Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 1.
27. Jahrgang. Erstes Ianuar-Hest 1913.
Das »Hessenland" erscheint zu Anfang und in der Mitte jedes Monats und kostet vierteljährlich 2 Mark,
die einzelne Nummer 35 Pf. Das „Hessenland" kann durch die Post, durch den Buchhandel oder auch direkt
vom Verlag: Buchdruckerei Friedr. Scheel, Kassel, Schloßplatz Nr.4 (Postscheckkonto Nr. 3577 Frankfurt a.M.)
bezogen werden. — Der Preis für die dreigespaltene Nonpareille-Anzeigenzeile auf dem Umschlag beträgt 20 Pfennig.
Inhalt.
Seit«
Woringer, A. Aus der Geschichte des Kasseler
Zolls .... 1
C. K. Von der Wilhelmsburg in Schmalkalden
(mit 2 Abbildungen) ... . 4
Bierwirth. Die Eschweger Flurnamen 5
Endemann. Th. Wintergruß an die Heimat
(Gedicht) . . 7
Der Liebenbach (nach den deutschen Sagen der
Brüder Grimm, mit Zeichnung von Otto
Nbbelohde) . . 8
Becker, Käthe. Der Karl (Erzählung) 9
Hessische Totenschau 1912 . 11
Aus Heimat und Fremde:
Hessischer Geschichtsverein (Marburg). — Fuldaer
Geschichtsverein.— Hochschulnachrichten (Mar-
burg. Gießen, Darmstadt). — Personalchro-
nik. — Vom Programm des Festzuges zur
Tausendjahrfeier Kassels. — Vollendung deS
Trite
10000. Instruments der Firma Otto Fennel
Sohne in Kasiel. — Todesfcille (Fabrikant
Karl Keerl; Regierungsbaumeister a. D.
Georg Kegel). — Volckmar-Ehrung. — Die
hessen-nassauische Arztekammer. — Die land-
wirtschastlichen Winterschulen Kurhessens. —
Vom Landgestkt. — Aus Kassel. — Aus
Niederzwehren. — Aus ber Rhiin. — Vom
Vogelsberg. — Kriegerdenkmàler. — Von
der Schwalm 12
Hessische BLcherschau:
Wilhelm von Humboldts Briefe an eine Freundin.
Hrsgeg. von A.Leitzmann. Bespr. von Hbach. 15
B. Moriton-v. Mellenthin. Bath. Ein Lebens-
bild. 2. Aufl. Bespr. von Là. . 15
— „Kismet." Roman. Bespr. von Là. 16
— Die vom Wendhof. Schauspiel. Bespr. v. Là. 16
Personalien 16
Der Nachdruck sämtlicher Aufsätze, Erzählungen «sw. ist Verbote«; wenn di« Redaktion eine Ausnahme gestattet, sowie
bei Abdruck aus dem übrige« Inhalt ist genaue Ouelleuaugabe stets vedingung.
Redakteur: Paul Heidelbach, Kassel. — Druck und Verlag: Friedr. Scheel, Kassel.
Dresdner Bank Filiale Cassel
(vormals Mauer L Plaut) - Cassel, Cölnische Str. 11
Aktien-Kapital und Reserven der Dresdner Bank
Mark 260,000,000,-
Scheck- und Konto - Korr ent -Verkehr
An- und Verkauf von Wertpapieren, fremden Geldsorten,
Schecks und Wechseln aufs In- und Ausland
Ausstellung von Kreditbriefen — Einlösung von Coupons und Dividenden-
scheinen sowie ausgelosten Wertpapieren —Übernahme von Wertpapieren
in sichere Aufbewahrung und Verwaltung, sowie Verlosungskontrolle
derselben und Versicherung gegen Kursverluste durch Auslosung
Übernahme von Testamentsvollstreckungen, Einrichtungen für Nachlaß- und Vermflgensver-
waltunfl — Vermietung von Schrankfächern in unserer teuer- u. diebessicheren Stahlkammer
Annahme von verzinslichen Depositengeldern
Soeben erschien:
Mein Kochbuch
Von Frau Clara Kugel, Kassel.
Eine Sammlung erprobter Kochrezepte einer alten er-
fahrenen Hausfrau für den fein bürgerlichen Haushalt
mit besonderer Berücksichtigung von Resterspeisen, seinen
Vorspeisen und Krankenspeisen.
Preis Mark 3.50 fein gebunden.
Kommissionsverlag von Friede. Scheel, Kassel.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
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für sämtliche Jahrgänge des -Hessenland- in öanzleinen,
grön oder braun, liefert zum Preise von 1 Mark 20 Pf.
der Verlag des «yessenland»
Gesammelte Vorträge und
Aufsähe des Sanitätsrats
vr. Karl'Schwarzkopf.
Preis Mark 2.50. geb. 3LS
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Buchhandlungen.
Von heimischer'Scholle
Gedichte von
Helene Drehm.
Preis: fein gebunden M. 2.—.
Heffenland
Hessisches Heimalsblall
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde,
Literatur und Kunst.
Begründet von 5- Zwenger.
Siebenundzwanzigsler Jahrgang.
Redigiert
Paul Heidelbach.
Kassel 1913.
Druck und Verlag von Friede. Scheel.
Inhaltsverzeichnis des Jahrgangs 1913.
Geschichtliche Aufsätze.
Alsberg, vr. Adolf. Die Gründung und Jugend-
zeit des Kasseler Ärztevereins 343.
Berger, vr. H. Aus der Zeit der Befreiungs-
kriege. Das russisch-preußische Militär-
lazarett in Gießen 1813/14
— Kriegslasten der Stadt Gießen im Jahre
1813 119.
Bierwirth. Die Eschweger Flurnamen
Butte, vr. H. Hersfeld und die Landgrafschaft
Hessen im 14. und 15. Jahrhundert 168,181,
Das westfälische (8.) Armeekorps in Rußland 1812
(Vortrag des Generalleutnants Beß Exz.)
Die Eroberung Kassels durch die Russen am
30. September 1813
Die Preußen-Feiern in Hessen
Feldmarschall Fürst Wrede und die Schlacht bei
Hanau (Vortrag von vr. Hopf)
Fuckel, vr. A. Dir Berufung des Philosophen
Wolfs nach Hesten . . . 309,
v. Geyso. Die ältesten Nachrichten über die Er-
richtung der Stammtruppe des Füfilier-
Regiments v. Gersdorff (Kurhess.) Nr. 80 im
Jahre 1681
HaS. Der Vaterländische Frauenverein
— Wertvolle hessische Autographen
— Westfälische Erinnerungen (mit 3 Abbild.)
Heidelbach. Paul. Zu Kassels Tausendjahrfeier
H. Von der Erhebung Kurhessens
Hopf, vr. W. Kassel und die militärische Krànken-
fürsorge in westfälischer Zeit (Vortrag)
— Zur Bolksstimmung bei der Verleihung der
Kurwürde
79. Jahresversammlung des Hessischen Geschichts-
vereins
Knetfch. vr. Carl. Wilde Triebe am Stamm-
baume der hessischen Landgrafen. III. Diete-
rich von Hessen und Heinrich von Battenberg
Losch, vr. Philipp. Die Schnurrbartdebatte der
hessischen Ständekammer
Pippart, Wilhelm. Der Überfall von Wanfried
am 18. April 1813
Rede des v. theol. Ernst bei dem Ausmarsch der
in Kaste! gelegenen kurhest. Truppen
Schrlenz. Hermann. Luxus. Modetorheit und
Ausländerei in alter Zeit
Schrod, vr. F. Die Entwicklungsgeschichte von
Hessen
Schuster. Wilhelm. Eine hessische „religiöse Dank-
rede"
— Stegmanns Disputation mit den Bene-
diktinern
Seite
Über Namengebung in deutschen Fürstenhäusern
mit besonderer Berücksichtigung des hessischen
Fürstenhauses (Vortrag von Geh. RegierungS-
rat Prof. vr. Schröder) 49
W. K. Katharina von Westfalen 19
Weinmeistrr, Paul. Hessische Münzen im Jahre
1813 92
Wenzel. Ernst. Schloß Retterode und die Herren
von Mehsenbug (mit einer Zeichnung) 89
— Die Reste des Zwehrentors und der Baum-
gartenpforte (mit Zeichnung) 292
— Hessische Folterbänke. Richtschwerter und
Richtstühle. Mit einer Zeichnung 328
— Familienerinnerungen aus der Zeit vor
100 Jahren 397
Woringer. A. Aus der Geschichte des Kasseler
Zolls 1. 20. 35. 54. 69. 101. 116. 135, 149
— Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Italiener, Spanier 40
Schweizer. Deutschböhmen 60
Balten. Engländer 230
Holländer 250
Dänen, Skandinavier. Ungarn . 358
— Ein fliehendes Staatsarchiv in Kassel 296
Aus Volks- und Heimatkunde.
C. K. Von der Wilhelmsburg in Schmalkalden
(mit 2 Abbildungen) . 4
Dalwigk. Freiherr von. Ist die Burg Fürsten-
stein wirklich gefunden? 56
Die Propheten von Altenburschla 233
E. K. Alte Straßen im Fürstentum Fulda 396
Fink, vr. Georg. Ihr Burgen im Lande zu
Hessen 133, 156
Franz. Heinrich. Das Vorleben der Seele 389
Gerland. Otto. Ein kleiner Beitrag zum älteren
Kasseler Humor . 123
— Kleine Kasseler Erinnerungen an die Leip-
ziger Schlacht 328
Gothein. Marie Luise. Herrenhausen und Wil-
helmshöhe 377
Happel. E. Burg Fürstenstein im Kreise Wolf-
hagen (mit zwei Zeichnungen) 17
8. Die Walderholungsstätte Kragenhof (mit 3
Abbildungen) 188
Heidelbach, Paul. Das neue hessische Landes-
musrum in Kaste! (mit Abbildung) .. 271
— Die KastelerNapoleonsstatue (mitAbbildung) 294
— Aus Kassels Festtagen 311
Hessische Dialektforschung und das geplante Hessen-
Naffauische Wörterbuch (Vortrag von Prof.
Vr. Wrede) 57
Seite
362
65
142
5
217
36
345
99
380
325
211
87
103
313
260
82
285
373
243
67
299
90
86
183
131
93
396
îMtL, IV imnL
Seite
Jllgner, P. Alte Denk- und Grenzsteine im
Kreise Hünfeld und Umgegend 115, 137, 152
Im Kastell und Zeughaus . . .331
Nachrichten zu Kassels Tausendjahrfeier 302
Pieper, Wilhelm. Schutz unseren Bäumen . 393
Pippart, Wilhelm. Unser Vogelschießen. Wan-
frieder Plauderei. . 253
R. Sch. Ein hessischer Edelfitz . . . 147
Schmidt. Franz X. »Dürre Hunde' . 158
Schoos, vr. Wilhelm. Kanzleistil und Flurnamen-
forschung ... 33. 52
— Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde.
I. Hermannspiegel, Harmutsachsen. Meck-
lar ... 185, 201
II. Kuhleicht, Leuchtberg, Lischeid. Leih-
gestern . 375. 394
Schuster, Wilhelm. Einschürfungen an Schaum-
burger Kirchen. . 71
Spangrnberg. R. Kassels Jahrtausendfeier. 155
Stuhl, Professor vr. K. Der urdeutsche Name
des Taunus . . .341, 360
Wenzel, E. Die abgebrannte Kirche zu Birstein
(mit einer Zeichnung) . 24
— Funde beim Neubau der Kirche zu Nieder-
zwehren (mit Zeichnung) 172
Zum 150jährigen Bestehen der Hersfelder Zeitung
(mit 3 Abbildungen) . . 121
225jährigeS Privileg-Jubiläum der Sonnen-
apotheke zu Kassel (mit Abbildung) 59
Aus Literatur und Kunst.
Adam Traberts „Historisch-literarische Erinne-
rungen' . . 165
Aus dem „Bamprliana' von Hermann Bezzen-
berger t ... 208
Blumenthal, H. Vom Kasseler Hoftheater 28. 74. 105
— Festspiele . . 316
— Kasseler Theater . . 364
Fenner. I. Urteil eines Hessen über China 72
8. Deutsche Kunstausstellung Kafiel 1913 180
Kleim, Otto. Hessische Charakterlandschaften 124
Kühn. I. Zwei Kasseler Gelegenheitsgedichte aus
der Wertherzeit 22
Wieber. vr. Walter. Sylvester Jordans „Po-
litische Erinnerungen' 166
Zöllner. Ernst. Nach dem Naturalismus. Zur
Ausstellung Walter SchliePhackeS im Kasseler
Kunstverein 140
— Die hessischen Künstler auf der Deutschen
Kunstausstellung Kafiel 1913 . 203, 219. 232
— DaS neue Deckengemälde im Rathaus von
Professor H. Knackfuß (mit 2 Abbildungen) 291
Biographisches.
Bock. Alfred. Ein Besuch bei LouiS Spohr 283
Friedrich Wilhelm Fürst zu Isenburg u. Büdingen.
Ungrdruckte Briefe des Grafen Nicolaus
Ludwig von Zinzendorf u. des Grafen Ferdi-
nand Maximilian II. zu Isenburg wegen
der Erbpachtung der Ronneburg 195, 215,
228. 247
Geister. M. Wilhelm von GeiSler 94
Kafiels neuer Oberbürgermeister (mit Bildnis) 357
Knetsch. vr. Karl. Bismarck, ein Nachkomme
Philipps des Großmütigen 274
Seite
Kühn, Joachim. Ungedruckte Briese Johann,«
von Müllers an den Grafen Brugnot 276
Losch, vr. Philipp. Zum Stammbaum der
StrubbergS . 168
— Hermann Bezzenbrrger . 248
Ungedruckte Briefe Ernst Kochs an Karl Allmüller 262
Erzählungen, Novellen, Skizzen.
Becker, Käthe. Der Karl (Erzählung) 11. 24
Bertrlmann, Heinrich. Schumann oder der Sol-
datenaufstand zu Eschwege. 1. Aufzug. 2. Bild
88, 107
— Theater mundi (Erzählung) 235
— Wie das Christkind kam (Erzählung) 382. 398
Der Liebenbach (nach den deutschen Sagen der
Brüder Grimm . 8
Franz. Heinrich. Der Schorgehof und sein Unter-
gang. (Eine Geschichte aus dem kurfürstlichen
Oberhessen) 43. 61, 76
Eubalke. Lotte. Wie Karl Aberding die Heimat
fand (Novelle) 171, 189, 206. 221
Herbert. M. Vater ist da! (Skizze) 125
Hertel, Elfe. Der Main (Reiseskizze) 173
Mumm, W. Ein Traum (Skizze) 144
Pippart. Wilhelm. Brandbilder (Skizze aus dem
Werratal) . 367
Rommel. Theodore von. „Zum Rosenfest.' Ein
kleines Zwischenspiel aus großer Zeit . 349
Gedichte.
Berlepsch, Karl Frhr. von. Luther auf der Wart-
burg. (Nach einer Sage.) 154,
Bertelmann, Heinrich. Am Löwendenkmal in der
Aue
— Am Hessendenkmal auf dem Forst
— Am Marmorbad
— Chafialla
— Widmung
— Osanna
— Der 15. September 1831
— Am Denkmal Schomburgs
— Erinnerungsbild
— Wilhelmstal
Bock, Alfred. Einer Freundin — Auf einen
Grabstein (Sprüche)
Brehm. Helene. D'r Miller (Abteröder Mundart)
Buchmann. Gottfried. Erntezeit
— Frühes Grab
Endemann. Th. Wintergruß an die Heimat
Engelhard, K. Ich hebe die Hände ins Licht
Gonnermann, Ella. Der Franzosenbaum
Grotefend, Emmy Luise. „Und da« soll Sterben
sein '
Gutberlet. Heinrich. Laß mir mein« Träume
— FriedrnSsehnsucht
— Mädchenklage
— Dragoner
Hahn. Alfred. Weihnachtssegen
Herbert. M. Der Drache Lindwurm
— Haß und Liebe
— Heil dir!
Hertel, Else. Die Zeit
Maier. Grete. Mein Dorf
Müller. Gustav Adolf. Der Pflug
— Überall
— Der Tausendjährigen
— Die Liebe hob ihn in ein Wunderland
170
81
81
81
179
259
262
262
262
306
398
127
366
224
382
7
143
331
349
68
74
74
74
389
27
27
27
59
168
123
235
259
400
*WL, V tmn,
Nebel v. Türkheim. Sophie. Frühes Leid
Pippart, W. Am Tore der Heimat .
Schwalm, Marie. An ein Grabmal auf dem
alten Friedhof zu Wanfried
Bilder.
Ansichten der Wilhelmsburg bei Schmalkalden 4.
Der Liebenbach. Zeichnung von Otto Ubbelohde
Burg Fürstenstein (Zeichnungen)
Kirche zu Birstein (Zeichnung)
Schloß Retterode (Zeichnung)
Der Rattenfänger von Ham'ln, Zeichnung von
Otto Ubbelohde
Die alte Sonnenapotheke in Kassel
Ansicht aus Escheberg .
Hessendenkmal in der KarlSau
Denkstein bei der Hesteneiche auf dem Forst
Grabmal des Jagdjunkers Chr. v. Efchwege.
Grabmal Friedrich von Baumbachs
Verkleinerte Wiedergabe einer Seile aus Spohrs
Oratorium »Des Heilands letzte Stunden"
Hesfeudenkmal in Efchwege
Seite de« HerSfelder Intelligenz- und Zeitungs-
blatls auS dem Jahre 1768
Truckereigebände der HerSfelder Zeitung
Druckerzeichen von I. Chr. Mohr in Hersfeld
Sonntag im Odenwald. Nach einem Ölbild von
Heinz Heim
5 Ansichten aus Frankenberg 160
Ein einsamer Gast. Nach einem Ölbild von
Heinz Heim
Kuppelraum im Orangerieschloß zu Kassel
Bilder aus der Walderholungsstätte Kragenhof
188.
Die Prima des Kasseler Friedrichsgymnasiums
1876
Die Ronneburg
Pforr, Heinrich. Meine Eltern (nach Gemälde)
Bantzer. C. Hessische Bauernbraut (nach Gemälde)
Ubbelohde. Otto. Melibocus (nach Gemälde)
Beilage:
Friedr. Fennel, Hesienland (nach dem Gemälde
in der Deutschen Kunstausstellung).
HanS Meher-Kaffel. Segelschiffe in Chioggia
(nach der farbigen Zeichnung in der Deutschen
Kunstausstellung) .
Rittergut Freudenthal b.Witzrnhausen a.d. Werra
Homberg an der Efze
Gasthaus »Zur Krone" in Homberg
Das Denkmal des Artillerie-Regiments Nr. 11
bei Elfaßhaufen unweit Wörth
Ehrenhalle im Hessischen LandeSmuseum
Das Hessische LandeSmuseum zu Kastei
Wandteppich von A. von den Beiden
LouiS SpohrS Wohnhaus in Kastei
Der Mufikfaal im Haufe Loui» Spohrs
Knackfuß. H. Deckengemälde im Rathaus zu
Kostet . 29t.
Der ehemalige Zwehrenberg in Kaffel (Zeichnung)
Die Kasseler Napoleonsstatue
Drei Karikaturen von Otto Ewald
Tausendjahrfeier-Medaille von H. Dürrich .
Gruppe aus dem kulturhistorischen Festzug zur
Kasseler Jahrtausendfeier
Westfälische Erinnerungen 314,
Hessische Folterwerkzeuge (Zeichnung)
Grimm-Ausstellung der Landesbibliothek in Kassel
Seite
Grimm-Gräber aus dem Matthäi - Kirchhof zu
Berlin . . 333
Brand de8 Neuhofs am Lamboywald in der Nacht
des 30. Oktober 346
Schlacht an der Kinzigbrücke 347
Tafel zur Erinnerung an den Überfall von
Wanfried am 18. April 1813 . . . 371
Wilhelmshöhe. Der englische Park mit Bekrö-
nung durch das Oktogon. Teufelsbrücke.
Nach einem Stich von F. Schröder 379
Beilage:
Burg Runkel. Zeichnung von Hans Meyerkastel (393)
Der ewige Jude. Zeichnung von O. Ubbelohde 403
Bildnisse:
Dortchen Grimm, geb. Wild (nach der Zeichnung
von Ludwig Grimm) . 55
Kammerherr Karl Otto v. d. Malsburg . 73
Henriette von der Malsburg 77
Christian von Efchwege. »Ritter des Eisernen
Helms" 83
D. theol. Christoph Friedr. W. Ernst 86
Major von Hellwig . 91
KriegSrat Merck in Darmstadt (Silhouette) 103
Kommissionsrat Wilhelm Braun, Marburg t 305
Fürst Blücher von Wahlstatt 321
vr. Karl Mangold . 344
Oberbürgermeister Erich Koch 357
Julius W. Braun. Porträtbüste von Heinrich
Mißfeldt 368
Fürst Karl von Wrede 381
Aus aller und neuer Zeit.
