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* Verthold, des ^krsneisRaners
veulsehe Vrediglen»
aus der
zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts,
theils vollständig, theil« in Auszügen.
Herausgegeben
von
Christian Friedrich Kling.
Dt. d. Philesophle und Repetent b. d. Theok. Fakultät in Tübingen.
Mit einem Vorwort
von
Dr. A. Keander.
V erlin»
bei Ferdinand Dümmter.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Vorwort.
Zeit wollte es mir nicht erlauben, das mei-
nem nun abwesenden Freunde geleistete Verspre-
chen zu erfüllen und seine Arbeit mit einer Dar-
stellung des religiösen Zustandes des merkwürdi-
gen Jahrhunderts zu begleiten,« welchem Berthold
lebte und in welchem die Bettelmönchsorden, als
Gegensatz gegen die durch Ueberfluß von irdi-
schen Gütern verderbte Geistlichkeit, als Anre-
gungsmittel eines lebendigen Christenthums in den
unter der Masse der Satzungen und des Mecha-
nismus in der ersterbenden Kirche (ähnlich wie un-
ter andern Verhältnissen die Methodisten) einen
so wichtigen und oft nicht gehörig anerkann-
ten Platz einnehmen. — Ich muß in dieser
Hinsicht diejenigen unter den geneigten Lesern,
welchen eine solche Darstellung durch meine ge-
ringen Kräfte hätte willkommen seyn können, auf
dasjenige verweisen, was ich im fünften Bande
meiner Denkwürdigkeiten zn leisten suchen werde.
Es bleibt mir also nichts übrig, als Len herzli-
chen Wunsch auszudrücken, Laß BertholdS kraft-
volle und einfache Sprache recht viele Theilneh-
mer, und die treue Arbeit meines theuren Freun-
des recht weite Anerkennung finden möge.
August Neander.
Berlin, den 5ten August 1824.
l
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Vorrede des Herausgebers.
Auf Ermunterung meines theuren Lehrers, des
Herrn Dr. Neander, habe ich es gewagt, die
Herausgabe dieser Predigten an seiner Statt zn
übernehmen, da ihn anderweitige Arbeiten davon
abzogen. Die Herausgabe hat sich aber über
die Zeit hinaus, welche in der Ankündigung in
den Neanderschen Denkwürdigkeiten B. 2. be-
stimmt war, verzögern müßen, theils weil ich
mich in dieses mir noch fremde Sprachgebiet erst
ein wenig hineinarbeiten mußte, was vornehmlich
durch mehrmaliges Durchlesen dieser Sammlung
geschehen ist, theils weil manche neue wissen-
schaftliche Anregungen sowohl durch ihre Fülle
als durch ihre Beschaffenheit mich auch eine Zeit-
lang von diesem Gegenstände entfernt hielten.
Und auch izt kann das angekündigte Wörterbuch
noch nicht mit erscheinen, weil ich etwas ganz
flüchtig gemachtes nicht kiefern mochte, und zu
sches Staatsarchiv
etwas anderem die Zeit nicht zureichte, zumal da
meine Rückkehr nach Tübingen sehr beschleunigt
werden muß, was mich auch nöthigt, die Correc-
tur fast der Hälfte des Buchs aus der Hand zu
geben, und die Hülfe von Freunden in Anspruch
zu nehmen. Etwas anderes, was angekündigt
war, habe ich ganz weggelaßen, nemlich einen
Auszug aus gleichzeitigen Anweisungen zum Pre-
digen. Auch dieses hätte noch eine Zeit erfor-
dert, die mir nicht mehr zu Gebote stand; zudem
wollte ich die räumliche Ausdehnung lieber hier
beschränken, und dafür der Predigten selbst und
der Auszüge desto mehr geben, was mir, wie ich
hoffe, eher zum Danke als zum Vorwurf gerei-
chen wird. Bloße Auszüge zu liefern, wie es
eigentlich angekündigt war, fand ich bei weiterem
Eingehen in die Arbeit nicht zweckmäßig, und
am liebsten hätte ich die ganze Sammlung zum
Abdruck befördert, wenn das Buch nicht auf diese
Art zu voluminös geworden wäre. Es wurde
mir immer entschiedener, daß sich der Charakter
eines Zeitalters und einer einzelnen Erscheinung
desselben so sehr in der ungetrennten Einheit von
Stoff und Form kund giebt, so daß es sich mir
zur Aufgabe gestaltete, beide in dieser Einheit
auch hier hervortreten zu laßen. So habe ich
denn eine Reihe ganzer Predigten ganz in der
ursprünglichen Gestalt mitgetheilt, und diese den
größeren Theil des Raums einnehmen laßeu. Ob
mich bei der Auswahl derselben jederzeit das rich-
tigste Gefühl geleitet habe, darüber habe ich keine
Stimme, und möchte auch mit niemand darüber
streiten, ob sie nicht mitunter auf eine beßere
Weise hätte geschehen können. Jedoch steht mir
das immerhin fest, daß es bedeutende und dem
Zweck der Herausgabe entsprechende Stücke sind.
Dieser ist nemlich wie schon aus -er Ankündi-
gung erhellt, vorzugsweise ein historischer, einen
Beitrag zu geben zur Anschauung jenes Zeital-
ters der Kirche von seiner schönen und erfreuli-
chen Seite sowohl, als von der trübem und dun-
kleren, wie sich beide darstellen in dem Worte
eines ernsten und kräftigen Predigers, dessen per-
sönliche Eigenthümlchikeit selbst in der Darstellung
und Behandlung der christlichen Wahrheit und
menschlichen Angelegenheiten in Beziehung auf
diese durch ihre Originalität und frische Kräftig-
keit anziehen und Interesse abgewinnen muß.
Berthold scheint in Hinsicht der homiletischen
Darstellung eine eigne mittlere Stelle einzu-
nehmen zwischen dem früheren großen Redner
des Mittelalters, dem h. Bernhard und zwischen
IV
dem späteren gefeierten Volksprediger, dem Abra-
ham a sancta Clara. Er steht der gemeinen
FaßungSkraft weit näher, als jener, deßen Leben
in Thätigkeit im Großen und einsame Betrach-
tung getheilt war, und der oft das Speculative
stark vorwalken läßt; wogegen Berthold mit dem
ganzen Volksleben in allen seinen Verzweigun-
gen wie Ausartungen innig vertraut und von vor-
herrschend practischem Sinn durchaus leicht faßlich
für jeden spricht, und das Speculative nur selte-
ner erscheinen läßt, und zwar als ein Fremdes
und Ueberliefertes, und dem gemeinen Verstände
näher gebracht, auch so, daß er sich immer bald
wieder zum Praktischen hinwendet, und dem Grü-
beln über geistige und himmlische Dinge nicht Raum
gibt. Dagegen, so auffallend auch uns manches
bei ihm sein mag, ist er nicht so sehr in die
Weise und den Ton des Volks hinabgezogen, wie
Abraham; er ist viel gehaltener, feine Populari-
tär edler, seine Bilder gewählter, seine Wendun-
gen nicht so vorherrschend komisch, obwohl auch
dieses manchmal nicht fehlt, und eine große Nai-
vität durchaus nicht zu verkennen ist. Indeß soll
das kein Vorwurf sein für jenen, deßen Indivi-
dualität einmal auf diese Weise ausgeprägt war,
und in dieser Form die, gewiß auch von ihm er-
V
fahren?, göttliche Wahrheit aussprach, und gewiß
auch so mit Segen gewirkt hat unter einem Volke,
deßen Charakter ja besonders in einer komischen
Naivität sich ausspricht. Auch bei ihm verbindet
sich mit dem frischen Sein im äußern Leben ein
gewißer tiefer mystischer Zug von dem das ganze
Mittelalter gefärbt ist, und ohne deßen Beach-
tung und Würdigung man diese gewiß auch in
sich herrliche und große Entwicklungsperiode der
Menschheit nie ganz verstehen und nach Gebühr
schäzen wird. Diesen Zug nach der Tiefe wird
man in Berthold nicht vermissen, so wie auch
einen anderen nicht, der in allen Erscheinungen
des Mittelalters, in den Liedern der Minne, wie
in dem großen Gebiet der Scholastik, in den Rie-
senwerken der gothischen Baukunst, wie in dem
ganzen ritterlichen Leben sich immer auf's neue
darstellt, das In - und Nebeneinander des Größ-
ten und des Kleinsten, des Bedeutsamsten und
des Geringfügigsten, in welcher Verbindung und
Einheit ja die höchste Wahrheit liegt, und welche
auch so wesentlich das ganze Christenthum durch-
dringt, wie sie denn auch ein nothwendiger Aus-
druck ist der Liebe, die in ewig jugendlicher Frische
durch das Christenthum über unser Geschlecht sich
verbreitet, und deren jugendlicher Charakter im
archiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 124
VI
Mittelalter so besonders hervorgetreten ist, und
die ganze Eigenthümlichkeit desselben bestimmt.
Dies durch die verschiedenen Gebiete des Le-
bens durchzuführen, ist hier nicht der Ort; und
es kann diese Lobpreisung auch nicht im Sinn
derer gemeint sein, welche den Geist und Fort-
schritt der Geschichte miskennend, uns gerne zu-
rückführen möchten in jene Zeit der empfindsa-
men Minne, der ritterlichen Galanterie, des ari-
stokratischen und hierarchischen Feudalismus, des
gebundenen Glaubens und der durchgängigen Ver«
Mischung des Weltlichen und des Kirchlichen. Die-
ses also hat seine historische Nothwendigkeit ge-
habt, und nur ein in der Gegenwart befangener
Sinn kann wollen, eö möchte ganz anders gewe-
sen sein. Aber es müßte auch ein Anderes auf
jenes folgen; und dieses Neue ist theuer erkauft
worden. Und obwohl wir im Christenthum, das
ewiges Leben ist, nichts mehr wissen von Altern
und Abnehmen, und einer ewigen Jugend uns
erfreuend mit Liebe alles Jugendliche anschauen
und in uns zu einem lebendigen Bilde gestalten,
so wäre eö doch eine Verkehrtheit, in der Periode
männlicher Reife und Freiheit zu dem zurückkehren
zu wollen, was von der Jugend das Vorüber,
gehende und Unvollkommnere ist, zu den Unreifen
VII
und Gebundenen. So können wir denn nament-
lich mit Liebe und Freude den Katholicismus
des Mittelalters anschauen nnd dennoch von gan-
zem Herzen unsers Seins in der protestantischen
Kirche uns freuen. Hier kann es nur darum zu
thun sein, einige Winke zu geben, wie sich in
Berthold der Geist seines Zeitalters ausspricht.
Jenes Chaotische des jugendlichen Lebens, je-
nes durch einander geworfen sein widerstreitender
Elemente zeigt sich z. B. überall in der Art, wie
Alt- und Neutestamentlicheö bei ihm ineinander
ist. Nicht als wollte ich verkennen das treffende
so mancher Darstellungen des Vorbildlichen und
die Wahrheit des großen Gedankens, der dabei
zum Grunde liegt; aber der Geist des Gesetzes
und der Geist des Evangeliums sind noch nicht
geschieden. Der letztere erscheint als Leben im
Gemüthe, aber er hat die Form noch nicht durch-
drungen und ist sich des Widerstreits zwischen
ihm und dem Alte» noch nicht klar bewußt, wie
denn auch wir noch immer daran Noth leiden,
und entgegengesezte Extreme auf gleiche Weise,
wie denn die neuere Behandlung und Schätzung
der Moral abgesehen von der innern Lebensquelle
des Glaubens an den Erlöser nur eine andere
Form des alten Judaisirens ist. jAuch die ganze
VIII
Gebundenheit seiner Zeit in Leben und Lehre
theilt Berthold. Das zeigt sich in der ganzen
Art, wie er die Seligkeit abhängig macht vom
Annehmen einzelner Lehrmeinungen, und in sei-
nem Losziehen gegen die Ketzer, welches jedoch
ganz natürlich war und keinem einzelnen zum Vor-
wurf gemacht werden darf in einem Zeitalter, wo
das Christenthum die Masse noch nicht so durch-
drungen hatte, wie das in der protestantischen
Kirche sein soll und auch insoweit ist, als nicht
Trägheit und Nachläßigkeit es gehemmt hat, und
wo daher noch nicht das sichere Bewußtseyn des
festen Besizeö Raum gewonnen hat, das in un-
serer protestantischen Kirche mit einer ganz be-
sonderen inneren Zuversicht fest steht, in dem
Maaße als ihre Entwickelung ungetrübt und frei
ist. Wie es aber unchristlich wäre, wenn ein zu
freierem Glauben Hindurchgedrungener den noch
Gebundeneren in seiner eigenen oder einer frem-
den religiösen Gemeinschaft deshalb geringer ach-
tete, anstatt das Werk des Einen und selbigen
Geistes in ihm zu erforschen und zu lieben; so
wäre es auch zuwider dem Geiste der das ganze
Werk Gottes in Christo umfassenden Liebe, wenn
wir die früheren Wirkungen des Geistes in einer
gebundeneren Form, als die unsrige ist, verken-
IX
nend, die Organe desselben niedriger stellen woll-
ten und uns selbst erheben. So nehme ich denn
auch die Achtung meiner protestantischen Glau-
bensgenossen für Berthold in Anspruch, obwohl
ich ihnen nicht vorenthalte, daß er ganz in der
Lehrform der katholischen Kirche eingewurzelt ist.
So steht ihm fest der eigenthümliche Vorzug des
priesterlichen Standes, den wir immer völliger
verschwinden zu machen uns berufen fühlen; so
die Lehre von der Verwandlung, von dem Werth
der guten Werke, von der Würde der Jungfrau
Maria, von der höher« Heiligkeit des ehelosen
und jungfräulichen Lebens. Das Vermittelnde
und Versöhnende, das in der Vereinigung der
Gottheit und Menschheit in Christo liegt, erscheint
häufig als liegend in der h. Jungfrau, und Chri-
stus wird oft blos als Gott dargestellt, bei dem
sie Fürbitte einlegt. Der Glaube kann hier nicht
in der tiefen Bedeutung erscheinen, die hernach
durch Luther wieder zum Bewußtsein gebracht
worden ist; und in der Lehre von der Gnade
pelagianisirt Berthold, so reine Aeußerungen auch
zuweilen vorkommen. Auch hier wird man Dis-
parates vermischt finden. — Es sei genug an
diesen Winken, denen sich noch vieles hinzusetzen
ließe. Nicht übersehen muß man auch, wie ernst-
ssisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
ammt «MS
lich und unverholen oft dem Inneren sein Recht
gerettet wird gegen das blos Aeußerliche, und
wie kräftig die Mißbrauche auch der Geistlichkeit,
und vornehmlich das Ablaßpredigen gerügt wird.
Jeder unbefangene Leser wird den entschiedenen
Eindruck bekommen, daß es dem Prediger ernst-
lich um das Seelenheil der Gemeinde zu thun
ist, und wie er zärtliche Liebesbitte und scharfes
Drohwort in gleicher Absicht gebraucht — Bert-
hold selbst ist FranziskanermZnch, wie er das andeu-
tet in der zten Predigt, wo er von dem h. Fran-
ciscus sagt: Er war ein Bruder unseres Ordens.?^.
Als Ort seinerWirksamkeit tritt aus mehreren Stel-
len uns Augsburg entgegen, (z. B. in der^6teä,
? '^Sten^Men Pr. u. s. f.) — Auch sein Zeitalter ist
leicht zu erkennen aus den Kennzeichen, die er an-
gibt. Es ist noch die Rede vom Nehmen des
Kreuzes (i/fte Pr. gegen das Ende), also die Kreuz,
züge sind noch nicht geschloßen; die Ablaßprediger
werden als neuerlich Aufgestandene dargestellt, (i4te
Pr.) das Märtyrerthum als geschloßen dritthalb-
hundert Jahre nach Christi Geburt und von da an
nun über tausend Jahre (i2te Pr.). Es werden
Kriege angeführt, als kürzlich vergangen, worin
Rudolph von Haböburg rc. vorkommt; (i6te Pr.)
^ j <2, , Die h. Eliftbeth als in diesen Zeiten heilig ge-
— -
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
XI
worden. Das alles führt auf die leßtere Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts, als die Zeit seiner
Wirksamkeit, und so viele Schilderungen geben
auch ein klares Bild einer Zeit der Anarchie und
des Raubs, wie die war, in welche Rudolph, Ruhe
und Ordnung stiftend eingegriffen hat. — Die
Sammlung, wie wir sie vor uns haben, ist sicher
nicht von Berthold selbst, was aus den Anfüh-
rungen oft mehr oft weniger deutlich erhellt.
Denn öfters, (z. B. in der 6ten Pr.) wird Bert-
hold geradezu so citirt: „als er do feit" (wie er da
sagt), und nur ein paarmal beruft sich Berthold
selbst, aber im Zusammenhang der Rede auf eine
früher gehaltene Predigt. Der Sammler muß aber
mehrere kleine Sammlungen vor sich gehabt ha-
ben. Denn er beruft sich z. B. in der igten Pre-
digt auf ein kleines Büchlein, worin mehrere Ser-
mones stehen; eben so in der ZZten. — Die
Ordnung der Predigten hat er wol nach eignem
Gutbestnden gemacht; die Handschrift zur Heidel-
berger Bibliothek gehörig,^ist etwa ein Jahrhun-
dert später als die ursprüngliche Abfaßung der
Predigten. Am Schlüße ist nemlich bemerkt.
Laß Elisabeth Pfalzgrävinn am Rhein und Her-
zogin in Baiern dieses Buch habe schreiben laßen
oder geschrieben habe (hat gejätet). Sie ist sehr
f n ‘ xm
XII
deutlich geschrieben, und in der Regel auch ziem-
lich. correct. Außer einer bedeutenden Anzahl voll-
ständiger Predigten enthält sie noch eine Reihe
von kleineren oder größeren Fragmenten, welche
zum Theil wohl noch mehr zerlegt werden müßen.
Von diesen habe ich einige schöne Stellen aus-
gehoben, zu denen sich leicht noch mehrere hätten
hinzufügen laßen, wenn es die Zeit vergönnt
hätte. In den Auszügen fand ich für gut, die
alte Sprache zu verlaßen, um mit mehr Freiheit
den Stoff auswählen und zugleich den Zusam-
menhang festhalten zu können, einzelne Stellen
ausgenommen, die ich mir nicht getraute, getreu
wiederzugeben oder worin es mir besonders an-
gemessen schien, die ursprüngliche Form genau
vorzulegen. Daß ich darauf ausgegangen, vor-
züglich Charakteristisches und an sich Schönes
und Bedeutendes herauszuheben, wird leicht zu
erkennen sein. — Da ich auswählen mußte un-
ter der Masse der Predigten, so mußte ich auch
die Ordnung bestimmen. Dabei habe ich den
Zweck des ganzen Unternehmens nicht aus den
Augen gelaßen, und es für zweckmäßig erachtet,
zuerst die großen Umriße des äußeren Zustandes
der Kirche hervortreten zu laßen, und durch daö
Gesetzliche hindurch zu dem Inneren der Gesin-
t
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
XIII
nung und zu der Aeußerung derselben fortzuschrei-
ten; darnach die Versuchungen in der Entwicke-
lung des christlichen Lebens zu entfalten, und
von da überzugehen zur Darstellung der über alle
Versuchungen erhabenen Vollendung die wiederum
auf das sie Hemmende oder Fördernde hinführt.
Im Wesentlichen derselbe Gang ist in den Aus-
zügen genommen. — Die Anmerkungen beschäf-
tigen sich größtentheils mit der Feststellung des
Textes; sollten Uebereilungen darin vorgekommen
sein, die sich mir selbst kund geben oder auf die
ich aufmerksam gemacht werde, so sollen sie ihre
Berichtigung finden, wozu die Erscheinung des
Wörterbuchs im Laufe dieses Sommers Gelegen-
heit geben wird. Die erläuternden Anmerkungen
sollen nur Winke zum Verständniß sein; an ein-
zelnen schwierigen Stellen fehlen sie, weil ich
nicht ganz ins Reine damit kam. Die Iuter-
punction mußte ganz neu geschaffen werden, da
die Handschrift nur Punkte hat, die oft fehlen,
wo wirklich Abschnitte sind; oft stehen, wo nicht
einmal ein Komma zu setzen ist. Hierin nun das
Richtige zu treffen, war sehr schwierig und setzte
ein genaues Verständniß des Inhaltes und eine
sorgfältige Kenntniß auch des Feineren der Sprache
voraus. Daß ich hierin nicht immer ganz sicher
XLV
war, brauche ich nicht zu verhehlen; auch nicht,
daß eine vollkommne Consequenz darin öfters ver-
mißt werden wird, und froh, wenn ich nur eini-
gen Vorschub hierin gethan zum Verständniß des
Buchs, muß ich dem Leser es überlassen, die
Jnterpunction selbst neu zu schaffen, wie daS ja
überall geschehen sollte, wo die Jnterpunction
ein spateres Werk ist und nicht dem Verfasser
einer Schrift selbst angehört. — In der Recht-
schreibung bin ich mit möglichster Treue der Hand-
schrift in ihren mannigfaltigen Schwankungen und '
Ungleichmäßigkeiten gefolgt. Ich hoffe damit die
Zufriedenheit der Kenner eher zu gewinnen, als
wenn ich eine bestimmte Weife derselben durch-
geführt hatte. So manches Eigenthümliche und
Provinzielle wäre dabei verloren gegangen, und
ohne alle Willkühr hätte es wol auch nicht ge-
schehen können. Besondere Schwierigkeiten mackste
das U, welches in der Handschrift dieselbe Bezeich-
nung hat für verschiedene Laute, für iu, ü und ue.
An manchen Stellen jedoch steht wirklich ü, z. B.
für, crüce, wo sonst für oder für rc. steht. Ich
habe hier immer unser ü gesetzt, welches sich auch
leicht zu verschiedenen Aussprachen hergibt. Doch
soll auch das Wörterbuch hierin noch einigerma-
ßen zu Hülfe kommen. — Wo wirklich Worte
XV
ausgefallen schienen, oder doch wenn sie da stan»
den, den Sinn einleuchtender machten, habe ich
sie in den Text gesetzt und eingeklammert. Von
manchen der Texte und der eitirten Stellen der
h. Schrift habe ich den Ort angegeben, weil er
mir gerade beifiel; wo dies nicht der Fall war,
habe ich es unterlassen, weil mir nicht gerade die
Hülfsmittel zum Nachsuchen bei der Hand wa-
ren. — In den Auszügen habe ich öfters Stel-
len aus den ganz abgedruckten Predigten citirt.
Bei den schon gedruckten gab ich die Seite an,
bei den noch nicht gedruckten, die Nummer des Ab-
drucks und der Handschrift, die lehtere eingeschlo-
ßen; bei den Citationen aus blos ausgezogenen
Predigten aber blos die Nummer der Handschrift
Vor den ersten Predigten sind ausführlichere In-
haltsangaben gemacht, nachher nicht mehr, des
Raums wegen und weil es nicht wesentlich schien.—-.
Das ist es ungefähr, was über das Verfahren
bei dieser Herausgabe gesagt werden muß; zu-
gleich suche ich noch Nachsicht für die letzten Aus-
züge, weil sie mitten in die Unruhen der Abreise
fielen. Und so sei denn dieses Puch der freundli-,
chen und ernsten Beurtheilung der Kenner em-
pfohlen! Vor allem aber befehle ich es der seg-
nenden ßeitung des Geistes, der die Kirche be-
feest und jedes Guten Urheber und Bewahrer ist,
und wünsche daß es nicht ganz ohne Frucht sein
möge für die Sache dessen, der uns Alles in
Allem sein soll, und ohne den wir auch nichts
vermögen, was wahrhaft und bleibend ist.
Berlin, den ersten Ostertag 1324.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Jnhaltsanzeige.
(Die in Klammern befindlichen Zahlen beziehen sich auf die Handschrift,)
I. Ganze Predigten.
Darlegung des Zustandes der Christenheit.
Innere Organisation im Allgemeinen.
Seite
^ ^ ite Predigt. Leitende und schützende Ge-
walten............................................. bis 28. (Fol. 143. b.)
IÖ,atc Pr. Verschiedene Stande der Christen-
heit. ...... 29—56. (fol.58.)
Allgemeine Vorschriften für die Glieder
, der Christenheit.
- 4'3te Pr. Von den zehn Geboten. . 57 — 96.(501.107.)
^4tePr. Ein geistliche lere von gutem leben. 97 —101. (fol. i36.)
Christliche Gesinnung und deren Ge-
i gmsaz.
btt Pr. Von sieben Tugenden und dem
was denselben entgegensteht. . 112 — 1Z9. (fol. 22.)
6te Pr. Darstellung der christlichen Gesin-
nung an der h. Maria Magdalena r4o —-160. (fol. 214.)
II, 7*e Pr. Darstellung der vier Haupttugen-
den durch ein Natursmnbild. ^ *61 —182. (fol, 65.)
Y 8te Pr. Werth der Tugend und Kraft der-
I selben in Bekämpfung der Untugenden. i83 — 206. (fol. 39. b.)
Versuchungen und Gefahren im Christen-
laufe.
A gte P. Von den drin lagen , . 207-7235. (fol. i3.b.)
Sette
s Vollendung des ChristenLaufs.
rote Pr. Von achtleye spise in demhimel-
riche. ...... 236 bi$ 254. (fol. 90.)
Hemmungen und Förderungen der Er-
reichung des Ziels.
\1 ute Pr. Von dem fride. . . 255— 279. (fol. 95.)
r L 12tc Pr. Dreierlei Hindernisse des seligen
Anschauen- Gottes. . . . 28c— 309. (fol. *55.b.)
II. Auszüge und einzelne Stellen.
Obliegenheiten der Christen.
Von dm fünf Pfunden, (in der Hand-
schrift die sie Predigt.) . . 3io —«3i4. (fol. 6.)
Gegensatz der Tugenden und Sünden
in der Christenheit.
a) Darstellung desselben nach ihrer innern
Verschiedenheit.
Von dem niderlande und von dem ober-
lande (in der Hds. d. 18. Pr.) . 315— 3lg, (fol. sox.)
Von zwelf fünden und von sieben lügen-
den (in der Hds. d. 33te Pr.) » Z20--Z28» (sol.. 207.)
Wie man die werlt in zwelfe teilt, (in der
Hds. d. 2gte Pr.) . . . 329—333. (fol. 184 b.)
b) Gegenernandertreten der Gegensätze.
Hülfe aus dem Sündenelend.
Von zwelf scharn Josue. (in der Hds. d.
i3te Pr.) ..... 334—33g. (fol, 74. b.)
«0 Betrachtung der Tugenden und ihres
Gegensatzes nach den Gegenständen
derselben. '
Bon zwein und virzig Lügenden» (in d er
Hds. d. 28te Pr.) . . . 34o — 35o, (fol, 176, b.)
d) Darstellung der Sünden nach ihrem
Verhältniß zu verschiedenen Altern
und Lagen.
Von vier stricken, (in der Hds. d. 3ote Pr.) 35r —356. (sol. 189.)
Von den vier stricken, (in der Hds. d.
2vte Pr.) » .... 357—362. (sol. 116. b.)
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Seite
«) Darstellung der Tugenden und Sünden
nach ihren Stufen»
Von den vier dienern gotes. (Ln der Hds.
d. 24te Pr.). .... 363 370, (£01.149*^)
Vier ding gehörnt darzu, daz du den min-
nesten lon in dem himelrich verdienst.
(in der Hds. d. 35. Pr.) . ♦ 371—377. (fol. 218. b.)
Bon sieben über grozen fänden (in der
Hds. d. i4te Pr.) . . . 678 — 386. (fol. 80. b.)
Von rueffenden funden, (in der Hds. die
6te Pr.) ..... 387 — 3g2. (föl. 33. b.)
Von sehs mordern. (in d. Hds. d. gte Pr.) 393 — 397. (fol. 52.)
f) Darstellung der Sünden nach ihren ver-
schiedenen Classen und Arten.
Von der ussetzigkeit. (in d. Hds. d. 8te Pr.) 098—404. (fol, 46. b.)
Von dez libcS sichtüm und der fele tot.
(in der Hds. d. 32te Pr.) . 4o5 — 409. (fob 20I.)
Von fünf schedelichen funden, (in der Hds.
d. 27te Pr.) .... 410—419. (fol. 170.)
Von den freineben fünden, (in der Hds.
d. i5te Pr-) . 420 — 423.
Wege aus den Sünden heraus und üs6
Himmelreich hinein.
i) Beschaffenheiten, Zustände und Thätig-
keiten des Menschen.
Daz etteliche iehent: tu daz güte und laz
daz übel. (Luder Hds. d. ite Pr.) 424 — 428.(501.2.)
Von zweien wegen der büze und der un-
schülde. (in der Hds. d. 5te Pr.) 429 — 435. (fol. 28.)
Don zweien wegen, marter und erbermede.
(in der Hds. d. i2te Pr. . . 486—438. (fol. 70.)
2) Göttliche Anstalten und Ordnungen.
Von sieben sacramenten. (in der Hds. d.
2ote Pr.) .... 439—447. (fol. n6. b.)
Von der e. (in der Hds. b. 2ite Pr. 448 — 454. (fol. 124.)
Vier hande lute führt got» (in der Hds.
d. 4ite Pr.) * * . 455— 457. (fol. 235.)
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Seite
Von dem nütze unsers Herren todes. (in
der Hds. d. 461e Pr.) . - 458 bis 459.(^1.246^.)
Wie 90t in der seke wonünge hat ♦ 460 — 461.
Die drei ersten Tagewerke der Schöpfung. 462 —46Z.
Wie got sinen heiligen lont. . . 464-
Wie Gott selber mit der Seele redet. 465 — 466.
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I. Ganze Predigten.
Darlegung des Zustandes der Christenheit A) Unter der
Form von Institutionen.
r) Innere Organisation im Allgemeinen.
Erste Predigt. (2Zte) Leitende und schützende Gewalten, oder:
von den drin müren. Text Matth. i3, 44.
Inhalt.
Der Acker, dem das Himmelreich verglichen wird, ist die Christen-
heit, der Schatz darin die Seele des reinen.Christen; diese hat
Gort mit Hingebung seiner selbst erkauft, und ihretwegen
eine zärtliche und treue Pflege der Christenheit zugewendet,
wozu auch gehört, daß er sie kräftig geschützt hat durch drei
Mächte, 1) das geistliche Gericht. 2) OaS weltliche Gericht.
Große Wichtigkeit und große Verantwortlichkeit beider. Trau-
rige Folgen ihrer Nachlässigkeit und Verkehrtheit. 3) Ergän-
zung beider, nothwendig bei der Gebrechlichkeit, an der sie lei-
den, die heiligen Engel, gesetzt über größere und kleinere Ge-
biete, auch über jeden einzelnen einer, zum Schutz gegen die
Teufel. Ihr Fürst St. Michael. Ihre Feindschaft gegen
die Sünder. Göttliches Dulden derselben, a) damit durch die
Leiden, die sie von den Ungerechten erfahren, die Frommen^
in Geduld sie tragend und mit lauterem Herzen vergebend, an
Lohn im Himmel gewinnen und des Fegfeuers ganz oder
zum Theil überhoben werden, d) damit auch die Bösen, als
nach Gott gebildet, seine Güte eine Zeitlang genießen c) um
ihnen die Bekehrung noch offen zu erhalten. Ermahnung
hiezu im Vertrauen auf die unwandelbare göttliche Barm-
herzigkeit; bei seiner Marter, wie bei seiner Auferstehung und
bei der Freude derselben, bei der Freude aller Engel und Hei-
ligen, deren Lob nicht von ferne zu erreichen ist. —-
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himelrich glichet einem acker, da schätz inne ver-
borgen lit. Als den ein mensche findet, daz vcrkeuffct
alles daz ez hat, und keuft den acker, daz im der schätz
werde. Weihes ist der acker, dem daz himelrich gelichet?
Daz ist die heilige kristenheit. Daz ist davon daz nieman
zum himelriche kümet, wanne uz der heiligen kristenheit.
Ez get nit weges zum himelrich uz der Heidenschaft, noch
uz der iüden ec, noch uz der ketzerie get nit Weges zu
dem himelrich. So heißet auch die heilige kristenheit ein
acker uz i) der heiligen schrift. Weihes ist der schätz,
der da inne verborgen lit? Daz ist eines jeglichen reinen
kristcn menschen sele. Daz ist got gar ein lieber schal;,
und ist im halt so liep, daz er verkcuft alles sin gut,
den warten daz im der schätz w^rde. Wenn er wart sin
vil wol gcwar, swie verborgen er do lag. Die sele ist
ein verborgen schätz; sie sieht nieman; sie hört nieman;
sie gerurt nieman. Sie ist ein verborgen schätz, und
darumb verkaufte der almchtige got alles sin güt und teu-
fet den acker, die heiligen kristenheit, daz im der schätz
werde. Ir Herren, ir keuffent uwer ecker nüwen mit
pfennigelin und mit silberlin. Unser herre ihesus chri-
stus verkauft' sin selbes lip und kaufte den acker, daz im
der schätz wurde, dez reinen kristen menschen sele. O we
lieben kristen lütel nu habent den almehtigen got liep;
wanne er hat uch an'mazen liep gehabt. Und da er den
i) Bcßer: in, wie im Anfang der roten (aten) Predigt; uz ent-
standen aus dem vorhergehenden.
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— Z —
acker kaufte mit sin selbes libe, do gnuget' in dannoch
nit, er wolte in auch selber büwen; so gar hertzeclichen
liep waz im der acker durch den schätze, der drinne waz 2)
gelegen verborgen. Alse wolte er zu dem acker niemanne
getruwen, der in büwetc, banne im selber; weder Patri-
archen, noch Propheten, noch deheinem der zwelf 3) bo-
ten, noch engcln, noch menschen, weder nieman im himel
noch uf der erden, noch nicmanne 4); alse gar liep waz
im der acker durch den schätz der dar inne vorborgen lit,
dcz reinen kristen menschen sele. O we ir seligen kristen
löte, wie hertzeclichen liep ir haben sdltet aller enge! Her-
ren und aller der werlt Herren, und keiscr und künig
aller künige; der hat denpflüg selber durch «wer» wil-
len gehabt. Ir herschaft, ir lonent dem knehtelin, daz
den acker büwct; dem gebent ir ein wenig gütelins. Da
waz i m der acker alse liep, die heilige kristenheit, da; er
in nieman wolte lazen büwen, und er hat den pflüg sel-
ber gehabt aller engele Herr«. Ein pflüg mu; von ysin
und von holtze sin. Also waz daz heilige crüce von holtz,
und von ysin die nagel, 5) die im da gingen durch hende
und durch süße, und also habte er den pflüg, untze er
den tot dran nam. Nu seht, ir liebe kristenheit, wie liep
2) waz --- war, sonst was geschrieben, in uuserer Hds. fast durch«
gehends „waz," wie „dez" als ge nit., sonst „des." Das z
scheint mit der Betonung zusammenzuhängen, da in tonlosen
Sylben s steht, z. B- selbes, gotes. '^.■^,100. ue4\ 2..
3) Hds. „zwölf" wol fehlerhaft; sonst immer „zwelf."
4) der Sinn: noch überhaupt jemand.
5) bald „nagel" bald „negel."
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uch gvt hat gehabt. Und do gnuget' tu nicht an, da;
er in kaufte niit sin selbs libe, und in do selber büwcte,
und in 6) auch selber habte; und hat in auch selber gc-
dünget mit sin selbes blute. Wo wart ic dehein acker so
gar ubcrtürc kauft, und als. türe vergolten, und als zert-
lich erbüwen, und als hart erbuwcn und als lieplichen
gcdanget, und also niinneclich gedunget? wanne er hat in
gedüngct mit sinem edeln minneclichen hertzcblüte; wanne do
mitwart die erde begozen. Als gar liep waz tut ber acker
die heilige krisicnheit, und der cdele schätze des reinen kri-
sien menschen sele. Nu seht, wie hertzeclichen liep uch
got gehabt hat, und wie hertzeclichen er uch geminnet
hat. Und do von, also er selber spricht und gebadet, so
füllt wir in minnen von allem unserm hertzen und von
aller unser kraft und von aller unser sele, und unsern
nehsien alse uns selber. Wann er uns als hertzeclichen
liep hat gehabt, so wil er auch, da; wir in liep Han.
Und ist die liebe, der er von uns mutet, nüwcn unser
sele selikcit und unsers libes. Ist stemmt hie, der im cm
und selben und gutes wol gan; der habe got liep von
allem sinem hertzen und Mer siner sele und von aller
siner kraft, und sinen nehsten alse sich selber. Ewer
da; dut, der gan im selber güts wol und aller selikcit;
fr wanne de; zerrinnet im halt niemer mere. Ich wil ein
groz wort sprechen: er hat halt alles, daz avt selber hat.
Und wir süln von der selben liebe, daz er uns so liep
6) eigentlich: den pflüg.
7) eine Lücke in der Hds., oder ein abgebrochener Satz, wir
oft; die Ausfüllung ergiebt sich leicht.
hat [unfern nehstcn liep Han 7)]. Dwanne wen der
herre liep hat, den sol das bofe gcst'nde auch liep Han.
Und also hat er uns alle liep gehabt. Hat einer mer
banne der ander; er hat doch den armen alse liep, alse
den riehen. Swiearmerist, swie ungestalt er ist; Lu weist
nit, wcz got mit im gcdaht hat, mit de; armen armut
und mit de; richen richeit. Und dar umb soltu dinen
nchsten, da; ist bin ebettfriftinj mimten alse dich selber;
wanne in got selber alse liep hat, da; er den tot durch
in leit. Dez enmütet aber got hin zu dir nit; er mu-
tet imwe», daz du in alse dich selber minnest. „O we,
fernher berthvlt, ja tust du dez selber nit. Nu bin ich
bin ebenkristin mensche, und hast zwen gute rocke, und
Han ich einen vil bösen, und lest mich doch ee mangeln
banne dich selber." Daz ist vil war; ich Han die rocke;
ich gibe aber dir dekeincn. Hetes got also gemeint, ez
werde nieman behalten, der Hute lebet, weder geistlich
»och werltlich mensche. Ich gib' dir de; rotes nit, ich
ich wolte aber gerne mit güten trüwcn, daz du einen
alse güten hetest oder einen zwirunt alse güten. Siech
daran lit die minne, die du gein diu ebeneristin haben
solt: ganst du dir selber gutes, du soll' auch im gutes
güunen; hast du gerne cre, du solt auch im ern günnen;
hast du gerne güt, du solt auch im güts güunen; hast
du gerne himelrich, du solt im auch himelriches günueu,
alse wol alse dir selber; du solt alse gerne dinem neh-
sten günnen, da; int wol geschehe, als dir selber, an
allen dingen mit bittern herzen und mit bitter trmve und
6 —
mit bittern willen und mit diner erbermede, da; dich er-
barmen so! sin iamer und sin kümer, alse ob ez dir sel- ,
der anlege. Soltes dir anliegen, als ez manige lüte ver-
stent, so mohte nieman behalten werden. So wer' her
david verlorn worden; er gunde im selbe dez künigriches
baz danne Hern faule; er hat im aber vil wol günnet,
daz er mit got und rchte ein semeliches hete gehabet,
und daz er ein semeliches hertze gern got hete gehabt an
der ribtekeit. Ez mohte auch keiser Heinrich 8) nit hei-
lig sin worden; der mohte darumb nit alle kristenlüte zu
keisern Han gemght. Daz selbe spreche ich auch zu dem
guten sant oswalde und zu allen den, die mit grozer rich-
eit zu himelrich sint komen; die mohten übel 8) alle die
zu künigen Han gemachet und zu Herren, die dezmals
lebten. Got der meint ez also nit; er meint, daz du den
armen durch sin armut nit solt versmahen, und im halt
sin armut büßest, sivo du mäht, und so du aller meiste
mäht, daz er bi dir iht verderbe. Und niaht du im
mit andern fachen nit gehelfen, so soltu in trösten und
grüßen, und sol dir leit sin, waz im wirret, und svlt
dich über in erbarmen an übe und güte, oder an frun-
den, oder an crn. Darumb soltu im nit haz noch nit
tragen. Und sivaz dir liep si, daz man dir du, daz soltu
—X-
8) Heinrich ^ Sinn: wäre es .so gememt mit der Liebe, so
hätte K. Heinrich nicht heilig werden können, da er ja nicht
alle Christen hätte zu Kaisern machen können, darum daß er
heilig würde.
g) Verneinung mit einer feinen Nebenbeziehuug, analog „käme."
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auch dem nel;sten tun; swaz dir lcit st, daz man dich
hazze oder schelte oder spote, dcz soltu in erlazen. Nu
seht, daz niohte ein ieglich mensche tun gar wol; wanne
wir sin alle einander schuldig; wir sin alle einander sin
gebrüder und swester; und Heizzen alle nach io) einander
nach dem almehtigen gvte unserm Herren ihesu cristo,
also heißen wir allesament kristenlüte. Nu seht, ir reinen
kristenlüte allesament, wie liep uch der almehtige got
hat gehabt. Wann er als maniger Hände liebe hat an
den ackcr geleit; da gnnget' in dannvch nit an, er habe
in nach int genennet und n) den edeln schätz, der «n
so hertzeclichen liep waz. Und da bi allem sampt gcnü-
gete in nlht; er wolte dannvch iner kost und gezierde
an den acker legen. Ir Herschaft, ir umb zünent uwer
ecker nüwcr mit einem schwachen züne, oder ir lant sie
gar sus. Da umbvieng der alniechtige got diesen acker 12)
niit drin festen müren. In gnügete mit einem züne nit,
als ir herrcir uwer ecker mit einem kranken zünlin umb-
vrht und umbschrenket. In gnuget auch an einre Mu-
ren nit; in gnügete auch an zwein müren nit. Er
wolte nüwen dri starke müren alle umb und umb den
acker lazen gen, gar stark und feste; so hertzeclichen liep
waz im der acker und der schätz. Und darumb bat er
ichBeßer: „mit;" „nach,, wol aus hm folgenden Worten
entstanden.
11) Vielleicht „durch" wie dies hier oft vorkommt (----um—willen);
doch läßt auch „und" sich halten.
12) Hds. „Zun", offenbar falsch.
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in so festeclichen umbvangen mit drin starken müren, mit
cinre sidinne müre; ir wißent wol, daz side gar stark
ist und feste und zähe; dannoch hat er sie unibfangen
mit einre ysenin müre, und mit einre himelischen müre. —
Die erste müre die ist sydin. Do hat der almehtige
got finen hertzelieben acker gar festeclichen niit grozer
kraft ninbvangen. Daz ist die siden stole, daz geistliche
gerihte. Wann er die stole dem guten sant pcter bc-
valch mit grozer festenunge, daz er der muren pflege,
und im den schätz den edcln Hort gar wol behüte. Und
do von malt man sant petcrn den himclslüssel in die
hant, daz er ein kamerer sist^ 12) der heiligen cristen-
heit mit der cristenlichen geistlichen lere und mit dem
geistlichen gerihte. Alse vesteclichen ist ez Hute einem
jeglichen babeste bevolhen, daz er an gotes stat die kri-
stenheit wise und lere, wie sie cristen glauben lern sül«.
Und alse sie in gelern, so sol man das Volk dannoch
lern, wie man in halten sol cristenlichen; ob in iudcn
oder Heiden oder ketzer den cristen glauben leiden wolten,
daz sie den künnent widerstehen und sich für «»glauben
gehuten künnent; und wie man cristcnglauben mit cri-
stcnlichen werkei: vollefurn sol. Wann cristenlicher glaube
an' cristcnlich werk ist vor got ein totes ding, und cri-
stenliche werk ane cristenlichen glauben ist vor sgotl i4)
alsam. Swer der beder nit behaltet alse er von rehte
13) „ist" fehlt in der Hds., kann aber nicht wol entbehrt werden.
14) wie i3), nur noch stringenter.
sol, der gevert eweclichcn übel. Wie man iegliches be-
halten sol nach sincm rchte, daz ist dicke und oft ge-
saget. Nu mag der badest in allen landen mit gcsin,
und mag alle menschen nit erkennen an irn glauben und
an irn werken: Und dovon hat er den Patriarchen und
den kardinaln und den ertzcbischofen und den andern bi-
schofen und crtzepriesiern und abten und probesten und
tcchanden und Pfarrern und underpfarrern den gemalt
gegeben und verlihen, daz sie an sincr stat ein ieglich
cristen menschen [behüten] rZ), alse verre alse ieglichen
gcordcnt und gcsetzet ist, daz der edele schätz iht ge-
velschct werde mit dcheiner bösheit, alse verre sie c;
crwenden mögen. Und also ist die sydin stole ein mkire
umb die heilige cristenhcit, und also bcvalch der almch-
tige got, do er zu himelrich für, der pfafheit sincn hertze-
liebcn ackcr und den edeln und reinen schätz an ir truwe
und an ir sele und an daz hohste pfant, alle die sele
kristenre lüte, daz sie sie im iht verliefen, alse verre alse sie
mögen ez i6) behüten, und da müßen sie got umb ant-
worten an dem jüngsten tage vor geritzte. Her babest,
und wcrnt ir hie, ich getorstes uch wol sagen: alle die
sele, die ir dem almchtigen gote verliesent oder verlorn
werden von uwern schulden, als verre und irS erwenden
soltet und mohtet; ir müßet sie gote 'gelten niit uwerm
grozen schaden. Daz selbe sprech ich zu ir ieglichen der
i5) Ergänzung aus den, Zusammenhang.
r6) Hds. „cs." gegen die herrschende Rechtschreibung, vergl. 2)
sünder. Ir sollent anders nlt zu dünde haben und zu
schaffen, weder tagelt, noch jene noch diese kürtze wile,
wanne daz ir ob uwern buchen sottet sitzen, wanne uch
ein zit Wirt von dem ampte, daz uch got bevolhen hat,
und uch über alle menschen geeret und gewirdet und ge-
hohet; und darumb sult ir im sins hertzelieben ackers
und dez schatzeö gar getruwelichen pflegen; daz hat er
wol umb uch verdient und wil ez noch hundert tusent
sinnt baz umb uch verdienen. Wanne als ir hie gewirdet
und geert sint, als vil sint ir dort in den ewigen freu-
den geert: Wanne sivenne man uch wihet, so Wirt ein
karactcr gcdrückct in »wer sele, dv von man uch iemer
mer bekennet, do von man uch ern muz. Und küment
ir halt zur Helle, da uch got vor beschirme, da mvhten
ez alle tüfele ab uch niemer gcbrennen noch gekratzen;
es muz iemer und iemer mer an uch sin. Da solt ir
uch iemer mere gerne vor behüten, baz daz selbe edel
zeichen zür Helle an als smeher stat gesehen werde. Ir
sült vil wünder snelle bereit sin, swenne ein böte kümpt
umb mitten tag, umb mitte nacht; ir enwißent nit, waz
die lüte twinget. Bersument ir die kint an der taüffe,
oder die kint 17) an dem heiligen goteö lichnamen oder
an dem heiligen oley, oder an der bihte, do müzet ir got
umb antworten. Ir crtzebischvve und ir andern bischöve,
16) sicher fehlerhaft, da daS folgende nur Erwachs»« betreffen
kann. Lies: „gewahsen lüte," was in der Predigt von den
fünf Pfunden und sonst vorkommt.
wert ir hie, ich getorstcs uch wol sagen: swanne ir uwer
bestüme versument, als verre ir sic behüten und bewarn
sült, ir müßent got drümbe antworten» Ir ertzepriester
u. s. w. i8) Die ander müre, do mit der alniehtige
got sinen acker umb müret hat, daz ist ein ysenin würd-
Daz ist gar eine feste müre; die ist vil fester daime eine
stcynin müre. Da; ist daz ysenin swert dez werltlichen
festen gerihtes. Daz sol der badest dem keiser lihen;
obe icman were, der diese sydine müre mit ungehorsam
zerbreche, daz die ysenin müre dannoch davor st, und den
acker schirme vor lüden und vor Heiden und vor ketzern.
Wanne die wem nü lange als gewaltig worden, daz die
kristenheit vil bester wirs mohte oder gar verdrücket were.
Und also ist auch dem keiser die kristenheit bevolhen. So
cnniag auch der keiser in allen lande,» nit gesin, uttd
mag alles uureht nit verrihten. Do von liht er den
künigen die künigriche, daz sie an silier stat die lant be-
rihten sollen, der künig in sime künigriche, der hertzoge
in sincm hertzogetüme; und pfalnzgraven und lantgraven
und marggraven und ander graven und allen werltlichen
rihtern; i9) die süln uns beschirmen vor unrehtem ge-
malt, vor ungleubigen lüten. Wanne iüden Mn sie also
schirmen, alse die kristen, an ir libe und an ir güte;
wanne sie sink in den friede genomen. Und wer einen
iüden zu lode fleht, der umz in gote büßen und dem
>8) Hier, wie auch sonst oft, bricht die Hds. selbst ab.
r9) abhängig von: liht.
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-- 12 —
rihter alse einen triften; wanne fte habent eht die kciser
in den friede gcnvmen. Wanne durch zwei dinge dul-
den wir die lüden unter den cristcn löten: daz eine, da;
sie gezügen sink, daz nnser herre gemartclt wart von in.
Und swanue ein kristenmensche einen lüden siht, so sol
cz im ein andaht drabe nemen. O we! sol c; gedenken,
bist du der einre, von dem 20) unser herre ihesus cri-
stus gemartclt wart, und daz durch unser schulde leit!
Und ihr sult got siner niartcl danken, ir kristenlüte,
swanne ir den seht. Ir sult siner martel nicnier ver-
gczzcn; wanne er vergißet unser niemer; jedoch süln wir
von den. iüdcn sündcrliche ermanet werden. Und durch
eine ander sache: 21) swaz ir den endecrist über lebt,
die werdent vor dein iüngcsten tage alle zu eristen lüten.
Vor andern ungleubigen lüten füllen die rihter schirmen;
der lüden worden banne so vil, daz sie uns obernthant
ane wolten gewinnen; so muz man sich ir wern als der
Heiden. Ir ritter, ir sult uns auch schirmen vor diebcn
und vor reubern und vor mordern und vor bennigen luten,
die do lange in dem banne sint gewesen und in der ahte
srevelichc. Nu seht, waz dez Volkes ist, daz der kristen-
heit varnde ist. Ir sult uns auch schirmen vor den,
die mit dez tüfels gespensic 'nib gent, die da lüppe und
zaubcr tribent. Und davon so sol der keiser dem babfte
Sv) vielleicht „dm;" man kann cs aber auch auf „der einre"
zusammen beziehen.
21) dulden wir sie.
den stegerciff haben, dar umb daz sich der^atcl iht unib
winde. Daz ist alse vil gesprochen: swaz der babst mit
dem banne gerihten mag, da; sol der kciser und ander
werltliche richter mit dem swerte rihten. Und darumb
segent man uch da; swert, so ir von erste ritterschaft
enpfahet. Daz ist ein zeichen, daz ir darzu geordcnt
sint von gote, daz ir der cristenheit gebunden sint reh-
tes geritztes. Wanne aller cristen lüte selbe lit an den
zweien gerihten, an geistlichem geritzte und an weltlichem
geritzte. Und wer getorste iemer dekeine sünde getün?
swanne geistlich geritzte und werltlich geritzte sich gentz-
lich vereinen niit glichem müte, und einander gctruwe-
lichen gestünden und hülfen, als sie von rchte soltcn;
so getorste nieman deheinen unrehten gemalt tun an go-
tcs husern. Daz ietzent gar unmazcn vil geschiht, da;
sich der Herren gar vil verwirke,» an gotes husern, an
symvnie, an sacrilegie, an zehcnden; und »vaz eben der
heiligen gut heißet, daz haut die Herren alse gar viel an
sich gezogen, daz nu vil wunderlichen kume ettewo uf vier
kirchen ein Priester sitzet; wanne sie mögen cht sich
do von nit begcn. Do vil billichen vier Priester wern,
do ist küme einer. Pst symon, wo sitzest du vor nimm
äugen? und sacrileger, und die so uf den ban nicht, enah-
tent, und ez für ein gespöte habent! Wer getorste gc-
»vuchcr», gefurkeufen oder pfant behüben, oder gerauben,
oder gesteln, oder ee gebrechen, so nian die hohen Herren
sehe zu banne getün, und dar nach in die atzte dün,
und dar nach celoz und rehtclo; sagen, und darnach den
— i4
lip nemen, und den nidern da; selbe fett, und hüte
zehen hinge, und morgen zehencn da; hcubt abe slüqe,
diese radebrechte, iene brentc, diese an der sül slahen, 22)
iene binden an den kirchzün? So spricht der ketzer, 23)
es müge nieman einem menschen sincn lip genemen
ane fünde mit gerihte. Her rihter, ich setze uch nit
mer büße wanne uwcrm swerte. Wer mit rehte für
uch überredet wird so getaner fchülde, die zu dem libe
stet, so da sült ir uns einen fride vor schaffen. See,
wer mvhte lip oder güt deheine wise behalten? nü mag
nian süs lip oder güt mit ruhte behalten. — Unseliger
ketzer, der almehtige got hat sinen hertze lieben acker do
beschirmet. Und swenne man geeichtes also pflege, alse
got gesetzet hat, so mohte küme iemer dehein sele verlorn
werden; wanne ez engetorste eht nieman deheine grozc
fünde getün. Dovon, ir leiser, wert ir hie, ich kündes
uch wol gesagcn; alle die scle, die von uwer» schüldcn
verlorn werdent, von unechtem gerihte, von der lazheit
de; geritztes, da; ir uch versümpt oder vergahet mit ge-
rihte, und witwen und weisen und armen und richen nit
fride machet, als vcrre ir muget und flilt, alle die sele
die do verlorn werdent, die müsscnt 24) ir gote vil türc
22) Abweichung von der Construction: „slahen" und „binden"
' hängt wiederH)n„so man sehe" ab.
2Z)Hds. „keiser" falsch, wie der Zusammenhang zeigt, und diese
Behauptung kommt anch unter denjenigen vor, an denen
man die Katzer erkennen soll, am Schluß der aStcn Pr.
24) starker Wechsel von z, ß, ff, in der Hds.
gelten nach uwerm grozen schaden. Ir künige und ir
hertzogcn, alle die, den der almehtige got den gcwalt ge-
ben hat und daz geriht bevolhen hat, swo ir nit guten
siide machent, alse verre alse ir möget, und nit reht
gerihte habet, do verflucht uch got umb, als er zu mop-
sen sprach, wie hohe er die segent, die rehtes gerihte da
habent. Ja hat uch got gar groze wirde uf erden ge-
geben. Man muz vor uch knien...........und gegen uch uf sten,
und muz gein uch vorhte, und habt 25) vil wite und
breit umb uch, und ritet schone und get schone^und habt
hohe bürge und schöne frauwen. Und do von soltet ir
tag und naht trahten, wie ir daz gote gedanken möhtet.
Nu bete er uch anders nit, banne guten fride machen
und rehtes gerihte halten. Swenne ir rehtes gerihte hil-
tet, so wer auch der fride gut in allen uwern landen.
M rihtent ir nüwen nach dem Pfennige. Herre, waz
hat eht der Pfennig getan? Wanne swelhen enden das
gerihte gat, so get eht ez nuwen über den Pfennig. 26) —
Diese zwo müre sind von irdenischer Materie. Do von
slifent sie und werdent krank. Und dar umb bcving un-
ser herre sinen lieben acker mit einre himelischcn müre.
Wanne im waz eht der acker und der schätz so Hertzec-
rk) „vorhte und habt" giebt keinen schicklichen Sinn. Man lese:
’ vorhte Han und halt, oder: vorhte Han vil wite u.s. f.; oaS
erster« schließt sich genauer an die Hds. an; der Sinn der-
selbe.
ob) Sinn: der Pfennig wird gleichsam der Schuldige; denn
wo man richtet, gehts über ihn her, er muß büßen.
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liehen liep, da; in nit gnügete an den zwei» müren, und
bcsatzt' in hüte 27) mit der heiligen schar der cngelc.
Er muste einem Herren ein lieber acker sin, der zu jeg-
lichem orte einen Hüter satzte; der niüsten vier zu einem
acker sin. So wer im aber der gar ein lieber acker,
der zu einem ieglichen eher einen Hüter satzte. Also liep
hat unser herre die heilige cristenhcit den acker, daz er
zu iedem orte einen Hüter satzte. Er hat 28) zu jegli-
chem künigriche einen engel gesetzet, der dez künigriches
hütet, und banne zu ieglichem hertzogetüme und zu jeg-
lichem lande, daz ein laut mit sünderm namen ist, und
danne zn ieglichem bistüme einen, und zu jeglicher stat
einen, die in den landen und in den bistümen si'nt, und
danne zu ieglichem dorfe einen, und zu ieglichem klostcr
einen, und zu ieglichem hüse einen, und zu ieglichem
menschen einen sünderlichen, cz si iüng oder alt, getauft
oder ungetauft, einem ieglichen cristen menschen sunder-
lichen einen Hüter und einen engel gegeben, und halt
icslichem 29) Heiden und ketzer und iüden und slafenc»
und tatanen; cz sin iene oder diese, die nach menschen
gebildet sint,^ der hat jegliches sinen engel, der sin hü-
tet. — „Sec, herre, wo von?,, Do hat auch jegli-
ches einen tufcl; der breche im so zehant den hals abe,
27) „hüte" (heute) bezicht sich wol darauf, daß die Predigt
am Engelsfest gehalten wurde; ähnliche Ausdrücke gebraucht
Berthold auch sonst.
28) Hds. „satzte" was zu „gesetzet" nicht mehr passen kann.
29) „ieslichem" —„ieglichen."
1 ■
T
*
1-7
wann 3o) die hüte dez engels, wanne -er eine tot fünde ge-
tete. Her iüde, uch hete der tufel langes den hals ge-
brochen abe, wanne uwer enget, der mver do hütstl Da;
selbe tete er auch den Heiden und den ketzern. Wann
sie menschen sint, und nach gote gebildet sint, de; let er
sie auch geniezen, und git in die. engele zu hüte.'Und
rchte als der babst ein fürste ist über alle pfaffeheit,
und der keiser ein fürste ist über alle werltliche rihter,
also ist sant michahel ein fürste über alle die engele, die
der menschen hüten uf ertriche, und die über die laut
smiderlichen gesetzet sint. Der selbe ist auch herre über
alle, die der menschen pflegent in dem lande. Und
banne 3i) sant michahel ist herre über sie alle, do von
bogen wir im ein hochgczit hie uf ertriche, und vigern
im einen tag. Daz dut man dcheinem engel mere, banne
im und sinen gesellen, die unser do pflegen. Und man
malt als 32) esn wage in die haut, und heißent in den
weger. Daz ist da von, daz er uns wiget vor de; tu-
fels frcisen. Wir lesen von Hern thvbias: do er sine»
/sü» sante verre und verre, do het der tufel sieben man
erwürget bi einer frauwen; do beschirmete unser herre dem
So) „wann"----wäre nicht, s.v.a. ohne; das folgende „wanne"-----
wenn.
3>) banne — wanne, wenn nicht dieses sogar dafür gefetzt wer
den muß.
h) Man erwartet: „im" (ibin); „als" würde stehen, wie noch
izt z. B. in der schwäbischen Volkssprache, zur Bezeichnung
des Gewöhnlichen, anstreifend an „allez" ---- allezeit, stets.
— l8 —
guten Herren thobias sinen sün vor; und also genaz er "
vor dez tufels freise von der enge! hüte. Nu seht, bi ki
aller dieser hüten, und bi allen diesen nidren, so hat der a
tufel unkrüt gesewet in deil hertze lieben garten. Und do a
von liset man in dem heiligen ewangelio, daz die Hüter d
kamen und sprachen: „Owe! herre, die vinde hant un- g
krüt gesewet under dinen weizzen. Weder süln wirs uz o
brechen, oder niht?" Niht! nit! sprach der herre; lat ri
mirs mit einander wahsen, untz sez) 32) zitig werde; so k
sol man ez fündern von dem weizzen, und sol ez zu bü- s
schelin binven, und sol ez in ein füwer werfen. Nu waz c
meinet unser herre hie mit? Nu scheut, also habent dez r
almehtigen gvtes vinde, daz sint die leidigen tdfele, die il
habent unkrüt gesewet in den edeln weizzen, daz ist um h
der die heilige kristenhcit, die gedültigen und die demü- h
tigen und die barmhertzigen und die milten und die tür d
genthaften; do habent sie unkrüt under geworfen und g
frazheit und gitikeit und Unküsche und hohfart u. s. w. v
Und do von sprechent die engele alle tage, so in der s<
mensche ungehorsam ist und in die fünde vellet, seht, so r
sprechen die engele: „herre, herre, laz uns sie töten." ii
Wanne sie sint uns allensampt unmazzen bient, für da; "
der mensche in totsunde gevellet, daz sie in hertzeclichen i
hazzent, Und sprechent alle: herre laz sie ertöten. „Niht! b
nit! sprichet er, lat mir sie mit einander wahsen." Hcr cayn r
und her abel, nü wahsent mit einander, ir morder und
33) „ez" ist hier nicht wohl entbehrlich; es konnte leicht aus-
fallen, da es öfters nach einander steht.
L) Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 19 —
ir gedultigen, ir blütdrinkcr und ir barmhertzigen gotes
kinder! Cayn, wo sitzest du? bitt brüder seße als bill-ch,
als du, de» du hast ermordet. — Nu wahscnt mit ein-
ander, ir spoter und ir bescheidon tüte! Der grosten scha-
den einen haben wir von den spotern, den die werlt ic
gewan. Her ismahel und her ysac, nu wahscnt mit ein-
ander! Ir clichen und ir unelichen, ir gerchten und ir
ungerehten, wahscnt mit einander. Ir frezze und ir un-
küschen lüte, die do ungerne fastent durch die liebe un-
sers Herren, und ir nießegen und ir kuschen, wahscnt mit
einander! wanne ienre esau fraz alle sine selikeit an ei-
ncni müse. Ist indert ein fraz hie? ia vorhte ich dez,
ich habe ettelichen fraz vor minen äugen, dem sine fraz-
hcit alle sine selikeit Verliese. — Nu wahscnt mit einan-
ber, her helyscus und her iesi. Nu wahseut mit einan-
der her 34) lügener und ir trügener, die mit unrehtem
gewinne und mit untruwen umb gent, und ir getrüwen!
wahscnt mit einander her faul und her david. Nu wah-
sent mit einander, frauwe iesabel und heilige frauwe sant
elizabeth. Nu wahscnt mit einander ir hohfertigen und
ir demütigen. Nu wahscnt mit einander ir gilwerinne
mit dem gelwen gebende, und ir reinen frauwen mit
Kwerm demütigen gewande, alse min frauwe saut elizq-
beth, die waß 35) gar eine heilige demütige frauwe; da
rvaz aber jene iesabel gar eine böse hüt und ein gilwcrin
34) Paßender wegen deS folgenden scheint: „ir".
35) „waß" statt: „waz" (Anm. a-j «ine ungenaue Schreibweise.
2
also dut er dem allein sament. Da; 4o) die 41) guten^
und ein verwerin. Pfi! wo sitzest du da vor in inest
saugen), 36) Malerin? wiltu dich da; maln, banne dich
der almehtige got hat geschafen? dir geschiht als iesabeln:
Lez tages, do sie sich geferwet hete, do »am sie ein lesier-
lichcs ende und einen schemelichen tot, und für dez selben
tages in die stinkenden Helle, da ir niemer mer rat Wirt;
und die Hunde lasten ir blut de; selben tages. Also let
uch got mit einander wahsen, untz daz ir zitig sit; so
wieset man uch banne in das ewige füre, da ir iemcr
mcre ane end brennet. — Nu wahset mit einander,
her sant peter und her iüdas. Nü wahset mit einander,
her dismas und her iesmas. Nu wahset mit einander,
ir gitigen und ir mitten, ir gotesbüßer und ir zwifeler.
Ir gitigen iudas brüder, ir hant gar verzwifelt an der
miltekeit dez almehtigen gotes, daz ir uch mit rehtcm
gute iht ernern mügent. Nu wahscnt alle mit einander,
die wile ez gotes Wille si. Wanne die engcle rufent eht
alle tage: Herre laz uns toten. „Nit! sprichct got, lat
sie mit einander wahsen, die übclen bi den güten, die
gerehten bi den ungerehten." „Nu war umb tüt unser
herre daz, daz 3?) sie nü so gar wider sin hülden stnt,
und auch die engele daz alle tage begern, daz sich got laz'
an in rechen, und lezt sie doch bi den guten und bi den
gerehten wahsen?" Seht, daz dut unser herre durch drie^
36) eine, nothwendige Ausfüllung.
37) zu „daz" gehört eigentlich erst der letzte Satz; dieselbe Cow
struckion wie Joh. 3, ig. und oft.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 21
!)[ facher swo die ubeln den guten übel hin, daz den gü-
tcn ir lon do mit gemert wirt oben in denr himelrich,
und daz diesen gotes kindern ir lon uf »eine, und ir fe-
gefüre geminret werde. Uird dar umb, ir seligen goteS
linder, ir fult ez gar gedülteclichen liden, swo sie uch
beswern an libe oder an güte oder an fründen, daz sült
ir gedülteclichen und demüteclichen liden. Sie sint doch
beßcr an zu sehende, banne die tufele und daz engesliche
fegefüre, da; ir dort müsict liden. Swanne wie 38)güt
Lukr
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gense gnüg hete, so würget er vier oder zehene. Uitt>(*-Jva 20.
38) =55 wanne swie.
3g) Man könnte auch kürzer lesen statt „güten": „küt-n"; doch
kommt „güte lüte" in diesem Zusammenhange öfters vor.
4°) „daz" vielleicht „de;".
41) Hds. „du", eine Form, die sich hi-r sonst nie, oder höch-
stens noch ein paarmal, wol aber sonst in Schriften dieses
Zeitalters findet.
also dut er dem allem sament. Daz 4o) die 41) guten
und ein verwertn. Pfi! wo sitzest du da vor mistet»
saugen), 36) malerin? wiltu dich da; maln, banne dich
der almehtige got hat geschafen? dir geschiht als iesadeln:
dez tageS, do sie sich geferwet hete, do »am sie ein lester-
alle tage: herre laj uns toten. „Nit! sprichet got, lat
sie mit einander wahsen, die übelen bi den güten, die
gerehten bi den ungerehten.^ „Nu war umb tut unser
herre daz, daz 3?) sie nk so gar wider sin Hulden sint,
und auch die engele daz alle tage begern, da; sich got laz'
an in rechen, und lezt sie doch bi den guten und bi den
gerehten wahsen?" Seht, daz dut unser herre durch drie^
36) eine, nothwendige Ausfüllung.
3jy ;» „daz" gehört eigentlich erst der letzte Satz; dieselbe Cow
struelion wie Joh. 3, ig. und oft.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 21 —
fache: swo die ubeln den guten übel hm, daz den gü-
ten ir lon do mit gemert wirt oben in dem himelrich,
und daz diesen gotes kindcrn ir lon uf neme, und ir fe-
gefüre geminret werde. Und dar umb, ir seligen goteS
linder, ir sült ez gar gedülteclichen liden, swo sie uch
beswern an Übe oder an güte oder an fründen, daz sült
ir gedülteclichen und demüteclichen liden. Sie si'nt doch
bester an zu sehende, banne die tufele und daz engesliche
fegefüre, daz ir dort müsiet liden. Swanne wie 38) güt
ir sit, so müzet ir doch manig mal und tegelichen fün-
den hinne - für. So mfiz eht daz gar schone und clar
sin, daz lichter ist banne die s-ünne. Do von müßent
uwer tegeliche j fünde in dem fegefüre gelutcrt werden.
Und dar umb let sie der almehtige got leben, daz sie
uwer fegefüre sin, die unrehten gewaltser, und die Heu-
schrecken, der Herren schiltcknehte. Swo der hine vert,
so dut er'als ein Heuschrecke. Der wil «firnen in dem
grase liegen; alse wil er alles daz umb sich streuwen, daz
er gesiht. Er sircuwet den güten fluten) Ag) ir arbeit
und ir fütcr und ir hew vil mere ettewanne under die
roz, banne sie sin geßen. So er danne an eiine Hüne
gnug hcte, so würget er zehen; so er danne an einre
gense gnüg hete, so würget er vier oder zehene. Und^-)vä
38) =5= wanne swie.
39) Man könnte auch kürzer lesen statt „güten": „lüten"; doch
kommt „güte täte" in diesem Zusammenhange öfters vor.
40) „daz" vielleicht „dez".
41) Hds. „du", eine Form, die sich hier sonst nie, oder höch-
stens noch ein paarmal, rvol aber sonst m Schriften dieses
Zeitalters findet.
©
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
22 —
lüte ein ganhes rar leben sollen, mochte er daz einiges
- für bringen, daz bete er. Und Wirt sin selten icmer kei-
| ■) iter tüwerre an libe und an güte^ als der Heuschrecke,
wie dies er in dem grase lit, so wirk er doch niemer
vcizter; er ist allezit mager und langbeinig und snachclt.
Wso bist du schiltkueht ein Heuschrecke; du hopfest als
Heuschrecke uf dime gürrelin, und hangent dir die schuhe
von den füßtn vor ärmut, und wirkest sclteir iemer wol
beraten, und du mbst zu iüngest eins schcntlichen totes'
warten, als der Heuschrecke; den verdretent die lüte und
daz vihe in dem grase, oder in versnidet die sense, so
man daz gra; mewet. Kümet er dez hm, so gezzent in
die vögele; so er uz dem grase kümpt, so fürn sie 42) die
vögele hin. Du schiltkneht Heuschrecke) fett' wirkest ver-
sniden oder erhänget. Dez geschiht in gar vil, daz sie
fr unrechten tot noment. Küment sie, dez hin, so frißest sie
das geflügele und fürnt-sie hin; daz siut die tüfele; die
fürnt sie hin in daS apgründe der hellen, do ir niemer
mere rat wirt. Ir seligen lüte, lident eht cz gedüldik-
liche; uwer lon wirt ane mazen groz zu himelc. Swel-
cherley not sie uch ane legcnt, so lident ez gedulteclich in
dem «amen unsers Herren und durch die liebe unsers
Herren; wanne er groze liebe an uch ertzeugethat. Wol-
lent ir im gar liebe tun, so künnent ir im niemer lieber
getün, daz 43) ir in vergebet lütcrlichen alles daz sie
42) statt: in»
43) kurz statt: banne'.dazr oder r'^danne damit da;.
„ch ie getaten an frunden oder a» güte oder an uwer
selbes libe. „Owe, brüder bertholt, ia hat er mir Mi-
nen lieben Vater benomen, und mag ich niemer mer de-
hcincn gewinnen." So wil got selber iemcr mer bin
vatcr sin, ob du daz durch sine liebe verkiesen wilt. Wanne
er sich selber durch sinen willen 44) toten liez; und ver-
gap cz denselben so zehant, die in ungetrüwelich und un-
schuldicliche toten ane alle schülde. Du mäht als lüter-
lichm hüte vergebe», daz dir got dine fünde vergit. Lat
hüte alle sament haz und nyt uz uwern hertzen, und
vergebt in gentzliche», den Worten daz uch got uwer
sunde vergebe. Ez si unreht gemalt, unrehtes Vogtes
getwangniffe, schelten und spoten, swaz ez si, daz man
uch tü, daz vergebt in lüterlichcn durch got, ir seligen
kint dez almchtigen gotcs. Wanne der sitzet etteliches
vor mir, daz noch in einem halben iar, oder ee die crone
vor gote treit in dem himelriche. Ez ist auch ettclicher,
der an dem gründe der Hellen sitzet b>z dar. —> Daz an-
der ist, do got den 45) sunder umbe leben lat als den
rehten, daz er ein mensche ist und nach gote gebildet
ist. Dar umb let in got siner güte und siner grozen
harmhertzikeit genießen, daz er doch do von sine gnade
habe, und eine wile also lebe uf erden; er brennet sin 46)
im dannoch gnug in der Hellen. — Daz drite ist, ob ir
44) um deßen willen, dem du itzt vergeben sollst.
45) Hds. „die".
46) /ln" ju „genug" gehörig, wenn man will, plconastisch.
24 —'
noch deheinre wider ?Lm welle; wanne er fit harte hat
erarnet; dar umb bitet er dir, ob du dich diner funden
wollest erkennen. Nu kert wider; ia ist got hüte als
nulte und als barmhertzig, als do er sank marian niag-
dalenen alle ir fünde vergap, und dein guten sank peter
und dem guten Dächer. Nu höre sünder, wie dich der
almehtige got mant, daz du wider kcrst, wie barmher-
tzeclichett'er dich mant und wie lieplichen und wie ge-
truwelichen. Er spricht durch de; wissagen münt: ves-
pere et inune etc.; reht als ob er spreche: siindcr kere
wider:-ich lege dir für minen abcnt, den ich durch di-
nen willen hette; ich lege "dir für minen morgen, ich
lege dir für minen mittcntagl Siinder, kere wider durch
Me die angest und alle die not, die ich durch dinen wil-
lek ie'geleit de; abeiid'es, 'do ich de; morgens den tot
durch dich üben wolle, den Worten da; der tufel iht an
dir stefteuivet wvrde. Nu siech sunder, wie tüwer dich
got mant. Wanne d; wart niemer gehört von ane-
genge-47) der werkte, da; ie dehein mensch so bittern tot ie
erlite; wanne er blätigen siMz switzte; da; det nie men-
sche met. Bi der angest und bi der swcre und bi der not
mant dich got, da; bu wider kcrst mit wäret ruwen und
Uiit lüterre bihte und mit büße «f sine gnade. 'So le-
er dir stncn morgen für, -da; in die iüden vintlichen
vingen, und ungetrüwelicheir verraten wart, und uf sine»
narken gcflagen wart,, und au mauigen enden gewißct
4?) Hds- „anegen" Schreibfehler.
J
25
wart, und tnif eint rore ein bornett frone uf sin Heubei
getrücket wart, und under sin äugen gespiet tvart, und
spotlichm gekleidet wart. Nu siech sunder, daz leget dir
der almehtige got alles für, daz er daz alles durch bitten
willen crliten habe dez morgens an dem heiligen karfri-
tage, darumb daz du der ewigen martel über wurdest,
vb du selbe wolltest. Gewinnent Hute waren ruwen und
weinent von hertzen uwer fünde. Ja hat er vil mani-
gen zäher durch uch gelazen uz sinem heiligen libe sineö
vil reinen blütes, dez ein tropfe tüwerre ist danne himel-
rich und ertriche. Die mit den äugen nit geweiuen mö-
gen, die weinen tnit dem hertzen. Dez driten Males
leit er dir für sinen mittentag, do man in an die stanze 4L)
nagelte dez Heren' krüces, bu man im zwene »agel slüg
durch sine hende und durch bebe sine füge einen. Do
mant er sie nu sunderlichen bi allen den übten und bi
den hamerslegen und bi sinen heiligen fünf wündcu, bi
sinen ruefen, die er rüste gern dem sunder, und bi dem
iamer und bi der-klage, die unser frauwe hatten Ir
mnge werlt, hütet uch durch den almehtigen gst vor
funden; ir seht wol, wie küme sie do von komert. Noch
wil e; der almehtige got dar ümb nit lazen, er wolles
noch baz an uch versuchen, und -wil uch fürbaz maneu.
Wanne alles, daz ich hüte rüste an uch sunder, daz küs-
set der almehtige got durch minen münt. Ich bin eine
rufende stimme.— Ettelich wenent und habtut so getane
48) Hds. „spcmgc".
r
hertzen, daz sie uf bitterkeit niht ahtent- daz ich sie
bitterlichen Han gemant. Nü wil ich sie zertllche und
süßccliche manen, und got selber spricht cz gein uch durch
mincn münt, und heißet uch zertlichen bitten und manen
durch sine urstende, die gar frolich waz, der sich himel
und erde frauwete; und noch hüte, wanne man sine ur-
stende heget, so fteuwet sich alles, daz uf ertrich ist. Bi
der freuden mant uch got durch minen munt, den Wor-
ten daz ir iemer freude mit im habet in dem himelriche.
Er mant uch durch der freude willen, die sine heilige
müter gewan von siner urstende, und durch alle die freude,
die die frauwe maria magdalena und ir gespiln haten
von siner urstende, und bi aller der freuden, die unser
veter heten, do er loste son dem gevengnisse der Hellen,
und durch die freude alles hymelischen Hers, do er zu
himele für, und vil manig tusend sele mit im fürte. Und
er mant dich hüte durch minen münt, und durch alle
die freude der heiligen cngelc und bi iegliches kors freude
besünder, und bi aller wbnneclichen gezirde, die sic haben
und die got an sie geleit hat und an alle sine heiligen;
wanne der 49) dy von künde oder mohte gcsprcchcn.
Wanne got so vil ern an den aller minnesien heiligen
hat geleit, der do zu himel ist, do mohte alle die werlt
von nit gcsagen. Sant gregorius hat wol fünf und dris-
sig buch davon gemäht, und hat noch dem aller minne-
49) s. v. a. „wenn einer, wenn man; sonst steht häufiger „der"
allein in diesem Sinne.
sten heiligen daz minnest« hak nit gelobet, der in dem
himelriche ist. Ez hat der güt sant bernhardus vil bücher
gemachet,und hat noch dem minnesten heiligen, der irgent do
zu himel ist, den aller minnesten nagel nit gelobet, der irgent
an im ist. Ich spriche mer: der gute sant augustinus hat ze-
hen hundert bücher gemachet, und hat dem aller minnesten
heiligen den aller minnesten vinger nit gelobet, der iergent
an im ist. Nu seht, wer nu die freude und die ere volle
loben mohte und volle sagen und volle zelen, hie die gro-
zen und die hohen heiligen do zu himele haut? Und die
der almehtige got do selber hat und min frauwe sant
maria, die ist dez alles über groz, daz daz munt noch
Zunge niemer volle sprechen kan noch mag, noch hertze
betrahten, alse der güte sank Paulus do sprichst. Bi der
freude allersampt mant uch der almehtige got, den wer-
ten daz ir der freuden müßent teilheftig werden. Uch
mohte noch lüsten, solicher freuden zu sehen, ob irs nie-
mer durch gotes willen woltent getün, noch durch die
selikcit »wer selen. Wanne do man den güten sant io-
hannem fragete, waz er in dem himelrich gesehen hete —
do bi sult ir alle wunder und über wunder merken, waz
ere und freuden do zu himel ist — do sprach er also, der
güte sant iohannes: daz cz mügelich were, daz man ez
gesprechen oder geschrieben niohte, daz ich in himelriche
fach, so mohte doch die werkt so vil bücher nit behalten
von ertrich uf untz an daz strmament, do ez an gesten
mohte, daz ich da zu himelriche fach. Bi der freude
aller sament mant uch der almehtige got hüte, daz ir
28
von uwern funden kerct 'lind von der ewigen martel der
helle zu den ewigen frcudcn, und im damit dankt aller
ddt liebe, die er uch ertzeligtzt hat, daz er die heiligen
cristenheit den ackcr mit sin sclb»s libe kauft, und in
alse zertlichen crbüwen und behütet hat, und uch gctrü-
welichen geladen hat zu slnen ewigen freuden, die er uch
von ancgengc der werkte bereit hat; daz wir also im
dez hie gedanken, daz -wir an dem iüngesten stage^ sine
erwclten heißen müßen, alse zu den er spricht: kümpt
her zü mir u, si w.
jnch '-Nil cm iti(! , 's'W.--ulk
»iQYß TiOif
Zweite Predigt. (iote) Verschiedene Stände d§r
Christenheit (von zehen kören der engele und der
kristenheit.) Text Matth. i3, 44.
Inhalt.
Aehnlicher Eingang wie in der vorigen; sodann eine andere Wen-
dung. Liebeserweisung dann, daß Gott die C ristenheit in-
nerlich so geordnet hat, daß alles in einander greifen und
einander dienen und fördern soll. Auch hierin eine Aehnlich-
keit der Christenheit mit dem obern Himmelreich. Einthei-
lung in ro Cböre. Diese sind A) 3 höhere, 1) Pfaffen
(Kleriker). Ihr Beruf ist, zu pflegen des geistlichen Rechts
(Sacramente), des geistlichen Gerichts und der geistlichen
Lehre 2) Geistliche Leute (Mönche u. dergl.) Ihr Beruf, zu
unterweisen, ein gutes Beispiel zu geben, zu beten Gott und
der Mutter Gottes zu Ehren, und den Christen, den lebenden
wie denen im Fegfeuer, zum Heile. 3) weltliche Richter. Ihr
Beruf, Beschirmung aller Chöre gegen Beeinträchtigung von
außen. B) 7 niedere, einer derselben ganz abgefallen, daher
nur noch sechs, r) Verfertiger von Gewand jeder Art. Be-
trügereien dabei; Pflicht der Höheren, sie zu bestrafen. 2) die
mit eisernen Werkzeugen umgeben. Untreue von verschie-
dener Art. Darunter einige an sich verdammliche Gewerbe.
3) Handelsleute, Anweisung wie sie treu seyn sollen u. s. f.,
4) die Speisen und Getränke feil haben. Schaden ihrer Un-
treue für das Gut und sogar für den Leib anderer. 5) Bau-
ern. Ihre Untreue unter einander und gegen ihre Herren:
Mitschuld dieser. 6) Aerzte. Gegensatz der geistlichen und leib-
lichen Arznei. Warnung gegen Pfuschen. — 10) abgefalle-
ner Chor.
— 3o
himelrich gelichet einem acker, do ein schätz inne
verborgen lit. Als den ein mensche vindet, der verkeu-
fet alles sin gut und teufet den acker, daz im der schätz
werde. Und als libe ist im zu dem schätz i). Wer ist
nü der acker, dem daz himelrich gelichet? Und wer ist
aber nü der schätz, der in dem acker lit verborgen? Und
wer ist denn der mensche, der do verkeufet alles sin güt,
und keuft den acker, daz im der schätz werde? Der acker,
der do dem himelrich glichet, daz ist die heilige crisienheit;
wann die crisienheit heißet ettewo ein acker in der heili-
gen geschrift; und do glicht daz himelrich der heiligen
crisienheit; und daz 2) nieman zu dem himelrich kumet
danne uz der heiligen cristenheit. Von iuden und Heiden
geht dehein weg zum himelriche. Wer ist dann der schätz?
daz ist de; reinen menschen sele, die dem almehtigen gotte
glicher ist, danne ie kint sinem vater wart. Und dar
umb verkauft' er alles sin güt unser hcrre, und kaufte
den acker, daz im der schätz würde. Da sült ir sehen,
ir reinen tristen menschen, wie liep uch hat gehabt der
almchtige got, und ir sult in hertzeclichen liep Han: wann
er hat uch ane mazzen liep gehabt. Nü seht, wie liep
uch got hat. Wann er uch erkaufte mit sinem reinen
1) Dasselbe konnte deutlicher so gefaßt sein: und also liep ist
im der schätz. Vielleicht ist nach „und als" ein Wort aus-
gefallen; etwa: „und alS groze liebe" u. s. f.
2) da; — darumb daz. Angabe des zweiten Grundes jener Ver-
gleichung; der erste ist durch „wann" (denn) eingeführt.
— 3x —
libe, do gnügete in dannoch niht, er habe uch dannoch
lieplicher gewinnet. Da er die bittern martel durch unS
an dem cruce leit, da; waz die graste Minne und die
graste liebe, da ie von gebort wart. Da gnüget' in
dannoch niht an, er habe uns nach im eigenlichem na-
men sgenennet^ 3). Er heißer ihesus tristus. So hat
rr den acker aber ba; dem himelrich gelichet, da; er hei-
ßet die heilige rristenheit, unb w>r cristenlüte heißen nach
im cristen. Ir reinen cristenlüte, nu habt den almehti-
gen got liep; und seht, wie licp uch der almehtige got
gehabt hat. Und da gnüget' in dannoch nit an, er habe
uch fürba; geminnet; wanne er hat die heilige cristenheit
aber ba; gelichet dem wünneclichen himelrich. Da; hi-
melrich ist geziert und geert mit zehen kbrn der heiligen
engel; der ist einer schbnre und hoher, dann der ander;
und die nydcrn köre, die hat unser hcrre also geordent,
da; sie den obern ettelicher dinge undertenig fint; so sink
banne die obern köre, da; ste den rindern ettelicher dinge
her wider schuldig sint umb den dienst, den sie in die-
nent. Und also hat der almehtige got die heilige cri-
stenheit glichet dem himelrich, und hat zehen Hände lüte
uf ertriche geordent in der heiligen cristenheit; der sint
ein' 4) auch ie hoher banne die andern, und die nidern
müßen den obern undertenig sin mit dinsten; so sint die
obern den nidern wider umb ettewaz schuldig, als die
3) das Zeitwort kann wohl hier nicht füglich gemißt werden.
4) — einige.
1
rmm.
— 32 —
hohen engele den rudern ettelicher dinge schuldig sink.
Der obersten köre der heiligen engcl der sink drie; und
den selben drin körn sink die andern sieben ir ieglicher
icmer ettelicher dinste undertenig; so sind auch die Hb be-
sten drie köre den sieben chbrn ieglichem ettelicher her
wider nmb schuldig umb irn dinst. Welcher dinste die
nidern engel den obern undertenig sink, daz get uns ir-
denischen lüte nit an, und wez danne die höchsten engel
den nidern schuldig sink, da haben wir nit mit zu schaf-
fen. Und davon wil ich uch crjsten lüden sagen, wie
der almehtige got die heilige cristenheit geordent hat niit
zehen ley lüten, und welicher ley dienst die nidern den
obern schuldig und undertenig sint. Do von Han ich
willen zu sprechen uns cristenlüten, daz ir aber bester
haz erkennend, wie hertzeclichen liep der almehtige got
uns gehabt hat, und daz ir in iemer mer bester und
bester werder habt in uwern hertzen und in vor allen din-
gen liep habt und minnet. Wanne er hat uch vor allen
Dingen liep gehabt. Swie gar schone und klar er die
engel hat geschaffen, doch erleid er nie dehein ungemach
durch der engele willen. So hat er durch uns cristen-
lüte vil manig hundert ungemach erliten, daz er uns wi-
der drehte- uz dem gewalte dez düfels, da wir uns in
geworfen beten mit der ungehorsamkeit, die adam und
rva begingen in dem paradise. Wanne do der almehtige
got daz himclrick ordcnte mit den zcben körn der hei-
ligen engele, als ich ietzunt sprach; da het er die hei-
ligen engel dannoch nit gefestent; sie mohtcn himelrich
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 33 . —
wol verlieft». Und do von würden ctteliche dem^al-
mehtige» gotte aptrünig, und sink noch hüt aptrünig,
und worden allesampt z« tüftln und sink noch hüt zu
tage tüftle. Und waz nit ein einiger gantzcr kor, der
mit luciftr von hymelrich do vil; sie viel,» uz den zehen
körn allen, uz ir 4 a) ieglichem ein teil, uz den höhsten und
uz den nidersten und uz dem mittelsten. Ir vieln uz
den zehen körn, also uz in allen, daz 5) gein eime köre
gebürte und geahtet wart nach der zal; da; ir daz ze-
hendc teil uz den zehen kören viel». Und also stet ez umb
daz himelrich mit der ordcnünge. Und alzühant do wür-
den die andern engel do geftsicnt do von gotte, daz sie
nu niemer mer himelrich verliefen mügen. Und do mit
dankte der almehtige got der truwen und der tügcnde,
daz sie bi im bliben, und nit von im aptrünig worden.
Wie 6) der almehtige got die heilige cristenheit dem Hy-
melrich glich gcordxnt hat; und swer bi gote blibct und
im niht aptrünig wirt, als die bösen engel, die wil er
auch vesten, als sie von dieser werkte gescheiden, daz sie
banne fürbaz iemer mer zu himelrich frölich geleben mö-
gen. Ru wil ich uch dez ersten sagen, wer die zehen
leye lüte si»t, do die heilige cristenheit mit geordent ist;
und wil banne sagen, mit wclher ley dienste die npdera
4-) Hds. „ sie".
5) Sinn: Ihrer fielen ans allen Chören so viele, daß di« AK,
gefallenen der Zahl nach zu einem Chor gerechnet wurden.
6) Sinn: wie denn Gott überhaupt die Christenheit dem Him»
melreich gleich geordnet hat, so will er auch die ihm treu
bleibenden Christen von ihrem Abscheiden an befestigen, tpi.t
die Engel.
de r obern undertenig sin sollcnt, und wcz banne die obern
den nidern wider schuldig sin umb wen dienst.— Die
ersten drier ley lüte, daz sint die hdhstcn und die ber-
sten, die der almehtige got selbe dar zu crwelt und ge-
vrdent hat,' daz in die andern sieben alle undertenig we-
sen süln und in dienen süln. Die -erstell, daz sind die
pfaffen, die die cristenheit leren sbllen; daz ander sint
«ht geistlich lüte; das brise sint werltliche rihter, Herren
und ritter, die da Witwen und weisen schirmen stiln. Die
brisen und die ersten, die füllt die cristenheit beschirmen
an libe und an sele. Die ersten, daz ist der babst und
alle Pfaffen. Die suln der cristenheit pflegen niit geist-
lichem rehte und gerihte und mit geistlicher lere, mit
bihte und mit predigen und mit ander güten lere. Da
hat sie der almehtige got zu gesetzct und geordent. Wann
sre uns dez ersten an die cristenheit bringen niit dem hei-
ligen tauffe. Und in hat der almehtige got die sieben
heilikeit dar umb befohlen, daz sie die cristenheit da mit
heiligen sülten an die werlt, so sie in die werkt varn, und
so ssi'e) durch die werlt varn, und so sie uz der werlt varn,
mit dem heiligen tauffe und mit der heiligen sirmünge
und mit der heiligen bihte und büße, und mit dem hei-
.ligen gvtcs lichnamen und mit dem heiligen vley, und
mit den gerihten, daz sie uns vor dem Unglauben be-
schirmen mögen und süllen; so wir in die werlt varn 6)
---~7—--------
6) Hds. „so wir durch die werlt varn und tntt" u. s. f. — her-
nach : „und so wir in die werlt varn, so" u. s. f. Ein paßen-
der Sinn kommt nur heraus, wenn man das erste „und" weg-
streicht, und das „durch" und „in" ihre Stellen vertauschen
läßt.
35
mit dem taufe und krisemen; und so wir durch die werlt
varn, so sollen sie uns behüten und beschirmen vor Un-
glauben und vor cbrechen und vor unrehtcm gerihte.'
Wanne sivenne die werltlich fürsten und ander werltlich
rihter niht rehte rihten wollen, noch rchtc gerihte wol-
len haben, so betwüngen sie wol die geistlichen fürsten
mit rehte, daz sie reht gerihte müsten haben. Und sie stiln
auch selber rehte rihten, als verre als ez sie an get. Wanne
daz hat in got geboten, daz sie im sinen edeln schätz be-
hüten und bcwarn süln, den er do turc hat erkaufet mit
sinem grimmen tobe und mit siner martel, daz ist des
eristen menschen sele, den hat uch got gar hoch bevolhen»
Und dar umbe ir Herschaft, als liep uch daz 7) himel-
rich si, alle die der sele pflegen süln, die süln ir also
pflegen, alse sie uch got bevolhen hat, und er uch dar
zu gcvrdent hat. Wanne davon spricht er zu iheremia:
ich Han dich zu rihter gesetzt über alle min biet. Und swo
ir dez niht dut, so sint ir dem almehtigen got aptrünig
worden, und sint gefallen uz der gemeinde der heiligen
cristenheit; die wieset er zu den aptrünigen engeln; die 8)
glichet sich dent wuncclichen hinielriche. Büße nemen
wir alle zyt uz. Wanne alle, die got aptrünig werden
in sinem nydern himelrich, daz ist in der heiligen cri-
stenheit, die wirft er in den grünt der Hellen zu dem
7) „als liep" und „daz" von einer spätern Hand eingesetzt.
8) bezieht sich auf „cristenheit"; die Stellung der Sätze unbe-
quem.
3*
aptrüuigen engele. Die andenr lute, die der almehtige
gut au.ch gcordcnt hat zu den hvhsten i» der heiligen
cristcnheit , sie selbe brise, daz sint die geistlichen lute.
Die siiln auch die lüte wisc» und lern, als verre als in
hevolhen ist und als verre sie 9) getürren vor Urlaube;
und sülu in güt bilde vortrageir mit demütigem leben und
mit gcdültikeit und mit crbcriucde und mit siißcm leben,
mit küfche, mit fasten, mit allen guten dingen, und fr«
und spate got air rüsten mit lesen, mit singen und mit
gebette; und sollen da; dün dem almehtigen gote und
filier reinen niütcr zu lobe und zu ern und allem hime-
lischkn her, und allen cristen lüteu zu heile und zu scl-
deir, und allen gleubigen seien zu tröste und zu Hilfe.
Die zu himelriche sint, die enbedorfent ,»it dann lobeS
und ere. Und do von sol man got und fin heilige müter
loben und ern alle zyt umb die gnade, die er an uns
begangen hat, daz er uns geschaffen Kat, und unö
von dem ewigen dode erlöst und enbunde» hat, uZd daz
er uns zu der hohen wirdekeit und zu der wünne und
zu der freude, die er selber ist, ewiclich beschafen hat
und erwelt. Daz io) sol man alles got loben und sine
heilige müter und alles himelisch her; und den leben-
den cristen lüten selben und heiles wünschen, daz got
friste und heftete in rehlein glauben und an rehtcn wer-
ken; und swer sich an diesen zwei» vcrwarlbstt hat, daz
9).Hds „so",
io) vielleicht „dez".
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— 37 —
die got frsftc mit gesunde rmd mit selben, ittkd da'; sie
gotcs hülde erwerben; da; ist den lebenden cristenlüten, 11)
da; man in de; bitc »nd wünsche. .So ist den eristen
seln in dcnr fegcfüre de; not, da; man in wünsche tri-
stes und helfe, da; sich got erbarme über ir pin tin'o
über ir große martel; wanne die ist gar icmerlichen Und
engeslichcn; und dar unib hat der almchtige got gcokdcnt
geistliche lüte in der heiligen cristenheit, da; sie sich gcin
gote halten, also ir rege! seit. Und dünt sie de; nit,
so werdcnt sie crptrümg. Moli laici, malt religio&i. Da;
ist aber gar der sihtige düfel. — Die driten ley lüte, die
auch der höhsteil sint, und die driten in der heiligen kri-
stenheit, die den nidern schuldig sin unib ir» dinst gar vil
gnaden und guter dinge 12) — hier vor Han ich M)
gefeit, wez in die psaffen schuldig sint und die geistlichen
lüte; so wil ich uch nü sagen, wez in die kciser nnd die
künige schuldig sint, und die hertzvge, und die friert, und
die graveu, und alle werltlich Herren, die ritter und Her-
ren sint, und alle die, den unser Herr« uf ertrich gerihte
und gewalt geben und befolhen hat. Wanne die sint
der drier auch eine, den die sieben leyc lüte der almehtige
got undertenig hat gemäht, da; sie in dienen siiln. Und
dar umbsit ir diesen gotcskindern her wider schüldig, da;
ir sie schirmen sült vor dieben «nd vor reubetn und vor
brennern, vor Lüden, vor Heiden und vor ketzern, vor
11) vielleicht, wie gleich darauf: „dez ist — not, k>az^ —
12) Ein Anakeluthvn, verzl. ite Pr. Änm. .7).
: »
Meineides und vor unrehtem gewalte. Uch si'nt die ho-
he» zu den nidern bcvolhen; die pfaffen z» den geistli-
chen lütcn, die Witwen und die weisen, die meide und
die elüte allcsampt stnt uch befolhen. Wanne uch hat
unser herre gar groz ere und gut dar umb verleihen und
schone leben, und hat uch andcrö nit zu schaffen geben,
wann daz ir im sinen edeln schätz wol behütet und bc-
wart, als verre als er uch befolhen ist und als uch got
dar zu geordcnt hat. Ez sol «wer schachzabcl stn und
uwer fcder spil und uwer tegclt und uwer kürtze wile.
Ez stet in den» sermo von den drin müren, i6) Wollet
ir aber den goteö hüsern mer abrechen, dann int gebet,
und ir sic beschirmpt 14) — und den geistlichen luten
sollent ir uwer almusen geben, und darzu witwen und
weisen beschirmen und auch almüsen geben; und dünt ir
dez nit, so si'nt ir der heiligen kristenhcit aptrünig wor-
den, und man wirft uch in den grünt der helle zu dem
aptrünigcn engel. — Ru seht ir armen lüte allesampt,
dieser dinge si'nt uch diese drier lcy lüte schüldig umb uwern
dinst. Und dar umb fült ir in getrüweliche dienen so
getanen dinst, dez ir in zu rchte undcrteuig sult sin.
Wanne dirre drier ley lüte mvhte über ein die heilige
cristenheit nit enbern. Unh do mit hgt uns got ertzeu-
i'A) Hinweisung auf die erst« Predigt, die aber in der Hand-
schrift auf die unsrige erst folgt. Wahrscheinlich herrührend
von eineiul spätern Sammler, wie aus andern Stelle» ein-
leuchtet.
14) vergl. Anm, 11).
3$ —
gct, daz im der schätz gar liep waz und ist, der reinen
tristen menschen feie; und dar umb hat er sie gar wis-
lich geordent die heilige eristenheit. — Nu wil ich uch
sagen von den undern chörn der heiligen eristenheit. Der
füllen »och sieben zu rchte sin; nii, ist ir nüwcn sehse;
die ersten drie und sehse, das sind nüne; der zehende ist
uns cristenlüten aptrünig worden. Zu glicher wise als
der zehcnde kor der engele von dem oben« himelrich ap-
trünig wart, und allesampt zu tüseln worden: alS ist
uns der zehende kor uz der heiligen eristenheit aptrünig
worden gar und gar,, und hat sich zu de» duseln gesel-
let, da ir niemer rat werden kan; sie sint von uns ge-
fallest und habent dehein tun mit uns. Ir andern sehs
köre ir sült »wer ambet getruwelichen üben, daz ir iht
aptrünig werdent. Wanne ir sint gar ze edel dar zü,
daz ir der tüsel genoz wurdent in der ewigen inartel.
Und also hat der almchtige gvt diese heilige eristenheit
gesetzet mit sehs ley lüten und geordent, der man dehein
wise geraten mag. Und er hat jeglichem sin ampt ge-
ordent, als er wil, nit als du will. Du wollest lihte
ein rihter oder ein herre sin; so wüst du ein schüchsüter
sin oder ein Weber oder ein gebure, wie dich gvt banne
geschaffen hat. — Die-ersten, daz sint alle, die gewant
wirken, swclher ley gewandcs die lüte bedürfent. Die ho-
rent allesamt zu einander zu einem ampte, sie wirken
sydcn gewant oder wollins oder lynins oder beltzin.ge-
want oder schütze oder hentschuhe oder gürtet oder swel-
her ley ez ist, daz zu dein gewande gehört; die sint «rlle
M3
j»j*\ niMk
— 46' —
M einem köre geordent; und der mag man deheiii wise
geraten, und die sülu alle gctrüwe und gewer sin mit
krm anipte, beide den Pfaffen und den leyen, den geist-
lichen und den werltlichen, den fürste» nnd den dienst-
manne», den rittern und den knehten, dem armen und
dem richen, dem gebüre als dem kaufmanne. Daz ist
der dienst, de» ir den drin hohstm körn schuldig sollent
sin, daz ir mit uwerm ampte in diene» snlt. Wanne sie
mögen uwerS amptcs mit nihte geraten; sie müßen eht
gewant haben, wüllins und linins und beltze und schühe
und eins und daz ander. Da mit sült ir in dienen, daz
irs in getrüwelich machet, nit halbes verstelt, noch an-
der untrüwe dar zu tüt, har «»der wollen mischen, noch
zerdenen uzer einander. So einer wil wenen, er habe
ein güt duch, so hast du ez zcrzogen, daz ez bester lan-
ger si, und machest ein güt buch zu einem iteln hadern.
Ob du die zwo eln oder die drie gen ließest mit den an-
dern, und gebest ez bester hoher, so behiltest du bin tru-
wen, und wer den litten nützlich. So machest du ein
güt ding böse. Dar an lit vier Hände undrüwe. Du
ungetruwer velscher, daz du durch einen so kleinen nütz
ein buch oder ein leder oder eine i5) ander ding verder-
best, da mit wirdest du aptrünig, und mähst niemer bli-
ben in der gemeinde der heiligen cristenheit; man wirfet
dich zu den aptrünigen tüfeln, da din niemer mer rat
Wirt. Und die obern köre söllcnt dich vertiligeu «mb
i$) eine --- einige.
die drügenheit. Wanne die sint rehte dar zu gcordcnt.
daz sie alle trügenheit ritzten sollent, die werltlichen rih»
ter; und swo sie daz übersehent durch miete oder durch
früntschaft oder durch dehem ding, so sink sie so gar
trügener an irrn g-ritzte, als ienre an sinem antwcrk.
