© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
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l8a5.
Papers of* * Slirevysbury.
uß
Kriege zu erhalten, wahrend sie den thunlichst besten Markt mit ihren
Truppen machten *). Ein Ehrenpunkt hatte uns fast zu ihren Einfalts-
dienern gemacht, aber die Vorsehung hat bessere Sorge für uns getragen.
Die Deutschen, die zu allen Dingen mit großem Lärme gedrängt werden
müssen, haben zu einem Waffenstillstände am Rhein ihre Zustimmung
gegeben, und während seiner Dauer werden sie, glaube ich, ihren Frie-
den machen. Es wäre zu wünschen, daß sie das Gleiche auch in U n-
gern thaten, was ihre neutichen Sukzesse ihnen leicht machen würden.
S h r e w s b u r y an L. V i l l i e r s. 6. Oktober. — Ich hoffe
doch, sie (die Deutschen nämlich) werden den Frieden ergänzen in jenen
Theilen von Europa, und daß der König und seine AUiirten diesen
Krieg beschließen werden, in so guter wechselseitiger Zufriedenheit mit
einander, daß sie zur Äufrechthaltung des Friedens, wenn sie möglich ist,
im Einklänge bleiben, und wenn das nicht mehr wäre, daß sie in Be-
reitschaft seyen, den Krieg wieder zu beginnen, ohne den Nachtheil von
Spaltungen unter sich
Der Earl von Jersey (Lord V i lli e rs) 22. Oktober. — Unsere
Deutschen sind noch nicht fertig (have not yet clone). Es bleiben noch die An-
sprüche von Madame ~) auf die Pfalz zu erledigen. Die Franzosen bestehen
darauf, daß die Lander, welche sie prätendiren, mit Sequester belegt
werden sollen, bis-das Ganze entschieden ist, was der Churfürst, Phi-
lipp Wilhelm, von der Linie Pf a l z - Ne u b u rg , nicht zugeben
will, weil er eine solche Sequestrirung als eine Entsetzung aus dem
Churfürstenthume betrachtet. Was diese Sache noch unbilliger erscheinen
läßt auf Seiten der Franzosen, ist, daß sie vormals angeboten hatten,
daß der Kurfürst im Besitz der Länder bleiben, und daß Madame ihre
Ansprüche vor den ordentlichen höchsten Reichsgerichten ausführen solle.
Ich wünsche dieser Angelegenheit einen guten Ausgang; die Franzosen
zeigen, indem sie von ihrem gegebenen Worte abgehen, was sie thun
würden, sobald sie Gelegenheit hätten, und wie wenig wir auf irgend
einen Traktat mit ihnen länger uns verlassen können, als wir in der
Verfassung sind, uns selbst helfen zu können. Ich halte dafür, daß die
Nothwendigkeit der Sache die Deutschen bestimmen wird, ein Bündniß
mit uns zu wünschen, zweifle aber, daß irgend etwas sie hinlänglich einig
unter sich selbst machen wird, um dieses Bündniß nutzreich für uns zu
machen, wofern nicht der Kaiser Frieden mit den Türken schließt u. s. f.
von B u ch 0 l tz *).
0 Richtigere, und in würdigerem Sinne brittische Gesinnungen und An-
sichten über die Bundesgenossenschaft mit Deutschland werden in
den folgenden Schreiben geäußert.
») Charlotte Elisabeth, Schwester des letzten Kurfürsten von der
Pfalz, von der Lmie Zimmern, bey deren Ausgang ihr Genial,
der Herzog von Orleans, in ihrer Vertretung Die Allodralerbschaft in
Anspruch nahm, und vom Könige kräftig unterstützt wurde. Es währte
insbesondere der Streit wegen Zimmern,Lautern und S p 0 n h e i M.
*) Ich zeige bey dieser Gelegenheit an, daß ich bisher für diese 'Jahrbücher be-
arbeitet habe: im Jahrgang 1819: die Anzeige von Merkel, und Dar-
stellung unserer Zeit; — »8,0: über die Staatswirthschaft und Sarto-
rius über D e u t sch l a n d; — »82» : Kieler Blätter und historische Werke
von Heeren; — ,82,: Les seductions poiitiques und Menzel; — »823:
Dre Artikel: G 0 rres und Fievse- Lowe; Tschirner (Erste Anzeige),
Schmitt, und im Anzeigeblatt: daS vorrömische Italien;— »824 r
E i c e r o's Fragmente vom Staat; — .826 : Rellgionsgeschichte von K e r j ;
R u b i ch 0 n ; D e b y; und im A- B. Die Schreiben aus Paris.
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Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
I
t
Art. IX. Verth old des Franziskaners deutsche Predigten aus der zwey-
ten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, theils vollständig, theils
in Auszügen. Herausgegeben von Christian Friedrich
Kling- Mit einem Vorwort von Dr.
lin, 1824. XVI und 466 Seiten.
A. N e a n d e r. B e r-
Kruder B e rt h old, dessen Wort vor nun bald sechshun-
dert Jahren wie eine Fackel in Deutschland leuchtete, von dem
noch lange die Linden, auf welchen er gepredigt, den Namen
führten, war seit der Zeit rn völlige Vergessenheit gesunken; seine
der Aufbewahrung und Betrachtung überaus würdigen Werke la-
gen in den Bibliotheken begraben, die neue Buchdruckerkunst
überging sie und befaßte sich doch mit so manchen theologischen
Schriften des Mittelalters, für die es heut zu Tage keine Leser
mehr gibt. Ich wüßte nicht, daß von dem reichbegabten Ber-
the ld früher irgend etwas gedruckt worden wäre, außer zu
Paris durch Johann Gourmont ohne Jahrzahl, vermuth-
lich im ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts : F. Bertholdt/
Teutonis horologium clevotionis circa vitam. Christi, in Se-
dez, angeführt voll Panzer annal. typ. vol. Ylil. p. 214«
Nr. 2769, wenn dieß mir nie zur Hand gekommene Buch anders
wirklich von ihm herrührt. Desto lebhaftern Dank verdient Hr.
Dr. Kling, daß er einen bedeutenden geistlichen Schriftsteller,
dessen in der jüngsten Abhandlung über die Homileten der Vor-
zeit (Augusti Denkwürdigkeiten aus der christl. Archäologie,
Band VI. Leipzig, 1828. S. 3o6, 809) nicht mit einem
Worte gedacht ist, nunmehr wieder in unsere Literatur einführt.
Ehe ich von seiner Beredsamkeit und Sprache handle, wird es
nöthig seyn, seine Lebensumstände zu erörtern; der Herausgeber
scheint,'was er darüber vermuthet, bloß aus dem Werke selbst
zu schöpfen, und mit allen sonstigen, ziemlich reichhaltigen Nachrich-
ten unbekannt. Eben dieß hat ihn zu einigen unvollkommenen
Schlüssen verleitet.
Der Ruhm Bertholds und der Eindruck, den er auf
das Volk machte, war zu groß, als daß ihn die gleichzeitigen
und nachfolgenden Chronisten mit Stillschweigen hatten überge-
hen können. Sie gedenken seiner sämmtlich zwischen den Jahren
i25o und 1272; letzteres war sein Todesjahr. Hermaimi Alta-
hensis annales (bey Oefele 1, 676^ ) ad ann. 1260: Berthol-
dus minor de Ratispona, declamator insignis, LX millia au-
ditorum habuisse fertur. Henrici Steronis annales (bey Ca-
nisius T. IV. p. 188, 189) ad ann. 1231 : his diebus quidam
frater Bertholdus de ordine minor um fratrum de domo
Ratiiponerisi tantam gratiam babuit praedicandi, ut saepe
ad eiim audiendum plus quam sexaginta millia hominumcon-
Altdeutsche Predigten.
i i)5
venirent. Ad ann. 1253: eodem tempore, mense scilicet
noyembri, famosus ille praedicator frater Bertholdus in
Lantzhut praedicationis officium exercebat et morabatur in
Castro etc.^/Dieselbe Veranlassung berichtet auch Herrn. Altab.
ad ann. eund. (Qefele 1 , 676* ). Annales Dominican. ad
ann. 1255: frater Bertholdus de ordine minorum solenni-
ter praedicat. Andreas presbyter ratispon. de monasteriis
Bavariae (wahrscheinlich aus dem vierzehnten Jahrhundert, die
Stelle ausgehoben in Matth. Bader Bavaria sancta. Monaei,
i6i5. T. L p. 162 — 164, und daraus in Wadding annales
minorum Romae, 1732. Tom. 4, ad ann. 1272): anno do-
mini i25i , frater Bertholdus natione ratisponensis ordinis
fratrum minorum praedicare coepit, ad cujus praedicatio-
nemdicuntur aliquando centum millia hominum conlluxisse.
Hic sepultus est RaLisponae apud fratres min. hoc haben»
epitaphium: MCCLXXI1. IX. Cal. Jan. obiit Fr. Bertholdus
magnus praedicator, hic sepultus in die Luciae' virginis,
wobey aber ein Irrthum im Tage steckt, denn da Lueia auf
den i3. Dez. fällt, so kann der Tod nicht am 24. Dez. erfolgt
seyn. Inzwischen liest bloß Wadding IX. und Räder XIX,
wodurch der Fehler vermindert, nicht aufgehoben wird, da der
Sterbetag eben sowenig der »4. Dez. gewesen seyn kann. Anony-
mus Leobiensis (aus der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts
bey Pez script, austr. I, 8zjb ) an ann. 1062: frater Ber-
tholdus venit in Austriam et Moraviam praedicando, juxta
cujus sermonem quandoque CCM. hominum cernebantur,
Wadding 1. c.) obiit hoc anno 1272 frater Bertholdus
de Ratispona praedicator magnus, super caput ejus, cum
in Thuringia aliquando sermonem faceret, a fide dignis
utriusque sexus reJigiosis plures coronae fulgidae volitare
videbantur. So wie er außerhalb B a i e r n in Thüringen
das Volk erbaute, hat er auch in Böhmen gepredigt und zu-
gleich eine Weissagung ausgesprochen, deren Ottokar von
Horn eck in seiner Reimchronik Kap. 774, col. 770“ gedenkt:
der minner prueder orden het erzogen ainen man, dem het
got getan gnaden genuoc , an pfellicher chunst was er
chluoc ; man jach auch daz er waere ain gar guot predigaere
ehristenlicher 1er, und waz an siner predig er chunftiger
dinge seit, daran hat man die war heit sit genzlichen fun-
den ... > do man nach Christes gebürt der jarzal spurt zwei-
hundert jar und fünf 11. funfzic f^rwar, do fuor er hie durch
diu laut, pruoder perchtold was er genant 5 yon dem ichhan
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
vernomen, do er hinze Pehem was chomen , do truoc ge-
walticliche in demselben chunicriche wol und schone zep-
ter und chrone der chunic mit dem ainen äugen, An sin er
predig sunder laugen der selb pruoder do jach: we dir
Pehem und ach! etc. Die Weissagung geht uns hier nichts
an, der einäugige, 1266 herrschende König von Böhmen war
Wenzel I., dem auf der Jagd ein Baumast das Aug ausge-
schlagen hatte. Da er aber schon 1263 (oder 1254) starb, muß
sich Horn eck in der Angabe von 12L6 oder sonst irren. Eine
andere, von Räder a.a. O. beygebrachte handschriftliche Chronik
erzählt ad ann. 12L6: his temporibus srater Bertholdus de
Ratisp. ordinis nostri eximius praedicator exsequens injunc-
tum sibi praedicationis off icium tantum profecit universitati
1am populi quam cleri, ut omninm in cordibus et auribus
fueiit aamirandus. Woher Kaspar Brusch in seinem Buche
de monast. Germ. folgende, auch in Crusius ann. suey. p.
III. lib. 2. cap.12 wiederholte Nachrichten habe, kann ich nicht
(nach Pfeffers, in Graub ündten) minorita quid am
Bertholdus nomine, tempore quo adhuc yixerit imp. Fri-
dericus II. (das wäre also noch vor 1260 gewesen). Hüne di-
dicimus minoiitam hahuisse concionem contra omnis gene-
, ris peccata et injurias alrocissimam ac de yindicta Dei in
öS eos certissimj) gravissimam. Kam er von Rom? oder reiste
er bloß aus B a i e r n nach B ü n d t e n? ließ er sich erst 1251 zu
Regen sburg nieder ? A v e n t i n läßt ihn aus Regens bürg
gebürtig seyn, ann. Bojor. lib. 7 (ed. Basil. i58o. p. 55i):
Berchtoldus turn (zur Zeit, wo Ottokar proStiria cum Bela
Ugrorum rege disceptavit) franciscanus, Reginoburgio orius,
clarus integritate yitae atque christianae eloquentiae orator
insignis fuit, sexaginta amplius millia hominum ejus concio-
nes frequentasse literisproditur 5 ejus sepulcrum adhuc non
solum incolis, sed et Ugris venerabile Reginoburgio in
templo Franciscanoi um ostenditur. Die deutsche Ausgabe hat
die Stelle nicht. Udalr. Onsorg chron. Bavar. (geschrieben
i44o bst) Oefele 1, 362): ad ann. 1261: srater B. natione
ratisponensis ord. min. praedicare coepit, — obiit ann. 1272
Luciae. Auch Räder gibt Regensburg als den Ort der
Geburt und des Todes an: natale et fatale solum habuit Ber-
tholdus Ratisponam, er fügt, wahrscheinlich aus kirchlichen Pa-
pieren und Erkundigungen andere Umstände hinzu, welche der
weitern Untersuchung wegen hier ausgehoben werden müssen:
magi*tro yirtutis usus viro pari religione B, Davide, quem
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» 62 5.
Altdeutsche Predigten.
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ab urbe vocabant de Augusta 1). Anno 1271. XVII. cal. dec.
obiit reverendus et religiosissimus pater frater David, in
Augusta sepultus, socius fratris Bertholdi de Ratispona, qui
(nämlich David) scripsit libellum de interiore et exteriore
hominis compositione etc. Hora obdormitionis ejus reyelata
fuit fratri ßertholdo, actu Ratisponae praedicanti, qui re-
commendans eum populo hunc versum
qui pius, prudens , liumilis , pudicus,
sobrius , castus fuit et quietus,
vita dum praesens vegetavit ejus
Ca?
ur\
VAh <L[,
corporis actus,
in ejus laudem dixit et sequenti anno 1272 in festo S. Luciae^
obiit (hiernach also i3, Dez. gestorben; ist der Grabstein noch ßwiJiAip*!
vorhanden und leserlich?) etiam feliciter ipse frater Berthol- *
dus de Ratispona, praedicator magnus, in diversis provinciis,
videlicet in Thuringia, in Bohemia , ubi habuit interpretem
fratrem cognomentoOderinchiurrij sepultum in Glaz, et ibidem
praedicavit frater Bertholdus in campo sub tiluij quae usque
hodie dicitur Bertholdi 2) quam ego (R aber? oder der ältere
Anszeichner?) oculis rneis vidi prope Glaz (welches bis »280
zu Böhme n gehörte). Huius praedicatoris Verba utilia et
magnifica facta , ut alterius Heliae peccatores convertentia ad
dominum fucrünt, nam multos Ungaros convertit j cum infi-
deles Cumani multos seduxissent; verbum ejus quasi facula
ardebat. Posuit enim Deus os ejus quasi gladium acutum —-
Hic sepultus jacet in ecciesia fratrum min. Ratisponae juxta
murura , versus ambitum et pluribus miraculis a die tran-
situs sui damit, sicut latius continetur in majori chronica. K
Ebendorfer 0011 Haselbach (ans dem fünfzehnten Jahrhnn-
») Ueber diesen Lehrer und Gefährten Bertholds, der auch bloß
David Teutonieus genannt wird, kann ein Aufsatz von Jakob
B r u ck e r (mas. helvet. partic. V|. Turici 174.7. 8. p.265 — 279)
nachgesehen werden. Davids geistliche Schriften wurden zu
Augsburg 1593 (ad insigne pinus) vermuthlich auf eines der
Welser Betrieb, gedruckt, und der Seltenheit dieser Ausgabe hal-
ben, in der bibl. max. patr. (ed. Lugdun. T. XXV. p. 867 —
9^6) wiederholt. In ihrem frommen, erbaulichen Inhalt sind
Bertholds Grundsätze eher wieder zu finden, als sein Geist.
Die fonnu a noviiiorum hat David dem Be. rth 0 ld zuge-
eignet , der ihm dafür bey seinem Ableben die obenstehenden Verse
zu Ehren dichtete, aber bald nachdarb. David scheint viel alter
2) Ist es die auch in andern Sagen berühmte Eisersdorftr Linde 7
vgl. deutsche Sagen 1, 4°9*
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w ä s
198
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
dert) scheint zwar den Anon. Leobiens, auszuschreiben, fügt
aber noch eine eigenthümliche Nachricht hinzu; die ganze Stelle
lautet (bey Pez 2 , 732b. ) : his diebus frater B. — in Auslri-
am ingreditur praedicando ibidem pariter et Moraviam,
quem ad ducenta millia bominum secuti sunt, ubi a simpli-
cihus (vom einfältigen Volk) ut propheta de futuris eventibus
arbitrabatur. Quem mei progenitores ferebant praedicasse :
dum Roma ante fores domus yeniet, yideatis periculosa tem-
pora adesse. Hinc et in silvisj campis aut altis propugnacu-
Hs praedicabat anno 1263.
Aus den vorgelegten Quellen geht wohl ohne Widerspruch
hervor, daß Bert hold zu Regensburg begraben liege und
daselbst seit 1251 seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe.
Seine Geburt in dieser Stadt bezeugen indessen erst die späteren
Onsorg, Aventin und Räder, wie es scheint, nach bloßer
Vermuthung. Eher möchte ich aus seinem Verhältniß zu David
folgern, dessen Unterweisung und Lehre der Jüngling B er th 0 ld
unstreitig in Augsburg empfangen hatte, daß er aus letzterer
Stadt oder Gegend (aus dem sogenannten Rieß) gebürtig, mit-
hin schwäbischer, nicht baierischer Herkunft war, wozu vielleicht
stimmt, daß er erst 1251 in Baiern als Prediger auftrat
(praedicare coepit), vor 1260 aber in dem Allemannien näher
liegenden G r au b ü n dte n.^Auch mag er späterhin noch zuwei^
len herübergekommen seyn, und zu Augsburg Reden gehalten
haben. Im Cod. pal. 33 (Willens Katalog p. 321) ssndet
sich eine, wahrscheinlich von U l r i ch F u g g e r (der seine Handschrif-
ten der pfälzischen Bibl. schenkte) beygeschriebene froylick sehr- v-i^k
-spä^Nachricht/welche folgendermaßen lautet: Anno 1240, istBru*
der Berchtolldt in leben vund in grosser achtung gewesen, dan
er} gar giert vnnd in grossen verstand! vill gutzs h i e i n a u g sp u r g
gebredigt hatt , er hatt auch wider den Römischen Applaß gebre-
digt, wan derselb von rom kom, so soll man seckhell vund
deschenn darvor woll verstrickhen« *). Hieraus scheint sich Ber-
tholds früherer Aufenthalt in Augsburg zu bestätigen,
obgleich die Jahreszahl 1240 fast zu weit hinaufgeht, und Fug-
ger in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts darüber falsch
unterrichtet seyn konnte, so wie er sich augenscheinlich darin irrt,
daß er die Notiz einem Buche einschreibt, das einem andern und
spätern Berthold angehört, worauf ich unten zurückkommen
werde. Wie dem sey, B ertholdö Aufenthalt in Augsburg
*) In wie fern dieser Zusaß aufrichtiger oder falscher Sage und Meinung
beruhte, ergibt sich aus dem unten Mitgetheilten. S. -81 , Ott Llj.
Anmerk. d. Ned.
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X Hs
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i 8 a 5.
Altdeutsch- Predigten.
u)9
bezeugen unter den hier abgedruckten Predigten drey ganz aus-
drücklich. Die sechste nimmt ihren Eingang von der Herl. Afra,
die zu Augsburg verehrt wurde.: (S. 38 7) var hin Narisce
gein einem lande, daz heizet daz Riez, do ist ein stat inne,
diu heizet Auguspurc ( lieber Augespure ) , da inne ist ein
frouwe, diu heizet Afra* die soltu mir bekern. Die achte
Predigt wurde auf den Tag des heil. Ulrich, also wieder eines
Augsburgers (S. 898, er was bischof hie ze Augespurc) ge-
halten ; in der zwanzigsten wird der Unterschied zwischen Fegfeuer
und Vorhölle erläutert (S. 489): wie diese Stadt inner und
außerhalb der Mauern Augsburg heißt, innerhalb aber rst man
härter gefangen, als außerhalb. In keiner, wenigstens. der bis^
her abgedruckten Predigten wird ein anderer Ort genannt, außer
einmal auch (S. 826) Regensburg; und in der vierten (S.
122) heißt es, daß der dritte Wochentag (tlies martis) ergelac
»in dem lande hie ze Beigem« heiße, folglich muß diese Rede
auf haierischem Grund und Boden gehalten worden seyn. Es ist
übrigens bekannt, daß die Benennung Erchtag über die Grenze
des eigentlichen Baier ns hinaus ssehrVmi^^üessckn allemanni
schen UrkunderHör'kommt, wiewohl ich bezweifle, daß \\ sich
über ganz Schwaben erstreckt haben könnet Man hat die Na-
men der Monate und Tage zwar hrn und wieder unordentlich ge-
sammelt, aber noch nicht gehörig für die Unterscheidung der Völ-
kerschaften genutzt. Bert ho Id wird nicht bloß in Schwaben
und Barern, sondern auch in Thüringen, Oesterreich,
Mähren und Böhmen, und welche deutsche Gegenden noch
sein Fuß betrat, an vielen Orten dem zuströmenden Volke gepre-
digt haben. Alle diese Stellen lassen also nicht auf seinen Ge-
burtsort schließen. Wichtiger scheint ein anderes Datum, das
uns mit dem Familiennamen des Geistlichen bekannt macht,
und in G e m e i n e r s Regensb. Chronik S. 896 enthalten, daraus
in von Längs baierische Jahrbücher von 1179 — , 294, p. 149
geflossen ist. Er hieß nämlich Lech oder Lechs, denn der necro-
logus fratrum minorum hat: 6. Tdus Jun. 1298 obiit Elisa-
bet Lechsin, soror fratris Lerehtoldi. ^Hiernach scheint frey-
lich sein Geschlecht ans Regensburg selbst, wiewohl es auch
sein Ruf und Wunsch aus der Fremde dahin könnte gezogen ha-
ben. Die Schwester überlebte ihn um ein und zwanzig Jahre.
Wenn uns nur Bertholds Todesjahr gewiß, sein Geburts-
jahr unbekannt ist, und etwa sein Schülerverhältniß zu David,
welcher ein einziges Jahr früher verstarb, das weit längere Leben
der Schwester die Folgerung rechtfertig^, daß er kein hohes Al-
ter erreicht haben möge; so darf doch die Zeit seines Ruhmsund
seiner Wirksamkeit sicher zwischen 1247— 1272 gesetzt werden.
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200
Altdeutsche Predigten.
XXXli. Bd.
Er gehört in das dritte Viertel des dreyzehnten Jahrhunderts.
Diese Bestimmung ist genauer, als wenn Hr. Kling ihn auf
Titel und Seite XI der Vorrede in die zweyte Hälfte desselben
Jahrhunderts weist, und mit der Angabe des Todesjahrs bey den
Chronisten unvertraut anzunehmen scheint, daß er noch unter
dem Kaiser i seit ,273) Rud 0 l p h von Habs bürg gelebt habe.
Keiner der in der sechsten (nicht sechzehnten) Predigt S. 69» an-
geführten Zeitumstände reicht so weit hinunter. Die Heiligspre-
chung der Landgräfin Elisabeth erfolgte 1286, trifft also in
Bertholds Lebzeiten, aber wohl noch in seine jüngeren Jahre,
ehe er irgendwo gepredigt hatte: er gedenkt der Heiligen S. 19,
128, 35i. Wichtiger und seiner eigentlichen Periode näher find
die in jener Predigt, indem er von dem Todschlag (manslaht)
als einer ruofenden (schreyenden) sünde redet, berührten Bege^
benheiten. Das gräuliche Blutvergießen, sagt er, hat nun all-
gemein in der Welt angehoben, und führt nachfolgende Beyspiele
an: i) Den Streit der Könige von Ungern und Böhmen,
womit die Schlacht gemeint wird, die sich Ottokar und Bel a
,260 an der March lieferten, vgl. Meister Friedrich von
S u 0 n e n b u r g MS. 2 , 2i2a . 2) Den großen Streit des K ö-
uigs von Frankreich jenseit des Meeres, d i. L u d w i g s d e s
Heiligen ersten Kreuzzug,248—,264. 3) Die Fehden Gra-
fen Peters von Savoien; sie heben um 1240 au und wäh-
ren über zwölf Jahre; Peter starb 1268. 4) Die Fehden Ru-
dolfs Grafen von Habsb u rg; beginnen um 1242, an die
Kaiserwahl damals noch kein Gedanke. 6) Grafen Hermanns
von Henneberg und des Bischofs von Würz bürg, ver-
muthlich im Jahre 1254; Hermann erscheint seit »25o in
würzburgische Händel verwickelt, eines spätern Streites erwähnen
die Chroniken beym Jahr ,26b, vgl. Siffridus presbyter adh. a.
comes de Hoenlo et cives wirzburgenses conllixerunt cum
comite Hermanno de Hennenberg apud civitatem Kitzingen
juxta Mogum. 6) Des König Prinze (d. i. P r z e m y s l, Pri-
m i s l a u s, gen. Ottokar von Böhmen) Zug mit dem deut-
schen Volk, d. i. der für den deutschen Orden im Jahre ,254 —
1255 nach Preußen unternommen wurde. ^Keines dieser Da-
ten leitet also über ,260 (,266?) hinaus, und die sechste Pre-
digt der Handschrift scheint nicht später gehalten worden zu seyn.
Die in der neunten und fünfund zwanzigsten (S. 894 und 802)
vorkommenden Ketzernamen, von welchen ich unten näher han-
deln werde, treffen zwar gleichfalls mit B e rt h0 lds Zeitalter
zusammen, find aber schon vor 1240 entsprungen, und dienen
noch weniger zur Widerlegung der Annahme, daß die jüngste die-
ser-Predigren bereits vor Rudolfs Erhebung auf den Thron
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’H'
200
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
th
Er gehört in das dritte Viertel des dreyzehnten Jahrhunderts.
Diese Bestimmung ist genauer, als wenn Hr. Kling ihn auf
Titel und Seite XI der Vorrede in die zweyte Hälfte desselben
Jahrhunderts weist, und mit der Angabe des Todesjahrs bey den
Chronisten unvertraut anzunehmen scheint, daß er noch unter
dem Kaiser f fett 1278) Rudol ph von Habsburg gelebt habe.
Keiner der in der sechsten (nicht sechzehnten) Predigt S. 3<)i an-
geführten Zeitumstände reicht so weit hinunter. Die Heiligspre-
chung der Landgräfin Elisabeth erfolgte ,235, trifft aljo in
Bertholds Lebzeiten, aber wohl noch in seine jüngeren Jahre,
ehe er irgendwo gepredigt hatte: er gedenkt der Heiligen S. 19,
128, 35i. Wichtiger und seiner eigentlichen Periode näher sind
die in jener Predigt, indem er von dem Todschlag (manslaht)
als einer ruofenden (schreyenden) sünde redet, berührten Bege^
benheiten. Das gräuliche Blutvergießen, sagt er, hat nun all-
gemein in der Welt angehoben, und führt nachfolgende Beyspiele
'TVn ^ V'« 1t ^ ~ « »» tt..S 5)5, i\ U m p ti .
die Chroniken beym Jahr 1286, vgl. Sitlridus presbyter adh.a.
comes de Hoenlo et cives wirzburgenses conüixerunt cum
comite Hermanno de Hennenberg apud civitatem Kitzingen
juxta Mogum. 6) Des König Prinze (d. i. P r z e m y s l, Pri-
m i s l a u s, gen. O t t 0 k a r von Böhmen) Zug mit dem deut-
schen Volk, d. i. der für den deutschen Orden im Jahre 1254 —
,266 nach P r euße n unternommen wurde. ^Keines dieser Da-
ten leitet also über 1260 (,266?) hinaus, und die sechste Pre-
digt der Handschrift scheint nicht später gehalten worden zu seyn.
Die in der neunten und fünfund zwanzigsten (S. 894 und802)
vorkommenden Ketzernamen, von welchen ich unten näher han-
deln werde, treffen zwar gleichfalls mit B e rt h0 lds Zeitalter
zusammen, find aber schon vor ,240 entsprungen, und dienen
noch weniger zur Widerlegung der Annahme, daß die jüngste die-
ser-Predigten bereits vor Rudolfs Erhebung auf den Thron
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Altdeutsche Predigten.
