide Stellen sind zusammengeworfen und ein Gan-
zes ist daraus gemacht. Nicht deutlicher aber konnte
ausgedrückt werden, daß der Evangelist hier eben mit
göttlichem Beistand sein Werk verfaßte, als indem die
Fortsetzung seines Satzes auf der Tafel zu lesen steht.
Wahrscheinlich hat man aus Ueberbleibseln dieser griechi.
scheu Schrift die Worte: diapason, diapente, aiatesseron
herausgelesen, welche dastehen sollen, und auf die hin der
Evangelist in Pythagoras umgewandelt wurde.
Daß aber schon zu Vasari's Zeiten die Schrift un-
deutlich geworden war, geht daraus hervor, daß er
Figuren aus der Tafel gesehen haben will. In der
Gestalt des schönen Jünglings mit der Hand aus der
Brust, erkennen wir nun Johannes, in den. beiden Män-
nern rechts von ihm, Marcus und Matthäus; in dem
Gedränge umher daS nach der neuen Lehre begierige
Volk. Vasari, der im Ganzen also durchaus richtig er-
klärt hat, glaubte Mattyäus statt Lucas zu erken-
nen, weil Matthäus gewöhnlich mit dem dictirenden
Engel zur Seite abgebildet wird. Hier aber, wo
auch die übrigen Evangelisten ohne ihre gewohnte
Begleitung sind,' theilte Rafael den Engel dem Lucaö zu.
Man muß, wenn man die Gruppe recht erkennen wlll,
Agostino's Stich mit dem Gbifi's und der modernen Ar-
beit des Kupferstechers Volpato vergleichen. Wie bei
Agostino das aufmerksame Schreiben deö Lucas, der himm-
lisch begeisterte Ausdruck des Engels, dessen Haar ganz
anders als heute geordnet ist, und die von der neuen Lehre
wunderbar ergriffene Wißbegier des Volkes umher klarer
.erscheint, als schon bei Ghisi, und wie Volpato nun gar,
damit zusammengehalten, elegant charakterlose Gestalten
daraus machte, deren Bewegungen alles Feuer verloren
haben, und deren Gewänder selbst aus mißverstandenen
Nachahmungen der ursprünglichen Faltenlagen bestehn.
Die Abfassung und zugleich die Verbreitung der Evan»
gelten sollte hier dargestellt werden, deshalb Männer, Kin-
ser, Alt und Jung und selbst eine Frau in dem Volke,
das sich von der linken Seite her mit den Bewegungen
gläubiger Sehnsucht herandrängt.
WaS bedeutet danach nun das Gemälde? Gewiß war
nicht beabsichtigt, die Scene streng historisch darzu-
stellen, wie Paulus in Athen den unbekannten Gott ver-
kündet, sondern das Ereigniß sollte nur benutzt werden,
um symbolisch den Contact des Christenthums mit der
antiken Philosophie vor Augen zu führen. In seiner
historischen Bedeutung hat Rafael das Auftreten des
Apostels in Athen auf einem der für die Sistina gewirk-
ten Teppiche zur Anschauung gebracht. Da sehen wir den
Kreis der lau'chenven Athener, denen er mit zitternd empor-
gestreckten Händen entgegenredet. Auf beiden Gemälden
aber steht er vor dem Eingänge eines Gebäudes, zu dem
Stufen hinanführen, und sogar die Gewänder und das
Aeußere sonst entsprechen sich. Nur daß er in der Schule
Non Athen eine vornehmere, mau möchte lagen, elegantere
Haltung zu bewahren scheint, während er auf dem Teppich
ganz seinem Eifer hingegeben ist. Aber auch daS wieder
ist nur eine Sünde der Restauratoren, die auf Volpato'K
Kripferstich übergehen mußte. Man bettachte Ghifiö Blatt,
Ein ganz anderer Mann ist der Apostel da; das Haar
buschiger, der Bart weniger eng anliegend, der Blick,
feuriger, der Ausdruck weniger zurückhaltend, sondern m
dem ganzen Wesen der Erscheinung Paulus, der Prediger
des Evangeliums in der Fremde so fest und unverkenn-
bar hingestellt, daß der Vergleich mit der Figur auf dem.
Teppich nun fast völlige Uebereinstimmung zeigt.
Und uw ihn her die griechischen Philosophen. Den «n-
geheuren ^Eindruck sehen wir, den die neue Lehre macht.
Einer in tiefes Sinnen versunken, der andere nachschrei-
bend, ein dritter aus der Ferne die Freunde herbeiwin-
kend, die meisten aber in hingebender Aufmerksamkeit-
Es sei unverwehrt, den Männern Namen zu verleihen,
und, da Sokrates und Diogenes einmal genannt sind,,
auch den übrigen ihr Recht zu Theil werden zu lassen.
Allein an der Bedeutung des Ganzen ändern solche:
Entdeckungen nichts. Ich möchte auf Gbifis Stich hin
sogar die heute so frappante Aehnlichkeit deS SokrateS
als eine moderne Zuthat in Zweifel zieh». Es ist zuviel
Neues auf daö Gemälde gekommen. Wo wir heute in
der Vordergruppe rechts, in der zweiten Person vom
Rande ab, RafaelS Portrait so deutlich und ähnlich mit
seitwärts gerichteten Augen uns anblicken sehen, findet sich-
bei Ghisi ein ganz anderer Kopf; der eines älteren
Mannes, mit Falten um den Mund. anders gelegtem.
Haar und ohne eine Spur der sprechenden Äugende-,
weauug. Rafaels Bildniß ist drüben zu suchen. Ägosti-
no's Stich zeigt unverkennbar seinen Kopf und seine Ge-,
stalt unter der des Evangelisten Johannes.
Ist es mm noch nöthig, die Aufschriften Ethika und>
Timäus für modern zu erklären, die sich auf dem Ge»
mälde heutigen Tageö sehr deutlich am Schnitte der bei-
den Bücher leien lassen? ES war etwas natürliches, daß-
sie auf Vasari's, möglicherweise zu scharf ausgelegte An-
gabe hin, von den neueren Restauratoren iu das Ge-»
mälde gebracht wurden *).
Zeigt die Mitte des Bildes also, im Verein mit den
sich daranschließenden Figuren zu beiden Seiten, die Be-
rührung der antiken Philosophie mit der christlichen Lehre«
und ist es wohl erlaubt, nun auch an Vasari's Worte zu.
erinnern, daß Theologie und Philosophie hier in ihrer
Vereinigung dargestellt worden sind. so zeigen die bei-
den Gruppen im Vordergründe die Anfänge' der beiden
sich verbindenden Mächte: den der christlichen Gelehrsam-
keit in der urehnourdigen Bchriftstellerei des Evangelisten^
den .der griechischen Philosophie in der Mathema-
tik und der Bettachtung des Himmels und der
Erde. Es darf wenn von den astrologischen Dingen
des 15. und 16. Jahrhunderts die Rede ist, nicht bloss
an Spielereien bewußter Charlatcme gedacht weiden. Der
Glaube war damals tief eingewurzelt, daß die Gestirne
von Geistern, die man Intelligenzen nannte, gelenkt wür-
den, und daß mit ihren Bahnen die Verwicklungen irdk»
scher Schicksale tu abhängiger Verbindung ständen. Mac-
chiavelli und Guicciardini, aufgeklärte Politiker, wagen
das nicht in Abrede zu stellen, und bei keiner wichtigem
*) Vas. VIII. 15. Similinente vi e Aristotile e Platone*
l’uno col Timeo in mano, l’altro ccm l’Euca. Es samt*-
wenn man will, nur das heißen, daß die beiden Bücher
Timäu-.- und Ethika seien, nicht aber daß die Titel auf
dem Gemälde zu lesen wären. Auf den alten Stichen
keine Spur davon.
Nur ein Irrthum ist es wohl, wenn Fea, Nuova Des-
crizione di Roma, 1620. pag. 164. sagt: Platone a destra,
Aristotile a sirdstra, denn öttf den 1818 erschienenen
Durchzeichnungen Bach's, der die Hauptgeftalten der
Schule von Athen Linie Tür Linie genau selbst gezeichnet
und in Hol, geschnitten bat, ftnben sich die Aufschriften,
wie bei Volpato. Auch diese Blätter zeigen, wie sehr
der letztere eine dem Gemälde heute noch fremde, nnkräf-
tige Glätte in Alles hineingebracht hat.
— 4
^Unternehmung bleiben die Rathschläge der Astrologen un-
beachtet.!
An. einen Ausspruch des Grasen Pico von Mirandula
möchte ich hier erinnern, der jung, schön, reich, vornehm
und mit fabelhafter Gelehrsamkeit ausgestattet, durch fein
Bestreben, alle geistige Arbeit, wohin sie sich auch wende,
zu einem großen Ganzen, zu vereinigen, die Epoche charak-
terisirt, in der er lebte. Er stand Julius dem Zweiten
nahe. Die Philosophie, sagt er, forscht nach der Wahrheit,
Die Theologie entdeckt, die Religion besitzt sie. * **) Sollte
dieser Gegensatz sich nickt auf den beiden Gemälden wie-
derfinden? Dort die Wissenschaft in der Vereinigung von
Milosophie und Theologie, hier die Religion, der allein
Die Offenbarung zu Theil wird? Alle drei zusammen aber
bilden den Inhalt des katholischen Christenthums jener
Tage.
Und so im Hinblick hieraus schließe ich mich den Ver-
muthungen derer an, welche in dem Gebäude, vor deffen
Säuleugängen Paulus und die Philosophen stehen, die
Peterskirche in ihrer projektirten Vollendung nach Bra-
mautes Plänen erblicken. Ein passender Gegensatz zum
Beginn deö Baues auf der anderen Wand. Daß Apollo
und Minerva in den Nischen Plätze gefunden, hat nichts
Auffallendes für eine Zeit, in der der Papst einem Poeten
für sein den Göttervater Jupiter verherrlichendes lateini-
sches Gedicht im Vatikan eigenhändig und, wie er dabei
sagte, kraft apostolischer Machtvollkommenheit; eine Lor-
beerkrone aufs Haupt setzte. Zuerst erachtete er dies al.
lerdings des heidnischen Gegenstandes wegen für unzu-
lässig, that es hinterdrein aber doch. Es waren die guten al-
ten Zeiten noch, in denen man sich in Rom um nichts zu
bekümmern brauchte.
8.
Ich maaße mir nicht an, mit diesen Bemerkungen über
Disputa und Schule von Athen die Frage, wie diese bei-
den Monumente der Kunst zu deuten seien, zum Ab-
schluß gebracht zu haben. Es bedürfte vor allen Din-
gen einer genauen Prüfung des Cartons für die Schule
Don Athen, der von Rafaels eigener Hand in Mailand
aufbewahrt ist. und deffen ich mich nur im Allgemeinen
erinnere. ES bedürfte zweitens einer ausgebreitetereu
Kenntniß der ästhetischen Literatur in Italien. Allein ich
halte mich für berechtigt, folgendes Resumö aus meiner
Untersuchung zu ziehen.
1) Ueber Disputa und Schule von Athen haben wir
«ine nicht verworrene, sondern durchaus klare und einfache
Erklärung Vasari's, der die Werke in Rom gesehn und
Männer dort gekannt hat, welche ihre Entstehung miterleb-
ten. Ich nenne nur Michelangelo. *")
2) Vasari's Erklärung stimmt in Hauptpunkten überein
mit Kupferstichen Ghisi's und Agostino Venetiano's,
-welche beide, unabhängig von Vasari, die Kenntniß der
Werke Rafael's ihrem Berufe wie ihrer künstlerischen Er-
ziehung nach mehr als irgend andere sich zu eigen gemacht
haben mußten. Agostino'ö Stich insbesondere muß unter
den Augen Marc Anton's, welcher erst 1827 Rom verließ
und aufs intimste mit Rafael verbunden war, entstan-
den sein.
3) Von dem Neueren ist das, was jene Männer und
') Merkwürdig ist in Bezug hierauf die Beschreibung der
Festlichkeiten, welche 150b in Rom zur Verherrlichung des
siegreichen Einzugs des Papstes veranstaltet wurden. Da-
bei sigurirt ein auf der Höhe eines prachtvollen Wagens
stehender Knabe, über dem eine astronomische Kugel an-
gebracht ist, und auf dieser wieder eine goldene Eiche
mit ausgebreiteten Aesten. Die Eiche war das Symbol
der Rovere's, aus deren Familie Julius stammte. Ray-
naldus theilt die Beschreibung nach den Aufzeichnungen
Grassi's in den Annalen »ob anno 1505 mit.
**) Philosophie veritatem quaerit, theologia invenit, religio
possidet. Ritter, Gesch. der Phil. IX. 296.
"**) Selbst daß Vasari die Schule von Athen als das erste,
pie Dispuw als das zweite römische Werk Rafael's an-
giebt, ist, wie schon oben bemerkt wurde, nur aus Grün-
den der Zweckmäßigkeit für falsch angenommen, keines-
wegs aber durch Dokumente oder Daten irgend welcher
Art als ein Irrthum nachzuweisen.
mit ihnen andere des 16. Jahrhunderts in den beldcrr
Gemälden gefunden haben, ohne weiteres für falsch er-
klärt und eine neue Erklärung aufgebracht worden, für
die sie nichts alö ihr individuelles Gefühl, daß es eben
die passendste sei, anzuführen im Stande find.
Und viertens und zum Schluß: Das Recht darf nicht
beritten werden, Kunstwerke rein aus sich selbst zu deuten.
Liegen jedoch Erklärungen von Zeitgenoffeu des Künstlers
vor und laffen diese Erklärungen M dem Kunstwerke an-
passen, so ist es unzulässig, sie umzustoßen.
Gegen den letzten'Satz hat man gefehlt, scheint mrr.
Die eiterten Bücher besitzt die Königliche Bibliothek.
Von den Kupferstichen finden sich im Kupferstichkabinet
deö neuen Museumö folgende:
1) In einer der großen mit Rafael bezeichneten Map-
pen die Stanzen des Vatikan von Volpato; darunter die
Schule von Athen, jedoch ist es ein geringer Abdruck.
2) In einer der großen mit Rafael bezeichneten Map-
pen abermals die Schule von Athen von Volpato, ein
eben so geringes Exemplar. Ferner ein Abdruck der auf-
gekratzten Platte Ghisi's, welcher durchaus unbrauchbar ist.
Endlich ein Abdruck des 1618 aufgekratzten Stiches von
1617, welcher ein Nachstich Ghisi's ist. Auf dem Blatte
von 1617 hatte man. scheint es, Paulus und sogar dem
neben ihm stehenden Plato oder Aristoteles Heiligenscheine
gegeben, die jedoch 1648, wie ich zu bemerken glaube, wie-
der auspolirt worden sind.
3) In einem Carton (bei den großen Mappen Rafael's
liegend) die Durchzeichnungcn Bach's, Breslau, 1818. -
4) In einer mit Ghisi bezeichneten Mittelmappe der
Originaistich von Ghisi, 1550, in zwei Blättern.
5) In einer der kleinen Mappen mit den Blattern
Aposiino Venetiano'S, und zwar in der obersten, dcrStich
der Evangelisten gruppe von 1.524. *)
Den Stich der Disputa von Ghisi 1552 besitzt das
Kupserstichkabinet nickt, daqegen die große Originalzeich-
nung zu Kellers neuestem Stich dickes Gemäldes.
Man muß Volpato's Blatt, Gbisi's Originalstich und
den Agostino Venetiano's nebeneinanderlegen, um des
Unterschiedes recht inne zu werden.
Will man sich aber einen Begriff bilden von der Mühe,
mit welcher Rafael arbeitete, ehe er sich selbst zu Danke
auf den Punkt angelangt war, der ihm der höchste deuchte,
so vergleiche man die beiden Skizzen zum linken untern
Theile der Disputa mit dem Gemälde wie cs heute er-
scheint, mit Keller's oder'Volpato'ö Stiche also. Die
erste Skizze, in der Sammlung des Städelschen Museums
befindlich, zeigt die Gruppe aus lauter nackten Gestalten
zusammengesetzt. Die zweite, in der Sammlung des Erz-
herzog's Karl in Wien, dieselben Figuren, doch ganz an-
ders arrangirt und mit den schönsten Gewändern umge-
ben. Aber auch dabei beruhigte sich Rafael nicht, sondern
brachte bei der endlichen Ausführung abermals Verände.
rungen an und zwar der geschmackvollsten Art. Immer
einfacher und ruhiger wird so die Composition. Diese
drei Blätter liefern einen deutlichen Beweis für den oft
angefochtenen. Satz, daß es nicht auf einen einzigen genia-
len Wurf ankomme, sondern auf langsames, bedächtiges
Vorfchreiten bei der Arbeitz bis dann endlich das Vollen-
dete, das in feiner ruhigen Einfachheit aussieht, als wäre
eö mit leichter Mühe gleich fertig hingestellt worden, erst
als die Frucht langer Ueberlegung zum Vorschein kommt-
Die Skizzen ßnd in photographischen Abbildungen im
Kupferstich-Kabinet des neuen Museums zu finden.
Berlin, im Februar 1861. Herman Grimm.
*) Auffallend ist an dem Blatte, daß hinter Lucas statt der
auf dem Gemälde vorhandenen Frau, hier der sich sogcr
etwas vordrängende Kopf eines Mannes mit lehr in-
dividuellem Ausdrucke erscheint. Wahrscheinlich das Por-
ttait Agostino's selber, der den Tausch sür erlaubt hielt,
wie er auch einen Hintergrund nach seiner Fayon zu deut
Ganzen erfunden hat. Solchen Zusätzen begegnen wir
"y *t -,)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
aus : Recensionen und Mittheilungen über bildende
Kunst,Wien, Nr.44, 1865, Nov.4, S. 350
Zu Rafaels „Schule von Athen"
erhalten wir in Folge des Aufsatzes in Nr. 41 d. Bl.
von dem Unterzeichneten die nachstehende Zuschrift:
Geehrte Redaktion.
Hätten sie die Freundlichkeit, folgenden Bemerkungen
einen Platz in Ihrem Blatte zu gönnen?
1. Herr Professor Hettner läßt in dem gegen meine
Auffassung der „Schule von Athen" gerichteten Aufsatze den Stich
vom Jahre 1524 unerwähnt, welcher den sogenannten Pytha-
goras bereits als Evangelisten darstellt.
2. Ich habe ausdrücklich hervorgehoben, daß mir selbst
die Umdeutung des sogenannten Plato in Paulus bedenklich
erschien.
3. Die Inschrift auf dem „Parnaß" bezieht sich doch wohl
auf die Vollendung der sämmtlichen Malereien des Gemaches.
Pass avant nimmt an, daß der „Parnaß" zwischen „DiSputa"
und „Schule von Athen" falle. Daß es jedoch die älteste Kom-
position sei, zeigt der von Marc an ton gestochene erste Ent-
wurf Rafael's.
4. Die Inschriften der Deckenfiguren brauchten nicht
speciell erwähnt zu werden, da ich in ganz verständlicher Weise
anstatt „Philosophie" für Oausarum cognitio „Wissenschaft",
anstatt „Theologie" für Rerum clivinarum scientia „Offen-
barung" vorschlug.
5. Meine Erklärung der beiden Gemälde dürfte insofern
kaum als „Neuerung" zu bezeichnen sein, als sie nichts als ein
Versuch ist» der Anschauung des 16. und 17. Jahrhunderts
wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen.
6. Nicht meine, sondern die Ansicht P ass a vant's (um
sie so zu bezeichnen), für welche Hr. Professor Hettner ein-
tritt, beruht auf sogenannten inneren Gründen, indem Passa-
vant und seine Anhänger an Stelle des vorhandenen urkund-
lichen Materials nur ihre eigenen, unter sich abweichenden,
theoretischen Aufstellungen ihren Erklärungen zu Grunde legten,
deren geistreiche und oft einleuchtende Durchführung ich aner-
kannt habe.
7. Es ist ausdrücklich von mir erklärt worden, daß mein
Versuch, Vasari's Deutung der „Schule von Athen" zu retten,
eben nur ein Versuch sei, bei dem ich mich im Irrthum
befinden könnte. Ich nahm für diesen Fall nur das Verdienst
in Anspruch, zu Vasari's Gunsten zusammengestellt zu haben,
was aufzufinden war und was man bisher nicht gehörig
gewürdigt zu haben schien.
Hochachtungsvoll
H. Grimm.
Berlin, 1. November 1865.
»««litt.
fMorgewAusgabe.)
Sonnabend, 23. November
Abonnement: für Berlin viertelt. 6^75^ (2^)
für das deutsche Resch u. ganz Oesterreich §Jt (3^)
Bestellungen nehmen an die Expedition, Fran-
zösische Str. 51, und sämmtliche Postanstalten.
I K h er l t.
Deutschland. Berlin: der deutsch-russische Grenzverkehr; die
Rechtsanwaltschaft im Reichstag; zur orientalischen Krisis;
Reichstagssitzung; zum Patentschutz; Eidesformel; der preu-
ßische Episkopat und die Staatsaufsicht über das Diözesan»
vermögen
Oesterreich-ungarische Monarchie. Wien: das Bankstatut
in der Versammlung der Verfassungspartei.
Großbritannien. London: die Presse über die Audienz des
Lord Lostus beim Kaiser Alexander
Italien. Rom: zur Parteibilduna im italienischen Parlament.
Griechenland. Athen: die Rückkehr des Königs; anS den
Kämmen:.
Nußland und Polen. Odessa: zu den Kriegsrüstungen in
Südrußland.
Amtliche Nachrichten.
Berliner Nachrichten.