Marburger Studenten als Freiheitskämpfer. —
Richtigstellung 110
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein (Marburg). — Fuldaer
Geschichtsverein.— Hochschulnachrichten (Mar-
burg, Gießen. Darmstadt). — Personalchro-
nik. — Vom Programm des Festzuge« zur
Tausendjahrfeier Kassels. — Vollendung des
10000, Instrument« der Firma Otto Fennel
Söhne in Kassel- — Todesfälle (Fabrikant
Karl Keerl; RegierungSbaumrister a. D.
Georg Kegel). — Volckmar-Ehrung. — Die
hessen-nassauifche Ärztekammer. — Die land-
wirtschaftlichen Winterschulen KurhessenS. —
Vom Landgestüt. — Aus Kassel. — Aus
Niederzwehren. — AuS der Rhön. — Vom
VogelSberg. — Kriegerdenkmäler. — Von
der Schwalm 12
Hessischer GeschichtSvrrein (Marburg). — Mar-
burger Hochfchulnachrichten.— Vom Landes-
musrum.—Todesfälle (Oberst v. Blumenstein,
Prof. vr.Aly). — AuS Kaffel. — AuS Hanau.
—AuS Salmünster.—Au« Biedenkopf.— Au«
dem Knüllgebirge. — Die Schulden der Pro-
vinz Hessen-Naffau. — Brandzerstörungen.
— Ein Preislied auf den hessischen Bauern-
stand. — Bildschmuck in den Eisenbahnwagen 29
Hessischer GefchichtSverein (Marburg — Kassel). —
Marburger Hochfchulnachrichten. — Vortrag
von Prof. vr. Wrede. — Personalchronik. —
Todesfälle (Schuldirektor W Braun; Wirkl.
Geh. Oberjustizrat L. v. Hassel; Gymnafial-
Seite
42
110
85
5
8
18
24
40
42
59
69
84
85
96
97
(
104
109
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I
193
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i 239
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251
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265
273
275
284
284
i
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) 293
295
298
303
t
312
, 315
329
[ 332
9*HL> VI S«SL>
Seite
direktor a. D. vr. A. Wiskemann; Justizrat
W. Dörffler; Oberregisseur a. D. A. Steude).
— Geschenk für das neue Landesmufeum. —
Verkauf von Innungs-Altertümern. — Aus
Kassel. — Der Obstbau im Regierungsbezirk
Kassel 44
Hessischer Geschichtsverein (Kassel) 63
Hessischer Geschichtsverein (Kassel). — Fuldaer
Geschichtsverein. — Marburger Hochschul-
nachrichten. — Personalchronik. — Erhal-
tung des Fuldarondels. — Die Kasseler
Kunstausstellung. — Ehrung des mathe-
matisch-mechanischen JnstituS F. W. Breit-
haupt & Sohn in Kassel. — Aus Alsfeld.
— Aus Hanau. — Naturdenkmalspflege. —
Die Schreibung „Bonifatius" — Die Hand-
schriften des Klosters Weingarten 78
Hessischer Geschichtsverein (Kassel). — Hundert-
jahrfeier. — Festspiele zur Hundertjahrfeier.
— Aus Allendorf. — Aus Hanau. — Aus
Dörnberg. — Ein Kasseler Brief 95
Hessischer Geschichtsverein. — Hochschulnachrichten
(Marburg—Gießen). — Personalchronik. —
Todesfälle (Pfarrer Karl Wilhelm Jatho,
John Fritz). - Aus Hanau 111
Hessischer Geschichtsverein (Eschwege). — Mar-
burger Hochschulnachrichten. — Personal-
chronik. — Grabdenkmal. — Gipsabgüsse
im Museum Fridericianum. — Verband für
Altertumsforschung. — Aus Schmalkalden.
— Geschenk des Königs von Dänemark für
Schmalkalden. — Aus Friedberg. — Aus
Hanau. — Aus Homburg v. d. H. — Wert
des Fuldaer Porzellans. — Aus der Rhön.
— Anderweitige Abgrenzung der Bergreviere.
— Die Juden in Kurhessen. — Die Ni-
belungenhalle am Rhein 127
Hochschulnachrichten. — Personalchronik. — Hes-
sischer Städtetag. — Aus Kassel. — Festzug
zur Tausendjahrfeier Kassels. — Aus Hanau.
— Dingelstedt-Erinnerungen. — Die Vor-
fahren von John Fritz. — Mehr Schutz den
Naturdenkmälern 144
Marburger Hochschulnachrichten. — Personal-
chronik. — Allgemeine deutsche Kunstaus-
stellung in Kassel. — Todesfälle (ehemaliger
kurfürstl. Hoflakai Georg Gerhardt; Frl.
Marie Ganslandt^. — Aus Hersfeld. —
Familiengeschichte. — Aus Neustadt. —
Literarisches 159
Hessischer Geschichtsverein (Eschwege—Marburg).
Marburger Hochschulüachrichten.—Personal-
chronik. — Todesfälle (Oberbürgermeister
Gustav Schneider; Fabrikant E. A. Döhle;
Kunstmaler Artur Ahnert). — Eine Neu-
erwerbung der Kasseler Gemäldegalerie. —
Der Festzug zur Tausendjahrfeier. — Aus
Kassel. — Aus Frankenberg. — 23. hessischer
Städtetag. — Werbeliteratur über Kassel 175
Das Regierungsjubiläum des deutschen Kaisers.
— Hessischer Geschichtsverein (Kassel). —
Marburger Hochschulnachrichten.— Personal-
chronik. — Todesfälle (Schriftsteller Hermann
Bezzenberger, Realgymnafialdirektor Prof,
vr. Karl Schirmer. Wilhelm Schimmelpfeng).
— Kassels Hochzeitsgeschenk an die Kaiser-
tochter. — Kassels Festspiel zur Tausend-
jahrfeier. — Aus Kastei. — Schnell aus
Seite
Kaffel. — Vom Meißner. — Aus Salz-
schlirf. — Ein tausendjähriges hessisches Dorf.
— Zur Emanuel Geibel-Forschung. — Lite-
rarisches . 191
Hessischer Geschichtsverein — Personalchronik. —
Todesfälle (Oberst a. D. Ernst von /kiecke-
busch. Lehrer Johann Peter Grebe). — Groß-
herzog Ernst Ludwig im Berliner Hessen-
verein. — Die Jahrhundertfeier de« Hefsen-
Homburg-Husarenregiments. — Denkmünze
zur Erinnerung an das 100 jährige Bestehen
früherer kurfürstlich hessischer Truppenteile.
— Ein Kurheffe der Schöpfer des Postscheck-
verkehrs. — Aus Kaffel. — Aus Fulda.
— Eingänge 208
Historische Kommission für Hessen und Waldeck. —
Hessischer Geschichtsverein. — Ehrungen. —
Aus Marburg. — Aus Alsfeld 224
Hessischer Geschichtsverein (Marburg—Kassel). —
Marburger Hochschulnachrichten. — Ritter-
gut Freudenthal bei Witzenhaufen a. d. Werra.
— Todesfälle (Oberstaatsanwalt Hermann
v. Ditsurth; Landgerichtsrat a. D. Wilhelm
Gleim; Frau Dorette Zwirnemann; Ober-
lehrerin Helene Müller). — 1. Kurh. Jnfan-
terie-Rgt, Nr. 81. — Inventarisator der
Bau- und Kunstdenkmäler. — Aus Fulda.
— Aus Fritzlar. — Aus Schmalkalden. —
Erfolg einer Kasseler Autorin 237
Hessischer Geschichtsverein (Marburg). — Mar-
burger Hochschulnachrichten. — Regiments-
jubiläen. — Kasseler Dichterbuch. — Noch
lebende Verwandte des »Jägers aus Kur-
pfalz" — Aus Marburg. — Aus Fulda 255
90. Geburtstag. — Todesfälle (Fabrikant Beruh.
Schuchardt; Landgerichtsdirektor Wilhelm
Schroeder; Sanitätsrat vr. Heilbrun; Geh.
Justizrat K. Hellwig; Justizrat R. Gegen-
baur; Kommisfionsrat Wilhelm Braun;
Rentier K. Rudolph) 303
Hessischer Geschichtsverein (Kassel. Hersfeld); -
Marburger Hochschulnachrichten. — I50jäh-
rigeS Bestehen der Engelhardtfchen Blaudruck-
fabrik. — Ausstellungen der Kasseler Biblio-
theken. — Die Einweihung der neuen Räume
der Landesbibliothek. — Deutsche Jubiläums-
Kunstausstellung Kassel 1913.— Personal-
chronik. — Todesfall (Gymnasiallehrer i. P.
vr.KarlOßwald). — Vermächtnis. — Jacob
Grimm. — Erinnerungsdaten.—Aus Hanau 317
Marburger Hochschulnachrichten. — Aus Kastei.
— Die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht
bei Leipzig — Auszeichnungen. — Personal-
chronik. — Todesfall (Stadtrat N. Slippich).
Der 100. Geburtstag G. Büchners.—Trachten-
sammlung. — Freideutscher Jugrndtag auf
dem Meißner. — Die Landkrankenhäufer in
Kurheffen. — Fischzucht in Kurheffen. — Der
Obstbau im Reg.-Bez. Kaffel. — Meteoro-
logisches aus dem Bezirk Kassel. — Aus
Marburg. — Aus Werleshausen. — Aus
Schlüchtern. — Ein verlassenes Dorf. — Wem
gehört der Altkönig? — Aus Frankfurt a. M.
— Literarisches. — Schutz der Landschaft 334
Hessischer Geschichtsverein. — Marburger Hoch-
schulnachrichten. — Personalnachrichten. —
Der neue Bezirkskonservator. — Die Aus-
grabungen am Fuldaer Domplatz. — Ein
SUHL VII SML.
preußisches Hauptgestüt im Kreise Eschwege.
— AuS dem Werratal. — Aus Melsungen. —
AuS Felsberg. — AuS Biedenkopf. — AuS
Schmalkalden. — Vom Hangarstein. —
Nachahmenswerter Schutz der Dorfblumen
Gedenktag. — Hessischer Geschichtsverein (Mar-
burg. Kassel). — Marburger Hochschulnach-
richten. — Aus Wanfried .
Hessischer Geschichtsverein (Kassel. Marburg, Esch-
wege). — Marburg» Hochschulnachrichten. —
Alte Strafwerkzeuge. Von Otto Gerland.
Personalchronik. - Der Landesausschuß.
- vr. Kaiser (Nachruf). — Eine noch nicht
beschriebene Hessen -schauenburgische Kupfer-
marke. — AuS Kassel. — AuS Fulda. —
Aus Eschwege. — Aus Friedberg. — AuS
Biedenkopf. — Vom Vogrlsberg. — AuS
Schmalkalden
Fuldaer Geschichtsverein. — Hessischer Geschichts-
verein (Hünfeld). — Photographischer Wett-
bewerb. — AuS Kassel
Hessische Dücherschau.
Alldeutsche Post. 22 Kostümbilder von Onnich
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Berlepsch. Karl Frhr. v. Trinken will ich Dein
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Hessen-Kunst 1914. HrSgeg. v. Chr. Rauch. Zeich-
nungen v. Otto Ubbelohde. Bespr. v. H'bach 405
Hessische Biographien, herausg. von H. Haupt.
Bd. I. Lief. 1. Bespr. von vr. A. RoeSchen 338
Hessischer Volkskalender 1914. Bespr. v. H'bach 405
Hessischer Kunstkalender 1914 von H. Meyerkassel 401
Hehler, Carl. Entstehung und Bedeutung hessischer
Sagen. Bespr. von Prof. H. Franz . 225
— Die Residenzstadt Kassel in ihrer geschicht-
lichen Entwickelung. Bespr. von Hbach. . 307
— Sagenkranz aus Hessen-Nasiau. 3. Auflage.
Bespr. von H'bach . 404
Hopf. Wilhelm. August Vilmar. Ein Lebens-
und Zeitbild. Bespr. von Ph. L. 241
Hormel. Frida. Kinderreime. Bespr. von H. B. 387
Wilhelm von Humboldts Briefe an eine Freundin.
Hrsgeg. von A. Leitzmann. Bespr. von Hbach. 15
Jubiläumsliteratur (Postkarten Festhefte und
Festnummern der Kasseler Zeitungen zur
Tausendjahrfeier) 337
Jürgens. Elisabeth. Leben und Werden (Gedichte).
Bespr. von vr. E. Franz 46
Kasieler Dichterbuch. HrSgeg. von K. W. Nolte.
Bespr. von H'bach 402
Kimpel, Th., u. Kreitz. W. Das Casseler Volks-
schulwesen in Vergangenheit und Gegenwart.
Bespr. von Hbach. 322
Kurhessische Regimenter (Postkarten re ihr) . 226
Leonhard, K. C. Geschichtliche Darstellung der
Schlacht bei Hanau am 30. Oktober 1813.
3. Auflage. Bespr. von W. . 355
v. Loßberg. Offizier-Stammliste des Füsilier-
Regiments von Gersdorff (Kurh.) Nr. 80.
1813—1913. Bespr. von Wor. 226
Moriton - v. Mellenthin, B. Bath. Ein Lebens-
bild. 2. Aust. Bespr. von Ed. . 15
— „Kismet." Roman. Bespr. von Ed. 16
— Die vom Wendhof. Schauspiel. Bespr. v. Ed. 16
— Das Weib, das man nicht hat. Schauspiel.
Bespr. von K. Engelhard 356
Müsebeck, Ernst. Gold gab ich für Eisen. Bespr.
von Hbach. 98
Musikalisches. 3l, 328
Napoleons Briefe. Hrsgeg. von Fr. Schulze.
Bespr. von Hbach. 388
Numismatischer . 31
Ritser, Th. Die Lehrer der Augustinerschule zu
Friedberg 1850—1912. Bespr. von Dreher 31
Ruprecht. Gustav. Da8 Kleid der deutschen
Sprache. Bespr. von Heilmann . . . 241
Schultze, vr. Johannes. Klöster, Stifter und Ho-
spitäler der Stadt Kassel und Kloster Weißen-
stein. Regesten u. Urkunden. Bespr. v. Hbach. 322
„Schurri!" Marsch von Johann Lewalter. Bespr.
von M. H. ... .... 323
Schwalm, I. H. Jonker Hoose. Bespr. von
vr. Wilhelm Schoof . . .402
Seite
353
368
384
401
130
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404
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404
405
405
161
64
387
241
tz-WL VIII Wi
Seite
Stein, Erwin. Monographien deutscher Städte.
Band IV: Gaffel. Befpr. von Hbach. 323
Tagebuch eines Ordonnanzoffiziers von 1812 bis
1813 und über feine späteren Staatsdienste
bis 1848. Befpr. von Hbach. 98
Traudt. V. Ein LirbrStraum. Erzählung 129
— Das Geheimnis des Grenadiers. Roman.
Befpr. von B. 130
Weichelt. Johanna. Gedichte. Befpr. von H'bach 404
Hessische Totenschau 1912.
Seite 11.
Seite
Personalien.
Seite 16. 82. 48. «4. 80. 98. 114. 130. 14«. 162.
178. 194. 210. 286. 242. 258. 30?. 324. 338. 356
372. 388. 406.
Sprechsaal.
Seite 48. 64. 80. 114. 130. 178, 258. 339.
Sragekasten.
Seite 242. 258. 307. 340. 372. 388. 406.
Drieskasien.
Seite 82. 80. 98. 194. 210. 226. 356.
Heffenlanö
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
9tr. I. 27. Jahrgang. Erstes Januar-Heft 1S13.
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
Zu denjenigen Gebieten unserer hessischen Ge-
schichte, auf denen kaum Vorarbeiten gemacht sind,
viel weniger eine umfassende Darstellung vor-
handen ist, gehört die für die Beurteilung des wirt-
schaftlichen Lebens des Landes so hochwichtige
Geschichte der Abgaben aller Art und vor allem
der Zölle, die ja nicht nur in der Neuzeit eine
so bedeutende Rolle im politischen und wirtschaft-
lichen Leben des deutschen Volkes spielen, sondern
auch schon im Mittelalter in mannigfacher Be-
ziehung von Einfluß auf die Geschichte des Landes
und der einzelnen Orte, wie überall in Deutsch-
land. so auch hier in unserm Hessenlande waren.
Auch der Zoll zu Kassel, einer der wichtigsten des
Landes zu Hessen, hat noch keinen Geschichtsschreiber
gesunden, und es ist mangels der archivalischen
Vorarbeiten zur Zeit noch kaum möglich, eine
völlige Übersicht über seine Entstehung und seine
Entwickelung im Laufe der Jahrhunderte zu geben.
Ich kann dem Leser deshalb auch nur einzelne
Bilder aus der Geschichte des Zolls zu Kassel bieten
und muß um Nachsicht bitten, wenn auch diese in
manchen Punkten unvollständig erscheinen.
Die älteste Nachricht, die wir von einem Zoll
im Kasseler Tale, wenn auch nicht in Kassel selbst
haben, stammt aus dem Jahre 1019. Damals
wurde der Zoll noch wie zur Zeit der Karolinger
als ein Regal des Kaisers betrachtet, und nur
dieser war berechtigt, auf sein Recht der Zoll-
erhebung zu gunsten einzelner Reichsstände oder
selbst Privater zu verzichten. Nun hatte Kuni-
gunde, die Gemahlin Kaiser Heinrichs II., eine
-geborene Gräfin von Luxemburg, eine besondere
Vorliebe für den malerisch in engem Waldtale
gelegenen kaiserlichen Gutshof Kaufungen gefaßt,
den sie wohl auf einer der Reisen ihres Gatten
kennen gelernt hatte. Sie war bekanntlich eine
sehr fromme Dame und gründete deshalb an ihrem
Lieblingsorte, dem Hofe Kaufungen, in den ersten
Jahren des 11. Jahrhunderts ein Nonnenkloster,
dem sie sehr gewogen blieb und in das sie nach
dem Tode Heinrichs II. im Jahre 1025 selbst ein-
trat. Heinrich gab ihren Wünschen, dieses Kloster
mit Gütern und Rechten auszustatten, gern nach.
So schenkte er denn im Jahre 1019 durch eine
zu Paderborn nach dem 6. Juni ausgestellte Ur-
kunde dem Kloster Kaufungen die Kirche St. Io-
hannis des Täufers zu Wolfsanger mit allen ihren
Besitzungen und verlieh dem Kloster zugleich das
Recht, in Wolfsanger am Johannistage, in Kau-
sungen selbst aber am Tage der Kreuzeserhöhung
einen dreitägigen Martt abzuhalten und den Zoll
zu erheben, der an diesen Märkten eigentlich ihm
selbst ans seiner kaiserlichen Machtvollkommenheit
zustehe (teloneum, guod no8tro jure ac potestate
de eisdem mercatibus debetur). Es ist wohl
anzunehmen, daß diese Märkte, die an den Kirch-
weihtagen der beiden Orte stattfanden, von denen
ja Wolfsanger urkundlich schon von Karl dem
Großen als ein nicht ganz unbedeutender Ort er-
wähnt wird, schon vor der Beurkundung dieser
Schenkung Heinrichs II. an das Kloster Kaufungen
bestanden und daß an ihnen auch schon eine Zoll-
erhebung erfolgt war, die bis dahin aber zu den
Einnahmen des Kaisers selbst gehört hatte. Die
Einwohner des Hofes Chassala werden also, ehe
sie in ihrem zum Städtchen erhobenen und mit
Marktrecht begabten Gemeinwesen die Annehmlich,
keit des Zollzahlens enipfanden, diese schon auf
den Märkten der nahe gelegenen Dörfer Wolfs-
anger und Kaufungen, auf denen sie wohl ihre
geringen Bedürfnisse ankauften, kennen gelernt
haben. Dazu war ihnen bald noch mehr Gelegen-
heit geboten, nachdem der Nachfolger Heinrichs II.,
Kaiser Heinrich III., in einer aus Walldorf an
der Werra im jetzigen Herzogtum Sachsen-Mei-
ningen vom II, August 1041 datierten Urkunde
dein Kloster Kaufungen einen an jedem Mittwoch
stattfindenden Wochenmarkt, sowie einen dreitägigen
Jahrmarkt am St. Margaretentage (13. Juli) ver-
lieh und auch hierbei wieder die an diesen Märkten
zu erhebenden Zölle dem Kloster abtrat.
