Anrede an Savigny am 31 Okt 1830
Die Akademie der Wissenschaften hat
mir den Auftrag ertheilt Ew Excellenz
an diesem Tage an d Sie Ihr fünfzig
jähriges Dr jubileum feiern, ihren
Glückwunsche darzubringen; ich danke
diese Ehre vielleicht nur dem Umstand
dass ich als einen Ihren ältesten
Schüler vor Sie treten kann der
nie vergisst was er von Ihnen em
pfangen hat. Die Akademie empfind
det an diesen Tage doppelt lebhaft
das Glück Sie unter ihre Mit
glieder zu zählen, sie weiss was Sie
durch ihre Theilnahme, Ihr Wohlwollen
und Ihre ausgezeichneten Arbeiten
für sie ge[geben] haben Es ist Keiner
unter uns der nicht
emp
fände
wie der Glanz der Ihren Namen umgiebt
auf die Akademie die erste wissen
schaftliche Gesellschaft des Staates
zurück strahlt.
Sie gehören zu denen welche die gebundenen
Flügel Ihrer Wissenschaft lösten und
haben sich des Aufschwungs erfreuen
können den sie seitdem genommen
hat. Sie kennen die Zahl Ihrer Schüler
nicht der Deutschland allein nicht um
fasst. Sie haben gelehrt dass die Gegenwart
nur aus der Vergangenheit könne begrif
fen werden, und geben selbst am besten
Beweis Ihrer Lehre. Sind nicht
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Ihre
Werke
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der Ertrag eines langen der Wis
ssenschaft mit nie ermüdendem Eifer
gewidmeten Lebens. Und doch von Ihren
die Wissenschaft niemals nur kalte
Sammlung der Alterthümer. Sie
haben für Alles was den Geist und
[rechte Kolummne auf dem Blatt:]
das Herz des Menschen bewegt einen
offnen Sinn bewahrt.
Auf den thätig verlebten Tag folgen
Stunden der Ruhe wo man auf
den zurück gelegten Weg blickt und
den Ertrag betrachtet. Aber Sie arbeiten
fast mit jugendlicher Frische, als
wollten Sie den Reichthum den Sie
besitzen erst erwerben, Aber auch in
der Natur ist die Abendröthe so
schön und begeisternd wie die
Morgenröthe, sie bringt die Erfüllung
die jene vergessen hat. Möge diese
Abendröthe lange über Ihnen stehen
erwärmend und erquickend. Das
ist der Wunsch den ich im Namen
der Akademie zusende.
Rede an Savigny
von Jacob Grimm