Aus dem Reich und den Provinzen.
Verhandlungen des Reichstags.
Parlamentarische Nachrichten.
Militärische Glossen zur Orientfrage.
Wählbewegung.
Berliner Börsenhalle.
an
* Berlin, 24. November.
Der deutsch-russische Grenzverkehr.
In den zwanzig Jahren der Regierung Kaiser Alexan-
ders LI., welche Umwandlungen haben die beiden Nachbarn,
Deutschland und Rußland, durchgemacht! Hüben vorwiegend
staatsrechtlich, zwischenstaatlich, drüben hauptsächlich inner-
staatlich, volkswirthschastlich. Kaiser Alexander hat zuerst
seinem Volke das Bewußtsein selbständigeren Eigenlebens
eröffnet. Aber während die Entwicklung der Volkskräste für
die innere Gesetzgebung Rußlands auf dem Grunde aufstre-
bender Bewegung erwuchs, haben die Regeln des Wechsel-
verkehrs mit'Europa keineswegs dasselbe Vertrauen in den
Nutzen erhöhter Bewegung, freieren Austausches gezeigt.
Wir erinnern uns sehr wohl noch der nikolaitischen Zeit
mit ihrem Absperrungssystem, das dem Russen entweder
gar nicht oder nur gegen eine Steuer von 500 Thlr. ge-
stattete die Grenze des'Reichs zu überschreiten. Es war das
ein Prohibitivzoll gegen die Einführung bewegender west-
europäischer Ideen, fremden Wesens. Heute ist diese unver-
ständige Härte gewichen, aber die Grundanschauung, aus
welcher sie stammt, ist geblieben/ Diese Grundanschauung,
die einen vollkommenen Gegensatz zu der Meinung des
übrigen Europa bildet, gipfelt in der Scheu vor zu inniger
Wechselwirkung mit den Abendlande, in dem Widerstreben
gegen die in Europa längst feststehende Erkenntniß, daß jedes
Volk grundsätzlich im eigenen Interesse bestrebt sein muh.
diesen Wechselwirkungen möglichst die Weae zu ebnen. Denn
nur sp gleichen sich widersprechende Interessen im Völkerleben
aus yr 511 £ 'snrftfffi: Aufwuckern feindlicher Strömuuae"
Wir in letzte^.AÄ wiedlA, tyuöi
und Hinderungen hingewiesen, welche an^l?er^Ljsischen Grenze
unserem Waarenverkehr sich entgegenstellen. Wir wisse:
bislang nicht, ob diese so alten Klagen hüben oder drüben ein
Ohr gesunden haben, das ein praktischer Leiter zu einer ein-
flußreichen Hand wäre. Aber wir meinen, daß es wohl “
der Zeit wäre, solchen gerechtfertigten Forderungen näher
treten. Man sagt uns seit lange, wir seien die besten Freun
Rußlands. Freilich, wir haben erlebt, daß Rußland uns ge-
holfen hat, und daß.wir Rußland geholfen haben. Wenig
Vertrauen erweckt aber eilMyreundfchast, bei der der eine
Freund unter viilen Aevesversicherungen stets bestrebt ist,
dem andern kötperljchMnd geistig so fern zu bleiben, als die
Rachbarlich^kWand^v gestattet. Heute, wo wir unzweifelhaft
s himmlische und irdische Liebe,
estochen von Friedrich Weber.
ich Weber in Basel (mit dem ich seit vielen Jahren
befreundet bin) hat mir bereits zu wiederholten
Gelegenheit gegeben, mich öffentlich über seine Arbeiten
zusprechen. Er schafft mit anhaltendem Fleiße weiter
> zeigt in jeder neuen Platte neue Seiten seines Talentes.
Während die früheren Sachen mehr den Stempel der fran-
zösischen Schule tragen, aus der Weber hervorgegangen ist
und der er anfänglich ganz angehörte: eine manchmal zu sehr
hervortretende, uns etwas kühl anmuthende Eleganz,
hat er von der Zeit an, wo er nach seiner Vaterstadt
Basel übersiedelte und Gemälde des dortigen Museums
zu stechen begann, seinen Stichen immer größere
Wärme gegeben. Die so wachsende Fähigkeit trieb ihn an,
sich neue Aufgaben in dieser Richtung zu stellen. Hätte mir
-'ber vor zehn Jahren gesagt, er beabsichtige Tizian's
Himmlische und irdische Liebe zu stechen, so würde ich be-
denklich gewesen sein wie er damit zu Stande käme. Nach-
dem ich in der Folge aber seine Madonna von Lugano (von
Lnini) und sein Portrait Amerbachs (nach Holbein) gesehen,
konnte ich nicht zweifeln, daß es dieses Gemälde bewältigen
werde. Trotzdem machte mich ein Abdruck der begonnenen
Platte, welchen ich im Sommer ans der Münchener Aus-
stellung sah, wieder zweifelhaft in Betreff des letzten farbigen
Hauches, der da noch fo ganz fehlte und von dem angesichts
dessen was vorlag nun zu fürchten stand, daß er überhaupt
ausbleiben könnte. Als ich jetzt aber das Blatt aufrollte, das
er mirvor einigenWochenin einemPariserAbdrucke zusandte,war
ich überrascht von der vollendeten Leistung. Die Wiener
Abdrücke, welche ich später in hiesigen Kunsthandlungen sah,
bringen die Platte nicht so zur Geltung. Die Farbe ist
schwärzer und kälter im Ton und manche zarte Linien wirken
n hart. Genau derselbe Uebelstand, welcher sich bei den
'erliner Abdrücken der Bella Visconti geltend machte, die
Weber vor einigen Jahren gestochen hat und die hier heraus-
gekommen ist. Ein in Darmstadt gedruckter Probedruck dieses
Blattes, den ich besitze, übertrifft für mein Gefühl alle
spätern Berliner Abzüge. Was jenen in München ausge-
stellten Abdruck der unvollendeten Platte anlangt, so sollte
ein Kupferstecher niemals einwilligen, daß seine Arbeiten vor
ihrem völligen Abschlüsse dem größeren Publikum mitge-
theilt werden.
Nur wer Tizians Gemälde in der Galerie Borghese selbst
gesehen hat, wird die Schwierigkeiten ganz ermessen, welche
dem Stecher hier sich darbieten.' Ein Zusammen-
treffen lebhafter Farben findet statt, welche in bloßes Weiß
und Schwarz zu transponiren fast unmöglich erscheinen muß.
wesentliche Dienste Rußland geleistet haben, leisten, vielleicht
noch leisten werden, hieße es den Werth der Freundschaft sehr
fraglich machen, wenn unsere Reichsleitung es wieder unter-
ließe, Rußland an die ersten Pflichten zu mahnen, die solche
Freundschaft mit sich bringt.
Niemand erwartet von Rußland, daß es heute plötzlich
freihändlcrisch werde. Wir wißen sehr wohl, daß das eine
unbillige Forderung wäre, und wir halten jede Forderung für
unbillig, die das 'Interesse des einen Theiles allein berück-
sichtigt. Allein so liegt der Fall nicht. Wir haben gefordert
die Abschaffung von Einrichtungen, welche unsern Waaren-
verkehr schwer schädigen, ohne Rußland zu nutzen.
Und wir fordern ferner, daß ebenso alle prinzipiellen Hinde-
rungen des Personenverkehrs beseitigt werden. Wenn Ruß-
land das Prinzip nicht ausgiebt, den Waaren- und Per-
sonenverkehr mit Deutschland auf das Unvermeidliche
zu beschranken, so können wir auf die Dauer an seinen guten
Willen, an seine Freundschaft nicht glauben. Wir haben
seit Jahren die Erfahrung, daß Rußland nur mit äußerstem
Widerstreben seine Grenze neuen Bahnanschlüssen öffnete.
Statt sein eigenstes, hohes Interesse darin zu erkennen, daß
ein lebhafter Verkehr mit dem Auslande angebahnt werde
zur natürlichen Durchdringung und Ergänzung der beider-
seitigen schlummernden Kräfte, haben nur die äußersten Be-
mühungen es vermocht, die wenigen Bahnanschlüsse zu er-
möglichen, die wir im Osten haben. Diese Haltung Rußlands
erinnert noch immer an jenen heute nur noch als Stoff für
billigert Witz dienenden russischen Staatsgedanken, das
russische Bahngeleis abweichender Spurweite zu versehen,
damit Europa nicht seine Armeen in das Reich hineinfahren
lassen könne.
Seit Jahren bemüht man sieb bei uns um/Bahuanschlüsse
nach Mlawa in Polen und nach' Tauroggen in dem Gou-
verment Kowno hin. Die Verbindung Königsbergs mit
Mlawa und den südwestlichen,GMkten Rußlands ist eine
eben so billige Forderung, als die Wahnverbindung Mlawa-
Danzig es war. Und von gleich^ Nothwendigkeit ist die
direkte Verbindung Königsbergs mit der nächflgelegenen russi-
schen Grenze bei Tilsit. Es heißt, jdie preußische Negierung
beabsichtige, unbekümmert um die wisher stets unveränderte
Weigerung Rußlands/ einen Anschlitz von der Bahn Libau-
Romny aus nach Tauroggen zu ronzeffioniren, den Ban
einer direkten Bahn von Königsberg über Labiau nach
Tauroggen hin zu unterstützen. ' iSollen wir wirklich an-
nehmen, daß man russischerseits sort.^'ren werde, den Weiter-
bau ait verweigern? Man sagt, Ashland wende ein, cs
bedürfe vorläufig noch allzu sehr m Ä
Bahnn etz im Osten und Süden
sehen wir, daß man siA, i^.R^ffla
bauen, wo die ersten ^n^strack^ng:
/Nutzen derselben felsig des russis^
DkÄv<$tUübi
,aufgenommen werden. Albe" . ......... .....
finanziellen russischen Gesichtspunl7^».'lbst stellen. Angenom
men, es käme zum türkischen K. 'ge und England bliebe
nicht vollkommen neutral. Erinnert :an sich in Rußland wohl
noch der Zustände, die 1854 und/,1855 eintraten, als aller
Export auf die Landwege an s^ der preußischen Grenze
beschränkt war, alö diese Landweg elSurd) die übermäßige Be-
nutzung unfahrbar geworden ware.b^ls schließlich fast aller
Verkehr stockte? Heute freilich lftgd'M unter ähnlichen Um-
ständen einige Bahnen offen. A^ftFMe Masse der Waaren
un) Personen, die heute sich »ize drängen aus Ruß-
land, ist eine unvergleichlich als damals. Geld
kommt nach Rußland durch Expo:. K'nber der Export würde
bei einem Kriege heute so sehr htzeiR^edrückt werden, daß die
Kredits, um sein
Zubauen. Allerdings
strengt, Bahnen
(^'inem vernüniti
< i !. !fc-u «sibin, i*
dit mit einiger Bo ,^,die
1876. — 29. Jahrgang.
Inserate:
die Petitzeile in der Morgen-Ausgabe)
4 gespalten 35 H (Q&
Abend-Ausgabe 3gespalten 60'\ (6A).
finanzielle Schädigung Rußlands eine weit größere wäre, al^
sie 1855 war. Nicht die Ausgrabung neuer Produktionsquellen
rst die drängende Aufgabe in Rußland, sondern die Oeffnung
neuer Abflüsse für die vorhandenen Produkte, Eine Million
Centner Getreide mehr am Ural oder in Pensa ist weniger werth
als tausend Centner mehr an der Küste oder an der West-
grenze. Und mit diesem russischen Interesse fällt unser deut-
sches zusammen. Nur Blindheit kann behaupten, der Tran-
sitverkehr über Deutschland schädige die russischen Häfen. Es
erinnert an die Habgier, welche nicht zum Essen kommt, weil
sie sich damit beschäftigt, die abfallenden Brocken dem Nach'
bar wegzuschnappen. Und das ist nicht das wahre Motiu
der russischen Absperrung. Es ist die Indolenz und das
Mißtrauen. Solche Motive zu überwinden ist aber die Auf-
gabe unserer Reichsregierung. Wenn man in Rußland laute
Beschwerde erhebt über das politische Mißtrauen Englands^
was soll Deutschland sagen zu dem Mißtrauen seines „besten
Freundes?"
Die Rechtsanwaltschaft im Reichstag.
Die heutige Verhandlung des Reichstags über den Titel
von der Rechtsanwaltschaft, welchen die Kommission dem
Gerichtsverfassungs-Entwurf eingefügt hat, bewegte sich auf
einem nach zwei Seiten streng eingegrenzten Felde. Niemand
hat die Nothwendigkeit in Zweifel gestellt, daß spätestens
gleichzeitig mit Einführung des neuen Civilprozeffes die Ver-
hältnisse der Anwaltschaft eine den Bedürfnissen des öffent-
lich mündlichen Verfahrens und des freien Prozeßbetriebes ent-
sprechende Regelung erbalten. Niemand hat auf. der
anderen Seite' die einzelnen Vorschläge der Kommission
anders als nur obenhin berührt. Es blieb ledig-
lich eine Frage der zweckmäßigen Geschäftsbehandlung
übrig. Vom Bündcsrathstische erging bestimmt und nach-
drücklich wiederholt die Erklärung, daß die Regierungen bereit
seien, eine Anwaltsordnung für das Reich zu erlassen, und
daß ein Entwurf derselben vom Reichskanzler bereits dem
Bundesrathe vorgelegt worden, daß man es aber ablehne, an
einer Berathung der einseitig von der Kommission entwor-
fenen und keinesfalls den Gegenstand erschöpfenden Bestim-
mungen theilzunehmen. Sollte nun der Reichstag auf
diese' Ankündigung hin die Beschlüsie seiner Kommission
ohne weiteres fallen lassen, oder sollte er an
denselben festhalten, bis eine ins Einzelne gehende
Erklärung des Bundesraths dafür Bürgschaft g-cke,
daß wenigstens die jenen Beschlüssen zu Grunde
liegenden Hauptgedanken auch für die angekündigte An-
waltsordnung die Richtschnur bilden? Die Kommission hast
nicht aealaubst.dr ''^Verweisung aus die Zukunft in eine..
künftige
ir wollen uns auf den.-mit bestimmten Sätzen zu bezeichnen, daß durch die vorbe-
haltenene Ergänzung kein Mißverhältniß und keine schwere
Unzuträglichkeit mehr hexbeigeführt werden könnte. Der Civil-
prozcß, wie er von der Kommission beschlossen worden, ersordrt
nicht eine Anwaltschaft überhaupt, sonst hätte sie auch in
beliebig mannigfaltiger Gestalt wie bisher fortbestehen mögen,
sondern eine Anwaltschaft von ganz bestimmter Art, von
solcherZahl, Tüchtigkeit und Frische nämlich, daß sie den
ungleich größerenAnforderungengenügenkann, welchedieMünd-
lichkeit des Verfahrens und der freie Prozeßbetrieb an sie stellen..
Es ist nicht zu viel gesagt, daß diese beiden Grundbedingungen des
neuen Prozesses das Schwergewicht der Leistungen auf
den Anwalt überwälzen und darum war es unmöglich, die
zweckentsprechende Gestaltung dieses Organs dem Zufall von-
Keine Photographie des Gemäldes hat ein erträgliches An-
sehen. Hell und Dunkel stehen 'sz. greller Abstufung neben
einander. Und trotz dieser Kov^'.ffste' sehen wir doch wieder
die zartesten Mitteltöne wirksam^ neben den lichten Farben-
massen, welche eigentlich nichts neden sich auskommen lassen
sollten.
Tizian's Gemälde ist doppelt sio lang als breit, die Fi-
guren sind unter Lebensgröße gehalten. Zwei weibliche Ge-
stalten bilden ans dem rechten'und! linken Theile des Bildes
gleichsam jede für sich die Mitte. ' Wir sehen sie, hier und
dort, an den beiden ,Enden eine-s breit sich hinziehenden
marmornen Sarkophages sitzen, dstr, wie oft in Italien
geschieht, nun als Wassertrog dient, aus dem das Wasser
durch eine Röhre in den Vordergrund fließt, welchen dichtes
Gras und Blumen füllen. Von diesen beiden Ge-
stalten, deren Antlitze vom ' zartesten Helldunkel
angehaucht sind, ist die eine, zur Rechten, völlig nackt. Halb
sitzend, halb gleichsam nur ausgestreckt sich auflehnend, "hat
sie am einen Ende des Sarkophages! Posto gefaßt. Ein leich-
ter Flor umhüllt ihren Schooß, ein faltenreiches, lang herab-
wallendcö Gewand ist um ihren linken erhobenen Arm, zwischen
Schulter und Einbogen, fest umgewunden, so jedoch, daß es nur
diesen einen kleinen Theil des Körpers verdeckt, während es
übrigens in aufgebauschtem bewegten Faltenwürfe hinter der
Figur hinabfällt und so für die Line Seite zum Hinter-
gründe wird. Ein Haupteffekt der Malerei ist, wie die reine
Schönheit der Gestalt sich von diesem Gewände abhebt. Mit
dem rechten straff aufgestellten Arm stützt die Gestalt sich
auf den Rand des Sarkophages auf und neigt sich hinüber
zu der zweiten Gestalt an seinem anderen Ende drüben, welcher
ihr Profil wie fragend zugewandt ist. In der Hand jenes
anderen linkem halb erhobenen Armes, um den das Gewand sich
windet, trägt sie ein die Hand eben füllendes, stach vasenartiges
Gesäß, aus dessen engem Halse ein zarter Rauch sich in die
Höhe zieht und in die Wolken der Landschaft scheinbar ein-
fließt. Das gewellte, blonde Haar, über der Stirn gescheitelt,
ist schlicht dem Nacken zugestrichen. Die beiden Füße sind
an den Knöcheln über einander gelegt, so daß der eine, linke,
allein sichtbar ist, wie er sich in das weiche Gras, auf dem
er steht, leicht eindrückt. Von diesem Fuße auswärts, zum
Knie, zur Hüfte, zum Arm empor, läuft eine fast gerade
Linie, wie nur Tizian vielleicht sie malen konnte, während
nach der anderen Seite der Umriß in wundervollen Wendun-
gen Schenkel, Leib und Brust umschreibt.
Wer, außer Tizian, hätte diesen, unverhüllten Körper so
darstellen können? Diese Vereinigung von tadelloser Rein-
heit und warmem Leben? Tizian ist der Maler des Lebendi-
gen. Jeder Künstler, sagte Lawreme, lernt mit mehr oder
weniger Mühe ein Auge malen, Niemand aber „einen Blick",,
wie Tizian. Die Schönheit einer Frau besteht für den, dessen
Empfindung lebhaft davon betroffen wird, gewiß nicht in
Dingen, die sich in einem malerischen Examen abfragen
ließen. Der flüchtige Wechsel der Farbe, die Unruhe eben-
sosehr als die Ruhe, das Unbestimmte entzückt ebensosehr als
das fest Erkennbare, als das, was sich als Umriß und deut-
liches Kolorit darbietet. Man braucht kein Maler oder Kunst-
verständiger zu sein, um über die Schönheit einer Frau zu
reden. Für diese ungelehrten Leute gerade malte Tizian.
Das Flüchtige, Allgemeine, was bei jedem Blicke anders
erscheint, weiß er darzustellen. Er hält fest was festzuhalten
unmöglich scheint. Der Eingeweihte erkennt die Kunst und
glaubt im Geheimnisse zu sein, er entdeckt in der That einen
Theil der künstlerischen Kraft und der angewandten Mittel.
Wie aber kann es gelingen, diesen Pinftlzügcn mit dem
Grabstichel nahe zu kämmen? Und doch wird man zugestehen,
daß es Weber hier wohl gelungen sei. Darin aber zeigt sich
die Genialität eines Kupferstechers, daß er auf seinem Felde
leistet, was zu leisten kaum möglich schien.
Diese nackte Gestalt, von der ich bis jetzt allein gesprochen
habe, wird die Himmlische Liebe genannt. 'Der aus dem Ge-
fäße aufsteigende, mit den Wolken des landschaftlich reich an-
gelegten Hintergrundes sich vermischende Rauch deutet es an.
Ein Paar Schmetterlinge, welche um. eine Blume spielen, die
neben ihr im Grase steht, weisen ebenfalls darauf hin.
Auch entspricht diese Bezeichnung ihrer ganzen Erscheinung,
obgleich nirgends ein sichtbares Mittel angewandt ist, diesen
Effekt hervorzubringen. Sie hat'nicht eigentlich das Aussehen
eines jungen Mädchens, sie erinnert etwas an eine Eva, die
auch gleich bei ihrer Erschaffung in den Formen einer Frau
dargestellt zu werden pflegt.
Erhöht aber wird, das „Himmlische" ihrer Erscheinug!
durch die Gestalt auf der linken Seite des Gemäldes, am
anderen Ende des Sarkophages, deren irdischer Schmuck
einen absichtlichen, gewollten Gegensatz zu ihr bilden soll.
Nicht eigentlich' auf, sondern neben dem Sarkophags
tiefer also als jene, dasitzend, erscheint die Gestalt zur
Linken bis auf die i» Handschuhen steckenden Hände im vollen
breiten Pompe einer festlich geschmückten Venetiauerin. Sie
trägt ein in herrlichen Falten' sich um sie aufstauendes Kleid.