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verfaßt worden ist. Das Jahr der fünf und zwanzigsten vermag
ich sogar äst r o n o m i sch zu bestimmen. Seite 3oo nennt der
Prediger unter den Gegenständen, die dem Menschen bisweilen
das Licht der Sonne entziehen, den Mond: ist uns daz wol
kunt, daz etewanne der mäne dem sunnen sinen schm un-
der get, daz wir des sunnen diu zwei t^til kurne gesehen,
alse verneint (ein arger Druck- oder Sck)reibfehler, l. vernent,
d. h. voriges Jahr"! an sant Oswaldes tage, do het der inane
daz wirdige (L vierdige) teil wol verdecket, daz man sin
(der Sonne) niht gesehen mohte.^ Und ouch eins andern
mal es , an der milewochen in den criuzetagen vor den pfin-
gesien. Er führt hier zwey Sonnenfinsternisse an, deren Tage
ihm im Gedächtniß haften (die Geistlichen pflegten sie häufig auf-
zuschreiben). S. O sw a l d s t a g ist der 5. Augustder Mittwoch
der Kreuzwoche unbestimmt in jedem Jahre, aber immer der neun
und dreyßigste Tag nach Ostern, oder der Tag vor Himmelfahrt.
Zufolge der artde verifier lesdates fallen nun in Bertholds
Lebenszeit grade zwey Sonnenfinsternisse auf den 5. August, näm-
lich 1263 und 1244. Meines Dafürhaltens ist hier unbedenklich
die erstere gemeint, die Predigt also im Jahre 1264 gehalten.
Gegen 1244 spricht nicht allein das Zusammentreffen aller übri-
gen vorhin bemerkten Daten, sondern es laßt | ouct> die zweyte
von Bertho ld berührte Verfinsterung nicht ermitteln, wenn
man jene nicht in das Jahr 1263 setzt. Diese zweyte, glaube ich,
wird die vom 3. May 1250 seyn müssen, in welchem Jahre Ostern
auf den 27. März fielen, der neun und dreyßigste Tag nach Ostern
also der 4. May war, die Differenz beträgt bloß einen Tag. Der
Tag der Eklipsis war der acht und dreyßigste nach Ostern, nicht
der Mittwoch, sondern der Dienstag der Kreuzwoche. Wie leicht
hatte sich der Prediger beym Aufzeichnen um einen Tag geirrt.
Außer 1250 wüßte ich kein Jahr in diesem Jahrhundert nach je-
nen Angaben für die Finsterniß zu finden. Ist aber 1250 richtig,
so kann die in der Predigt als jünger bezeichnete nicht aus 1244
treffen, sondern beyde bestärken einander, meine Bestimmungen
angenommen. Die Wichtigkeit der F i n st e r n i sse für die Chro-
nologie ist längst anerkannt, ich bin, um sie durch ein neues
Beyspiel zu bestätigen, hier ausführlicher gewesen, und füge hinzu,
daß die Minoriten und Predigermönche dieser Zeit vorzüglich auf
astronomische Beobachtungen gehalten zu haben scheinen, vgl.
annales domin. colmar. ad ann. 1267; eclipsis solis vigilia
Urbani praedicta a fratre Godfrido astronomo ordinis praedi-
catorum in Vormatia (Sonnenfinsterniß vom 25. May). Und
eben jene vom 5. August 1263 wird in andern Chroniken er-
wähnt, compilaüo chronologica ad ann. 1263 (Pistorius 1,
H
20 2
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
1104): nonas Augusli post horam nonam suit eclipsis solis
generalis ut videtur in ista Teutoniae regione.fSßte frep war
BerLh 0 ld und seine öffentliche Lehre von dem Aberglauben,
der sich noch in die folgenden Jahrhunderte verbreitet hat: und
wänden, seht er hinzu, die ungelerten liute, diu werlt wolte
zeigen; daz habent die meister wol experimentet, die von
den Sternen db lesent, daz des nü nieman vorhten darf*
Bruder Berthold war, den angeführten Zeugnissen nach,
einer der populärsten Männer, die vor ihm und späterhin in
Deutschland gelebt und gewirkt haben. Die Angabe von
60,000, oder gar 100,000 Zuhörern mag übertreiben. Wenn
man auch das Herbeyströmen einer so großen Menge von Leuten
und die Möglichkeit, ihnen Lebensmittel zu schaffen, in jenen
weit geringer bevölkerten Zeiten, deren wenige PoLizeyeinrichtun-
gen für außerordentliche Fälle gar nichts taugten, zugeben wollte;
so kann doch die lauteste Stimme eines Redners kaum von tau-
send, gedrängt und im Freyen stehenden Menschen vernommen
werden, geschweige von vielen Tausenden. An dem Zulauf von
Tausenden, überall wo sich der berühmte Minoritenprediger zeigte,
ist aber nicht zu zweifeln, und wo vermochte irgend in unsern Ta-
gen geistliche Beredsamkeit dergleichen? Konnte auch nicht alles
Volr, das sich eingefunden hatte, seine Worte wirklich hören, so
war es einmal aus der Gegend versammelt und begnügte sich viel-
leicht damit, von ferne die Gestalt des Predigers zu sehen, oder
konnte ihn an einem der folgenden Tage inr engern Kreise zu hö-
ren hoffen. Denn er scheint oft täglich gepredigt zu haben, S.
286: git mir got die gnade, so sage ich morgen und über-
morgen aber me. Daß solche Predigten nicht in dem einge-
schränkten Raume der Kirchen geschehen konnten, versteht sich.
Es waren nach altchristlicher Weise Berg- und W i e s e n p r e d i g-
Le n unter Gottes freyem Himmel *). Der Papst hatte den Pre-
digermönchen und Minoriten außer der Kirche, auf Straßen und
Gaffen zu predigen erlaubt (Augusti a. a. O. S. 335), und
selbst diese Vergünstigung muß damals auf das gemeine Volk von
14/ gewaltigem Eindrücke gewesen seys Der Redner überschaute von
der Anhöhe die ganze ringsum im Grün gelagerte Menge; Bilder,
die er vom Himmel und der Gegend hernehmen konnte, gewan-
n
*) Auch der bekannte K 0 n r a d von Marburg hatte (in den drey-
ßiger Jahren des dreyzehnten Jahrhunderts) ungeheuern Zulauf,
und mußte im freyen Felde predigen: cum eundum esset in
campum ad pracdicationem magistri Conradi de Marburc
(Kuchenbeclter anal. hass. IX, 117. vgl. Gerste Uber ge rs
Chronik bey Schminke II, 826).
X / XU Ja , § Kwd '
Qm soudv^AK r\}^' /
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
20 3
uen besonderes Leben. Die Chroniken versichern ausdrücklich/ daß
Berthold auf der Linde *)/ auf Wiesen predigte und
einige Stellen auS dem hier gedruckten Buche beweisen es ohne-
hin. * Er will @. 358 oie Furcht des Menschen vor dem schau-
derhaften Anblick des Teufels schildern. Wie wir sterben würden
vor Freude/ wenn wir Gott sahen mit fleischlichen Augen/ also
vor Furcht/ wenn wir die Teufel sahen. Ginge er jetzt dort
her vor dem Walde und wäre diese Stadt ein glühen-
der Ofen / alles würde sich in diesen drangen. Ein mächtiges/ er-
greifendes Bild. Seite 178 wird die alles übertreffende Heilig-
keit des verwandelten Brotes in Priesters Handen vorgestellt/
bey dessen Begegnung jedermann mit Hintansetzung aller andern
Rücksichten zu Füßen fallen solle: ich wil ein groz dinc ieze
sprechen, und warez, daz ein dinc mügelich waere, daz
unser frouwe, min frouwe sancte inaria gots muoter,
daz sie iezunt da üf der schönen u’isen w&re , und
alle die heiligen und alle die engele, die wurden, obe daz
müglich waere, daz sie da die witen haeten (Raum fanden?)
und ich des wert waere, daz ich daz selbe himelgesin(le
do sehen solde, und ich gienge des endes, und ich wolte
sie harte gerne sehen (und wizzet, daz ich sie harte gerne
und ane mazen gerne wolte sehen) und ich uf dem wege
waere, daz ich mine frouwen sant Marien gerne wolte se-
hen, und ein herre, ein priester gienge gein mirundtruege
unsern herren, als er dd ze dem siechen mit get, so wolte
ich mich gein dem priester kern, der unsern herren truege 1
und wolte gein im an m|ne venie vallen uf m|n knie, e
danne gein m^ner frouwen sanct marien und allen heiligen
und allem himelischen her. Ueber die dem Priester schuldige
Ehre ist auch S. 176 und 347 zu vergleichen und eine Stelle im
Parcifal 122».
Der große/ Bruder Berthold zu Theil gewordne Beyfall
darf nicht verwundern. Seine Beredsamkeit ist die wahre/ welcher
Gedanken und Worte beynahe nie versagen/ die in natürlicher
kräftiger Einfalt zu den Herzen dringend ihrer Wirkung sicher ist.
*) Der Ausdruck sub tilia kann nicht bedeuten: unter der Linde,
was zweckwidrig gewesen wäre, sondern super (Du Cange v. sub)t
wie auch die Stelle aus dem Anon. Leobicnsis erläutert; auf
dem Gipfel des Baums wurde ein Gerüste gebaut, das der Predi-
ger bestieg; eine Waldkanzel. Das meinen auch wohl des Anon.
Leob. eminentia propugnacula. Man versieht noch jetzt hohe
Eichen und Linden mit Geländern zur freyen Aussicht in die Weite
und vielleicht ist auch S i g u n e n s auf der Linde sitzen (Parc. 60» ) so
gemeint.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
204
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
Seine Bilder sind nicht gehäuft, aber immer an der rechten Stelle
gebraucht und aus dem Leben gegriffen. Wie er den innern Wi-
derwillen des Menschen vor dem bösen Feind zu schildern weiß, ist
schon ausgehoben worden. In der Hölle, sagt er S. 871), ist
auch die geringste Qual unsäglich. Wie einem wohl wäre, wenn
die ganze Welt ein Feuer wäre, und er mitten drin im bloßen
Hemde, so ist einem dort. S. 244 soll die Nichtigkeit des welt-
lichen Reichthums gegen den himmlischen gezeigt werden: du
mäht wol ein wile genuoc haben. Daz ist aber gein der
ewigen richeit, als da einer uf einem snellen rosse für ei-
nem kram wol balde ritet, und dem niuijien (nur) in den
kram wirt ein blig mit den ougen u, er saze hant diu ^ugen
wider üz dem kram wirfet. Alle Weltherrlichkeit ist der Blick
eines schnellen Reiters in eine flimmernde Krambude. Das Leben,
welches von früher Jugend an, bis ins Alter, den Verführun-
gen des Feindes ausgesetzt ist, vergleicht er S. 219 einem Walde,
mit folgender epischen Wendung: als der durch einen walt
vert, der vindet von ersten kleine stüden und darnach vin-
det er aber baz gewahsen boume; und also wirt der walt
ie baz und baz zuo nemende, biz er in den rechten walt
kumet; da stentdanne niuwer (mit) einvaltige groze boume
und dar under vert er danne, biz er durch den walt kumet
und jensit wider üz vert. Und also legent uns ouch die
viende ein ander läge, do man in den walt vert und dan
mitten in dem walde u. do man wider üz dem walde vert.
Aufschieben der Reue, heißt es S. 368, ist so mißlich als das,
daß ein Mann, der immer ganz blind gewesen, mit dem ersten
Schuß einen Vogel treffe. S. 33o, 33i von der Gedankenlosig-
keit beym Gebet. Manche taffen in der Kirche die Lippe auf und
niedergehen und haben keinen guten Gedanken. Besser aber istS
doch so, als gar nicht zu beten. Denn wie das wilde Geflügel
durch Gewöhnung allmählich zahm wird und zutraulich, so mag
einem solchen das Paternoster allmählich heimlich werden und Gott
in dem Herzen, und: danimbe sult ir den hohen edelen adelar
von dem hohen himelriche oste gewonlichen locken mit dem
pater noster u. mit anderm gebete, der daz kan, ob du halt
nicht grozer andäht hast. des letzten Satzes: mit an-
derem Gebet, das ihr gelernt habt, und solltet ihr es auch ohne
große Andacht thun. Die Freyheit der alten Sprache springt
hier von dem Pron. ir auf der und da ab.) S. 281, 282:
Gottes Anschauung ist also wonniglich und süße, daß man ihrer
nie gesättigt und müde wird. 80 wart nie deheinre muoter
ir kint nie so liep, und solte sie ez drie tage ane sehen
anunderläz, daz sie anders nicht enpfleege, wanne eht sie
j 8 25.
Altdeutsche Predigten.
2o5
ir liebez kint solle ane sehen, sie seze an dem viörden tage
vil gerne ein stücke brötes. Jede irdische Neigung bedarf der
'Abspannung, von Gott möchte aber im Himmel keiner die Augen nur
so lange, als man die Hand umkehrt, abwenden, um aller Welt
Güter^nicht. Wir sagen in elewenne ein glichnisse, wie
schcene got si. Seht, alles daz wir iemer gesogen künnen
oder rnngen , daz ist rebte dem geliche , als obe ein kint
uns solle sagen, ob ez muglich wsere, die wile ez in sin re
muoter libe ist beslozen, und daz solte sagen von aller der
wirde u. von aller der gezierde, die diu weilt bat, von
der liebten sannen, von den liebten Sternen, von edelre
gesteine kraft und von ir maniger slahte varwe, von der
edelen würze kraft und von der rieben gezierde, die man
üzer siden und üzer golde machet in dirre weilte u. von
maniger bände suezen stimme, die diu weilt bat, von vö-
gelin sänge u. von seiten spil und von maniger bluomen
varwe. Und 280 wird hinzugefügt von der Nichtigkeit aller
weltlichen Freude, gegenüber der himmlischen: alliu diu ere u.
diu sröude und daz gemach, die disiu werlt ie gewan von
keisern oder künigen, wider der sröude, diu im himelriche
ist, als widerzaeme einem wrrre ein diep an einem galgen,
als kurz einem diu wile damit wäre, daz er einen erbau- l
gen man trinten solte wic1^ • aller der FrÖude, die diu werlt ±
bat, alse widerzaeme ist mix* diu sröude aller der werlte, *
wider der ewigen sröude. Ei, wol iueh wart, daz iueb
iuwer muoter ie getruo<|, die so getane sröude sülen be-
sitzen.
Bertholds Homilien sind das, was im Mittelalter ser-
mones de tempore hieß, und wie man sie auch bey dem heil.
Bernhard antrifft. Von dem Feste oder dem Heiligen des
Tages wurde ein Bezug genommen im Eingänge oder im Ver-
laufe der Rede; oft wird auch gleich der evangelische Tert zum
Grunde gelegt. Die Anlage des Ganzen erscheint in der Regel
paffend und verständig, und sollte bisweilen die Zergliederung
verunglücken, und in den Uebergängen Zwang verrathen, so
weiß der natürliche-Fluß der Rede alles auszugleichen, und die
vorherrschende praktische Richtung des Geistlichen überall auf
eindringende, warme Vermahnung einzulenken. Die Liebe Got-
tes und der schönsten Tugenden, die Meldung aller Laster wird
als die Hauptsache empfohlen, und nicht leicht unter den hier
abgedruckten Predigten eine angetroffen werden, die nicht von
irgend einer Seite auch noch heute das menschliche Herz rühren
würde, wenn schon für unsere Zeit einzelne Wendungen
2ob
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
u/
und Beweisführungen unschicklich seyn sollten. Die eigentliche,
in nichts dem-*sEnckatholjschen Glauben widerstrebende Theolo-
gie des Homileten mögen folgende Stellen bezeichnen. S. 69:
Der Mensch soll getreulich von Gott glauben, was ihm das
Christenthum sagt: Du solt niht ze vil und ze tiefe gedenken
in dime heiligen glouben, wie dem und dem si, u. wie
daz und daz gesin rniige. Wanne nü der lichte sunne den
heiligen cristen glouben bezeichent, so sult eht ir niht
vaste in die sunne sehen. Ez enhat nieman so starke ou*
gen u. wil er ze lange u. ze vaste in die sunne, und in daz
brehende rat der sannen sehen, er wirt als unmazen kranc
an sinen ougen, daz erz niemer überwindet, oder er wirt
gar blind, daz er niemer stich gesihet. Dieses wird in einer
andern Predigt fast mit denselben Worten (solche Wiederholung
gen der Lieblingsideen des Redners sind begreiflich, da er häufig
und oft täglich und an verschiedenen Orten auftrat) eingeprägt:
swer faste in die sunnen sihet, in den brehenden glast,
der wirt von ougen so bcese, daz er ez niemer mer gesiht.
Zeglicher wise als stet ez umbe den glouben, wer ze faste
in den heiligen cristenglouben sihet, also daz in vil ge*
wundert u. zetiefe darinne rumpelt mit gedenken. S. 4'
Jeder habe Gott und seinen Nächsten lieb von allem seinem Her-
zen: swer daz t^ijit, der gan im selber (gönnt sich selber)
guotes wol und aller sselicheit, des zerinnet im halt nie*
mermere. Ich wil ein groz wort sprechen , er hat halt
allez , daz got selber hat. S. 83o: Wer aber tödtlichen Haß
hat, ist ein Mörder. Haß gegen einen, der dir kein Leid ge-
than, ist teuflisch; aber wenn dir auch einer Vater und Kind
erschlagen hätte, sollst du dennoch sein Freund seyn. S. 209:
Jedem Menschen, ohne Unterschied der Religionen, hat Gott
eine.unsterbliche Seele verliehen, und laßt ihn durch Engel be-
hüten : als das kint lebende wirt an siner muoter libe, so
giuzct im der engel die sele in , der almehlige got giuzet
dem kinde die sele mit dem engel in. Und als ez njlr als
lange gelebet, als ein hant mag umbe gekert werden, s£
muoz ez iemer u. iemer leben als lange als got lebet und
mac niemer ersterben an der sele. S 16: Jedermann hegt
seinen Acker, und hütet seinen Schah. Gott umfing seinen Acker
(die Menschheit) mit zwey Mauern, und setzte ihm die Schaar
der Enget zur H^te. Er muoste einem herren ein lieber
acker sin, der ze ieglichem orte (in jede Ecke) einen hueter
snetzte, der muesten vier ze einem acker sin. So wser
im aber der ein gar lieber acker, der ze einem ieglichen
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
6 2 5.
Altdeutsche Predigten.
o?
eher (für jede Aehre) einen hueter salzte. Das fyat Gott ge-
than , und ze ieglichen menschen einen sunderlichen, ez si
junc oder alt, getouft oder ungetouft, einem ieglichen
cristenmenschen sunderlichen einen hueter und einen
enge! gegeben, und halt ieglichem Heiden und Hetzer und
jiiden und dajenen und iaiaren (Slaven und Tarraren werden
hier , den damaligen Volksbegriffen gemäß/ noch hinter Ketzer
und Juden geordnet); ez sin jene oder dise, die nach men-
schen gebildet sint, der hat iegelichez sinen engel, der sin
huetet. S. 140: ez sprichet ein heilige, ez ensi nieman
so arger, ein habe eteliche tugent, di]i{ zem himelriche
gehcere. S. 189/ 190: Die Engel hatte Gott schnell und edel
geschaffen / daß sie desto ringfertiger an ihrer geistlichen Lauter-
keit waren/ weil sie sich aber überhüben ihrer großen Schönheit/
so gab er dem Menschen den Leib (den horwigen, irdenischen
sag, den kothigen/ irdischen Sack)/ daß er demüthig wäre/ und
nicht in Hoffart verfiele; der Leib ist der Seele wie eine schwere
Rüstung und ein Berg auf dem Rücken. — Innere Güte und
Frömmigkeit geht über äußerliche Religionsübungen. Ja nü
sitze, wird S. 829 der Zuhörer apostrophirt/ und mach ein
criuze für dich. Und hißtest du ein guot herze, daz wcere
dir yil bezzer, danne alliu criuze, diu du machest* S. 3/,9:
Ihr Herren / ihr thut mir gar Leid darum/ daß ihr manchmal
zu St. Jakob laufet und reitet/ so daß ihr leicht in zwölf oder
zehen Wochen nicht zehen Messen höret. Das sage ich nicht
darum, daß ich St. Jakob seine Pilger entführen wollte, da
wäre er mir zu hoch, ich rede es um der Gerechtigkeit willen.
Ihr laufet dorthin und verkaufet daheim, daß eure Kinder und
Hausfrauen immerfort desto ärmer seyn müssen, und ihr selber
»nothaft u. gültehaft« (in Noth und Schulden steckt). Und ein
solcher mästet sich, daß er viel feister zurückkommt, als er aus-
saht- , und hat dann viel zu sagen, was er gesehen, und läßt
(durch sein Geschwätz) niemand hören in der Kirche und Predigt.
Was fandest du dort? St. Jakobs Haupt. Das ist ein todtes
Bein und ein todter Schädel; das bessere Theil ist im Himmel.
Da kannst du mehr Gnaden finden an deinem Hoszaun (in deiner
Heimat), so der Priester in der Kirche Messe singt u. s. w.
S. 867: Manche hätten gerne sichtbare Zeichen vom Herrn.
Er thut auch täglich große Zeichen, man will es nur nicht dafür
halten, aus Gewohnheit. So ist ein großes Zeichen die Sonne,
nur daß ihr es gewohnt seyd, daß man nun Korn wirft in die
Erde, und daß Gott es verfaulen läßt, und aus dem faulen
Korn anderes wachsen läßt, daß alle Welt gelpeiset wird. So
macht er edlen Wein aus saurem Wasser. Denn die Reben
Lay
. 340 Grimm Nr. L 29
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Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
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ziehen ihren Saft aus der Erde, und er versauert in ihnen.
Uni) täglich thut er das Zeichen, daß die Erde auf nichts
schwebt. S. 364: Jedes Erschaffene hat Wesen und Namen,
aber nicht jedes hat Wesen und Leben und Empfindung und
Vernunft. Der Stein hat nur Wesen; die Gewächse der Erde
Wesen und Leben, aber sie empfinden nichts, der Baum zap-
pelt und ruft nicht, wenn er abgehauen wird, aber er hat
Leben; denn wenn man ihn abhaut, so dorret er, weil ihm
die Kraft genommen ist, wovon er lebt. Aber die Thiere alle
haben Empfindung dazu, denn sie fürchten und fliehen Schmerz
und Tod. Den Menschen hat Gott über alles geadelt, weil er auch
noch v e r n i m m t. Der almehtige Got (S. 113) hat iu zwei
groziu buoch gegeben, da ir an lesen und lernen sulet alle
die wisheit der iuch not ist an übe und an sele, die iuch in
daz himelriche wisen suln. Daz ist der himeL und diu
erde. Verständet ihr es nur zu machen alse der guote sant
Bernhart. Do man den frägete, wo von er so wise wa*re,
do sprach er: ich lerne an den boumen. Eine (S. i65
wiederholte) bekannte Aeußerung Bernhards: was er in
Erklärung der heil. Schrift vermöge und in der Erkenntniß
der göttlichen Dinge, habe er besonders in Wäldern und auf
Feldern durch innere Betrachtung und Gebet erlangt, und
keine anderen Lehrer gehabt, als die Buchen und Eichen (der
h. Bernhard, dargestellt von Neander, Berlin i8i3,
S. 6). Glaube meiner Erfahrung, schrieb Bernhard an
einen andern Lehrer, du wirst etwas mehr finden in den Wäl-
dern, als in den Büchern, Holz und Stein werden dich leh-
ren, was du von den Meistern nicht vernehmen kannst (da-
selbst S. 45). Die Stelle von den zwey großen Büchern der
Natur (S. 112. 161) erinnert mich au ein noch ungedrucktes
Gedicht Strickers (bey Petz des Anonymus Meliicensis;
die Handschrift dieser schönen Gedichte liegt nämlich zu Molk,
Abschriften davon jetzt zu Dresden und sonst; einzelne Stücke
daraus auch in Heidelberger Mff), welches beginnt: Got hat
den leyen gegeben, die christenlichen wollen leben, drin
buoch, daran sie sulen sehen , waz ist u. waz sol geschehen ;
der himel ist der b^ijche einez , rehtez u. vil reinez etc.
Unter dem zweyten Buche wird aber nicht die Erde gemeint,
sondern das Gemälde mit Abbildungen aus der christlichen
Geschichte; unter dem dritten Buche das Leben der Geistlichen.
Die Idee ist also anders gewendet. Uebrigens hätte Ber-
thold mit Strickers, der ihm um zwanzig Jahre voran-
gehen mag, Dichtungen leicht bekannt seyn können.
Wenn alle Minoriten und Prediger des dreyzehnten Jahr-
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
V. r
8
CONDITIONS DE LA SOUSGRIPTION.
La premiere livraison, qui paraitra le 15 mai prochain, sera
composee du premier volume de Yltineraire de Paris a Jerusa-
lem, et d’un yolume contenant Atala , Rene, et les Auentures
du dernier Abenceragc, et 1a Preface generale des OEuvreS.
Le prix de chaqüe Tivraison .sera, pour les personnes qui
souscriront avant le 1er. juin, de 7 fr. 50 cent. chaque volume ,
papier sin des Vosges, satine.
La derniere livraison sera payee d’avance.
Papier grand-raisin velin superfin, prix, 20 fr. le volume.
Un exemplaire particulier sera tire sur peau de velin. Le prix
de chaque volume sera de 400 fr.
ON SOUSCRIT, A PARIS,
CIIEZ LADVOCAT, LIBRAIRE,
PALAIS-ROYAL, GALERIE DE BOIS, N°. 195:
ET A BRUXELLES, MfiME MAISON.
ON SOUSGRIT EGALEMENT GHEZ
Lenormant , rue de Seine, N0* 12.
Aime Andre, quai des Augustins, 59.
Bossange pere, rue de Richelieu, JV°. 60.
Bossange freres, quai Voltaire.
U. Ganel, rue Saint-Germain-des-Pres* N°. 9.
Desplaces , rue de Seine, JX°. 29.
Dttfart, quai Voltaire, N°. 15. .
Ambroise Dupont, rue Vivienne, N°. 16. , .
• Lecointe et De RE Y, quai des Augustins, N°. 49.
Mongie, boplevart des Italiens, IN°. 10.
Moutardier, rue Git-le-Cceur, JX°. 4. •
N. Pichard , quai Conti, N°. 5.
Ponthieu , au Palais-Royal.
Rapilly, passage des Panoramas.
Veuve Renard , rue Gaumartin, N°. 5.
Rey et Gravier, quai des Augustins, N°. 55.
♦ Rousseau, rue de Richelieu, N°. 107.
Sautelet et Compagnie, place de la Bourse. %
Treuttel 'fctjWuRTZ, rue de Iburbon, N°. 17.^
‘^ -----A-
PARIS.- 1MPKIMERIE DE FAIN
RÜE RACINE, N°. 4? PLACE DE l/ODEON
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
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schwebt. @.364: Jedes Erschaffene hat Wesen und Namen,
aber nicht jedes hat Wesen und Leben und Empfindung und
Vernunft. Der Stein hat nur Wesen; die Gewächse der Erde
Wesen und Leben, aber sie empfinden nichts, der Baum zap-
pelt und ruft nicht, wenn er abgehauen wird, aber er hat
Leben; denn wenn man ihn abhaut, so dorret er, weil ihm
die Kraft genommen ist, wovon er lebt. Aber die Thiere alle
haben Empfindung dazu, denn sie fürchten und fliehen Schmerz
und Tod. Den Menschen hat Gott über alles geadelt, weil er auch
noch vernimmt. Der almehtige Got (S. u3) hat iu zwei
groziu bauch gegeben, da ir an lesen und lernen sulet alle
die wisheit der iuch not ist an übe und an sele, die iuch in
daz himelriche wisen suln. Daz ist der himel und diu
erde. Verständet ihr es nur zu machen alse der guote sant
Bernhart. Do man den fragete, wo von er so wise wa're,
do sprach er: ich lerne an den boumen. Eine (S. »65
wiederholte) bekannte Aeußerung Bernhards: was er in
Erklärung der heil. Schrift vermöge und in der Erkenntniß
der göttlichen Dinge, habe er besonders in Wäldern und auf
Feldern durch innere Betrachtung und Gebet erlangt, und
keine anderen Lehrer gehabt, als die Buchen und Eichen (der
h. Bernhard, dargestellt von Neander, Berlin »8»3,
S. 6). Glaube meiner Erfahrung, schrieb Bernhard an
einen andern Lehrer, du wirst etwas mehr finden in den Wäl-
dern, als in den Büchern, Holz und Stein werden dich leh-
ren, was du von den Meistern nicht vernehmen kannst (da-
selbst S. 45). Die Stelle von den zwey großen Büchern der
Natur (S. 112. 161) erinnert mich an ein noch ungedrucktes
Gedicht Strickers (bey Petz des Anonymus Mellicensis;
die Handschrift dieser schönen Gedichte liegt nämlich zu Molk,
Abschriften davon jetzt zu Dresden und sonst; einzelne Stücke
daraus auch in Heidelberger Mff), welches beginnt: Got hat
den leyen gegeben, die christenlichen wollen leben, drin
buoch , daran sie sulen sehen , waz ist u. waz sol geschehen ;
der himel ist der b^ifche einez , rehtez u. vil reinez etc.
Unter dem zweyten Buche wird aber nicht die Erde gemeint,
sondern das Gemälde mit Abbildungen aus der christlichen
Geschichte; unter dem dritten Buche das Leben der Geistllchen.
Die Idee ist also anders gewendet. Uebrigens hätte Ber-
tholt ^ r 3 , der ihm tun zwanzig Jahre voran-
gehe»
i v , *’ - . Jahr-
«
: »v
* J f
*
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CONDITIONS DE LA SOUSGRIPTION.