Wir haben es hier mit einem Marktzolle zu
tun, über welche Art des Zolls aus jener frühen
Zeit wenige Bestimmungen erhalten sind. Aus
den älteren Quellen ist indessen festzustellen, daß
diese Zollerhebung derart stattfand, daß sowohl
der Käufer als der Verkäufer beim Übergang der
Ware ans einer Hand in die andere eine Abgabe
an den Grundherrn der Marktstätte oder an den-
jenigen, dem sonst das Zollrecht zustand, zu ent-
richten hatte. Dafür übernahm der Grundherr
die Verpflichtung, für die Sicherheit der Ware,
der Händler und der Käufer sowohl auf dem Markte
selbst, als auf der Hin- und Rückreise, soweit sie
sein Gebiet berührten, zu sorgen. Aus dieser Abgabe,
soweit sie den Schutz auf der Landstraße betraf,
entwickelte sich später das sog. Geleit, eine ganz
besondere, jetzt verschwundene Abart des Zollwesens.
Neben dem Marktzoll gab es im frühen Mittel-
alter besonders Schiffahrts-, Straßen- und
Brückenzölle. Abgesehen von dem durch diese
Zölle von den Zollpflichtigen dem Zollherrn ge-
währten Entgelt für die Sicherung der reisenden
Kaufleute und ihrer Waren auf den Land- und
Wasserstraßen, spielt hier schon etwas weiteres hin-
ein, nämlich die in der Zollzahlung liegende Ver-
gütung für die Instandhaltung der Straßen und
Brücken. Wie sehr man mit dem Begriffe des
Zolls damals die für den Zollherrn bestehende
Pflicht der Erhaltung der Verkehrswege verband,
ergibt sich u. a. aus einem argen Mißbrauch, der
hin und wieder getrieben wurde. Die Grundherren
bauten nämlich an irgend einer Stelle, wo gar
kein Wasserlauf vorhanden war, eine Brücke und
nötigten die Fuhrleute, diese beim Durchzug durch
ihr Gebiet zu benutzen und dabei einen Brücken-
zoll zu zahlen, der natürlich hoch genug bemessen
war, um dem Zollherrn nicht nur die Mittel zur
Erhaltung dieser Pseudobrücke zu bieten, sondern
auch einen nicht zu geringen Überschuß in seine Kasse
fließen zu lassen. Das war aber, wie gesagt, ein Un-
fug, im allgemeinen fand stets die Zollerhebung da
statt, wo der Zollherr die Verpflichtung übernahm,
als Gegenleistung für den Straßen-, Schiffs- oder
Brückenzoll die betreffenden Verkehrswege in gutem
Stande zu halten und für ihre Sicherheit zu sorgen.
Von den erwähnten wichtigsten Zollarten finden
wir in Kassel zuerst den Schiffszoll. Die Fluß-
schiffahrt auf den kleineren Flüssen war ja damals
von weit größerer Wichtigkeit als später, weil der
Straßenbau bei der Schwierigkeit des noch viel
Sumpf und Wald enthaltenden Geländes noch
sehr im argen lag. So diente denn auch die Fulda
als vielbenutzte Verkehrsstraße, an der u. a. in
Kassel ein Zoll erhoben wurde. Wir finden diesen
erwähnt zwischen den Jahren 1140 und 1172.
In dieser Zeit gab Landgraf Ludwig der Eiserne
von Thüringen allen seinen Schultheißen und
Zöllnern in beiden Ländern, d. h. sowohl in Thü-
ringen als in Hessen, in den Städten Kassel,
Münden, Kreuzburg, Eisenach, Gotha und Brei-
tungen den Befehl, alle Lebensmittel der Brüder
und Schwestern des Stifts zu Hersseld frei durch-
ziehen zu lassen. Hierbei muß uns auffallen, daß
die Gewährung der Zollfreiheit von dem Land-
grafen, also dem Landesherrn, ausgeht, während,
wie bereits erwähnt ist, ursprünglich nur dem
König das Recht der Zollerhebung, also auch das
Recht der Befreiung davon, zustand. Es lag dies
in den gänzlich veränderten Verhältnissen im Zoll-
wesen, die etwa seit Mitte des 12. Jahrhunderts
eingetreten waren. Weltliche und geistliche Fürsten,
selbst mächtigere Grafen nahmen sich seit jener
Zeit heraus, auch ohne königliche Vergebung und
an neuen, bis dahin ungewohnten Plätzen Zoll
zu erheben. Sie begannen das Zollrecht als einen
Ausfluß ihrer eigenen obrigkeitlichen Gewalt, ihrer
Landeshoheit, zu betrachten.
Einige weitere Zollbefreiungen im Kasseler Tale
bestätigen dies. Landgraf Ludwig IV. der Heilige
von Thüringen begnadigte zwischen 1216 und 1228
9m*£> 3 W*iü
auf Bitte» seiner Mutter Sophie und mit Ein-
stimmung seiner Gattin Elisabeth und seiner Brüder
Heinrich Raspes IV. und Konrads das Kloster
Kaufungen und 1217 das Kloster Weißenstein
mit Zollfreiheil. Ebenso befahl Landgraf Heinrich
Raspe von Thüringen am 10. Juli 1229 seinen
Beamten in Eisenach. Kreuzburg. Allendorf, Kassel
und Münden, die Schiffe des Klosters Lippolds-
berg frei und ohne Zoll auf der Werra und Fulda
passieren zu laffen. Hier finden wir an der Fulda
die Zölle zu Kassel und Münden noch friedlich
nebeneinander genannt, bald sollte aber das Ver-
hältnis zwischen beiden Städten arg getrübt werden.
Die Kaffeler Bürger trieben damals einen leb-
haften Handel mit Salz. das sie auf der Fulda
nach Münden und dann die Weser hinab nach
Norddeutschland brachten, mit welchem Handel ein
nicht unbedeutender Verdienst verbunden war. Auch
andere Erzeugniffe des Heffenlandes wurden in
Kaffel zum Verkauf in den Landen an der unteren
Weser zu Schiff gebracht. Es waren hauptsächlich
Getreide. Leinwand, Früchte, irdene Geräte, Mühl-
steine, Dielen und Balken, eichenes Bauholz usw.
Dieser Handel Kaffels war den Mündenern schon
lange lästig, sie suchten ihn deshalb zu vernichten
oder doch wenigstens schwer zu schädigen. Dazu
boten nun die politischen Verhältnisse um die Mitte
des 13. Jahrhunderts ihnen eine erwünschte Ge-
legenheit. Als im Jahre 1247 Landgraf Heinrich
Raspe von Thüringen gestorben war und mit ihm
das thüringische Landgrafenhaus sein Ende ge-
funden hatte, besetzte Herzog Otto daS Kind von
Braunschweig die Stadt Münden. Auf Grund
welchen Rechtes es geschah, läßt sich mit Sicherheit
nicht nachweisen. Die Mündener Bürger unter-
warfen sich ihm aber gutwillig und der Herzog
war für dies Entgegenkommen gern bereit, der
Stadt ihre alten Rechte und Privilegien zu be-
stätigen und neue zu bewilligen. Unter diesen neu-
bewilligten Rechten war das bedeutendste und wich-
tigste das Stapel recht. Dieses im Mittelalter
und sogar bis in die Neuzeit hinein vielfach in
Anwendung befindliche Recht zwang die Kaufleute,
die einen damit ausgestatteten Ort berührten, ihre
Ware»» daselbst eine Zeitlang oder überhaupt zu
dem am Orte übliche«! Preise feil zu bieten. »Ein
solches Stapelrecht beanspruchten nun die Mündener
auf Grund einer ihnen von Herzog Otto dem Kind
unterm 7. März 1246 verliehenen Urkunde. Hier-
nach mußten alle Fuhrwerke, von woher sie auch
konimen mochten, ihre Ladungen in Münden zum
Verkauf niederlegen, „damit daraus", wie es in
der Urkunde heißt, „die Stadt gebessert werde".
Wenn auch dieses Stapelrecht sich dem Wortlaute
der Urkunde nach auf alle in Münden ankommen-
den Waren bezog, so war es in Wahrheit doch
fast allein gegen den Kaffeler Handel gerichtet.
Denn zu Lande war der Frachtverkehr durch das
bergige und damals fast unwegsame Hinterland
Münden« höchst unbedeutend und der Verkehr von
Handelsschiffen auf der Werra war auch nicht
weit her. Der Kaffeler Handel aber, der auf der
Wafferstraße der Fulda, wie bereits oben bemerkt,
den Norden Deutschlands aufsuchte, wurde durch
die Maßregel schwer betroffen. Neuere Forschungen
ergeben freilich, daß es «nit der Echtheit der Ver-
leihungsurkunde recht windig aussieht. Es ist nicht
ausgefchloffen, daß sie gefälscht ist; mindestens ist
ihr Datum nicht richtig. Ein neuerer Schrift-
steller steht deshalb nicht an. das Stapelrecht als
von den Mündenern erschlichen zu bezeichnen. Dem
mag nun sein, wie ihm wolle, jedenfalls wurde
durch die streng gehandhabte Ausführung des
Stapelrechts der Kaffeler Handel schwer geschädigt,
da es den Mündenern nun freistand, die guten Ver-
dienst versprechenden Waren den Kasseler Handel-
treibenden zum Mündener Marktpreise abzukaufen
und das in Aussicht stehende Geschäft selbst zu
machen. Man muß diese Schädigung in Kassel
sicher schwer einpfunden haben; trotzdem finden
wir in der nächsten Zeit nichts, «vas auf das Er-
greifen von Gegemnaßregeln deutet. Erst volle
70 Jahre später, im Jahre 1316, tritt Landgraf
Otto von Hessen in einer uns erhaltenen Urkunde
den Mündenern entgegen. Nachdem er in dieser
erwähnt hat, wie übermäßig hart und strenge seine
Getreuen von Kaffel in der am Ufer der Werra
und Weser gelegenen Stadt Münden behandelt
würden, indem jeder Kaffeler Schiffer genötigt sei.
wenn er an Münden vorüberfahre, dort die Hälfte
- seiner Ladung Soodener Salzes niederzulegen und
zum Verkauf zu bringen, wobei sie, von der Be-
lästigung abgesehen, nicht unerhebliche Einbuße zu
erleiden hätten, verordnet er, un« dieser schweren
und unerträglichen Einrichtung «nit Mitteln zu
begegnen, die jener an Schärfe nicht nachstünden,
daß alle und jeder Bürger der Stadt Münden,
wenn sie mit Wert und Waren Kassel passieren,
die Hälfte davon in Kaffel niederlegen und dort so
lange belassen sollen, bis sie verkauft sind, während
sie mit der anderen Hälfte hinziehen «nögen. wohin
sie wollen. Und diese Ordnung soll feststehen und
dauern, bis die Bürger von Münden die ihrige, die
dem Landgrafen und seinen Bürgern so lästig ist,
wieder aufheben und vernichte««. Großen Erfolg hat
diese Maßregel wohl ka««m gehabt, denn der Handel
der Kaffeler flußabwärts war sicher bedeutender als
der der Mündener flußaufwärts. Sie litten deshalb
keine arge Not durch die hessische Zwangsmaßregel
und ihr Stapelrecht blieb i«ach wie vor bestehen.
(Forts. folgt.)
vmtb 4 smtb
Von der Wilhelmsburg in Schmalkalden.
In Schmalkalden erhebt sich hoch über der alten
Stadt die malerische Baugruppe der von 1585—89
durch Landgraf Wilhelm IV erbauten Wilhelms-
burg, eines Fürstensitzes von ganz hervorragender
künstlerischer Bedeutung, der für weltberühmte
Bauten Dänemarks wie Fredericksborg oder die
Rosenborg vorbildlich gewesen ist. Das Innere
des Schlosses bietet, wie sich viele Mitglieder des
Hessischen Geschichtsvereins im verflossenen Sommer
überzeugen konnten, eine Fülle von ganz herrlichen
Resten von Wandmalereien und Stuckdecken, Ka»
minen, Wappen usw.
Wilhelm Bernucken, der Schöpfer der Laube
am Kölner Rathause, den Landgraf Wilhelm zu
seinen Bauten
in Kassel, Ro-
tenburg,
Schmalkalden
usw. heranzog,
hat hier im
Verein mit
dem Baumei-
ster Christoph
Müller und
dem Maler
Jost vom Hoff
ein wunderba-
res Werk ge-
schaffen, dessen
Erhaltung eine
der wichtigsten
Aufgaben sein
müßte. Leider
droht diesem
Bau eine sehr ernste Gefahr von einer Seite, die
vielmehr alles tun sollte, um das Schloß in seiner
alten schönen Gestalt der Nachwelt zu überliefern.
Nach 1866 hatte man auf der Königlichen Negierung
zu Kassel den Plan, den wundervollen großen Tanz-
und Bankettsaal, der heute den Hauptteil der wert-
vollen Altertumssammlungen des Hennebergischen
Geschichtsvereins birgt, zu Gefängniszellen umzu-
bauen. Den Bemühungen des um Schmalkalden
sehr verdienten Dr. Gerland, des heutigen Polizei-
direktors zu Hildesheim, gelang es Gott sei Dank,
die Regierung zur Aufgabe des Projektes zu be-
wegen.
Jetzt ist, wie man hört, eine neue Verwendung
des alten Schlosses geplant, der man auch nur
die ernstesten Bedenken entgegensehen kann. Die
heute teilweise dem Schmalkalder Hennebergischen
Geschichtsvereine verpachteten Teile des Schlaffes
sollen als Diensträume des Landratsamts und zur
Dienstwohnung für den Herrn Landrat umgebaut
werden. Man wende nicht ein, damit sei ja den
Denkmalschutz-Bestrebungen der beste Dienst getan.
Eine sorgfältige Instandsetzung der an vielen
Stellen starke Spuren des Verfalls zeigenden
Räume wäre allerdings nötig und zu begrüßen,
aber ob sich mit einer Wiederherstellung, die man
vom historischen und künstlerischen Standpunkte
aus zu fordern hätte, ein Umbau wie der geplante
verträgt, ist doch sehr die Frage. Die Pläne
sollen bereits ausgearbeitet sein, danach sollen
alle größeren
Räume künftig
durch neu an-
zulegende Kor-
ridore zer-
schnitten wer-
den, und man
hätte z. B. mit
einer Teilung
des sog. blauen
Saales in drei
Räume zu rech-
nen, so daß hier
natürlich die
völlige Zerstö-
rung von Decke
liitb Fresken
unvermeidlich
wäre. Man
muß warnend
an Spangenberg erinnern, bei der Wilhelmsburg
aber würde der geplante Ausbau und die Ver-
wendung für moderne Behörden noch weit verhäng-
nisvoller werden, weil eben tatsächlich in diesem
Falle noch viel mehr zu zerstören ist.
Warum errichtet man nicht einen Neubau, wenn
der alte Hessenhof nicht mehr genügt; sollte sich
ein Neubau nicht auch billiger stellen als der
Umbau der alten Gebäude?
Eine ausführliche Beschreibung und künstlerische
Würdigung des Schlosses mit vielen Abbildungen
und Tafeln besitzen wir feit 1895 in dem mit
Unterstützung des Kultusministeriums
herausgegebenen Prachtwerk von Friedrich Laske
und Otto Gerland.
Videant cónsules!
C. K.
Die Mlhelmsburg in Schmalkalden.
tmn, 5 vmu
Die Eschweger Flurnamen.
Vortrag, gehalten im Eschweger Geschichtsverein "von Lehrer Bierwirth.
Ein sehr wichtige« Gebiet heimatkundlicher For-
schung find die F l u r n a m e n. Auf die Wichtigkeit
dieser Forschung wies zuerst Arnold in Marburg
in seinen „Anfiedlungen und Wanderungen deutscher
Stämme- hin. Er sagt u.a. darin: „Hier wäre
ein überaus dankbares Feld für die Tätigkeit
unserer Geschichtsvereine. Sollten sich denn nicht
bei dem erwachten lebhaften Interesse für die vater-
ländische Geschichte überall Freiwillige finden, welche
die Ergebnisse der Steuerkataster vervollständigen
und berichtigen könnten? Die Ausbeute wäre ohne
Zweifel der Mühe wert. Denn gewänne man auf
solchem Wege, um die Worte Grimms hier in
anderem Sinne zu wiederholen, alle für Mythologie,
Recht, Geschichte und Sprache erheblichen Ortsnamen,
ließe man sie sämtlich drucken und vergliche sie mit
genauen Registern, so würde unser Hessenland eine
Ortskunde besitzen wie kein anderes Land. Zeit
dazu wäre eS; denn auch die Flurnamen find zum
Teil im Aussterben begriffen.-
Angeregt durch Arnold wies in einer Denkschrift
(„Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und
Landeskunde" 18. Band
Jahrgang 1893) Major
a. D. v. RoqueS auf die
hohe Bedeutung der Er-
forschung der Flur-, Wald-
und Dorfstellen.Namen für
die Ortsgeschichte hin. Ich
habe mich nun gelegentlich
der Herausgabe der Heimat-
kunde des Kreises Efchwege
näher mit der Eschweger
Gemarkung beschäftigt, zu
welchem Zwecke mir Bürger-
meister Bocke die alten Esch-
weger Katasterkarten zur
Verfügung stellte.
Eine Anzahl Eschweger
Flurnamen erttärt sich von
selbst, wenn man an das
frühere Aussehen der Stadt
und die Tätigkeit ihrer Be-
wohner denkt. Die engen,
krummen Straßen waren
ungepflastert und abends
unbeleuchtet. Vor den Häu-
sern lagen große Dünger-
hausen. Denn die sämtlichen
Bürger trieben neben ihrem
Handwerk noch eine lebhafte
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Hofportal im Schlosse Mlhelmsburg.
Landwirtschaft. Wer am Morgen durch daS Boyne-
burger Tor von auswärts kam, dem begegnete
regelmäßig der städtische Schweinehirt mit seiner
Herde. Er trieb seine Borstentiere durch die
Schweinegasse, jetzige „Wendische Mark", nach
dem Schweinegraben, das ist daS enge Tal
südlich der Leimenkaute, und.nach dem Sau-
rasen, dem Tal. das sich vom Kuppenweg nach
der Vogelsburg zieht. Aber nicht allein die Schweine,
sondern auch das Rindvieh wurde an die Weide
getrieben. Der Kuhhirte zog mit seiner Herde
durch daS Neue Tor über die Kuhtrift nach
dem Hirtenrasen. Von besonderem Interesse
ist, auf welche Weise die Stadt Eschwege in Besitz
dieser 110 Acker großen Hutefläche kam. Da die
Werra in dem Felde zwischen Eschwege, Niederhone
und Jestädt durch ihre Überschwemmungen große
Verheerungen anrichtete, sah sich die Stadt ver-
anlaßt, in den Jahren 1582 bis 1594 auf ihre
Kosten das Flußbett zu regulieren. Dadurch kam
der Hirtenrasen an die Stadt, obgleich daS Land.
daS hier lag, zum größtenteil nach Niederhone
gehörte. Den Prozeß, den
die Niederhöner dieserhalb
anstrengten, gewannen die
Eschweger auf Grund des
Privilegs, das Landgraf
Wilhelm I. der Stadt ver-
liehen, wonach alles Land,
das innerhalb der Gemar-
kung von der Werra an-
geschwemmt wurde, der
Stadt gehören sollte. Als
Viehweide diente auch der
dem Hirtenrasen gegenüber
am rechten Werraufer am
Fußweg nach Jestädt lie-
gende Huterasen oder
Warterasen. Hier stand
im Mittelalter zum Schutze
der Stadt ein alter Wart-
turm, in dem ein Wächter
wohnte, der nahende Feinde
dem Wächter auf dem
Klauskirchtum zu melden
hatte. Am Tage geschah
dies durch das Aufstecken
von Fahnen und in der
Nacht durch das Schwenken
von Leuchten. Solche Wart-
türme befanden sich außer-
dem noch auf dem großen Leuchtberg, auf dem
Galgen, vor dem Hunsrück, die Schaueuburger
Warte genannt, und im Schlierbach am Klaus-
berg. Letztere erbaute die Stadt im Jahre 1562,
um die Übergriffe und Einfälle der Herren von
Boyneburg-Hohenstein besser abwehren zu können.