Kein ideales unbestimmtes Gewand, sondern ein Kleid, das
schwere Dukaten gekostet hat. Hier erkennen wir Tizian
recht als den Schüler Giorgione's, welcher, unbekümmert
um den zarten Faltenwurf der antiken Statuen, seine eigenen
in einander geknickten und geknautschten venetianischen Pracht-
falten schuf, die wir dann durch die gesummte venetianische Kunst
hinrauschen sehen. Von Giorgione hat Tizian, und besonders
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
fünf und zwanzig Gesetzgebungen anheimzustellen. Von
diesem Gedanken geleitet, war die Kommission an ihre Arbeit
gegangen, zwar nicht in der Ueberhebung, daß es ihr bei dem
Mangel alles aktenmäßigen Materials, welches ihr das
negative Verhalten der Regierungen verschloß, möglich
fein werde ein nach allen Seiten ausgestaltetes Ganze zu
geben, wohl aber in dem gwen und berechtigten Glauben,
i)aß die Konsequenzen der Civilprozeßordnung selbst und die
reiche Erfahrung, welche ihr in den eigenen Mitgliedern zu
Gebot stand und von außen her nutzbar zu machen war, in
den Hauptzügen den richtigen Weg weisen würden. Ernst-
liche Zweifel an dem Erfolge der Arbeit in diesem Sinne
stnd auch heute nicht laut geworden, nur die Unvollständigkeit
des Ergebnisies ist derselben zum Vorwurf gemacht, aber es
ist schwer abzusehen, warum nicht, wie jetzt die ganze An-
waltsordnung vorbehalten werden soll, nicht ein bloßes
Ergänzungsgesetz zu den vorgeschlagenen Grundbestimmungen
in Aussicht bleiben sollte.
Diesen Erwägungen gegenüber stand nun immer wieder
die ablehnende Haltung der'Bundesregierungen. Wir wollen
nicht darauf zurückkommen, wie abenteuerlich es war, einePro-
zeßordnung und Gerichtsverfassung ohne Bestimmungen über
die Anwaltschaft überhaupt vorzulegen. Vor vollen zwei
Jabren ist in der ersten Lesung der'Justizgesetze diese Lücke
aufgedeckt worden, und es war eine im Hause unwidersprochene
Erwartung, daß die Kommission sich die Ausfüllung derselben
werde angelegen sein lassen. Ein volles Jähr später
erst gelangt die Kommission an diesen Theil ihrer Aus-
gabe — immer nur sind die Regierungen über das
reine Nichts einig. Dasselbe Schauspiel wiederholt
sich, als die Kommission ihre Arbeit in zweite Lesung
nimmt; und erst ganz zuletzt, als die Beschlüsse dieser Lesung
im Bundesrath zur Berathung stehen, vereinigt man sich „im
Prinzip", daß eine Anwaltsordnung für das Reich ausge-
arbeitet werden soll. Wir sind bereit, den Schwierigkeiten der
Verständigung unter fünf und zwanzig Regierungen alle Rech-
nung zu tragen: aber ist diese Art des Verhaltens gegenüber
dem gleichberechtigten Faktor der Reichsgesetzgebung eine an-
gemessene, ist sie geeignet, den Regierungen beim Reichstage
„etwas mehr Vertrauen" zu erwecken? ' Kann nach diesen
Vorgängen der Reichstag auseinandergehen, ohne daß ihm
über die Grundzüge der von den Regierungen in
Aussicht genommenen Anwaltsordnnug wenigstens die
nothwendigsten Andeutungen gemacht werden? Und welches
Mittel hat derselbe, auf einer solchen Erklärung vom Bun-
desrathstische zu bestehen, als daß er, bis ihm dieselbe wird,
an den Beschlüssen seiner Kommission festhält? In einer
Angelegenheit, die, wie diese seit Jahren vor den Augen der
betreffenden Staatsmänner liegt, zu einer Zeit, da dieselben
fast ausnahmslos hier zur Stelle versammelt sind, ist es doch
wahrlich keine unbillige Zumuthung, sich binnen zwei Wochen
über die grundlegenden Bestimmungen so gut, wie jüngst über
die Anwaltsordnüng überhaupt, „im Prinzip" schlüssig zu
machen.
Dies sind die Gründe, welche die Mehrheit von 163
gegen 128 Stimmen bewogen haben, den Titel 9a. der Ge-
richtsverfassung in zweiter Lesung anzunehmen, und welche
von dem Abg. Lasker im Eingänge der Diskussion vollständig
und erschöpfend ausgeführt wurden. Die Gegner trennte
nicht der Schein eines sachlichen Gegensatzes, nur ein Mehr
von Rücksicht auf die wenn geschaffene
____“__________________ nebe
uder^uhrliche Ausspinner? dev
durch eine ganz aus der Lust gegriffene namentliche Abstrm
mung arg gestprt. Mit einem böstn Anzeichen war schon der
Tag eröffnet, als den polnischen Velleitäten nochmals andert-
halb Stunden zum Tummelplatz eingeräumt wurden. Nun
werden die Einführungsgesetze zur Gerichtsverfassung und
Civilprozeßordnung, mit den hochwichtigen Fragen derBeamten-
Verantwortlichkeit und des Rechtsweges gegen Fiskus und
Landesherr» den achten Verhandlungstag fortnehmen, und
erst die frische Woche wird für die Strafprozeßordnung frei.
Zur orientalischen Krisis.
Die englische Politik ist nach dem verunglückten Versuch,
Gladstone's Politik der öffentlichen Meinung zu treiben,
heute mehr wie je Kabinetspolitik. 'Die „Times" dementrrt
' t
heute ein Londoner Gerücht über den beabsichtigten Riicktrit
Lord Beaconsfields. Das Gehen oder Bleiben dcs Staats-,
mannes, der am entschiedensten Aktionsvolitik treibt, bildet
ein ausschlaggebendes Moment für den Verlauf der jetzigen
Krisis. Ein solches Ereigniß herbeizuführen oder zu hindern,
liegt heute im Entschluß ^vielleicht von ein halb Dutzend
Personen. Die öffentliche Meinung in dem freiesten
Lande der Erde, mit den entwickeltsten'Organen selbständigen
Eingreifens versehen, steht thatlos mit gekreuzten Armen,
zum großen Theil beschämt und an sich selbst irre, zur Seite.
Zwei Reihen von Thatsachen treten eben in der englischen
Politik in den Vordergrund. Mit den einen soll auf die
Oeffentlichkeit, mit den andern auf die europäischen Höfe
gewirkt werden. In der ersten Reihe verzeichnen wir die
Depeschen, die im Augenblick veröffentlicht werden. Unter
diesen tritt diejenige am meisten hervor, welche die Aeuße-
rungen des russischen Zaren referirt. Der warme Ton, in
welchem Lord Loftus die beruhigenden Versicherungen des
Kaisers Alexander wiedergiebt, zeigt, wie der englische Ge-
sandte bestrebt ist, seiner Regierung die Dinge im besten Lichte
zu zeigen. Die schneidende Antwort, welche die englische Regie-
rung ertheilt, findet sich nur theilweise in der Tischrede Disraelis.
Wir verweisen unsre Leser auf eine Korrespondenz aus London
in der heutigen Nummer, worin das Spezialorgan Disraelis,
der „Standard" dem russischen Monarchen seine Worte in
bitterer Weise zurückschleudert und damit ein Element per-
sönlicher Feindschaft in die Dinge hineinträgt, das uns
Schlimmes zu weissagen scheint. Ein solcher Ton kennzeichnet.
Wir fürchten unwiderrufliche Entschlüffe.
Die andre Thatsache, welche Englands Auftreten eben
charakterisirt ist die vielbesprochene Reise Lord Salisburys.
Ob der Lord viel Neues gehört hat in Paris, Berlin und
jetzt in Wien mag zweifelhaft sein. Jedenfalls ist er beauf-
tragt, den leitenden europäischen Staatsmännern Englands
Entschlüsse anzukündigen. Wir haben nicht die Präsumtion
zu wissen, was der englische Spezialgesandte dem leitenden
deutschen Staatsmann mittheilte; das was aus Paris als
das letzte Wort des englischen Diplomaten berichtet wird,
ist aber wenig beruhigend und klingt an den berühmten Spruch
der Pythia an: Wenn Crösus über Hs» Halyö geht, so wird
er ein großes Reich zerstören. Setzen wir statt des Halys
den Pruth, so bewegen wir unsern der modernsten Wirklich-
keit und jedenfalls ist es das Reich des europäischen Friedens,
das unter solchen Umständet als bedroht hingestellt wird. Auf
drei Bürgen für die ruhige Abwickelung der Dinge werden
wir verwiesen: die EnthA^amkeit Rußlands, das Vertrauen
Englands und die EntsM^zkraft der Türkei. Wir fürchten,
man wird keinen von dM^x drei als vollwichtig erkennen.
Auf welchem Fuß ml,, die Dinge in der Türkei betreibt,
darüber belehrt uns ein Telegramm aus London von heute
Abend, worin uns folgen! e authentische Mittheilung wird:
Mussuruö Pa Aha notifizirte hier eine' Depesche
seiner Regierung, wor»? die Pforte die Hoffnung aus-
spricht, he Mächte werden bei Berathung des Pariser
Vertrages das Prestig/ der Pforte und die Eigenthüm-
istration des osmanifchcn Reiches
nd die allgemeinen Reformen des
nführung die Lage der infurgirten
essen werden soll, in Betracht ziehen.
:n Derby'schen Bedingungen türki-
lutorität nun noch' aus eignem
lichkeiten der Admi
sich vor Augen Haltens
Reiches, durch deren
Provinzen wesentlich
Die Pforte fügt s
ckegrität'
jglaubli
'nt, mit Edhem Pascht
In der heutigen
Theil bereits im Abendbn
gedehnte Debatte über
Tit. 9 a betreffend die „Rec
Annahme des ganzen Tite^
den ersten Paragraphen '
stimmnng statt, und ergc
Stimmen. Demnächst 1
des Tir. 16 „Gerichts
Mission, die Gerichts^
bis 15. September auszut
an der in Preußen ublichi
wurde nach kurzer Debatt^
Paragraphen. Hiermit
hinzu. Unter diesen
1t Uhr. (Elnführungsgesetze zum Gerichtsverfassungsgesetz,
Civilprozeßordnung und Strafprozeßordnung) Schluß 4 Uhr.
Zur Patentschutzfrage geht uns von betheiligter Seite
nachstehendes Schreiben zu:
„In Nr. 547 Ihrer Zeitung vom 23. d. M. ist die Be-
merkung enthalten, es werde nicht besorgt, daß „von Seiten
Preußens auch jetzt noch einem den Anforderungen der Zeit
entsprechenden Reichspatentgesetze Schwierigkeiten sollten be-
reitet werden." Diese Bemerkung ist gewiß als richtig an-
zuerkennen. Wenn mit derselben aber etwa hat angedeutet
werden sollen, daß die preußische Regierung der Re-
form der Patentgesetzgebung gegenüber sich bisher ab-
lehnend verhallen habe, so würde eine solche Annahme in
keiner Weise zutreffen. Bereits im Mai 1875 ist
Seitens des preußischen Handelsministeriums unter gleich-
zeitiger Mittheilung eines vollständig ausgearbeiteten Frage-
bogens die baldige Veranstaltung einer bezüglichen Enqußte
lebhaft befürwortet worden. In Folge dessen hat der Bun-
desrats) im Juni v. I. beschlossen, die preußischen Anträge
dem betreffenden Ausschüsse zur Berichterstattung zu über-
weisen und auf Grund dieser Anträge ist die Sache weiter
gefördert worden. Danach hat grade die preußische Regie-
rung die Initiative Behufs der Reform der Patentgesetz-
gebung ergriffen, und die Annahme würde entschieden irrig
sein, daß diese Regierung der Erledigung ihrer eigenen An-
träge hinderlich sein werde."
seiner Abretse wen
Paul Veronese die ungeheuren Schleppen seiner Göttinnen
und Heiligen, die mit' den Wolken rivalisiren, über die sie
zuweilen ausgebreitet stnd oder sich hinziehen.
Bis zum Halse, über die Brust hinan, zuletzt freilich nur
mit einem durchsichtigen zart gefältelten Hemdstreifen, ist
unsere Gestalt bekleidet. Sie soll es sein. Die Schultern
verdeckt, die Arme in weitaufgebauschten Aermeln steckend.
Den linken Arm legt sie über ein umfangreiches goldnes
Gefäß, welches auf dem Sarkophage neben ihr steht; sie stützt
sich mit der Achsel darüber hin, als steckten alle Herrlichkeiten
der Welt darin und gälte cs, sie sicher festzuhalten. Die
ändere Hand liegt über ihren Schooß, mit den Fingern einen
Griff voll Blumen bedeckend. Das Kleid wird unter der
Brust von einem breiten Gürtel mit goldenem Schlosse
zusammengehalten, das gelöste, wellige blonde Haar, voller
noch als drüben, fällt ihr auf die Schultern, stößt da
sanft auf und wendtt sich dann erst dem Nacken zu, während
auf der rechten Schulter ein paar lose Strähnen davon vorn
auf die Brust herabgefallen sind. Sie trägt einen Kranz im
Haare. Hinter ihr, weit ab im Grase, sitzen ein paar Ka-
ninchen. die Sinnbilder irdischen Familiensegens.
Wie zwei Schwestern erscheinen beide schöne Gestalten.
Für sich betrachtet, hat die so ganz von weltlicher Kleidung
verhüllte nichts, was trotzdem ihre Formen zu voll erscheinen
ließe. Wie drüben auch hier die reinste Jugendblüthe einer
Frau. Dennoch, sobald wir mit den Blicken von der Einen
zur Andern wechseln, empfängt die bekleidete einen Zusatz
von Schwere, von Festigkeit.' Sie sitzt so sicher an ihrer
Stelle wie ein schöner Palast auf dem Grund
und Boden steht, den er einnimmt, während lene
„Himmlische" an Schwere zu verlieren scheint, wie
ein Vogel, der sich aufschwingen könnte. Indem diese
sich zu ihrer irdischen Genossin hinüberncigt, scheint sie mit
den Augen ihrer Rede einen letzten, stillwirkenden Accent
geben zu wollen. Die andere aber waffnet sich gegen diesen
Angriff. Sie sieht stracks vor sich hin, uns gerade in die
Augen, als wolle sie sich hüten dem gefährlichen Blicke ihrer
Genossin zu begegnen, dessen Macht sie wohl empfindet
Hier liegt das Dramatische der Komposition. Wir fragen
was wird geschehen? Wird die „Irdische" dem Strome der Ueber
redung Stand halten, der von der andern Seite leise, aber
mächtig herüberfiießend, sie mehr und mehr umgiebt und
endlich' überwältigen könnte?
Während sie so zweifelhaft dasitzt und die andere das
Auge fest auf sie gerichtet hält, tritt nun aber zwischen beiden
Gestalten ein neues Element ein, das der Komposition einen rei-
zendenZuwachs an Leben und Lebendigkeit verleiht. Wir erblicken
auf dem Gemälde den Sarkophag und die Frauen in einer sie
reich umgebenden Landschaft. Bäume und Fernsichten bilden den
Hintergrund und Gebüsch drängt sich dicht daran. Es ist als
tände dieser BrnnnensarkoMag an einer Stelle, wo ein kühler,
schattiger Wald licht zu we^W beginnt. Aus dem dunkeln
Hintergründe nun, zwischen beiden Figuren, sehen wir einen
kleinen Amor, der von der anderen Seite her am Marmor
emporgeklettert ist, sich weit über den breiten Rand über-
legend mit den Armen im Gewässer herumspieltcn. Was
er bedeuten soll, ist klar. Die letzte marmorne Hülle des
Todten ist zum Behälter des lebendigsten Elementes gemacht
worden und dieses Lebendigste wird nun vom Allerlebendig-
flen' “
in
.)8tagssitzung, über deren ersten
te berichtet ist, endigte die sehr auö-
von der Kommission eingeschalteten
isanwaltschast" mit der unveränderten
I. Die prinzipielle Entscheidung ub.r
| Titels fand durch namentliche Ab-
eine Mehrheit von 163 gegen 128
: der Reichstag in die Berathung
tu" ein. Der Antrag der Kom-
in auf die Zeit vom 15. Juli
inen, während die Regierungsvorlage
I sechswöchentlichen Ferienzeit festhielt,
rngenommen, ebenso die nächsten drei
tagt sich das Haus bis Sonnabend
Zu § 55 der Strafprozeßordnung, die Eidesformel für^
den Zeugeneid betreffend, ist von dem Abg. Dr. Mar-'
quardsen nachstehender Zusatz beantragt worden: „Erklärt ein
Zeuge, der einer solchen Religionsge'sellschast nicht angehört,
daß ihm seine religiöse Ueberzeugung die Ableistung eines
Eides verbietet, so tritt auch in diesem Falle an die Stelle
des Eides eine feierliche Versichern»». Auf die Verletzung
derselben finden he §§ 154,155,157,158,159.160,161 und 163
des Strafgesetzbuchs entsprechende Anwendung." — Die Frage
der Eidesnorm ist bereits bei der Berathung des Gerichts-
verfaffungsgesetzes zur Sprache gekommen; der Abg. Herz
hatte einen Antrag, zur Civilprozeßordnung, welcher die Hin-
weglassung jeder konfessionellen Bekräftigungsformel bezweckte,
zurückgezogen, um die Lnbloe-Annahm'e dieses Gesetzes nicht
zu hindern. Als der gleiche Antrag gelegentlich der Ver-
eidigung der Schöffen wieder erschien, lehnte der Reichstag
denselben ab und die Debatte ließ darüber keinen Zweifel,
daß eine Mehrheit im Reichstage für die prinzipielle Besei-
tigung des konfessionellen Eides üserhaupt nicht zu gewinnen
sein würde. Die große Mehrheit des deutschen Volkes wäre
auch in der That'nicht im Stande, eine solche mit den ge-
wohnten Anschauungen brechende Neuerung zu verstehen, 'es
müßte deshalb die im Volksvewußtsein wurzelnde Vorstellunng
von der Heiligkeit des Eides in bedenklicher Weise leiden.
Dagegen findet die Forderung in weiten Kreisen Unter-
stützung, daß der Wiederholung von Fällen wie der Hoffe-
richter'sche u. A. vorgebeugt werde. Wem der Gebrauch der
konfessionellen Bekräftigungsformel gegen Gewissen und
Ueberzeugung geht, dem mit harten Strafen an Ver-
mögen und Freiheit nur deshalb zu Leibe au gehen,
wert er sich einem ihm zugemuthete>: Gewissenszwang
nicht fügen mag, das verstößt gegen unsere Auffassung der
staatsbürgerlichen Rechte des Individuums in dem modernen
Staate, der als solcher konfessionslos ist. DMavorliMmde
die Ableistung eines Eides
vecbteür,^.. derselben zu befreien und anstattdesselbeneinefeier-
liche Versicherung abzugeben, wie sie den Mennoniten gegenüber
zugelassen ist. Nach der in Preußen bestehenden Gesetzgebung
dar§ der Richter Abweichungen von der allgemein vorge-
schriebenen Eidesformel nicht zulassen, außer wenn Jemand
glaubhaft nachweist, daß er einer Religionsgesellschaft angehört,
welcher eine solche Konzession durch besonderes Gesetz einge-
räumt ist. Da andrerseits die Erzwingbarkeit eines Zengen-
eides oder einer alle Wirkungen dcs Eides einschließenden
feierlichen Versicherung, ohne unser ganzes gerichtliches
Beweisverfahren in Frage zu stellen, nicht aufgegeben
werden kann, so bleibt der Richter, wenn eine Lösung
des Konflikts nicht stattfindet, in der Zwangslage,
ain Bewegunggebracht. Und jetzt unsere Irdische Liebe! Ganz
Verwirrung bereits durch die Ueberredung ihrer himmlischen
Schwester, trifft ihr Ohr das leise Geräusch, das Amors
kindisches Wühlen im Wasser hervorbringt. Mitten im Nach-
denken über das, was ihre Genossin ihr zugeflüstert hat, scheint
ie zugleich auf Amors Plätschern zu hören, und wir stnd
überzeugt, daß cs für ihre Entschlüsse den Ausschlag geben
wird. Damit sei der Versuch geschlossen, zu deuten, was wir
auf Tizian's Gemälde vor Augen haben. Auch über Weber'ö
Stich wäre nichts mehr zu sagen. Aber der Gegenstand lockt
zu einigen weiteren Betrachtungen. .
Noch ein zweiter großer Meister hat Liesen Wtdcrstrert
geistlicher und irdischer Regungen im Herzen einer Frau be-
handelt. Seiner Natur nach anders als Tizian: tiefer, ernst-
hafter: Lionardo da Vinci. Leider ist das Original seines
Gemäldes nirgends mehr nachzuweisen. Unter der allgemeinen,
nichtssagenden Bezeichnung Uodestiaet Vanitas findet sich eine
Kopie des Werkes in der Galerie des Palastes Sciarra zu Rom.
Einfacher, dramatisch spannender noch als Tizian gethan,
faßt Lionardo die Scene, tragischer, könnte man sagen.
Seine Komposition erscheint wie eine Illustration Dantz'scher
Terzinen, während die Tizian's sich auf ein Dutzend liebens-
würdiger Stanzen des Ariost zn beziehen scheint. Während
die Himmlische Liebe bei Tizian nicht allein auf ein blos
geistiges Dasein über dem irdischen, sondern auf ein Reich
über'den Gewölken hinweist, wo, wie ihr eigener Anblick still-
schweigend zu verstehen {jiebt, ber Schönheit ihr Recht
widerfahre, (gänzlich im heidnischen Sinne dcs 16. Jahr-
hunderts, dem die Heiligen beinahe wie antike Gottheiten und
Gottvater selber als der Donner erschienen) ist bei Lionardo
die Himmlische Liebe eine nonnenhast verhüllte Gestalt, dre
nicht gleich in" die Gewölke, sondern vorerst ins Kloster locken
will. Nur ihr schönes Antlitz ist frei und ihre Hände sind sicht-
bar. Sie sucht, fast im Profil darflehend, mit ihren Blicken,
die Augen der anderen Gestalt, dicht vor ihr stehend, so daß
sie sie berühren kann. Wie bei Tizian wendet auch hier die
Irdische Liebe ihre Augen fast bittend dem Betrachtenden
zu» als solle er guten Rath ertheilen. ' Unschlüssig-
kett und Widerstreit ! der Gefühle sind aber nicht
blos in ihren Zügen zu lescü, sondern deutlicher, dringender,
tragischer ist ihre'Lage als die jener andern bei Tizian.