La premiere livraison, qui paraitra le 15 mai prochain, sera
composee du premier volume de V Itineraire de Paris a Jerusa-
lem, et d’un volume contenant Atala , Rene, et les Aventures
du dei'nier Abenceragc, et 1a Preface generale des OEuvreS.
Le prix de chaqüe fivraison ,sera, pour les personnes qui
souscriront avant le 1er. juin, de 7 fr. 50 cent. chaque volume ,
papier dn des Vosges, satine.
La derniere livraison sera payee d’avance.
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Un exemplaire particulier sera tire sur peau de velin. Le prix
de chaque volume sera de 400 fr.
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CHEZ LADVOCAT, LIBRAIRE,
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Lenormant , rue de Seine, 12.
Aime Andre, quai des Augustins, N*. 59.
Bossange pere, rue de Richelieu , JNK 60.
Bossange freres, quai Voltaire.
U. Canel, rue Saint-Germain-des-Pres* N°. 9.
Desplaces , rue de Seine, N°. 29.
Dttfart, quai Voltaire, N°. 15. .
Ambroise Dupont, rue Vivienne, N°. 16. , . *.
Lecointe et Durey, quai des Augustins, N». 49.
Mongie, hoplevart des Italiens, N°. 10.
Moutardier, rue Git-le-Coeur, JN°. 4. I
N. Pichard , quai Conti, N°. 5.
Ponthieu , au Palais-Royal.
Rapilly, passage des Panoramas.
Veuve Renard , rue Caumartin, N°. 5.
Rey et Gravier, quai des Augustins, N°. 55.
♦ Rousseau, rue de Richelieu, N°. 107.
Sautelet et Compagnie, place de la Bourse. %
Treuttel *&t|WuRTZ, rue de Jtourbon, N°. 17.^ •
. ^ ^
PARIS.— IMPRIMERIE DE FA I N
RUE RACINE, N°. PLACE DE t'ODEON
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7
que cette collection, tont ce qui sortira desormais
de sa pkniie«
Nous esperons que la scrupuleuse exactitude
que nous avons apportee ä Fexecution des nom-
breux ouvrages que nqus avofcs qmbli^s* par li-
vraisons successives, tels que le Millevoye, les
Thedtres et rangen, le Shakspeare, le Schiller,
le Byron, les Ducs de Bourgogne , et les
OEuvres de MM. Casimir Delavigne, Eitle-
main, etc., sera une garantie süffisante en notre
faveur aux yeux des personnes qui vont s ein-
pressen de concourir ä cette souscription vraiment
nationale.
L’edition des OEuvres completes que nous annoncons
sera composee de quatre parties bien distinctes, qui
paraitront en dix-sept ou dix-huit HVraisons d’un ou de
deux volumes chaque, et divisee ainsi qu’il suit :
HISTOIRE.
LITTERATURE.
Tomes I a V.
Essai liistorique sur les revolutions.
( Inedit en France.) 2 vol.
Vie du duc de Berrys et Notice liistorique
s*r la Vendee*. i vol/ *
Discours servanf d’introduction ä l’His-
loire de France. (Inedit.) 2 vol
VOYAGES.
Tomes XI a XXII.
Genie du Christianisme. 5 vol.
Atala, Rene', les Aventures du dernier
Abencerage. ( Ce dernier ouvvage est
inedit.) i vol.
Les Martyrs. 2 vol.
Les Natchez. (Ine'dits.)'2 vol.
Melänges liite'raires. ('Recueillis ponr la
premiere fois.) i vol.
Moise , ti’agedie ; Poe'sie et litterature.
(Ihedits.) i vol.
Tomes VI a X.
Voyage en AAerique , et morceaux
d'^istoire* naturelle. (Inedit. ) i v^.
Voyage enTraiice et en*Italie*( Inedit. )J'
I vol.
Itineraire de Paris a Jerusalem, 3 vol.
» • » / * J
POLITIQUE. v s, -
Tomes XXIII a XXV
OpinionsetDis|^ursauxChambres. i vol.
Reflexions politiques, etc. I vol.
La Monarchie selon la Charte, i vol.
!
9
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«
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
1825.
Altdeutsche Predigten.
209
Hunderts in Deutschland Berth olden in Lehre und
Wirksamkeit ähnlich waren/ so leidet die Behauptung Nean-
d e r s in der Vorrede keinen Zweifel , daß die B e t t e l m ö n ch s-
orden als Anregungsmittel eines lebendigen Christenthums
einen wichtigen/ nicht gehörig anerkannten Platz einnehmen.
Die ungemeine Schnelligkeit/ womit diese kaum erst gestifteten/
bekanntlich den Regeln des Fr a n ci s k us und Dominikus
folgenden Bruderschaften im Verlaufe eines Menschenalters
gediehen, beweist, wie sie zeitgemäß waren. Zwar griffen sie,
da ihnen aller Orten zu predigen gestattet .war, in die beste-
hende Parochialverfassung vielleicht hier und da störend ein; es
mag jedoch mit dieser Seelsorge nicht durchgängig wohl bestellt
gewesen seyn: waz der heiligen guot heizet, klagt Ber-
th 0 l d (S. i8), daz hant die herren alse gar yil an sich
gezogen, daz nü yil wunderliches kume etewä üf vier ko-
chen ein priester sitzet, wanne sie mugen eht sich davon niht
hegen (können von den schmalen Einkünften nicht leben). Was
aber hauptsächlich anzuschlagen ist, die allgemeine und vielsei-
tige Regsamkeit des Jahrhunderts war einer in das Leben
aller Stände greifenden praktischen, geistigen Leitung bedürftig,
und dah^r höchst empfänglich. Beynahe keine Chronik der Zeit
von 1220 bis 1270, die nicht der Einführung und Bestiftung
eines oder beyder dieser Orden in jeder bedeutenden Stadt
gedächte. Beredte und erweckte Dominikaner sowohl als Fran-
ciskaner mußten bald großen Einfluß auf die Denkungsart
und Richtung ihrer Zeit gewinnen. Vineenz von Beau-
v a i s, Albertus Magnus, Thomas v 0 n A q u i n 0,
B 0 n a v e n t u r a und Andere. Von Berth 0 lds für D eutsch-
land gewiß größerer^?) Wirksamkeit hat man nur weniger gere-
det ; er muß bey denf^ge meinen Volke und den Fürsten gleich
wohlgelitten gewesen seyn, die oben angezogenen Stellen zum
Jahre 1253 lehren, daß er Beichtiger Herzogs Otto von
Baiern zu Lands hur war, der in demselben Jahre starb.
Matth, paris ad ann. 1289: facti sunt eo tempore praedica-
tores et minores reg um consiliarii et nuntii speciales Ich
werde hernach noch einen in der altdeutschen Literatur nicht
zu übersehenden Minoriten aus Regensburg anführen
Der überraschende Wachsthum der Predigerorden und einzelne
Mißbräuche, die sich auch bey ihnen einschlichen, mögen ihnen
schon damals Gegner zugezogen haben. Eine solche Stimme
vernehmen wir zum Beyspiel aus dem Munde eines nicht un-
ausgezeichneten deutschen Dichters, der mit Bert hold unge-
fähr gleichzeitig gewesen seyn kann. Boppo, Ms. 2, 235*:
i4
2,0
Altdeutsche Predigten-
XXXH. Bd.
ri J
Schämt iuch, minner orden,
iuwer fluz der hat den hinderganc,
iuwer orden hinbent alle ^ ir tret in Simonien schranc;
ir würbet fremdiu gotes relit; ir leret guot u. minnet val-
sche tat.
ir sit verboufet worden
der bristenheit , owe der not!
den wolf nemt ir ze gesellen, ob er daz schaf iu bringen tuot;
ir riuhet sieht und slichtet ruh, haz u. nit den treit nü geist-
lich wat.
iuwer bruoderschaft sich hoenet,
glihsenheit , die g|t verbot, diu ist mit iu gebreenet,
diu treit nü geistlich waete
und wülvet üz des herzen tunst,
lert iuch Franciscus sollie bunst,
so pflac sant Augustin ouch solher roete. y
Diesen Klagen wird es bin und wieder nicht an Grund gebre-
chen, ohne daß sie m mindesten gegen das Ganze zeugen; die po-
litischen Spaltungen jener Zeit drängten nicht wenige Men-
schen , für das weltliche oder geistliche UebergewichL lebhafte
Partey zu ergreifen. Wegen Fehler der Geistlichen
nimmt Bert hold selbst kein Blatt vor den Mund. Ueber
die Pfennigprediger eifert er heftig (S. 149.160.226. 269.
864. 396.), an einer dieser Stellen heißt es: Pfennicprediger,
dem tiuvel ein der liebste kneht, den er iergent hat. Pfi
pfennieprediger, morder aller der werlte, wie manige sele
du mit dinen yalscben gewinnen von dem waren sunnenwir-
fest an den grünt der hellen, daz ir niemer mer rat wirt!
du geheizest alse vil aplazes umb einigen helbelinc oder
umb einigen pfennic, daz sich manic tüsent menschen dr|n
lat, und wsenent, sie haben alle ir sünde gebuezet mit
dem psennige oder mit dem helbelinge, alse du im für sne-
rest. So wellen sie fürbaz niht buezen und varent alse hin
ze helle, daz ir niemer rat wirt. Und da von wirket man
dich an den grünt der helle u. wirket alle die üf dich, die
du dem almehtigen gote enpfueret hast und verkoufet ie
die sele umb einen pfennic oder umb einen helbelinc. Du
morder der rehten buoze, du hast uns die rehten buoze
ermordet, die der sieben heilicheite eine ist, der hohsten,
die got hat. Gegen welche Art von Predigern sind diese wie-
derholten Ausfälle eigentlich gerichtet? will der Minorit den
Dominikaner heruntersetzen, oder einen Unfug tadeln, der
keine von beyden Regeln, sondern nur einzelne Mißbräuche
trifft? Die Pfennigprediger sind neulich auferstanden, heißt
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grim
Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Gri
m Nr. L 29
1825.
Altdeutsche Predigten.
21 r
es S. 334. Da ich ein kleines Kind war, war nirgends einer
derselben *). Er fährt ans unter die einfältigen Leute, und
predigt und ruft, daß alles weint, was vor ihm ist. Und er
sagt, er habe vom Papste die Gewalt, daß er dir alle deine
Sünden abnehme um einen Helbeling oder Heller, llnd er
lügt, daß man damit ledig sey gegen Gott, und krönt den
Teufel alle Tage mit viel tausend Seelen. Ihr sollt ihnen
nichts geben, dann müssen sie abstehen von dem Betrug. —
Ein Hauptgegenstand der heftigsten und wirklich schonungsloser
Aeußerungen des geistlichen Redners, der sich selbst über die
Juden duldsam ausspricht (S. 11. 12), sind die Ketzer; und
da Bert hold hier einzelne, für die Kirchenge chichte nicht
unbrauchbare Daten beybringt, so scheint es mir angemessen,
davon etwas ausführlicher zu handeln. Dieselbe Geistesrüh-
rigkeit, die im zwölften und dreyzehnten Jahrhunderte das
Emporkommen neuer Mönchsorden, als neuer Versuche und
Mittel zur Läuterung und Auferbauung der christlichen Völker
begünstigte, that auch den aus dem Orient in das westliche
Europa allmälich eingedrungenen, unter vielfacher Gestalt
wuchernden Sekten mancherley Vorschub. Die Waldenser (ei-
nige ihrer geistlichen Dichtungen hat kürzlich Raynouard
im Originale bekannt gemacht; ihr sittlich; reines, strenges
Lebenkwird selbst von den Gegnern zugestanden) waren zwar
um die Zeit, wovon hier die Rede ist, meist beschwichtigt,
was aber mrt ihnen durch unzählige Fäden zusammenhing,
noch in steter Bewegung, die in die folgenden Jahrhunderte
fortwirkte. Der Abt von Ursberg ad ann. 1212 knüpft so-
gar den Ursprung der Bettelmonche unmittelbar an jene Ketze-
reyen: eo tempore, mundo jarn senescenle, sagt er, exor-
tae sunt duae religiones in ecclesia, cujus ut aquilae reno-
vatur juventus, quae etiarn a sede aposlolica sunt coniir-
raatae , videlicet minorumsratruin et praeaicaiorum Quae
f^j?|e hac occasione sunt approbatae, quia olim duae sectae
in Italia exortae adhuc perdurant, quorum alii humilialoSy
alii pauperes de Lugduno se nominabant. Die ganze Stelle
muß nachgelesen werden. Die Ketzer, Anfangs ihrer Lehre
*) Hieraus folgt schon, wie auch aus andern angeführten Stellen, ganz
ausdrücklich, daß B er t hold nicht wider den Ablaß elbst im
allgemeinen eifert, und daß daher seine Angriffe wohl nur von sol-
chen Predigern zu verstehen sind, welche Schuld daran waren,
daß das Volk nicht Neue und echten Bußgeist als die unerläßliche
Bedingung zur Sündenvergebung ansah.
Anmerk. d. Red.
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
V
2,2
ganz sicher, seyen seihst nach Rom gegangen, sich Bestäti-
gung zu holen; der Pflpst habe aber ihre Irrthümer erkannt,
sie abgewiesen und geächtet. Um ein Gegengewicht für sie zu
finden, seyen jeye gesetzlichen Regeln, die das Taugliche, das
sich mit dem Ketzerthume gemischt hatte, beybehielten, aufge-
kommen, Daher das gleiche Gelübde der Armuth und der
nähere Umgang mit dem Volke. Das beschauliche geistige Le-
ben, das unter gemeinen, unwissenden Menschen zum Ver-
derbniß auszuschlagen drohte, sollten die gelehrten, der Kir-
chensatzung kundigen Mönche zügeln. Wenn auch diese Vor-
stellung unrichtig seyn sollte, und vielleicht umgekehrt aus
einer entarteten Unterabtheilung der Mönchsregel die ihnen
äußerlich nicht unähnliche Ketzerey entsprungen seyn könnte,
oder noch lieber, wenn das beyden zum ersten Grund liegende
in dem Geist der ganzen Zeit gesucht werden muß; so läßt
sich, schon weil nah an einander stoßendes desto greller von
einander abstößt, begreifen, warum die Minoriten und Pre-
diger eben die erbittertsten Ketzerfeinde waren. In der Ge-
schichte des dreyzehnten Jahrhunderts erscheinen sie immer so,
voraus noch die Prediger, und durch ihren Einfluß wurden
auch in Deutschland Fürsten und Volk zu manchmal grau-
samer Verfolgung armer, verführter Menschen aufgeregt, In
Teutonia multae haereses deteguntur et haeretici flammis
puniuntur (annales Godefridi monachi ad ann. 1232).
Wie, ketzer, bist du iergent hie (setzt unter meinen Zu-
hörern)? fragt B e rthold: Nu wolle der almehtige got,
daz deheiner für mir (in meiner Gegenwart) si. Sie gent
ouch niht ze frumen steten; sie gent ze den wilren und
ze den dorfern gerne und halt ze den feinden^ diu der
gense huetent an dem velde. Und etewanne giengen sie gar
in geistlichem gewande und swernt (besser wohl swuoren) niht
dureh dehein dinc, da bi wart man sie erkennen. Nü wan-
deint si ir leben und ir ketzerie , rehte als der mane, der
sich da wandelt in so manige wise. Also tragent nü die
ketzer swert u. mezzer^ langes har> langes gewant und
swernt die eide nü. Sie hauen elewanne den tot e gell-
ten ; wanne sie sprachen, got der hseten die eide verboten.
Und ir meister habent sie in nü erloubet, daz sie eide
swern (@. 3o4. 3o5). Was er von der Tracht und Bewaff-
nung der umstreifenden Ketzer sagt, ist merkwürdig; mit ihrer
Trennung von den Rechtgläubigen wurde auch die Abweichung
im Aeußern hervorstechender, und der Tonsur entsagt. Aus dem
Eidschwur haben sich vor^ und nachher manche Diffentienten
ein Gewissen gemacht. Cavent a juramento nee dicunt vere
Altdeutsche Predigleo,
finden, setzen jene gesetzlichen Regeln, die das Taugliche, das
sich mit dem Ketzerthume gemischt hatte, beybehielten, aufge-
kommen^ Daher das gleiche Gelübde der Armuth und der
nähere Umgang mit dem Volke. Das beschauliche geistige Le-
ben, das unter gemeinen, unwissenden Menschen zum Ver-
derbnis; auszuschlagen drohte, sollten die gelehrten, der Kir-
chensatzung kundigen Mönche zügeln. Wenn auch diese Vor-
stellung unrichtig seyn sollte, und vielleicht umgekehrt aus
einer entarteten Unterabtheilung der Mönchsregel die ihnen
äußerlich nicht unähnliche Ketzerey entsprungen seyn könnte^,
oder noch lieber, wenn das beyden zum ersten Grund liegende
in dem Geist der ganzen Zeit gesucht werden muß; so läßt
sich, schon weil nah an einander stoßendes desto greller von
einander abstößt, begreifen, warum die Minoriten und Pre-
diger eben die erbittertsten Ketzerfeinde waren. In der Ge-
schichte des dreyzehnten Jahrhunderts erscheinen sie immer so,
voraus noch die Prediger, und durch ihren Einfluß wurden
auch in Deutschland Fürsten und Volk zu manchmal grau-
samer Verfolgung armer, verführter Menschen aufgeregt. In
Teutonia lmiitae haefeses deteguntur et haeretici ilantjnis
puniuntur (annales Godefridi morachi ad ann. , 282). lEin
sonst sinnreicher, redlicher Dichter, der Verfasser des welschen
Gastes (noch vor. 121 b), scheut sich nicht, den schrecklichen
Spott in den Mund zu nehmen: der Herzog von Oester-
reich lasse Ketzer sieden und braten, daß sich der Teufel daran
nicht die Zähne verbeiffe (eod. pal. 389, 194?), gleich als
verdiene der Feind aller Menschen mehr Rücksicht, die verirrten
Menschen weniger. ^ Wie, ketzer, bist dujjergent hie, fragt
Berthold (jetzt unter meinen Zuhörern)? Nü° wolle der al-
mehtige got, daz deheiner für mir (in meiner Gegenwart) 51.
Sie gent oucli niht ze frumen steten; sie gent ze den wilrcn
und ze den dorjern gerne und halt ze den kinden diu der
gense huetent andern velde♦ Und etewanne giengen sie gar
in geistlichem gewande und swernt (besser wohl swuoren) niL-t
durch dehein dinc, da hi wart man sie erkennen. Nü wan-
deint si ir leben und ir ketzerie , rehtc als der inane, der
sich da wandelt in so manige wise. Also tragent nü die
ketzer swert u. mezzerlangez har> langez gewani und
swernt die eide nü Sie haeten etewanne den tot e geti-
ten; wanne sie sprächen, got der haeten die cide verboten.
Und ir meiste^ habent sie in nü erloubet, daz sie eide
swern (S. 304. 3o5). Was er von der Tracht und Bewass-
nung der umstreifenden K/tzer jagt, ist merkwürdig; mit ihcer
Trennung von den Rechtgläubigen wurde auch die Abweichung
XXXII. Bd.
Altdeutsche Predigten'
XXXII. Bd.
im Aeußern hervorstechender/ und der Tonsur entsagt, i Aus dem
Eidschwur haben sich rwr- und nachher manche Dissentienten
ein Gewissen gemacht. Fayent a juramento nee dicunt yere
yel certe, et similia, quia haec reputant juramenta (de mo-
ribus Yaldensium in Flacius Illyr. catal. test. yer. Basil.
i556. 8. p. 757). An sieben Hauptstücken sind nach
Bert hold (V. 3o8. 309) die Ketzer zu kennen: 1) die Ver-
werfung des Sakraments der Ehe(sacrarnentumconjugii dam-
nant. Flacius. 1. c. pag. 743)?* 2) die Unrechtmäßigkeit der
Todesstrafe (davon wird noch in einer andern Predigt/ S. 14,
gehandelt; dicunt maleficos non damnandos, Flacius 1. c.
pag. 766) ;sdie behauptete Unkraft der sieben Heiligkeiten und
i ) des Weihwassers; 4) der Grundsatz/ daß ein sündhafter Priester
keinen der Sünde entbinden könne; 6) die Unerlaubtheit des Ei-
des; 6) der Satz/ daß auch Ungelehrte die Schrift lesen und
erklären dürfen (uz der schrift reden); 7) wer zween Röcke
hat, soll um Gottes willen den einen hergeben. Die überstrenge
Auslegung dieses an sich schriftgemäßen Satzes (Lucä/ 3/ 11)
bekämpft der Minorit mit vorzüglichem Eifer: pfi, unsaeliger
ketzer, so mohte halt nieman behalten werden, weder
geistliche noch werltliche liute; ja, fügt er naiv hinzu/ Ist
einem etewanne not, daz er den dritten dazuo habe. Auch
@.5 predigt er über den Ausspruch: du soll dinen ebenkristen
minnen alse dich selben. »6 wc, bruoder bertholt,« laßt
er sich einwenden/ »ja tuostu des selbe niht; nu bin ich din
ebenkristenmensche, und hast zwen guote rocke und hän
0 ich einen yil biesen und laest mich doch e mangeln, danne
dich selben.« T)az ist yil war, antwortet er/ ich hän xlie
rocke, ich engibe aber dir dekeinen; ich wolte gerne, daz
du einen also guoten haetest, oder einen zwirunt (zwei-
mal) also guoten. Wahre Nächstenliebe besteht in Abwesenheit
alles Neides/ nicht in unverständiger Selbstberaubung. Die
dem Mondwechsel verglichene Vielgestaltigkeit der Ketzerey (Haupt-
schutzwehr gegen sie; auch im Frey gedank/ 2b/ steht der
Spruch:
swie vil der ketzer lebendic si,
ir deheiner stat dem andern bi;
1 A gloubten si alle gelicke,
: t sie twungen ellif r|che)
-j ' '
gibt dem Prediger Anlaß/ einige der (nach ihm wohl anderthalb
hundert) verschiedenes Arten näher zu nennen: (S. 802) wanne
ie einer hat funden ein iteniuwe ketzerie und swelhe der-
selbe ie nach im hat braht in dieselben ketzerie, die ketze-
rie heizet danne alse jener, der sie von erste vant. Ein
!u'-i
U
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
l626.
Altdeutsche Predigten.
2,3
vel certe, et similia, quia haec reputant juramenta (de mo-
ribus Yaldensium in Flacii Illyr. catal. test. ver. Basil.
i556 8. p. 757). An sieben Hauptstücken sind nach
Bert hold (V. 3o8. 3oq) die Ketzer zu kennen: 1) die Ver-
werfung des Sakraments der Ehe(sacramenturnconjugii dam-
nant, Flacius. 1. c pag. 743); 2) die Unrechtmäßigkeit der
Todesstrafe (davon wird noch in einer andern Predigt/ S. 14,
gehandelt; dicunt maleficos non damnandos, Flacius 1. c.
pag "755); 3) die behauptete Unkraft der sieben Heiligkeiten und
des Weihwassers; 4) der Grundsatz/ daß ein sündhafter Priester
keinen der Sünde entbinden könne; 5) die Unerlaubtheit des Ei-
des; 6) der Satz/ daß auch Ungelehrte die Schrift lesen und
erklären dürfen (uz der schrift reden); 7) wer zween Röcke
hat, soll um Gottes willen den einen hergeben. Die überstrenge
Auslegung dieses an sich schriftgemäßen Satzes (L ueä/ 3/ u)
bekämpft der Minorit mit vorzüglichem Eifer: pfi, unseliger
ketzer, so molue halt nieinan behalten werden, weder
geistliche noch werltliche liute; ja, fügt er naiv hinzu/ ist
einem etewanne not, daz er den dritten dazuo habe. Auch
S.5 predigt er über den Ausspruch: du solt dinen ebenkristen
minnen alse dich selben, »b we, bruoder bertholt,« läßt
er sich einwenden/ »ja tuostu des selbe niht; nu bin ich din
lj^enkristenmensche , und hast zwen guote rocke und han
ich einen vil boesen und l est mich doch e mangeln, danne
dich selben« Daz ist vil war, antwortet er/ ich han die
rocke, ich engibe aber dir dekeinen; ich wolle gerne, daz
du einen also guoten haßtest, oder einen zwirunt (zwey-
mal) also guoten. Wahre Nächstenliebe besteht in Abwesenheit
alles Neides/ nicht in unverständiger Selbstberaubung. Die
dem Mondwechsel verglichene Vielgestaltigkeit der Ketzerey (Haupt-
schutzwehr gegen sie; auch im Frey ge dank/ 2b, steht der
Spruch:
swie vil der ketzer lebendic si,
ir deheiner stät dem andern bl;
gloubten si alle geliclie,
sic twungen elliiji riche)
\k/
gibt dem Prediger Anlaß/ einige der (nach tfptt wohl anderthalb
hundert) verschiedenen Arten näher zu nennen : (S. 3oc) wanne
ie einer hat künden ein iteniuwe ketzerie und sweihe der-
selbe ie nach im hat braht in dieselben ketzerie, die ketze-
rie heizet danne alse jener, der sie von erste vant. Ein
heizent poverlewe, und eine arriani y und rünkeler und ma-
nachei und sporer und swirder und arnolder, wozu aus einer
andern Predigt (S. 3t)4) folgende Aufzählung zu nehmen ist:
ZI
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
2l4
Altdeutsche Predigten
XXXII. Bd.
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manachei j patriae* poverlei* rankeier* sporer* sifrider * ar-
nolder. Unter diesen Namen sind einige auf den ersten Blick
sogleich/ andere etwas schwerer zu erklären. Ueber die Arianer/
Manichäer/ Patarener (auch Paterini genannt) und Arnolder
(Anhänger des Arnold von Brescia) waltet kein Zweifel
ob. Ader wer sind die poverlewe (poverlei), rünkeler oder
runkeler, die sporer, die swirder (sifrider)-? Die nächste
Auskunft gewährt eine Stelle der Ketzerverordnungen Fried-
richs II. Der Papst Innocenz IV. bestätigte oder erneuerte
den 22. May 1253 (Asisii XI. kal. jun.anno pontiiicatus XI.)
die kaiserlichen Verordnungen / von welchen man nicht genau
weiß, wann sie erlassen sind. Wahrscheinlich fallen sie, schon
ihrer Schärfe wegen, in die frühere Regierungszeit dieses Für-
sten , dem später der römische Hof Milde gegen die Ketzer, und
selbst ketzerische Gesinnungen vorwarf (Räumers Hohenst. IV.
3o — 42), und wohl noch in die zwanziger, auf allen Fall we-
nigstens in die dreyßiger Jahre, vor dem Bannspruch (1289).
Sie sinden sich in des Petrus de Vinea epist. I. 25 — 27
(wohin sie nicht gehören, vergl. Pertz ital. Reise, S. 445. 44M/
und in der dritten Verordnung werden die Ketzer aufgezahlt.
Nach der edit. amberg p. 181 folgender Gestalt: incipiunt
capitula constitutionis contra Patarenos, Speronistas, Leo-
nistas, Arrianistas , Circumcisos, Passaginos, Joseppinos,
Carracenses, Albanenses, Franciseos, Bannaroles, Co-
mislas, Vaidenses, Burgaros, Barrinos et Ortolevos et
cum iliis de aqua nigra. In der Kasseler Handschrift lautet
die Stelle: Patarenos quoque Sporonistas. Arrianos leo-
nist as circumcisos passaginos Joseppinos Cancore" alba-
nen francisinos. Bagneolos camistos. Walde" Burgaros
Comunellos Varrianos. et Ortolenos. cum iliis de aqua
nigra Schrökh, Th. XXIX, 614, theilt die Liste mit
aus Philipp, von Limborch bist, inquis. Amst. 1692, p. 5o
(auf welche Hs. des Petrus de Vin sich die Varianten gründen
mögen?): Calhari, Patareni, Speronistae, Leonistae, Ar-
naldistae, Circumcisi, Passagini, Joseppini, Saratenses,
Albanenses, Francisci, Begardi, Commissi, Waldenses,
Romanoli, Varini, Ortuleni, cum iliis de aqua nigra , un-
ter welchen allen, fügt Schrökh hituu, nur wenige deutlich
beschrieben werden können. Die Berichtigung des Textes auS
Jn noce nz IV. Regesten (anno XI. litt, curiales Nr.47) Der*
danke ich Pertz Patarenos, Speronistas, Leonistas, Arnal-
distas, Circumcisos, Passaginos, Joseppinos, Garratenses,
Albanenses, Franciscos, Bagnarolos, Comistos, Walden-
ses, Runcarolos, Communellos, Warinos et Ortolenos
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
L 29
l
i 625.
Altdeutsche Predigten.
2i5
cum illis de aqua nigra. Auf die Erläuterung aller dieser Na-
men ist es hier nicht abgesehen. Zur Deutung der Bertholdi-
schen Anführungen werden sie aber, nebst des Reinherus (eines
mit Berthold gleichzeitigen Predigermönchs/ der früher selbst
Ketzer gewesen war) tractatus contra Valdenses (bibl. max.
patr. Tom. XXV. Lugd. p. 262 ss.) hinreichen. Berthold
hat ohne Zweifel von den kaiserlichen Gesetzen oder der päpstlichen.