In früherer Zeit hat die Werra das ganze Tal
eingenommen, wo jetzt fruchtbare Äcker und saftige
Wiesen liegen, waren damals Sümpfe und Moräste.
Daran erinnern noch die Flurnamen Nied und
am Nied weg im Brückenfeld. Das große und
kleine Werdchen zwischen den beiden Werraarmen
sind durch die Werra im Laufe der Jahrhunderte
angeschwemmt worden. Das große Werdchen hieß
früher,weil es dem Cyriakuskloster gehörte, „Nonnen-
gries" Bei der Aufhebung des Klosters 1527
durch Landgraf Philipp den Großmütigen fiel
das Werdchen an die Stadt. Am rechten Ufer
des zweiten Werraarms liegt die Ochsen wiese,
ein städtisches Grundstück, das derjenige in Nutz-
nießung hat, der den städtischen Bullen hält.
In Eschwege betrieb man in. früheren Jahren
einen starken Weinbau. Die Eschweger Rats-
herren und die Mönche des Augustinerklosters hatten
ihre Weinberge im Gelände hinter Grebendorf,
wo man jetzt noch stellenweise verwilderte Reben
findet. Der Weg dahin, der durch die Verkoppelung
der Grebendörfer Gemeinde 1895 einging, hieß
darum der Herrenweg. (Herren wurden früher
nur die Mitglieder des Rats und die Geistlichen
genannt.) Der südliche Abhang des kleinen Leucht-
bergs war ebenfalls mit Weinstöcken bepflanzt.
In der Flurkarte heißt die Stelle heute noch
Vor dem Weinberg. (Der Weinbau muß in
Eschwege schon sehr frühe betrieben worden sein.
Denn in der Urkunde vom Jahre 996, worin
Kaiser Otto III. seiner Schwester Sophie, der
Äbtissin von Gandersheim, Eschwege schenkt, werden
auch Weinberge genannt. Die landgräflichen Wein-
berge hinter Grebendorf, die bis 1527 den Esch-
weger Augustinern gehört hatten, lieferten im Jahre
1575 10 Fuder und 3 Ohm und 1534 12 Fuder
Wein. Wer in Eschwege Wein zog, hatte auch
das Recht, ihn auszuschenken. Wenn böse Zungen
dem Witzenhäuser „Dreimännerwein" nachsagen,
er vermöge die Löcher in den Strümpfen zu-
sammen zu ziehen, so glaube ich, ist auch der
Eschweger Wein von nicht besonderer Güte ge-
wesen. Wenn auch der Rat der Stadt Esch-
wege in einer Eingabe an den Landgrafen Wil-
helm IV 1584 behauptet^ „Es fettet hier ein ziem-
licher gutter Landtwein, der oftmals mit einem
Bergsträßler oder Franken wol zu vergleichen
ist", so ist dies Urteil wohl nicht wörtlich zu nehmen.
Auch Weinfälscher hat es im Mittelalter schon
gegeben, manche Weinbauern vermischten den Wein-
most mit Birnenmost. Darum sah sich Landgraf
Wilhelm IV., der Sohn Philipps des Großmütigen,
genötigt, 1590 durch eine strenge Verordnung die
Verfälschung zu verbieten. Reiche Erträge an
Wein brachten die Jahre 1666, 1677, 1678 und
1728, Nach einem sehr harten Frost im Jahre
1740 gingen die Eschweger Weinberge zum größten
Teil ein.) Ferner zog man bei uns früher Hopsen,
woran der Flurname Hopfenberg, das Feld
südlich der Dünzebacher Straße, erinnert. Große
Brauereien, wie heute, waren damals nicht vor-
handen. Die Bürger brauten ihr Bier als ein-
fachen Haustrank zum Teil selbst. Der Pfaffen-
weg , das Land zu beiden Seiten der Dünzebacher
Straße, erinnert an die Zeit, als auf dem kleinen
Leuchtberg, damals Ottilienberg geheißen, eine
Kapelle stand, zu der gewallfahrtet wurde. Seine
Bezeichnung hat er von den Äugustinermönchen,
die ihn gingen, um in der Ottilienkapelle die
Gottesdienste abzuhalten. Der Diedenacker,
das Feld zu beiden Seiten des Fußwegs nach dem
großen Leuchtberg, hat seinen Namen von den
Herren v. Diede auf dem Fürstenstein, die dieses
Land (8 Acker) von dem Eschweger Stist zu Lehen
trugen. Die Feldlage hinter dem großen Leucht-
berg führt die Bezeichnung Kriegs - oder Blut-
wiese. Hier fand am 2. Sept. 1070 ein blutiges
Treffen statt zwischen Otto v. Nordheim und dem
Gaugrafen der Germaramark, Rüdiger v. Bilstein.
Otto von Nordheim verheerte mit seinen 3000
Söldnern im Werratale und in Thüringen die
kaiserlichen Güter aus Rache dafür, daß ihm der
Kaiser Heinrich IV das Herzogtum Bayern ab-
genommen hatte. Er errang am östlichen Fuße
des großen Leuchtbergs einen glänzenden Sieg über
seinen Gegner, der das aufgebotene Landvolk an-
führte. Denn während Otto nur 4 Tote und
2 Verwundete hatte, verlor Rüdiger von Bilstein
300 feiner Leute. Infolge dieses Sieges nahm
Otto v. Nordheim das kaiserlich gesinnte Eschwege,
das damals noch eine freie Reichsstadt war, ein
und richtete hier ein großes Blutbad an. Die
Flurnamen Käbberichs Delle, Vockeloch,
Löfflers Grund, Beckers Berg und Gö-
dickenhölzchen erinnern an ihre früheren Besitzer.
Die Mal- oder Gerichtsstätte der Cent Eschwege
war ursprünglich der Eschweger Marktplatz. Hier
wurde am 22. Sept. 1596 Barthold Lindemann
aus Netra, der neben vielen Diebstählen und Raub-
anfällen 51 Mordtaten verübt, mit glühenden
Zangen gepeinigt und dann in vier Stücke zerrissen.
Später verlegte man die Gerichtsstätte auf das
alte Gericht, die mit Kirschbäumen bepflanzte
Anhöhe an dem Kuppenwege. Hier wurden am
7 t-SSL.
7. September 1657 zwei Eschweger Frauen. Marta
Kerste und Kath. Rudeloff. die ihre Kinder behext
haben sollten, als Hexen verbrannt, und eine andere.
Anna Maria Götting. weil sie ihre neugeborenen
Zwillingskinder getötet und in den Mist verscharrt
hatte, hingerichtet. Später finden wir die Gerichts-
stätte ans dem Galgen, wo 1852 die letzte Hin.
richtung stattfand. Es war der Gutsverwalter
Bütemeister aus Schwebda, der sein uneheliches
Kind vergiftet hatte, der auf dieser aussichtsreichen
Anhöhe durch die Hand des Scharfrichters vom
Leben zum Tode befördert wurde. Das Kriminal-
gericht, das den Mörder zum Tode verurteilt hatte,
war in dem Gebäude der Schulstraße. in dem sich
jetzt die israelitische Schule befindet. Die letzte
Hinrichtung in Eschwege überhaupt geschah 1854
auf dem Hirtenrasen. Der Verbrecher war ein
Beck, der sogenannte Eckenbeck aus OtmannShausen,
der seinen Vater ermordet hatte.
Der Flurname Böhmental erinnert an die
traurige Zeit des 30jährigen Krieges. Die Be-
zeichnung Am Schingeleich rührt daher, daß
sich in der Nähe dieses Feldes die Abdeckerei befindet.
Wenn man die Eschweger Gemarkung überblickt,
etwa vom Galgen aus, so fällt einem deren große
Ausdehnung nach Süden, nach dem Hunsrück zu,
auf. DaS hat seinen Grund darin, daß hier vor
alters drei kleine Dörfer lagen, deren Feldfluren
mit der Eschweger verschmolzen worden sind. Es
waren die Orte: Staufenbühl. Hermsdorf und
Wolfersdorf. Das Dörfchen Staufenbühl lag
am Fuße der kleinen Kuppe; seine kleine Kirche
aber stand auf dieser. Nach manchen Streitigkeiten,
die die Brüder Hermann und Ernst von Uslar-
Gleichen mit dem Wilhelmiterkloster zu Witzen-
hausen hatten, übergaben sie dem Kloster am
28. Juni 1403 ihr Patronatrecht über die Kirche
---------^
zu „Stoysfinbul" bei Eschwege. In dem Weis-
tume über die Rechte der Stadt Eschwege vom
Jahre 1436 geschieht des Dorfes noch Erwähnung.
Hermsdorf, ein kleiner Ort, lag zwischen der
kleinen Kuppe und dem Hunsrück und nicht weit
davon stand Wolfersdorf. Diese drei Orte
lagen an der alten Mühlhäuser Straße, die von
Neichensachsen an dem Hunsrück vorbei nach Ober-
dünzebach führte, ohne Eschwege zu berühren. Erst
1578 wird auf eine Eingabe von Bürgermeister
und Rat der Stadt Eschwege an den Landgrafen
in Kassel der Verkehr über Eschwege geleitet. Im
Schlierbach lagen die Dörfer Ober, und Unter,
schlierbach. Obcrschlierbach. das größere,
hatte eine Kirche. Die Stelle, wo sie stand, heißt
jetzt noch die alte Kirche. Das Dorf gehörte den
Herren v. Boyneburg-Hohenstcin. U n t e r s ch l i e r -
dach, das zur Stadt Eschwege gehörte, soll von
Erfurter Bürgern, die mit den Herren von Boyne-
burg in eine Fehde verwickelt waren, zerstört worden
sein. Wann und wodurch die übrigen wüsten
Orte zerstört worden sind, läßt sich nicht mehr
mit Bestimmtheit angeben. Aber so viel ist sicher,
daß sie beim Beginn des 30jährigen Krieges nicht
mehr vorhanden waren. Es ist anzunehmen, daß
die verschwundenen Dörfer zur Zeit des Faustrechts,
als die Raubritter die Gegend unsicher machten,
von den Bewohnern verlassen wurden, die sich dann
in dem nahen, mit festen Mallern versehenen Esch-
wege. das sich um diese Zeit erheblich vergrößerte,
ansiedelten. — Wollen wir in die graue Vergangen-
heit unserer Orte eindringen, so geben uns die Flur-
namen manche wertvollen Fingerzeichen und Auf-
schlüsse. Möchten auch diesem Teil ortsgeschichtlicher
'Forschung alle Heimatsfreunde ihre Aufmerksamkeit
zuwenden. Sie werden eine reiche innerliche Be-
lohnung davon haben.
---------
Winlergruh an die Heimat.
Am Fenster rüttelte der Wintersturm,
Und durch sein wildes Jauchzen klang von fern
Das tiefe Brausen der empörten See,
Die sich an Strand und Molen donnemd brach. -
3m warmen Zimmer mildes Lampenlicht,
Und auf der Tabakswolken blauer Schicht
Schwebt' noch behaglich manches gute Wort:
Erprobter Freunde traulich Zwiegespräch.
Wir dachten an die frohe Jugendzeit,
An Rheinweingläser- und an Hieberklang,
An Mondscheinnächte voller Poesie,
Hoch unterm Dach romantisch durchgeschwärmt.
Und wie die Fahre schnell und schneller floh'n,
3m bunten Wechsel bringend Freud und Leid,
Und wie sie, eh' wir s uns noch recht verseb'n,
Mit Silberglanz die Schläfen uns geschmückt.
Auch in die Zukunst wagten wir den Blick -
Nicht mehr so hoffnungsfroh wie ehedem.
Was bringt sie noch dem voll gereisten Mann,
Swinemündr.
Der wachsam steht, »anschient mit Stahl und Erz,
Zu scharfem Fechten allezeit bereit,
Und der die wen'gcn Blüten, die das Glück
3hm neckisch über Helm und Rüstung streut,
Ghn' Überschwang mit ernstem Lächeln grüßt,
So, wie er lächelnd grüßt des Gegners Schwell ' -
„Und doch, wenn schräg des Lebens Sonne schon
Die letzten Strahlen uns herüberschickt,
Nachdem es uns Wunschlosigkcit gelehrt.
Gewähr' das Leben uns noch einen Wunsch:
Es führe unsern Weg dahin zurück,
Woher wir kamen, in das Hessen land,
Datz feiner Buchenwälder kühles Weh'n
Und seiner Flüsse leises Rauschen einst
Uns klingt ein schlichtes, schönes Abendlied'"
So sprach der Freund, und hell klang Glas an Glas,
Und bei dem Klingen grüßte unser Herz
Die ferne Heimat, während draußen wild
Der nord'sche Wintersturm vorüberschnob.
Th. Endemann.
(««6 8 Stä&j
Der Liebenbach.
¿7\te Stadt Spangenberg in Hessen erhält ihr Trinkwasser durch einen Bach, der die gute Guelle des
gegenüberliegenden Berges herbeileitet. Von der Entstehung dieses Bachs wird folgendes erzählt:
Ein Jüngling und ein Mädchen in der Stadt liebten sich herzlich, aber die Eltern wollten lange nicht zu
ihrer Verheiratung einwilligen. Endlich gaben sie nach unter der Bedingung, daß die Hochzeit erst dann
solle gefeiert werden, wenn die zwei Liebenden die gute, frische Duelle von dem gegenüberliegenden
Berge ganz allein herübergeleitel hätten; dadurch würde die Stadt Trinkwasfer erhalten, woran
sie bisher Mangel gelitten. Da fingen beide an, den Bach zu graben und arbeiteten, ohn Unterlaß. So
haben sie vierzig Jahre gegraben, als sie aber fertig waren, starben sie beide in demselben Augenblick.
9«ML 9 *mn>
Der Karl.
Von Käthe Becker.
Er trat au» der Haustür und ging die Stein-
treppe hinunter. Seinen neuen dicken Anzug hatte
er an. aber er trug fein buntes Werktagshemd dar-
unter und hatte es verschmäht, Kragen und Hals-
binde umzubinden. Dafür faß fein neuer breit-
krempiger schwarzer Filzhut auf den kurzen dunkeln
Locken, die seinen runden Kopf bedeckten wie ein
rauhes Fellchen.
Er ging das Gäßchen hinunter, zuerst an seinem
eignen Gartenzaun entlang, wo die rot und weiß
blühenden Bohnen kletterten, und dann an deS Fuhr-
mann Burkhards Häuschen vorbei, wo alle Fenster
voller Bettstücke lagen. Im Hof stand die Anna
vor einer langen Leiter, die auf zwei Schemeln ruhte,
und klopfte kraftvoll und glühend die Betten ihrer
acht Geschwister und ihr eignes jungfräuliches Lager.
Denn es war Frühling und Sonnenschein, und alles
wollte heraus und sein Teil Luft und Licht und
Wärme haben, um sich darin zu recken und zu dehnen
und aufzugehen, wie die Bettfedern in der Sonne.
Der Karl ging noch ein wenig langsamer und
breitbeiniger, solange er die Anna sehen konnte, und
guckte nach ihr hin. So recht ernsthaft, wie er immer
guckte, — so ganz von innen heraus. Und die Anna
klopfte ein wenig langsamer und ein wenig lässiger,
solange der Karl vorbeitappte. Aber ihre frischen
Mienen sprachen so wenig, wie die seinen. Das
morgenhelle Lächeln ihrer Arbeitssreudigkeit machte
ihr Antlitz immer heiter wie einen Märztag. Karls
großer neuer Filzhut blieb auch auf seinem Kops
sitzen, — grüßen tat man sich halt nicht mit be-
sonderen Höflichkeiten.
Aber, als der Karl vorbei war, legte die Anna
den Klopfer sachte hin und kam an den Zaun. Sie
faßte zwei Latten mit ihren derben Händen, hob sich
auf die Zehen und preßte im Eifer des Hjnüber-
schauens ihren breiten, schöngeformten Körper dicht
gegen den Zaun. Unter ihrem kurzen braunen Rock
kamen die blauen Baumwollstrümpse zum Vorschein,
und zwischen der blaugemusterten, festanliegenden
kurzen Jacke und dem Rockbund ein weißer Hemd-
streifen, so sehr reckte sich die junge Gestalt. Sie
sah ihm nach, wie er breit und gemessen wie ein
Alter das Gäßchen hinuntertappte und um die Ecke
in der Hauptstraße verschwand.
Er ging die Hauptstraße hinunter durch die ganze
Oberstadt. Er sah nicht rechts noch links, denn er
kannte seinen Weg und hatte auch alles tief im
Blut, was da hätte zu ihm reden können aus den
Bildern seiner verträumten kleinen Heimatstadt. Es
gab nur aus der einen Seite Häuser; auf der anderen
lies die hohe dicke Klostermauer aus rotem verwitterten
Sandstein entlang. Grünes und braunes Moos
gedieh reichlich auf ihr. und aus den Klostergärten
kam lustiges Gerank von wildem Wein und schlanken
Reben geklettert und hing über. Manch hochgewachsener
Klostergartenbaum reckte seine Äste über ihre statt-
liche Höhe und spendete Früchte für die Gasienbuben,
die ihre Ungeduld vorzeitig, mit Stangen und Steinen
herunterholte. Auch ein altes schönes Klostertor gab's
in der Mauer. Die Göttin Minerva stand in rotem
Sandstein und barocker Aufsasiung ausgehauen auf
einem geschmackvoll verzierten Bogen. Ihr Panzer-
Hemd war vollbusig und ihre flatternden Gewänder
waren reichlich neckisch für die jungfräuliche Göttin.
Daß sie aber im Laus der Jahre die Nase nicht im
Gesicht behalten hatte, verminderte ihren Reiz be-
denklich.
Der Karl guckte sie nicht an. Er ging mitten
auf der Gaste und rückte wortlos an seinem neuen
schwarzen Filzhut, wenn ihn jemand grüßte. Die
Gaste war fast leer, aber eS sah da und dort wer
aus den Häusern. Die Häuser waren nicht sonder-
lich alt, obwohl's dem Städtchen schon über tausend
Jahre gedachte. Es brannte so oft, und man er-
zählte sich, daß eine Art „VerschönerungSverein"
daran nicht ganz unschuldig sei. Der oder jener
wollte gehört haben, wie abends zweie, die er kannte
und auch nicht kannte — die er wenigstens jeden-
falls nicht nennen wollte — vor dieser oder jener
alten Hofraite gestanden und die dunkeln Worte ge-
sprochen hatten „Da dürft' auch mal ein warmer
Wind drüber gehen." Und bald drauf war dann
auch nichts mehr davon dagewesen. Ein paar schöne
alte Anwesen gab's aber doch noch im Städtlern,
hohe schmale Häuser mit vorspringenden Stockwerken,
mit spitzen steilen Dächern, mit altersdunklem Fach,
werk und reichgeschnihtem Zierat; und dann andere
breite Bauten mit rundschneckigen bauchigen Giebeln,
mit Freitreppen und hallenartigen Fluren.
Nach der Untergaffe zu verbreiterte sich die Gasse
und lief auf einen ansehnlichen Marktplatz aus. Und
dort stand das Rathaus, dem der Karl mit Ge-
meffenheit zustrebte. Es hatte einen stattlichen vier-
eckigen Turm, der war oben platt mit einem Gitter
rundum und diente zum Ausguck für den Türmer,
der des Städtleins Feuerwächter war. Er mußte
die Stunden, welche die Rathausuhr anzeigte, mit
einer tiefklingenden Glocke nachschlagen zum Zeichen,
daß er allstündlich bei Tag und bei Nacht aus der
Plattform Umschau gehalten hatte.
Das Rathaus hatte innen eine feierliche breite
Steintreppe mit einem kunstvollen schmiedeeisernen
Geländer.
10
Der Karl schritt diese Treppe bedächtig hinaus
und trat „ohne Anklopsen" in die Amtsstube des
Bürgermeisters. Der saß, ein riesengroßer bärtiger
Alter, hinter seinem Eichentisch und guckte nach-
denklich mit seinen runden Brillengläsern in ein
dickes Aktenstück und malte nach einer Weile lang-
sam seinen Namen. Dann sah er den Karl an,
der wartend in der Stube stand. Der Karl nahm
seinen Hut ab und trat einen Schritt näher.
„Das Aufgebot wollt' ich bestellen, Herr Bürger-
meister". sagte er rauhtönig und sah den Alten mit
seinen langbewimperten schwarzen Kinderaugen trotzig-
bittcnd an.
„Das Aufgebot — V fragte der und langte ge-
wohnheitsmäßig nach dem dicken Eheprotokollbuch.