Zwei halbe Gestalten, von engem Rahmen um-
schlossen, haben wir auf Liouardo's Tafel vor uns.
Links steht die Ueberredende. Das Gesicht ganz indivi-
duell gehalten, als sei es ein Portrait: milde, sanft, leidend
beinahe im Ausdrucke, aber von großer Schönheit. Nur die
Züge anders als wir sie bei Lionardo in fast typischer Wieder-
kehr gewöhnt sind. Die andere Gestalt dagegen entsptE
den sö bekannten lionardesken Formen in vollem Maße. Dte
Himmlische hat ihr die linke Hand auf den Arm gelegt, als
solle der sanfte Druck die Geste der rechten Hand verstärken,
die sie mit winkendem Finger erhoben ihr entgegenhält.
In diesen Handbewegungen liegt ungemein viel enthalten,
mehr aber noch beinahein denen der Irdischen Liebe. Sie ist reich
geschmückt. Um das en face uns leise entgegengebeugte Haupt
ist eine Flechte gelegt und ein zarter goldner Kranz, fast nur
ein Reif mit einzelnen Rosetten daran. In der Hand, auf
deren Arm die Hand ihrer Genossin gelegt ist, hält sie ein
paar feine weiße Blumen, als wollten sie ihr eben aus den
Fingern fallen und sollte damit gesagt sein, daß sie sich als
überwunden gebe. Die andere, rechte, Hand aber ist fast das
Sprechendste'auf dem Gemälde. Sie hält sie vor die Brust;
aber nicht darauf gelegt, sondern die Finger sind offen und
scheinen sich jeder für sich hin und her zu bewegen und das
Schwanken der Seele auszudrücken. Es ist, als ob sie irgend-
wie einen Halt mit diesen suchenden, Fingern ertasten
möchte. Man meint zu fühlen, wie alle Herrlich-
keiten des Himmels und der Erde vor ihrer Sttrn
und den zutrauensvollen Blicken vorüberschweben
und wir fürchten mehr als auf dem anderen Gemälde, die
ersteren könnten den Sieg davontragen und die herrliche Ge-
stalt der Welt verloren gehen. Während aus Tizian's Kom-
position uns ein freudiges, heiteres Element anlächelte,, ein
Triumph des unschuldigen Entzückens am irdischen Dasein,
wirkt Liouardo's Auffassung fast beängstigend, als solle die
Ascetik und Entsagung die stärkere Kraft sein.
Wäre Liouardo's Original erhalten, so würden wtr tn
diesem Werke vielleicht sein bestes Staffeleibild vor uns
haben, denn was die Komposition anlangt, übertrifft es alle
seine übrigen. Es ist mit solcher Vollendung durchgeführt,
daß ich es in seine letzten Zeiten setze. Für Lionardo war
damals die Freude am Leben schon geknickt, es ent-
sprach seiner Gemüthsart, im Gemälde Scenen darzu-
stellen, welche das zur Anschauung brächten. Tizian's Arbeit
dagegen scheint in die Zeiten seiner Jugend zu gehören,, als
er noch unter dem Einflüsse Giorgione'S stand. Von Gtorgtone
i waren diese sich breithinziehenden Landschaften aufgebracht
worden, in denen idyllische Scenen sich abspielten. Tizian s
verfahren, tote gegen Hofferichter verfahren wurde. Mußte
man damals anerkennen, daß das so großes Aufsehen und
einen so äußerst peinlichen Eindruck erregende Verfahren
formell gesetzlich gerechtfertigt war, so war 'man andrerseits
auch der Meinung, daß es eine Aufgabe der Reichsjustiz-
gesetzgebung fei, die Wiederholung ähnlicher Vorkommnisse Un-
möglich zumachen. DerMarquardfen'scheAntrag,''dessenweitere
Konsequenzen für das Gerichtsverfassungsgesetz und die Civil-
prozeßordnung zu ziehen, der Antragsteller sich vorbehalten
hat, sucht dieser Aufgabe gerecht zu werden. Ob der
gewollte Zweck mit einer engern Begrenzung der Ausnahmen,
welche der Antrag uneingeschränkt in das Belieben des
Zeugen stellt, erfüllt werden kann, lassen wir dahingestellt.
Uebelstände werden durch die Abschaffung dcs Zwanges zur
Ableistung eines konfessionellen Eides nicht entstehen; wir
find überzeugt, daß sich Weigerungen gegen Ableistung eines
solchen auch tn Zukunft nur auf Ausnahmefälle beschränken
-werden. ____________
Gegenüber der neuerdings in öffentlichen Blättern auf-
gestellten Behanptung, daß der gesammte preußische
Episkopat gegen das Gesetz über die Aufsichtsrechte des
Staats bei der Vermögensverwaltung in den katholischen
Diözesen vom 7. Juni d. I. bei der königlichen Staatsregie-
rung Protest erhoben habe und daß sich tiefem Proteste auch
die aus ihrem Amte entlassenen früheren Bischöfe, sowie die
sämmtlichen Domkapitel angeschlossen hätten, weist der
„Reichsayzeiger" darauf hin, daß Seitens eines
Domkapitels der königlichen Staatsregierung ein der-
artiger Protest überhaupt nicht zugegangen ist. Ächt von den
Bischöfen rc. der preußischen Monarchie und von den aus
dem Amte . entlassenen ehemaligen Bischöfen rc. haben
Schreiben an die königliche Staatsregierung gerichtet. „Daß
diese Schreiben," heißt es weiter, „in denen gegen ein ver-
fassungsmäßig zu Stande gekommenes und gehörig publizirtes
Stratsgesetz Verwahrung eingelegt wird, nicht anders behan-
delt werden konnten, als daß sie lediglich zn den Akten ge-
nommen wurden versteht sich von selbst. Immerhin aber ist
es nicht ohne Interesse, die Verschiedenartigkeit der Behand-
lung zu beobachten, welche die einzelnen Protesterheber der
Sache haben angedeihen lassen." Aus den im„R.-A." mitgetheilten
Schriftstücken ergiebt sich, daß die Bischöfe von Limöurg, von
Ermland, von Köln und von Hildesheim unter Verwahrung
gegen die einseitige Beschränkung der Rechte der Kirche in
mehr oder weniger entgegenkommender Form ihre Mitwir-
kung bei her Vollziehung des Gesetzes zusagen, zur Vermei-
dung größerer für den Weigerungsfall angedrohten Schä-
digungen der ihnen anvertrauten kirchlichen Fonds. Dex
Bisthumsverweser von Fulda beschränkt sich auf einen kurzen
Protest und die ehemalichen Bischöfe von Paderborn, Münster
And der ehemalige Erzbischof von Gnesen und Posen erklären,
auch wenn sie in der Lage wären, ihre bischöflichen Aemter frei
zu verwalten, zur Ausführung des Gesetzes nicht mitwirken
M können. Daß der Protest des Kardinals Ledochowski nach
Form und Inhalt sich durch Schärfe vor den übrigen aus-
zeichnet, darf nicht überraschen. Man ersieht daraus, daß
die Bischöfe im Amte doch, natürlich nicht ohne Billigung
Seitens dcr Kurie, einen Weg gefunden haben, der ihnen die
Vermeidung eines für die Vermögensrechte der Küche ge-
fährlichen Konflikts ermöglicht, daß man also, wo materielle
Interessen in Frage kommen, beflissen ist, den Kulturkampf
durch einen erträgliche^ modus vivendi beizulegen
-vesterreichifch-Urrgarische Monarchie.
^ Wien, 23. November. Die für gestern anberaumte
Versammlung der verfassungstreuen Abgeordneten
zur Berathung über die Ausglei'chsfrage hat stattgefunden;
179 Deputirte nahmen an derselben Theil. Die Debatte
drehte sich fast ausschließlich um das neue Bankstatut,
welches mit eintnüthiger Entrüstung als unannehmbar zurück-
gewiesen wurde. Schließlich einigte sich die Versammlung
in dem Beschlusse, demnächst eine zweite Konferenz abzuhal-
ten, zu derselben die Minister einzuladen und von denselben
Aufklärungen über die Details zu verlangen, die Freiherr
von Pretis vorgestern in seinem Expose verschwiegen hat.
Aus der Debatte ist Folgendes hervorzuheben: Dr. Menger
sprach von „ernstesten Besorgnissen", zu denen die Deröffentlichun-
Gemälde dieser Art wirken episch, oder wie man heute sagen
würde: wie Romankapitel, auch sagt er, wenn er sie nennt
„una poesia‘k im Gegensatze zu „nun opera divota“. Die
römische florentinische Schule hielt am Dramatischen fest und
Lionardo selber würde sein Werk gewiß als Opera divota
bezeichnet haben.
Und so stnd diese beiden Werke in dem was ihnen ge-
meinsam ist wie in der Verschiedenheit der Auffassung, Doku-
mente für die Denkungsart der Meister, von denen sie ge-
schaffen sind.
Noch eine Bemerkung, welche weniger den Stecher dieses
Werkes als die Kupferftichknnst iin Allgemeinen betrifft.
Die Platte von Weber's Bella Visconti wurde von einer
Berliner Kunsthandlung angekauft, welche damit gewiß kein
schlechtes Geschäft gemacht hat. Trotzdem sind Weber's spätere
Sachen, so auch die vorliegende, in Wien herausgekommen.
-Warum geschieht dort, wie in Paris Und wie in Italien, soviel für die
-Kupferstichknnst, während man sich bei uns auf einige Unter-
stützungen beschränkt, weichegelegentlich abfallen? Wir haben all-
jährlich über bedeutende Staatsgelder zu Kunstzwecken zu ver-
fügen. Ohne Zweifel muß die Kupferstichkunst in Zukunft
besser bedacht und statt der Unterstützungen müssen Bestel-
lungen gegeben werden. Längst hätte einem Manne wie
Weber, anderer hier nicht zu gedenken, der Auftrag zukommen
müssen, von den Gemälden unserer öffentlichen Sammlungen,
von denen viele dafür geeignet sind, eines zu stechen. Denn
darüber kann kein Zweifel sein, daß wtr in einer, sagen und
hoffen wir, Uebergangsperiode stehen, wo ohne energische Un-
terstützung von Seiten des Staates gerade die Küpferstich-
knnst Gefahr läuft, zu den sich verlierenden zu gehören.
Berlin, November 1876. Herman Grimm.
Shakespeare-Vorträge von NirdiUph Gense. ,
Im großen Saale des Hotel de Rome eröffnete am Mitt
woch, den 22. November, Rudolph Genee einen auf drei
Abende berechneten Cyclus von Shakespeare-Vorlesungen mit
dem Vortrage der Hauptscenen aus „Julius Cäsar". Das
Sahlretch versammelte Publikunt war auch diesmal von der-
elben wohlwollenden Theilnahme erfüllt, deren sich Genüe
et feinem früheren Auftreten als Interpret klassischer Dich-
tungen zu erfreuen hatte, und bewies damit, daß das Interesse
an dramatischen Vorlesungen ein fortdauernd reges geblieben
ist. In der That vermag die Kunst, welche das Ohr zu dem
alleinigen Vermittler der dichterischen Offenbarungen macht,
einen durchaus eigenartigen Genuß zu gewähren. Indem
der Vorleser auf den verwickelten Apparat der Bühne Ver-
zicht leistet, gewinnt seine Wiedergabe poetischer Meisterwerke
den Vorgang der Regierung in Äser Frage für „keinen
ehrlichen". Dr. Kopp nannte die Mittheilungen der Regierung
„unheilverkündend"; Dr. Ruß charakterisirt die Politik der Re-
gierung. „zu der man kein Vertrauen mehr haben könne, als
eine unsittliche"; Dcemba „hat als Ältökerreicher ein G fühl
der Scham, wenn er sieht, daß ein österreichischer Finanz-
minister seinen Namen unter das Monstrum eines solchen
Bankstatuts gesetzt hat." Abg. Haase „könnte, an dem öster-
reichischen Bewußtsein einer österreichischen Regierung zwei'
feln", wenn er diese Abmachungen prüfe. Äbg. Heilsberg
meint, die Regierung werde das' Bankstatut, dieses „aufge-
putzte Opferlamm" preisgeben, um in den anderen Ausgleichs-
fragen die Verfaffungspartei zu gewinnen. Schließlich er-
klärte Skene, nun wären Alle einia. Unter dieser Stimmung
schloß he gestrige Versammlung. Man ist gespannt daraus,
was die Minister in der nächsten Versammlung vorbringen
werden, um die Verfassungspartei zu beschwichtigen.
GroWritaKnieR.
T. London, 22. November. Auffälligerweise hat von
allen heutigen Blättern die „Times" allein nur einen kurzen
Auszug aus der hochwichtigen Depesche gegeben, die den Be-
richt über die Audienz des Lord Löstus beim Zaren
enthält. Man sollte fast annehmen, die „Times", die neuer-
dings in ihrer Haltung wieder stark schwankt, fürchte, es
würde aus dem Betonen dieser beschwichtigenden Erklärung
des russischer.'. Kaisers eher eine neue Beunruhigung der öffent-
lichen Meinung Englands entstehen. Dies ist in der That,
so weit man bis jetzt sehen kann, der Eindruck, den die auf
den besonderen Wunsch des Zaren veröffentlichte Depesche
hervorgebracht hat.
Die heftigste Kritik, und das ist bedentsam, übt an den
Erklärungen des Kaisers Alexander das ministerielle Organ,
der „StandardEs gab eine Zeit während dieser osten*
talischen Verwickelung, und sie ist noch nicht so lange ver-
r " m im Leitartikel mit großer
hi's und meist nur
_____ Tadel ausdrücken
wollte. Jetzt dagegen geht es so schneidig wie nur möglich
zu Werke. Rund heraus erklärt es: diese scheinbar auf
Beruhigung angelegten Versicherungen hätten das Mißtrauen
nur gesteigert; der russische Kaiser sei in den Fehler verfallen,
der „seinem Vater so verderblich wurde". Er habe sich durch
die Sprache der englischen Opposition verleiten lassen und
wandle nun aus demselben Irrwege.
Die Angaben des Zaren wer»n vom „Standard" ein-
fach als „kleinlich ausgedachte ZweMltigkeiten", ja als „ab-
solute Verdrehungen" hingestellt, yM sie sich dcr leidenschaft-
lichste Gegner des autokratischen iRegierungssystems nicht
besser zur Rechtfertigung feiner ÄnsiLt wünschen könne. Dann
kömmt der Satz: „Wir glauben Rn des Kaisers Wort
so wenig wie wir es vor JahtDn thaten. Wir wollen
ihm nicht die Ungerechtigkeit antMn, ihm eine Ehrlichkeit
zuzuschreiben, die seine ganze Laufbahn nicht bezeichnet hat."
Hier hält das ministerielle Organ! dem Zaren die feierliche
Zusicherung entgegen, die er der cA glischen Regierung durch
den Grafen Schuwaloff wegen Ks
zwar in seinem eigenen kaiserlicheii
heißt es weiter, „im Angesicht sol
absolute Monarch auch nur die
zu halten."
, Die Aeußerung des russisch
er seinen Offizieren die Erlaubt
gehen, nur kaltes Wasser aus d'
gießen wollen, giebt dem „Standm
laß: ob man auch Feuer durch Di
blendung, die hiesige öffentliche
stellungen beruhigen zu wollen.
England sich bewußt. Alles verß
vermeiden. Hier bricht der Artike
— nämlich als ministerielles ÖRan —, wenn man eine
Macht der äußersten FeindseligkevMn Verdachte hat und den
Fehdehandschuh aufzunehmen goZ
Das ist auch, glaube ich, hT
vergeblich, sich darüber einer fej
englische Regierung ist gewiß w
wünschen. Sie bestrebt sich nc^.
a's ertheilt hatte, und
f aen. „Wir bezweifeln",
Thatsachen, daß dieser
dt, sein eigenes Wort
%
.flrs. e^DM'indckn
. h, nach Serbien 'zu
ewegnng in Rußland
zu der Bemerkung An-
^ösche? Es sei eine Ver-
neinung mit derlei Dar-
'omme der Krieg, so fei
t zu haben, um ihn zu
ab. So spricht man nur
tzreii ist
rkliche Lage und es wäre
'chung hinzugeben. Die
entfernt, den Krieg zu
rüsten, innerhalb ihrer
den Charakter einer eigenthümlWn Idealität. Das Wort
wird znm Alleinherrscher in der Welt des Dichters gemacht
und vermag in dieser Souverainität ungleich mächtiger als
von der Buhne herab zu wirken, die ihre Erfolge dem In-
einandergreifen verschiedener Elemente verdankt. Rötscher's
Theorie und Tieck's praktische Ausführungen haben
der dramatischen Vorlesung das ästhetische Bürgerrecht er-
obert, zugleich aber auch die Grenzen festgesetzt, welche diese
Kunst nicht überschreiten sollte. Wenigstens scheinen uns
die freien Recitationen, mit denen sich Türschmann
eines so großen Beifalls zu erfreuen hatte, kein ersprießlicher
Fortschritt, sondern im günstigsten Falle nur ein virtuos
durchgeführtes Experiment zu sein. Indem Genee in die
Fußtapfen Tiecks, sowie seines berufensten Nachfolger Holtei
tritt, bekennt er sich zu jener Wahrheit und Natürlichkeit,
welcher man auf diesem Gebiete nicht genug das Wort reden
kann. Frei von jedem falschen Ehrgeize, sucht Geuse immer
neue Anhänger für das Evangelium der Schönheit zu ge-
winnen, und wie seine literarhistorischen Schriften keine neuen
Entdeckungen über den Britendichter verheißen, sondern daö
Bild desselben in großen Zügen entwerfen, so wollen auch
seine Vorträge nickt mit der Kunst der Bühne wetteifern,
sondern ein liebevolles Verständniß des Dichters in den
weitesten Kreisen verbreiten.
Die erste Vorlesung bot mit „Julius Cäsar" eine der
reifsten Gaben Shakespeares, dessen Genius hier im vollen
Bewußtsein der Kraft seine besten Schätze austheilt. Doch
nicht allein der Stempel der Meisterschaft, welcher diesem
Stücke ausgedrückt ist, sondern auch das Verhältniß, in wel-
chem es zu der Leistungsfähigkeit des männlichen Stimm-
organs steht, läßt die Wahl desselben als eine glückliche er-
scheinen. Fast gänzlich ist der Vorleser seines größten
Kummers, der in der Wiedergabe der weiblichen Figuren
liegt, enthoben, während andrerseits die gewaltigen rhetorischen
Stellen die willkommenste Gelegenheit zur Entfaltung dekla-
matorischer Fertigkeiten bieten. Fast durchweg stand Genee
auf der Höhe seiner schwierigen Aufgabe. Das erste Auf-
treten Cäsars beim Lupercalienfefte gelang vorzüglich und auch
die ferneren zum Zweck der Exposition ausgewählten Scenen
wurden in charakteristischer Weise wiedergegeben. Fast ohne
Kürzung vernahmen wir den dritten Akt mit der Ermordung
Cäsars auf dem Capitol und den Rechtfertigungsreden der
Verschworenen auf dem Forum. Von eigenthümlicher Vir-
tuosität ist Geuse, sobald er verschiedene Volksstimmen durch-
einandersprechen läßt, obwohl en gerade hier hart an der
Grenze feiner Kunst stehen und vor^ einer allzugrellen Farben-
gebung nicht freigesprochen werden durfte. Die Scene auf
dem Forum fand den Vorleser mijt deklamatorischer Meister
flu- v-ii/uuvn. vmv-i/ VIL L'viU
Salisbury mitgegebenen Instruktionen beweisen dies. Ader
jeder Schritt, den Rußland in der Richtung einer „zcitweisen
Besetzung" türkischen Gebietes versuchen wollte, wird auf den
gewaffneten Widerstand Englands stoßen.
Auch die „Daily News" gesteht, es herrsche in
Engläud „ein weitverbreitetes Mißtrauen irr die- Absichten
des Zaren." Mit dieser Depesche, auf deren Veröffentlichung
Kaiser Alexander selbst drang, ist dem Misstrauen nur neue
Nahrung gegeben, da der Zar die ihm zugeschriebenen weit-
gehenden Pläne blos ablehnt, um dadurch fein Anrecht auf
zeitweise Besetzung türkischer Provinzen zu statuiren und er
dabei des Drei-Kaiserbünbniffes nicht einmal mehr erwähnt,
vielmehr einseitiges Vorgehen unter gewissen Umständen in
Aussicht stellt. Diese Auffassung wird'in einigen Taqen all-
gemein durchgreifen. Auch diejenigen, die es nicht öffentlich
zeigen, werden von ihr innerlich bewegt sein. Man thut in
England manchmal, als glaube man einer Zusicherung; cs
sind sogar die Engländer, wenn sie es für nützlich halten,
Meister in der äußerlich scheinbar naiven Aufnahme solcher
nicht geglaubten Zusicherungen. Der „Standard" hat die
Anwendung dieser Kunst diesmal für nutzlos oder sogar
schädlich erachtet; und sollten Andere das Gegentheil thun,
so ziehe man in Rußland daraus doch ja nicht einen falschen
Schluß.