Bulle genaue Kunde gehabt. Seine Poverlewe sind die Leo-
nistae, welche der Abt von Ursp. in der oben ausgezogenen
Stelle die paupere3 de Lugduno nennt, Reinher c. 5 secta
pauperum de Lugduno, qui etiam Leonistae dicuntur. Will
man in dem lewe oder lei nicht Lion erblicken , so könnte es
vielleicht die niederdeutsche/ flandrische Aussprache von Leben
(vita) seyn / und pover leve das Idt. fraterculi depaupere vita
übersetzen, wie dieselben Ketzer auch genannt wurden. Die Fran-
ciskaner hießen gleichfalls fraterculi, fratricelli, d. i. fratres
rninor65 oder rninirni, folglich Miuoriten Vom Thomas v.
Aguiu 0 wird in den act. sanct. mart. T. I. p. 666 gesagt:
destruxit errorem, cujus sectatores simul et inventores se
nominant fraterculi de vita, paupere. Im Anfange des vierzehn-
ten Jahrhunderts erließ Johannes XX. die 22. Extrava-
vagante contra nonnullos profanae multitudinis viros, qui
vulgariter fraticelli, seu fratres de paupere vita (romanisch
de povera vita, pauvre vie, halbdeutsch pover-leve?) bizochi
(Sackträger) etbeguini nuncupantur. Das Buch von den neun
Felsen (über de novem rupibus) wird dieser Sekte beygelegt.
Bertholds Rnnkeler/ wer würde sie in den Burgari
der Verordnung erkennen? Die hergestellte Lesart Runcaroli,
der das Romanoli schon näher kam/ läßt keinen Zweifel. Rein-
ber, cap, 4 und 6/ heißt sie Runcarii. Du Lange h. V. leitet
die Benennung vom Orte Roncaüa ab, oder daher/ daß sie an
wüsten Oertern (runcariis) hausten. Wie/ wenn sie vom Tragen
der Messer genannt wurden/äderen B e r t h 0ld gedenkt? runco
bedeutet ein langes Messer. Sie scheinen sich vorzüglich nach
Süddeutschland verbreitet zu haben (qui Alemanniam veneno
pravitatis haereticae infecerunt)*. Bertholds Sporer
sind wiederum unverkennbar die 8peronistae oder 8poronistae,
denn beyde Lesarten führen auf dasselbe, den Namen nimmt er
selbst (S. 3o5) so, daß ein Spornmacher (ital. spronajo, spe-
ronajo) Stifter der Sekte gewesen sey: welch der tiuvel gap
im den gewalt, einem schuocksuter (Schuster) oder einem
ivöber (l. weber) oder einem spörer, der din meister ist?
Bekannt und sehr begreiflich ist, daß sich viele Abirrungen in
Glaubenssachen zuerst in dem Gemüth einfältiger, zu geistlicher
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
Im
iW
Betrachtung geneigter Handwerksleute entspannen; in Frank-
reich wurde tisserami (Weber) zu einem allgemeinen Ketzerna-
men. ' Die Swirder oder Sifrider passen auf keinen der
lat. Namen; da mir kein Ketzer Sifried bekannt ist, ziehe ich
die erste Lesart vor, der aber doch auch ohne die Annahme einer
Entstellung^nicht zu helfen ist. Rein her gedenkt, cap. 6, der
SiscidensesV^obw wären gemeint die suestri, suesiriones, fratres
et sorores liberi Spiritus (Schrö k h XXIX, 658, 65g)/ wel-
ches Wort einige aus dem deutschen Schwester, andere aus dem
lat. su-estri (qui more su<|> vivunt) deuten, vgl. Du Gange
v. suestri. Nur muß die letzte Deutung dem Berthold unbe-
kannt gewesen seyn, der, indem er die allgemeine deutsche Benen-
nung Ketzer von dem Thier Katze ableitet, hinzufügt (S.
3o2) / daß man sie nicht miuser, vogeler, swiner, geizer
nach Maus, Vogel, Schwein und Geiß nenne. Ohne also über
Swirder zu entscheiden, will ich einiges über das Wort Ketzer
anmerken. Die Ableitung von Katze hat der Prediger schwerlich
ersonnen, auch andere haben sie vorgegeben, z. B. Xianus libro
i , contra Valclenses £ catari dicuntur a calo, quia osculan-
tur posteriora cati, in cujus specie, ut dicunt, apparet eis
Lucifer, welche abgeschmackte Ursache Berthold nicht berührt,
sondern wirklich sehr sinnreich den Namen aus dem heimlichen
schleichenden Wesen und dem schädlichen Athem der Katze, mit
treffenden Nutzanwendungen erläutert. Selbst wie sie in die Schüs-
sel mest oder giftige Dinge beleckt, hat er der Natur dazu abge-
lauscht. Diese Ansicht war wohl damals allgemeiner verbreitet.
Sie stimmt zu einer schönen Stelle über die Ketzer im Freygedank
(2b, vgl. Liedersaal 2, 565), die verdient ausgehoben zu wer-
den :
l®'
06/
Swer cristes lere welle sagen,
der sol sin lere ze liebte tragen, p
so muoz der ketzer lere sin
in winkeln unde vinsterin;
hie sol man erkennen bi,
wie ir lere geschaffen si!
Got hat geschaffen manigen man,
der glas von eschen machen kan,
und schepfet daz gla^, wie er wil,
nu dünket die ketzer gar ze vil,
daz got mit siner geschepfede tuot
allez, Uaz in dünket guot.
Sie enwellen nicht glauben han,
daz ieman nach tbde möge erstan;
daz got den man geschaffen hat,
daz ist gr^ezer, dan daz er erstat.
W\ Vi
\jA
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i 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
2 17
Der Jdeengang des Dichters ist: Menschenhände können Glas
aus der Asche in beliebigen Formen hervorbringen, und Gott
schafft den Menschen aus Nichts hervor, das Geheimniß der
'jjum«nrr (neinner I. C. cap 6 cathari, propter mun-
diiiem) und dafür streitet die Nebenbenennung boni homines*
Jos bos homes (Pagi critica in Baron. «ad a. 1179. p. 656)
vgl. Petrus Sarnensis hist. Albigens. cap. 2 : sciendum au*
tem, quod quidam inter haereticos dicebantur perfecli, sive
boni homines, und cap. 4, haeretici a fautoribus suis boni
homines dicebantur. Der Ausdruck boni homines war nun
freylich von Alters her in allen Ländern romanischer Zunge im
besten Sinne gebraucht und ist auch nachher durch jene schmäh-
liche Zwischenbedeutung nicht daraus verdrängt worden; welcher
Franzose denkt sich bey bonhommie etwas Unrechtes? Aber es
ist mir doch auffallend, daß in unserm Parcifal Wolfram den
Einsiedler T r e v ri z e n t, der feine ganz eignen Grundsätze zu haben /
scheint, beständig den guolen man nennt (Par^ 110° 11 ib- c 115° \ d
ii8c). —Berthold macht noch einen Unterschied zwischen *
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
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I
6 2 6.
Altdeutsche Predigten.
217
Der Jdeengang des Dichters ist: Menschenhände können Glas
aus der Asche in beliebigen Formen hervorbringen, und Gott
schafft den Menschen aus Nichts hervor, das Geheimniß der
Schöpfung ist größer, als das der Auferstehung aus dem Tode
(gleichsam aus der Asche), woran die Ketzer nicht glauben wol-
len Von der Verhärtung des Ketzers sagt Bert hold (S. 271)
weniger gelungen: er gleicht dem Krystall, wie dieser von Waffer
zu Stein geworden ist, so ist er aus einem Christen zum Ketzer
geworden. Der Krystall kann nicht wieder in Wasser zurückkeh-
ren, eben so wenig der Ketzer wieder in einen Christen gewandelt
werden »er si denne kürzlich in die ketzerie körnen.« —
Uebrigens bedarf es kaum der Anmerkung, daß jene Etymologie
Ketzer aus Katze grundfalsch sey. Schon ihre Verbreitung eben
wohl durch die romanische und slavische Sprache zeigt, daß das
Wort nicht deutsch seyn könne (iral. gazaro, mittellat. gazarus,
gazems, böhm. kacyr, poln. kaceiz); unsere Sprache kennt
es erst seit dem dreyzehnten (zwölften?) Jahrhundert/ Früher
gebrauchte man ka-tuolo, gi-tuolo (angelsächs. ge-dvola) für
haeresis, uwtlicb: Irrthum. Notker hat 24, 16 geloubirron
(haereses) 78, 15 irrare (haeretici): Irrglaube, Irrgläubige.
Uber den Ursprung des Wortes Ketzer haben die Kirchenhistoriker
zwey Meinungen aufgestellt, die beyde nicht unwahrscheinlich
sind. Einmahl könnte bey cazarl, chazari an die Herkunft ei-
ner Sekte aus der Chazarey (chersonesus taurica) gedacht wer-
den , wie auf ähnliche Weise Bulgaren (Bugari) allgemein
für Heiden, Unchristen gebraucht wurde. ^Dann aber kommt das
griech. KaSapoi in Betrachtung, wozu die Formen caihari, ea-
tari besser paffen. Die Sektierer hießen sich Reine im Sinne der
heutigen Puritaner (Beinher I. e. cap 6 cathari, propter mun-
diiiem) und dafür streitet die Nebenbenennung boni homines,
los bos homes (Pagi critica in Baron, »ad a. 1179. p. 656)
vgl. Petrus Sarnensis hist. Albigens. cap. 2 : sciendum au«
tem, quod quidam inter haereticos dicebantur perfecli, sive
boni homines, und cap. 4? haeretici a fautoribus suis boni
homines dicebantur. Der Ausdruck boni homines war nun
freylich von Alters her in allen Ländern romanischer Zunge im
besten Sinne gebraucht und ist auch nachher durch jene schmäh-
liche Zwischenbedeutung nicht daraus verdrängt worden; welcher
Franzose denkt sich bey bonhommie etwas Unrechtes? Aber es
ist mir doch auffallend, daß in unserm Parcifal Wolfram den
Einsiedler T r e v r i z e n t, der seine ganz eignen Grundsätze zu haben
scheint, beständig denguoten man nennt (Par^ 110° 11 ib*c 1 i5c
n8c). —Berthold macht noch einen Unterschied zwischen
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
218
Ketzern und hoffärtigen, frechen Menschen, die er (S. 826)
Gottesschelter (wir sagen jetzt Gotteslästerer, blasphemos)
nennt, sie wollen nicht Ketzer seyn und sind noch schädlicher, sie
predigen wider alle Predigt von Gott, von Sünden und Tugen-
den. Er führt einige solcher Meinungen an, die damals unter
den Leuten Umlauf hatten und die Freygeisterey des Zeitalters
beweisen. Den Satz, daß Gott von jeher alles voraus gewußt,
drückten sie so aus: (S. 826, 298) do got den ersten men-
schen geschuof, da sach er dem jüngesten under diu ou-
gen (einem unter die Augen sehen, heißt: einen ins Gesicht fas-
sen), woraus gefolgert wurde, daß kein Mensch verloren ginge.
Eine andere solcher Behauptungen war (S. 298): ich wolte
niht, daz min sele üz des besten menschen munde fuere,
der hiute lebet, d. h. ein Mensch ist werth was der andere, ich
will mit meiner Natur auskommen und dem, den man für den
Heiligsten hält, die seine lassen, ich enweiz niht, wie ez umbe
sin herze stet. Ilmgekehrt versichert Bert hold: icb wolte
mit gar guotem willen, daz ich an eins guoten menschen
stat stürbe, d. h. ich traue andern zu, daß sie gerechter sind,
als ich, und tauschte gern mit ihnen. Ja zewäre, reden andere
von dem jüngsten Gericht, ich triuwe mich da wol verbergen
imder alle die werlt, d. H. unter der großen Menge übersehen
zu werden. So freche Leute, sagt der Prediger, werden die
wahre Sonne nie erblicken.
Die Tugenden, worauf er bey aller Gelegenheit dringt,
sind innere Demuth und Reue und Wiedererstattung jegliches un-
rechten Erwerbs, ohne das seyen alle äußerliche Bußen und Rei-
nigungen von gar keinem Erfolg. Wer unrechtes Gut wissentlich
bey sich behält, den kann nichts von der Verdammniß retten.
<S. 385) Das kannst du nicht büßen mit einer Fahrt über
- Meer. Man gibt dir jetzt das Kreuz von dem Papst übers Meer
fts zu fahren für zehn Seelen. Aber wenn du auch hinüberfuhrst mit
diesem Kreuz und mit dem, woran S. Peter und S. Andreas
gemartert wurden und das heil. Grab wieder gewinnest und die
Heiden fern und nahe bezwingest und erschlagen wirst im Dienste
Gottes, und wenn du dich dann legen ließest in das heil. Grab,
worin Gott selber lag und auf dich legtest alle diese Kreuze und
das dazu, woran Gott selber starb, und stände Gott (Christus)
zu deinem Haupte und S. Maria zu deinen Füßen und alle
Engel auf der einen und alle Heiligen auf der andern Seite und
nähmest du den h. Gottes Leichnam in deinen Mund, die Teufel
brechen dir die Seele aus dem Leibe und führen sie hinab an den
Grund der Hölle. Wie dem Könige Saul, heißt es S. 3q5, der
böse Geist keine Ruhe ließ, außer so lange David die Harfe spielte,
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i 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
2 1 i)
so läßt der Teufel dem Geizigen keine Ruhe/ außer so lange er
hört das süße Wort des allmächtigen Gottes. Da gedenkt er ans
Wiedererstatten/ aber hernach martert ihn der Teufel wie zuvor.
Du sagst / ich bin in der Brüder Rath und beichte ihnen alle
Jahre/ und sie sind oft in meiner Herberge/ ich habe mich in ihre
Brüderschaft und in ihr Gebet gekauft/ daß sie meine Vigilie be-
gehen sollen mit Singen und Lesen, wenn ich sterbe. Das ist
recht gut und das mag dir Gott vergelten / was du uns zu
Gute thust/ und wir sollen dein gerne gedenken frühe und spat
bis an deinen Tod und hernach gar schön singen und lesen die
langen Vigilien und schönen Seelenmessen und laute requiem
aeternam und wir holen dich gar schön von deiner Pfarre mit
unsern Processen (Prozessionen) und bestatten dich in unsern Mün-
ster und legen dich vor den Altar. Tiber die Teufel haben seine
Seele gleich/ wie sie aus dem Munde fuhr/ zum Abgrund der
Hölle geführt. Und wären alle Tropfen / die je regneten, graue
Mönche und schwarze Prediger/ und meine Brüder Patriarchen und
Propheten/ Märtyrer und Bekenner/ Witwen und Jungfrauen
und lasen und sangen sie immer und weinten blutige Thränen zu
Gott um deine Seele bis zum jüngsten Tage; es hälfe dir nichts.
Willst du einen Schilling nicht erstatten und du weist/ wem du
ihn schuldig bist/ so geh in ein Kloster / sey wie ein keusches und
reines Turtrltäublein, fleug mit den Brüdern zu den Metten/
faste alle Tage / fleug mit den andern Täublein ein und aus zu
den sieben Zeiten von dem Chore in Rebenter/ von da in das
Schlafhaus/ die Teufel nehmen dein wahr/ bis die Seele aus
dem Leibe fährt und führen sie dann in den Grund der Hölle.
Jetzt ist ihm ein wenig sanft (Berthold wendet sich gleichsam
an den verstockten Geizigen), dieweil er die Harfen Gottes hört.
Laß heute das unrechte Gut, so will ich dir rühren die süßen Sai-
ten, die zehen Chöre der h. Engel, daß sie dir heute und immer
zum Heile erklingen! — So kühn Berthold in solchen Stel-
len mancherley vermischt, was nicht immer neben einander gehört,
zeigen sie doch klar, wie eingreifend und beredt er die Nothwen-
digkeit guter Werke predigt, und wie fern er davon ist, seinem
Orden und der Geistlichkeit weltliche Güter zuzuwenden.
Seinen Sinn bezeichnet auch eine merkwürdige Vergleichung,
die er S. r68, ,8g zwischen den Heiligen und den Me n sch e n
anstellt. Die Heiligen stehen in dem Himmelreich fest, sie haben
alles erlangt und ihr Zustand leidet keine Verbesserung; der
Mensch auf Erden, wenn er gottselig und tugendhaft lebt, ist einer
unendlichen Perfektibilitat fähig: und ich wolte, daz ich si-
cher avviere, daz ich himelriche niemer verlieren rnohte, so
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
wolle ich gerner ein tugenthaft mensche sin uf ertriche,
danne ein heilige in dem himelriche; wanne so wolte ich
von wile ze wile, von tage ze tage, von jar ze järe ie hei-
liger u. heiliger werden. Hiermit ist eine ähnliche Behaup-
tung S. 3i3 zu vergleichen. Seltsam aberscheint die Vorstellung
von dem Haß der Engel gegen die sündigen Menschen (S.
18/ 20): »da von sprechent die engel alle tage, so in der
mensche ungehorsam ist nnd in die sünde veliet, seht, so
sprechent die engel: herre, herre, Idz uns sie treten. Wanne
sie sint uns allensamt unmäzen vient für daz der mensche
in tot sünde gevellet, daz sie in herzeclichen hazzent und
sprechent alle: herre, laz sie ertceten! Niht, nit, sprichet
er, lät mir sie miteinander wahsen; das Unkraut soll unter
dem Weizen stehen, bis er zeitigt und dann erst gesondert und ins
Feuer geworfen werden (S. 127), und also der mensche die
tcetlichen Sünden getuot, sä zehant ist fride üz zwischen
dem engel und dem menschen ; wanne die engel minnent
got als vesteclichen und davon werdent sie den menschen
als herzeclichen vient, daz ir wider got tuot und sie tcetent
iuch vil wundern gerne. Es wird 'hier den Schutzengeln ein
voreiliger, die tiefern Rathschläge Gottes nicht durchschauender
Zorn zugeschrieben, ungefähr wie heutige Volkssagen den heil.
Petrus vorschnell im Verdammen schildern und seine Hitze durch
die göttliche Milde in ihre Schranken weisen lassen. Wie sich
Werth old den ersten Abfall der Engel denkt ist S. 32, 33,
,83, 186 nachzulesen (vgl. Parcifal 112* ).
Beynahe aus allen Predigten sind Aufklärungen über die
Sitten und Meinungen des dreyzehnten Jahrhunderts für alle
Stände zu schöpfen. Ich hebe folgende Beyspiele aus, die zu-
gleich meistentheils den freymürhigen, manchen Gebrechen und
Vorurtheilen seines Zeitalters überlegnen Charakter Bertholds
weiter beleuchten werden.
S. 140, 14.1 erwähnt er des Kriegs, den die Meister
zu Paris über den Vorzug der verschiedenen Heiligen führten,
welches er einen nützlichen und leutseligen Krieg nennt, weil da-
durch die Liebe zu den verschiedenen Tugenden gefördert werde.
Ez kriegent zwene meister mit einander. Da krieget einer,
sant Johannes bapliste waere hceher ze himel. Da krieget
einer, ez waere sant johannes evangeliste, der waere hce-
her. Und sie erzalten ietweders liebe undminne, die got
an ir ietwederm haete begangen. Der eine der jach, daz
sant johannes baptiste davon billiche ze himelriche hoher
solte sin, daz er heilic waere in sinre muoter übe. Do sprach
der ander: do entslief aber dieser üf unsers herrenbrüsten
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
rimm Nr. L 29
V
i 8 25. Altdeutsche Predigten. 221
und unser herre liez in trinken den brunnen der wisheit,
siner götlichen suezekeit. Dieser Streit war ganz im Geiste
der Zeit und es ist nicht zu verwundern, daß sich die Dichter ih-
rerseits des Gegenstandes bemächtigt haben. Wir finden ein
hübsches Lied über die beyden I o h a nn se, von H einz el i n^ \h
von Sofien j, abgedr. im Mus. f. altdeutsche Lit. II, 34 — 5i,
worin außer den von Bert hold erwähnten Argumenten noch
viele ähnliche beygebracht sind, durch die Erscheinung der Heili-
gen selbst der Krieg aber auf das angemessenste geschlichtet wird.
— S. 442, 443 ist über das Taufzeremoniell Folgen-
des gesagt : der da tauft, soll Andacht haben/ daß er gedenkt, ich
will dir gerne zu deiner Taufe'nach christlichem Rechte helfen.
Es sollen nickt junge Leute ein Kind in Gespötte und Gelachter
taufen, oder thörichte Leute einen Juden ins Wasser stoßen wi-
der seinen Willen. Das hat keine Kraft. Sodann soll man das
Kind taufen in einfachem Wasser, nicht in Wein, Milch,
Bier, oder gar Sandhaufen, wie einige thun. (Diese und
noch andere Materien zur Taufe sind lehrreich abgehandelt von
Augusti a. a. O. VH, 197. ff.; von der Sandtaufe's. 3.
Schmid de baptismo per arenam. Heimst. 1697. 4*) Drittens
soll nur Lebendiges getauft werden, nicht Todtes, noch Silber,
Gold, Wachs. Viertens sollen bey einer Gähtaufe die Worte
nicht geändert werden, nichts dazu und davon gethan, und man
soll sie sprechen in der Zeit, da die Hände taufen. Den Namen
(des Kindes) mag man wohl vergessen, wegen der Eile. Gott
gibt ihm einen guten im Himmel. Ihr Frauen, fürchtet ihr,
daß es nicht lebendig zur Wett komme, so tauft ihm zuvor
das Häuptlein auf die Gnade des Herrn (dafür entschieden
hatte Urban II. ann. 1088 epist. ad Vital.: super quibus
consuluit nos dileetio tua, hoc videtur nobis ex sententia
respondendum, ut et baptismus sit, si instante necessitate
femina puerum in nomine trinitatis baptizaverit). WenN
eure Kinder ohne Taufe bleiben, oder nicht recht getauft werden,
so kommen sie nie zu den himmlischen Freuden (vgl. in einer an-
dern Predigt S. 210). Sie fahren mit den Juden- und Heiden-
kindern, die vom Unglauben noch nicht wissen, in den Lim-
bus, wohin die Altvater fuhren. Da haben sie keine Pein, nur
die Marter des Schadens, daß sie nicht ins Himmelreich kommen.
(Nach dem heutigen Volksglauben einiger Gegenden kommen un-
getaufte Kinder unter das wüthende Heer.) Durch die
Taufe wird das Kind lichter, als die Sonne. Darum geben wir
ihm nach der Taufe eine brennende K e r z e in die Hand, statt
der Sonne, die wir nicht haben können (cerei baptismales, A u-
gusti a. a. O. VH, 3i5, 3» 6). — S. 445 von dem heil. Got-
222
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
tesleichnam. »Mancher, der an der Hinrichtung ist, meint
Gottes Leichnam zu empfahen, wenn er Brosamen oder ein
Stück Erde in den Mund nimmt. Aber damit hangt er nur
desto schwerer an dem Galgen.« In den Gedichten des Mittel-
alters kommt zuweilen vor, daß todtwunde Helden in der Ein-
samkeit sich der Erde oder des Grases zum Kommunizieren bedie-
nen. So in dem altsranzös. roman de Garin le Loherens f° 53 :
trois feilles derbe prent por conmenijer,
lame sampart, li cors clici arrier.
S. 445, 446 daz 0^' (die Oelung) mag man öfters empfangen,
aber nur, wenn ein Mensch Sorge hat, daß er sterbe. Stirbt
er, so wird sein Fegefeuer dadurch gemindert und sein Lohn ge-
mehrt. Bleibt er leben, so nimmt es einen Theil der Sünden
weg und er wird kräftiger an Leib und Seele. Daß eines nachher
nicht mehr bey seinem Gemahl liegen dürfe, oder kein Fleisch
mehr essen, oder nicht mehr auf die Erde treten, oder niemand
auf dem Leilachen liegen, darauf er geölt worden, das ist lauter
Lüge, und soll niemanden davon abhalten (das Sakrament zu ver-
langen); auch nicht die Furcht, daß der Pfarrer etwas dafür will.
Bitte ihn, daß ers umsonst thue; will ers nicht, so begehre eS
fleißig vor Gott mit rechter Andacht und stirb eher ohne Oelung.
Denn dingest du mit ihm, das wäre ihm eine große Hauptsünde.
— S. 58 von abergläubischen Meinungen der Leute:
80 gloubent eteliche an bcesen aneganc, daz ein wolf guoteri
aneganc habe , der aller der werlte schaden tuot und ist
halt so unreine, daz er die liute anstinket, daz nieman bi
im genesen mac, und daz ein geivihter priester bcesen ane-
ganc habe, an dem aller gloube lit. So gloubent eteliche
an bcese handgift; so gent eteliche mit bcesen bathanien umb,
und mit bcesem zouberlehe umb, daz sie waenent eins ge-
büren sun oder einen kneht bezouberen. Pfi, du rehte
teer in! warumbe bezouberest du einen graven oder einen
künic niht? so waerest du eine küniginne. So gl.oubent
eteliche an den miuse am ; so ist dem der hase übern wec
geloufen. Als ist ir unglouben als yil, daz sin nieman ze
ende körnen mac. Der Prediger stellt den Aberglauben des ge-
meinen Haufens als ungereimt dar, und die Zauberey als unwahr-
scheinlich, weil die ungeheure Kunst immer nur auf geringfügige
Zwecke gerichtet werde. Kann eine Hexe sich die Liebe eines Bauern
zu Wege bringen, warum bezaubert sie nicht einen Vorneh-
men ? davon würde ihr Vortheil größer seyn. Mit solchen Waffen
ist der Aberglaube von jeher bekämpft worden; sie sind nicht
stumpf zu nennen und haben ihn doch nicht ausgehauen. Der
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ff,°J' yqff^rro ^
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0 2 5.
Altdeutsche Predigten.
223
aufgeklärten Ansicht folgt auch Wir nt in folgender Stelle des
Wigaloiö, die ganz hieher gehört (S. 229). Der Held zieht aus:
dehein ungeloube (Aberglaube) in muete
in dem hüse , noch üf dem wege,
er lie ez allez an gotes pflege.
Swaz im des morgens wider lief\
ode swie vil diu krd gerief
swie vil der mtis&re umbe geflouc,
der ungeloube in niht betroucj ^
wander niht d|r üf ahte. j
Wir haben maniger slahte \
bosheit unde gelouben,
da mit wir uns nü rouben
aller unser srelecheit.
Ez ist vil manigem manne leit
swenne im ein wijj daz siuert git.
Daz lie der riter ane nit,
ern ahtet niht d|ur üf ein här,
ez wterc gelogen oder wär;
er het in gotes gnade gegeben
beidiu sele und leben,
swaz im des morgens zoider gie
daz engefloch der riter nie,
•wan guoten gelouben het er ie.
Und in dem noch ungedruckten Gedicht von dem Feldbauer
(cod. pal. 341/ 161 — 164), heißt es: /
djirzuo sähe wir einen hasen,
der wider fffijir uns an dem wege,
do dähtich daz ez niht eben (unglücklich) liege,
er tet uns den ersten aneganc
wai| daz er snclie für mich spranc.
Wahrscheinlich hält das Volk hin und wieder noch heut zu Tage
die Begegnung eines Wolfs für ein glückhaftes Zeichen beym
Ausreisen, die des Hasen für ein unglückliches; vgl. gestriegelte
Rockenphilosophie, Chemnitz, 1729. Zweytes Hundert, S.
286: .-wenn einer über Land reiset, und begegnet ihm ein Wolf,
Hirsch, Wildschwein und Bär, so ists ein gut Zeichen; lauft
aber ein Hase übern Weg, ein böses.« Das hieß im dreyzehn-
ten Jahrhundert einen guten oder bösen An gang ha-
ben. Hat sich dieser Wahn in den fünf letzten Jahrhunderten
nicht ausrotten lassen, so zweifle ich m'cht , daß er fünfhun-
dert Jahre vor Berthold und länger eben so bestanden haben
muß. Es wäre belehrend, die deutschen P a g a n i e n zu sam-
meln und zu erklären. Die sogenannten indiouli superstitio-
num zu Grunde gelegt (aber manche liegen noch unherausgege-
ben); was sich zerstreut bey geistlichen und profanen Schriftstel-
lern vorfindet hinzugetragen und den Volksglauben der jüngsten
r\y
22/j.
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
Jahrhunderte zur Erläuterung gebraucht, wurde ein Werk voll
fruchtbarer Aufschlüsse über das Heidenthum unserer Vorfahren
liefern. Da sich die Vorstellung, daß ein Geistlicher schlim-
mes vorbedeutet, auf einen heidnischen Priester zurück
bezieht, so ließe sich vielleicht vereinbaren damit, daß eine alte
Frau und eine Spinnerin bösen Angang haben (Rockenphil,
i, 99; 2, 249), worunter ein heidnisches kluges Weib, das den
Schicksalsfaden spinnt, zu verstehen scheint *). Wie statthaft die
Zusammenstellung sey, kann ein anderes Beyspiel darrhun. Der
*) Dieser Volksaberglaube wird allerdings erwähnt bey zwey Schrift-
stellern des zwölften Jahrhunderts. Job. Sarisberiensis ^ Po-
licraticus, sive de nugis curialium lib. 1. cap. i3 (de variis
ominibus) : sacerdotem obvium aliumve religiosum dicunt
esse infaustum ; feminam quoque, quae capite discq/operto
incedit, infelicem crede 5 und vorhergeht: quid cornicc loqua-
tur, diligenter ausculta; leporis timebis occursum; lupo
obvio eongratulaberis. Und Petrus Blesensis epistola 65 :
Somnia igitur ne eures, nec te illorum errore involvas, qui
occursum leporis timent, qui rnulierem sparsis crinibus, qui
liominem orbatum oculis aut mutilatum pede aut cucullatum
habere obviam detestantur; qui de jucundo gloriantur ho-
spitio , si eis lupus occursaverit, aut columba; si a sinistra
in dexteram avis 8. Martini volaverit; si in egressu suo re-
motum audierint tonitrum ; si hominem gibbosum obviam
habuerint aut leprosum. I 0 h. von Salisbury, dessen
reichhaltige Zusammenstellung vielleicht Bert holden vorschwebte,
und vollständig nachgelesen werden muß, schöpft freylich manches
aus den römischen Schriftstellern, was aber noch nicht beweist, daß
der deutsche, gallische und britannische Volksglaube von dem römi-
schen (zumal etrurischen) herzuleiten sey. Ueberraschende Aehnlichkeit
kann hier, wie in andern Dingen des Alterthumes, Statt finden.