Dann rückte er seine Brille und guckte drüber hinaus
mißtrauisch nach dem Karl. „Was für ein Auf-
gebot?"
„Mit der Burkhardts Anna", erklärte der Karl.
„So," sagte der Bürgermeister, „warum kommt
sie dann da net herauf mit ihrem Hochzeiter?"
„Sie klopft Betten," berichtete der Karl zaudernd,
„und der Hochzeiter — der bin ich doch!"
„Du — ?" Des Alten Augen wurden riesengroß
über den Brillengläsern. „Ja, — was sagt denn
da der Vatter?"
„Dem Vatter wird's schon recht sein", meinte
der Karl zuversichtlich.
„Und die Mutter?" fragte der Bürgermeister.
Da machte der Karl ein bedenkliches Gesicht und
schwieg.
„Gell", sagte der Alte mitfühlend und nickte be-
dächtig mit dem Kops. Er sah den Karl immerzu
genau an. Über das Kindergesicht des männlich
breiten Burschen zog eine ganze Reihe von Emp-
findungen, und der Alte schien sich aufs Ablesen zu
verstehen.
Nach einer Weile fuhr er gutmütig fort „Ja
also, Karl, guck' mal, die Einwilligung von Deinen
Eltern mußt Du schon schriftlich herbeischaffen, ehe
wir was machen können, denn Du bist doch minder-
jährig, gell? Wie alt bist Du denn eigentlich?"
„Achtzehn", sagte der Karl leise und wurde rot
über sein ganzes ernsthaftes Jungengesicht.
„Und die Anna?" fragte der Bürgermeister.
„Wir sind zusammen aus der Schul' kommen",
sagte der Karl.
„Seid Ihr denn einig?"
„Das schon —"
„Und die Anna will auch schon Hochzeit machen?"
Der Karl trat von einem Fuß aus den anderen.
daß der Sand auf den weißgescheuerten Dielen quiekte
und kreischte. Nach einer Weile sagte er unsicher
„Wir gehen miteinander, seit wir aus der Schul'
sind, und —", dann schwieg er und sah den Alten
mit langsam aufglimmendem Zorn an.
In dessen gutes, schlaues Bauerngesicht kam ein
Verstehen, er stand aus seinem Amtsstuhl auf und
ging hinter seinem Tisch ein paarmal aus und ab.
Unter seinem langen schneeweißen Patriarchenbart
zuckte es vergnüglich. Die Fliegen summten in der
stillen, sonnigen Amtsstube, jagten sich, fanden sich
und ließen sich los in ihrem Liebesspiel. Und der
Karl stand breit und still und guckte finster auf
den riesenhaften Stadlvater, der seinen langen Bart
behaglich strich.
„Ja, Karl," sagte der Alte, „da muffen zuerst
die Papiere herbei vom Pfarramt und dann die
schriftliche Einwilligung von Deinen und von der
Anna ihren Eltern. Und dann muß die Anna
auch mit heraufkommen, denn sie muß ihren Namen
schreiben."
„Ja — da muß ich sie aber doch als zuerst
fragen", platzte der Karl heraus.
Der Bürgermeister blieb stehen. „Ja — hast
Du sie denn net gefragt?"
„Beileib net", sagte der Karl ganz verdutzt.
«Gell — Du willst mich uzen?"
„Gewiß net, Herr Bürgermeister."
Der Alte sah den Jungen lange an. Seine
Augen funkelten bedrohlich über den runden Brillen-
gläsern Dann kamen ahec doch die vergnüglichen
Fältchen wieder in die Augenwinkel, und er sagte
ganz väterlich „Also, hör' mich emal an, Karl.
Du hast den Vatter und die Mutter net gefragt,
und die Anna weiß auch noch von nix, und dann
kommst Du hier heraus und willst das Aufgebot
bestellen? Ja, was sind denn das für Späss'?
So — mir nix, dir nix?"
Der Karl bekam einen roten Kopf. Er senkte
ihn wie ein Gescholtener, und in seinen Augen
glomm wieder ein schwerfälliger Zorn aus. Aber
er fand nicht so bald eine Gegenrede, und der Alte
betrachtete ihn schweigend und hielt die Hände auf
dem Rücken. Aus einmal sagte der Bursche ganz
heiser:
„Also — ich bin nachher net schuld, wann ebbes
passiert —", kehrte sich schwerfällig um und schritt
so gemessen und dröhnend hinaus, wie er gekommen
war. Der Alte guckte noch eine Weile nach der
weißlackierten Tür. Dann nahm er seine Akten
wieder vor. (Schluß folgt.)
tmb 11 5WK6
Hessische Totenschau 1912.
Januar. 14. AmlSgerichtsrat Gustav Rothe,
54 Jahre alt (Salmünster). 15. Universitäts-
profeffor vr. jur. Justus Bernhard Westerkamp
72 Jahre alt (Marburg). 22.: Stadtverordneter
Privatmann Bernhard Waege. 57 Jahre alt
(Kassel). 29.: Kgl. Landrat Geh. Regierungsrat
Rie sch (Frankenberg). 30.: Großkaufmann Hein«
rich O tt, 60 Jahre alt (Hanau). — Februar, 4.:
Rentner Johannes Rechberg, 84 Jahre alt (Hers-
selb). 7. : Fabrikant Friedrich S ch e l l e r. 63 Jahre
alt (Schmalkalden). 1-6. Oberleutnant a. D. Adolf
v o n R oqu es, 66 Jahre alt (Kasiel-WilhelmShöhe).
22. : Kaufmann Louis Siegel, 59 Jahre alt
(Kassel). 24. Lehrer und Kantor Philipp Gild
(Kassel). 26. Erster Apotheker der Kgl. Universi,
tätskliniken Or. Hans Rumpel, 42 Jahre alt
(Breslau). 27 : Privatmann Karl Kn et sch,
66 Jahre alt (Freiburg i. Br.). — März, 16.
Geh. Baurat a. D. Friedrich Hofs mann,87 Jahre
alt (Fulda). 17. Geh. RegierungS- und Forstrat
Wilhelm Kleyensteuber (Kassel). 19. Hotel-
besitzer Karl G o l z e. 62 Jahre alt (Kassel). 27 -.
Erster Offizier der Hamburg. Amerika-Linie Her-
mann Schmidtmann (auf See). — April, 7
Sanitàtsrat vr. Julius Ruppersberg, 65Jahre
alt (Bielefeld). 10. - Geh. Konsistorialrat Professor
v. Ernst Christian A che lis, 74 Jahre alt (Mar-
bürg). 10.: Henriette Gräfin von Holnstein
aus Bayern, geb. von der Malsburg, Hofgeismar,
Emanuel Geibels Jugendliebe, 85 Jahre alt (Kasiel).
10. Lehrer Heinrich Bättenhausen, 58 Jahre
alt (Kastel). 10.: Bildhauer Adolf Kürle,
(Dahlem). 11.. Albertine Gräfin von Schaum--
burg, geb. Stäuber, Oberurf, 66 Jahre alt (Meran).
14.-. AmlSgerichtsrat a. D. Wilhelm Strothmann
(Hofgeismar). 16.: Direktor der landwirtschaftlichen
Winterschule, Ökonomierat Vr. Rudolf Hesse (Mar-
burg). 19. Ludovika Gräfin vonSchaumburg,
71 Jahre alt (München). 19.: Generalmajor z. D.
Theodor von Cochenhausen (Halensee bei Berlin).
23. : Außerordentlicher Professor der Chemie Vr.pdil.
Friedrich Bernhard Fittica, 62 Jahre alt (Mar-
burg). 23.: Fabrikant Karl Nölke, 62 Jahre
alt (Kastel). 28. Schriftstellerin Luise Gies,
(Kasiel). 28.> Schlosser-Obermeister Werner Bässer
(Kassel). — Mai, 8. Hofrat Adolf Barena,
70 Jahre alt (Königsberg i. Pr.). 10. Universitäts-
prosessor Geh. Medizinalrat vr. Ludwig Bach,
45 Jahre (Marburg). 11. Geh. Regierungsrat
Waldemar Born, 77 Jahre alt (Kasiel). 13.: Hos-
buchhändler Karl Pracht, 67 Jahre alt (Hanau).
16.: Glasermeister Heinrich Froelich, 66 Jahre
alt (Kasiel). 16. Privatmann Karl Avemann,
73 Jahre alt (Kasiel). 17.: Landtagsabgeordneter
Friedrich v. B a u m ba ch zu Rüppershausen. 61' Jahre
alt (Berlin). 17.: Oberstleutnant a. D. Friedrich
Appuhn. 74 Jahre alt (Kasiel). 18.-. Kanzlei-
rat Karl Re über, 76 Jahre alt (Kasiel). 27.
Oberlehrer Profesior vr. Wilhelm W i l h e l m i,
63 Jahre alt (Marburg). 29. Kommerzienrat
Peter W e g m a n n, Kasiel, 69 Jahre alt (Kissingen).
— I u n i, 2 Generalmajor z. D. Theodor Kuchen-
becker, 76 Jahre alt (Kasiel). 3. Kaufmann
Adolf Dellevie, 70 Jahre alt (Kasiel). 3.: Lehrer
Julius Gonnermann (Kassel). 10.: Kreistags-
abgeordneter Friedrich Meles, 69 Jahre alt (Geln-
Hausen). 18. Rentner Ferdinand Has, 69 Jahre
alt (Kasiel). 23. Generalleutnant z. D. Ferdinand
Freiherr von Stein, 80 Jahre alt (Niederschmal,
kalben). 23. Generalleutnant z. D. Karl von
Schnackenberg 74 Jahre alt (Kassel). -
Juli, 2 Metropolitan Ludwig Klein, 72 Jahre
alt (Marburg). 11. Regierungs- und Baurat a. D.
Friedrich Theodor Schwarzenberg. 83 Jahre
alt (Kasiel-WilhelmShöhe). 25. Weißbindermeister
und Stadtrat Bernhard Siemon, 64 Jahre alt
(Kasiel-Rothenditmold). 29.: Amtsrat Gustav
Fahrenbach (Kasiel). 31 Geheimrat Vr. Fuckel,
82 Jahre alt (Schmalkalden). — August. 7.
Generalarzt a. D. Vr. Gustav Lindner, 92 Jahre
alt (Kasiel). 11.: Kaufmann Karl Mühlhausen,
69 Jahre alt (Kasiel). 11 Kunstmaler Max Lie-
berg, 56 Jahre alt (Kassel). 17 : Frau Anna
Stirn-Nivit-re, 69 Jahre alt (Kassel). 26.:
Landrichter a. D. Ernst Mumm. 46 Jahre alt
(Berlin). 30. : Landgerichtsrat a. D. August Geiß-
ler, 83 Jahre alt (Hanau). — September. 3.:
vr. msä. Georg W i ch m a n n. 60 Jahre alt (Mel-
sungen). 4. Schriftstellerin Frau Mary Holm-
quist, 38 Jahre alt (Kassel) 6. Sekretär an
der Landesbibliothek Wilhelm Jacobi (Kassel).
18.: Chemiker vr. phil. Bernhard Wackenroder
(Kassel). 24. Pfarrer und Metropolitan Ernst
Koch, 59 Jahre alt (Frankenau). 19. Schul-
Vorsteher vr. Bernhard Wenderhold (Kassel). —
Oktober 4. Oberstleutnant z. D. Louis von
Sturmfeder, 75 Jahre alt (Erfurt). 4. Ober-
lehrer Profesior Friedrich Stange, 71 Jahre alt
(Kasiel). 7 . Generalmajor z. D. Theodor Gissot.
72 Jahre alt (Freiburg i. Br.). 8. Kaufmann
Hugo Horn (Kassel). 9.: Kaufmann Eduard
Griesel, 57 Jahre alt (Kasiel). 13.: Geheimrat
Profesior vr. Otto Kümmel, Marburg (Köln).
17.: Geh. Kommerzienrat Karl Pfeiffer (Kassel).
17.: Gräfin Agnes zu Isenburg und Bü-
dingen, 70 Jahre alt (Meerholz). 18. Architekt
12
Professor Heinrich Münz, 51 Jahre alt (Bremen).
21.: Pfarrer a. D. F. H. Koppen. 74 Jahre alt
(Marburg). 26.: Kurf. Hess. Kammerherr Ritter-
gutsbesitzer Freiherr Artur v. Bodenhausen,
85 Jahre alt (Schloß Arnstein). 30.: Pfarrer
Johannes Hattendorfs, 52 Jahre alt (Fulda).
— November: Geh. Ober-Medizinalrat vr. Philipp
Theobald (Oldenburg i. Gr.). 14.: Bürger-
meister Fischer, einer der letzten kurhessischeu Ab-
geordneten, 93 Jahre alt (Elben). 14.: Stadt-
verordnetenvorsteher Kaufmann G. Klepper, 58
Jahre alt (Melsungen). 19.: Privatmann Ferdinand
Linzen, 73 Jahre alt (Kassel). — Dezember,
6.: vorm. kurf. Hess. Oberschenl und Kammerherr, Erb-
küchenmeister in Kurhefsen Freiherr Moritz von
Dörnberg zu Hausen, 91 Jahre alt (Kassel).
9.: Professor der Kunstgeschichte vr. Karl Justi,
80 Jahre alt (Bonn). 11.: Rentner Ludwig
Müller, 77 Jahre alt (Marburg). 14.: vr. med.
Reinhard Koch, 49 Jahre alt (Kaffel-Bettenhausen).
15.: Ämtsgerichtsrat Leander Greib, Neuhof
(Fulda). 20.: Fabrikant Karl Keerl, 75 Jahre
alt (Kassel). 26.: Regierungsbaumeister a. D. Georg
Kegel, 54 Jahre alt (Kaflel). 29.: Kommerzien-
rat Wunibald Braun, 74 Jahre alt (Frankfurt
a. M.) 30. Privatmann Wilhelm Kämmerer,
86 Jahre alt (Hanau).
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Zu Anfang
der Sitzung des M a r b u r g e r Vereins vom 17. De-
zember gab der Vorsitzende das Wort an Privatdozent
vr. Horst zu einem Nachruf auf den jüngst ver-
storbenen großen Sohn Marburgs, den Kunsthistoriker
Karl Justi. Ausgehend von der in einer ver-
breiteten Tageszeitung zu lesenden Bezeichnung des
berühmten Gelehrten als eines großen Dilettanten
hob der Redner hervor, daß gerade auf der Unter-
lage einer so universalen Geistesbildung — Theologie,
Philosophie und Kunsthistorie — Karl Justi sich
zu dem hatte entwickeln können, was Goethe in
der Einleitung seiner Abhandlung über Winckel-
mann, feinsinnig das Wesen und die Bedeutung
dieses Mannes ergründend, festgelegt hat -. „daß so
ein für Welt und Nachwelt höchst erfreuliches Dasein
sich ausbilden werde." Auch bei Justi ist der Trieb,
der sich in der Mannigfaltigkeit seiner Studien be-
tätigt hat, aus dem Bedürfnis entsprungen, „das
Innere zum Ganzen und Gewissen zu steigern".
Dadurch ist er wie wenige andere Fachwissenschastler
instand gefetzt worden, „ihm Gemäßes, Treffliches
und Würdiges im Menschen und in der Kunst, die
sich vorzüglich mit dem Menschen beschäftigt, aus-
zusuchen." Das gibt seinen literarischen Schöpfungen
Bedeutung und Dauer weit über die Kreise und
die Kritik der Fachgelehrten hinaus. Mit freudigem
Stolz darf der hessische Stamm, dem er entsprossen
ist, zu dem er sich in treuer Liebe bekannt hat,
den Entschlafenen unter seine wirklich Großen rechnen.
Auf die dankenden Worte des Vorsitzenden folgte
der Vortrag von Exzellenz Generalleutnant Beß
„Das westfälische (8.) Armeekorps in Rußland 1812
unter besonderer Berücksichtigung detz ersten Teiles
des Feldzuges (bis Moskau)", auf den wir noch
näher zurückkommen werden.
Der Fuldaer Geschichtsverein hielt am
4. Dezember seine diesjährige Generalversammlung
ab. Nach Abnahme der Rechnung für 1911/12 und
Feststellung des Voranschlages für 1912/13 wurde
der Jahresbericht erstattet. Der Mitgliederbestand
ist 134. Anstelle des verstorbenen Vorstandsmit-
gliedes Geheimrat Hosmann ist Oberbibliothekar
vr. Scherer vom Vorstande für den Rest der Wahl-
periode gewählt worden. Der Verein steht mit 91
in- und ausländischen wissenschaftlichen Vereinen und
Gesellschaften in Schristenaustausch. Neben der
Monatsschrift „Fuldaer Geschichtsblätter" gab der
Verein seine 9. Veröffentlichung - vr. Simon, Die
Verfassung des geistlichen Fürstentums Fulda, heraus.
Demnächst wird erscheinen als 10. Veröffentlichung:
vr. Richter, Die Schriften Georg Witzels, biblio-
graphisch bearbeitet. Nebst einigen bisher ungedruckten
Gutachten und Briefen Witzels. Weiter wird im
neuen Vereinsjahre als Veröffentlichung eine Arbeit
vr. Glöckners über die Mundarten in der Rhön
erscheinen. Im abgelaufenen Vereinsjahre wurde eine
Anzahl geschichtlicher Vorträge und ein Ausflug nach
dem nahen Großenlüder und Bad Salzschlirf ver-
anstaltet. In Großenlüder wurde die Kirche (mit
Überresten des früheren Gotteshauses aus der spät-
romanischen Zeit, die sich im unteren Turmgeschütz
in einem quadratischen Chore erhalten haben) und
in Bad Salzschlirf die Badeanlage besichtigt. Die
Flurnamenforschung im Kreise Fulda ist weit vor-
geschritten und wird in diesem Vereinsjahre vor-
aussichtlich beendet werden. Die sodann vorgenommene
Vorstandswahl ergab die Wiederwahl des alten Vor-
standes. Hierauf sprach Herr Kunstmaler Iller
über „Sanitätsrat vr. Eduard Martiny und die
Gründung des Bades Salzschlirf". Aus dem aus-
führlichen und lehrreichen Vortrag fei folgendes er-
wähnt. Die Quellen zu Salzschlirf, die bereits 1278
VAE- 13 VAE-
genannt werden, wurden bis zum Jahre 1816 nur
zur Gewinnung von Kochsalz ausgenutzt. Die AuS-
Nutzung wurde eingestellt, das Salzwerk niedergelegt
und die Brunnen zugeschüttet, weil Kurheffen damals
ausreichend mit Salinen versehen war. Drei Jahr-
zehnte später erhielt der Graf und Standesherr von
Schlitz gen. Görtz von der Oberberg- und Salzwerks-
direktion zu Kaffel die verschütteten Soolquellen zum
Lehen. Nachdem Görtz den Garten mit der Haupt-
quelle hinzugekaust hatte, trat er alle seine Rechte
und Besitzungen zu Salzschlirf an den in Salzschlirf
zu Besuch weilenden vr. med. Ed. Martiny aus
Ilmenau ab. Martiny erhielt am 11. Januar 1838
die Belehnung durch die Oberberg- und Salzwerk-
direktion. Die Quellen waren damals sumpfige Plätze,
und deshalb ließ Martiny die Quelle des Bonisatius-
brunnens kunstmäßig fassen. Er stellte ferner die
nötigen Badeeinrichtungen her. Bereits einige Jahre
später nahm man weitere Quellen in Benutzung und
im Jahre 1850 eine Erweiterung des Badehauses
vor. Eine Schwefelquelle wurde 1853 entdeckt und
1858 gefaßt. Leider wurden dem Betrieb Hinder-
nisse in den Weg gelegt durch den damaligen Kur-
fürsten, der Martiny als Ausländer ansah. Schließlich
erwarb der kurhessische Staat das Bad im Jahre
1860 für 20000 Mark (Martiny hatte 1858 seine
Unkosten aus 24 773 Gulden berechnet) und erweiterte
und verbesserte die Badeanlage. Durch die Annexion
Kurhessens im Jahre 1866 kam das Bad an Preußen,
und von diesem erwarb der ursprüngliche Besitzer
Martiny es wieder für 20 000 Taler zurück, um
es alsbald (im Jahre 1873) an eine Gewerkschaft
abzugeben. ____________
Hochfchulnachrichten. Marburg Der or-
deutliche Professor in der medizinischen Fakultät
vr. S ch e n k wurde zum Geh. Medizinalrat ernannt.