Griechenland.
A Athen, 12. November. Am Dienstag Nachmittag
— 7. November — ist der König Georg mit seiner gesammten
Familie nach sechsmonatlicher Abwesenheit in seine Haupt-
stadt zurückgekehrt. Kaum jemals haben die Bewohner von
Athen und dem Piräus einen ähnlichen Tag gesehen: der
Enthusiasmus und die Freud? des gcsammten'Äolkes waren
unbeschreiblich. Schon in Kotinth und Kalamak! von dem
Ministerpräsidenten und dem Marineminister, von Behörden
und dem zusainmengeströmten Volke' aufs Herzlichste begrüßt,
gestaltete sich der Empfang der königlichen Familie imPiräus
und in Athen geradezu zu einem' Freudentaumel und zu
einem Ausbruch des Volksenthustasmus, wie wir ihn kaum bei
der ersten Ankunft des Königs in Griechenland erlebt haben.
Der ganze Piräus, ganz Athen waren auf den Beinen.
Und was uns ganz besonders erfreut: das gesammte Volsk
war es, welches fernem heimkehrenden Könige diesen freudig
erhebenden Empfang bereitete. Da war nichts Gemachtes,
nichts Besteütes^zu merken. Das Herz des Volkes sprach
sich klar und deutlich in dieser Huldigung aus. Wir lassen
die Anreden der Behörden und Vereine, wir Mergehen
die Antworten des Königs — aus den Augen des .Volkes
sprach die begeisterte Freude, den König wieder in seiner
Mitte zu sehen; aus den Augen dcs Königs freudige Be-
geisterung, sich wieder in der Mitte seines Polkes zu wissen.
Der Festjubel verrauscht, die Festtage stnd vorüber — die in
diesen Tagen offenbar gewordene Einigkeit und Liebe zwischen
Fürst und Volk aber giebt uns, den Freunden des griechischen
Volkes, eine starke Bürgschaft, daß König und Volk auch in
den schwierigen Zeiten, die Griechenland bevorstehen, ein-
heitlich zusammenstehen, gemeinsam arbeiten und kämpfen
werden. Nur dann wird Griechenland siegen und die ge-
waltigen Schwierigkeiten überwindey, welche die gegenwärtige
Lage des Orients der freien Entfaltung der WM des ge-
sammten Griechenlandentgegensteltt> . -
Die politische Debatte'über die Rüstun'gSvörschläge dcs
Ministerii hat in hp Kammer ihren Anfang gdhominen.
Die Häupter)der Opposition Deligeorgis und -Trik^p^-habeu
in stundenlangen Reden ihren Herzen Luft gemacht, seknndirt
von mehreen Männern zweiter Ordnung, und das Ministerium
ob seiner Politik in Vergangenheit und Gegenwart scharf
angegriffen. , Allein das Mimsterium hat einen trefflichen
begründet nicht sind, dasMinisteriu m siegreich aus der Debatte her-
vorgehen und ein Vertrauensvotum Seitens der Volksver-
tretung erhalten wird. Dann aber wird es Sache des Mi-
nisterii sein, zu zeigen, daß ,es ihm heiliger Ernst mit seinen
Vorlagen über Anleihen und Kriegseorbereitnngen des Volkes
gewesen ist — es wird mit Energie und Ausdauer zu mrbei-
Fortsevung im ersten'Beiblatt.
Tragödie, so auch bei dem Vortrage, einen tiefergreifenden
Höhepunkt. Den übrigen Theil der Dichtung faßte Genöe
kurz zusammen und verweilte nur bei einzelnen charakteristischen
Stellen, wie dem Streite der beiden Feldherren Cassius und
Brutus, sowiö dem Tode des letzteren. Die m den Vortrag
zahlreich eingestreuten ästhetischen Bemerkungen waren von
überzeugender Richtigkeit und mußten, da sie dem Dichter
keine fremdartigen Gedanken unterlegten, sondern ihn für sich
selbst reden ließen, das beste Zutrauen zu der Führerschaft
des Vorlesers erwecken, welcher von dem Auditorium wieder-
holt durch Beifall ausgezeichnet wurde.
Eugen Zabel.
Königliche Schauspiele. ' ;
Mittwoch, den 23. November wurde das seit vielen
Jahren bekannte französische Lustspiel in zwei Akten „Der
<31 t rft 0 J t & lt^ tn Söv rtz-tvAstt-fnv*,* türm Cs i O. it a
schuft gerüstet, und des Antonius
geblieben, hätte es ihr auch jetzt erspart bleiben sollen. „$
kleine Richelieu" ist eine Hosenrolle für junge, munt
'*'“**'* esn gilt einen föiilr*
Der
... .. .. ^ muntere,
schlanke Schauspielerinnen; es gilt einen fünfzehnjährigen
Knaben darzustellen, der sich zum Jüngling auswächst. Das
Fräulein Friederike Gossmann nnd, wenn mich mein Gedächt-
niß nicht täuscht, auch das Fräulein Hedwig Raabe wußten
solche Bürschchen in einer Art Pagenkostüm allerliebst und
neckisch zu spielen; es erschien so natürlich, daß die jungen
Mädchen sich einmal in Uniform steckten und mit dem Schwerte
raffelten. Warum Frau Niemann dieselbe Neigung hat,
ist meinem Geschumck und meinem Gefühl unerfindlich. Däum-
ling war bekanntlich ein großer Held, aber doch nur im Mär-
chen, nicht auf der Bühne. Auf den Brettern ist ein junger
Richelieu, der einen Kopf kleiner ist als sämmtliche Damen,
mit denen er kokettirt, der aussieht wie eine Frau und der
mit seinem unruhigen Hin- und Hertrippeln den Zuschauer
beständig an das fehlende Schleppkleid erinnert, eine Possen-
figur, eine zierliche Puppe für eine Bonbonniere. Außer Frau
Ntemann waren in dieser Komödie für alte Kinder die
Damen Fr. Frieb-Blumauer (Herzogin von Noailles).
Frl. Hofmeister (Herzogin von Richelieu), Frl. Reichardt
(Fräulein von Noce), Fr. Haase (BaroninBellechasse) und
die Herren Göritz (Matignon), Oberländer (Baron
Bellechasse) und Vollmer (Friseur) beschäftigt.
K. Fr.
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J. C. F. Schwartze, Leipzigerstr, U2, Gustav Rettig, BcllcalHancestr 3 in NvrliM,
Düsseldorf,
München, PgVis, London,Köln
-1854. ^ 1855. 1862. 1865. ,
EmpfeHlenswerlH für jede Familie.
^Miblin>rw> n«r
'1865. oqvtt M
Anstze^eicbnet ans der Beise, besonders
Fabriken, Gewölben etc, etc.
zur See, aus der Jagd, iu der^
Boonekamp
ol niaag-BHter,
, , . bekannt ui^ter der Devise:
’ - „Occidit, «jui non servat*;. ,7
erfunden und einzig und allein destillirt von
H. Uncfterberg-Albrecltt
am Bathhause in Bbeinberg am Niederrhein, (6866
Hoflieferant: ' '
8i. x->i- V Sr. Majestät des Königs von
Baiern,
Sr. Kgl. Hoheit des Fürsten
z Hohenzollern-Sigmaringen,
Sr. Kaiserl. Maj, des SulL
S. Maj. des Königs Ludwig I.
von Portugal,
sers u. Königs von Preuss.,
Sr Königl. Höh. des Prinzen
Friedrich von Preussen,
Sr. Kais; Maj. des Taikuns
- . von Japan,
Sr. Kais. Hoheit des Prinzen
des ln-und Auslandes geprüfte Composition bürgt für den günstigen Erfolg.
Derselbe ist in ganzen und halben Flaschen und in Flacons ächt zu
haben in Berlin, bei den Herron: Ferd. Deickc, Königstr. 11, Job. Gerold,
Unter den Linden 24, Th. Schätze, Jägerstr. 50; 1. F. Schnitze Söhne,
Potsdamerstr. 1; sowie bei den übrigen bekannten Herren Debitanten. _________
Philadelphia.
Paris,
1867.
Wittenberg,
1869.
Altona, Wien, Bremen, Cöln,
1869
1873.
1874.
1875.
delpl
876.
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kalkhaltig 12% Sgr., empfiehlt
✓2- •* äs . Jerusalemer- n. Mohren-
Kmjl SArtll straßen-Ecke am Haus-
voigtei-Pl. Berlin.
Berliner Fabrik von
tot
mBBaBSBSfi^msasmsss^s^BW^-.____________ .... ,
Ein neuer Roman Von Georg Ebers,
dem Verfasser von „Hine ägyptische Königstochter?
Im Verlag von Eduard Hallberger in Stuttgart ist soeben erschienen:
Roman
aus dem alten Aegypten
-• von
Georg Ebers.
3 Bände. 8. Elegant brochirt. Preis Mk. 12s fein-gebunden Mk. 15.
Nach einer Pause von vierzehn Jahren hat sich der Autor von „Eine ägyp-
tische Königstochter" entschlosien, einen neuen Roman, „Uarda" betitelt, zu verfaffen, und
es gereicht der Verlagsbuchhandlung zur besondern Freude, dieses Werk dem deutschen
Publikum vor dem Weihnachtsfeste darbieten zu können. Der nicht nur von seinen geleyr-
ten Genofien in der Forschung, sondern von dem gebildeten Publikum weit über Deutsch-
lands Grenzen hinaus gefeierte Name des Verfassers bürgt für die Gediegenheit dieses Werkes,
welches an poetischer Kraft und stylistischer Reinheit dem Besten gleichkommt, das auf dem
Gebiete der erzählenden Kunst in Deutschland geschaffen wurde. W>r glauben behaupten
zu dürfen, daß in Uarda die Gestalten noch plastischer hervortreten, die Farben noch glän-
zender wirken, die Gedanken noch tiefer greifen als in der ägyptischen Königstochter, dem
in viele fremde Sprachen übertragenen Lieblingsbuche unserer gebildeten Kreise.
Wiederum führt nutz; Ebers in das alte Aegypten und läßt uns Theil haben an
dem Lebest des Pharaonenvolkes, seinem Leid und seiner Lust, seinem Haß und seiner Liebe.
Er leitet uns in den Palast -des Königs und die Hütte der Geächteten, in die Tempel und
Schulen des hunderttborigen Theben und mit wachsender Spannung folgen wir den lebens-
vollen von ihm geschaffenen Gestalten zum heiligen Sinaiberge und auf die syrischen Schlacht-
felder. Niemand wird diese schöne Dichtung, dieses treue, auf tiefen Forschungen ruhende
Zeitbild aus der Hand legen, ohne in ihm reichen Genuß und vielfältige Belehrung ge-
funden zu haben.______________________■ . i ■ t - • • ' ' -' (5625
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auf der Hin- und Rückreise Antwerpen nnd Lissabon anlaufend,
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D. Hoherrzollcrn 25. Dezember D. Salier 25. Januar
und ferner am 25. jeden Monats. -
2» Fahre erprol
Besen,
8^8t6IH
AIeLäliiK(6i'.
Die stete Vervollkomm-
nung meiner Ofenfabri-
kate, System Meidinger,
veranlasst mich ausdrück-
lich darauf hinzuweisen,
-dass solche sämmtlich
■meinen Fabrik - Stempel
tragen und eine Muster-
collection derselben ebenso in meinem Maga-
zin wie in der permanenten Berliner Bau
Ausstellung (Architekten-Vereinsb^us, Wii-
helmstrpsse92 93) aufgestellt ist — Die vor
bundenen 6 Musterblätter werden portofrei
versandt und enthalten den geschmackvoll
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' Hierzu zwei Beiblätter.
aus
ho,
: Erste Beilage zur Königlich privilegierten
Berlinischen Zeitung, Nr.217,1861,Spt.17, S. 2-3
Mariä Himmelfahrt, von Tizian,
copirt von Ratti.
-r Unterschied der heutigen Kunst von der, dlü vor emi-
hundert Jahren betrieben ward, liegt m ihrer Nothwen-
damals und in der gänr ich verschiedenen Stellung,
-welche sie heute dem Botte gegenüber einnimm Dre alten
italienischen Meister waren nur Werkzeuge. Brlder verlangte
man, die Ideals, welche das Volk im Herzen trug, erblickte
e-»m schönsten, wenn es fie in bunten Gestalten vor, sich
sah Undenkbar war den Leuten damals eine christliche Krrche
ohne bildliche Darstellung der Personen, ru denen sie beteten.
Man bedurfte de- Anblicks der billigen Jungfrau »nt vrr.
klärtem Gesicht, rothem Gewände und blauem Mantel.
Man wollte die Apostel vor sich haben: Paulus und
Petrus als starke, bärtige Männer, Johannes als frauen-
haft reizenden Jüngling. Gottvater mußte herniederdUcken
mit hoher Stirn und gewaltigen Locken um Haupt und Lippen,
Christus mußte feine Augen aus unS nchten als emstes,
himmlisches Kind oder als remes mannlrcheS Antlitz, und bie
Engel auf zitternd schwebenden Gewöllen, dre Helligen m
wallenden Kleidern: Alles eine unendliche den Hrmmel ve«
wohnende Bevötterung. die den Seelen der Menschen ferner
gewesen wäre, hätten sie nicht die reinen Gestalten, die Kal-
, ten der Gewänder, das heranlockende Lächeln, den ewigen
! Aether mit Augen gesehen, als das Land der Sehnsucht, das
' itbem entgegenwinkre, der dahin emporsah,
j Das ist anders heute. Für die Befriedigung solcher Wünsche
' giebt eS keine bildende Kunst mehr. Die Zeit ist fortgesckrit-
i ten .Md die Gedanken haben die Stelle der sinnlichen An-
! scharrurrg eingenommen. Die Sprache ist in die Rolle der
bildenden Kunst eingetreten, ein reineres, mehr vermögendes
Werkzeug als sie. Zu der Zeit, als Rafael malte, gab e-
keinen Menschen, der mit den Worten einer Sprache hätte
! ausdrücken können, was Rafael in Linien und Farben kund-
| gab. Heute lebt kein Maler, der mit Rafael's Mitteln so
- viel zu offenbaren fähig wäre als ein Dichter mit dem Zau-
ber des Wortes, daS die Welt beherrscht und dem alles An»
d?re als die g-ringere Macht sich unterordnet.
! Die Künstler jener vergangenen Zeiten, in denen die Kunst
, allmächtig war, stellten das Ideal des Volkes dar, der heu-
> tige Künstler giebt nur individuelle Anschauungen. Wir ha-
i ben keine allgemeine bildende Kunst mehr, sondern nur noch
Maler und Bildhauer, die sich so gut sie können verständlich
zu machen suchen. Gerade wie es vor Jahrhunderten keine
allgemeine Literatur gab, sondern nur einzelne Dichter und
Schriftsteller, damals wurden Gemälde geschaffen, bei deren An-
blick Jeder empfand, das ist die höchste Form dessen, was in dir
selbst lebt, während die Schriftwerke für den Liebhaber mehr
nebenherliefen; heute werden Bücher geschrieben, die das er-
füllen, währtnd die Kunst für die nebenherläuft, die ihrer
bedürfen. Die Rollen haben gewechselt. Gesagt muß eS
werden, einmal dann, wenn erklärt werden soll, warum die
heutige Kunst sich unaufhaltsam dem leichteren Spiel zuneigt
und lieber daö Angenehme, Interessante, Anmuihige, Rei.
rende, Befriedigende darstellt: Alles Dinge, die mehr zu
freundlicher Begleitung des Lebens dienen, während die
Kunst jener vergangenen Tage' das Tiefe, Emste. Erhabene,
Gewaltige ergriff, das den Kern des menschlichen Daseins bil.
dete und ohne das das geistige L.bcn nicht zu denken war.
Gesazt muß cS auch werden, wenn wir uns zu erklären
suchen, warum in den Bildern der alten Meister etwas stockt,
was uns in den äußeren Mitteln sogar, mit denen eS ge-
schaffen worden ist, heute unübertreffbar, ja unerreichbar er-
scheint. Die Mittel fehlen beute, weil der Ernst der Aufgabe
mangelt. Wie Tizian zu färben, dazu bedurite eS nicht al-
lein seinrr Erfahrung und Wissenschaft, sondern auch deö Ge-
wichtes, das seinen Werken inne wohnte. Man w. kleide heute
einem Maler die innere Ueberzeugung, seine Bilder feien so
hohen Zwecken dienstbar, wie eS vor Zeiten Tizians Werke
waren, ein Gemälde müsse die ganze Kirche durch-
leuchten, und das Volk mit erhöhter Frömmigkeit er-
füllen , oder» um etwas NäherliegendereS zu wählen,
man gebe heute einem Maler die Zuversicht, die Lein-
wand, auf der seine Hand die Thaten unserer Zeit
oder unserer Geschichte darstellt, trage in Wahrheit dazu
bei, unS politisch vorwärts zu bringen: daS allein würde ihn
die rechten Farben finden lassen, um den Eindruck feines
Werkes dadurch so gewaltig zu erhöhen, als Refael und Tizian
durch ihre Farben ihre Gemälde mit glüh rüderem Feu-.r er-
füllten. Doch wir wissen alle, daß heute das Bott oaS richt
mehr von den bildenden Künstlern verlangt. Wir wissen, daß
auf die Sprache diese Macht übergegangen ist. Kein Maler
oder Bildhauer lebt heute, glaube ich, der das zu brstrei*
tenwaate.
An diesen Unterschied muß gedacht werden, wenn die Ge-
mälde der vergangenen Jahrhunderte richtig aufgefaßt wer-
den sollen. Zm Saale der Thicrarzneischule ist die Copie
eines großen Gemäldes von Tizian ausgestellt, eines Werkes
aus jenen Zeiten, in denen die Malerei das höchste Mittel
zur Darstellung der höchsten Ideen war. Wir sehen die
Jungfrau zu Gottvater emporschwkben während auf der
dunkeln Erde unten die Apostel als -irdische Zeugen der
Scene zurückbleiben, die vor ihren Augm sich aufthut.
Im Geiste des Katholicismus jener Tage las es, Himmel
und Erde jo nah verbunden darzustellen als nur möglich,
elelckffam eine Treppe sichtbar werden zu lassen, deren untere
Stufen auf die Erde aufstießen, während die oberen direkt
in die himmlische Behausung der Seligen mündeten, ein er-
steigbarer Pfad, den es nur zu entdecken und mit der ge-
hörig;« Geistesverfassung zu betreten galt, um als sterb-
licher Mensch mitten aus dem Wüste der Verhältnisse
in die Reinheit eines verklärteren Daseins hinan fzu-
klimmen. Eine Vorstellung der Unsterblichkeit wie sie
die alten Griechen und Römer kaum beauemer und
beruhigender besaßen. Man meint oft, wenn man diese Ge-
mälde steht, wo sich der offene Himmel mit seinen leuchtende»
Wolken so tief auf die Erde senkt,
nur Diesem odrr Je
einer der Engel brauchte
Jenem die Hand herabzustrecken, um auch
ibm mit einem Aernen Schwünge milde mlt emporzuhelfen.
Dbrn dann dieselben Moden gleichsam wie unten; derselbe
Schnitt der Gewänder, dieselbe Musik, Flöten, Guitarren
und Notenblätter, und vergeistigt dasselbe Dasein, das unten
geführt ward. Warum sollte ein mit PhanUsi; degaebts Volk
nicht so denken, wenn es das von Generation zu Genera-
tion abgebildet sah an den heiligsten Statten, uno wenn die
Priester die Wahrheit der Gemälde bestätigten? Heute find
str auch dem gläubigsten Katholiken nur Symbole, und
selbst wenn er als Künstler diese Gestalten wieder»
holte, würde es sie für nrcht mehr als symbolische Er«
scheinungen halten.. Wie aber muß- da die leibhaft ge
Form und Farbe nicht fehlen, wo uns der leibhaftige
Glaube abgeht, der die Dinge für wirklich hält wie er sie vor
sich sieht? Farbloser und gestaltloser sind unsere Empfindun-
gen geworden, mit denen wir das unendliche unbekannt
Reich berühren, dessen Theil wir zu wrrden erwarten, wrnn
rs mit der Arbeit hier unten ein Ende hat.