Einiges scheint sogar unrömisch und ganz eigen gestaltet. Dahin ge*
hört außer der Scheu vor Begegnung eines Priesters und der Frau
mit fliegendem Haar, wovon ich in den röm. Augurien keine Spur
entdecke (vgl. Jul. Caes. Bulenger de auguriis im fünften Th.
des Grävischen Thes.), auch die vorwiegende Anwendung des Vor-
bedeutenden auf M e n sch e n und vjerfüßige Thier ö, während
in Etrurien die Beobachtung der Vögel Hauptsache ist. Zwar
das günstige Zeichen des Wolfes meldet auch Plinius (hist,
uat. VIII, 22): inter auguria ad dexteram commeantium
praeciso itinere, si pleno id ore lupus fecerit, null um om*
niiun praestantius; der unglücklichen Begegnung des Hasen wird
aber nirgends gedacht. Und überhaupt, wie sollen etrurische Leh-
ren, die schon die ersten Christenbekehrer auszurotten fanden, so früh
unter das ganze deutsche und gallische Volk gerathen seyn? Eine der
alteren Erwähnungen ist in der vitaS. Eligii (geb. 588. gest. 669),
die bald nach seinem Tode Au doen us verfaßte, Lib. 2, cap. 16
(bey d’Achery II, 97): similiter et auguria vel sternutationes
nolite observare, nec in itinere positi aliquas aviculas can-
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i 0 2 5.
Altdeutsche Predigten.
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u
noch dauernde Aberglaube lehrt/ zur Erforschung des unbekann-
ten künftigen Geliebten Folgendes zu thun: das Mädchen decke
Weihnachten um zwölf Uhr heimlich einen Tisch/ besetze ihn mit
neunerley Speisen/ mit Messern, Gabeln und Tellern; der künf-
tige Liebhaber wird erscheinen/ sein Messer mitbringen/ nieder-
sitzen und essen/ ohne ein Wort zu reden; das Mädchen muß
sich ohne Entsetzen neben ihn niederlassen/ zeigt es Furcht und
geht zurück/ so entflieht der Jüngling und wirft mit dem Messer
sogt. hierüber deutsche Sagen i, 172 —> 174). Daß auf diese
Weise nicht eigentlich die Jünglinge eingeladen wurden / sondern
Zukunft weissagende Göttinnen/ die dann auch über
den Geliebten gefragt werden können/ zeigt eine merkwürdige
Stelle aus einem koenitentiale^im Cod. vindob. univers. 633/
der im XII. Jahrh, geschrieben scheint/ aber sicher altere Sachen
enthält. Es heißt daselbst: fecisti, ut quaedam mulieres in
quibusdam temporibus anni facere solent, ut in domo tua
mensam praeparares, et tuos cibos aut potum cum tribus cul-
tellis supra mensam poneres, ut, si venissent tres illae
sorores, quas antiqua posteritas et antiqua stultitia parcas
nominavit, ibi reficerentur et tulisti diyinae pietati potesta-
tem suam et nomen suum et diabulo tradidisti; ita dico, ut
crederes, illas, quas lu dicis esse sorores, tibi possc' aut hic
aut in j'uiuro prodesse. So wandeln die Mythen sich/ bey haf-
tendem Grunde. Auch in den Kindermärchen (3, 8, 26,860,
367) erscheinen diese Wesen bald spinnend/ bald als alte Mütter-
chen. Den Anflug des Maushabichts (miusear) und der
Krähe erläutert das erwähnte koenitentiale ^gleichfalls: cre-
didisti quod quidam credere solent, dum iter aJiquod faci-
unt, si cornicula ex sinistra eorum in dexteram evanuerit,
inde se sperant habere prosperum iter; et dum anxii fuerint
hospitii, si tune ayis, quae muriceps vocatur, eo quod mu-
res capiat, et inde pascatur, nominata, viam , per quam va-
dant, ante se transvolaverit, se illi augurio et omini ma-
gis committunt, quam Deo. Diese Beobachtungen des Vogel-
flugs waren echt deutsch und nicht aus den römischen entnommen.
Wegen des B e t 0 n i e n grabens verweise ich auf den zweyten
Band altd. Wälder S. 66, 68. B erthold bringt nicht allein
christliche und abergläubische Gebräuche bey, sondern auch einige
0
a.a
tantes attendatis; und weiter nachher : nullus observet egrediens
aut Ingrediens domum , quid sibi occurrat, vel si aliqua vox
reclamantis fiat, aut qualis avis cantus garriat vel quid etiam
portantem (?) videat, quia qui haec observat ex parte pa-
ganus dignoscitur.
frMM\0cd oJ ibite? tWx.
I .J
,\f.
JA
226
Alldeutsche Predigten.
xxxu. Bd.
gerichtliche. S. 87, geschieht der Eideshelfer Erwäh-
nung . welche früher gieidon , conjuratores, consacramenta-
les heißenso sprechent eteliche »gevater, oder wie er
danne wil , hilf mir mit einem eide und wizze (daz) ist si-
cher'liehen war; wes ich swere, des mäht du ouch wol
swern; ich naeme dehein guot, daz ich swuere ihtes, ez
waere danne war.« Das Widerrath natürlich der Prediger: und
swerst du darüber, so bist du siebtes meineide. S. 13 / 14
wird gedrungen auf strenges Verhängender gesetzlichen S t ra-
sen mit folgender Abstufung >) für Vornehme: ze banne getuon,
in die ahte tuon , elds und rehtelös sagen, den lip neinen ;
2) für Niedere: hangen, Haupt abschlagen, radbrechen, bren-
nen, an der Säule schlagen , an den Kirchzaun binden. Letzteres
wird auch sonst als bäurische Strafe genannt, z. B in der Kai-
serchronik, da wo von Karl desGroßen Gesetz die Rede ist
(beym Kirchdaun dem Bauer Haupt und Haar abschlagen); oder
in der vita Heimeradi cap. 7 (bey Leibnitz Tom. I.). Aus-
führlicher schildert er S. 2g 1 , welche unehrliche Behandlung
dem Geizigen, der überhaupt bey jeder Gelegenheit als einer der
strafbarsten Sünder dargestellt wird, nach seinem Ableben ange-
deihen solle: ir sult sie niemer bestaten an deheiner stat, diu
gewihet si, noch sol sie niemer halt dehein getoufte hant
anrueren. »bruoder Bertholt, wie suln wir in danne tuon ?<«
Da sult ir nemen ein seil, u. machet einen stric daran und
leget im den stric an den fuoz mit einem haken und ziehet
in zer tür üz. «bruoder Bertholt, ob diu swelle danne hoch
ist; wie suln wir im danne tuon?« da sult ir durch die
swelle graben und sult in dar durch üz ziehen , daz eht nie-
mer getoustiu hant an in kurne , und bindet in einem rosse an
den zagel und fueret. in üz an daz g wicke (die Wegscheide),
dar die erhangen und die erslagen ligent. Fuer et in eht ge-
gen dem gal gen und gegen des galgen gesinde. Des ist er
d an noch küme wert. Das Ziehen des Leichnams unter der
Schwelle her wurde schon damals an den Missethätern schwer-
lich noch vollstreckt, sondern ist bloß der traditionell fortgepflanzte
uralte Gebrauch. Dahin gehört z. B. auch das Aufhängen
von Wölfen oder Hunden neben die armen Sün-
der. Inzwischen berichtet der Predigermönch Herp (annales
Francofurt. ad a. 1499« b. Senckenberg sei. II, p. 26)
wirklich : comes de Hanauw' judaeum propter furtum solenni-
ter iriter duos canes camte transverso suspendi fecitapud Dör-
nicum (Dörnigheim).^Sie Glosse zum Sachsenspiegel II, 14
bestimmt für Vatermörder: die sol man erst lassenschlei-
fe n und danach nähen in ein Haut mit einem Hunde und mit
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1 025.
Altdeutsche Predigten.
einem Affen und mit einer Nattern und mit einem Hahnen.
Das hohe Alterthum solcher Rechtsgebrauche ist zu erweisen. In
den altnordischen Gesetzen, die König Fro de gegeben haben soll,
steht die Strafe, aber nicht auf den schwersten Verbrechen, viel-'
mehr auf dem bloßen Diebstahl: furem in furcam agi jussit,
tum praeterea lupum vivum juccia tum alHgari, qui cadaver
varie dilaceraret (Torfaeus hist. Norveg, I. 355), Daß der Wolf
lebendig seyn, und den Leichnam zerfleischen solle, scheint hierbey
unrichtig, und Suhm (nord. Fabelzeit, III *8i) führt auch
das Gesetz so an: ein Dieb soll mit eisernen, durch die Arme
geschlagenen Nageln und ein Wolf an seine Se-te gehangen wer-
den, anzudeuten, daß sie beyde an Raubgier einander gleich
seyen. Das ist ohne Zweifel die wahre Ansicht, die auch Saxo
grammat. in der Erzahlru g ausdrückt, daß Jarmerik auf
diese Weise die gefangenen Slaven aufhangen ließ (ed. steph«
p i55, lih. Vlll): quorum quadraginta captos, applicaiis
iotidem lupis y laqueo adegit; quem supplicii modum ohm
parricidis debitum ob hoc circa hostes \ eragere voluit, ut
quantae in Danos rapacitatis exlilerint ex ipsa atiocium
helluarum communione videntibus perspicuum soret -—
(S 21. 22) eine gute Vergleichung der Schild knechte mit
den H e u sch r e ck e n?^Jn den Gedichten flndet man mehr das
Leben und die Sitte der Ritter geschildert als das der gemeinen
Knechte. Die Heuschrecke liegt unthätig im Grase, und verdirbt
es. Der Schildknecht zerstreut den armen Leuten Futter und
Heu ohne Noth, und wirft seinem Roste mehr vor, als es fressen
kann. Er hatte an einem Huhn genug, und würgt ihrer z.hne;
an einer Gans genug, und würgt ihrer viere. Lnd (nach diesem
Worte, welches S 21 schließt, ist die erste Zeile von S. 20,
und nach ihr die erste Zeile von S. 22 zu lesen; ein Setzfehler)
also tuot er dem allem samet. Des die guoten Hute ein
ganzez jar leben sollen, mohte er daz einiger tso lese ich
für einigez) für bringen , daz taete er. Und eben so wenig
gedeihts an ihm; die Heuschrecke, so tiefste im Grase liegt, wird
nimmer ferst (vergl. S. 36o), bleibt allzeit mager, langbeinig
und »snachelt« (ein sonst nicht vorkommendes Wort, desten Sinn
sich rathen laßt). Also bist du schiltkneht ein höuschreche;
du hopfest (hüpfst) üf dinem gurrelin (elenden Pferdchen) und
hangent dir die schuohe von den Juezen vor armuot und wer-
dest selten iemeiÖft). t nie) wol beraten und muost ze jun^
gest*eins schentlichen todes warten , als der höuschreche,
den vertretent die liute u. daz vihe in dem grase oder in
versnidet diu sense , so man daz gras mewet, kumet er des
hin (entgeht er dem) 80 gezzent in die vögele. Dü schilt-
i5 *
sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
XXXlI.Bd.
kneht höuschreche, du wildest versniten oder erhänget.
In einer anderen Predigt heißt es nochmals (S. 262): eteliche
den wol sol sin , die waenent in si gar wol und in ist we.
Ez rident die schiltkneht mit zerbrosten schuohen in kaltem
weter * daz im sin marc in sinem geh eine erfriuset und yert
als ein höuschrecke in einem (? einer) dünnen wat und
enweiz hin zenaht, wa sin herberge ist, und gelit niemar
warm und gizzet selten iemer wol und muoz des libes alzit
yorhten, daz er eht niht enweiz, wä die liute üf im sin
und wenne er daz leben hat und wanne er an übe und an
sele stilbet. Laurer Züge, die nach allen Veränderungen noch
auf den Heutigen Soldaten paffen. — In der zehnten Predigt
werden die verschiedenen Handwerker und ihre Betrügereien
aufgezählt. Berthold theilt sie in sechs Klassen, deren jede
unentbehrlich ist, und nicht zu verachten. (S. 3q): Got hat
ieglichem sin ampt geordent, als er wil, nilit als du wilt.
Dü wollest übte ein rihter oder ein herre sin, so muostü
ein schuochsüter (Schuster) sin , oder ein Weber oder ein
gebüre, wie dich got danne geschaffen hat; also beynahe
Kasten; es hielt damals sicher noch schwerer, sich aus einem
Stande in den anderen empor zu schwingen. In die erste Klaffe
(er sagt: chor) setzt er alle, die Gewand wirken (sidin oder
wüllin oder linin oder pelzin, oder schuohe oder hent-
schuohe oder gürtel) Gewand begreift folglich den Anzug
oder die Bekleidung überhaupt. Folgende Betrüge werden
(S. 40) erwähnt: har under wollen mischen, das Tuch üzer
einander zer-denen und zerziehen, daz ez dester langer
werde. (S. 4>) : so enmac ein man (niemand) einen guoten
huot vinden vor dinem valsche, im ge der regen zetale in
den buosen. In der zweyten Klaffe sind die Schmiede, Zim-
mererV^Steinmetzen, alle die mit Eisen wirken. Beyde letztere
arbeiten auf doppelte Art, entweder tagewerk oder fürgrif,
jenes wenn sie tagweise, dieses wenn sie für die einzelne Arbeit
bezahlt werden. Die Tagwerker pflegen träge zu seyn, damit
die Arbeit desto länger währe; die die Arbeit einzeln übernehmen,
pflegen schlecht zu arbeiten, damit sie nicht lange halte, und bald
von neuem geschehen müsse . Das Wort fürgrif* fehlt in allen
Glossaren, soviel ich weiß.' Es muß etwa bedeuten, was vor
den Griff kommt, was vor der Hand liegt, einzelne Arbeit auf
Akkord , im Gegensatz zu Tagwerk. P i e t 0 r i u s hat zwar das
Adj. fürgriffig (alienis commodis inhians) , d. i. vorgreifend,
vorwegnehmend; allein das schickt sich nicht hieher. Den Schmie-
den wird vorgeworfen: du siehest etewanne ein isen an ein
ros, daz ist itel kis (Kies, Sand, die Wurzel von Kisel, Kie-
i 82 5.
Altdeutsche Predigten.
2 2<)
sel, Sandstein) und get (das Roß nämlich) lihte daruffe
küme ein mile, unz daz ez (das Eisen 1 zcrbrichet, und
rnac davon (das Roß) erlammen (furerlamen, wie himinel
für himel), oder er (der das Roß reitet) mac davon gevan-
gen werden oder de| lip Verliesen; oder einem armen
manne (beschlägst du das Roß) der ez tegelichen ment und
triben muoz in wagen und in pfluoge. Eine Art Schmiede
ist aber verdammt, sie mögen betn'egen oder nicht, theuer oder
wohlfeil verkaufen, nämlich: die die langen mezzer slahent,
damite man die liute libelos tuot (ums Leben bringt); ihrer
Seele wird nimmer Rath Zur dritten Klasse gehören die Kau f-
leute. Sie fuhren aus und ein was in dem einen Lande wohl-
feil, im anderen theuer ist. 86 fuerent uns die von Ungern,
die von Kerlingen; die uf schiffen, die tif wegenen; die
tribent, die tragent. (S. 44)« du gebest dinen kouf mit
maze oder mit wage oder mit simmern oder mit ein, daz
sol allez gewis und gewaere sin. Und ist danne der kouf-
schaz, daz er weder wage noch maze noch simmern niht
bedarf, noch ejn , so soltu niemen niht anders dran gehei-
zen, danne daz daran u. daz du daran weist, Sie sollen
nicht schwören und betheuern. S 46, 46: Redensarten, wo-
mit sie die Leute zum Kauf beschwätzen. Die vierte Klaffe be-
stehet aus denen, die Essen und Trinken seil haben, Becker,
Fleischer, Brauer, Methsieder, Fischer, Käse-, Eyer- und
Heringrräger. Da geschieht Trug: mit mutennem (modrigem)
oder fidem fleische, oder: daz niht gesunt ist, so du ez
abnimest (schlachtest^ oder unzitic an dem alter, und gist
es den liuten, daz sie ez zuo ir reinen sele ezzen, die dem
almehtigen got ein so lieber hört ist. S. g8: Trug mit
faulem Wein, Bier, ungesottenem Meth; Verbacken schlechtes
Korns. Versalzen bröt daz ist gar ungesunt. Wir lesen
daz niht, daz salz in deheiner slahte wTise si in spise so
ungesunt und als jemerlich, als in brote; und ie baz ge-
salzener, ie naher grozem siechtuome oder dem tode*
Fünfte Klasse: Landbauer. Durch ein biblisches Beyspiel
wird den Herrn milde Behandlung der Bauern eingeschärft
(S. 49/ 5<>). Dagegen Trug der Bauern: so fuerest du
(Bauer) holz da her in; daz ist da mitten krump (krumm ge-
laden) und du (Käufer) köufest den luft für holz. Und daz
höu, daz legest du so trügenlich üf den wagen, du legest
ouch schcene körn oben in den sag (Sä t) und danne unden
daz bcese. Sechste Klasse: alle, die mit Arzney umgehen. —
Auch ©.91 ist von trügerischen Handwerkern die Rede, zum
Theil mit ähnlichen Wendungen: der brötbecke sweinmet den
In/
'ly
23o
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
teic mit hefel; so du warnest, du habest brot, so bästu den
bist für brot kouft. Und der pfreigener (t>er IM Kleinen mit
Speise und Trank für die tägliche Nothdurft handelt) giuzet
etewanne bier oder waz/.er in daz olei. Und der fleisch
slahter hat veil etewanne kelberin fleisch und giht, ez si
drier wochen alt oder git müterin fleisch für berginez
(schweinernes, von barg, porcus). Er mag etewanne ein
kranker (krankez?) mensche ezzen, daz ez den tot davon
hat odr ein frouwe, diu in kintbette lit. — Daß bey einem
Strafprediger/ wie BertHold, die Eitelkeit der Frauen nicht
leer ausgeht, versteht sich von selbst, er theilt bey der Veran-
lassung Nachrichten über damalige Trachten mit. Neue Mo-
den sind wohl in jedem Zeitalter den Geistlichen anstößig und
unanständig erschienen: führen sie sich nichts destoweniger ein,
und gerathen selbst wieder in Abgang, so wird in der nächsten
Generation dieselbe vorher verschriene Tracht die Tracht der
Ehrbarkeit. Heftig eifert Bert hold wider die gilweriflne
(Gelberinnen) mit dem gelwen gebende (S. 19, 121, 249,
294, 401), und stellt ihnen die heilige Elisabeth mit dem
demüthigen Gewände entgegen; Jesabel sey eine »beese hüt
und gilwerin« gewesen. Die gelben Schleyer und Bänder
(gebende ist der Kopfputz) müssen damals in Baiern von
leichtfertigen Dirnen getragen worden seyn (S. 253, 359, 383);
diesen , so wie den Jüdinnen und Pfäffinnen soll man die gelben
Bänder überlassen. S. 401: Ihr Frauen sollt den Männern
nicht gelbe Bänder vortragen, sie sollen sie euch nicht anhängen.
Eine solche Frau heißt nach Salomo (eher nach Mareolfischer
Genealogie) Schendela, und der Mann danach mit Recht
Schandolf. Ich wüßte nicht, daß in den Gedichten die
gelbe Farbe so verunehrt würde? In dem von den sechs
Farben (Fragm. XXIV — XXVI, und Liedersaal I, 153) wird
sie zuletzt aufgeführt, und die Farbe glücklicher Minne genannt,
man sehe sie selten tragen: Nach unseren heutigen Sitten ist es
sehr ungewöhnlich^, sich in hohes, reines Gelb zu kleiden, und
nur jugendlich blühende Frauen dürsten es wagen; außerdem
erweckt die Farbe den Begriff des Jüdischen, Neidischen (Frey-
gedank "?25) Das gemeine Volk schätzt sie höher; in der
Gegend von Göttin gen liegen Dörfer, wo sich alle Bäuerin-
nen reichlich gelb bebändern. Jüdinnen sollen gelbe Tracht lieben,
die gelben Judenhüte im Mttelalrer sind bekannt.— Nächst dem
Gelben haßt Berthold die Schminke (S. 19): pfi, wie
sitzest du da vor minen ougen, malevin? wiltü dich baz
malen, danne dich der al mehlige got hat geschaffen V
(0.349); pfi H' verwertn und ir gilwerin, wie gerne ir ze
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l8l
Altdeutsche Predigten.
s3i
dem himelriche möhtet körnen, ir sit aber gar fremde geste
da; ihr werdet ewiglich mit iurem verwert oder gilwcn da
ze helle brennen. Nib. 6629. gevelschet yrouwen varwe,
Wolfram im Parc. 133c. gestrichen varwe üfez vel ist
selten worden lobes hei, swelch wiplich herze ist stspte
ganz, ich wtene diu treit den besten glanz. — V 0 rdrän-
gen und Geschwätzigkeit der Frauen (S. 342). Keine
Frau sott zur Zeit/ so man Messe singt/ bey dem Altar zu thun
haben / noch sonst in dem Chore seyn. Le cht können sie da an
dem Priester ihre Seligkeit verwirken. Es ist ein schädliches
Ding/ daß die Frauen sich immer hinzudrängen/ wo man Gott
dient. Im alten Bunde standen sie besonders/ daß andere Män-
ner sie nicht sahen (S. 343). So sprechen sie in der Kirche/
wie auf einem Jahrmärkte / hin und her, was jeglicher gesehen
in fremden Landen auf der Meer- oder Romfahrt oder zu St.
Jakob. Und die Frauen lassen ihren Mund nie stehen von
unnützem Gespräche. So sagt die von ihrer Dirne/ sie schlafe ß
gern und wirke ungern; die von ihrem Kinde/ es sey »muelich« \
und nehme nicht zu, statt daß sie Gott klagen sollten ihr Ungemach
an Leib und Seele/ vor allem aber die Sünde mit reuigem Her-
zen und mit schöner Zucht stille schweigend / bey sich selber. —
Verhätschelung der Kinder (S. ^<|). Daß reicher
Leute Kinder weniger zu alten Leuten werden, als der Armen,
das kommt von der Ueberfüllung und Verzärtelung: so machet
im diu swester ein mueselin und strichet im eht in. So
ist sin hevelin klein sin megelin und ist vil schiere vol
worden, so püpelt ez im her wider uz; so strichet eht sie
dar. So kumet danne diumuome, diu tuot im daz selbe.
So kumet danne diu amme und sprichet: d we mins kin-
des! daz enbeiz hiute nihtes. Diu strichet im danne als ie
von erste in, so weinet ez , so zabelt ez. — Höfisch e
Sitten der Weltlente. Die wahre Zucht und Tugend besteht
nicht in ängstlicher Beobachtung dessen, was man den guten
Und feinen Ton heißt (S. 187). Er meinet aber niht die
tugent, daz eteliche liute tugent heizent. So einer ein
boteschaft hövelichen gewerbenkan, oder ein schüzzel tra-
gen kan, oder einer einen becher hövelichen gebieten kan
und die hende gezogenliche gehaben kan oder für sich ge-
legen kan, so sprechent eteliche liute: weck, welch ein
wol gezogen kneht daz ist oder man und frouwe! daz ist
gar ein tügentlicher mensche, we wie tügentliche er kan
gebären. Sich , die tugent ist vor gotte ein gespÖtte und
gesellet got ze nihte (S. 323). So rücket einez diu gürte-
lin hoher (Zeichen der Hossart) S. 369. Kann eines nicht
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?lltdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
f- tom
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mehr, so rückt es den Gürtel höher, oder krümmt den Hut auf;
vgl. snreuzen höh üf ir gebende Ms 2 , 222* und viele an-
dere stellen bey den Dichtern. Wir stehen uns heut zu Tage
kaum vor, wie gemessen uut> bestimmt in dem äußeren Benehmen
zu jener Zeit manche Dinge waren. Die Uebereinstimmung der
Bilder in Handschriften bis in fast unmerkliche Nebensachen legen
davon Zeugniß ab. Das Stellen der Füße und Verschränken
der Beine, die Lage und Bewegung der Arme, Hände und
Finger hat nach dem Stande oder Affekte der Menschen eine
übereingekommene Regel, wovon wir noch jetzt unter Bauern
und Landstädtern Ueberbleibsel antreffen. Damals zeichnete es
aber die feine Welt aus, und in vielem lag wirklich bewunderns-
werthe Zierlichkeit und Naivetät. In dem Manessischen Kodex
zu Paris haben alle Umarmungen, der fehlerhaften Zeichnung
ungeachtet, eine ausgezeichnete Anmuth, aber in Wendungen
der Häupter und Schlingungen der Arme beynahe gleichen Typus.
Die Scheidung zwischen männlichem und weiblichem Geschlechte
war in Sitten und Gebräuchen noch weit sichtbarer; eine fein
gebildete Frau scheute sich etwas anzurühren, was unmittelbar
vorher ein Mann angegriffen hatte. Gawan (Parc. 124°)
bittet Orgelusen, ihm sein Pferd zu halten: 80 nam min
her Gawan den zügel von dem orse dan , er sprach: nü
habt mirz frouwe. »Bi tumpheit ich iuch schouwe, sprach
si, wan da lac in wer hant, der grif sol mir sin unbekant.«
I)d sprach der minnegernde man: frouwe, ine greif nie
vorne dran. »nu, da wil ichz enpfahen ,« sprach si. —
uNkeuschheit und Unzucht. Trüllerinne nennt er die
alten Kupplerinnen (S. 12h, 226, 38/*, wo Müllerin ver-
druckt ist, 3<)6, 420, 427/ 464) pfi trüllerin, wie stet ez
umbe dinen fride, den du an trühsest (?) und trüllest*
Din fride heizet des tiuvels fride. Trüllen für betrügen
kommt außer dem Ti tu re l beyden Dichtern selten vor. Diu
trüllerin git dri seleküme umbe zwene schuohe oder vier
pfennige. Dü wahtelbein des tiuvels * damit er manige süle
vnhet (Lockpfeife des Teufels, Bein, worauf man den Wachteln
pfeift)^ Dü hist verworfen von dem volke, die da striten
sulen umbe daz ewige leben. ' Sie verschlägt manche Seele,
die sich sonst rein erhalten würde, aus der Huld Gottes. Ihr
Bürger solltet sie aus der Stadt schlagen, ihr habt ja ehrbare
Frauen. Der Trüllerin genüget nicht, daß sie alle ihre Tage
genascht hat, bis sie nicht mehr kann, sie verführt andere,
Sünde mit einander zu thun. Wer einen Thoren fragt, dem
gelingt es selten wohl. So haben die Frauen Rathgeber, die
ihnen Seele und Ehre verrathen, wenn sie sie zu Hause laden.
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Altdeutsche Predigten.
die Grüderinnen. Die sollte man mit Hunden aus der Stadt
hetzen. Er nennt sie auch zuotriberinne (S. 3i3, 384), weil
sie zutreiben. Eitelmacherinnen (itelrnecherinne). S. 389, 454
scheinen aber die verlornen Dirnen selbst (weil sie die Beutel
leeren, itel machent?), sonst umschrieben: die bösen Häute,*^_
die aus dem Graben gehen (S. 253, 35y, 384). Gibt/^I
es zu Regensburg oder Augsburg eine Straße dieses yr\ 1
Namens? wahrscheinlich in allen größeren Städten eine Gasse Ö Jjö uJ
um die Burg (S. 42t mürhüs, lupanar, an der A?auer). Der '
edlere Ausdruck gemeine frouwe S. i^3 bey Gelegenheit der
Maria Magdalena. Noch eine Benennung, die er aber —-"J
mehr von den Männern gebraucht, ist nescher und nescherin
(S. i35, 177, 4^6) , vergl. geneschelin S. 4o3 ; naschen
gilt eigentlich von der heimlichen Lüsternheit nach verbotenen
Speisen (altd. Wäld. 2, 3, genasch , Leckerey), man sagt
aber Lecker ganz im Sinne des Bertholdischen Näscher. — Ge-
rn eine Spielleute und Possenreisser werden als Sünder
dargestellt, ihrer Lugen und Falschheit wegen. S 35: gumpet-
liuie y giger und tambürer y swie die gebeizeusint, alle die
guot für ere nement. Er redet einem daz beste daz er
kan, die wile daz erz (der andere) hceret und als er im den
rücken keret, so redet er im daz bceste, daz er iemer me
kan oder mac und schiltet manigen, der got ein gerehter
man ist und ouch der werlte und lobet einen, der got und
der werlte schedelichen lebet. Allez ir leben habent sie
niuwan nach Sünden und nach schänden gerihtet und scha-
ment sich deheiner Sünden noch schänden; und daz den
tiuvel versmahet ze redene daz redest du und allez daz
der tiuvel in dich beschüten mac, daz Inzest du allez vallen
üz dinem munde. @.92: diu fünfte lügen ist, der (weuu
einer) einen schiltet, der ze lobene ist und lobet einen,
der ze scheltenne ist, als der toter und der spilman. S. 313:
Verdammlich sind, die ihr Gut lotern und gumpelliuteri gebent
durch lop oder durch ruom. Beyde Benennungen, deren
sich Berthold hier bedient, sind auch sonst bekannt. Lotar-
sprahha, leichtfertige Lieder, gl, doc. 223b. ; toter bey Notker
vanitas, scurrilitas, ps. 11, 3. 11,7 (wo olter versetzt für
loter) 35, 4* ll0, 39; louf umbe loferholzy fragm. 15?
und Oberl. h. v. ; auch altnordisch loddari (nequam). Zu ?A4/ ;j
gumpelliute ist zu vergleichen gumpclman, MS. 2 , 240 s gum-
pel/§pil MS. 1 , i22 2, 97», gumpelwise MS. 2, 72*;
wahrscheinlich auch Parc. 126® gumpelker für gampelher zu
lesen, denn es heißt da selbst völlig aus Sprelleute passend, man
soll sie, die nilit sint mit manlicher wer, mit Stäben walken.