— Zum Nachfolger des verstorbenen Geh. Regie-
rungsrats Professor vr. O. Kümmel wurde Professor
vr.Wilhelm Meinardus (geb. 1867 zu Olden-
burg) von der Universität Münster auf den Lehrstuhl
der Geographie berufen. Seine zahlreichen Publi-
kationen. betreffen Meteorologie, Klimatologie und
Ozeanologie, sernerbesonders die Beziehungen zwischen
dem Atlantischen Ozean und Klima der Antarktis
und ihrer Umgebung. — Der Haller Privatdozent
vr. Jaensch wurde zum ordentlichen Professor als
Nachfolger des Geheimrats Cohen ernannt. — Am
50jährigen Jubiläum der Höchster Farbwerke
nahmen auch mehrere Vertreter der Universität teil,
Prof. vr. Troeltsch überbrachte als Rektor die Grüße
der Universität, Prof. vr. Reiffert vertrat das chemische
Laboratorium, auch Exzellenz v. Behring, dessen
Diphterieheilserum seit Jahren von den Höchster
Farbwerken hergestellt wird, nahm an der Feier teil.
Die philosophische Fakultät verlieh einem der drei
Mitglieder des Vorstandes der Farbwerke, dem Justiz-
rat Haeuser, die Würde eines philosophischen
Ehrendoktors. — Ein Komitee Marburger Studenten
erläßt einen Aufruf, in dem es zu der Besetzung
des Marburger Lehrstuhls für systematische und
historische Philosophie Stellung nimmt und die
Kommilitonen in Marburg und anderen deutschen
Universitäten zu gleicher Stellungnahme durch Unter-
zeichnung des Aufrufs veranlaffen will. Der Aus-
ruf führteinleitend aus: „InMarburg ist der Lehr-
stuhl für systematische und historische Philosophie,
den bisher Professor Hermann Cohen innehatte, durch
einen Experimentalpsychologen besetzt worden. Die
Notwendigkeit einer Professur für Experimental»
Psychologie soll durchaus nicht in Zweifel gezogen
werden. Hingegen erscheint es als völlig ungerecht-
fertigt, diesem Bedürfnis auf Kosten der systema-
tischen Philosophie nachzukommen. Es handelt sich
hier nicht um eine Angelegenheit nur der Universität
Marburg, nicht um eine Angelegenheit nur der Phi-
losophie, sondern um ein Lebensinteresse der Uni-
versität schlechthin. Für die Zukunft der deutschen
Universitäten ist es von entscheidender Bedeutung,
daß der systematischen Philosophie keiner ihrer Lehr-
stühle verloren geht. Darum fordern wir, daß in
Marburg für den an die Experimentalpsychologie
abgetretenen ein neuer Lehrstuhl für systematische
Philosophie geschaffen wird." — Eine große Zahl
hervorragender Dozenten Deutschlands, unter denen
sich vor allem die bedeutendsten Vertreter der Philo-
sophie befinden, hat ihre volle sachliche Zustimmung
unter ausdrücklicher Befürwortung des Ausrufs aus-
gesprochen. Der Aufruf mitsamt den Unterschriften
wird als eine Kundgebung der deutschen Studenten-
schaft dem preußischen Ministerium überwiesen werden.
— Gießen: Der außerordentliche Professor der
Physik, vr. Wilh. Schmidt nahm einen Ruf an
die Bergakademie in Freiberg in Sachsen an, —
der Landgerichtsrat und außerordentliche Professor
vr. Julius Friedrich einen solchen als ordent-
licher Professor des öffentlichen Rechts an die Hoch-
schule für Kommunal- und Sozialverwaltung in Köln.
— D a r m st a d t: Die technische Hochschule wird im
Wintersemester von 1668 (1911/12:1752) Stu-
dierenden und Hörern besucht. Unter den 479 (410)
Ausländern sind allein 51 (319) Russen.
Personalchronik. Geheimer Legationsrat
vr. Th. Matthieu wurde als Nachfolger des
Geheimrats Schwarzkoppen zum Direktor im Aus-
wärtigen Amt zu Berlin ernannt.
Das Programm des Festzuges zur Tau send-
jahrseier Kassels hat vielfach starke Kritik ge-
§3^ 14 Ç3K4ÎJ
funden, da es wichtige Begebenheiten aus Hessens
Geschichte ausschaltet und sich rein äußerlich an be-
stimmte, um 100 oder 50 Jahre auseinanderliegende
Zeitpunkte hält. Die geschichtlichen Fehler des Pro-
gramms werden in einem eingehenden Aufsatz der
„Kasseler Allg. Zeitung" vom 4. Januar 1913 be-
handelt, der die Hessen aufsordert, dem Programm
in der Form, wie es jetzt vorliegt, die Gefolgschaft,
zu versagen. Es wird aus Grund der zum großen
Teil berechtigten Einwände nichts übrig bleiben, als
das Programm nochmals einer eingehenden Revision
zu unterziehen und sich dabei die Mitwirkung des
Hessischen Geschichtsvereius zu sichern, was von vorn-
herein das Nichtige gewesen wäre.*)
*) Wie wir jetzt erfahren, ist der erste Entwurf inzwischen
berichtigt, und in einer demnächstigen Kominissionssitzung
sollen unter Zuziehung einer Anzahl Historiker, auch vom
Geschichtsverein, weitere Entschlüsse gefaßt werden.
Die Vollendung des 10000. Instruments
beging die bekannte. 1851 begründete Firma Otto
Fennel Söhne in Kassel, deren Erzeugnisse, geodätische
und seine physikalische Instrumente, nach fast allen
Kulturländern der Erde zum Versand kommen.
Todesfälle. Am 20. Dezember verschied zu
Kassel im 76. Jahre ein tüchtiger und geachteter
Kasseler Bürger, der Fabrikant Karl Keerl, der
Seniorchef und Mitbegründer ber Firma Schmidt
& Keerl. Keerl gehörte lange Zeit dem Bürger-
ausschuß an, war langjähriges Vorstands- und Ehren-
mitglied des Verkehrsvereins und hat sich in rastloser
Tätigkeit bleibende Verdienste um die Entwickelung
Kassels erworben. Die Gewerbeausstellung von 1870
war mit sein Werk.
In derselben Woche verstarb gleichfalls zu Kassel,
seiner Vaterstadt, erst 55jährig der Regierungs-
baumeister a. D. Georg Kegel, der lange Jahre
als selbständiger Architekt in Kassel wirkte: Er hat
u. a. den Bau von 24 Kirchen geleitet, darunter
denjenigen der beiden katholischen Kirchen in der
Kölnischen Straße und am Neumarkt zu Kassel. An
Profanbauten schuf er u. a. die Mündener Pionier-
kaserne und das Schloß des Herrn v. Gilsa aus
Rothestein bei Allendorf a. W.
Volckmar-Ehrung. AusAnlaßder 100.Wieder-
kehr des Geburtstages des Tonkünstlers und Musik-
lehrers Prof. vr. Wilhelm Volckmar fand am zweiten
Weihnachtslag in Homberg am Grabe des Verstorbenen
eine Gedächtnisfeier statt. Kantor Euler und Lehrer
Vesper hielten Ansprachen. Pros. vr. Erwin Volckmar
aus Offenbach sprach im Namen der Angehörigen
seinen Dank für die erhebende Feier aus, die auch
durch Liedervorträge verschönt wurde. — Eine weitere
Ehrung erfolgte am 1. Weihnachtstag in Kaffel, wo
der durch seine trefflichen Vorträge bekannte Organist
der Ehristuskirche Lehrer Schäfer eine Answahl der
schönsten Orgelkompositionen Volckmars zu Gehör
brachte. Auch bei dieser würdigen Feier war der
Sohn des Verstorbenen anwesend.
Die hessen-uassauische Ärztekammer
kann auf die ersten 25 Jahre ihres Bestehens zurück-
blicken , die erste Kammersitzung fand am 9. Januar
1888 in Kaffel statt. Seit eben diesem Jahr er-
scheint als Publikation der Ärztekammer das „Korre-
spondenzblatt für die Ärzte der Provinz Hessen-
Nassau"
Die landwirtschaftlichen Winterschulen
Knrhessens werden in diesem Winter von 339
Schülern besucht, gegenüber 406 und 390 in den
beiden Vorjahren, haben also einen Rückgang des
Besuches zu verzeichnen. Die Anstalten befinden sich
in Eschwege (28), Fritzlar (33), Fulda (41), Geln-
hausen (11). Hersfeld (23), Hofgeismar (48), Mar-
burg (54), Melsungen (26) Rodenberg (47) und
Ziegenhain (28).
Vom Landgestüt. Der Vorstand der Land-
wirtschaftskammer für den Regierungsbezirk Kassel
und der Pserdezuchtkommission befaßte sich im Laufe
seiner Schlußsitzung mit dem Entscheid des Land-
wirtschaftsministers, der sich gegen die Verlegung
des Landgestüts von Dillenburg nach einem kur-
hessischen Ort — wahrscheinlich Ziegenhain — aus-
sprach und die Forderung stellte, die alte kurhessifche
Verordnung über das Landgestütwesen vom 14. No-
vember 1827 aufzuheben. Der Vorstand der Land-
wirtschaftskammer beschloß gemeinsam mit der Pserde-
zuchtkomm.ission, von der Forderung, das Landgestüt
von Dillenburg nach einem geeigneten Ort im Re-
gierungsbezirk Kassel zu verlegen, nicht abzugehen.
Aus Kassel. Die neubegründete Gärtnerei - Berufs»
genosienschaft, die sich jedoch nur auf einen Teil Deutsch-
lands erstreckt, hat zu ihrem Sitz Kastei bestimmt. — Die
deutsche Gesellschaft für Gartenkunst begründete eine Gruppe
Hesten-Kastel zu deren erstem und zweitem Vorsitzendem
Gartenbaudirektor Junge und Stadtgartendirektor Engeln
ernannt wurden. Auskunft erteilt der Schriftführer Stadt-
obergürtner Wittmuth. Kaste!.
Aus Niederzwehren. Die Gemeindevertretung be-
schloß eine Erweiterung der Kirche nach Süden hin. um
die Zahl der Sitzplätze zu erhöhen. Der alte Wehrturm
der Kirche soll in organische Verbindung mit dieser gebracht
werden. Gleichzeitig wurde die Niederlegung der südlichen,
mit Schießscharten versehenen starken Kirchhofsmauer be-
schlosten, um die Umgebung der Kirche „würdig zu gestalten"
Das Projekt wurde von der Firma Eubell & Rieck in
Kassel ausgearbeitet. Es bleibt abzuwarten, ob die zu-
ständigen Behörden dazu ihre Zustimmung geben werden.
Die „Hersfelder Zeitung" begann am 1. Januar
ihren 151. Jahrgang.
Aus der Rhön. Eine bescheidene Hausindustrie ist.
wie in anderen Gebirgsgegenden, so auch in der Rhön im
Niedergang begriffen, die Besenbinderei. Reiserbesen, wie
fix höchstens noch auf dem Hof. der Straße oder im Stall
verwendet werden, wurden früher waggonweise verfrachtet.
Die Besenbinderei nährte ihren Mann. zumal sie kein
großes Betriebskapital erforderte. Das beschwerlichste und
gefährlichste am ganzen Geschäft war das Schneiden der
Reiser im verschneiten Winterwald, weil die Gewinnung
des Rohmaterials nicht auf gesetzlichem Wege zu geschehen
pflegte. Heute ist der Versand von Reiserbesen nur noch
gering. ______________
Vom Vogelsberg. Von einer untergegangenen Haus-
industrie weiß auch dir Gemeinde Ober-Ohmen zu erzählen,
das ist die der Messerschmiederei. Wie früher in Groß-
Felda das Nagelschmieden, so stand hier das Mefferschmieden
in Blüte. Fast keine Wohnung geringer Leute gab es
früher hier, in der nicht der Hammer klirrte, der die Stahl-
klingen schmiedete. Die Großindustrie vernichtete zwar
diese Hausindustrie, machte sie sich aber dennoch untertan;
denn viele Messer gingen von hier aus nach Solingen,
um dort den Weltstempel zu empfangen. Jetzt üben nur
noch ganz wenige Leute das Messerschmieden. Die meisten
Arbeiter finden in den Eisengießereien zu Wetzlar und
Lollar befleren Verdienst. Eine untergegangene Haus-
industrie ist auch die der Leinengewinnung, die leider fast
ganz zu Grabe getragen ist. — Im nächsten Jahre werden
bei Gelegenheit der Meliorationen und Weideanlagen in
15 Gemarkungen der Kreise Schotten und Lauterbach größere
Anlagen von Weißdorn- und Haselnußhecken gemacht, die
dem Vogelschutz dienen sollen.
Kriegerdenkmäler. Der Verein für Naturdenkmal-
und Heimatschutz in Kurhessen richtete an die Kriegervereine
seines Bezirkes folgende Mitteilung: Der Verein will das
hessische Orts- und Landschaftsbild planmäßig Pflegen. Zu
diesem Zwecke ist ein Ausschuß für Kunst- und Bau-
beratung ins Leben getreten, der allen Beteiligten mit Rat
und Tat zur Seite stehen will. Ein wichtiger Zweig der
Tätigkeit dieses Ausschusses werde die Beratung in Denkmals-
fragen sein. Der Ausschuß werde sich auf Wunsch jederzeit
den einzelnen Vereinen zur Verfügung stellen. Gerade die
Kriegerdenkmäler seien berufen wertvolle und gemein-
verständliche Kunst bis in das kleinste Dorf zu tragen.
Leider würden sie erfahrungsgemäß dieser hohen Forderung
nicht immer gerecht. Tatsächlich sei die Aufgabe, mit be-
schränkten Mitteln ein wuchtiges und eindruckvolles Denkmal
zu schaffen, das sich harmonisch in seine Umgebung einfügt,
so schwierig, daß sie wohl nur von einem Künstler ge-
leistet werden könne. Der Ausschuß, dem die namhaftesten
Kasseler Bildhauer und Architekten .angehören, stellt den
Kriegrrvereinen Vorentwürfe kostenlos zur Verfügung und
richtet an alle Vereine, dir ein Kriegerdenkmal zu errichten
gedenken, die Bitte, sich seines Anerbietens im Hinblick auf
die patriotische Sache zu bedienen. Anfragen sind zu richten
an Prof. vr. Gaebel. Landaustr.. und Bildhauer Sautter
Kunstgewerbeschule.
Von der Schwalm. Der dritte Weihnachtstag ist ein
schwerer Tag für die Kasse des Schwälmer Bauern, neben
dem Michaelistag gewissermaßen der Zahltag aller Zahl-
tage. „Wer ihn heute anguckt, will Geld von ihm haben."
Es ist der Tag. an welchem er .abrechnet" mit Knecht
und Magd, mit Wagner, Schmied. Schneider und wie sie
alle heißen mögen. Da ist zunächst der Knecht der seinen
Lohn erhält, der nicht nur in Talern - der Schwälmer
rechnet gern nach Talern —, sondern auch in allerlei
Naturalien, als: Korn, Tuch. Flachs. Wolle. Kartoffeln.
Heu, Stroh, dem sog. „Scherzlaib" und der „Scherzwurst"
besteht. Damit tritt der Knecht zur Seite und die Magd
kommt an die Reihe. Auch sie bekommt außer dem baren
Gelde noch mannigfache Naturalien, wie ein seidenes Hals-
tuch mit Schnüren, eine Betzel, Tuch, Wolle, eine Steige
Beiderwand, zwei Metzen Weizen, zehn Ellen „Bettwerk"
Sechs Tage darf sie zum Flachsbrechen heimgehen. Im
Winter strickt sie drei Wochen für sich; „Scherzwurst" und
„Scherzlaib" gehören auch zu ihrem „Auszuge" Ihren
Eltern leistet der Herr so ziemlich alle Fuhren unentgeltlich.
„So" spricht der Herr, „jetzt habt ihr alles" „Ja Herr,"
antworten Knechte und Mägde wie aus einem Munde;
denn auch der Kleinknecht und die Kleinmagd haben das
Ihrige empfangen und packen ihre Siebensachen ein. „Ver>
zehrt's gesund!" wünscht der Herr. Für das nächste Jahr
hat er sie bereits Mitte Sommer wieder gemietet; eine
Sitte, die zur Notwendigkeit geworden ist. seitdem Knechte
und Mägde immer rarer werden. Der Schmied bekommt
ebenfalls einen Teil seines Guthabens, so den Betrag für
das Schärfen der Sensen und Pflüge in Bausch und Bogen
mit Korn bezahlt, wohingegen Wagner und Schneider ihre
Vergütung in barem Gelde erhalten. In gleicher Weise
wie der erstere empfängt Michaelis auch der Schweinehirt
und Peterstag der Schäfer seinen Jahresloh» fast durch-
weg in Getreide.
-------------------
Hessische Bücherschau.
Wilhelm von Humboldts Briefe an eine
Freundin. Ausgewählt und herausgegeben von
Albert Leitzmann. 305 Seiten. Leipzig lJnsel-
Brrlag) 1912.
Schon 1847. ein Jahr nach dem Tode der in Kassel
verstorbenen Charlotte Diebe, waren die berühmten Briefe,
die Wilhelm von Humboldt im Laufe vieler Jahre an
diese seine Freundin geschrieben, zum erstenmal im Druck
erschienen, und dieser Ausgabe find zahlreiche andere gefolgt.
Erst 1901 hat Albert Leitzmann diesen Text mit den noch
vorhandenen Originalen verglichen und war so in der
Lage, im Insel-Verlag zum erstenmal eine vollständige
authentische Ausgabe nach den Handschriften zu liefern.
Eine sorgfältige Auswahl aus dieser Gesamtausgabe, mit
einem Kommentar versehen, stellt die vorliegende Ausgabe
dar. die sich in einem überaus geschmackvollen Biedermeier-
band darbietet. Vorausgeschickt ist eine ausführliche Ein-
leitung. die über die Entstehung der Briefe und ihr Schicksal
aufklärt und auch Lebensdaten und Charakteristik der
Adresfatin bietet. Die Persönlichkeit Charlotte Diebes hat
von Gutzkow bis auf Otto Hartwig und Melm verschiedene
Deutung erfahren. Daß auch derjenigen LeitzmannS von
gut unterrichteter Seite demnächst widersprochen werden
soll, kann schon jetzt verraten werden. Durch die Leitz-
mannsche Ausgabe dieser vielbesprochenen Briefe Humboldts
sind alle früheren Ausgaben wertlos geworden Hbach.
B. Moritou-v. Mellenthin. Bath. Ein Lebensbild.
Zweite Auflage. Kassel (A. Frrhschmidt) Geb. M. 3.—
Dieser Roman ist ohne Zweifel eine Art Selbstbiographie,
in der Wahrheit und Dichtung einen schönen Bund ge-
schloffen haben. Daß es innerlich und äußerlich Erlebtes
smtL 16 imb
ist was unS da von dem Ringen der Titelheldin und
ihres Freundes und späteren Gatten erzählt wird, merkt
man an der innigen Weise der Darstellung. Das Buch
führt uns zunächst nach Witzenhausen in die Kolonial-
schule dann nach Amerika und entwirft wohlgelungene
Bilder von heimatlichen und ausländischen Lebensverhält-
nissen. Es werden — zum Teil eingehend — die Kern-
fragen unserer Zeit erörtert, gewertet und öfter auch auf
ihre künftigen Entwicklungsmöglichkeiten hin verfolgt, be-
sonders dir Fragen nach dem Erwerb der Frauen nach
der wahren Freiheit der Frauen und nach dem heute so
heiß gewordenen Rassenkampf. Der höchste Wert des Buches
aber liegt wohl in der großen Liebe zur Heimat, unserer
hessischen, und in dem durchaus nicht schönfärbenden ernsten
Idealismus, der das Ganze durchzieht und erwärmt. Ein
schönes Buch, namentlich für unsere deutschen und hessischen
Frauen.Ed.
B. Moriton-v. Mellenthin. „Kismet." Roman
nach dem Amerikanischen. Zweite Auflage. Kassel -
(A. Freyschmidt). Geb. M. 3.—
Die Dichterin führt uns in diesem Roman nach Ägypten,
in das Land der Obelisken, Pyramiden, Sphinxe und Mu-
mien. Ein Werk voll farbenreicher Landschastsbilder, die
aber nur den schönen Rahmen zu einer ergreifenden mo-
dernen Herzensgeschichte mit psychologisch wertvollen und
interessanten Seelenenthüllungen bilden. Der hohe und
starke Glaube in ihm an die Macht des Innerlichsten, daS
sich sein Schicksal (.Kismet") selber glüht und hämmert,
macht es zu einem Lebensbuche, das man zur eigenen
Stärkung gern immer wieder einmal aufschlägt. Ed.