Selssam ab?r ist der Anblick, wir in der Phantasie der
Künstler selbst während jener Jahrhunderte, in denen die
Kunst die höchste Macht besaß, die Form der himmlischen Er.
fcheinungen wechselt, welche sie darstellen. Vergleichen wir die
Himmelfahrt Mariä, wie sir Tizian hier auffaßt, mit Bil-
der« früherer Meister. Einfacher und ruhiger geschieht
La das große Ereigniß. Bürgerlicher möchte mau sa-
gen. Die vornehme Grazie geht da der Jangfrau ab,
die 8eiim:schaft den Aposteln. Tizians Zeiten waren die, in
denen eö natürlich war, daß große Künstler in den Adel er-
hoben wurden, wo der Geist jener monarchischen Adelsherr-
fchafl, der die Seele dcö endenden i6jund des folgenden
Jahrhundert- ist, auch die religiösen Vorstellungen durch»
drang. Bewachten wir, um ein noch treffenderes BeispielM
wählen, den Unterschied in der Darstellung der Verkündigung
Mariä, wie man diese Scene im 15. und wie man sie im
17. Jahrhundert inalte. Dort eine still sich verneigende Magd,
zu der der Engel in bescheidener Bewegung näher kommt,
hier eine in vorn hm graeieuse Verzückung gerathende Fürstin,
,u der ein himmlisch begeisterter junger Adliger heranstürmt, um
ihrdasGmckzu verkünd,,: zudem sie auserlesen ward. Tizian
steht noch in der Mitte zwischen beiden Anschauungen. Die
heilige Jungfrau, wie wir sie auf seinem Gemälde hier sehen,
ist zwar längst nicht mehr die schlichte jugendliche Frau der
früheren Zeiirn, dennoch aber muß sie uns wahr und einfach
und schlich; erscheinen, wenn wir daran denken, wie Paul
Veronese oder Rubens diese Scene aufgefaßt. Bet denen
völlig ein
lersönlichkeiten. Da
find die Bewegungen der vornehmen G«
sedrung-n in das Hoflager der heiligen \
seht alles zu wie in Rom und Fontainebleau und Madrid in
den höchsten Cirk ln. Ihre Gemälde bezeichnen die Epoche,
in der die durch die absolute Monarchie protegirte Reaktion
des KüboliclSmuS gegen den Protestantismus in höchster
Blüthe stand und die Kirchr äußerlich ihre glänzendsten
Triumphe feiert;. . ■ r x w s
Nach diesen Zeiten aber brachen dann d:e,enigen ein, wo
auch d:e Kraft dieser Bewegung sich erschöpfte: der Geist der
Menschheit erholte sich. Die prächtigen Gewänder verschos.
sen, die Edelsteine verloren den Glan», die goldenen Pauken
und Flöten den süßen Klang, und all daS tn einem künstli-
che» angeblasenen Winde sich kräuselnde und knitternde Md
siatternde Kleber» und Wolkenwerk ward zu inhaltslosen De-
korationen Mit dem Obliegen anderer Gefühle und Gedan-
ken b i Himmel und Ewigkeit ging die Kunst verloren, die
ün Dienste der Kirche die alte Herrlichkeit darzustellen hatte.
Mythologische Gestalten find das heute. Niemand bildet sich
mehr ein, ihnen zu begegnen, wenn er das Leben verläßt.
Niemand wenigsten- unter denen, die heute die Mehrzahl
bilden. Auch unter den Katdol km nicht mehr. Man be-
trachte neuere Kirchenbilder. Das find keine lebendigen Hei-
ligen mehr, sondern mühsam gefärbte Schatten, die keine
Seele mehr überredn:, daß sie Turnn im Himmel dermaleinst
begegnen werde.____
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Man betrachte die alte» Gemälde aber, um zu Ahlen,
w-lche Macht der Kunst tur Beit ihrer Blüthe m Italien
verliehen war und wie großartigAe sich ihrer bediente. Kann
eine Begebenheit wie fcic dargestellte i»
hHl* ttSSe »Wn in bis S^ele dringen als durch den An-
K ®Ä 9»ie d-s Siiionä hin, Zm mm
Grads müssen wir die Kunst anerkennen, ant welcher ine
CopiVd?- Original wirdergiebt. Dir Farben find fv durch.
utib leuchtend als wären sie alt. 2stan üeht der A-in-
selfüsrung an wie gründlich Herr Ratti sein Vorbild studirt
Lat Tizian richtete seine Maleret, nach dem Orte em, den
Die'Bilder einnehmen hatten. Hier mußte nnt kühnen star«
ken Zügen der Effekt erreicht werden, dessen eS bedurfte, und
die Copie hat dies auf das Glücklichste nachgeahmt. Ja, eS
ist sogar etwas geschehen, was mehr als bloße- Copiren ge-
nannt werden darf. Auf dem Originale erscheint manche- in
hohem Gradr nachgedunkelt. Herr Ratti hat diese Partien
lichter und klarer gehalten, und durch das Verständniß, mit
dem er hierbei verfahren ist, dem Gemälde einen Reiz vw-
liehen, welchen in dieser Bez'ehung das Original selbst nicht
mehr besitzt, das, wie bekannt, in der Kirche, in der eS sich
befand, bis zur völligen Verdunkelung einge^chwärzt war und
auch nach der Restauration in den unteren Theilen besonders
dunkel geblieben ist.
Tizian zeigt die ganze Gewalt feines Colorits auf diesem
Bilde. Lauter ungebrochene Farben, und nicht eine einzige,
die nicht zu den nebenstehenden sowohl, als zum Ganzen in
richtigem Verhältnisse steht. Schreiende- Roth und Grün
und Blau, und doch kein Ton, drr vorlaut den anderen über-
tönte. Gin so große- Gleichgewicht herrscht in der Färbung,
daß, wenn man die ganze Leinwand nur den Farben nach
zerlegen und ohne Rücksicht aus Zeichnung die einzelnen Töne
aneinander setzen wollte, sicherlich die gleichmäßigste Skala
daraus entstehen würde, in der keine Farbe sich verdrängte
und in der auch Licht und Schatten in demselben wohlthuen-
den Verhältnisse ständen.
Eben so bewunderungswürdig ist di? Kunst, mit der bei
der Schmallnit des Ganzen die drei übwiqandeUiegenden
Theile der Composition verbunden sind. Wie die Höhe sich
rur Mitte herabzieht und die Mitte aus der Tiefe emporstre-
bend hervorgeht. Schön ist dabei der Gegenlatz de- Irdi-
schen unten zum Himmlischen oben und die Verbindung bei-
der. Die Gestalten der Apostel derb und dunkel in den Tö-
nen, fest an der Erde klebend gleichsam, lauter prachtvolle,
starke Gestalten. Die Jungfrau dann, die Mitte bildend
zwischen hier und dort, und Gotwater endlich über ihr ganz
ideal und im leichtesten Fluge sie in seine offene Arme neh-
mend. Was die Engel umher anlangt, so seift sich in die-
sen freilich am wenigsten drr Einfluß des ernsten Gedan-
kenS, drr das Gänze erfüll». Diese Kinder i« allen
denkbaren Verkürzungen wurden allmälig zu einer Art
Spielerei, wie die Eolorataren etwa, mit denen eine
Sängerin den vollen Umfang ihrer Mittel zeigt. Die Maler
suchten sich hier zu übertreffen. Immer neue, überraschendere
Purzelbäume in den Gewölken erfanden sie für da- kleine
himmlische Gewimmel, und es kam soweit darin endlich, daß
in d r That da-Unmögliche gethan ward. Mit dem verglichen
indeß, was spätere Meister leisteten, hat sich Ttzian hier noch
sehr zurückgehalten.
Einfach und natürlich entfaltet sich die Composition. Keine
Spur von Sentimentalität finden wir in dem Gemälde. Die
Jungfrau, wie sie die Arme ausbreitend mit ihre« Antlitze
den Abglanz des Himmel- auffängt, erscheint so wahr und
leibhaftig wie eine Madonna Rafael-: eS bedarf keiner be-
sonderen Stimmung, um sie zu bewundern. Jeder-
mann erblickt, wa- vorgeht, deutlich, als geschähe e-
vor seinen Augen, und wäre man selber Zeuge de-
Ereigm'sseS. Tizian'- Gemälde haben alle diese Eigenschaft,
vielleicht steht er allem ebenbürtig neben Rafael durch die
Kraft, den völligen Eindruck des Wirklichen mit einer heite-
rm Verklärung zu vereinigen, so daß uns wird, als sähe er
die Dinge nur klarer als wir und präparirte nicht erst ein
besonderes Licht für sie. Sein Gemälde vom Zm-grosche»
ist das letzte vielleicht der italienischen Schule, auf dem da-
Antlitz Christi zugleich in überirdischer Schönheit und unbe-
fangener Natürtichkeit erscheint, als hätte er wirklich so unter
den Menschen gewandelt. Nirgends, so effektvoll Tizian'S
Wcrke sind, begehen wir bei ihm der Absicht, diesen Effekt
zu erreichen oder Mängel mit ihm zu verdecken. G- ist seine
innerst? Naiur, so zu srhen und so zu malen, wie e- die
Eigenschaft eines RofenbaumeS ist, sich mit glühenden Blü-
then zu bedecken Im Frühling. —
Das hier ausgestellte Gemälde sollte Niemand zu sehen
versäumen, der für die Geschichte der religiös» Malerei und
für Tizian Interesse hat. WaS ich darüber Wagt habe, ent-
hält durchaus keine umfassende Würdigung, sondern soll nur
dazu beitragen, daraus aufmerksam zu machen. Nicht allem
jedoch verdient eS als ein Wsrk des großen Benetianer- un-
ters Aufmerksamkeit, auch als Copie ist e- eine bedeutende
Arbeit, wle d-rm in den letzten Jahren kaum eine mühevol-
lere und zugleich glücklichere unternommen und ausgeführt
l worden ist__ ___________________Herman Trimm.
* **
/•
# H -
^2520 105
und leblos, ohne Athem
Vor ihm lag der schöne Jüngling;
Lag, zerzaust die langen Haare,
Federn und Gewand zerrissen,
Todt im Sonnenuntergange.
Und der Sieger Hiawatha
Grub sein Grab, wie er's geboten;
Ab die Kleider von Mondamin
Streift' er, die zerriss'nen Federn;
Legt' ihn in die Erde, ließ sie
Leicht und locker ihn bedecken;
Und der Reiher, der Schuh - shuh - gah,
Her aus traurigödem Moorland
Sandte schrill angstvollen Wehruf,
Ruf der Klage, Ruf des Schmerzes.
Heimwärts dann ging Hiawatha
Zu der Hütte der Nokomis,
So vollendend und erfüllend
Seines Fastens sieben Tage.
Doch der Ort ward nicht vergessen,
Wo er kämpfte mit Mondamin;
Noch verabsäumt ward das Grab auch,
Jenes, drin Mondamin ruhte,
Schlafend da in Sonn' und Regen,
Wo sein Kleid und seine Federn,
Die zerriss'nen, die verstreuten,
Bleicheten in Sonn' und Regen.
Tag für Tag ging Hiawatha,
Sein zu warten, sein zu hüten;
Hielt den schwarzen Boden locker,
Hielt ihn rein von Kraut und Käfern,
Trieb hinweg mit lautem Hohnruf
Kahgahgee, der Raben König.
Bis zuletzt ein kleines grünes
Federchen langsam emporschoß
Aus der Erde, dann ein zweites,
Wieder dann und wieder eines,
Und zuletzt, vor Sommers Ende,
Schön der Mais und herrlich dastand,
Ganz in seinem glänzenden Kleide,
Ganz in weichen gelben Locken,
Und entzückt mein Hiawatha
Ausrief: „Ja, es ist Mondamin!
Ja, des Menschen Freund, Mondamin!" *
Holt' er flugs sich die Nokomis,
Auch Jagoo sich, den Prahler,
Zeigte beiden, wo der Mais wuchs,
Sprach von seinem Waldgesichte,
Seinem Ringen, seinem Siege,
Sprach von dieser neuen Gabe,
Die von nun an und für immer
Nahrung sey der Erde Völkern.
Und noch später, als der Herbstwind
Gelb die langen Blätter färbte,
Und die weichen saftigen Körner
Hart und gelb wie Wampum wurden,
That er ein die reifen Aehren,
Ab die welken Hülsen streift' er,
Wie die Kleider einst vom Ringer,
Gab das erste Fest Mondamins,
Machte kund den Menschen diese
Neue Gift des großen Geistes.
* Mondamin, das indianische Wort für Mais.
(Fortsetzung folgt.)
Die Venus von Milo.
Mir gegenüber steht die Maske der Venus von
Milo. Seit Jahren sehe ich sie täglich an, oft gleich-
gültig, oft in fremden Gedanken, ohne zu wissen, was
ich vor mir habe, und Plötzlich ist mir dann wieder, als
sähe ich sie zum erstenmal, schöner als ich sie je er-
blickte.
Was eine Frau in unsern Augen schmückt und
erhebt, vereint sich mir in diesen Zügen. Ich denke
Morgenblstt. 1858. Str. 5.
an die zurückhaltende Hoheit der Juno und finde sie
hier wieder; ich denke an die verstoßene Zärtlichkeit
Psychens, und ihre Thränen scheinen über diese Wan-
gen zu rollen; ich denke an das verführerische Lächeln
Aphroditens — es spielt um diese Lippen. — Welch ein
Schwung in diesen Lippen! die obere zart hervorspringend
in der Mitte, dann zurückweichend nach beiden Seiten,
leise dann wieder vorschwellend und endlich in den
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
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Winkeln des Mundes versinkend, der geöffnet ist, nur
ein wenig. Redet sie? seufzt sie? athmet sie den Opfer-
dampf ein, der zu ihr aufsteigt? Alles; wenn man
denkt, sie thäte es, so thut sie's. Lieblich und mit
einem leichten Grübchen darunter, fast als wollte sie
sich spalten, liegt die Unterlippe unter der oberen, deren
Mitte ein wenig über sie hervorspringt, in der Art,
wie man es oft bei Kindern sieht; aber es kommt
nichts kleines, niedliches etwa so in diese wundervollen
Formen. Sanft abgeplattet und energisch groß gerun-
det setzt das Kinn an, und eine volle, starke Rundung
liegt zwischen ihm und dem Halse, der weder zart, wie
der der mediceischen Venus, noch schlank, wie der der
Diana mit dem Rehbock, sondern vom reinsten Eben-
maß ist, für das wir keines schmückenden Beiworts
bedürfen.
Die Augen erscheinen klein, doch bemerkt man es
erst, indem man sie einzeln betrachtet; die Augenlieder
sind schmal und ohne scharfen Contour. Wie anders
springen sie bei der Pallas Athene des Phidias her-
vor, daß man fast die drohenden Wimpern zu sehen
glaubt, und das blitzende Auge, das sie beschatten! Auch
theilt man ihm die Statue nicht zu, sondern seinem
weicheren, weniger strengen Nachfolger Skopas, oder
dessen Schule. *
Die Brauen sind wenig gebogen und den Augen
aufgedrückt. Auch die Stirn ist niedrig und breit, die
Wangen nicht voll, aber breit, der Nasenrücken nicht
minder, zwischen den Augen leise zusammengenommen,
dann wieder auseinandergehend und in die Wangen
auslaufend, bis er sich an der Spitze neu in deutli-
cherer Form gibt. Doch ist hier nichts scharfes, vor-
strebendes in ihrer Bildung; voll und sanft abgerundet,
dabei ein wenig übergesenkt (im Profil eine der zar-
testen Linien), entspricht sie den aufathmenden Nüstern
und dem geöffneten Munde, dessen obere Lippe sein
und sehr nahe unter ihr ansetzt.
Erwägt man jeden Theil für sich, so geräth man
in Versuchung, ihn einzeln zu stark zu finden; vergleicht
man aber die Theile unter einander, so scheinen sie
fast zu klein. Ich will dieß nicht zu erklären suchen und
weiß den Grund nicht. Allein dieser Widerspruch drängte
sich mir stets auf, so oft ich den Kopf genauer und
längere Zeit ansah. Wie man ihn aber nimmt und
betrachtet, immer entstehen neue, überraschende Linien
und niemals auch nur die geringste Biegung, welche
man anders wünschte. Zauberisch wirken Hell und
Dunkel, wenn man Abends ein Licht in verschiedenen
Stellungen zu ihm bringt. Da lebt oft alles, die Lippen
* Waagen.
zittern, die Augen blicken und die Wangen sich.
Was bei Tag eine leere glatte Fläche erschien, erhält
im zweifelhaften Schimmer lebendigen Ausdruck; an der
Stirn erscheinen Uebergänge unmerklicher Modellirung,
und man glaubt gefunden zu haben, was den Augen
solchen Reiz verleiht, denn es zeichnen sich um sie große,
wunderbare Höhlen, aus denen sie so strahlend her-
ausleuchten. In den Mundwinkeln nistet sich dann
aber ein Lächeln ein, wie nur die Göttin lächeln konnte,
die sich den Sterblichen hingab und dennoch niemals
schwach und sterblich war.
Sagt ihr Antlitz schon soviel, was erst die ganze
Gestalt! Einstimmig wird sie als die schönste aner-
kannt, welche von antiker Arbeit uns erhalten blieb.
Ich kenne das Original nicht, nur den kalten Gyps-
abguß, im hiesigen neuen Museum an einer Stelle auf-
gestellt, wo das Licht von der Seite fallend die Figur
mit einer gleichgültigen Helligkeit umgibt. Ungünstig
ist der Platz nicht. Sie steht allein in einer Nische,
man kann ganz in ihre Nähe und wieder zurück treten,
man fühlt die adelige Ruhe, die Hoheit ihrer Erschei-
nung, man möchte sich nicht abwenden von ihr, — aber
dennoch: es sind so viele Jahre vergangen, seit der
Künstler seinen Meißel zum leztenmal ansetzte, und es
lebt kein Volk mehr, das in ihr das Symbol ewiger
Gefühle verehrt.
Der Reiz der Neuheit ist kein frivoler, das Zeit-
alter, in dem wir leben, ist das beste, besser als alle
vorangehenden, der Frühling, dessen Luft wir athmen,
der schönste, sein Nachtigallengesang süßer als der des
verflossenen Jahres. Es ist unmöglich, sich zurückzu,
zaubern in die Gefühle verlebter Zeiten; was uns aus
jenem Blüthenalter der Kunst geblieben ist, ermangelt
des Reizes, der einst sein schönster war: es lebt kein
Volk mehr, das den Meister umschloß und seine Werke,
durch die er sein eigenes Geheimniß offenbarte, welches
zugleich das seines Volkes war.
Was ist mir diese Gestalt einer Göttin? Was
nützen mir die Gedanken, die sie in mir erwachen läßt?
Eine unfruchtbare Sehnsucht sind sie, fremd mir selber,
in dem sie zu reden beginnt. Ich betrachte sie; ich
denke, so erhob sie sich aus dem Schaume des Meeres,
rein, wie die Fluthen, denen sie entstammte, ihre Seele
durchleuchtend durch die unverhüllten Glieder, wie für
uns die schönsten Glieder durch ein edel gefaltetes Ge-
wand scheinen. Nicht wie die mediceische Venus, um
die eine rosige Wolke von Anmuth schwebt, die der
Flügelschlag ihrer Tauben umrauscht, die den irdischen
Genuß in die Gewölle trägt, sondern frei, wie Pro-
metheus das Feuer herabholte, scheint sie den Funken
überirdischer Liebe aufgefangen zu haben, um ihn dem
«
Geschlechte zu verleihen, das verehrend zu ihr aufblickt.
Ich sehe einen Tempel, durch dessen offenes Dach ein
warmes, gedämpftes Licht herabströmt, einen Altar, von
dem die Schleier des Opferdampfes auffliegen; da steht
sie, tadellos, unangetastet von rohen Händen (weder -
von denen, die sie stürzten, noch denen, die sie aus
dem Boden wieder herausgruben); Rosen liegen zu ihren
Füßen, und das Mädchen, das zitternd zu ihr auf-
schaut, sah sie als Kind schon so dastehen, lächelnd,
als wäre es unmöglich, daß sie nicht jedes Geheimniß
ahnte, jeden Wunsch gewährte, den selbst, den nur
das Herz zu denken wagte.
Ihr eigen war das Haus, ein Tempel, von der
untersten Stufe bis zur Spitze der Giebels vom ge-
heimnißvollen Rhythmus des Ebenmaßes belebt. Von
seiner Höhe herab ein Blick auf die gebirgigen Inseln
Griechenlands, auf das Meer, aus dem sie aufragen,
und auf den Himmel, dessen Blau aus seinen Wellen
emporstrahlt; im Herzen aber Freiheit und weit umher
die eilenden Schiffe, in Schwärmen kommend oder da-
hinziehend, in ihnen aber siegreiche Krieger und an den
Rudern die Sklaven, die sie erbeutet, in gefesselter
Dienstbarkeit.
Die, welche damals lebten, sahen die Göttin an- !
ders als wir, die wir die verstümmelte Gestalt betrach- ■
ten, deren Tempel und Altäre verschwunden sind, von
der wir nicht wissen, von wem und wann sie vollendet !
ward, wo sie stand, nicht einmal, wie ihre Arme ge-
formt waren, deren Schönheit wir trotzdem zu ahnen
meinen im Anblick der herrlichen Schultern, denen
sie geraubt sind. Gewiß, sie ist schön. Bewunderung
und Staunen erweckt sie, die Phantasie trägt sie mit
Macht zurück zu ihren Zeiten, aber fremd bleibt sie uns,
und während wir im Anschauen verloren sind, sagt uns
eine leise Stimme, es sey für uns kein Herz mehr in
dieser Schönheit.
Es ergeht mir mit ihr wie mit den Dichtungen
der Griechen, die meine tiefsten Gefühle anrühren, aber,
wenn ich es recht überlege, mehr durch einen kühlen
Zwang, als weil ich mich völlig ihnen hingäbe und
unersättlich mehr verlangte. Orest und Oedipus, Iphi-
genie und Antigone, was haben sie gemein mit meinem
Herzen? Unwillkürlich legen wir oft in sie hinein, was
wir in ihnen erblicken möchten, und erblicken es dann
scheinbar, aber es ist nur eine Täuschung. Zeit und
Berlin, November 1855.
-107 .
Volk gehen allzusehr verschiedene Wege. Die Welt
theilte sich unter Freie und Sklaven, Völker bekriegten
sich, nur um sich zu vertilgen, andere Gesetze, andere
Familienbande, ein anderes Mitleid, ein anderer Ehr-
geiz, Ruhe und Bewegung anders, als sie fordern und
begreifen. Der Dichter erhebt sich freilich über seine
Zeit, aber er ist undenkbar trotzdem ohne seine Zeit.