So enmag r6) ein man einen güten hüt vinden vor
dinem falsche, im ge der rege zu tale in den buscn; so
trügenheit an schühen; so trügenheit an beltzen und an
kürsen; so setzet der einen alten balk für einen nüwen;
und maniger Hände trügenheit, die nieman als wol weiz,
als du und din herre der tüfel. So solt ich dich trü-
genheit leren? ia kanst du ir selber genüg. Und alle die,
die also trügener sint, die sint auch aptrünig.
Die andern litte, die zu dem andern chöre gehörnt,
daz sint alle, die mit ysenin wafen arbeiten und wirken;
die hörnt alle zu einander, und zu einem köre und zu ei-
nem ampte. Daz sint golt-smide, pfennig-smide und an-
der smyde, und zymmerlüte, oder ysin-smyde, und swel-
her ley sie smyden künnen, und steinmetzen und drehse-
lcr, oder swelher ley sie do künnen; ez sin diese oder
iene, die mit ysin wirken, die hörnt allesampt zu einem
köre; und der möhte man auch deheine wise enbern. Und
sic süln allcsampt getruwe uud gewer sin mit irn amp-
ten, sie wirken tagewerk oder fürgrief. Wanne daz dünt
17) en mag --- kann nicht. Er kann keinen guten Hut finden
«or deinem ^Betrug, daß ihm nicht der Regen heratsttße in
in »en Knien. -, t
rchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 124
■
— 42 ~
in dem ampte vil zimmerlüte und steinmetzen. Und wir-
ken sie taqewerk, sie süln nit dester treger sin, daz der
werk maniges werde; ist ez fürgrief, so solt du nit dester
balde 17) da von ilcn, daz du. sin schiere abe kämest,
und daz ez über ein iar, oder über zwei hernieder valle.
Du solt ez mit trüwen wirken reht in der wise, als ob
ez bin selbes were. So sehst du. gerne, wie getrüweli-
chen man dir wLrhte. Als gern du sehst, daz man dir ge-
trüwelichcn zvürhte, als getrüweliche solt» dinein nehsten
dün. Ez sin goltsmide.oder ander. smidc, sivaz sie win-
ken, daz soln sie getrüwelichen wirken. Du stehst ette-
wanne ein ysin an ein roz, daz ist itel kis, und get lihte
daruffe küme ein mile, üntz daz ez zürbrichet, uird mag
davon erlammen, oder er mag davon gevangen werden,
o.der den lip. verliefen; oder 18) einem armen manne,
der ez tcgelichen ment und triben muz in wagen und in
pflsige. So bist Lu ein trügener und bist aptrünig wor-
den. Wann du must zu den aptrünig engeln. Wann
die viel« .nit uz einem köre, sie vieln uz den koren allen
zehcnein Und also vallent manig tusent uz diesen nün
körn; der zehende ist gar gevallen, der kumpt niemer mere
wider. Ruwe und büße vc.rsage ich niemanne. Aber
sdiel die laugen wcsier Fähen, do mit man. die lüte libe
lpz 4üt, die sin gctrywc oder, .sie geben türe oder wplveil,
so Wirt ir sele niemer rat. Und du worfcler, du bist der
IMjI
m4i<?
»*7)4Ir falber,
iS) nemlich: schlägst du ein Eisen an ein Roß.
aptrünigcn eiitre; du kaust diuem ampt niemer reht ge-
tün; du müst dich sin abe tün, oder du müsticht bi
den abtrünigen tüftln icmer ewiclichen brennen an dem
gründe der hellen; wann d» bist eht in dem ampte.
Die do mit dem ysin wirkent, und swaz der selben lüte
si, die süln ir ampt getrüwelichen übe», daz ez allerge-
trüwelichste si. Wanne sie wißen selbe allerbeste, wie sie
im tün süln. Und do mit sülr ir den hvhsten koren «n-
dertenig sin, wanne die gebietent ez uch mit der gehor-
same, die pftffenlich rihter und die werltlichcn rihter.
So bitent ez uch die geistlichen durch gvt und durch
uwcrs heiles willen; wanne sie mögen uch nit gebieten. —
Die driten, daz sint alle, die mit kauf mnb gent. Der
mohte man dchein wise geraten. Sie fürent uz jenem
andern künigrich in diz, daz dort wolveil ist; und da;
ien halp mers wolveil ist, daz fürent sie her über, und
daz hie wolveil ist, daz fürent sie hin wider, So fürent
uns die von ungern, die von kerlingen, die uf schiffen,
die uf wegcncn, die tribent, die tragent. Swelher ley
ez ist, so sint sie alle zu einem köre geordent, und pflc-
gent eins amptes. Und dez dbrfent die obersten köre
auch gar wol. Den sült ir'da mit dienen, da; ir gar
getrüwe sint an uwern kauffe. Und daz süln die obern
kbre gar wol under sehen, daz ir iht trugener sint an
uwerm kauffe. 19) Und über sehent sie daz: sie sint als
19) In der Hds, folgt hier die Wiederholung des ganzen Satzes,
nur daß statt „und" „wanne" vorangestellt ist. Unstreitig ein
Schreibfehler; und „wanne" wol anstatt „und" dem f»lgm»
fcm Satze »oranzustellen-
— -4'j —
wol trugencr an irm gcrihte, als ir an uwerm kauffe.
Ir sült rehte wage haben und rehte maße und rehte
gewitzte; so wirk uch got wegende mit der rehte» wage.
Du gehst dinen kauf mit maze oder mit wage oder
mit symmerin oder mit cln, daz sol alles gewis und ge-
were sin. Und ist banne der kaufschatz, daz er weder
wage, noch maze, noch symmerin nit bedarf, noch eln,
so soltu nieman nit anders dran geheißen, banne daz
dar an 20), und daz du daran weist. Tust du itzt an-
drrs, so bist du ein trügener. Du solt got getruwen,
daz er dich mit getruwen gewinnen iemer wol erncre;
wanne daz hat er dir gelobt mit sinem gotlichen münde.
So swerst du dar zu so vil, wie gut ez, und waz du
im gütes do mit düst. Und alle heiligen verswerst du
mere banne zehen stünt oder drissig stünt, got und alle
sin heiligen, um fünf schillinge kaufschatzes. Die fünf
schillinge wert verkeuffest du lihte sehs Pfennige hoher, dann
ob du nit enwcrst ein vcrswerer unsers Herren. Wanne
du swerst düre: „man wolle mir vil vier Han drümbe
geben"; und daz ist ein lugen. Und als oste du got
und sin heiligen verswerst, als oste hast du der zehen
geböte eins zerbrochen; daz ist ein heubt fünde; der tüst
du ettewanne zehen oder mer zu einem lihten kauffe. Nu
siech, wie vil der funden werde, ee ein iar uz ge, und
so) Wir suchen hier ein „ist“-, aber es ist öfters ln ganz ähn-
lichen Verbindungen uuSgelaßen; so gleich in den folgenden
Zeilen „wie güt ez" nemlich: „ft".
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 4§ —
wie vil ir werde», ee baun zehen iar »z gen, und der
siindcn allcrsanicnt geritest du gar wol. Wanne ez ist
manig mensche so grvzer gewiffende, so du ic mer swerst
zu dincm kauffe, so cz ie ungcrner umb dich festst; und 2l)
freit dich nit vil for, wanne daz du alle bitte sclikeit da
mit verdammest. Wanne er get dannoch gar oste hin
unkanst, so du dar zu im gar dicke gesworn hast. Und
so du ettewaz keufcn wilt umb einseitige lute, so f'creft
du alle bitte sinne dar zu, wie du e; im umb sust an
gewinnest, und düst im manigc lügen vor, wie wol du
ez weist, daz cz wolvcil ist, daz du umb cz keufen wilt;
und heißest dinen gesellen auch dar zu gen. Und gest
du banne ein wile hin dan, und seist im, waz du im
drumbe geben wilt, und heißest in, daz' er im minner
drümbe biete, so erschricket iens und wolte gern, daz du
hin wider umb gingest; und gewinnest im ungetrüwelich
ane, und swerest aber so: „z'war, seist du, bi allen hei-
ligen.' uch gibt nieman als vil drümbe, als ich." So
gebe im ein anders michels mer drümb dann du. Du
bist aptrünig worden dinem cristentüme, den dir got geor-
dert hat: und dar umbe müste du auch zu den aptrü-
»igen düstln, und müsi mit den iemcr ewiclichen bren-
nen, die wile got ein herrc in dem himel ist. Wiltu
dich vor heubt fünden behüten, swenne du iht kaufen wilt,
so soll du nieman sincn kauf swcchen noch verlützeln,
wanne nach der rehten warheit; und solt nit swern, daz
ei) nemlich: dein Schwören.
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— 46 —
du im «it mer wollest drümb geben. Und ist halt daz
war, daz du im nit mcr dar unib geben wilt, so soll
du sin doch nit verswern,daz im ander lüte so vil drümbe
iht geben. Wanne d« enweist reht nit, waz im ein an-
der umb daz selbe git. So schribest 22) du so manige
lügen, daz cz got crbarnien müße, daz der lügen und
der trügenheit so vil ist. Lat ez uch erbarmen, daz sich
got über uch erbarmen niüße. So sprächest du: cz ist
gar zu türe umb daz selbe gelt, wanne daz ich cht dar
zu bin komen 23). Du solt sprechen also: gebt ir mirs
also, ir sit mir bester lieber, als ich da gesprochen Han; 24)
düt ir dez nit, so muz ich uch da mit lazen du», daz ir
wölket. Und wiltu dich behüten an hingeben, so soltu
aber nit swern. „Keuffet i r sin nit, so teuft ez vil lihtc
eil» ander man"; und auch sieht an' lügen und an' trü-
genheit 25). Und also solt man sich an kauffe hüten.
Wanne cz wirt manig tusent feie verdampt Umb kauf;
swanne der selben trügenheit und valscheit und swcrens
:dez ist so vil, daz ez niemand verreden mag. Ir wißet
selbe aller beste, wie lügenheit und trügenheit an uwerm
22) l. „speichest"
23) Sinn: „es ist mir viel zu tbeuer, als daß ich es um diesen
Preis kaufen möchte; nur bin ich jetzt schon dazu hergekom-
men, und so möchte ich nicht weggehen ohne Einkauf; gebt
mir's also billiger.
24) der Satz t „als ich da gesprochen Han" hat eigentlich seine
Stelle nach: „gebt ir mirs also". —
a5) nemlich: sollst du verfahren- —
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kauffe gescheffig ist. — Der vierde kor, der daz vierde
ampt hat in dem niedern himclnch der heiligen cristcn-
heit, daz sint alle, die da cßen und trinken veil habent.
Wanne der mag man dchein wifc geraten. Die müßen
uns eht das brot backen, die müßen uns fleisch veil Han,
die müßen uns daz bier brüwcn, die müßen uns den met
sieden, die müßen uns die sische vahen, der kese und ei-
ger her tragen, und Heringe und ander ding her veil tra-
gen. Und dcz selben amptes bedürfen wir aller baste.
So bredet der, so siedet der. Daz ist groze notdorft,
daz du da mit getruwe und gewer si'st. Wann ander
trugenheit, die gct doch nüwen über daz güt; so get
diese trugenheit über den lip, den ettelichcr umb diese
werkt »it gebe. Du mit diner trugenheit mit müterinem
fleische oder an fülem fleische, daz du zu lange in dinem
gewalte beheltcst untz ez crfület, so 26) wirdest du ette-
wanne an einem menschen schuldig, oder an zehenen;
oder daz 27) ez nicht gesünt einst: so du ez abnimest,
oder untzitig ist an dem alter, swelher ley eht du dar
an weist, und gistu ez den lüten, daz sie ez zu .ir reinen
sele ezzcii, die dem almehtigc» got ein so lieber Hort ist,
26) „so" — auf diese Weise, nicht Bezeichnung des Nachsatzes.
27) „oder damit (ziemlich, wirst du schuldig u. s. f.) daß es nicht
gesund ist, oder unzeitig, welcherlei du nun daran weist, und
cs den Leuten gibst u. s. w. , du wirst schuldig". Dem Sinne
nach bilden die Worte: „du mit diner trugenheit — erfület"
und: „oder daz — verborgen hat" den Bordersatz zu: „so
wirdest du" u. s. f.
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und du den edel» schätz svcrliestst), den unser Herr« in im
verborgen hat. Da; selbe spreche ich zu dem, der die fische veil
hat. Du heltcst die fische in dem wazzer gevangen, untz da,;
ein fritdag kümet; so sint fie ful und ißet ein mensche den dvt
dar an oder grozcn siechtum. So bist du schuldig an allen
den, die du da mit betrügest, daz fie in siechtum vallent
oder in den tot. So sint etteliche wirte und gastgeben
in den steten, daz 28) fie ein gcsoten spisc als lange
behalten, daz ein gast dran ißet, daz er icmer bester kran-
ker ist. Daz ist alles untruwe und falscheit, und dar
umb wirdest du aptrüuig von der heiligen cristenheit.
So betriegent etteliche die lute mit fülem wine und mit
fülem bier oder mit ungesotem met, oder gibt der reh-
ten mazzen nit, oder myschet wazzer zu dem wine. Alse
maniger untruwe hat der kor, und Wirt ir auch gar vil
aptrüuig. So becket ehelicher füls körn zu brote; da
mag ein mensche vil schiere den dot an ezzen. Und ver-
saltzcn brot, daz ist gar ungesunt. Wir lesen dez nit,
daz saltz in deheine slahte wist st in spisc so ungesunt
und als iemerlich, als in brote; und ie baz gesalzener,
ie naher grozem siechtüme oder dem dode. — Die fünf-
ten lute, die in dem fünften ampte sint und zu dem
fünften köre geordcnt sint, daz sint alle, die daz crtrich
büwcnt, sie büwen win oder körn. Daz sint die gebüre,
die da büweut olcy oder bäume oder swaz ez ist in der
werlt, daz man uf der erden büwet. Daz ist alles ei»
28) ---- „von der Art, daß" u. s. f.
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— 49 —
gcsmde und ein ampt, und der möhte cht nienian gera-
ten. Wanne die sollen eht getrüwelich leben gein ir Her-
schaft und gein irn genoßen, und sie selber gein einan-
der und undcr einander, nit einander über ern oder über
varn noch über sniden noch uwer vihe triben uf der an-
dern schaden, noch dehein ander untruwe einander nit
dün, noch verraten gein den Herren. Pfi Verräter, un-
getrüwer! wo sitzest du vor minen äugen? Küsin und
achytoffel, der hing einer sich selbe. Da wirkest du er-
hangen an den höllischen galgen umb die groze untrüwe,
daz du dinen eben cristen verretest durch haz und durch
nyt. Und dinem Herren soltu auch getrüwe sin. So
gibst du dinen dienst so küme und so trage, und sihst so
vil »ot; und so dich danne ettewanne vermaht, daz du
in gclezzest, so verst du zu einem andern Herren. Ette-
wanne sink die Herren auch schüldig dran. Ir Herren, ir
dünt ettewanne uwern armen Ktfcn als übel, und kün-
nent sie niemer so gar beschatzen, ir wöllent sie dannoch
mer beschützen. So geschiht, als Hern roboanr salomo-
nes süne. Der wolte sinen lüten übel dün; do füre»
sie von im, da; er sie niemer mer gesach, und sie müsten
sins Vaters knehten undertcnig sin. Wanne her salomon
der waz wise und karg, und kündes den lüten derbie-
tcn; icdoch so het er den lüten zu nahe gegriffen. Und
da salomon gestarp, da quamcn sie für den fun roboanr,
und sprachen also: hcrre, ir sült uns gnedig sin. Uwer
Vater leite groze bürdet: uf uns: wöllct ir uns die ringe
machen, so wollen wir uch gern dienen und undertenig
5o
werden. Da sprach er: nü kümpt an dem driten tage
wider; so wil ich mich beraten, wie ich uch antworte.
An dem nehsten tage, do sprach der künig zu sinen rat-
geben: wie sol ich den tüten antworten? Do sprachen
sins Vaters ratgeben — die waren reife tüte, die kün-
den wol geraten — die sprachen falso: „herre, du sott
den lüten wol geheißen und sott in wol tün; so behel-
test du die lüte, und werdent dir willig." Do het er
dümme ratgeben auch, die warn mit im erwahsen,
und warn dümme tüte, und rieten im dümplichen. Sie
sprachen: „herre, du solt dinen lüten also zu sprechen:
legete min Vater swere bürde uf uch, die wil ich uch noch
swerer machen; und slug uch min Vater mit gerten,
so wil ich uch mit geißele» slahen." — Und volgte den
törehten ratgeben, und sprach also zu dem lüte, als sie
im geraten hcten. Do sprachen die lüte: „sint dez kdni-
ges werte so herte sin, so sint sine wcrg noch herter.
Wir sul» davides gesicht nit mer zu künige haben."
Und sie füren von ini, daz er sie niemer mer gcsach;
und er müst zu einem torn werden und zu einem gauche.
Ir Herren, volget uwern ratgeben nit, so sie uch raten,
daz ir uwern lüten übel tüt. Uch ist michels beßer, daz
ir alle iar ein wenig niezzet, und sint sust bester zcher.
Zr muget der hübe nit gcbüwen; und do von sült ir uwern
lüten tun, daz sie uch gedienen mügen. Und sollent auch
sie uch getrüwelichcn dienen, und getrüwelichen under ein-
ander leben, und irn kauf getrüwelich geben. So fürest
du holtz do her in, daz ist do mitten krümp, und du ver-
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— Sr —
keuffcst 29) den löst für holtz. Und daz Heu, das legest
du so- trügenlich uf den wagen, daz niemer deheinem men-
schen gut bo von geschiht. Du bist ein rehter trugener.
Du legest auch schone körn oben in den sag, und danne
unden daz böse. Und also verlüsest du alle bitt arbeit mit
trügenheit und mit hazze und mit nyde. Wanne bülüte,
der niohte gar lihte rat werden, weren sie getruwe und
gewere. Und du bist gar fro, so dinen nachgebüren it
leides oder schaden geschiht. Dar umb Wirt bin niemer
rat. — Die sehsten lüte, die den sehsten kor do erbent,
die der almehtige got geordent hat in der heiligen cri-
stcnheit, daz sint alle, die mit crtzenie umb g«nt. Der
mohte man auch dchein wise geraten. Wann cz spricht
der güte anselm von kantelberg: do uns der almehtige
got het gemäht undötlich ane we und ane allen siech-
tum und ane alle fünde, und do der stanze adam und
even den rat getet, und do sie dem rate beidenthalp vol-
getcn adam und eve, und daz obs azen durch dez stan-
zen rat: do mit slikten sie alle die vergift und alles daz
eyter, daz in dem stanzen waz; und von derselben ver-
gift do worden wir zu dem liebe und zü der seien siech
und tötliche; und werte daz an uns, biz daz sich got
über uns erbarmte. Do erbarmte sich got über uns
und gab unS^für jeglichen siechtum, der uns von dem
stanzen uf erbte, ein ertzcnic, die uns dez libes siechtüm
WZ.
der ©L
• 4t>r
29) Hds. „keuffest"; der Srnn fordert: verkeuffest.. So heißt eS
auch in der 2ten Pr. „und verkauft den luft für holtz."
4*
32
zu gcsüntheit brehte. Wanne er den wortzen und frufcn
und samcn und edelni gesteine und Worten die kraft hat
gegeben, do wir von gesünt werden füllen, der ez eht
erkennet. Her adam erkante jeglicher wurtze kraft und
gcsniag, und allen dingen gap er namen. Und do von
habent noch hüte die hohen mcistcr die künst, daz sie be-
kennen an ciine glase dez menschen natüre und sincn
siechtui», und banne, wie man einen ieglichc» sicchtünr
büzzcn sol; den man eht gcbüßen mag; wanne ez ist
ettclich siechtum, den alle die werkt nit gcbüßen nivhtc.
Wanne ez sint auch etteliche fünde, die nieman gcbüßen
uiag. Wann reht als adam des libcö siechtüm an dein
apfel az, also az er der sele siechtum an dem selben ap-
fel. Und als gar vergistig der apsel waz zu einem Zo)
libc, und als maniger ley siechtum waz dez libes: als
manigcr ley siechtum waz auch der sele mit den fün-
den. Und dar umb verkauft' auch unser herre alles sin
yj güt, und kaufte den acker, daz im der schätz wefrdc, dez
reinen cristen menschen sele; und dar umb gap er sich
an daz frone crüce an die martel, daz er uns die ertze-
uie der sele bereite, den Worten daz wir gesunt an der
sele wurden. Daz sint die sieben heilikeit, die der almeh-
tige got als kreftig gemacht hat, und als edel. Swcr
sie zu rehte enphehet, der mag niemer mer verloren wer-
den. Nu seht, ir engelischen köre zu dem nydern himcl-
rich, wie licp uch der almehtige got hat gehabt, daz er
3o) l. „sinem" oder „dem".
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eins bittern totes erstarp , dar umb [baj] er uns gc-
sünt wolte machen an der ftle von manigcr bösen fünde,
die adam do gaz an der vergift dez stanzen. Und dar
umb hetten wir gotte icmer vil zu dankende umb die
gnade und unib die truwe, die er an uns begie. Und
er uns an dez libes siechtum auch hat besorget mit ma-
niger edcln würtze und mit manigen andem bürgen, die
die wisen meister wol erkennen; dar umb sie auch in
den schsten kor geordent si'nt. Der wehte man dchein
wise geraten; und die süln sich gar scre Huten vor uu-
truwen. Wann daz ampt giltet niht minner, danne lip
und sete. Ewer niht gut meister ff, der under winde
sich der selbe künste niht; oder er wirk schuldig an den
lüten, an allen den, den er nach wane ertzenict. Die
aber nit si'nt geirrt, die wollent sich crtzcnie underwinden,
nnd niht enkünnent dann mit einer münden Zi), und
nement die innern künst da von, und »erneut sich der
an, und wollent den lüten drenke geben. Da hüte dich
vor, als liep als dir himelrich si. Wanne du cnweist
noch enkanst der rehten gewishcit niht, die dran lit. Du
tristest daz unrehte als balde als daz rehte. Wanne do
3x) Das Verständniß würde rein herauskommen, wenn der Sk
Satz vor dem oten stünde. Oder ist der 3te Satz kein Re-
lativ-Satz, u. ;u verstehen, als hieße eS: „und enkünnent
niht" und sie können doch nichts denn mit einer Wunde
(umgehen), nnd nehmen gleichwohl u. s. f. Die Construc-
tion läßt sich noch auf mehrfache Weise denken, ganz rein
wird sie aber ohne Änderung der Lesart nicht; was aber
auch nicht gefordert werden kann.
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habent die gar wisen meister gnug mit zu schaffen. „O we,
brüdcr bertholt, ist mir wol vier stünt gar wol dran gc-
lüngen." Siech! daz ist niht wann nach wane. Und
wiltu dich sin n!t enigen, du wollest der innern künst
pflegen, so svllent dirs die erbern köre gebieten bi der
aht und bi dem banne. Ez si'nt mdrder ane dich gnüg,
die da die lüte totent; gang mit dinen wunden umb.
Ja mohtest du nemen, daz du de; selben meister werest.
Und dar umb in aller der werkte solt du dich niht an-
ders under winden dann daz du gesehen oder ge-
griffen mäht. Ez ft' wünden oder geswer oder gestozen
oder gcflagen, dez mäht du dich wol under winden,
ob du dieselben künst hast gelernet bi einem andern
meyster. Ist dez niht, so mäht du wol schuldig werden
an einem wünden man, oder an einem, dem du den
stein snyden solt. Ez ensi kint oder alte lüte, so ist dir
guter künstc gar not dar zu, daz du den stein gar
wol gesnyden könnest. Tüstu dez nit, als dir die kunst
bevolhen ist, und als dich got dar zü geordent hat, so
bist du aptrünig worden der heiligen cristcnheit, und müst
sin ein velscher und ein inorder. — Daz si'nt ttst die
nun köre, da der almehtige got die cristenheit niit gcor-
dent hat, die ersten dri köre und die nydern sehs, die
den obern also dienen süln mit im ampten. Ir sint
aber dez nit schuldig, daz irn umb süs dienen sult; sie
siiln uch gar wol Ionen alles, dez ir in gcdienen mügt;
wann daz eht £ir] in dar an undertenig sült sin, daz
ir »wer ampt mit truwen üben sult, und uwer stat zu
55
reht versten sult- äir Wahrheit- und an gerchten lüten, daz
ir uwern kor «ist velschent, daz ist uwer ampt; daz sult
ir mit untruwen nit velschen noch lestern, als her lucifer.
Wer der getruwe gewesen, so wer er nit aptrünig wor-
den der himelischen engel schar und dem almehtigen gote.
Wann er woltc sich zu hohen dünken, und dankte got
der hohen ern niht, die er an in geleit hette; wanne er
hette grozen fiiz an in geleit. Und da er gotte nit ge-
horsam wolte sin, als der güte sant michel und als die
andern engel, do verstiez man in und ander sin genozen
dez himelriches. Und also vcrstozzet man etteliche.von
den nun körn, und alle, die von der heiligen kristenheit
ungehorsam sin und aptrünig sint worden an trnweit
und an warheit. Der almehtige got hcls mir der gna-
den, daz diese nün köre behalten werden. Wanne der
zehende kor ist cht gar von uns gevallen und aptrünig
worden. Daz sint die gümpelüte, gygcr und tambürer,
swie die geheißen sint, alle die güt für cre nem^nt; sie
selten den zehenden chor geordent haben; nü sint sie uns
aptrünig worden mit ir trugenheit. Wanne er ret cim
daz beste, daz er kan, die wile daz ers hört; und als
er im den rücken kert, so ret im das doste, daz er ie-
mer me kan oder mag, und schiltet manigen.,; der got
ein gerehtcr man ist und auch der weckte, und lobt
einen, der got und der werkte schedelichen lebet. Wanne
alles ir leben habent sie nuwen nach fünden und nach
schänden gerihtet, und schament sich deheinre funden
noch schänden; und daz den tüfel versmaht zu reden,
daz redest du, und alles daz der tüfel in dich geschütcn
mag, daz leßest du alles vollen uz dinem münde. Owe!
da; ie dehein taust «st dich qwam! wie du dez dauffes
und dez cristcntümes verleukent hast! Und alles daz man
dir git, daz git man dir mit fünden. Wanne sie müßen
got dar umb antworten an dem iüngcstcn tage, die dir
gebent. Also git man dirs mit fünden, und also cnphe-
hest du ez mit fünden und auch mit schänden. Wol hin,
ob du iergcnt hie bist! Wann du bist uns aptrünig wor-
den mit schalkeit und mit leckerie, und do von solt du
zu dinen genozen den aptrdnigen tüfeln. Wanne du hei-
ßest nach den tüfeln und bist halt nach in genennet. Du
heißest lasterbalk; so heißet din geselle schau dolf; so heißet
der Hagedorn; so heißet [bcr] hellefüwer; so heißet der
Hagelstein. Also hast du manigen lasterbcrn »amen, alS
din gesellen die tüfele, die aptrünig sint. — Ir andern
köre, wo ir aptrünig worden sint, so gewinnet allcsampt
wäre ruwe, und kümpt zu lüterre bihte und zu büße nach
gotes gnaden und nach uwcrn statcn, und gewinnet wäre
rüwe und die hulde unsers Herrn; so ist der minneeliche
got so erbarmig, daz er uch zu hülden lct kumen. Wanne
er hat uch doch hart erarnet, und ist im der schätz ane
mazzen liep, der cristenmcnschen selc. Und swanne ir uch
über uch selbe erbarmen wollent, so erbarmet sich got
auch über uch, und enpheht uch mit gutem willen, »ü
zum ersten an der sele und an dem iüngcstcn tage an
dem libc und an der sele. Daz uns daz allen wider var,
dez helfe uns der almehtigc got. Amen»
I
Z) Allgemeine Vorschriften für die Glieder der Chri-
stenheit. 3tc Predigt: von den zehen' Geboten.' (igle.)
Inhalt.
Nothwendigkeit, alle ic> Gebote zu halten, für alle. Duplicität
der Bestandtheile eines jeden derselben. Hieran Entwicklung
dcS Sinnes, den dieselben für die Christenheit habend Auf-
zählung von zehen Arten des Lohns für das Hatten der io
Gebote.
iA'r almehtige got nimpt alle tage ein vil michel schar
von dirre werkte, der jegliches schüldig ist zu geben zehen
helbelinge. Und swer ir nit zu geben hat, der mü;
ewiclich verlorn sin. Swer ir sieben oder nüne git, der
hat nit gewert; wanne ir süln zehen sin. Der arni
mag nit minre geben, noch der riche mer. Die zehen
helbelinge daz sint die zehen gebot, darzu ein jeglicher
mensche verbunden ist, er si arm oder riche. Der erste
helbeling ist daz erste gebot. Daz ist also: du solt de-
keinen frcniden got ane beten vor mir. Dirre helbeling
hat zwei gebreche. Da; erste gebreche: du fält deheinen
got ane beten danne mich, weder in dem himcl, noch uf
der erden. Die von babylonie beten an die sännen und
den manen und die sterren; die von kriechen beten an die
lüte und die ticr und da; vihe; die von egppten beten
an ein merwünder, daz heizzet apym. Daz soltu alles
nit tün, als die zeuberinne und die lüppcrinne. Phi!
wie sol dir mit diesen zehen geboten geschehen? Nü hast
du daz allererste gebrochen und daz allerherste und daz
hohste. Ez st wip oder man, die mit zauber und mit
lüppe umb gent, die sint cwiclich verlorn an libe und
a» seien. Nüwe und bkizze nim ich allezit uz.. So
gleubent etteliche an bösen anegang, daz ein wyif guten
anegang habe, der aller der werkte schaden tüt, und ist
halt so unreine, daz er die lüte anstinket, daz -niematt bi
im genesen mag, und daz ein gewitzter Priester bbsen ane-
gang habe, an dem aller glaube lit; wanne in hat got über
alle menschen erhöhet. Nu siech, wie valsch bin erster
helbeling ist, und bin erste gebreche. So gleubent ette-
^ liche an böse hantgift; so gent etteliche mit bösen bathar
2,5p. nien umb, und mit bösem zeuberlche umb/ daz sie we»
nent eins gebüren sün oder einen kneht bezaubern» Psi,
\ du rehte tönn! wärumbe bezauberest dm einen graven
^ oder einen künig niht? so werest du eine küniginne. So
gleübent etteliche an den müse arn; so ist dem der hast
Ädern weg gelaufen. Als ist irs Unglauben als vil, daz sin
»ieman zu ende komen mag. Die sint auch allesampt
verdampt; wanne sie habent daz erste gebot zerbrochen.—
Daz ander gebreche ist, daz du ane valschcit und ane Hin-
derliste mit güten trüwen an got gleubest, und waz du
5 9
von reifte zu i) got gleuben soft, und daz bin cristen
glaube seit. Du solt nit zu vil und zu tiefe gedenken in
dime heiligen cristenglauben, wie dem und dem ft, und
wie daz uud^daz gesin möge, und wie daz gesin möge,
daz ein Priester, der selbe in fünden ist, dich von dinen
fünden möge enbinden. Da; sol dich ruht eht wündcrn.
Ist der Priester nit heilig an st'ncm leben, so ist aber stne
wihe überheilig; wanne sie der stehen heilikeit eine ist, die
got uf erden hat. Got, der alle ding wol getün mag,
als sant peter do sprichet, der mag in auch den gewalt
wol geben über den heiligen cristen glaubender da lieht
und lüter und klar sol sin, als die sünne, niht trübe, daz
er schinc nüwen in der finstere als ein füles holtz, und
stinke als ein füles holtz und tüsent stünt wirs. Wanne
nu der lichte sünne den heiligen cristen glauben bezeichent,
so sült eht ir nit vaste in die sünne sehen. Ez enhat
nieman so starke äugen, und wil er zu lange und zu
faste in die sünne und in daz drehende rat der sünne»
sehen, er wirt als unniazzen kräng an sinen äugen, daz
erS nienicr überwindet, oder er wirt gar blint, daz er
niemer siig gesiht. Je glicher wise sol nieman zu faste
in den rehttn cristen glauben sehen; anders er wirt so
kräng au dem glauben, daz ers niemer überwindet, oder
er wirt aber gar zu einem ketzer. Du solt ane valfch
nnd an' Hinderliste mit guten trüwen an got glauben,
swaz du zu rehte von gotte glcübcn solt, nit manigen
i) beger, wie hernach: „;u rehte von."
glauben habe«, als lüden, Heiden, ketzer. Credo in.
unum Deum. Also singet man alle süntdage und auch
etteliche ander tage in der heiligen messen. Darninb wirt
vil lüte verdainpt, da; sie diesen helbeling nit niügen ge-
leisten. — Der ander helbeling ist daz ander gebot: du
solt dines gotes namen nit unnützelichcn nennen. Der
helbeling hat auch zwei gebreche. Daz erste gebreche:
daz du weder durch liebe noch durch leide noch durch
miete noch durch dchcin ding Meineide siveren solt, noch
umb sus der warheit nit swern solt. Ob ich zehen eyde
swüre, daz ein holtz ein holtz were, oder ein stein ein
stein, oder swie man unnützelichcn swcrt, daz nieman not
anget, und auch zu nihte gut ist, wie war daz ist, der
hat daz ander gebot zebrochen. Wann cz spricht her sa-
lomon: swer vil eyde geswert, der wirt erfüllet mit fün-
den, und kümpt der slag von sincni hüse nit. Man
swert der warheit an' fünde wol, die nütze und reht ist,
und dez man nit geraten mag. Da velschcn wir die
ketzer mit; die iehent, man solle der warheit nit swern.
Sie licgent. Man liefet in der heiligen schrift, daz die
güten lüte in der alten ee gesworn hant, und die heili-
gen in der nüwen ee. Ez fach sant iohannes in apoka-
lipsi, daz ein engel swür. Man liefet in dem heiligen
ewangelio, daz got selbe swür und gesworn hat. 33)
Da von liegeilt die ketzer. Man sol halt eide swern, die
die da war sint und rcht sint und banne nütze sint, daz
2) Anspielung auf Matth. 26, 63. 64.
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— 6l —
man ir nit gerate» mag. Pfi ir kramer und pfragener
und ir schüchsüter, und ir andern alle, die zu markte
stcnt mit irrn veilen kauffe, wie ofte und dicke ir daz
ander gebot zebrechent! Wanne daz ir eins Pfenniges
wert verkeilst, daz ir veile habt, so habet ir vil lihte
vier eide gesworn, der einre nit nütze ist, und der man
aller wol geriete; und kümpt sin in ein gewonhcit, da;
ir einen eyt umb einigen holtzapfcl swcrt, oder gar unib
süst. Und sie werden auch nieinciüig vil iihte gar von
lihten dingen; sie sint sin als gar in gewonheit komen.
Dar vor sol sich alle die werlt hüten durch de» almeh-
tigcn got, vor meineyden. Ir ahtcnt sin gar kleine; und
cz ist der schcdelichesten 3) ding eins, daz 4) die werlt
hat. Nü hat man ez mit der gewonheit dar zu braht,
daz nü manig tusent sint, die nit vier wort mögen ge-
reden, sie swern bi gote und bi siner reinen müter und
bi allen sinen heiligen dar zu. ~~ Daz ander gebreche
ist, daz du got niht schelten solr und im nit fluchen solt.
Wanne ez ist eine so getane fünde, da; got in einre naht
einen cngel hiez hundert tüsent und ahtzig 5) menschen
zu tobe slahen durch einigen menschen, der got schalt.
Wie gesellet uch daz, ir spieler und ir dvppclcr, die got
scheltent, so cz nit nach irm willen bellet? Pfi! wann
J) Hds. „schcidelichesten".
4) vergl. ite Pr. (z3) Anm. 20); man sieht, daß diese Form
der Relation geläufig ist.
5) 2 B. der Kön. ig, 35. 185,00» M.; vielleicht ist das 2te
tusent ausgefallen; wenigstens steht es gleich nachher.
— Ü2 —
da; got als gut und als barmhertzik ist, so ist ein groz
wunder, daz dich die erde nit verbindet an der selben
stat, da du got schiltcst und sine liebe müter. Schiltest
du in dar umb, daz du ie mittünt heubtsünde tust, daz
du spielest? Du gewinnest oder verliesest, so tust du
heubtsunde mit spiele, ob du got halt niemer geschiltest.
Du hast dich selber verflucht und gescholten, daz din
niemer rat Wirt. Ja hat halt ein laut unselde von di-
ncn schulden, als ich ietzunt sprach, daz der engel hün-
dert tuscnt und ahtzig tusent menschen zu tobe slüg
in einer naht nüwen durch eins menschen willen, der
got schalt. Und dar umb, ir biverben lüte, durch den
alnichtigen got, swo ir do bi sit, daz einer got schiltet
oder sin heilige müter min frauwen sant Marien, so ver-
traget sin niht; ir sült cz geistlichem gcrihte und werlt-
lichem künden; die süln sie beide büßigen; geistliche rihter
sollen sie Villen und schern der kirchen gewalt, und
sman^solim oste büße geben dar nach; wann die schüloe
ist vor der kirchen menie. Und der werltliche richter sol
im hüte und har abe heißen slahen, gebunden an cinre
süle, oder mit Pfennigen büßen. Wie getarst du den
tag niemer 6) me geleben, daz du got schelten getarst?
Ja solt du dinem ebencristen niemer geschclten noch ge-
fluchen. Man liefet in dem heiligen ewangelio: wer zu
dem andern also sprichet in rehtcm ernster du affel der
ist dcz schüldig, daz er iemer brennen müz. Büße nim
€) vielleicht: „iemer"
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— 63 —
ich allezit uz. Nü siech, schelter, wie gesellet dir daz,
so du danne alse böse wort sprichest, daz ich dehein güt
drumb »eine, daz ich die selben wort dar umb wolle spre-
chen vor diesen enge!» hie 7); wanne sie worden alle
da von betrübet, und diese» luten allensampt ir orn ge-
unreinet, und ir hertze beswert. Nü sint sie- leider alse
gewonlich worden die bösen wort und schelten und flu-
chen, daz sich der werkte daz merre deil da mit verwirret
und verwirket. Ja wblte ich nit einem Hunde oder einer
ketzen fluchen oder einem andern vihe, so du fluchest
aller der werlte herre. Ez si got, oder lüt', oder ander
ding, daz got aller der werlte git und geben hat; so get
der fluch und die bösen wort nüwen bin wider beirn^
als salomon sprichct: fliege der vogel verre oder nahe,
so flüget er doch zu iüngest wider in sin nest. Umb die-
sen helbeling wirt serc geriht. — Daz brise gebot ist:
du solt dinen rüwetag heilig machen. Der har auch
zwei gebreche. Daz erste gebreche ist: du solt an dem
rüwetage niht wirken, und vor smacheit und von unwerde,
als die ketzcr, die an dem suntage gerner wirken dann an
dem manttage. Man sol dekeiner slahte werk wirken an
dem rüwetage, daz ist an dem sünnentage, und alle die
tage, die man uch bi dem banne gcbüdet zu viern. An
dem selben tage sol man in aller werlte nihtesnit wir-
7) Andeutung einer in allen Zeitaltern der Kirche flch ausspre-
chenden Vorstellung, die wol auch, 1 Kor. 11, 10 zu Grunde
liegt.
CM
64
ken, wanne daz man nit uf geschieben mag untz an den
andern tag. Swer sie 8) iht fürbaz wirket, der hat daz
brise gebot zerbrochen unsers Herren. So varnt sie nü
an dem heiligen sünttage und an den heiligen zwels bo-
tcn tagen mit wagenen und mir karnen und mit rossen
und mit escln über velt und über laut, uff die merkte,
in die stete und in die dorf. Du kneht, dir dütdinherrc
unecht, der dich an den rüwe stageilsj deheiner arbeit
mutet fürbaz, banne du im sin vihe uz und in tribesi
an die weide, oder ez im daheime etzest und trenkest;
wann dez enmag man nit ufgeschiebcn untz an den an-
dern tag. Und du dirne, bin Meister tut dir unechte
oder bin herre oder bin srauwe, swann sie dich ihtsit
heissent wirken an dem rüwe tagen, banne ein czzen ma-
chen, und kint besehen oder ein vihe; dez mag man niht
geraten. Daz selbe sprich ich zu dem rosse und zu dem
andern vihe. Rbzlin, dir düt bin meister unreht, kündest
du cz gemcrken und gemelden, swanne er dich dez rüwe-
tages arbeitet; wanne du sottest rüwe». Daz selbe sprich
ich hin zu anderm vihe und dienern; die sink irn her-
schc.ften debeinre slahte dienst schuldig fürbaz. Ir die-
ucr oder ir knehte oder j_r dierne, ez sin frauwen oder
man, iüng oder alt, arm oder rich, swer iht fürbaz wir-
ket, dann ich hie gesprochen Han, die habcnt alle daz ge-
bot übergangen. Ir sült auch dar umb nit tantzen an
dem ruwe tage, oder spieln oder toppel», da; ir nit zu
8) seine Werke.
künde habet. „Wie, bruder berkholt! du wilt uns den
weg gar enge machen. Sollen wir nü nihtsnit zu ampte
Han, weder niergcn varn, noch ander ding tun, weder
tantzeu »och spieln? Sec wie süln wir banne tun, daz
wir den tag vcrtriben." Seht, da solt ir in vertriben,
als got da selbe gesprochen hat, und uns allen geboten
hat, daz man den rüwetag heiligen sol. Mit nihtc an-
ders sol man den rüwetag vertriben, wanne mit heiligen
werken, zür kirchen gen, und got da fiißcclichen da an
rüffc», und »wer gebet gar andchteclich da sprechen, und
mit schonen zühten da sten. Wanne üwcr ist ein michel
teil, und halt ir gcülüte allesanipt, wanne der gar we-
nig ist, daz ir durch alle die Wochen niemer zu kirchen
kümen möget. Da von ist uch gar not, daz irs an dem
vigcrtage erfüllet, daz ir durch die woche versümet. Als
man dann gvtcs dienst begangen hat, so sült ir Heyn gen
cßcn, und nach dem ezzcn rüwcn mit slaffe, oder an-
ders mit guten zühten. Wanne ir alle die Wochen ge-
wirtet und gearbeitet habet, so ist sin gar not, daz ir
rüwet und rüwe habcnt. Als ir banne gerüwet, so sült
ir banne aber zu kirchen gen, oder daheymen uwer gebet
gctruwelich sprechen, oder uf den> vclde, oder an welher
stat du got anruefest mit rüwigem hertzen, die stat ist
heilig. Also sült ir den vigertag vertriben mit gebet, mit
almuscn geben, mit kirchverten, mit venien, zü predigen
gen, und swo ir die predige gestichen möget, und swo
ir aplaz und ander gnade vindet; und sült zu den sie-
chcn gen, die unkreftig ligent, und sült die laben, ob ez
5
— 66 —
in not ist und ob sie sin notdürftig sin, und ob ir sin
state habent. Ist dez nit, so klaget sie sust gctrüwclichc,
und bitte got, daz er in friste uf bczzerünge oder im
ein gut ende gebe. Ir sült auch gen, do gevangen tüte
ligent, und fält die trösten. Dez ist gar vil, seht, da ir
den rüwetag mit «lüget vertribcn in gotes liebe und in
gotes ere, wollent eht ir mir vvlgcn. „Bruder bcrtholt, rede
waz du wollest, wir mögen ungetantzet nit sin." Darüber
sprichet saut augustinus: Ez ist bezzer, daz man an dem
vigertage z'acker ge, banne man taiitze; ane zu brütlcüf-
ten, da mag man also tantzen, da; c; ane heubt fünde
ist. Du mäht auch also tantzen, daz du tätliche fünde
tust. Swer an dem sünttagc z'acker get, der tüt tätliche
fünde; der tantzet, der tüt daz selbe. Der ackergang ist
aber nütze; so ist daz tanzen meutern nütze. Ich sage
uch aber eins: swaz ir der vigertage crbcitct, daz ez uch
niemer nütze wirk. Ez sie lang oder kürtz, so niiiis>t dir
ez got an andern enden wider abe. Dir nemcn ez die
reu der, oder verbrennet, oder fleht der Hagel, oder ver-
brennet von dem tünre, oder du verstechest ez in eint siech-
tüme, oder du wirst wünt oder gevangen, biz du dez
selben gutes wider ane wirdest, daz wider dez almehti-
gen gotes gebot also ervorhtet und erzabelt hast. Und
daz war si, daz hat uns got erzeuget in der alten c.
Do wollen sie auch nit vigern, daz in got geboten hete,
und zu rchtc svlten. 'Da verhängte got über sic, daz
die Heide» von babplonie her fürit zu ihcrusalem und
gewannen daz über heubt, und zerfürten die stat und
'6? —
minien alles, daz sie selbe wvlten ncmen, und vingen
siven sie wollen, und slugen swe» sie wollen, und für-
len sie gein babylonie. Da müsten sie siebentzig iar sin
gevaiigen. Da sprach unser herre: sie wollen mir min
erlriche >iil lau gerüwen an dem rüwe tage. Seht nü
müßen sie mir doch min crtriche lau geruwen. Also tut
der almehtige got hüt zu tage, so er dich gnüg manet
mit maniger Hände ungelucken an libe oder an güte oder
an beiden. Nü will» auch im sin ertrich nirgen lan
gerüwen, Hoch bin selbes lip, den er dir verlühen hat im
selber zu lobe und zu ent, und dir selber zu selikeit dez
libeö und der seien. ilnt> wiltdu den selben lip und sin
ertrich alles wider sinem willen und sinem geböte erbei-
ten, so verhenget er auch über dich, daz die Heiden her
komen, daz sint die tüfele, und sürnt die feie gefangen
gein babylonie, daz ist die helle. Da müstdu banne von
übten iemer zabeln; wanne dich lant die tufel niemer
mer gerüwen. Nu zabel! nü zabel! als ein gürre, als
ein gürreliu, als ein esel, als ein roz, und als der tu-
fel, der geruwet auch niemer. See nü siehst du wol,
daz ein stinkender lüde, der die lute an bolzet, (tuen vi-
gerlag baz ert banne du. Pfi! dez mbhtest du kristenre
dich wol schämen, daz du got niht alse wol gctruwest,
als der stinkende lüde, ob du den vigertag in sinem lobe
verleibest, als er dir geboten hat, daz er dich dez wol
ergetzete. Siech! nü zabelst du alle die Wochen umb dez
unreinen libeö uotdorft; der ist ein irdenischsag. Mahtu
banne einen einigen tag der edeln feie in der Woche mt
5 *
gearbeiten? Wie taten sie in der alten ec, die ettewanne
ein gantzes iar müstei» vigern an einander, daz sie nie-
mer tag gebrachen; und nerte sie doch der almehtige gvt
wol. Sie müstcn ie daz fünftzigcst iar vigern. Und als
daz naben begünde, so licz in unser herrc als vil ert-
wuchcrö werden in eim iar da vor, daz sie nutz in daz
drite iar gnüg hetcn. Als bete er hüte zu tage, wollest
du sin im gctruwen. Er ist hüte als nichtig und als
rich, als dcz ersten tages. Er gebe dir bin notdorft,
als er in do dct. So wil etteliche nit gnügcn, daz er
in git, und wolten alle got groz ding erbieten, oder abe
ergrincn, oder abe ertzörnen, und sprcchcnt: „Owe! herrc,
wie hast dn mich so gar unselig erschaffen, da; du dcnr
so vil gibst und mir so wenig!"-— Nü zorne und zorne
und grine und grin', und zabel und zabcl, alles nach
richtum und nach grozcm gut; so git dir got rehte nihts-
njt, banne daz er dir geben wil. Er hetc dir unmazcn
vil zu gebe», wolle er dirs geben. Ich wil dir sagen,
waz er hat, ob er dir geben wolle. Et hat, ob er dir
geben wolle, bereites gutes uf ertriche, an' daz er von
sinen gvtlichen gnaden alle zu geben hat. So hat er
grozc starke gulhine berge in india. „Owe! brüdcr ber-
tholt, da; er mir doch nit ein wenig git." Nit! nit!
und sage dir, wo von? Du wollest gerne ein herrc sin,
und must den acker büwen. So wolle der gerne ein
grave sin; der müz ein schuchsutcr sin. Da; selbe sprich
e ^
ich zu allen arbeitern. Hete u^s got alle zu Herren ge-
mäht, so wcrc die werkt unverrihtet, und würde auch
selten wol und rehte siende in dem laude. — Daz air-
bcr gebreche ist: dincö hertzens rüwe an dcheinre crea-
ture sol sin, banne an got alley», der alle ding beschaf-
fen hat. Pfi! gitiger, war an lit dinö bersten ruwe tag?
wie du einem sin armüt an gewinnest mit wücher oder
mit sürkauffe, oder niit dingcsgeben ins iar umb tüwcr-
rcs, und verkaufest got sin zit. So alle die werkt hat
rüwe, so gelit bin pflüg niemer; der gewinnet niemer
dehein rüwe weder tag noch naht. Ez si winter oder
süinmcr, ez si heilig oder niht, ez si gut weiter oder bö-
ses; so gewinnet dine verdampte arbeit niemer rüwe.
Ja hat dich der tufel en manigen enden verteilt niit dincn
fünden» Wanne in aller der werkt ist niergent fünder
so arger, er gerüwe etteviel wile mit sinen fünden, wanne
du. So ist din ander verdampnisse, da; du diner
funden niemer sät wirdcst, da; dich ir niemer genüget.
Ettcwenne wirt ciure lüders und spieles sät, einre un-
kn sch, einre zornes, einre tantzeS. Daz ist auch dine
dritc verdampnisse, und ist auch die wirstc, daz du aller
warer ruwe einige uit enhast. Daz vierte ist, daz ir sel-
ten ienicr dekcincr bekert wirt, die dine geuozen sink.
Dehein sünder glichet sich dem tufel so gar, so der gitige
und der ketzer, der lange in ketzerie ist gewesen. Der hat
auch dekeiuen müt, daz er sich iemer bekcren wolle. So
ist daz die fünfte verdampnisse, daz du manig hündert
sele mit dir zur Hellen bringest. Ir mördcr, ir schacher,
ir vcrdampiicnt nüwer uwer eins sele. Der sünder ist
gar viel, die nüwer ir einiges sele verdampnen. So vor-
dampnest ba alle, die daz unrehte güt wißentlich nach
dir erbeut. Du ertötest bitte feie nit alleine; du ertötest
alle die, die ez nach dir erbeut wifientlich, als ich ietzünt
sprach. Und da; daz war st, daz hat uns got ertzeuget
in der alten ee. Da sanipson sich selber ermordete und
ertöte, do ermordete er sich selbe nit alleine, er ertöte
wol virdchalp tüscut menschen mit in», die alle mit sime
tobe erstorben. Ru lag er under in allen sament, und
sie vielen oben us in. Also wcrfent dich die unrehte»
gewinne a» den grünt der hellen, und wersent alle die
uf dich, die daz unrehte güt wißentlich erbent. Ir srü-
men lüte, Herren und frauwen, durch den almchtigcn
got, gebt üwer kint der kinden niht, die da unechtes güt
habent, oder ir verkeüft sie in den ewigen tot. Ru siech,
gitiger, wie wol d» dinS hcrtzens rüwe tage hast ange-
leit. Der an got allein ligen solle, den hast du in ge-
selleschast dez leidigen tufels geleit, der dir de; vil wol
gclonet, im zerrinne banne alles dez füwcrs, daz er ir-
gent hat. Ein iegliche mensche zerstöret sins hcrtzen ruwe
tage auch mit maniger Hände fachen. Swelhcs men-
schen hertzen wünne und sreude oder ruwe gert anders,
danne an got alleine, so ist cz valsch. Minne got vor
allen dingen und den nchsten als dich selben. Also spri-
?*■" chet der münt, der nie deheine lugen gctet. Ist ieman
hie, der dem almchtigen gote diesen helbcling geben wolle?
Pfi! gitiger, wie türe dir dieser hclbeling ist! Swie ma-
nigcr niarke wert du habest, er wer' dir vil nutzer und
bczzer^ swanne dine sele von dinem libc scheiden müz,
7 * •—
danne alle die Fefrc vol nwi.8, und banne alle dine siede!
volle körn es intb alle dine schrine volle schatzeö. Ich
sprichc mcr: cz wer' dir halt nutzer, banne alle güldine
berge, Wann srver biefen einigen helbeling hat, der hat
die andern allesampt. Swann wer sins hertzen rüwe
an göt hat geleit alleine, dem sink alle fünde unmcre,
und hohfart und nit und haz und zorn, und rehte alle
bosheii, und alles daz in voir gote gescheiden mag. Ir
trenker, wer an lit uwers hertzens ruwe? Uw er eiu nn-
chel teil, uch ist der helbeling eht gar türe; wanne btn
hertze brennet zu allen zitcn nach wine; dez morgens da
zur kirchen die nit erbiterr urogen, biz man die messe
gar uz gelinget, er engee hin zu dem wine. Ist aber
daz er blibet, nutze man den fegen git, so wirt im ofte
und dicke so gach, daz er- niemer gar volle gestet, untze
man den fegen gar volle getüt, wanne daz im der
fegen hinden an den nak wirt. Pfi! du mohtest in
doch under die äugen enpfahen. Da geizzest du sin
dannoch gnüg dar allen den tag. — So lest der sins
hertzen rüwe an tantzen und an unküsche. .Swar an du
dines hertzen srüwe^ in aller der werkte leise, daz ist ein
gcstüppe und ein niht, ane got alleine; ez si kink oder
wip, Vater oder müter, bruder oder swcster, silber oder
golt, bürge oder lant. „Wie bruder bertholt! wie mbH-
ten wir nun kint oder swip^, muter und vater und an-
der unser frünt und gut gelazen? wir müßen freude und
liebe dar zu haben." Siech! daz kan ich dich wol ge-
lern, Mita eht mir volgen. Du sott kint und wip, va-
7.2
tcr nab mntcr, fr&nf «nd 'gut licp hau. Du solt aber
de» almehtigcu got aller liebeste hau, und tusent stkmt
lieber Han. Nü du hctcst eine» kncht oder dierne, die diu
eigen wern, und dir vor eigen dienen musten und von
rehtc dienen sollen, und sie heten von dir alles, daz sie
bcdorstcn, und du hetcst sic von dem tode erlöst/ du se-
hest vil gerne, daz sie dir bester ha; dienten, und dich
bester lieber bete» banne ander lüte; und du de; gar
wol innen worbest, da; sie den swertzcsten schüsselspüler
lieber heten, de» du irgent hetest; und sie dir mit gan-
tzcn trüwen noch vor liebe niemer deheinen dienst noch
crc erbüten. Also ist manig tusent, die got niemer de-
hein ere erbäten, getorsten sie vor der werkte. Noch tü-
sent stund bczzcr rcht ist, daz wir got vor allen dingen
liep haben. Da.; wir gut imb frunde licp haben, dez
gan er uns wol; wann er hat ez uns alles zu nutze
geschaffen; da von süln wir got liep haben. Alle crca-
türe hat got dem menschen zu dinste und zu nutze geschaffen;
da von süln wir got lop und ere do mite bieten und grözeli-
chen danken der manigfaltigen trüwen und der niinnc, die er
«ns crtzeugct hat. Da von süln wir nihtesnit lieber Han,
dann got. Ewer daz uit düt, der dienet dein knehte vor dem
Herren. Fründe und gut sol der mensche in der liebe haben,
daz er gotesgebot niemer dar unib zebrech, alse der edel
her abraham. Der hete gar einen lieben sün; und swie
liep int der sü» waz, dv wvltc er doch gutes gebot nit
über gen. Do unser Heere z» im sprach, daz er im sine»
lieben sün opferte, da wolle er im daz hcubt abe Han
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geflageit. Der liebe mutet unser herre niht hin zu uch,
daz ir »wer kint tötet durch sine liebe; er mutet nüwer,
daz ir sie bester minre lat, ee daz ir in unreht güt ge-
winnet wider gotes willen, und ander fünde lat durch
sine» willen. So steht einre den andern zu dode durch
si'nes frunoes willen, oder swert einen meyn eyt. Da
sottest du alle die werlt nit umb nemen oder tusent
werlte. Nieman sol frunde noch gut so liep Han, noch
dehein ding, daz er gotes hülde dar umb Verliese. Got
verflichet dich nit als abrahamen, daz du bin kint tobest.
Du sottest ez aber ee lazen töten, banne du gdtes hhlde
verlürest. Owe lieber got! waz werlte umb diesen hel-
beling Wirt verlorn und verdampt, daz sie di; gebot niht
halten! Diese dru gebot hat uch got von im selber ge-
boten, daz ir sie gern im halten sult. So sult ir diese
sieben halten under einander gein uch selber. Die dru
Horn got an, und diese sieben hörnt uch selber an. Und
swer ir eins zebrichet, der muz verlorn sin; und swer
sie beheltet, der ist niit gote in den ewigen freuden, den
da nit gelichen kann, und der ist ewiclichen behalten.
„O we brüder bertholt! wie sollen wir daz alles behal-
ten, daz du uns vorseist? mohtest du uns einen weg
viuden zum hymelrich, der uns senftcr und ringer were,
und heten wir halt minner freuden in dem himel; swo
wir in einem winket da wern, oder hinder der ture, da
dlihtes mich gar und gar güt." Nü in gotes »amen!
so lange und ir nit grozer freuden in den hohen kor»
begernt, so geschehe mir aber niemer leider, ob ich uch
I
tu bei* npderffe» kor drehte und zu sdcml nydcrffen lone
da zu himcl. So tunt weder niiiire noch mere, und
auch bloz reht, und daz notige rcht. Und der aller lih-
tcst weg, der zuni hiiiiclrichc get daz ist, da; ir die ze-
hen gebot halten sült. Und wer zn hohen» lone wie-
der müz fürbaz griffen an gotes dienst. Die zehen gebot
sint der rchtc weg zum himelnch. Swic so ez der niin-
neste lon ff, so wag nieman dar komcn an' die zehen
gebot; und aller cristenlüte selbe lit dran; und ein icg-
lich friste» mensche soltc ffe gar wol wißen, und gar
küntlichen erkennen. Und hie vor scheiden ffe die löte an,
und hingen ffe vor ffch, daz ffe bester baz dar an ge-
bebten und bester minre teten, daz wider got wcrc, an
den zehen geboten, und bünden dorn an die fuge, daz sic
der geböte crmanct wurden. Und dar «mbe, ir Herren,
ir pfcrrer, durch den alnwhtigcn got, so sprecht und pre-
diget uwcrn pfarrc-lüten bester mcr da von, ie an dem sünt-
tagc eins oder zwei oder me, untz daz irs in gar ge-
kündet. Und ir hcrschast aüesampt, ir snlt gar ffizzecli-
chcn ffe merken und lernen; wanne da lit alle uwer se-
likcit an. Wanne alö ir dran gedenket, und nch einer
funden zn müte wirk, so sult ir gedenken: „owe! daz
ist der zehen geböte eins. Nu cnwelle der almehtigc
got, daz ich daz zerbreche! wanne dar unibc müste ich
icnicr verlorn sin." Du solt nit gedenken: „we! briche
ich da; gebot, daz mag ich noch gar wol gedüsten."
Glaube mir, du bist gar faste betrogen an dem selben
gedanke. Du weist nit, wie lange der tot dich lezct le-
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den, wch eine hant lange wile. Ist aber daz dn zu
büße kämest, so were die fünde doch hundert stunt bezzer
zu miden, danne zu büßen. — Der Vierde helbeling ist
daz vierde gebot: du feit eren dinen vater und din müter,
daz du lang leben habest. Der hat auch zwei gebreche.
Daz erste: du solt ern vater und müter, die dich an die
werlt drahten. Du solt sie ern mit dinem hertzen: da;
ist, daz du sie nit Sersmahen solt, ob sie arm sink an
dem libe oder siech sink, oder an oem gut arm sink, oder
an der wirde, oder ob sie unge alt, oder sus nnahtber
an dem libe oder kräng sint. Wann st daz an in, daz
ist vil lihte von dinen schulden. Du solt dich ir nit schä-
men, noch ob in winthalsen; wanne da mit hast du sie
versmeher, und do von versmeher dich got in sinem riche.
Du solt ir auch nit spoten. Wanne da von haben wir
der grosten gebresten einen, den wir in der werkte haben.
Da her noe stner süne einen dem andern zu einem un-
dertanen gab, daz det er dar nmb, daz er sin gcspotet
hete. — Du solt auch vater und müter ern mit dein
libe, daz du in ir notdorft gebest, ob du sin state hast,
und obe sie sin notdorftig sint. Die aber vater und
müter scheltent und slahent und stoßent, vil wunderlichen
balde in starke büße, oder an den grünt der hellen!
Und alle, die vater und müter unernt, die verdienent
vier leye verdampnisse. Daz eine, daz er do mit daz
hymelrich hat verworht; daz ander: er hat sin erbe do
mit verworht; daz brise: er hat sin lang leben do mit
verworht; daz vierde: er hat einen unrehten dot mit
» ■. »
— 7« —
verdient. Als absolon, dem geschahen diese vier alle gar,
da er sich verworhte an sinem vater Hern david. Ir
iunge wcrlt, durch den alinehtigcn gvt, ernt vater und
müter, und hütet uch vor dirre verdanipnisse; ob irs
durch got nit wollet tun, so tüt daz ir in sint schuldig
durch uwcrn jungen lip, da; ir bester langer lebent. —
Daz ander gebreche ist: du solt dinen geistlichen vater
ern; daz sint die Priester. Wanne die hat got selber ge-
wirdigct und gcert über alle menschen, und da von sol
in 9) der mensche ern niit Worten und mit werken, und
gein in ufstcn, swo nian sie sicht. Ist ettelicher anders
banne er solte, so ist sin ampt doch grozer eren wert.
Und were ein ding, daz min frairwe sank maria uf er-
den were mit allen gotcs heiligen, und festen do schone bi
einander, und ginge ein Priester zu in, sie solten gegen
im ufsten. Wanne er tüt, daz sie allesampt nit getün
mügcn. Da von hüte sich alle die werkt, da; man in
iht leides tu. Sie sint uch gar zu starke an zu rechin
mit ubeln dingen. Da; daz war si, daz crzügen wir
mit dein künige faule. Der verworhte sich mit ungehor-
same, daz iu got verwarf zu einem künige. Do 10) ver-
mochte er sich an dem Priester, daz er im selber den tot
dct. Da von sült ir ern uwern geistlichen vater den
Priester. Ir sült auch ern uwer geistliche müter, daz
ist die heilige eristenhcit; daz du dinen eben cristen erst,
y) l „sie"
ie) Hds. „de"
77
da; er bin genoze ist, da; wir cristenlüte alle einander
gebender sin in gote; als wir alle dage do sprechen in
dem Pater »oster. — Der fünfte helbeling ist da; fünfte
gebot: du soll nieman dvden. Der hat auch zwei ge-
breche. Daz erste gebreche: du solt nieman toten mit
din selbes haut; du solt auch nieman heißen toten; wanne
den hetest auch ertötet, und dem du wol gehelfen »loh-
test, und de; »it entüst. Wanne die schrift spricht also:
gip den hungrigen z'eßen. Und gist du im niht, rlnd
stiebet er also, so bist du schuldig an im. Phi gitiger!
an wie manigen bist» schuldig! Wanne du lezzest erfü-
len daz edel körn, ee du ez umb rehtcn kaust gebest, ich
wil geswigen unib sus. Du wirdest an drissigen schul-
dig oder liier, die du alle von Hunger leßest sterben. Du
stest eht allenthalben an dem blate. Daz ist auch diner
verdampnisse eine, daz du an allen enden an den^blate
stest. — Du solt auch niemannes totes Hegern, noch niit
rate, noch mit günste, noch mit helfe, noch daz du nie-
man drüf haltest, daz er einen menschen ertötet, noch
druf ratest. Du wilt einen niht tote», du ganst im aber
von hertzen wol, daz in ein ander ertötet. Also hast du
daz fünfte gebot zebrochen, und ist der aller wirdesten
funden eine, die die werkt ie gewan, sie selb Vierde. Daz
ist die, die do heißet uianslaht. Wo sitzest du vor minen
äugen, cryus genoze, der sine» brüder do ermorte? Sin
blüt hat hin zu mir gerufet, sprach der almehtige got.
Nü dünkt mich, ich habe manigen blütdrinker vor minen
äugen. Wie! wie! waz uch zürrünneu alles dez wazzers.
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da; die werkt hat, und alles de; biers und mctes und
wins, du enhabcsi mensche» blut getrunken; und da; dich
alle die böcke und alle die geizze und alle die ohsen, die
die wcrlt hat, nit erfüllen niohten, du enhabcst menschen
fleisch sreflen. Vil wunderlichen balde in starke büße,
niordcr gvtcs und der werkte und diner armen scle! Sin
blüt, de» du ermordet hast, daz rufet zu allen ziten über
dinen lip und über dine sele mit lüter stimme vor dem
alinchtigcn gote. Do von bist du in der rufenden fünde
cinre, die selbe vicrde do vor gote niemer gefangen. Alle
die werkt hüte sich vor der fluiden. So dir ietze alse
zorn fl, daz dir daz hertze her uz wolle yulzen vor uu-
gestümkeit, daz du in als gerne erslügest, so du lebtest;
so enthabe dinen zorn. Du emveist nit, wie du da von
komm mäht geht gölte. Ich geswige dez gerihtes^und
fl'ner fründe; so weist du niht, wie zornlichen got an dich
rechen wil. Wanne er in vil tüwer hat erarnet mit
filtern heiligen blute. — Daz ander gebreche ist: du solt
gern nieman keinen tbtlichen haz tragen und nit. Wanne
swenne du tbtlichen haz und nyt trest einem menschen,
den lotest du alles in einem hcrtzen, als schribet sank
iohanneö: swcr sinen brüder daz ist fl'ncn obencristen
hazzet tätlichen, der ist ein manslahter. Dar umb sült ir
haz und nyt hüte uz uwerin hertzen kazcn gein allen den,
die uch dehcin leit ie getaten mit Worten und mit wer-
ken, an uwcriu libe oder an uwerm gute oder an uwern
frunden. Swie uch hertzeleit fl geschehen, see daz sult
ir gllesampt Hute vergeben lüterlich, daz uch der alnieh-
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-- 79 v
tige got alle uwer fünde vergebe. Je müget ims als
lütcrliche vergeben, da; uch got alle uwer fünde vergit.
Und dar umb mügt rrs gerne. vergeben, da; uch da;
heilige gebet nütze werde, da; ir in denr pater noster spre-
chet: Und vergip uns unser schulde, als wir tua un-
sern schuldigern. Go^ helfe mir, da; wir diesen helbe-
Urig wol-geleisten. — Der sehste helbeling, da; ist daz
sehste gebot. Der hat auch zwei gebreche. Da; erste
gebreche: du ensolt nit unküsche sirr. Du solt niemannes
lip zu nnkusche Hegern zur une. Wie lieber got! waz
sele umb diese» helbeling verdampnet wirt alle tage!
Wanne daz ietznnt uz der schale slüffet, da; wil sine fri-
heit triben mit unküschekeit; dirne und knehte, tohter und
süne, frauwen und man, eelüte zu den ledigen. Und
der selben unreinen funden ist so worden, und alse
gewonlich worden, da; sich ir niema» schämen wil; wanne
ir lützel ist, die sich ir schämen. Sie wellenL sin halt
gerümet sin, ir ein michel teil; swie sie doch der almeh-
tige got von anegengc der werkte gchazzet hat, und sie
vil dicke zbrulich gerochen hat. Vier und zweintzig tü-
sent worden zu einem male umb die selbe fünde ermordet.
Und wirdest'du mit der selben fünden nüwen einer begriffen,
und ane rüwen und ane bihte stirbest, du must als lange bren-
nen nlit dem ewigen tufel in dem iemer wentden fnwer, als
lange als got ein herre. in dem hymelrich ist in der ewigen
freude. Alle die werlt mohte banne die martel nit erliden,
die.du dWne nnrbe einen türtzen gelüst liden müst, als
saut paüwel.s dg., sprichet. Und da ^oir, ir iünge Werlte,
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vil wunderlichen balde in starke büße oder zür ce, oder
mit der u»c an den grünt der helle. „Bruder bertholt!
ich bin noch ein jünger kneht, und die mich gerne neme,
der enwil ich niht, und die ich gerne neme, die wil min
nit." See, nim uz aller der werkte eine zür ec, da du
rcht und eliche mit lebest. Wollest du einrc nit, so nini
ein ander; wollest du einer kürtzen niht, so nim ein lange;
wollest du einer langen nit, so nim ein kürtzc; und wiltu
einer wißen nit, so nim ein swartze; und wiltu einer
swartzen nit, so nim ein wiße; wiltu einer kleinen »it,
so nim eine groze; wiltu einer grozen nit, so nim eine
kleine. Nini cht dir uz aller werltc eine eliche frauwe.
„Bruder bertholt! ich bin noch arm und Han nit." Ez
ist vil bezzer, daz du als arm zum himelrich varcst, banne
rich zur helle. Du wirkest als küme rich mit der une,
als mit der ec, oder kümcr. „Bruder bertholt! ich Han
noch zü eigen brote niht." Du wüt eht niht, höre ick
wol, bi der ee bliben. Sit du ez banne nit geraten wilt,
du wollest mit der «ne umb gen, so nim dir doch nü-
wer eine zür une; so nim die selbe an die eine hant,
und den tufel an die andern hant, und gcnt alle dru
mit einander hin zür helle, da »wer niemer rat wirt.
Ebrecher und ebrccherinne wie stet ez unib «wer» hclbe-
ling? Pst! der ist lütcr küpferin, und er get uff den
den dornen züm qalgen. Wanne ir müßent der Hute
sorge Han an maniger stat. Wanne sie ist gar ein schede-
liche fünde libes und selcn, der crn und dez gütes. Du
wirst Meineide; wanne do man dir gab din gemcchede,
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— 8l —
da swure du im trüwe und warheit, die wile ir beide lcb-
tent. Den eit hast du zebrochen, und müst iemcr meyn-
eidig stn, du büßest ez banne mit endehafter büße. Die
frauwen swernt nit eyde, und stnt ir doch schüldig als
wol als die man. Ir truwe sol als gantze sin als der
manne. Da sprach einest eine: ich gcswür im nie deheine
truwe zu leisten; ich bin wol ledig. Mht! niht! Ez
get also niht. Man sammt dehein ee mit so getanen
listen. Die heilige ee ist der sieben heilikeit eine der
hbhstcn, die got uf ertrich hat. Und dv von sol dekein
künterfeit dar bi sin. Und swer dez eine frauwen oder
einen man uberkomen mag niit gezügen, daz sie ir ee ge-
brochen hat, der verwirfet ir eit mit allem rehte vor einem
ieglichen gerihte. Nu siech, eebrechcr und ebrecherin, wie
gerne ir den unreinen und den ungenemen gelüst vcrmi-
den niöhcet. Nü bist du trüweloz an diner ee; nü bist
du meineydig diner glubede; nü hast du din selbes hei-
likeit gcfclschet und zerbrochen als vil so er an dir waz.
Daz ander gebrech daz ist n) ein so getane unküsch, da
von eht niemer 12) zu reden ist. Da beschirme uns der
almehtige got vor und alle sine heiligen. Amen. — Der
siebende helbeling ist daz siebende gebot. Du solt nit
sieln. Der hat auch zwei gebreche. Daz erste gebreche:
du solt niemannes gütes zu unrehte gern, weder mir
raube, noch mit diepheit, noch mit wücher, noch mit für-
n) Hds. „ist daz"
,2) Hds. „nieman"
es Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm
W’
— 82 —
kaufe, noch mit satzdnge. Pfi! gitiger, du bist aber an
dem blade hie. Du nymest mir miner wile viel abe.
So ich diesen güten tüte» solle sagen, daz got gelobet
rvurde, und sie geseliget an der sele; so müz ich diese
predige vil nahe wol halbe mit dir vertriben, und hilfet
mich doch niht, wanne daz ich min heübt an dir zer-
breche. Wanne du enhast eht aller warn ruwe einige
nit, daz du iht geltest und wider gebest. Der andern
sunder truwe ich mit der gotshelfe ein michel teil be-
kern. Ez ist, ob got wil, manig mensche vor mincn äu-
gen, daz da güten willen hat, daz ez niemer me dekeine
totsünde getün wolle. Pfi! gitiger, diner süchede wil nie-
mer rat werden noch büz. Dir ist als dem künige faul:
der waz mir einem tüfel beheftet; der liez im tag noch
naht deheine rüwe; und die wile daz im der künig da-
vid harpfte, die wile liez in der tufel rüwen; so er dann
niht enharste, zuhant martelte er in als ee. Als dut der
gitige. Die wile ich im hie die cdeln seiten rüre, die
edelcn gotes wort, so hat er ein kleines vorhtelin; als er
banne von mir kumpt, so ist er alse ee. O we! gitiger,
wie edel seiten ich dir rüren wolle, den Worten daz du
dir hüte einen ruwe» wollest machen vor dem i3) unrey-
ten güte, da; du gültest und widergebest; so wolte ich
ich dir die fußen seiten rürn, die köre der heiligen engel,
daz du irre freuden und irre ern, die sie ewicliche mit
gote shabentj, Unter mer teil hastig sist, de; guten sant
s3) Hds, „den"
83
michahels — hep! welch ein süßer feite, der klinget durch
den himel— uud dez i4) guten saut raphahels, gabriels
u. s. w. Nu laz noch Hute daz unrehte güte, durch die
küniginne, die her david als wol gelobet hat: ia siet sie
zu der zeswen dez himelischcn küniges mit güldinre wete,
und durch aller irre iüngfrauwen ere, daz isi min frauwe
sank katherine und sank Margarete und sant iuliana,
u. s. w. Er endut sin nit. Nü seht, wie er hat ver-
zwifelt an der geselleschaft aller, an der helfe miner
frauwen sant marien und aller engele. Ir andern sün-
der, durch den almchtigen got nit verzweifelt, als dirrc
gitige, und gewinnent hüte wäre ruwe, und habent gan-
tzen willen, daz irs niemer me getun wollent. — Daz
ander gebreche ist, daz du din reht gewonnen güt nit zu
giteclich halten solt, und du cz den armen lüten mitteiln
solt. Wanne da wirt uch der almehtige got umb fra-
gen an dem iüngesten tage. Ir sult den ellenden Her-
bergen und den nacketen kleiden und den hungerigen
ezzen. Ir sult den armen lüten lihen, so körn, so phen-
nige, ob ir sin state habet. Ez helfent ettewanne ein
armes sehs Pfennige als wol, die man im liht, als ob
du sic im unib sust gebest. Du solt aber ein pfant von
im nemen, daz gan dir got gar wol, daz du ein' pfant
vpn im niniest. Ez ist dir als almusen, als sus. Wanne
14) Hds. „und durch dm guten — raphabeln, gabrieln"— ohn.
Zweifel ein Schreibfehler, aus den unmittelbar vorhergehen
den Worten entstanden. Die Genitive hangen ab von „frei
den" und „ern".
6®
84
leider armut unstete ist, und unstetikeit lcrt der lute ein
michel teil, da; sie ungetruwe werden an irre glübede,
da; sie ir warheit zerbrechen, da; sie sust vil ungerne
teten. Da von sprechen ich, daz ir von den armen luten
gewisheit nement, und in dar uff lihet. Wanne swaz er
den Lüden die wile zu gesüche müstc geben, und wa; er
sin genüßet, da; leit dir der almehtige got uf die wage,
alö ob du imö uz der haut geben hetest. Du solt aber
de; wol gehuten, als liep dir got si und da; hymelrich,
da; du iemcr Pfennig oder helbeling oder sin wert oder
ey oder sin wert iemer gencinest. Wanne daz were wi-
der got, und wercst ewiclichen dar umb verlorn, wann
du gebest im banne als vil hin wider. „Bruder bertholt,
ich werte mich sin vil gnug, und waz mir gar leit. Da
leit e; mirs an da; Kenne nyder, und ez gie hin. Sol
ich dar umb verlorn sin?" Ja du must also lange da
zur helle sin, als lange got in deut himelrich ist. Du
solt es ro) im rehte gelten und wider geben oder i6)
als ez wert ist oder türer. Er drehte dir, swaz er mohte,
ein armer man oder ein armer mensche, da; du bester
lenzer swigest. Ez vorhtet alle tage, wanne du dir dine
Pfennige heißest wider geben. Und so in dez dünket, so
bringt er dir ettcwaz; dez soltu über ein nit nemen, ez si
win oder brot, Hüne oder epger, weder diz noch genö.
15) vergl. ist Pr- Anm. 16) l. „soltes."
16) Fließender wäre statt „oder" das gleich nachher in demsel
den Zusammenhang vorkommende „reht".
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• •• . - — 8§ —
Du weist bil wol, lihest du im niht, daz er dir mhtsnit
drehte. Da von solt du sin sus auch nit nemen, oder
du bist ein rehter gesücher. Du sollest cz im mit Pfen-
nigen gelten reht als ez wert ist oder türer, daz ez cht
uf dir iht bestünde gein einigem cv. Du solt dir auch
nit lan dienen weder gantzen tag noch halben, noch wile
noch stunde, noch lutzel noch viele, du tonest ez danne
im als einem andern oder baz; cz st danne als vcrre, ob
du im bin vihe West in wagen oder in Pflug; da nemest
du wol ettewaz von im ane fünde, daz eine füge heißet.
Dir git aber got bester minre lones dar umbc. Sol er
aber dir als tüwer geben und verdienen da wider; wcz
so! dir got danne danken? Ir Herschaft, daz sult ir gar
gerne dün, daz uch got verlihen hat, daz st, waz ez st,
vihe oder ander güt, daz ir armen lüten do mit helfcnr
und In lihent. Daz ist ane schaden; wanne sie inüzzen
uch ie daz selbe wider geben. Diesen helbeling sült ir
gerne leisten und diz gebot, als uch got an dem iüngc-
stcn süntage dar umb fraget, daz ir in frokich zu geben
habet. Dez helfe mir der almehtige-got! — Der ahte
helbeling ist da; ahte' gebot. Du solt nit valsch gczüg
sin. Der helbeling hört uf den andern 17). Der hat
auch zwei gebreche. Daz erste ist, daz du durch liebe
noch durch leit, noch durch miete noch durch dekcin ding
dineil falschen gezug uf niemanne fürn solt; wanne daz ist
der aller grosten fünden eine, der wißentliche einen mein-
kpt swert, die die werkt ie gewan. Nu höre, meineider,
17) das zweite Gebot.
86
wie du swerst und bükest dri vinger ufreht. Zu glich»
wise rehte als ob ein diep für eime rihter stünde und
spreche: „seht, her rihter, als werlich als ich diz güt
verstoln Han, als werlich sult ir mich dort hin uz
hahen an den galgen", und zeügte mit dem vinger
hin zu den galgen: also tust du meineider; du bükest
drie vinger uf und zweye nyder; und die dri bezeichent,
die du gein himel budest, und sprichcst, daz dir got als
warlich helfe, daz 18) daz war st, daz du do swerst, und
daz wol weist in mittent in dinem hertzen, daz ez gelo-
gen ist; so 19) nimest du dich mit dem einen vinger uz der
barmhcrtzikeit dez alniehtigen gotes; wann du im urteil
uf dich selben gesprochen hast; und uz der helfe und uz
der süne miner frauwen sank Marien, die eine sünerin ist
aller tristen tüte, mit dem andern vinger; wanne du ir
auch wider seit hast, daz sie dir niemer nit gehelfe; und
mit dem driten uz dem gebet und uz der gemeinschast
aller gotesheiligcn. Wanne do du also sprech', daz Vir
got also hülfe und alle heiligen, alse cz war were, und
ez ein lügen waz, da bete du, daz got und alle sine hei-
ligen, daz sie dir niemer nit gehülfen, und spreche din
r8) l. „alS" vergl. weiter unten.
rg) Hier die nähere Bestimmung zu den Worten: „und die dri
bezeichent" Sinn des Ganzen: Nun höre, waS dein Schwö-
ren und Aufheben der drei Finger bedeutet. Du machst eS
grade wie ein Dieb u. s. f. Die drei Finger, die du auf-
hebst, mit den Worten, daß dir Gott so wabrlich helfen möge,
alS dieS wahr fei. — da du doch wohl weist, daß es erlo-
gen ist, — haben die Bedeutung: du nimmst dich mit dem
einen u. f. f.
87
urteil selber zu bin selbes verdampniffe, als ienre für
geritzte, von dem ich e do sprach; und zeugest, als der
diep an den galgcn, wie dich got verdampnen wolle und
alle sin heiligen, wanne du die dri vchger uf Hebst, da
mit du dich von gote nimest und von jmetv helfe und
unser frauwen und aller gotes heiligen. So bürest du
-wen vinger nider gein der hclle, und zeugest gote, wie
er dich verdampnen solle. Der eine vinger zeuget uf
den tüfel, der auch mit valsche sich von dem almehtigen
got verwarf. Also zeugest du got, daz er dich werfe
unden in die Helle. So zeugest mit dem andern vinger
in die gcsellcschaft aller verdamptcn, die da zu Helle sink.
Nu siech, meineider, wie hohe man dir den eyt gibt. Daz
du aber da; wißentliche» weist, daz der eyt war ist, und
daz du ez gesehen und gehört hast, dez du da swerest,
und ist er dir nütze oder einem andern djnem eben cri-
r sten, und sin nit geraten mäht; so ist er dir nüwen ein
' fegen. So sprechend etteliche: „gevater" — oder swie
er banne wil — hilf mir mit einem cyde, und wiße, ist
sicherlichcn war; wez ich swere, dez mäht du auch wol
Pveren. Ich ncme dehein güt, daz ich swüre ihtes, ez
wcre banne war." Und swerest du dar über, so bist du
slehres nrcineide. Wanne man git dir den eyt also, daz
du sehest oder hörest. Du svlt wißen und nit wencn.
Ist daz halt ienre reht hat, dez gezug du da bist und
dem du da hilfest swern, so bist du doch Meineide. Und
da von spricht got, daz du dineir falschen gezüg gein nie-
manne bringen solt. Wanne ir sint beide meineydig.
88
Ir tüftl, ir tüftl, seht, nü schampt uch. Wanne ir ein
sundcr und ein verreter und ein Vorväter aller fünden
sit gewesen, so möget ir uch dez iemer wol schämen, daz
uch dirre getaufte kristenmensche uderschalket und über
meinsampt an funden hat. Dez müßet ir halt iemer
lasier und schände Han, daz die fünde ein getauft cri-
stenmensche wol gctar besten, der ir nit besten gctürret.
Ir nemct halt groz guet drümbe niht. Ich weiz den
cyt, ee danne daz in der tufel swüre, er wolle ee iemer
zwirent als groze martel liden da zu Helle, banne er ictze
du. Pfi! kristenmensche, so lange sich der tufel schämen
sol, so mahtu dich dez iemer schämen, daz du die fünde
gckarst dün, die der tufel ungerne tete. Da beschirme
«ns der almchtige got vor. —* Daz ander gebreche ist
lüge und valschcit. Hie sol man merken lüge und valsch-
eit. 20) Aht Hände luge, die sant augustinus beschri-
bct; der sink fünft rdtliche fünde; so sint ir drie aplez-
zige. Die erste lugen ist die groste; und nement also
abe, daz die iüngestc die niinneste ist. Die erste lugen ist
die, die wider den heiligen kristcnglauben ist: swer also
spreche, daz got nie geniartelt würde, und alle, die also
20) vielleicht Zusatz des Sammlers der Predigten ähnlich dem
- a.vy.yittL-,y.coi vcsirt) Matth. 24, i5. von dem es auch zwei-
felbaft ist, ob es in den Context der Rede gehört, oder dem
Sammler angehört. Noch lieber möchte ich „lüge und valscheit"
ausstoßm, da diese Worte leicht aus der voranstehenden Zeile
können herabgcschrieben worden sein, und dann verbinden:
„Hie sol man merken aht u. s. f. — Damit siele die erstere
Vermuthung von selbst weg.
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- 89 —
sprechen, unser frauwe ft nit ein magt, ober der ein sc-
meliches sprichet, daz diesen gliche ist, oder swaz man
sprichet, da; wider den heiligen cristin glauben ist. Die
ander ist, der einem menschen sincn lip 21) mit lugen
vcrlüset; der ist auch ein manslchter und ein menschen
vra; und ein blüte drinker, als du in mit diner hende
ermordet und erslagen habest. Du hast vil mer schülde dran,
dann ob du in mit diner hende erslugest. Daz wil ich dir be-
wcrn: wanne hetest du in mit diner hant erslagen, so
werest du nüwen allein mit verdampt. Sus ist dine ver-
dampniffe: du müst sin verdampuiffe zu der dinen haben dar
umb. Selbe mit der hant. 22) Wie menschen fraz! Ja freßest
du mir einen halben ohscn lieber an dem heiligen karfri'tage,
banne du mir kristenmenschen verlügest.—Die drite fünde2Z)
ist, der einem menschen sine ere nimet mit lügen. Wie liep
wer dir der, der dir din ere beneme mit lügen, und uf
dich lügenlichen seite, daz du in dinem hertzen wol we-
stest, daz ez gelogen were, und daz du sin unschuldig
21) „lip" wol, wi« oft, von dem ganzen Menschen s. v. a. Per-
son; das Ganze bezieht sich, wie es scheint, darauf, daß man
einen ins Verderben führt durch trügerischen treulosen Rath,
Beifallgebcn zum Schlechten u. dergl. Man könnte nament-
lich denken an Ketzer, Pfennigprediger, Dcrkleinerer der Sün-
den; was alles oft in diesen Predigten vorkommt.
22) Diese Worte sind schwer zu handhaben. Sollte vielleicht eine
Zeile ausgefallen sein? etwa des Inhalts: „also ist din schülde
vil grözer, banne selbe mit der hant," Oder löse man „dar-
umb" vom vorhergehenden, und stelle cs an die Spitze der
ausgefallenen Worte. „Dar umb ist die schülde" u. s. f.
-3) beßer: „lugen" vergl. das vorhergehende und folgende.
90
rvsrost? Din. hertze wurde vil trürig und vil leidig und
wunderlichen serc bcswert. Also leit ist ez im, den du
verlügest. Dine fünde ist de; gitigen gclich, und halt vil
böser an einem teil. Man git allen sundern büße nach
gnaden. Ir Priester gebet allen sundern büße nach gotcs
erbermede, wanne den gitigen und dem, der dem andern
sin ere verlüget. Den zw ein sult ir aller gnaden eine nit
tun, weder uf got, noch «f sine erbermede, noch «f sine
miltekeit, noch uf sine güte, wann allein nach rehte. Nu
waz ist reht? Da; ist ir reht: der gitige sol gelten und
wider geben untz uf den hindersten Pfennig, als verrc
ers geleisten mag; also sult ir dem lügcner in aller der
werkte keine büße geben, wanne da; er in mit dem sel-
ben münde als schöne macke, als unreine er in gemäht
hat. Er sol reht also sprechen: ich Hanes reht böslichen
angelogen mit minem bösen mut willen und von ha;
und von nidc. Oder da; du bin selbes lasier do mit
bedeckest, oder in dewelher wise du in verlogen hast, in
derselben wise soltu in entreden wider alle die 24) du
in verlogen hast. Und ist e; als verre komen, da; ez
der lüte viel wißent in der pfarre, so soltu an denr sun-
tage vor allen kirchwarten da; selbe tün. O we! wie
küme du da; gelüst. Siech, da von ist dine fünde bö-
ser banne de; gitigen, da; du vor schäme dine fünde nie-
mer so wol gebüßen mäht, als der gitige. Wanne stunde
der gitige ietzunt uf und spreche: ich wil gelten und wi-
24) s, v. ci. gegen alle, gegen welche du u. s. f.
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der geben, da; wer im ein ere; ez were auch dir ein
ere, lugener, weitest du ez erkennen. Dir ist auch bez-
zer, du schämest dich hie vor ein wenig löten, und daz
dir di» schäme nütze und göt ft, banne du dich an dem
iöngesten tage vor aller der werkte schämen müstest, und
daz dir daz zu nihte gute ist. Wanne swer sin ruwen
und sine büße nutze an den selben tag spart, und 25)
daz ist im zu nihte güt. — Die Vierde lügen ist, der
eilst sin güt mit lügen nimpt. Der ist auch ein michel
teil; daz 26) ist ettelicher Verräter und ldgcncr, und der
get zu sinem Herren oder zu einem fremeden Herren und
spricht: „seht, tut git der wol zehen phünt, ir sult in
vaben;" so er lihte nit viere hat. So sink ctteliche tru-
gener und lügener, als die antwerklüte. Der schuchsu-
ter spricht: „seht, da; sink gar zwo güte süln." So
hast du sie vor dem fuwcr verbrennet, so hast du im sin
gut abe erlogen und ertrogen. Daz selbe sprich ich zu
dem kramer, der unrehte wage hat, und giht, daz sie
gereht fi. Und der brotbecke der swemet den teig mit
Hesel. So du weitest, du habst brot, so hast du den lust
für brot kauft. Und der^pfragener güßet ettewanne hier
oder wazzer in daz oley. Und der fleisch stahter hat veil
ettewanne kelberin fletsch, und giht, ez si drier Wochen
alt, oder git mütcrin fleisch für bergins. Ez mag ette-
wanne ein kranker mensche ezzen, daz ez den tot davon
25) „un&" überflüssig, aber Darum nicht anzufechten.
26) s. v. a. ein solcher ist, zu diesen gehört —
,v5
hilf
»linkt, oder ein siauwe, die in killt bette lit. Die sint
alle trügener und lügcner^ ir sele wirt niemer rat, sie
geltcns banne und gcbens wider, und 27) alle, die trügener
an irm kauffe sint oder an irm antwerkc. — Die fünfte
lugen ist, der einen schiltet, der zu loben ist, und lobet
einen, der zu schelten ist, als der loter und der spilman. 28)
Die fünf lüge sind tötliche fünde, die drie sind antleßig.
Die eine ist: ob man einem sin gut wolte nemen, und
du gehest, du westest 28) sins gütes niht, ob man dich
sin fragte, der ez sieln wolte oder rauben. Da;' ander,
ob mair einre megede im magtum wolte nemeil, und du
gehest, du westest ir niht, zu dem, der dich sin fragte.
Daz drite, ob man einen menschen toten wolte, den sine
viende suchten, und siegten dich, ob du in iergent westest,
und du westest wol, wo er were, und du sprechest, daz du
in iliergent westest. — Der nünde hclbeling ist das »ünde
gebot: du solt dins eben triften dingeö zu unrehte nit
gern. Daz gebot hbrt uf daz siebende. Der helbeling
hat auch zwei gebreche. Daz erste, daz du dins eben
eristen guts nit begern solt, daz du dir iht gedenkest:
„owe! het ich dem also vil oder also viel verstoln oder
geraubet oder erlogen oder ertrogen!" „Wie, bruder bert-
holt, solte ich dar unch auch verlorn sin?" Ja. „Nü sage
27) derselbe Fall, wie Anm. 22)
28) vergl. den Schluß der 2ten (roten) Predigt.
29) Hds. „wellest" falsch: vergl. das unmittelbar folgende.
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— 96 — y
an." 3o) Wanne du im sin gut gerne hetest zu unrehle
an gewonnen und du daz nit vollebringcn mäht, und an-
ders nit enirret, wanne daz du sin niht mäht state ha»,
so hat dich der almchtige gvt für anders niht, wann er
dich in bittern hertzen sieht. Wanne er in allen hertzen
sieht beide übel und gut, swaz dir zu willen ist und
Wirt. Wenest du nit, daz er in din hertze sehe? Ja für
war! wanne er dirs geschuff in dincn lip, so weiz er
auch wol, 3i) und ist im halt baz kunt banne dir sel-
ber. — Daz ander gebreche ist, daz du ez versuchest mit
allem dinem flipe, ttttb dich darnach arbeitest, wie du ei-
nem sin gut verfielst und geraubest oder mit andern un-
truwen angewinnest, und daz nit für sich gct. Wirkest
du in dem willen funden, siech, du must ewiclich ver-
dampt sin. — Der zehende helbeling ist da; zeheirde ge-
bot: du soll dins eben cristen gemechde nit begern. Der
helbeling hat auch zwei gebreche. Daz ein ist: wer eine
frauwe in der andaht anesieht, daz er gerne fünde mit
ir tete, der hat die werk für gote vollebraht. „Wie,
bruder bertholt, wie vil ir banne wer«, die verlorn wür-
den! So würde ein man nit behalten, banne der gar
lützcl wern." Nu sage an. Du fundest einen in dinem
30) In diesen Worten liegt eine Frage. Entweder ist diese im
Folgenden nicht zum Vorschein gekommen, wie sie hernacl»
beim roten Gebot heraustritt; oder ist es nicht, wie her.
nach, eine Aufforderung von Seiten des Predigers, sondern
der Zuhörer, daß er sich über das „Ja" näher erklären möge.
31) ncinlich: «az dar inne ist.
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kelre, der hole dir bin kisten uf gebrochen, und bete dir
dannoch nihtsnit dar uz genome»; für waz wollest du
in haben? Entrüwen du betest in für einen rehtcn diep,
und du schbffest in an den galgen. Alse hat dich gor
für einen rehten ebrecher. Wanne swo du de; nit bist,
da; ist von dinen schulden niht. Du bist gotcs diep vil
rchte an dem teile. — Daz ander gebreche: du solt nit
gern, daz man din gere. An dem ersten gebreche wer-
dent verdampt die man, an dem andern die frau-
wcn, die sich dar zu bereitem und ziernt, dem tüfel
zu einem stricke. Und ist daz sich nieman drin erfellet,
doch müßen sie daz gerihte haben und tragen uno daz
urteil dez lebendigen gotes. Sie 02) ist der stanze, der
daz megtliche heübet hat, und sie freit daz verborgen
eyter, und sie hat bereit die vergift, da mit sie die selc
töten wil. Daz sint ir spielndcn äugen und ir falsches
gen, und ir trugenliches sniiern und ir klugen gcberde.
Hie mit benimet sie der sele ir küsche. In der alten ee
stat geschrieben: hat ein man einen brünnen gegraben
an der strazen, und vcllet sins nachgeburen vihe dar in,
er müz ims gelten. Ob er den brünnen nit vermacht
oder bedecket, so müz er im daz vihe gelten als tüwcr
als ers kaufte, und der awehsel blibet ieme, der den brün-
nen nit bedackte, und der da; vihe da gelten müz. Und
daz wort merkt alle gar flißeclich, daz im der awehsel
blibt. Alle die sich dar «f ziernt und uz machent, daz
32) eine solche Frau.
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sie die tüte verreizzent zu suntlichsn dingen mit werken
oder mit gedanken, und ir selbes fünde eht nit deckent,
also daz sie freliche und öffentlichen funden, und den brün-
nen ir fünden niht bedeckent, die ergernt ander lute, und
gebeut den luten böse fürbilde. Alle die du mit diesem
bösem bilde und mit dinen offen fünden und mit dincnr
reizze stoben in totliche fünde bringest, du must sie den-
almehtigen gote gelten rcht alse türe als er sie kaufte,
und der awehftl blibet dir. In hat der almehtige gvt
kauft mit siner martel, den du im enpfurt hast und ver-
leitet hast in den ewigen tot. Als ture müst du in im
gelten, oder man wiset dich in die ewige martel, in da;
ewige füre, da du iemer mer must inne brennen; und
der awehsel blibet; daz sint alle, die von dinen schülden
zer helle varn; die wirfet man allesampt uf dich, da;
du ir aller martel mit der dinen müst liden. Siech, da
wirt dir der awehsel wider. Nu seht, ir Herschaft alle-
sampt, daz sint die zehen helbclinge, die ein ieglich men-
sche geben müz, er si arm oder rich. Nü siilt ir alle-
sampt also werben, daz ir sie zu geben habt. Wanne
swer nit engit die selben helbclinge, der müz ewiclich ver-
lorn sin. Swer sic aber git, dem wil got zehen erber
Pfennige wider den zehen helbclinge wider geben. Der
erste Pfennig, den uns got gibt, daz ist, daz wir ledig
werden vor der ewigen verdanipnissc. Der 33) ander
ist, daz wir mit grozen freuden hinnen werden geleitet.
33) Hds. „daz
Der brise ist, da; wir schone werden enpfangen. Der
Vierde ist, daz wir mit grozen ern uf den himcl stül wer-
den gesetzet. Der fünfte ist, daz uns gantzer gewalt in
dem himelrich geben Wirt. Der schste ist, daz wir Han
gantze erkanntniffe. Der siebende ist, da; unS von dem
Vater und von dem siine und von dem heiligen geiste un-
fageliche füßekeit wirk gegeben. Der ahte ist, daz wir alle
gotesheiligen und alle gotes cngele hitzecliche minnende
werden. Der nünde ist, daz uns der lon Wirt gegeben, Laz
wir von gote mit grozcr gezierde werden geziert. Der
zehende, daz wir die freude besitzen und den lon, den äu-
gen nie volle sahen, und den orn nie volle horten, den
deheins menschen hertze bedenken niöhte, den menschen
zünge nie mohte volle sprechen. So werdend unS auch
zwei gcwant gegeben und angeleit, daz wir an selen
und an Übe die ewige wünne empfahen. Daz verlihe mir
und uch unser hcrre ihesus crist, der megde sun minre
frauwcn sant Marien, der mit dem Vater und niit dem
heiligen geiste lebet und richset an' ende und ane ane-
genge. 54) Amen.
H) Hds. „anegende."
, Vierte Predigt. Ern geistliche lere von gittern lebm. (42te)
Text Match, u, 2.9.
Zvhal t.
Ein Gegenstück zu der vorigen, in welcher das Jüdische und das
Negative vorherrscht. Hier eine Anweisung in der reinen Zorrn
der christlichen Ethik, wie dieselbe von Christo selbst in dem hier
behandelten Texte angegeben ist, und eben so von dem Apostel
Paulus Philipper 2, 5. Ob diese Anweisung eine eigentliche
Predigt ist vor einer Gemeinde vorgetragen und für eine Ge-
meinde berechnet, das könnten einige Äußerungen darin und
manches in der Form zweifelhaft machen. Da sie aber in
der Handschrift mitten unter eigentlichen Predigten steht un-
ter dem Namen einer Predigt, und da ihr Inhalt lauter ge-
meingeltendes tn sich, faßt, so war es unbedenklich, ihr auch
hier diese Stellung zu geben. — Sie enthält eine gründ-
liche Auseinandersetzung, wie man von Christo lernen soll
sanftmüthig zu sein sowohl gegen sich selbst als auch gegen
andere, und von Hertzen demüthig. —
f
9# —
Vw'cncca der sprichst: „die rede, die du gehörest heim-
lich, die sol bi dir begruben sin." Hwie nieman mit
Worten könne dehein tngent als volleclich gelcrii und als
eigenlichen, und in duz hertze gemaln, als die oleyünge
dez geistes, der sie in daz hertze guzzet; so helfent sie
doch ein teil, daz matt daz hertze bester ba; könne geor-
den und gerihten. Dar umb a/s vcrre ich mich versten
kan und gedenken mag, als l) dinem gciste rehte künrpt
und gote liep an dir ft, als lege ich dir ein einfältige
forme für, nach der du 'dich ritztest, als du mich dicke
gebeten hast. Swa aber du dich bezzers verstest und dir
baz kümpt, da wil ich nit, da; du mir iemer gcvolgest;
da volge dem bezzern meister denr heiligen geist, nach
dem sich alle hertzen ritzten suln, die von siner wegün^e
getröstet sollen worden. Und als er selber senfte ist, als
lerne von im fenfte sin dir selber und den andern. Dir
selber, also da; du alles bin gemüte uf in last varn, als
vcrre als daz mit fugen gesin eht mag von dez libes not-
dorft und dez gemeinen ordens. Wanne swie doch gotcs
heymlichekeit ob allen dingen si, so müz man doch un-
derlaz haben daran durch dez libes krankeit, da; ez der
lip erliden möge und dorch ander lute hertzen fride, die
von irre brodekeit sich Murmels nit mögen erwern. Wer
unsern Herren unbescheidenlichen haben wil, dem entrin-
i) Keine Abhängigkeit vom vorhergehenden Satz. Darum —
wie es deinem Geiste recht kommt u. s. w. so lege ich dir
vor „als verre" u. s. w. ein Zwischensatz, der für sich dasieht.
mt er oste; sw er sich sin bcscheidenliche »»der wilcnt mit
senünge, der behobt in wol. Wanne der sich acb i n
und mit int zu einre wile also vcrkrenket, daz in, die
kraft gar enget und allermeiste in' bem heubte, der mu;
darnach unserm Herren alse fremcde werden wider dirre
heimelichcit, daz er weder andehtccliche gebeten gctar,
noch an got diese gedenken, ob er den sin gcrt zu be-
halten. Darzn alse herte er danne worden ist an dem
libe mit verkrcnken, alse zart Wirt im der lip mit gemach
darnach und mit senftem lebe», daj er den lip nfhalt und
widerbringe, und murmelt uf die andern, daz sie im un-
glcubig sin, und im sincr nytdorft nit helfent »ach siner
uotoorst. Da wider ergernt sich die andern, daz sie im
ungleubig wcrdent und sic dünket, daz er zu mülichen
si und den lip zu licp habe. Volge dem gemeinen or-
dcn, swo du mit fugen mäht und ane grozen schaden
der andaht; so hast du bester mer frides von der same-
nünge, und du wirdest vil bester minre vermerk, ob dir
got iht heimlicher gnaden gibt. Juch din gemüte von
allen, dem, daz dich nit ancget. Laz einen ieglichen sin
dink ahten und sincn fiten halten, und schaf du mit gote
din ding. Swez aber du mäht gebezzert werden, dez
nim alleine war, daz ander laz hin gen. Bekumer din
hertze nit mit urteile; wanne du niht wißen kaust, in
welhen sinnen daz geschiht, daz du da urteilst. Wanne
als wir oste uzzen eins vor ein anders miste sehen, als
oste misse raten wir ein gütes für ei» böses; als der da
schilhet, der sieht oste zwei für eins und ist dar an be-
7 *
trogen. Mäht du aber sin nit kern zu gute, dannoch
bekümber dich uit da mit. Es ist vil unrihtünge in der
kristenhcit, daz du nit alles verrihten mäht; lide eins
mit dem andern; daz du nit trüwest zu bezzern, ea übe
din gedült an. Swanne aber von dinem swigen iht un-
gevelliges mohte gcwahsen, da; von dincr rede gcbczzerr
mohte werden, da sprich zu scufteclichcn und ernstlichen
ane sirit, daz du dich da niit entschultigest, daz du sin
iht teilheftig sist, dez man dich ane spreche. Bist du siir
iht schuldig, so cnphahes gütlichen, wanne cz billig ist;
bist du sin aber unschüldig, so enphahe es 3) frolichen.