B. Moriton > v. Mellenthin. Die vom Wendhof.
Schauspiel in 3 Aufzügen. Hannover (O. F. Kaiser).
Die Dichterin der von Hebbelschem Geiste getragenen
Tragödie „Araspas", die uns in die glanzvollste Perser-
zeit versetzt, hat in diesem neuen dramatischen Werke einen
modernen Stoff aufgegriffen und ihn mit prächtigem RealiS-
mus gestaltet, wodurch es die starke Wirkung erzielte, die
es bereits auf einer ganze», Reihe deutscher Bühnen gehabt
hat. ES behandelt den Untergang eines in „schuldlose
Schuld" geratenen kernigen Bauern an der See mit drama-
tischer Wucht und fortgesetzter Steigerung der seelischen
Empfindungen. Erst vor kurzem hat es in Leipzig (Batten-
bergtheater) einen ganz gewaltigen Eindruck hinterlaffen.
Möchten sich immer mehr Erfolge an die schon errungenen
anreihen!Ed.
Eingegangen:
Simons. Prof. Dr. Eduard. Inneres Erstarken.
Predigt im ersten akademischen Gottesdienst des Winter-
Semesters 1912/13. Marburg (N. G. Elwert) 1912.
Personalien.
Verliehen r dem Direktor der Kgl. Gemäldegalerie zu
Kassel Dr. Gronau der Rote Adlerorden 4. Kl.; dem
Postdirektor Schreiber zu Kassel beim Ausscheiden
aus dem Dienst der Charakter als Geh. Postrat; dem
Rechtsanwalt Wolfs zu Marburg der Charakter als
Justizrat; dem Postdirektor S ch a ch t zu Hersfeld der Rang
der Räte 4. Kl.; dem Spezialkommissar Burhenne zu
Homberg der Charakter als Okonomierat; dem Regierungs-
baumeister Heu sch zu Fulda der Charakter als Kgl.Baurat;
dem ord. Lehrer au der Kunstakademie zu Kassel RegierungS-
baumeister a.D. Frhrn. von Tettau der Titel Professor;
dem Lehrer B e s ch o r an der Kgl. Zeichenakadrmie zu Hanau
der Charakter als Professor; dem Univerfitäts-Kuratorial-
Registrator Splittstößer zu Marburg der Charakter
als Rrchnungsrat; dem Bahnhofsvorsteher a. D. Stiegel
zu Kassel der Kronenorden 4. Kl.
Ernannt: OberlandeSgerichtsrat Hasse zu Kassel zum
Mitglied deS Berwaltungsgetichtshofes in Berlin; Ober-
leutnant d. R. Riedesel Frhr. zu Eisenbach zum
Direktor des Landgestüt« Braunsberg; Gerichtsassessor
Junghanszu Kaffel zum Amtsrichter in Frankfurt a. M.;
GerichtSreferendar Ha dl ich zum Gerichtsassessor; Ghmna-
sialoberlehrer Kühnemuth zu Hersseld zum Professor.
Versetzt r Regierungsrat B u n k von Oppeln nach Kassel;
GerichtSasseffor Dr. Lehr von Kaffel nach Düsseldorf;
der erste Vorstand der Kaiserlichen Reichsbankstelle Fulda
Bankdirektor Hein in gleicher Eigenschaft nach Kassel
und Bankdirektor Lauster von Karlsruhe nach Fulda;
Regierungshauptkaflen-Buchhalter Marth von Kassel nach
Osnabrück; Regierung«-Kanzleiinspektor Franke von
Lüneburg nach Kaffel; Postinspektor B r a n d t von Inster-
burg nach Fulda.
In den Ruhestand versetzt: RegierungS-Kanzlei-
infpektor Pa bst zu Kaffel; Gerichtssekretär Meh m el zu
Kaffel.
Gehören: Zwillingssöhne Dr. Wolf Alh und Frau
Ilse, geb. Rohnert (Freiburg i. Br., 24. Dezember); —
ein Sohn: GerichtSasseffor Kammerdirrktor Walther Stoll
und Frau Hedwig, geh. Noack (Mrerholz bei Hanau, 30. De-
zember); — eine Tochter: Dr. Berlinger und Frau
(Marburg, 17. Dezember); Dr.wed. Bannier und Frau
Erna, geb. Abt (Stolp, 24. Dezember); Erbgraf Wilhelm
von Schlitz gen. von Görü und Frau, geb. Riedesel
Freiin zu Eisenbach (Darmstadt. 26. Dezember).
Gestorben: Bandfabrikant William Wicke aus Kaffrl
(New Pork City); Rektor Völker. 42 Jahre alt (Schlüchtern.
17.Dezember); Lehrer a.D. Eduard Taute (Kaffel. 18.De-
zember); Fabrikant Karl Keerl, 75 Jahre alt (Kassel,
20. Dezember); Fräulein Henriette Fulda, Tochter des
kurheff. Ministerialrats, 87 Jahre alt (Kaffel. 21. Dezember);
Theodor H u p f e l d 67 Jahre alt (Weidenhausen, 21. De-
zember); Frau Pfarrer Anna Niemeher. geb. Ziegler
(Rönshausen, 23. Dezember); Frau Emilie Wegner, geb.
Bahr (Marburg. 24. Dezember); Regierungsbaumeister a. D.
Georg Kegel, 54 Jahre alt (Kaffel, 26.Dezember); verw.
Frau Luise Froelich. geb. Leschhorn(Kaffel,27.Dezember);
Kgl. Landmesser Georg Stippich (Marburg. 28. De-
zember); Kommerzienrat Wunibald Braun, geborener
Fuldaer, 74 Jahre alt (Frankfurt a. M.. 29 Dezember);
Beigeordneter Fabrikant Heinrich Grau (Bad Orb, 30. De-
zember); Wilhelm Kämmerer »vo., machte 1848 als
Emiflär der Hanauer Turnerschaft den AuSmarsch der
Turner nach Baden mit. wurde gerichtlich verfolgt und
kehrte erst 1862 wieder nach Hanau zurück. 86 Jahre alt
(Hanau, 30. Dezember); Abrikant Wilhelm Mehl er.
60 Jahre alt (Fulda. 80. Dezember); Frau Therese
Schröder, geb. Potente. 8A Jahre alt (Kaffel, 30. De-
zember); Kanzleisekretär a.D. Wilhelm Schaub. 79 Jahre
alt (Kaffel. 31. Dezember); Hauptlehrer Kahl (Wachen-
buchen, 81. Dezember); Kgl. Oberstabsarzt Dr. Heinrich
Brill, geborener Fuldaer (Lübeck. 1. Januar); Privat-
mann Karl Rudolph. 66 Jahre alt (Kaffel. 1.Januar);
Frl. Franziska Wähler, 59 Jahre alt (Kaffel. 3.Januar).
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friedr.Scheel. Kaffel.
Hessenland
-KAwei.
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 2.
27. Jahrgang.
Zweites Januar-Heft 1913.
Burg Jürstensletn im Kreise Wolfhagen."
Von E. Happel. Mit Zeichnungen des Verfassers.
Schon vor Jahren hat uns Dr. Lange bei seiner
geschichtlichen Behandlung der Schartenburg auf
eine Urkunde hingewiesen, in der von einem Fürsten-
steine die Rede ist. Dieser Fürstenstein müßte in
der Nähe des Amtes Schartenburg liegen und sollte
dem Landgrafen Heinrich I. und dem Bischof Simon
von Paderborn gemeinsam zustehen. Ein Burg-
frieden regelte auch das Zusammenleben der beider-
seitigen Burgmannen, gedachte der Baurechte, die
jedem Teile zustehen sollten usw. Es besieht also
gar kein Zweifel, daß im Jahre 1269 die Neu-
anlage der Burg „Vorstenstene" erfolgte. Die
Geschichtsschreiber haben das Vorhandensein des
Fürstensteines auch in die richtige Gegend verlegt,
wo aber die Burg gestanden hatte, das blieb bis
in unsere Tage das unbewußte Geheimnis einiger
weniger Landleute, die der „Burg" jedoch gar keine
Beachtung schenkten und sich auch nicht klar darüber
waren, was diese Buckel, Gräben usw. im Eichholze,
wie der Standplatz der Burg heute heißt, einst-
mals waren.
Wer von dem waldeckischen Grenzdorfe Lüters-
heim nach Norden gegen Volkmarsen aus der Land-
straße wandert, der sieht schon bald auf seiner
*) Bergleiche auch den Aufsatz von Dr. Lange im
.Hefsenland" 1912, Nr. 19.
linken. Seite den felsigen Eingang zu einem engen,
dunkelen Tale. Die rechte Felswand ist in tou-
ristischen Kreisen als Hollenkammer gut bekannt,
aber der linken Seite schenkte man weiter keine
Beachtung, da die rechte malerischere Seite das
Interesse der Besucher allein auf sich zog. Diese
Felsen heißen in Volkmarsen Kattenkurts-Klippen,
weil in früheren Jahren der ungetreue Hirt Kurt
Katte das von ihm gehütete Vieh so dicht an den
Abgrund trieb, daß öfter ein Stück abstürzte und
nach altem Rechte als gefallenes Vieh in seinen
Besitz gelangte. Als man die Untreue des Hirten
erkannt hatte, wurde er aus der „alten Lehmen-
kuhle", einem Feldstück nördlich von Volkmarsen,
verbrannt. Im Frühjahr 1912 besuchten Valentin
Traudt und Paul Heidelbach auch die linke Felsen-
seite, und der Lehrer zu Lütersheim erzählte ihnen
von einer alten Burg, die da gestanden haben
müsse; noch sei das Gefängnis zu sehen, und ein
tiefes felsiges Loch schien die Angaben des Lehrers
zu bestätigen.
Nach einer gefälligen Mitteilung der genannten
Herren machte sich der Schreiber dieses mit Herrn
Bibliothekar Dr. Lange auf den Weg, und die
Burg wurde gefunden. Ihre Lage muß als
durchaus glücklich gewählt bezeichnet werden; ganz
VAL 18 VAL
Burg Fürstrnstrin
seine künstliche Fortsetzung und
gesetzmäßig gegen damalige Angriffswaffen sperrt
ein Halsgraben (3) die Burgstütte gegen das
südliche Angriffsgelände (1) ab. Jenseits des
Grabens, an deffen Seite auch der einzig mögliche
Zugangsweg (2) vorüberzieht, liegt das 12 in breite
Hauptbollwerk
der Burg, das
mit seinen wuch-
tigen schrägen
Mauerslüchten
die ganze Burg
gegen die An-
griffsseite deckte
und von deffen
Höhe aus man
die Angriffs-
stellung der Be-
lagerer einsehen
und bestreichen
konnte. Der
Graben (3) fin-
det auch neben
dem Wege noch
endet dann beiderseitig in dem steilen natürlichen
Absturze, der ausgeschobenen Felsnase, die den
Standplatz der
Burg bildet.
Ost-, West- und
besonders die
Nordseite sind
unzugänglich
und sturmfrei.
An der Ostseite
stand wohl das
Hauptgebäude,
denn die unebe-
ne Gestaltung
des Platzes (8),
der etwas tiefer
liegt wie der
Burghof (6).
läßt darauf
schließen, daß
wir hier in den
Kellerräumen
des abgebroche-
nen Haupthau-
ses stehen. Eine
kleine Böschung
läßt vermuten,
Lagkplan der Burg.
daß der Burghof (6) gegen den Abschnitt (7) ge-
trennt war. Der Eingang zur Burg lag sicher
westlich neben dem Hauptwerke, da wo sich die
Schutthalden (5) als Reste des Torgebäudes noch
vorfinden. Die Burg ist größtenteils durch Abbruch
verschwunden, das beweisen die geschälten Mauern
bei 4, wo man den im Material wertloseren Mauer-
kern stehen ließ und nur die Verblender abführte.
DaS tiefe Turmverlies ist als unregelmäßiges
Fünfeck in den Sandsteinfelsen eingemeißelt. Es
ist anzunehmen,
daß das Haupt-
werk (4) voll-
ständig massiv
aus Stein er-
baut war und
daß auch dieson-
stigen Mauern,
wenigstens im
unteren Teile,
ganz aus Stein
bestanden ha-
ben, denn es
findet sich über-
all der weiße
Kalkmörtel, der
(Rrkonfiruktion.) j A. den Ver-
band der Steine herstellte. — Bisher ist nur ein
einziger Fund gemacht, ein Stück Tonscherbe von
echt mittelalterlichem Aussehen, wie sie auf allen
Burgen vor-
kommen.
Anzunehmen
ist ganz sicher,
daß die Burg
f. Zt., als es in
hiesiger Gegend
noch sehr un-
ruhig zuging,
zur Sicherung
der Grenze er-
richtet wurde.
Landgraf Hein-
rich I. hatte
schon früher
die nahe Stadt
Wolfhagen an-
gelegt. später
folgte Zieren-
berg im Amte
Schartenberg.
Auch diese Burg
hatte der Land-
graf teilweise
erworben, und
Gudenburgen. die
mit den Geschlechtern auf den
Heffen feindlich gegenüberstanden, räumte er kurzer-
hand auf, auch die Burg Rödersen im nahen Erpe-
tale wurde zerstört. Hier aber an der Grenze war
eine stets kriegsbereite Burgbesatzung gegen die
tmb 19 9mtL
westfälische Ritterschaft sehr notwendig, und so mag
aus diesen Gründen die Burg, deren Zerstörung
nicht bekannt ist, errichtet fein. Die beistehende
Rekonstruktion mag unS im Bilde vorführen, wie
daS Bergschloß ehemals aussah, als es noch stolz
aufragte, ehe seine geringen Reste zusammensanken
und auf Jahrhunderte unter Bäumen und Wald-
boden verschwanden, bis das kundige Forscherauge
seine Reste wieder entdeckte.
Katharina von Westfalen.
Friederike Katharina Sophie Dorothea,Prinzessin
von Württemberg, die seit 1807 an König Jörümes
Seite als dessen Gattin lebte, eine Frau mit einer
großen und reinen Seele, eine Frau, deren Größe
nie genug gewürdigt werden kann, war das Opfer
politischer Abmachungen geworden. Nicht freiwillig
hatte sie ihre Wahl getroffen. Napoleons, des Er-
oberers, Auge war auf die schöne Fürstentochter
gefallen. Und da der Vater der Prinzessin, Fried-
rich II., 1805 Napoleonischer Abhängigkeit verfallen
war, so dünkte es den Korsen leicht, seine Pläne
durchzusetzen. Katharina sollte Königin und dem
jüngsten Bruder Napoleons. Jörome, vermählt
werden. Kein Bitten, kein Flehen half. Was mag
in der Brust dieses Weibes vorgegangen sein, wie
ihr der Plan einer Heirat mit einem Manne unter-
breitet worden war, den man zwang, eine rechtmäßig
eingegangene Ehe aufzugeben und Weib und Kind
zu verlaffen. Wie klein müssen die moralischen
Qualitäten Jérômes gewesen sein, daß er es nicht
vermochte, sich diesem Zwang zu widersetzen. In
Amerika, wo Jörüme um die Wende des achtzehnten
Jahrhunderts lebte, hatte er sich bekanntlich in
Baltimore in die Tochter Elisabeth des Bankiers
Patterson verliebt und die junge Dame nach kurzem
Brautstand geheiratet. Ein Kind war dieser Ehe
entsprossen. Bald nach jener Zeit begann der Stern
des ältesten Bruders Jörümes mehr und mehr zu
erstrahlen. Nahm'8 Wunder, daß Napoleon sich
großmütig genug zeigte, seine Angehörigen an seinem
Ruhme und seinen Erfolgen teilnehmen zu lassen!
Wie er sorgte, ist hinlänglich bekannt.
Jörümes Heirat hatte aber seine Pläne durch-
kreuzt. Und da er nicht der Mann wär, der sich
einen einmal gefaßten Plan zunichte machen ließ,
wußte er es durchzusetzen, die Ehe JörümeS für
nichtig zu erklären. Auf seines ältesten Bruders
Wunsch war Jérôme in Begleitung seiner Gattin
nebst Kind nach Europa gekommen. Noch hoffte er, daß
sich alles zum Besten wenden würde. Aber Napoleon
duldete es nicht, daß die rechtmäßige Gattin ihrem
Manne folgte. Nur zu bald mußte sie auf dem-
selben Wege, den sie kurze Zeit vorher gemeinsam
gekommen waren, allein zurückkehren. Bei ihren
Eltern in Baltimore fand Elisabeth Bonaparte-
Patterson wieder herzliche Ausnahme. Dort hatte
die Verlassene Zeit, über die Herzlosigkeit ihres
Mannes nachzudenken.
Währenddessen wurden in Frankreich und Württem-
berg die Vermählungsangelegenheiten mit aller Eile
betrieben. Napoleon hatte die Art der Zeremonien
bis ins kleinste vorbereitet. Die erste Begegnung
seines Bruders mit seiner künftigen Gemahlin sollte
auf dem Landsitze des Herzogs von Abrantes vor
sich gehen. Dorthin war auch Katharina aus höheren
Befehl gereist, bevor sie in Paris mit aller Feierlichkeit
in dem Schoß der Familie Napoleon Ausnahme fand.
Ergreifend in ihren Einzelheiten muß diese Be-
gegnung gewesen sein. Die Herzogin von AbranteS
hat darüber u. a. folgende Aufzeichnungen gemacht:
„Die Prinzessin setzte sich zum Kamin und neben
ihr stand ein für den Prinzen bestimmter Lehnstuhl.
Die Tür des MusikzimmerS ging auf und herein
trat Jérôme, gefolgt von den Offizieren seines
Gefolges, die im äußeren Zimmer zurückblieben,
während der Prinz allein in den Saal trat, wo die
Prinzessin ihn erwartete. Sie stand auf, ging ihm
einige Schritte entgegen und begrüßte ihn mit vieler
Grazie und Würde. Jörüme dagegen sah aus wie
ein Bauer und gebärdete sich, als ob er nur auf
Befehl hierher gekommen sei. Er näherte sich der
Prinzessin mit einem Gefühl von Barschheit und
Verlegenheit. Nachdem beide einige Worte mit-
einander gewechselt hatten, bot sie ihm den Stuhl
neben sich an, und es entspann sich eine kurze Unter-
haltung über ihre Reise. Bald daraus stand J«rüme
aus und sagte im Ton und Stil eines Bourgeois
zu der Prinzessin Mein Bruder erwartet uns. Ich
möchte das Vergnügen nicht verzögern, das er haben
wird. Sie als seine Schwester zu bewillkommen?
Die Prinzessin lächelte und machte ihm eine zu-
stimmende Verbeugung, allein kaum hatte Jörome
sich von ihr getrennt, so sank sie in Ohnmacht. Wir
trugen sie ans offene Fenster und wuschen ihre
Schläfen mit Lan äs Cologne. Nach einigen Minuten
erholte sie sich wieder und schob die Unpäßlichkeit
aus die außerordentliche Schwüle des Wetters, allein
ich begriff nur allzu gut den bitteren Konflikt
zwischen weiblichem Gefühl und könig-
lichem Stolz, der in der Brust der armen Prin-
zessin Katharina tobte, um nicht die wahre Ursache
ihrer Ohnmacht zu erraten."
Mt«L, 20 smtb
Nach der am 23. August 1807 erfolgten Ver-
mählung fand der Einzug des jungen Königspaares
in die Residenz Kassel statt. Es folgten für die
durch und durch deutsch empfindende junge Königin
Jahre bitterer Betrübnis und Sorge. Ihres Gemahls
Lebenswandel vermochte die Prinzessin nicht zu ver-
hindern, ihm die Treue zu halten. Die Größe der
Frauenseele Katharinas aber offenbarte sich einige
Jahre später nach dem Zusammenbruch Napoleonischer
Herrlichkeit und damit auch des Königreichs Westfalen.