Um so höher die Blüthe der Sonne zustrebt, um so
tiefer schlagen sich ihre Wurzeln in den Boden, welcher
sie trägt und die andern. Ein Nachklang aller dieser
Verhältnisse klingt aus den Werken der alten Dichter
befremdend uns an, durchdringt Alles, was dem Alter-
thum angehört. Es ist eine Scheidewand gezogen zwi-
schen ihm und uns; durchsichtig mag sie seyn, wie vom
reinsten Crystall erbaut, aber unübersteiglich bleibt sie
dennoch. Ein Alles überflügelnder Drang nach freier
Gleichberechtigung vor Gott und dem Gesetz lenkt heute
einzig unsere Geschicke. In ihm wurzeln unsere Sitten
und Gefühle. Wir leben, jene Zeiten sind todt. Unsere
Sehnsucht kann in dem ihre Befriedigung nicht finden,
was die längst erfüllte Sehnsucht längst vergangener
Tage stillen sollte. Diese Schöpfungen sind keine
Nothwendigkeit mehr für uns, wären sie noch schöner
und wunderbarer.
Untergehen werden sie nicht durch unsere Nachlässig-
keit. Immer werden sie uns sagen, waö ihre Meister
erreichten, wie sie sich der Natur rücksichtslos hingaben,
der einzige Weg, Großes zu gestalten. Unsere Ruhe
werden sie stets entzücken, aber unsere Leidenschaften
nimmermehr beruhigen. Fehlten uns plötzlich Homer,
die Tragiker, Pindar und andere, wären alle Kunstdenk-
male der antiken Zeit versunken, ein ungeheurer Verlust
wäre das für uns. Aber würden wir Goethe, Sha-
kespeare oder Beethoven hingeben, um jene wieder zu
' erlangen? würden wir schwanken, wenn hier Raphaels,
! Michel Angelos und Murillos Werke, dort alle Schätze
! des Alterthums lägen und ein's oder das andere uns
j genommen werden sollte? Genießen wir sie beide, stim-
I men wir nicht dem unsinnigen Treiben derer zu, welche
j das classische Studium der Jugend aus den Händen
! reißen möchten, aber empfinden wir dennoch den Unter-
schied zwischen dem, was uns blutsverwandt ist, und
dem, was wir bewundern, an dem wir uns bilden und
belehren, und was wir freilich nicht übertreffen könn-
ten, wenn wir es versuchten.
Herman Grimm.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Lord Dyron.
I
Einer Charakteristik Byrons von einem dem ge-
wöhnlichen so ganz entgegengesezten Standpunkt aus
wird es nicht überflüssig seyn einige einleitende Bemer-
kungen vorauszuschicken, und zwar zunächst über die Art
von Kenntniß, welche wir im Allgemeinen in Deutsch-
land über Byrons Charakter und Genius haben, und
das Verhältniß, in welchem dieselbe zu den zahlreichen
englischen Quellen, den Nachrichten, Memoiren, Brief-
Anekdoten und andern Sammlungen steht. Hieraus
wird sich dann von selbst ergeben, in wie weit ein
neuer Beitrag, wie er hier gegeben werden soll, am
Platz ist.
Wer auch nur oberflächlich mit dem englischen
Wesen bekannt ist, weiß, daß dieses freiheitsstolze Volk
vor allem Vornehmen, vor jeder Autorität, sey es im
Leben oder in der Literatur, einen Respekt hat, der über
die deutsche Philisterhastigkeit in diesem Punkt noch un-
endlich hinaus geht. Wer hat nicht von den sonder-
baren Reliquien berühmter Personen gehört, welche von
sammelnden Britten überall aufgesucht und zu fabel-
haften Preisen gekauft werden? In der englischen Lite-
ratur ist das bekannteste Beispiel einer solchen demüthi-
gen Bewunderung, die nicht von weitem dazu kommt,
das Wesen eines Mannes zu begreifen, weil sie ganz
darin aufgeht, auf sein „Räuspern und Spucken" zu
sehen, das Leben Johnsons von Boswell. Ueber Byron
nun gibt es gleichfalls eine Menge solcher Noth- und
HülfSbüchlein, aus denen „der edle Lord" nach seinem
Leben, Charakter, Genius u. s. w. erkannt werden soll.
Eine beträchtliche Anzahl derselben ist auch in Deutsch-
land allgemein bekannt. Bei dem geringen Werth, den
die meisten von ihnen für diesen Zweck haben, könnte
man sie ganz mit Stillschweigen übergehen, wenn nicht
gerade bei einem Mann von Byrons Eigenthümlichkeit
solche Sammlungen fast unvermeidlich den Uebelsland
mit sich führten, eine durchaus oberflächliche, einseitige,
falsche Vorstellung von dem Helden zu erzeugen, den
sie dem Publikum doch nach seinem innersten Wesen
vor Augen stellen wollten.
In welch hohem Grade dieß der Fall ist, davon
kann man sich aus nichts lebhafter überzeugen als aus
der nach englischen Quellen zusammengeschriebenen Bio-
graphie Byrons, welche — so viel wir wissen — die
in Deutschland verbreitetste, ja fast die einzige Quelle
ist, aus der sich das größere Publikum über den von
ihm so hoch geschäzten Dichter unterrichten kann. Na-
mentlich dem hohen Ruf gegenüber, in dem wir bei
den Engländern wegen unserer Germanisirung Shake-
speares und Byrons als eine „Nation von Kritikern
und Denkern" stehen, ist es eigentlich als eine natio-
nale Calamität, als ein öffentlicher Schandfleck zu be-
trachten, daß ein Leben Byrons wie das Ortlepp'sche über-
haupt nur geschrieben werden konnte. Zur Entschuldigung
unserer Literatur muß man allerdings sagen, daß dieser
Verfasser unter allen, welche in Deutschland die Feder
führen, wohl der unfähigste für ein solches Geschäft war.
Insofern können wir nur den Zufall anklagen, der für
ein übrigens zeitgemäßes Unternehmen gerade das
schwächste Werkzeug auswählte. Der ungeschickteste
und geschmackloseste hätte aber doch wohl nicht so traurig
in der Irre gehen können, wenn aus den vor ihm lie-
genden Quellen eine klare Anschauung des zu schildern-
den Mannes wäre zu gewinnen gewesen, wenn er nichts
weiter nöthig gehabt hätte, als die Collektaneen zusam-
menzustellen und drucken zu lassen. Hiemit hat er es
sich freilich leicht genug gemacht; außer Anfang und
Ende ist fast kein Wort von ihm, sondern alles aus
englischen »accounts« u. s. w. planlos zusammengewür-
felt; weil er aber in diesen englischen Quellen über die
innerste Eigenthümlichkeit des Byronschen Wesens nir-
gends etwas Greifbares fand, blieb ihm nichts übrig,
als das, was er mit allen Halbgebildeten über den
Dichter dachte, in einer Weise auszusprechen, die für
den Unterrichteten freilich nur insofern Interesse hat,
als sie ihin den komischen Genuß der vollständigsten
Selbstparodie verschafft. Man darf nur den Anfang
und den Schluß dieser erst vor fünfzehn Jahren erschie-
nenen Biographie lesen, um es geradezu unbegreiflich
zu finden, wie eine solche Büchermacherei in Deutsch-
land um die Mitte dieses erleuchteten Jahrhunderts
möglich war, und jeden Beitrag zu einem ernsteren
Verständniß Byrons als Abtrag an einer nationalen
Schuld anzusehen.
Es beginnt aber diese Biographie also: „Es hat
vielleicht nie einen Dichter, und vielleicht auch nie einen
Menschen gegeben, dessen Seyn und Leben aus einer
so fortlaufenden Kette von Sonderbarkeiten bestand, wie
das Leben des Lord Byron. Oft denkt man, er müsse
bloß affektirt, und selbst mit diesem Affektiren nur ko-
kettirt haben. Wer den edeln Lord nur so obenhin
betrachtet, der wird auch wohl bei dieser Meinung ste-
hen bleiben. Wer aber tiefer blickt, wer den herrlichen
Dichter gelesen und genossen, wer alle Himmel und
Höllen aus seiner Lektüre herausgeschmeckt hat, der wird
sagen: geht mir doch alle zum Teufel, ihr Philister,
die ihr das Genie mit der Elle meßt! Das ist ja alles
wirklich empfunden und hervorgewachsen aus eigenster
Individualität! Affektation kommt von Affekt. Affekt
ist die reine, natürliche, starke Empfindung; Affektation
ist das sich Stellen, als ob man dergleichen Empfin-
dung hätte. Wer aber kann sich durch sein ganzes Le-
ben hindurch stellen, als ob er afficirt wäre?" u. s. w.
Diesem Anfang entspricht ganz der Schluß, von dem
wir, obgleich er sonst noch eine Menge der lustigsten
Sachen enthält, hier nur den lezten Passus geben kön-
nen: „So schließt sich denn also diese Biographie unseres
Byron ganz lustig. Byron glaubte sich fortwährend in
der Hölle, indem er im Paradiese war. Ist es denn
auch wohl möglich, daß sich Selige für verdammt hal-
ten können? Doch ja! Auch haben ja die Verdammten
im Gegentheil Augenblicke, wo sie sich für selig halten.
Das Resultat ist, daß Byron als einer der glücklichsten
Menschen einer der unglücklichsten entweder war, oder
zu seyn sich einbildete; ob mit Recht, oder Un-
recht, darüber schweigt die Geschichte zwar nicht, aber
sie gibt keine befriedigende Auskunft."
■ Diese Proben, die wir zugleich in der Absicht aus-
geschrieben haben, einen gewissen humoristischen Styl
zu kennzeichnen, der sich als ein dem Geschmack einer
ordinären, untergeordneten Bildung so ganz entsprechen-
der immer und überall geltend machen will, werden
hinreichen, um zu zeigen, wie sehr dem öffentlichen
Urtheil über Byron eine Berichtigung Noth thut.
So traurig nun aber auch der Biograph ist, den
wir so eben kennen gelernt, so hat er doch mit dem,
was er über Affektation und eingebildetes Unglücklich-
seyn sagt, unstreitig den richtigen, freilich nie zu ver-
fehlenden Punkt getroffen; nur daß er bei seinem Man-
gel an allem Urtheil die vollständige Auskunft nicht
finden konnte, welche die Geschichte in allwege über das
ihm räthselhaft scheinende gibt. In Deutschland näm-
lich wird kein einigermaßen Kundiger darüber im Zwei-
fel seyn, daß er Lord Byron als das grandioseste Bei-
spiel jener genialen Romantik, einer sich über alles
erhaben fühlenden und daher an nichts sich ernstlich
und liebevoll betheiligenden geistreichen Subjektivität zu
betrachten habe, welche unter uns zu einem allgemei-
nen, cultur- und literarhistorischen Problem geworden
ist. In England lst diese Kategorie weniger bekannt,
deßwegen kann es auch nicht auffallen, daß von allen
den bekannteren Büchern über Byron keines ihn aus
diesem Gesichtspunkt auffaßt. Um so willkommener aber
ist .es auch, eine englische Quelle zu haben, welche
ganz auf dieser Anschauung beruht, wenn sie auch die
deutsche Terminologie hiefür nicht kennt. Es ist auf-
fallend, daß man dieses Buch, das den Titel führt:
»Lord Byron and some of his contemporaries etc.
by Leigh Hunt«, fast nirgends auch nur erwähnt
findet, daß wenigstens eine ausführlichere Nachricht über
dasselbe unseres Wissens noch nie gegeben worden ist,
während viel werthlosere Nachrichten über Byron je-
dermann bekannt sind. Man wird dieß, neben andern
zufälligen Umständen, hauptsächlich auch daraus zu er-
klären haben, daß zur Zeit der Erscheinung des Buches
(das vor uns liegende Eremplar ist ein Galignianischer
Nachdruck von 1828, das Original erschien wahrschein-
lich im selben oder im vorhergehenden Jahre in Lon-
don) die obligate Bewunderung des Dichters sich durch
eine so abweichende Stimme nicht stören lassen wollte,
wodurch dieselbe auch für die folgende Zeit aus dem
codex receptorurn gestrichen blieb.
Hunts Verhältniß zu der Mehrzahl der übrigen
Byron-Bücher kann man am besten aus seiner eigenen
übersichtlichen Kritik derselben abnehmen. Er theilt die
recollections, accounts, conversations, life and times
u. s. w. in fünf Klassen: erstens solche, die wirklich
Wahres und Neues über Byron enthalten; ferner die
zwei oder drei alte Wahrheiten für den Geschmack des
Publikums zu einer Buchhändlerspekulation zustutzen;
drittens Betrachtungen über seinen Genius, mehr oder
weniger unparteiisch und zuverlässig; viertens Compila-
tionen, die Alles, was über ihn aufzutreiben ist, zu-
sammenscharren, es mag wahr oder falsch seyn, und
fünftens endlich reine unverschämte Erdichtungen. Die
besten der ersten Klasse sind nach ihm Dallas und
Medwin, Parry und Gamba, und unter ihnen nimmt
wieder Dallas die erste Stelle ein (Moore kannte er
auch nicht). Wir werden von allen mit einander keine
besonders günstige Vorstellung haben können, wenn Hunt
von diesem besten sagt, er gehe merkwürdig irre in Folge
halben Verständnisses; er müsse Byron zum Sterben
gepeinigt haben mit lächerlich zudringlichen Fragen
und feierlich ernsthaften Mißverständnissen. „Der wilde
Poet rannte gegen ihn, daß ihm Hören und Sehen
verging." Um ihn näher zu charakterisiren, führt Hunt
namentlich an, wie er sich immer damit beschäftigte und
nie in's Klare darüber kommen konnte, ob Seine Lord-
schaft Christ oder Atheist gewesen. Wir können diesem
Urtheil nur beipflichten und fügen, um das Bild des
lächerlich gewissenhaften, pedantischen Mannes auszu-
zeichnen, aus seinen „Erinnerungen" nur die Stelle
hinzu, wo er sich über den Verkauf von Newstead-Abbey
-~tT>$20 1 i 0 G'SS'Ö'-'-
ängstigt, „und nicht bloß deßhalb, weil mein Neffe einst !
Byron erben sollte, sondern weil ich einen „gewisser- !
maßen" ritterlichen Geist habe u. s. w."
Ganz von anderem Schlag als diese halb oder
nichts verstehenden Bewunderer und Lobdiener des edeln
Lord ist nun unser Berichterstatter, dem Byron selbst
folgendes Zeugniß gibt: „Hunt ist ein außerordentlicher
Charakter und paßt eigentlich nicht für die gegenwärtige
Zeit. Er erinnert mich mehr an die Zeiten der Pym
und Hampden. Viel Talent, große Unabhängigkeit des
Geistes und ein strenges, doch nicht zurückschreckendes
Aeußere. Fährt er fort, qualis ab incepto, so kenne
ich wenige, die mehr Lob verdienen oder einernten wer-
den. Ich muß hin, um ihn nochmals zu sehen —:
er ist ein Mann, den zu kennen der Mühe werth ist;
und obgleich ich, um seiner selbst willen, ihn aus dem
Gefängniß wünschte, so mag ich doch gern Cha-
raktere in solchen Lagen beobachten. Er ist unerschüt-
terlich geblieben und wird auch dabei beharren. Ich
glaube nicht, daß er mit dem Leben sehr vertraut ist;
er ist ein Bigotter der Tugend und brennt für die
Schönheit des leeren „Namens." Er ist vielleicht ein
wenig für seine Meinung eingenommen, wie alle Men-
schen, die der Mittekpunkt von Cirkeln sind, mögen diese
groß oder klein seyn, es werden müssen, im Ganzen
aber ein achtungswerther Mann und weniger eitel, als j
der Erfolg und selbst das Bewußtseyn, das Rechte dem
Vortheilhaften vorgezogen zu haben, es entschuldigen
möchte."
Die im Gefängniß durch Moores Vermittlung ange-
knüpfte Bekanntschaft wurde später so genau, daß Byron,
als er sich in Italien aufhielt, Hunt veranlaßte, ihm
aus England nachzukommen und ein Journal, das der
„guten Sache" Vorschub leisten sollte, und dem Byron
selbst den Titel „der Liberale" gab, gemeinschaftlich mit
ihm herauszugeben. Der Liberale schlug fehl, nach
Hunts Behauptung, weil der Lord es nicht über sich
gewinnen konnte, offen und mannhaft zur Sache der
Freiheit zu stehen. Er ließ in dem Magazin einige Sa-
chen erscheinen, die sein Toryverleger nicht den Muth
gehabt hatte herauszugeben, die vision of judgment
z. B., welcher keiner von den übrigen Artikeln an die
Seite gestellt werden konnte, und die in Wahrheit das
beste satirische Stück ist, das Lord Byron je lieferte.
Aber schon waren auch die Feinde nicht müßig; nicht nur
seine Torybewunderer richteten seinen Blick auf die ent-
gegengesezte Seite der Frage, sondern auch für seinen
Credit bei denjenigen seiner fashionablen Freunde, bei
denen, obgleich auf der liberalen Seite, Patriotismus
weniger in Gunst stand, als das Geschwätz darüber,
wurde Byron besorgt. Indessen suchte er sich so weit
zu ermuthigen, um einen ernstlichen Strauß mit seinen
Freunden zu wagen, in der Hoffnung eines reichen Ge-
winns, „in welchem er den angenehmsten aller Beweise
erblickt hätte, daß sein Ruhm nicht im Abnehmen sey.
Aber das Ausbleiben dieses Gewinns, das nicht kommen
wollen der goldenen Berge, von denen er geträumt
hatte und die er für die eben so soliden als glänzenden
Bürgen dafür angesehen haben würde, daß es ihm ge-
lungen sey, eine neue Provinz in dem Lande des Ruhms
sich zu erobern, mit deren Glanz er seine und die Au-
gen der Welt zu blenden gedachte — dieß war es, dieß
war die bittere Täuschung, welche ihn bewog, abzufallen,
und welche den legten Ausschlag gab, ihn weiter, ihn bis
nach Griechenland zu treiben, in der Hoffnung, hier
auf einem andern Felde die Ehren, die ihm dort ent-
gangen waren, zu gewinnen."
Wir haben im Bisherigen schon die beiden Haupt-
punkte berührt, welche bei einer Würdigung der durch
Hunt ausgegebenen Charakteristik in Betracht kommen
müssen. Daß dieser in jeder Beziehung geeignet und be-
fähigtwar, den Dichter zu beurtheilen, kann keinem Zweifel
unterliegen, nach dem Zeugniß, das dieser selbst seiner
Unabhängigkeit und Wahrheitsliebe aus stellt, und nach
dem, was über ihre Bekanntschaft und gemeinschaftliche
Autorschaft eben mitgetheilt worden. Die einzige Ein-
wendung gegen die Zuverlässigkeit seiner Mittheilungen,
gegen ihre Unparteilichkeit könnte erhoben werden aus
den mißlichen Verhältnissen, in welchen beide bei ihrem
journalistischem Unternehmen einander gegenüber stan-
den. Getäuschte Erwartungen von der einen und lästige
Verbindlichkeiten von der andern Seite konnten aller-
dings die Unbefangenheit des Blicks trüben und alles
in,einem falschen Lichte erscheinen lassen. Wie weit diese
Umstände auf seine Wahrheitsliebe einwirken konnten,
darüber spricht sich Hunt in der Vorrede zu seinem
Buch, das er bald nach seiner Rückkehr aus Italien
zu schreiben anfing, selbst in aufrichtiger, überzeugender
Weise so aus: „Was ich über den edeln Dichter zu
sagen hatte, war nothwendig mit den peinlichsten Er-
innerungen verbunden. Ich konnte mir, als ich das
Manuscrkpt überblickte, nicht verbergen, daß ich, mein
Verhältniß zu ihm in meinen Gedanken reproducirend,
unwillkürlich wieder auf's neue all den Aerger und die
Entrüstung eines Mannes fühlte, der sich schlecht be-
handelt glaubt. Das drückt sich auch bis zu einem ge-
wissen Grad in meinen Mittheilungen aus. Gewiß
aber ist kein Schatten einer Unwahrheit darin, und ein
gut Theil von dem, was ich berichte, hätte ich uner-
wähnt gelassen, wäre ich mir irgendwie einer gehässi-
gen, rachsüchtigen Gesinnung bewußt gewesen. Es ist
dieß ein Fehler, den man mir nicht vorwerfen kann.
Wenn ich irgend etwas gegen die mannigfachen Fehler,
die ich haben mag, geltend machen darf, so sind es
die beiden guten Eigenschaften, daß ich nicht rachsüchtig
bin und daß ich die Wahrheit sage. Ich habe nicht
alles gesagt, weil ich kein Recht dazu habe; in dem
vorliegenden Fall wäre es überdieß eine Rücksichtslosig-
keit gegen den Todten wie gegen die Lebenden gewe-
sen; was ich aber gesagt habe, ist unwidersprechlich.