Wanne so bist du unserm Herren ihesu cristo bester
glicher, der vil ittewißcs und Ungemaches erliteu hat,
an' alle sine schulde. Ej ist ein groze crc dein knehte,
ob in sin hcrre iin selber glichet. Da von sitze din
gcmdte in die senfte, waz dir wider var, daz dir von
unserm Herren vor geordcnt si dir zu güte. Dar umb so
lide ez lieplichen dem zu liebe, der dirs geordcnt hat,
daz du im da mit dankest, daz er durch dich und dir zu
heile erliten hat mit grozcr liebe. Machet er dich siech,
und man büdet dirö darzu unwirdcclich, und erbarmpt
sich lützel ieman über dich, als dir not wcrc, so gedenke
an ihesum cristum, der in si'nen grozen übten den
grosten unfridc leit von spotc und von ittewiße und von
aller versmehcde, und dar zu als wenig barmhcrtzikcit
s) samt hier durch Jnclination den Ton verlieren, daher
s für z.
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vant, da in züm iüngesten börste, da; im da nieman bst
einen wazzers trunk aller der wazzer, die die werkt hat^
und daz man im eßig und gallen in spote bot; da; be-
zeichent scharphc wort uz bittern hertzen. Als ob du
stcticlichcn siech werest, so sehe man gern, daz du schire
cnbüiiden worbest von dincn nöten, und sie von dir auch
enbünden worden. Wanne unser herre wil uns vil ma-
nigfaltigen Ion geben; so wil er auch, daz wir in mit
vil manigvaltigen duzenden verdienen, niit gedultikeit und
mit wetagen, mit Mangel und mit unfride. Und als er
eins verhenget über dich, als dut er auch. Borhtest du
aber mer menschen beswerde, banne dinen siechtagen, daz
müst du auch liden mit ihesu cristo, dem sin martele vil
bester wirs det durch siner fründe hertzeleit und siner
lieben müter und ander siner frunde und aller der, die
durch sine martel betrübet worden. So ein jeglicher
mensche unsers Herren martel hie in sinem kümmer ie
glicher Wirt, so er im dort ie naher kümpt und ie gli-
cher wirt in sinen sreuden, die er uns mit siner mar-
tä erarnet hat. Vier ley kümer leit er durch uns, daz
eine an dem güte, daz ander an dem libc, daz drite an
den er», daz virdc an hertzeclichem leide. An dem güte,
daz er arm waz an spise, an kleiden. Daz selbe gewen-
dclin, dez er bedorfte und nit enbern mohte von mensch-
licher brodekeit, dez wart er beraubet an dem crüce. Er
möhte ez wol vor hin Han gegeben siner müter oder an-
dern armen lüten, do ez bestatet wcre. Do wolle ers
gerner die reüber lazen nemen, daz er dabi lerte, daz
1Ü2
ein so hohe tügent ist, der gütliche vertreit daz leit, den
schaden, daz ungemach, da; im ein anber mensche tut. —
Air dem libe leit er ungemach von banden, voll siegelt
und von wunden, von siozzen und von dem bittern tode.
An den ern leit er smacheit voll liegen, von verlern,
von spotte, von schänden. Als der doste diep, der ie
wart, und der doste morder leit er sinen schenilichen tot.
Hertze le.it [T)ct] er auch umb die sorge sture bittern mar-
tel und siner frunde beswerde, umb die, die der frunt-
schaft gein im in sinen notcn vergazen und gestünden
sinen vindeil, die im vor iu siner crc dicke hatten geliep-
koset gar srüntliche. Do nrit lert er uns ein semrlicheö
liden. Etteliche gestunden sinen vinden nit, tinb getor-
sten sich doch nit offenlich im zu fründe ertzeugen, voll
der vinde vorhte; uns alles zu einem bilde und zu einer
lere. Lerne bi im, sw er dich mit ihte beswere, daz du
ez gedulticlichen lidest tinb mit stille. So aber die wile
vcrget, so la; dir reht sin, als ez nit gewesen st, oder
obe ez dir ein trauln gewesen si, oder ein gedank, oder
ein lihter wart. Do von sol nieman wiser betrübet wer-
den. Daz wer' aber vollekomenlich, der nit alleine ver-
trüge gedülticlich, waz im widermütcs wider für, sunder
ers ioch libcn 3) willecliche, und er dar zu frolich unb
süßeclichen an' haz ginge gein dem, von dem ers da !i-
det, daz er im nit mer frcntfbe wer mit dem hertzen,
danne ob ers hete eint fremden getan. Irr geistlichen
leben sol man nit eilt süßeclichen juchen und gentach dez
3) Man erwartet: litte.
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
103
hertzcn; man svl auch tilgende lernen und an wisheit
zuncmen. Wanne unser hcrre ihcsus cristus ist gencnnet
sinö Vaters tngcnt und sin wisheit. 4) Davon sollen sine
schülkint diese beide von im lernen. Gantze ruwe mag
dchcin hertze gehaben ane gcdult. Wanne cz enmag nie-
man hie allein ungemach 5) enpfahen, wanne mit un-
gedült. Da von swer ruwe in ungemache haben wil,
der wcne sich, daz er mit gedultikeit über winde. Aber
zu lernen gedultikeit ist dehcin letze alse nütze, als
entziehest wjdermutes. Da von kümpt man in die ge-
wonheit, daz man sin niemer geahtet. Wisheit lert auch
gedult, so man betrahlet waz ungemach ist. Als dir ein
ander mensch vint ist, waz ungemacheS ist da; dir, daz
er bi im. in sine», hertzcn treit? nü bist du nit in sinem
büsem. Wo rürt dich banne sines hertzcn übel, der von
dir ist mer banne eins schrites wit? Spricht er dir
iht leides; daz wort treit der wint hin als einen
adcm schal. Wo hat ez dich troffen? an hcubt oder an
hals? oder wo 6)grifet er dich an? an dinem güte oder
4) i Kor. i, 24. „tugent" Übersetzung von virtu-, wa§ aber
bort sür S'vvc&pts stetzt.
5) „allein ungemach" f. u. a. reines Ungemach, entgegengesetzt
dem, worinn Ruhe ist.
6) Man könnte auch lesen: oder grifft er dich an an —
Übe; dannoch'— „wo" könnte durch ein Versehen hereinge-
kommen sein, was leicht geschehen konnte, da es aus dem
unmittelbar vorhergehenden noch nahe lag. Dann möchte ich
auch das Fragezeichen nach „troffen" lieber weglaßen, und
mit „oder" fängt etwas Neues an. Der Sinn wäre: Jenes
cm hinein übe? dann och rürt cz daz hertze uiht, ob du
ez selbe lest in ruwe. Da mit betrübest du dich selber
uiiib uzzer ding. Daz ist ein zeichen, daz du die uier
niinuest, danue dins herze» rüwe und banne diu sclikeit.
Als den willen nieinan mag z» den fünden getwingen,
banne er selber; also mag auch daz hertze nicman betrü-
ben, danue cz selber. Wanne alö mir nieman niht lie-
bes gctun mag, ich welle mirs banne selber liep lazen
sin; als mag mir nieman niht leides getün, ob ich mir
cz selber niht leit laze sin. Da von sol ein wise hertze
sich selber also ordenen, waz im selber wider var leides,
daz crs also enpfahe, als ob crs selber vor gefuget habe.
Wanne swaz ich mir selber gcfüge, daz betrübt mich nit;
wanne ich wolte cz also. Da wider, waz dir dez nit
wirt, dez du begersi, da gedenke zu, alö ob du ez ge-
habt habest nach dinre gerünge und nü die zit Vorgänge
si. Wann daz du da fürest, daz ist dem ictzü glich
dem, daz da nit einst, sivie doch sin lon cttewanne da
vor si. Also hilfet wisliche betrahtunge zu gedultikcit
und zu sonftmütikeit dez hertze» und zu alten lügenden,
so mau betrahtet der tagende nutz und der untugende
schaden und ir ungenemekeit. Dar umb hat uns gebeir
unser herre äugen, daz wegeste und da; beste zeichen zu
schauwen an dem libe und an der sele; die uzzer» au-
wort trifft dich ja nicht an Haupt oder Hals. Oder greift er
dich auch an ai, Gut oder Leib, dennoch — Im andern Falle:
Hätte jenes Wort dich auch getroffen an Haupt oder Hals,
oder griffe er dich auch an an Leib oder Gut; dennoch —
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tfiS
gen, daz wegest und daz beste zeichen an liplichen din-
gen; die innern äugen der verstantnisse, die uns 7) also
lern, waz daz beste st an geistlichen fachen. Also lerne
von unserm Herren ihesu cristo senfte sin dir selber; dar
zu lerne auch von im feiiftc sin den andern lüten, daz
du nieman swer sist von dinen schulden mit Worten
beide vor im und nach im, reht als ob 8) du vor gut
von im hetest, ob er dir die wort spreche, die du von im
sprichest. Mit werken wiz nieman uirsenfte; du einem
andern, daz du von im vergüt »einest, und erlaz in, daz
du von im niht enwoltest mit willen. Mit dinen gc-
berden zeige nieman kein unwirde. Wanne daz engetct
unser herre ihesus eristus nie, swie vil man im unwirde
erbot uild leides tet. Dut dir ienian iht leides, de; ver-
gi; zuhant, und ker ez zu unserm Herren, daz er dich sin
ergetz mit im selber, und trink sinen geist in dich. Wanne
er ist senfte sinen vinden; wanne er xu tügentliche ver-
treit und in ir ding wol lct gen uf ertrich, als sinen
fründen, und gert, daz sie siner hülde schier'wert wer-
den in dem ewigen lebe». Iu zwei» dingen ist uns nütze,
der uns unser ding verkert, an' andern nütz des loncs
7) Diese Worte „die unS" stehen in der Hds. vor „die innern
äugen" —, was ich aber nur als ein sinnentstellendes Ver-
sehen im Schreiben ansehen kann.
8) Es scheint als wenn durch Entfernung des „ob" der Sinn sich
leichter ergeben würde „gerade, wie du es für gut halten würdest,
wenn"».s.f. Aber,, ob" steht ganz an seinem Orte: „gerade
wie (es sein müßte) wenn es dir gefallen sollte, wenn" ». s. f.
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und antlaz ber fünden. Daz eine ist, daz wir uns bester
baz au allen dingen hüten, baz die merker bester minre
an uns vinbcn, daz sie eht an uns verlern mögen. Daz
ander ist, da; wir unser genintc bester nicr zu gvte fü-
gen, daz wir mit sinen! tröste ergehet werben der uzzcrn
ancvchtünge. Sit uns banne die vinde nit geschadcn
künncn, »och uns betrüben mügen an unser selbes ver-
hengungc, so süln wir daz leit, daz wir umb uns selber
haben sollen, kern gein den vindcii, die in 9) selber grozen
schaben sbringeiltl, und da; wir uns irn unstn und ir
unselde lazen erbarmen, die sich selber toten, den Worten
da; sie uns ein agen in die süße stecken. Und davon
nnnncten die heiligen ir vinde; wanne sie künden wislich
ahtcn ihr selbes nutz und den willen unsers Herren gein
der vinde unselde. Da bi so lern auch dinen vienden
nit vint sin; wanne daz ist ein uz genommen zeichen,
daz der mensche dez himelriches io) Vater kint ist und
unsers Herren ihesu cristi lerkmt, und dez heiligen gei-
stcs wonünge, der von im gelernt hat, sine viende Min-
nen, und ein n) scnftes hcrtze tragen gein den, die im
«bels günnen, und fridesam sin mit den, die den fride
haßent. Waz wsinne hat der heilige geist in dem hcrtzen,
da er so stete ruwe jnne vindet, daz mit deheine rache
uz sinem süßen bynwazze mag gegen! waz hünigflüße er
y) Hdh „uns"
t») vielleicht: „himclischcn"
Hds. „in"
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dem selben hertzeu zu füget 12). Da von ist nit wun-
der, ob die süßekeit selten ist uf der erden; wanne so ge-
tane senftekeit ist in aller der werlte niht, noch in geist-
licher incnigc niht gemein. Bi disen ziten hat unser
herre ihcsus crisiuö ein gar wite schul, und wenig lerncr
an diesen tugcnden. — Lerne von im demütiges hertzen
sin. U;er demüt an gewande an gewonhcit an geberdcn
an Worte», die mugen auch sin an' dez hertzen demüt, als
ane glichscnern. Aber inner i3) demüt de; hertzen kan
sich »it verbergen, sie entziehe sich uzzen an allen din-
gen; .wanne sie mag sich anders nit gezeigcn banne sie
ist. Wo sie sich nit euget, da ist sie nit krcftig. Ir zei-
chen sint schinbar an allen dinge». Sie ist senfte an den
sitten, stille an den Worten, dornehtig an den werken,
stete an der warheit; sie ist dankneme an aller gut tcte,
swie klein sie werc, wanne sie dünket sich kume kleines
gutes wert; sie ist gcdültig in ungemache, wanne sie hat
ez da vor, daz sie cz billiche lidc, sie lent sich gein »ie-
man uf mit deheinre widcrwertileit, wanne sie getar sich
gein nieman glichen; sic vcrgan nieman deheines gutes;
sic gan auch nieman deheines nbcln, wanne sic hat an-
der tüte vil Werder alles gutes, wanne sich i4) selber;
sie engcrt weder crcn noch vil güteö, wanne sie nit vor
oen andern schinen wil an deheincni gcwalte. Der reht
,2) bcßer wol: „füret"
iZ) Hds. „inner"
M) Hds. „ich"
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*L. —
demütige mensche ahtet sich selber swacher vor allen men-
schen und ioch vor aller creatüre von zwein fachen. Die
eine ist: wanne er sieht sich selber an flißeclich, und er
wartet ieglichem si'ner untügent uz i5) mit demütikeit,
wie kündeekkchen ettelicher sin Untugend kan mit listecli-
cher richsenheit, daz er ivch selber kume erkennen smag^j
die klein fügen slüpslocher! Siehst du nu, wie uns die
warheit wiset zu der rehten demüt. Und swo wir von
der rehten demut wenken, so treten wir von der rehten
warheit, und strüchcn in die pfüle der betrogen hohfart
Also lerne von unserm Herren ihesu cristo, der die war-
heit ist, daz du ein demütig hertze habest. Die gotheit
mag nit hohfart gehaben; wanne got mag eht sich niht
hoher geatzten, banne er ist von warheit, der da daz
oberste gut ist. Und also stuf auch die enge! demütig
und die heiligen, da; sie daz bejunder atzten — waz sie
von in selber sicht, dez ist niht — und 16) waz sie von
iZ) Bild dessen, der auf der Warte steht und unabläßig nach
dem Feinde hinausschaut, bis er ihn erspähet- Er wartet
jeglicher seiner Untugenden aus mit Demuth, wie listig auch
manche derselben es zu machen weiß, daß er selbst kaum er-
kennt u. s. f.
r6) „und" steht hier auf eine ungenaue Weise. Dieser Satz
sieht in unmittelbarer Beziehung mit dem: „daz sie daz be-
sünder ahten", indem der dazwischen liegende eine Parenthese
ist. Bei der noch nicht festen Handhabung des Periodenbaus
ist das Parenthetische nicht streng genug gehalten, und so
„und" hereingekommen. „Auch die Engel sind demüthig, so
daß sie das besonders achten —was sie von sich selber haben,
daran ist nichts — was sie von (durch) Gott geworden sint."
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— 1Q y ’-r-
gote worden ftitf, der sie von niht gemachet hat, und sie
in so groze cre von lütern gnade» gcsetzet hat. Und
also gebeut sie in selber iiir crn, und habent und hal-
tent got die cre alle und daz lop, von de; güte sic cz
habent, daz an in lobelich oder gut ist. Und wanne sie
mit der warhcit crlühtet sint, so sink sic auch mit der
warhcit der minne entzündet. Da von wollent sic, daz
daz selbe urteil alle tute von in 17) haben, daz sie sel-
ber über sich habe», daz sich nieman cre noch hoher ahte,
dann er si. Und sie gernt, daz man sie vor niht habe,
daz sie von in selber sint, und daz man sie vor sündcr
habe, die wile daz sie hie sint; und sivaz an in gutes
ist, daz man got dar umb lobe, von dem ez alles ko-
mcn ist. Swer sich für ihtsit ahtet, der bekennet der
warhcit niht. Wer sich aber nihts wert erkennet, und
enmag doch nit erliden, daz man in für niht shabe^j, da; 18)
sieht die warhcit niht, wanne im ist sin selbes ere vil
lieber, banne die warhcit, die im da zeiget, daz er dc-
heinre ern wert si. Da von lerne bi unserm Herren ihesu
cristo demütiges hertzen sin, daz du dich selber vcrsmehest
niit dem hertzen und niit den demütigen werken und mit
Worten, und dez auch gern von andern luten lidest, und
sin auch dar zu niit frcuden begerst. Waz gütes der
17) „von in" s. v. a. von sich, wie die Worte: „da; sich nie-
man" u. s. f. zeigen.
18) „daz" statt „der" eine der Volkssprache und auch diesen
Predigten geläufige Äcrwechslung. Doch könnte cs hier auch
Schreibfehler sein.
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mensche hat, daz er nit demüteclichen übet und nit blügec-
lichcn behütet, daz nimet selten gut ende, er verlis ez,
oder sich misch etwa; dar zu, daz nit gantz si. Vil lie-
ber ist unserm Herren ein mensche demütig mit einre gna-
den, bamic mit viel gnaden übermütig. Dar umb rna-
chet er die gnade ettcwanne als türe, daz er uns da mit
demütet und erschrecket. Dar umb verhenget er auch,
daz man banne die gnade dem menschen verkert, als ob
sie unreht si oder ungantz, daz sich ir der mensche iht
überhebe als eines hohen dinges. Wanne lobte man
uns allezit umb unser güte, so det man der hohfart das
tor uf, daz sie gewaltecliche in rite und beraubete uns
alles lones und aller tugende. Und so die gnade ie hoher
ist, so die tugent ie grozer ist, und sie die gut tetc sink,
und so de; ie noter ist, daz nran sie nider drücke. Da
iancta Maria magdalena unserm Herren sin heubt bego.z
und sin fuße mit der edeln salben, da; verkert mall ir,
und grisgrameten uf sie und murmelten gern ir, swie
er sie doch selber entrete, daz sie ein gut werg an in?
worhte, daz zu loben were durch alle die werlt. Sic
gnügete auch nit zu reden ne uf sie allein, sic mürmekten
auch uf den heilant, war umb er daz gestate, daz die.
salbe zu unnütze verlorn würde an inr, die man den
durstigen solte Han angeleit zu nütze. Daz ist aber so
groz wunder nit, ob daz iudas tet und sin genozen die
nit geisteö hetten; als sant Paulus sprichet von den lu-
ten, die nit künnent versten die stlße dez heiligen geistes;
wanne ez dünket sie ein affenheit und ein getüsche, wanne
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sie sin ntf wißent. 19) Ez mohte auch ir swester martha
nit erliden, daz sie geruwet saz zn unsers Herren fußen
und drank in sich die süße siner Worte, so verre sie sich
nit enthuben n/ohte; sie strafte in dar nmb, da; ers ir
vcrhengete, daz er sie nit uf treip, daz sie were rund
gelaufen ln der küchen. Und zwischen lya und racheln
Hern labans dohter waz auch ein stetes urlüge, daz noch
nit verrihtet ist. Swie sie geswester waren, so bitterterr
sie doch als die gellen geht einander. Je doch so martha
von sorgen ungedultig waz, so hielt maria ir gedult und
swigen. Jhesus crisius ist selber ir entreder. Daz ist ein
groze ere, die ir sin nider nit verlern künden, nuwen daz
allerbeste. 20) Sie verkerten vil gerncr ein bösers, ob sie
ez fünden. Weihe dez pflegen, die kan man anders nit
gezihen, wanne daz sie glichsener sin an dem urteile.
Wer suchet, daz er berespen und gestrafen müge, der ist
ein schelter und nit ein bezzerer. Der getrüwe bezzerer ist
sro, ob er nit vindet zu berespenne, banne ob e? fünde
zu berespenne; und fünde er ioch ihts zu berespenne, daz
bete er, so er aller gefügelichsie mohte. Nu bitent alle un- \m.
fern Herren u. s. w. —
------------- « W k r >'
19) i Cer. r, 18. 2, 7. t. : ./- ^
20) vielt, „bösie.,, Sinn: nur das allergeringste konnten sie bei ihr
verkehren, nicht aber jene große Ehre.
Hl
4) ^Christliche G esinnung und deren Gegensaz.
5te Predigt. (stte) Von 7 Tugenden und dem, was den-
selben entgegensteht, (von den 7 Planeten)
I n h a l t.
Nach einer allgemeinen Hinweisung darauf, daß Himmel und Erde
als Bibel der Laien zu betrachten seien, folgt als Beleg dafür
eine Darstellung der sieben Haupttugcnden an den sieben Him-
melskörpern, welche in der damaligen Weltansicht das Plane-
tensystem bildeten, welche zugleich mit den sieben Tagen der
Woche in Verbindung gebracht werden.
cj.sf
ritfyealniehtige got hat uns geben zwei groze büch,
n I uns pfaffcn, da wir an lernen und lesen und singen.
, Alle die ding, der uns not ist zu der sele und zu dem
ö Y "lO * ^
- A* j libe, alle dugent der wir bedürfen zu gote und zur werkte,
wie wir got mittlren suln, und wie wir in loben und ern
suhl, und wie wir die fünde lazen und stiehen sülu, und
die undügent und alle bosheit lazen und smehen füllt,
daz lesen wir pfassen allesampt an zweien büchen. Da;
ein ist vvy der alten e, und daz ander von der rlüwen e;
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und eins lesen wir bi der naht, und daz ander bi dcnr
tage. Da; ist reht als wiz und sivartz; die alte e ist
die naht, die nüwe e ist der dag. Und also hat «ns
got alle naht und dag in siner hüte und in sinem schirme
mit diesen zwei» buchen. Und daz daz war ft, daz. er-
zeigt uns got in $cr alten e. Da er daz israhelsch volk
fürt durch die wüstenünge in daz geheißen laut, da gap
er in zweier lene wisünge. Dez dages gingen wollen
über in, des nahtcs wiset er sie mit dem lihte der siern.
„l7.t fuit ilJis in velamento diel et Juce stellarum
iiocte.“ Und also gab er in die wisunge dez dages und
dez nahtcs, wie sic in daz geheißen lant solten körnen.
Und also hat uns got diese büch gegeben zu wisünge,
wie wir in daz geheißen lant süln komen. Daz ist daz
himelrich, daz er uns sit anegenge der werkt bereidet hat.
Wann nü lcyen himclrichs als not ist als uns pfaffen,
dar umb hat uch got zwei groze büch gegeben, da ir i)
an lesen und lernen stillet alle die wisheit, der uch not
ist an slibe und an feie! 2), die uch in daz him.lnch
wiseit sollen. Daz ist der himel und die erde. Dar an
sült ir lesen und lernen alles, dez u,ch not ist ■ lib
und öit sele; an der erde» bi dem tage, an dein mel
bi der naht. Wann der almehtige got hat uns alle ding
zu nütze und auch zu güte geschaffen, cinhalp zu dem
1) Hds. „da die ir" „die" ohne Bedenken auszustoßen.
2) Diese Worte sind anS dem Folgenden zu ergänzen, oder auch
«an" auszuffoßen; daS erstere ist wol vorzuziehen.
8
dem libe und anderhalp zu der scle. Und also sult ir
daz ertrich meßen und nießen zu dez libeö nütz, also da;
ir ez buwen füllet mit körn und niitwine und mit allen
dingen, der ir zu dez libes not bedürfet; und also ma-
niger lcye tugent mügt ir auch dran lernen und lesen,
die uch zu dein himelrich wisen sol in daz geheißen lant,
ob ir ez kondet, alse der güte sant bernhart. Domanden
fragte, wo von er so wise were, do sprach er: ich lerne an den
bäumen. Und also mugt ir auch an den bäumen große til-
gen t lesen und lernen. Wann ir gedenket indem hertzen:
wol dir, lieber gor! wie manigfalt din gnade ist und din
gewalt, daz du uns so vil zu nütze und zu güte hast ge-
geben; daz die baüme dez winters so dürre und so bloz
st'n, und nü gein dem sümmer schone blütc und laup uz
werfent, und darnach edeles obs treit, daz so 3) güt
und wol gesmak dünke; und daz die winrcben so gar
unahtber sin, und daz sie doch so guten win gebernt,
und den luten so wol zement und die lüte so fro ma-
chet^; und daz du hcrre so maniger Hände krüt uz der
erden uff tribest, daz nieman weder büwet noch sewet,
daz ie zu ettewo nütze und güt ist. So ist die würtze gut,
so ist der sinne güt, so ist sin krüt güt; so ist der blüme
güt; so gevar ist die, so ist iene süst gevar; die rot, die gel,
W brün, die wis; die groz, die klein, die kürtz, die laug;
3) Hds. „die"
4) l. „machent" —, oder wenn „und" statt „der" steht, wie
öfters, l. „zemet" — machet.
— 1x5 —
und die würtzc vor den siechtum gut ist, und diese für
einen andern; und also niüget ir lip und sele gcsunt ma-
chen mit der geschepfede unsers Herren. Swanne ir in
also dar umb lobt und in dar umb ert mit gebet, mit
lobe und mit danken, so machet irö uch zwifalt nutze,
zum libe und zu der sele. Wann unser herre wil, da;
man in lobe von allen sine» werken, als ir frauwen
da leset in dem satter. — So sült ir dez nahtrs lesen an dem
hunele und lernen. Do hat got uch vil guter letzen an
gcschriben. Wann ich dez willen Han, daz ich uch hüte
ein letze wolle sagen; die sült ir an dem himel lesen an
sieben sternen. Bident alle unsern Herren, daz er mir
gebe zu sprechen, daz er gelobt werde oben uf in dem
himel, und daz ir gesekiget werdet an libe und an sele.
Und dar umb sprech' ein jegliches ein pater »oster und
ein, ave niaria unser frauwen. — Ez stent siebe» sternen
an dem himel. Dar an sult ir lese» und tugcnt lernen;
wann unser herre hat uns alle ding zu nütze und auch
zu güte geschaffen u. s. w. 5), als ich c sprach. Und
also hat unser herre die sternen auch geschaffen. Die ha-
bent gar groz kraft über alle ding, die uf erden sink un-
ter dem hymel. Alö er den steinen und den würtzc» und
den Worten kraft hat gegeben; also hat er auch ddii ster-
ilen craft gegeben, da; sie über alle ding craft haut, an'
b) Diese oft wiederkehrende Formel mag. wo eS angeht, abge.
kürzt werden.
3 *
über du ding. Sic habent erast über bäum und über
winwahs, über laup und gras, über ernt und wortze,
über körn und alles daz, da; same treit, über die Vogel
in den lüften lind über die tier in dem Walde und über
die fische in dem wage und über die wurme in der er-
den; über da; allesampt, da; unter dem himel ist, dar
über hat unser herre den sternen crast gegeben, wann
über ein ding. Da hat nieman kein crast über noch
keine gemalt, 6) weder sterne, noch wortzen, noch Worte,
noch steine, noch enget, noch tüfel, noch nieman, wann
got alleine; der wil sin auch nit tun, der wil nit gc-
walteö drüber Han. Da; ist de; menschen fri wilkür;
da hat nieman gewalt über, banne du selber. Wolle
got gewalt haben über de; menschen willen, so würde
unser deheins niemer verlorn. Wann er den menschen
nach im selber gebildet hat, der edele frie herre, da wolt'
er im sin wilkür nit binden noch twingen, als dem esel.
Der muz den sag tragen, er du e; gerne oder ungerne.
Also muz der ohse den wagen ziehen oder den pfiüg.
Man bindet ein mensche wol, wie man wil; aber sinnt
willen kan man nit gebindert noch betwingen. Swie
groze crast die stern haben über regen und über wink
und über alles daz, daz under dem himel ist; so haut
sie doch keine gewalt über de; menschen willen. Der
wille siet an dir selber; got der hat dir übel und gut
6) Hds. „crast." Im folgenden kommt „gewalt" als fern. vor,
soNst als TO25C.
— n7
für geleit; tu Webers du will; duz siet an dir; got hat
ez diner frien willekur bevolhen. Der almchtige got, der
bewise dich dez besten durch alle sin güte. Ich gebe uch
den wünsch; der almehtige got der gebe uch den willen.
Wann »ieman dcheine gewalt enhat über «wer willekür,
banne ir allein; so gebe uch got daz bcsie. Dez bite ich
got wol für uch; ich mag aber «wer nit betwingen.
Wann mdhte ich uch betwiuge», so liez ich uwer eins
niemer kein fünde getün. NK Han ich dehcinen gewalt
dar über, noch sicrn, swie groz craft die stern haut über
alle ding. Sie habent craft über bin selbes lip und
über bin gesuntheit und über bin kraft; und über dincn
willen habent sie keine gewalt. Sie habent halt so groze
kraft über alle ding, und die hat in got vcrlihenr ob
dez aller minnesien sierren gebreste, der irgent an dem
himel ist, so niohte alle die werkt bester wirs an gestmt-
hcit, dez libes crefte, an lang leben; und alles, daz uff
erden lebt, und alles, da; uf erden swcbt, daz wer alles
bester unberhaftcr und bester tauber an (Titer fruhte und
an sineni sinnen. Seht, als wislich hat unser herre alle
ding geschafcn und alle ding gcordent. Und da spricht
her davkd: herre, du hast alle ding mit wisheit geschaffen.
Und swie gar groz craft die stern allcsampt mit einan-
der habent, doch habent die sieben Planeten sünder groze
craft vor allen den stern, die an dem himel sin; und doch
habent sie keine craft über die willekur. Und bi densel-
ben sierncn sült ir sieben tugende kernen, ob ir sie selber
nit habt. Wann swer ir nit hat, der mag niemer ku-
mcu in daz geheißen lauf. Und dar umb hat uch got
dieselben sieben fugende bewiset an den sieben Planeten,
daz sie uch zu den: himelrich wisen. Wann da kan nie-
mer mensche hin fomen, ez haben banne dieselben sieben,
fugende. Wann alle duzende sinf zu niht, dn cnhabest
banne dieselben sieben fügende. Wann die Habens alle
die heiligen gehabt, die zu himel sinf. Wann dieselben
fugende als nütze sink, so hat uch sie got an zwein en-
den ertzcuget. Die sieben dage der Woche sink geheißen
nach den sieben stern, und die sieben duzende sink dar-
nach) bezeichent, alles dar umb, daz ir die sieben fugende
bester lieber Habens, und beste oster daran gedenken sulf.
Als ir ie der siern einen seht, so sulf ir ie an der sieben
eine gedenken, und sult sie lernen, daz ir sie an uch sel-
ber übet, und sulf got mit allem fliße biten, daz er uch
die selben fugende gebe, obe ir sie mf enhabf, die nach
dem selben stern ie geheißen. Und da; selbe sult ir dün,
swann je der sieben tage einer k'ümpt, der nach demsel-
ben stern geheißen ist, der ie der duzende ein' bezeichent.
Wanne der sieben sternen der bekennent manige lüte nihf ;
da von sink die sieben dage darnach geheißen. In tastn und
in welschen landen und in francriche heißent die sieben
stern als die sieben tage und auch die sieben tage sam
bk stern; hie zu dütschem lande heizt man sie nit so gar
darnach, als in saftn und in francriche und in welschen
züngen. Und ist mir daz vil leit. Wan so der sündag
kumet, so sollet ir an die dugent gedenken, die nach dem
süntdage ist bezeichent, und an dem mantoge daz selbe,
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und alle dage nach vrdenünge so sollcnt ir gedenken an
die tilgende. — Der erste planete heißet svl, daz ist die
sünne. Nach dem selben Planeten heißet der selbe tage.
süntdag. Und als ir den selben Planeten scheut, und als
derselbe tag kümpt, der sundag, so sult ir an die dugent
gedenken, die der selbe sterne betütet, die sünne und sult
got biten, daz er uch die selben tugent fcsteclichen lere
und ste stete an uwcrm hertzen mache. Wann hetter
alle die tugent, die die werlt hat, und het der einigen
duzende »iht, so gesetzt ir got niemer in sinen freuden
und in sinen eren. Und heißet luter cristen glaub. Wann
sivaz der mensche düt, das 7) gevellct got nit an'
den rehten cristen glauben. Vaste als vil als helpas,
und erleide als vil wewetages als der güte iob, und wis
als gcdültig als iob, und dü alles da; du kanst oder
mäht; dir git got dehein himclrich; wann daz'gesellet
gpt alles nit an' den cristen glauben. Gute werg an'
den glauben sint vor gotc tot, und güter glaube an' die
Werg ist vor got alsam. Wann alse die sünne lichter ist
dann alle sternen, und als die sünne alle ding über luh-
tet; also über lühtet cristen glaube über alle glauben.
Ketzer glaube der stinkt und ist fül und dünket, und schi-
nct nüwen in der vinstcrniffe ein wenig, als ein füles
holtz, da; niemer geschinet, wann an der vinsternisie in
den winkeln. Ju glicher wise ist ez umb den ketzer glau-
ben: als man den zu lihte breit, so schinet er »it; wann
7) gegen die herrschende Schreibung.
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120 —
Mal- 5s
r
er ist fii(, als daz süle holtz; so man daz zu lihte treit,
so stinkt ez und ist cht fnl. Du unseliger ketzer! mahtu
den glauben do her zu mir an daz lihte tragen? Du
soll auch cinvclteclich glauben, waz du zu rchte von got
glauben folt, und daz dir din triften glaube seit. Du
solt nit zu faste in die sänne sehen. Wanne swer faste
in die filmten sieht in den drehenden glast, der wirt cint-
weder von äugen so böse, da; er ez niemer mer gesiht.
An glicher wife als stet ez umb den glauben, wer zu
faste in den heiligen cristen glauben sieht, als» daz in
vil gewundert, und zu diese darinne rumpelt mit geden-
ken, wie daz gesin müge, daz der vater und der sän und
der heilige gcist ein got ungeschciden sint, und wie da;
gesin müge, daz sich gewar got und war mensche ver-
wandelt in ein brot, und daz ein magt ein kint gebar,
und wie daz gesin möge, daz ein Priester, der selbe in
funden ist, ein sündig mensche von sincn fünden mag en-
bindcn. Der almchtige got, der alle ding wol mag ge-
tün, als der güte sant peter do sprach, der mag auch
Vaz wol gctün. Dar umb svltn nit krähten; wanne ez
ist den hohen meistern gnüg. Wirt cht ein gut mensche;
als die fcle uz dem libc gct, so gesihst du ez alles wol.
Wiltu aber zu vil darnach grübeln, so mäht du eintive-
dcr so kräng an dem glauben werde», daz du niemer
mer überwindest, oder du wirdcst gar zu male zu eim
ketzer. Und dar umb soltu festcclichcn gleuben ane wan-
ken und ane wundern einfeltecliche daz dir din fristen
glaube seit, und solt dich daun hüten, daz er dir iht ver-
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stoln werde von ketzerischer lere noch von keinen, andern
glauben. — Der ander frcrnc bezeuget dir die ander dv-
gcnt; der heißet der man; und nach dem selben sterren
sol heißen der tag, der ander in der Wochen, mantag.
Als ir den manen seht, so sült ir an die andern tugcnt
gedenken; und als ir an den mandag kchnpt, so stillet
ir got biten umb die selben tugent, die do Heist demüti-
kcit. Wann der man ist der aller nidersie sicrn, der an
dem himel ist; und als vil er niderre ist dann ander
steril, als vil sol sich der mensche demütigen. Da; sult
ir an dem sterren merken und lernen. Du svlt dich selbe
nit zu hohe setzen an die stat, da man die werden setzet,
als unser herrc in dem cwangelio sprichetr Ewer sich
selbe zu hohe fetzet, und kümpt der Wirt, der wil vil
lihte ein andern dar setzen; so muz er lesterlrchen die stat
rümcn, und muz vil lihte dort Hinder der tür fitzen. Und
dar umb sült ir uch demütigen; sc» Heist uch der wirt
erberlichen an die stat sitze», da; verre wegcr und bester
ist, daz uch der almehtige got höhe, dann daz ir uch
selbe höhet. Wann swer sich selbe erhöhet, den nidcrt
got; und wer sich selber nidcrt, den höhet got. Und
wcre-unser frauwe sant maria nit demütig gewesen, der
heilige geist wer nie zu ir kümen, wie vil sie ander tu-
gende hctte gehabt. Nu macht irs uötlich, ir frauwen,
da; uch nicman erliden maq: so mit gewande, so mit
Vorgänge zu dem opfer, mit ebentüre, mit düchelchen,
mit gclweni gebende, mit sleygern, und mit wehen ncten;
so newet !r hie den schilt, hie den strik, hie sdenI
e-YoicW1 rrnYOct^2-
ikAi
- er^ev +^
V
fem# dsn affen. Also ist dir die tugent gar turer die
da -fkijjf dcnrüte. Und hast du anders nit danne lobe-
lachen und hohfart; ach! so hast du weder hie noch dort
nit. J'r man ir tribf auch zevi! hohfart, mit wehen
sniten an uwerm gewande, mit nüwen sniten an hüten
und an andern. Die habent der wiskmge unsers Herren
niet. Da t>on fimmrt sie niemer tu da; geheißen laut.
Der brise stern heißet mars. Der zeiget uns die brise
tugent. Und nach dem selben stern heizt der dritte tag
in der wocben ein wenige nuwen in den: lande hie zu
beigern. Der stern der heißet mars; so heißet der tag
ergetag. Wer nüwen ein buchstahe mer da, ein R 8),
so hie; er nach dem stern. Der bezcichent uns eine güte
dugcnt. Sterke de; geistes heißet die selbe tugent, und
ist aller tugende beste. Ir sült fin stark gein der untn-
gende, wan sie nch ane vihtet; da; ist de; fleisches gir
und der werkte süßekcit und dez düfels rete. So strit
eht wider; so gesigest du den drin vinden an, als der
gute sank Paulus do sprichet: „arbeit als eiu gut rit-
ter 9), bi; daz du begriffest die kröne dez lebens. Ich
Han einen güten strit gestrittn; minen lauf Han ich vollen-
braht; Len glauben Han ich behalten." Also sült ir er-
beiten und striten wider die fünde. Als du einer fünden
gedenkest, so strit eht wider und wider, und nim in dincn
mütr „o herre, hilf mir, herre, da; ich bin iht Verliese
8)-E^ muß wol beißen „M"
t) 2 TimoLb. 2, Z. r. Tim. 6, 12. 2 Tim. 4, 7,
mit keiner fündeund nim in dinc» müt, daz die fünde
vil bczzcr ist zu lazcu, dann zu büßene. Als du einer
»nl'üfch gedenkest, cz st von de; libcs gelüst, oder von
der werkte freude, oder von dcz tüfcls reten; so strit eh!
wider. Wiltu einen flohen oder wunden vor zvrnc, da;
dir rchte da; Herste hülsten her uz weile, so strit eht wi-
der und gedellke dar an, wie hohe got und der werkte
büßen. So du sieln oder rauben wollest, so strit eht
wider. So du dvpcln oder spiln wollest, so, strit chi
wider. So du eine vasten brechen wollest, so strit eht
wider; oder ein virc von vrazhcit oder von gitikcit nach
güte, so strit eht wider. Phi! gitiger und Wucherer und
fürkeufer und satzungcr, du bist sigeloS worden. Dez
kämest du niemer in da; riche unsers Herren, dn geltest
banne und gebest wider. Ir andern sündcr, wo ir sigclos
worden sit an uwerm strit, und daz ir in stmdc gevallcn
sit; so gewinnet allcsanipt wäre.ruwe, und tut luter bihte,
und cnphaht büße nach gnaden goles und nach nwern
statcn, und stritct furbaz iemer mer mit der Lugende,
die da heißt stcrke de; gcistes. Wann got nwern ernst
sicht, so hilfet er uch siriten, daz ir gcsigct an aller an-
vchtunge. Nu seht, ob ir striten wollet oder sigeloz wer-
den. Wollet ir daz uch der tufel ane wer iht hinziehe
an den grünt der Helle? Nu wißet ir wol, da; ez ein
schentlich wort ist, der zu ein, andern sprichct: du bist
ein rchtcr zage. Und da von mugt ir uch hcrtcr sche-
men, dann ander leite, daz ir zegclichen sigeloz werdet
& p ei* i . \ i ^
— *l;a 4 —•
bi so manigem endehaften werk, die io) uns got zu sture
hat gegeben in den sirit wider die sünde: den Heiligen
tauf, die heiligen firniünge, die sieben hcilikeit alle, daz
heilige crüce, den heiligen glauben; swann du diese Waf-
fen zu dir nemen wollest, daz dir gein dem strite ernst
wcre, dir künde weder diu selbes fleisch noch der Werlte
süße noch die tüfel mit allen irn reten nit geschahen;
daz lest du nit wanne von bitter frien willekür, daz du
der wcre bi dir nit uff Heyen wilt; die heiligen bihte, 11)
so nie nit bcßers für die fünde wart, dann bihte und
gebet, und der sich stißeclich got cnpsilhct mit dem heili-
gen crüce. Und gedenke, waz du got cnthiefie in dem
heiligen taufe, da dir der heilige cristen glaube befolhen
wart. Und dar zu nim die heiligen minne, die du zu
gor haben folt, und daz gedknge, daz dir got umb dinen
strit daz ewige leben geben wil. Swann dn diese wer
zu dir nimest, fo wiße, daz du gestgest an allen funden
die dich anvebtent. — Der vierdc steine heißet mcrcil-
rius, und bezeuget uns die virden tugent, die uns zu
dem himckrich wisct in daz geheißen laut. Und »ach
dem selben sterren heißet auch der selbe tag 12) mitte-
woch oder mittich. Der steril heißet mcrcurius da von
10) „die". Mehrheit in /manigem"
n) Diese Worte gehen wol noch zurück ans den Sa;: „die
uns got zu sture hat gegeben". Das dazwischen stehende eine
Art parentbetischer Erläuterung.
12) Hds. „sterne" Schreibfehler.
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da; er ein mitteler ist. Ez sint brtc vor im und drie
nach im; also siiit auch brtc tage vor der mittewochen
und drie tage dar nach. Und als ir den selben sierren
sehent, oder hörent nennen, so sult ir derselben tugent
gedenken. Wanne ir alle den selben sterren »it erkennent,
so sollent ir die selben tugent lernen bi dem tage, der
da ist mitten in der Wochen. Und also sult ir mitteler
sin, daz ir fride machen sult. Under einander sült ir
friede und suite machen. Wann daz ist ein groze tugent,
der fride machet; und dar umb spricht got in dem hei-
ligen ewangelio: selig sint alle die, die friede machent.
Wanne er quam selber von hinielriche durch den rehten
friede. Durch briet* leyge friede quam got von himelrieh
her abe: daz ein friede wurde zwischen dem menschen
und dem menschen; der ander zwischen deut engel und
dem menschen; der drite zwischen gote und dein men-
schen. Den erste fride zwischen dem menschen und dein
menschen, bett fit ir rehte schuldig von got zu machen.
Und ir Herren und alle die, den der almehtige got geriht
und gemalt geben und verlihen hat uff ertrich, daz ir
verrihtent und versünent alles daz, da von vintschast und
Fries krimpt, und urluge und braut und Ungnade von
komen mag; daz sult ir alles fliehten und auch sünen,
als ir mügt, und als verre und als ez uch äuget. Wanne
der almehtige got von himelrich der i3) her abe quam
umb den rehten frieden; da waz daz sin gruz zu sinen
is) „der" s. v. a. Lar, »der s. v- a. „er" pleouastisch.
jünger» und zu andern luten; der friede fi mit uch. Und
dar umb, ir Herren, ir snlt friede machen, oder ir müßent.
got an dem iüngejte» tage antworten vor allen den scha-
den, der von Unfriede geschiht, den ir zu rchtc süncn und
verrihten sottet. Ir arincn lüte, ir sult auch «nder ein-
ander friede machen, niht eins zu dem andern gen, und
sagen dose ding, und gereizze und gewerre machen. Ir
sült ein ieglich ding zu dem bestell keren, und machen
zu friede und zu sune. Pst trüllerin! wie stet ez umb
diiien friede, den du an krühsesi und trüllcst? Dill friede
heißet de; düfels friede. Dez Fern er dir. vil wol gedan-
ken, im zerrinne dann alles dez fures, daz er irgent hat.—
Der ander friede, durch den got uf ertrich quam daz ist,
daz ir sült friede machen zwischen dem menschen und
dem enget; da; ist, da; ir uch vor allen tätlichen funden
sult Huden. Wann als ir dotliche fünde getüt, so wcr-
dent uch die engcle als vint, daz sie uch gerne'ertöten,
die uwer da hüten; als man liset in dem heiligen ewan-
gclio, da die Hüter sprachen: „herre, dine vinde habent
uiicrut gesewct in de» edeln weißen. La daz unkrüt uns
uz brechen." „Niht! sprach der herre, la mirs mit ein-
ander wahsen, untz daz ez zitig werde-" i4) Der herre,
daz ist unser herre von himelrich, die enget, daz sint die
bütcr. Und alse der mensche die rötlichen fünden getüt;
so zehant ist friede uz zwischen dem engcl und dem menschen.
Wanne die enget minnent got als vesteclichcn, und da von
14) vergl. x. r8.
V
— 12? •—
werdent sie den menschen als hertzeclichcn dient- daz irwider
got düt, und sie töten uch wil wundern gern. Und dat umd
satt ir uch hüten für allen tätlichen fünden, da; ein friede
si zwischen uch und den heiligen engeln; so behüteter iS)
uch deste baz vor allen üblen dingen; wann gotes se-
gerr ist alle über de; rehten nrenschen heübt. Der drite
friede, durch bcu der aünehtige got auch uf ertrich quam,
Laz ist der sieben heilikeit eine. Da; ist, wo ir Unfriede
habt gemacht zwischen uch und got mit tätlichen fünden;
so sult ir zwischen uch und got einen steten friede ma-
chen mit der warn, ruwe und mit der Intern bihte und
mit büße nach gotes gnaden und nach uwern stattn,
utld füllet scharpfe ptn haben und bitter leit umb alle
uwer fünde. Wann swanne du bitter leit hast, so ist go-
tes friede an dir. Und da von fangen die engel über
der kripfen, da unser herre geboren wart: din ere in dem
himel, got herre! und gut friede uf der erden allen dell,
die güres willen sint! Und dar umb sült ir zu allen
dingen güten willen haben mit der waren ruwe. Hast
du dich vor beglichen funden wol bcwart, so soltu aber
guten willen haben, da; du dich untz an bineit tot wol-
lest behüten für alten tätlichen fünden. Die da gut sint,
die werden bester, die da heilig sint, die werden heiliger.
Uub also quam unser herre voll himelrich uf ertrich, daz
er ulls verfüttte mit dem Vater in himelrich. 16)—Der
15) Gott oder euer Engel?
16) Hds. „hemelrich"
fünfte stern zeuget uns die fünften tugcnt, die uns auch
wisunge git in daz geheißen laut. Und nach dem selben
stern heißet auch der fünfte tag in latinischer züngcn
oder spräche und francifchcr spräche und in welscher
spräche. Hie zu lant heißet er nirgen nach dem stcrrcn
nmb ciil einiges har. Wann der stern heißet iovis oder
iupiter, iovis pater er heißt: ein hclflich Vater. Und da
von zeugt er uns einer leye dugent, die uns lert helflich
stn gein unserm ebencristen, swo dem der helfe not ist,
und ist der edelsten dugcnde ei», sic selb siebende, die
under allen duzenden ist. Und da von solte auch der
fünfte tag nach dem fünften stern heißen hie zu tütschem
lande, als in andern landen; swann der selbe tag queme,
daz ir an die selben tugcnt gedchtet, und lerntent, »nd sie
banne auch an »ich selbe übtcnt. Nu heißet er dsinrestag
oder phintztag. Wie glich daz ist iovis oder iupitcr! i6)
Jchwene, die tilgende hie zu lande tüwer ist und frcmede.
Wann die tugcnt heißet miltekeit, daz ir milte sult sin
mit dem, daz uch got verlühen hat; als min frauwc
sa»t inaria; die waz gar nulte, und sant künigunt, und
saut elsebeth, und sant oswalt, und sant martin und der
andern ein michel teil; manig tusent heiligen sint mit
ir miltekeit zu himelrich komen. Und dar unib so sült
ir hclflich sin armen luten. Phi! gitigcr, wez hilfest du
diesen armen goteö kinderu? Du hilfest in, daz sie vollen
zu almüsenern werden müßen. Wc dir und allen ebre-
i£)
i) eine ironische Wendung, wie auL dem Folgenden erhellt.
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cherir 17) unb allen reubern! Wie türe dir die tügent
ist! Ir tauber, ir apprecher, unrehte vbgtc und unrehte
rihter, und ir gitigen Wucherer iS), waz wolleni ir got
zu antworte geben an dem nutzesten tagen, so diese ar-
men gotes linder über uch ruffent an dem iüngesten
tage. Wann der sitzet maniger vor mitten äugen, der
ietzünt hundert pfunt solle Han von sinen arbeiden; der
hatfoviluit, düZ er sich des i9) frostes wöge ernern; und
ist maniger da her gelaufen in diesem kalten rifen bar-
fus in vil dünner wete. O wol uch wart, ir seligen
gotes linder! Lident ietze gütlich uwer arbeit; die nym-
met ende; uwer armut nymmet schiere ein ende; aber
uwer freude und uwer richheit die nympt niemer ende.
Und also wehseln auch die ebrecher, üo) die da hie gnüg
haben und schon leben mit dem raube, den sie an uch
begent mit unrehter sture, mit Unrehter vogtye, mit Her-
bergen, mit notbede, mit raube, mit brande, mit diep-
stal, mit unrehtem gewalte, mit unrehtem genhte, mit
unrehten zollen und ungelten, und mit trügenheit, mit
Wucher, mit fürkauffe, mit dingesgeben. Nü seht, ir ar-
men lüte, wie maniger ley sie uf uwer arbeit setzent.
Und da von sit auch ir so arm, daz diese unseligen so
17) beßer wol: „abrechern" nachher: „apprecher" und „abrecher."
Der Umlaut des a in e hat hier keinen Ort.
18) Hds. „Wucher."
19) Abweichende Schreibung, wie schon öfters.
20) s. oben Anm. 17).
9
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manigen gitigen Ii|t uff uch setzent, und da von habt ir
so wenig an, und habt gelebt so nianigen ubeln tag mit
grozer arbeit spate und frit, und müßent eht alles da;
arbeiten, daz die wcrlt bedarf; und de; allesampt wirt uch
kümeclich mit übten als vil, da; ir int vil baz gcffcnt
dann uwer swin. Und hat ez got durch uwcrn willen
als wol geschaffen, als durch den irn. Nu brecht irs 21)
in mit so maniger falschcit abe, da) in »it bliben mag
so vil, da; sie zu rchte iemer oder icmer 22) dcheinen
hünger oder frost gcbüßen mügcn. Wanne daz sie da
eßent, da solle sich küme ein swin von nern. Nu mi-
ßet ir abrcchcr nit, wez ir uch genoten »lügt, da; eht
»wenn libe wol si, und sanft und schone lebe; so weist
du nit, daz ez schiere ein ende niinpt; aber uwer niar-
tcl nimpt niemer mer kein ende. Ir frauwen, ir niacht
sin auch zu vil und ein michel teil, daz uwer wirte cbrc-
cher 23) sint mit so nianigen unrehten gewinnen. Wann
so ir »it vier ley kleider habt oder sehs ley, so gelebcnt
sie nienier güten tag mit uch. Und c daz er iemer mit
ir übel lebe, so wirt er ein abrecher, in welher ley wise
daz ist. Und also legent ir die scheine vol, und henkt
die stangcn vol, und lat ez ob einander füln, e daz ir
einem nackten dürftigen einen alten hadern gebt den bo-
21) die Rede wendet sich schnell zu den Reichen.
22) „oder iemer" wol auszustoßen; „oder" aus der nächsten
Zeile heraufgekommen.
23) s. oben,
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— 1.5 j
freit, bc« ir irgcnt habt. Und hat ez ie doch got geschaf-
fen durch in, willen als wol als durch uwern willen.
Wann er alle ding mit wishcit geschaffen hat; da von
hat er auch mit wishcit daz auch geordent und geschaf-
fen, daß alle diese werlt gewant gnügcö hat gehabt; und
stcisches und brotcs, zu trinken nict und win und Her,
und fisch, will und zam, dez hat er allessanipt glich gnug
gcschafen über alle die werlt, reht als gnüg, als er die
steril an dem himel hat geschaffen, ob einiges siern ge-
brcste an dem hiniel, daz alle die werlt bester wirs mohtc
an gesunthcit und allen güten dingen. Rehte als glich
als er die stern geschaffen hat an dem himel, daz ir we-
der zc vil noch zu lützcl ist, als glich hat ers uf ertrich
geschaffen, silber,golt,spise und gewant. „Owe! B.B.,
so hat ers gar unglich geteilt. Wann ich und manig
armes mensche enbißen selten iemcr daz da gut ist, eßens
oder trinkens, und haben weder golt noch silber, noch
gewant." Siech! da hat dirs der apprccher abe gebro-
chen, der mit wuchcr, der mit raube :i. s. w. — Da
von ist auch die gytikeit ein fünde aller fünden wirstc.
Wann sie brcchcnt uch die selben arniut abe mit unrehte,
daz uch mit rehte got beschaffen hat. Und irs dann
kümc crarbeitent mit uwerm swcizze; so legt sin einer über
einander, daz sin zehen gnug heten. Etslicher legt niit
gittikeit über einander, ez hettent tuscnt dar an gnüg zu
rehter wise. Wanne er hat sin alles gnug geschafen, un-
ser herre. Und da von daz ein ander gitigcr zu vil hat,
dez habent anderswo hündert zu wenig; oder cz hat ei-
9*
“ 102 -*
tter, daz drissig sotten Han, und lct ez e ob im erfüllt,
e dann er ez den litten laze zu nutze werden. Phi! hör-
deler, wie türe dir die tugeitt ist, die da heisset miltekeit!
Dez wirdest du auch begraben an den grünt der Helle,
sani der riche man. Man liset ez nit, daz er irgent ei-
nen Pfennig unrchteö gutes hete; wann daz er mit deut
rehten güte so gitig waz und der tngent nit hete, die
heisset miltekeit. Pfi! gitiger mit dem unrehtvcrtigen
güte, wez wilt« dich da bi trösten? Ir armen lüte, ir
freuwet uch ait' not. Ir wcnct alles, sie wollen uch
gelten und wider geben durch miner predige willen; oder
ir wenent dez, sie wolle» miltc werden. Daz gesclnht uch
an' not. Ja prediget' got selber einem gittigen drithalp
iar und half an im nit, untz daz er bett Prediger vcr-
kaufete umb drissig Pfennige. Er liez ez e zehen sinnt
erfuln, ez'si daz körn oder win, ez si fleisch oder kesc.
Da; selbe dünt ir frauwen, 24) daz gcwant in dem schritte,
e daz ir ein miltekeit da von beginget. Und da von spricht
ein heilige gar ein gut wort, und sprichet also: herre,
wo von sint die Vogel als schöne und als vcizt und cn-
habent weder diz noch daz, und sint alle niüßig, und
habent weder diz noch daz, und habent gar gnüg? Daz
ist da von: so einer gnüg hat, so lat er auch den an-
dern eßen; als im einer gnüg gißct, so let er auch den
andern eßen. Als dann ein gitiger mensche hat, da zwein-
zig an gnug heten; dannoch het er gerne nier, da hün-
24) Vielleicht ist hier etwas ausgefallen- „frauwen. Kr lat ob
einander futn"
dort an gnug heten oder fünf hundert. Und da von
müßet ir armen lüte so wenig haben. Wann ez hat
gvt alles glich gnüg geschaffen, und allen den gebresten,
den wir in der werlte mugen gehaben, den haben wir
allen von den abrechcrn und von diesen gitigen lkiten.
Wir heten alle gnüg, der ez glich teilte. Und dar umb,
ir seligen gotes linder, gehabt uch vil wol. Habt ir zu
lützel und sie zu vil; so habt ir dort gar gnüg, da sie
gar wenig habent. Und da sprichct got selber: selig sink
die arinen, wanne daz himelrich ist ir. Und dar umb,
ir armen lüte, ir sdlt gar fr» sin: wollend sie dez himel-
riches it, die richen, sie müßent ez von uch kaufen mit
der tilgende, die da heizt miltekeit, und tunt sie dez niht,
sie geseheirt daz himelrich niemer mer. Aber einer Hände
milte ist got vor aller der mitte, die die werkt ie ge-
wan oder iemer mer gewinnen mag: daz ist gelten mrd
wider geben. Ob du allen tag' drie spende gebest, daz
wer got nit als liep, als ob du einigen schilling gelte»
sollest; oder stifte alle tage ein kloster oder ein spital,
daz wer got als liep nit, als ob dir einen schilling gel-
ten solt. Und solt cim halt nuwen aht pfeilnige, und
giltest du sic im nit, diner sele Wirt niemer rat, und du
must als lange da zu Helle sin, als got ein Herr« in dem
hiuiel ist. — Der sehste sterne zeuget uns die sehsteir tu-
gent. Und nach dem selben sterren heißet auch die sehste
tugcnt, und der sehste tag in der wochen zu latine und
welscher Zungen und dennoch in frangrich. In dütschcr
zungcn heizt er ein wenig dar nach. Wanne der sterne
heizt Venus; so heißet der sehste tag fritag. Venretag
sol er zu rehtc heißen 25). Wan» als der selbe tag
künipt, der da heizt fritag, so sült ir an die sehste tugent
gedenken, die do heizzet uiinne. Wann der almehtige
gvt hat uns die große Minne ertzcugct an dem fritage,
da er durch die rehten minnc und durch die reht liebe
gevangen wart, und für gefurt wart als ein diep und
als ein schecher, und angessiiet wart, und an der süle
bitterlich gegeiselt und geslagen wart, und c>» scharpfe
dörnin crone uf sin hcubt gedrucket wart und getwüngen,
und den galgcn dez crüccs selber trüg, dar an er mit
negelcn geslagen wart, und dar an er starp an dem
durste. Und dar umh sult ir an die tugent von rehte
wol gedenken an deni fritage. Ir sult uch aber zu allen
ziten selber üben an der tugent durch die Wochen und
durch daz iar. Wann er uns mit grozcn truwe» gc-
minnet hat; er hat uns auch an dem fritage alleine
int gcmlnnet; er hat uns von angenge der werkte ge-
niinnet. Und da von füllt wir got minnen von allem
unserm hcrtzcn und Von aller unser sele, und sollen un-
sern eben cristcn Minnen als uns selber. Unser nehster,
daz ist unser eben crist. Du solt unsern Herren minnen
von allem dinem hcrtzcn und von aller diner sele, daz ist
also, daz du gvtcs zu keiner zit niemer vergcßcn solt.
Du solt im allewege zu dienste gedenken mit rchter an-
daht, und nit durch glichseuhejt noch durch lop. Owe!
aö) Hds. »Meugen" ?!
135
waz dar «mb falscher Pfennige Wirt geopfert und üppi-
ger kirchgenge und zu predigen durch glichsenheit; da
hüte sich alle die werkt vor; wanne da mohte ein laut
von dosier unseliger werden. Daz ist daz, daz du iemer
geturrest leben, daz du unsern Herren nennest in heubtsun-
den durch glichsenheit. Vor der glichsenheit beschirme
alle die werkt der vater und der sun und der heilige
geisi! Glichsener und glichscnerin! dich bekennet der al-
mehtigc got vil wol, in welcher glichsenheit du dich er-
zeugest. Daz daz war ft, daz crtzeuget uns got in der
alten e. Da ging ein künjgin in eins warsagen hus in
fremeden kleidern. Und der wiffagc waz blint; und er
sprach: „gang her in, du bist dez küniges ieroboames
husfrauwe, ich bekenne dich vil wol." — Also bekennet
der almehtige got bin hertze vil wol. Du bist in freni-
den gcwande herkomme«;- du mäht got nit betriegen.
Der dir daz hertze in dinen lip hat beschaffen, der beken-
net ez auch wol. Da von sult ir in Minnen von aller
uw'er sele und von allem suwerm hertzcnl, von aller »wer
mäht, an' alle glichsenheit und allen argen wan, und ane
kranke list. — Und dinen nehsten als dich selber Min-
nen. Du solt dincm ebeitcristen günnen, daz du dir sel-
ber ganst, ob du dir gutes ganst. Wann der ist gar
vil, die in 25) selber nit gutes günnent; als die neschcr
und diese ebrccher, die günnen ist selber keines gutes noch
keiner selben. Swenne du dez willen hast, daz du chin
2si7 M „tf/
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— ilG —
e wollest brechen, und du dir der funden ganst, der soll
du doch dar unib nieman günnen; oder du bist valsch
an diner minnc, die du dinem che» cristen schuldig bist,
daz du im gutes günnen solt. Ddcr bist du ejn truge-
ner an dinem hantwcrke; dcz soltn nieman mer günnen,
weder dir selber noch nieman anders, und solteö nieman
raten noch lern; und du dich sin selber abc, oder din
wirt niemer rat. Du soll dir selber guter dinge günnen,
und dcz selben dinem eben cristen auch günnen; oder du
hast der waren minnc keine, die der stern bezcichent, der
da heizt venus, und der heilige fritag. Pfi! gitiger, wie
gar dn verteilst bist vor allen sundern! Wann du stest
auch allenthalben an dem blat bi dem dosten. Wie min-
ncst du dinen cbcncristen? du minncst den dufel verrcr
mer Hann got oder dinen nehsten. Wann du dust dez
düfels willen zu allen ziten, und dust wider got und
wider dinsn eben cristen. Wann du lest den lebendigen
got niemer me gerüwcn, als ich do gestcr sprach 27).
So gönnest du dinem nehsten wol, daz er iemer ein
durstige sin muste, den Worten daz du daz sine armes
gütcl hetest zu dem dinen güte, und daz du im daz an
gewonnen hetest ruit Wucher oder mit fürkauffe oder mit
trugenhcit oder mit andern dingen, die wider gotes hülde
sink. Dir gcbreste dieser tügcnt »it eine, dir gebrestent
ir gar vil, nahe gar, Ir andern sündcr gcwinnent alle
Hute waren ruwen und wäre minne, daz ir got vor allen
27) Zn der Predigt von den fünf Pfunden der aten in der Hds.
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dingen mittuet und alle dinge lat durch die liebe unsers
Herren, und uwern nehsten als uch selber. Daz ist also
gesprochen, daz ir durch keines menschen liebe ihtesit düt,
daz wider got st, und daz ir alle vintschaft uz uwerni
hertzen lat, und gein niemanne weder haz noch nyl tra-
gen. — Der siebende sterne heißer bi »amen saturnüs.
Oer bezeichent uch die siebenden tugent. Daz ist als
vil gesprochen, daz er gar vil iar erkünipt, in drissig
iarn nüwen zu einem male und get mimen einmal ümb,
so trege ist er; und lert uch einer leige tugent, die heißet
stetikeit. Und als ir den siebenden stern hört nennen oder
in seht, so sült ir an die siebende tugent gedenken, und
still got bitten, daz er uch die selben tügent gebor [bie]
da heißet stetikeit. Und ir niuget den selben stern wol
erkennen: er get ettewanne morgens uf, so heißet ir in
den morgensterren; so get er ettewann uf, daz ir in
seht wider abent, so heißet ir in dann den abentstern.
Und da von daz er so lange ist, ee daz er umb küme,
so sieht man in nit in glicher maze als den nianeden;
den sicht man wider abent, ettewanne bi dem morgen,
ettewann umb mitenaht, ettewanne umb mitten dag get
er uf. Untz daz der nianot zwclf sinnt umb kümpt in
einem iare, daz teufet dieser stern in drissig iarn, und
kumet nit, banne einist umb. Und hat groze eraft, sivenne
er uf get, swelhes iares der sterne mit im uf get, der da
heißet mars der urlüger und der striter. Ich mein
aber nit, daz ir Herren mit einander urlügen sült; ir
sült striten wider unduaent. So lert uch dieser sterne.
H
I
>
— *i3S —
da; ir diese schs tugent, die ich uch Han genennet, iemer
an uch selber übet, und da niit stete untz an uwern
tot blibet, und auch frümeclich volle uz hin laustet untz
an da; zil inneres lebens, daz ir dann frolichen gespre-
chen müget, alö der gute saut Paulus sprichet: „Minen
lauf Han ich vollebraht, den glauben Han ich behalten."
Seht, daz ist die erste tugcnt, und vellet zu der iünge-
sten. Und dar umb müßet ir diese tugent alle sehse
haben. Der die vier hat und der zweiger nit, dez wirt
niemer rat. Hast du sie alle sehse, und hast der sieben-
den nit, die da heißet stetikcit, din wirt niemer rat.
Du must die tugcnt alle sehse hau, und der sieben-
den dar zu, daz du mit diesen sehs tugcnden stete bli-
best als ein adamas. Wann der stein ist gar stete mit
stner craft. Und der siebende dag, der heißet gar reht
nach im samztag; aber in latine noch baz und in wel-
scher zungen und in francrich. Und sivann mars und
saturnus uf gent mit einander, so kümt strit und ur-
luge und sterben und manslaht und schelm und hünger;
so ist not, daz sich got über uch erbarme. Und al-
so habent die sterren groze craft über alle die ding,
die uff ertrich si'nt, wann über dez menschen ftie wille-
kür. Sit nu über uch nieman dekcine craft noch ge-
malt enhat, banne ir selber; so helf uns got durch alle
sine craft, daz ir »wer willekür zu diesen dügenden also
gebindct und gcbindct, da; ir stete dar an blibet, untz
an da; ende do mit gewiset werdet in da; geheißen
laut {jh den ewigen frcudc». Wann wer Mit guten
Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L 124
lAS
dingen stete blitzet bi; an daz ende, der Wirt behal-
ten. Da; uns da; wider var, de; ersten an der sele,
und an dem iüng sten tage an libe und an stle, da;
vcrlihe uns allcnsampt, nur mit uch und uch mit mir,
unser hcrre der alni.tztige got. Sprcchent alle Amen.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Sechste Predigt. Darstellung der christlichen Gesinnung an
der h. Maria Magdalena. (ß4U von dem Heren cruce.)
e<Vcr vindet eine frumc frauwcn und ein biderbe frau-
wen? Und vindet man sie, ir wirk wol gelonet; man
tonet ir von dem aller vcrrcstcn lande. Und also liset
inan in der mimte büche i). Wer vindet eine früme ,
frauwen? Der dürfen wir »it verre suchen; wanne die
biderbe franwe und die früme frauwe, die haben wir
rehte hüte fünde». Ez ist min frauwe sant maria Mag-
dalena, der hochgezit wir hüte begen über alle die heili-
gen kristenheit. Und ez ist gar billig, da; nian sie hohe
cre; wanne der almehtige got hat sic gar hohe gccrt;
wann sie ist wol der allerhohsten heiligen einre, der ir-
gent in dem hymelrich ist. Und ist sie niht der aller
hohsten und der aller obersten einre, ane got selbe und
- sin heilige runter, so ist sie doch wol bi den hohsten, die
irgent do zu himcl sint. Wanne ez kriegcnl die meister
von Pariß ettewanne, welich heilige der hohste in dem
i) Bezeichnung des Hohenliedes.
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i
- zi\ -
himclrich ft, und von welhen lügenden einre hoher ft
dünne der ander. Und der selbe krieg ist ein nutzer krieg
und ein guter krieg und ein lütseliger krieg. Ez hat
einre etteliche dugent lieber danne der ander. Der hat
der waren minne mer; so hat der erbarmhertzikeit
mer; so hat der Niere demüt; so hat der mer gedülti-
keit; so hat der mer miltckeit; so hat der küschekeit vor
in allen; so hat der die bekanntnisse; so hat der dez
glauben mer. Und ie doch so habent sie diese dugent
alle gehabt. Wann nieman mag zum himelriche kamen,
er habe dann diese lügende alle gehabt und habe sie
noch, ane die kleinen kint. Wanne swie demütig ein
mensche wcrc, und wer ez nidig und hcsiig, so mvhtes
nie mer heilig werden. Und also spriche ich zu den an-
dern lugenden: swelhe dugent du hast, hast du der an-
dern nit, so ist ez ein niht zu loben. Wanne also wurde
alle die werlt behalten, solle man nüwen von einre tü-
gcnt behalten werden. Wann ez spricht ein heilige, ez
cnsi nieman so arger, ern habe etteliche dugent, die züm
himelriche gehöre. Do von so sult ir «ch tugende fii-
ßen, daz ir züm himelriche kümpt. Und tröstent uch
dcz nit, ob ir eine tügent oder zwo habent oder drie
oder nier. Hast d» danne nüwen einige undügent, die
do hcizzet hcubthafte fünde, so wirt bin niemer rat, ob
du dar an fünden wirst. Und do von- so lobt man die
heiligen ie nach den lügenden, die sie gehabt hant; und
dar uinb so kriegcnt die meister zu Paris. Ez kricgcns
zwene meister mit einander. Da krieget einre, sant io-
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Hannes baptiste were hoher do zu himel. Da kriegete
einre, ez were sank iohannes evangeliste, der wer höher,
tlnb sie erzalten ietweders liebe und minne, die got an ir
ietwederm hete begangen. Der eine, der iach, daz sank
robannes. baptiste da von billiche zu himelrich hoher solle
sin, da; er heilig were in sinre runter libe. Do sprach
der ander: „do entslief aber dieser uf unsers Herren brü-
sten; und unser herre liez in trinken den brünnen der
wisheit, siner gotlichen süzkeit." Und also kriegeten sie
mit einander und waz der krieg doch lütselig. Und als
ie der eine von diesem ein Lugent faul, so vant der an-
der ein ander tugent von deln, den er do lobte. Und
also Nut sie ane maze hoch in himclrich. Wanne als
wenige als ich uch dez mers griez gezeln möhte, als we-
nig ulyhtc ich uär iemer die kleinsten freuden sgezelrO, die
der mtnneste heilige bat, der iergent do zu himel ist. Ich
wil der aller hohesten fürsten geswigen; wanne ez hat
ein heilige t senk als vil ern, als der ander, und in ist
doch allen wol. So lang ich nu den aller minnesten
heiligen nit geloben ruag, so wer daz die groste torheil
an rnir, die die werkt ie gewan, ob ich die hohsten für-
sten wolle loben, die in dem himelrich sint, als den gü-
tcu saut iohannem und die heiligen zwelf boten. Hub
also jjr die heilige frauwe sant maria magdalena wol
der all.r hohsten heiligen einre, der irgent in dem himel-
ricl e ist, Wanne 2) da von ist mir michels bezzer ge-
swigen, danne kreuclche geredet oder gelobet. Wanne
2) „wanne" könnte hier füglich entbehrt werden.
ich »och alle die werkt mohtcn die heiligen frauwen vol-
len loben, der hochgezit wir hüte bcgem Und daz die
litte do von ir sagent symeliche, sie wcre ein gemeine frau-
wc, dcz ist nit. Sic waz ein edel frauwc und waz ein
riche frauwe; und waz in heubtsunden, und da gewan
sie als grozcn rüwen, daz ir got alle ir fünde vergap.
Wanne sie hete so gar über grozcil ruwen — swer noch
Hute alse groze ruwen hat, dem vergit got alle sine fünde
als gar, als er tet miner frauwen saut niaricn magdale-
ncn. — Wanne sie bete so starken rüwen, daz sie un-
mügclich vil gemeinde, und da; sie unserm Herren sine
fusse twüg mit dem wazzer, daz uz im äugen floz. Und
dar umb vergap er ir, unser herre, ir fünde lüterlich und
gentzlichc; und tet daz allen sundern zu einem tröste,
daz alle sunder tröst von ir »einen süln, wie groz ir
fünde si, daz sie dannoch nit verzwifelen, nnd suln eht
nit verizagen an der güte unsers Herren; wanne sie der
almehtige allen sündern zu einem lichte und zu einem
tröste geben. Und er het sie vor manig hündert iarn
erwelt, daz sie allen sundern licht und tröst geben solle,
da unser herre alle ding geschuff und geschaffen wolte.
Faciamus duo luminaria. Wir süln zwei lieht mache»
an dem himel, die tag und naht lühten, daz eine bi dem
tage, und daz ander bi der naht. Daz eine waz die
sünne und sda; anders der mane. Und die zwei licht
bczeichcnt uns die zwo frauwen, von den die heilige kri-
stenhcit erlühtet ist. Als himel und erde von den zwein
lichten erlühtet werdent tag und naht, als werdent von
Ui —
den zwei» frauwen erlühtet tag und naht hin>el und
erde. Und die sänne, betütet unser frauwe mariani go-
tes uiutcr. Und ir seht daz wol, wie gar lüter und
glantz die sänne ist ane alle trubcheit, und da.; nieman
„it dar inne erkiesen mag, wanne daz sic lutcrn lichte»
drehen hat. Und halt zu der lüterkeit und zu der schon-
heit noch zu der gelphc, die die sänne hat, da kan sich
niht zu gnosien hie in dirre werkt. In himelrich ist ma-
nig heilige, und halt »iergcnt in dem himelrich, er si
halt vil lichter und schonre banne die sänne. Aber hie
bi uns uns uf ertrich, da enist dehcin ding, daz nie so
schone wart. Lazzet golt zehen siunt gelutcrt sin oder
edelgesteine; so wart cht nie mit fleischlichen äugen ge-
sehen, daz so gar luter lieht werc alse die sänne. Da;
betütet auch gerehtikeit und die einikeit und die lüterkeit
die an unser frauwen von kintheit ist gewesen. Daz sic
aller menschen brodekeit so lützcl ie betrübte mit dehci-
ner slahte meil, daz menschlich künnc ic betrübte, do von
so waz sie lüter, als Die sänne ist,, vor aller trübeheit
an gedenken und an Worten und an werken. Dez ist
sie eht nü so licht in himelrich, daz da von unmügclich
zu sagen wcre. Und sic hat auch die werkt erlühtet.
Wanne sic brahte uns den in diese werkt mit siner
menscheit, der daz wäre licht do ist, als sank iohannes
dv spricht, und der uns uz der vinstcrniffc in daz wäre
lieht hat geholfen. — So betütet der mane die heiligen
frauwen, der hochgezit wir Hute begcn in der heiligen
kristenhcit. Wanne der mane erlühtet uns die naht. Da
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—t J.45 •—
ist uns bi bczeichent: die wile die lute in heubtsundcn
sink, so si»t sie in der naht und in der vinsternisse; und
daz bezeichcnt auch die fünde, daz sie die erlühte mit
dem tröste und mit der gnade, 3) die got an ir beging,
daz sich der selben gnaden und dez selben trostcs alle sün,
dcr hin zn gote versehen söllcn, ob sic rüwen haben wol-
len umb ir Missetat. Und do mit erlühte sie die naht,
daz manir düsent sele von ir sin erlühtet, die iemer me
in der ewigen vinsternisse müssen sin. Ob sie die rüwe
an sich 4) «einen wollen, so Wirt noch hüte manig tusent
sirndcr von der ewigen vinsternisse erlöst. Und sant ma-
ria magdalena, daz die so gar vil gemeinde, daz bezei-
chcnt ein ding, daz scheut ir in dem mane. Daz ist
gar dünkel und gar trübe; daz bezeichent, daz sie gar
viel gemeinde. Und daz doch bi der dunkele der manvt-
alse gar groz lieht git, daz man da bi gar gesicht, und
da bi ist unS bezeichent: swer sine siuide mit trürikeit
und mit ruwen bekeimet und beweint, daz dez sele gar
licht von der ruwc und von der betrubnisse Wirt. Und
swanne sie bi dem lichte der naht erlühtet werden, daz
sie von tätlichen funden in die heiligen büße kumen und
dar iiine stete blibent untz an ir ende, so kument sie zu
der lutern bihte, daz ist zu dem Intern lichte und zu
dem klaren licht, da sie nu selber ist, min frauwe sant
maria magdalena. Wanne die hat nü daz wäre lichte
3) Hds. „anst"
4) Hds- ,,uch"
r»
iM .—
erlübtet. Wanne sie het alse gar groze ruwe und die
groz liebe und die minne, die nieman volle sagen kan.
Und dar umb het auch got groz uberliebe zu ir. Und
dar umb beget man daz ampt Hute reht alse au dein
oster'age, durch die grozen liebe, die unser herre zu ir
hete, und daz er ir erschein nach stirer 5) urstcnde. Wie
groz ir liebe und ir begirde waz dez selben, daz sie kam
und wölke in gesalbet Han, daz ist uch gar oste gefeit;
do von endarf ich uch nit vil sagen, wanne von siner
urstcnde, alse verre als uns daz ane get. Daz er ir er-
schein, daz bctütct uns, daz er allen sundern mit sinen
gnaden crschinen wil, ob sie von irn funden ersten wol-
len. Wanne alle, die von irn funden erstent niit war-
er ruwe und mit lüterre bihtc, mit büße eht auch nach
gotes gnaden, die werdest alle an dem iüngesten tage
frölich erstcnde mit dem almehtigen gote. Wanne die
selbe urstcnde ist uns bewert bi der urstcnde unsers Her-
ren. Und als er ersinnt 6) von dem tobe siner mensch-
eit, also suln wir in an rüfey, daz wir also müßen er-
sten von unsern fünden, und banne an dem iüngesten
tage mit im vor sinem antlitze und vor sinem zbrnlichen
geritzte mit sreuden müzen ersten. Wanne do wirt an-
gest und not; und dar kümpt alle diet und alles hime-
lisch her, engele und heiligen, und alles, daz zu himcl
und ze helle ist, und daz crüce, dar an unser herre die
i S) Hds. „lr"
* H Hds. „Kunt"
— i47 —
martel lcit umb uns allesampt. Und er unS da; bilde
vor getragen hat; so wil er dez niht enbern, ez müze
ein ieglich mensche sin crüce do zeugen, als er daz sin
zeuget. Man zeuget ez da hohe uf, die enge! tragent
cz da hohe cnbor, und zeugent ez aller der werkte, dar
umb da; sie erkennen, waz got durch uns erliten habe.
Und swcr auch nit ein semelich krüce hat, der wirt iemer-
lich von gote gescheiden, und muz iemer ewiclich ver-
lorn sin. Dar bringt sant peter sin crüce; so bringt
cinre sin hcubt, daz ist im abe gcslagen in dem dieneste
unscrs Herren; so bringet der güte sant andris sin crüce;
so bringet der güte sant bartholomeus sin hüt uff im;
so bringet der güte sant laurencius sinen rost; so bringet
der diez, so bringet der daz, alse sie eht die martel er-
liten hant. So haben sie ir crüce volleistet. „Owe!
bruder bertholt, wie geschiht dannc den, die keine mar-
tel lident?" Die müzzcn auch ir krüce tragen, oder sie
enkomcnt niemer in die freude unsers Herren me, da sie
daz wahre lieht selten sehen. — Und reht alse daz krüce
unscrs Herren vier ort hat, als müz eins jeglichen men-
schen krüce vier ort haben. Und hast du der orte zwei
oder drü, und gebrichet dir dez virden: du kumest niemer
in daz riche unsers Herren; wanne ez müz ie vier ort
haben. Wanne ez ist manig tusent heilige in dem hi-
melrich, die nie deheine martel erliden; und dar umb
ftiln wir nit verzwifeln, ob wir nit gemartelt werden.
Ez wart min frauwe sant maria magdalena nit gemar-
tclt, und sie müz doch ir krüce bringen. Und die vier
x»*
orte des heiligen crüceS, daz sink vier tugcnde, die ein
ieglich mensche haben muz, oder er wirt niemer behal-
ten. Und die selben vier tugcnde, die sink so gar tugent-
haft, daz alle die tugent, die ein mensche hcymelich be-
darf, die sint alte in diesen vier tugcndcn beslozen; und
do mag ir nicman geraten. — Die erste, daz ist auch
daz erste ort de; crüces; daz ist daz ober ort, daz aller
hohstc, daz da oben über sich get. Daz bczeichent auch
die hohsten tügent, die undcr allen tugendcn ist. Die
heißet der hohe glaube, und der schbne und der lichte
triften glaube. Wanne alse die lichte sünne alle lieht
über lühtet, also luhtct der tristen glaube über alle glau-
ben. Wanne ander glaube lühtet »it, banne als ein füleö
holtz, daz an der vinstere schinet, und stinkt an dem
lichte, als von rchtc ein fnlerin mist. Und aller der
rede, der man hie bedarf uf kristcnglauben, die sol man
in dem sermone suchen von den sieben Planeten 7). Und
die selben tugent hetc sant maria inagdalena alS licp,
da; sie veste cristen glauben minnete, daz sie zwei und
drißig iar in einem walde waz. Als gentzlich uiid als
stark hete er in irrn hertzen gewortzelet, daz sie halt aller
zwiftl deheinen nie gewa»; und erwäg sich allez 8), dcz
frauwen hertze doch lihte sin zu erschrecken. Wanne ez ist
vil manig man, der niemer getdrste crbalden und zu wa-
gende, in eineni wilden walde zu finde. Da getrüwete
7) »eral. äst Pr. Unm. i3.
8) eine seltene Schreibung.
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sie frisiern glauben als wol, da; oz ir halt gar ringe waz.
Und da sie sich als fesicclich an de» reinen tristen glau-
ben liez, do kam ir got zu helfe in allen irn nvten. Und
alle, die den kristcn glauben lütcrliche an irm crüce oben
haben, die habent da;' ein vrt. Dannoch müzzen sie dru
haben. — Daz ander vrt dez heiligen crüccs, daz ist der
arm zu der rchtenhant, do unsern, Herren sin rchter
arm wart an genagelt; und daz selbe ort bezeichent ein
gcrehte tügent; und wer sie halt dannoch »it gerchter
und tügenthafter, so wer sic auch der vier lügende eine
nit, dar inne auch alle tilgende beflozeu sint. Und sie
heizet die wäre minne. Du solt got minncn von allem
dinem hertzen und von aller diner selc und von aller di-
ncr mäht. Wanne ez dnnt manige lüte dem gliel-e, daz
sie got minnen, und minnent in doch also nit, als er
geboten hat. Ez ist lützel ieman, er minne got mit ette-
wem, mit einem pater noster und mit einem almüsen,
oder mit einem kirchgange, oder mit einer venie, oder
mit einem nygen dem altare oder gein sinem bilde. So
minnet in daz mit einer guten rede, daz ez wol von go-
tcs niartcl gcreden kan, oder von sinen ern, oder von
siner barmhcrtzikeit, oder von siner minne, wie er uns
gewinnet habe; als die pfennigprediger, die do so wol
von gote redent vor de» lütcn, do niit sie in alle ir
selbe angewinnen. Wanne sie wolle» fürbaz nit büßen,
und tröstent sich sines antlazes. Daz er so rehte wol
von gote reden kan, so wenent sie, er si heilig. So ist
er dez düfelS, als er do stet, und betrüget die kristenheit.
Also ist er dez ddfelS noch baz, banne ein schecher in einem
walde. Und hete ich die wale, so were mir lieber,
und soltcs dehein rat sin, daz min scle uz eines schechers
münde gienge, banne uz eines Pfennige Predigers niünde.
Wanne der verdampt doch nuwen sin einiges sele; so
verdampt der Pfennige Prediger manig tuscnt sele. Wann
alle, die von sinem valschen antlaze verlorn werden, die
wirft man alles an den grünt der Helle, und er müz ir
aller martel liden zu der sine». Wee, daz dehein tauf
ie uf dich kam! wie du got minnest! Als iüdas, der in
verkaüfte, also verkeufest du im manig tüsent sele, der
niemer rat wirt. Du und ander bin genozzen, und swer
mit trugenheit und mit glichsenhcit umb get, die minnent
got auch velschlich und ungctruwelich. Owe! wie un-
getruwelich und wie velschlich er dicke enpfangen wirt
durch glichsenheit! Owe dez! und we dir, daz dich bin
mütcr ie getrüg, swer den almehtigen also enpfeht mit
heubthaften funden, oder mit unrehtem willen, den du
zu den funden dannoch hast; so möhtest du alle die na-
tern genre enpfahen und alle die kroten und alle die spin-
nen, die in der werkte sint, und du mohtest lieber hün-
dert tüfcl genre in dime libe Han. Wir lesen von einem,
do warn sehs tusent tufel in im; der waz got als un-
mere nit, alse du, wanne du got als unwirdeclich en-
pfehest. Wanne die tüfel martelnt dich nüwen in dirre
werkte; und wirkest dn banne da mit funden, daz du got
unwirdeclich enpfangen hast, so wer dir bezzer daz du
bcheftet wcrcst als ienre, da waz grex 9). Vil wün-
derlichen balde i» starke büße oder an den grünt der
Helle, nü dez ersten an der selc und an dem iüngesten
stmttage an libe und an seid Wanne du hast vez ftückes
nit an dem crüce. Ja soll du gvt Minnen von aller di-
ner sc!e und von allem dinem hertzen und von aller di-
ner mäht, und den nehstcn alse dich selber. Nu seht,
waz die ein tugent in ir beslozzen hat. Wanne swer got
minnet, alse er do hat geboten, der minnet gvt mit allen
den tugenden, die zum himelrich gehörnt, der minnet in
mit dem rehten glauben, mit demütc, mit gedültikeit,
mit miltekeit, mit kuschekeit, mit erbarnihertzikeit; alse die
heilige frauwe, der hochgezit wir hüte begcn, die min-
ncte got als ernstlichen mit allen tugenden, do mit man
got minnen sol. Und ob aller der minne, die ir iemer
gclcisten mugct, so sult ir dar zu kern, daz ir in doch
einest in dem iar zu huse reincclichen ladet, also daz irn
reineclich enphahet; wanne da lit alle uwer selbe an.
Wanne und nemt ir unsern Herren unwirdecliche, daz ist
uch eine verdampnisse an der sele. Sit ir sin banne
mit unwirve ane, so sint ir aber verlorn. Da von setzet
üwer ding also, daz ir in zu rehte enpfaht nach sinen
gnaden. So sult ir uwern eben cristen minnen alse uch
selber, daz ir im weder nit noch haz sult tragen, und
in, günncn, daz ir uch selber günnent, und daz ir im ver-
günnent, daz ir uch selber vergünnent. „Owe! brüder
y) Marei 5,
pt i 24'
bertholt, dez du st d» doch selber nit. Du hast güter
rbcke zwene, und sttzet maniges hie, daz nüwcn einen
hat, und ist der selbe vil böse; und gizzcst dir vil gnüg
und gizze ich vil übel." io) Daz ist vil war. Jch
han zwene rocke an, ich gebe aber dir dez einen niht;
ich wolle aber gar gerne, daz du einen semelichcn hetest,
und daz du also wol gezzest und getrünkest alse ich. Und
dar an lit auch die wäre minne, daz du dinem nehsten
ganst, daz du dir selber ganst, und im vcrgünnen soll,
daz du dir selber vcrganst. Und sülte ein «eglicher dein
andern geben, ob er me hette danne der ander; so würde
nicman behalten. Und soll icglichs dein andern in die
haut also gienen, ob cz mer hete, daz cz dar gebe: wer
erbeite danne, daz die werkt hien keine? Ich Han zwene
rocke; gebe ich dir der einen, so hete ich zu wenig. Du
solt im dez wol günnen, waz er ercn und gutes mer hat,
danne du, fün fründen, oder swo von ez in ist an fil-
men. Wil aber ez dich stechen in dinem hertzen als ein
dorn, oder brennen als ein glüt, swanne im sin ding
baz gct an ern oder an güt, danne dir: stech, so hat
dich nit und ha; bestanden: wanne d» hast der warn
minne einigen tropfen nit. Da von wirt din crüce nie-
mer für draht an dem iüngesten tage, und do von wirt
auch diner scle niemer rat, und du müst iemerlichcn dez
tageö von gvte scheiden. Du solt dinen nehsten fiep ha-
ben in got. Wanne wir alle sprechen: vater unser! in
io) vergl. »ff Pr. p. S. ft.
— iss —
dem pater »oster. Wanne da bi so hat uns got erzeu-
get, daz wir alle gesw^istride sin; und f&lit daz lün in
got, und füllt alle einander liep haben, alse die gesivi-
stride, und süln vaz dün in got. Und süln banne einan-
der liep haben durch got. Daz ist also gesprochen: ob
dir din nehstcr iht zu leide hat getan an bittern libe, mit
Worten mit schelteit oder mit fluchen oder mit spoten,
oder an dincn fremden; daz svlru im vergeben durch got,
und solt eht sin frünt sin. Wanne er vergap den, die
in an daz crücc hingen; do von wil er dez nit enbcrn,
ern wolle, da; ein iegliche mensche dem andern vergebe
alles, daz ez im je zu leide hat getan; an' ein leit, ob
ez dir an dime gute iht leides hat getan; daz soltu im
nit gar vergeben. Du solt im daz vergeben, ob ez dich
betrübt oder besweret hat; daz solt im vergeben durch
got, daz du im iht weder haz noch nit tragen solt. Du solt
vil gerne nemen, daz er dir gelte und wider gebe; wanne
dez ist er dir schuldig, ob ers gehaben mag. Und mag
crs n) sin nit gehaben, so soltu imz 12) durch got
vergeben. Mag aber ers geleisten her nach über zehen
iar oder über minre oder über mer, und git dir ez wi-
der, du solt ez nemen; wanne er ist dir sin schuldig,
daz er dirs geben sol. Und wil aber ser^ dirs gerne ge-
ben, und lcit dirs für, und let ez an dine gnade, daz
düz gar nemest oder halbes: waz du im banne ane ge-
m) bester: „er"
*2) seltene Schreibung statt: ims, vergl. nachher: „duz",
l5Q —
twangsal und ane ander gevcrde vatn last von dinem
guten willen, daz hat er iemcr mcr mit echte für got
ane fünde. Er sol dich aber biten, daz du im vergehst,
swaz er dich da mit wider dinen willen gcsümet habe.
Und düt ez durch den almehtigen got, und lat haz und
nit uz «wcrm hcrtzcn, und habt die warn minnc. Wanne
die minne ist reht alse daz füwcr. Waz man in daz
füwer legt, daz Wirt auch füwer. Leit nian ysin in daz
füwer, ez Wirt auch füwer. Also wirt alles da; füwer,
daz man in daz füwer leit. Also, ist die niinne. Alles
daz dem menschen geschehen mag, daz die waren minne
hat, daz ist im alles ein minne. Hat ez groz arbeit;
daz ist im auch ein minne. Hat ez groze armut; ez ist
im eine minne. In der liebe unsers Herren lidet [q]
sinehe und alle die armut, die ez ane gct; als mitte
frauwe saut maria magdalena, die minnete unsern Her-
ren als ernstliche. Do er ir erschein, und sic wolte
weiten, ez wcre ein gcrtcner; da sprach sie: „herre, hast
du mir in genomen? zeuge mir in, ich wil in hin tra-
gen." — Hdrt ir nit, weihe ein wunderlich rede! Seht,
als heiz und als ernst waz ir zu unserm Herren von reh-
tcr liebe, daz sie wolte weiten, ez westen alle lüte, wie
ez. umb die liebe stünde, die sie gein unserm Herren
trüg. Und also waz sie entzündet mit der warn minne
und liebe, daz sie als wunderlichen sprach, und daz sie
nitHes bevilke, waz sie durch gotes liebe det. Nu hat
ir arbeit alle ein ende, die sic in der warn minne leit,
aber ir freude gewinnet niemer mcrc ende. — Der brise
—‘ i^7 •—
arm de; krüces, da; ist der ander arm zur linken Hank,
und bezeichent auch ein tugcnt. An' die selben tugent
kan nieman behalten werden, und heizzet gedinge ettewo,
und ettewo heizzet cz hoffenünae, ettewo beizt ez zuver-
stht; ez heißet in latine spes. Und swer ir nit enhat, der
ist in der aller wirsten fünde einer, die dy werkt ie ge-
wan oder gewinnen mag. Wanne die selbe fünde heizet
der zwifel; und ist ein fünde ob aller fünde. Und do
vor beschirme uns der almehtige gvt, daz wir iemcr ver-
zwifeln an der veterlichen gnade unsers Herren und an
stnem gewalte, und an der wisheit dez sünes unsers
Herren ihesu cristi, und an der güte dez heiligen geistes,
und an der küsche und an der barmhertzikeit miner frau-
wen sant Marien, und an allem fristen glauben, den der
almehtige got gefestent und geordent hat. Do von so
habt feste gedinge, daz ir iht verzwifclt; wanne der tn-
fel wirfet uch vil unmazen gern in den zwifel. Pst
gitigcr, du bist gar ein zwifcler. Du sollest alle die werkt
nit neme», daz du in unrehtem güte werst. Wanne got
de r-Z) beschirme mich vor allen fünden! Ich wolle nit,
daz ich über naht in einer torsunde wißentlich solle sin.
Da neme ich alles da; gut nit umb, daz die werkt hat.
Wa; wiste ich, ob ich hin zu morgen lebte? an die
wage wolle ich ez ungern lazen. Nü wollest du einen
tag brennen in einem glüwenden ofen? und daz du hin
zu naht lebtest als ee, waz ncmcst du dar umb? Du
t3) f. ,. a- „der", analog m« «- mer.
ncmcft alle die werkt niht. r4) Nu siech, der banne
icmcr und icmcr leben sol, und der banne iemer und
iemer brennen muz. Daz ist allen den künftig und ofen,
die nuwen in einer totlichen fünde werden bcgrifen ane
ruwe» und ane bihte. Nu siech, wie gar gcwcrliche du
dich dez nahteö banne nider legest in totlichen fünden,
und weist nit, ob du untze morgen gelebest, halt biz mit-
tenaht, ich wil gefwigen biz zu tage. Und da von wolte
ich alle diese werkt nit nemen, daz ich mich in einer tbt-
lichen fünde wolte nider legen iS) wißcntlich ane ruwcn
und ane bihte. Und wißent, wer als frefeliche und
alse lihteclichen in dvtlichcn fünden lit, und ir alle tage
ic mer tüt und niht minre machet, daz er ane zwifel
niemer mag behalten werden. Wez tröstet sich auch der
selbe, wanne daz er ein zwifelcr ist? Pfi! daz ie dehein
tauf uf dich kam! Wez tröstest du dich? Ml wünderlichen
balde in starke büße oder an den grünt der hellen. Giti-
gcr, du hast aber gar vcrzwifelt an aller goteö erber-
mede. Und die da den tüfel ane betent, und die mit go-
tcs lichnamen da zaubcrnt und mortbetent, die habent
alle vcrzwifelt an gote. De; werdent sic auch iemcrli-
chcn von gote scheiden an dem iüngesien tage. Ir hi-
mel kinder, minncnt den almehtigcn got, der uch da hohe
14) Sinn: du würdest um alles nicht bis zur Nacht hin so fortle-
ben, wenn du dich dadurch der Gefahr ausseztest, einen Tag
lang zu brennen.
15) Hds. „liegen"
gewinnet hat, da; ir mit »wen, krütze ftolich erstet an
dem ortcilichen tage. — Da; Vierde ort get unden ;u
tale, do der almehtige got den rücke hete an gekert, und
da; da vesteclich wa; gcstozen in einen stein undcr sich.
Da; be;eichent ein tügent. Da; ist auch der aller besten
tugent eine, die gote gevellet vor allen lügenden. Die
heißet stetikeit, da; ir mit diesen drin tügcnden stete siilt
sin. Und wer der kunig faul stete gewesen, so wer er
nit von sinem künigrich entsetzet. Und er wa; so gar
gereht und güt geyn gote, und so demütig gcin si-
nen lüten, da; er de; sine» lüten nit gestaten wölte,
da; sie im künigliche i6) ere büten. Und do man in
so erlich erndc wart, und die fürsten für in nidcr kniende
worden; do wart er abtrünig an 17) siner güten dugent,
und wart hohfertig und ungehorsam. Und dar umb für-
warf in got von sinem künigrich, do er nit stete waz an
gote; und were er stet: gewesen, so wer er Hute in dem
himclrich, als der heilige man her david. Der wart
ettewaune abtrünig an gote, da; er n>t stete an gote bleip,
und vil von den hohen tugenden in heubthaftige fünde.
So stunt er aber wider uff. Also sült ir tun; si ez da;
ir bestruchct in heubthaftige fünde, da; ir der minne uii-
sers Herren vergebet, so sült ir wider uff sten, und sült
aber got minne» vor alle ding, für hohfart und für un-
küsche und für zergenclich güt, da; da ist mit unrehte
17) Hds. „und an"
16) Hds. „künigkliche"
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gewännen, und fält dar an stete bliben untz an uwer»
tot, als der güte her david, »snd als der gute sant pe-
tcr, und alse die heilige frauwe, der hochgczit man Hute
heget. Die bleip siete an gvt. Dez hat sie auch die
freude besezzen, die dehein nienschlich sin nie betrahten
künde, noch ore nie gehörte, noch hcrtzc nie bctrahte, als
der gute sant Paulus do sprichet. Und also sült ir stete
sin untze an uwern tot. Und wol dan alle zum hiinel-
rich, dez ersten mit der sele, und an dem iüngestcn stmt-
tage mit libe und sele! Daz uns daz allen wider var,
mir niit uch und uch mit mir, daz verlihe uns der Va-
ter und der sun und der heilige geist! Sprecht alle Amen
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Siebente Predigt (ute). Darstellung der vier Haupttugen-
den durch ein Natursinnbild, (von dem wagen)
Hit« hat bor almchtige gotzwei groze büch gegeben, da wir
an lesen süln und lernen guete ding und nütze ding, der i)
uns zu libe und zu selen not ist. Der ist eins von der alten
e und eins von dernüwen e; reht als sich der sermo anhe-
bet von den sieben Planeten; die selben wort sol man hie
sprechen allesampt. Wanne der almehtige got hat uns
alle ding zu nütze und zu güte geschaffen, ein halp zu
dem libe und ander halp zu der sele. Und also hat er
uns die stcrncn gegeben an dem himel und alles daz
uf ertrich ist. Und wie ir uch daz nütze machen stlt an
der sele, und 2) do von füllet ir lesen an uwern buchen,
an dem himel und an der erden. Ir sült an der erden
1) Hds. „die"
a) „und" steht überflüssig da, «ke ost; wenn nemlich, was das
einfachste scheint, der Sinn ist: Und wie ihr euch daS nüzlich
machen sollt an der Seele, davon sollt ihr lesen u- s- f-
7s1,15/
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lernen 3) und an bäumen und an dem körne und an
den blümen und an dem grase, als dct der gute sank
bernhart. „Ich suche den gehüren an Killen crcatüren."