"laxbrr* „ . Qjj l^r
234
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
Eines höfischen, gebildeten Dichters, an welchen zu seiner Zeit
und in seiner Gegend kein Mangel war, thut Bert hold in
den hier abgedruckten Predigten nicht Meldung, er mochte sie
und ihre Werke wohl kennen. Wenn es S.2i5 heißt: und da-
von singet man von den mertelern : unser sele sint enbun-
den, als der spar von dem stricke der jagenden , so ist aber
ein kirchlicher Spruch, der reeitirt wird, gemeint, kein Ge-
dicht. S. 229 führt er einen Leisen (ein Kyrie eleyson)
wörtlich an:
nu bitten wir den heiligen geist
umbe den rehten glouben allermeist,
daz er uns belmete an unserm ende
so wir heim suln varn uz disem eilende.
Kyrieleis.
Dieses Lied steht noch fast wörtlich so in heutigen evangelischen
Gesangbüchern (z. B. dem Porstischen Nr. 160). Er waj* ein
wiser man, sagt Berthold, der daz selbe liet von erste
vant. Wenn es aber so alt ist, so kann Luther, dem es bey-
gelegt wird (W e tz els Hymnopceographia, Thl.I. @,120 ff.)
wenigstens den ersten Vers nicht gedichtet haben, übrigens be-
stätigt sich die Genuinität der Lesart umbe den rehten glouben
und nid)t in dem r. gl. Merkwürdig ist S. 3o8 die Erwähnung
^ ketzerischer Lieder. Ez wai ein verworhter ketzer, der
mähte liedev von ketzerte und lene sie diu kint an der strdze>
daz der liute dester mer in ketzerie vielen. Und dar umbe
Siche ich gerne, daz man lieder von in sünge. Berthold
erkennt die Eindringlichkeit ketzerischer Gesänge in der Landes-
sprache, und wünscht, daß ihnen rechtgläubige entgegengedichtet
würden. Ich wolte halt gerne, daz man lieder davon (von
den Irrthümern der Ketzer) sünge. Ist iht guoler meister
hie, daz sie niutven sanc davon singen, die merken mir
disiu siben wort (die vorhin angegebenen sieben Kennzeichen
der Ketzerey) gar eben und machen lieder davon; und ma-
chet sie kurze und ringe (kurz und leicht verständlich), daz sie
hinderlich (jedes Kind) wol gelernen müge. Wan so ge-
lernent sie die liute algemeine diu selben dinc und vergez-
zent ir dester minner. Wenn jene ketzerische Poesie so gewirkt
Hat, daß ein geistlicher Redner sie mit gleichen Waffen zu bekäm-
pfen auffordert, so muß sie von mehr Gehalt gewesen seyn, als
die Leisen der Geißelfahrer, von welchen einiges auf die Nach-
welt gekommen ist. Bertholds gemuthmaßte Bekanntschaft
mit weltlichen Dichtungen stützt sich mehr auf seine innere Leben-
digkeit, die ihm ein so wesentliches Element des damaligen Zeit-
geistes nicht verbergen konnte, als auf gelegentliche Aeußerun-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
rageuse sera litt&raJfement corifbrme h l’Mition
originale , mais augment^e d’une preface et de
quelques notes. Heureux les ^crivains qui ont
acquis, h force de bonne foi, le droit de reim»
primer dans leurs OEuvres completes, les ecrits
que leurs ennemis leur reprochent avec le plus
d’amer^ume! , #
La note que nous ännexontf h ce Prospectus,
et qui fait connaitre la distribution des volumes,
excitera sans döute pu\ssamment'la curiosite du.
lecteur. Qui ne voudrait suivre dans ses voyages
en France, en Italie , en Amerique, le brillant
auteur de l’Itineraire ä Jerusalem? Quel admi-
rateur d’Atala et de Rene n’est pas impatient de
retrouver dans les Natchez dont ils sont tires les
memes tableaux, les memes personnages? Quelle
singuliere et brillante Opposition ne promet pas
le sejour de Chactas ä la cour de Louis XIV?
Si le combat des Francs au sixieme cliant des»
McSrtjrs \l ob’tenu*l6 suffrage £les^ censeurs les
plus* rigoi^retfe* et tient une plate incöritestable
aupres des plus magnisiques tableaux d’Homere,
que ne doit-on pas attendre de ces combats des
Nate^iez , dont le recit est releve par des cou-
lenysxle localites si neuyes et si extraördirtaires ?
< • * »;.* .. . i . \ (U ^
II est presqiie personne qui n’ait clejä en-
\ . t&i-diT, paM#d d’iifie npou veile intitulee le Dernier
Abencerage, qui va enfin etre publiee, et qui
i *
J
se trouvera r^unie dans un seid volume avee
Rene et Atala.
Gertes ce ne sera pas une des moindres
curiosit^s de cette Edition que d’avoir ä juger
M. de Chateaubriand comme poete. Les choeurs
de la tras;edie de
. .o
grande eelsbrite.
Untier,^ les quat!
tion k XHistoir$ de France annonceront un ou-
.vrjge depuis long-tenips attendu , .et poseront
d^hs eette-edifion raeme la premiöre pierre d un
autre edifice. : . ,
Une preface geheräle de l’auteur, qui* paraitra'
ä la tete de la premiere livraison, entrera dans
des details curieux sur la vie de l’auteur meme,
et sur les ouvrages qu’il publie.
Ceci nous mene ä faire observer qu une des
clioses qui eloigne ordinairement le public de
l’acquisition des OEuvres completes d'un auteur
vivant, est la erahnte de ne pouvoir y reunir dai-s
la meme fofnn? les ouvrages po^tzerieurs de cet
ecrivain. Ceux qui nous encourageront dans cette
immense entreprise n’auront point dinconve-
nient semblable ä redouter. L’iliustre autepr du
Genie du Christianisme ne peut, d apres scs ar
rangemenS) avoir d'autre editeur que noust, et
nous prenons fengagement devänt ke* public de
lui fournir religieusement, dans le meme format
Moise ont dejä acquis une
* discfoitrs servarit d’introduc-
6 2 5.
Altdeutsche Predigten.
235
gen, wie nachfolgende, die ein Gemeingut des Jahrhunderts
seyn mußten. S. 24, : fröude die diu werlt hat, von der
sumerwunne und von vogelsange und von seitenklange und
undern suezen stimmen; @, 323: so hohfertiget einez (ist
mancher stolz) von sinem wolsingen. Die vorhin angeführte
Erklärung des Krystalls aus Wasser gemahnt an eine bekannte
Stelle im Titurel (wie wazzer sich hristallet), aus dem er
auch den @.446 erwähnten Aberglauben von der Nachtigal
haben könnte: hat sie ein Ey gelegt, so sitzt der Vater davor,
und singt mit seiner süßen Stimme gegen das Ey, bis ein schö-
ner Vogel darin wächset. In Sigunen's Klage die
Strophe:
wcor ich dem suezen ddne
des nahtegals gepflihtet, ,
der siniu eiger schone
mit sänge sunder brüt ze leben rilltet, I 0
und daz min houpt mit stachen waer gebunden, j
daz würd enzwei gesungen,
obe damit din leben würd erfunden.
Er weiß noch anderes aus der Naturgeschichte, das nicht im
Titurel vorkommt, und die @.676 erzählte Fabel vom Molch
entsinne ich mich nicht irgendwo sonst gelesen zu haben. Der
niolle ist ein kleines Thierchen, das in den Wäldern geht. Es
ist nicht der Maulwurf (mul wehfe, so stehet geschrieben, wenig-
stens gedruckt, man wird aber mülweif zu lesen haben, vergl.
MS. 2, 286b), der die Erde höhlt und auswirft; es ist nicht
größer, als ein Finger, hat mancherley Farben, ist giftig und
schwer anzugreifen, Es kriecht immer vorwärts, bis
es kommt in eines Königs Haus. Ohne Zweifel ge-
meint wird der Salamander (lacerta salamandra), die spannen-
lang, schwarz und gelb gefleckt ist, und noch jetzo Molch, Moll,
Mollwurm heißt.— Bey der in der dritten Predigt (S. 220 —
228) höchst lebendig dargestellten und trefflich angewandten bibli-
schen Erzählung von Gideon erwartete ich in Rudolfs
Weltchronik dieselbe Erweiterung des Stoffes zu finden. Denn
das Buch der Richter K. 6, 7 enthält nicht alle Umstände, die
hier vorgetragen werden. Die Stelle verdient, als eine der be-
zeichnendsten für Bertholds Art und Weise ausgehoben zu
werden. Ez was ein fürste in der alten e, und der pllac
des israbelischen Volkes und liiez her Gededn (Herr wird
beynabe jedem männlichen Namen vorgesetzt, so her Adam, und
selbst her pharao, her judas, ja her lewe, @.363; eben so
Frau allen weiblichen). Mit dem urliugeten die beiden, die
biezen die pbiJistei, die beten einen künic, der hiez her
r !
236
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
Madian (aus dem Lande Midian ist ein gleichbenannter König
geworden). Und der Melden was so yil, daz sie daz lant
füllen und ir nieman kein ahte wiste , hundert tüsent und
fünve und drizic stunt tüsent (i35,ooo). Her Gedeon und
sin volc Huben abe wege, wan ir gar lützel was gein den
beiden. Und her Gedeon yerslouf sich selber abe wege,
der der juden herzöge was Und unser her re gestuont eht
ie den sinen gerne und kam für daz hol, da her Gedeon
in ne was und rief im und sprach also: pfi, wie hast du
dich versloffen ! Ganc her für undsamenedin yolc und dine
liute alesament und var ze velde und strit mit den beiden!
»6 we, herre, nü ist ir gar ze yil.« Enruoche, ich wil
mit dir sin und yolge min er lere, so gesigest du in an.
Her Gedeon besamen et sine liute alesament ^ do heter zwei
und drizic tüsent. 1)6 sprach er ze unserm herren: »ir
ist noch gar ze lützel.« Do sprach unser herre, nein, ir
ist halt gar und gar ze yil. Do sprach her Gedeon : wie
sol ich danne tuon , herre? Do sprach er: heiz einen ruo-
fer üf sten und heiz in daz her ruofen, alle die ein zage-
haft herze haben, daz die wider keren (Heimkehren). Gedeon
tet also. Do waren da zwei und zweinzig tüsent, die da
wider kerten und zagehaft waren. Und ir waren niu wan
zehen tüsent, die da man haft waren. Do sprach unser
herre: Gedeon, heiz die zagehaften alle wider keren,
wan der flieget einer niht ze minem strite. »6 we! sprach
her Gedeon , herre, ir ist nü gar ze wenic.« Nein, sprach
unser herre, ir ist noch gar ze yil. »Ja herre, wie sol
ich nü tuon ?« sprach her Gedeon. Dü solt für dich varn,
sprach unser herre, bis an diu wazzer, diu fliezen ze den
saezen rietehen (so lese id) statt ritigerf) und ze den halten
brunnen; so werdent sie alle trinken- Und alle die sich
in daz wazzer legent als daz rint und als daz phert, die
stelle mir einhalp ; und alle die daz wazzer mit der hant
in den munt werfent, die soltü mir ouch sunder üz merken,
so sage ich dir wol , weihe dü dannen lüeren solt. Und
also fuere sie üz. Und do sie kamen ze den wazzern, da
wurden sie trinkende. Und der, die daz wazzer in den
munt würfen mit der hant, waren niht mere danne driu
hundert. Do sprach unser herre: sich, die soltü fueren,
mit den gesigest dü den vienden an. Diu siben und niun-
zig hundert kerten alle wider, die gevielen got an sinem
strite niht. Von dem Verstecken Gideons in die Höle, und
wie ihn Gott hervorruft, weiß die Bibel nichts, die Heimsen-
dung der Feigen und die Prüfung durch das Waffertrinken
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'%) 'tpr* Tfr YlT
i 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
237
kommt zwar vor, aber die nähere Bezeichnung: zu dem süßen
Riedicht und dem kalten Brunnen, mangelt. Woher hat Ber-
thold diese Umstände? Wie es scheint, nicht aus Rudolfs
Weltchronik (cocl. cassell. 144^ Schutzes Ausg. 1, 36), worin
alles der heiligen Schrift gemäßer erzählt wird. Doch stimmt
Rudolfs 'Ausdruck: daz wazzer in den munt us werfen
mit der hant, zu Berthold, wobey die Vulgata (qni mann
et lingua lambuerint aquas, sicut solent canes lambere)
nicht zu Grund liegt, Rudolf und Berthold lassen das:
»wie die Hunde,« weg, und das Aufnehmen des Wassers mit
der Hand ist heldenähnlicher, als das hündische Lecken. Die
Zaghaften, die sich im Buche der Richter bloß knien, läßt Ber-
thold sich gleich Pferd und Rind ins Wasser legen, was bey
Rudolf fehlt. Jene Einstimmung nöthigt, wie mir scheint,
anzunehmen, daß Berth0ld entweder aus einer älteren deut-
schen Bearbeitung der Bibel mit Rudolf gemeinschaftlich ge-
schöpft habe, oder aus einer vollständigeren Recension des Ru-
dolfischen Textes. Vielleicht hat er auch daher den König M a-
dian? denn bey Rudolf findet sich madianes riterschaft,
her, liute (cassell. 144 ^ ) madian mit sinen scharn fliehende
kam zuogevarn (146^ ), doch so, daß in einigen Stellen deut-
lich das Land gemeint wird. — Sprichwörter finden sich
zuweilen angeführt. S. 2,5: swaz mit dem ersten in den
niuwen haven kumet, da smacket er iemer gerne nach.
0.356: mit sehenden ougen blint. 0.217 mit einigen andern
Worten wiederholt. 0.2i6: swes daz kint gewont daz selbe I
im nach dont; daz ist ein altgesprochen v[ort und ist ouch 1 \fT^
war. Zu lesen: dont f. deenet, und zu erklären tönet, hindert '
der Reim (denn es ist gewiß einer, und ein alter, richtiger),
man muß also das seltene Verbum denen in Bezug setzen mit
Conrads ge^xlon tuon (5. B. troj. 3oc. 46°. 53* nob.[) und mY*
auslegen: das hängt ihm an, schleift ihm nach. Ottokar von ' * .
Spornes hat nicht nur gedon tuon, sondern auch das Verbum
denen (629? kamen gedonet, herbeygezogen). S. 356: alter
gürre bedarf wol fuoters. Redensarten und Vorstellungen,
die noch in heutigen Kindermärchen Umgehen, lassen auf
das hohe Alter dieser Erzählungen Schlüsse ziehen. S. 366:
Die Idee vom Spiegelberg, als einem Orte der Wonne
und Freude, ein himmlischer Saal, hat nichts Biblisches, es
ist der Glasberg der Volksmärchen (Kinder und Hausm. 3, 47,
92,93, 175,2-9). Auch die Goldberge (S. 68, 4»i)
paffen dahin ((daselbst 2, 38, 3, 265) vgl. Parcifal 126
0.239: ez ist nieman, er naemez für alle dise werlt, ob
sie güldin waere, daz er haete Wunsches gewalt (der Aus-
QM/
238
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
druck steht ebenso S. I()i)und daz daz mit gotes willen wnrre,
wanne er wünschete etewez, daz er begert, vergl. Kinderm.
3, 162.— Der astronomischen Einsichten Bertholds ist
schon oben gedacht worden bey Gelegenheit der Sonnenfinsterniß.
S. 287 theilt er seine Vorstellung von dem ganzen Weltgebäude
mit. Die Erde ist ihm der Dotter im Ey, die Luft das Eyweiß,
der umschließende Himmel die Eyschale. Das Firmament läuft
um, wie eine Scheibe, von Osten gen Westen, es würde der
ungeheuern Weite und Schwere wegen in der Kraft seines Um-
laufs zerbrechen, wenn ihm nicht die von Westen gen Osten lau-
fenden sieben Planeten das Gegengewicht hielten. Die Gestirne,
die jetzt ob uns sind, die sind zu Mitternacht unter uns. Einige
Leute sprechen, es sey eine Welt unter uns, und die haben die
Füße gegen uns gekehrt, das ist in keine Weise nicht. Die
Welt schwebt auf nichts, als auf der Kraft Gottes. Wäre es
möglich, daß eine Grube durch und durch das Erdreich gehauen
würde, so könnte man jetzo am Tage unten die Sterne am Him-
mel stehen sehen, und wann es Nacht bey uns ist, leuchtet unten
die Sonne. S. 299: der Mond ist der allerunterste und nie-
derste Planet/ er ist so breit, als ein Dreyßigstel der Erde (ob
daz also ist, daz läzen wir hin ze den meistern, die davon
lesent). Volksmäßiger ist, daß er S. 144, 145 die Mond-
flecken aus den Thränen Maria Magdalenas deutet. Die
Sonne bezeichnet Maria, Gottes Mutter. Der Mond aber
Maria Magdalena: daz sie so gar vil ge wein de daz
bezeichent ein dinc, daz ir sehet in dem manen , daz ist
gar dunkel und truebe. Und wie er dieser Flecken ungeach-
tet dennoch leuchtet, so benehmen auch die bereuten und bewein-
ten Sünden der Heiligen ihr Licht nicht. Ich habe eine ähnliche
Deutung noch nie gelesen (es gibt sonst ganz andere, vgl. Iri-
sche Elfenmärchen S. 226), unstreitig ist sie nicht von B e r-
thold erdichtet worden. Viel alter heidnischer Volksglaube von
den Gestirnen wurde auf christliche Heiligen übertragen. S. 181 :
Gott hat auch eine schöne, mit Sternen gezierte Krone an
den Himmel gesetzt (geschriben), sie stet niht verre von
dem wagen. Da stet sie als gezeichenliche und alse schone
und stet ein rise däbi mit einem grozen kolben, den bat er
in der hant, und der rise ist groz und gar michel und
huetet der krönen j in solicher wise, als ob man sie welle
nemen. Er meint das Sternbild Bootes, der als Riese mit
Kolben dargestellt wird, nach der griechischen Ansicht aber nicht
die Krone, sondern den Bären hütet («pzro^u/iag). Wohlge-
fällig und neu ist die Auslegung der beyden Wagen (ursa major
8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
undminor), S. 168, 169, Die Menschen sollen bey Nacht
an den »oberen huocben« lesen, und sich erbauen. Das Sie-
bengestirn heißt der Wagen. (Schon Orfried V. 17, 67
thaz sibunstirri ioh t/uro wagono gistelli; Dichter des drei-
zehnten Jahrhunderts mehrmals 6er wagen oder die himmel-
wagene.) Vier Sterne daran sind gestaltet als vier Räder am
Wagen, damit man über Land fahrt. Die vier Räder bezeichnen
vier Haupttugenden, ohne welche man nicht in den Himmel
fahren kann, sonst fällt der Mensch von dem Wagen in den
Abgrund der Hölle. Wer den Wagen erkennet, 8er mag ouch
ein \ileines wegeiln wol erkennen In ihm fahren die kleinen
Kind lein aus gen Himmel, die noch keine Tugend haben außer
den vier Tugenden der Taufe (beschrieben S.442), geschieht die
Taufe unordentlich, so gedriftet ihnen auch eines der vier Rad-
lein, und sie gelangen nicht zur Seligkeit. Nü sehet, ruft
Berth 0 ld seine Zuhörer an, wie ir üf dem micheln wagen
ze dem himelriche sület körnen, des kleinen wagenes be-
dürfet ir niht. Man sieht, welche Menge jetzt untergegange-
ner Ideen über das Verhältniß der Natur zu dem inneren Men-
schen jene frühere Zeit belebten, und darf eingestehen, daß selbst
unrichtige und abergläubische das Gemüth und die Phantasie
reich machen konnten; heute wird der gemeine Landmann zwar
frey gehalten von vielen offenen Irrthümern, aber er sieht die
Natur ziemlich stumpf an. Die Anfangsgründe des reinen,
unvermischten Wissens haben etwas unpopuläres, und erst ein
gewisser Zusatz von Dichtung vermag sie unter das Volk zu brin-
gen. Der Vorrath von Begriffen, der das dreyzehnte Jahr-
hundert befriedigte, kann nicht mehr für uns zum Muster dienen,
allein er war für damals nicht unangemessen, und füllte einiges
aus, was jetzt leer steht. — Am ähnlichsten zu allen Zeiten blei-
ben sich die Fehler und Leidenschaften der Menschen. Was
Bert hold wider die Verletzung der Sonntagsfeyer pre-
digt , hatte sich in allen folgenden Jahrhunderten wieder-
holen lassen. S. 64: so varnt sie nü an dem heiligen
suntage und an den heiligen zwelf boten tagen mit wa-
genen und mit kamen und mit rossen und mit eselen
über velt und über lant, üf die merkte, in die stete und.
in diu dorf. Dü kneht, dir tuot din her re unreht, der
dich an den ruowetagen deheiner arbeit muotet fürbaz
danne du im sin yihe uz und in tribest an die weide oder
ez im däheime etzest und trenkest, wan daz enmac man
niht üf geschieben unz an den andern tac. Und du dierne,
din meisten tuot dir unreht oder din her re oder din frouwe,
K
\m/
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
2/f0
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
z wan ne sie dich ihtesiht heizent wirken an dem ruowetagen,
danne ein ezzen machen und kint besehen oder ein vihe;
des mac man nilit geraten. Köslin, dir tuot din meister
unreht, kündest du ez gemerken und gemelden, swanne
er dich des ruowetagen arbeitet, wan du soltest ruewen.
Ir sult ouch niht tanzen andern ruowetagen oder spiln oder
toppein. »Wie, bruoder bertholt, du. wilt uns den wec
gar enge machen. Suln wir nü nihtesniht ze ampte han,
weder niergen yarn, noch ander dinc tuon, weder tanzen
noch spiln ? Se, wie suln wir danne tuon, daz wir den
tac vertriben ?« Mit Kirchen besuch, Gebet/, zu Haus essen und
ruhen, Almosen geben, Kranke besuchen und laben, ir sult
ouch gen, da gevangen liute IigehlU sult die trcesten
(wohl weniger Sitte der Zeit, als christliche Lehre; Matth 26,
36, 89). Deß ist gar viel, was ihr in Gottes Ehre und Liebe
thun könnet, wollt ihr mir anders folgen, »bruoder bertholt,
rede waz du wellest, wir enmugen ungetanzet niht sin.«
Ihr sollt Sonntags weder ackern noch tanzen. Der Ackergang
ist nütze, so ist das Tanzen niemand nütze. Was man den Feyer-
tag erarbeitet, bleibt und gedeiht nicht, Räuber nehmen es,
oder der Hagel schlägt es, oder es verbrennt von dem Donner.
— S. 352: Veruntreuung durch Knechte und Dirnen.
Sie stehlen Salz und Schmalz, Mehl und Korn, Ey und Käse,
Brot und Braten. Und doch heißest du ehalt, daß du den Leu-
ten, die in der Ehe sind, Ehre und Gut getreulich behüten und
bewahren sollst. So geht hinter der Schnitterin ein junges
Dieblein her, dem drückt sie eine Handvoll nach der andern in
die Furche.— S. 216: Kinderzucht und Haushalt. Hoher
Herren Kinder erhalten Zuchrmeister, die Jungfrauen Zucht-
meisterinnen, die alle Zeit bey ihnen sind, und sie Zucht und
Tugend lehren. Ihr armen Leute könnt sie euren Kindern nicht
halten. Da ihr aber und eure Kinder das Himmelreich eben so
nöthig habt, sollt ihr sie selber ziehen. Wan sin in nieman
so wol schuldic ist als ir. Wan für die zit, als ez eht
bcese wort sprichet, so sult ir ein kleinez ruetelin neinen
bi iucli, daz alle zit ob iu stecke in dem diln oder in der
want, und als ez ein unzuht oder ein bcesez wort sprichet,
so sult ir imein smitzelin tuon an bloze hüt. Ir sultez aber
an bloz lioubet niht slahen mit der haut, wan ir mohtet ez
wol ze einem toren machen. Niuwan ein kleinez r^selin,
daz vorhtet ez und wirt wolgezogen. Tuot ir des niht,
so müget ir leiden blig an im werden sehen (werdet ihr
Kummer an ihm erleben). Am jüngsten Tage müsset ihr darüber
Rede stehen. S.356, 35y: Die Frauen sind zum Himmel-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
. 8 2 s.
Altdeutsche Predigten.
241
reich geschaffen, wie die Männer; ja sie würden eher dahin
kommen, weil sie barmherzig sind, und lieber zur Kirche gehen,
und zu Predigt und Ablaß, und G.bet lieber sprechen, als die
Männer. Ihr Strick heißt Hoffart und eitle Ehre. Da machen
sie alles so zierlich und nöthlich, nur daß man sie darum lobe.
Das ist leere Ausflucht, daß sie es thun ihrer Wirte (Ehmanner)
wegen, damit diese andere desto weniger ansehen. Ihr Männer
solltet es ihnen tapfer wehren, zuerst mit guten Worten, und
dann herzhaft mit Gewalt, bis sie es aufgeben. Der Mann
soll doch der Frau Meister und Herrscher seyn. Werden dann
die Frauen alt, so üben sie Hoffart an den Töchterlein und
Großtöchterlein, »diu. zepfelnt sie und swenzelnt sie üf, so
siu dannoch vier jar alt sin*« Und das treiben sie, bis es
versteht Gutes und Böses, und bringen es in die Gewohnheit
der Hoffart, daß es hernach an ihm selber zweymal so viel macht.
—' Gevatterschaften, Namengeben, Pflichten der Patyen,
S. 2i2, 213, auch 23o — Wahrnehmung bey neugebornen
Kindern. S. i65: swanne ein kint geborn wirt, so grifet
ez dar mit der hant und tuot den munt zuo ; wan ez wirt
geborn mit offenem munde. S. 407: Todes zeiche N: ^
1) Daß der Kranke sich gegen die Wand kehrt, und die Leute
ungern ansieht. 2) Daß die Augen gespitzt sind. 3) Daß die
Ohren kalc und gelb sind. 4) Daß der Kranke die Achseln auf
und nieder zieht mit dem Athem. 5) Daß ihm der Mund kurz
ist und aufgekrümmt, 6) Daß die Zahne wackeln und gelb sind.
7) Hin- und Herwerfen der Arme. 8) Daß Hände und Nagel
schwarz anlaufen. ,.j) Erkalten der Füße, und daß sie der
Kranke von und zu sich zieht. S. 22g: In Frauen- und Man-
nesklostern: als einez zem tode grifende wirt, so hat man
des site, daz man an ein tdoeln siehet * so kument alle die
in dem kl oster sint, die sprechent im den glouben vor.
Einer solchen Tafel geschieht im Iw ein Z^^Erwahnung.' —
S. 406: Aerzte, Aussatz und fallende Sucht. Vom Aussatz,
S.3g2: Auch die besten Meister können ihn nur so heilen, daß
die Kraft mit weggenommen wird, und der Mensck) kürzer leben
muß. S.53, 54: Von Chirurgen, die sich auch mit inneren
Krankheiten befassen: die aber ruht sint geleret, die wollen
sich der erzeniejund niht enkunnen dan mit einer wunden
(die sich nur auf Wunden verstehen) und nement die innern
kunst davon und nement sich der an und wollen den liuten
trenke geben, da huete dich vor. Ez sint morder ane dich
genuoc; ganc mit dinen wunden umbe. Ez si wunden
oder geswer oder gestözen oder geslagen , des mäh tu dich
M ol unter winden. — Juden und I u d e n d u l d u n g, zuNl
16
ihwl,
ui.
Theil merkwürdige Aeußerungen, S. n, 12, 67, 3oi , 324.
-— Aeußerungen über die deutsche Sprache, S. 118: in latin
und in welschen landen und in srancriche heizent die sie-
ben Sternen als die siben tage und ouch die siben tage sam
die Sternen ; hie ze diutschem lande heizet man sie niht sö
gar darnach. Und ist mir daz eil leit (weil sich keine erbauliche
Auslegung daran fügt, und sich die Leute nichts dabey denken).