Wäre ich weniger empfindlich für Lord Byrons Betra-
gen gewesen, so hätte ich vielleicht das Unangenehme
desselben weniger oft zu erfahren gehabt; Schmeichelei
möchte viel bei ihm ausgerichtet haben, und es fehlte
mir weder an dem allgemein menschlichen Interesse
für seine Person, noch an der Bewunderung, welche
seine Talente verdienten, um ihm auf's aufrichtigste
alles zu zollen, was die Schmeichelei Süßes haben
kann — wenn es möglich gewesen wäre. Aber nie-
mand, als wer es selbst erfahren hat, kann wissen,
wie traurig es ist, wenn mau einen Mann lieben
möchte und sein enthusiastisches Verlangen mehr als
zurückgewiesen sieht. Der Tod meines Freundes Shelley
und mein Mangel an Hülfsmitteln ließ mich diese bit-
tere Entdeckung der Summe meiner Erfahrungen hin-
zufügen. Sobald Lord Byron mich in Mangel sah,
fing er an mich rücksichtslos zu behandeln. Ich bin
nicht argwöhnisch, und oft schon hat man mir den
Vorwurf gemacht, daß ich Feindseligkeit und schlechte
Behandlung nicht empfindlicher nehme, aber verbindlich
zu seyn im gewöhnlichen Sinn und zu gleicher Zeit
auf's unverbindlichste behandelt zu werden, sich nicht
blos getäuscht zu sehen in seinen billigsten Erwartungen,
sondern verwundet an dem empfindlichsten Fleck seines
ganzen Wesens — daß mußte ich fühlen, wenn ich
auch der Welt nichts davon gesagt hätte. — Trotz
dem trete ich aber von ganzem Herzen der Ansicht
bei, die Hazlitt mit so viel Beredtsamkeit vorgetragen
hat, daß was Gutes und Wahres sich in den Werken
eines Mannes von Genie findet, im strengsten Sinn
sein Eigenthum und ein Theil seines Wesens ist, mag
er sonst auch noch so sehr Theil haben an den gewöhn-
lichen menschlichen Schwächen, daß ich nur mit Be-
dauern an das Gemälde denke, das ich von den Schwä-
chen Lord Byrons, gewöhnlichen oder ungewöhnlichen,
entworfen habe, und die Versicherung nicht zurückhalten kann,
daß ich es mit sträubender Hand that — feci moerens.
Laßt es auf mich selbst zurückfallen, wenn es seyn muß!"
Diese Versicherung wird jeder als aufrichtig ge-
meint gelten lassen müssen, der das Buch liest, in
welchem allerdings die Entrüstung eines Mannes nicht
zu verkennen ist, der sich schlecht behandelt glaubt, in
welchem aber auch das selbstsüchtige, nur nach Effekt
haschende Wesen Byrons geschildert ist, mit beständiger
Rücksicht darauf, welchen Schaden solche Grundsätze oder
„Halbgrundsätze" der Gesellschaft bringen könnten, wenn
sie durch den Schein des Genialen sich verleiten ließe,
diese Affektation nachzuahmen und Laune und Willkür
gleicherweise zu ihrer einzigen Richtschnur zu machen.
Hunt und Shelley gingen von der Ansicht aus,
daß bei Byron alles angefressen sey vom »cancer of
aristocracy ,cc von der Vornehmheit, nicht im conventio-
nellen, sondern im moralischen Sinn, welche unab-
hängig ist von jeder politischen Stellung und darin be-
steht, daß das Subjekt auf sich selbst zurückgeworfen ist,
statt sich der Allgemeinheit hingebend auszuschließen.
Was also Hunt von diesem Gesichtspunkt aus mittheilt,
ist nicht geschrieben, um eine müßige Neugierde mit ei-
nigen Anekdoten zu kitzeln, die wir auch, wenn sie noch
so pikant wären, nicht für der Mühe werth halten
würden wieder zu geben, sondern um eine allge-
meine Sinnesweise zu schildern, welche überall im Wi-
derspruch mit dem wahren Vortheil der Gesellschaft steht.
Darin liegt der bleibende Werth dieser Mittheilungen,
welche also als Schlüssel zu dem Wesen aller gleichge-
arteter Männer gelten können, deren es nur zu viele gibt.
In den Auszügen, welche wir geben, wollen wir
nun derselben gemischten Zeit- und Sachordnung folgen,
welche Hunt einhält, indem er seine erste Bekanntschaft
mit Byron, die er im Gefängniß machte, und sodann
die Geschichte ihres Zusammenlebens in Italien erzählt,
dabei aber bald da bald dort die eine oder andere Seite
von Byrons Charakter beleuchtet und einzelne Anekdoten
einfügt.
—
Hunt erzählt uns zuerst von seiner früheren Be-
kanntschaft mit Byron, daß er anfangs nichts an ihm
bemerkt habe, als ausgezeichnete und angenehme Eigen-
schaften. „Meine Frau aber, mit dem schnellen Auge
ihres Geschlechts, war geneigt daran zu zweifeln." Zum
Beweis, wie leicht man sich in Byron habe täuschen
können, wie sehr aber auch im Grunde von An-
fang an jene Selbstsucht in ihm lag, die später nur
unverhüllter hervor trat, führt er folgenden Vorgang an:
„Als er mich eines Tags besuchte, während einer mei-
ner Freunde bei mir war, schien ihm dieß unbequem,
und er fragte ohne Umstände, wann er mich allein
finden werde. Mein Freund, ein Mann von Geist und
Takt, und der lezte, der seine Bekanntschaft irgend je-
mand aufgedrungen hätte, hatte keine Verpflichtung weg-
zugehen, weil ein weiterer Besucher gekommen war;
überdieß war ihm natürlich sehr daran gelegen, einen
so interessanten Gast zu sehen, was für den lezteren
nur ein Compliment seyn konnte. Allein der Wille
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
Seiner Lordschaft war einmal durchkreuzt, und so ließ er
seiner Laune freien Lauf. Ich nahm dieß damals für
ein Zeichen von Einfachheit und Aufrichtigkeit, geblen-
det vielleicht von der Schmeichelei, die darin für mich
lag; aber meine Frau hatte Recht: Byrons Wesen be-
stand von Anfang an aus jener Mischung einnehmen-
der und abstoßender Eigenschaften, welche ich nachher
nur zu viel Gelegenheit hatte kennen zu lernen."
Aus der Zeit jener ersten Bekanntschaft erzählt
Hunt weiter, der Lord habe ihn öfters im Gefängniß
besucht und ihm Bücher für die „Geschichte von Rimini"
gebracht, an der er damals geschrieben; er habe die-
selben nicht durch den Bedienten herein tragen lassen,
sondern sey selbst gekommen mit ein paar Quartanten
unter dem Arm, um zu verstehen zu geben, daß er sich
stolzer fühle, ein Freund und ein Mann der Wissenschaft
zu seyn, als ein Lord. Später aber sey er zu der
Ueberzeugung gekommen, Byron könne die Bücher nicht
selbst gebracht haben, so daß ihn jemand dabei sehen
konnte. „Sein Bedienter muß ste ihm bis an die Thüre
getragen haben." „So schmeichelte er der Eitelkeit an-
derer, um glauben zu machen, daß er selbst frei davon
sey; denn er konnte wohl sehen, daß ich mir von ei-
nem Lord weit mehr imponiren ließ, als ich mir selbst
gestehen wollte."
Mit der Vortheilhaften Meinung, die Hunt an-
fänglich von Byrons Charakter hatte, stimmt die Schil-
derung überein, die er aus der damaligen Zeit von
seinem Aeußern gibt. „Seine Erscheinung war damals
vortheilhafter als zu irgend einer andern Zeit, da ich
ihn kannte, um vieles vortheilhafter als nachher, da
er sich im Ausland aufhielt. Er war stärker als vor
seiner Heirath, doch nicht mehr, als zu einem voll-
kommen männlichen Aussehen nöthig war. In seiner
ganzen Haltung, namentlich in der des Kopfs, lag so
viel Geist und Hoheit, wenn gleich nicht ohne eine
Beimischung von Unruhe, und alles dieß gab ihm ein
so edles Aussehen, wie ich nie vor oder nachher an
ihm sah. Sein Anzug, schwarz mit weißen Beinklei-
dern, der Rock ganz zugeknöpft, vollendete das Nette
und Kräftige seiner Erscheinung."
Ganz anders war sein Aussehen, als sie in Ita-
lien wieder zusammen trafen. „Ich kannte ihn kaum,
so stark war er geworden, und er brauchte noch länger,
um mich zu erkennen, da ich um so viel magerer ge-
worden war. Er war gekleidet in eine weite Nanking-
jacke und weiße Beinkleider, das Halstuch lose umge-
schlungen und das Haar in kärglichen Locken um den
Nacken, die Ueberbleibsel desselben überdieß auf's sorg-
fältigste gewickelt und eingeölt wie ein Sardanapal.
112 02^-
Alles dieß gewährte einen ganz andern Anblick als die
gedrungene, energische Person mit dem Lockenkopf, die
ich in England gekannt hatte."
Mit diesen Bemerkungen über seine äußere Erschei-
nung überhaupt verbindet sich am passendsten, was Hunt
über die Schönheit des Gesichts sagt, wegen der Byron
bekanntlich berühmt war. Er sagt: „Sein Gesicht war
schön, ausgezeichnet schön in mancher Hinsicht. Er
hatte Mund und Kinn wie von einem Apoll, und als
ich ihn zuerst kennen lernte, drückte seine ganze Er-
scheinung Leichtigkeit und Energie zugleich aus. Die
Veränderungen jedoch, die das Alter hervorbrachte,
waren für sein Gesicht nicht Vortheilhaft, und es hatte
überhaupt einige Fehler. Der Kinnbacken war zu stark
für den oberen Theil des Kopfes; in diesem Verhältniß
lag die ganze Willkür eines Despoten. Das Sinnliche
hatte das Uebergewicht über den intellektuellen Theil in
demselben Verhältniß, in welchem das Gesicht zu groß
war für den Schädel. Eben so standen die Augen zu
nahe bei einander und die Nase, obgleich an sich schön,
sah, en face betrachtet, eher aus, wie wenn sie in das
Gesicht eingesezt, als aus demselben heraus gewachsen
wäre."
Wie seinem Aeußern, so thaten die fortschreitenden
Jahre auch seinem Charakter nicht gut. Die Richtung
desselben war Materialismus und Egoismus; was Hö- '
heres und Edleres an ihm gewesen, war untergegangen
über der genaueren Bekanntschaft mit dem Schlechtesten,
was am Menschen ist. Er ließ sich von allen leiten,
die gerade um ihn waren; Schmeichelei hatte alles ver-
dorben und eine Eisrinde um ihn gezogen, so daß nichts
übrig blieb als der Witz der Verzweiflung. Um lästigen
Gedanken zu entgehen, nahm er seine Zuflucht zu Sar-
kasmen, zu Lappalien und Modespielereien. Nicht nur
seiner Umgebung gestattete er einen solchen Einfluß,
sondern er stand unter der Einwirkung einer Menge von
äußern Eindrücken der geringfügigsten Art. Er konnte
diesem zustimmen und etwas anderes vorschlagen aus
bloßem Wankelmuth und Unbeständigkeit des Willens,
heute etwas thun, worüber er sich morgen hätte
die Finger abbeißen mögen, wenn er es hätte un-
geschehen machen können. In dem Effekt, den er
überall zu machen beabsichtigte, lag das große Geheim-
niß von allem, was er that oder nicht that. Deßwegen
war es so schwer, mit ihm umzugehen, und noch schwe-
rer, durch den Umgang mit ihm zu einer richtigen
Schätzung seines eigentlichen Wesens zu gelangen. „Er
dachte und sagte, was ihm einfiel; seine Zuhörer aber
pflegten ihm nur das zu glauben, was mit ihren Be-
griffen von dem für einen großen Mann paffenden
übereinstimmte. So konnte er auch Eitelkeit oder
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
A2
aus
1866, Feb. 20
Erklärung.
Die Spenerfche Zeitung vom 14. Februar enthält in der
zweiten Beilage eine Besprechung des in Besitz des Herrn
Egli-Wegmann zu Basel befindlichen Christus am Kreuze,
eines in Lindenholz geschnitzten lebensgroßen Werkes von
der höchsten Schönheit, möglicherweise eine Arbeit. A.
Dürer's.
Es kann meine Absicht nicht sein, auf die, sowohl was
den Inhalt als was die äußere Fassung anlangt, völlig
unpassenden Worte dieser Besprechung einzugehen. Derar-
tige Sätze mögen, so gut wie sich Leute finden welche sie
schreiben, auch Leute antreffen welche sie vielleicht zu einer
Antwort auffordern könnten; was mich anlangt, so nehme
ich das Vorrecht in Anspruch, mich ihnen gegenüber schwei-
gend verhalten zu dürfen.
Allein es handelt sich hier nicht allein um mich. Das
I Publikum müßte mit diesem Crucifixe, einem Kunstwerke
ersten Ranges, das ich hier mit Ausdrücken wie „Pracht-
stück Virtuosenhafter Scheußlichkeit" und ähnlichen
verunglimpft sehe, bekannt werden.
Leider existirt ein Abguß desselben nicht, auch ist die von
mir in den Blättern über „Künstler und Kunstwerke" mit-
getheilte Photographie sehr klein. Ich habe deshalb eine
in meinem Besitze befindliche große Photographie den Her-
ren Amsler und Ruthardt, Behrenstraße, übergeben, "bei
welchen sie zur Ansicht anstiegt.
Dies freilich bemerke ich ausdrücklich, daß diese Photo-
graphie, so sehr sie die Erhabenheit des Werkes ahnen
läßt, sie dennoch nur in geringem Maaße wiedergiebt, und
daß es, um ein vollkommenes Urtheil zu erlangen, des
Anblickes und Studiums des Originales bedürfte. Ich
habe dasselbe bei zweimaligem Aufenthalte in Basel, oft
und auf das Ruhigste in jedem Lichte betrachtet und einen
sich steigernden Eindruck empfangen; wie ihn nur die Ar-
beit eines großen Meisters zu geben vermag. Das zu lei-
sten, ist, wie gesagt, eine Photographie zu schwach. Den-
noch hat das vorliegende Blatt, das ich vielen Personen
und darunter bedeutenden Künstlern gezeigt habe, niemals
ein anderes Gefühl, als das des Staunens und der Be-
wunderung hervorgerufen: und ich zweifle nicht, sein An-
blick wird genügen, um den Aufsatz der Spener'schen Zei-
tung und ihren Verfasser beide als das erscheinen zu las-
sen, was sie sind. Berlin, den 20. Februar 1866.
Herman Grimm.
>(3.
A
aus : Erste Beilage zu den Berlinischen Nach-
richten von Staats-und gelehrten Sachen,
Nr. 122, 1872, Mai 29 * 8. 4 _
alle Versuche, absichtlich Steues zu schaffen, haben in der
Baukunst noch stets zum Albernen geführt. Man kann
plötzlich als großer Dichter auftreten, nicht aber zugleich
eine neue Sprache für feine Gedanken erfinden. Zeder
große Architekt hat mit Formen gewirthschaftet dre er
vorfand.
Bedenklicher ist der Vorwurf des Mangels der Groß-
artigkeit. Allein auch er ist erklärbar. In unterer Zeit
Ukgl kerne Sehnsucht nach dem, was rn der uns historrich
betannlen Archilekturentwickelung alö „Großartig" dasteht.
Wir bewundern die Peierstirche, die Pyramiden, das
Brandenburger Thor und die Synagoge in der Oranien-
burgerstraße, würden jedoch, gälte es die Neuernch-
tung solcher Baulichkeiten, uns kaum einer mäßi-
gen Besteuerung gern unterziehen. Niemand würde
religiöses Gefühl als Lurch Kn cher,Pracht erhöht an-
nehmen, noch Jemand Leutichland fester vereinigt sehen
durch ein „monumentales Reichstagsgebäude" »m bis-
herigen architektonischen Sinne. Ob die Vertreter des
Reiches unter gothischen Bogen oder antiken Balkenlagen
tagen, wäre für Ehnsten-, Jesuiten-- und Juden-Universi-
tälkn — wo es steh etwa um deren Gründung handelte —
ganz gleichgültig, und eine vonhetlhafte Anleihe könnte
auch im Etsenbaynwaggon verhandelt werden. Dagegen
verlangt man Licht, Bequemlichkeit, Möglichkeit, zu hören,
Luft zu athmen und Raum, zueinander zu gelangen.
Einerlei jedoch, in welcher Form all das servlrt wird.
Und trotzdem begehn man ein würdiges monumentales
„Haus für bas Deutsche Volk", und fände sich emö, das
fo recht graziös dastänve, so würbe Niemand erwaö da-
gegen haben, auch gern das Geld bewilligen.
Wo nun steckt die Lösung dieses Gegensatzes?
Glaubt man etwa, die alten Aegypter hätten ihre Py-
ramiden, Obelisken, Pylonen re. Mit beiselden historischen
Bewunderung angefthen, mit der der heutige Gelehrte
diese letzten steinernen Ueberreste bewunden? Zn den
Aegyptern lebte ein Trieb: aufzuthürmen, der wie v»e
Naturkraft wirkte, welche die Bienen fünfeckige Zellest
bauen lehrt. Diesen Trieb gewahren wir öfter im Laufe
der Geschichte. In den deutschen Städten erwachte er
im dreizehnten Jahrhundert. Das waren keine katholi-
schen (oder evangelischen) Kirchenjuristen, welche die da-
maligen Bürgerschaften mit ästhetischen Geschichtsbildern
beschwatzten, gothisch zu bauen, weil es unserem Herrgott
besonders wohlgefällig sei, sondern dieses plötzlich auf-
kommende Bürgervolk der Städte suchte Formen für sei-
nen Stolz unv seinen Reichthum.
Wir dagegen empfinden heute Nichts von solchem Triebe.
Wir verlangen ein Parlamentöhaus, weil wir im Grunde
denken: doppelt genäht hält bester! Es kann nichts scha-
den. Auch ist es ja schön und hübsch und großartig, un-
seren Vertretern ein ordentliches Ding von Gebäude hin-
zustellen, von rem die späte Nachwelt dann auch erzählen
wird unv das die zurersenden Fremden sehen unv das den
Engländern und Amerikanern rmponirt. Allerdings aber:
dis auf eine gewisse Summe gehen wir unter allen Um-
ständen nur!
Da steckt es eben. Generationen, die wirklich den echten,
großartigen, architektonischen Schaffensdrang fühlen, haben
niemals nach dcm Gelde gefragt. Sie wollten ihre Lust
büßen, Steine immer höher einen über den andern zu legen
und wenn eö Gut und Leben kostete, wie es oftmals ge-
than hat. Man stubire nur ein wenig über die Summen,
die in die Peterskirche verbaut worben sind.
Aber nein, da steckt es doch nicht!
)ie i» LtzL Akademie ausgestellten Pläne
rmen dapirt sämmtlich überein l^von einzelnen tollen
Ausnahmen kann hier abstrahirt werden) day sie weder
Nkue^Ftgtnelle Gedanken, noch überhaupt ein großartiges
..... darbieten. Neuheit und Originalität zevoch wolle
fian von einem Bauwerke nicht fordern. Niemand ist ab-
Hnn A»/tohoni>n SYl.JiiiV.rM i-i IA h.i* S)l rsiittsF, unk
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 28
2,
Man würde, wäre der rechte Plan da, Geld bewilligen
und Kräfte aufwenden. Aber man möchte nicht bauen im
alten abgenutzten Sinne. Man wrll etwas wirklich Neues.
Es soll etwas sein, das wahr und wahrhaftig ein Abbild
der Gedanken der Epoche ist.
Hier nun erlaubt sich ein bescheiden in der Ferne ste-
hender Unparteiischer ernen Lolschlag.
Es giebt kerne Architektur heul zu Tage, welche der-
maßen imponine, als die aus Glas und Ersen und innen
mit lebendiger Vegetation decoririen Auöstellungöpaläste.
Kern Zweifel, daß sie den eigentlichen Ausdruck, den
Gedanken unserer Generation bilden. 2ch weiß,
daß der erste Eintritt in den Sydenhampalast ein-
fache Leute zu Thränen gerührt hat. Da empfin-
det man die majestätische Pracht unserer techni>chen
Gewalt. Da sagt man sich staunend: „Das sind wir
Menschen, wir armen schwachen Kerls, die das emporgc-
zwungen haben. Wir haben gewollt, daß das Eisen zu
jo ungeheuren Bogen sich spannte, wir haben das Glas
jeder dieser Spiegelscheiben gemischt und gegossen. Wir!!'
das war das Gefühl, mit dem die Aegypter ihre Pyramiden
ansahen. Und wenn ein herunterrollenber Block vleüeicht auf
rem Wege einige Dutzend dieser schwarzbraunen Zwiebelsresscr
todtmalmte, so fingen die übrigen doch an, ihn wieder auf-
zuwinden. Gerade so wie bei uns, wenn aus der Form
brechende Eisenfluthen etwa einige Arbeiter jämmerlich ver-
kohlen: d«e anderen treten ein, die Lmie steht immer un-
unterbrochen im Feuer.
Man hat die Architektur der Paläste aus Eisen und
Glas jetzt ja schon so weit ausgebiloet. . Man weiß m
diese Häuser im Sommer Kühle, im Winter Wärme ein-
strömen zu lassen. Es giebt ja in dieser Richtung keine
unlösbaren Aufgaben heute.
Man thürme einen solchen Palast auf. Man wähle
Eisen und Glas so, um Dauer zu schaffen, man ver-
säume nrcht, rnnerhalb des ungeheuren Raumes emen
akustisch vorzüglichen Platz für die Verhandlungen zu er-
richten. Man sorge für em Wunderwerk von Temperamr-
vorzüglichkeit, für einen Sommer- und Wintergarten da,
der dw Gärten der Semrramiö verdunkelt, man schaffe
von ganz neuen Gesichtspunkten aus Rath für alle Be-
dürfnisse und Anforderungen.
Man schreibe für einen solchen Palast eine Coucurrcnz
aus! Da wird weder von Gothik, noch von Renalssance
die Rede sein: aber Pläne werden einkommen, von oenen
mehr als einer die Frage rn genialer Weise lösen, oder
der Lösung zuführen wuv.
Ein Kunstfreund.
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