So mohten alle crcatüre wol spreche«», ob sie künden
sprechen: „Unser vil manigfaltci» wunder enhabcn wir
von uns selber nit; wir haben sie von dem, dez dine
sele gernde ist." „So süche ich den gehüren an allen
crcatüren, an aller seiten klaiige." So mohte aller vo-
A.^Lrlin sänge und harpfen klänge wol sprechen, ob sie
künden sprechen: „Unser nianigfaltc wünnecliche stimme
und unser süßen stimme, die haben wir von uns selber
niht, wir haben sie von dem, dez dine sele begernde ist."
» „Ich süche den gehüren an allen crcatüren, an aller
blümen varwe und aller würtze krefte." So mohten vil
wol sprechen blümen und würtze, ob sie künden sprechen:
„Unser manigcr ley lichte var»vc, die haben wir von »ins
selber niht; wir haben sic von dem, dez diu sele begernde
ist, und unser wünnecliche süße kraft" 4). Und also hat
der almehtige got alle ding dem menschen zu dinste und
zu nütze geschaffen, zu dem libe und zü der sele. Wanne
swenne du eine blümen sihst, die schonre ist daniie die
ander; so soltu dir gedenken: „o wol dir, lieber got, »vie
schöne und geneme du eine blüme wider die andern hast
3) Hds. „lernt".
4) Hds. Diese Strophe hinkt etwas nach; man wünschte sie
unmittelbar nach der erffen zu sezen „unser — varwe, und
unser — kraft" u- s- f.
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— lii/a —
geschaffen. Und also hast du einre würtz mer kraft ge-
geben banne der andern. Und also hast du einem men-
schen me tügende gegeben, banne dem andern." Und
dcz soltu got loben und ern, und soll im danken der
nianigfalten gnaden, die er an dir begangen hat, da; er
dir als maniger Hände creature zu dinste und zu nütze
hat beschaffen, einhalp-' zu dem libe und anderhalp zu
der seien, als der gute sant bernhart. Da man den
fragte, wie er als wise were? do sprach er- „ich lern'
cz an den bäumen". Da mügt ir gar vil an lernen
guter dinge. Wann die baüme glichent den lüten, und
die tüte den baüme». Und do von sprichet ein heilige:
„sie genc sam die baüme." Und ein wiser man sicht
an einem bäume wol, ob er güt obs freit oder niht.
Uzen an der rinden sieht erö wol, ob halt nicrgent kein
obs an den baümcn ist noch dehei» blüt. Und also sieht
ein wise man wol an den lüten, weder sie tügenthaft
sin oder nit. Daz sieht ein wiser man gar wol, ob du
reine früht in dinem hertzen trcist, daz ist reine tügent,
die got liep ist. Und als du einen bäum sihst, der gut
obs rreit, so soltu dir gedenken: „owe! lieber herre,
wann wer ich so tügenthaft, daz ich dir wol geviele an
minen tugende», als daz obs den lüten gevellet!" Und
also siilt ir uch siißen, daz ir den edeln bäumen glichet.
Ir sült uch an guten gedenken üben, als die baüme mit
der blüte. Swanne ein bäum güt obs tragen wil, so
müz er dez ersten bluwen mit edeler blüte; und dar nach
freit er obs, daz die litte labt. Und also soltu dich mit
Xi
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gedenke» üben mit güte» dingen. Wanne swer güte ge-
denke hat, der sol die gedenke mit güten werken volle
füren, daz die cdele blüt it verderbe; so gevellest du gote
wol. Du solt auch ussen an der rinden nit gar zu hof-
fertig sin mit gewandc und mit geberden. Etteliche
bäume, die sint ußen an der rinden gar fleht, und brin-
gent niemer deheine gute früht, als die aspen und die
birken und etteliche ander baüme. So sint etteliche, die
haben bleter, die klaffent alle zyt. Und die selben bäume
bezeichent die lute, die da vil gcklaffent und da unnütz-
lichen redent. Daj ist gar ein grozc Missetat. Daz ist
liegen und triegcn und nachreden und ander böse züngcn,
die 5) hie vor von der uzsezigkcit von den bösen züngen
stet geschriben. Und daz i'r der züngen gar slißeclichen
hüten sült gar wol vor unnützen Worten, daz hat uns
got ertzcügt an zweien dingen an unö selber. Daz ein
ist: ir seht wol, daz der almehtige got aller der gliedcr
mer uns gcgcbeu hat, dann der züngen. Er hat «nS
zwei äugen, er hat uns zwei orn gegeben, zwei türlin
an der »äsen, zwo hende und zwcn süße, und banne an
den henden zehen vinger und zehen zehen an den süßen.
5) „die" kann nicht wol ans „böse züngen" sich beziehen. Ent-
weder sollte dafür stehen: „alS", oder sind einige Worte aus-
gefallen, etwa: hie sol man sprechen die rede, die u. s. f.
oder: „dar uf hört die rede die", Formeln die an andern
Stellen vorkommen. Die Beziehung geht auf die 8te Pr. der
Hds., wo die verschiedenen Laster unter dem Bilde des Aus-
satzes dargestellt sind, das Lüacn u, dal. als Aussatz am
Barte.
166
So har er uns nüwcn eine zünge gegeben. Do mit sin
wir gemanet, da; wir »it zu vil gesneren süln und ge-
brehten. Nü seht ir wol, wie die geistlichen lüte örÖtit
habe» in klostcrn, daz die niemer getürrent gercden in
symclichen erden, wanne als man in crlcubt. Do mit
uns. auch erzeuget ist, daz wir nit viel gereden füllen.
Und als du ein unnütze rede wollest du», so gedenke dar
an, daz-dir got uüwen eine zünge hat geben. Pfi! he-
best du zwo züngen, so ließest du nieman uz gehbr». Du
gesnersi so vil mit der einigen, da; dir we wart, daz dich
din müter ie getrüg an dicswc werkt. Ez ist manig tu-
sent sele verlorn von der bösen züngen, die nit verlorn
wcrn, banne 6) übel züngen. Und ir kümpt noch vil
wanig tuscnt zur helle, der niemer rat wirt von ewen
zu ewen, von bösen züngen. Iu dem andern male soltu
gedenken an die geistlichen lüte, daz die so vil geswigen.
?,üm driten male soltu dar an gedenken: swann ein kint
geborn wirt, so grift ez dar mit der hant, und tüt den
münt zü; wann ez wirt geborn mit offenem münde. Und
da bi hat uns got ertzeügt, daz wir sivigen suln, nit klaf-
fen süln noch snercn, als die espinen leyber an den baü-
nien. Wan» der lciber ist gar vil an den baümen und
ane zal. Und da von ist daz nit ungefüge, ob die baü-
me vil geklaffcnt, die vil lciber hant. Du enhast nit
banne daz eine laup, bin zünge, daz man Horn sol. Der
6) ,,banne" steht hier, wie sonst „wanne" vergl. ite Predigt
Anm. 3o.
*
ii
cste hast du bil. Die 7) hcnde und die vingcr und die
fuße, daz sint die cstc. Da soltu dem almehtigcn Zote
edel fruht von bern mit geben almüsen und mit gebctte
und mit allen güten dingen. Dar umb hat uch got die
manigcr ley cste an uwern lip gegeben, daz ir im ma-
nigcr ley fruht bringen füll. Und do von lisct man in
der heiligen schrift: den bäum, der niht fruht bringen
kan, den sol man abe hauwen, und svl in in ein fü-
wer werfen. Da; meint unser hcrre also niht, als cz
eht die einfeltigen lüte »ersten, Ez wenent die einfelti-
gcn lüte, ez-si also gesprochen, die lüte, die niht finde
geben, niügen, daz die got beste uzzcr sin. Dez cnist nit.
Du bist dem himelrich vil bester »eher, ob du will.
Wanne cz ist inanig tusent sele zur helle gevarn durch
ir linde willen, die niemer dar wer» komm; als der
heilige man Her Help, der verliz gvtcs hülde von st'nem
linde. Daz selbe tet der heilige man her iüdas, durch
den got groze zeichen tet. Der wart zu einem gitigcn
menschen durch siner linde schulde; und swaz er sus
mohte verstell, und ungetruweliche gewinnen, daz det er
durch siner linde willen. Er verkaufte daz rehte unschul-
dige blüt durch gitikeit, aller cngele herre und aller lei-
ser küiiig. Und also tunt noch manig tusent, die durch
ir linde willen unrehteS gut gewinncnt, so mit Wucher,
so niit fürkauffe, so mit ungetrüwen keufen, und so mit
trügenheit an irn antwerkcn. Und wiße, wanne du kiiit
7) Hds.
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«$> —-
gewinnest, da; der tüfcl rcht einen tor» mit den kinden
hat uf dich gemürct, da; du in, »ienicr nier mäht ent-
rinnen. Manne von der liebe, die du zu den kinden hast,
so cnruchcst du, waz ich und ander Prediger gepredigen
mügen, und rüchest 8) auch, wie du got gewinnest. Und
do von solt du dich de; niemer zu unselden angesagen,
da; du nit linde enhast; und solt hat got iemer drümb
loben. Du mäht da; himelrich vil wol und baz erwer-
ben banne sus. Und do von wenent die einfeltigon lüte,
ez meine got also, da; sie niht berhaft sin der kinde;
de; ist niht; unser herre meinet ez also, da; du unbcr-
haft bist an allen den werken, die gölte wol gevallcn;
, da; ist beten und almüsen geben und fasten und wei-
nen, und barmhertzig sin und eht alle güte werk dün.
Und da von der niemer dehein fünde gctüt, und düt er
halt niemer dehein gut, de; feie wirk »iemer rat; wanne
du solt dem almehtigen gotte früht bringen. Und also
sult ir an uwcrn büchen lernen. An den büchen der er-
den, da sült ir ein letzen ane lesen an den bäumen, als
ich e do sprach, eine an den würtzen, eine an den edeln
steinen, ein an den blümen. Und an allen creatüren
möget ir wol von ir ieglichem sünder letzen lesen, als
der güte sant bernhart. Und do von sprechet der güte
sanctus augustinus: „ich bin ein alter Priester und ein
ein alter bischöff, und Han zehen hundert bücher gemäht
und ich möhte von einem kinde noch sehen oder hören,
8) der Sinn fordert: „em»,ehest
daz fünf iar alt were, daz ich mich gcbczzcrte." Und dar
umb sült ir gar slißig sin, wie ir gelerncn an himel
und an erden, da; ir uch gebezzert. Wann nch der al-
mehtige got alle ding zu nütze hat geschaffen, ein halp
an dem libe und ander halp an der feie. Und do von
wil ich uch letzen lesen oder sagen, die uch der al-
mchtige got an dem himel hat geschribcn, an daz buch,
daz ir bi der naht sult lesen. An der erde sult ir bi
dem tage lesen an den nydern büchen, So sult ir an
den obern buchen bi der naht lesen an dem himel. Wanne
der almehtige got gar vil Wunders dar an geschribcn, ob
ir ez crkantet, daz uch alles gar nütze und gut ist zu libe
und zu selen. Und do von wil ich uch ein letzen lesen; daz
sint sieben stern, und heißet der wagen. Der sint vier
gestalt als vier reder,^die der wagen hat, do mit man
über laut vert. Und also hat dirre wagen vier rcder,
den uch der almehtige got an dem himel hat geschribcn.
Die vier rcder, die vier stern, die bezeichcnt die vier til-
gende, der aller schönsten tügende vier, die die werlt ie
gcwan oder ienier mer gewinnet. Und die selben vier
tugende sind als dugcnthaft, daz alle dügende von diesen
viern gcnoinen sint; und sint so gar edel und dügent-
haft, daz nie dchcin mensche zum himelrichc mohte ko-
men an' diese vier tugende. Wanne alle die heiligen,
die zu dem himelrich soltcn konien, die heten die vier
tügende, und müsten sie auch haben, und heten sie auch
volleclich. Und alle, die da iemer mer her abc wolten
konien, die müßent mit diesen dügenden dar komen. Und
— - Jjfc-9 —
sw er ir dric bat und der vierten niht, der cnmag niemer
zu dem himelrich käme». Und den Worten da; ir sie
hüte lernent, die ir niht cnkünnent 9) — wann ich Han
der vil vor mir; die da nu gut sin, die werden beßer,
die da übel sin, die werden gut, die niht enkunnent, die
werdent wise, die heilig sin, die werden heiliger. Wann
eht nieman dar zu himel mag kämen, danne uff diesem
wagen uf diesen vier redern, als her helyas wart gcfü-
ret uf einem swagcns in daz paradis mit libe und mit
sele. Wanne swaz uns guter dinge und nützer künftig
waz in der uüwen e, daz hat uns got ertzeuget in der
alten e an der lüte leben. Und also hat er auch uns
da; erzcügt, daz helyas uf einem wagen, der fürin waz,
wart gefuret in daz yaradis. Und also müßen alle die
zu dem himelriche sinnen uf dem hünelischen wagen, die
iemer dar komen suln. So wißent ir wol, daz ei» wa-
gen müz vier rcder haben; so er daz eine verluset, so
mag er ab der siete niht keinen. Und do von müßet
ir die reder alle vier haben, oder ir vallet ab dem
wagen, und vallent in den grünt der helle, daz uwer
niemer rat Wirt. Und ir mbget den selben wagen wol
erkennen; wann ir ist vil, die in erkennent; und swer in
erkennet, der mag auch ein kleins wegeiln wol erkennen.
Und der selbe kleine wagen, da müßent die kleinen kint uf
zu dem himelrich varn. Und swclhcs kleines kindelin io)
9) wieder «ln« abgebrochen« Periode.
I») »ieleicht ist hi«r „sin" anrgefallen.
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niht enhat, daz mag niemer zu dem himelrich kome»,
und gesteht got niemer in st'nen freuden oder in st'nen
crn. Nü seht, reht zu glicher wisc als die alte wcrlt
mit diesen vier redcrn zu dem himelrich müßent ko-
men n): also müßent die kleinen kint mit diesen vier
redelin uf irn kleinen wegelin komen zu dem himelrich.
* Daz sink die vier himelischen wortzelin, die zu dem hi-
melischen und heiligen tauf gehörnt; als man dv liset in
dem sermvne von den sieben heilikeiten 12). i3) Alles
daz man da seit, wie man die kint teufen sol, und wei-
hen schaden sie dez haben, ob der vier redelin eins ge-
twistet. Und dar sunib^j alle getauft! Nu seht, wie ir
uf dem micheln wagen zu dem himelrich sollent komen.
Wann dez kleinen wagen bedürft ir »it; dez bedorfent
nuwen kleine kint, da; die getauft werden zu rehte. „Nu,
bruder bcrtholt, ob ein kint zu rehte zu Priesters shanh
niht komet und wirt gahens getauft, und wirt unreht
getauft, und man went, ez si reht getauft und stirbet
niht und wirt alt." — Daz wil ich dir sagen. Und stirbt
ez, e dann ez den rehtcn cristcn glauben enphaht an dem
II) Hds. „kömmt"
tu) Die 2vte Pr. in der Hds. Die Sakramente werden mit
Arzeneien verglichen, daher ihre wesentlichen Bestandtheile
„wortzelin" heißen. Diese 4 sind 1) die Andacht b«& Tau-
fenden 2) einfaches Tanfwaßer 3) ein lebendiges Kind 4) un-
verändertes Aussprechen der Taufformel.
i3) Alan könnte hier-etwa die Worte vorsetzen: „Hie sol man
sprechen"
— r7r —
hertzen, so gesteht ez gotes antlütze niemer; lebt aber
ez l4), untz« ez den echten reisten glauben begriff — so
brfcstent ez der glaube zu dem tauffe—i5) und wen et,
ez st vil rehte getauft; so ist din glaube der rehte tauf.
Wer aber ein ding, daz man de; von der warheit gein-
nert würde, daz ez unechte getauft würden i6) were;
so müst man ez ander warbe tanffen. Wanne ir nu dez
taufes deheine sorge dorfet haben, so bercitent uch uf
den andern wagen. Daz erste rat, daz ir an dem wa-
gen mußent haben, ob ir zum himclrich kamen wollent,
daz ist der lütcrlich cristcn glaube. Und alle die rede,
die man in dem sermonc rürr 17) von den sieben Pla-
neten, die sol man an der stat auch reden; und so viel
mere von unsers Herren lichname, daz des nieman wun-
dern sol, daz sich warer got und warer mensche verwan-
delt in ein brot in de; Priesters Handen. Daz ist von
maniger fache; daz die hohen meisicr wol bescheiden kün-
nent, als sie vil wol wißen, den die rehte künst cntslo-
zen ist. Und eins ist die fache, daz sich got verwandelt
in ein brot. Daz ist dar umb allermeist und auch durch
14) Hds. „lebt aber «) niht"
15) Oie Worte: „so betest ent" u. s. w. bilden eine Parenthese,
und sind eine durch den unmittelbar vorhergehenden Satz
herbeigeführte Zwischenbemerkung.
16) eine auffallende Form, vielleicht ein Schreibfehler statt
„worden", veranlaßt durch daS in der Hds. gerade darüber
stehende „würde".
17) vielleicht: „ret" fredch
ander ding: do got den »icnscheu geschaffen Heike uach
im selber, und doch i8) in erlöste mit sinein tvdc, do
welker auch den menschen spiscn mit im selber. Wann
do got selber sprach zu siiicn iüngern an dem antlaz
tage zu naht, do er de- niorgens den menschen wolte
erlösen mit sincr martel; so brach er daz brot, »nd sprach
zu sinen iüngern: ir sult daz wißen, swcune ir daz dut
in minem «amen, daz ez min lip ist. Und er bot in
den kelch dar nach, und sprach also: swanne ir diez düt,
so ist ez min blüt. — Und die selben wort, die müßen
alse stete und als feste stn, als der himel, und alse do
stet, do er sprach- .siat simiamentum in rnedio aqua-
rum, da; ist gesprochen: werde ein festenünge in dem
Mitteln der waßcr, und do er die sicrnen geschuff mit
einem worte, und berge und tal mit einem wvrte. Und
also große craft habent hie selben wort noch hüt zu
tage, wanne sie der Priester sprießet. Und do got dem
menschen selber mit 19) spiscn wolte, da künde daz sin
wiöheit wol betrahtcn, daz er sich dem menschen niemer
lüstlichcr gegeben »nähte, dann in solicher matcrie. Wanne
dem menschen daz brot lüstlich ist und wol gesinak. Do
von mdht ez niemer wislichcr und baz geformct sin und
gcvrdent. Wie mohte ein mensche ein liphaft und ein
lebendes mensche oder ein flut zu sin cm libc cnpfahcn?
Daz wcre ein widcrstendig ding dem menschen zu niez-
,8) viell. „loch" (auch)
itz) Man erwartet „dm menschen mit im selber"
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zenne. Und da von soltu ez als festeclichen glauben,
swie du doch sin anders »it enphindest banne brot,
und ist doch anders »it banne der wäre lebendige got
unser herre ihesus cristus der inegcde sün miner frauwen
sa»t marien mit libe und mit scle; und gib im nüwer
daz eine vor, daz er wider dich nit redet 20). Und ir
sült in als flißeclichen an ruffen, als in sancta maria
magdalena an rüste, do sie im die fuße twng und er
ir alle ir fünde vergab. Ich wil ein ,groz ding ietze
sprechen. Und wcres daz ein ding niügelich wcre, da;
unser frauwe, min frauwe sancte maria gotes niütcr,
daz sie ictzünt da uf der schonen wisen werc, und alle
die heiligen und alle die engcle, die worden, obc daz
müglich wcre, daz sie da die witen hetcn, und ich dcz
wert wcre, daz ich daz selbe himel gesinde do sehen soltc,
und ich ginge dcz endcs, und ich wolte sie harte gerne
sehen — und wißet, daz ich sie harte gerne und an'
maßen gern wolte sehen — und ich uf dem wcge were,
daz ich mine frauwen sant marien gerne wolte sehen,
und ein herre ein Priester ginge qein mir, und trüge
unsern Herren, als er do zu dem siechen mit get: so
wolte ich mich gein dem Priester kern, der unsern Herren
trüge, und wolte gein in, an mine vense vallcn uf min
20) Gib ihm nur das Eine voraus, daß er nicht zu dir redet,
Sinn: glaube fest, daß cs der wahre Gott ist, und begib
dich nur des Einen Anspruchs, daß er zu dir rede. Sonst
darfst du alles von ihm fordern und erwarten.
knie e banne gein miner frauwen sanct mannn und allen hei-
ligen und allem himelischen her. Wie gerne ich sic sehe,
und swie ich sie nie gesach; doch wolle ich unserm Herren
mer ern bieten und andebteclicher, do in der Priester treit,
den ich doch alle tage hie uf ertrichc sehe. Und sie sink
doch so uberniesseclichcn schone und so klar, da; alle die
werlt do von niemer me gesagen mühte. Und swie uns
glich die über grozen wunder sink, die a» der klarheit
ligent miner frauwen sank Marien nnd alles himelischen"
gesindes; so wolte ich mich alles e gein gote bieten und
neigen, den der Priester do treit, swenne er in uf dem
altar uf hebt. Und do von füll ir in andehteclichen ern
und an rüsten, und sült halt die Priester bester flißecli-
cher ern, daz sie got dar zu geordent hat vor aller der
werlt, daz sie in handelnt, und in als hcimelichen ist,
und in alle tage enphahent zu ir seien. Daz sult ir
alles _<m den Priestern ern. Wanne ez hat got grvze
wirdekeit und ere an sie geleit. Und swanne ir drn men-
schen liep habent, und in ere bieten vor allen menschen,
so kan ez uch an uwerm cristen glauben niemer misse
gen. Da; ein ist, da; ir unsern Herren ern, als ich
ietzunt sprach. Ob ir unser frauwen und alles himclisch
her also ietzunt söltet sehen, so solte uch geher sin do
hin, da der Priester unsern Herren getragen hat. Wanne
er ist hcrre und vogt über alles himclisch her. Und als
vil der sünnen durch einer nadeln bre niohtc geschincn,
als klein der schein ist wider aller der sünnen schin, den
die sünne gibt über alle die werlt: als klein ist aller
«
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i
17*
gvtkS heiligen und aller enge! und alles himelischen he--
res heilkeit, und halt unser fraüwen dar zu, wider der
hcilikcit, die got selber hat. Nu seht, waz grozer er»
und heilikcit an dem almehtigen gotc lit. Und do von
sült ir got liep Han, und die Priester. Der drite mensche,
den ir auch licp sollent haben, in selbe dritte, daz ist min
frauwe saut maria. Wanne da haben wir so gar viel grozer
ern von, daz ez nieman volle sagen mag. Und dannoch so
hat der almehtigc got so groze erc an die Priester geleit:
ob ez alse wcre, daz ein Priester zu ginge, do min frauwe
sancta maria do scsse und alles himelische her, die stün-
den alle gegen dem einigen Priester uf, da von daz got
so groze ere an die Priester hat geleit, und auch da von,
daz sie die erc und die wirdekeit baz erkcnnent, daunc
ander irdenische lütc, die got an den Priester hat geleit. —
Und als vesteclichen sült ir cristen glauben in uwcrni
hertzen shabcn^ an' zwifel und ane alle Hindernisse ; so
habt ir daz erste rat an dem hymelischen wagen, der uch
zu dem himelrich bringen sol. — Daz ander rat heißet
gcdinge; ettcswo heißet ez hoffenünge; ez heißet in latine
spes, und ist der vier tügcnde eine, der eht nieman inag
ane gest», der zu dem himclriche willen hat. Ir sult daz
gedinge haben, wanne ir den rchten eristenglaubcn behebt,
als ir zu reht sult, und als uch got zu rehte bevolihen
hat und uch von im geordent ist, und banne den crijken
glauben niit cristcnlichen werken vollebringent, mit den
zehen geboten und mit allen andern lügenden, do nriit
man allen heubtsünden widersien sol; und ir sult dar an
ijl
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deheincn zwifel Han, 21) e; si der almehtige got diu
frunt, ob du in dem willen bist, da; du niemer deheinc
tbtlichc fünde gctüst untz an dinen tot. Ist e; aber,
da; du die gebot über gangen hast, und dich an dotli-
llichcn siinden über sehen hast: so svltu daiinoch gcduigc
und hoffenüngc Han zu der warn ruwe und zu der lü-
tern bihte und zu der heiligen büße. Swaniie du ge-
sündest tbtlichc fünde nach dein tauffe, wann du dar
unib warn rnwcn gewinnest an dinem hertzen und die
lüter bihte gctüst und die büße banne leisten wilt, die
dar bin bihtiger gibt, und begriffet dich banne der dvt,
so svltu deheincn zwifel Han, swie vil du gesundet hast,
gvt der wolle dir e; vergeben. Swcz du hie niht gebü-
ß»!st, daz büßest du in dem fegefüre. Und alse du in
dcrz fegefüre küniest, so solt du gedinge Han, da; ez
w>»r st, da; du in den himcl geschriben bist, und daz
du himelrich niemer mer verliefen mäht. Und alles de;,
da; dir die heilige schrift seit oder die, den die heilige
schafft bevolhen ist, da; stnt die Priester, wa; dir die von
der heiligen schrift sagent, de; solt du gedinge Han, daz
e; war si und feste si als der himcl. Pfi! gitiger,
swelhcr lcy gedinge hast du? Din gedinge ist falsch und
uugetrüwe. Wann du wilt de; gedinge Han, da; du mit
wattiger grozcn fünde behalten werdest. Wann als oft
du einein armen menschen einen Pfennig abe gewinnest
n iit unrehte, so hast du eine heubt fünde getan, du gel-
m) Wiederaufnahme der Satzes „ir sult da; gedinge haben."
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test im banne wider, ob du e; geleisten mäht. Und dv
von sprichet ernte ettewanne: „o we! brüder bertholt, du
predigest so grüliche von unrehtem güte, da; man reht
verzwifeln nwhte-" Siech! daz wer mir gar leit, daz
du verzwifeltest; ich wil, daz du deheinen zwiftl dran
habest, du geltest 22) und gebest wider, daz feiner ver-
dankten feie iemer rat werde. Dez soltu reht deheinen
zwifcl Han; und du barst de; auch dehein gedinge Han,
daz du got in sinen freuden und in ftnen cren iemer
beschauwest, als wenig als der tüfel. — Ir ebrecher
und ir meiueyder und ir manslahter und ir nescher und
ir ncscherin, ir durft auch dez dehein gcdlnge Han, oder-
alle, die in tätlichen fiuibeu srüt; und alle die wile daz
ir de; willen habt, daz ir die fünde niht lazen wollent,
so dürfeut ir dehein gedinge Han, daz uch got iemer an
gesehe, ane rüwe und ane bihte, ob ir zu gote kumen
mügt. Wanne ruwe und bihte die versaget man nie-
man. Wann die heilige ruwe und die heilige büße die
22) f. v. a- „du geltest danne^.
20) vergl. 2tc Pr. Anm. i3) eine Citation der 5ten Pr. der
Hds., deren Anfangsworte angegeben sind. Was die Buße,
nicht vemag ist i) daß sie niemand aus der Hölle nehmen
kann 2) die verlorne Zeit nicht wieder gewinnen 3) das un-
ter Hauptkunden gethane Gute nicht zu Lohn bringen 4) die
die Jungfrauschaft nicht wieder geben. Was sie dem Ähnli-
ches vermag ist i) daß sie von der Höllenpforte wegnimmt,
wo man ist, sobald man Todsünden thut 2) in die Christen-
heit bringet, wo man Lobn gewinnen kann 3) zu so hohem
Lohne führen kann, als eine Jungfrau hat 4) die Zeit deS
Kegfeuers vermindern oder gar aufheben.
~ lJi —
dünt alle ding wol, ane vier ding. Sie tunt aber vier
ding die den vier» geliche sink. Daz sol man suchen in
dcni sermone von den zwei» wegen: „den rchtcn men-
schen wiset got die rehten Wege." 23) — Daz brise
rat ist die wäre mittue, die du zu gote haben solt
und zu dir selber und zu dinem nehstcn 24). Wanne
du solt got minnen von allem dinem hertzen, von
aller diner sclc und von aller bitter mäht; und mittue
dinen nehfte» als dich selber. Daz du got minnen
solt von allem dinem hertzen, daz ist also gesprochen,
daz dir nie frunt so hertze liep enwart, dir fülle got noch
lieber sin, und daz du durch dcheinen menschen niht dun
ensolt, ez si bin kint oder bitt husfrauwe oder bitt vatcr
oder bin müter, oder swelich bin frünt ez si, so solt du
got so hertzeklichen niinncn, daz du niemer dehein ding
solt gctün deheinem dinem fründe zu liebe, daz wider
got si. So soltu got minnen von aller diner selc. Daz
ist also gesprochen, daz du alle tötlichc fünde midcn solt
durch die liebe, die du zu 25) got hast; alse flißec ichen,
als ob nie helle oder tufel worden were; und niht so
vil durch die vorhte der hellen 26), noch mcr durch die
liebe, die du zu gote hast, banne durch bitte eigen feie
und durch die vorhte, die du zür Hellen hast und zu dem
tufel und zu der martel der Helle. Iu driten male solt
24) Hds. „tristen"
25) Hds. „durch" vergl. das folg.
26) Hds. „seien" vergl, daS folg.
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du got Minnen von aller diuer mäht. Daz ist also ge-
sprochen, daz du got umb alle dinc 27) gnade lobe»
so!t, und crn und minncn umb alle die gnade, die er
an dir begangen hat und an allem menschlichen künne;
und ieglicher tugent, die du erdenken und ertrahten
mäht, da solt du got anch sünderlichen umb Minnen, so
du iemer meyste mäht; und daz du der minne gvttes
nienier vergefiest, du slafest oder wachest, du ezzest oder
driukest, du gest oder stest, du ligcst oder sitzest; als der
gute sanct Paulus dct und die andern allesampt, die vor
got sink, die groze martel crliten hant an ir libe, ee daz
sie der minne gotes vergeßen wolten. So liez sich ette-
lichcr radebrechen, e daz er der minne gotes vergeßen
wolte. Aber der gute saut Paulus, der minnete got so
ernstliche, daz er sin niemer me vergaz für daz er in min-
neudc wart. Do er alse licplich und alse ernstlich got
minnete, und die predige mähte, die wir do ettewanne
lesen in der messen, und do er do gevangcn wart, und
do er uz dem kerker niht enmohte; do dihtet er dannoch
briefe in dem kerker, und sante die in die kristenheit, daz
man sie predigete den tüten ane sine stat, do er in
selber nit gepredigen mohte, wie man fünde fliehen sötte'
und wie man got Minnen solle; uub do santcr aber
sine reine lere und sine getruwe minne, die er zu dem
almehtigen got hette und gein der heiligen kristenheit.
12
■ iSo
Und aber fürbaz minnet er got, wanne er sin episteln
mähte. So horent ir wol, daz wir alle zu idngest un-
sern Herren ihesum cristum dran nennen. Und also her-
tzeclichen minnet er got mit aller siner mäht, da; er got
alles daz zu mimte» ferse, da; er künde oder mohte. Und
do man im daz heübt ab geslüg, da sprach die zünge
in dem münde, da daz heubet dort hin für, do sprach
die zünge: domine ihesu criste! Und also sült ir got
minnen mit aller üwer mäht. So solt ir uwern neh-
sten minnen als uch selber. Daz stet in dem sermone
von den fünf pfünden 28), wie man den nehsten min-
nen solte, als sich selber, in got und durch got, und
swaz man an der selben stat reden sol uf die minne, wie
der mensche sinen ebencristen minnen sol als sich selber. —
Daz Vierde rat, da; ir auch haben mußet an dem hime-
llschen wagen, der uch da tragen sol, daz ist stetikcit,
daz ir mit sden^ drin tugenden stete sit untz an uwern
dot, und blibet feste als ein adamas, und daz ir uwern
lauf vollebringet frümeclich, als der güte sank Paulus,
do er sprach: ich Han einen güte» strit gestriten; als in
dem sermone von den sieben Planeten do stet, wie nian
stetikeit halten sol an diesen drin tugenden. Wanne alle
>8) 2h Pr. d. Hds. Dar „in got minnen" ist daßelbe, war in
„got minnen von allem dinem hcrtzen" enthalten ist. Das
„durch got minnen" besteht darin» daß man ihm alles Gute
gönnet und gerne vergibt, was wir oben mehrmals ausgc
führt finden.
— ist —
tügende nement ini Ursprung an diesen drin tilgenden;
und do von sult in stete an diesen drin Lügenden sin
volle untz an uwern dot. Und als ir dann uf dem hi-
mclischen wagen zu den ewigen freuden werdet geleitet,
so setzet matt uch ein kröne uff, ein güldin künicliche
kröne. Und die selbe kröne hat der alnrehtige got ge-
schrieben an uwer büch, daz ober, do ir do nahtes an
lesen sült, und stet also nit verre von dem wagen: do
stet ein ^krone mit gar schonen sterilen geziert und gezir-
kelt, kündent irs erkennen. So hat uch gor manige
letzen geschriben an die zwei büch, an den himel und
an die erde. Und also hat er die lichten edeln krönen
uch geschriben an dem himel. Do stet sie als gezei-
chenlich und alse schone; und stet ein rise do bi mit ei-
nem grozen kolben, den hat er in der hant; und der rise
ist grvz und gar michel, und hütet der krönen in solicher
wise, als ob man sie uch wolle nemen. Und die selbe
kröne bezeichent die himelischen krone^ die der almebtige
got wil geben allen den, die diese vi r tagende hab.n.
Daz 29) sie uf dem himelischen wagen zu himelriche ko-
men, so setzet man die himelische kröne uff. So bezei-
chent der rise den tüfel; der stet bi der krönen und we-
ret uch die kröne. Er stet und treuwet uch mit dem
kolben. Der kolbe bezeichent manche unrehte vorhte, die
uch der tufel an machet/ do mit er uch der himelischen
29) viell. „als" (wenn); oder Lnterpungire man: „haben, daz"
--- so daß; hernach: „komm; so"
*2*
tronen vcrwisen wil. Und ir sult in, nit volgen durch
den almehtigcn got. Lat uch den tufcl dcz , it abe er-
träume», ir verblibent 3o) an diesen vier tilgenden siete
untz an uwern tot, daz ir dem tiifcl zu lasier und zu
leyde die himmlischen, kröne vor got in himelriche cwicli-
chcn traget, Daz uns daz allen wider var, mir mit uch
und uch mit mir, dcz ersten an der scle und an dem
iüngestcn tage an lide und an sele, daz verlihe uns allen-
sampt der vater und der sün und der heilige geist! Amen.
So) Hds. „verlibknt^
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Achte Predigt. (?te) Werth der Tugend und Kraft derselben
in Bekämpfung der Untugenden, (von den engeln)
>ir begen hüte gcmeinlich über alle die heiligen cri-
stenheit ein groz hochgezyt der heiligen engele. Wanne
wir durch daz lange iar maniges hochgezyt begen in der
heiligen cristenheit, so ist cz auch wol billich und reht,
daz man den heiligen engeln auch ein hochgezyt bege.
Wanne sie uns grozlichen diencnt alle tage; sie behü-
tcnt uns vor dez dufels gemalt. Und der güte michahel
der ist fürste über die selben engele, die unser do hü-
dent; und do von hat er den namen der güte sant mi-
chel. Und wir selten in wol mcr hochgezit begen in dem
iare banne eine. Wann der köre sint »üne der fürsten.
Der zehende ist gevallen und abtrünig worden. Und daz
man den heiligen engeln nüwen ein hochgezyt beget in
dem iare in der cristenheit, daz ist do von, daz ich ie
zu der selben hochgezyt von de» heiligen engeln muz pre-
digen. So ist als mülich von den engeln predigen und
auch zu sagen, daz man dez vorhte hete vor cinfeltigeir
l84
tuten, daz sich ettewann ein Prediger verspreche, ob man
den cngctn vil hochgezyt beginge in dem iare. Wann
der almehtigc got hat aller wunder grosic an die enget
geleit. Und der cz den tüten mohte bctüten, daz sie ez
gemcrken mohte», so hcte alle,die weilt dran z» wün-
d^rn Ürner. Und do von mohtenl ir alte gerne zu
dem himelriche arbeiten, daz ir die grozen gczirde und
die grozen schonheit gesetzt in himclrich, die got an
die wunneclichen enget hat geleit. Wann got alse
groze über ere und so groze clarheit und so groze
freude an die heiligen engel geleit hat, daz ez niemer
münt volle sagen mag; so wcrcs der grosten torheit ein
an mir, die die werlt ie gewan, daz ich mich dez an
ncme, die heiligen enget zu loben. Ir seht wol, daz sie
allesanipt sint iünkliche gemalt, als ein kint, daz da fünf
iar alt ist, swo man sie malt. Und wo von die enget
snndertich »amen haut — die ein heißent die brinneiüen
enget, und aber ander die Minuenden enget, und aber
die ander die tugenthaften enget — daz get uns uit gar
grozlich an, und dar umb süln wir uns dügcnde stifien,
daz wir der enget genozzen werden in himelriche. Wanne
der almehtige got geschüf die enget und die menschen dar
umb, daz sie siner frcuden und siner gotlichcn er» teil-
haftig wurden. Wanne er ane angengc gewesen ist an
im selber in allen den ern und in allen deir freuden und
in allem dem gemalte, den er »och hüte hat; da gedaht
er: ich wil zwo creature machen, die miner freuden teil-
heftig werden. Und durch die groze truwe gcschuf er
s
i\5
die heiligen engel, der hochgezyt wir hüte hegen, und die
menschen, daz er die groze freude und die wünne und
die ere, die er selber ist, nit eine wolte »ließen. Und dar
umbe haben wir got iemer vil z» loben, beide engel und
menschen. Er endorfte unser nit, und er enhete niemer
frcuden bester miilre gehabt noch eren; wann daz i) er
den menschen noch engel durch anders nit geschuf,
wann durch die minne und durch die truwe, daz wir
stncr über grozen ern und silier freude»» deilhaftig wur-
den. Swcr dem andern groze ere git und groze gäbe,
die er mit nihte verdient hat noch verschuldet noch mit
nihte vergolten hat, der gaben und der ern svl man ehte
grvzlichen danken. Und der selige, der guttete erkennen
kan, der kan ir auch gedanken. Und sdo^ der almehtige got
menschen und engel gcdahte zu machen; da geschüf er
ein ding, daz ist aller dinge beste. Under allen den din-
gen, die got ie oder ie geschüf oder iemer gcschafen wil,
so geschüf er »ne nit so edel »och so reines noch so hei-
liges noch so wünnecliches, als ein ding ist, daz got ge-
schafen hat. Wie gar wünneclichen und edel die heiligen
sink und wie heilig daz sie sint, swie gar edel und
wie wünneclichen die heiligen engel sint und swie heilig
sie do sint: dannoch ist daz eine ding wünneclicher und
edeler und heiliger. Ez ist edeler, dann sünne und mane.
Ez ist edeler, dann silber und golt. Ez ist edeler, dann«
alles edel grsteine. Ez ist edeler, danne alle würtze.
-*) (. », » s»nd«rn « schuf n. s. f.
iS 6
(üj ist cbctcr, banne die ^delementen. Ez ist bezzer und
edelre, dann die vogel in den lüften. Ez ist edeler, dann
alles daz got ie geschüf. Ez wart sele nie kein ding als
glich, als daz einige ding; und ez hette got geschaffen, e
dann er. menschen oder engel ie geschüfe. Wanne da;
die engel freude und ere hüte haben in himelriche, daz
habent sie alle von dem einigen dinge. Und weres dan-
noch nit edeler und bezzer und heiliger, dann daz selbe
ding do ist, 2) so weres auch nit aller dinge beste, daz
got ie geschüf. Und den werten daz ir daz selbe ding
liep habt, so wil ich ez uch nennen. Swanne wie unS
der almehtige got alle ding zü nütze hat geschafen, so
ist uns alles ding so nütze und so gut nit, daz got ie
geschüf, als daz ein ding. Und dar umb 3) sult ir allen
uwern fliß dar an legen, wie ir da; selbe ding gewinnet.
Wanne swer sin nit hat, der gesieht got und sin heiligen
engel niemer in irn freuden noch in irn eren 4). Und
de» werten, daz ir ez liep habt untz an «wer» tot, so
wil ich ez uch nennen. Ez heißet tugent. Lugent, seht,
heißet ez. Wann der almehtige got alle tügende gewe-
sen ist, und engel und menschen durch anders nit gc-
schüs, wanne daz wir «wer S) freuden und eren deilhaf-
tig wurden. Und durch die tugende geschüf got engel
2) Sinn: wäre ti nicht s» edel re., alt et ist, s» rr. —
3) Hds. „dar an"
4) Hds. „freuden" £
6) Man muß wol lesen: „stner"
- 1*7 -
und menschen. Wanne er selber anders nit enkan, banne
lüter tugent und reine dugent, so wolte er auch, daz
enge! und mensche tügenthaft wern. Er meint aber nit
die tügent, daz etteliche lute tugent heißent. So einer
«in botschaft hovelichcn gewerben kan, oder ein schüßel
tragen kan, oder einer einen bccher hbvelichen gebieten
kan, und die hende gezogenlich gehaben kan oder für sich
gelegen kan; so sprechent etteliche litte: „wech! welch
ein wol gezogen kneht daz ist — oder man oder frauwe!
Daz ist gar ein tüqentlicher mensch! We! wie dügentlich
er kan gebaren!" Siech, die dugent ist vor gotte ein
gespötte, und gesellet got zu nihte. Sich k>), der du-
zende ahtet got niht. Wanne also lert man einen Hunt
wol, daz er die füße für sich habt und da; er schone ge-
bart. Daz ist zu nihte, so getane tugent, vor gote. E;
ist nüwen ein lüter gespote. Er wil deheinre tugende
nit ahtcn, wann da mit smaiH allen Untugenden wider
striten kan. Aber sünderliche sieben untugende sint, daz
sint sieben hcubt funden, swer den wider stritet, der ist
tugenthaft, und besitzet die wünne und die freude und
die ere, die got selber ist. Wanne wer sant michel cht
nit tugenthaft gewesen, dez hochgezyt man hüte beget,
er wcre von dein hymclriche verstozen als lucifcr. Und
wer lützifer tügenthaft gewesen, er wer von dem himel»
riche nie verstozen. Do er do so untügenthaft waz, da
müst er daz himelrichc rümen und alle die mit im untü-
S) s.nß: „si-ch" M-He?
ISS —
genthast waren. Ez einst eht niergcn dehein enge! so
hoher noch 7) so gewaltiger in hymelrich, und wer
er auch uiitügenthast gewesen, als lucifcr, er müste daz
himelrich haben gerümet, und niüsie die Helle iemer mere
mit lucifcr gebüwet Han. Und were unser frauwe nit
dügenthaft gewesen, der heilige geist were nie zu ir kö-
rnen , und got wer nie uns zu seiden von ir geborn.
Ez were nie heilige zuni hiiuelrich kamen, banne mit tu-
gende». Nu hat der mensche frie willekür, weder er du-
genthaft wolle sin oder undugenthaft. Dez halben heten
auch die engel frie willekür, e daz lucifer verstoßen wart
und sin genvßen. Dar umb daz sie mit ir frien wille-
kür undugenthaft wurden und untugent vor die edeln
tugent körn, dar umb würden sie verstozzen in daz ap-
grunde der Helle. Die aber do bestünden mit irre frien
willckür an der edeln tügent, die wurden da so zu hant
gefestent mit gotes festenünge, daz sie niemer mere daz
himelrich verliefen mügen. Und da von haben ez die
heiligen in den, himelrich eines dinges weger, banne tu-
genthafte lüte uf ertriche. Wanne die heiligen sind nü
1 gefestent, sam die engel, daz sie nu himelrich niemer mer
Verliesen niügen; so mügent die getauften lüte himelrich
wol verliefen. So haben ez die tugenthaften lüte uf
ertriche eines dinges weger, banne die heiligen in dem
I himelrich. Wanne die tugenthaften lute niogent wol lon
verdienen uff ertriche, die wile sie lebcnt; daz mogent
Hds. „nach".
die heiligen nit getun. Sänke pcker habe im, daz er
habe, ez wirk im niemer mere gebeßert. Daz selbe sprich
ich zu allen zwclf boten und zu den markelern, und zu
den bihkigern und zu den andern heiligen allen. Und
sank nycolaus het der einer stunden mere uf crkrich du-
gcntlichen angeleit, daz er nuivcn eines ave marias mere
het gesprochen, die wile daz er lebte uf ertrich, daz neme
er für alle die zeichen, die got durch stnen willen >e ge-
ket uf erkriche. Und ich wölke, daz ich sicher were of
diesem erkriche, daß ich himclrich niemer verliefen mohke:
so wölke ich genre ein dugcnthaft mensche sin uf erkriche,
dann ein heilige in dem himelriche. Wanne so wölke ich
von wile zu wile, von tage zu tage, von iar zu iare
ie heiliger und heiliger werden. Nu seht, wie nutze und
wie edel tugent ist. Die cdelkeit aller enget die were zu
nihte, wanne tugent. Ein tugenthafkcr mensche verdient
eins dags mcr lons umb got, dann tusent, die nit tu-
gcnde habent. Als ein edel saphyr, der ist eim vil lie-
ber, dann hundert kiselinge; als ist ein edel wurtze von
ir tugent vil wcrdcr und lieber, banne ander untugent-
hafter wurtze ein fuder oder ein michel teil; alse ist dem
almchtigen got ein tugenthafter mensche lieber, banne
tusent, die nit duzende haben. Und daz uch got so clar
und so edel an himelischer Materien [uif] geschafen hat
als die engel, daz hat er an' fache nit getan. Wanne
daz er die engele als snel und so gar edel hat geschafen,
daz det er dar umb, daz die engele bester ringvertiger
an ir geistlichen lüterkeit wer», daz sie die cdeln und die
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klaren gothrit bester lüterlicher an gesehen mvhten, und
daz sie zu siner gütlichen hohe beste riiiclichcr mohten gc-
swrgen. Und darumb daz sich der enge! der grozen schon-
heit über hüb in ubermüte so gar sere, dar üm gap er dem
menschen irdenischen lip, daz er sich bester mime über
hübe in deheiner Hoffart, und daz den menschen ermante
der Herwige irdrnisch sag, daz er demütig were, und da;
im iht geschehe von hofferte, als dem hofertigcn engel.
Und dar umb da; der grist in den irdenischen lip gesto-
Yv ßen wart, da; sich der mensch« »it zu lasier an ü,eme,
daz die edele sele so smehelich wart gekleit mit dem irde-
nischen libe, dar umb 8) wolte der salmehtige got^ den 9)
menschen ergehen der selben smehede mit manigen grozen
ern. Dez ersten, daz er die sele im selber dar an gli-
chet hete: als er ein Herr« ist in der grozen werlt
gar an allen steten, und alles daz ordinet und rihtet
und ufhabt und erqwickt und ziert, daz in der werlt ist,
und da; er doch da bi so unbekumbcrt ist, und als gar
an' muwe ist, als ob er nie gedehte zu schaffen und
zu machen; reht zu glicher wise ist also auch dez men-
schen sele in der kleinen werlt, daz ist in ir libe; und in
allen glitzern dez libeö ist die sele gentzlich in jeglichem
glide, und sie gitZ leglichem glicde leben und enpfindcn
8) Sinn: weil der Deist in den irdischen Leib gestoßen ward,
darum wollte Gott, damit es der Mensch sich nicht zur
Schande anrechne, daß die edle Seele so schmählich beklei-
det ward, dem Menschen diese Schmach vergüten u. s. s.
H) Hds. „dem"
. I
. . ' I
< , ' . I'
I
' I
und Hegern und rürunge und deüwen und varwe und
stimme und mäht; und ist doch bi dem allem sampt die
selc als fri, swanne sie sich zu andern dingen seiet, als
ob sie den lip nit besorge. Dar zu wil der almehrige
got der scle irn lip wider geben, der ir ietzunt ist ein
halöbcrg und berg uf dem rücken, und der trübe ietzunt
die sele dünket und swer und ungefüge und ungelenke
und unbekerig und «»bereit maniger fache; wann der
lip maniger dinge begcrt, daz der scle wider ist und ir
feit ist. Den selben siveren lip wil got der sele wider
geben an der iüngesten urstende liehter, banne der sünnen
schin, sneller banne der äugen blick, und vil gefüger danne
der lüst. Wann da niag sich nit für behüllen, er berure alle
ding. Ditz dut alles unser herre der sele zu einer crgc-
tzungc der muwe, der sie sich genietet hat hie uf ertrich
mit dem irdenischen libc. Er wil ir auch de» «»beraten
lip wider geben als vvllekomen, also daz im nihtcs ge-
driftet, und daz er iemer Wunsches gewalt hat, und richeit
an' armüt und iugent an' alter. Und also gibt ir un-
ser herre den lip wider in so maniger wirdekeit, der ir
da hie wa; ein smeher böser ^überwertiger sag. Daz ir
do Wirt ei» so edcles kunigcs kleit, daz sin die himel
fürsten wol geziinet an zu sehen, daz hat er gegeben zu
Vorgabe vor den liehten engeln. Wanne sie got geny-
dert hat hie mit dem irdenischen libc; der ir hie uf ert-
riche die bürde halse tragen an den arbeiten, daz ist bil»
lich, daz sic dort mit im den uberfluz der freiden
t
teile, io) Die da gesellen sink an dein ungemache, die
sint auch billich gesellen an dem gemache mib an tröste.
Dar umb minnet ir ietwedcr daz ander als sincn gcver-
ten durch die frolich gemeinschaft, die sie niit einander
haben süln hernach zu der gbtlichen wirtschaft der gotli.
chen angesiht. — Da der aptrünige enge! gesach, daz der
irdenische mensch sine stak besitzen solte, daz begunde er
niden und sin genozen über eine, daz sie als gar unse-
lig selten sin, und die menschen so selig; die kräng sint
von naturen, sollen 11) die freude besitzen, die er schent-
lich verlorn hat. Und dar umb det er daz gotte zu
leide und zu lasier, daz [er] got den menschen verriet,
daz er sich auch wider got satzte und im ungehorsam
wart, dar ümb daz der mensche verstoßen würde, als er
verstoßen wart. Daz leit, daz er got dar umb tet, daz
waz dcz menschen schade, den er dar an nam. Da waz
daz daz lasier, daz er got dar an tet, daz waz also,
daz sin eigen kneht got dar versmchete, daz er sinem
vinde volgcte wider sinem gebotte. Owe leider! do wor-
den wir beschallet, und mit rehtcni urteil wurden wir
dem tufel zu frone rehte geantwortet, dem wir uns laz-
lichen heten undertenig gemäht mit den funden. Je
doch so hat uns unser herre ihesus cristus erlöset mit
io) Sinn: da sie Gott hier erniedrigt'hat mit dem irdischen
Leibe, so ist es billig, daß sie mit dem, der ihr hier tragen
half, dort theile u. s. f.
r i) Hds. „solte"
— —
ftncm heiligen tobe. Ob wir tugenthaft wollen sin, sv
werden wir die freude besitzende, wie leit ez dem aptrk-
nigen cngel ist, die er do verlorn hat mit Untugenden.
Und dar umb durch den almehtigen got, so lernt die sie-
ben tugende, do mit ir den sieben Untugenden mit an
gestriten fklnt. Wann alle die heiligen, die zu himelrich
sint, die habent in allen angcstriten. — Die erste untu-
gent heißet haz 'und nyt. Die wiseten den 12) ersten,
der ie zu Helle quam, in daz apgrunde der Helle, und
manig tusent sele, die stt komen sint zur helle mit nide
und mit hazze. Und der selben untügende sült ir wider
sten mit einer tugende; die heißet die wäre minne, die
ein ieglich mensche gein gote haben sol, als die heiligen
engel, die niinneten got mit echtem ernst. Wann er
uns und die engel durch echte minne geschuff, dar umb
haben wir dcz reht, daz wir in als ernstlichen minneu,
als die heiligen engel, der hochgezyt man hüte bcget.
Wann die minnent got als grözlichen und als ernstlich,
daz ez niciner münt gesagen kan. Und wer got minnct,
der minnct auch alles, daz da got minnet. Der almeh-
tige got, der minnet die tugent vor allen dingen. Wann
er enge! und menschen durch dugende hat beschafen, und
daz engel und menschen si'ner frcuden deilheftig wurden
von tugenden. So ist die tugent an «anigen stücke,^
aber die wäre minne ist aller tugende beste;?chnd dar
umb sol man got Minnen mit allem ernstes und mit gan-
,-) Hds. '„Me"
tzcn truwen. Wann wer daz düt, der minnet die enget
nach irin rcht, der minnet die menschen auch nach irm
rchtc. Und swcr got und sich selber minnet zu rchte,
der minnet auch die tilgende und haßet alle undugende.
Und dar umb fult [iv] mit der mimte dem nide und dem
haße wider sten; so habt ir der sieben tilgende eine.
Dannoch sult ir seyse haben, ob ir die sele kleiden wol-
lcnt mit dem edeln küniclichen libe an der iüngesten ur-
sicndc. — Die ander undugent, die ir mit duzenden wider
sten sült, daz ist zorn. Die selbe untugcnt die hat ma-
nig tusent sele zur hellen braht, daz ir nienier rat wirt,
als herodeö und nerv und manig ander. Die selbe un-
tugent, die do heisset zorir, die verdampt der armen lüte
aller meist. Die zornent und grinent aller meiste umb
sust uitd umb tiiht. Dez schement sich die hohen und
die erbern lüte. Swanne sie aber zornig werden, da
künipt grozer schade von; brant und raub und mort und
manig witwe und weise werdent vor der ungenemen un-
tugende, die do heißet zorn. Ez zürnet und grint daz
arme lütech, so einiger Halm an dem wege lit, und grint
und fluchet und schiltet und wütet, sam ez mit dem tü-
fel behaft fl. Uud würdest du also funden, diner sele
würde niemer rat. Büße nim ich alle zyt uz. — Und
der selben untugende sollet ir wider sten mit einer tu-
gende, die heißet gedultikeit. Swa; dir zu leide geschiht
von ungclücke oder sust von einem andern menschen, daz
soltu gar gedültickichen liden, als der gute iob tet, der
deni alniehtigen gote do so hertzeclichen wol geviel für
alle menschen, die bi sinen zyten lebten. So wiltu bin
eigen wib oder din kint erwürgen, ob ez dir ein schüßel
mit wazzcr umb kert. So grinest du den wirk an, untz
an die wile daz er dick nimpt mit dem hare, und zuht
dich einen weg hin und den andern her, und trit dir uf
daz heubt, als er dir den hals abe wolle brechen. Und
alle, die also wutent und dobent mit zorn, do hat der
almehtige got kein wesen noch kein tun bi. Wanne ez
ist der sieben untugende eine, die den menschen vertri-
bent von der frcuve unsers Herren, da er die menschen
und die enge! zu geschaffenst und erwelt. Und würdest du
dar an funden, dincr sele wurde niemer rat, und must
als lange brennen und mit deni tufel in der helle bli-
ben, als lange als got ein herre in dem hymel ist. „O
we! B. 23., wie suln wir dar umb tün?^ Do solt du
dich der untugent wern mit einer tagende, die da heisset
gedültikeit. Die ist der grosten duzende eine, sie selb
siebende, da die heiligen alle daz himelrich mit besetzen
hant, die zu irn tagen komen sink. Und alle die zu dem
himelriche komen wollend, die müffent mit diesen sieben
duzenden dar komen. Unser frauwe ist gar unmazzen
tugentlich gewesen mit der gedültikeit, und ander manig
heilige, die mit der gedültikeit zu himelrich komen sink.
Ir sult vertragen gedulticlich alles, daz uch an get, und
alles, daz uch werre an libe oder an sele oder an güte oder
an gebresten der armüte. So wider stent der untugende,
die da zorn heißet, als der gute iob und der andern ein
michel teil, die gedültikeit an sich »amen, die auch gro-
i3
zen gebresten heten vor arnrüt, oder grozen Verlust an
gute oder an frunden oder an crn. — Die brise undu-
gcnt heisset trakeit an gotcs dienste. So betraget den,
da; er ein pater noster spreche; so betraget symelichen,
zu kirchen zu gendc; so betraget ettelichen, zu predigen
zu gcnde; so betraget auch ettelichen, ein alinüsen zu ge-
bende; so betragt auch etteliche, einen aplaz zu holen;
so betragt auch etteliche, daz ste ein kleins stundelin mit
zuhten zu kirchen süln sten, do man goteö dienst tüt
mit singen und mit lesen. So spotent sie und snerent,
als sie uf einem iarmarkte, sin. Und alle, die also trcge
an gotes dienst sint, die wcrdent alle verdampt an libe
und an sele, daz ir niemer rat wirt. Buße und bihtc
nemen wir alle zit uz. Wanne dehei» mensche nie so
übel getet, er müges wol gebüßen. — Der untugende
sult ir wider sten mit einer tugent, die heißet snellekeit
zu allen güten dingen. Almuscn zu gebende und beten
und wachen und fasten got zu dienste, und villat zu ne-
mende, und gehorsamkeit zu haltende, und zu predigen zu
gende und zd antlazen, und zu allen güten dingen sult
>r resche sin, als manige hohe heiligen, die daz himel-
rich habent beseßen, und die sich nit ließe» betrage» vil
maniger grozen arbeit, die sie vil willeclichen liden durch
die liebe unsers Herren; als der güte sant stephan, und
der heilige herre sant laurencius und sant qregorius und
sant margareta und sant iuliana, die warn nit trage zu
manigen grülichen pin und martel und unseliger und un-
menschlicher Marter. Nu hat ir martel ein ende, aber
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— 195 —
ir freude genimmet niemer ende. Psi! der snellekelt mohtc
ich nit gegen euch, daz ir als groz und grülich m?.rd
übet r als die heiligen marteler hie vor taten. Jch-en-
gerte nit mere, wanne daz ir alle tötliche fünde slühet
und midet. U lv swo ir daz über sehen habt, daz fält
ir frümeclichen büzzen und vll snelleclich mit warer ru-
wen und mit lüterre bihte fund mit büße^j, ie doch ttad)
gnaden gotcs und nach uwern staten. Und du fol" zu
deheinen dingen so snel sin, als zu büße. Wanne so ir
in büße sint, so sint ir in gotes fri^de^. Und also suis
ir der undugende wider sien, die heißet drakeit an got.s
dienste, als uch der almehtige got fragende werde an
dem iüngesien tage: habt ir mir den Hungenzen zessen
geben? da; er danne froliche sprechen müge: kumpt her,
min erwelten, in daz riche mines Vater, daz uch von
anegenge der welte bereit ist. — Die vierde untugent,
die heißet frazheit, uber/eßen und uber/trinken. Daz düt
uch grozen schaden an dem himelrich. Wanne da sint
vil manig tusent menschen verdampt an libe und an sele,
daz ir niemer mer rat wirt. Und da von spricht der
her salomon: propter crapulam multi perierunt. Durch
die frazheit sint vil verlorn. Und also ist manig tusent
verfarn, daz ir niemer mere rat werden kan, her esau
und der andern ein michel teil. Du sitzest und frißest und
drinkest einen kroph über den andern, daz sich bin ma-
ge clübet in viere; dar umb wirstu verdampt an der
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leie. i3) Und der vrazheit sült ir wider sten mit einer
tugende, die heißet maze. Der nresstg zu dem münde
ist, da; ist gar nütze zu dem ewigen leben; und also ist
manig heiliger mensche gewesen. Jjer mopses der i4) waz
vierzig tage ungeßen. Her hclyas waz auch virtzig tage
ungeßen. Der almchtige got waz auch virtzig tage un-
gaz, da er mensche uf ertrich waz und in der böse geist
versuchte und er sprach: gang hi», du böser sathanas.
Ja sol man alleine nit dez brotes leben; Loch sol man
dez gotcS Wortes leben. Da mit hat uns der-almchtige
got ertzeuget, da; die maze ein tügenL ist, die zu den
freuden wiset dez ewigen lebens, da ir cwiclich gespiset
stt von dem antlitze unsers Herren. Wann er also spri-
chet: kümet her zu mir, ich wil uch spisen. Und also
hat er den heilige» mopsen und den heiligen helyam ge-
spiset, daz er halt noch hüte in dem paradise lebet mit
libe und mit sele, und den heilige» lazarum, der do saz
under dez richen manncs türe und nit mere begcrte,
wann der brosemen, die von dem dische vieln; die gap
im leider nicnian. Und ist ir freude und ir spise nü verre
ungclicher, danne do. — So truwet maniger nit, daz er
iemcr genesen müge, daz er zu allen zyte» nit vol ist als
ein krapfe. Pfi fraz! truwest du nit, daz dich got mit
der rehte» maze ernere, als er mopsen tet, der i5) gar und
13) Hier eine Berufung des Sammlers auf die 27te Pr. der
Hds., wo dieser Gegenstand weiter ausgeführt wird.
14) Hds. „dar" >
15) Hds. „dm"
— l%f —
gar virzig tage alles für sich da ungeßen waz, und he-
lyas älsam. Du stirbest halt michels ec, banne ob du
messi'g werst zu dinem münde an worren und an wer-
ken. Daz ist aller tilgende beste, die die werkt ie gewan.
Manige tuscnt fünde kument von der Unmaße dez Mun-
des, von uber/eßen und von über trinken und von Un-
maßen der wort, die niemer geschehen. i6) Die fünfte
untügcnt, der ir auch wider sten sült, sie selbe siebende,
die hat manig tusent selc zur Helle braht, der niemer
mere rat Wirt, und heißet Hoffart. Von der selben un-
tugcnde wart her lützefcr von dem himel geworfen hin
abe an den grünt der Hellen, und manig tuscnt engele
mit im, die icmer mere tüfel müßen sin. Und die selbe
undugcnde lit an zwei» dingen. Daz eine ist: die iüngen
lüte die vallcnt da von in üppige Hoffart, durch itel er
und durch die freude, die sie dar an vinden wenent,
und dar umb daz sic wenent, ir friheit der lügende die
gelimpfc in bester baz. Dez enist niht. Ez ist dehein
versünnen hertze, wann ez im gedenke, wie ez ein Hoffart
volle braht habe, und ez dar nach in sin lütcr gewißende
sieht, ez schäm sich der Hoffart wider sich selben in sinem
hertzcn. So ist daz ander, da von auch die Hoffart an
den luten Wirt, daz ist: die alten und die richen lüte
vallent da von in Hoffart, daz sie gerne ere haben, ette-
liche durch ir kinde willen, etteliche, daz man sie bester
werder habe. Und also vallent die iüngen und die alten
se-
ih) nemlich, wenn die Unmaßigkeit nicht wäre.
in Hoffart. 17) Und der selben untugende sult ir wider
striten mit einer tugende, die heißet demütekeit, da ma-
nig heilige daz himclriche mit beseßcn hat, unser frauwe
und ander heiligen ein michel teil. Der almehtige got
hat uns die selben tugent an im selber erzeigt vollecli-
chen mit maniger grozzer demüt, die er bcgie, da er waz
mensche uff ertriche. „Ich bin ein worm und nit ein
mensche, und bin dez menschen hinwcrf" 18).— Ob ioch
dir halt ein gnade widervert von der gäbe unsers Her-
ren, die solt du an dir bergen und solt du dich ir nit
über haben von hvfferte; oder du mäht sie wol Verlie-
sen. Daz daz war fi, daz hat uns unser herre ertzeu-
get an dem heiligen Hern davide. Dem gab der almeh-
got gar vil richer gnade. Oer über hüb er sich
also, daz er zu einem miste sprach: ich Han als vil süße-
kcit an minem hertzen, die mir niemer benomen mag
werden. Und so zü hant da gedaht unser herre: nu we-
nct er, er habe di.se gnade von im selber; nu wil ich
m lazen sehen, waz er von im selber gehaben mag. Und
nam in, die gnade allesampt. Als er sich do verstünt,
her david, daz er also kalt waz worden an der liebe
gotes — wann als heiß er vor gewesen waz, als kalt
waz er nü da —; da sprach er: herre, du hast din
anrlitze von mir gckcrt; ich sehe wol, ich Han nit, wann
von dinen gnaden. Herre, ker din antlüAe zu mir und
17) Berufung auf die aste Pr. der Hds.
18) Ein psalmistischer Ausdruck für die Demuth Christi.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— XQ9 —
erbarme dich über mich. Und zuhaut, do er sich erkaute,
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erbarme dich über mich. Und zuhaut, do er sich erkante,
her david, vaz er sich riber-chaben hete gein gote und
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erbarme dich über mich. Und zuhant, do er sich erkante,
her david, daz er sich »betreiben hete gein gote und
sich also versprochen hette, da gab im unser herre sine
gnade wider. Er lerle auch sine iüngern, unser herre,
do er sprach: so ir da; beste getunt, daz ir iemer getün
mügent, so sült ir 19) dannoch sprechen; wir sin unnütze
knehte. Und do mit lcrte sie got, swie gar gut sie wer»,
oder swie heilig sie wer», daz sie daz sotten mit demüte
tragen. Und dar umb sült ir die tügent liep Han, die
da heißet demütikeit. Die aber demütig und gut sint,
die werdend beßer; die da heilig sint, die werdend heili-
ger. — Die sehste untügent, die sol alle die werlt flie-
hen, als spricht der gute sant Paulus; fliehend die un-
kusche, oder ir verliesent daz erbeteil unsers Herren ihesu
cristi. Wanne sie heißet aller untügende groste, und sie
hat auch der almehtige got sit anegenge der werlte grü-
licher gerochen, 20) danne deheine sünde. Daz liefet
man gar vil in der heiligen schrift, wie manig tüsent
feie umb die selben fünde sint verdampt sit anegenge
der werlte. Der selben untugende ist alse vil werden, 0
daz man druffe niht ahten wil, und daz der gar^ lützel
ist, die sich ir schämen wollen. Und der selben Untu-
gend sült ir wider sten mit einer dugent, die heißet kü-
sche, und ist auch der edelsten lugenden eine, sie selb sie-
bende, die die werkt ie gewan, sit got die werlt geschüf.
19) Hds- „die"
20) Hds. „grulichkn gcrocher"
2oa
oder iemer me gewinnen mag. Und sie habent auch den
hohsten lon, der in dem himel ist, die die reinkcit ir ku-
sche behaltcnt. O wol dich nu wart, da; dich din mü-
ter ie getrüg an diese werkt, wo du nu sitzest vor minen
äugen, alle, die ir reinikeit behalten hant, die sie von ir
mutcr libe brahten, und also iemer- willen hant zu bli-
ben untze an im tot! Ir elüte 21), ir mogent auch der
unkusche wider sien. Uwer leben heißet nit unküsche in
der heiligen e, wanne ir uwer zuht behaltcnt und uwer
rnazze. Ez heißet daz unküsche, daz die nescher und die
nescherin naschent von einem zu dem andern, als daz
vü;c. Ez sin ledig oder elüte, oder geistlich oder «welt-
liche, alle, die unküsche dünt zur une, die sint mit der
untügcnde gebündcn, die da heißet unküsche; die werdent
alle'ampt verdampt zu der ewigen martcl und müßcnt
als lange da brennen, als lange als got ein hcrre in
himclrich ist. Büße und bihtc nimpt man alle zit uz.—
Der siebenden untugende, der ir wider sien fült, da be-
schirme uns der almehtige got sür. Wann diz ist der
aller wirsten und schedelichstcn funden und «ntugcnde-
eine, die die werkt ie gewan oder iemer mer gewinnen
niag. Etteliche untügent die ist an einem dinge schcdc-
lich, und etteliche an zwei». Als haz und nyt, der den
eht treit, der hat drier Hände schaden. Daz ein, da; er
den menschen verderbt an gütem gcmüte, daz er gcin gdt
und gein der werkte haben feite; wann in ißet der haz
2i) Hds. „tüte".
— 201
in hem hertzen, als her rost hüt yscii. Daz anher, haj
er den menschen verdammet an der sele; wann ez der
funden eine ist, do mit man verdampt wirt. Daz drite,
daz er een menschen oft in groze fünde wirft. Wann
du haz und nyt trogest; getust du dem selben menschen
iemer dehein seit, noch anders dehein ungemach, wann
daz du haz und nit gegen im tregest, dar umb bist du
verdampt vor got. Büße ist alle zit uz genommen. Da
von sprich ich daz: ob dich haz und nyt niht fliehe» wil,
du wollest alle zyt haz und nyt gein dinem eben cristen
tragen; do bringet er dich in grozer fünde, daz ist, daz
mau oft und dicke den haz und den »yt ertzeuget mit
bösem dingen, daz du im einen schaden düst, dem du
gehaz bist und vint. Dem dust du oste grozen schaden
an dem libe oder an dem güte oder an den eren. So
hast» aber grbzer fünde, dann ob du den haz nit 22)
ertzeügtest. Und also liegent drier Hände schaden an
uide und an hazze, a» der untugende. — So hat die un-
tugent drier Hände schaden, die da heißet zorn. Daz ein
ist, daz er den lip verderbt; etreliche werdent vergshtig
vor Zorne, etteliche an der siht. 23) Daz ander, daz
dir die tüte gehaz und viat werden. Den du meiner
dehein seit getüst, die werdend dir vint und gehaz, die an
dir sehent oder von dir horent sagen. „Wech! sprichet
22) Hds. „nyt"
23) viell. „anders iht" werden sonst etwas — tragen sonst etwas
am Körper davon.
jeglicher, ist daz der ungezogen und der ungewißen und
der so unbescheiden?" Oder ist cz ein wip, man spricht
daz selbe von ir. Der brise schade und der groste, daz
dir gor selber vint Wirt und alles himclisch her. — Die
untugende, die da heisset drakeit an gotes dinste, die hat
so mairigcr lcyge schaden, daz cz nicman mag verenden;
wann cz ist auch der schedclichcstcn funden eine, die die
wcrlt ic gcwan oder immer mcre gewinnen mag. Wann
alles, daz wir gepredigen können oder mögen, daz gct
die ui; tag ende an, die da heißet trakeit an gotes dicnste.
Wann alle, die da snel ssn an gotes dienste, die hüten
sich vor allen heubt fünden. Nu sehr, aller der dienst,
den du got mäht getün, daz ist im alles zu nihte, ob
du dich vor dotlichcn stmden nit hüten wilt. Werst du
eht nit trcge an gotes dienste, du gewönnest niemer haz
noch nyr noch dchein ander untugende. — So hat die
untügcnde, die da heißet sraßheit, zweigcr ley schaden an
dem übe, daz cz dir der liebsten dinge zwei nimmet, die
an dinem libe sint, daz ist gesuntheit und lang leben.
So niminet ez dir ere und güt und gotes hülde. — So
lit an der Hoffart und an der unküsche und gitikeit —
die habcnt 24) vil nahen glichen schaden, als sant iohan-
ne,s do speichet: alse alle die werlt mit einem füre cn-
zundct wirt, also cntzundcnt diese drie fünden alle die
24) Ein Hlnakoluthon, stakt: So habent Hoffart und unküsche
und gitikeit vil nahen u. s. f.
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— 2o3 —
werkt mit fünden 25), und alle fünde habent sich an diese
dri. Und dannoch so hat die siebende untügent maniger
leige schaden, daiine die andern allcsampt. Und swie
maniger leyge schaden die selbe untügent habe, die da
heißet gitikeit, daz findet man in den« sennone von den
drin lagen; 26) und wie maniger leyge gilikeit sic, 27)
die sol man alle hie rügen, Wucherer, fürkeuffer, dinges-
geber, undrüwe an keuffe, untruwe an hantwerke, rau-
ben und sieln, daz heizet allesampt gitikeit, wie man un-
rcht gut gewinnet, daz isi alles gitikeit. Aber einer leige
gitikeit, da Hut sich alle diese werkt für, daz ir arbeiten-
den tüten iht ab nement irs gcarnten lones. Wann
die sint in der ruffenden funden, die in daz Ion vor be-
hüben. Nu habent symeliche liste fünden, ob got wil
nit alle, daz sie den arbeitenden lasen eht mit listen und
mit untruwcn ir arbeit ab nement. Und ir went dez
gar sicher sin, so hat uch der tüfel sine stricke so mani-
ger lcye geleit, daz sich nieman da vor behüten kan. Und
da mit hat uch der tufel nüwe stricke geleit, daz ir den
arbeitenden lüten mit ungetrüwen listen ir hart crarnte
arbeit an gewinnet und ir lon. Ez get ein arme wol-
lenspinnerin zu, und bit dick, daz du ir einigen schilling
föderal Heller iihest, untz sie in umb dich verdiene, und giht,
sie wolle ir ettcwaz kauffen, ein hemede oder ein rbkeli»,
s5) Wol Beziehung auf Zac. 3, 5. 6.
26) nie 3tc der Hds.
27) b. „ft"
%
V
£
— 2ü4 —
und eht waz ez ist, da; cz kaufen wil. So sprächest du:
ich enhan nit Pfennige, und gibst im daz selbe, waz ez
dann ist; und daz einz 28) schillingcs wert ist, daz
gibst du im umb zwene Schillinge; cz si lynin buch oder
fleisch oder körn oder waz cz banne ist, daz gibst du im
umb zwei gelt; oder wiltu im gar wol tun, fo gibst du
ez im umb ander Halbs gelt, oder du übest im der Pfen-
nige, daz e; gewinnes niemer enbißet. Du lihst im- ze-
hen phennige; da müz ez dir zweintziger wert drümb ar-
beiten oder dienen; ez si an spinnen oder an wingarten
arbeiten, oder an dinen hopfgarten, oder swaz man dir
anders arbeitet, so setzest du dinen sinn, wie du ez be-
triegest, und wie du im sin arbeit ungetrüwelich an ge-
winnest. So zuhant^ so bist du in der rüffenden funden,
die über diu lip und über dine sele ruffet tag und naht
vor got. Ja bistu im schuldig vor got umbc sus zu li-
hen, swanne du sin state hast, und solt niht armen lüten
ir armüt also an gewinnen. Wanne die gitikeit ist die
siebende untügcnt, und die schedelichste aller untugende;
und do von wirt manig tusent sele von der selben fünde
verlorn, daz ir niemer nie gcdaht Wirt zu güte. Und
der selben untugende sult ir uch flißeclichen wem mit ei-
ner duzende, die heißet miltekeit, daz ir uch sollet erbar-
men über die notdorftigen armen. Miltekeit ist der aller
grosten lügende eine, die die werlt ie gcwan. Ir sult
milte sin mit willen und mit werken. Die nit zu geben
28) eine ungewöhnliche Schreibung wie früher im; statt ims.
haben mit der hant, die geben mit dem güten willen.
Und lat uch erbarmen die hungerigcn und die durstigen,
und die nakten und die eilenden und die in dem kerker
liegent. Und den still ir auch hin helfen mit geben und
auch mit lihen, die uch helfen arbeiten, ez sin uwcr ehal-
tcn oder tagewürhten, oder siver sint, die uch dienen
oder würken. Aber einer Hände miltekeit der sult ir uch
an nemen; die ist got aller milte liebeste, alle die niilte-
keit, die got ie gewan oder iemer nier gewinnen mag.
Daz ist gelten und wider geben, als vcrre als du ez gc-
lcisten »iaht, und auch du die lute weist. Da; ist gotte
lieber, banne 29) du alle tage ein spital wehtest. Und
wer die selbe tilgende nit enhat, der gesteht die freude
niemer, die der gute herre sant michel hat in himclrich
und ander cngcl, der hochgezyt man Hute beget über alle
die heilige» cristenheit. Und hette er alle die tugent, die
die wcrlt ie gewan, die gevallcnt got zu nihtc, er habe
banne die dugent, daz er gelte und wider gebe. Ir an-
dern sünder, swo ir uch an diesen sieben Untugenden über
sehen habt wider gotcs willen und wider »wer sele, so
gewinnet waren [rutucn], und wider stet in fürbaz iemer
incre, und minnct diese lügende allcsampt der 3o) sieben
untz an üwern tot. Wanne dem almchtigen got ist die
dugent liep vor allen den dingen, die got ie geschuff;
wann menschen stner freude» teilhaftig sint von dugen-
2g) Hier könnte „ob" ausgefallen sein.
3o) vielt, „die"
— üu6*
den. Und da; da; war ft, da; got dugent liep si, daz be-
sieht nran an deni iüngesien tage wol. So nit mer tu-
gcnthafter lute 6i) uff erden ist, so birt die erde niemer
nit weder Win noch körn, noch dürre noch grüne uitd
noch deheinre slahte dinq. Und da mit bewarn wir daz:
sivaz alle die werkt selben hat, die haben wir allesampt
von tugcnthastcn luten. Wanne so ir nit mer uf ertrich
ist, der dugenthasten lüte, so gebirt die erde niemer mere
dehcin güt. — Daz wir nu den sieben Untugenden wi-
der sien mit den sieben tugenden, daz ez got lobelich ff
und uns nützlich an der sele, und daz uns der gute hcrre
sant michel wegende werde jrblich und frolichen enps.n-
gen werde mit der schar der heiligen enge!, der hochge-
zyt man Hute bcget, und daz wir da nach befesient wer-
den mit der craft dez alinehtige» gotes, daz wir hiniel-
rich niemer verliefen ntogcn, als die heiligen cngele, daz
vcrlihe uns allensampt der vater und der sun und der
heilige gcist und min frauwe sant maria und alle die en-
gel, der hochgczyt wir hüte begen, und alles himelsch her.
Sprechet alle: Amen! mit innerlichem andehtigem hertzen!
Phi dich gitigcr! wie erklinget din Amen vor gotes orn
als dez Hundes bellen!
3i) Hds. „untugenthafter"
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
t-S.
I
5) Vcrslichuugen und Gefahren im Christenlaufe, gte Pr. (Zte)
Don den drin lagen.
nser feie sink cnbunden von dem stricke der iagendc^
als der spar uz dem ncze. Also liefet man hüte in der
heiligen messe von den heiligen mertelern, die sich durch
die liebe unsers Herren ließen martcln, daz sie die ewigen
freudcn besetzen. Und hat ir martel nu ein ende, aber
ir freude gewinnet niemer mcr kein ende. Und da von
singcnt sie nu mit freuden: unser sele sint enbundcn
n. s. f. Wann die wile, da sie in dieser werkte waren,
da musten sie sorge haben, daz sie iht strüchtcn in die
stricke der jagenden. Die iagenden, daz sint die tüfel.
Tie heißent wol iager; wann sie iagent wol manig tu-
sent sele, daz ir niemer rat Wirt; und habent dar. uf
alle ir liste gerihtet, wie sie den menschen verleiten, daz
er die freude verwirke, die sie verlorn haben. Und sie
wollen ^alte bester gerner grozer martel üben, daz der
mensche mit in der freuden ane were, und die selben mar
SV
&
i
ID
1
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340
li;
S -!
iel müste i) liden, die sic da liden müßen. Und dar umb
so habcnt sie uns ir stricke an so manigen enden geleit,
daz sich lützel icnian dar vor behüten kan. Sic legent
stricke unsern äugen, unsern süßen und unsern henden,
unsern fünf sin, unsern Worten, unser» werken. Sie le-
gcnt stricke an die straze, an die uzfart und an die iir-
vart, unserm eßcn, unserm trinken, unserm slafen, un-
'C serm wachen. Wanne sic habent anders niht zu schaf-
fen. Sie sorgent weder ümb spise, noch umb gewant,
noch umb himelrich, noch umb niht, dann wie sie den men-
schen verleiten. Sie legent uns stricke und läge. Wann
ir stricke und tage vil sint, daz sich nieman mit der zal
dar uz verrihten mag, so wil ich uch doch etteliche sa-
gen; wann ir ist mer dann staubeö in der sunnen: und
da von wil ich uch von ir läge sagen. Drie läge,
die uns die tüfel 2) haut gelegct, daz sint die gemein-
sten und die schcdelichesten, do sie der wcrlte aller meiste
mit vahent. Und da von Han ich willen zu sprechen.
Bident alle unsern Herren got u. s. w. — Unser feie
sint cnbunden uz dem stricke der iagenden, als der spar
uz dem netze. Also 3) liefet man hüte von den marte-
lern, daz sie von der werkte stricke got selber hat erlöset.
Wann sie sich da vor gerne behüten mit maniger gro-
zen arbeit und niit manigcm grozen wider striten und
1) Hds „mästen"
2) Hds. „läge"
3) Hds. „also sie"
ff
S -!
mit maniger grozen anevehtunge, die sie heteii von den
stricken de; tusels, und haut in allen an gesiget, biz daz
ir scle »n ist cnbünden; und ir Marter hat nu ein ende»
Und den Worten daz ir auch enbünden werdet von allen
den stricken und von allen den lagen, die sie uns mitirn
listen haut geleit und alle tage legent — alle ir stricke
und ir läge sint schedclich, aber diese drie läge si'nt die
aller schedelichesten, die sie unhcr allen irn lagen habcnt.
Swie sie uns aber die selben dri läge legent, daz hat
uns got erzeugt in der alten c. Da. waz ein stat, hsM
gaba, die Hede unmazen groze vintschaft; und ir vinde
leiten in drie lage^ heimlich; wann sie warn in hcßeli-
chen vint. Und also legent uns die tüfel drie läge
heimelichen. Wann wir sehen ir niergent keinen, und
Horen auch ir keinen. Daz ist auch der schade, der uns
dar an wirret aller meist. Und die selben drie läge le-
gent sie uns iegliche zwifalt. — Die erste läge legent sie
uns, so wir in die werlt varn; die andern, so wir durch
die werlt varn; die driten läge, so wir uz der werkte
varn. Die erste läge, so wir in die werlt varn, legent
sie dann an zwein enden: die ersten vor der gebürt, die
andern nach der kinde gebürt. Als daz kint lebende wirk
in siner muter libe, so gußet im der enge! die scle in,
der alniehtige got gußet dem kinde die sele^mit 4) dem
enge! in. Und als ez nür als lange gelebt, als ein hant
mag umb gekert werden, so müz ez ümmer und iemer lc-
4) Bezeichnung de§ Werkzeugs.
l4
210
ben, als lange als got lebt, und mag niemer ersterben
an der sele. Stirbet ez aber so zu hant, für daz im
die sele ingegozzen wirk an dem fleische, so muz die sele
doch iemer an' ende leben. Und als daz kint in der
mdter libe lebende wirk und die sele enpheht, so ist der
Insel so Zu hant iemer da mit siner läge, wie er daz
erwende, daz ez an die werkt iemer küme leben, daz ez
daz minneeliche antlütze unsers Herren iemer gesehcnde
werde, daz sie da verwörht hant. Und sie legent alle ir
liste, wie sie geschaffen und gefügen, daz ez iht lebende
an die werlt küme. Sie fügent, daz der wirt zornig
Wirt, und die husfrauwe ettewanne sicht biz an die zyt,
daz daz kindelin sin leben verlüset. Wann alles, daz
•44$\ getauft wirt, düz mag in daz himelrich niht küme».
Und dar umb legent sie uns die läge, so wir in die werlt
varn, daz wir den tauff iht enphahen. Wann sie wißent
daz wol, wann daz kint den tauff enpheht, daz im dann der hi-
mcl offen stet. Wattn swenne ez dann stürbe, so für ez gcin
himelriche. Dar umb schuffen sie gern, daz ez zür werkte iht
küme lebende. Sie sturnt die frauwen, daz sie mit cttewem
ringen, oder springen, oder zu balde lauffcn, oder he-
ben, oder tragen. Und dar umb snlt ir uch iemer bester
baz hüten beide sräuwen Und man, daz ir dem kinde die
groze freude iht verwirkent oder verliefet mit keiner un-
tzuht oder mit dckeittek ungeberde, weder in schimpf noch
in ernst. Sie schüsifent gar in manige wise wie sie zu
bringen, daz ir schüldig werdet an uwern kinde», und in
groze fünde vallet, also daz ik iemer müßet iamerig sin
211
an uiverm hertzen, und da; dez lindes sele iemcr dez hi-
mclriches erwendet si. Da von sult ir uch hüten für
tantzen und schimpfen und vor ernfte, da; ir iht schul-
dig werdet an uwern linden an ir sele und an ir libe. —
Ist aber daz daz link geborn Wirt sunder irn dang, so
schupfcnt ste iemer mere, wie ez ane den tauff blibe, und
ungetauft sterbe, fit sie dez nit gefugen mohten, daz die
frauwe gestoßen würde, die wile sie daz kindelin drug,
oder daz sie nit wart gedrungen zu kirchen oder zu markte,
oder da; sie gcvallen werc oder gestupfet. Und da sült
ir uch allesampt wol behüten, ir frauwen, für daz ir
swanger worden sit; und so ez ie «eher umb die ge-
bürt si, so ir uch ie baz hüten sult. Und so da; kint
geborn si, so sult irs nit lange uf schieben; ir sult ez
heißen teufen, ob ez zu Priesters Handen komen mag.
Geschiht aber, daz ez zu Priesters Handen nit komen mag,
so sol ez ein kneht oder ein diene, frauwe oder man, die
die wort künnent, als sie in dem sermone stent von den
sieben sacramenten. 5) Die rede gehört da her in, wie
man ez geteuft,, sol, und waz schaden daz kint enpftht,
daz ungetauft blibet, oder daz nit getauft Wirt. Wann
in ist nit we, sie durstet nit, sie hungert nit, sie früset
nit, noch sie vorhtent den tüftl nit. Ir Marter heißet
die marter dez schaden. Wann sie gotes antljtze niemer
mer gesehen. Und dar umb leren die tüftl alle irn fliz
5) Die rote Pr. in der Hds. Hier ist es schwierig zu bestim-
men, wo die Berufungsworte des Sammlers aufhören.
14*
— 212
und ir liste dar an, wie sie im die freude erwenden, do
mit daz man ez uff schiebe bi; zu der tauffe; 6) alles,
ob ez die muter die wile it erdrücke oder erlige, so sie
ez seügen wil über naht oder in der naht, oder ein an-
der amme, die sin pflegen sol, oder in ein füwer »alle
oder in ein wazzer und ertrinke, oder suö gehelich ersterbe,
oder wie ez ersterbe an' tauff. Sic schöpfen ettewann,
daz man beite, biz ein gevater kume, der daz kint heben
sol. Ez wollent etteliche zwelf gevarern haben zu einem
kinde, ettelich nune, etteliche sieben, ettelich fmife. An
eim hast» gar gnüg, an zwei» gar vil, an drin gar und
gar zevil. Ir Herren und ir frauwen, ir düt uch dicke
grozen schaden, daz ir so vil gevatern habt und gewin-
net. So ir vil gevatern habet, und so ir uch dann ge-
frunden sult mit uwcrnr kinde, so mag ez ein gevater-
schaft irren, daz ez uch ümmer schvdet an uwerm kinde;
und künnet ez halt niemer so wol bestattn, als ir hie
getan hetent, und mußent ez «twanne verre von uch
geben in em ander gegene oder in ein ander laut, alles
von gevaterschaft. Do von sult ir nit vil gevatern ne-
men. An eim gevatern ist sin gar gnug zu eim kinde,
als ich ietzunt sprach, aber an zwein zu vil, aber an
drin ist ir «in groze ubermaze. Und daz ratent die tüftl mit
gantzem fliße, daz man ez «f schiebe, biz daz nün aeva-
tern darzu konien. Engelram lind bürkart, so sol ez ia
nach im heißen. So wil man ez uff schieben, biz da;
6) Oer Ausdruck ist seltsam. Der Sinn muß sein: daß mau
die Tauf« aufschiebe.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 2IÄ —
man im eine« westcr Hut geniacht, der gar wehe si.-
Gkeube mir, in der wile mohte ein schade geschehen, daz
du un daz minnccliche antlütze unsers Herr« vcrlürcst,
da; ez die freude und die cre, die got selber ist, niemer
beschaüwcte; und du dcz iemer iauierig wüstes sin. Nu
seht ir und hört daz wol: swenn ein Priester ein kint teu-
fen wil, so stet er und liefet und liefet, und bcswcrt und
bcswert, und scqcnt und scaent und seaent. Und daz ist
allesampt nihts, wann 7) er den taust segent, und den
tüftl beswert, daz er den taust iht irre nur die einigen
wile, biz er dar zu küme, daz man ez zu haut tauffen
sol. Nu seht, wez ir uch dröstct, daz ir ein wochen den
taust uff schiebt. Wie mauigen enden mag er uch nu
geirren in einer wochen oder in zwein oder in vier« oder
in zehen! Nu seht, ob ir im dcz volgen wollet, dem
tüfel, daz ir an uwerms künde schüldig werden wol-
let, swenne der Priester vil gesegent den taust vsr
dem tüfel, alles, daz er den tanff iht irre, und be-
swcrt in mit mauigen starken Worten, den tüfel, daz
er daz kint iht irre, e ez werde getauft.-^- Ist aber
daz ez getauft wirt, so legent sie im so zu haut die
andern läge. Und als ez gende wirt und redende, so sint
sie banne gar unmüßig da mit, daz sie im immer mer
ratent und schüpfent dar zu, daz ez böse Worte lerne
und schalkhafte wort spreche und schelte und fluche, und
schüpfent vater und mutcr auch dar, daz sie im ez nit
7) Und das alles hat keine andere Bedeutung als die: er seg-
ne: und beschwört, daß u. s. f.
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214
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wcrn und cntwenen, da; sie ez schelten und sweren lern,
und daz in gar wol da mit ist, und sin raste lachen, und
ir gauckel ist, „Nu stach den und schilt den!" und gist
im ein holtz in die hant, und lerst ez, daz übel si, und
daz ez übel tu. Daz ratent im durch 8) uch die unseli-
gen tufel. Nu sehent, wie gar bezyte sie anhebent mit
irn stricken und mit irn lagen, für daz ein kint dez aller
ersten leben und sel enphchet. So setzent sic im nü läge
und legent im stricke, und erzeugent ir verdampnisse, daz
sie uns dez himelrichcS vergünnen. Und da von sült ir
uch iemer baz Huten vor irn stricken und vor irn lagen.
Wann da bi mögt ir wol kiesen, daz sie uns hertzekli-
chen vint-sint und alle ir liste dar an kern, wie sie unS
dez hinielriches erwcnden, daz sie verlorn hant. Und dar
umb legent sie läge dem kinde, e ez geborn wirt. So
ez geborn wirt, so legent sie im läge, die unseligen tufcl,
und werfcnt einen uz, daz er von dem kinde niemer kü-
me, und im alle Wege böse ding rate. Und der entwicht
im auch niemer me biz an sinen tot. So sendet der al-
mehtige got sinen engel auch dar, der sin hüten sol.
Wann er uns harte hat erarnet und auch uns hat ge-
schaffen und nach im selber gebildet, so lat er uns dez
genießen, und git eim jeglichen menschen einen engel zu
hüte. Wann der tufel breche im abe den hals, wann
ez die fünde getete, als er tet den sieben mannen, von
den man liefet in Thobia. Und do von ist uch unnot,
daz ir uwer kint swern und schelten lert, und uch daz
8) Hds. „die"
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zu einte spil nemet, und lernt cj Ältlichen nennen, waz
frauwen und man habent, und lernt ez sprechen, daz
frauwen und man tün mit einander. Wer dann frower,
dann der tüfel, wan ers dar zu bringt, daz ir uwer
kint so getan bvsheit lert und schalkeit. „Wie, brüder
bertholt! nu ist ez doch ein reines kint, und weiz weder
groz noch klein umb so getane ding, und weiz nit, ob ez
übel oder güt ist. Wie mohke der dufel dann alö fro
gesin da von?" Siech, daz weiz er gar wol und vil baz
dann du; und da von kunnent sie vil liste und schalkeit;
und dez du wenest, daz er niht dar uff ahte, da mit hat
er dich gevangen und bin kint, daz ez vil verre an got
sie» muz, ob du dich iemer mer von im enbinden mäht.
Und do von singet man von den mertelern: unser sele sint
enbunden, als der h)ar von dem stricke der jagenden. —
Und da von sint sie gar fro, daz ir uwer kint so gar zit-
lichen lernt so getane ding. Daz sult ir alle merken und
behaltet ez biz an uwern dot. Wann sie habent manig
tusent sele mit dem selben stricke gevangen und mit der
läge, so wir in die werlt varn, daz ir niemer rat Wirt.
Und dar umb sint die tufel vil fro, daz ir uwer kint so
gezyte bosheit lert beide sprechen und auch tün. Swaz
mit dem ersten in den nüwen haven kümpt, da smacket
er iemer gerne nach. Und da von, wer von erste daz
nkwe kint gute dinge lert, da dut ez iemer gerne nach;
und wer ez böse dinge lert, da dut ez iemer gerne nach.
Wann ir frauwen nempt sin war, so ir nuwe Heven
kaufet, so beseht irs wol, ob ez war ist. Wann ze gli-
cher wis ist ez umb die kint. Swez man die kint de;
ersten wenet, dem habent sie iemer mcr hant an. Lcrt
man ez von ersten zuht und tugent und gewißenheit, so
habt ez iemer mer hant an. Lert man ez aber leckerie
und schalkeit, ez niuz iemer mer sin ein lecker und ein
schalk. Und dar umb git man der hohen Herren linder
zuhtmeister, die alle zit bi in sint und sie zü allen ziten
zuht lerent; und den iurgfrauwen ein zuhtmeisterin, die
sie alle zyt zuht und tugent lert. Wann dez Herren und
frauwen wol bedorfent, so lert man sie zitlich zuht und
cre, daz sie sin in gewvnheit komen. Wanne swez daz
kint gewont, daz selbe im nach dont. Daz ist ein alt
gesprochen wort, und ist auch war. So habt ir armen
lute uwern linden niht zuhtmeister, als hohe Herren und
franwen irn linden. Und da von sult ir uwer kint sel-
ber ziehen. Wann uch und uwern linden dez himelri-
ches als not ist, so sult ir uwer linder selber ziehen.
Wann sin in nieman so wol schuldig ist, als ir. Wann
für die zit, als ez eht böse wort spricht, so sult ir ein
.kleines rutelin nemen bi uch, daz alle zit ob uch stecke
in dem bietn oder in der want; und als ez ein untzuht
oder ein böses wort sprichet, so sult ir im ein smitzelin
dün an bloze hüt. Ir sült ez aber an bloz heubt niht
slahen mit der hant; wann ir mohtet ez wol zü einem
torn machen. Nür ein^kleines riselm, daz vorhtet ez und
Wirt wol gezogen. Tüt ir dez nit, so mügt ir leiden
blig an im werden sehen. Und swo sic ungeraten wer-
den von uwern schulden, daz irs von linde nit lert zuht
und dugent und ez zieht gein gote und der werkte; so
mußet ir an dem iüngesten tage antworten für uwer ei-
gen kinder, als ein probest und ein apt vor sine same-
nünge, und ein ieglich clostermeister vor sine samcnünge.
Die aber ir kint unzuht lerent, die müßent aber hoher
antworten für gote. Ich wil geswigen, daz du bin kint
nit untzuht lcrest und boft wort; du bist halt dez schül-
dig, daz du cz im wcrn solt; und dust du ez, so wirst
du doch an siner sele schüldig und auch an si'nem libe.
Wann du zuhest ez ettewanne nach frazheit, daz ein diep,
oder ein fluch, oder ein Sprecher dar uz Wirt, dar umb
er den lip verlüset und die sele dar zu. Dar an bist
du schuldig. Wann mauige lute truwent, daz die kint
niemer gnug gewinnent, und füllent in« allen tag in.
Gleube mir, im were vil baz an der rehten mazzc, an
gesuntheit de; libcs und an lang lebens. Bringest du
din kint in die gewonheit der rehten mazze, ez ist iemer
bester meßigcr an ezzen und an drinkcn. Swaz eht dez
ersten in den haven kdmet, da smakt er iemer me gerne
nach. Da von sult ir uwer kint uff güte ding wisen;
wann gewonheit ist ettewanne richer dann die nature.
Alse ein kint mit dem ersten lernt steln, daz ez eim an-
dern kinde ettewaz nimpt oder stielt- so zehant slahes
mit eime rise drumbe; und solt ez nit erlan, ez muz ez
an die selben stak hin wider tragen. So kanst du im
ez rNit uiht als gar erleiden, daz ez zückens und stelns
it gewone und unküsche wort; wann da von kümpt ez
gar zitlich a» die werk. Man seit mir vor war, daz
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
0V
ctit dirnlin von aht iam mit eim hin weg ginge. Da
von sült ir sie slahen, wanne sie ihsit schalklich von so
getanen dingen reden und sult sie von ein ander legen,
die knehteli» und die dirnlin; wann sie sin gar gezite
schalkew pol; dar zu sink auch die tüfel flißig, daz sie
uns gezite leiten zu den funden. „Bruder B., wie alt
sdlte ein kint sin, e ez heubtsünde muge getun?" Gleube
mir, dez kan ich dir nit wol gesagen, wann dar nach
als ez schalkaft ist. Ez ist ettewanne eins von ahte
iarn schalkafter, dan ein anders von zwelf iarn. Da
von kan ich de; nit wißen, wann dar nach als ez witze
hat. Und da von, jr Herschaft allcsampt, durch den al-
mehtigen got, so zieht uwer kint, daz ir iht schülhig wer-
det an ir libe und an ir scle. „£> we, brüder 23.ia
zuge ich min kint vil gerne; so wil ez mir nit volgen.
Ich Han alles daz versucht, daz ich künde oder mohte,
und kundes nie geziehen." Siech, du hist vor got und
vor der wcrlte unschuldig 9) an siner Missetat; wann
du daz feine getust, so bist du unschuldig. Der wise und
der starke adam, der hete zweite stme; der eine waz wol
gezogen, den andern künde er nie geziehen. Her noe
Hede dri sune; der waz einer wol geraten, die andern
künder nie geziehen. Her adam waz als wise, daz er
allen dingen namen gap, und ij/i half alle sine wisheit
nit; sin stm wurde ein mprder. Her noe, dich half alle
din heilikeit nit; din sun wurde ein später. Her abra-
hmn, dich half alle din wisheit nit, din sun würde unge-
9) Hds. „schuldig"
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raten. Da; selbe sprich ich zu Hern ysaac dem wisen
manne, daz sin sun wart ein fraz. Her david, dich half
nit bin wisheit, diner kinde wurde eins ungeraten, also
daz du vor ettelichem kume dinen lip behilte. — Und
do von bist du unschuldig, -vb dir bin kint nit volgcn
wil, ez si sun oder dohter. Will du sie aber »it ziehen
vor liebe oder vor zartheit oder vor drackeit oder vor
uneudehasteni müte: so wirst du schuldig an dincm kinde
an siner Missetat, und müst gvt da von antworten, als
ein klostermeister von siner samcnunge. — Und also le-
gen uns die tufel die ersten läge zwifalt. Pfi! ir unse-
ligen tufel, wie gezite ir an hebt mit uwer verfluchten
läge, so wir de; ersten in die werlt varn! Und da von
ist uns not, daz wir uns flißeclichen hüten. — In der
andern läge, daz ist, so wir durch die werlt varn, daz ist,
so wir zu unsern tagen konicn, so varn wir mit unserm
leben durch die werlt, und haben da; leben erkennet,
aller erste, wie wir gein got und gein der werlte leben
suln. Als der durch einen walt vert, der vindet von
ersten kleine studen, und dar nach vindet er aber baz ge-
wahsen bäume; und also wirt der walt ie baz und ie
baz zu nemende, biz er in den rehten walt kümet; da
stent dann nuwer einvaltige gryze baüme, und dar un-
der vert er dann, bl) er durch den walt kümet und ien-
sit wider uz vert. U»d also legent uns auch die vinde
ein ander läge, do man in den walt vert, und dan mit-
ten in dem walde, und do man wider uz dem walde
vert. Also stet ez umb die welk. Die wile wir zu un?
1 I
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fern tagen nit kümen sin, so sin wir die kleinen siudelin
und wahse» von tage zu tage, biz wir zu unsern tagen
komen. So varcn wir dan ie mer und mer durch die
werlt, die wile wir leben. Und da legen uns die unseli-
gen tufel aber zwo läge. Daz ist unrehte vorhte und
unrchte liebe. Da vahen die unseligen dufcl vil nah
alle die werlt mit; wann ir lützel ist, die entrennent.