Die deutschen Namen lauten hier: 1) suntac. 2) mantac. 3)er-
getac; waere niuwan ein buochstabe mer da, ein R, so
hieze er nach dein Sternen (wie so? Der Herausgeber MUth-
maßtM für R, doch steht auch rnergetac ab von mars, martis;
oder meint Berthold ergentac, erhentac, althochd. erchan. ?
Die Bedeutung des Tags ist ihm: Starke des Geistes). 4) mit-
tewoche oder mittich. 5) dunrestac oder phinztac (mit die-
sem Namen ist er zumal unzufrieden: wie glich daz ist jovis
dies oder jupiter ! welches bedeuten soll: ein helklich yater.
Ich wrcne diu tu gen t, nämlich Milde und Nächstenliebe, hie
ze lande tiuwer ist und fremede). 6) sritac; venretac
sol er ze rehte erziugen (erklärt werden?), warum aber: in
deutscher zungen heizet er ein werde dar nach? Ist das
Wort ein zu streichen? 7) samztac. Ueber die deutschen Tag-
namen , denen Hier eigentlich sehr Unrecht geschieht, werde ich
mtd) anderswo umständlicher austasten. Noch merkwürdiger ist
folgende Stelle (S. 32o): daz wort daz da sprichet stipen-
dia, daz ist rehte als yil gesprochen, alse da ein riter wol
gestriten hat, dem git mail daz Ion. Wan wir haben yil
wort in der latine, diu wir in diutsche niemer uz hünnen
gelegen, wan mit gar vil umberede. Wir sin in iatinischer
spräche gar riebe,- und haben yil rede mit kurzen Worten
begriffen, da man in diutscher spräche eil mnoz gereden.
(Jede genaue Übersetzung zwingt zu umschreiben; aber auch
abgesehen davon, hat unsere Sprache von jeher eine ihr eigen-
thümliche Weitläuftigkeit, die theils mit unserem Charakter über-
haupt zusammenhängt, theils jogar mit einigen Vortheilen
der Sprache). S. 3,5 eine Beurtheilung der deutschen Haupt-
dialekte, dre damals schwerlich in Sachsen, Westp Halen
und Brabant gefallen hätte, und die alteingewurzelte Partey-
lichkeit der Stämme zeigt. Der Himmel ist das obere Land,
die Hölle das niedere (oberlant für Himmel brauchen die
Dichter gleichfalls, z. B. Frauenlob Ms. 2, 2,4^ der smit von
oberlande, d. h. Gott; der Teufel bedeutet schon dem Notker
deorsum fluens, niderfal, niderris), eine unläugbar den
Niederdeutschen ungünstige Wahrnehmung. Verschieden, sagt
Berthe ld, sind Ober- und Niederländer an Sprache und
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
1 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
2/z 3
Sitten, die von Zürich und vom Bodensee, und die von
Sachsen kann man daran wohl unterscheiden. Manchmal
aber nimmt der Niederländer die Sprache des Oberlan-
ders an, wie der Gleisner und der Pfennigprediger, der so
viel von Gott und seiner Marter redet, und dazu weint, daß
man schwören möchte, er sey ein rechter Oberländer. Auch durch
die Kleider kann ein solcher tauschen, aber nie in die Lange durch
die Sitten. Er will im Grunde .unter den Oberländern die
Frommen, unter den Niederländern dre gottlosen Menschen
schildern, und gibt den wirklichen Sprachunterschied nur zum
Beyspiel.
Die Untersuchung wird hierdurch zu unmittelbar auf B e r-
tholdsSprache selbst geführt, als daß sie sich noch länger
bey dem aufhalten könnte, was sonst in den bekannt gemachten
Predigten außer den angeführten Gegenständen Bemerkenswer-
thes vorkommt. Die grammatische Wichtigkeit des vorliegenden
Werkes fordert eine ausführliche Berücksichtigung.
Für die Verhältnisse der Laute und Buchstaben ist indessen,
wegen Beschaffenheit der Handschrift, wovon hernach die Rede ^ /
seyn wird, nichts sicheres zu entnehmen; auch in den WortbeD- u/
gungen habe ich nichts unbekanntes angetroffen. Reiche Aus-
beute hingegen für die Wortbildung, sowohl in Ableitungen als
Zusammensetzungen.
S ub st a n t i v a b l e i t u n g. Feminina mit bloßem Vokal,
aus Adj. gezogen selten, aber zuweilen: gelphe (splendor) i44?\
aus andern Subst. mistende (resurrectio) 26; aus Partlkelü &
gegcne (regio) 212, wo doch der Partikel selbst ein altes No-
men unterliegt. Die Masc. auf -oere zeigen durchgehends -er
(Gramm 2, i3o): abbrecher 129, i3o, i3»; gertener
(hortulanus) i56); nesclier (libidinosus) 200; meineider *
38; trügener , lügener 91 ; pfrägener (propola) 61, 91 [(HGm
wörseler 42 j hördeler (thesaurarius, avarus) 182; man- 1
slahter (homicida) 78, 177, blnottrinker 19, 77, 69;
prediger; gesnoeber (koenerator) 85; wuocberer 224 ; was
bedeutet Satzungen 123, 224? Offenbar auch einen, der im
Handel und Wandel bekriegt. Man sieht, der Umlaut folgt
bald, bald nicht, es wird kaum zu bestimmen seyn, ob Ber-
thold wuocberer oDer wuecherer gesprochen hat. Auf -ser
(althochd. -isari, z. B. durstesare des pluotes, Blutdlirster,
Notker C apella 78) findeich bloß gewaltser (21, 40 3, 4>o),
worunter er einen gewaltsamen, rohen Krieger versteht, den er
mit dem Diebe zusammenstellt. Die Bildung -ison, -isari scheint
überhaupt auf das Heftige hinausgehend, vergl. richi son, herri
80n (herrschen, dominari). Auf -i«al (Gramm. 2, 107) das
16 *
uru)
{ Vbtf.
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
^44
Neutr. getwangsal i55 , i56. Viele Diminuriva auf -e/rn:
gürreliu (equa yilis) 22, 67 ; rösseiin (equus parvus) 64;
Tröudelin 266; mueselin, megelin, 4*6? knehtelin, dir-
nelin 218; hohfertelin 21)4 - smitzelin 216; stiudelin 220;
tsetelin (steine That, Unthat, Fehler) 35q; geneschelin (luxuria)
408; oft ist ihm aber die Verkleinerunasform nicht genug, und er
verstärktste: ein kleinez stündelm 194, kleinez yörhtelin 82;
ein wenec guetelins 3. Fem. auf -ede (Gramm. 2, 246): er-
bermede 6, 90, 235; glübede 81; siechede 82; yersmoe«
hede 100, smsehede 190; geschopfede 1 15; im Ganzen
auch nicht häufig. Neutra auf -ede (Gramm. 2, 248): geme-
chede (conjux) 80, 98, 46« ; geswistride (fratres soro-
resque) i55. Neutra eins -ech (Gramm. 2,818 nachzutragen) :
liutecb (cornplexus plebis) 194? (die Bezifferung 198, 194
ist aus Versehen zweymal gesetzt); löbelech 294, unverständ-
lich , v^n lop (Iau8) schwerlich zu leiten, vielleicht löubelech
Laubwerk, Kränze), oder zöbelech (Pelz Zobelwerk) ? ric-
tech (arundinetum) 221, nach meiner vorbemerkten Verbesse-
rung; tuechelech (Tuchwerk) 294; yolkelecb (was liutecb)
294; zoubcrlech (yeneiieiurn) 58. Das -ech druckt aus:
Masse, Anhäufung, und hat leicht verächtlichen Nebensinn, armez
liutech, volkelech 220; zouberl^ch schändliche Zauberey. Zu
Gramm. 2, 331 gebort schandolf 56, 401, etwa das heutige
Schandgesell, das Masc. zu Schentela (wie gellolf zu gella), die
Stelle S. 56 ist merkwürdig wegen der andern, damals für
schimpflich und teuflijd) gehaltenen Namen: du heizest nach
den tiuveln und bist halt nach in genennet. Du heizest
lasterbalc (auch sonst Schimpfwort, z. B. im Rosengarten), so hei-
zet din geselle schandolf, so heizet der hagedorn (Dgl. Trist.
17865, so heizet der hellefiuwer (Name oder Beyname eines
Dichters, das heutige Höllenbrand), si heizet der Hagelstein (der
Teufel und Zauberer hageln). Mase auf -ine (Gramm. 2,
353): zentrinc (Braten) 242 (an einem galgen, Galgen-
braten) ; neben schillinc und helbelinc 208, 204, 243, 269
aber durchgehends pfennic (nie pfenninc), nach Analogie von
künic für küninc, vgl. Gramm. 1, 387. Wenig Feminina
auf unge: wegunge 98, oiejunge 98, hoffenunge 175,
wuestenunge ii3; mehrere aufget^yaueuisse 28; ge-
venenisse 26; bekantnisse ; 40; erkantuisse 96, yerdarnp-
nisse 69, 226, 227, yinsternisse 144, 4^2.
)ldje kti v ab leiL uug, auf -in\ bergin (porcinus) 91;
kelberin (yitulinus) 915 espin (populeus) diu espinen löi-
ber 165; statt der Zusammensetzung espin-löiber (Gramm.
2, 647); müterin (lutosus) 47, 91, wir sollten demnach
i 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
245
Motter schreiben für Moder; fiulerin (putridus) 148, ein
©übst. fiuler, füler ? voraussetzend. Wenige auf -el; wankel
231; snachel, wenn so für snachelt 22 zu lesen ist? Aus
-ec, ic: bennic »2 ; sihtic (sichtbar) 37, 290; hezzic 140:
geturstec 296; gescheffic 47; aplaezic, antlae^ic 88, 92.
Aus eht: toreht 5o; hogereht (gibbosus) 260. Aus isch:
irdenisch (terrenus) 32; buochisch, was den Büchern ge-
mäß ist/ ©. 23o : die ungelerten liute die sulen den glou-
ben in tiulsche lernen und die gelerten in buochiscfiemy
d. h. in lateinischer Sprache. Notker im Boethius S 2i3
bedient sich der Redensart: in altiskm^ (auf althergebrachte.
Weise)/ von altisba (mos vetemm)/ Gramm. 2; 374 nachzutragen-
Eigentliche Zusa m m e n se tz u n g: ^ahtel - bein, gum;
pelman , bider-man 297 ; künic -stuol 295 ; trut-kint 279 ,
kirch-ganc 149; acker-ganc t>6; sunt -lluot 388 (Grarnm.
2 / 554); muoter-barn 286; sonderbar adern-schal io3 f.
Athemzug / oder vielmehr Ausblasen des Athems/ Hauch. Mit
-heit: ungestalt-heit 282 ; Iaz-heiti4; fräz-heit 18; gitec-
heit 18; lihtsenftic-heit 422 ; lügenheit 46; glihsen-heit
134 , r35, i5o ; erbarmherzec - heit lZjo? betrogen-heit
295; manne-heit 296 u. a. m Mit -luorn wenige: cristen-
tuoin 46 ; siech-tuom 48 . herzöge- tuom 11. Adjektiva :
herze-liep 8, 9. 178; haut-laue 76 ; selb-here 3sb (Gramm. 2/
638); glase-öuge 415; swer-öuge l. sür-öuge (lippus) (Gramm.
2, 656); star-blint 4l5; gickel-vehe (Gramm. 2, 669);
kitschen - hrun 298; tot-unrein3o3 (Gramm. 2/ 551) merk-
würdig wegen des zwischentretenden un^jf ite-niuwe 29,, 295 ;
tlank-ndeme (Grannn. 2 / 572); lincvertic 189; rinc-ver-
teelieh 240; lanc-peinic 22; ende - habt 81, 124, 242,
426 schale - hakt 218; ivizzent- 1 icli o; pfeffen-lich 43;
kindic-lich (jedes kind) 3o8. Verba : volle-sahen, volle
horten 96; und die schwachformigen: rade-hrechen 14, 23;
gris grammen 233, 284, vgl. troj. 89°. 92°. wint-halsen
(den Hals abwenden) 71; mort - beten (todbeten, durch Zau^
ber/ nach dem Glauben des Mittelalters/" i53, 889, 482;
lobe-lachen (schmeicheln/ hoffärtig seynt) '22; raste-la-
eheu? 214 (wohl zu lesen: vaste lachen)? Die sonderbaren
Mannsnamen Gerst-lacher, Rosen--lacher sind mir noch dunkel.
Uneigentliche Komposition: eides - heiser 87;
dinges-geber und das daher geleitete dinges-geben 69 , 124,
129, 224/ 27,, 289, 418/ die Stellen erläutern/ welcher
Wucher darunter zu verstehen ist. ougen-blic 191 ; sterren-
schin 241; für unsere Kindes - kinder unzusammengesetzt: kint
der binden 70. Partikelkomposition: uber-liebe 146 (Gramm.
2/
2^6
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Bd.
z
w. i
oJa
2/ 773); über-tür (superliminare) 383; über-groz 27,
ö5 7; über-wunder 27; bi-seze (obsidio) 4l05 der lange
Vokal folgt mir aus dem geschriebenen i (Gramm. 2, 721),
i- ap-däz und ant-laz 194, schwankend; für-grif 41, 42 (f.
•ß* j hin ■ werf (abjectio) 198 (Gramm. 2, 767) ; a-wehsel
ij (cadaver) 94 (Gramm 2, 707); ane-gane 58 (Gramm. 2/
713); ver gift (venenum), weiblich, 62 , 53 (Gramm. 2,
-725); in - dur8tie (maxira'e silibundus) 3 02 (Gramm. 2, 761).
Verba: rnitc-spisen 172; an-stinken 58; an-hÖkzen 67;
über-ern 49; über-varn 49; über - schalken 88; über-
meinsamen 88; beschalken 192 (Gramm. 2, 8o3); 8ieh
ver-werfen 87; ver-warldsen 36, 280 ; ver > reizen 95;
ver-ballen, ver-tanzen 3»2, 3 >3; ver-siechen 66; ver-
erzenien 246. Ein kühltgebildetes Verbum ist ge-jaherren
421 (zu allem ja sagen, aus der gewöhnlichen Formel ja-herre.)^
Einzelne Wörter, Wortfügungen, Redens-
arten. daz güse (Humen, inundatio) 231, 282 (Gramm.
1/ 171; 2, 22); diebe und düpen? 289; lasten (lambe-
bant) 20, eher von lassen als von lessen ; scherzen 233, vom
I ^ Blöcken^der Kälber, ein ganz ungewöhnliches Wort in diesem
I W @imtepgr|nen, vom Bellen der Hunde, wie es auch Ms. 2,
228^ und Trist. i589oHebraucht wird, ja der Hund heißt im
Gedicht von dem Hausrath v. 110 crrin; anderwärts steht grü-
nen Dem Wiehern der Pferde (Parc^ind troj. 89°.) und Grun-
zen der Ferkel (Fragm. 38^ ); grisgrammen, vom Brüllen
der Löwen , wie auch jonst, vgl. troj 89° ; herüz pulzen 78,
123, herausquellen, brechen, althochdeutsch üz arpnlzan (Gramm.
2, ^3o); koufen umbe 45 habe ich Band XXVIII dieser Jahrb.
S. 23 erklärt; sie bitterten geineinander als die gellen 111,
zankten sich wie Kebsweiber; mit den gedanken rumpeln 119
ist schon oben angeführt, ein schicklicher Ausdruck für die Rum-
pelkammer menschlicher Weisheit; an dem blate sten 77, 82,
i36, vorgenommen werden, auf der Seite des Buches stehen,
die heute gelesen wird; ruofende sünde 2o3, 204, wir sagen
jetzt schreyende, das Blut des Erschlagenen ruft zur Rache auf,
daher mag sich schreiben was in Märchen oft wiederkehrt, daß
gefallene Blutstropfen reden, Berth-old hier, S. 76: sin
b!uot, den du ermordet hast, daz ruofet ze allen ziten
über dinen 1 ip und über dine sele mit luter stimme vor
dem almehtigen gote ; klaffende bletter, statt des heutigen :
rauschende; zwei türlin an der nasen 164 (Nasenlöcher);
der gehiure 162, d. i. Gotr, der Gütige, Milde, wie der
Teufel noch jetzt der Ungeheure; die boume uebent sich mit
bluote 168, treiben Blüte, unser üben hat sehr enge Grenzen
Ken/nw'.(VtLfcfe 34-- Gy?c/ie (inat
• 1 / 1! o J <■'
r.
bewert eX-j
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
1 6 L 6.
Altdeutsche Predigten.
24?
gegen das alte; Bertholds häufige adverbialische Redensart:
den werten (ea mente) 24, 27, 62, 82, 106, 169, 18b,
227, 287. 24,^ stimmt zu Notkers: in dien werten; S. 98
setzt er: inderandäht gleichbedeutig; din^lluoc ist üf der verte,
ez witter übel oder wol (du pflügest bey schlechtem wie gutem Wet-
ter) 278 ; den sehnn vol legen, die Stangen Yol hangen i3o, die
Frauen verschlossen also ihre Kleider theils in Kisten, theils hingen
sie sie aus; einer der von kriechen ist, 248, 335, ein Wildfremder,
mit dem man fonft feine (StemeinfYhaff hslht>n vel hat
einen t<
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1229;
u. Pl.
n. 2,
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aller
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hungerigen zezzen geben 196, wie noch heutiges Tags; lvan
mit dem Nom. bedeutet: wäre nicht (B enecke Vigal. 740)/
Ivan diu huote des engels 17; wan iu ver engel 17; wan
tugent 189; verschieden davon ist das wünschende wan oder
wände: wan got der beschirme mich vor allen Sünden \5j
(möge Gott mich behüten); Adj. dem Geschlechte nach auf einen
vorauöstehenden obliquen Casus bezogen: Sie ist der heiligen
1 6 L 6.
Altdeutsche Predigten.
247
gegen das alte; Bertholds häufige adverbialische Redensart:
den Worten (ea mente) 24, 27, 62, 82, 106, 169, 18b,
227, 287. 241, stimmt zu Notkers: in dien Worten; S. 98
seht er : inderandäht gleichbedeutig; dinpüuoc ist üf der verte,
ez witter übel oder wol (du pflügest bey schlechtem wie gutem Wet-
ter) 278 ; den sehnn vol legen, die Stangen vol hangen i3o, die
Frauen verschlossen also ihre Kleider theils in Kisten, theils hingen
sie sie aus; einer der von kriechen ist, 248, 335, ein Wildfremder,
mit dem man sonst keine Gemeinschaft haben will ?V der tiuvel hat
einen torn mit den binden üf dich gemüret 167, der Teufel
hat festen Grund bey dir, bezieht sich wohl auf den Aberglauben/
Kinder oder Thiere in dgs Fundament zu mauern?; mer danne
stoubes in der surrnen 208, 236, vgl. Parc. 689 1 , klein so
daz in sunnen vert; einen kröpf frezzen 195, Vgl. Parc.
46*. überkrüpfet; die Redensart wol dichy we dir hat das
Verbum im Prät. bey sich; wol dich nü wart, daz dich
d;n muoter ie gelruoc an dise weilt! 200; wol iueh wart!
129; ei wol iueh wart, daz iueh in wer muoter ie gelruoc
285; we dir wart, daz dich din muoter etc. i65, )v
Ichou Otfried I. 11 / 77; wola wart thio brusti tliio kr ist
io gikusti! und gleicherweise konstruirL die alte Sprache er-
gaz dir got! gesach mich got! vgl hier: pfi, daz dich diu
erde niht verslant! 271; pfi dich, daz ie toufvvazzer üf
dich kam! 4^2. Das Verbum seyn wird zuweilen ausge-
lassen/ z. B. wer danne frower (wäre) 215, 244; danne
daz daran (ist) 44; wie guot ez (ist) 44, was der Aufmerk-
samkeit deS Herausgebers nicht entging; häufig das Part. Präs,
zu werden: wirr sehinende 28 ; ze tode grisende wir1229;
zuo sigende werden 232 ; kniende werden 168 : der Gen. Pl.
steht gern voran/ besonders von Superlativen (Gramm. 2/
677): aller Sünden wirste i3i ; aller wunder greeste 184;
aller milte liebeste 2o5; aller dinge beste i85; aller
tugende beste 122; aber auch sonst guoter röcke zw|ne 154 ;
aller gnaden eine 90; aller unt<jete ein niht 248; aller
waren riuwe einige niht 82, 69; zwischen ein geworfen werden
häufig die Partikeln eht und halL, wie bey den Dichtern, na-
mentlich Wolfram; auch der Dativ mir: habt ir mir den
hungerigen zezzen geben 195, wie noch heutiges Tags; wart
mit dem Nom. bedeutet: wäre nicht (Ben ecke Vigal. 740)/
wan diu huote des engels 17; wan in w er engel 17; wan
tugent 189; verschieden davon ist das wünschende wan oder
wände: wan got der beschirme mich vor allen Sünden
(möge Gott mich behüten); Adj. dem Geschlechte nach auf einen
vorausstehenden obliquen Casus bezogen: sie ist der heiligen
Altdeutsche Predigten-
XXXII. Bd.
9,l\ 8
einer 189, 142, weil der heilige männlich; überhaupt freye
Stellungen des Adj. und Pron.: ze der zeswen siner siten
284 (etwa wie N. Cap. 41 Heba sin wirten) ; ein der liebste
bneht 289; welch der tiuvel 3o5; du armer mensche tum-
lier! 296; ir friheit der jugende diu gelimpfe in bas (ihre
jugendliche Freyheit stehe ihnen wohl an) 197; der Gen. vom
regierenden Nomen getrennt: an die Stange nagelte des heren
criuzes 25; daz dritte gebot zerbrochen unsers herren 64;
doch es können hier weder alle syntaktischen Eigenheiten dieser
Prosa angegeben, noch weniger ähnliche Stellen aus den Dich-
tern und der alteren Sprache mitgetheilt werden. Mit welcher
ungemeinen Freyheit, ja Nachlaßlgkeit die Rede aus direkter
in oblique Beziehung überspringe, wie aus dem Pronomen
zweyter Person in das der dritten, aus dem Plur. in den
Sing., so wie umgekehrt, davon liefern die im Verlaufe die-
ser Beurtheilung ausgehobenen Stellen hinreichende Beyspiele.
Einiges in dieser Weise mag sogar verbotene Fahrläßig-
keit scheinen, die sich wohl Berthold im Flusse seiner un-
studierten Beredsamkeit verstatten durfte (und wer weiß es,
ob sich verstattete ^ da mit der Gabe des Redens auch die der
Sprachreinheit verbunden zu seyn pflegt), die aber beym Nie-
derschretben der Predigten unter seiner Hand verschwunden
seyn wurde. Wiederholungen einzelner Worte und Satze, wie
sie allenthalben begegnen, waren dann auch weggeblieben.
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind nicht von Berthold selbst,
sondern von einem Zuhörer seine Reden aufgeschrieben wor-
den. Das hat bereits Kling in der Vorrede XI dargethan,
wohin ich verweise.
Hinzufügen muß ich jedoch, daß ich die Niederschreibuug
für höchst treu halte, und daß sie die Eigenthümlichkeit des
Redners in Wendungen, Ausdrücken und selbst im Mundarti-
schen genau erfaßt haben wird. Bey eigener Aufzeichnung
hatte er vielleicht die Perioden mehr gebildet und zusammen-
gezogen, und ihnen dadurch von ihrer Natürlichkeit benommen,
die dem Leser wie dem Hörer doch das Liebste und Anziehendste
ist. Die Möglichkeit getreuer, vollständiger Aufnahme einer
eben gehaltenen Predigt aus dem bloßen Gedächtnisse durch
einen fähigen Zuhörer leidet keinen Zweifel. Es geschieht noch
heut zu Tage: um so leichter damals, wo die Gedächtnißkraft
im Ganzen schärfer und ungestörter waltete, und die Einübung
des Niederschreibens ungleich höhern Werth hatte. In Tan-
ker s Predigten (alter Leipziger Druck, bald am Ende) wird
das vollständige Aufzeichnen einer angehörten Rede berichtet.
Bekanntlich,hat noch über zweyhundert Jahre hernach der
© Hessisches Staatsarchiv
, Best. 340 Grimm Nr. L 29
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
2P)
gleichbeliebte und gleichfruchtbare Prediger G e i le r von Kai--
sersberg die Feder nicht angesetzt/ sondern die Nachwelt
verdankt es dem Minoriten, Johannes Pauli/ daß sie
diese Reden/ ohne Zweifel in ihrer ganzen Originalität/ besitzt, s
In einem vorausgeschickten Prolog pflegt Pauli gewöhnlich
zu versichern/ daß er jegliche Predigt »behalten hat in seinem
haubt,« und hernach aufgeschrieben. Ausgeschlossen bleibt hier-
mit keineswegs/ daß einzelne Predigten von Kaisersberg
wie von Bert hold entweder selbst aufgezeichnet/ oder diktirt,
oder nachgesehen seyn können; Spuren führen aber nicht darauf/
und die vielen Wiederholungen machen es für die vorliegende
Sammlung Bertholdilcher Predigten/ so weit sich aus dem noch
sehr unvollständigen Abdrucke schließen läßt/ eben nicht glaublich.
Es hat unstreitig mehrere von einander abweichende Samm-
lungen der Sermonen Bertholds gegeben/ aus deren Ver-
gleichung und sorgfältiger Benutzung/ wenn sich die Handschrif-
ten erhalten haben, manches von dem, was eben vor ihrer Ab-
fassung und im Vorhergehenden insgemein über des Predigers
Leben, Charakter und Talent gesagt worden ist, bedeutend ergän-
zen und berichtigen ließe. Kling kennt nur die einzige von ihm
gebrauchte Heidelberger, kürzlich erst aus der Verbannung nach
Rom zurückgekehrte Handschrift, welche er Vorr. S. XI be-
schreibt. Die nicht beygefügte Bibliotheknummer ist XXIV, und
man findet sie in Willens Katalog S. 318, 3,g verzeichnet.
Sie begreift zwey und sechzig Predigten, von denen hier nur
zwölfe ganz gedruckt und über vier und zwanzig andere ausgezo-
gen werden. Das Verhältniß der Auszüge zu dem vollen Inhalte
wird ersichtlich seyn, wenn ich hinzufüge, daß jene zwölf Predig-
ten von i —3o<) reichen, die Auszüge von doppelt so viel Pre-
digten nur 3,o — 466 füllen. Die gedruckten und ereerpierten
Predigten berühren also beynahe die Hälfte der Pfälzer Hand-
schrift gar nicht, und angenommen, daß im Durchschnitte jede
ungefähr 26 Seiten des Klingischen Abdrucks braucht, so ist nur
wenig über ein Viertel dessen, was der Koder enthält, bis jetzt
herausgekommen. Er ist, wie es bey Wilken heißt, auf sehr
schönem Pergament sehr sorgfältig geschrieben, aber erst, wie die
Rubrik am Ende lehrt, i3^a, folglich 98 Jahre nach des Pre-
digers Tod und über ein Jahrhundert nach der Zeit', wo die mei-
sten dieser Reden gehalten worden sind. Die fromme Pfalzgrä-
fin Elisabeth hat ihn auf ihre Kosten schreiben lassen, das und
nichts anderes bedeutet der Ausdruck: hat gezuoget (f. geziu-
get) dizbuoch; ziugen (zeugen) etwas anschaffen, beköstigen
(comparavit hunc Hbrum)J/' woraus sich auch die Schönheit
und Breite des Pergaments und die äußerliche Gleichheit, wahr-
220
Altdeutsche Predigten.
XXXI!. Bd.
4-
scheinlich auch große Form der Schriftzüge erklärt. Dieselbe
Pfalzgrasin ließ durch einen ihrer Kapellane das Leben der heil.
Elisabeth aus dem Latein verdeutschen (Wilken S. 331) und
sicher noch andre Bücher sammeln. Eine altere, wenn auch
unscheinbarere Handschrift der Bertholdischen Predigten würde
für unsern heutigen Gebrauch wünschenswerther seyn. Hat man
nämlich keinen Grund zu zweifeln, daß im Ganzen die spatere
Abschrift getreu den älteren folge, und daß selbst Eigenheiten
des Bertholdischen Dialekts (z. B. die Form Zen , sten, baierisch-
fränkischschwäbischer, als das mehr rheinischschwäbische gän, stau?
vgl. Gramm. 1,944) unverwischt geblieben sind; so lehrt doch
der bloße Anblick des Abdrucks, daß die ältere, reinere Ortho-
graphie des dreyzehnten Jahrhunderts abgeht; ich habe sie in
den ausgehobnen Stellen zurückgeführt, ohne damit für einen
künftigen kritischen Herausgeber irgend einen genügenden Maß-
stab stellen zu wollen oder zu können. Die Heidelberger Biblio-
thek verwahrt unter Num. XXXV (Wilken p. 323) noch eine
zweyte Handschrift, gleichfalls Predigten Bertholds,
auf Papier, und geschrieben i$3), auf 106 Folioblatter, also
69 Jahre jünger als die vorige und offenbar weniger, wahr-
scheinlich größrentheils andere Predigten enthaltend.^ Aus ihr
wird zwar kein reinerer Text zu nehmen, gewiß aber vieles zu
lernen und zu vergleichen seyn. Wichtiger scheint mir eine Straß-
burger H a n d sch r i ft'/ welche O b e r l i n im Quellenverzeich-
niß, ohne ihres Urhebers Namen zu wissen oder zu rathen, als:
sermones sacri sive predigten, bibl. S Job. Hieros. Arg.