Und daz daz war si, daz in gar lützel lute entrennen,
den duseln, sie vahen sie mit diesen zwein lagen, mit
vorhte und mit unrehter liebe, daz hat uns got ertzeugt
in der alten e. Wann waz uns endehafter dinge künf-
tig waz an unserm lebe» in der nüwen e, daz hat uns
got allesampt ertzeiget in der alten e an der lüte leben.
Ez waz ein fürste in der alten e, und der pstag dez
israhelischen Volkes, und hiez her gedeon. Mit. dem ur-
lügtcn die Heiden, die hiezzen die phylistei; die hctcn einen
künig, der hiez her madian. l«) Und der Heiden waz so vil,
daz sie daz lant fülten, und ir nieman kein ahte wiste,
hundert tüscnt und funfe und drissig stunt tusent. u)
Her gedeon und sin Volk stützen abe wege, wann ir gar
lützel waz gein den Heiden. Und her gedeon verslof sich
selber abe wege, der der iuden hcrtzoge waz. Und unser
herrc gestünt eht ie den sinen gerne, und quam für daz
hol, do her gedeon inne waz und rieff im und sprach
also: Pfi! wie hast du dich verflossen. Gang her für
10) eine sonderbare Angabe, s. Richter 6 u. 7.
11) Richter 8, 10,^
1 mfwl
CcUt. H4--
rr\a)\{A_r\ej,
r C|JV ale'f einst c^tmeAV^' ?
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und seltnen bin Volk und bin lüfe allesampt, und var zu
Velde und strit mit den Heiden! „O we herre! Nü ist ir
gar zu vil." Enrüche, ich wil mit dir sin; und volge
miner lere, so gesigest du in an. Her gedeon besament
sin lute allesamcnt; do het er zwei und drissig tüsent.
Da sprach er zu unserm Herren: „ir ist noch gar zu
lützel." Da sprach unser herre: nein, ir ist halt gar
und gar zu vil. Da sprach her gcdeon: wie sol ich banne
dün, herre? Da sprach er: heiz einen rüfer ns sten, und
heiz in da; her rueftn, alle die ein zagehaft hertze ha-
ben, daz die wider kern. JBcbeon tet also. Da warn
do zwei und zweintzig tüsent, die da wider kerten und
zagehaft warn. Und ir waren nur zehen tüsent, die do
manhaft warn. Da sprach unser herre: gedeon, heiz die
zagehastcn alle widerkern; wanne der füget einer nit zu
minem strite. „O we! sprach her gedeon, herre, ir ist nu
gar zu wenig." Nein, sprach unser herre, ir ist noch
gar zevil. „Ja, herre, wie sol ich nü tun?" sprach her
gedeon. Du solt für dich varen, sprach unser herre, biz
an die wazzer, die fließen zu den süßen ritigen und zu
de» kalten brünnen; so werdent sie alle trinken. Und
alle, die sich in daz wazzer legen als daz rint und als
daz phert, die stelle mir einhalp; und alle, die daz waz-
zer mit der hant in den münt werfent, die soltu du mir ^
auch snnder uz merken; so sage ich dir wol, weihe dn^?. £ ^
banne füren solt. Und also füre sie uz. — Und bo fit (3 z £
quamen zu den wazzern, da würden sie trinkende. Und" ^
der, die daz wazzer in den munt worfen mir der hant,§
s] ***
avu^YS U/vu) cduX^ln^-r^ic^Ls / axM wn £ ~c
llUjIv 'das U.. OLOCth 6Ls
t^.1441.
Srfuiize
© Hessisches Staatsarchiv
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Wo.
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der waren nit mere banne dru hundert. Da sprach un-
ser herre: sich, die solt du füren; mit den gesigest du
den finden an. Und die fanden^ heiz alle sampt wider-
kern; wanne die sint zü nihte nütze an dincm striten.—
Nu seht, under den zwei» und drißig tusent warn nüwen
dru hundert, die daz wazzer mit der hant in den münt
worfen; die gevielen göt an sime strite. Die sieben und
nüntzig hundert kertett alle wider; die gevielen got an
sime strite »it, da man do striten solte umb daz ewige
leben. Nu seht, ir Herschaft alle sampt, daz ist die schale
uzzen. Ich Han die schale uz gefeit, als an dem man-
del kerne; do ist uzzen ein schales, innen ein edeler wol
gcstalter kern. Also ist der gesch^te. Swaz uns got er-
tzeuget hat in der alten e, daz ist die schal: die kan der
iüde auch. Im ist aber der süße kern gar türe. Ir
iüde, ir wißet vil lützel, wie der edel süße kern sme-
cket; ir naget alles uzzen die schaln und die dürren rin-
den. Der süße kern wirt uns cristcn lüten zü teile.
Und dar umb so legent uns die tufel so an manigen
enden läge, daz wir die sußekeit dcz edeln kernes ver-
wirken, und da vor wil ich Hute fich warnen. Got helf
mir, daz ir uch iemer bester baz hütet vor irn stricken
nnd vor irn lagen. Und ist daz, daz ir uch vor diesen
zwein lagen behüten wollet, so behütet ir uch vor allen
irn lagen bester baz. Wani» mit den Zwein lagen va-
hent sie nahen alle diese werkt mit. Nu seht, wie lützel
der waz, die got gevielen an dem strite, daz under zwein
und drißig tusent nür drü hundert bliben und daz die
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
2.
i‘23 —
andern alle mästen wider kern von unrehter vorhte und
von unrehter liebe. Die ersten zwei und zweintzig tu-
sent kerten wider von unrehter vorhtc. Wann in got
selber gehicz, er wvlte in helfen, da waren sie eht gar
verzagt an dem hertzen, und torsten sich an got nit ge-
lazen von unrehter zagehcit und von unrehter vorhte.
Da kerten die andern wider von unrehter liebe, daz sie
sich dies neigten in daz wazzer, da sie trinken selten. Und
wa; under Hunderten einer nüwer, der gyt zu dem strite
gevil vor unrehter vorhte und vor unrehter liebe, und
gei» der grozen über craft der viende; der waz eht so
viel, daz ez nicinan künde krähten. Da sprach her ge-
deon: nu ist ir gar zu wenig. Nein, sprach unser herre,
tu, als ich dich lere: so ist ir gar gnüg, und du gesigest
in allensampt an. Jk sollet «einen lichte in ampellen,
und sollet büsüneN an den munt nenien, und sült blase».
So ir die vinde an seht, so sü.t ir die ampellen an
einander stahen Und sült die büsunen blasen, so werdent
die viende alle flitzende, und ir gesigct in allen an.
Daz ist die schale. Nu wil ich uch den kern und die
betütüngc sagen. Nü seht, wie ein flehte rede und ein
gliche eben maße. Her gedeon und die stncn, die bezei-
chent uns cristen lüte. Die Heiden aber der so viel waz,
die mit in striten wolten, bezeichcnt die tufcl, die uns
cristenlüte steteclichen an vehten mit irm raten und mit
ir schüpfünge. Alle, die da fünde miden, die habent den
tufeln an gesigt an den zwein lagen. Wanne ir ist so
vil, der tüfel, daz sie alle diese werkt nit mohte volle
f,
— 224 -
ahten; und ir stricke und ir läge sint so vil, als staubes
in der sännen. Und do von spricht ein heilige: weherre!
ist aber ieman, der sich vor diesen stricken allen müge
behüten? wanne die werkt ist alle vol stricke. Nu seht,
ob ir üch wollent setzen zu wer, oder ob ir vor unreh-
ter vorhte wider kern wollet, oder vor unrehter liebe.
Wanne als iene verzagt warn vor unrehter vorhte und
wider kerten von dem stride unsers Herren: also kercnt
noch manig tüsent wider, da; sie niemer hant uf gehe-
ben gein der anevehtunge dez tüfels, und verzagent alle
vor unrehter vorhte. Der let im an gesi'gen mit Wucher,
der mit fürkaufe, der mit pfandünge, der mit dinges gc-
Jktt ins iar, der mit trugenheit an sime kauffe, der mit
diepheit. Der let in: an gesi'gen mit zorn, der mit vint-
schaft. Wann er vorhtet sich und nimpt im ein unrchte
vorhte, ob er eim ein wort vertrüge oder ein ander schülde,
da; man dann spreche: „we, wie mäht du daz vertra-
gen? wie lihteclichen er daz vertragen hat!" Wiltu aber
die unrehte vorhte nit lazzen, die do heißet vintschaft, so
fügest du got nit an sinem strite, da du soltest striten umb
daz ewige leben» Du must schentlichen und lesterlichen
wider keren gein dem apgründe der hellen, da bin nim-
mer mcr rat wirt. ^Vfi gitiger! ir gitigen lüte, ir ge-
winnet ein michel schar uf der zagehaften wider vark.
Wann du hast aller manheit eine nit. Wie wol dir got
globt hat, daz er dich an' unreht güt wolle nercn, so
hast du ein unrehte vorhte, ob du nit ein wücherer we-
rest, daz er dich verderben ließe, und auch nit ein satzün-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
ger wercsi, oder ein fürkeüffer umb da; minner, oder ein
dinges geber uf da; türre, oder ob du trünkenheit ließest
oder raup oder diepheit. Die werdent alle geoangen in
der läge, die da heißet unechte vorhte, und swelicher leye
fünde, die du tust durch gutes willen. Phi nch, her Men-
nigprediger! ir fit verzagt an gotes miltckeit und an go-
tes erbermede. Und die trüüerin, die do git dri sele kum
umb zwene schuhe, oder umb vier Pfennige. Du wahtel-
bein dez dufels, do mit er manige sele veht. Du bist
verworfen von dem Volke die da striten sollen umb daz
ewige leben, und alle dy, die gotc nit getrüwen, da; er
sie erneril wolle an' unreht gut. — Daz ander teil läge,
da; ist unrehte liebe. Wann mit unrehter liebe wirk
manig tusent sele gevangen, da; ir niemer mer rat wizt.
Daz ist unküsche und frazheit. Der wirt gefangen nift
unrehter liebe, die er zu der frazheit shat^, der mit um
rehter liebe zu der unküsche, der mit hvhfart, der mit
senftem leben, daz er dem live nit.wil we tün, und groze
trakeit hat zu goteö dienste durch dez libes liebe, und die
durch ir frunde willen Meineide sw er», oder durch ir liebe
einen wundent oder zu dvde slahen, oder brennen oder
rauben; oder swelher leie fünde du tust durch deheinen
dinen friuit, oder durch keinen dincn Herren, oder din
kint, daz ist alles unrehte liebe. Wan wer ez von tu-
sent liben, din kint, so sottest du nit alle diese werkt ne-
men, daz du eine fünde tetesi, die totliche heißet. Du
ebrccher und du ncscher und du nescherin, du hast dich
gar zu tief in die fünde geneigt, als die sich do leiten
i5
226
in daz wazzer, sam da; rint und und da; phert. Dir
ist die fünde gar zu süße und zu liep gewesen. Du hast
dich gar zu tief in die frazheit gesenket, und in die un-
küsche und in wvllüst dez libes und an cleidern, die dir
von hohferte wegen verboten sint. Und also groz sint
die liste der tüftl, daz sie alle fünde in die zwei stucke
sichten, die alle die werkt getün mag. — Und ist halt
der funden vil, da sie beide an ligent, unreht liebe und
unrehte vvthte; als die fünde, die da gitikeit heißet.^Pfi
gitiger! wie gar dir verteilt, verschaffen ist die Helle vor
allen den, die die werkt ie gewan, oder immer mer ge-
winnen mag. Nu Hort, ir Herschaft aüesampt, wie nia-
niger ley verdampnisse an diner siinden lit. Du bist in
den zehen geboten in ir zwei». Du bist in den sieben
heubtsunden. Du bist der suuder einer, dem nieman kein
gnade tut an der büze. Allen sundcrn git man büz nach
gnaden, wann zweier flahte snndern git man buze nach
rehte an' aller flahte gnade. Siech gitiger, der bistu einer.
So bist du der sunder einer, vor dem got niemer ruwe
gewinnet. Nu siech, gitiger wie maniger leye verdamp-
niffe an diner fünde lit. So bist dn auch der sünder
-einer, des pin und Marter sich von tage 12) zu tage zu
helle merrt und wehset iemer mere. So bist du auch
der sunder einer, der sich nit alleyn zu Helle bringet; du
bringest auch ander litte mit dir zur Helle. Du bist auch
drr sunder einer, der da nü fünde vindet uf die fünde»
Hds. „taga".
22?
Du bist auch der sunder einer, der voir unrehter vorhtc
und vor unrehter liebe verdanipt wirk, von der grozen
liebe, die du zu dem unrehten gute hast; wanne du den
Worten in der Helle brennen wilt, daz du unreht gut gewin-
nest. Du hast auch unrehte vorhte, daz du dem almeh-
tigen gote nit getruwest, daz er ich an' daz unrehte guet
crnere. Und von der unrehte» vorhte wilt weder gelten
noch wider geben. Wann nu als manige verdampniste
lit an der gitikeit, Var umb durch den almehtigen gvt,
so hüte sich alle diese werkt vor gitikeit und vor unreh-
tem güte, die sin uoch nit haben. Und die sin noch ein
wenig haben, die kamen da von, e daz sie sin zu vil ge-
winnen. Wanne iuden und Heiden bekert man e, e daz
man keinen gitigen bekern müge. Wann in hant beide
läge gevangen; die tufel habent in mit beiden lagen be-
stricket. Die hohfertigen sint auch mit beiden lagen ge-
vangen, der unrehten liebe und üppiger ere, und der un-
rehten vorhte, daz sie gedenken: „wie liez ich nu die hoh-
fart? wann so hat man niich vor niht." Siech, daz rü-
^et dir der dufel alles zu. Und also wirt die werkt alle
gevangen mit diesen zwein lagen, mit unrehter vorhte,
oder mit unrehter liebe, oder mit in beiden. „O we!
bruder B., wie sollen wir dann dün?" Daz künde ich
dich wol gelern. Du soll dün, als die dru hündert, die
sich nit zu tief neigten in daz wazzer, do sie trünkcn,
sie hüben sich uf, und worfen daz wazzer mit der hant
in den münt. Du hast dich gar zu tieff geneiget in die
fünde, in die unrehten liebe, und bist auch gar verzagt
15 *'
rv
— 228 —
von der unrehten vorhte. Da von müst du dün, als die
dru bündert. Die namen licht in ir ampellen, und na-
mcn busdnen au den munt, und bliesen die, und slugen
die ampeln an einander. Da da) die vinde horten und
die liebte sahe» schinen uz den ampeln, do fluhen sie.
Wie wenig ir waz, und wie vil der vinde waz, so ge-
torsten sie doch nit ir erbiten. Du solt wäre rüwe ge-
winnen umb alle dine fünde, und solt lütcrlichen bihten,
und solt mit grvzer andaht got silier gnaden biten, da;
er sich über dich erbarme. Daz sint die büsünen. So
ist da; die büße, daz du solt die ampeln an einander
slaken. Die ampcl, daz ist bin lip; den solt slahcn mit
kestigunge mit rüwe und mit büße und mit allen guten
werken, da mit man die sunde gebüßet, mit vasten, mit
gebet, mit almüsen, mit Vigilien, mit allen güten dingen;
so wirt die heilige scle, die ist daz lieht, uz der ampellen
schincnde. Als daz die tust! sehen, so fliehen sie irn weg
und künient dir niemer mcr zu schaden. — Ist nü daz
ir durch zwo läge kümet, so ir in die werkt vart, so ir
durch die werlt vart; so lazent die tufel dannoch niht,
sie legen uns zwo läge, so wir uz der i3) werlt varn.
Do; ist, so wir an dem tobe ligcn, und sich feie und lip
muzen scheiden, so setzent sie allen irn fliz, wie sie uns
mit zwein lagen gevahen. Wann in der läge, so wir uz
der werlte varn müßen, so legent sie uns aber zwifalte
läge. Dez ersten legent sie allen irn fliz dar an, daz sie
i3) Hds. „durch die"
22g
uns den rehten glauben gewinnen an. Da vor besck'irme
uns dea almehtige got. Und da von hat man dcz fite;
ez sin frauwen dosier oder Mannes closter, swo convente
sink, als eins zum dode grifende wirk, so hat man dez
site, da; man an ein tafeln fleht; so kument alle die in
dem closter sint; die sprcchent im den glauben vor; und
swo sie in dem closter gent, und alle die wile und iens
zu tobe zuht, so sprechen sie im den glauben vor, alles
dar umb, da; iens von dem glauben it scheide. Wann
und weres alle sin tage ein closener gewesen, und mit*
gent cj die tufel an dem ende von dem glauben brin-
gen, so furent sie cz dannoch in der läge hin. Went ir
Herschaft, da; der kyrleyft durch ein gesiüppe erdaht si,
der da sprichct: nu bitden wir den heiligen geist umb
den rehten glauben aller meist, daz er uns behüte an
unserm ende, so wir heim suln Varn uz diesem ellende»
Kyrieleis. Cz ist gar ein nütz sang: ir sult in iemer
bester gerner singen, und sult e; alle mit gantzer andaht
und mit innigem hertzcn hin zu gote singen und rufen.
E; waz gar ein gut fünt und ein nutzer fünt, und er
wa; ein wiser man, der daz selbe liet von erste vant»
Wann aller selben groste, der man unsern Herren erbiten
mag, daz ist die, den er behütet in der zyt, so unser sele
von unsern libe scheiden müz, an dem ende, so wir heim
sollen varn uz diesem ellende. Wir sin gar ellende hie;
und da von selten wir wol sniehen diz leben und selten
heim gein lande ziehen, da wir iemer mer mit freuden
«eren. Und do von sit dez gewarnt, daz uch der rehte
— s3o
glaube an betn ende nit an gewünncn werde von diesen
unseligen duseln: wann die kcren allen iren siiz dar an,
da; sie unS den glauben an gewinnen, dar nmb da; wir
daz himclriche niemer bcschauwen, daz sie verlorn Han.
Und du mäht dich gar lihte verwarlosen an dem glau-
ben, daz du daz mineclich antlutze unsers Herren itiemer
mcr bcschauwest, daz sie verlorn Han. „Owe! bruder
25., wie suln wir uns da vor behüten?" Daz kan ich
dich wol gelern, wiltu mir volgen. Da solt du von kint-
licher iügent den glauben cristenliches lcbens gar und
gar wol befesten und bestcten in dinem hertzen. Du solt
in uzen lern zu tusche. Die ungelerten lute, die sülnt
den glauben in tütsche lernen, und die gelerten in buchi-
schem. Ez sollen dez lindes totten daz kint den glau-
ben und daz pater nostcr lern, so ez sieben iar alt würde;
wann sie sins im schüldig; wann sie sin geistliche vater
und mutcr. Sie sollent sprechen zu sinem vater oder
müter: gevater, ir sult mir minen totten daz pater nosier
und den glauben lern; oder ir lat in zu mir gen, so lere
ich ez." Künnent sie daz ave maria dar zu, daz ist vil
wunder güt. Ist aber daz da; kint sin dotte nit lernt,
so soltu ez selber lern. Wapn wclich mensche vierzeheir
iar alt wirt, und kan ez dez pater nvsters nit, man sok
ez an ein velt legen. Und da von soltu bin kint gü-
ter dinge wencn, so wirt der glaube feste an sinem her-
tzen. Ein ieglich mensche sol den glauben zwirünt in
dem tage sprechen, dez morgens so du uf stest, und dez
nahtes, so du nidcr gest biz an dinen tot, so du dann
23 l —
an dem ende gelist, und dir der dufel dinen tristen glau-
ben gerne an gewönne, daz er dir nit gut zu neinende ist.
Wiltu aber dez glauben nit lernen, und wilt in nit von
kintheit uf liep haben, und wilt gedenken: „we herre,
wer mag reht haben, iüden, Heiden oder ketzer; ich en-
weiz, wie ez stet, oder wer zu rehte gleubt," wiltu also
wanke! sin und i4) laßen fliegen die gedanke, so ist dir
vil schier verstoln uz dime hertzen von ketzerlicher lere
oder von dez endecristes gewalt oder von der tufel lere.
Und da sult ir uch gein der läge flißeclichen warnen.
Du enweist weliche not dich wirk an gen unib den glau-
ben. Und da von sol man in uff güte grünt Vesten bu-
wen. Wann wer ein hus uff ein böse grünt festen bü-
wet, daz nimpt schier ein ende, ob ez ein grvz wint be-
stct oder ein regen oder ein güsc. Zu glicher wise soltu
den glauben uf ein güte grünt festen buwcn iS), ob
ein wint küme, daz dir in weder güse noch wint noch
regen benemen müge, daz ist, daz bin hertze als feste sol
sin als ein stein. Swer ein hus uf einen stein buwet,
daz mag der wint nit umb gestozzen, noch der regen nit
erweichen, noch daz gü^ nit under graben. Und da von
sol din hertze steinin sin, rehte herte als ein flins, daz du
dir dinen lip ließest e nemen dann cristen glauben, als
der heiligen marteler gar vil, sant peter, sant pauke, sant
katherin, sant margretr. So liez sich der e schinden, der
14) Hds. „und die"
15) Hds „bin««"
— 232 — '
baten, der ere rade brechen. Also soltu dün. Du solt
dinen glauben von kint wesen feste wachen in dinem her-
tze», ob der wink kümc da; ist der endccrist. Wann der
kümet mit gcwalt, als der wint mit sturnie, so sült ir
uch e drissig martel lazen dün, e daz ir verzaget an tri-
stem glauben. Oder 16) die güse kumen; da; sint die
ketzer mit ir falschen lere. Die slichent als die güse.
Wann, biz du uf gcsthst, so hat daz güse daz hüö under
graben, daz ez sinket oder zu male vellet. Also düt der
ketzer. Ist bin hertze nit vestcclichcn gesteint mit cristen-
lichem glauben, dir mag ein ketzer zu kümen, der dir
dinen glauben under grebt mit kctzcrie, die du sin konde
wirst, daz du iemer krank bist an cristcnlichem glauben,
oder aber zu nial vellest in ketzerie. Wann der schede-
licheste dicp ist der ketzer, den die werlt ic gewan. Vil
wünderlichcn balde hat er dir daz hymelrich verstoln, da;
du got niemer mcr gesihst in sincn freuden. — Aum dri-
ten male svl din' glaube uf ein steinin hertze gebüwen
fein, ob die regen tropfen zu sigende werden: da; ist nu
aller notest, so die tüfel an dem ende in sigende werden,
als- die regen tropfen. Wann ir als vil, als regen trop-
fen ist. Und sie schüpfent und ratent und kernt allen
im fliz dar an, wie sie uch an dem ende von dem reh-
ten glauben briugcnt. Und do von sült ir dicke mit gu-
ter andaht singen: jtu biten wir den heiligen geist umb
den rehten glauben allermeist. — Iu dem andern male
in der dritten läge — wann sie legent unS in ieder läge
16) ncmlich „ob"
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zwifalte stricke; der sink also sehse. Und ist daz wir unS
in den funfen gar wol hüten, dannoch lazent sie nit, sie
legen uns die sehsten läge. Die ist halt der aller unge-
werlichesten lagen eine, die diese unseligen tufel. irgent
haben. Sie snam^j gote der heiligsten manne eynen, den
er bi den zyten hcte. Er waz so heilig, daz er arozc
zeichen tet. Er hiez die toten uf sten durch sincn willen,
und mdst hüte si'nen tag vigcrn, als dcz guten sank pe-
ters, und heten in die tufel nit hm in der selben läge.
Und die selbe läge heizet zwifel. Den werfcnr die tufel
den menschen an mit aller craft und mit allen irn listen,
die sie haben. Sie furcnt dar alle die Missetat, die der
mensche ie begie von si'nen kintlichen tagen, die er nit
gebihtct hat und nit buzc dar umb enpfangen hat. Hat
aber er sie wol gebihtet, und hat daz ane ruwen getan
und hat sie willen aber zu tünne, so fürnt sie sic aber
dar, ob er sie nit hat gebüzet. Und also furcnt sie alle
die sunde dar, die der mensche ie getet. Sie fürent sie
in füders wise, und legent sie zu einander über ein Hau-
fen, daz eht der mensche verzage und zwifel an dem
ende. Und sie machen eht den qrüsen groz; sie grinent sani die
hünden, und schertzent sam die selber, und grisgramment sam
die lewen, alles dar u»ib, daz der mensche verzwifel und daz
gedinge lazze, daz ein ieglich mensche gegen gote haben sol.
Wann als flißig sint sie dez, da; sie dem menschen crifien
glauben an gewinnen, als flißig sint sic auch, wie sie im
daz gedinge an gewinnen. Ez heißet ettcwo gedinge, ette-
wo zuversiht, cttewo hoffenüngc ez heißet in latin sxes.
234
Und da kernt sie alle ir liste und irn fliz an, wie sie
unS da; gedinge benemen mit irn grisgramen und grü-
sen. „O we! B. B. wie suln wir dar umb gctün?"
Daz künde ich dich wol gelern, woltest du mir volgen.
Du solt des ubeln wenig tun und dez güten viel. Wann
als wenig dez die tufel vergeßen, sie bringen alle die
fünde dar, und auch die minncsten Missetat, die du ie
beginge: als wenig vergessen dez die engele, sie bringen
auch die minnesten guettete dar, die du ie getete, mit
almusen geben, mit gebet, mit vasten, mit allen güten
dingen. Dez vergeßent sie nit hars groz die engel go-
teö, und legcnt daz uf die wage ander halp. Und dar
umb soltu dez güten vil tun und de; bösen lützel. So
du danne den Hüffen der gutdete groz siehst, so gewin-
nest du ein freude; so ist dann din gedinge grozer vil,
dann din zwifel. Und dem guten sarw Martin, dem
leiten sie auch die selbe läge und den andern allensampt
swie güt sie warn. Und do sie die selben läge dem guten
sant martin leiten; seht da sprach er: var hin, blütiges
tier, cz ist allessampt gebüßet. Du vindest rehte nihteS
nit an mir. Und also sült ir ez schaffen, daz ir ez alle-
fampt gebußet und der huffe kleine sie der miffetete, und
der gütdete vil si. Si ez aber also komen, daz der ubel-
tete me si, dan der gütdete; dannoch sult ir nit verzwi-
feln. Ir sult got an rüffen mit inneclichem bertzen, daz
er uch zu helfe kume; wanne er hat uch vil hart erar-
net. Und mügt irs nit gesprechen mit dem münde, so
gedenkt sin mit dem hertzen; und sit feste an dem glau-
den und an dem gedinge, und getruwet dem almehtige»
got, sund^j marien der heiligen künigin der crbermede,
daz sie ir heiliges trut kint für uch bite, und uch gut
sin 17) in uwern nöten und engcstcn.— Wann daz kan
sie wol getün und mag ez wol getün. Wie groz der
dufel grüse si und ir vorhtsam draü, so habt cht ir star-
ckeS gedinge und festen glauben zu gote, und rüst in faste
mit gedenken an. Wanne ist der gutdctc zu lützel, so
getruwet dem almehtigen gote, daz er sinö blüteö dar zu
lege, dez einiger tropfe mer wigt, dan himelriche und
ertrich. Wanne nu dirre läge so vil ist, und dieser stricke
so vil ist, die uns die tust! legent: so sult ir uch also
für in hüten, da; ir frolich gcsprechen mügt mit den hei-
ligen mertelern: Unser sel sink enbünden von dem stride
der jagenden, als der spar uz dem netze. Und hutent
uch vor den zwein lagen unrehter vorhte und unrehter
liebe; so mügen uch die tufel bester minner geschaden in.
den iüngesten zwein lagen. Und gewinnet alle ware ruwe
und kumet alle zu luterre bihte und zu büße nach gotes
gnaden und nach uwern statcn. Daz uns daz geschehe
als den heiligen niartelcrn, daz wir enbünden werden von
allen den engesten und von allen den übten, da wir mit
gcbünden sin an libe und an scle. — Daz uns daz allen
wider var, mir mit nch und uch mit mir, daz verlihe u»S
allen der vater und der sün und der heilige geist. Amen.
17) viel!, „si'
7) Vollendung deS Cbrillenlaufs. rote Predigt (i6te) (Don acht
leye spise in dem himelriche) Text Matth. n, 28. 3o.
sprichet der almehtige got hüte in dem heiligen ewan-
gelio: „min bürde ist ringe, und min loch ist süße.
Kumpt her zu nur, ich wil uch spisen." Und wil uch
der almehtige got spisen, daz wil er dkn mit aht ley
spise. Die wil ich hüte nennen uch allensament. Er
hat aber mcr spise, danne staubes in der sünnen st.
Noch maniger ley spise wil uns der almehtige got ge-
ben, do er uns mit spisen wil. Ir Herren, uwer koche
kunnent rchte nihtesniht; die da hie uf ertriche kochen,
die künncnt rehte nihts nit, da; halt ihsit si gein so ma-
niger ley spise, die da zu himel ist. Die hat als mani-
ger ley gesmag, als staubes in der sünnen ist. So ha-
bent die spise uf ertriche »it mere danne nün Hände
spise i) gesmag. Sic kochen ez hin, sie kochen ez her,
sie bratens hin, sie bratens her, swie sie ez martelnt, so
1) „fpis?" ist wol auszustoßen; vergl. das Folgende.
— 2 3y
fjctf ez doch nit mere banne nünre Hände acsmaq. Die
da zu himel sink, die kunnent dez warn kochens, die
spise bereiten, da unö der almehtige got zu geladen und
gebeten hat. Wanne sie so 2) mamger hanve gesmag
haben, da; weder ich, noch anders ieman uch da von
niemer mere volle sagen kan; wanne ir ist mere, banne stau-
bes in der sünnen. Wann ir banne so vil der edeln spise
ist, daz ez nieinan ertrahten kann, so wil ich uck doch
ehte nennen, den Worten, ob ieman si, der gern edelc
spise niezze, oaz die vester gerner zu dem hümclriche ko- l
men, dar uns der almehtige got geladen hat zu der wirt-
schaft, da er uns alle spisen wil. Und dar umb hat er
die wirtschaft so rilich und so wehe und so kostbere ge-
mäht, daz sie zu dem hiinelrich bester gerner kamen. Und
so manigcr ley smag hat der almehtige got diesen spisen
gegeben. Nu merkent allesament, welhcr ley dieser ge-
smag si, der da aht ley ist. — Der erste smag, den do
die erste spise hat, der hat die kraft, als ir zum himel-
riche koment und als ir der spise nuwen einest enpsindent,
so zu hant so habt ir für iemer mere iügent ane alter.
Owe ir alten lüte! so seht ir gar gerne allesament,. daz
ir iüng wernt, und mordet doch gerne alt. Seht die
vindent ir beide an dirre ersten spise, und an dem ersten
smake, den die erste spise hat. Und woltent irs got nit
zn liebe tün und siner heiligen müter; so tut ez doch
umb daz, daz ir iemer ewiclichen lebet, und daz ir iemer
->) Hds. „do"
s38
iung flut als ein kint, daz fünf iar alt ist. Daz daz
war st, daz ertzcugt man uch an den heiligen engeln.
Die sint alter, dannc sehtzig hundert iar; und swo man
ste malt, do malt man sie anders niht, banne als ein
kint, da; do fünf iar alt ist. Und do von so mohtet ir
alle gern zum himelriche komen, die iüngen zu den alten.
Die da hie iüng sint, die werdent doch gar schier alt.
Uber sehtzig iar so spricht man: er ist ein alt man; und
weget einer sin heubet gein im, und spricht ettewanne:
er ist wol sehtzig iar alt. So werdent ir dort sehtzig tu-
sent iar alt, und sint als iüng, als des ersten tages.
Und do von mugent die alten gern zu dem himelrich er-
beiten, zu den ewigen freuden. Wanne swenne ir hun-
dert tuseild iar alt werdet, so hebt sich uwer iügent alrerst
an. Und swenne ir als manig tuscnt iar gelebt in den
freuden und in den eren, die got in dem himelrich geben
wil, und do er uch zu geladen hat, und do mit er uch
spisen wil, so tropfen in dem mere ist, 3) so hebet sich
Lwer iügent alrerst an, und sit iemer iüng an alter. Nu
seht, welich ein spise daz ist, und wie einen kreftigen ge-
smag sie hat. Die ander spise die hat einen so kreftigen
gesmag und einen so edeln gesmag, daz alle wazzer bal-
scm wern, man mohte die kraft und die edelkeit der spise
litt vergelten. Ich sprich mer: daz alle berge guldin
wern, man mohte die kraft und die edelkeit do mit nit
vergelten. Und mit allem dem richtüme, den diese werlt
2) „so" bezieht sich auf „als manig tuscnt iar"
— 23g
hat, so mvhte man diese spise nit vergelten, die uch
got der andern geritzte geben wil und allen den, die
zür wirtschaft wellcnt kamen, dar unö got geladeu hat.
Und die spise hat als edeln gcsmag, und der smak hat
als groze kraft, als ir der selben spise nnwen zu einem
male eupfindent, für baz iemer nier habt ir wünsches
gemalt. Alles dez ir erdenken könnet oder möget, daz
Wirt alles vollebraht. Und wöltct ir über hundert tu-
sent mile in als kürtzer stunde, als ein augbrawe mag
uf und zu gegen; so sit ir dar. Nu seht vil eben, we-
lich ein spise daz ist, und wclich eine» edeln gesmag die
spise hat. Ez ist nienian, er nemcs für alle diese weit,
ob sie güldin were, daz er het wünsches gemalt, und daz
daz mit gvtes willen were, wanne er wünschete ettewaz,
daz er begert. Daz kan nit geschehen in dirre werkte;
wanne der erdenische lip gar unedel ist, unedlere banne
die sele; so wünschet der lip ettewez daz wider gvtes wil-
len were. Do von Wirt der sele der gemalt gegeben, als
sie von dem irdenischen libe scheidet in die ewigen freude,
zu der edeln gotheit. Wann der ist die edcle sele als glich,
daz nie kint si'nre mütcr als glich wart. Und wanne
die sele got als glich ist, und wider zu der gotheit ku-
met, 4) dannen sie do kam, do sie der enge! dem men-
schen in goz in siner muter libe; so bekennet sie sich so
4) Sinn: und da die Seele Gott so gleich ist, so wird sie.
wenn sie wieder zu der Gottheit kommt u. s. f., sich sogleich
deßen bewußt, daß u. s. f.
zuharrt, da; sie wieder heim komen ist, und sie minnet
die edelc selikeit so sere de; aluiehtigen gotes — wanne
sie daz gcntzlich erkennet, daz sie »ach der gotheit gebil-
det ist und gcedelt ist; und sivie gcntzlich sie dannc den
gewalt erkennet; daz sie von got Wunsches gemalt iemer
mer ewiclichen haben sol, so minnet sie got so hertzecli-
chen sere, daz sie vater und muter, bruder und swcsier,
und alles ir gefleht e iemer zu der hellen wil lazen bren-
nen, e sie zu gote dez begernoe si, daz sin wille nit ist.
Und do von so begert die feie anders nit, banne daz go-
tcs wille ist. Sie wünschet, daz sie iemer bi gote ewie-
lichcn also sin solle; dez Wirt sie gcwcrt. Swaz sie zer-
genclicher dinge wünschet, daz wer gotes Wille niht; also
daz sic irn frundcn ern oder guts uf ertnche wünschete,
daz wer alles gotes wille nit; oder daz sie bi ir in dem
himelrich wern. Wanne so mohten die aptrünigen cngel
wol sprechen, daz in got unrehte hete getan. Wanne
got dem menschen zu frier küre gegeben hat, daz der
mensche sich selber verliefen oder behalten mag. Und do
von wer da; auch gotes wille nit. Wann swaz gotes
wille ist, daz wil auch die sele; swaz die sele wil, daz
wil, auch got. Wil die sele sich selber fürn als den Vogel
in den lüften, daz dut sie wol, und vil tusentvalt ringver-
teclicher. Wann wil sie aller enget schar mit einem an-
blicke beluhten zu male, daz ist geschehen. Wil sie von
einem orte des hiniclriches zu dem andern, swie manig
tusent mile da zwischen si, daz ez nieman erzelen noch
erreiten künde; so ist die sele von einem orte biz an daz
24i
ander, als schier ein äugest blick erget. Owe! ir selige
crisienheit, daz ir bekennen mohtet, wie gar durch edel
die scle ist, und wie maniger Hände edeln smak die spisc
hat, do sie der almehtige got zu geladen hat und mit
spisen wil; daz kan nieman daz tusentsie teil gesagcn,
als im ist. Rebt zu glichcr wise als wenig als ein kint
enpfiirden mag, die wil ez ist in der muter libe beslvzen,
alle die wile so mag ez nit enpfinden dekeiner siahte ge-
zierde, die in der werlt ist, und als wenig als da; kint
enpfinden mag der gezicrde aller, do mit der almehtige
got die werlt mit geziert hat, mit dem firmament, und
wie er daz geziert hat mit sünnen und mit dem edeln
sterrenschine, mit cdelkeit der steine und mit nianiger Hände
varwe und mit ir kraft, und maniger Hände richen wete,
und mit maniger Hände wortze, und mit maniger Hände
lichten blüte-varwe und geschmak der wortz und der
blute und der blümen, und alle die gncmekeit und alle die
lüstliche freude, die die werlt hat, von der summer wunne
und von vogel sänge und von seiten klänge und von an-
dern süßen stimmen, und die freude, die menschen anblick
git, und als wenig dez ein kint enpfinden mag, die wile
ez in finer muter lip bcslozen lit, und als unkunt als im
da von zu sagen were, ob ez Vernunft hete; als wenig
mag man iemer deheinen irdenischen menschen gcsagen vott
der unzellichcn freude und wünne, die der almehtige got
der sele geben wil. Und do von so wil ich uch ehte sagen.
Und den werten daz ir bester gerner zu den freuden ko-
daz ir die andern bester baz erkennet bi diesen ehten.
l6
ment und zu der wirtschaft dez almehtigen gotcs, so wil
ich uch diese ehte vollen sagen. Da bi merkent die ander»;
wanne ir ist als vil, als' staub'eö in der sünnen. — Die
brise spise hat die kraft: für daz ir sder selben^ nkwen
einmal enpsindet, und uch nüwcn einmal wirt; fürbaz
iemer mer so habt ir frcude ane trüren. Pfi! tentzer
und dentzerinnc! so mühtet ir gerne crbeiten umb daz
himelrich^ wann da were freude, die endehaft ist, und
die do wernde ist iemer mere. Und ir torneyer! alle die
freude, die diese werlt ie gewan oder iemer mer gewin-
nen mag, daz ist rcht als ein gestüppe und ein uppikeit,
als der wise salomon do spricht und der gute sant Pau-
lus. Der sprichet also: alle die freude, sdiH die werlt ie
gewan, daz ist mir reht als ein ccntring an cime gal-
gen. Ob ich den druten soltc, also wol mir do mit were,
als wol ist mir mit aller der freuden, die die werlt hat,
ez fr halt diese freude oder jene, und daz halt ein men-
sche alle die freude möhte gehaben, die alle die werlt ie
gewan oder iemer mer gewinnen mag. Dar umb sult
ir dirre werlt freude fliehen, den Worten daz ir zu der
freude koment, die nit endes hat und die ane trüren ist.
Wanne ez ist auch die drite spise, da rieh der almchtige
got auch zu geladen hat. Uwer singen ir iüngen lüte
und uwer tantzen und «wer springen und uwer glentzen
und uwer itel freude ist nihtes nit. Wanne da get der
ianier leych nach, beide trüren und clagen. Und dar-
umb sült ir gerne umb daz himelrich werben, da freude
an' trüren ist. — Die vierde spise, da uch der almehtigc
J
— 243 —
got auch zu geladen hat, die heißet richeit an' armut.
Pfi! gitiger, da wirst du allrerst gcwert, daz du gcrst
u»d wütest. Und mohtest gerne uinb daz himelrich wer-
ben und gültest und gebest wider, pfunt für pfunt, pfcn-
nig für Pfennig, marke für marke, untz an den iüngcsten
Pfennig oder an den iüngcsten helbeling, als vcrre als
irs geleisten müget und ir die lute wißet. ^»d dar umb
mühtet ir gerne zum himelrich erbcitcn, da; ir ewiclich
iemer mer rich werent ane armüt und an' müwe. J'r
riehen lütc, ir habt dehcine sorge so groz, so daz ir alles
vorhte habt, daz ir arm werdet. Und ir armen lüte, ir
wcrnt mcistig alle gerne rich. Und do von mohtet ir
armen und richen gerne zu dem himclriche crbeiten.
Wanne so ir der spise nüwcn zu einem male bekort, so
habt ir iemer richeit an' armut. Da hat alle armut ein
ende. Ir reüber, und wert ir gctruwe und gewere, und
hetet arbeit nach dem himelrich, da dörftent ir niemer
merc dez libcs sorge gewinnen üm dupstal und raup.
Sus müßet ir dez libcs sorge Han und ern und güts,
uud cht alle zit in sorgen sin. Daz selbe sprich ich zu
den Wucherern und zu den fürkeufern und zu den truge-
nern an irm kaufe oder an irme antwerke. Pfi! ir giti-
gen lüte, wie selten uch diese spise wirt, ez wolle sich
banne got gnediclichen über uch erbarmen. Ir sint fre-
Mcde geste an der wirtschefte; wanne ir kümet niemer
dar, ir wellent banne gelten und widergeben. Ej ist
aber^zin und kopfer zu einander kümen, swo der gitige
und daz unrehte gut zu einander kümpt daz kan nieman
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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gescheide«, als wenig als man zin und küpfer iemer geschei-
den mag. Wanne de; tun sich alle die meister ab, die hüte
leben, und die von gesmeltze ie künst gelernten. Ziu und
bli drehte man wol von einander; und silber und zin und
gvlt daz drehte man alles wol von einander. Aber zin
und knpfer, dez dü sich alle die werlt abe; daz ist güte
glockespise, daz klinget wol. Wer da frower, danne der
tüfel? swenne ers dar zu bringet, da; der gitige und da;
unrehte gut zu samen komen; so hat ers wol geschaffet.
Wanne die enkan Prediger noch minre brüder niemer von
einander bringen. Und dar umb sit ir fremede gestc an
der wirtschefte, die da heißet richtüm ane armüt. Du
mäht wol ein wile genüg haben. Daz ist aber gcin der
ewigen richeit, als da einer uff einem snellen rosse für
einem kram wol balde ritet, und dem nüwen in den
kram Wirt em blig mit den äugen, und er so zuhant die
äugen wider uz dem kram wirft; als wenig ist die richeit,
die du hie mit dem unrehten güte hast, wider der ewigen
armut, die du dar umb cwiclichen liden must. — Die
fünfte spise, dar zu uch der almehtige got auch geladen
hat, die heißet leben ane dot. Und dar umb sult irs also
schaffen ir Herschaft allesampt, daz ir wol lebende wer-
det, wanne ir mügt nit ersterben; und ir sült zu dem
cewigen leben kern, da ir niemer mere ersterben müget.
„Wie, Bruder bertholt, nü mügent die zü helle si'nt,
auch niemer ersterben." Niht! die sterben zu allen ziten.
Ir leben heißet der ewige tot, als der gute sante pauluS
do fprichet: der lon nach den fünden ist der tot; aber
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die gnade gotcs ist daz ewige leben. Und dar umb sult
ir den ewigen tot fliehen, und sult werben umbe daz
ewige leben, da uch der almchtige got zu geladen hat,
und daz uch die spisc werde von gvte in den ewigen
freuden; so sit ir iemer sicher vor dem ewigen tode. Da
beschirme uns für der almehtige got. Wanne daz ist
iht deheine flahte rar: ir müßet entweder iemer leben oder
iemer sterben. Owe! ir reinen gotes kinder, nü nement
hüte daz weger. Daz mir der almehtige got helfe dez,
daz ir daz weger nement! Wanne ez ist gar ein unge-
teiltes daz ewige leben und der ewige tot. — Die sehste
spise, da; ist gesiinthcit ane siechest. Weh! welch ein
spise Sa; ist! Seht! die ist auch gar ein edele spise. Und
sie hat die craft und den gesmag: für da; ir die zu ei-
nem male cnphahet, so sit ir fürbaz iemer mer gesnnt
an' aller flaht siechtunr. Nu seht, wie die kbche unsers
Herren wie die kdnnen kochen, und wie flißeclich sie sich
übent. Nu verertzeniget ettclicher hie manig phunt, und
mag doch nit tüwerre werden noch gesunt und kan halt
vil lihte weder genesen noch gesterben. Seht! so getüt
«ch niemer heubct we, noch zan, noch äuge, noch hant,
noch füß, noch rücke, noch rippe, noch aber, noch glie-
der, noch dehein glit, daz irgent an dinem libe ist; und
ir sit eht ewiclich gesünt. Waz gebe ettelicher, daz er
niemer gesünt würde? wenig oder halt nihts. Waz gebe
banne ettelicher, daz er niemer siech worde? ich Han cz
dar für, er wolte iemer ane fleisch drümbe sin, oder an
ander ding, daz er als hart enbere. Seht, nü mohtet
'1
--246
ir nüwen eins dun, und wert eins dinges ane; daz ist
aller dinge koste und aller dinge ungenemeste, und ist halt
so böse und so schedelich, daz nie dehein ding nie so sche-
delich wart, als daz selbe ding. Und den Worten daz
irs alle midet und fliehet, so wil ich uch sagen, waz ez
ist. Wanne swie ir daz selbe ding vernndet, so Wirt uch
der smag der edelen spise, die do heißet gesüntheit an'
sicchtum. So mident fünde; daz ist aller dinge unge-
sundest zu dem ewigen Leben. Unb do von hütet uch
vor allen hcubtsündeu; so werdent ir gesürtt von dirre
edeln spise. Psi! ir nescher und ir nescherinne! wie wel-
let ir uch behüten vor dirre vergift dez ewigen todeö?
Ir sint gar ungesunt an der sele und tot siech. Daz
selbe si'nt die gitigen und die hohfertigen und die tregen
an gotes dinste und die nydigen und heßigen und die
lv zornigen und die mit zauber und mit ^ppe umb gcnt;
und mit swelher Hände fünde die lute umb gent, die in
got verboten hat, die si'nt allesinnment ein vergift zu dem
ewigen leben, ich meine alle die fünde, die tätliche hei-
ßent; do von kämet der ewige tot. Büße mm ich alle zit
uz. — Die siebende spise ist auch gar ein riche spise und
gar wol gesmag und wol gemeistert. Die heißet mimte
ane haz. Daz ist gar ein gemeine spise und hat einen
tügentlichen edeln gesmag. Wanne haz und nyt ist gar
ein groze untugent. Wanne ez dut an dem hertzen als
we, der haz und nyt breit, daz er iemer gern in daz hi-
melrich mohte werben, darumb daz uch haz und nyt nie-
mer mere [n>e] getete. Wanne er wirt niemer reht wo!
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gemüt, swcr haz und nyt treit in sinem hcrtzen. Swer
aber gewinnet ist gein sine nchsten und gein gote und
gein si'ner eigen feie, der hat ein senftes leben, und mag
im nit widcrdriezes geschehen, weder klein noch groz.
Wanne sivaz im geschiht an sin selbes libe, daz macht
er im nütze an si'ner sele, und spricht anders nit danne
als der gute iob, der got so hertzeclichen minnete, da;
got selber sprach, daz im nie mensche uf ertriche bi sinen
ziten gliches fünde. Und im waz hertzeclichen wol von
der minne, die er zu gote trüg und sinem nehsten und
si'ner eigenen sele. Im wart daz gut gar genomen, und
darnach sine kint und sin eygen lip. Und er dehein wi-
derniüte an sim libe nie gewan dar umb. Und dar umb
ist die minne der hohsten Lügende eine, die die werkt ie
gewan. Und dar unib hat der almehtige got die minne
als liep, daz er daz himelrich da mit geziert hat und 6)
die edeln spise, do mit der almehtige got uns spisen wil.
Und do von süln wir uf ertriche die waren minne Han,
daz wir in hpmelriche ewicliche do mit gespiset wer-
den. Wanne da ist . minne über minne. Für daz ir die
selben minne enphahet, für daz iemcr und iemer mere
habt ir minne zu allen heiligen und zu den engeln und
zu dem almehtigcn gote, der selbe die wäre minne ist,
und zu miner faauwen sant marian der himelischen küni-
ginne. Und die minncnt dich auch her wider umbe iemer
mer ewiclichen. Swaz sie wollent', daz wilt auch du,
6) Hds. „daz und"
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i!| H
, 1
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
und swaz du wilt, da; wvllent auch sie. — Und also
wurf die Minne so feste und so groz, daz sie iemcr inere
stete ist. Und einer, der von krichen ist, den minnest du
alse sere, daz cz niemer münt volle sagen kan; und er
dich her wider. Und also minncnt sie in himclrich ie-
mer. — Die ahte spise, daz ist, 7) die uns der almeh-
tige got bereit hat von angengc der wcrlt, die heißet
schöne ane ungeschaffenhcit. Und do von sprichet der gute
sant augvstinus wünder und wunder, wie schone die sclc
ist, und der andern heiligen ein gar michel teil schöner
banne die sunne. Owe! ir frauwen, die da geri^unmö-
gelichen schone wcrn, ir mohtent gern erbeiten umb daz
himelrich, daz ir also gespiset werdet mit dirre edel» spise.
Wanne für die zit, daz ir nüwen zu einem male dieser
edeln spise enpsi'ndct, so zu hant für baz iemcr mcre sit
ir alse schone, da; es niemer münt volle sagen kan; und
ist aller untcte ein niht an uch, weder an »»gestalt un-
der den äugen, noch an dcheinre andern stat. Seht, daz
gebristet uch gar ein michel teil hie uf ertrich. Wanne
die eht sich vil schone wil dünken, der gebristet dannoch
manigcs. Sic kan so schone niht gcsin, man spreche:
„owe! wer da; an ir niht!" Ez si eht man oder frau-
we, so lobet man sie selten an' ein daz oder ane viere 8).
7) diese Worte sind etwas störend, vielleicht sind sie durch eine
Nachlässigkeit hereingekommen.
8) ohne eine oder vier Ausstcllnngen an ihr zu machen: wört-
lich : ohne ein das oder ohne vier d. h. ohne zu sagen: wäre
doch das nicht an ihr und das und daS u. s. f.
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Pf,! tr verwerin und ir qilwerin, wie gerne ir zu dem
hinielrich möhtet komm! Ir sit aber gar fremede geste.
do zu dem himelrich. Wanne ir habt gotes verleukent,
und do von verleukent er »wer auch; als man do liefet
von den zehen nieyden. Ich sage uch werlichen, daz ich
uwer nit enwciz noch wißen wil, sprach got selber zu
den fünf meyden, die da dump warn; als frauwen iesa-
beln auch geschah. Die verwerin und die qilwerin, die
verleukent goteö; auch verleukent er ir. Wanne dez ta-
ges da sie sich gar wol gevcrwet hcte, da muste sie des
»ahtes brennen in der helle. Nu seht, ir verwerin, We-
bers wegcr si uch, daz ir hüte gewinnent waren rüwen
unib alle uwer fünde, und die niemer mer wollent gc-
tün, und büße enphahent nach gotes gnaden und nach
uwcrn staten; oder iemer ewiclich mit »wenn verwen
oder mit uwerm gilwen mit dem tüfel do zu helle bren-
nen 9). Ir iünge werkt, hütet uch vor dieser fünde;
wanne sie Wirt sere gerochen: daz wißct ane zwiefcl.
Swelhe sich all dieser fünde oder andern fünden über se-
hen haben, die gewinnen wäre ruwe; und wol dan alle
zu dem himelrich, zu der ewigen wirtschaft, dar uns der
almehtige got geladen hat, da wir alse schone werden,
als der gute sant Paulus do sprichet: 0 ir moht es nie
gehören u. s. w., nü dez ersten an der sele, und an dem
iüngesten tage an libe und an sele. Und wie schöne der
almehtige got an dem iüngesten tage den lip wil machen,
ovts.
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sches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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und wie da von der almehtige got spricht, dez ist ein
wunder. Ein wistage begert an unsern Herren, daz er
im sunt tete, wie die wcrlt ersten solte. Da sprach un-
ser hcrrc: nu gang in daz huz, da man die bilde uz-erde
wirken kan. Der wissage tct also und ging in eins he-
sencrs hus, und sach dem in die hcnde. Do sah er wol
daz- wanne er ein bilde geworhtc, daz niht wol geriet,
so nam ers und zerbrach ez allesampt, und mahle banne
ein anders von dem selben nach sincm willen. Also wil
der almehtige got [t£in]. Dar über spricht der güte
sank augustinus: als wil auch unser hcrre tan. Ist ein
mensche zu swartz oder ze lang oder ze kürtz oder hoge-
reht oder krümp oder ussetzig oder unlütsclig, oder swie
ungestalt ez ist; so wil er tün als der hefener.- der daz
bilde zerbrichet, daz nach sinem willen nit ist. Und als
der mensche tot lit, er st schöne oder nit, so wirt er wi-
der zu erden. Als er banne zu erden wirt gemäht, ich
und banne an dem iüngesten tage, so wil er uz der sel-
ben erden ein lüstlich bilde machen, da deheinre stähle
Mangel an ist, und wil im daz zu einer ewigen spigel-
schauwe nemen in den ewigen freuden. Und die wil er
dann also spisen mit der spise, die da heißet schone an'
ungestalt. Und die aber zu der wirtschaft nit wollent
komen, dar zu sie got geladen hat, die wil er verdam-
men in die stinkenden helle, da ir niemer mere rat wirt. —
io) Mit einer kleinen Veränderung möchte ich lesen: „so wirt
er wider zu erden, als er banne nz erden wart gemäht;" u. s.f.
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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Und also Han ich nch diese ahtclcy spise fürgeleit und
irn edeln gcsmag, den sie haben, und die edeln craft, den
Worten daz ir dcsier gerncr zu der wirtschaft koment, da
uns der alniehtige got zu geladen hat. Und dar nach
so sprich ich also: si't daz die spise eht so manigcrley
smag haben, sam stäup in der sänne; so wil ich uch eht
etteliche wer sagen, daz ir die andern fürbaz aber bester
baz erkennent, und bester gerncr zu der grozcn wirtschaft
komet dez almehtigey gotes, und wil uch fürbaz mere
der edelen spise nennen. Ez hat etteliche spise den sniag:
für daz du sie zu einem male enphehest, so bist du wise
an' dümpheit. So hat etteliche den smak für daz du sie
zu einem male enphehest, fürbaz iemcr mer hast du seli-
keit an' Unglücke. So hat die den gesmag, daz du hast
iemer mer ere ane schände. So hat die den smak; als
du sie enphehest, so hast dn iemer mere liep ane leyt.
So hat die den smag, daz du iemcr mer hast truwe ane
untruwe. So ist die so tugenthaft und hat den smag,
daz du fürbaz iemer mer hast tugent an' untugent. So
hat die aber den smag daz du iemcr mer hast milte ane
gitikcit; aber ein ander süße ane bitterkeit. Und also
maniger slahte sint die spise, daz ir nieman zu ende ko-
men kan. Und do von sult ir got von allem hertzen
Minnen; wanne er hat uch gar unmazen liep gehabt an
maniger Hände dinge, da; er uch geschafen hat und uch
nach im selber gebildet hat. Da gnüget in dannoch nit
ane, er habe alle ding uch dar zu ze dicnstc und ze nütze
geschaffen. Und darnach gnügt in dannoch nit; er er-
— 252 —
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X (K ^ .
löste uns mit sinenr bittern tobe. Dannoch gnüget in
nit, er enhabc unS als manigcrley trabte und spise be-
reit, als man hüte liefet in dem heiligen evangclio: min
bürde ist ringe und min ioch ist süße. Kümpt her zu
mir ich wil uch spisen. Und da; da; war st, daz sehen
wir an vil dinges, da; unsers Herren bürde ringe ist und
sin ioch süße. Und daz liefet sman^j an manigem ende
in der heiligen geschrist. Daz crtzeuget uns auch der
almehtige got an dein künige davide und an dem künige
faule; wie wol dem künige davide sin ding gie, durch
daz er got gehorsam waz. Do nam er iemer mer uf
an ern und an güte. Da nam der künig faul abc an
crn und an güte untz an die zit, daz er unrehtes dotes
erstarp; da nam david uf an ern und an güte, biz daz
er ein heilig ende [nam]. Und daz liefet man gar vil
in der künige büch von den künigen, wie seliclichen und
wol den ir ding gie, die got gehorsam warn, und wie
unseliclichen ez den gie, die da wider got warn. Und
etteliche warn an dem anegenge gut, und warn got rehte
gehorsam; und alle die wilc und sie als gehorsam warn,
so waz got mit in; und swcnn: sie wider in warn, so
waz got wider in. Und also stet ez noch hüte. Nu seht,
wie selten die iemer guten dag gewinnen, die wider go-
tes hülden sin. Etteliche, den wol sol sin, die wcnent,
in si gar wol, und in ist we. Ez rident die schiltkneht
mit zerbrosten schuhen in kaltem wctcr, daz im sin mark
in sinem gebeine erfrüsct, und vert als ein heweschrecke
m einem dünnen wat, und [cn] wciz hin je naht, wo
2 53
sin Herberge ist, und gclit niemer warm und gißet selten
iemcr wol, und müz de; libeS alle zit vorhten, daz er eyt nit
enweiz, wo die lüte of im sin, und wanne er daz leben hat,
und wanne er an libe und an sele siirbet. Daz ist dem reuber
als dem dicke, dem diebe als dem reuber und andern unreh-
ten lüten. Pst! und den bösen Huten, die uff dem araben r w
gent. Nu seht ir wol, daz sie niemer guten tag gelc-
bcn, als billich ist. Und alle, die mit trnwen und mit
warheit umb gent, den ist hertzeclichen wol, und habent
gemach und ere und ist halt, daz sie einen gebresten ha-
ben, so vorhten sie dez unrehten todcs niht, alse iene mü-
zen. Und die nescher und nescherin sint, die müßen nia-
nig ungemach liden, da; diese auch nit enliden, die ku-
sche und stete sin. Und die ebrecherinne, die müßent
manigen schrecken nemen, und ietzunt hin rücken, und
banne her wider rücken, und hin gucken und her gücken
und her wider gucken, und müßen banne sorgen umb
lip und umb sele. Daz selbe ist den doppelern und den
stzilern. Die wcrdent niemer güteS mütes mit flüchcn
und mit schelten und mit untzühten und mit ungeneme-
keit und mit slahen und mit reuffcn. Ir ettelichcr vcrt
auch unrehtes todes für. Und also stet ez umb alle,
die mit totlichen fünden «mb gen. Und alle, die da tra-
gent die bürde unsers Herrn und sin loch, die lebent mit
liebe und mit selben, die wil daz sie lebent. Da mit
ist in wol; wanne ez ist in alles durch die liebe und
die minne unsers Herren süße und rüge. Und dar umb
sült ir die ringe bürde und daz süße Loch unsers Herren
ssisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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uff uch nemen, und sult zu im fönten, als er uch der
selben hüte gebeten hat; und sult die hohen edelen spise
enpfahen, die so nianigen edeln gesüiag hat, und der
traft so michel und so groz ist. Und die selbe bürde
unsers Herren sült ir mit drin fügenden tragen. Die
sint aller lügende beste. Wanne cz sint alle lügende
mit diesen drin tilgenden beslozen; und ez ist manig
tüsent sele zum himelriche komm mit diesen drin lugen-
den zu der edeln spise, da sie cwicliche wirtschaft mit
gote haben und mit allem himelischcn her. Und dieser
drier tugende heißet ein kuschekeyt, die ander dcmüt, die
drite gedültikcit. ii) Und alle, die daz ioch unsers Her-
ren 12) tragent mit diesen drin lugenden, und alle, die
sich an diesen drin lugenden und an andern funden uber--
sehen haben, die gewinnent allesament wäre rüwe und
kümen zu luter bihte und zu büße nach gotö gnaden
nach uwcrn staten. Und wol dan allcsampt zu der edeln
wirtschaft und zu der spise, da mit wir daz ewige leben
cnphahen. Daz verlihe uns allensampt der Vater und
der sun und der heilige geist. Amen.
11) Hier eine Verweisung auf die rate Pr. der Hds., wo eine
weitere Auseinandersetzung über diese Tugenden und ihr Ge-
gentheil.
12) der Sinn scheint zu fordern: „nit tragent."
m
Hemmungen und Förderungen der Erreichung des Ziels, ute Pr.
(i7te von dem fride.)
d?au liefet IN dem heiligen cvangelio, da; der almeh-
tige got sprichet: ich wil uwer ieglichem ein künigriche
geben. Da; ist gar ein groze gäbe und ist ein trüsteliche
gäbe. Ich wciz da; gar wol, ob ich ietzünt spreche: ich
wil uwer ieglichem ein gäbe geben die ist wohl hundert
marke wert, oder, ich will uwer ieglichem hundert marke
bereites si'lbcrs geben, ia wie fro uwer hertze in uwerm
libe were. Seht, so sültct ir sus hunderstunt frower sin.
Wanne ein künigrich ist hunderstunt tüwerre, denne der
uch hundert mark geheißen. Wanne unser herre ist tu-
sent stunt warhafter, banne dchein künig, der halt ie so
rich und so gewaltig wart. Und da von sült ir alle
groze freude an uwerm hertzen gewinnen, und sült dem
almehtigen got gar groze gnade und dank sagen umb
die über groze gnade und umb die riche gäbe. Wanne
er spricht nit: ich wil uwer ieglichem ein graveschaft ge-
ben »der ein hertzogetum. Da; were ein ander rede;
OjJLü^
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!
256
und ir ist doch gar vil, die ez für ein riche gäbe heten.
Und der halt ettelichem ein Hube gebe, er wcre halt her-
tzeclichen fro; gebe man im aber eine stat oder ein dorf
er were aber frower; gebe man im aber ein marke oder
hertzogtume, er wer aber frower. Und da von siilt ir
nu der truwen und der er» hertzeclichcn fro sin; wanne
der almehtige got wil uwcr jeglichem ein grozes künig-
riche geben. Und daz da; war si, da; fach der gute sant
iohannes in apokalipsi. Der fach ein stat, die waZ als wit
und als michel, da; ez an maze waz, in dem himclrich.
Und im seit ein engel, r) wie wit und lang und hohe
sie were, und wie breit die mure wcre. Und die selbe
müre, da mit die stat nmb müret waz, daz warn alle
edel steine, achates und karbünkel und saphyre und an-
der edel steine, und nit wanne lüter golt. Und also seit
der engel dem güten sante iohansen: wie manig tusent
mile daz were, der die müre lang und hoch und breit
waz. Und alle die in der selben stat sint, die sint alle
künige und küniginne, und sint alle beklcit mit kleide sam
die sünne, und sie habcnt alle lichte kröne und künicliche
kröne uf irn heubt; und die stat so gar wol geziert mit
götlicher gezierde, daz ich daz wol weiz, und were ein
semeUche stat in der Heidenschaft ien halp meres, uwer
ist maniger dez mutz 2), er füre von hinen über mere,
daz er nüwen die selben stat gesche; ich wil dez geschwi-
_____________ Oj(A1
1) Hds. „eingkl ^
2) statt: mütS, wie oben eiuz, imz 7t« Pr. Anm. 12.
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daz man im ein künigriche drinne zu rehten e,^^..
gebc^e und da; daz im niemer mer genümen würde von
ewen untz ewen. Und da von sült ir vonrehtem hertzen
fro sin, und sult goke danken der grozen gäbe und der
grozen gnaden, die er uns Hute geheißen hat. „Owe!
brüder bertolt, ich wcre vil fro, der mir ietzünt zehen
marke silbcrs gebe; daz wiste ich wol, waz daz were;
ich enger dez nit, daz ich ein künig were oder würde."
Siech, du verstest sin anders niht, der übergroßen gna-
den, die in himelrich ist. Wanne reht als gewiß du dez
bist, da; morgen ein tag kumpt, als auch Hute cinre
ist; — wanne do spricht her salomon: orlerur fol, die
sunne, die get hint hin, und kümpt morne aber her wi-
der — und do von sprich ich also: als man gewiz ist,
daz morgen ein ander tag kümpt, als gewiz ist, daz Hute
dehein mensche vor minen äugen sitzet als versmeht und
als arme, ez st siech oder zcr vallen von ussetzikeit, und
wil ez dar umb werben, im gebe der almehtige gott ein
künigriche, der got, der nie dehein lügen getet, der hat
cz uch geheißen und wil ez uch war lazen. Und dar
umb sult ir alle gerne zu dem himelrich kumen und dar
umb werben, daz ir alle dar kämet, und künige werdet
und furbaz sit iemer mere. Und daz uwer ettelichcr so
nüwe gernde ist, er füre über mere nüwen dar umb,
daz er gefthe ein stat, so über rich, und da so manig
künig und küniginne inne weren, Wirt und wirtinne, und
da so maniger richeit craft inne were, nu kümpt ir alle
sanfte dar, banne ir über mer vart und banne her wider
*7
— af)6 —
Hein — und da; ir sie danne als gerne styl mö vor:
nu seht, waz danne daz wert were, daz ir iemcr und
unter Herren und künige sollet sin. „Wie, bruder ber-
tholt, wie wit danne daz himelrich danne müste sin, so
ein ieglich mensche ein künigrichc hete.^ Nu merke rehte
wie vil der himel mögen sin. Alse vil und alle die werkt
witer undgrozerist, danne einige nadelspitze; als ist der
himel witer und grozer, da die stern an sten, danne alle
diese werlt. Und dar über ist ein hymel, der heißet
celum cristallinum, und der ist danne als vil witer und
grozer als da; firmament ist wider dem ertrich. Und
dar über ist aber der himel witer und grozer, der da
heiße celuin empyrium, banne celum cristallinum»
Und also viel ist ie ei» hymel grozer danne der ander.
Als vil als alle diese werkt ist gein einem nadcl spitze,
als vil ist der erste himel, da siernen an sten, wider aller
der werkte, oder 3) allem ertriche, und als vil ist danne
der ander grozer. Nu seht, welch ein wite daz si. Wanne
er aller engel Heere ist und aller der werkt, da hat er
auch groz Herschaft und vil kunigc. Und do von vmg
er den hymel wit und hoch und groz, daz ez untzellich
aller der werkt zu sagen were. Und da von speichet der
güte sant iohannes: daz ez mügclich were, daz man ez
alles gescheiben mvhte, da; ich zu himel fach, so mohte
doch alle die werlt die büch nit behalten. Daz ist also
gesprochen: die büch mohten von dem ertriche untz an
S) Hds. „ode"
— 2.69 —
daz sirmament nitgeligen, da ez alles an geschriben were,
da; ich zu himcl Han gesehen. — Nu seht: ob ir »it die
liebe und die minne unsers Herren da mit wollet ere»,
so modlet ir doch durch daz gr^ßHe wunder gerne zu bi-
mclrich konien und dar umb werben, daz ir da; über
große wunder seht. — Wanne der almehtige got als
wit und alse breit ez hat gemäht, so gedaht er im der
wisheit, wie tr der löte aller meiste in sin wites himel-
rich mobte bringen. Und da von gehiez er in als groz,
daz sie bester gerner zu im fürn. Da liez er doch nit,
er fünde da ein ander wisheit, dv mit er der lüte ehte
vil in sin riche drehte, daz er viel werlte gewünne. Und
swie groz bürg rebf er in gehiez, do fersen sie sich nit
ane, und füren von dem almehtigen gelte und von sinem
witen schönen himclrich, und fürn zu dem verfluchten
tüfe! in die verflöchten helle. Und dar umb erdaht im
der almehtige gvt einer wisbeit, wie er vil werlte zu
dem himclrich drehte wit güten dingen; und gedahte im,
wo mit den lüten aller sanfteste were, und aller beste,
und daz alle die werlt aller gernste tete, die jungen und
die alten, die frauwen nnd die man, und da aller der
werlte gir aller meystc nach stünde, und ob sie wünschen
sollen, daz sie niht anders wollen. Und daz selbe hat
uch der almehtige got geboten, daz ir dem almehtigen
got da mit dienen sollet und zu dem himelrich lomen.
Wanne er weiz wol, ob er uck ein hartes ding hcte ge-
boten, 4) daz ir daz niemer hetet getan. Und dar umb
17 *
4) Hds. „getan"
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hat er uch ein senftes ding, «in süßes geboten, da; »wer
Lester mcr dar kome. Wanne daz himelriche ist wite,
und hete eht gerne vil lüte in sinem riche, in stnen kei-
serlichen er». Und dar umb hat er uch gar ein lüstlich
ding geboten, ob ir wünschen kündet, daz ir nit anders
wollet wünschen. Und ez ist halt so lüstlich, daz der Vo-
gel in dem lüfte »it anders begert, noch 5) der visch in
dem wage, noch 5) daz dier uf dem velde, noch 5) der
worm in der erden. Und alles menschlich künne begert
anders niht, wanne eht dez einen, daz uch der almehtige
got geboten hat. Und den Worten, da; ir ez bester ger-
ner behaltet, daz gebot, so wil ich uch sagen, welhcr ley
gebot ez ist, da aller der werlte girde nach stunde: daz
heißet der fride. Der fride ist ein ding, dez alle die
werlt begert, und anders nit, banne dez frides. Und
alles, daz der mensche begert und düt, daz dut er anders
niht, banne durch den friden. Ez sitzet ettewanne eins
in znir, daz heizt der Hunger; so izz ich eht dar, dar
umb da) ich mir einen fride gemache vor dem, daz der
Hunger da heißet. So sitzet banne eins in mir, daz hei-
ßet der borst; so trinke ich eht dar durch, da; ich mir
ritten friden geschaffe vor dem, daz do heißet der borst. So
gein ich in eine stöbe oder zu einem füre, oder ich lege
dez gewandes bester me an mich, daz ich mir einen fri-
de geschaffe vor dem, daz da heißet der frost. So sitzet
eins ettewanne in mir, daz heißet der slaff; so lege ich
mich nider, daz ich mir einen fride geschaffe vor dem.
5) Hds. „nach"
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da; da heißet der slaffe. So twinget mich ettewenne
eins, da; heizzet die müde, so erbeide ich küme, biz da;
ich mich gelege, da; ich mir einen fride gemach für
der müde. So twinget mich ettewanne eins, da; heißet
Hitze; so küme ich gar gerne an eine küle, da; ich mir
einen fride geschaffe für der Hitze. Und also ist sin gar
vil, de; die lüte gern durch den friden. So twinget rna-
nige lüte armüt; die wirkent dar tag und naht, dar
umb da; sie in gerne einen friden schüffen vor der ar-
müte. Und also begert alle die werlt eht niht wann
frides, noch 6) der Vogel in dem lüfte, noch 6) der
fisch in dem wage, noch da; dier in dem walde, noch dev
worm i>» der erden. Und alle die geschaft, die got ir ge-
schuf, die begert de; frides. Wanne da; der almehtige
gor uf ertrich kam, da; det er anders nit banne dnrch
den friden, da; er einen fride gemehte under uns und
under dem Vater von himelrich, und da; er uns einen
friden gemehte. Do füngen die engel ob der kripfen:
gloria in excelsis Deo, et in terra pax hominibus booe
voluntatis! Die ere in der hohe, und allen den die da
güte- willen sin, güt fride uf erden! Und do unser
Herr« hie uf erden ging mit sinen iüngern: do sprach er
zu allen ziten zu sinen iüngern und auch zu andern lu-
ten: pax Vobis, da; spricht: der fride si mit uch. 7) Und
do er in erschein an dem ostertage, da sprach er aber zu
6) mit Anm. 5).
7) vergl. oben p. 125 — 127.
finftt iüngern: der fribe st mit uck. Und do er zu hi-
mel für, do sprach er aber: der fribe ft mit «cb. Wanne
eht alle die werft nit anders begert banne frides, so ge-
bot der almehtige got uns, daz wir den fribe feefeilten,
fit er so senste und so gut ist, daz unser bester iiter zu
dem himelriche kvmen. Da gebot er uns drier Hände
friden, die wir foltert behalten. Und allen den, die die
drier sey fribe behielten, de» wil der almehtige got tege-
lichen 8) ewiges künigriche geben. Und alle, die der
drier ley fride nit enhalteu, die werden verstozen dez ewi-
gen künigriches, daz der almehtige got Hut uns allen ge-
heißen hat. Und da die tufel sahen, daz uns got gar
gnedicliche hcte getan ait dem riche, daz sie do verwvrht
hetcn, da gingen sie zu hende; wanne sie vorhten, daz
der heiligen cristenheit zu viel zu dem himeltich wern
komm; und sie gingen zu hende und worden zu rate,
wie sie daz erwenten, daz der werlte so viel iht zu dem
himelrich keme. Und sie funden einen list, ein falschheit,
daz sie valschc münze slugen uf den edeln fride und «f
den rehten fride und uf den guedigen fride, als der rehte
falsche falsche kkpferinne Pfennige steht, die valsch und
upferin sin, uf güte pfeitnige. Und heten die unseligen
kufel und die verfluchten den falsch und den list, den sie
rdahten, nit funden, so wcre manig tuftnd sele zum hi-
nelrich komen, zu dem schönen hymelrich, daz in got ge-
heißen hete. Und dar umb haben sie gar grozen und
8) wahrscheinlich „teglichem".
— 263 —
gar trügenhafte» falsch dar under gcmischet. — Und
die drier Hände fride die sint also. Der erste fride,
den uns got gegeben hat, da; wir in halten, den
sollen wir halten, alse liep uns daz hiniclriche ft;
daz ist fride mit gvte. Und mit dem almehtigen gote
siiln wir einen vesten fride halten und steten. Wann
rr uns einen fride gemachet hat vor dem gemalte dez
tufcls und vor dem zvrne dez Vaters; und dar umb süln
wir fride mit gotte Han. Der fride ist also, daz wir den
almehtigen got mit deheinre slahte dötlichen fünden nie-
mer mer erz'ornen süln. Wanne got reine ist vor allen
fünden, so wil er bi deheiner fünden dehein dün Han.
Daune er verstiez manig tüsent enge! von dem himelrich,
dez sie den fride ze brachen, den mit gote cwigeklichen
sollen haben. Und dar umb müsten sie daz himelrich
rümen; und ez kan niemer mer fride noch süne werden
zwischen got und den engeln, die den fride zu brachen
mit der ungehorsame der fünden. Daz selbe geschach adam
in dem paradise. Als er die fünde getet, so zu hantwaz
fride uz, und müste daz paradys rümen, als der enge!
daz himelrich. Und dar umb kam unser herre ihesus
cristus von hymelrich uf ertrich her abe, daz er adames
könne einen friede gemehte. Wanne adam zu der fünde
verraten wart, da waz daz auch wol mügelich, daz er
baz zu hülden queme, banne der ungehorsam engel. Der
über hüp sich von sin selbes willen, und brach den fride
mit der hohfart. Und alle, die mit grozer hohfart umb
l
ib
I — s64 —
gent, die sin 9) so zü hant fride brecher; oder swelher
ley fünde cz ist, daz heubtsunde sin, so ist fride uz. Owe!
armer fund er, so zu baut, so du die fünde hegest, so ist
fride uz. Und dar umb so hant die tüfel valsch gefla-
gen uf den edel» fride, de» ein iegiich mensche haben
solte mit got. Daz ist der erste fride, den der almehtige
got geboten hat dem menschen. Der ander fride, den
dir got geboten hat, daz ist fride mit dir selber. Der
drite fride, daz ist fride mit dinem nehsten. Wanne der
mensche fride haben sol mit dem almehtigen gote, als
ich setze sprach- als er fride haben sol mit gote, also
fvl er fride haben mit im selber; so sol er auch fride
haben mit sineitt nehsten, als mit im selber. Und ds
mit so haben die tüfel valschen fride geslagen undcr de«
güten und under de» rehtcn fride, und habent nu ge-
mäht, daz der werkt daz merre teil valschen fride hat.
Die da fride haben solten mit gote, die haben nü fride mit
dem tüfel; die banne mit in selber fride solten haben, die ha-
bend fride mit deni fleische. Und siver mit im selber fride hat,
der hat fride mit dem libe und mit der sele, also daz der lip
Mt Hegern sol, banne daz der sele güt ist. Die banne
fride haben süln mit irn nehsten, die habent NU fride mit
der werkte süßekcit. Nu von den selben wil ich dez er-
sten sagen. Und dar umb ir unseligen tüfel, und hetet
ir den list nit fünden, so were manig tusent sele behal-
ten, die allesampt verlorn iemer mere ewiclichen müzzen
stn, W! ix verfluchten tüfel, waz ir mit diesen listen
\
c>) Hbf, Sf
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— siS —
feie verlorn habt und verkeufet mit uwer ungetruwen
valschen münze, die ir uf diesen güten fride geflagen
HM. Fride mit bittern nchsten hat der almehtige got
dir geboten. Daz ist alse vil gesprochen, daz du dinem
nehsten solt günnen, daz du dir selber ganst, und im solt
vcrgünnen, io) daz du dir selber verganst 10). „Wie,
bruder berthvlt, so würde nieman behalten. Ja hat ma-
niger zwen rocke oder dri an, und daz der ander nit ei-
nigen hat. Wie sol daz banne rat werden? Wanne der
zühet doch sin-m rock nit abe und git in diesem, der do
keinen hat." Siech, also hat ez got niht gemeynet;
wanne so würde nieman behalten. Ich Han auch zwene
rufe; der gib ich dir den wedern; ich wölte aber vil
gerne, daz du einen semelichen hetest, oder zwene alsam.
Ich Hede auch daz himelrich gerne; so günde ich dirs
alse wol, alse mir selber, daz du goteS hulde hetest, und
daz du die niemer mer Verliesen mohtest. Dez günde ich dir
gar wol, und dar an stet auch die minne, die du dinem
nehsten tragen solt, als dir selber. Und uff die Ware
minne hat der tüfel falsch geslagen. Und wanne der
mensche sinen nehsten Minnen sol als sich selber — daz
ist die wäre minne —, so hat der tufel falsche minne
geslagen uff die wäre minne. Und du minnest dinen
nehsten als dich selber, daz ist also gesprochen: wann du
selber unküsche bist an dem libe, so minnest du alle die
bester gerner, die da unkusche sin, und du hast sie dar
l]t II
L
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umb liep; wann du truwest ir geniezzen an der unküsch.
Und da mit so hat der tufel valsch geslagen uf die wa-
ren minne. Wanne alles, daz du Minnen solt an dinem
»ehsten mit der waren minne, da; hat der tüfcl alles
verkert in die valschcn minne. Wanne bist du ein un-
küschcr mensche, du minnest einen andern, der auch un-
kusche ist; und du minnest in auch durch anders niht,
wann eht durch unküsche. Bist du ein reuber, du min-
ncst eine», sder auch ein] reuber ist. Bist du ein diep,
du minnest einen andern, der auch ein diep ist. Bist du
ein tantzer, oder ein torneysmann, oder ein luderer, oder
ein spieler, oder ein fraz; du bist einem viel holder, der
dir dez selben hilfet, wanne der dir dar zu niht gehelfen
kan. Und du minnest den fraz durch stne frazheit, und
den spieler durch sin spil; und jeglicher minnet sinen gli-
chen. So minnet der die fünde; so minnet der ein an-
der fünde. Ketzerie und zauberie und swelher ley ez ist,
daz minnet ieglicher an dem andern, an si'nem nehsten. —
Daz wir da sprechen: an unserm nehsten, daz ist also
gesprochen- wir sind alle einander gebruder in got; und
da von suln wir sprechen: unser nehsten. Daz ist, daz
wir gebrüder sin. Und dar uf hat auch der tüfel falsch
geslagen: daz wir spachen: unser nehster, du minnest
dinen nehsten, da; ist, der dir an bosheit der nehfle ist;
den hat der tüfel dir zu einem nehsten geben, und zu
ininnen für die waren minne. Daz mag er dir vil wol
gclonen, im zerrinne dann alles dez fürcs, daz er irgent
hat. — Au dem andern male hat uch der almehtige got
267
geboten, daz ir frifcc haltet' mit nch selber. Daz>ist also
gesprochen u), daz der lip sol mit der sele vereinet sin,
daz der lip nit Hegern sol, waz der sele schade ft. So
hast du fride mit dir selber. Swanne aber der lip tät-
licher fünde begert, so kan niemer dehein mensche fride
mit im selber gehaben. Wanne die sele ist von der edeln
gvtbeit gemäht, so ist ir die fünde wider, so krieget der
lip nach den fünden. Wanne ir mißet wol, fwenne der
lip die fünde gctüt, so erkunnest 12) du in dinem her-
tzcn, swelher ley die fünde ist; so erschrickest du dar abe
viel oder wenig, und gedenkest dir also: „owe! waz Han
ich getan!" Siech daz ist die sele; wanne sie daz wol
iveiz, daz sie die martel dar umb liden müz. So spri-
chet manig mensche: weh! waz schulde hat die sele an
den fünden, die der lip gctüt? Ja, got weiz, die sele hat
dicke und oste schulden an den funden. Wanne von reht
ist die sele dez libes meister, und sie ist wirt und hus-
srauwe in dem libe, als ein fromer wirt in sinem Hufe.
Daz spricht der gute sant iacob: die sele sol sich gar
vaste wider setzen in dem libe. Als der lip einer fünde
begert, so sol die sele gar festeclichen wider striten, und
sol dem libe Meisterschaft an haben, daz er der fünde iht
tü. Wanne daz mag sie wol getün, ob sie eht wil. Und
da von, waz der lip gesündet, da ist die sele auch schül-
dig an. Wanne sic hcnget alles dcni libe nach durch die
11) Dieser Satz steht in der Hds. vor dem: „daz ir fride haltet."
12) Hds. „crkumest"
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ster in dem libe, ,daz sich der l!p nit alleine behütet vor
dotlichen fünden; wanne sie hütent sich halt vor tegeli-
chen fünden gar vil. Nit gar mag man sich vor tegelichen
funden behüten; iedoch hütet sich ettelicher mensche verre ba;,
dann« da; ander. Und dar umb, ir Herschaft allesampt, so hü-
tet uch durch den almehtigen got. Swanne ir der funden müt
gewinnet, so enpfindet ir der fünden wol da; ir ein vorhte
dergegen habt. Daz ist die edele sele; die stritet vaste wider. ,
Wanne sie die rache unsers Herren wol bekennet und wei;. I
Und dar umb sult ir der edeln sele volgen, und wider stri-
tet den funden, so ist eht ein gantzer fride zwischen lib i3)
und sele. Nu haben die tufel grvzen valsch uf den fride !
geslagen. Wanne die sele nit danne himelischer dinge
begern solte, und sie von himelischen dingen ist; so ha-
bent sie banne valsch uf die begerünge funden, da; der
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i3) abweichende Schreibung.
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lip obemt [l)ant] hat gewunnen, und daz er nit wanne
irdenischer dinge bcgert, und hat der sele den sieg me§=
stig gar an gewonnen. -Wanne der lip ist von irdeni-
schen dingen gemachet, und do von begert er auch irde-
nischer dinge, .und die auch der sele gar wider sink. Und
da von mag nit fride sin, swo du dinem libe dütlicher
fünden verhengen wilt. Und also hat uch der almehtige
got fride geboten, daz ir fride mit uch selber habt. Daz
ist der fride, da mit der unedel lip der edelen sele vol-
gen sol, und sol ir gehorsam und undertenig sin. Daz
ist der gotes fride. So ist daz dez dufels fride, so der
unedel lip der. sele mit der funden an gesigt.— Die bit-
ten, die fride mit gvte haben süln, also daz sie den al-
mehtigen got mit keinen dingen erzornen süln, die dot-
liche fünde sink, die do habent nü fride i4) mit dem tü-
fel. Daz sint drier Hände lute, die fride habent mit dem
tufel. Und da von habent sie fride mit dem tüfel, da;
sie dem an irm leben aller glichste sint. Daz eine sint
ketzer, die fride mit dem tüfel habent. Wanne der ketzer
hat zwei ding an im, die dem tufel glichcnt und die der
tüfel beide hat. Da; ein ist, daz der tüfel tüt, daz ist,
daz er alle, die er mag, von gote kert, daz er daz düt.
Wanne er daz hinrelrich vermocht und verlorn hat, fo
sehe er ane maze gerne, daz er alle die verwöhrte^ die
von adames künne geborn sin. Und er schüpfet und re-
det mit allem fliße, wie er kan und mag, daz ir viel st,
P
-
fl
— 2?« —
die den fride unsers Herren zu brechen und daz eisige
künignche verwirken, daz sie da verworht hant, die lcy-
den tüfcl. — Daz ander, da; auch der tüfel an im hak,
daz ist, daz er sich niemer bekern wil. Er wolte halt
nit, daz er bi got in dem himelrich wcre, den Worten
daz er gotes frunt wblte sin. Und an den selben din-
gen sink die ketzer dem tüfel auch gelich. Der ketzer ist
gevallen von der gemeinde der heiligen cristenheit, und
also machet er alle die zu ketzern gern, die in der heili-
gen kristenheide si»t. Und dar umb svl man sich vor
im rS) hüten, so er vil heimlichen get zu uch, nnd
spricht, er wolle uch gut ding lern heymelich in einem
Winkel, und dez er uch öffentlich gelern entar. Daz ist
reht ein ketzer. Wanne wolte er dich gut ding lern, so
lert' er dich an dem lichte vor den luten. Und als ir
dez selben innen werdet, so sult ir sie rügen, und hütet
uch vor in, als licp uch himelrich si, daz er iemer ein ei-
niges wort von in gelerncnt. Und etteliche, die dünkent
sich so gar sicher, daz sie in gedcnkent: ich wil cz wol
im versahen, untz ich besiehe, waz ez si, daz er mich da
leren wil. Seht, dez sult ir nit tün. Wanne als ir sie
vcrsüchen wvllent, und biz ir nüwen versüchent, waz er
künne mit dem selben, so hat er dich zu einem ketzer ge-
mäht, und daz du iemer bester böser und bester krenker
an dinem glauben bist, oder da; du so zehant vellest von
der gemeinde der heiligen cristenheit und von dem fro-
i5) Hds. „in"
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 2.I1 —
ncil himelrich, daz du daz antlütze unsers Herren niemer
Niere gesihst. Da beschirme uns der almehtige gvt vor! —
Daz ander, dar an sich der ketzer dem tüfet glichet, daz
ist, daz sich der ketzer niemer mer bekern wil, als wenig
als der tufel. Wanne er ist als gar verhertet und ver-
steinct, als der tüfel in der ketzerie. Und reht als der
kristalle von wazzer zu steine worden ist, als ist der ke-
tzer von einem tristen menschen worden. Und als wenig
als man den kristallen icmer zu wazzer machen mag, als
wenig mag man den ketzer iemer mer zu einem fristen
menschen gemachen, er si banne kürtzlich in die ketzerie
komen. — Die andern lüte, die sich auch aller baste dem
tüfel gelichent, und die steten friden mit dem tnfel habent,
daz er niemer zerbrochen wirt, daz sint alle, die da fündent
wider den heiligen geist. Daz sint fünf ley oder sehs
lcy fünde, die wider den heiligen geist sint. Und do cn-
geturren wir niht von gcreden; wanne daz ist eht uns
verboten. Und die sint auch als versteinet und verhcr-
tet als der tüfel. — So sint die brisen aller lüte wirst,
die dem tüfel aller güchste sint an irn fünden. Die hal-
tend steten fride mit dem tüfel. Der ist so stete, daz
halt unter allen sündern nieman so steten fride mit dem
tüfel shah. Die sint dem tüfel aller glichste under allen
lüten, und sint aller sünder schedelicheste, die selben sündcr
die die werlt ie gewan oder iemer gewinnt. Da; sink
die gitigen lüte alle, die unreht gut wider got gewinnent
und wider sinen hülden; so mit wücher, so mit fürkanffe
mit dinges geben, so mit raube, oder mit düpstal, oder
mit trugenheit an kauffe oder an antwerk; oder mit fwe!-
hen dingen du ez gewinnest, daz unrehte güt, die stnt
alle dem tüfel gliche, und habent steten fride mit dem
tüfel eht iemer mere. Wanne der tufel hat drü ding an
im, die sint aller dinge wirste, die die werlt ie gewan.
Daz erste ist, daz der tufel stetes fündet tag und naht
für sich dar, da; er niemer geruwet, keine wile noch de-
heine stünde. Daz ander, daz er gitig nach den fünden
ist. So er ie mer gesündet, so er ie gerner fündet, und
in begnüget eht niemer. Daz drite ist, daz der tüfel sich
niemer bekern wil. Und an diesen drin funden sint die
gitigen lüte dem tüfel aller glichste, und habent steten
fride mit im an den selben dingen. Die gitigen lütesun-
dent tag und naht alle Zit. Die zit si heilig oder uiht,
ez si jene zit oder diese zit; so fundet eht er für sich dar.
Ir andern sundcr, ir lat doch gotte etrewanne einen fri-
den mit uwern fünden. Ir niördcr, ir mordet ietze nie-
man; ir ebrecher, ir brechent ietzunt niht uwer ee; ir
zeuberer und ir zeuberinne, ir zaubcrnt ietze niit nihte;
ir fraz, ir luderer und ir spiler und ir tentzer, ir tribet
üwer unfüre mit nieman ietzünt. Und uch durstet halt
vil sere; ir düt ez gern oder «„gerne, so müßet ir sin
ungetrunken. Ir dantzcr- ir tantzet ietzünt mit nieman. Ir
ander sunder, ir gebt dem almehtigen gotte ettewanne fri-
den» Diese gitigen lüte, die gebeut dem almehtigen gote
niemer deheinen fride. Daz-ist da von, daz sie fride mit
dem tufel habent. Nu siech, gitiger, wücherer und für-
keuffer, sit hüte, daz du her keme, fit hast du mit wucher
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 273 —
und mit fürkeusfe wol vier Pfennige gewonnen; und fit
ich diese an hüb, sit bist du libte eins helbclinges richer,
banne e. Und an dem teile hast du fride mit dem tu-
fel. Der let auch gvt niemer geruwen. Und da von
spricht der almchtige got selbe von den gitigen löten als
gar übel, daz ich nit neme dehein gut, ich neme nit hun-
dert pfünt, daz ich also vor diesen engelir ssprcche,^) die
alhie gcgenwertig st'nt, und vor die» den luten. Ez
werde de» engeln und tüten allen ire orn betrübt, ob ich
nü vor in spreche, als got selber hat gesprochen. Er
spricht: „du rehte bbse Hut!" alfür sich hi», und spricht
gar übel: „du rehte böse hüte, du lest mich niemer ge-
ruwen. Die von samaria und die von gomorra und die
von sodoma, die lant mich geruwcn ettewenne. Du lest
mich niemer geruwe»; wann vin pflüg ist eht alle zituff
der verte und uf der arbeit dez gewinnes." Nu wiz fro,
gitiger, du versumest einen hclbeling nit an dirre predige.
Ir andern lüte, ir versümet uch ietze. gar sere an uwer
arbeit. Der gitige versümet sieb aber nihtsnit an dirre
predige. Wanne uwer gewinne gent eht alle zit für sich,
so krüm, so steht; ez Witter übel oder wol, ez si besezze
oder niht, ez si Hagel oder niht, so get bin pflüg doch
alle zyt gelich. Pfi!, daz dich die erde nit verslanr, daz
du mit dem heiligen tauffe getauft bist! Wanne du
ein iüde bist an dincn werken und an dinem leben. Und
da mit ist din fride mit dem tüfel iemer stete. — Zum
andern male bist du dem tüfel auch glich a» dinen sün-
18
— 274 —
den, daz ist, daz den tüfel an finett fünden niemer gnügt;
so er ie mer fündet, so er ie gcrner fündet. Also tut
auch der gitige; den selben fride heltet er gar vesteclich
mit dem tüfel. Wanne so er ie mer mit fürkauffe und mit
wücher und mit satzunge gewinnet, so er ie gerner me
und ie gerner viel bete. Pfi gitiger, wie gar glich du
dem tüfel bist! und ir verflüchten tüfel, wie gar wislich
ir den falsch geslagen hant und diesen ungetrüwen fride.
Wanne diese gitigen lüte, der hertze vor gitikeit niemer
vollenjsat werden kan, sie heißent anders nit die gitigcir
lüte, banne da von: so sie dez unrehten gütes ie mere
gewinnent, so sie je gerner mer wolten haben. Und da;
ist ir fride mit dem tüfel. — Zu dem brisen male hat
der gitige fride mit dem tüfele also, da; er nicnier wäre
ruwe gewinnet, als wenig als der tufel und als der ke-
tzer und alse die dv funden wider den heiligen gcist.
Wann daz ist alles eine gesclleschaft. Der tüfel und die
gitigen und die katzer und fdiej wider den heiligen geist
do sündent, daz ist alles eine kumpanie und ein gcsinde,
sie heten anders nit fride mit dem tüfel. Und ie doch
süln wir versuchen, und süln diese gitigen lüte biten und
manen, daz sie sich uz dem fride nemen, uz dem fride
dez tufels, und sich ergeben in den fride und in die ge-
selleschaft dez almehtigcn gotes und aller gotesheiligeir
und aller engele und aller himelischen nienie. Und Hute
daz unrehte güt lazent, daz ir erhöhet werdet in dem
hpmlischen iherusalem bi dem almehtigen gote. Ja sül-
— 275 —
tet ir zü edel »wer jeglicher sin dar zu, daz ir mit dem
verfluchten düfel iemer geselleschaft habet an dem gründe
der hellen. Man gap eins wisen lüten für, daz sie sel-
ten raten, waz mannes hertze aller schierste über wunden
habe. Da sprach daz eine: daz dede ein kunig. Der
künig über wünde aller schirste marines hertze; wanne
swaz der künig einem armen manne gcbüte, daz wer er
mit allem fliße gern gereht und bereit, und er getorstes
niemer wider reden, und er wer halt fto, wanne im der
künig ihtes gcbüte. — Da sprach der ander: dez ist nit;
der win über windet mannes hertze aller schirste. Der
win, der machet einen, daz er von bürge und auch von
lande ret und von grozem güte und von tusent marken,
der er einigen Pfennig niht enhat. — Da sprach der drite:
dez ist niht; die frauwen habcnt mannes hertze aller schirste
über komen. — Der nam oberntbant; wanne er hete
reht daz bewert mit adam wol. Den bete got als star-
ken geschaffen, und hete man alle tage berge uf in ge-
leit, man mühte erdrücket Han; wanne er hete eht
in untbtlich geschaffen. Der alle swert und alle wafen
hete uf in geslagcn und gestoßen, er enwere nit tot.
Der in versenket hete in alle wazzer, er were nit er-
trunken. Wanne er waz eht untötlich; da von mohte
er nit erstorben sin, swie man im getan hete. Und wie
starken und wie untötlichen er in hete geschaffen, so hatte
in doch eine frauwe schiere über wunden. An aller siner
craft und an aller siner wiroe und aller siner edelkeit
über want in ein fraulve, daz er alle sine crefte verloz.
— 27 6 —
Und do von so het er sobernthant) behabt. 16) Wanne
sampson, der hete tusent manne sterke; und gewan im
ein wip alle sine sterke an und alle sine craft. Und^a-
lomon wart betrogen an aller siner wisheit; und manig
ander man, die betrogen sink von frauwen. Und da von
habent die frauwen den mannen den sig an behabt. Und
dar umb wil ich diese gitigen lüte dez bitten: sit diese drü
ding aller meiste Mannes hertze über winden, so lat uch
hüte diese drü ding über winden; und sint dez ersten er-
beten und ermant bi dem wine, den uch der alniehtige
got schenken wil ewiclichen. Wanne der bezcichent die 17)
warn minne unsers Herren. Die wil er dir dar umb
ewiclichen schenken, daz du körnest uz der geselleschaft dez
düfels, und daz du daz unrehte güte hüte leßest, daz du
doch müst lazen, den Worten, daz dir der güte saut pe-
ter schenket ewiclich mit den heiligen zwelf boten, daz
dich die ewiclicheir minnen in der genvzzcschaft aller hei-
ligen. Nu lat Hute daz unrehte gut durch den güten
sant stephan und alle gotes marteler, daz uch die iemer
ewiclichen müßen minnen. Ich bite uch Hute, daz ir ein
wenig unrehtes gütes wider gebent, durch den güte» sant
nyclausen und durch alle nothelfer. — O we! nü ist er
doch gar milte, der güte sant nycolaus, und er hat ma-
nig tusenden uz noten geholfen mit siner heilikeit, die er
r6) nemlich der dritte unter den Antwortenden. Ohne die Er-
gänzung „obemthant" will kein guter Sinn herauskommen.
17) Hds. „drie"
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umb got verdient hat und durch die heiligen nun chore
der heiligen engcle und alles himelisch her, daz uch die
ienier mer in den ewigen freuden ewiclichen muzen schen-
ken den edcln süßen win der waren minne, und daz ir
davon drünken mußet werden, der waren minne, der 18)
do niemer zerrinnet, und die do niemer kein ende ge-
winnet, und also trunken mit der freuden werden, die
I hertze nie betrahten künde, die ore nie gehörte und münt
nie gesprach, als der güte sant Paulus do sprichet. Und
lat Hute daz unrehte guet durch alle gemeinschaft alles
himclischen Hers, und lat uch Hute diesen edeln süßen win
uwer hertze angcwinnen, daz uch alles himelische her ie-
mer frölichen müßen minnen. — Jum andern male bite
ich uch durch die liehe, die ir dem himelische» künige
leisten sult. Wanne daz ist der drier dinge eins, die
mannes hertze ubcr windent. Wanne ienre künig den 19)
himelischen künig bctütet, den künig aller künige und
aller dirre werkte, und den keiser aller künige und aller
enge! Herren. Den lat uch hüte über winden, daz ir
daz unrehte gut lat. Wanne er uch geheißen hat, daz er
uwer jeglichem ein künigriche geben wolle, und uch auch
zu künigen wil machen, als er selber ein künig ist. Und er
hat ucl> doch gelobt, daz er uch icmer mer cwicliche be-
halten wil in dirre werkte und in ienre, ob ir sin im
gctruwet. Und da von sult irs im getruwen, ob ir ein
18) geht wol auf,,»rä" aJJL
19) Hds. „dem"
ivwt
i
11
küuigrich durch si'nen willen ließet, daz er uch daz wol
crgetzen mag. Nu seht, wie lützel sie der gliche irgcnt
tün, wie gar sie verzwifelt haut an aller gvtcs barm-
hertzekeit. Nu wirt doch maniges hohen mannes hertze
über wunden von küniclichem gewalte. Nu weist du
doch wol, daz er dir lip und sele geben hat und gut und
gebore und gesehen und alle uwer sinne. Und da von
ist ez ein wunder, ob ir daz iemer getürret geleben, da;
ir deheinre slaht güt wider got haben wollet. Und da
von bist du eintwedcr ein verzwifcler als der düfel, oder
ein verherter als der tufel. O we dez, daz din hertze als
Versteint ist, daz ez weder win mit der waren niinne,
noch alle die gesclleschast aller gotes heiligen, noch der
künig aller kunige niemer über winden mag. So la dich
doch über winde», die reine süße frauwe, die mit der sun-
nen bccleit ist, als sie der gute saute iohannes da fach
in apocalipsi, und zwelf sterren uf irm heubte zu einer
kröne, und ir fuße hant den manen under in zu einem
füsschemel. Seht, die selben edeln kunigin, die sült ir
hie mit ern, und sült hüte daz unrehte güt von uch la-
ßen durch die edeln frauwen sant mariam goreö niüter,
von der her david dv sprach, daz sie stet bi si'nem künige
zu siner zeswen in guldinre wete. Und der wise salonton
hat sie guch gelobt: sicut liliunr Inter spinas etc. Und
da von fult ix die hohen frauwen ern. Die frauwe ist
über alle frauwen und über alle iüngfrauwen, und sant
inariam magdalcnen und sant Margareten und sant ka- '
therinen ynd die andern allesampt. So lattge daz ienre
279
gewan, daz frauwen mannes hertze aller schirste über
wunden und aller meyste, so lat uch hüte diese edeln
frauwen über winden, die uns allen zu heile und zu
selben ist ertaget, und die uns do wol gehelfen mag von
allen unsern fünden, und uns auch helfen wil. Nü lat
hüte unrehtes gut durch aller der ere willen, die min
frauwe sant maria hat bi irm heiligen brüt kinde, und
daz ir die iemer mit ir nicßent ewiclichen. Ir andern
sünder, die do fride mit 20) dem stcische habent, und
die fride mit der werlte süße habent, die gewinnen alle-
sampt waren rüwe und büße nach gotes gnaden und
nach uwern siaten. Wann swaz ich mit diesen gitigen luten
gerede, daz ist verlor«,. Wanne ez ist ein so steter fride, den sie
mit dem tüfcl habent gesichert, daz er nu niemer mer zerbro-
chen wirt. Ir andern sünder, gewinnet waren rüwen, und
gewinnet fride mit dem almehtigcn gote, und mit uch fei
der, und fride mit uweren nehsten, als uch der almehtige got
geboten hat, und daz ir daz künigriche besi'tzent, daz er
uch geheißen hak, alS man Hute liefet in dem heiligen
ampte. Daz uns daz allen wider var, uch mit mir und
mir mit uch, dez verliehe uns der almehtige got! Amen.
20) Hds. „Nit mit"
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12U Pr. (25U) Dreierlei Hindernisse des seligen Anschauens Got-
tes. Text Matth. 5,8. (Selig, die reines hertzen sint; wann
sie werdeut got sehen).
^«^elig sint die armen, wanne daz himelrich ist ir u. s. w.
Mit diesen aht rügenden sint alle die zu himelrich komm,
die do sint. Und mit den selben aht Lügenden mußent
noch alle die dar komm, die iemer mer dar komm süln.
Nu wil ich die sieben under wegen lan, und wil nuwcn
von ir einre sagen. Wanne alse vil guter dinge an ir
ieglicher ist, und von ir jeglicher were gar vil und gar
lang sunderlichen zu sagende. Und wie manige untugent
uns an diesen, ahte Lügenden irret, daz würde eht von
ieglicher gar lang zu sagende. Wanne man ez alles in
einer predigen nit verenden mag, noch in vicrn, noch in
zehenen, so wil ich uch hüte nüwen sagen von den, die
ein rein hertze haben, und von den i) man hüte do liefet
in dem heiligen ewangelio: selig sint, die reins hettzen
sint; die werdent got sehende. Die sint wol von rehte
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selig, die da got von rehte scheut. Ein ubergülde ist ez
aller der selikeit, die ie wart oder iemer mer cht werden
mag, swer got ansehend eht werden mag. Also süße
und alse wünnenclich ist die gesiht, die man an' got sieht.
So wart nie deheinre muter ir kint nie so licp an' un-
ser frauwen, und solle sie cz drie tage ane sehen an' un-
derlaz, da; sie anders nit enpflege, wanne eht sie ir lie-
bes kint solle an sehen: sie ezzc an den Vierden tage vil
get^e ein stücke broteö. Und woltc ich viel gest/e, da; Tn
ich als gerne ein gut mensche wcre, als da; war ist,
da; ich ietzunt reden wil. Ob da; also wcre, daz man
zu einem menschen spreche, der ietzunt bi got ist: „du
hast zehen kint uf ertrich, und du solt in keufen allen-
sampt, daz sie ere und güt haben untz an irn tot, do
mit da; du einigen augenblig von gotes angesiht dust,
nüwcn als lange als eins sin hant mbht umb kern, und
siech banne wider zu got, und du solt bin äugen niemer
mer von im kern;" der mensche entete sin nit. Alse
war, hcrre, dine warheit ist, alse war ist diese rede, da;
er diese zehen kint untze an irn tot ee noch dem almusen
lieze gen, ee banne er sich die kleine wile von got wolte
wenden. In habent die engel wol sehtzig hundert iar an
gesehen, und scheut in hüte als gerne, als dez ersten ta-
ges. Und sie sink auch allcsampt, sam dez ersten tages
so, do sie got ansehende worden. Do wart ir deheinre
sit nie eltlicher, banne dez ersten tages, und sint doch
sieder wol sehtzig hundert iar alt. Welcher hundert iar
alt würde under uns, der were den luten alse smehe an
Zn sehen von Ungestaltheit und von dem gebresten, den
daz alter an im hat gemäht. So malet man die en-
gele — da seht ir wol, wo man sie malt, daz man sic
eht anders niht enmalt, wann als ein kint von fünf iarn
als iünklich oder von sehsen. Wanne alle die got sc-
heut, die wcrdent niemer eltlichcr, die [in] in himelrich
sehent in sinen freuden und in sinen eren. Uf ertriche
sehen wir in alle tage in sinem gcwalte. Dehein ir-
denischer müt noch irdenisch lip mohte daz nit erli-
den, daz in dehein irdenische äuge iemer an gesehen
möhte in sinen freuden und in sinen eren, als ez [jti] hi-
melriche ist. Wir sagen uch ettewanne ein glichnissc, wie
schöne got si'. Seht, alles daz wir iemer gesagen künnen
oder mögen, daz ist rehte dem gliche, als obe 2) ein kint
uns solte sagen, ob ez möglich were, die wile ez in sinre
müter libe ist beslozen, nnd daz solte sagen, von aller
der wirde und von aller der gezierde, die die werlt hat,
von der lihten sünnen, von den lichten sternen, von edelre
gesteine craft und von ir maniger slahte varwc, von der
edelen wurtze craft, und von der edeln 3) gesmake, und
von der richen gezirdc, die man uzer siden und uzer golde
machet in dirre werlte, und von nianiger Hände süßen
stimme, die die werlt hat, von vdgelin sänge und von
seiten spil, und von maniger blümen varwe und von aller
der gezierde, die diese werlt hat. Alse unmügclich und
2) Hds. „abc"
3) vielleicht ist hier „wurtze" ausgefallen.
283 —
alse unküntlichen eime kinde do von ze sprechen were, da;
noch bestozcn ist in siner müter^ libe, daz nie niht gesach,
weder übel noch gut, noch deheiner freuden enpfant, als
unkünt dem kinde da von zu redende ist; als unkünt ist
auch uns da von zu redende, von der unsegelichen wünne,
die do zu hymel ist, und von dem wünneclichen antlütze
dez lebendigen gotes. Wanne alle die frcude, die do zu hi-
mcl ist, der ist nit, wanne von dem schine, der von un-
sers Herren antlitze get. Und rehte als alle sternen ir
lihte von der sünnen nement, also habcnt alle heiligen
ir gezicrde und ir schonheit von gote, und engele und
alles himelische her. Reht als alle die sternen dez hi-
mels, der mane und die planaten, groz und kleine, die
habent allesampt ir liht von der sünnen, die uns da küh-
let; und also hat alles himelisches her, enge! und heili-
gen, die hohstcn und die minnesten, die habent allesanipt
ir frcude und ir wünne und ir gezierdc und die ere und
wirde und auch die schonde, daz habent sie allesampt von
der angesihte gotes, da; sie got ansehend. Die engele,
die do unser hütent, die sehent in zu aller zit an, als ob
sie bi im wer». Wanne alle die freude, die in himel-
riche rst, die duhte sie zu nihte, sollen sie got niht an
sehen. Und do von selig sint, die reins hertzen sink,
wanne sie werdend got sehende. Nu sehent, ir liebe cri-
stcnheit, wie selig die sint, die da reines hertze tragen.
Ir iünge werlt, die noch unbcwollcn sint mit fünden,
behaltent »wer hertze vor allen tödlichen fünden, so wer-
det 4) ir got schenke in solichen freuben, und in so gro-
zen ern, die äuge nie gesach oder vre nie geborte, alse sant
Paulus sprichet; oder alse sank ivhanneö sprichct: wer ez
müglich, daz man ez allessampt gcschriben mohte,so mohte
die werlt die büch in ir nit behalten, da ez an gestünde,
daz ich gesach. Und alles, daz ich gesach, daz waz uit,
wanne got alleine." Und dar umb mähten wir doch
gerne zu dem himclriche kümen, und drümbe arbeiten.
Ob uns uit die miime und die liebe dar twünge, der
wir gote schuldig sin; seht, so mohten wir dar umb dar
kümen, durch daz wunder, daz da ist. Ez ist maniger
vor mir, der im von so getaner freude feite, daz sie ien
halp meres wcre, er füre gar gerincklichen dar von hin-
nen über mer, nürven daz ers gesehe. So möhtcnt ir
hundert stünt gerncr dar umb arbeiten, daz irs iemer
mere ewiclichen nießen söltct. Die vil wünncclichen an-
gesiht dez almchtigen gotes und der himelischen küniginnen
zu der zeswen siner fiten in guldiner wete, die mähtet
ir gerne an sehen. Wanne würde uch einiger anblik, so
were uch alle die freude und die ere und aller der wollost,
den die werlt ie- gewan, daz wer uch hinne für als wi-
der zcme und auch alse «innere, reht als sant Paulus
do sprach. Nu höret, wie der sprach. Er sprach: alle
die ere und die freude und daz gemach, die diese werlt
ie gewan von feifern und von künigen wider freuden, die
in himelrich ist, — alö wider zcme einem were ein diep an
4) Hds. „werden"
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285
einem galgen, als kürtz einem die wile do mit were, da;
er einen erhan.qen man drüten solte, wider aller der freu-
den, die die werlt hat: alse wider zeme ist mir die freude
aller der werkte wider der ewigen freude. Ey wol nch
wart, daz uch uwer niutcr ie getrüg, die so getane freude
suln besitzen. Der ist, ob got wil, maniger voruauen,
äugen. Auch ist maniger, der vil kleine freude dar für
nimpt hie uff ertrich. Und daz den guten sänke pauken
gar versmahte, dez wirk im der tüsentste teil nit» Und
die habent übel kauft, die so über groze freude geben unib
ein so kürzes freudelin in dirre werkte. Die habent übel
gcvarn; wanne sie habent weder hie noch dort niyt, als
ich ietze sprach. — Achte in glicher wife, reht alse alle S)
sternen dez himels ir lieht von der sünnen habe»; also
hat alles himelisch her ir lieht von dem warn sünnen, sit
banne unser herre der wäre sünne »nd daz wäre lieht
ist, alse der güte sank iohannes do sprichet. Der heißet
in das wäre lieht; als auch daz vil war ist; wanne er
ist daz war lieht, daz nienier mcr verloscht. Und alle,
die von sime got varwen lichte enzundet werden, die er-
leschcnt auch nienier mere von der schonheit, die sie von
dem warn sünnen haut. Und als viel die sünne lichter und
gelpfcr ist, banne wir da sehen, rehte als viel die lichtes
und glastes über alle stern hat, die an dem hiniel stent;
in himelrich schines und glastes
als vil hat der wäre
5) Hds. „der alle"
&
ot+vmsej.
mer, über alle engele, und ist geschönt und gewirdet an
s'
I
286
allen ent, alse Mich ist. Und do von sint sie selig, die
ein reines hertze habent; wänne sie werdent got sehende.
Nu ist der dinge leider vil, die uns dez irrent, daz wir
den almehtigen got niht sehende werden. Daz tut ein
iegliche tot fünde. Swer die uf im hat und ane rüwen
Lo mit vom dirre werkte vert, der gesteht den waren sün-
nen niemer mer. — Wanne die fünde so maniger Hände
stnt; daz ich sie lihte in vier tagen oder in saufen
niemer gart genennen mohte, so wil ich ir hüte nüwen
drie sagen. Gibt mir got die gnade, so sage ich morgen
und übermorgen aber mee. Und dar umb sült ir oste
zu predigen gen; so kündet ir uch bester baz behüten vor
dem irretüme allem, daz uns der srolichcn angesiht irret
dez waren sünnen. Und do von wil ich uch Hute sagen
von drin dingen, die die werkte aller meiste und aller ge-
Meinlicheste irrent, daz sie got nit sehent in sine» er».
Wanne undcr allen dingen, die die werkt ie gewan, so
irrent deheine dri fünde so maniger müter barn, daz sie
got niemer mer gesehent in sinen freuden. Und daz daz
war si, daz hat uns der wäre fünne ertzeuget, den wir
do sehent. Der hohe fünne hat ez uns ertzeuget an dem
nidern sünnen. Wanne als manig ding uns dez nidern
fünne» irret, daz wir in nit gesehen mügen, als manig
ding irrent uns dez hohe» 6). — Ez get ein man in
«in hus, oder in stöbe, in ein gaben, in ein dickes holtz,
oder in einen dicken baüm, daz er den nidern sünnen
6) Hds. „nidern"
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£iiit] gesehen mag. Der dinge ist gar vil, die uns dez
irrent, daz wir den nidern sönnen nit gesehen mögen.
Aber under allen dingen irrent unS drü ding aller meiste
und aller breitest und aller witest under der werkte. —
Daz erste, daz uns dez nidersten sönnen irret aller meiste,
ez selbe drite, daz heißet crtriche. Die erde, do die werlt
uf stat, die irret uns dez sunnen, dez nidern sönnen.
Wanne die erde ist rehte geschafen alse ein bal. Swaz
daz firmament begriffen hat, daz ist der himel, den wir
do sehe», do die sterilen ane sivn. Swaz der umb sich
begriffen hat, daz ist geschaffen, als ein ey. Die uzzer
schale, daz ist der himel, den wir do sehen. Da; wiße
all umb den doktern, daz sink die lüfte. So ist der tot-
ttt in mitten drinne; daz ist die erde. Und get der selbe
himel zu allen ziten umb, sam ein rat. Er leuft aber
twehres umb nach der wirhe. Ez mügent die ungeler-
ten löte so wol nit versten, sam die gelerten. Da unser
herre daz firmamente geschuf, do hiez er, daz ez umb
liefe, als ein schibe. Wanne ez unmügelichen fiver ist von
der unmügelichen witen die ez hat, so werc ez von der swere
so vaste in den laüff komen, daz ez zerbrochen were. Do ge-
schüff unser herre sieben sternen, die fi'nen lauff wider hebten.
Daz firmament hat sin'n lauff von vrient hin zu occident,
von osten hin gein westen. So gab er den sieben sternen irn
lauff von westen hin gein osten: und die kriegent mit
aller irre kraft wider dem fi'rmamente; so ist eht ez zu
swere, und zühet den sönnen und den 7) manen und die
7) Hds. „dit"
andern Planeten mit im umb mit den sternen, und zuhet
den sünnen 8). Und also teufet der hymel mit den ster-
nen umb und umb, und der andern stemen ein michel teil.
Die ietz ob uns stnt, die sint nu zu mitternaht under uns.
Und do von so sprechent senieliche lute, ez, st ein werkt
nuder uns, und die habent die fuße gegen uns aekcrt:
und dez enist in deheine wise niht. IS'iliil est in funda-
mento etc. Im ist reht also, da; diese merlt uf nihte
schwebt. Und swie groz die berge sin und wie swer sie
sin, so stent sie cht uf nihte; wanne daz ez eht alleS
swebt ledecliche; reht als ein vogel, der in den lüsten
ietzunt ob uns swebct, und reht an einre stat stille stünde:
also swebt die werkt uf nihte, wanne uf der craft unsers
Herren. Und daz ez möglich were daz inan ein grübe
durch und durch daz ertriche mohte gehauwen, so seht ir
ietzü bi dem tage durch daz ertriche under uch hin abe
die sterncn an dem himele, als ir sie saht oben an dem
himel obe uch. Wanne eht der himcl als wol under
uns ist, als ob uns. So ist die sünne under uns an
dem himele, so ez unS oben her abe naht ist. Und
do von ist daz ertrich ein mittels zwischen uns und der
sünnen, und do von irret uns daz ertrich, daz wir hin
zu naht die sünnen niemer mer geseheu mügen untze mor-
gen, daz sie osten vf get, alse her salomon sprichet:
orietur sol, die silnne geht hüten aldort under, und kümet
8) Dies« Worte sind wol durch eine Nachläßizkeit hereinge»
kommen.
2«9
morgeir aber her wider. Und also irret uns die erde gar
witen und breiten, daz wir dez niderir sunnen nit gese-
hen mögen. Die erde betutet einre Hände fünde, .die uns
de; warn sunnetr die witen und die breiten irret. Die
selbe fünde heißet gitikeit nach güte,, unrehte gewinne.
Der ist alse vil, da; ez nieman ertrahte» kan. O we!
wie vil der lute ist, die unrehtes gütes varent und un-
reht güt gewinnent. Daz sint trugener an ir kaufe und
an irm antwerkc; so diebe und düpen, inner halp dez
Hufes und uzer halp; so Wucherer, so pfender, so dingeö-
gcber, so fürkeuffer umb daz neher, so notbetter, so utu
rehte stüre, unrehte zolle, unreht ungelt; so nemen hie,
so rauben do; so pftnnig Prediger, dem tufel ein der
liebste kncht, den er irgent hat. Pst Pfennig Prediger,
morder aller der werlte, wie manige sele du mit dinen
valschen gewinnen von dem waren sunnen wiesest an den
grünt der Hellen, daz ir niemer mer rat Wirt! du geheiffcst
alse vil applazes umb einigen helbeling, oder umb eini-
gem Pfennig, daz sich manig tusent menschen dran lat,
und wenent, sie haben alle ir fünde gebüßet mit dem
Pfennige oder mit den, helbelinge, alse du im für snercst.
So wellent sie fürbaz nit büßen, und varent also hin zu
Helle, daz ir niemer rat Wirt. Und do von wirft man
dich an den grünt der Helle, und wirft alle die uf dich,
die du dem almehtigen gote enpfuret hast und verkauft,
ie die sele umb einen Pfennig oder umb einen helbeling.
Du morder der rehten büße, du hast uns die rehten büße
ermordet, die der sieben heilickeit eine ist, der hohsten, die
i9
29»
got hat. Die habeut uns die Pfennig Prediger alse gar
ermordet, daz nü lützel ieman ist, der fünde wolle büzen»
Nu lazent sie sich uf dinen valschen geheiz. — Wanne er
seit dir vor von unsers Herren Marter, alse vil und alse
manigen enden, da; sie wenent, er si ein rehter gotes
böte. Wanne er weinet dar zu, und übet alle die trü-
genhcit dar zu, do mit er in die Pfennige an gewinnen
mag und die sele dar zu. — Und also ist ir so gar vil,
die die gitikcit irret, daz sie den warn sünnen niemer mer
gesehen. Und halt in den klvstern hat die gitikeit so gar
grozen ubernthant gewünnen, daz e; got iemer erbarmen
müße, in symelichen klvstern, mit sacrilegie, mit symonie,
mit estgenfthaft. Bindet man einen helbeling in diner
gewalt an' urlap diner Meisterschaft, diner sele wirt nie-
mer rat. Rüwen und büße versage ich nieman. Mali
laici, mali religiosi. Daz ist aber gar der sihtige tü-
fel. — Und also bezeichent die werlt die gitikeit. Wanne
die erde ist kalt und drücken. Also ist auch die gitikeit:
die ist kalt der warn minne, und drücken aller warn
rüwe. Wanne do mit verirrent sie 9) manig tusent
sele, daz sie den warn sünnen niemer mer gesehen. Ir
Priester, alle, die also kalt und also trübe sint an irme
ende, daz sie daz unrehte gut niht gelten wellent und
Wider geben, alse vcrre sie ez geleisten mügen oder nach
gnaden, do man lüte weiz; den sult ir unsern Herren
niemer gegeben, weder mit gesundem libe noch mit sie-
chem lib noch vor irm ende noch nach irm ende; noch ir
S) die Teufel
291
siilt sie niemer bestaten an deheinre stat, die gewiht ft,
noch sic sal niemer halt dehein getaufte haut an gerüren.
„Bruder berrholt, wie süln wir in banne Ldn?" Do füll
ir nemen ein seil, und machet einen strick dran, und k:
get im den strik an den fu, mit einem haken, und zie-
hent in zür tür uz. „Bruder bertholt, ob die sivelle banne
hoch ist, wie sollen wir im banne tun?" Da sdllent ir
durch die swelle graben, und sult in der durch uz ziehen,
da.; eht niemer getaufte hant an in küme; und bindet in
einem rozze an den zaget, und fürt in uz an daz gewicke,
da die erhangen und die erslagen da ligen. Fürt in^ eht
gegen dem galgen, und gegen dez galgen gefinde. Dez
ist er dannoch küme wert. — Daz ander ding, daz uns
dez nydern sonnen schin irret, daz wir sin wite und breite
verirret sin, daz ist der nebel. Der blewet sich von der
erden uf, und Wirt dicke, da; wir der sünnen dar durch
nit gesehen mögen; und wirt ie höher und Höher stigende
untz über sich in die lüfte. So er daitne in die lüste
kümpt, so heißet er banne wölken. Die breitent sich
banne ettewenne für ben rudern sunnen, daz wir in banne
ettewanne in einem halben tage nit ensehen, ettewanne
in einem vierteil eins tages, und ettewanne inner zwein
tagen oder inner drin, als ez sich daitne mit dem weter
an rihtct. Und bezeichcnt die andern fünde, die uns auch
dez hohen sünnen irret, daz wir sin eht niht gesehen mö-
gen. Und manig tusent sele wirt halt von der selben
zirde und ere und wirdekeit und Wollust, hie in diesem
warn sünnen niemer mer gesehen. Und den Worten daz
19*
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— 292 —
ir uch da vor gehüten möge, so wil ich uch sagen, wie
die selbe fünde heißet. Sie heißet hohfart und ubermüt»
Wanne sie gewinnent manigen übrigen mkt, dez sie zu
nihte bedorftnt, die mit hohfart umb gen. Ir Herren,
ir bedörften über ein niht so maniger leye hohfart, und
so manigens überigen mütes, dez ir uch erdenket; nüwcn
mit uwcrn kleidern, da; uch de; niht gnüget, da; uch der
almehtige got so maniger Hände gezirde hat gegeben, nü-
wen alleine mit geroande. Er hat uch gewant verlihen,
als ander ding. Er hat alle ding dem menschen zu nütze
und zu dienste geschaffen, und im selber zu lobe und zu
ern. War ümbe wencnt ir, daz er uch so maniger Hände
varwe cleider habe gegeben? swanne hoch gezit sint, daz
man unserm Herren hoher lop und ere erbieten sol,
banne zu andern geziten. Wanne da von heißent ez
hochgczit, so die heiligen zit da sint, daz man dem almeh-
tigen got me lobes und ern erbieten sol, banne zu den
andern ziten. Nu seht ir wol, daz wir die altare baz
zieren zu den hoch geziten, banne zu den andern ziten,
und daz gesang. höher heben und schöner und lenzer ma-
chen io). Und also sollent sich die lüte baz ziern und
schönre ziern dem almehtigen gote zu lobe und zu ern,
und uch selber zu selben und zu nütze. Wanne ir sult
got sünderlichen loben umb daz selbe. Wol dir, lieber
herre, sult ir sprechen und gedenken in uwerm hertzen,
wol dir, lieber herre, daz du unö so maniger Hände ge-
sunde gcirret, daz ir eht niemer mcr rat Wirt, und den
10) Hds. „manig" „ig" fast ausradirt.
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m
--- 203 —
iamer tale gist. Waz du uns banne dort geben wilt in di-
nen freuden und dinen H) ern, da du selber bist! Und
also sult ir cz »ließen, daz ez gote lobclich si und uch
nütz an libe und an sele. Wanne swcr dankneine ist,
daz er got dankt so maniger gnaden, die er in» grt und
geben bat, daz ist der aller hohsten tugende ein. Nu
dankt ir im, daz ir nüwer bester mer tüt, daz gote leit
»st und uch selber gar schedelich ist an libe und an sele.
Wanne daz ir got zu lobe und zu ern soltet kern, do
dicnent ir alles dein tüfel mit, und get hinder uch, do
ir sür uch sdltet gen; und ir kert allen dingen der sele
selikeit daz hinder für. Do mit ir got loben soltet,
do hazzet ir in mite; do mit ir uwer selbe mcre sol-
tet, do »»»ernt ir uwer unselde mit. Und dar zu twin-
get uch uwer hohfart. Ja beging der edel höhe kunig
david ein hohfart, do müste er groze büße umb liden. 12)
Uch gnüget nit, daz uch der almehtige got die wal hat
vertan an den cleidern, wvllent ir brün, wdllet ir sie
rot, bla, was, grün, gel, swarez. Dar an gnüget uch
niht. Und dar zu twl'nget uch uwer groze hohfart. Man
müz cz uch zu flecken zer snyden, hie daz rote in daz
wiße, so daz gelwe in daz grüne; so daz gewünden, so
daz qestreichet, s» daz gickel vehe, so witschen brün; so
hie den löwen, dort den arn; so mit vehen hüten, so
mit hüben, so mit gürteln. Und also ist sin also »il, daz
sin nieman zu ende komm mag, daz er durch hohfart er-
n) Hds. „bin«"
12) 2 Sam. 24.
294
denket. Hute erdenket er eins, morgen erdenket er ein
anders. Alse ie einre einen ytenüwen fünt vindet, den
müßen sie banne alle versuchen. Und ir gebeut ettewanne
einem alse vil zü Ion, der uch daz güte gewant zu ha-
dern machet, alse uch daz gewant do kostet, oder halb
als vil. Da mußtet ir got umb antlvorten, wanne ers
uch zu nütze geschaffen hat, daz irs banne so gar unnütz-
lich machet. Ir frauwen, ir machcnt ez auch gsr zu
ndtlichcn mit uwerm gewande, mit gclwen schlcygern,
mit gebende, so mit röckelin, so mit dem Vorgänge zu der
kirchen zu dem opfer. Ir habet auch vil maniger Hände
hvhfart, der ir wol gerietet, und uch auch dez waren san-
nen irret, daz ir in niemer mer gesetzt. Wann ir wollet
«wer hertze »it reine machen vor der hvhfart. Ir gent
aber gar mit yiht umb. Ez ist gar ei» niht, do mit ir
daz himelrich verliesent und die wünneclicheu an gesiht
dez almehtrgen gotcs, Ir get nüwen mit tüchelehe umb
und mit lbbelehe, daz mau uch eht lobe. „Ja hcrre,
wie schone! wart aber ie so schönes iht?" Unser frauwe
waz halt vil schöner, banne du, und waz gar herteclichen
demütig, und saut Margarete und der andern ein michel
teil. Da hcten sie ir hertze» gereinet für der hvhfart,
und vor den andern fünden; und do von scheut sie got
iemer. Ez ist ein gespbte, daz hohfertelin, dd ir frau-
wen mit umb gent. Die Herren, die verliesent doch ir
scle mit bederberr hingen; do mit werdent sie verirret, daz
sie dez waren sönnen niemer mcre gesehen. — Ir armes
volkelech, frauwen und man, ir get auch mit torheit
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daz ir dar nach brecht. Und do von so heisset ez ein tor-
heit, da; du dich an nimest, daz dir nit zimet zu tünde,
noch niht getün mäht. Und do von ist ez vil grozer
siinde, banne ob du ez vollebringen mühtest. Armer lüte
hohfart und alter mit unküsche und richer lügener, die
drü sint fremede .qeste in himelrich. Wanne sie sint gar
ulimere und wider zeme dem almehtigen gote, und sie
sint so gar wider die gerehtikeit. Als unbillich daz were,
daz ein wazzer wider berg flüße, alse unbillichen sint diese
drie fünde, und als unwirdeliche ist ir die sunde ieme
meistcr, der sie tüt. Nu wie Zympt hohfart und armüt
sament? als der affe uf dem künigstule. Wenest du ar-
mer mensche dümber, daz dir gvt dine hohfart vertrage
zu langer frist? Ja must im lucifer daz himelrich« rü-
men, der da der hohvart hündert stünt glicher waz, banne
du. Und do von hat die selbe fünde mer «amen banne
ein ander. Wanne sie ist unstete, Hute sus, morgen, an-
ders. Und alle tage erdehtest du gern ein itenüwen fun-
den zu der hohfart. Und do von heißet ez auch hohevart,
daz du gerne in den lüften fürest, ob du möhtest. So heißet
ez auch torheit; wanne ez vor got und vorder werkte ein
rehte torheit ist, und crblendet alle dinchewißende. So
heißet ez auch itelkeit; wanne ez macht dich itel aller der
guten gewißende, der do du gein gote und gein der werkte
bcdorftest. So heisset ez ein betrogenheit; und heisset
ez auch also vil reht; wanne du bist betrogen an dir sel-
ber, daz du dir sin wenest, daz du nie würde noch nie-
296
Tier werden mäht. Also gar blendet dich die hohvart;
sie mach dich hast so gar blint, daz du wenest, daz dir
gar übel stet/ da; dir daz wol stee. Und der dirs gar wol
füget, so du ez hörest, als du im banne den rücken ke-
rest, so sprichet er: „wie der ein betrogener gauch und
tor ist, oder ein törinne!" — Und swaz ich zu dem manne
do fpriche, daz sprich ich auch zu der frauwen, und zu
der frauwen als zu dem manne.— Und als gar erblen-
det dich die hohfart, daz du dez wilt wenen, daz schände
ere st, und daz fünde almusen st und almüsen fünde, und
übel gut st, und guet übel st. Seht, als gar erbleichet
dich die hohfart, daz du dez allesampt wenen wilt und
die mit grozer hohfart umb gen. Und daz daz war st,
daz ertzeuget uns der almehtig got an einem unseligen
in der alten ec. Und swaz uns guter dinge und ubeler
in der nuwen ee künftig waz an unsere seien, daz hat
uns got alles ertzeuget in der alten ee an der lüte leben.
Und also hat er uns ertzeuget, npie gar die hohfart alle
die gewißende erbleiche, die an den ist, die mit grozer
hohfart umb gent. Daz hat uns got ertzeugt an dem
kÜnige alez-ander. Der waz gar ein getürstig man und
ein wiser man, daz er daz merre teil der werkte betwang
mit manneheit und niit witzen. Und der wart der gro-
ßen töre einre, den die werlt ie gewa». So gar blint
mähte in die hohfart, daz in die groze blindheit der hoh-
fart dar zu brahte, daz er wolte wenen er mühte vier
ding getün, die alle die wcrlte nit getün mohte, banne
got alleine. Daz erste ist, daz der künig alexander wolte
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njcnett, er möhte e; getun, von bobfart, die aller hollsten
sternen von himel her abe ncmen nnk der haut, die ir-
gent an dem himel sink. Nu horent von dem rehten to-
ren, wie in die hohfart hete erblendet. Wanne daz rnöhte
alle die werlt nit gctün. — Daz ander ist: er wände,
er mdhtes dar zu bringen mit siner craft und mit nner
gewalte, daz man über mer füre, als uf troken lande,
uf wegenen und mit rossen, und daz man dar über riette
und ging, alse uf dem ertriche, und daz man über laut
füre mit schiffen uf dem trocken ertrich, borg und tal,
war man wolle. Daz ander ist, daz er wände, er moh-
tes zu bringen, daz er die grosten berge, der ieraent in
der werlte flut, wol gewogen möhte uf einer wagen, wie
nianige marke sie wegen, oder wie manig pfünt. Nu
hdrt, welich ein torhcit! Daz vierde ist: er wände, er
nwhtes dar zu bringen: sweniie daz mer in unden get
und alse grüwelichen stürmet und wütet, und alse er
sprach: staut stille und swig, daz daz wilde mer über all
dann stunde von sin einiges Worte. Nu Hort, ir herschafr,
wie gar sin hertze an hohfart erblindet waz und wie gar
die Hohfart eine» wisen man zür werlte mähte zu einem
iteln töre. Ez ist aber ein krankes lop, so man sprichet:
er ist zür werlte eiu biderman. Daz ist alse vil gespro-
chen, als do man spricht: du rehter wücherer! So man
lobe: daz ist zür werlt ein unser man und ein biderman.
Und daz selbe ist uns hüte in der cristenheit manig welt
wise man künftig und frauwcn dar zu, daz sie die hoh-
i.jljfg
293
fart erbkenndet, da; sie wenent, sie mögen getün vier ding,
die als unmügelich sink zu dünde, als die alexander wände
tün. Der ist mairig hundert in der cristenheite, die vier
semeliche ding wenent tün. Daz erste, da; den kunig
alexander blante mit hohfart, da; er wände, die hohstcn
und die schönsten sterren von himel nemen niit der hant,
die da warn; seht, da; bezeichent alle die, die hohfart
also erblendet, daz sie sprechen: ich wolle nit, daz min
feie uz dez besten menschen münde für, der hüte lebet.
Au seht, weihe ein groze torheit, da; sich, die in grozen
heubet fünden sint, wellent gelichen den hohsten heiligen,
die do zu hyincl sint. Ansprechen manige: „ich wolle nit,
daz min feie uz dez münde ginge, den man banne für den
/yyv bestenManschen hat; ich enweiz nit, wie ez umb sin hertze
stet," und denkt sich heilig in starken heubt fünden, und
went daz himelrich in der hant haben; und er kümpt
niemer dar. Und ich wolte mit gar gutem willen, daz
ich an eins guten menschen stat stürbe. — Daz ander
ist: alexander wände vinden und mit sinem gewalte ma-
chen wünderliche wege über daz mer und uber lant. Daz
ist- manigen iZ) die hohfart blendet, daz er wünderliche
machen wil i4) gein den: himelriche, also daz er spricht:
fs „wanne got der let nienian verlorn werden; do er den
ni-nichen geschüf, do fach er dem iüngcsten under
13) Hds. „manige"
14) Hds. „und"
Wenet ir, daz er die martel umb fus lite?"
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ment eht also manigen valschen tröste; und wenet
siner valschen bol,fort wunderlich wege zu dem
e vinden, Und er mag niemer dar kümen mit
m wegen, alse wenig als ale,rander mit sinen
mer über mer oder über laut motzte ko men. —
ist, daz alexander die grrsten und die Hvhsten
erge wände wegen. Als vil maniger mit siner tzohferte
ander lüte sünde gar höh wegen und gar swer, und wie-
get die sine gar geringe und gar lihte. Ja er kan an-
der lüte gar hohe und groz und swere machen und kan
sin selbes fünde gar schöne und lihte gemachen. — Daz
Vierde ist, daz alc.randex wände mit fime gewalte daz do-
bcnde mer stillen. Als went maniger von hohefart, daz
zornige und daz engestliche geritzte unsers Herren stillen,
daz er an dem iüngesten tage über alle die werkt haben
wil. Do hat er als kleine sorge uf, und ist halt von
hohfart vil nahe sin gespbte. „Ja zewar, spricht er, ich
truwe mich do wol verbergen undcr alle die wcrlt." —
Alse wenig als er sich vor dem tobe mag verbergen, als
wenig mag er sich verbergen an dem iüngesten tage. Nu
seht, wie manig tusent menschen die hohfarr dcz verirret,
daz sie den waren sönnen niemer mer gesehen mögen.—•
Da; brise ist, daz uns da irret, daz wir den nidern sön-
nen auch nit gesehen niögen, daz ist der mane, Daz
kümpt cttewanne, daz der mane neben dein sönnen ist.
Wanne der sünne ist hohe ober halp dcz mane». Wanne
die sieben Planeten ist jeglicher hoch ob dem ander; iedoch
so ist der mane der aller underste und der aller niderste
1
1
ii W
— 293 —.
/yyv
fart erblenndet, da; sie wenent, sie mögen getkin
die als unmügelich sink zu dünde, als die alexar.
tün. Der ist manig hundert in der cristenhcit
semeliche ding wenent tün. Daz erste, daz
alerander blaute mit hohfart, daz er wände, *
und die schönsten sterren von himel nenien mit
die da warn; seht, daz bezeichent alle die,
also erblendet, daz sie sprechen: ^ich wolte nit, daz min
feie uz dez besten menschen münde für, der hüte lebet»
Au seht, weihe ein grvze torheit, daz sich, die in grozen
heubet fünden sint, wcllent gelichen den hohsten heiligen,
die do zu hymel sint. Ansprechen manige: „ich wolte nit,
daz min feie uz dez münde ginge, den man banne für den
bestenManschen hat; ich enweiz nit, wie ez umb sin hertze
stet," und denkt sich heilig in starken heubt fünden, und
went daz himelrich in der hant haben; und er kümpt
niemer dar. Und ich wolte mit gar gutem willen, daz
ich an eins guten menschen stat stürbe. — Daz ander
ist: alexander wände vinden und mit sinem gewalte ma-
chen wunderliche wege über daz mer und überlaut. Daz
ist: manigen i3) die hohfart blendet, da; er wünderliche
machen wil i4) gein dem himelriche, also daz er spricht:
„wanne gvt der let nieman verlorn werden; do er den
ersten menschen geschüf, do fach er dem iüngesten under
die äugen. Wenet ir, daz er die märte! umb fus litc?"
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m
— 299 —
Und nement eht also manigen valschen tröste; und wenet
also iriit siner valschen hohfart wunderlich wege zu dem
himelriche vinden, Und er mag niemer dar kümen mit
so getanen wegen, alse wenig als alexander mit sinen
wegen iemer über mer oder über lant mohte körnen. —
Daz drite ist, daz ale.rander die grrsten und die Hvhsten
berge wände wegen. Als vil maniger mit siner tzohftrte
ander lüte sünde gar höh wegen und gar swer, und wie-
get die sine gar geringe und gar lihte. Ja er kan an-
der lüte gar hohe und groz und swere machen und kan
sin selbes fünde gar schöne und lihte gemachen. — Daz
Vierde ist, daz ale.rander wände mit sime gemalte daz dv-
bcnde mer stillen. Als went maniger von hohefart, da;
zornige und daz engestliche geritzte unsers Herren stillen,
daz er an dem iüngesten tage über alle die werkt haben
wil. Dv hat er als kleine sorge uf, und ist halt von
hohfart vil nahe sin gesp'ote. „Ja zewar, spricht er, ich
truwe mich do wol verbergen under alle die werkt." —
Alse wenig als er sich vor dem tobe mag verbergen, als
wenig mag er sich verbergen an dem iüngesten tage. Nu
seht, wie manig tusent menschen die hohfart dez verirret,
daz sie den waren sünnen niemer mer gesehen mügen.—.
Daz drite ist, daz uns da irret, daz wir den nidern sün-
nen auch nit gesehen mögen, daz ist der mane. Daz
kümpt ettewanne, daz der mane neben dein sünnen ist.
Wanne der sünne ist hohe ober halp dez inanen. Wanne
die sieben Planeten ist jeglicher hoch ob dem ander; jedoch
so ist der mane der aller underste und der aller niderste
...
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II
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atje, l)t-fjntvfr' SL öe^ vövciVje. |jfl
fierne, der an dem himel ist. Und kümet ettewanne, daz
der mane dez siinnei! schin under get, und daz der sünne
uf daz ertriche nit geschinen mag. Wanne der mane ist
rehte alse breit: als daz ertriche wcre geteilt in an' eins
drißlg teil, so ist der mane als breii^ais bei* teil eins. Ob
daz also ist, daz lazen wir hin zu den meistern, die da
von lesen. Wie hohe aber ie von einem sterrcn zu dem
andern st, und wie breit jeglicher st, daz bevelhen wir
gvte. Wanne so vcrre ist uns daz wol künt, daz ctte»
wanne der mane dem sünnen sinen schin under get, daz
l, vemeWt' tc’r Äe* ^nnen ^te Zw^i teil küme gesehen; alse vernemt
P . ■ r\- an sant oswaldes tage, do het der man daz iS) wirdige
^ ' V/l LV0! (hf—; ----------------------- ——
A teil wol verdecket, daz man sin niht gesehen mohte. Und
auch ein- andern males, an der mittewochen in ben crüce
tagen vor den psingesten. Und do vor eins, do hete er
den stnnen vil nahe verdecket, dez do r6) lang ist; und
wanden die ungelerten tüte, die werlt wolle zergen. Daz
habent die meister wol experimente, die von den sternen
do lesent, daz dez nü nieman vorhten darf. Wanne als
her mane dez sunnen schin under get, daz wert banne
niht langes ee daz der sünne den inanen über leuft, so
schinet er banne wider, als daz geschiht. Aber ettewanne
bi der naht geschit ez, daz wir sin niemer innen werden,
ettewanne bi dem tage, daz wir sin von nebet oder von
Wolken niemer innen werden. Und also ist der mane daz
15) Hds. „dez"
16) vicll, „der do" oder: »der so" oder: „daz do">
* aCi/SoMi.
X jk \ ^50 i S mM •
brise ding, daz uns de; nidern sönne^ irret, da; wir fm
auch unber wilen nit gesehen mügen. Manig ander ding
ist, da; uns dez nidern juimm irret; aber diese drü ding
irrem uns dez sannen aller meiste, den wir do sehen und
aller witest in die 17) werkte und aller breitest. Und
also irrent uns dru ding dez waren stumm und dez hvh-
sten sönnen, daz wir den niemer wer gesehen mögen.
Daz aller erst ist girekeit; daz ander hohfart. So ist
nu daz drite, daz den manen 18) do bezeichent; daz heisset
Unglaube. Nu seht, wie manig tüsent menschen do mit
verirret wird, daz sie den hohen und den waren sönnen
niemer mere gesehen. Daz ist die wite und die breite
Heidenschaft, und dannoch lüden und ketzer. Nu lat ez
uch erbarmen, daz sich got über uch erbarme, daz so ma-
nig mensche von Unglauben verdampt Wirt. — Und der
mane bezeichent »»glauben; do von der Unglauben so ma-
Niger ley ist. Die Heiden habent so viel und so mamger
ley Unglauben, daz dez nieman an ein ende komen mag.
Und die lüden gleubent in einem Hufe, daz sie in einem
andern nit engleubent. Und er gleubet so kräng ding
von gote, daz ers sinen kindern ungerne feite. Wanne
sie sint zu ketzern worden und brechent ir ee an allen
dingen. Ez sint ir zwelfe zu gevarn, und habent ein
büch gemäht, daz heisset dalmüt. Daz ist allesament ke-
tzerie; und do stet so verstüchte ketzerie an, daz daz übel
17) viell. „der" oder: „dirre"
18) man erwartet: „der mane"
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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1t'¥
— 302 —
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ist, daz sie lebent. Ez seit und seit so böse ding, die ich
ungerne reden wblte. Fregent wir einen ikden, wo gvt
si und waz er tu? so spricht er: „er sitzet uf dem hi-
chiel,und gent im die dein her abe of die erden." Owe,
lieber gvt, so müstest du zwo lange Hosen Han, nach der
rede. — Und do von bczeichent der mane den Unglau-
ben ig); wanne der mane so gar unstete ist, in so
maniger^lüne; er ist hüte iüng und elter morgen; hüte
nimet er abe, morgen nimet er zü; nü klein, nü grvz;
nü get er hohe an denr himcl, morgen get er nidcr; nü
hi», nü her; nü sus, tut so. Daz selbe sink unglcübige
lute, so Heiden, so iüden, so ketzer. Die habent auch den
aller meisten «»glauben, der ie gehört wart. Sie habent
wol anverthalp hundert ketzerie, der eine nit gleubent,
alse die andern. Wanne ie einre hat fünden eilt itenüwe
ketzerie, und swelhe der selbe ie nach im hat braht in die
selben ketzerie, die ketzerie heißet banne alse ienre, der sie
von erste do vant. Ein heißent poverlewe, und eine ^rri-
^ni, und rünkeler und manachei tmb sporer und swirdcr
und arnoldcr. Und also habent sie so manigcr ley na-
men, daz ez nieman volle enden mag. Aber swie mani-
ger ley namen sie haben, so heißen sie uberal katzer. Und
daz det unser herre ane sach; nit, daz er sie ketzer
Nu war umb hiez er sie nit sünder, oder müser, oder
Vogeler, oder swiner, oder geißer? Er hiez in einen ketzer.
Daz det er dar umb, das 20) er sich gar wol heimcli-
2g) Hds. „unglabetk"
-o) st. „daz"
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 3o3 —
chen gemachen satt, swo man in niht wol erkennet; als
auch die katze, die kan sich gar wol auch zu lieben und
heimlichen. Und ist dchein so getan künter, daz heim-
lich ist, daz so schiere grozen schaden habe getan; und
aber aller meiste und aller schirste in dem sümmcr. So Hute
sich alle die werlt vor den katzen. So get sie hin und
lecket ein kroten, swo sie die bindet, under einem züne
oder swo sie die bindet, untz daz die krote blutet; so wirt
die katze von dem eyter indorstig; und swo sie banne zu
dem wazzcr kumpt, daz die lute ezzen oder drinken süln,
daz drinkt sie und unreint die lüte also, daz ettelichem
nienschen da von wider vert, daz ez ein halbes iar siechet
oder ein gantzcs, oder untze an si'nen tot, oder den tot
do von gahens nimpt. Ettewanne drinket sic so faste,
daz ir ein zäher uz den äugen vellet in daz wazzcr, oder
daz sie drin nüset. Swer daz iht nützet geßen oder ge-
trunken, der müz den grimmigen tot do von kiesen.
Oder sie nüset an ein schussele oder an ein ander vaz,
da man uz eßen oder drinken sol, daz ein mensche groz-
zen schaden und sichtum do von gewinnet, oder zwei,
oder vier, oder swie vil menschen in einem hüse sink.
Und do von, ir Herschaft, tribt sie von uch; wanne ir
atem ist halt gar ungesünt und ungcwerlich- der ir halt
uzer dem halse get. Heißcnt sie uz der küchcn triben, oder
swo ir sit; wanne sie sint tot unreine. Und do von so hei-
ßet der ketzer ein ketzer daz er deheinem künter so wol
glichet mit siner wise, sam der katzen. So get er alse
geistlichen zu den lüten, und redet also fuße rede dez er-
3o4
stcii/ und kan sich alse wol zu getün rehte, alle die katz.
düt, und hat den menschen dar nach so schiere ver-
unreinet an den> libe. Also tüt der ketzcr: er seit dir vor
alse süße rede von gote und von den engeln, daz du dez
tüsent eide wol swürest, er wer ein enget. So ist er der
sihtige tüfel. Und er gibt dez, er wolle dich einen engel
lazen sehen, und wolle dich lern, daz du got liplichen se-
hest; und seit dir dez so viel vor, daz er dich schiere von
dem kristen glauben hat gescheiden, und daz bin niemer
rat wirk Und do von heißet er ein ketzer, daz sin hei-
melicheit als schedelich ist, als einre katzen, und alse vil
sckedelicher. Die katze verunreinet dir den lip; so ver-
unreinet uch der ketzer scle nnd lip, der deweders niemer
mer rat wirt. Und er ist halt als schedelich, und het
ich ein swester in einem gantzen lande, do ein ketzer inne
wcre, der het ich angest nüwen vor dem eynigen ketzer;
der ist halt so schedelich. Und also hüte sich alle die
werkt vor im< Ob got wil ich Han den cristen glauben
alse fesieelich, als von reht ein ieglich cristen mensche ha-
ben sol; und ee daz ich nüwen viertzehen tage in einem
Hufe ivolte sin mit wißende, do ein ketzer inne were, ich
wolte ee in einem Hufe sin, da fünf hundert tufel inne
Wern, ein gantzes iar. Wie, ketzer, bist du irgent hie?
Nu wolle der almehtige got, daz deheiner für mir si!
Sie gent auch uit zu frümen steten; wanne do sint die
lute verständig und hbrent an dem ersten wol, daz er
ein ketzer wcre. Sie gent zu den wilern und zu den
dvrfern gerne und halt zu den kinden, die der gense hu«
3o5 —
denk an dem velde. Und cttewanne gingen sie gar in
geistlichem gewande; und swernt niht durch dehein ding;
und da bi wart man sie erkannen. Nu wandelent sie ir
leben und ir ketzerie rehte als der mane, der sich do wan-
delet in so manige wise. Also tragent nü die ketzer swert
und meßer, langes har, langes gewant, und swerent die
eyde nun. Sie heten ettewanne den tot ee gellten; wanne
sie sprachen: got, der heten in eyde verboten. Und ir
meister habent sie in nu erleubet, da; sie eyde swern.
Sec, unseliger ketzer, hat dir e; got verboten, wie mag
dirs danne d!n meister iemer erleuben? welch der tufcl
gap im den gemalt, einem schüchsüter, oder einem wöber
oder einem sxbrer, der bin meister ist? Wie mohte dir
der erleuben da; dir got verboten hat? — Do sole er ie
zwelf kristen zu ketzern machen; do mit sol er den eyt
haben gebüßet. Pfil unseliger ketzer, ob man dich danne
tt uf einer Hürde verbrennet, ee danne du einigen katzer
gemachest. Nü seht, wie verdampt ir glaube und ir le-
ben ist. So sprechent etteliche ketzer, und gleubcnt sin,
da; der tüfel den menschen Zuschüsse; do geschüf unser
herre die sele drin. Pfi, verfluchter ketzer! wanne würde[W,
sie ie so gemcins mütes? oder wanne vereinten sie sich
mit einander? Nü seht, ir seligen gotes linder, da; uch
der almehtige got sele und lip beschaffen hat. Und da;
hat er uch und er die äugen geschribcn an da; antlütze,
da; ir nach gebildet sit. Do hat er uns reht mit geflo-
rireten buchstaben an da; antlitze geschrieben. Mt grozem
siiße sink sie geziert und gefloriert. Da; verstent lr ge-
20
3oü
lÄrten tüte wol; aber die ungelerten mögen sin nit
versteii. Die zwei aügen, daz sink, zwei o. Ein h daz
ist nit ein rehter bllstabe, ez hilfet nüwen den an-
dern, als homo mit dem h, daz spricht: mensche. So
sint die zwei äuge»; und die brauwen dar obe gewel-
bet nnd die nase da zwischen abe her, daz ist ein m,
schvlie niit drin stebelin; so ist da; or ein 6, schone ge-
zirkelt und gestört. So sint die naselocher und da; un-
dertat schone geschaffen reht als ein krisch », schone ge-
zirkelt und gestört. So ist der munt ein i, schöne ge-
ziert und gestört. Nu seht ir reinen kristen lüte, wie tu-
gentliche er uch mit diesen fehs bühstaben geziert hat, daz
ir sin eygen sint, und da; er uch geschaffen hat. Nu
sölt ir mir lesen ein o und ein m und aber ein o zusa-
men, so spricht cz homo, So leset mir auch ein d und
ein e und ein i zusamen, so speichet ez dei. Homo dei
gotes mensche, gvtes mensch! Ketzer, du lügest! Ketzer, du
lügest! Nu siech, wie ketzcrlich du gelogen hast. Ez wart
halt nie so getans niht, daz der tüfel ie geschüf; wanne
sünde und schände, die geschüf er dez ersten an im selber,
und dar nach iemer mer; swo er daz mohte geraten, daz
det er. Der almehtige got geschüf alle ding, und geschüf
die zu nutze und zu güte (Gen. r, i.). Alles, daz sich
rürt «f ertrich, ez si sihtig oder nnsihtig, da; hat got
geschaffen (Joh. i, Z.). Ez wart eht nie niht an' in ge- k
schaffen. Nu siech, du kctzcr, wie du lügest. Sit du
gihst daz dich der tüfel geschaffen habe, so var auch zu
dem tüfel. Du hast aber dinen Herren, den tnfelichen, an
gelügen; dez sol er dir vil wol lonen, im zerrinne banne
alles de; füwcrs, da; er iergent hat. Nü seht, ir kristen
lüte, wie schentlichen glauben sie habe», diese valschen dicbe
dezkristenlichen glaubender reinclich und schone über alle
glauben lohtet, als die sönne ubcrlühtet alle lieht. Ir
reinen crisien lüte, da von hüdent üch vor diesen ketzern,
die also zu uch sliefcnt, sam die katzen, und uch ertöten
wollent mit ir kroten samen, der unreinen ketzerlichen lere,
die er in sich gelecket hat, sam die katze daz eyter von
der kroten. Und so zu hant, so die katze die kroten also
gelecket, so-beginnet sie alzehant dorren, und get ir daz
har uz, und Wirt alse wider zeme und alse ungeneme, als
ir an ir seht wol, daz sie ettewanne kümc die lenden nach
ir gezüht. Und do von hütet uch vor de» katzen und
auch vor den ketzern. Wanne sie bebe schedelich sint an
libe und an sele. Daz uch die ketzer iht verunreinen, do
beschirme uns allesampt der almehtige got vor. Wanne
swer ir ketzerliche vergift in sich lecket der müz eht iemer
mer dorren an libe und an sele und an aller der selikeit,
die er iemer mer gewinnen [softe] an libe und an sele.
Da von hütet uch vor in mit allem fliße und mit allen
uwern sinnen. „Bruder bertholt, wie fülle wir uns vor in
behüten, so lange daz sie güten luten so gar gliche sint?"
Seht, daz wil ich uch lern, den Worten daz ir uch iemer
mere bester baz gehüten künnet. Ir sült sie halt an sie-
/ ~------------
bcn Worten erkennen von sivern 21). Und swenne ir der
21) Diese Worte: „von swern" scheinen nicht hieher zu gehören.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 3o8
sieben wort eins erhört, vor dem sult ir »ich hüte«; wanne
der ist ein rehter katzer; und ir sült den pferrer an sie
wisen, oder ander gelerte lüte. Und merkt niir diese wort
gar eben, und behaltet sie iemer mer untze an uwern
tot. Ich wolte halt gerne, daz man lieber da von /ünge.
Ist iht guter meister hie,daz sie nüwen sang davon sin-
gen^ die merken mir diese sieben wort gar eben, und ma-
chen lieber da von; da düt ir an; und machent sie kürtze
und ringe, und daz sie kindiglich wol gelernen mügen»
Wanne so gelernent sie die litte allgemeine, die selben ding,
und vergezzent ir bester minner. Ez waz ein verworhter
ketzer, der mähte lieber von ketzerie, und lert sie die kint
an der straze, daz der lüte bester mer in ketzerie viel».
Und dar umb sehe ich gerne, daz man die lieber von in j
sünge. Nu merkent allesampt. Da; erste: swer do spri-
chet, ez möge dehein eman bi siner husfrauwen geligen
ane heubtsunde, der ist reht ein arger katzer. See, unse-
liger ketzer, nü satzte doch got die heilige ee in der heili-
gen stat, in dem paradise, daz die zale der engel köre
erfüllet würde« — Daz ander ist, swer do sprichst, ez
- I4". i möge dehein rihter nieman ertöten ane haubtsünde. See,
I unseliger ketzer, so mohte nieman genesen, solte man sche-
deliche lüte niht von der Werlte nemen. Ir rihter, swen
ir mit rehtem geritzte von der werlte nement, ich gibe
uch als wenig büße drumbe, alse uwerem swerte.— Daz >
drite: swer giht, daz die sieben heilikeit und der wihe
brunnen nit kraft enhaben, der ist gar ein ketzer. Wanne
do hat die heiligen kristenheit mit gefestent und erlöset
— 3oy —
von dem ewigen tobe. Da,; Vierde: wer do gibt, da; ein
Priester, der selb in heubt fünden ist, da; der nieman von
sinen funden enbindcn müge, der ist auch ein ketzer. DH
fünfte, swer do spricht, man sölle der warheit nit swern,
ünd ez si heublsunde, swer der rehten warheit swert. Da;
sehste, swer do sprichet, der die schrift nie gelert wart,
und wil doch uz der schrift reden, also da; er sprichet:
da; spricht sant gregorius, sant augustinus, sant bern-
hart, oder ein prophete, oder ein ewangeliste, oder swaz
er also ret u; der heiligen schrift eigenliche, und der
schrift nit kan, noch sie nie gelernte, den habt für einen
ketzer; wanne da; hat in gelert sin meister, der ketzer.
Da; siebende, swer do spricht, wer zwene röcke habe, der
sillle durch got einen geben; swer de; nit tü, si cwicl-ch
verlorn. Pfi, unseliger ketzer; so mobte halt nieman be-
halten werden, weder geistliche noch werltliche lüte. Ja
ist einem ettewenne not, da; er den driten dar zu babe. —
Seht, alse manigcr ley ist ir Unglaube und ir wise. Nu
bident got allesampt mit innerlichem hertzen, da; er
uns beschirme vor allem irme Unglauben und vor an-
dern fünden, und wer sich da vor nit gehütet habe, daz
die hüte wäre ruwen gewinnen und ir hcrtze bekern und
also reinigen mit der waren ruwe, daz sie den waren
siinnen ewicliche sehende werden in den ewigen freude».
Daz uns daz allenfampt wider vare, mir mit uch und uch
mit mir, daz verlihe uns der Vater und der sun uud der
heilige geist. Amen.
II. Auszüge und einzelne Stellen.
t. Obliegenheiten der Christen.
2ke Pr. Von den fünf pfänden. Text Matth. 20, 14—3o.
^er Eingang geht von dem Gegenstände des Festes,
dem heiligen Alexius, aus. Nun folgt die Predigt selbst: —
„Der Herr bedeutet Gott; der 1 Pfund empfangt, die
ungetauften Kinder; der 2, die Getauften; der 5, die er-
wachsncn Leute. Diese 5 Pfund muß jeder Erwachsne Gott
wieder geben. Darum hat er für uns die Zahl 5 an die Glie-
der geschrieben, an die Hände S Finger u. s. f., daß
wir stets daran gedenken. Und jegliches Pfund müssen wir
zwiefaltig wieder geben. Das erste ist unsere Person (lkp
persone) die Gott nach sich gebildet hat mit der freien
Willkühr. Da sollen wir 1) innerlich uns üben in gu-
ten Gedanken von Gott, seiner Almacht, seiner Schöpfung
und Regierung, und wie er uns selber frei geschaffen,
und uns zu freier Wahl Erkenntniß des Guten und Bö-
sen u. s. f. gegeben, damit wir selber «ns binden zum
Guten und zu reinen Gedanken; wir sollen darauf den-
ken, wie wir Gott danken für seine mannichfachen Gna-
— 3h —
den, und mit Tugenden derselben würdig werden; 2) sol-
len wir diese Gedanken auch äußerlich getreulich voll-
bringen mit Werken. — Das zweite ist das Amt, das Gott
jedem nach seinem Wohlgefallen bestimmt hat. Das sol-
len wir x) üben um Gottes willen, (mit Dank gegen
Gott, ohne Murren und Neid, auch das geringe), mit
Treue und Gerechtigkeit, oder uns desselben begeben. Ei-
nige Aemter sind an sich unrecht und verdammlich, „wor-
feler, schappeler und die die langen messer slahen und
geschütze machen"; das Würfelspiel insbesondere ist Quelle
vieler andern Sünde». Bei andern Aemtern hängt cs
vom guten Willen ab, ob man ihnen recht thun kan».
Das gilt von dem Zöllner, sofern er sich nicht befaßt
mit neuen Zollen und Umgeld, die nicht von Rechtswe-
gen gesetzet sind; und von dem Richter, sofern er richtet
ohne Ansehen der Person, nur nach dem Rechte und ohne
Schonung gegen den Verbrecher, und nur nimmt, was
ihm gebührt; sonst ist cs beßer, mit einem niedern Amt
zum Himmel, als mit einem hohen zur Hölle fahren.
Was der „Gitige" treibt, ist gar kein Amt. Jener Treue
stehet entgegen das herrschende Lügen und Trügen in
Kauf und Verkauf, bei Handwerkern und Bauern (vergl.
p. 4o. und folg.), wovon keiner einen Gewinn hat, als
die Verdammniß, indem jeder den andern um das Seine
betrügt, statt daß jeder durch Almosen von reinem Ge-
winne seine Seligkeit förderte. Wir sollen 2) das Amt
üben um des Lohnes willen, der uns gebührt, daß
wir davon leben können z wie die Prediger und „Bihtiger",
312
seien sie weltlich oder geistlich, von Kirchen, Pfründen,
Opfer»; der Richter von den Diensten der armen Leute;
die Handwerker von ihrem Lohne; die Kaufleute von ihrem
Gewinne. — Das dritte Pfund ist die Zeit, die uns Gott
zu leben hat gegeben. Wir sollen r) sie nur vertreiben
zu rechter Nothdurft, daß wir arbeiten was der Leib be-
darf zur Nahrung, und dann zu rechter Zeit und auf die
rechte Weise es genießen — hierin bestehen schlecht die
Trinker und die Freßer — und eben so schlafen und uns
warmen nur nach Nothdurft. Wer seine Zeit „verballet
und verdantzet und verdopelt und verwarsagt oder ver-
fpotet oder Verswert oder verschiltet oder verfluchet," der
wird jämmerlich stehn an der Rechnung; vornehmlich aber
der „Gitige." Seine Zeit geht nicht allein unnützlich, son-
dern auch schändlich und sündlich hin. Er allein laßt
Gott nie ruhen. Er gewinnt immerfort, wahrend der
Predigt und Messe und an den h. Festen, wahrend an-
dere sich säumen und ruhen, (vergl. d. ute (l?te) Pr.)
Ihr Teufel und ihr Engel, und alle ihr Herrschaften seid
meine Zeugen, daß ich Gott seine Zeit zurückgefor-
dert habe. — Man soll 2) die Zeit vertreiben in Gottes
Lobe, mit Gebet, mit Geben zur Kirche, zur Predigt, zu
„antlaz", zu Kranken, außer wer nicht kann „vor ehafter
not", daß er muß Haus oder Kinder hüten u. dgl. Mit
den 4o Tagen vor Ostern verzehenden wir Gott die Zeit;
so lieb ist sie ihm. Mit solcher Anwendung der Zeit
kann man messen den Lohn im Himmel und mindern das
Fegfcucr, ja sich ganz von diesem frei machen, wie manche
3x3
Heiligen. Hierin haben die auf Erden lebenden einen Vor-
zug vor den vollendeten; wogegen diese das voraus haben,
daß sie ihrer Seligkeit sicher sind (vcrgl. p. i83. u. folg.).
Dagegen giebt es auch eine Anwendung der Zeit, auf
die eine immer wachsende Marter folgt; so bei den „Giti-
gen," deren Erben alle bis ins 4ote Geschlecht ihre Quaal
mehren, wenn sie wißentlich das unrechte Gut erben und
nicht zurückgeben; und eben so bei den Erfindern neuer
Sünden, wie neuer Ketzerei, Schalkheit, Trügenheit an
Kauf oder Handwerk. — Daö vierte Pfund ist das irdische
Gut. Daö soll man x) gebrauchen nach Nothdurft. Da
kann aber einer viel haben und viel bedürfen; das ist
nicht „Gitikeit," wein« er oder seine Erblaßer es nicht mit
Unrecht-gewonnen habe». Gott fordert Rechenschaft von
jedem Pfennige, wie er angelegt worden. Vcrdammlich
sind die, die es „lotern^ und gümpellüten geben durch lop
oder durch rum", die eS „verdoppeln und zu unmüßen
verludern, oder verhvfferten mit torney, oder andern wi-
dm geben oder frauwen andern mannen, oder den zutri-
beriiine, oder nmb kleider, die zu wehe gesniteu sint oder
zu gcnewet oder gemachet." — Man soll 2) es genie-
ßen in Gottes Lob. Jedes Pfund muß man mit ihm
theilen. Man soll um Gottes willen „lihcn, almusen
geben, die hungerigen setzen, die durstigen trencken, die
uacketen kleiden, die enlenden Herbergen, an gotes huser,
an spitale geben, messe frumen." Wer nichts hat, kann
vor Gott dasselbe thun, wenn er williglich arm ist, und
Gott so lieb hat, daß er die ganze Welt für ihn hin-
gäbe. Dies der Sinn Petri, Matth, rg, 27. Eben so
wer das Seinige verloren, wenn er dabei Hiobs Sinn
hat, oder wem es genommen worden, wenn er das lau-
terlich vergibt. Auch leihen soll man den Armen; da
von wird man nicht armer, so wenig als die Sonne vom
Scheinen. Man soll aber nichts von ihnen nehmen, au-
ßer ein Pfand (vergl. x>. 8Z— 85.) — Das fünfte Pfund
ist die Liebe des Nächsten: 1) in Gott (vergl. p. 60. u.
folg. p. 7o—78), nichts thun um des Freundes willen,
was wider Gott wäre. 2) Um Gottes willen („durch
Gott") (Bcz. auf d. rste P. p. 4. u. folg.), ihm gönnen,
was man sich selber gönnt, ihm um Gottes willen alles
vergeben, allen Neid und Haß aus dem Herzen laßen, wie
Er seinen Feinden vergab." Der Schluß faßt noch
einmal alles kurz zusammen als eine Bitte an bm drei-
cinigen Gott. —
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
2) Gegensatz der Tugenden und Sünden Ln der
Christenheit. ..
a) DarsteLung deßelben nach ihrer innern Verschiedenheit.
i8te Pr. Von dem niderlande und von dem obertande. Am Fest
der Geburt der Maria. Text Matth, i, x —17.
ie 42 Glieder des Geschlechts der Maria bezeichnen
42 Tugenden, die jeder haben muß, der ins Himmelreich
kommen will. Hier soll jedoch nur von 8 derselben die
Rede sein, in denen die übrigen fast alle beschloßen sind,
mit denen auch viele zum Himmelreich gekommen sind.
Dieses ist das obere Land, die Hölle das niedere. Die
erste Tugend ist der reine rechte Christenglaube, außer
welchem jeder Glaube todt und nichtig ist (Bz. auf die
iste Pr. p. 57 — 60.), um den sich viele martern ließen,
wie auch wir das sollen, wenn der „Endecrist" kömmt,
an dem die h. Maria fest stund als die zwölfe alle zwei-
felten. Verschieden sind Ober - und Niederländer an Sprache
und Sitten; die von Zürich und vom Bodensee und die
von Sachsen kann man daran wohl unterscheiden. Manch-
mal aber nimmt der Niederländer die Sprache des Ober-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
länders an, wie der„Glichsener" und der Pfennigprediger,
der so viel voll Gott und seiner Mutter und seinen Hei-
ligen und ihrer Marter redet und dazu weint, daß man
schwören möchte, er sei ein rechter Oberländer. Auch
durch die Kleider kann ein solcher täuschen, aber nie in
die Länge durch die Sitten. Man erkennet die Oberlän-
der an diesen 8 Tugenden. Die 2te derselben ist die
Minne zu Gott nnd dem Nächsten. Wie in derselben
Maria lauterlich vergab den Mördern ihres liebelt Kin-
des und eben so Gott selbst, so sollen alle Oberländer
lauterlich vergeben (vergl. p. 22. 23.); aber Neid und
Haß tragen ist ein Zeichen der Niederländer, wie denn
der Teufel je und je die Menschen beneidet und gehaßet
hat, darum daß sie die Freude sollten besizen die er ver-
wirkt hat. — Die 3tt ist die Demuth, worin auch Maria
und ihr heiliger lieber Sohn ein Vorbild geworden sind.
Dagegen durch Hoffart man dem Teufel gleich und ein
Niederländer wird (vergl. p. 121 u. d. I2te Pr.). Hof-
fart der Frauen — Zeitverlust mit eitlen Putz. — Die 4te
ist die Geduld. Wie der Herr sich daS Angesicht verfpeien
ließ, und das geduldig litt um unsertwillen, so sollen die
Oberländer Ungemach und Leid und Armuth und allerlei
Gebrechen, Verlust des Gutes und der Freude, Schmach
und Fluchen und Schelten mit Geduld ertragen (vergl.
p. 22.23.). Die aber toben wie unsinnige, sind dem Teu-
fel gleich und Niederländer. — Die fünfte ist „Entha-
bungen", daß man der Begierde zu jeglicher Sünde wider-
streitet. Hat doch der Herr selber, der in allen: gauz
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 317 —
Mensch war, um daß er „der fünden bekorünge sicher"
war, wie billig, selber 4o Tage gefastet (vergl. 8tePr.).
Die aber des Leibes Gelüst fliegen lassen ohne „Wider-
habünge", mit Haß, mit Zorn, mit Fraßheit u. s. f. die
sind Niederländer. Die sechste ist Schnelligkeit an Got-
tesdienste, daß man Gott schnell, willig und von Herzen
dient, da Er uns gcdienet hat bis in den Tod, und uns
alles zu Dienste geschaffen. Dazu gehört nicht daß man
immer betet und zur Kirche ist, sondern daß jeder sein
Amt mit Treue und Wahrheit übt. So können Leute
in der Ehe eher beten, daß cs Gott genügt, als geist-
liche Leute und Wittwen, seien sie in Klöstern oder nicht.
76 Paternoster beten reicht hin; wer mehr mqg, soll auch
mehr thun (vergl. 8te Pr.). Verloren geht auch, wer keine
Sünde thut, noch auch Gott nie einen Dienst thut, das
ist, wie wenn ein Knecht einem Herren keine Dienste thäte,
der ihm doch alles besorgen müßte, deß er bedarf. —
Die siebente ist Keuschheit. Darin sollen wir gleichen
der h. Maria, die vor Schaam und Blödigkeit nie einem
Manne unter die Angen sah, obwohl sie von dem h.
Geiste beschattet war, daß nie ein Mensch einen üppigen
Gedanken gegen sie gewinnen mochte. Dagegen ist früh
und weit verbreitet Unkeuschheit mit Worten, oder mit
Werken, oder mit Gewände (vergl. p. 79 — 81. p. g3 —
g5, u. 8te Pr.). — Die achte ist die „Miltekeit". Darin
soll man nachfolgen der h. Marie und Sanct Oswald und
dem König Karl u. a., und wo man es kann mit den
Werken, soll man es thun mit dem Herzen (vergl. d.
3i8
vorige Pr. 4tes Pfund). Aber der „Gitige" läßt die Ar-
men Hungers sterben, und Noth uud Blöße leiden, und
übervortheilt ste, daß sie bei großer Arbeit abnehmen an
ihrem Gute, indem er zunimmt in Müßiggang. Von
ihm hat alle Welt Schaden, denn seinetwegen kommt
Gottes Segen nicht (vergl. p. 77. p. 128 — i33.).
Leichter ist ein Jude und Heide zu bekehren, als wer viel
unrechtes Gut hat; weder Kunst der Hölle und dcS Teu-
fels, noch Liebe Gottes bringt ihn davon ab, noch die
Schönheit des Himmelreichs, noch die Gemeinde der Chri-
stenheit, noch die Gemeinschaft aller Heiligen. Er ist
gerade wie einer, der in der Krankheit liegt, wo er schläft
und schläft bis ihm die Seele ausgeht, den man mit
dem Schmerzhaftesten, wie mit dem Süßesten, zum höch-
sten dahin bringt, daß er ein wenig aufsieht. In einem
solchen Todesschlaf liegt der „Gitige", bis ihn der ewige
Tod ergreift. Halt man ihm etwa vor das Grausen der
Hölle und das jüngste Gericht, so denkt er ein wenig
ans Wiedergeben, aber hernach schlaft er wieder ein.—
Nun will ich jedem Niederländer zeigen seine Herberge,
daß er nicht irre faße, wenn er ins Niederland kömmt,
und welches das Panier sei und der Schild vor dem Ge-
zelte seines Herrn. Die Mörder sehen sich um nach ei-
nem „mördlichen" Wappen; sie gehören unter die Heer-
fahne Cayns; alle Unkeuschen zu Lamech und Sella (i B.
Mosis 4, 19.), die Räuber und die Bedrücker der Ar-
men zu „Nemmrot"; die Völler zu Eham, einem lieben
Nachbarn des Teufels; die Fräße und „Luderer," zu Esau,
319
der ein gar „gewißer Wirth" ist, und sie wohl erfüllen
mag, ihm zerrinne denn alles daS Feuer, das er zu Lehen
hat voll dem Teufel; die Diebe ob sie kleines oder gro-
ßes, inwendig oder auswendig stehlen zu Achori, die Zau-
berer zum Könige Saul; die den h. Gottesleichnam un--
würdig empfahen oder behandeln zu Osa (2 Sam. 6,6.7.);
die sich färben und ihr Gewand, zur Frau Isabel; die
ungetreuen Rathgebcr zu Achitoffel (2 Sam. 17.) und
Thosi und Valaam (Bileam) den liebsten Nachbarn des
Teufels; die „Gitigen" zu Judas; wer uirrcchtes Gut
hat, verkauft Gott. Und die da „Eigeschaft" (eigenen Be-
sitz) haben in Klöstern sollen fahren zu Anania und Sa-
phpra. — So mancherley sind die Sitten der Niederlän-
der. Aber wie tief auch einer sich dahin geneigt hat, er
kann noch efn Oberländer werden mit christlichem Glau-
ben, mit wahrer Reue, mit lauterer Beichte und mit
Buße wie David und wie Petrus, der hernach ein ge-
waltiger ward über die Christenheit und ein gewaltiger
Fürst im Himmelreich, wie Maria Magdalena u. a.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
33fe Pr- „von zwelf fänden und von sieben lügenden"
(nnrichkige Überschrift) Text Römer 6, 23.
„der ton nach den funden ist der dot; aber die gnade gotes ist
dar ewige leben."
„ wort, daz da spricht stipendla, daz ist reht als
vil gesprochen, reht alse do ein ritter rehte wol gestritten
hat, dem git man daz lon. Wanne wir haben vil wort
in der latine, die wir in tütsche niemer uz künnen gele-
gen, wanne mit gar vil umb rede. Wir sin in lati-
nischer spräche gar riche, und haben vil rede mit kürtzen
Worten begriffen, do man in dütscher spräche vil muz ge-
rcden. Also welich ritter wol gestritten hat, dem git man
daz lon; hat er aber zu glichen, gestriten, so git man
im auch daz lon, daz dar umb gebürt. Der do wol ge-
striten hat, dem git man daz lon daz man sprichst - weh!
wie gar ein biderber ritter daz ist! und lobet in und bü-
ket im gar groze ere, und man spricht: ei ja! man sol
im lihen und geben, und man sol im groze ere bieten.
So spricht man diesem nit wol, der do ze geliehen gestri-
ten hat, und bütet im unwirde und smacheit." Gott und
der Teufel haben jeder seine Soldritter, und jeder gibt
'
— 3ai —
den ©einige» den Lohn, den er hak, Gott das ewige Le-
ben, der Teufel den ewigen Tod. Dieser hat weit die mehr-
ten. Denn außer den imgetauften Kinder», den Juden,
Heiden und Ketzern, gehen die meiste» Christen verloren.
Aber im alten Bunde, ehe unser Herr gemartert wurde, hatte
der Teufel noch mehr Gewalt. Da konnte keiner zum
kviitAiit« Qfk ii^efwtsS ti 1 tu*
gebrochen; er starb mit ibm an Einem Bette, nach der
Weissagung: „ez kumpt ein starker uf den andern starken,
und küment bebe uf einander gestozen, daz sie bebe ster-
beut". Der Teufel kam zum Herren auf's Kreuz; da ka-
men sie so festiglich auf einander gestoßen, daß der Teu-
fel erstarb an seiner Gewalt. Da starb der Herr air
feiner Menschheit. Sofort fuhr er hinab, und brach dir
Hölle mit seiner Gewalt, und nahm aus des Teufels
Gewalt alle, die Gottes Willen gethan, und bannte den
Teufet, daß er nicht mehr die Gewalt hatte, wie zuvor.
Da der Teufel dies sah, befahl er sie zwölf „iüngherren"
die immer gewaltiger werden, und viele tausend Seelen
zur Hölle bringen. — Ein Vorbild davon ist der König
Alexander, mit der Vertheilung seiner Gewalt, als ein
Pfand, daß er sterben müßte. — Der erste ist Neid und
Haß, der weit und breit um sich gegrissen, und es gern
dazu brachte, daß wir ewig brennen mit seinem Herrn.
— 322
Gegen ihn muß nian werben um eine reine Jungfrau;
wer die liebt, dem kann er nicht schaden. Es ist die
wahre Minne, die Gott selber zwang, daß er uns erlöste
vom ewigen Tode mit seinem Tode, um welcher willen
viele Heiligen sich in die Marter gegeben haben. Der
zweite ist gar schändlich und ehrlos, und Ursach aller Untu-
genden. Er heißt Zorn. Er treibt viele tu gewissen Tod,
Schande und Verdammniß. Gegen ihn werbe man um
die Jungfrau, die da heißt Geduld. Gott selbst war ge-
duldig, wie ein Lämmlein, so unschuldig er war an allem
Uebel. — Der dritte ist Trägheit an Gottes Dienste. Der
bezwingt viele; manche meiden ihn nur zum Schein,
um der Rede der Leute willen; und doch hat Gott mit
so großer Treue ausgedient. Auch verlangt er jezt nicht
so Großes, wie ehedem, und wenn der „Endecrist"
kommt, daß man sich martern laße um seinetwillen, nur
daß man Barmherzigkeit übe rc. Gegen diesen Junker-
habe nian lieb die Jungfrau, Schnelligkeit an Gottes
Dienste, welche aller Tugendeir Mutter ist; denn das ist
Gott der liebste Dienst, daß man die Sünde haßt. —
Der vierte, der viele in Schande und Schaden bringt,
heißt„Unmazz« de; mütes" daSUebercßen uird Uebertrinkcn.
Er macht, daß viele Gottes Huld nicht achtend, nicht ei-
nen Freitag wollen fasten, und um weltliche Ehre unbe-
kümmert, sich nicht schämen in die „Lache" zu fallen und
jämmerlich da zu liegen. Dagegen soll man lieb haben
eine Jungfrau, die da heißt „Maze". — Der fünfte,
der weit und breit herrscht und dem selten jemand ent-
333
geht, heißt „Unküsche". Dagegen ist „die Kusche" so tu-
genthaft, daß sie im Himmel besonders gekrönt ist über
alle Jungfrauen. — Der sechste ist dem Teufel so lieb,
daß er ihn zu einem „Gesellen" nalim für Gott und für
alle die Freude im Himmel. Er heißt Hoffart. Er
zwingt Pfaffen und Laien, Reiche und Arme. Die Ar-
men jedoch können ihm nur ihren guten — oder viel-
mehr bösen—Willen erzeigen. So prahlen sie mit Freun-
den, die sie nie hatten, mit Hoffart, die sie getrieben ha-
ben wollen^ So sündigen sie zwiefach, indem sie lügen,
und indem sie die Sünde auf sich ziehen, der sie sich
rühmen, anstatt daß, wo es möglich,- eine Hand vor
der andern die Sünde eher verbergen sollte, als daß je-
mand davon verschlimmert (gedosert) würde. Mit aller-
lei Nichtigem übt sich die Hoffart an Frauen und Männern.
„So rücket eins die gürtelin hoher; so hohfertigt eins von
f-item wol singen, eins von siner schone u. s. f." — Da-
gegen werbe man um eine Jungfrau, die Gott und seine
h. Mutter nie von sich ließen einen Augenblick, als sie
auf Erden wandelten. Sie heißt Demuth. Mit ihr hat
David die Hoffart vertrieben (2 B. Sam. 24.) — Der
siebente ist der gewaltigste. Er nimmt dem Kaiser seine
Gewalt; er gewinnet starke Burgen und Thürme; er
zwingt den Vater, sein eigen Kind willig in die Gewalt
dcS Teufels zu geben und in den ewigen Töd. Er beißt
„Gitekeit", und zwingt Geistliche und weltliche. „Pst sy-
rnonitaria proprietaria! wo sitzest du do vor minen aus
2t*
324
gen?" *) Er zwingt die Kaiser und Könige anders zu
richten, als sie solle», und zu dulden, daß Burgen und
Thürme zerbrochen werden u. s. f. — Da er den mehr-
sien Theil der Welt zwingt und so kräftiglich, so muß
man ihm mit zwei Jungfrauen widerstreiten mit „Milte-
keit" und mit Gerechtigkeit. Mit dieser muß wiedererstatten,
wer unrechtes Gut gewonnen; jene muß haben, auch wer
davon frei ist; sic hilft aber dem ersten nichts ohne die
Gerechtigkeit. — Der achte heißt Unglaube. Er hat jen-
seits dcS Meeres gegen die Sonne viele iooo, die Christen
fein sollten, bezwungen, daß sie nun Heiden sind. Er
hak sich weit verbreitet unter Juden Heiden und Ketzern,
und sonst vielfältig. (Hiirdeutung auf Aberglauben p.
58). — Einfaltige Leute sollen sich hüten vor Juden.
„Dir mag ein lüde ein ein rede für getün, daz du iemer
beste schwacher bist an dime glauben. Ir wollent alles
mit den lüden einen krieg haben. So sink ir ungelert;
so sind sie wol gelert der schrift. Und er hat alle zyt
wol kedaht, wie er dich über rede, daz du iemer mer
bester swacher bist. Und an den selben fachen ist ez ver-
boten von der geschrift und' von dem babste, daz dehein
gelert man mit den iüden reden sol; wanne die gar uz
erwelten meister, die redent mit den iüden wol. Ez ist
arch verboten von gehorsam, daz ir niemer mit iüden
geredet. Und wanne ir hört, daz uch dünkt, daz wider
*0 Wohl eine Beziehung auf Unterschleif mit geistlichen Aemtcm
und Gütern; vergl. die vorige (i8te) Pr. gegen das Ende-
3a5
tristen glauben si, daz sült ir gelerten luten künden.
Wanne ez ist gar vil ketzer, die nu zu den lüten gent;
und sie iehent, sie wöllen uch güte ding lern, und lernt
uch ketzerie. Und do von sült ir tristen glauben minnen und
halten. Der widcrstritet und über luhtet allen Unglau-
ben wol mit warheit und mit rehte." —- Der neunte ist der
„Ban"; — wer sich darin befindet, ist in der Gewalt des
Teufels; denn er wird genommen aus der Gemeinde der h.
Christenheit. I» demselben sind, wenn er auch nicht aus-
gesprochen wird, alle, die Pfaffen verletzen, oder mit Klo-
sterleuten „er si münich oder nüne" Unzucht treiben, oder
Kirchen, Klbster, geweihte Orte zerstören oder berauben
oder sonst daran freveln, u. s. f. — Der Bann ein Tod
„ob allen toben"; und eher wollte ich ohne Gottes Leich-
nam sterben, als mit einem eine Messe hören, der dariir
ist. Gegen ihn soll man lieben eine Jungfrau, die da
heißt Gehorsam. — Der zehnte heißt „Gotesschelter".
„Der ist alse gar selbe her, daz er den mensche» machet,
daz er sin selbes nit bekennet, und an im erblendet alle
die bescheidenheit, der im not und dorft were an siner
sele. Und (daz) sink alle die, die alse Herten sin haben
und also in kriegen sink, daz sie die heiligen schrift wi-
der kriegent, beide heimlich in irme müte und auch offen-
liche mit Worten, und iehent also: do got den ersten men-
schen geschüfe, da fach er dem iüngesten under die äu-
gen; do wiste er wol, wie ie dem menschen geschehen
svlte. Wanne were fünde alS groz, alse die pfaffen ma
chent, so gehüten sie de; wol, daz sie iemer so
326
fünde geteten. Nu sieht man halt nieman so übel tün,
alse die pfaffen, und alse unreht, die ez alle tage vor in
scheut. Du solt dich daran nit kern, daz dir die pfaffen
da sagent." Von diesem „selb Heren gemüte und wil-
len" kommt Meist aller Unglaube und alle unter sich so
verschiedenen Ketzereien. Diese Leute, die doch nicht Ketzer
sein wollen, sind oft schädlicher als die Ketzer. Sie pre-
digen wider alle Predigt wvn Gott, von Sünden, von Tu-
genden u. s. f., und machen, daß manche fallen aus dem
Wego der rechten Werke, manchmal auch des rechten
Glaubens. Denn einfältige Leute sehen so bald der Lüge
in den Mund, als der Wahrheit. Die Gebote des Herren
dünken ihnen zu schwer; daher sagen sie, Gott könne nicht
so zornig sein, daß er um ein so geringes Ding (8 Pfen-
nige unrechtes Gut) einen Menschen ließe verloren ge-
hen. Es wäre ja unmöglich, daß er sich darum hätte
martern laßen. Es könne auch nicht eine Seele verloren
gehen wegen Einer Sünde, — So trösten sie fälsch-
lich sich und andere wider Gott und die h. Schrift. —
Und dagegen gibt andern der Teufel übermäßige Furcht
und zu großen Zweifel, und bringt sie dadurch in seine
Gewalt. — Andere sagen aus Trägheit, sie brauchen nicht
in die Predigt zu gehen; denn da werde mit vieler
„Unibrede" nichts gesagt, als: thu' das Gute, laß das
Böse! und das wißen sie ja. — Aber sie können dabei
leicht irre. werden, wie einer, dem man sagte: geh' alle
die Wege, die recht nach Rcgensburg gehen, und meide
alle, die unrecht dahin gehen. — Gegen diesen Junker
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
hat Gott eine Jungfrau „gute crkanntnisse". Wer sie
lieb hat, erkennt sich selber und Gott, und alles, womit
man seine Huld erwerben kann, und kann das lieben,
und kann alles haßen, was dieser Huld verlustig macht,
und erkennt Gottes Wort und Lehre. Denn Gottes Wort
ist Gott selber; wer es schmähet, der schmähet Gott sel-
ber. — Der eilfte heißt „Gotestrügener". Das sind alle
Heuchler, die sich gut vor den Leuten zeigen, und Gott
und sich selber betrügen. Gott freilich durchschauet sie
wohl. So viele geistliche und weltliche Leute, „Almü-
sener," Pilger u. s.f. Sie laufen nach St. Jacob, übers
Meer, gen Aachen, genRmn, und sind hernach Wucherer
und Betrüger, wie zuvor. Beßer, sie wiedererstatteten mit
dem, was sie zur Fahrt brauchen (vergl. p. i34. i35.).
Dagegen soll man lieben die Gotteswahrheit. Wer sie
liebt, flieht alle Sünde, und hält sich an allen Tugenden
die Gott lieb sind. Ihnen giebt Gott die Wahrheit. Das
ist er selber. — Der zwölfte heißt „Zcrrer gotes rock".
Das sind die Bedrücker des Gottesdienstes, die den Got-
teshäusern und den Heiligen ihr Gut nehmen, so daß,
wo zwei Pfarrer sein sollten, nur einer kann gehalten wer-
den, der dazu leicht nicht gar wohl gelehrt ist. Sie zer-
ren an Bisthümern, Abteien, Klöstern, Pfarren, Witt-
wen und Waisen. In derselben Schuld, wie sie, sind
alle, die das wehren sollten, und es nicht thun. Sie
stellt Antiochus dar, der höchste unter jenen Zwölfen, und
eine Wurzel der Sünden. Denn hier hat alle Sünde ihre
Wurzel; wären sie gerecht, so dürfte niemand ungerecht
— 323 —
fein, (vergl. p. n — iS). Dagegen soll man lieben eine
Jungfrau, die Gott vom Himmel trieb zum Tode für
uns — die Barmherzigkeit. Diese liegt besonders ob
Hohen gegen die Niedern; und davon hangt es ab, ob
sich Gott ihrer erbarme. — Und welche sich übersehen
haben an diesen Sünden, die wenden sich an die Barmher-
zigkeit Gottes, daß sie noch erlangen feine göttliche Gnade
'nd das ewige Leben! —
Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
:gtc Pr. „Wie man die werkt in zwelft teilt." Text, wie bei der
Jim (3te) Pr.
E
mgang: Beziehung auf die 26te Pr., als die 4fe vor
dieser. — In die Stricke der Teufel fallen viele Tausende;
oft einer vielmal in einen, oft auch in mehrere, u. s. f.
Kaum der dreißigste Theil bleibt dem Herren. Das ist
vorgebildet in der Geschichte desJerobeam (i B. d. Kön»
ii.) Dieser bezeichnet den Teufel, mit dem Berthold, den
Propheten vorstellend, unterhandelt über die Leute der
Stadt. Von denselben überläßt er ihm zehn Theile, und
nimmt für sich und Gott nur zwei in Anspruch. „Ja nu
sitze und mach ein krüce für dich. Und hctest du ein
gut hertze, das were dir vil bezzer, banne alle crüce, die
du machest." — Der erste Theil sind die, die mit Un-
glauben umgehen (vergl. p. 58 u. folg.), der zweite „die
gotes namen üppeklich in irn münt nement" (vergl. p.
60.); der dritte, die Neid und Haß im Hertzen tragen,
wenn's ein anderer beßer hat an Gut oder Freunden
oder Ehren. Wollten sie ihm gönnen das größere Gut,
das Gott ihm gönnt, und erkennen, daß er es ihnen zu
— 33o ->
Gute so gefügt, und ihm Dank dafür sagen, so gäbe
er ihnen für das vergängliche Gut das ewige Leben,
für die vergänglichen Freunde sich selbst zum Freunde,
für den unsicher» Schatz irdischer Ehre die ewige Ehre.
So aber giebt ihnen Gott doch nicht mehr und sie brin-
gen sich in die Verdammniß der Seele, und zehren ab
am Leibe (der Neid „derret sie"). Wer aber tödtlichen
Haß hat, ist ein Mörder (i Joh. Z, iS.). Von Neid
und Haß der Teufel ist uns ja alles Unheil gekommen.
Haß gegen einen, der dir kein Leid gethan, ist teufelisch.
Aber wenn dir auch einer Vater und Kind erschlagen
hatte, sollst du dennoch sein Freund sein. — Der vierte
Theil sind solche, die mit Zorn umgehen, die vor Zorn
schelten, fluchen, alles zerwerfen, ihr Gewand und sich
selbst und ihre Frauen zerreißen, oder gar einen andern
ermorden, so daß sie in einer der „rufenden" Sünden sind,
die ihnen außer der Verdammniß auch das Leben ver-
kürzen. — Der fünfte Theil sind die Tragen am Gottes-
dienste. Jeder Christ sollte doch täglich sechzig bis siebzig
Paternoster sprechen; da steht aber mancher auf, ohne nur
ein Kreuz zu machen; mancher wird zwanzig Jahr alt, und
kann noch kein Paternoster vor Trägheit. Einen solchen sollte
man aufs Feld legen, wenn er stirbt. Manche laßen in
der Kirche die Lippe auf und niedergehen, und haben keinen
guten Gedanken, trachten nach diesem und jenem, nach
Gewinn im Kauf und Verkaufs oder wo sie immer ihr
Sinn hinträgt. Denn wo des Menschen Schatz ist, da
ist sein Herz. Er sollte aber feinen Schatz haben als
.— 33i —
Gott. — Bester aber ist's doch so als gar nicht zu be-
ten. Denn wie das wilde Geflügel durch Gewöhnung
allmahlig zahm wird und zutraulich, so mag einem sol-
chen das Paternoster allmahlig heimlich werden im Munde
und Gott in dem Hertzen. „Und dar umb sült ir den
hohen edeln adelar von dem hohen hymelrich oste ge-
wonlichcn locken mit dem pater nvster und mit anderm
gebete, der daz kan, ob du halt nit grozer andaht
hast". — Will aber die Andacht und Liebe zu Gott
nicht im Herzen bleiben, so gedenke an die Liebe, die er
uns gethan, indem er uns geschaffen und nach ihm ge-
bildet und uns vom ewigen Tode erlöst hat, an seine
manigfaltigc Marter; und das mache zu einem Spiegel
des Herzens, und gedenke an die eigne Schwache (bro-
dekeit), und von wannen du bist, und wer du jetzt bist,
und wozu du in kurzem werden must (»ergl. d. 33te i8fe
8te Pr.). — Der sechste Theil find „die mit fraß heit
umb gent". — Ueber die wird am jüngsten Tage jeder
Mundvoll zu viel Klage erheben. Das hat nun um sich
gegriffen bei Männern und Frauen. „Eins, daz einen
becher küme zu rehte crhebeir^mag, daz wil nü zu wine
fitzen, und wil da schallen und sneren und drünken wer-
den." — Der siebente Theil sind, die da Hoffart trei-
ben mit Freunden, mit Reichthum, mit Gesundheit, Schön-
heit; die jungen durch Kurzweil, die alten durch Gewalt.—
Der achte Theil sind die Unkeuscheii. Nicht leicht findet
man ein reines Haust. Das kommt von unreinein Gesinde
und schlechter Meisterschaft über Gesinde und Kinder, vom
33a —i
Nichtachten der Frauen auf die Töchier, wenn sie zur
Kirche oder sonst ausgehn, von schlechter Gesellschaft und
Vertraulichkeit; und von Ueppigkeit und Verzärtelung in
Nahrung und Kleidung bei den Kindern der Reichen.
Da wird der Leib gemästet, daß er den Würmern desto
lieber fei und die Seele dem Teufel. — Die neunten
sind die, die da neue Funde finden auf die Sünde, dar-
ein viel mehrere verfallen, als in die alten, so einen neuen
fremden Kleiderschnitt, neue Trugenheit am Kauf u. a.,
neues Umgeld, neue Zölle u. s. f. Das ist eine Sünde
der Marter, weil einem solchen genügt alle die Sünde,
die von jeher erfunden worden, von Lucifer, Ninrrod,
Aschcroth Beelzebub u. a. Ein solcher bringt andere
mtt^sich zur Hölle; und seine Marter wächst immerfort,
so oft wieder einer von seinem Funde zur Hölle kömmt. —
Die zehnten sind die, die unrecht Gut haben. Deren
Marter wachst auch immerfort von allen, die durch ihr
unrecht Gut verdammt werden. Da verflucht das Kind
den Vater und der Vater das Kind, und jeder wirft die
Schuld auf das andere, und sie quälen einander mehr,
a!S die Teufel sie quälen. — Die eilften, die nun Gott an-
gehören, sind alle, die von ihrer Geburt an nie eine Haupt-
sünde gethan (St. Nikolaus, St. Ulrich, St. Mragarete,
St. Katharina u. a.); die zwölften, alle die aus jenen
zehn Theilen wiederkehren zu Gott mit Reue, Beichte und >
Buße. Kehret um, dem Teufel zur Schande, Gott zur
Ehre. Ihr seid ja zu edel dazu, ?) ewig zu brennen;
») Gott hat euch zu theuer erkauft.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
vergebt, wie Gott, denen, die euch Leides gethan; laßt
alle tbdtlichen Sünden aus dem Herzen. Aber es wird
gehen, wie der Prophet sagt, daß die Teufel den Wein-
garten lesen, und die großen Trauben hinführen, und ich
und unser Herr Nachlese halten, ob wir finden kleine
Körnlein unter dem Laube, und halb verfaultes unter
der Erde, kleine Kinder und „Beterisen" in den Spita-
lern. Die „bederbe" führen die Teufel zur Kelter, und
martern sie und winden ihnen alle Adern aus, und trö-
sten sie, „daz in we wart, daz sie ir müter an diese werlt
je getrug." — Nun kehrt alle wieder eingedenk der ma-
nigfaltigen Tugenden des Herrn, und seiner reinen Mut-
ter, der ewigen Jungfrau u. s. f.
b) Ge zenein ander treten der Gegensätze. Hülfe auS
dem S ü n d e n e l e n d.
i3ti Pr. „Don zwelf scharn Hern Josue.^
rr£mJk heiligen, die richhent und rihtent die biet, und
herschent über die Volk (i Cor. 6,2.)". Am jüngsten Tage
werden die h. Märtyrer zu Gerichte stzen mit Gott, und
ihm verdammen helfen alle, die dabin kommen mit Haupt-
sünde», und werden klagen gegen die, die sie gemartert
haben, und die sie richteten am Leibe \ über die werden
sie ein größeres und graulicheres Gericht ergehen laßen
an Leib und Seele. Die Verdammten sahen gerne das
Verzögern des jüngsten Tages, weil sie dann zwiefache
Marter leiden müßen, da auch der Leib dann nicht mehr
Ruhe hat. Die Heiligen dagegen sahen gerne sein baldiges
Kommen, weil sie dann zwiefache Freude haben. Heilige
aber find alle, die im Himmel sind, und so wie einer auS
dem Fegfeuer kömmt, ist er ein Heiliger. — Mit diesen
kommt Gott zum Gerichte. Das ist vorgebildet an Jo-
sua, der Gott rächen sollte an den sieben Völkern, die gegen
ihn gesündigt im h. Lande, und sie gänzlich vertilgen mit
den zwölf Geschlechtern. Ihnen ging der Jordan auf „zu
— 335
berge", und nicht ein Tropfen ging darnieder; und die
Mauern legten sich von selbst in die Graben; niemand
konnte ihnen widerstehen, und sie tödteten jung und alt.
Da entstand Ach und Weh und Angst und Noth. Nun
erfanden die Bürger von Gibeon (Gabaon) eine List u. s. f.
Das ist die Schale; an der allein nagen die Juden; nur
die Christen haben den Kern. Josua bedeutet unsern
Herrn Jesum Christum, die zwölf Geschlechter zwölf Schaa-
ren der Heiligen, alle mit scharfen Schwerdtern, lichter
als die Sonne, jede schöner als die andere, die sieben
Völker siebenerlei Sünde in der heiligen Christenheit.
Es sind sechserlei Heilige/ die sich ie in zwei Schaaren
theilen/ Die ersten sind zweierlei, „Bihtiger", geistliche —
in Klöstern —, und weltliche, die die Huld des Herren
verdient haben mit ihrer Lehre und Beichte; die zweiten,
zweierlei Richter, geistliche und weltliche (vergl. ite Pr.);
die dritten, zweierlei Märtyrer, die harte und große, und
die kleine und geringe Marter erlitten haben; die vierten,
zweierlei „Megde", die mit gesundem Leibe Gott gelobt
und gegeben haben ihre Jungfrauschaft, und die kleinen
Kinder/ Die richten über Vater und Mütter und Ver-
wandte. Derer erbarmt sie nicht mehr, als eines, „der
von kriechen ist" — vermöge ihrer Liebe zu Gott. Die
fünften sind zweierlei Wittwen, die ihre Jungfrauschaft ver-
loren haben in oder außer der Ehe, und das gebüßt ha-
ben und darnach immer keusch fein wollen. Die sechsten
sind zweierlei Eheleute, die recht und redlich gelebt haben
und ohne Hauptfünde starben, theils solche, die von Haupt-
j) m,
funbett frei geblieben, theils solche, die sie gebüßt haben« —
Die sieben Völker sind die „chananey, ethey, ewey, phe-
resey, icsey (?), iebusey, amorrey (amLrl)." Sic bedeuten
die sieben Hauptsünden. Die ersten sind, die Neid und
Haß tragen umsonst und um nichts. Ihnen werden die
Heiligen unheilbare Wunden schlagen, und so zeigen, daß
sieGott herzlich hold (zugethan) sind. Da wird das Kind
den Vater u. si f. verdammen ohne Widerstand und Er-
barmung. Dabei hat das Himmelskind so wenig Empfin-
dung von der Verwandtschaft, als der Balsam von der
Bitterkeit des Meeres durch ein dickes Glas hindurch,
worin er versenkt wird in den Grund des Meeres. Denn
es liebt Gott so sehr, daß es Vater und Mutter nicht
von der Hülle nehmen wollte, wenn es auch könnte,
weil es nur will, was Gott will. So fürchterlich
wird die Angst und Noth sein, daß selbst Hiob der beste
Mann, von dem Gott selbst sagte, daß er nichts ihm
Gleiches wüßte in aller Welt, den Herren bat, er möchte
ihn dieselbe Zeit in der Hölle seyn lassen, und dann wie-
der herausnehmen nach seinen Gnaden» Wie wird es
dann um uns stehn! Da kommen alle Engel und Hei-
ligen mit Gott herab, keiner bleibt im Himmel. Aber
sie kommen nicht ganz auf die Erde, weil Gott so groß
Leid und Untreue hier geschah, daß er nicht mehr al-
so auf die Erde kommen will» Den,» so wie er sich
„verwandelt in ein Brod" in des Priesters Handen, ist er
wahrer Gott und wahrer Mensch täglich bei uns mit
seiner Gewalt und seinen Gnaden, aber alsdann kommt
337
er mit seiner Gewalt und seinem Zorne. Da helfen ihn
die Heiligen und vertheilen die Verdammten, und die En-
gel und die Teufel stoßen sie in die Hölle. Da wird sich
keiner verbergen können, so wenig als vor dem Tode.
Alle Hanptsünden, die nicht gebüßt sind, stehen offen vor
aller Welt. Da ist jeder der Heiligen so licht und klar
wie die Sonne, also daß nichts verborgen bleiben niag. —
Tie zweiten sind, die zornig und bitteren Herzens sind
(amorreus), die aus Bitterkeit werden zu Mördern und
Räubern, zu Verrathern an Ehre und Gut und Leib
und Leben, zu „Mortbetern", zu Mördern des eigenen
Weibes u. s. f. Die werden erschlagen mit scharfen
Schwerdtern; und die Kindlein, die Herodes tödtete, wer-
den sich härter an ihm rächen, als er sie gerichtet hat. ■—
Die dritten sind die Trägen am Gottesdienste. Da er
uns selber dient und die Engel und alles zu Dienste gegeben,
so soll der Mensch auch ihm von Herzen dienen, jeder,
wie er es vermag, der Reiche soll Almosen geben, „messe
frümen", Wege und Stege machen, Klöster und Spita-
ler begaben; und vornehmlich wird Gott fragen nach den
sechs Werken de; Barmherzigkeit (Matth, 25, 35.36.); .die
sollen gern beten, die gern fasten, die gern arbeiten mit
Treuen und Ehren, die gute Richter sein, die gute Leh-
ren geben mit Predigen und Beichte hören u. s. f. Wer
das nicht thut, muß ewig verdammt sein. — Die vier-
ten sind die, die sich übereßen und übertrinken, wodurch
andere darben müssen und sie selber an Leib und Ehre
und Gut zu Schadeil kommen, und mit Weib und Kind
22
rburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
339
das ist die harte Buße, die man mit viel Fasten, Be-
ten, Vigilien und allen guten Dingen auf den Esel le-
gen soll, auf den Leib, der die Sünde gethan hat. Dar-
um gedenket deö Gerichts, und machet mit Gott, und
gewinnet wahre Reue, und thut an euch die zerfallenen
Schläuche, daß kein Tropfen in euch bleibe des bösen
Willens, u. s. f.