A. 100 aufführt und die er bey verschiedenen Artikeln seines Wör-
terbuches benützt hat. Sie ist auf Pergament (Oberlin S.
402) und enthalt, außer andern Sachen, von Blatt 160— 207
vermuthlich einige Predigten Bertholds, so weit ich nach den
Auszügen urtheiln darf, in älterem Text, als die Pfälzer von
1^70. Man sehe z B. die unter dem Worte lotter (q53a) aus
Bl. 163 der Hs. ansgehobne Stelle: so dv liugest durch das
dv den Huten deste bas gevalles, alz der lotter oder der
spilman der urabe gäbe lobet den der do zvo scheltende
ist. Das sind ausgemacht Bertholds Worte und Gedanken
(vgl. Kling S. 92»; die Rechtschreibung ist auch nicht untadel-
haft, sondern verwechselt z und s, wie der Heidelberger Kodex.
Aber die Benutzung und Vergleichung des Straßburger kann in
keinem Fall unterbleiben, wenn die vollständige Herausgabe B e r-
tholds auch in den Augen anderer nöthig scheinen wird. Das
B uchstück einer vielleicht noch ins dreyzehnte Jahrhundert fallen-
den andern pergamentenen Handschrift in Eberts Besitz wird
dieser Gelehrte gern mittheilen. Die daraus in den Ueberlieferung
i 82 5.
Altdeutsche Predigten.
gen 1/ 160/ 161 geschöpfte Stelle erinnert an Berthold S.
26Z, ff.
Hierbey zwey Fragen/ die in'einander greifen: 1) gibt es
lateinische Handschriften seiner Reden? Fabricius bibl. lat.
med* aet. und andere nach ihm, versichern: praeter sermones
de tempore et de sanclis j qui Lipsiae in Paulina et aliis in
locis manuscripti servantur, scripsit librum de institutione
vitae religiosae. Kob 0 lt im barer. Gel. Lexikon / Land sh ut,
1795 y. Bertholdus de Ratispona schreibt ihm genauer zu: ser-
mones de tempore, hgndschriftl. zu Leipzig; 8errnone5 de
sanetis handschr. zu Jena; 8ermone8 singuläres rusticani,
auch zu I e n a. Sind das lateinische Titel deutscher Bücher oder
lateinisch abgefaßte? Die'bloße Ansicht zu Leipzig und Jena
wird entscheiden, ich muthmaße/ daß sie lateinisch sind; denn
auch in einer pfälzer Hs. Num. 464 (Willen p. 293) stehet
unter vielen andern lateinischen Traktaten toi. 24^ — 246 ein
sermo de omnibus sanctis M. Bertholdi, 14/,9 geschrieben. Es
wäre leicht nachzusehen. 2) sind lateinische Reden vorhanden/ so
fragt es sich/ welcher von beyden Texten als das Original be-
trachtet werden muß? Bert hold war ohne Zweifel der lateini-
schen Sprache mächtig. Dieß folgt namentlich aus jener Stelle/
wo er die Weitschweifigkeit des Deutschen beklagt / auch aus den
angeführten Versen, die er seinem Lehrer David ex tempore
gedichtet hat *). Er konnte also vor einer Versammlung gelehr-
ter Geistlicher lateinisch predigen / wie andere Redner seiner und
der früheren Zeit. Aber seine eigentliche Beredtsamkeit/ die un-
ter dem Volke so große Wirkung that, muß doch sicher deutsch ge-
wesen seyn. Auch sieht man es jedem Satze der hier gedruckten
Predigten an / daß sie deutsch gesprochen und nicht aus dem La-
tein übertragen sind. Ein analoger Fall würde über das Ver-
hältniß der doppelten Sprache aufklären. Ich kann mir kaum, doch
noch viel eher denken/daß im zwölften Jahrhundert ein lateinischer
Prediger von dem Volke in Frankreich oder Italien nicht
ganz mißverstanden wurde (ungefähr wie eine kirchenslavische
Rede von dem Volke in Rußland und Serbien), habe aber
keine Vorstellung davon, wie ein solcher Redner populär werden
*) Er etymologisiert mitunter auf lateinisch gelehrte Weise: S. 3o6
bringt er aus den Buchstaben homo daS menschliche Antlitz, also
eine Naturschrift heraus. S. 453 bedeutet witwe wite we, weil
den Witwen allenthalben weh ist, sie in Druck und Schmach leben.
Das ist eben nicht schlimmer als Notkers Erklärung des Wortes
binez (Vins, juncus) aus bey naß: der binez pezeiclienet irn-
mortalitatem , wan^da er dö gruone ist föne dero nazi, an
de— linde dann an er namen habet (C a p e l l a 104).
2^2
Altdeutsche Predigten.
XXXII. Ld.
konnte. Ein Mann, der sein Zeitalter mächtig ergriff, wie der
Herl. Bernhard, in welcher Zunge hat er gesprochen ? Seine
gedruckten lateinischen Sermone tragen ganz den Schein ursprüng-
lich lateinischer Abfassung, sie sind beständig an die Fratres ge-
richtet und waren bloß zur Erbauung der Mitgeistlichen bestimmt;
sie haben auch keinen populären Schwung. Allein so oft er vor
einer großen und gemischten Menge redete, bediente er sich wohl
des romanischen (mehr nordfranzösischen, als provenzalischen *)
Idioms? Es sind altfranzösische, noch ungedruckte Handschrif-
ten vorräthig (lckocsuekort table des auteurs p. 757), deren
Herausgabe von den Franzosen nachgeholt werden wird, sobald
sie einsehen lernen, daß sie gerade die für die Geschichte ihres
Mittelalters und ihrer Sprache wichtigsten Denkmäler vernach-
läßigt haben. Roquefort hebt einzelne Proben verschiedentlich
aus (z. B. unter nateit, osse, pannir) mit dem entsprechenden
lat. Tert, woraus man schließen könnte, daß die etwas umständ-
lichere und erweiternde Übersetzung nicht von Bernhard selbst
herrührt. Ohne vollständige Vergleichung wäre es aber voreilig,
für oder wider die Originalität des altfranzösischen Testes zu
entscheiden. Um wieder auf B e r t h o ld zu kommen, so will ich
nicht läugnen, daß von ihm selbst lateinisch abgefaßte Predigten
eristiren, nur keine sermones rusticani; finden sich aber in den
lateinischen und deutschen Handschriften dieselben Reden, so
wird sich aus dem Zusammenhalten bald ergeben, welche man für
die Uebersetzung zu halten hat.
Unter seinen Predigten scheinen sich einzelne theologische
Ausarbeitungen anderer Art zu befinden. Der Herausgeber be-
merkt mit Recht S. <)^, daß die 98— 111 abgedruckte geistliche
lere von guotcm leben keine Predigt sey. Sle ist auch in einem
edleren, gebildeteren Styl abgefaßt und befolgt einen strengeren
Zusammenhang der Gedanken; keine Zuhörer werden angeredet,
sondern die Abhandlung ist an eine einzelne Person gerichtet, die
ihn darum ersucht hatte (als du mich dicke gebeten hast).
Leser, die sich minder freuen an der Popularität der übrigen Re-
den und die Anspielungen auf Sitte und Geschichte geringer an-
schlagen, wird dieses Stück leicht das ausgezeichneteste des Bu-
ches dünken. Es könnte von B er t h o ld selbst niedergeschrieben
und etwa die institutio vitae religiosaefscyn, die Fabrieius
meint. Zweifelhaft bleibt, ob das zu Eingang dieser Recension
gedachte horologium deyotionis unserem B e r t h o l d, oder gar
einem späteren gleiches Vornamens gebühre? Fugger in der
*) Gebürtig aus Burgund, und C l a i r v a u x lag in C h a m-
p a g n e.
-MII '4 *ObO( •
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i 8 2 5.
Altdeutsche Predigten.
253
angeführten Notiz, oder wer ihr Verfasser seyn mag, vermengt
ohne Zweifel den jüngern mit dem ältern. Die in mehreren Hei-
delberger Hss., namentlich Cod. XXX und XXXIIIfworrathige,
von einem Bruder Berchtold verfaßte Uebersetzung der summa
confessorum des Johannes von F r e i b u r g kann nicht dem
ältern zugeschrieben werden. Einmal ist Johannes selbst (der
auch den Beynamen Teutonicuö führt) beynahe um eine Ge-
neration jünger, als Berthold; Johannes starb »314.
Und wollte man, des vermutheten frühen Todes Bertholds
halber, beyde ungefähr zu Gleichlebenden machen, so ist durch-
aus unwahrscheinlich, daß ein berühmter Minorit sich dazu her-
gegeben haben sollte, das Werk eines Predigermönchs, was Jo-
hannes war, zu verdeutschen. In seinen Reden kam ja sogar
Anzügliches gegen die Dominikaner vor. Der Uebersetzer ist viel-
mehr ein erst in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts leben-
der anderer Bruder Berthold, selbst des Predigerordens, ver-
muthlich der, den Quetif (script. ord. praedic. !, 811) Ber-
tholdus de Maissberch (?) * nennt. Die Verdeutschung wurde
übriger
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dessen sie früher mächtig waren, rst uns unwiederbringlich ver-
loren gegangen. Warum man aber mit der im dreyzehnten Jahr-
hundert durch die Dichter gehobenen Sprache nicht auch in Prosa
hätte anfangen können, was man wollte, wäre schwer zu begrei-
fen. Es war Sitte, beynahe alles der Niederschreibung würdig
*) Berchtold und Berthold sind e i n Name, von dem Ad),
berht (clarus) mit dem Formativ -old; daher besser berlitolt
als bertholt geschrieben und S. 92, unrichtig bort -bolt getheilt
wird.
i8a5.
Altdeutsche Predigten.
253
angeführten Notiz, oder wer ihr Verfasser seyn mag, vermengt
ohne Zweifel den jünger» mit dem altern. Die in mehreren Hei-
delberger Hss., namentlich Cod. XXX und XXXUIfvorräthige,
von einem Bruder Berchtold verfaßte Uebersetzung bet summa
confessorum des Johannes von Freiburg kann nicht dem
ältern zugeschrieben werden. Einmal ist Johannes selbst (der
auch den Beynamen Teutonicus führt) beynahe um eine Ge-
neration jünger, als Berthold; Johannes starb »314.
Und wollte man, des vermutheten frühen Todes Bertholds
halber, beyde ungefähr zu Gleichlebenden machen, so ist durch-
aus unwahrscheinlich, daß ein berühmter Minorit sich dazu her-
gegeben haben sollte, das Werk eines Predigermönchs, was Jo-
hannes war, zu verdeutschen. In seinen Reden kam ja sogar
Anzügliches gegen die Dominikaner vor. Der Uebersetzer ist viel-
mehr ein erst in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts leben-
der anderer Bruder Berthold, selbst des Predigerordens, ver-
muthlich der, den Quetif (script. ord. praedie. r, Öd 1) Ber-
tholdus de Maissberch (?) nennt. Die Verdeutschung wurde
übrigens oft gedruckt und gerade zuerst in Augsburg 1472
(»von larein in teutsch gemacht durch ein hochgelerten man Bru-
der Bericht old*) predr'aerordens«), vgl. PanzerAnn. S. 62.
Bertholds Predigten nöthigen mich, eine Vorstellung
aufzugeben, die man sich über die Zeit, Art und Weise der Bil-
dung unserer Prosa zu machen pflegt. Die Prosa soll erst nach
dem dreyzehnten Jahrhundert entsprungen und hauptsächlich durch
die sogenannten Mystiker g fördert worden seyn. Wer nun Not-
kers Schriften näher kennt, und zumal dessen Uebersetzung und
Bearbeitung des M a r t i a n u s C a p e l l a und des B 0 e t h i u s
gelesen hat, der weiß, daß schon im zehnten Jahrhundert (und
warum nicht früher ?) die deutsche Rede auch dichterisch ungebun-
den es aufnehmen konnte mit allem dem, was man lange Zeiten
nachher, seitdem Poesie wie Prosa in größte Verderbtheit gera-
then waren, zum ersten Male als etwas völlig neues zu wagen
meinte? Der Bildung des Geistes ungünstige Zeiträume verhee-
ren Poesie und Prosa, beyde zusammen. Wie manches von dem,
dessen sie früher mächtig waren, ist uns unwiederbringlich ver-
loren gegangen. Warum man aber mit der im dreyzehnten Jahr-
hundert durch die Dichter gehobenen Sprache nicht auch in Prosa
hätte anfangen können, was man wollte, wäre schwer zu begrei-
fen. Es war Sitte, beynahe alles der Niederschreibung würdig
*) Berchtold und Berthold sind e i n Name, von dem Adj.
berlit (clarus) mit dem Formativ -old5 daher besser berlitolt
als bertholt geschrieben und S. 92, unrichtig bort .holt getheilt
wird.
XXXII.
gehaltene, damals in poetische Form zu fassen; an der Gefügsam-
keit, Gelenkigkeit und Reinheit der Prosa, deren sich in dem ei-
gentlichen Leben bedient werden mußte, läßt sich doch nicht zwei-
feln, und so finden wir auch Berrholds Prosa völlig im Ein-
klänge mit, seiner Zeit und gleich lebendig mit den althochdeutschen
Prosadenkmälern, wie die Dichtersprache mit der früheren noch
zusammenhängend. In den darauf folgenden Jahrhunderten,
als sich die Dichtkunst verschlechterte, geht auch die Prosa rauh
und holpericht, und da endlich wieder um >760 deutsche Poesie
aus dem langen Schlafe erwachte, lebte zugleich die Prosa auf.
Klopstock und Lessing gehören einem Menschenalter, und
wer mag behaupten, daß Göthe weniger unsere Prosa gestärkt
und erfrischt hat, als unsere Poesie oder das Umgekehrte? Die
Mystiker haben wohl zu jeder Zut wenig oder keinen Einfluß ge-
übt auf die Bildung der Prosa. Sie schufen sich insgesammt
ihre selbst eigene Art des Ausdruckes, ohne je damit unter das
Volk zu dringen. Was die Sprache im Großen und Ganzen bil-
den und emporbringen soll, das bedarf allgemeiner Klarheit; die
Mystiker suchten aber für sich selbst nicht mehr als das Helldun-
kele. Ich wüßte nicht, daß Jakob Böhmes von der Schreib-
art seines Jahrhunderts so sehr abstechender Styl auf die Prosa
der nächsten Zeit irgend einige Wirkung hervorgebracht hätte, und
glaube, daß es sich in dieser Absicht mit den frühern, namentlich
Tauler und Heinrich Suso, eben so verhält. Ihre Werke
verdienen auch von den Sprachforschern beachtet zu werden; aber
das, wodurch sie sich auszeichnen, wird sich nie als ein Populä-
res, mit dem Element der ganzen Sprache historisch und noth-
wendig in Zusammenhang stehendes erweisen. Doeen hat im
ersten Bande der Mise. S. 140 — 162 ein Bruchstück aus dem
vierzehnten Jahrhundert gegeben, dessen harte und dürftige Dar-
stellungsweise man vergleiche mit der weichen und lebendigen
Prosa des älteren Bertholds. Nicht als ob Bert hold
das vermiede, was an tiefere geistliche Betrachtung streift, man
braucht nur die Auszüge S. 460 — 466 über Gottes Wohnung
in der Seele u. s. w. zu lesen, und wie glücklich er sich mitunter
auch in dergleichen Materien ausdrückt; allein solche Erhebungen
des Gedankens und der Sprache, die um so mehr wirken, je
sparsamer sie ausgestreut sind, scheinen doch nie die Oberhand zu
gewinnen über des Redners eigentliche, auf das klare praktische
Leben gehende Richtung. Ich erinnere hier an -das geistliche, halb
mystische Gedicht eines andern Minoriten, der gerade zu Re-
gensburg und fast gleichzeitig mit B e r t h 0 ld lebte, Bruder
Lamp r e ch t s Tochter von £ t 0 11, wovon Doeen in Aretins
Beytr. IX, 1207 und Welker in den Heidelb. Jahrb. 16»d, S.
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
Altdeutsche Predigten.
r 8 2 5.
255
7i3 — 720 Nachricht gegeben haben. Die Grosser Handschrift
verdiente naher benutzt zu werden.
Der Herausgeber (Vorr. III, IV) stellt Bert holden in
die Mitre zwischen Bernhard und Abraham a Sancta
Clara, und führt treffend aus, wie und wodurch er sich von
beyden unterscheide. Ueber Bernhards Styl und Sprache
können wir erst dann vollständig urtheilen, wenn der erwähnte
altfranzösische Ten herausgegeben seyn wird. Mit Abrahams
zwar lebendiger und volksmäßiger Beredtsamkeit läßt sich, so
viel die edle und reindeutsche Sprachform angeht, Berthold
kaum vergleichen, er steht eben so weit über jenem, als der Ge?
schmack und die Volksbildung des dreyzehnten Jahrhunderts über
denen der Zeit, worin Abraham lebte. Ich kann hier nicht
Mißverstanden werden ; von der übrigen geistigen Aufklärung, die
das ausgehende siebzehnte Jahrhundert vor jenem früheren vor-
aus hat, ist keine Rede, nur von der damaligen Verderbniß des
Elements einer das Volk durchdringenden Dichtkunst und Sprach-
bilduug. Ein geistreicher Deutscher des dreyzehnten Jahrhunderts
hätte die Gedichte und den Styl Abrahams und seiner Zeitge-
nossen ohne Zweifelsehr schlecht gefunden, ungefähr aus dem Ge-
sichtspunkte, der auch gebildete Franzosen und Engländer an
deutscher Poesie und Sprache um 1700 keinen Gefallen schö-
pfen ließ. Näher an Berthold reicht daher Kaisersberg*),a
dessen bedeutende innere Gaben sich auch noch frey und gefüg in^
der zwar schon gesunkenen, aber noch nicht versunkenen deutschen
Sprache bewegen. Seine Predigten gemahnten uns vorhin durch
die Art ihrer Aufzeichnung an Berthold; einer gleich ausgebrei-
teten Gunst des Volks erfreute er sich nicht, dafür war schon
das Zeitalter zu sehr anders geworden. Eine Eigenheit hat Ber-
thold mit Kaiser sberg gemein, die, daß er die verschiedenen
Stände unter den Zuhörern, nachdem sich das Wort an sie wen-
det, aufruft, und desto kräftiger ermahnt. Da heißt es bald:
ir Herren! 2. ir herschaft! 3. 7. 24. ir herschaft alesamet!
95. du kneht! du dirne! ir göuliute! 65. ir junge werlt!
25. 76. 79 (ügf. diu alte werlt 170) und für die ganze Gemeinde:
ir lieben kristenliute! 2. ir seligen kristenliute ! 3. ir liebe
kristenheit, 3. ir seligen gotes kinder! 21. ir reinen gotes
kinder! 246. u. s. w., wie viel wärmer ist diese Zusprache, als
das eintönige: meine andächtigen Zuhörer! heutiger Prediger.
Er entläßt aber auch Zuhörer, die etwas nicht zu hören brauchen.
*) Geringern Werth haben die deutschen Predigten eines Nikolaus
von Landau (im Waldeckischen), Mönchs $ir Otterbura,
wovon zwey starke Bande, bereits i3jr geschrieben, in der Biblio-
thek zu Kassel liegen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
s*
fl
256 Altdeutsche Predigten. XXXII. Bd.
z. B. 4^2, als er lehren will, wie man in der Ehe leben solle:
ihr geistlichen Leute, geht jetzt heim! oder 446: da könntet ihr
andere schlafen; oder hört mit ihnen zu; vielleicht seyd ihr auch
bald Eheleute! Dafür wird er selbst namentlich angeredet oder
angerufen durch scheinbare Einwürfe, die er den vorgetragenen
Lehren entgegenstellt. Beyspiele in den oben gegebenen Auszü-
gen. Oder er nimmt wirklich gemachte Einwendungen frisch
auf, die ihm zu Ohren kommen, S. 435: man hat mir gesagt,
daß gestern einer sprach: »pfi Bruder Bert hold, du predigst
so gar schreckenhaft von unrechtem Gut, daß ich beynahe verzwei*
felt bin.« Das wäre mir Leid, o welche Macht Reue und
Buße vor Gott hat! Aber, fügt er hinzu, ihr Unschuldigen laßtö
euch nicht verdrießen. Wie heilig die Buße sey, Unschuld ist
noch tausend Mal besser. Eure guten Werke wachsen euch zum
Lohne, darum hütet euch vor Sünden. Ihr junge Welt, hatte
man e u er n V a t e r n so gepredigt von dem großen Scha-
det, sie hätten sich besser behütet. Laßt euch nicht weisen aus
euerm linden Wege, und ihr Sünder nicht ans euern harten We-
gen! — Mit derselben Lebhaftigkeit werden die Sünder nach ih-
ren einzelnen Verbrechen angefahren, gewöhnlich mit dem Aus-
rufe pfi} der in der alten Sprache einen weit allgemeineren Sinn
hatte, als unser jetziges pfui; pfi du relite tcerin! 58. pfi si-
mon! 13. pfi trüllerin ! 126. pfi fräz! 196. pfi Verräter!
5q und in fast allen Predigten pfi gitiger! Selbst diese und
ähnliche Wiederholungen, wieder nach jedem Verdammungsur-
theil mild hinzugefügten Klausel: Buße und Reue ausgenommen!
müssen zum Nachdruck beygetragen haben. Dahin gehören auch
seine Lieblingsformeln.' du mußt so lange zur Hölle seyn, als
Gott ein Herr im Himmel ist, i33, 193, 200, und: der Teufel
wird dir den Lohn dafür geben, ihm zerrinne dann alles Feuers,
das er irgend har! 70, 126, 307, 319, 382.
Ich bin unvermerkt wieder in die Eigenheiten der Bertholdi-
schen Beredtsamkeit hineingerathen, von denen ich lange nicht
alles, doch genuq angeführt habe, um auch andere zur Lesung des
merkwürdigen Buches zu reizen. Keins unter den verwichenen
Jahrhunderten ist in vieler Beziehung unserer Gegenwart so ver-
gleichbar, wie das dreyzehnte, ich meine in Empfänglichkeit für
r sittliche und geistige Ausbildung. DaS feine, gesellschaftliche Le-
^tan^ kctma^ in manchen Stücken auf der Spitze, für äußer-
/' c ' riches Benehmen und Betragen scheint eine feste Regel gegolten
zu haben, die später ganz verwilderte? Und selbst diese Verfeine-
rung zeigt sich noch deutlich im Zusammenhang mit der älteren
rohen Zeit, aus der sie wie eine Blüte hervortrat, während die
Lebensart unserer Tage oft aus der Fremde geborgt, und, so gefäl-
lig sie dünken mag, undeutsch ist.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
-;;c t - v . ;-y ■■ ■ ;r .
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
l8s5.
Altdeutsche Predigten-
2L7
Dem Herausgeber dieser Predigten gebührt das ausdrück-
liche Lob, mit Geschick und Kenntniß dabey verfahren zu seyn.
Ohne die alte Sprache gründlich zu verstehen, hat er doch dem Tert
fast überall sein Recht angethan, und ihn, wie man leicht merkt,
im Ganzen wohl begriffen. Einige Verstöße und Versehen habe
ich im Vorausgehenden angemerkt. Die Vorrede versprach ein
Wörterbuch, das im Laufe des Sommers 1824 erscheinen sollte,
aber nicht erschienen ist. Erfreulich wäre, wenn Hr. Dr. Kling
Lust und Muße gewönne, vorläufig und bis einmal mehr gesche-
hen kann, noch einen zweyten Band der vorzüglichsten Reden
Berthold s nachfolgen zu lassen. Vielleicht hätte er oder ein
Dritter mittlerweile auch die Straßburger Handschrift, die zweyte
Heidelberger, so wie das eigentliche Verhältniß der lateinischen
zu prüfen Gelegenheit. Jakob Grimm.
Art. X. Organon der Heilkunst von Samuel Hahnemann, dritte
verbesserte Auflage. Dresden in der Arnoldischen Buchhand-
lung , 1824.
23er) einiger Aufmerksamkeit auf den reichen Schah, den
Dr. Samuel Hahnemann der Arzneywissenschaft in seiner
neuen Heilmethode verspricht, ist es auffallend, wie wenig öffent*
lichen Antheil die Aerzte des österreichischen Kaiserstaates bis-
her an diesem Gegenstände genommen. Außer Professor Bi-
schofs^), und wenigen Andern, hat unseres Wissens noch
Keiner derselben seine Meinung über diese neue Methode
öffentlich bekannt gemacht. Es ist immer besser eine Sache ihrem
eigenen ruhigen Gauge zu überlassen, als sie vor ihrer weitern
Entfaltung mit einem fremden Maßstabe in ihrer Breite und Tiefe
anszumeffen.
Doch die Sache, wohin sie nun bereits gekommen, fängt an,
nicht mehr eine bloße Kontroverse unter Aerzten und Gelehrten zu
seyn, sie treibt ihre Wurzel schon in das wirkliche Leben, und
wuchert da um so stärker, je weniger sie fruchtbare Saat antrifft,
und je mehr das Erdreich für neue erotische und einheimische Setz-
linge dieser Art aufgelockert ist. — Der Stand der Dinge for-
dert ein ernstes Wort, und eine genauere Prüfung des neuen,
uns so hochgepriesenen Heilweges, scheint Pflicht für jeden redli-
chen Arzt zu seyn. Doch darf an die neue Lehre kein frem-
der Maßstab gelegt werden, sie muß aus ihrem tieferen Schacht
i) Ansichten über das bisherige Heilverfahren und über die ersten Grund-
sätze der homöopathischen Krankheitslehre, von Ignaz Rudolph
Bischofs, Professor der medizinischen Klinik, und Primarärzte:c.
Prag, »Lig.
l7
T
*
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
Hahrremannische Heilmethode.
die Goldstufe oder das taube Gestein — gleichviel — selbst zu
Tage fördern/ wenn sie als Grundlage eines neuen Lehrgebäudes
oder Systems sich geltend machen will. Auf diese Art kann uns
auch ihr Stifter keiner Unredlichkeit oder vorgefaßten Meinung
beschuldigen/ wenn wir treu/ aber prüfend/ wozu er selbst auf-
fordert/ nur das wiedergeben / was in seinen Schriften und in
der Apotheose der neuen Schule als Heilschatz niedergelegt ist.
Reflexion und strenge Konsequenz in Auffassung seiner Lehrsätze
wird uns daher Dr. H ahnemann um so bereitwilliger zuge-
stehen/ als er selbst nur/ nach seiner eigenen Versicherung *)/
durch vielseitige Erfahrungen und durch Schlüsse zu seiner Fund-
grube/ und zu den ersten Sätzen seiner neuen Lehre gekommen ist.
Der Trieb nach Wahrheit liegt unmittelbar in dem Wesen
des menschlichen Geistes. Ze gesetz- und schrankenloser sein Trei-
ben im Gebiete der Wissenschaft und Kunst ist/ desto mannigfal-
tiger sind seine Produkte und Lehrsysteme. Nur in dem Gesetze
und der Schranke liegt die Wahrheit für das Endliche. Darum
weiset uns jedes Zeitalter neue Produktionen und Formen dieser
Art auf/ die jedesmal um so abeuteuerlicher gestaltet sind / je
mehr sich die geistige Thätigkeit darin von ihrem Urlypus des Ge-
setzes und der Schranke entfernte. So sehen wir auf dem Ge-
biete unserer Kunst/Dogmatiker und Empiriker, Jatromathemati-
ker und Chemiejatriker/ Humoral- und Solidarpathologen auf
dem Kampsplatze wehrhaft um die Siegespalme der Wahrheit
ringen. Daß auch unsere Zeit dieses Kampfes nicht los werden
kann, liegt am Tage. So hatte vor Kurzem England seinen
Brown/ Italien gegenwärtig seinen Rasori/ Frank-
reich seinen Broussais. Konnten wir in unserem deutschen
Vaterlande/ das innerhalb dreyer Dezennien drey philosophische
Systeme erlebte/ wohl erwarten/ daß diese Nebelbänke so ruhig
über und neben uns hinziehen würden/ ohne wenigstens den deut-
schen Forschungsgeist auch anzuregen? Der Gegensatz ruft im-
mer nach der Einrichtung des menschlichen Denkgeistes einen an.
dern hervor/ ohne daß darum immer die Wahrheit schon in letz-
terem enthalten wäre. Wenn Brown sich an den heiligen Ge-
setzen der Natur schwer versündigte; wenn Broussais seine
Kranken blutlos sterben läßt; wenn Rasori durch ungeheure
Arzneygaben die letzte Anstrengung der Natur vernichtet: ist dar*
um die bloße Unterlassung dieser schweren Sünden das Einzige/
was für die Rettung des Kranken gethan werden kann/ und vom
redlichen/ wissenschaftlich gebildeten Arzte auch wirklich unzählige
Mal gethan wird? Wenn H a h n e m a n n mit seinem Billiontel-
und Dezilliontel-Gran Arzney feinen Kranken die noch mögliche
•) Organon §• 56.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 29
YX9fjf
QpCARD 101
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