22^
c) Betrachtung der Tugenden und ihres Gegensatzes »ach den
Gegenständen derselben.
r8te Pr. „Don zwein und virzig lugenden" — (Geburtsfest der
Maria. Text Matth, i, i—17.)
Geschleckt unserer Frau ist das höchste,da Gott davon
geboren wurde. Unzahlich sind ihre Tugenden; aber unter
denselben sind zwei und vierzig auserwählte. Wegen der-
selben vergleicht man sie mit dem Kräftigsten und Edel-
sten, was es gibt an Menschen und Engeln, mit edler
„Würze" und edlem Gesteine und edlen Worten, mit Bal-
sam und Mandel und Aypreßen u. s. f. Wegen ihrer Tugen-
den erwählte sie Gott, seine Mutter zu werden. Von ihr
haben die h. Propheten Wunder und Wunder gesprochen.
Sie heißen sie ein Thor zu dem Paradiese, einen Brunnen,
einen Sapphyr, einen klaren Rubin. Ihre zwei und vier-
zig auserwählten Tugenden muß jeder haben, der zum
Himmelreich kommen will, wo sie eine gewaltige Königin ist,
wie die Israeliten zwei und vierzig Jahre durch die Wüste
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 34 r —
wandern mußten in das verheißene Land. Mit ihrem Lebe
könnte ich auch in einem ganzen Jahre nicht zu Ende
kommen. „Dovon ist mir vil bezzcr geswigen banne krcnc-
lichen gelobet". ä?) Darum will ich uns Christenleutcn
sagen, wie wir Tugend gewinnen, wodurch wir zum Him-
melreich kommen, und dann sehen die tugendrciche Kö-
niginn in ihren Freuden und Ehren. — Viele von den
Vorvätern des Herren sind in der Hölle; denn er sieht nicht
an „nyfteln noch neven" sondern Tugend allein. (Match.
i2, So.) „Im ist der mag als der lantman". — Die zwei
und vierzig Tugenden kann allmahlig erlernen, wer fleißig
zur Kirche und Predigt geht. Diesmal will ich reden
von den sechs höchsten und besten; wer die wohl lernt, der
lernt die andern desto eher und leichter. Sie sind Gott
die liebsten; wer sie nicht hat, empfaht keinen Lohn, wenn
er auch alle anderen hätte. An nichts kann man Gott
so große Liebe erweisen. Ohne sie helfen nichts alle Meer -
und Pilgerfahrten, alles Stiften von Klöstern und Spita-
lern und Bisthümern. Gott erleuchte eure Herzen und
Sinne, daß ihr sie heute also lernet und behaltet, daß
ihr sehet die hochgelobte Königin bei ihrem lieben Kinde in
ihrer Tugenden Freuden und Ehren. — Die erste Liebe
thut man Gott an heiligen Zeiten (vergl. p. 63, u. folg).
Zu jeder Zeit thut man ihm Liebe mit guten Dingen,
und Leid mit bösen, aber beides desto mehr, je heiliger
*) Vergl. das herrliche Lied des Bruders Eberhard von Sax, in
Decks Minneliedern Nr. i38.
34a
die Zeit ist. Viel lieber ist ihm ein Liebesdienst am
Sonntag, als am Montag; viel mehr leid ein Tanz, ein
„Torney" u. s. f. am Sonntag, noch mehr, wenn ein
Heiligentag auf den Sonntag fallt, noch viel mehr an dem
Ostertage u. s. f. — Das zweite sind die h. Statten,
die mit Bischofsweihe umfangen sind, „kirchen, kirchhove
oder frithove, grede, cappellen, klöstcr und crücegenge".
Sünden an solchen Statten sind größer als die an gemei-
nen, Besonders aber soll man ehren den Chor, weil da
wohnet „die hejlikeit aller heiligen". „Hievor in der
alten ee in dem tempcl, do waz ein inner hcilikeit, do
gingen zwo tür in, und stunt do groz heilikeit in einem
eimer, do ging so edel gesmak von, daz daz nieman volle
sagen mag; und daz betütet unsers Herren lichnamcn".—
Der Eimer bezeichnet die Büchse, darin man den Herren
bewahrt. Und wie dort sollen noch heute zwei Thüren
in den Chor gehen, und cs sollte niemand darin stehen,
so man Mcße fingt, als die an der Engel Statt dienen,
die da singen helfen oder die Meßner, die bereiten nmßen,
was der Herr bedarf. Es sollten da nur Engel dienen;
sie sind auch da, nur daß wir sie nicht sehen vor Sün-
den. Keine Frau soll zu der Zeit bei dem Altar zu thun
haben, noch sonst in dem Chore sein. Leicht können sie
da an dem Prister ihre Seligkeit verwirken. Es ist ein
schädliches Ding, daß die Frauen sich immer, hinzudrän-
gen, wo man Gott dient, Im alten Bunde standen sie
besonders, daß pudere Männer sie nicht sahen, So soll
man den Chor angelegentlich ehren, den Altar aber mehr
343
als den Chor, und die Kirche mehr als den Kirchhof;
beide haben jedoch gleiches Recht an der Buße, so man
daran frevelt; nur geht man in her Kirche der „Hcilikeit"
naher, und sie ist auch mehr geehrt und geziert. Gehe
niit Andacht an die h. Stätten und mit Furcht vor dem
Herren, und gedenke, ob man deß werth sey vor Sünden.
Laß dich nicht abhalten durch Sünden, sondern gehe um
so öfter hin und demüthige dich, die h. Stätte zu ehren,
Gott zur Liebe und dir zum Heil. Du kannst mit sol-
cher Furcht hingehn und mit solcher Andacht dastehn, daß
dir Gott alle deine Sünden vergibt; aber auch so, daß
er dir nimmer vergibt (Pharisäer, Zöllner). Dagegen
schlagen sie Krambuden auf an geweihten Kirchhöfen. „Ez
heißet dar umb ein frithof, daz er geheiliget und gefriet
sol sin vor allen bösen dingen". Denn wo Markt ist, da
ist Lügen und Trügen und Schwören und Muthwillen aller
Art. So leid ist dem Herren diese Sünde, daß er sie
allein mit eigner Hand gestraft hat, da er die Juden aus
dem Tempel schlug. Er schlug sie so zornlich, und sah
so zornlich, als ob ihm Feuer aus den Augen gienge,
schreibt St. Hieronymus. Und doch hatte man nur feil,
wa? man zu Opfern und guten Dingen bedurfte. — So
sprechen sie in der Kirche, wie auf einem Jahrmärkte, hin
und her, was ieglicher gesehen in fremden Landen, auf
der Meer- oder Romfahrt oder zu St. Jakob. Und die
Frauen laßen ihren Mund nie stehen von unnützem Ge-
spräche. So sagt die von ihrer Dirne, sie schlafe gern
und wirke ungcrne; die von ihrem Kinde, es sei ,,mülich"
344
rmd nehme nicht zu — statt daß sie Gott klagen sollten
ihr Ungemach an Leib und Seele, vor allem aber die
Sünde, mit reuigem Herzen und mit schöner Jucht stille
schweigend, bei sich selber. Gott hört es doch wohl, wie
leicht du an ihn gedenkest. Wenn du mit rechter Ruhe
deine Seele besorgest, so ist Gottes Friede an dir. Wie
aber Gott vordem grimmig bestrafte die Entweihe? der
h. Statten, so thut er noch izt Lenen, die die Kirchen
verbrennen, daß die Leute darin umkommen, und die dar-
aus nehmen, was arme Leute zu den Heiligen geflüchtet
haben. Sie kommen in den Bann und hernach in die
ewige Marter. Sie schänden ihren ritterlichen Namen
und ihre Taufe, und werden beschämt durch die Heiden.
Denn diese thaten ihren Bethäusern ungerne Leid an;
ja ein heidnischer König Cyrus half Gottes Tempel
wieder bauen. - Die dritte Liebe geschieht Gott an dem
h. Gute. Wenn ehedem weltliche Herren es mehrten
und dadurch heilig wurden, so verderben sie es izt, daß
man wenige Kloster stndet, außer die immer armer wer-
den. Sie reißen an sich die ,,Widemen^ (ootirte Kirchen-
flutcr) und Zehnten, und achten nicht auf Bann und
Acht. Strafen dafür hat Gott erzeigt an Achor (Josua 7.)
und Ngbuchodonosor (Daniel 5.). Auch diesen wird ge-
zählt ihre Missethat,- daß sie um jeden Pfennig h. Gutes
brennen müssen so diele tausend Jahre, als Tropfer; im
Meere sind, und dann hebt ihre Marter erst an. Es
ist ihnen gewogen, daß jeder Pfennig schwerer auf sie
sinken wird, als alle Berge, Es jst ihnen getheilt, daß
—- 345
sie aller Gnaden „verteilt" und verstoßen werden. Auch
der Zehnte ist h. Gut. Darum hüten sich die armen
Bauern, daß sie sich nicht dran verwirken, indem sie den-
ken: die -Pfaffen sind reich. Ehedem mußte man ihn ge-
treulich liefern, obgleich er auf dem Felde verbrannt
wurde. Und davon daß Adani den Zehnten des Herren
im Paradise antastete, ist alle unsere Noth und Angst ge-
kommen. — Die vierte Liebe thut man Gott an h. Leu-
ten. Denn daniit die heiligen Leute heiliger würden,
und die Sünde zur Heiligkeit kehrten, kam Gott auf die
Erde, und litt den bittern Tod. Das sind vor allen die
Priester, die Gott über alle erhöhet hat, dann die zu dem
Evangelium geweihten und zu der Lecrion („letzen"), und
alle die i» Klöstern Orden haben. Die soll man ehren
und schirmen und ihnen Almosen geben. Wehe aber de-
nen, die sie verletzen mit Worten oder Werken oder mit
ihnen Sünde thun (vergl. d. 33U Pr.). — Das fünfte,
woran man Gott Liebe erweist, ist der christliche Glaube,
(s. p. 57—60). — Aber die höchste Liebe erweist man
Gott an ihm selber, daß man seinen h. Lcichiiam wür-
dig empfahe und ehre. Da wird die Seele gcfpeißt niit
der wahren Minne, und wird gestärkt wider des Leibes
und des Fleisches Gier, wider der Welt Süßigkeit und
des Teufels Räthe; man soll ihn empfangen niit wahrer
Reue, niit lauterer Beichte und mit lauterem Gewiss«n,
mit der rechten Erkenntniß seiner Schuld, und der Er-
kenntniß göttlicher Würde. — Wie es aber einem schmerz-
licher ist, wenn man ihn schlägt auf den Rock als auf
den Mantel, und noch viel mehr, wenn man ihn schlagt
auf den Leib: so ist es Gott leid, wenn man niederbricht
ein Kreuz auf dem Felde, noch leider wenn es in einem
Kloster geschieht, das noch mehr geziert und geehrt ist. Aber
am leidesten that man ihm an dem Kreuze woran er ge-
martert wurde, und also thut man ihm an ihm selber am
aller leidesten. So alle, die mit seinem Leichnam zau-
bern. Wäre Gott nicht so milde und gnädig, die Erde
müßte sie verschlingen und der Donner erschlagen. Er
ist aber bereit auch den größten Sünder mit Erbarmen
anzunehmen. — So freveln auch alle, die ihn unwürdig
empfahcn. Dreierlei Ehre will Gott von jedem erwach-
senen Christen. Die sind ihm die liebsten, lieber, als
wenn man alle Klöster stiftete, ja als wenn man das
h. Grab wieder gewänne aus der Heiden Gewalt. Wer
diese ihm nicht erzeigt, dem giebt er das Himmelreich
nicht, und erwiese er ihm alle anderen Ehre». Nur Chri-
sten können es, und darum sind Heiden Juden und Ketzer
verdammt, und Gott verlangt es nicht von ihnen. Die
erste soll man ihm zum mindesten einmal im Jahre erwei-
se», daß man ihn zu Ostern empfäht auf die rechte Weise
(s. oben). Anfangs waren die Christen so reines Herzens,
daß sie ihn alle Tage empfiengen. Da sich die Christen-
heit mehrte und ausbreitete, und damit zugleich die Sünde
in ihr, so sezte man es auf alle Sonntage; hernach da
die Sünde noch mehr zunahm, auf dreimal im Jahre;
zulezt, da sie gar mit Sünden durchmischt ward, auf ein-
mal im Jahre, damit desto weniger die Leute sich daran
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 347 —
übersehen möchten. Manche aber sind so selig, daß sie
noch öfter ihn cmpfahen. Wer es auch das einemal
unterlaßt der Sünden halber, der hat eine Hauptsünde
auf sich, weil er die Sünde lieber bei sich hat, als Gott;
wer ihn aber unredlich empfahl, der ist noch mehr ver-
dammt. — Die- zweite Ehre soll man ihm erweisen zu
allen Zeiten. So der Priester ihn zum Kranken tragt,
soll man auf beide Kniee fallen. Vor dem irdischen
Herren kniet man nur mit einem Knie, weil er Gewalt
hat über den Leib, vor dem himmlischen mit beiden, weil
er Leib und Seele gegeben hat; und da mag denn der
Boden schön sein oder nicht, du sollst stracks niederfallen,
wie kostbar auch die Kleider seien, und mit dem Hut
oder Kapplein an die^ Kehle! Und du sollst Gott anrufen
um alle Anliegen, und daß du nimmer von ihm geschie-
den werdest, und daß er sich dein erbarme izt und am
letzten Ende. Zu allen Zeiten des Tages soll man also
sich aufrichten und neigen gegen Ihn. — An diesen bei-
den kann den Menschen nur hindern sein schlechter Wille;
aber an der drittel» Ehre kann auch eine gesetzmäßige
(ehafte) Noth ihn hindern. Diese ist, daß man täglich
mindestens einmal mit Andacht eine Messe höre, und den
Kaiser aller Könige, der um unsers Heiles willen täglich
herabkommt vom Himmel und sich sehen läßt in des Prie-
sters Händen, und seine Gnade anrufe und ihn dafür
lobe und ehre (vergl. p, 171 — 174.). Du kannst ihn da
also sehen und anrufen, daß er dir alle deine Sünde ver-
gibt. Eher gls daß man ohne Messe wäre, sollte man
343
über dreißig Meilen reisen, ja über das wilde Meer fahren,
um den Heiland zu sehen. Versäumst du eine Messe,
wozu du nur dreißig Schritte hättest, und hindert dich
nicht gegründete Noth, so achtest du geringe Gottes Ehre
und deine eigne Seligkeit. Ihr wißet doch, wenn derKö-
nig des Landes kommt über die Berge, so lautet man
und thut den Leuten kund, daß er komme. So gehen
sie hinaus und warten sein. Und kömmt er, so schlagt
man die Glocken zusammen und lautet in einem fort.
Da stellen sich die Leute auf hohe Banke, und wohin sie
können, daß sie ihn sehen. Und die Geistlichkeit (pfaffe-
heit) geht ihm entgegen, und empfangt ihn mit Lob und
Gcsaiig. Damit bezeugt man, daß er nur allein Vogt und
Herr des Landes sei. So lautet man zur Meße entgegen
dem Könige, der da kommt über die Berge vom wonnig-
lichen königlichen Saal des Himmelreichs, daß die Leute
kommen und den gewaltigen König der Ehren sehen und
den starken im Streite, der den leidigen Satan überwun-
den hat und uns Christen den Sieg erstritten. Zuerst
läutet man gemächlich, hernach alle Glocken zusammen.
Dann sollen die Leute da sein; denn des Herren Zukunft
ist nahe. Dann empfängt ihn die Geistlichkeit mit Lob
und Ehren, bis er sich verwandelt vor des Priesters Hän-
den in eine Oblate, wahrer Gott und wahrer Mensch,
wie er von Maria geboren ward; und so wahrlich er ans
Kreuz „geboten" ward, so wahrlich „bietet" ihn der Priester
auf mit beiden Handen. Da sollt ihr ihn anrufen um
seine Hülfe und seine Huld, um der Liebe willen, die
34g
ihn zur Marter zwang. Da kannst du manchmal mehr
Gnaden erwerben, denn einer, der zu St. Jakob lauft
und zurück. Ihr Herren, ihr thut mir gar Leid daran,
daß ihr manchmal zu St. Jakob laufet uud reitet, so
daß ihr leicht in zwölf oder zehn Wochen nicht zehn
Messen höret. Das sage ich nicht darum, daß ich St»
Jakob seine Pilger entführen wollte; da wäre er mir
zu hoch; ich rede es um der Gerechtigkeit willen. Ihr
laufet dorthin, und verkauft daheim, daß eure Kinder
und Hausfrauen immerfort desto armer sein müssen, oder
% selber „nothaft und gultehaft". Und ein solcher mästet
sich, daß er viel feister zurück kommt als er ausfuhr, und
hat dann viel zu sagen, was er gesehen, und läßt nie-
I mand hören in der Kirche und Predigt. Was fandest
du dort? St. Jakobs Haupt. Daö ist ein todtes Bei»
und ein todter Schädel; das beßere Theil ist im Himmel.
Da kannst du viel mehr Gnaden finden an deinem Hof-
zaun, so der Priester in der Kirche die Messe singt; da ist
der wahre Gott und wahre Mensch mit der Gewalt, wie er
im Himmel ist, und dessen Heiligkeit die aller Engel und
Heiligen übertrifft, wie der ganze Sonnenschein den, der
durch eine Nadelöhre geht. Die wegen Blöße oder Ar-
beit oder Entfernung Gott diese Ehre nicht erweisen kön-
^ nen, erweisen ihm die andere»! Zuletzt befehle ich euch
drei Menschen, die Gott über alle erhöhet hat. Den einen
sieht man, hört ihn aber nicht; das ist unser Herr,
den ihr seht in des Priesters Händen. Den andern sieht
und hört man nicht, das ist seine h. Mutter. Den'drit-
ten sieht man und hört ihn; das sind die Priester, die
ihn in den Handen haben heben und legen. Bittet ihn,
daß er mit allem diesem voit euch gelobet werde, Er und
seine h. Mutter, und ihr beseliget an Leib und Seele. —
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
d) Darstellung der Sünden nach ihrem Verhältniß zu verschiedene»
Altern und Lagen.
Zote Pr. (Text wie zur Lgten) „Von vier stricken". —
preisen die Märtyrer den Herren, daß sie nun
frei sind von den Stricken der Teufel. Gerne sollten auch
wir darum die Marter leiden. Aber auch ohne diese kön-
nen wir das Himmelreich erlangen, wie St. Ulrich, und
wie St. Elsebeth, die in unseren Zeiten heilig geworden ist.
Das ist der Weg der Barmherzigkeit, und mit vier Tu-
genden, die zu dieser gehören, möget ihr wohl in's Him-
melreich kommen. — Die erste ist die Keuschheit. Da-
mit sind manche den Stricken entgangen. Die aber ihre
Jungfrauschaft nicht behalten wollen, kommen zur Ehe,
und halten da Jucht und Maaß (vergl. 2te Pr.), daß sie
nur ihrem Gemahl ihren Leib geben. Auch die Wittwen,
ob sie in der Ehe oder Unehe ihre Jungfrauschaft ver-
loren, können fortan keusch sein nnd dadurch ins Him-
melreich kommen. — Die zweite ist die Demuth, ohne welche
auch die Märtyrer den Stricken nicht entgangen waren
u. s. f. (vergl. p. i2i. u. 33te Pr.) Die dritte ist die
352
„Miltekcit", daß man gerne Almosen gibt denen, die
es um-Gottes willen begehren. Das lbschet die Sünde
und mehret die Seligkeit u. s. f. (vcrgl. d. i8te u. d.
8te Pr.) 5)fe vierte ist die Treue. Ohne sie ist niemand
Gott werth. Denn von ungetreue» Leuten hat er auf
Erden viel Schmach und Angst und Leid und Noth er-
litten. Aber der Treue ist ohne Maaß gewogen. Denn
solche hat er auch erfahren von Maria Magdalena und
ihrer Schwester Martha und Nikodemus und Joseph.
Gegen diese vier Tugenden haben die Teufel vier Stricke
erfunden, womit sie klüglich („bescheidenlich") alle Welt
-fangen. Sie legen jeglicher Art Leuten besondere Stricke,
wie eie Jager den verschiedenen Arten der Thiere, daß
sie desto mehr fahen. So den Armen einen, der ihnen
angenrcsscn, wie ihre Sache liegt. Sie gleichen den Fi-
schen, die da arnr sind, und frieren, und immer im Wasser
sind, und nackt und bloß aller Gnaden. So haben die
Teufel ihnen den Strick der Untreue gelegt, weil sie un-
berathen sind. So eßen sie denn einander wie die Fische,
und sind falsch in allem Verkehr mit den Leuten, im
Handwerk, im Handel, im Dienste, im Tagelohn; daher
Verrath, vornehmlich der Bauern unter einander (p. 4g.
5i.), Mord, Raub, Pfennigpredigen, u. s. f. So stiehlt
die Dirne und der Knecht Salz und Schmalz, Mehl und
i Korn, Ei und Käse, Brod und Braten. Und doch hei-
ßest du „ehalt", daß du den Leuten, die in der Ehe sind,
ihre Ehre und Gut getreulich bchüthen und bewahren sollst.
So geht hinter der Schnitterin ei» junges Diebelein her;
dein drückt sie rine Handvoll nach der anderen ia die
Furche. Ohne diesen Strick kamen viele der Armen
zum Himmelreich. Denn Hoffart und Uebermaaß könn-
ten sie nicht fallen, weil sie das nicht leisten mdgen.—>
Der zweite Strick, den die Teufel den jungen Leuten
gelegt, heißt Unkeuschheit; der ist ihrer Natur gem.-ß
(glich). Sie waren gar reines Herzens und guten Wil-
lens und gut anzuweisen zu Fasten Beten und anderen gurrn
Dingen, und nach keiner Sünde steht ihnen die BeMrdst
so sehr, alö nach der Unkeuschheit, und durch keine kom-
men sie so in die Gewalt deö Teufels, und werden nun
von einer Sünde zur andern verleitet (vergl. d.l 3te Pr.).
Davor könnt ihr euch behüten, so ihr Gott vor Augen
habt, und seine reine keusche Mutter, und sie fleißig bit-
tet, daß sie euch beschirme in eurer Keuschheit durch die
reine Keuschheit, womit sie der h, Geist beschattet hat.
Da wird sie euch behüten, wie die h. Agathe und Ka-
tharina u. s. f. Dazu sollt ihr euch selbst bewahren vor
üppige» Gedanken und Werken und schlechter Gesellschaft
und Vertraulichkeit. Willst du aber die Gedanken fliegen
lassen hin und her, und zum Tanz und zum „Heimgar-
tan" gehen, und da viel „gerufen und gelächen und ge-
weter blitzen und gezwwn mit den äugen", so kannst du
leicht fallen in den Strick des Teufels. Demüthiget euch
mit Gewände, mit Worten und Werken, und mit Geschäf-
tigkeit (unmüzze) in guten Dinge»; und Zwingt Gedanken
und Sinn (müt). Es ist mit den Gedanken der Un-
keuschheit, wie wenn einer durch Krambuden geht, wo
-3
354
in der einen schönere Waare ist, als in der anderen, und
Mn dies oder jenes ansieht ohne an den Kauf zu den-
ken, oder davor steht und feilscht um die Kleinode,
über noch keinen Gedanken hat zu kaufen, und es nur
zum Zeitvertreibe thut; oder immer mehr Lust dazu ge-
. rvinnt, und ihn nichts mehr abhält vom Kaufen, als daß
er nicht Pfennige hat. Das erste ist, wenn eine Frau
viel Männer sieht, und ein Mann viele Frauen, und sie
gern ansieht, aber um kein Gut eine Sünde mit ihnen
thun wollte. Das ist nur Zeitverlust. Dem zweiten
gleicht das, wenn einer bei einer schönen Frau steht und
in mancherlei Gespräch mit ihr kömmt, aber nicht schälk-
lich mit ihr redet, und um kein Gut eine Sünde mit ihr
thun wollte. Das sind noch nicht tödtliche Sünden. Das
dritte ist, wenn man immerfort sitzt und steht und geht
und eins nach dem anderen redet und darnach gelüstet,
bis nichts mehr davon abhalt, als daß die Gelegenheit
nicht da ist. —- Diese Sünde nimnit zwei der liebsten
Dinge, Gesundheit und langes Leben, und verdammt noch
dazu an der Seele» Die jungen Leute gleichen hier den
Würmern» „Wanne ez siuffet jeglicher von einem Win-
kel in den andern, als die muse und die würme. Pst
du armer loupfrosch! eins, daz kume mag einen Hafen
uf geheben, daz wil uns auch denselben Unflat mern mit
der unkusche" (vergl. d. 2gte Pr.). — Den dritten Strick,
die Hoffart, hat der Teufel den Reichen gelegt, die mit
Almosen und mit Bet * und Gottesfahrten leicht das
Himmelreich verdienen könnten» Sie gleichen den Vögel»,
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
die frei hin und her stiegen und schön singen und alle«
zeit fröhlich sind und niemand fürchten und wohl bekleidet
in mancherlei Farben. Augustinus sagt: die Hoffart wachst
in den(Z \iwA<&X .
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Uns-h- Jb>~ £W &$*r f<£*
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ist bi C^ÄA K«4»s ftjufcu r^UK*.
(2Jte .
k
nicht darum fürchten. Solche nehmen aber, wie er, gar
oft ein schmähliches Ende. Laßt euch genügen an dem,
was Gott euch „gefügt" hat, und die Armen desselben
genießen. Ihr aber wißt nicht, wie ihr euch betragen
sollt mit Gewand und Gebenden, Und traget buntes Ge-
wand, wie die Vögel. Und ihr Frauen thut oft solches
mit euch, was ihr an anderen verspotten würdet, und an
23*
354 —
in der einen schönere Waare ist, als in der anderen, und
Mn dies oder jenes ansieht ohne an den Kauf zu den-
Zu ge-
ls daß
Frau
md sie
ihnen
weiten
>t und
schalk-
,it ihr
Das
geht
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fei in den andern, als die muse und die wurme. Pfi
du armer loupfrosch! eins, daz kume mag einen Hafen
uf geheben, daz wil uns auch denselben unflat mern mit
der unkusche" (vergl. d. 2ate Pr.). — Den dritten Strick,
die Hoffart, hat der Teufel den Reichen gelegt, die mit
Almosen und mit Bet * und Gottesfahrten leicht das
Himmelreich verdienen könnten. Sie gleichen den Vögel»,
355
die frei hin tsnb her fliegen und schön singen und alle-
zeit fröhlich sind und niemand fürchten und wohl bekleidet
in mancherlei Farben. Augustinus sagt: die Hoffart wachst
in dem Reichthum, wie die Made in dem Apfel. Ihr
reichen Leute/ ihr erdrückt die armen Fischlein mit un-
rechter Gewalt mnd Hoffart und Uebermüth. Und sie
sind euch doch nicht also befohlen. Gott hat sie an eure
Seele gelegt, daß ihr darum antwortet am jüngsten Tage.
So machten es Moses und andere Heilige nicht; denn
sie liebten Gott von ganzem Herzen. Die haben die
Schafe Gottes so gepflegt, daß sie nun die ewige Freude
mit ihm besitzen. Da Er selber ein guter Hirte heißt/
so will er auch, daß der seine Schafe wohl Pflege, dem
er sie befiehlt (vergl. p. it — 15.). Er hat euch ja
Gut und Ehre darum verliehen. Ihr aber tretet auf
sie und zerret sie und freßt sie auf bis aufs Gebein an
Gut und Leib und Ehre und Freunden, ihr haltet den
Unschuldigen, und laßt den Schuldigen gehen—alles, weil
ihr Gott nicht fürchten und lieben wollt, und euch fremde
ist die Demuth. Manche sind bethört, wie Alexander
(25te Pr.), und wähnen, sie dürfen das thun, Und Gott
nicht darum fürchten. Solche nehmen aber, wie er, gar
oft ein schmähliches Eude. Laßt euch genügen an dem,
was Gott euch „gefügt" hat, und die Armen desselben
genießen. Ihr aber wißt nicht, wie ihr euch betragen
sollt mit Gewand und Gebcrden, und traget buntes Ge-
wand, wie die Vögel. Und ihr Frauen thut oft solches
mit euch, was ihr an anderen verspotten würdet, und an
a3*
i
356
euch selber dünkt cs euch wohl zu stehen, weil ihr aus
Hoffart mitgehenden Auqcn blind seid. — Jedoch ist man-
cher Reiche zum Himmelreich gekommen, der große Demuth
hatte. Und das ist ein Wahn, daß einem Reichen nicht
zu helfen sei (David u. a>). —*■ Den vierten Strick ha-
ben die Teufel alten Leuten gelegt, weil ste mit keinem
andern so viele derselben sahen könnten. Sie gleichen
den großen Thieren, denen man starke Stricke legen muß.
Dieser Strick ist fejr und zähe und unzerbrechlich. Er
heißt „Gitckcit". Zu Sünden der Hoffart und Unkeusch-
heit ist ihr stärker gewordenes Gemüth nicht so geneigt.
Aber die „Eitckeit" ist ihrer Natur gemäß. Sie werden
nun bald wieder zur Erden, die kalt und trocken ist, und
darum trachten ste nach irdischem Gut (vcrgl.d. 25te Pr.).
Weil ste kalt und trocken stnd, so bedürfen ste gme Speise
und guten Wein und gute warme Kleider. Darum ha-
ben sie lieber Gut, als andere Leute. „Wann alter gurre
bedarf wol füters". Das wissen die Teufel u. s. f.
(vergl. d. Löte Pr.).
1
26tc Pr. „Don dm vier stricken". (Text, wie zur Zoten.)
Teufel sind Tausendkünstler (tusent-listeler) mit ih-
ren mancherlei Stricken. Die Welt ist voll derselben; sie
fahren damit des Nachts zu Städten und Dörfern in
großen Schaaren; denn da hoffen sie mehr zu schaffen,
als des Tages. Sie legen sie vor,, Lichhuftr" durch über-
mäßiges Trinken und Spiel und Morden; sie machen,
daß einer in der Trunkenheit seine Hausfrau so schlage,
daß er an seinem ungebvrnen Kinde schuldig wird, oder
daß die Frau ihr Kind erdrücke; oder daß ein Hauß an-
brenne, davon einige das Leben verlieren; oder daß eine
Stadt verbrenne u. s. f. „Bruder Berthold, du sagst uns
so viel von diesen Teufeln und ihren mancherlei Listen,
und wir sehen und hören und greifen und empfinden doch
keinen derselben". Das ist eben einer ihrer schädlichsten
Stricke; denn dann würde keiner mehr eine Sünde bege-
hen. Nun seht, wie stille sie schweigen, und sind ihrer
doch manche tausend hier. Ihr Teufel ihr hört mich
gar wohl predigen. Ihr nähmet alles in der Welt nicht
darum, daß ihr nur einen von euch einem sehen ließet.—
Sie machen es wie die Jäger, mit mancherlei Stricken
(vergl. d. 29W Pr.). — Sie gehen aber besonders loö
auf uns Christen; denn die andern gehören ihnen zum
voraus. — Aber wer sich Nur vor vier Stricken gänz-
lich behütet, der geht nicht verloren. — Den ersten, der
Unkeuschheit heißt, legen sic sonderlich jungen Leuten, die
zu keiner andern Sünde so große Liebe haben, und ma-
chen sich so den Kampf mit ihnen leicht, und bringen sie
immer tiefer in die Sünde hinein (Absalon). Die Teufel
sind greulich anzusehen. Wie wir sterben würden vor
Freude, wenn wir Gott sähen niit stcischlichen Augen, also
vor Furcht, wenn wir die Teufel sähen. Eienge er izt
dort her vor dem Walde, und wäre diese Stadt ein glü-
hender Ofen, alles würde sich in diesen drangen. Aber
eine Art Teufel sieht greulicher aus als die andere; die
aller unflätigsten aber sind die, die Unkeuschheit ra-
then, — Gott ist der Unkeuschheit so feind, daß die un-
ehlichen Kinder Bastarte müßen sein, „cloz und erbeloz".
Sie können picht zu den Ehren kommen, wie die ehlichen,
nicht Prälaten (prilaten) werden in einem Convente (ko-
vente), nicht weltliche noch geistliche Richter, noch Pfar-
rer, „Von dez babsteS wegen und von sinem gemalte
Han ich tut zu reden". — Die Unkeuschen verfolgt auch
schlimnie Nachrede und böse Gebärde von Weib und Kind
und Freunden, — Den zweiten Srrick fegen sie sonder-
lich den Frauen, Die find sowohl zum Himmelreich ge-
schaffen und bedürfen desselben, als die Männer; ja sie wür-
den eher dahin kommen, weil sie barmherzig sind und lie-
T 35g
her zur Kirche gehen undzuPreMt und Ablaß, und ihr
Gebet lieber sprechen, als die Männer. Der Strick heißt
Hoffart und eitle Ehre. Da machen sie alles so zierlich
und mühlich (nötlich), nur daß man sie darum lobe.
Das ist eine leere Ausflucht, daß sie es thun ihrer Wirthe
wegen, damit diese andere desto weniger ansehen. Aber
ist er ein braver Mann, so sieht er es lieber, daß du „in
einer dornehtigen wise" erscheinest, als in einer hofferti-
gen Weise, daß man auf dich mit Fingern weise und dich
angaffe. Ist er ein „Nascher", so hilft es alles nichts,
als daß er dich zur Hölle bringt. Und manchen ist eS
gar leid. Denn ihr laßt ihnen keine Ruhe, und wollet bald
diß bald das. Und wenn ihr im Hause etwas thun sollt,
was eurem Wirthe oder euch selbst, oder den Kindern
oder Gästen Noth wäre, so geht ihr mit eurem Haar um,
„oder mit ein geizvelline, wie die ermel wol gestent oder
der sleiger oder daz gebende". — So verbringt ihr Tage
und Jahre. Und alles das ist nur ein „Gesiöppe" und
ein Tüchlein. „Daz krentzel hin und krentzel her, gel-
wes hin und gelwes her" cs ist doch nur ein Tüchlein.
Nur Jüdinnen und Pfäffinnen und die schlechten Häute, h
die auf dem Graben gehen, sollten gelbe Bänder tra-
gen, daß man sie erkenne. Bei jeder andern Frau ist
das ein Zeichen, daß der vier „Tetelin" eines an ihr ist
oder zwei oder drei» Sie ist unstät am Herzen mit
schlechten Gedanken, oder schlecht mit den Werken, oder
hat etwas am Leibe, Gelbsucht u. dgl., und deckt so
Unflat mit Unflat, oder ist sie doch gewiß eine Thö-
36 o
rinn, zu nichts gut, was der Haußfrau geziemt. — Ihr
Männer solltet es ihnen tapfer wehren, zuerst mit guten
Worten und dann herzhaft mit Gewalt, bis sie es auf-
geben. Der Mann soll doch der Frau Meister und Herr-
scherin,. Werden dann die Frauen alt, so üben sie
Hoffart an den Tbchterlcin und Großtöchterlein. „Die
zepftlnt sie und swenlrelnt sie uf, so sie dannoch käme
vier iar alt sin". Und das treiben sie, bis es versieht
Böses und Gutes, und bringen es mit Gewalt in die
Gewohnheit der Hoffart, daß cs hernach an ihm selber
zweimal so viel macht, — Den dritten Strick legen sie
alte-, Leuten. Die sind nicht zu fangen mit Unkeuschheit,
es sii denn ein alter Strick, ein alter Schädel, auch
nicht mit Hoffart, denn sie sind nicht mehr gut zum
„Torney" und zum Springen und Tanzen. Aber sie
können nichts mehr arbeiten und haben doch gern Ge-
mächlichkeit; so werden sie gefangen mit dem Stricke der
„Gitrkeit", der so fest ist, daß nur Gottes Crbarmung
ihn zerbrechen kann. Sie werden bezeichnet durch die
Heuschrecken in der Apokalypse, (c, 9.) Wie die Heu-
schrecke jm tiefen Grase nicht jxist wird, so dünkt sich der
„Gitige" arm bei vielem Gut. Die Frauenhaare bezeich-
nen, daß er ein leichtes Gemüth bat, wie eine Frau,
und zu Gott, der ihm Leib und Seele gegeben, nicht
vertraut, daß er ihn erhalte ohne unrechten Gewinn.
Die MMfchtlchcn („messin") Antlize bezeichnen, daß er ein
Christ ist mit Namen, ein Jude mit Werken; die Lö-
wenzähne, daß er unersättlich ist, und mit des Armen
QjpotoJ. <>ji*j ^feiliA '•
I
— 36x —
Armuth seinen Reichthum mehrt; die Skorpiynenschwänze,
daß er alle Welt durchsticht mit unrechtem Gewinne, so
daß wir selten gute Jahre haben durch seine Schuld, b<t'
er das Korn kauft, eh' es gesäet wird, den Wein eh'
er blühet. Und so durchsticht er auch den Armen mit
Hunger. Gott aber gibt diesem sein Reich, wie dem gu-
ten und seligen Lazarus; jener aber wird begraben in der
ewigen Marter. Die eisernen -Panzer (halsberge) bezeich-
nen, daß sie so fest sind in der „Gitekeit", daß alle Häm-
mer nichts über sie vermögen, keine Predigt und Beichte,
keine harte und süße Lehre, kein Beschwören bei allen
Martern des Herren, weil sie verzweifelt haben an Gott
und seiner milden Güte, oder ganz verhärtet sind, wie
der Teufel. Darum geschieht alles Ermahnen um derer
willen, die noch nicht darin sind, daß sie sich hüten. So
sind sie noch härter, als der AdamaS, den doch mit zwei
Dingen die Meister zerbrechen können. — Der vierte Strick
aber ist der schädlichste und schlimmste. Der erstreckt sich
über alle ohne Unterschied. Wäre dieser nicht, ich wollte
mit Gottes Hülfe euch alle erlösen von allen Stricken
außer den „Gitigen" und der lange in Ketzerei gewesen, ja
sogar manchen „Gitigcn". Dieser Strick heißt Aufschub der
Buße. Es hat wohl jeder guten Willen sich zu beßern,
aber unter mancherlei Vorwand schiebt er es auf. So
will ein Unkeuscher warten bis er in die Ehe kommt;
und oft überfällt ihn dann zuvor der Tod; oder schiebt
er es dann wieder auf, bis er etwas „vor die Hand ge-
winne", und dann büße mit einer Meerfahrt oder Rom-
fahrt re. So kommen viele Tausend zur Hölle, die dann
gerne auf jegliche Weife büßen möchten; aber dann ist'S
zu spat. Ihr, die Gott geschaffen und nach ihm gebil-
det, und mit seinem Namen benennet, und mit seinem
Tode erlöst, seid doch zu edel dazu, in des Teufels Strik-
ten zu liegen» Preist und lobet damit den almachtigen
Gott, der euch bis jetzt hat Frist gegeben. Ihm ist's
lieber heute als morgen. Täglich rufet der h. Geist:
bekehret euch heute! Und der Teufel schreiet: warte bis
morgen. Das Taublein, das den h. Geist bedeutet, ruft
immer: „hodie! hodie! daz spricht von latin ZU tütsche:
hüte! hüte!" Der „Rappe" aber, der den Teufel bedeu-
tet, weil er schwarz ist und eine scharfe Stimme hat und
einen unreinen Athem, schreit: cras.'cras! Und wohl
dreißigmal mehr folgen dem Teufel, als dem h. Geist
u. s. w. —
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
e) Darstellung der Tugenden und Sünden nach ihren Stufen.
24te Pr. „Von den vier dienern gotes".— Am Fest der Himmel-
fahrt Mariä. Text: „Maria hat den besten teil erwelt;
der wirt ip niemer benomen" Lucä io, 42,
M.
l-aria hat dm besten Theil erwählt unter allen Krea-
turen. Alles was Gott je schuf, hat er zu Nutze geschaf-
fen, und cs ist auch alles nützlich und gut. So die
Natter, der Floh, die Kröte; wir wißen es nur nicht, wozu?
weil wir dumme Leute sind. Denn als er es schuf, und
es dann sah, da sah er, daß cs gut war. Adam
wußte es wohl, wozu iegliches gut war, da er jeglichem
Namen gab. Alles dienet Gott, außer der böse Mensch
und der böse Engel; die thun ihm alle Tage leid. AllcS
thut Gottes Willen. Der Vogel singt in der Luft, die
Thiere springen im Walde u. s. f. Daß sie bisweilen
den Leuten großen Schaden thun, das kommt daher, daß
der Mensch ungehorsam geworden ist. Sonst hätte Adam
nur sagen dürfen: Herr Löwe geht her, und thut mir
das oder das! Und er hätte cs thun müssen, und so alle
Thiere. Da der Mensch Gott ungehorsam wurde, ward
ihm die Eregtur ungehorsam» Damit er aber nicht gar
m
364
verderbe, ließ ihm der Herr einen Theil unterthänig blei-
ben; aber der größere Theil ist uns feind und ungehor-
sam. Und die uns diensthast sind, die muß man dazu
zwingen. So dient alles Gott, jegliches in der Weise,
wie er es geschaffen hat, aber nicht aus rechter Liebe
und Minne, nur von Natur. Wiewohl Gott alles auS
nichts erschaffen hat, so hat er doch jegliches anders er-
schaffen. Jedes hat Wesen und Namen; aber nicht jedes
hat Wesen und Leben und Empfindung und Vernunft.
Der Stein hat nur Wesen; die Gewächse der Erde We-
sen und Leben, aber sie empfinden nichts; der Baum zap-
pelt und ruft nicht, wenn er abgehauen wird; aber er
hat Leben; denn wenn man ihn abhaut, so dorret er,
weil ihm die Kraft genommen ist, wovon er lebt. Aber
die Thiere alle haben Empfindung dazu; denn sie fürch-
ten und fliehen Schmerz und Tod. Den Menschen hat
Gott über alles geadelt, weil er auch noch vernimmt.
Da ihn Gott nach sich selber gebildet, so erkennt er Gu-
tes und Böses, von wannen er gekommen ist, und wozu er
werden soll. Andere Kreaturen empfinden nur Hitze und
Kälte u. s. f. — So dienen sie Gott nur von Natur.
Maria aber dient Gott aus herzlicher Liebe und aus
Minne, und noch dazu von Natur. Ihre Vernunft hat
sie an manchen Dingen wohl erzeigt, da sie in dieser Un-
flaten Welt also wandelte, daß sie Gott je gehorsam
war, unverbrüchlich mit Worten und Werken. Die Ver-
nunft hatte auch nie ein Mensch mehr, als ihr heiliges
liebes Kind. Sie hatte auch die Vernunft vor aller Welt.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
365
Da er so bittere Marter Iiff, und keiner der zwölf Boten
ganz ohne Zweifel war, da hatte sie nie den mindesten
Zweifel. So hat sie auch den besten Theil unter allen
Christenleuten. Sie hat ihre reine keusche Juugfrauschaft
behalten durch die Liebe des Herren, und hat dennoch ein
Kind geboren. Das kann keine andere zusammen haben»
So hat sie den besten Theil unter allen Kreaturen,
unter den Leuten, unter den zwölf Boten, unter den
Jungfrauen. Sie hat auch zusammen, was zwischen En-
geln und reinen Christen getheilt ist, daß sie auf Erden
sicher war des Himmelreichs und täglich ihren Lohn mehrte.
Darum allein ist sie auch länger auf Erden geblieben
nach der Auffahrt ihres Sohnes. Deßen ist so viel- wo-
ran sie den besten Theil erwählt, daß ich cs nicht zu
Ende bringen könnte. Darum will ich euch sagen, daß
jeder von euch wohl weiß, welcher Lohn ihm zufallt,
wenn er in dem Leben stirbt, in dem er iczt ist, ob der
guten Menschen oder der Jungfrauen oder der Ehleute.
Billig ist es, daß Christen Gott dienen vor allen Krea-
turen, da er auch viel ihnen zu Liebe erlitten hat. Ju-
den Heiden und Ketzer dienen Gott nicht; sie wähnen es
nur, es ist ihm zuwider; Christen allein dienen ihm. Ich
habe euch diese Tage „gcustrostet"; nun will ich euch guten
Trost geben. Alle Christen sind Gottes Diener. Keiner
ist so sündig, der nicht etwas um Gottes willen thue.
So seid ihr her zur Predigt gekommen um Gottes willen»
Er gibt aber nicht allen gleichen Lohn, sondern jedem,
wie er ihn findet. Das hat er uns erzeigt in dem Buche
n/
36S —
Esther. Da hat der mächtige König viererlei Diener an
seinem Hofe. Die ersten ließ er so sein in seinem Schirm
und seiner Kost, hatte nicht große Acht auf sie, that ih-
nen nicht viel groste Ehren an, aber auch kein Leid. Den
zweiten erwies er viel große Ehren; den dritten dasMer-
beste, beinahe wie ihm selber (Esther 6.X Den vierten
aber gab er den Lohn nirgends .denn an einem Galgen
(e. 7.). Der höchsten und mittleren sind, ob Gott will,
viele vor meinen Augen; der dritten kaum einer oder
zwei. Denen giebt er den höchsten, den mittleren den
niedersten Lohn im Himmelreich; den vierten weder im
Himmelreich, noch in den Lüften, noch auf der Erde,
noch im Fegfeuer, sondern allein am höllisch«« Galgen.
Und das sind die meisten. — Die ersten sind die, die
ohne Hauptsünde irgend einer Art von der Weit schei-
den, und mit der Reinheit ihrer keuschen Jungfrauschaft.
Die kommen unter das oberste „Gesinde^ auf dem Spie-
gelberg. Ihnen wird angelegt das königliche Gewand,
welches ist der somienfarbenc Schein und die Zierde, die
sie empfahen von dem wonniglichen Anblick Gottes. Ih-
nen wird der königliche Ring an die Hand gestoßen; Vas
ist die state „Gemahelschaft" der ewigen Freuden mit
Gott. Es wird ihnen aufgesetzt die königliche Krone,
das Kranzlein ihrer keuschen Jungfrauschaft, das niemand
weiter tragt in dem himmlischen Saal. Das königliche
Pferd bedeutet, daß sie immer auf dem Spiegelberg er-
höhet sind/ mit unaussprechlich großen Ehren. So wer-
den sie geleitet durch die Stadt des himmlischen Jerusa-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— Z6- —i
lern, die Johannes sah, die so hoch geziert war mit Gold
und Edelsteinen, und sie werden viel gelobt und geehrt
von der Engel Gesänge (vergl. d. Lte Pr.). — Die zwei-
ten sind bic/-feie ihre Jungfrauschaft verloren haben oder
mit anderen Hauptsünden Gottes Huld verloren haben und
bei gesundem Leibe mit wahrer Reue und lauterer Beichte
gebüßt haben. Die werden nicht Pauli, aber Petri Ge-
noßen, und auch ihr Lohn ist unaussprechlich. — Der
dritte Lohn ist gar gering gegen die ersten, und doch wird
er gar wenigen zu Theil, obwohl die meisten darauf hof-
fen. Je mehr man sich darauf verlaßt, je ungewisser
wird er, und je mehr verfehlt man ihn. Dadurch sind
viele in die Hölle gekommen. DaS sind alle, welche die
Sünde sparen bis zur letzten Reue, und sich verlaßen
auf die Barmherzigkeit Gottes, daß er sie alsdann nicht
lasse verloren gehen. Die werden alle betrogen; denn
der Schmerz des Todes läßt ihneit nicht so viel guter
„Witze", daß sie die Reue gewinnen möge», die Gott ge-
nügt. Wenn der Tod einen ergreift, so wird er taub
an allen guten Witzen; es sei denn ein heiliger Mensch,
der Reue und Bewußtsein (gewißende) um Gott verdient
hat, und sich vor Sünden gehütet, oder sie bei gesundem
Leibe gebüßt. Bon denen aber, die eS aufs Ende erspa-
ren, wird unter zwanzig tausend nicht einer erhalten.
Man findet ja nichts von einer solchen Bekehrung im
alten Bunde, wo man doch alles ausschrieb, was nütz-
liches de» Leuten widerfuhr, von Adam bis zu Christi
Marter, und manches, was nicht den zehnten Theil s»
nützlich war. Also steht cs nicht um die wahre Reue,
mit der man (allein) das Himmelreich gewinnt. Daß
einem Tropfen aus den Augen gehen, dazu zwingt ihn
vft der TodeSschmerz ohne seinen Willen („dang"). Auch
wer alleö erstattet, soll dennoch die, denen er Schaden ge-
than, bitten, daß sie ihm lauterlich vergeben, und Gott
ernstlich anrufen um Vergebung seiner andern Sünden.
Er kann dessen nicht zu viel thun. Es ist eines der größ-
ten Wunder, wenn Gott einen Sünder empfaht, und darum
werden ihrer auch so wenige bekehrt. Aber die schlimmste
Reue ist, die man auf das Ende erspart, wenn man nichts
Böses mehr thun kann. Das kann Gott nicht genehm sein,
wenn man sich ihm dann erst crgiebt. Da ist man ihm
zu nichts gut. Am liebsten ist es ihm, wenn ihr euch
heute noch bekehrt, und so lange ihr jung und stark
und schön seid, wie einem Ritter ein junges schönes star-
kes Roß lieber wäre, als ein alter blinder Gaul, und
einer Frau ein guter neuer Mantel mit schöner lichter
Farbe lieber, als ein alter Fezen (Hader). Wohl dir,
wenn du es mit etwas verdient hast und dir Gott die
Gnad; verleiht, daß du am Ende noch wahre Reue ge-
winnst. Aber es ist so mislich als das, daß ein Mann
der immer ganz blind gewesen, mit dem ersten Schuß
einen Vogel treffe. Hat er es aber etwa verdient
mit großen Tugenden, so muß er unsägliche Marter er-
stehen im Fegfeuer. So muß er gelautert werden,
und hat keinen Lohn verdient, und auch den niedersten
Lohn für gut nehmen, wie einer der von Gnade lebt.
369
Er kann nicht gleichen denen, die hier wacker gebüßt und
dem Herren etwas mehr gedient haben. Denn wie man
hier säet, so schneidet man dort u. s. f. — Auch der ge-
ringste Lohn ist unaussprechlich, aber ein Nichts gegen
den große», und es ist mislich, ob er einem werde. —
Den vierten wird der Lohn nur am Grunde der Hölle»
Das sind die, die mit tödtlichen Sünden umgehen und
ohne wahre Reue von dieser Welt scheiden. Da helfen
alle gute Werke nichts, so lange man den Willen hat
zu großen Sünden. Anch vor kleinen Sünden ist es
herzlich gut sich zu hüten. Aber gänzlich hat das nie
ein Mensch gekonnt, als ein Junker und eine Jungfrau»
Mit allen täglichen Sünden kommt man nur in's Feg-
fcuer, und ist des Hinimelreichs gewiß. Dagegen wer
die geringste tödtliche wißentlich auf sich hat, und ohne
Reue von hinnen fahrt, der muß immer in der Hölle
sein, wie tausend Fuder Stroh auf einem See aufschwim-
men, dagegen das kleinste Steinlein in dem tiefsten Wasser
zu Grunde sinkt. Tödtliche Sünden heißen sie, weil sie
alle gute Werke tödten, so lang man darin ist wißentlich,
ohne völlige Reue 4f). Da dient ihr wohl Gott, aber
ihr seid ihm so zuwider, wie wenn man einem in der
besten Speise Kröten oder Nattern gäbe. Und auch die
Gutthaten laßt er nicht unbelohnt. Sie sind zu vier
Dingen gut: i) daß der Teufel desto weniger Gewalt
über dich hat, 2) daß cs dir Gott in deinem irdischen
*) „Und weil sie in den ewigen Tod weisen". 55U Pr.
24
37o
Himmelreich desto bester gehen läßt, daß du weniger Un-
glück hast als andere, die Gott nicht also dienen, 3) daß
dich Gott desto eher bekehrt, ob du willst oder zu den
Leuten gehörst, die bekehrt werden sollen, 4) daß deine
Höllenstrafe desto geringer ist; denn die ist verschieden.
Dem Cato, der ein tugendhafter Man» war, geht es
tausendmal bester, als dem Nero. Das ist ein Wahn,
daß man der Hölle könne gewohnt werden; die Marter
thut immer gleich wehe. — Was mir auch von gelehr-
ten Leuten vorgekommen ist, daß unser Herr einigen ein
Haust oder ein Wehen in der Hölle gebe, daß keine Pein
ste beunruhige, das ist eine Ketzerei. Man soll aus der
h. Schrift predigen nnd das Volk nicht in Unglaube»
bringen. Auch die geringste Qual in der Hölle ist un-
> faglich. Wie einem wohl wäre, wenn die ganze Welt
ein Feuer wäre und er mitten drin im bloßen Hemde,
1 so ist einem dort. — Aber mancherlei Stufen hat die
Marter nach der Mannigfaltigkeit der Sünden, wie die
Freude im Himmel nach der Mannigfaltigkeit der Tu-
genden. —
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
35U Pr. „Vier ding gehörnt darzu, daz du den mirrnesten lon in
dem himelrich verdienst". Text wie zur 24ten.
luter allem, was ist, hat Maria den besten Theil er-
wählt, und es ist nicht zu sagen, an wie vielen Dingen.
Ader viele begehren nicht so hoher Freuden, wie sie hat,
und begnügen sich den geringsten Lohn zu verdienen, und
möchten nur gemächlich in das Himmelreich kommen.
Die müssen sich gleichen den vier geringsten Dingen auf
Erden. Doch wie froh wäre ich, möchte ich den „Giti-
gen" nur dazu bringen l Wie gering aber diese Dinge
sind, so sind sie doch gar nützlich, wie alles, was Gott
geschaffen hat, ja selbst die Hölle, da sie Gott und die
Seligen rächt an ihren Feinden, und durch Furcht viele
abhalt von Mord und Raub. So dient alles Gott und
ist gut. Oft sagt einer zum andern: du lebst wie ein
Hund, wenn es ihn dünkt, daß er unordentlich lebe. Aber
daß doch jeder Mensch lebte nach Gottes Ordnung, wie
der Hund! Der hütet seinen Herren mit guten Treuen
Tag und Nacht) wenn der Herr lauft, so lauft er im-
mer vor oder hinter ihm, nie neben ihm, damit er sein
34*
hüte; wenn er vor seines Herren Tisch steht, so sieht ihm
Immer ein Auge nach der Thüre, ob seineni Herren nichts
schaden möge, und das andere nach der milden Hand
des Herren, ob er ihm etwas biete. So hütet einer das
Vieh vor den Wölfen, ein anderer ist ein Vogelhund u. s. f.
So dient er Gott, der ihn dem Menschen zu Dienst und
Nutz geschaffen hat. Wenn der Mensch, bei* Gott nach
ihm selber gebildet und zu den ewigen Freuden geschaffen
hat, das alles verschmäht und dem Teufel dient, so lebt
er ungerechter als Hund, Natter, Spinne und Wolf. Der
Tod selbst, der euch so greulich dünket, ist gar ein nütz-
liches Ding. Denn woher sollte man Nahrung nehmen,
wenn alles noch lebte, was je geboren ward? Und er
ist der beste Arzt, der von allen Nöthen erlöst, wenn
der Mensch alt und schwach wird und kein Arzt ihm hel-
fen kann. Er macht frei von aller Krankheit, ja auch
vom Aussatz, den auch die besten Meister nur so heilen
können, daß die Kraft mit weggenommen wird und der
Mensch kürzer leben muß. Sollte ein Bettlägriger im-
mer leben, es wäre ihm bester dreimal zu sterben, er
müßte denn das Himmelreich damit erkaufen. — So ist
alles, was Gott geschaffen hat, gut und Gott Unterthan,
außer der böse Engel und der böse Mensch. So ist die
Sonne, wie sie Gott geordnet hat; sie geht auf und bringt
den Tag, sie geht unter und bringt die Nacht, und steht nim-
mer still. So nimmt der Mond ab und zu, geht hoch und
nieder, wird trübe und hell nach Gottes Ordnung. Ihr
Christcnlcute solltet euch schämen, Genoßen der Teufel zu
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
sein. Ihr sollt euch gesellen zu den guten Engeln, wie
die h. Väter und Propheten, die h. Märtyrer und Be-
kenner (Bihtcr) und die h. Jungfrauen u. s. f. Aber
manche Wagens nicht zu bestehen die Arbeit um den ho-
hen Lohn, und hatten gern einen gemächlichen Weg. Die
müssen vier Dingen sich gleichen. — Das erste ist der
Hase. Der ist gar schwach, ohne Wehre und einfaltig
(daub), sanft wie ein Schaf, und plagt wie die Flöhe
und die Mücklein u. a.; aber er wagt doch über die
Maaßen zu fliehen, und ist immer in Schrecken und
Flucht, und flieht so schnell er kann, zulezt zu einem
Stein. So soll der Mensch allezeit die Todsünde fliehen.
Denn die erläßlichen (verlazenliche) täglichen Sünden
kann niemand ganz fliehen; aber vor den tödtlichen soll
er gerne sich hüten. Denn nichts kann dem Menschen
mehr schaden als die Sünde. Alles andere, Brand und
Raub und Hagelschlag, Verlust der Freunde und des
eigenen Lebens, kann der Mensch verwinden, nur nicht den
Schaden der Sünde, wenn in tödtlichen Sünden ihn der
Tod ergreift. — Der „Gitige" fliehet nicht einmal wie
die Hanfschneckc, >die doch irgend wie viel geht des Ta-
ges; jener aber nimmt eher zu an der Sünde als ab.
Von den Näschern aber fliehen manche dem Teufel in den
Hals. Einige sagen: es sei nicht so sündlich, wie die
Pfaffen sagen, sonst würden sie's nicht selber thun. —
Das ist einer der neuen Stricke des Teufels; so auch,
wenn man sich tröstet, man könne noch lange fliehen, da
man doch nicht weiß, ob man nicht auf der Stelle sterbe.
Damit legt man sich wißcntlich den strick an, thörichter
als derHase, der sich doch hüten würde, wenn er wüßte,
wo ihm der Strick gelegt sei» Es ist, wie wenn der
Dieb zum Richter und Schergen (scherien) gienge, und
das Gestohlne auf den Rücken nähme und die Weide
an den Hals, daß es nur an der Gnade des Richters
sieht, ob er ihn hangen will. So läßt er alles auf
Beßerung stehn. Manche hängt er gar schnell an den
höllischen Galgen. Darum fliehet die Sünde so sehr ihr
könnt; denn beßcr ist's, sie laßen als büßen. — Habt
ihr sie nicht geflohen, so sollt ihr darin dem Hasen glei-
chen, daß ihr allezeit in Furcht seid, wenn ihr euch in
tödtlichen Sünden wißet. Aber ihr müßt wohl noch
mehr aus Liebe zu Gott seine Gnade suchen, als aus
Furcht vor der Hölle. Denn der Galgen zwar, wenn
man aus Furcht vor ihm nicht stiehlt, lohnt einem da-
mit, daß man nicht gehangen wird. Aber wenn man
aus Furcht vor der Hölle wohl nichts Böses thut, aber
auch nichts Gutes aus Liebe zu Gott, so kommt man
doch in die Hölle, nur in geringere Qual. Ihr solltet
aber der Hölle und dem Teufel nicht so viele Ehre geben,
und die Sünden lieber laßen um des Allmächtigen Got-
tes willen, der herrlichen Lohn ohne Maaß darum geben
kann. — Wie der Hase fllieht zu einem Stein, sollt ihr
fliehen zu dem Eckstein, dem Allmächtigen Gott, dem
edelsten Stein, von dem alle Dinge ihre „Edelkeit" und
Kraft nehmet:, und sollt ihn fürchten und lieben; denn
er kann euch beschirmen vor allen Stricken und allem
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— 375 —
Leid u. s. f. (vergl. 24 te Pr.). — Endlich, wie der Hase,
so schwach und fnrchtsam er ist, doch über die Maaßen
wohl -u fliehen wagt, so sollt ihr auch mit eurer Flucht
muthig sein, und durch keine Verführung des Teufels
und der Welt und des Fleisches und durch keine Schwach-
heit euch zaghaft machen laßen, die Sünde zu fliehen
oder zu büßen. Das zweite ist die Heuschrecke. Wie
die rasch und schnell ist, so sollt ihr schnell sein zum Got-
tesdienste, wie Gott die Engel willig dienen, um deren-
willen er doch keine Marter erlitten hat u. s. f. — Wie
sie grün ist, so sollt ihr grünen im Dienste Gottes, darin
zu - und nicht abnehmen. Denn folgt auf ein gutes Le-
ben ein schlechtes Ende, so ist alles verloren. Wie ich
dich finde, so lohn' ich dir, spricht Gott. — Wie sie bek
allen den Blumen und allem dem Grase, und in aller
der,, Wunne" (Ertrag) des Sommers und aller der Zierde,
daran sie sich ergözt, doch ihr schwaches Körperlein nicht
aanz sättiget, daß sie nicht mager und schmal bliebe, so
sollt ihr, wie viel Ehre und Gutes ihr habt, dem Leibe
seine Wollust nicht laßen, und euch enthalten an Eßen
und Trinken und Gewand u. s. f. Die aber noch hö-
heren Lohn begehren, müssen sich abbrechen an der Noth«
durft, wie St. Bernhard, dem der Magen ein Wicht
ward von Waßer und Brod. — Das dritte ist die Ameise.
Wie sie alle Jahre voraus gedenkt, wovon sie den Winter
solle leben: so sollt ihr euch üben an reinen Gedanken,
an gutem Willen, an reinen Tugenden und an dem h.
Glauben. — Wie sie allezeit arbeitet, so sollt ihr Arbeit
rchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
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üben, die nützlich ist zu Gott oder zur Welt. Wo ihr
ehrlich arbeitet und der Welt zum Nutzen, das ist auch
Gott löblich. Manche saure Arbeit aber ist unnütz, wie
die der Räuber, der „Torneycr", der Tänzer; die soll man
fliehen» Gott hat die Arbeit geordnet den Menschen zur
Buße; darum soll sich jeder finden laßen an rechter Ar-
beit mit Treue und Gerechtigkeit. —- Wie fie gute und
wohlschmeckende Dinge zu Haufen trägt, so sollt ihr häu-
fen geistliche Dinge, Gebet, Almosen, Gänge zur Kirche,
zum Ablaß, zu Metten, Barmherzigkeit, Fasten, „Messe-
frümen, Venien", und alle Jahr den Herren empfaben mit
Andacht. Diese guten Werke alle legt dann St. Michael
auf die Wage. — Das vierte ist, „der molle", ein klei-
nes Thierchen, das in den Wäldern geht. Es ist nicht
der Maulwurf (mulwchfe), der die Erde höhlt und aus-
wirft; es ist nicht großer als ein Finger. Wie dieses
mancherlei Farben hat, so müßt ihr manche und man-
cherlei Tugenden haben. — Wie es giftig ist und schwer an-
zugreifen, so soll euch keine Mühe und Beschwerde und
kein Gift'der Weltsüßigkeit und keine Begierde des Flei-
sches und keine Rathe des Teufels abwenden, von diesen
Tugenden je zu scheiden» Untugend aber, womit man
Gottes Huld verliert, ist nicht, wenn ein Mensch nicht
so „hövcrlich" sein kann in aller seiner Weise, sondern
wenn man tbdtliche Sünde thut. Endlich wie es immer
<i, vorwärts kriecht, bis es kommt in eines Königs Hauß,
Ar WO 'so sollt ihr stLte bleiben mit diesen Tugenden, immer
/vorwärts kriechen „so mit liebe so mit leide", wie ihr
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eben könnt, bis ihr kommt, in das Hauß des Königs
aller Könige, in das Himmelreich. Kriechet immer fort;
eure Arbeit nimmt bald ein Ende, aber eure Freude nim-
mermehr :c. Rufet au die h. Frau, daß sie unser Bote
sei an ihr h. liebes Kind, daß es uns helfe, uns zu er-
kennen in allem, was es uns zu gute geschaffen, daß wir
ihm also dafür danken mit tugendlichem Leben, daß eS
darum ewig zu loben sei, und wir beseliget werden an
Leib und Seele. Amen.
' fll
MM
litt Pr. „Von sieben über grozen fünden''.
rr*Sd) freuwe mich uf dich und min freude Wirt an dir
vvllebraht" — spricht der Herr zu allen, die seinen Wil-
len thun. Dreierlei Leute machen Gort unbeschreiblich
froh, viel mehr, als wenn ein Kranker gesund, ein Blin-
der sehend würde. Die ersten, die immer vor tödtlichen
Sünden sich gehütet haben und hüten wollen. Noch fro-
her, wiewohl er allezeit froh ist und nimmer traurig wird,
machen ihn die, die guter Dinge „gewonhaft" werden und
in Gottes Dienste bleiben» Davon wird auch sein Lob
gemehrt. Am allerfrvhstcn machen ihn die, die in gutem
Leben sterben. Denn so lange der Mensch lebt, hat er
freie Willkühr, ist schwach am Fleische, und hat drei starke
Feinde, deS Fleisches Gier, der Welt Süßigkeit, und des
Teufels Rathe. Gott helfe mir „daß ihr ihn also er-
freuwet, daß ihr ewig froh seid". — Eben so machen drei-
erlei Leute den Teufel froh. Ob wohl er nicht froh wer-
den kann, so hat er doch seine Freude an ihnen. Denn
«r ist Gott so feind, daß er keine Zuversicht zu ihm hat;
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— 379 —
darum freut er sich alles dcßcn was Gott leid ist (vergl.
p. 102.). Da der Mensch ihm folgte, verhängte Gott
mit gerechten! Gericht, daß er dem unterthanig sein müßte
zu büßen, dem er sich unterthanig gemacht hatte niit
Sünde; der Feind jedoch hatte kein Recht zu dieser Ge-
walt. Dabei sollte er lernen, daß es beßer wäre gewe-
sen Gott zu dienen. Denn deine Gebote, Herr, sind nicht
schwer, wenn man sie trägt ohne widerstrebenden Willen.
Wir waren in Adam, wie der Kern im Apfel, wie der
Apfel im Baum. Da erbte auch uns seine Sünde an,
wie Obst vom verbotnen Baume wächst. Davon em-
pfanden wir mancherlei Schmerzen, Dornen der Sünden
in unserem Leibe. Das sind die Blüthen. Aber die Frucht
ist der bittere Tod und die Hblle. Weil wir da der
menschlichen Natur beraubt wurden, die «ns Vott aus
Gnaden gegeben, daß wir ohne Sünde und Ungemach
hätten leben mögen, so werden wir nun geboren ohne
die Gerechtigkeit, und sind des bittern Todes mit vielem
Ungemach, so daß wir weder von uns selber ohne Sünde
leben können, noch dem Tode entgehen. Da Gottes Güte
dieß sah, da bewegte er das Herz seiner väterlichen Barm-
herzigkeit, und es erhob sich ein friedsamer Streit in dem
Vater, davon jedoch seine flute Ruhe nie getrübt ward,
zwischen seiner väterlichen Güte und seiner unwandelbaren
Wahrheit. Die eine wollte den Sünder von Rechts-
wegen verdammen, die andere den ewigen Vorsatz voll-
bringen, den Himmel zu pflanzen mit deS Menschen Ge-
schlecht. Jene sprach: „es ziemt deiner ewigen Wahrheit
38o
und Gerechtigkeit nicht, daß der Mensch, der sich willig-
lich mit Sünden besieckt hat, je kommen sollte vor dein
reines Antliz zu deinen unbefleckten Engeln, er mache
denn den Schaden gut, den er an sich selber und an sei-
nem Geschlechte gethan, und an der Ehre, die du ihm
verliehen, und biete dir wieder Ehre für die Schande,
daß er deinem Feinde folgte, und werde so rein, wie er
geschaffen wurde". Dagegen sprach die Barmherzigkeit:
„dieses Ware wohl recht; aber weil der Mensch nicht un-
gehorsam war aus lauterem Frevel, und von deö Teu-
fels Neid dazu verführt, auch schwacher Natur wegen des
irdischen Leibes, so sollte er daö genießen bei deiner
Güte, daß du mit deiner unermeßlichen Weisheit Rath
sindest, wie du ihm hülfest, da dir nichts verbor-
gen ist, und deiner Macht kein Ding unmöglich; wie
deiner Güte wohl geziemte, den freveln Teufel, der aus
eignem Uebermuth sich wider dich sezte, ohne Gnade
ewig zu verdammen, weil er dir sich selber und den Men-
schen zu Schande und Haß und Leid entführte: so ge-
ziemt ihr auch wohl, den schwachen Menschen, der
durch seine Thorheit mehr, als seine Bosheit verführt
ward, zu Hulden kommen zu laßen". — Daß er den
Menschen schuf aus unverdienter Milde, damit er seine
Freuden ewig ihm mittheilte, und daß er ihn nun wie-
derbrachte in seine Gnade, die wir verwirkt hatten, da-
durch sollte seine Güte ein zwiefaltig Lob werden um die
nnverdiente Gnade vor der Sünde und um die verlorne
wiedergegebene. Es ist gar süße, wohlzuthun dem, der
38t
es verdient hat. Dasselbe thun, ist eine Vergeltung.
Wenn wir Gott lieben und seinen Willen thun, so ist
das gar billig, weil er es tausendfältig um uns verdient
hat. Aber dem wohlthun, der es nie verdient hat, daS
ist eine große Milde. Das that Gott, da er Menschen
und Engel schuf zu den ewigen Freuden. Darum soll-
ten auch die Teufel Gott danken, wie die h. Engel; denn
er war bereit, seine Gnaden auch ihnen zu geben. Aber
dem wohlthun, der es böslich verwirkt hat, seinen Feind
sich mit Liebe zum Freunde machen, das ist die höchste
Güte; das ziemt Gott am allerbesten. Weil aber Gott
dem Menschen so große Gnade erzeigt, darum ist der Teufel
so hart worden gegen Gott, daß er nicht bei ihm sein
wollte, und daß er nur begehrt, was Gott leid ist, und
sich daran freut. So freut er sich an diesen drei Leu-
ten. Froh machen ihn alle, die in Hauptsündcn fallen»
Da mahlt er gleich sein Zeichen an sie, und will Ehre
davon haben, daß sic seinen Schild führen. Er hat sie
immer in Pflege und Hut; denn er weiß, wenn sie so
sterben, so sind sie auf ewig bei ihm. — Noch froher
machen ihn die, die in die Gewohnheit der Sünden kom-
men. Wie Gott sich freut, so oft ein Mensch eine gute
That thut, auch die geringste (ein pater noster rc.), so
freut sich der Teufel jeglicher Sünde. — Am frohesten
aber machen ihn die, die in tödtlichcn Sünden sterben.
Vorher fürchtet er immer noch die Predigt und die Er-
barmung Gottes und die milde Königin Maria. Sie
fürchten sich, wenn der Sünder in die Kirche geht, daß
— 382 —
Ihm Gottes Gnade wiedcrfahre, daß ein edles Wort der
Schrift in sein Herz falle und er sich bekehre. Aber dann
können ihm nicht Gottes Marter und Blut und alle Heili-
gen und Engel den Sünder entreißen. Da zerrt er ihm
die Seele aus dem Leibe, aus jedem Gliede besonders.
Daher die große Marter derer, die also sterben. — Aber
siebenerlei Leute erfreuen nicht nur den Teufel, sie krö-
nen ihn auch. Das bezeichnet der Drache mit den sieben
Kronen, der meist alle Sterne nach sich zog (Apokal.
12, 3. 4.)* Der Drache ist der Teufel, die Kronen die
Hauptlastcr,. die Sterne die Menschen, die Gott bestimmt
hat den Himmel inwendig zu zieren, wie die Sterne au-
ßen ihn zieren den Menschech zu Dienst und Nutzen. So
oft ein Mensch eine jener Sünden thut, krönt er den
Teufel; aber diese Leute kröne«« ihn zunächst an dem Grunde
der Hölle. Die wird er wieder krönen, es zerrinne ihm
denn alles Feuer, das er hat. Wie ein römischer Kaiser,
wenn er den Hof oder ein Fest hält, die höchsten Fürsten
zunächst an sich sezct, so der Teufel seine liebsten Diener.
Aller Teufel Marter ist ein Wind gegen die des Lucifer,
und damit krönt er auch diese. Dies ist iiu alten Bunde
vorgebildet an Pharao und seinen sieben Fürsten. Wie
diese im Grunde des Meeres versanken, so die hohen Sün-
der im Grunde der Hölle. — Der erste der Fürsten heißt
Assur, vcrdollmetscht ein Forst oder Wald. Das bezeich-
net die Menge der tödtlichen Sünde««, mit welcher wachst
die Größe der Pein, und wodurch der Sünder imnier
383
mehr verhärtet wird, und in Gewohnheit der Sünden ver-
altet, also daß er nimmer zu wahrer Reue kommen mag.
Der zweite heißt Elam „Ubertüre"; das bezeichnet Sün-
der, die so groß sind gegen andere, daß sie anstoßen, wie
wenn man mit einer großen Last zur Thüre hereingebt
und oben anstößt. Das sind Meineidige und Verzweif-
ler; solche, die bei geweihte» Leuten liegen und sich be-
tasten laßen mit der Hand, woniit man der Jungfrau
Sohn behandelt; Ehebrecher— der größten Sünden eine;
denn Gott hat dir ein Gemahl verliehen, mit dem du
Leib und Seele bewahren sollst, und du thust mit Sünde
und Schande in einem Stalle, was du mit Ehren thun
könntest in einem schönen Bette; du brichst auch der sie-
ben Sacramcnte eins, und bist treulos und meineidig —;
solche, die im höchsten Banne sind svergl» 28te u. 33te
Pr.); solche, die ihrer Jungfrau ihre Jungfrauschaft neh-
me!«. Es sind wohl acht Arten der Unkeuschheit, eine
größer als die andere. Das ist die verfluchteste Sünde,
die keinen Namen hat, der auch der Teufel keinen geben
könnte; da ivo sie geschah, ist das Land dürre und öde
(Sodom). Solcher Sünden schämt sich selbst der Teu-
fel. Manche thun solche Dinge, daß sie nichts Reines
mehr ansaßen sollten. — Die dritten sind solche, die mit
sich auch viele andere in Sünde und Vcrdammniß brin-
gen, Jager und Jagerinnen des Teufels. Die einen sind
unter den Frauen ,i) die gemahlten und gefärbten, die
schlechten Häute, die auf dem Graben gehen, die dem
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I
— 384 —
Teufel alle Tage viele tausend Seele» überantworten,
je um einen Heller oder Pfennig, da sie doch Gott nicht
so wenig kosteten. Sie krönen den Teufel auch mit Menge
der Sünden. Sie müssen aller der Verführten Marter
leiden zu der eigenen. „Weh dir, daß dich die Hunde
nicht fraßen deiner Mutter an der Brust, daß du so
sehr verfällst in Hauptsünde, die der allmächtige Gott
mit seinem Tode erkauft hat. 2) die „Müllerin und Tri-
beriime", die manche reine Seele aus der Huld Gottes
verjagen, die sonst sich rein erhalten würde. Ihr Bür-
ger solltet sie aus der Stadt schlagen, ihr habt ja ehr-
bare Hausfrauen. — Die andern Jager sind unter Man-
nes Geschlecht; die thun der Christenheit den allergrößten
Schaden. „Die sind neulich auferstanden. Denn da ich
em kleines Kind^war^war nirgends einer derselben." Sie
heißen Pfennigprediger, dem Teufel einer der liebsten
Knechte. Denn der fährt aus unter die einfältigen Leute,
und predigt und ruft, daß alles weint, was vor ihm ist.
Und er sagt, er habe von dem Papste die Gewalt, daß
er dir alle deine Sünde abnehme um einen Helbeling
oder Heller. Und der lügt, daß er (man) damit ledig
sei gegen Gott, und er krönt den Teufel alle Tage mit
vielen tausend Seelen. Ihr sollt ihnen nichts geben; dann
müssen sie abstehen von dem Betrug. Dieweil ihr ihnen
gebt, verkauft ihr euch in den ewigen Tod. Uud sie er-
morden euch und weisen euch weg von der rechten Buße,
die Gottgeheiligct hat, daß ihr nicht mehr büßen wollt.—
— 385
Die vierten sind die Ketzer. #) — Die sechsten sind die
Prälaten in Klöstern, geistliche und weltliche Richter, kurz
alle die der Leute pstegen sollen, Hauswirthe, Pfarrer rc.,
und durch schlechte Meisterschaft viele zur Hölle bringen
(vergl. p, 8 i5). — Die siebenten sind die „Giti-
gen". — Die verdammen mit sich alle, die das unrechte
Gut erben. Hätte der erste Kaiser Julius acht Pfennige
unrechtes Gut gehabt, und seinem Nachfolger Arms hin-
terlassen und so bis auf den letzten Kaiser, sie waren alle
verloren, wenn sie darum wußten. Das kannst du nicht
büßen mit einer Fahrt über's Meer. Man gibt dir iezt
das Kreuz von dem Papst, übers Meer zu fahren für
zehn Seelen. Aber wenn du auch hinüberfährst mit diesem
Kreuz und mit dem, woran St. Peter nnd St. Andreas
gemartert wurdeir, und das h. Grab wieder gewinnst, und
die Heiden ferne und nahe bezwingst, und erschlagen wirst
im Dienste Gottes, und wenn du dich dann legen ließest
in das h. Grab, worin Gott selber lag, und auf dich
legtest alle diese Kreuze und das dazu, woran Gott sel-
ber starb, und stände Gott zu deinem Haupte und St.
Maria zu deinen Füßen, und alle Engel auf der einen,
und alle Heiligen auf der andern Seite, und nähmest du
den h. Gotteöleichnam in deinen Mund: die Teufel bre-
*) Die fünften werden gar nicht aufgeführt. Bielleicht sind tl
die, die wider den h. Geist sündigen, worüber B. auch sonst
nicht wagt etwas Näheres anzugeben.
aS
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chen dir die Seele aus dem Leibe, und führen sie hinab
an den Grund der Hölle. — Ihr andern Sünder ge-
winnet wahre Reue und verzweifelt nicht au Gottes
Crbarmung. Denn nie hat ein Mensch so böses ge-
than, daß er es nicht büßen könnte, und vergebet allen,
die euch je Leid anthaten rc.
6te Pr. „Don messenden funden"
„v-)ott ist wunderlich an sinen heiligen", — Das ist
das allergrößte Wunder, wenn Gott einen Sünder be-
kehrt. So sandte Gott aus fernen Landen den h. Nar-
ciscus zu der h. Afra, die eine große Sünderin war und
nicht erkannte, wer Gott war. Cr sprach: „var hin
narcisce gein einem lande, daz heißet daz riez; do ist
ein stat inne, die heißet auguspurg; da innc ist ei» frauwe,
die heißet afra; die soltu mir bekern; wann der gelüstet
mich. Also wart sie bekert, min frauwe sant afer, die
hie hus hat". — Manche hätten gerne sichtbare Zeichen
vom Herren. Et thut auch täglich große Zeichen; man
will es nur nicht dafür halten, aus Gewohnheit. So ist
ein großes Zeichen die Sonne, nur daß ihr es gewohnt
seid, daß man nun Korn wirft in die Erde, und daß
Gott eö verfaulen laßt, daß das Zeichen desto grö-
ßer sei, und auS dem faulen anderes Korn wachsen
läßt, daß alle Welt gespeiset wird. So macht er edeln
Wein auS saurem Wasser. Denn die Neben ziehen
den Saft auS der Erde und er versauert in ihnen.
— 388 —
Und täglich thut er das Zeichen, daß di« Erde auf
nichts schwebt. Kein Kaiser ist so gewaltig, daß er
einen Pfennig mag aufhängen, daß er auf nichts
schwebt in der Luft. Die drei größten Zeichen sind,
daß Gott einen Sünder bekehrt, daß er Himmel
und Erde aus nichts machte, und eins, daS er noch
thun will vor dem jüngsten Tage. Weil das erste so
groß ist, so fahren auch täglich viele tausend zur Hölle;
oft sterben sie eines unrechten TodeS; weil der Herr nicht
ertagen mag den Gestank ihrer Sünde, so stößt er sie
noch weiter von sich, obwohl cs viele hundert tansent
Meilen von der Erde zum Himmel ist. Und je näher
das Ende der Welt ist, desto mehrere fahren zur Hölle,
mit der Sündenfluth am Ende, wie mit der Wasserstuth
am Anfang. Da spotteten sie der Boten Gottes. Der
sprach: ich weiß einen Berg, darauf nie Wasser stieße»
kann re. — Da sie nicht beßer wollten, ward „Schimpf
zu einem Ernst", sagt die Glosse. Und das Wasser gieng
von unten herauf und von oben herab, und alles er-
trank, außer waö in der Arche war; und ein Mann war
im Paradies *), der ist auch darin; der andere kam nach
der „Süntflut" dahin. D Brunnen von unten her-
auf bezeichnen das arme Vdlklein, die Regen von oben
die Reichen und Hohen. Jene fahren meist zur Hölle
mit fünf Arten der Sünde, diese mit vier. — Jene sind
i) Neid und Haß, worin die meisten befangen sind, 2) Un»
*) Ohne Zweifel Henoch, der zweite Elias-
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— 38g —
keuschheit, die izt zum Gespötts ist, daß eins auf das
andere winket, wenn davon gepredigt wird; daß „sippe
brechen und gefatterschaft allein ist. Ja, spricht er, cz
ist ein waßersippe, und tribet sin gespötte". Und doch ist
unerträglich die Marter auch nur um ein einiges Na-
schen, und zahllos an Jahren (wie der Sonnenstaub rc.),
und das Höllenfeuer so heiß gegen unser Feuer, wie
dieses gegen ein gemahltes. — 3) Ueppigkeit, womit
alle- umgeht, jung und alt, arm und reich. Kann
eins nicht mehr, so rückt es den Gürtel höher, oder
krümmt den Hut auf rc. — 4) Böse Zunge. Die hat
siebzehn Arten (vergl. p. 88. u. folg.). — So Schel-
ten und Fluchen, Nachreden und Verrathen, Lügen
und „Mortbeten", „Jtelmecher und Jtelmecherinne, die
zusamen tribent", und die den Teufel anbeten, die spot-
ten, „güden", rühmen, schwören aus Gewohnheit, Gott
und seine h. Mutter schelten, Pfennigprcdiger, die einen
von seinen Ehren sagen rc. — 5) Untreue (vergl. d.
Zote Pr.). So treiben Diener und Taglöhner, statt ih-
rer Herrschaft treulich zu dienen, ihren- Muthwillen oder
Dieberei. So ist der „Gitige" untreu mit Wucher rc. —
Andere mit Kauf und Handwerk, vornehmlich gegen Arme,
die es mit Schweiß und Mühe kaum gewinnen. So gibt
einer „finniges" Fleisch für reines. Er behält eS unter dem
Fell, bis es faul wird; so bleibt es gar weiß, und ein
Biedermann meint, eS sei frisch. Darum sollten die Bür-
ger von der Stadt gebieten, bei Sonimerszeit ein Kalb
oder Lamm sogleich zu schlagen (Villen) und das Fell
390
ganz abzuziehen, und zwei oder vier wackre Männer soll-
ten darauf sehen (bewarn), daß cs zeitig und gesund sei.
Von einer Art Untreue sind die Heuchler (glichsener); die
sind Gott und der Welt und ihrer eigenen Seele unge-
treu. — Die vier hohen Sünden heißen die rufenden
Sünden. Sie sind die größten aller Sünden. Wie vier
Fürsten, die vor dem römischen Könige große Dinge zu
klagen hätten, und die man vor allem Volke hören müßte,
so rufen sie Tag und Nacht laut über Leib und Seele.
Und die dariil sind, sterben meist vor der Zeit und eines
unrechten Todes. — Wie aber die Wasser von oben und
von unten sich vermischten, so auch jene fünf und diese
vier Sünden, daß jn jene auch die Reichen, in diese
auch die Arnic» fallen. Die erste rufende Sünde heißt
unrechte Gewalt. Daher kommt es, daß so wenige hohe
Herren zu rechtem Alter kommen und eines rechten To-
des sterben (Pharao, Alexander, Ahab rc.). Sie unter-
drücken die, die Gott so gut wie sie erschaffen hat und
nach ihm gebildet und erlöst mit seinem Tode» — Die
zweite ist, wenn man andern ihren verdienten Lohn vor-
behält wider ihren Willen, sei es auch nur über Nacht,
und was auch die Arbeit sein mag. Sein Schweiß und
Blut ruft über dich. Hat ihn doch Gott so hoch geadelt
als dich, und bestimmt die Krone vor ihm zu tragen.
Wenn der Leib, den er so hoch geadelt hat, so hart für
dich arbeiten muß, so gäbest du ihm billig den kleinen
Lohn. Es sollte überall Sitte sein, wie es in einigen
Landen ist, daß, wer darauf angeklagt ist, dem Richter
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— 5gr —
sechs Schillinge Buße gebe. Das würde mancher mehr
fürchten, alö alles Rufen vor Gott. Ihr sollt auch euren
Arbeitern genug zu eßen geben; ihnen große Schüßel»
vorsetzen und genug darauf legen. Du siehst ja auch
gerne, daß sie stark arbeiten. Du setzest ihnen ein Schüße»
lein vor, wie einer Katze. Gieb das dir oder deinen Kin-
dern oder deiner Katze. Du hörtest gerne, daß ich sie
hieß getreulich arbeiten, so höre nun und merke und thue
auch dieses. Du sprichst: iß recht (vaste)! Damit meinst
du nicht, daß sie genug eßen, sondern daß sie schnell
vom Tische eilen, und desto mehr darauf laßen, und
desto eher an's Werk kommen. Willst du, daß es stark
arbeite, so sollst du es auch in Muße lassen eßen. Es
kann nicht arbeiten, wenn es hungrig ist. — Die dritte
heißt Todschlag (manslaht). Sie werden sich am Ende
der Welt so unter einander schlagen, daß ihr Blut un-
tereinander fließet. Das hat nun angehoben, da der von y o'fiio«.
Ungarn und der von Böheimistritten und der König von - / L
Frankreich, der auch einen großen Streit jenseit des ,
MeereS that, und der Graf Peter von Savoyen (savei) 1s ^3x8 -
und Graf Rudolph von Habsburg (habichspurg) und Wne!f
Graf Hermann von Henneberg,s und der Bischof von p \<lCC,
Würzburg (wirtzcbürg) und der „künig printze" mit deut-
schem Volke. Dazu kommt, daß mancher den andern
zu Tode schlagt um ein Wort, oder einen Helbeling zu
Bier oder Weinrc. — Die vierte ist so graulich und
schändlich, daß auch die Teufel, die Meister und Vater
aller Sünden, ihr keinen Namen geben können. Gott
Kettel', W-
392
helfe mit, daß du mich nicht verstehest. Ein schalkhaftes
Herz versteht mich wohl. — Ich verbiete dir'ö bei Gott,
nie mehr darnach zu fragen; auch der Priester frage
nicht darnach in der Beichte. Bist du dran schuldig, so
habe den Schaden. Doch will ich dir einen Rath geben.
Hist du etwas gethan, was du vor Schaam nicht zu
beichten wagst, so ist eS vielleicht diese Sünde. Das laß
nimmer in dein Herz kommen. Uebernanien hat sie viele
die rothe Sünde, die stumme Sünde rc. (vergl. d. i4te
Pr.). Bittet Gott, daß er uns 'beschirme vor diesen
Sünden, und uns vergebe, wo wir uns daran übersehen
haben rc.l —
9<e Pr. „Don ichs mordcrn". — Text Römer 6, sL.
an entwedcr ewig leben oder ewig sterben. So schaffet
denn, daß ihr ewig lebet. Leben ist das beste und edelste
was Gott je schuf. Alle Klarheit und Schönheit der
Engel und der Menschen nach der Auferstehung wäre
nichts ohne Leben. Er selber ist das ewige Leben, und
darum hat er Engel und Menschen am Leben ewig ge-
schaffen, sich gleich. Dagegen ist der Tod das schlimmste
unter allen Dingen; alle Ereatur fürchtet und fliehet ihn.
Aber noch mehr solltet ihr fürchten den ewigen Tod, ge-
gen welchen dieser kurz und leicht und sanft ist, in wel-
chem sie immerfort sterben und doch nie sterben können. —
Alle Welt begehrt nichts als Leben. Und alles was Men-
schen und Thiere bedürfen, begehren sie um des Lebens
willen. Es sind dreierlei Leute, die ewig leben, und drei-
erlei die ewig sterben. Aber jenen ist nicht gleich wohl,
und diesen nicht gleich wehe. Weil nun dieser mehr ist,
so rede ich zuerst von ihnen. — Die ersten sind die Kin-
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1
W.
' ;
J.
— 394 —
bcr, die ohne Taufe sterben, die Kinder der Juden, Heiden,
Ketzer und Christen (vcrgl. gte (Zte) Pr. u. Lvte). Die
zweiten stnd die, die mit gemeinen Sünden zur Hölle
fahren und allein. Da geht es jedem viel hundertmal
schlimmer, als wenn die ganze Welt Ein Feuer wäre
und er mitten darin, auch wer die geringere Marter hat,
wie Herr Kato und Seneca. Die Marter wachst aber
mit der Menge und mit der Größe der Sünden (vcrgl.
d. i4te u. 28te Pr.). — Die dritten stnd sechs Sün-
der, die steh begnügen an gemeinen Sünden, und die sich
nicht allein zur Hölle bringen. Sie stnd dargestellt in
den sechs Mördern, die ein Prophet im Geiste sah, wie
ste mit ihrer greulicher» Mordaxt viel Volk erschlugen,
der eine iminer mehr, als der andere. — Die ersten
stnd die, die im Banne sind, und andere »nit sich in den
Bann bringen, die aus Liebe sich zu ihnen gesellen wider
das Recht der Christenheit. Darum, ihr jungen Priester,
werft den Bann nicht so hin, wie dem Hunde das Bein.—
Fliehet bannige Leute, so lieb euch das Himmelreich
ist, wer sie in Hauß oder Hof oder Schirm nimmt,
ist in derselben Schuld begriffei» (vergl. d. 3Zte, Löte,
i4te Pr.). — Die zweiten sind die Kezer — „manachei,
patrine, poverlei, runckeler, sporer, sifrider, arnolder" (vergl.
d. iLte, d. Löte). — Die dritten stnd die, die schlechte
Meisterschaft halten (vergl. d. r4te u. p. 8 — i5.). Sie
sind Mörder aller derer die sic von Sünden »licht abge-
halten, so ivelt sie es vermochte»». — Hüteten sie die
Christenheit, daß keiner dem andern Leid anthäte, das
wäre denen gut, an denen man den Frieden halten soll,
an ihrem Leibe und Gute und an ihren Freunden, und
den Friedebrechern an ihrer Seele. — Die vierten heißen
böse Zunge. So siud die Pfennigprediger Mörder vieler
tausend Seelen, und Mörder der h. Buße, ohne welche
alles verloren wäre, was Gott je erlitt für das mensch-
liche Geschlecht, womit ein jeder in das Himmelreich kom-
men muß (vergl. d. i2te (2Zte) u. d. i4te). So genüget
die „Tülleriil" nicht, daß sie alle ihre Tage genascht hat,
bis sie nicht mehr kann; sie verführt viele andere, Sünde
mit einander zu thun. Alle diese Marter muß sic mit
leiden, und immer größere nach der Menge und nach der
Größe der Sünden, zu denen sie verführt. Auf gleiche
Weise ist's mit den ungetreuen Rathgcbcrn. — Die fünf-
ten sind alle, die öffentlich sündigen, wodurch andere sich
verschlimmern (verbösern); so mit Raub, mit Unkeusch-
heit, mit Hoffart (vergl. p, g4. 95.). — Die sechsten
erschlagen unzählig viele Leute; ihre Mordart ist wohl
geschliffen zum ewigen Tode; sie schlagt unheilbvre Wun-
den, denn sie ist „gelüppet" mit dem Gifte des ewigen To-
des. Daö sind die „Gitigen". Die ermorden nach ih-
rem Tode noch mehr, als bei ihrem Leben. Das ist dar-
gestellt an Simson (vergl. p. 70.). Wie dem Könige
Saul der böse Geist keine Ruhe ließ, außer so lange
David die Harfe spielte, so laßt der Teufel dem Gitigen
keine Ruhe, außer so lange er hört das süße Wort des
allmächtigen Gottes; da gedenkt er an's Wiederstatten,
aber hernach martert ihn der Teufel wieder wie zuvor.
ZgS
Du sagst: ich bin in der Brüder Rath, und beichte ihnen
alle Jahre, und sie sind oft in meiner Herberge, ich
habe mich in ihre Brüderschaft und in ihr Gebet gekauft,
daß sie meine Vigilie begehen sollen, mit Singen und
Lesen, wenn ich sterbe. Das ist recht gut tmb das mag
dir Gott vergelten, was du uns zu Gute thust, und wir
sollen dein gerne gedenken früh und spat bis an deinen
Ted, und hernach gar schön singen und lesen die langen
Vigilien und schönen Seelenmessen, und laute requiem
aettrnam, und wir holen dich gar schön von deiner Pfarre
mit unsern Proccßen, und bestatten dich in unserem Mün-
ster und legen dich vor den Altar. Aber die Teufel ha-
ben seine Seele gleich, wie sie aus dem Munde fuhr,
zum Abgrund der Hölle geführt. — Und waren alle Trop-
fen, die je regneten, graue Mönche und schwarze Predi-
ger, und meine Brüder Patriarchen und Propheten, Mär-
tyrer und Bekenner (bihtiger), Wittwen und Jungfrauen,
und lasen und sängen sie immer, und weinten blutige
Tropfen zu Gott um deine Seele bis zum jüngsten Tage,
es hülfe dir nichts. Willst du einen Schilling nicht er-
statten und du weißt, wem du ihn schuldig bist, so geh'
in ein Kloster, sei wie ein keusches und reines Turtel-
täublein, steug mit den Brüdern zu den Metten, faste
! alle Tage, fleug mit den andern Täublcin ein und aus zu
den sieben Zeiten von dem Chore in „rebenter", von da in
das Schlafhauß, die Teufel nehmen dein wahr, bis die
Seele aus dem Leibe fahrt und führen sie dann in den
Grund der Hölle. Stifte alle Tage Gott ein Kloster
397
oder gar ein Spital, es Hilst dir nichts; ja eher, als du
einen Schilling nicht wieder gibst, müßtest du die h. zwölf
Boten und die h. Maria Hungers sterben lassen. — Jezt
ist ihm ein wenig sanft, dieweil er die Harfen Gottes
hört. Laß heute das unrechte Gut, so will ich dir rüh-
ren die süßen Suiten, die zehn Chöre der h. Engel, daß
sie dir heute und immer zum Heile erklingen, und daß
dich die h. Engel mit Freuden empfahen. — Ich schaffe
nichts an diesen. So nehmt denn ihr andern Sünder
Urlaub vom ewigen Tode, und schafft, daß euch zufalle
das ewige Leben. Dazu helfe uns der Jungfrau Sohn rc.—
f) Darstellung der Sünden nach ihren verschiedenen Claßen und
Arten. —
8te Pr. „Don der nffetzikeit". Am Tage des h. Ulrich.
Text Matth. 2S, 14 —3o.
A«a^cr weise und getreue Knecht ist St. Ulrich, dessen
Tag wir heute begehen. Er war Bischof hier zu Augs-
burg (augcspurg) und Gott hat ihn gesezt über alle sein
Gut, weil er getreulich und weislich geworben hat mit
dem Gut das er ihm befahl. Er befahl ihm dieses Bis-
thum zu pflegen, Leute und Gut, Leib und Seele. DaS
that er getreulich und nahm nicht unrechte Steuer (stüre)
und Zölle, und übte nicht Brand noch Raub, und schuf
guten Frieden, und sorgete für gutes Gericht, geistliches
und weltliches und für christliche Lehre. So sollen alle
thun denen Gott sein Gut befiehlt, die h. Christenheit
(vcrgl. ite (23te) u. 2te (lote) Pr.). Das ist der Papst
und die Bischöfe und andere Geistlichkeit (Pfaffeheit),
welchen der Papst geistliche Lehre verliehen hat und Ge-
walt zu binden und zu entbinde«. Darum bedürfen sie
gar sehr guter Kunst pud Weisheit, weil so mancherlei
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Gebreche» an den Leuten sind. Darauf sollen die Prie-
ster wohl sehen in der Beichte, welcherlei Gebrechen ein
Mensch habe, wie sie ihn berichten sollen, ob er aussätzig
sei oder „uzgebrosten". Das wäre gar schlimm, wenn
man einen unschuldig des ersteren bczüchtigte und so
vor den Leuten thäte; noch so schädlich wäre es, wenn
man einen der aussäzig wäre, bei den Leuten ließe. Und
wenn sie das erkennen, so sollen sie auch noch wißen, wo
das Gebrechen sei. Denn man liest im alten Bunde von
Aussätzigen an den Haaren, an dem Barte :c. — Darum
sollen sie wohl gelehrt sein. Und ihr sollt eure Kinder
nicht zwingen zunr lernen, wenn ihr seht daß sie un»
gerne lernen, so laßt sie davon los. Und wenn ihr seht,
daß sie Betrüger und Lügner sein wollen, so erlaßt euch
die Sünden; denn um alle die Seelen, die sie also ver-
säumen, müßen sie Gott antworten. „So habet ir dar«
umber kleine sorge, daz eht man uch die kirchen lihe,
daz ir die nießet, und einem armen pfeffelin ein wenig
darumb gebt, daz ir einem ftumen psaffen nit v!l gebt". —
Lieber macht einen Laien aus ihm, einen Kramer oder
was cs sei, als daß der Schatz des Herrn versäumt
werde. Und ihr Herrn „vitzdum", weiset ihr aus Gunst
oder einer Bitte zu liebe (durch betten) einen der unge-
lehrt und der Weihe nicht werth ist, so müßt ihr Gott
darum antworten. Die jungen Priester sollen wohl wissen,
wer „uzgebrosten" sei, und wer äussazig, welches täg-
liche und welches tödtliche Sünden, wer ausjazig istp dem
sollt ihr den Herrn nicht gebe», weder mit gesundem noch
4oo
mit krankem Leibe, weder vor noch an dem Ende, es sei
denn, daß er wahre Reue gewinne rc. — Und darum ihr
Bauleute (Bauern) sollt ihr euer» Jehendcn gerne geben,
und nicht denken- es schadet dem Priester nichts, wenn
ihm ein Theil davon entgeht, er hat doch mehr denn
ich rc. Gott will des Zehenten nicht entbehren. Da-
von, daß Adam ihm seinen Theil anrührte, ist alle Noth
und Angst und alles Unheil gekommen, daß wir keinen
guten Tag haben, und immer in Furcht sein müssen für
Seele und Leib; da wir sonst mit Seele und Leib ohne
Mühe und Beschwerde zum Himmelreich gekommen wa-
ren. So sollt ihr von allem, was auf Erden wachst,
den zehenten Theil getreulich geben, nicht zuvor euren
Schnittern den Lohn geben und ihn so verringern. Jezt
solltet ihr ihn um so williger und genauer geben, als
ehedem, wo^ man ihn verbrannte. Denn iezt legt man
ihn nützlich an. Man gibt ihn der Geistlichkeit, daß sie
desto bcßer große Weisheit und Kunst lehren nidge, da
die Christenheit so gar wohl guter Lehre bedarf und wei-
ser Geistlichkeit. — Der AuSsaz an dem Haare ist zweier-
lei. Der eine ist an der Pfaffen Haar und der Schüler,
die die Weihe empfangen haben, daß sie ihr Haar wach-
sen lassen gegen die Ordnung, aus Hoffart und Leicht-
sinn (loöheit). — Der andere ist an der Laien Haar,
die es winden oder schnüren oder färben. So tragen
viele Männer langes Haar, wie Frauen. Alle diese
tragen Weiberherzen, und können an keiner Statt einen
Mann vertreten (bersten). Ihr Frauen aber legt wohl
— 4oi
das halbe Jahr an euer Haar. Also sollt ihr Priester
wohl wissen die Miselsucht an dem Haar, daß ihr wißet,
wer an dem Haar aussätzig sei und wer „uz gebrochen"
sei an der „Sinnen" *). Das sind nicht die Frauen,
die es so nbthlich (mühlich) machen mit dem Haar, mit
Bändern, mit Schleiern. Ihr Frauen sollt den Män-
nern nicht gelbe Bänder vortragen und sie sollen sie euch
nicht anhängen (vergl. d. 26te). Eine solche Frau heißt
nach Salomo Schentela, und darnach der Mann mit
Recht Schandolf, wie ein ansehnlicher Mann etwa der
Meier oder Schultheiß, und seine Frau die Meierin rc. —
Der Aussatz an der Haut (vel) aber ist der allcrschlim mste.
Das sind die gemahlten und die gefärbten. Die schämen
sich ihres Antlitzes, das Gott nach sich gebildet hat; so
wird auch er sich ihrer schämen und sie werfen an den
Grund der Hölle (Isabel). — Der Aussah an dem Barte
sind böse Zungen (vergl. d. ste, u. p, 60— 63). Das
sind siebzehn, die gar „vinnig über ihren Bart sind". —,
So die Meineidigen, so die ungetreuen Rathgeber, die
manchen an Leib und Gut verderben (Bileam), und mit
dem Gute auch an der Seele desto schwächer machen,
wenn es nicht gar vollkommene Leute sind. Könntest du
auch für alle die Leiber und Seelen Gott büßen, so kannst
du doch nicht vergelten das Gut, das Arme und Wittwen
und Waisen durch dich verlieren. So rathest du unge-
*) Weiter Oben wurde als der zweite Aussatz genannt, der an
dem Fleischt.
26
4 02
rechten Zoll, Umgeld, Münze (niünse), Zwangssteucr (nvr-
stüre), womit du die Armen beschazest rc. So lügt ei-
ner in der Beichte. Einer lügt dein andern Gut, Ehre,
Freunde und Leib und Leben (lip) ab, immer eines arger
als das andere. Andere lügen wider den h. Geist, Ju-
den, Heiden und Ketzer. Und du Pfennigprediger bist
gar zerfallen um deinen Bart, du bist der allerschlimm-
sten Aussätzigen einer, und machst viele aussätzig, und
mordest viele Christenseelen mit falschem Troste. — So
ist auch der Schelter und Flucher gar unrein und ver-
unreinigt viele. Schelten aber ist größere Sünde als das
andere. Es ist Sünde einem Vieh zu fluchen, noch grö-
ßere einem Menschen, den Heiligen, der Mutter Gottes,
dem allmächtigen Gott selber. — Andere heißen Mort-
teter; andere Spötter. Da sind schlimmer, die geistlicher,
als die weltlicher Leute spotten. — So versäumen an-
dere einen um Lohn an Gute oder Leib oder Ehren. An-
dere schelten den, der zu loben ist, und loben den, der zu
schelten ist. — Diese Unterschiede und Stufen sollen die
jungen Priester wohl wißen. — Der Aussatz an dem
Gewände ist dreierlei: an wollenen, pelzenen und leine-
jten. Der eine ist, daß es hoffartig geschnitten ist, der
andere, daß ihr cs so hoffartig traget. Der dritte ist
der allerschlimmste, wenn cs mit Unrecht gewonnen ist,
mit Wucher, Betrug, Raub, ungerechtem Gericht rc. DaS
ist ein fremdes Gewand, manchem Armen abgebrochen.
Solchen soll man den Herren nicht geben, weder mit noch
ohne Versprechen der Wiedererstattung. Man soll sie nicht
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
4o3
bestatten auf einer geweihten Statte (vcrgl. d. i2te(25te)
Pr.). Ihre Kinder sollen eher von ihnen laufen, als daß
sie das ungerechte Gut erbten, wie sich die Liebsten von
einander trennen müssen, wen» Jte aussätzig werden. Und
dieser Aussatz wahrt doch nur eine Weile. Nach dem
Tode isi die Seele so licht und schbn, wie des allerherr-
lichsten Kaisers Seele, wenn sie ohne Todsünde ist. Aber
jener Aussatz scheidet auf ewig von aller Freude im Him-
mel und aller Erbarmung Gottes. Diese Leute soll man
fliehen und scheuen. Ihr Herrschaften gebt nicht ihren
Kindern eure Kinder. Ihr Knechte und Mägde dienet,
ihnen nicht. Ihr Söhne und Töchter erbet sie nicht;
seid arm um Gotteswillen, er war ja arm um euretwil-
len. Beßer hier ein schmähliches Leben, als ein kurzes
Wohlleben und dann ewige Qual. — Der Aussatz an
den Häusern ist zweierlei. Der erste ist, wenn man „un-
rechtfertige" Leute im Hause hat, in Schirm oder Dienst
oder Kost. So halten die großen Herren Straßenräu-
ber, Diebe, „Gewalteser" re.; und sie behalten Leute, die
in Acht oder Bann sind. Dasselbe thun die Armen, die
„umb ein geneschelin zwei in ein kammer stoßent" (Tri-
berinnen), und die Gastgeber, die Unzucht und Spiel
gestatten in ihren Hausern. — Der zweite Aussatz ist,
daß die Hauser nicht reiniglich erbauet sind. So bauet
ihr Ritter gerne Häuser mit armer Leute Schaden. Sie
müßen euch helfen mit ihrem Vieh, mit ihrem Knecht,
daß sie sich versäumen an dringender Arbeit; oder sie
müßen Steuer dazu geben, daß sie's lange nicht verwin-
26 *
4o4
den. — Oder baut mau mit unrechtem Gewinn. Im
alten Bunde besah man alle Jahre die Mauser. War ein
Stein oder mehrere aussätzig, so brach man sie aus, wa-
rens zu viele, so zerstörte man das Haus und führte es
auf's Feld. So soll der Priester den Gitigen besehen, ob
er unrechtes Gut habe. Will er'L aber nicht beichten und
wiedergeben, so soll man sie aufs Kapitel fordert, und
sie mit geistlichem Gericht dazu zwingen. — Daß wir
nun alle mit dem, was uns Gott befohlen, mit der h.
Seele und der h. Taufe und den fünf Sinnen, also wer-
ben, daß er fröhlich zu uns spreche: Nun sei froh ge-
treuer Knecht, geh' in die Freude deines Herrn, das ver-
leihe uns der Vater und der Sohn und der h. Geist.'
Amen.
.. ,yr.v.
- '<? -
Z2ts Pr. „V LN de; libes sichtüm und der scle tot".
\fsott geleitete die Israeliten durch die Wüste Tag und
Nacht. Er bewahrte sie vor allem Uebel; sie gingen auf
dem fleißigen Wasser wie auf einer Mauer; er gab ihnen
Gewand und regnete ihnen Brod vom Himmel. Daran
hat er uns gezeigt, wie wir in das Himmelreich kommen
sollen: Er hat uns da»u zweierlei Weisung gegeben, zwei
große Bücher (vcrgl. p. 112 — 117. p. 161 u. folg.).
Heute sollt ihr Laien, ihr ungelehrten Leute an euch selber
lernen. Was wir an unserem Leibe von Gott haben, ein
jegliches Glied und Gesundheit und Krankheit hat uns
Gott zu Dienst und Nutzen gegeben für Leib und Seele.
Durch Adam wurden wir krank an Leib und Seele. Gott
hat uns Arznei für beides gegeben. Die eine ist ihn hart ange-
kommen, und er gibt sie umsonst und macht gesund von allen
Sünden, wenn man sie recht empfangt. Die andere hilft
nicht vom Tode, jedoch vertreibt sie manche Krankheit, oder
macht sie doch leichter (vergl. p. 5 r u. folg. u. 2vte Pr.).
Auch die Krankheit ist nützlich für Leib und Seele, für
den Leib, indem sie abwendet ein Unglück oder einen nn-
J(jf' ^Rajuuß) Hs. ZYk. *
4o 6
rechten Tod; für die Seele, indem eine Sünde damit ge-
büßt wird, und das kann jede Krankheit. — Ein guter
Meister sieht bei jeder Krankheit, ob du genesen kannst
oder nicht; er erkennt wohl die Zeichen des Todes. So
soll auch der Seelenarzt der Priester darauf sehen; aber
weil die Zeichen des Todes der Seele nicht so sichtbar
sind, so sollt ihr sie ihm selber anzeigen in der Beichte,
und euch die Arznei der h. Buße geben laßen; sonst
kommt ihr in den ewigen Tod der Seele, der so greulich
ist, und darum ist auch die Ärznei der Seele Gott so
hart angekommen. Empfahst du sie nicht vor dem Tode,
so können alle Heiligen, und alles -Blut, das Gott je
vergoß, nicht erlösen vom ewigen Tode, der so mancherlei
ist, als Tropfen im Meere sind (Apokal, 16, 3.). Wenn
euch am Leibe etwas fehlt, so eilet ihr gleich zum Arzt,
oder andern verständigen Leuten und bittet sie um Rath
.und Hülfe, und achtet keine Kosten. Noch mehr sollt
ihr eilen, wenn ihr krank seid an tödtlichen Sünden, zu
dem Ärzte der Seele, dem Gott die Arznei befohlen hat,
sie umsonst zu gebe», damit ihr sie desto gerner empfa-
het. Aber ihr sollt nur zu geweihten Priestern gehen,
nicht zu Ketzern und Juden, Wahrsagerinnen und Zau-
berinnen. Das hat Gott strenge bestraft, an dem Könige
.Zachias (Ahasja 2. B- d. Kön. i, r —17.). Der Prie-
ster soll sehen, ob der Mensch t'odtlich an der Seele ist
oder geneölich (genischlich). Wer tödtliche Krankheit an
sich hat, dem soll man den h. Gottesleichnam nicht ge-
ben, er gelobe denn, sie nimmer zu bekommen, und die
— 407 —
h. Buße ernstlich anzugreiferr. Findest du solche Krank-
heit an dir, so denke nicht: warte bis Weihnachten, so
mußt du doch beichten; sage dann eins mit dem andern!
Du weißt ja nicht, ob du morgen noch lebst. — Das
erste Zeichen des Todes ist, daß der Kranke sich gegen
die Wand kehrt und die Leute ungern ansieht. Das be-
zeichnet Neid und Haß. Das zweite, daß die Augen ge-
spitzt sind, bezeichnet die Unkcuschheit. Die in unkeuscher
Begierde andere ansehen, verwunden manches reine Ge-
müth. — Laßt euer spitzes Aeugeln, denn davon kommt
manche tödtliche Sünde, die nimmer geschahe, wenn ihr
vor euch hinsähet. Das dritte, daß die Ohren kalt und
gelb sind, bezeichnet, daß man ungern Predigt und Messe
Hort, und gerne Lügen spiee und üble Nachrede gegen
den Nächsten oder Kunde von seinem Unglück. — Das
dritte, daß der Kranke die Achseln auf und nieder zieht
mit dem Athem, bezeichnet, daß man den Leib oft hof-
fartig getragen hat, und üppig hin und her gewunden
und gebrosten, mit Tänzer» und Treten rc. — Daß dem
Kranken der Mund kurz ist urrd aufaekrümmt, bezeichnet,
daß dir der Mund zu kurz ist, ein Pater noster, ein Ave
Maria und den Glauben zu sprechen, und den Psalter
zu lesen, ur»d eure „Tage zit" (Morgen- u. Abendgebet)
zu sprechen. Darin beschämen euch die Juden. Die zer-
fahrene Zunge des Kranken bezeichnet so manche unnütze
Fahrt, die deine Zunge thut in deiriem Munde, auf dei-
nen Nebenmenschen, mit Lügen, Nachreden, Schnreicheln rc.
Daß die Zahne wackeln (wagen) und gelb sind, das be-
>— 4oS —
Zeichnet die Fraßheit, übermäßig Eßen und Trinken, wenn
du fasten solltest rc. — DaS Hin - und Herwerfen der
Arme bezeichnet, daß du oft die Arme nach der Unkeusch-
heit geworfen, und hoffartig geschwungen zu Tanz und
Umarmung (Helsen) oder zu Raub und Mord rc. — Daß
Hände und Nägel schwär» sind, das bezeichnet, daß du
ungerne Almosen gibst, und ungerne mit den Nageln an
das Herz klopfest, und ungerne die Hände aushebst zu
den Gnaden unsers Herrn, und ungerne eine Messe an-
stellest (frume) deinen Voraltcrn. Denn du^stllst sie
ehren auch nach ihrem Tode. Und kannst es nicht mit
Almosen und Messe, so gedenke ihrer getreulich in deinem
Gebet; denn das haben sie wohl um dich verdient, und
wenn auch nicht, so bist du es ihnen schuldig. Kein Al-
mosen ist der Seele so nützlich, als eine Messe thun,
ausgenommen das Wiedererstatten für sie. — Daß der
Kranke die Füße von sich und zu sich zieht, das bezeich-
net das ungerne zur Kirche gehen und zu Kranken, sie
zu trösten rc. Daß die Füße kalt sind, das bezeichnet daS
Erkalten an der Liebe Gottes, und Trägheit im Gottes-
dienste. — Für alle diese Krankheiten sollen auch die Priester
umsonst die Arznei geben: ihr gebt ihnen denn von selbst
etwas, daS seid ihr ihnen schuldig, und das haben sie mit
Recht. —7 Einige Krankheiten aber können auch die größten
Meister nicht vertreiben, auch nicht Meister Hypocras (Hip-
pokrates) und Galienus und Constantinus und Avicenna
und Macer und BartholomeuS, die alle Künste von Arz-
nei erfunden und erdacht haben. So den Aussatz und
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die fallende Sucht, wenn man diese über vier und zwan-
zig Jahre hat. Wenn er so hinfallt und liegt und schäumt,
so trete ihm keiner zu nahe. Er könnte leicht die Krank-
heit bekommen von dem gräulichen Athem aus seinem
Munde. Dahin gehört auch der Todschlaf. Das bezeich-
net einige Krankheiten der Seele, kalte geistliche Leute.
Der sah ich keinen, der wahrhaft bekehrt wurde, und doch
habe ich viel mit Sündern gewandelt und es oft an den
Leuten gesucht. So die wider den h. Geist sündigen.
Der Sünden sind fünf oder sechs. In einer ist Judas,
in einer etliche Ketzer, in einer die Teufel. Das gebe
man ganz auf, solche zu bekehren. Wer lange in Ketze-
rei gewesen, in den müßte ein großer Theil des h. Gei-
stes stießen, ehe er bekehrt würde. So wenig man ein
Krystall wieder zu Wasser machen kann, so wenig ihn
wieder zu einem Christen. Versucht man's, so wird er
nur schliminer. Eben so, wer viel ungerechtes Gut hat.
Der hab' ich nie einen gesehen — und bin doch viel mit
ihnen umgegangen —, der recht bekehrt wurde und völlig
wiedererstattete. Hat ja doch Gott selber es nicht ver-
mocht niit seiner eigenen Predigt :c. —
2/tk Pr. »Don fünf schedclichm funden". Text, Römer 6, 2Z.
eCOtt dient um die Gnade GotteS, besten Lohn ist un-
ergründlich süß, aber unergründlich bitter ist die Marter
dcßen, der den Sünden dient. Gott gebe uns, daß wir
zu dem Beßern greifen. — Ich habe euch viel gesagt
von Sünden und Almosen, von Hölle und Himmelreich,
von Reue, Buße und Beichte, von den Teufeln und ihren
Stricken. Nun will ich euch sagen von der Gnade un-
sers Herrn, wie das ewige Leben ist, daß ihr desto min-
der verstöret werdet. Wenn ihr mir folgen wollet, so
will ich euch heute lehren, was euch an Leib und Seele
gut ist, und frommen mag zum ewigen Leben. Was
gebt ihr mir, so lehre ich euch heute, daß kein Dieb noch
„Gewaltcser" rc., kein Wolf noch Bär :c., kein Wind
noch Hagel, kein Viehsterben und keine Belagerung (da;
bisezze) euch schaden kann. DaS alles lehre ich euch mit
der Hülfe Gottes und daß ihr dazu noch der Gnade
Gottes nimmer verlustig gehet. Daß ihr's desto gerner
lernet, so will ich best» minder von euch verlangen. Eine
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so kleine Galt, die auch der Aermste und Schwächste und
Zung und Alt wohl leisten kann, verlange ich um eine
reiche Lehre. Denn wer sie behält bis an seinen Tod,
dem ist sie nutzer als aller Könige Reichthum, als alle
goldcnen^Bcrgc. Aber wie klein die Gabe ist, so kann
ich ihrer doch von euer keinem entbehren; wer sie nicht
gibt, dem kann auch die Lehre nichts helfen. Es ist die
Gabe, daß ihr heute vermeidet alle tödtlichen Sünden
bis an euren Tod, und wo ihr sie nicht vermeidet, sie
von euch werft mit wahrer Reue re. Das kann jeder:
alle Welt möchte mich nicht zu einer Hauptsünde nöthi-
gen, sagt Augustinus. — Dem Menschen kann nichts
schaden in dieser Welt, als die Sünde. Bist du ohne
Sünde, so vergütet dir Gott allen Verlust tausendfältig,
da, wo dir ein Pfennig lieber ist, als hier hundert. Leide
gedultig, wie Hiob. Wer ohne Hauptsimdcn ist, dem ste-
het allezeit offen die Gnade Gottes und das ewige Le-
ben; und was ihm auch hier wiederfahrt, er achtet eS
nicht; so groß ist seine Hoffnung zum ewigen Leben. Dem
andern aber ist diese Zuversicht und dieser Trost theuer
(er kann sie nicht finden). Wie leicht ihn etwas stört,
er heult wie ein Hund, er zürnt gegen Gott, gegen sich
selber und gegen seine Leute. Das kommt daher, daß
er das irdische Leben zu seinem Himmelreich gemacht hat,
Hoffart, Unkeuschheit, Gemächlichkeit, Wollust des Flei-
sches rc. Das obere Himmelreich und die Gnade Got-
tes, woher alle Tugend und Gedult fließet, hat er ver-
wirkt. Geht es ihm nun auch in seinem Himmelreich
—- 412
nicht wohl, so hat er ans beiden Seiten.verloren. Daher
ist er so ungebärdig und wüthend. Oft nur um ein Wbrt-
lcin raubt und mordet er, und flucht, so ihm ein Stein
am Wege liegt. Armer Sünder, du bist übel dran; du
hast weder Sack noch Korn» Die Himmelskinder aber
sprechen: Herr, sei darum gelobet! Herr, es sei dir alles
ergeben in deine Gnade! Herr, dein Wille werde gnä-
diglich vollbracht! Herr, nimm es für meine Sünde!
Wie hätte sonst der gute Hiob „genesen" mögen vor
Leid, da er so schnell Gut und Kinder verlor? Da war
die Gnade Gottes aufgethan vor seinen Augen und in
seinem Herzen, weil er sie verdient hatte. Sein Trost
auf sie hin, ließ ihn nicht sterben, noch große Ungedult
haben. Wie hatte unsere Frau genesen mögen, da ihr
ein so edles Kind starb, an dem sie so viel übergroße
Tugenden erkannte. Und so viel mehr er erhöhet war
über andere Menschen, so viel näher gieng ihr seine Mar-
ter als einer andern Mutter. Das Schwerdt Symeons
gieng durch ihre Seele. Und da sie auch mehr und un-
menschlichere Marter an ihm sah, als je eine Mutter an
ihrem Kinde, so hätte sie nicht genesen können ohne den
Trost zu den ewigen Freuden. Zu dem reinen Herzen
läßt der h. Geist keine Unruhe (ungemach) komme,:.
Geschieht den Himmelskindern ein Leid, sie machen eS
sich zu einem Liebe rc. So kann nichts dem Menschen
schaden, als die Sünde. Dafür bin ich euch Bürge zu
Gott, daß euch nichts schaden kann, daß Gott euch hun-
dertmal wiedergiebt, und das ewige Leben, wenn ihr mir
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zu laßen mit Gedanken, Worten und Werken. Um täg-
liche Sünden mag ich nicht bitten; der ist so viel wie
hier und im Fegfeuer. Welches die einen sind und wel-
ches die andern, kann ich so schnell nicht sagen. Mit
den täglichen kann man gar nicht zu Ende kom-
men» Vor ihnen kann sich ein Erwachsener hier so we-
nig hüten, als man de» Fuß ohne Staub aufheben kann.
Nur unser Herr und seine Mutter konnten es. Eine täg-
liche Sünde ist, wenn einer einen Armen zu lange bitten
laßt um Brod, und es ihm nicht zeitig versagt, wenn
ers ihm nicht geben will; oder wenn einer zu gierig
über's Esten herfällt rc. — Aber ich will von ihnen
schweigen. Könnte ich doch die Hauptsünden in vier bis
sechs Predigten nicht herzählen. Aber wenn ihr euch
immer guter Dinge befleißt und das Böse meidet, so
könnt ihr euch vor ihnen allen behüten. So will ich
euch denn sagen von den fünf schädlichsten unter allen
Hauptsündcn. Die zwei ersten verdammen den Menschen
an der Seele, und nehmen ihm noch dazu zwei der aller-
liebsten Dinge, Gesundheit und langes Leben. Ist dir
die Gnade Gottes noch so weit außerhalb des Herzens,
daß du sie um das ewige Leben nicht meiden willst, so
meide sie doch um dein selbst willen. Die eine ist Un-
mäßigkeit des Mundes, „Fraßheit", eine der sieben Tod-
sünden, die allein schon ewig verdammt. Salomo, der
mehr Weisheit hatte, als wer aller Welt Weisheit hätte,
und dem Gott alle seine Weisheit in einer Nacht gab,
sagt: durch Fraßheit gehen viel Leute zu Grunde. —
Damit habt ihr Arme nichts zu schaffen; ihr habt ja
selten die Nothdurft. Gott hat Esten und Trinken ge-
nug geschaffen, aber ein Fraß füllt so viel in sich in
einem Tage, daß vier bis sechs damit berathen waren.
Und bittet ein Armer um eine Labung, so treiben sie ihn
mit Gcspbtte weg. Ihnen geht's, wie jenem reichen
Manne. Ihr Arme, hütet euch nur vor Hauptsünden,
so hat euer Mangel bald ein Ende, aber eure Wirthschaft
nimmt nie ein Ende, indem der reiche Fraß begraben
liegt in der Hölle, und einen Tropfen Wassers nähme
für alle seine Fraßheit. — Es giebt auch arme Fraße,
die gcwinnen's mit Lug und Trug, und laßen Frauen und
Kinder hungern» — Kann aber mit dem Gute die Fraß-
heit ausrichten, so niiumt sie ihm die Ehre. Jezt sind
auch die Frauen nicht mehr mäßig, wie vordem. Bis
der Mann das Schwerdt vertrinkt, hat sie den Schleier
vom Haupt vertrunken. Das ist nicht wahr, daß man
um so starker wird und langer lebt, je mehr man ißt
und trinkt. Der Magen ist wie ein Hafen beim Feuer,
worin man das Eßen siedet. Ist er zu voll, so geht er
über und die Speise bleibt ungesvtten oder wird ange-
brannt. Wird er aber in rechtem Maaße gefüllt, so kann
sie -wohl sieden, da wird sie rein und gut und Wohlge-
schmack und gesund. Und aus dem einigen Haftn speiset
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4x5 —
man alle Leute im Hause uttd sie werden alle froher und
wohlgemuther, kräftiger und gesunder, so die Speise gut
ist. Ist sie aber ungeschmack, so sind sie den ganzen Tag
trauriger an Kräften und Freuden. Also ist der Magen,
der ist mitten im Leibe, und an ihm liegt die Leber, die
ist sein Feuer, denn sic ist der Natur, daß sie große Hitze
hat; und sie giebt ihm Hitze, daß alles siedet, was man
ißt und trinkt. Ist der Magen auf die rechte Weise voll,
so wird es wohl gesotten und alles Hausgesinde wird
wohl gespeist und desto kräftiger und starker. Das sind
die Adern, die Glieder, das Hirn, das Blut, das Mark,
das Fleisch, das Herz und Gebein. Ist zu wenig im Ma-
gen, so mögen die Adern und Glieder, davon der Leib
die Kraft hat, nicht von ihm gespeist werden. Davon
wird der Leib unkräftig; und doch ist das beßer als zu-
viel. Dann bleibt die Speise ungesotten, der Magen muß
übergehen oder die Speise in ihm anbrennen. Und der
Ueberfluß gerath dann etwa gegen das Haupt, daß die
Ohren verfallen und er das Gehör verliert, oder vor das
Gesicht, daß er erblindet oder sonst böse Augen bekömmt
„sivereuge, oder glase euge, oder starblint"; oder zwi-
schen Haut und Fleisch, daß er wassersüchtig oder aus-
sätzig oder gelbsüchtig wird; oder in die Adern, daß die
Hände zitternd werden, oder in die Glieder, daß du lahm
oder „beterisig" wirst. Oder brennt es an, so muß eS
von dir siechen mit der Auszehrung (suht) oder mit jbia
vier oder mit ritten (Fieber), dem täglichen oder drei-
f
oder viertäglichen. — Daß reicher Leute Kinder we-
niger zu alten Leuten werden, als der Armen, das kommt
von der Ueberfüllung und Verzärtelung. „So macht ihm
die swcster ein müselin und stricht im eht in. So ist
sein hevelin klein, sin megelin, und es ist vil schiere vol
worden; so püpelt ez im her wider uz; so strihet eht
sie dar. So kümpt banne die müme, die dut im daz
selbe. Sv kümpt banne die amme und sprichet: o we
mins kindes! daz en beiz (aß) hüte nihts. Die streichet
im banne als ie von erste in; so weinet ez, so zabelt
«z rc." — Die andere ist Unkcuschheit. Die verdammt
euch, an der Seele und am Leibe. -Daß ein solcher dem
Tode naher ist, das hat Gott gezeigt an dem Todesge-
ruch der von ihm geht/ — Die andern drei Sünden
machen den Menschen leer (itel) aller der Gedanken (an-
daht), die er von Gott haben sollte, und saugen aus ihm
allen guten Willen, der ihm Noth wäre zur wahren Reue.
Die erste ist die Sünde wider den h. Geist, die hat fünf
oder sechs Stricke. Mit ihnen streiten die vier rufenden
Sünden. Wer in einer von jenen ist, der wird über-
wunden, wie die fünfKvnige von den vieren (l B. Mosi'S
«. i4.). Sie werden „sieglos" an allem guten Willen
zur Gnade Gottes. Solchen mag wohl bekommen, wer
wider Vater und Sohn sündigt, wer aber wider den h. Geist,
zu dem mag Reue und Buße selten oder nie hinkommen.
Wir dürfen aber leider nicht sagen, wie sie heißen, oder
wie sie gestaltet sind. Wer sich aber vor allen Haupt-
4i7
fünden hütet, hütet sich auch vor diesen. Jy einer davon
war Judas, der nicht wahrhafte Reue haben wollte und
hinlief mit offener Beichte. So rufen manche überlaut:
ich bin der sündigsten Menschen einer, und wollen heim-
lich nicht beichten bei einem geweihten Priester. Die
sind fremde Gäste im Himmelreich. In diese müßte_ein
großer Bach des h. Geistes fließen, wenn sie sollten wahre
Reue gewinnen. — Die andere Sünde hat anderhalb
hundert Stücke und heißt Ketzerei. Die glauben alle un-
gleich und alle wider Gott; sie sind abtrünnig worden
von dem Glauben, den sie Gott gelobten in der h. Taufe,
und sind gefallen aus der Christenheit, wie die Teufel
aus dem obern Himmelreich, und wollen so wenig wieder
Christenleute werden, als diese. Engel. Etwa» heuchelt
einer aus Furcht für seinen Leib. Aber alle Welt könnte
ihn nicht lauterlich wiederbringen zum rechten Glauben.
Denn je tiefer der Fall und die Sünde, desto schwerer
ist herauszukommen.— Die dritte heißt „Gitikeit". Das
sind nicht allein die Wucherer, sondern auch die da
leihen auf „geltende" Güter. Wenn ein Mann der in
Noth kommt sein Eigenthum oder Lehen versetzt, in Hoff-
nung, daß er oder eins seiner Kinder es wieder einlöse,
so soll der andere, der ihm darauf leiht, ihm alle Jahre
abschlage», was das Gut eintragt (gilt), bis er es einlösen
könnte. Nun aber will er zweimal und dreimal so viel,
als eS ihm mit Gott und Recht eintragen sollte, und
läßt es nicht wieder. — Wer also auf Pfand leiht, daß
cs sich löse nach Herren Gülte, daS erlaubt man wohl.
27.
4M
Solist «kr soll er dem arider» bezahlen, was' ihm das
Pfänd-mehr einbringt, als er ihm braus geliehen hat.—
Etliche sind „gitig" mit Verkauf, wenn einer Pfennige
bedarf und dem andern dafür Korn oder Wein :c. gibt
üm eiuM geringeren Preis, als er spater es kaufen könnte,
fi) ist das Wucher, so gud wie wenn der ärgste Jude den
Schilling um dreizehn-lleGt rc. Du hast Gott seine Zeit
erkauft'. — Eben so die „Dinge^sgeber ins Jahr auf
das Theure", die einem einen Eimer Weins rc. geben um
ei» halbes Pfund, daß er über ein halbes Jahr cö ihnen
gebt? wo er leicht «m MirfPis sechs Schillinge' es kau-
- ftn'-köim'te. — Diese Gitigen sind am schwersten zu be-
kehret Hat dsch Gott selber mit Predigt und Zeichen
ltichts-ausgerichret bei Judas. Er nahm ihn znm Jün-
ger um -aller Welt zu zeigen, daß niemand ihm so hart
wach'-mls die Gitigen. Gott vermag es freilich durch
seine Allmacht alle diese Leute zu bekehren, mit einem
Worte, wie er die Welt aus nichts geschaffen hat; aber er
überläßt es nnserer freien Willkühr. — Manchen ist weh
nach Gute, «berste wollten eher arm sein, als cs mit
Unrecht gewinnen. Wenn man aber zu viel gerechten
Gewinn zusammenlegt, mehr als man bedarf, und das
Zu geizig (giteclichcn) halt, das ist auch „Gitekeit". Mehr-
haben mit Recht und mehr bedürfen als andere ist nicht
Gitekeit. Auf welche Weise man aber Gut mit Unrecht
gewinnet durch Dieberei oder Raub, im Kauf, im Ge-
richt/ mit Steuer, mit Zöllen, mit Umgeld, mit Geleit,
mit „bcr", wie die -Pfennigprediger, das ist „Gite-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
fcit/y. Die gewinnen nimmer den Muth zu gänzlicher
Wiedererstattung, — So hütet euch denn vor Hauptsün-
dcn. Und wem die Gnade Gottes noch so fern ist, daß
er nicht alle laßen will, der laße doch diese fünf, so hab'
ich die Hoffnung, daß er noch zu gutein Wulm kommt,
mit der wahren Reue re.
lUil
27*
15(e Pr. „Von den fremeden fünden". — Fest der Befreiung
Petri — Apostelg. 12.
^Vie Petrus im Kerker war, so ist eines jeden Christen
Seele cingeschloßen in dem Körper mit manchem Wider-
willen (widermüte) wegen der Sünden des Leibes. Wie
Petrus durch zwei Wachen (hüte) gehen mußte, deren
jede mit Ritterschaft wohl behütet war, so die Seele,
wenn sie vom Leibe scheidet, durch zwei Wachen der Teu-
fel. Die versuchen ihn erstlich um eigene Sünde, und
finden sie tödtliche Sünde, die nicht gebüßt ist, so führen
sie ihn zur Hölle. Und finden sie keine eigene Sünde
an ihm, so suchen sie fremde, nnd auch wegen dieser füh-
ren sie zur Hölle. Das sind neun. Die erste ist, wenn
man Sünde thun heißt. Wenn einer nicht selber stehlen
und morden rc. will, und eS seinen Knecht thun heißt.
Die zweite, wenn man Sünde rath, so die Trüllerin, die
ungetreuen Rathgeber der Herren, die die Leute um Gut
und Leben bringen, oder die ermuntern zu Tanz, Spiel,
421 —
Mord, zu dem „mürhuse" zum Torney. — Oie dritte
heißt Gunst der Sünden, wenn man einem andern gön-
net, was ihm Uebels geschieht an Leib und Seele oder
Ehren oder Freunden. — Die vierte heißt Sünde der
„Mithellünge" Das sind die Schmeichler, die zu allem
waS einer thut, sagen: Ja Herr, eS ist wohlgethan. Ihr
sollt niemand vertragen, den sahen, den schlagen rc. Es
sei Unkeuschheit, Raub, Todschlag, Beschatzung der Ar-
men, so sagen sie: Ja Herr! Damit wird ein Land un-
glückselig gemacht. Der Herr denkt alles wahr. Und
so du heute ein Schlechtes „gejaherrcst", so thut er mor-
gen ein zwiefach schlechteres. Du solltest sagen: „Nein
Herr.' laßt es stehe». Das that euer Vater nicht. Ge-
denkt eures Adels und eurer Ehre, und zuvörderst Got-
tes, des Kaisers aller Könige". Ihr Rathgeber der jun-
gen Herren, ihr solltet sie aus der Freiheit nehmen und
auf das Rechte weisen, oder ihr werdet mit ihnen ver-
dammt. So machen's auch arme Leute. Die Magd' sagt
zur Frau, die einen Mann zu ihrem Manne hat: da-
thut manche Frau; es ist nicht so große Sünde, wie man
es macht rc. — Die fünften sind die, die Sünde schir-
men, die Aechter, Räuber, Ketzer, „fontherer", wißentlich
schirmen in ihren Burgen oder Statten, und so diese Sün-
den fördern und mehren. — Die sechste ist Nutz der
Sünde. So laßen geistliche und weltliche Richter um
Lohnes willen allerlei Wucher und Betrug ungestraft,
dem sie wehren sollten. So schirmen andere Sünde aus
Gunst (durch Liebe). Mancher verbindet sich im Hand-
— 422 —
werk oder Kaufmit einem Betrüger, «nd nimmt gerne Theil
vdn'dem, was dieser durch Betrug gewinnt. So hat die
Frau gern schöne Kleider gutes Eßen re. von dem Gute, das
öekMann mit Unrecht gewonnen. „Und darumb, so müz-
zrnt ir den angcl tühcn, als ir da; hünig da füget". So
8ehme« die Tabetner Nutzen vom Spiel re. *— Die sie-
bente ist, Verschweigen der Sünde, wenn du bei deiner
Wahrheit darnach gefragt wirst. „Der do verhielt, der
ist ein dich als' wol, als jener, der dö! strittst — Die
achte ist, wenn man Sünde nicht wehrt, die man weh-
ren sollte, wegen Lohns, oder aus Lieb' oder Leid, oder
aus Gelindigkeit (lihtsenftckeit). So Richter, Aufseher,
Aeltcrn (vergl. d. gte (3te) Pr.). Die neunte ist, „der
die fünde nit offent, da er sic offenan sol^ Als da man
Arche-ding hat, cttewo heißet e; cristenliche ding, und da
gebudet man hin allen den, die in der pfarre sink, und
freget aller meniglich, wie ez umh ir nachg-ebure ste. Und
chvaz der mensche da vcrswigct, de; er gefragct wirk bi
der gehorsame- ez-st durch liebe oder durch miete re., so
'ist er in der frcincden fünde einet rc." Nichts ist soschad-
kiW als die Sünde. Ihr jungen Leute, hütet euch da-
vor, und kommt aüf den linden Weg zum Himmelreich.
'Ihr andern gewinnet wahre Reue re., daß euch der En-
gel geleite durch die zwo Wachen nach Jerusalem, in
das himmlische' Jerusalem, wo wir uns erkennen wer-
den, daß wir in'-deut rechten Erbtheil sind. Denn hier
sind wir in der'"Fremde, und „erkennen keine bcständig-
kkit, der wir cinpfinden"; denn wir haben hier nur Trug
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
und Ueppigkeit. Da Petrus nach Jerusalem kam, da
erkannte (bekannte) er sich; zuvor war er gewesen, wie
in einem Traum, und so sind wir in dieser Welt. —
Darum solle» wir ihn anrufen, daß er uns erwerbe die
Gnade unsers Herren, daß wir uns erkennen in dem
himmlischen Jerusalem :c. —
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Wege au« den Sünden heraus und in'- Himmelreich hinein. —
i) Beschaffenheiten, Zustände und Thätigkeiten des Menschen —
ile Pr. „Da; etteliche iehent: tu da; güte und la; da; übel".
Text „Ir sult wise sin, daz uch iht geschehe als unwisen
lüten". (wahrsch. Eph. 5, i5.)
Jisit höchste Weisheit ist die, womit die Seele behütet
vor Hauptsünden und damit vor den mannigfaltigen Listen
des Teufels« Hieran haben die Heiligen alle ihre Kunst
gelegt, wie wir Christen uns davor behüten; und den-
noch kommen gar zu viele hinein; Heiden, Juden und
Ketzer werden ohnedies verdamnit. — Darum hat St.
Augustinus tausend Bücher gemacht und St. Bernhard
und St. Gregorius und St. Dionysius rc. Dafür hat
die Christenheit zehntausend Bücher. Mag einer auch
Einsicht haben von den Sternen und von ihrer Kraft
und ihrem Laufe oder von den Wurzeln und Sanien
und Kräutern, oder von den Edelsteinen und ihrer Kraft
und Farbe rc.: können sie diese Kunst nicht, so sind sie
eitel Thoren, und wahnen doch, daß sie weise seien. So
meint mancher, der nicht einen Buchstaben lesen kann.
er sei weise. Er will nicht zur Predigt gehe»/ weil man
da nichts sage, als- thu das Gute uud laß das Böse'
Das wisse er selber wohl (vergl. d. ZZte). Aber daran
haben die Heiligen alle ihre Kunst gelegt, wie man es
thun und laßen solle. Viele sind in der Hölle, welche
meinen, sie thun und laßen es, weil sie nicht weiter wißen
wollten. Man kann es als» thun und laßen, daß man
verloren geht. Du magst viel gute Dinge thun mit Ge-
bet, Almosen, Gottesfahrtcn rc., und kommst doch zur
Hölle. Bleibst du dabei in den Sünden, so hast du jene
Weisheit nicht. — Viele wollen auch nicht zur Predigt
gehn, weil sie da etwas hören könnten, das sie nicht
laßen möchten, und das ihnen mehr Sünde wäre, als
wenn sie es nicht wüßten. — Aber da würden Heiden
und Ketzer alle behalten; denn sie wißen die rechte Weis-
heit nicht. Darum hat dir Gott fünf Sinne gegeben,
daß du lernen sollst, was dir Noth ist für Leib und Seele,
und Predigt und Messe hören. Es ist eine große Sünde,
Gottes Wort zu fliehen. St. Augustin fraßt: „welcher
hat minder gesündigt, der das Gotteswort verschmäht,
oder der den göttlichen Naincn schmäht? Denn alle Gnade
und Seligkeit und Würde, die wir von Gott empfahen
sollen, müssen wir zuerst von Gottes Wort empfahen.
Nur durch das Gotteswort wißen wir, wer Gott ist und
wer die Engel sind und womit wir Gott Liebe und Leid
thun". Nun sieh, was deine Kunst sei gegen der Heili-
gen Kunst. Von den zehntausend Büchern kannst du
kaum ein halbes Blatt, und wähnest cs alles zu wißen.
—. 426 —
Du sagst, du wißest das wohl: thu das Gute und laß
das Bbse! Fliehest du Gottes Wort, sy thust du das
Böse und läßest.das.Gute. Wer weder Gutes noch Bö-
ses thut, der ist auch verdammt. Du mußt das Bbse
ganz laßen und das Gute thun. Aber willst du auch
das Bbse nicht laß^n,'.so.thue doch dabei Gutes; es ist
nicht ohne Nutzen.(vergl- d. 2ste). — Sehet, das ist die
Weisheit, womit man die Seele behalten kann. Darum
sollt ihr gerne zur Predigt kommen, daß ihr da hört die
> heilige Kunst, wovon ihr weise werden könnet. Ich sage euch
leicht von den zehntausend.Büchern, vier bis sechs Blat-
ter und du hörst leicht etwas, das du zuvor nie gehört
hast. So will ich euch denn lehren dreier/«! Weisheit.
Die mag euch lieber sein, als die Weisheit aller Meister
zu Orlanse, zu Montpasckier, zu Salern, zu Padawe, zu
Bononie. Können sic diese nicht, und üben sie sie nicht
an sich selber, so isiallc ihre Kunst, nichts werth. —
Das erste, das dir lieber fein mag als Salomons Weis-
heit, ist, daß du kein „cndchaft" Ding, das dir an Gut
oder Ehren, oder an Leib oder Seele schaden oder frommen
mag, thun sollst, denn mit Rath. Und du sollst dreierlei
Rathgeber haben, erstlich dich selbst; dann andere; so
macht dir niemand Vorwürfe wenn >es dir mißlingt. Aber
emache es nicht so, wie . wenn ein Kranker den andern
fragt um Arzenei; denn da mag er spat gesund werden.
Wer einen Thoren fragt, dem gelingt cs selten wohl.
(Rehabeam, Absolon.) So haben die Frauen Rathgcbcr,
die ihnen Seele und Ehre verrathen, wenn sie sie zu Hause
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 427 —
laben — die Trüllerinnen. Die sollte man mit Hunden
aus der Stadt hetzen. — Wolltet ihr weise Leute fragen,
so könnte cs euch nimmer schlimm gehen. — Drittens
sollst du Gott fragen, wie Josaphat (2 Chron. 20.). Du
sollst zu ihm hinsehen mit Herz und. Auge, und ihn an-
rufen, daß er dir gebe das Beste zu thun, so kann cs
dir nimmer inislingen. ^ Das zweite ist, daß du kein
Ding aufschieben sollst, das dir zu Muthe wird, wofern
es Gott löblich und dir nützlich ist an der Seele. So
dir der h. Geist den Gedanken gibt, Almosen zu geben,
zu beten, wieder zu erstatten, so Vollbringe es sogleich,
eh' dir der Teufel ein Anderes:! rath. Das ist zu drei
Dingen gut: daß cs Gott so am liebsten ist, daß cs dir
gut ist, indem dein Lohn sich alle Tage mehrt, und daß
deine Seele davon erfreuet wird.. Denn sie gewinnt einen
Trost darob, weil sie dann sicher ist, daß du von de»
guten Thaten nicht kannst abgehalten werden. -Denn des
Menschen Leben ist zweifelhaft (zehn Jungfrauen). — Das
dritte ist, daß du bei Allem was du thust, mit Rath oder
ohne Rath, überlegen sollst, welches Ende cs nehme. Das
ist ein leicht Ding und die beste Weisheit. Hatten Kain
und Esau das gethan, sie wären nicht ewiglich verdammt rc.
Aber David sah auf das Ende, da er von drei Strafen
eine zu wählen hatte (2 Sam. 24.). Die bedeuten drei-
erlei Buße: die sieben Hungerjahre die ewige Qual der
Hölle, die zu nichts gut ist. Die drei Monate Flucht
das Fegefeuer, eine schwere Buße, nur zu Einem gut, daß
sie der Hölle überhebt. Das dreitägige Sterben der Leute, die
mtamsmärnsm SMWMMLKMWWMM.DWWWWWP
Buße auf Erden, die der beiden andern überhebt, und kurz
ist gegen die zweite. David wählte das Beste. Er gedachte,
nehme ich daS erste, so verderben alle meine Leute, die
doch unschuldig sind, von meiner Schuld. Ich will die
Buße nicht. Herr sei mir gnädig. Ich bin's, der die
Sünde begangen. Du sollst die Buße über mich ergehen
laßen. — Nehme ich das zweite, so kann ich auf guten
Nossen entrinnen auf meine Burgen, daß ich wohl bleibe
vor meinen Feinden, aber meine Leute werden alle ver-
derbt. Gib mir das dritte so triffst du den Schuldigen
so bald, wie den Unschuldigen. Damit fiel er auf die
Erde, und rief Gott an, daß er sich über ihn erbarme
und das unschuldige Volk feine Schuld nicht entgelten
laße. Und da Gott seine Weisheit so recht ansah, und
seine Tugend, daß er so gänzlich auf das Ende gesehen,
so ließ er von seinem Zorn, und er währte nur sechs
Stunden. — So wählt auch ihr die beste Buße rc.
Ste Pr. „Von zweien wegen der büze und der unschülde". —
Fest deS h. FramiscuS.
Text: „den rehten menschen wiset got die rehten wege".
_____________
hat er gewiesen den großen Herren und den Heili-
gen und den guten St. Franciscum, der ein Bruder un-
sers Ordens war, und gerecht und wahr, (gewer) mit
allem seinem Leben. Von der Zeit an, da er den Orden
begann, wies ihn der Herr alle seine Wege, die er mensch-
lich auf Erden gieng an der Keuschheit an der Demuth rc.
So zeigt auch uns Gott die rechten Wege zum Himmel-
reich. Der sind zwei, daß desto mehrere hineinkamen. —
Zuerst hatte er nur Einen Weg; der wäre auch gerade
für sich gegangen, ohne Mühe und Arbeit, und hätten
wir gelebt bis die Zeit vollbracht war, so wären wir
frbhlich mit Leib und Seele zum Himmelreich gefahren.
Da aber Adam und Eva sündigten, da ward der Weg
getheilt. Es steht nun an des Menschen freier Willkühr,
welchen er gehen will. Wer aber nicht einen von beiden
geht, der geht vorbei in die Hdlle. Der erste ist linde
wie Pfeller und Seide und Rosen, und glatt wie Her-
mclin und wie geläutert Gold, und süß und sanft wie
Zucker und Honig und Balsam, und eben und gerade.
Der andere ist gar hart und rauh und enge und „stihel"
(steilL) und mühsam und voll Dornen, Stücke und Steine
und wunderlich ungerade. Den ersten, den Weg der Un-
schuld, gehen alle, die ihr Taufgelübde rein gehalten; den
bittern und scharfen der Buße, alle die nach der Taufe
Hauptsünden begangen. Das hat an uns Gott gezeigt
an den zweien Wegen der Israeliten, der eine durch das
bittre Meer, der andere durch das süße Wasser des Jor-
dans, und durch beide fuhren sie zu Einem Gestade aus —
ins verheißene Land. — Der Unschuldige bedarf nicht
großer Neue und schamlicher Beichte, und harter Bußen.
Aber der Ilrme muß traurcn, wenn du froh bist, seuf-
zen, wenn du lachst; leidtragen, wenn du singest, wachen,
wenn du schläfst, fasten, wenn du ißest. Thust du aber
auch dieses alles mit Fasten, Beten re. so bist du doch
in großen Freuden. Jener, der den Knollen auf sich hat,
muß oft seufzen, wenn man ihn hart anfaßt, und ihm
das Himmelreich versagt. Wenn ihr Unschuldigen das
hört, so mögt ihr froh sein, daß ihr an allen dm Sün-
den unschuldig seid und eure guten Werke euch wachsen
zum Lohne. — Die zwei Wege sind auch vorgebildet in
den zwei Thüren zum Allerheiligsten, wovon die eine gar
wohlriechend war, die andere nicht. Jene bedeutet den
Weg der Unschuld. Auf diesem seid denn beständig ihr
seligen Gotteslinder rc. — Du sagst daß mancher» wohl
sei bei großen Sünde», und daß es manchen guten Men-
33o
scheit übel gehe. Aber dem Sünder ist nicht wohl; viel
bester isi's mit Arbeit leben ohne Sünde. Davon spricht
Gott: ich will euch entladen von allen euren Arbeiten,
Seine Bürde ist gar leicht und sein Joch süße. — Aber
wer von diesem Wege gefallen, der verzage nicht. Viele
Heilige sind auf dem Wege der Buße zum Himmelreich
gekommen. Bester ist büßen, wie Maria Magdalena rc.,
als immerfort brennen. Denn der Sünder muß Strafe
leiden um die-.Sünde, hier oder dort. Könnt ihr auf
den linden Weg nicht komnien, so müßt ihr auf bett
harten kommen. Das ist uns vorgebildet an dem ersten
und zweiten Tempel. Jener wurde in achthalb Jahren
gebaut, und also daß inan keinen Schlag daran zuJerusa-
lcni hörte, und gar schön und herrlich. Da er aber zerstört
wurde, mußten vier Fürsten einen andern bauen mit
Angst und Noth und Krieg, sechs und vierzig Jahre lang,
und er war nicht so schön, wie der erste. Jeder Christ
ist Gottes Tempel. Der wird durch die Sünde zerbro-
chen. Wer dann besten würdig werden will, daß Gott
wieder in ihm wohne, das muß mit Arbeit und Noth
geschehen. So greift denn an die h. Buße, daß Gott
wieder zu euch komme. Jeder muß zwicfältige Buße
thun unserem Herren nach Gnaden, deinem Nächsten nach
Recht. Du Mörder, wie könntest du es über dich brin-
gen, den zu tödten, für den sich Gott selber tödten ließ
aus Liehe zu ihm. Wie wacker du ihn auch Gott ge-
büßt hast, es ist nicht zu viel; es ist dir dennoch seiner
Gnaden Noth. Weil du ihn nicht lebendig machen kannst,
432
so bist du nicht schuldig ihn deinem Nächsten nach Recht
zu büßen; außer sofern du es kannst. Der Gitige aber
muß gänzlich nach Recht büßen. Der Mörder muß die
Freunde des Ermordeten gewinnen mit Dienst oder „bete"
oder Gut oder Gottesfahrten, die aber sollen es ihm
lauterlich vergeben um Gotteswillen, soweit sie können.
Hat er die Mittel dazu, so büße er's mit Gut den Wai-
sen. Büßt er nicht Gott und den Freunden, so kommt
er nimmer vor das Antlitz des Herrn, und wird auch
nimmek so alt. — Du Mörderin deines eigenen Kindes!
das thut die schlimmste der Nattern^md der Sxinnen
nicht. Pfi dich, daß je rin Taufwaßer auf dich kam!
Willst du der Sünden Unflat treiben, und die Arbeit mit
den Kindern nicht leiden? Der unreine Wolf geht in den
Tod um seines Kindes willen rc. — Ihr jungen Prie-
ster, gebt allen Buße nach Gnaden; nach Recht könnten
alle Menschen eines einzigen Sünde nicht büßen. AdamS
einzige Sünde konnten er und seine Nachkommen nicht
büßen, bis sie Gott am hehren Kreuze büßen mußte. Ihr
Sünder, greift selber die Buße an; Gott will nicht mehr
für eure Sünde sterben; er will aber die Buße gnädig-
lich empfahen. Das konnte zuvor mancher heilige Mann
nicht erlangen. Gibt man dir wenig Buße, so mußt du
desto langer im Fegefeuer brennen. DaS ist aber beßer,
als immer in der Hölle. Da gewinnt es kein Ende, und
alle Qual hilft dir nichts, du wirst dem Himmelreich
immer fremder. Die Buße aber bringt zum Allerheilig-
sten; darum ist sie der sieben „Heiligleiten" eine.— Du
433
sollst deinem Nächsten büßen nach Recht, beim er bedarf
deßen, weil er hier in der Fremde ist sowohl als du.
Das ist erstens: du sollst cs gänzlich büßen. So, wenn
du ihm sein Gut abgenommen mit Wucher, Verkauf,
Dingesgeben oder Borgen rc. Du willst einen Theil da-
von wiedergeben, damit du nicht gar in schlechte Lage
(Bosheit) kommest mit deinen Kindern. Aber welcher
Teufel hat dir Gewalt über sein Gut verliehen? Und
spräche er selber: gebt es mir halb oder das Drittheil,'
und behaltet das andere: so bist du damit nicht ledig.
Er nähme es gerne ganz, wie recht und billig wäre,
aber er redet, wie du es gerne hörst, und denkt: beßer
ein wenig, als ganz verloren. Du mußt es ihm selber
ganz vorlegen ohne Hinterlist, und was er dir dann gibt,
mit lauterem Vergeben, das hast du mit Recht. Und
Ihr Herren, daß euch Gott lohne, nehmt desto minder,
daß desto mehrere wiedergeben. Jakob hieß seine Söhne
zweimal so viel Geld zurückbringen, als man ihnen in
die Säcke stieß. Nach dem Evangelium aber sollte man
vierfaltig wiedergeben (Luc. 19, 8.) Gott verlangt aber
nur das Einfache, daß ihr cs desto gerner thut. Freuet
euch nicht, ihr armen Leute; hoffet nicht, daß sie nun
wiedergeben. Geschieht es aber, so thut desto gnädiger
an ihnen, wie der Schaffner gegen Jakobs Söhne. Hat
er jedoch die Mittel, so nehmt es alles; hat er sie nicht,
so vergebt ihm lauterlich. Gewinnt er hernach Gut, so
soll er dann euch wiedergeben, wo nicht, so soll er doch
ganzen Willen dazu haben. — Das zweite ist, daß man
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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 434 —
-es bald wiedergebe. Dazu noch soll man ihn um Ver-
gebung bitten, daß man ihn gesäumt in seinem Erwerb.
Drittens soll man fröhlich büßen, und wiedergeben. —
Man hat mir gesagt, daß gesiern einer sprach: „Pfi b. b.,
du predigst so gar gräulich von unrechtem Gut, daß ich
beinahe verzweifelt bin". — Das wäre mir Leid. Du
sollst keinen Zweifel haben, daß du verloren bist, wenn
du nicht gänzlich wiedergibst, sofern du weißt, wem du
schuldig bist. — Der Eitige und das unrechte Gut die '
sind wie Zinn und Kupfer; die kann kein Meister aus-
einander bringen; eine gute Glockcnspeiß, die dem Teu-
fel ganz nach seinem Willen klingt. Ihr andern Sünder
greift die h. Buße an! O welche Macht Reue und Buße
hat! Sie thut, was ‘fein Heiliger, noch Märtyrer, noch
Bekenner vermag, noch die zwölf Boten, noch meine Frau
St. Maria, noch Propheten, noch Patriarchen, noch En-
gel. Nur sie kann den, der nach der Taufe Gottes Huld
mit tödtlichcn Sünden verloren hat, wieder gewinnen;
und wird er in ihr erfunden, so kann ihm Gott seine
Huld nicht versagen; und er versagt sie ihm, ob auch alle
Heiligen für ihn beten. Wenn Buße allein sein Ge-
leit vor Gott ist, so kann kein Heiliger ihn austrei-
ben. Nur vier Dinge kann die Buße nicht thun; die
kann nur Gott thun, er pstegt sie aber nicht zu thun.
(s. p. 177. Anm. 23.) — Ihr Unschuldigen, laßt's euch
nicht verdrießen. Eure Arbeit nimmt bald ein Ende rc.
Wie heilig die Buße sei, Unschuld ist doch tausendmal
bester. Eure guten Werke wachsen euch zum Lohne; ihr
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 435 —
seid in Freuden, und ihr seht auch, wie schwerlich jene
zur Buße kommen. Darum hütet euch vor Sünden.
Ihr ,unge Welt, hätte man euren Vätern so gepredigt
von dem großen Schaden, sie hatten sich beßer behütet
vor Sünden. Laßt euch nicht weisen aus eurem linden
Wege, und ihr Sünder laßt euch nickt weisen aus euren
harten Wegen, daß die Zahl erfüllet werde rc.
j
m*
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
denselben Weg, den Gott den guten St. Remigius
gewiesen, hat mancher tugendliche Mensch betreten. Da
Gott den rechten Menschen so lieb hat, daß er ihn die
rechten Wege will weisen, so hat er zwei Wege zum
Himmelreich, und jeder muß auf einem derselben dahin
kommen, ohne die kleinen Kiudlein. Der eine geht ge-
rade vor sich hin wie eine Schnur, ohne alle Storung
(irresal) von Teufel uud Fegfeuer re., der andere geht
weit hinum und langsam wie auf die hohen Burgen ein
kleiner Steig oder Pfad geht, gerade für sich, jähe und
schnell. Der aber „siickel" und „wcseht" und rauh und
gar steinigt und dornigt ist, und daher mühsam; und ein
anderer, der nicht so rauh rc. ist, und krumm hinum
geht, dadurch er viel sanfter und gemächlicher ist. Der
eine ist über tausend Jahre ungebahnt gelegen, er war
nur dritthalb hundert Jahre offen nach der Geburt un-
sers Herren, und wird noch einmal offen fein vor dem
jüngsten Tage. Es ist der Märtyrer Weg. Weil er s»
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
'J-OM 1yU//I (Xa^ImA J Q J i
hart war, so nahm ihn unser Herr weg. Er wußte wohl,
daß die Leute daran verzagte»; denn die Marter thut
graulich weh. Und die Ritter waren die ersten, die ab-
trünnig wurden. Darum hat Gott erfunden den Weg
der Barmherzigkeit. Auf dem müßen alle gehen; nur
so lange der „Endecrist" herrscht, ist der andere wieder
geöffnet. Das erleben gar viele. Dann fiieht in die
Hohlen und auf die Berge, denn die müßen gar fest
sein, die die Marter bestehn. Kehrt euch dann an keine
Zeichen, haltet fest an Gott und an dem Christenglau-
ben. Und wo seine Prediger stehn, da scheinet die Sonne,
wo unsers Herrn Prediger stehn, da regnet es. Da wird
einer aufstehn, der mir gleich ist, und sagen: „Ich bin
Bruder Betthold. Und alles, was ich euch je gesagt, ist
gelogen. Ihr sollt nun an den glauben, der der wahre
Gott ist"..— Daran kehrt euch nicht. Es ist ein Teu-
fel in meiner Gestalt. — Izt lernt und betretet in Got-
tes Namen den andern Weg. Dazu gehören drei Tu-
genden, die allerhöchsten, ohne welche nie einer zum Him-
melreich kommt — Demuth, Keuschheit, „Miltekeit". —
Denen widerstehen drei Untugenden, von denen alle Welt
entzündet wird, wie von einem Feuer, an welchen du
aber niemals Ruhe und Freude gewinnest. Wie denn Sa-
lomo es mit ihnen versucht hat, um zu sehen, wie wohl
den Leuten damit sei, weil sein Schelten darauf nichts
fruchtete, und Schatze aufgehäuft, gegen welche alles Gut
des „Gitigen" ein Nichts ist, und Pracht und Herrlichkeit
gehabt, gegen welche alles was die Hoffart der Frauen
es Staatsarchiv Marburg, Best. 340 G
— 438 —
und Männer austreiben mag, ein Gespülte ist, und in
Wollust des Mundes und des Fleisches sich umgetrieben,
womit nicht zu vergleichen ist alles Wohlleben der Fraße
und der Nascher. Aber er fand keine Ruhe darin. Es
war eine Thorheit, daß er sich so großen Schaden zu-
fügte zu unserm Nutzen. Gott gebe, daß er'ö gebüßt
habe! sonst muß er immer in der Hölle sein. So findet
keiner Ruhe dabei. Sollte der „Gitige" bret Tage lang
nur Pfennige zahlen, er möchte viel lieber eßen und schla-
uem Und immer macht ihm sein Gut Sorgen, wie er es
erhalte und mehre. So möchte der Hoffärtige um kei-
nen Preis eine Woche lang tanzen oder tornieren; oder
der Unkeusche einen Tag lang seine Sünde treiben. —
Die heidnischen Meister wollen viel davon wißen, wie
viel Meilen gehen bis zum Sternenhimmel, und von ei-
nem Stern zum andern, und bis zum dritten und vier-
ten Himmel, Das ist lauter Wahn, sie wißen nichts
davon. Ich will's euch genau nach der Wahrheit sagen.
Es sind drei Tagereisen zum Himmel. Wer die nicht
recht kennt, und fährt auf einem der zwei Wege, kommt
nicht zum Himmelreich. Das sind Glaube, Hoffnung,
Liebe (vergl. d. i?te (ute) Pr.). Die erste führt zum
Sternenhimmel, die zweite zum Krystallhimmel, die dritte
zum „celum empsreum". — Laßt euch daran nicht
irre machen durch Zweifel und unrechte Liebe rc. —
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
2) Göttliche Anstalten und Ordnungen. )
Lote Pr- „Von sieben sacramenten". Text t Cor. i5, io. (J
',V\C /j^j M 'rtviYinpX. fH.^vj^AA^Än\A\ff £ .
nser' Herr hat unS Christenleuten viel Gnaden gege-
ben, die mancher heiliger Mann im alten Bunde nicht
erlangen konnte. Fünftausend zweihundert und ein Jahr
konnte kein Mensch zum Himmelreich kommen wegen
Adams Ungehorsam. Die in Hauptsünden starben, fuh-
ren zur Hölle, wo sie noch izt sind; die nur tägliche
Sünden thaten, in das Fegfeuer, von da in den Limbus
die Vorhölle; wie diese Stadt inner- und außerhalb der
Mauern Augsburg heißt, innerhalb aber ist man härter
gefangen, als außerhalb. — Dort harrten sie seiner Gna-
den; denn sie wußten, daß er sie zuletzt erlösen werde.
So riefen sie ihn an und wcineten, die Lebenden oben
und die Todten unten. Uns erhört nun Gort gar schnell.
Aber ihr Klagen half nichts, bis ein Mensch geboren
ward, der mit ihnen Gott bat ernstlich und treulich. Und
er war so vollkommen an allen Tugenden, daß Gott ihn
mehr hörte, als die andern alle, ja daß Gott selber von
ihr wollte geboren werden. Darum sollen wir sie fleißig
44 o
anrufen, und Gott sonderlich danken für die Gnade, daß
er uns die reine Jungfrau zu einer Sühnerin gegeben.
Aber noch manche andere Gnade hat er uns erzeugt.
Er ward so rein geboren, daß er erlöste die Seinen.
Die Schuld Adams mußte ein Mensch büßen, der so
irrin und tugendhaft und edel war, uüd so vollkommen
als Adam, ehe er sündigte. Gott mußte die Menschheit
annehmen, daß er von der Krankheit und Sterblichkeit
uns erlöste, die von Adam allen anxrbte (vergl. p. 51—53).
Dazu noch hat er uns eine Arzenei gemacht, die alle
gesund macht, welche sie recht empfahen, Die hat ihn
mehr gekostet als alles Silber und Gold, als Sonne
und Mond und Sterne rc. Er hatte solche Liebe und Ernst
dazu, daß er cs niemand anvertrauen wollte, als sich
selber. Er machte sie in drei und dreißig ein halb Jah-
ren, und so meisterlich und künstlich, daß alle Engel sie
nicht so gut gemacht hätten, wie viele tausend Jahre sie
darob geseßen hätten. Sie kam ihn auch gar sauer an;
er hat viel Armuth und Spott und blutigen Schweiß
und den bittern Tod darob erlitten. Und da sie so edel
war, theilte er sie in sieben Stücke. Und da sie ihn so
hart ankam, da war seine Treue und Liebe s» groß, daß
er sie den Menschen umsonst gab. Denn er wußte wohl,
daß sie niemand nach Würden hatte bezahlen können.
Da er den Tod Harum litt, fuhr er zur Hölle —- zur
Vorstadt, nicht zur rechte» Hölle, und führte die, die ihn
so lange dort angerufen in's Paradies. Da waren sic
niit ihm bis zu seiner Auffahrt, und da führte er sie
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
441
mit sich iii'S Himmelreich. Und die sieben Arzeneien be-
fahl er einer Art Leute», denen ^r dazu traucte, daß sic
sie allen, die ihrer mit Recht begehrten, umsonst geben
sollten. Das sind die sieben „Heiligkeiten". Und wer
nicht glaubt an die Kraft, die Gott mit seiner Weisheit
an sie gelegt hat, und also stirbt, der geht verloren, ob
er auch keine andere Sünde gethan. Diesen Glauben
seid ihr Gott wohl schuldig, da er euch von dem ewigen
Tode damit errettet bat. Aber wie sollen wir die zehen
Gebote behalten, und dann wieder diese sieben? Diese
sind im ersten Gebote enthalten. Und du kannst sie leicht
behalten, daß du sie recht und redlich empfahest und dann
behaltest. Man gibt sie doch umsonst, daß du sie desto
williger empfahest und mit rechtem Glauben und guter
Andacht. Es möchte ihn wohl erzürnen, daß er so viel
Fleiß und Weisheit darauf legte, und daß du sie aus
Muthwillen und Unglauben verschmähest wegen eines
schwachen Gedankens, oder eines stinkenden Juden fal-
442
wird er, so oft er sie würdig empfäht, eines Theils seiner
Sünden ledig und gestärkt an allen Tugenden, allermeist
an der Gottesminne. Durch die vierte vergibt Gott alle
Sünden, wenn man sie recht angreift. So macht die
fünfte kräftiger an Leib und Seele und nimmt einen Theil
der Sünden weg. Diese Arzeneien muß jeder Mensch
empfahen, so viel derselben ihm seiner Jugend wegen zu
empfahen geziemt; sonst kommt er nicht ins Himmel-
reich. Der zwo übrigen bedürfen nicht alle so nothwen-
dig, doch kann ihrer die Christenheit durchaus nicht ent-
behren. Wer sie nicht will, der laße sie dem Herrn lie-
gen; er findet wohl Leute, die sie nehmen. — Die erste
ist die h. Taufe, die soll man nur einmal empfahen, und
. sie hat vier himmlische Würzelein, die Gott dazu gesetzt
' hat; wer an die nicht glaubt, der geht verloren. Das
erste ist, daß der Andacht habe» soll, der da taust, daß
er gedenkt: ich will dir gerne zu deiner Taufe nach christ-
lichem Rechte helfen. Es sollen nicht junge Leute ein
Kind in Gespötte und Gelächter taufen, oder thörichte
Leute einen Juden ins Wasser stoßen wider seinen Wil-
len. Das hat keine Kraft. Das zweite, daß man daS
Kind in einfachem Wasser taufe, nicht in Wein, Milch,
Bier oder gar Sandhaufen, wie einige thun. Das dritte,
daß man nur ein Lebendiges taufe, nicht ein Todtes,
noch Silber, Gold, Wachs (Zauberinn). Das vierte, daß
bei einer Gähtaufe die Worte *) nicht geändert werden.
*) Die Taufformel: Ich taufe dich im Namen :c.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
nichts di,zu noch davon gethan; und man soll sie spre-
chen in der Zeit, da die Hände taufen. Den Namen (des
Kindes) mag man wohl vcrgeßcn, wegen der Eile. Gott
giebt ihm einen guten im Himmel. Ihr Frauen, fürch-
tet ihr, daß es nicht lebendig zur Welt komme, sv tauft
ihm zuvor das Häuptlein auf die Gnade des Herrn.
Wenn eure Kinder ohne Taufe bleiben oder nicht recht
getauft werden, so kommen sie nie zu den himmlischen
Freude» (vcrgl. d. gte (Zte) Pr.). Sie fahren mit den
Jude» - und Heidenkindcrn, die vom Unglauben noch nicht
wißen, in den Linibus, wohin die Allvater fuhren. Da
haben sie keine Pein, nur die Marter des Schadens, daß
sie nicht ins Himmelreich kommen. Wüßten sie, welchen
Schaden sie daran haben, sie würden gerne darum bis
an den jüngsten Tag an einer glühenden Säule, die vom
Abgrunde bis zum Himmel ginge und mit schneidenden
Scheeren (scharsachcn) besteckt wäre, auf und niederfah-
rcn. Durch die Taufe wird das Kind lichter, als die
Sonne. Darum geben wir ihm nach der Taufe eine
brennende Kerze in die Hand statt der Sonne, die wir
nicht haben können. — Die zweite ist die h. Firmelung
(firmüngc). Die soll man auch nur einmal empfahen,
und sie ist so edel, daß sie nur ein fürstlicher geweihter
Bischof geben soll. Man soll sie mit großer Andacht
empfahen und mit Demuth, und zuvor wol gebeichtet
haben. Die Binde, die man um das Haupt bindet, be-
zeichnet einen Helm, den man dem Ritter aufbindet, so
er an den Streit soll, dvon wird er kühner und mann-
Hafter. So sollt ihr allen Untugenden widerstehn. Wer
diese Arzenei nicht empfäht, der sie wohl haben mag, geht
verloren. Die Bischöfe sollen sie niemand versagen, und
die Pfarrer ihre Pfarrleute dazu treiben. Ihre sechs
Wnrzelein gehen uns nicht an. if) Die vierte ist der hei-
lige Gottesleichnam. Je öfter man die würdig empfäht,
desto bester. Sie hat vier Würzelein, das erste ist von
drei Stücken. Brod, Wein und Wasser. Die müßen
alle drei sein. Sie sollen aber auch recht und gut sein;
daö Brod weiß und derbe gebacken und rund. Der Wein
mag wohl trübe oder schwach werden, wenn er nur nicht
Eßig wird, denn in manchem Land ist frischer Wein schwer
zu bekommen. Könnte man aus Gold oder Balsam ma-
chen, die h. Arzenei wäre cs wohl werth. Darum sollt
ihr Meßner die Gefaste gar rein machen, und wohl be-
decken und in Obhut haben. Und die ihn weit her ho-
len, sollen nicht Wasser dazu gießen, damit er desto län-
ger währe, so lieb ihnen das Himmelreich ist. Die Prie-
ster sollen auch nicht zu viel Wasser in den Kelch mi-
schen; und das Wasser soll so rein und frisch sein, als
man es haben kann. Das zweite Würzelein ist ein ge-
weihter Priester. Kein Kaiser und König, kein Enge!
und Heiliger, keine reine Jungfrau und keine Wittwe
kann sie also bereiten. — Das dritte sind die heiligen
Worte die Gott dazu gesetzt hat, die der Priester ganz
und andächtig sprechen soll- Das vierte ist des Priesters
0 Die dritte, die Buße, wird nicht genannt. Oben ist sie die vierte.
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 445 —
Andacht. Sind alle viere da, so wird Gott gewandelt
in das Brod. Nun ist das Brod wahrer Gott und
wahrer Mensch mit Leib und Seele, wie er geboren ward,
von St. Maria der ewigen Jungfrau, und was Wein war,
ist sein heiliges Blut, wovon ein Tropfen kostbarer (dürre)
ist als Himmel und Erde. So wird die Arzenei voll-
bracht zu Ehren allem himmlischen Heer, zum Heil allen
Christenleuten, und zu Trost und Hülfe allen Seelen im
Fegefeuer. Die Ketzer und Juden wundern sich, wie diese
Verwandlung möglich sei (vergl. p. 120. 171. 172.).
Aber Gott kann thun, was er will. Hat die Nachtigall
daS^Ei gelegt, so sitzt der Vater davor, und singst mit
seiner süßen Stimme gegen das Ei, bis ein schöner Vo-
gel darin wachset. Hat Gott dem Vogel diese Kraft ge-
geben, daß von seiner Stimme Fleisch und Bein und ein
lebendiger Vogel wird, was vorher dieses nicht war; was
mag er dann mit sich selber und seinen eigenen Worten
thun? — Mancher der an der Hinrichtung ist, meint
Gottes Leichnam zu cmpfahen, wenn er Brosamen oder
ein Stück Erde ^n den Mund nimmt. Aber damit hangt
er nur desto schwerer an dem Galgen. Es soll ihn mit
ganzer Treue und rechter Andacht darnach begehren, und
ganzen Willen haben, keine t'odtliche Sünde mehr zu
thun; so hat er ihn mit der Begehrung. Empfahl er
ihn, so kommt r nur desto eher aus dem Fegefeuer. —~
Die fünfte ist die h. Oelung (daz oley). Das mag man
öfters empfahen, aber nur, wenn ein Mensch Sorge hat,
daß er sterbe. Stirbt er, so wird sein Fegefeuer dadurch
!
WMWWWWWWMWWMWMMMMDAM
446
gemindert, und sein Lohn gemehrt. Man soll aber zuvor
wohl bereuen und beichten und den Herrn empfahen.
Bleibt er am Leben, so nimmt es einen Theil der
Sünden weg, und er wird kräftiger an Leib und Seele.
Daß eins nachher nicht mehr bei seinem Gemahl liegen
dürfe, oder kein Fleisch mehr cßen, oder nicht mehr auf
die Erde treten, oder niemand mehr auf dem Leiiilachen
liegen, darauf er geölt worden, das ist lauter Lüge, und
soll niemanden davon abhalten; auch nicht die Furcht,
daß der Pfader etwas dafür will. Bitte ihn, daß cr's
unisonst thue; will er's nicht, so begehre es fleißig vor
Gott mit rechter Andacht, und stirb eher ohne Oelung.
Denn dingest du mit ihm, das wäre ihm eine große
Hauptsünde. -- Cr muß cs Gott büßen; denn man soll
sie umsonst geben. Gibst du ihm etwas von selbst, so
ist das ein Almosen und er muß das bei Gott geden-
ken, ob du stirbst oder nicht. — Die sechste ist die h.
Priesterweihe. Ihre sechs Würzelein gehen uns nichts
an. Wer sie mit Recht cmpfaht, hat größere Gewalt,
als Kaiser und König, vom Himmel bis zur Hölle. Wem
er den Hinimel auf- oder zuschließt, wer der auch sei,
kein Engel kann ihn auötreiven oder einlaßen. Wie einer
auch gesilndigt hat, unterwirft er sich seiner Gewalt mit
wahrer Reue, er kann ihn« sofort die Hülle zu- den
Himmel ausschließen. Darum tragt er auch die Krone
überall und immer, da Kaiser und Könige sie selten tra-
gen. Nur er kann binden und entbinden. Die siebente
ist die h. Ehe. Die sie recht empfahen, können ihr Ge-
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
schlecht mehren ohne Sünde. Sie hat zwei Würzelein
(s. d. Lite Pr.). Da man die h. Ehe nimmer entbeh-
ren könnte, so hat sie Gott mehr geheiligt, als alle an-
dere Orden, Barfüßer Brüder, Prediger, graue Mönche.—
Gott hat sie hoch geehrt, weil es ein so schämliches Ding
ist, womit Frauen und Männer ihr Geschlecht mehren,
daß einfältige Leute darum Angst haben. Aber thun sie cs
auf die rechte Weise, wie es im Paradies geordnet ward,
so ist eö keine Sünde. Gott hat die Ehe geboten, indem
er andere Orden nur gerathen hat, weil ohne sie die Zahl
nicht erfüllt werden konnte. Und von ihr ist mancher
Heilige geboren worden. Die keine Kinder bekommen,
dürfen ohne Furcht sein (s. p, 166.). Itzt ist's nicht mehr,
wie im alten Bunde, da man die Leute deshalb von ein-
ander schied. — Ihr solltet Gott wohl zutrauen, daß
Er, der euch die Kinder gegeben, sie auch erhalten werde,
ohne ungerechte Gewinne. Diese kommen vom Teufel. —
Aber so heilig die Ehe ist, aus dem geistlichen Leben
kommt man nicht in die Ehe, aber aus ihr in geistliches
Leben. — Da sie ein so weiter Orden ist, so will ich eine
ganze Predigt davon halten. —
giebt drei Wege aus der Christenheit zum Himmel-
reich, sonst keinen in ihr noch außer ihr: Ehe, Wittwen-
thum, Jungfrauschaft. Wer in der Christenheit nicht in
einer dieser Lebensweisen stirbt, geht ewig verloren. Ehe-
leute sind alle, die recht und redlich zur Ehe gekommen
sind, Wittwen, die ihre Jungfrauschaft verlieren in oder
außer der Ehe und darnach keusch sein wollen bis an
ihren Tod, sie seien in oder außer Klöstern, oder die
sonst in rechtem Leben zur Ehe-Lust haben; Jungfrauen
alle die sich rein bewahrt haben von ihrer Geburt an,
von welchem Stande, Alter und Geschlecht sie seien.
Diese alle will ich jegliches anweisen, wie es geradenwe-
ges zum Himmelreich gehen solle, zuerst die Eheleute.
Da möchtet ihr andern wohl schlafen; oder hört mit ih-
nen zu. Vielleicht seid ihr bald auch Eheleute. Ihr
Eheleute macht uns so viel Mühe niit Fragen von der
Ehe. Wir haben aber nicht Zeit, jeglichem recht Bescheid
zu geben. Denn es ist ein so verworrenes Ding, daß
44g
man einfaltige nicht so schnell darüber ausweisen kann.
Darum merkt recht auf, und überhört kein Wort; denn
jegliches ist gewogen und gemessen mit großer Kunst
und Kraft. Die dem Teufel mit der Ehe entfliehen wol-
len, müßen zwei Fittiche haben. Das ist bezeichnet durch
das Weib — die heilige Christenheit—, die dem Drachen
entfloh (Apokal. 12, i—6.). Der erste ist, wie man
recht und redlich dazu kommen soll. Der hat fünf Fe-
dern, das stnd fünferlei Leute die zur Ehe verboten sind.
Wer die nicht vermeidet, den muß man scheiden oder er
ist verloren, es sei denn daß der Papst ein Sonderliches
thue um der Lande Noth willen an hohen Herren durch
Friede und Gnade und der Christenheit zu nütze. Die ersten
sind fleischliche Verwandte. Bis zum vierten Grade (zur
vierten sippe) auf beiden Seiten muß man sic scheiden; ein
solcher ist ein „mag"; ist es einerseits der dritte oder vierte
und anderseits der fünfte, so soll man sie nicht scheiden, weil
das so „möhlich" ist, aber sie sollen einander meiden, bis zum
fünften auf beiden Seiten. Die Verwandschaft kann
man aber berechnen vom Haupt aus: erster Grad Ge-
schwister— die Achseln, zweiter, Geschwisterkinder—Ellen-
bogen, dritter, Kinder, wo die Arme an die Hände stoßen,
vierter, Kinder von diesen, wo dsb mittlere Finger an die
Hand stößt. — Die zweiten sind „geschwägerliche" Ver-
wandte die in Ehe oder unehlich -gelebt haben mit dem,
den du nieiden mußt wegen fleischlicher Verwandschaft,
und die nahen Verwandten deines Ehgcniahls. Dies nach
denselben Graden. Gibt man zwei Kinder mit ihrer
29
— 45o —
beider Willen zusammen, und stirbt das eine, noch ehe
sie einander berührten mit Umarmung (halsen) oder Kuß,
so darf das überlebende den Bruder oder die Schwester
des andern nicht zur Ehe nehmen, oder man muß sie schei-
den. Liegst du aber nach dem Bcilagcr mit deinem Ge-
mahl bei dcßen „Nahem" so tritt nicht Scheidung ein,
aber strenge Buße; denn es ist eine zwiefache Sünde.—
Die dritten find geistliche Verwandte, Pathen, (Toten)
Gevattern, Kinder deßen der dich aus der Taufe geho-
ben (toten) und deßen der dich getauft, deiner geistlichen
Väter, und die/ die dein Gemahl aus der Taufe gehoben oder
gäh getauft hat, seit er dein Gemahl ist, wenn du auch
jenseits des Meers bist. Endlich soll man nicht zur Ehe
nehmen den und dcßen Kinder, dem man vor der Fir-
melung den Glauben vorgesprochen hat und der einem
bei derselben Zeuge gewesen ist. Das ist aber hier zu
Lande nicht Sitte. — So darfst du auch nicht nehmen
die Kinder des Bischoffs, der dich gefirmelt hat, der ist auch
dein geistlicher Vater. Kinder aus diesen dreierlei Verwandt-
schaften sind ehlich, so lange man ohne Vorwissen in einer
solchen Ehe lebt. — Die viertensind die, die Gott verbunden
sind, die priesterliche Weihe empfangen haben, und „dyakene
und sübdyakene", ob sie auch die Weihe verwirket haben,
oder abtrünnig werden von einem Kloster; eben so alle,
die Orden in Klöstern haben, oder außer Klöstern, seien
es Laien oder Pfaffen re. — Hast du eine der Schwe-
siern genommen, die nicht Orden in Klöstern haben, du
mußt es Gott hoch büßen, daß du ihm seine Gemahlin
genommen. Ob man euch scheiden solle, das soll man
dir ins Ohr raunen. Du bedarfst dazu cineS weisen
Mannes Rath. — Die fünften sind die, die einem an-
dern Menschen verbunden sind. So lange dein Gemahl
lebt und wo es auch sey, und wüßtest du, daß du ihn
nie wieder sähest, sei er krumm oder gerade, krank oder
gesund, du darfst keinen andern nehmen. Das aussätzige
Weib darf dem Manne nicht erlauben, eine andere Frau
zu nehmen, damit er ihr desto mehr wohl thue und die
Kinder beßcr versorgt seien. Das könnte auch der Papst
nicht erlauben. Will er nicht keusch seyn, er muß zu dir
ins Häuslein schlüpfen oder ein Ehebrecher sein. — Hast
du die Ehe mit einem gebrochen und nach dem Tode
deiues Gemahls ihn zur Ehe genommen, so mögt ihr es
büßen ohne Scheidung, wenn du ihm nicht sagtest: so
wahr mein Gemahl stirbt, so nehme ich dich zu rechter
Ehe „(see, min truwe ist da; min gemechede stirbet, daz
ich dich zu echter ee nemen wil)", oder: „ich will dich
ietzunt nemen zu rehter ee, swanne min gemechede tot
gclit, daz ich dehein anders möge genemen, banne dich" —
und wenn ihr unschuldig wart an seinem Tode. — So
lang du nicht sicher weißt, daß dein Gemahl todt ist,
kannst du keine rechte Ehe haben mit einem andern.
Auch sollt ihr Frauen nicht Winkelehen haben. Wer
euch vor den Leuten nicht schwören will, dem vertrauet
euch nicht an. Er betrügt euch und geht zu anderen,
und ihr dürft keinen anderen nehmen, weil es euch ernst
gewesen ist. — Der zweite Fittich ist, wie man recht in
29*
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
— 45a —
der Ehe leben soll. — Ihr geistlichen Leute geht izt
heim. — i) Man soll reines Gesinde haben, 2) sich be-
wahren vor unrechtem Gut, 3) des Gemahls getreu-
lich pflegen am Gute, daß der Mann der Frau nicht
die Morgengabe zerführt, sie ihm nicht mit Ueppigkeit
sein Gut verschwendet; an dem Leibe, daß man nur dem
Ehgemahl den Leib gibt. — Es sollten Leute von unglei-
chem Alter Vermögen und Stand einander nicht nehmen,
dadurch würde vielem vorgebeugt—; an der Seele. Diese
Treue gehört zu dem Bette. Ferner soll man Maaß
und Zucht am Bette halten. Zu jenem gehört, daß man
die Frauen meide in fünf Zeiten; an den großen Fasten,
am St. Marcustag, drei Tage vor Pfingsten, wenn sie
im Wochenbette, wenn sie schwanger, wenn sie krank
sind — darin beschämt der Jude den Christen, und Kin-
der, die so empfangen werden, sind häufig Misgeburten
oder tragen sonst etwas davon. Solches begegnet vor-
nehmlich den rohen und unbesonnenen Landleuten —,
und des Nachts vor einen Feiertag. -Hierin sind die
Frauen viel folgsamer, aber sie müssen oft den Männern
sich fügen, damit nicht Schlimmeres entstehe. Die fünfte
Feder ist Zucht an dem Bette. Gegen das Gebot Got-
tes, daß die Frauen sollen unterthanig sein, kämpfen und
streiten sie in Mannes Gewand. Aber auch die Männer
dürfen nicht mit den Frauen thun, was sie wollen. Auch
der Liebe darf man nicht den Zügel lassen; dadurch kann
man leicht in Vcrdammniß kommen. Unwißcnheit deö
Rechten gibt da keine Entschuldigung, sonst würden Ju-
453
den, Heiden, Ketzer, nicht verloren gehen. Solch' unzüch-
tiges Wesen wird am jüngsten Tage Schande vor aller
Welt treffen. Buße und fernerhin Jucht und Maaß hal-
ten überhebt der Hölle, wenn man sich hierin übersehen
hat. Auch des Fegfeuers überhebt das, wenn man nur
aus drei Gründen noch bei dem Gemahl liegt, um ihn
vor Untreue zu bewahren, wenn er es verlangt und um
eines Kindes willen. Ein drittes, das aber Gott nur
gerathen hat, ist, wenn zwei zusammen kommen, um
ihre Keuschheit desto reiner zu bewahren. So gibt cs
nun dreierlei Eheleute, die das Gebotene halten, die auch
den Rath halten — diese sind höher als jene —, die
jenes nicht halten; diese sind in der Hölle. Ein Ehge-
mahl soll den andern halten, wie sich selber. Gott hat
ja das Bein, woraus er Eva machte, bei dem Herzen
genommen, nicht bei dem Haupt oder den Füßen. —
Wie dreierlei Eheleute, so gibt es auch dreierlei Wittwe».
Die ersten sind solche, die ihre Jungfrauschaft recht und
redlich in der Ehe verloren haben. Ihr Lohn ist sechzig-
faltig, der Lohn der Eheleute dreißigfaltig. Sie heißen
nicht umsonst Wittwen, weil ihnen allenthalben weh ist
(in ist alle umb sich wite we). Sie sind in Druck und
Schmach. Darum sollen aber auch die Frauen ihre Eh-
gemahle wohl behandeln, weil sie so viel Ehre von ihnen
haben, dieweil sie leben. Unter diesem Drucke aber von
Kleinen und Großen, die euch schirmen sollten, seid ge-
hultig, ihr Wittwen. Das mindert euer Fegefeuer und
mehrt euren Lohn. Betet Tag und Nacht für euern
© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
454
Ehgemahl, und leistet nach Kräften, was ihm noch oblag
zu thun. Unter den zwölf Almosen für die Verstorbenen,
durch welche das Fegefeuer gemindert wird, sind die
Messen das beste. Aber Seelenmessen für Lebende au-
fteilen, ist ein Frevel. Die aber im Fegfeuer find, rufen
euch jämmerlich darum an; sie sehen auch so jämmerlich
aus, daß ihr nimmer froh werden könntet, wenn ihr sie
sähet. Erlöst ihr sie aber daraus und ihr kommt nach-
her selbst hinein, so bitten sie Gott für euch. Unrechtes
Gut gebt gänzlich zurück. Wollt ihr euch nicht rein hal-
ten, so kehrt lieber zur Ehe zurück. Ihr sollt immer
traurig sein, mäßig, und demüthig am Gewände. Junge
Wittwen lasse man nicht Keuschheit geloben, wenn sie
nicht in ein Kloster gehen. — Ihr dürft euch nicht schei-
den lassen, wenn nur ein Theil in ein Kloster zu den
deutschen Herren gehen will, ob auch der andere damit
einstimnit. Beide sollen in geistlichen Orden gehen, oder
in der Ehe bleiben. Die zweiten Wittwen sind die, die
ihre Juugfrauschaft außer der Ehe verloren, oder in der
Ehe nicht recht gelebt haben, hernach aber büßen rc.
Die ersten haben größeren Lohn. — Die dritten sind die
Trüllerinnen u. dgl., die gehen verloren. — So giebt
es auch dreierlei Jungfrauen. Die Ersten, die imnier rein
geblieben sind und bleiben wollen. Die habe» ein beson-
deres Kränzchen und einen besondern Gesang in; Him-
mel. Die Zweiten sind Kinder, die ohne Müde zum Him-
mel kommen. Die dritten sind die „Eitelmachermneii",
die dadurch Seelen an sich ziehen: die werden verdammt,
essisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. L124
Vier Hände lute führt gut. Text, Ioh. i6, 5. 6
MC ersten, daz sink übel late und fleischliche lüte und
die in totlichcn fünden ligcnt stißecliche und mit willen.
Und die freuwent sich, so got von in vert, und sint dar
umb nit trurig. Die stnt von got geschieden; von den
stille wir nit mer reden. — Die andern heißent redeliche
lüte oder irdenische lüte. Daz sint die lüte, die in der
werkte sint, und sich doch vor fünden Huten und in doch
innerlichen leit ist, wanne sie got erzornent oder verlie-
sent; als man da vindet geschriben, daz dem sunder seit
solle sin sine fünde als einer muter, die ir einiges kint
sehe vor ir toten. Ez went aber manig mensche oder
spricht, da; ez eht gantze rüwe habe, so ez niht drumb
gemeinen mag oder niht grozen iamer gestcllen mag unih
fine fünde. Der aber zu den selben spreche und sie fra-
gete, vbe er alle sine fründe, vater und müter, brdder
und swester, wip und kint wolte sazen töten, den werten
daz er nit wider got hctc getan, und spreche er: ia gern s
und wer ez im dez ernst ■?- und siper daz an im bindet.
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11| H
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456
der hat werlichen grozer leit, banne ein mütcr umb ir
einiges kint. Und sie aber noch uf der erden sink, da; ist
in der werkte, so müßent sie got dicke Verliesen, und val-
lent oste, so sic wenent gesten. Im geschiht, sam den
tüten, die uf der erden gent, wanne ez faste hat gere-
gcnt; und so sie guten willen hant zu stende wol vaste,
so entsliffet in der füz, und vallent, und küment doch
wider uff. — Die dritcn lüte, die heizzent oh irdenischen
tüten oder swcbende lüte. Daz sint geistliche lüte; die
sint zwischen got und dem ertriche. Und von den vcrt
auch unser herre; allein sie nit heubtsünde tün, so tri-
bcnt sie doch got dicke von in und machent einen nebet
und ein vinsterniffe zwischen in und got mit ablezigen
fünden nach der alten gewvnheit, mit Worten und mit
gedanken nach den dingen, und er begangen hat. Do
mit triben sie got von in, da; er sich vor in birgct, allein
sie in uit verliesent. Und swenne die selben lute got do
mit verliesent, so gewinnent sie grozen rüwen, und Wirt
in leider nach got, banne dcz *) ersten den redelichen
tüten. Daz ist von der lindekeit dez geistlichen lebens,
daz sie got baz erkennent, banne die ersten. Und davon
haut sic grozer leit, wanne sie got verliesent, und hant
doch minre schult. — Die virden lute heißent göttlich
lüte oder anhaftende lute. Von den vert got an' ir
schult. — Und die habent die aller grasten leit, sivanne
got von in vcrt und von in kümpt. Daz sint die, die
-) b. „den".
45 7
allein irn tröst von gote nement, und sie nit liplicher
dinge betrüben mag, und got allein anhaftent, als der
prophete spricht: daz ich got alle zit anhafte, da; ist mir
güt. Man vindct die lüte underwilen, die nach unserm
Herren von grozer liebe und von grozer senunge rehte
sterben. Und unser herre vert von in durch bezzerünge,
darumb daz er die nunncnde dy niit gercize, da; ir
minne grozer werde und ir senünge. Daz sind die alle»-
vollekumensten lüte. —
Von dem nütze unsers Herren todes.
erste, daz er uns do mit zu frunde mähte sl'nem
vater. — Der ander, daz er uns von dem gefangniffc
erlöste. — Zwei ding sp rech ent etteliche lüte; daz ist aber
ein rehte kctzerie. Daz ein, daz im die martcl nie we
getcte. Daz ander, daz er ir nie mohte über werden,
er leit sie ungcrne. Und dirre dewedcrs ist war. Da
er bete, da viel er dristünt nider und sprach: vater, mag
ez sin, daz ich der martcl über werde? Do mochte der
mnsche nir anders erlöst werden; do leit er sie mit wil-
len, alsc er selber sprach: ich soll nach getauft werden
in einer ley taüffe. Owe! wie küme ich dez crbite! Da
M'inte er die martcl. Sine marte.l, die waz als groz,
d -z der blütige sweiz von im floz. Er det als ein man,
d r ein süchede hat, daz man in muz brennen oder sni-
d n, und darzu angest hat, und daz doch willcclichen lidct,
dar umb daz er gesunt werde. 2llso darumb liez er
sich williclichen vahen, darumb daz wir erlediget wor-
den. Da sine viendc kamen und in süchtcn, da mohte
er in wol cnpflohen sin. Da ging er gegen in und
sprach: wen süchent ir? Sie sprachen: ihcsuz von »aza-
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reth. Und er sprach: ich bins, Da vieln sie nyder, und
stunden aber wider uf- Da sprach er aber: süchtirmich,
so lat diese ledig gen; reht als ob er spreche: gent ir
uz, ich will mich für uch legen in daz gevangniffe und
wil den tot für uch liden. — Daz drite, daz uns dez
himelriches türe wart uf getan, da sine fite uf wart ge-
tan. Zu iherusalem wart geboten, daz die tor iht wor-
den uf getan, ee daz die sänne heizze schine. Also wart
des himelriches türe uf getan, da uns die wäre sünne
erschein an dem krüce zu mittem tage. — Daz Vierde,
daz unser minne gemeret ist da von daz wir im so füre
sin worden. Als er da spricht: ich Han ein füwer uf
die erden braht. Waz wil ich dez, wanne daz ez brünne?
Er det als der da wil, daz simm nach gebüre sin hus m't
fügen verbrenne. Der zündet daz sin von ersten an, den
Worten daz ers im bester minre verdenke. Avulsus est —
er brach sich rehte von sinen iüngern; so kam er von
in. Liep, in allem liebe! Liebes Lieb! Lebendes liep!
liep lebendes liep! Eya vil süßer minnesamer ihesu! Liebe
dich, liebe! Liebe dich mir an mir! liebe dich mir an dir!
benym dich mir mir! Liebe dich mir an dir! Herre, gib
uns ein leben, daz dir behagende si, williges armüte ein
hertze daz dir wvnliche si, daz kusch und reine st, und
ein ende daz dir lobelich si, daz wir in diner minne er-
sterben ! Süßer ihesu, sende in unser hertze daz lieht di-
ner wisheit, daz wir dich erkennen werlichen, und getrü-
welichen minnen!
-„Wie goi in der sele wonünge hat''
„^^libet in mir, so blibe ich in uch" (Ioh. i5, 4.),
Nu sult ir merken, daz ir nit in got' mbgent bliben, als
er in uns. Wir mögen anders nit bliben in unsern:
Herren, banne in sinen Hulden. Er spricht auch: daz ist
min gebot, daz ir einander minnet, als ich uch geminnet
Han. Daz und ander stn gebot süln wir flißeclichcn hal-
ten; so bliben wir in sinen hülden und in siner Minne
als in im; so blibet er in uns; — wie blibet unser herre
in uns? Als die sünne in dem lüfte, uns in die naht
blibet: als blibet unser herre in uns, untz in die heubt-
sunde vertribet. Cr blibt auch in uns alse die sünne in
dem glase. So die sünne schinet in daz glaz, schone wirt
daz glaz von der sünnen: also schinet unser herre in die
ftle. Und als man der sünnen glast sieht durch daz glaz,
also sieht man an dez menschen werken, daz unsers Herren
gnade in der sele ist. Unser herre blibt auch in uns als
vaz füwer in dem ysen. So daz füwer glüwct in dem
psin, so wirt daz ysin schöne, und wirt als lynde, daz
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man brfij mähet waz man wil. Ez Wirt auch alse linde,
daz man wol ein insigel drin drükte. Ez wirk auch alse
Zehe, daz man ez kume gebrechen mag. Ez wirt auch
alse vorhteclich, daz man ez nit getar angrifen mit bloz-
zer haut. Die fünf ding sint bezeichent an der sele.
Swanne unser herre in sie geflüßct, so wirt sie schone
ane maze und wirt gereint von den fünden. Die sele wirt
als linde, daz man von dem menschen machet, waz dir ge-
horsam wil. Sic wirt auch als linde, daz unser herre zwei
insigcl drin drückt, daz er ir schöpfer ist, daz er sie ge-
schüf nach sinem göttlichen bilde, und daz er ir lbser ist; und
git ir zu erkennen, daz er sie alse ser minnet, daz er sie mit
nihte wolte keufen, banne mit sinem tobe, und daz er wolle
sterben, daz sie lebendig blibe. Die sele wirt auch alse
stark, daz sie der tufel an dekeinre bdkorünge mag über-
winden. Seht, sie wirt auch als gehorsam, daz sie der
tüfel mit niht getar angrifen mit blozer hant, daz ist mit
fleischlicher bcgirde und anevehtünge; da mit getar er sie
nit angrifen. Er bewindet aber die hant und grifet sie
an, daz ist mit geistlichen dingen, daz ist an dem glauben,
an zuversiht und mit andern geistlichen dingen. —
'mL
Di« drei ersten Tagewerke der Schöpfung-
lenser herre schick von einander an dem ersten tage die
vinsternisse und das lieht. Da bi ist bezeichent der glaube.
Swanne ein mensche iht zwifels hat an dem rehten
glauben, so ist im under einander gemischet die vinster-
nisse und daz licht. Da von sprichet sant augustinus:
wir süln geben unserm Herren den gewalt, daz er wol
getün mag die ding, die uns so groz sin zu »ersten un-
serm kranken sinne, also daz er von brot lat sinen heili-
gen lichnamen in brot verwandelt werden, und anders
vil dinges, die zu dem kristen glauben gehörnt. Hie mit
lat unser herre vil oste verschuldet werden uud bekort,
die darnach aller dornahtigest werden an dem glauben
und an der Minne. Swanne in banne unser herre ge-
festent den warn glauben, und sie mülich dünket zu dünde
alle ding, und in auch do von groze bekanntnisse in der
innerkeit gibt vil zu verstende, so hat er von einander
geschieden die vinsternisse und daz lieht. — Dez andern
tageS schiet unser herre daz wazzer, daz ez ein teil uf
dem himel ist, und daz ander hie niden. Etteliche mei-
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sier »vollent, daz ez zu jungest zu samen fülle künien.
Daz bezeichent die hvffenüttge. Die süln wir haben, daz
wir hernach von dirre unstete sin gesament mit den seli-
gen seien, die nü uf dem himel sint von uns gcscheiden.
An dem driten tage liej unser herre die erden ir früht
alle zitig bringen/ die bäum ir obs, die ecker daz rife
körn, als nian ez vinden solte. Daz bezeichent die minne.
Die bringet alle zit die zitigett fruht. Der sie hat, der
bitet eht dehcinre tugende fürbaz. Er tüt zu hant, waz
in die minne leret ur.d heizet. —
,,Wi« got sinen heiligen lont".
v_/ot selber wil uns lonen. Er sol auch selber sin da;
lon. Wanne die sele minnet in selber. Sie ist auch ge-
bildet nach im und sie gert nach im. — Die götheit wirk
dem menschen dort zu lone, und wirt der mensche dar
inne verwandelt, als da; ysin sine swartze varwe verwan-
delt in dem füre, und der sele äugen gesehen in da mit
in allen dingen. Wanne iegliche mensche danne den an-
dern anders niht en sieht, danne in gotte. Als der in
ein glgz güzze win oder met, der sehe durch da; gla;
welher ley varwe e; were. Man mag in nit glühen
glase noch aschen. Nü ist unser liebe ein aschen; danne
wirt sie ein lüter gla;, da da; gold der heiligen gvtheit
durch wirt schinen.
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;
lo- . I
Wie Gott selber mit der Seele redet.
düt er, so er dem menschen git die hohen gnade,
daz er mit deheinen gedanken darzu nibt kumpt, daz"tk
iht betrahke von unsers Herren me» sch eit oder von dehci-
ner geschepfede, da von ez im küme; sunder cz küMet
von der hohen gotheit gahens. Da von spricht sant
Bernhart: da; ist die wäre und die oberste freude, die
man enpheht von dein schepfer, niht von der geschepfede.
So du die reht cnpfehest, so mag sie nieman von dir
genemen. Danne Wirt die sele mit gerünge also entzündet,
da; ir gcschit, als sant petern geschach. Do im unser
herre alse liep waz, do sprach er: wcrdent sie alle in W
geerqert, aber ich wil dir volgen in den tot. Er nam
nieman üz. Und er sprach: also nement sie nieman uz.
Sie dünket, wie ir gerunge grozer si zu gote, danne aller
der engcle und der heiligen sele. Da Wirt ir freude so
groz, daz sie davon niht gesagen künnent. Sant augu-
stinus spricht da von: ,,die sele mag cz nit geswigen;
der münt kan ez niht Vollebringen. Wanne die sele sagt
cz dem libe; der muz ez gewar werden, sie mag ez im
nit vcrhcln. Er ist aber so gefüge niht, daz er die war-
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WM
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heit her für könne gesagen. Da von so habent sie die
freudc under in. Gott güßct die gnade in die sele; die
feie düt ez dem libe künt; der lip enderbct sie der freude
mit allen den sinnen." — Hie von spricht sant Paulus:
Ich weiz einen menschen, der wart vcrzucket in den dri-
ten himel. Der fach da und horte, daz uns niht müge-
lich zu reden ist. Ich enweiz auch ob ez in dem libe
oder uz dem libe si. Daz er spricht: „ich weiz einen
mensche»", darnach: ich enweiz, wie ez geschah; also ist
dem menschen. Dez ersten weiz er wol, so er sin begin-
net, und zu gebete get, daz er gvt süchet und meint
mit der andaht. Darnach enweiz er wie im gcschiht.
Swie hoch die gnade ist, so künimct underwilen der Zwifel
wol dar zu, daz er dar an zwifelt, ob im rehte si; wanne
er eht niht enweiz, waz ez ist. Er spricht, ez ensi niht
mügclich da von zu reden. Wanne sie künnent niht war
da von gesprcchcn, und müz verborgen sin, mag wol
Heizzen verba abscondita, und mag auch wol heißen
manua abscondita. —
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