Katharinas Vater hatte sich 1813 von Frankreich
losgesagt und Anschluß an den deutschen Bund ge-
sucht. Alle Bande, die einst geknüpft, waren zer-
rissen. Arme Katharina, wie muß es dir zumute
gewesen sein, als du dann im väterlichen Schlosse
Unterkunft fandest. Und dann kam der Tag, wo
sich auch Jerüme nach Württemberg ins fürstliche
Schloß gerettet hatte. Als König Friedrich davon
erfuhr, soll er in großem Zorn gewesen sein und
seiner Tochter augenblicklich befohlen haben, vor ihm
zu erscheinen. Des Königs Wille stand fest, daß
Jswme das Schloß sofort zu verlassen habe, damit
er, der König, nicht in falschen Verdacht kommen
könnte. Die Prinzessin kam dem Befehl aber nicht
nach, sondern schrieb ihrem Vater einen Brief, der
folgende die Größe der Prinzessin charakterisierende
Stelle enthält: „Da ich den Zweck der Unterredung
kenne und mich nicht hinlänglich gefaßt fühle, um
über diesen Gegenstand (gemeint war die Scheidung
von Jörüme) sprechen zu können, so erlaube ich mir,
hier die Beweggründe meiner Handlungsweise klar-
zulegen Ich empfing den Gemahl einst aus
Ihrer Hand zu einer Zeit, wo seine Familie noch
das Zepter über viele Reiche führte und eine Krone
seine eigene Stirne schmückte. Das Band, das anfangs
durch die Politik geknüpft wurde, ist seither durch
die Empfindungen meines eigenen Herzens bekräftigt
und bestätigt worden, und mein Gemahl ist mir
nun in der Stunde des Unglücks weit teurer und
werter, als er mir je in den Tagen seiner Macht
und seines Glückes war. Ehre und Natur legen
mir Pflichten aus, denen Wechselsälle des Geschicks
keinen Abbruch tun können. Ich kenne diese wich-
tigen Pflichten und wünsche ihnen nachzukommen. .
Ich teilte mit meinem Gemahl einen HHron, ich will
mit ihm auch sein Unglück und seine Verbannung
teilen."
Wie es Katharina versprochen, hat sie es gehalten :
sie hielt an der Seite ihres Galten aus, bis sie der
Tod trennte. W. K.
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Wo ringer.
(Fortsetzung.)
Hessischerseits bemühte man sich denn auch, durch
weitere Privilegien dem Kasseler Handel wieder
aufzuhelfen. Es gelang dem Landgrafen Hein-
rich II. im Jahre 1336 in Schleusingen vom
Kaiser Ludwig IV. dem Bayern das Privilegium
für seine Stadt Kassel zu erlangen, daß alle
durchziehenden Kaufleute, also nicht nur die Mün-
dener, ihre gesamten Waren in Kassel drei Tage
zum Verkauf auslegen sollten. Soweit sich er-
kennen läßt, hat diese Begünstigung des Kasseler
Handels dann den gewünschten Erfolg gehabt.
Es war auf diese Verhältnisse deshalb einzugehen,
weil es den Zollbeamten oblag, die Durchführung
des Stapelrechts zu sichern.
Bald nach der Erwerbung dieses für die Stadt
Kassel so wichtigen Privilegiums wird uns über
eine weitere Art von Zoll berichtet, der in Kassel
zur Erhebung gelangte, nämlich über einen Brücken-
zoll und ein Brückengeld. Etwa an der Stelle,
wo jetzt noch die als Eisbrecher dienenden Pfeiler
der am Ende des 18. Jahrhunderts abgebrochenen
steinernen Fuldabrücke aus den Fluten der Fulda
hervorragen, befand sich damals, nämlich in der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, eine vielleicht
auf steinernen Pfeilern ruhende Holzbrücke, an
deren einem Ende sich eine Kapelle des hl. Nikolaus,
des Patrons der Schiffer und Wanderer, befand.
Diese Brücke diente neben den Bedürfnissen der
Kasseler Bürger auch einem sehr lebhaften Durch-
gangsverkehr. Tag für Tag zogen die Wagenzüge
von Thüringen nach Westfalen und von Nieder-
sachsen nach dem Rhein und in umgekehrter Richtung
über diese Brücke. Auf dieser wurde nun, seit
wann ist nicht bekannt, ein landgräflicher Zoll
von den die Brücke paffierenden Waren erhoben,
der bei dem erwähnten sehr lebhaften Verkehr wohl
recht ergiebig gewesen sein mag. Diese Brücke
hatte nun unter den Hochfluten und dem Eisgang
der Fulda schwer zu leiden; auch der Fuhrwerks-
verkehr mag ihren hölzernen Oberbau stark mit-
genommen haben. Vom Jahre 1-342 wird uns
berichtet, daß das Hochwaffer der Fulda eine solche
Höhe angenommen habe, daß es in der damals
auf dem Holzmarkt in der Unterneustadt stehenden
Magdalenenkirche bis über den Hochaltar reichte.
Jedenfalls hat diese Hochflut auch der so wie so
schon reparaturbedürftigen Brücke argen Schaden zu-
gefügt. Zur Ausbefferung kam es aber nicht so bald.
*mtL 21
Man mochte sich wohl schon damals, wie es heute
noch der Fall zu sein pflegt, vor derartigen Ausgaben
so lange zu drücken suchen, als es irgend möglich
war. Vielleicht war es auch zweifelhaft, wer zur
Herstellung der Brücke verpflichtet war. und Stadt-
vorstand und Landgraf mochten wohl jeder dem
andern dabei gern den Vortritt laffen. Zeitungen
gab es noch nicht, und so konnten auch noch nicht ver-
ständige Bürger in liebenswürdigen „Eingesandts"
die betreffenden Behörden auf ihre Pflicht und
Schuldigkeit hinweisen, aber es ist wohl sicher, daß
im Ratskeller, in der Kneipe des Henne Matten-
berg und im „Wilden Mann" in der Herrengasse
beim Kaffeler und Eimbecker Bier oder gar beim
Wein. dessen einheimische Sorten, der Weinberger,
der Möncheberger und der Kratzenberger, wohl
kaum geeignet waren, die gereizte Stimmung der
Bürger zu besänftigen, gar sehr über den schlechten
Zustand der Brücke geschimpft worden ist. Da
konnte denn schließlich die Obrigkeit sich einem
Eingreifen nicht länger entziehen. So wanderten
denn die Bürgermeister und Vizebürgermeister
(0on8u1ss st krosonsulss) der drei Kasseler Städte,
der Altstadt, der Neustadt jenseits der Fulda und
der Freiheit, von denen damals noch eine jede ihre
besondere Verwaltung besaß, eines schönen Tages
in das Schloß und stellten dem Landgrafen Hein-
rich dem Eisernen und seinem Sohne und Mit-
regenten Otto dem Schützen die herrschende Not-
lage vor. Die Landgrafen waren verständig genug,
einzusehen, daß ein Neubau der Fuldabrücke nicht
zu vermeiden war, und sie gaben auch zu, daß sie,
die die Einnahme aus dem Brückenzoll zogen,
zum Bau der Brücke verpflichtet waren. Aber mit
dem guten Willen allein kann man keine Brücken
bauen, und Geld hatten die Landgrafen so wenig
als die Stadt Kaffel. In dieser Verlegenheit kam
man nach längerer Beratung zu dem einmütigen
Schluß, die Kosten des Neubaues auf die Schultern
Dritter abzuwälzen, nämlich der auswärtigen Fuhr-
leute und Handelsleute, die die Brücke benutzten.
Die Kasselaner schlugen selbst vor, den landgräf-
lichen Brückenzoll durch besondere Zuschläge zu
erhöhen und den Mehrertrag, den diese Zuschläge
ergäben, zum Brückenbau zu verwenden. Damit
waren die beiden Landgrafen vollkommen einver-
standen und erließen Nun am dritten Sonntage
nach Jubilate im Jahre 1346 eine Urkunde, die
die Erhebung des erhöhten Brückenzolls und eines
besonderen Brückengeldes anordnete und regelte.
Diese uns erhaltene Urkunde, die in lateinischer
Sprache abgefaßt ist, für einzelne Worte aber,
z. B. für „Brückengeld", stets die deutschen Aus-
drücke braucht, besteht aus drei Teilen. Im ersten
Teile wird das eigentliche Brückengeld eingeführt,
daS von jedem Fuhrwerk zu entrichten war, das
die Brücke überfuhr. Ein ourrus, vermutlich ein
vierrädriger Wagen, sollte 4 Pfennige, eine oarruoa,
wohl ein zweirädriger Wagen, nur 2 Pfennige
bezahlen, ohne jede Rücksicht auf die Ladung. Das
Brückengeld war von den auf der Fahrt von
Niedersachsen nach dem Rhein und von Thüringen
nach Westfalen oder in umgekehrter Richtung die
Brücke überschreitenden Fuhrwerken zu entrichten.
Diese Bestimmung ist wohl so zu verstehen, daß
nur Frachtwagen mit Handelsware auf weiter
Fahrt das Brückengeld zu zahlen hatten, während
die Fuhrwerke der Kasselaner und der Bewohner
der umliegenden Dörfer, die nur zum Markte oder
sonst im Geschäftsbetriebe der Bürger und im
Ackerbau der Landleute die Brücke benutzten, vom
Brückengeld frei waren. Um den richtigen Eingang
der Abgabe zu sichern, war bestimmt, daß auch
diejenigen nach den sonstigen Bestimmungen brücken-
geldpflichtigen Fuhrwerke das Brückengeld zu be-
zahlen hatten, die. die Brücke nicht passierten.
Damit sollte ein Umfahren der Brücke vermieden
werden. Man muß dabei im Auge behalten, daß
damals das Kaffeler Fuldawehr noch nicht bestand.
Infolgedessen war zeitweise der Wasserstand der
Fulda ein sehr niedriger und es werden wohl hier
und da Furten bestanden haben, die es gestatteten,
den Fluß ohne Benutzung der Brücke zu über-
schreiten und dann auf Umwegen die Landstraße
wieder zu erreichen. Das mußte natürlich ver-
hindert werden, wenn der Erfolg der ganzen Maß-
regel der Brückengelderhebung nicht in Frage ge-
stellt werden sollte, und die landgräflichen Zöllner
werden deshalb wohl ein wachsames Auge darauf
gehabt haben, daß kein Frachtfuhrmann die Brücke
umfuhr. Der ganze Ertrag dieses Brückengeldes
sollte zum Brückenbau verwendet werden; die Land-
grafen erkannten ausdrücklich an, daß ihnen keine
Einnahme daraus zustehe.
Dei zweite Teil der Urkunde enthält den Tarif
des bisherigen landgräflichen Brückenzolls und des
zum Brückenbau bestimmten Zollzuschlags. Als
Grundlage der Verzollung der einzelnen Waren
erscheinen verschiedene Maße. Massengüter, z. B.
Frucht, Kohlen, Weidasche. Hopfen, Wolle, Erbsen,
Kork, wurden wagenladungsweise verzollt, wobei
wieder unterschieden wird zwischen einem ourruo,
einer earrata, einer oarrue» und einem „Slip-
wagen", für den wohl dem Schreiber ein paffendes
lateinisches Wort gefehlt hat; eurrus und earrsta
waren jedenfalls vierrädrige Wagen, die earruea,
wie schon erwähnt, ein zweirädriger Karren und
der „Slipwagen" eine sog. „Schleife", d. h. ein
auf Schlittenkufen ruhendes Wagengestell, welche
Art von Fuhrwerk sich bis in die ersten Jahr-
*m> 22 ««ML,
zehnte des vorigen Jahrhunderts hinein zur Be-
förderung von Stückgütern in Kassel erhalten hat,
zuletzt noch in den 1870er Jahren bei den Wasser-
tonnen der Städtischen Feuerwehr gebräuchlich und
bei den steilen Straßen recht zweckmäßig war.
Bier wurde ebenfalls nach Wagenladungen verzollt,
Heringe und Butter nach der Tonne, Feigen korb-
weise, Kupfer, Blei, Zinn, Alaun, Seife. Wachs,
£)I nach dem Gewicht, Häute und Saffianleder
stückweise.
Neben dem Brückenzoll wird aber auf der Brücke
zugleich der Marktzoll erhoben. Wer den Wochen-
markt bezog, hatte 2 Pfennig Standgeld zu ent-
richten ; wenn er aber auch im Umherziehen handelte
oder, wie z. B. die fremden Kupferschmiede, altes
Metall oder andere Waren aufkaufte, hatte er
neben dem Standgeld noch eine weitere Abgabe
zu zahlen. Beim Noßtausch hatten Käufer und
Verkäufer eine solche zu entrichten, was in der
nicht unrichtigen Auffassung seinen Grund hat,
daß beim Tausch eigentlich beide Geschüftsab-
schließende Verkäufer sind. Eigentümlicherweise
besteht dieselbe Bestimmung aber auch beim Verkauf
des fremden Bieres, wobei man nur annehmen
kann, daß diese Maßregel zum Schutze des ein-
heimischen Getränks getroffen war. Ganz un-
erklärlich ist die Anordnung, daß derjenige, der
einen Esel verkauft, nur 4 Pfennige zahlt, wenn
er vorher von dem Verkaufe dem Zöllner Anzeige
erstattet; versäumt er das aber, so hat er 30 Pfen-
nige zu zahlen. Alle diese doch recht verschieden-
artigen Abgaben werden im Gegensatz zu dem stets
deutsch benannten „Brückengeld" unter der Be-
zeichnung teloneurn, also „Zoll", zusammengefaßt.
Bei jedem einzelnen Abgabensatze ist angegeben,
wieviel davon dem Brückenbaufonds zugute kommen
soll. Daraus läßt sich die Höhe des ursprüng-
lichen landgräslichen Zolls erkennen. Der Zoll-
zuschlag für den Brückenbau betrug meist die
Hälfte, sonst aber ein Drittel des eigentlichen Zolles.
Der dritte Teil der Urkunde enthält eine wich-
tige Bestimmung über die alsbaldige Beschaffung
der nötigen Baugelder. Es war augenscheinlich
eine besondere Behörde, ein Bauamt nach jetzigen
Begriffen, für den Brückenbau bestellt und diese
„Brückenprovisoren und Struktoren", was wir
wohl mit „Verwaltungs- und Baubeamte" über-
setzen können, werden nun ermächtigt, im Bedürfnis-
falle gegen eine Verzinsung von 2 % Geld auf
den Brückenfonds aufzunehmen. Damit war die
Möglichkeit eines baldigen Beginns des Brücken-
baues gesichert. Anderenfalls würde bis zum An-
sammeln der nötigen Gelder längere Zeit verstrichen
sein, da ja die Zölle doch nur in kleineren Beträgen
eingingen. Am Schluffe der Urkunde versichern
die Landgrafen ausdrücklich, daß die ganze Ein-
richtung nur bis zur Vollendung des Neubaus der
Brücke bestehen soll. Nachher soll alles auf den
alten Stand zurückkehren, also die Erhebung des
Brückengeldes wieder eingestellt und die Tarifsätze
des Brückenzolls auf die ursprünglichen Sätze des
landgräflichen Zolles herabgemindert werden. Es ist
ja wohl anzunehmen, daß man mit dem Brücken-
bau energisch vorgegangen ist und ihn bald voll-
endet hat. Irgend welche Nachricht besitzen wir
aber darüber nicht.
Wir sehen bei der Beschlußfassung über diesen
Brückenzoll die Landgrafen und die Stadt Kassel
in völliger Einigkeit. Freilich handelte es sich hier
um eine vorübergehende Abgabe. Als aber drei
Jahrzehnte später die Landgrafen den Versuch
machten, die 1346 gemeinsam mit den Kaffeler
Bürgern beschlossene Maßregel einer neuen Zoll-
erhebung einseitig und ohne vorherige Zustimmung
der Kasseler Bürger anzuordnen, da stießen sie
auf sehr bedeutenden Widerstand. Zum Ver-
ständnis der damaligen Vorgänge muß ich auf
einige wohl allgemein bekannte Ereignisse in der
Geschichte Hessens kurz eingehen.
(Fortsetzung folgt.)
--------------------
Zwei Kasseler Gelegenheitsgedichte aus der Wertherzeit.
Im Jahre 1778 wurde auf dem Kasseler Hof-
theater Lemierres Tragödie „Hypermnestra" ge-
geben. Als Lynkeus trat darin ein junger fran-
zösischer Debütant, Pinsart, auf, der in der
landgräflichen Truppe als Mitglied Aufnahme
fand und in dieser Eigenschaft alle Rollen in der
Tragödie sowie dritte Chargen im Lustspiel aus-
zufüllen hatte, bereits 1782 aber wieder entlassen
wurde. Soweit der Gothaer Theaterkalender.
Mehr läßt sich nicht über ihn feststellen, auch
Jean-Jacques Olivier weiß in seiner fleißigen
Studie „£,63 comédiens français dans les cours
d’Allemagne au XVIIIe siècle — La cour du
landgrave Frédéric II d« Hesse-Cassel“ (Paris
1905) keinerlei Ergänzungen zu bringen. Es ist
ihm dabei die folgende niedliche Fabel entgangen,
mit der Pinsart im Jahre 1778 dem Landgrafen
für seine Anstellung dankte und ihm zugleich
— vielleicht nicht allzu geschmackvoll — als Apoll
huldigte; sie findet sich im dritten Stück der
seltenen Berliner Zeitschrift „Oll a Potrida"
von 1782.
tmn> 23 c«n<6
A Son Altesse Sérénissime Monseigneur
le Landgrave de Hesse!
Les Oiseaux""^’Apollon.
Fable.
Jadis les animaux possédoient l'éloquence.
Les fleuves même, les rochers,
Les arbres, les vergers,
S’entretenaient entre eux avec intelligence:
(Ce fait parait pêcher contre la vraisemblance
Mais on le conte ainsi,
Esope nous l’assure & la fontaine [!] aussi,
Et pour les démentir, je suis trop leur ami.)
De ce tems merveilleux, je sais certaine histoire
Que je vais raconter,
Elle est très véritable, & l’on peut bien la croire
Daignés*) donc l’écouter. —
Le Père des beaux Arts, le divin Apollon,
Tenait sa cour, & par sa bienfaisance
En peuplant ses Etats, augmentait sa puissance
Au.bien de ses sujets il donnoit tous ses soins
Remplissait leurs désirs, prévenait leur besoins!
Mais on ne peut toujours être en affaire,
Il faut se dissiper:
Notre Dieu donc, pour se distraire,
D’oiseaux divers avoit une Voliere
Linots, Bouvreuils, Verdiére,
Chardonnerets, Tarins,
Rossignol & Serins
Faisaeint (!) tous de leur mieux pour.l'amuser,
Leurs travaux bien payés redoublaient leur courage
Car la graine jamais ne manquait à la cage;
Un pauvre Perroquet arrive en cette cour,
Désirant se fixer en cet heureux séjour.
Demande avec priera
Une place en un coin de la Voliere.
Comme il etoit sans plume, on [lui] en augura
A peine on répondit à ce pauvre animal:
Qui fait le bel Oiseau, dit-on, c’est le plumage,
Et l’homme le plus riche est toujours le plus sage!
Pressé par le besoin, enfin mon perroquet
Ne se rebute pas; fait valoir son caquet,
Il parle — il sollicite —
Pour qu’on puisse juger de son faible mérite
Apollon veut le voir, & l’ayant entendu
Juge qu’en sa volière il doit être recû (!),
Mais toujours aux Gueux la besace!
Un obstacle — dit-on — s’oppose à cette grâce,
Un arrêt du conseil n’assigne à ces oiseaux
De grain pour les nourrir que quatre vingt boisseaux.
Eh bien, dit Apollon, que pour sa subsistance
On prenne en mon grenier du grain de ma dépense,
Pour moi c’est peu de chose, & c’est beaucoup pour lui,
Puis qu’il (!) est malheureux, je lui dois mon appui.
Pinsart
(Sur sa réception dans la troupe française).
Die „Olla Potrida" Von 1782 druckt Sinsart,
es ist aber klar, dah der Verfasser der oben ge-
nannte Pinsart und die Fabel 1778 entstanden ist.
Nicht minder poetisch liest fich bas folgende
Hochzeitskarmen, daS „An einen Freund,.bey seiner
Vermühlung mit Mamsell Tischbein zu Caffel,
1778" gerichtet, im Januarheft^1779 derselben
„Olla Potrida" — einer leider noch immer un-
*) Die Orthographie ist nicht verändert worden.
beachteten, bibliographischen Seltenheit — erschien.
Der „Freund" ist der Theologe Ludwig Röntgen,
der am 29. November 1754 zu Neuwied geboren,
1780 daselbst Prediger wurde. 1783 zum Prediger
zu Petkum bei Emden, 1793 zum Hauptpastor
und Kircheninspektor zu Esens in Ostfriesland,
1794 zum Kgl. preußischen Konsistorialrat auf-
rückte und am 7. Dezember 1814 zu Esens das
Zeitliche segnete.*) Die „Mamsell", die ihm 1778
die Hand reichte, ist Antonia Tischbein, die
in Michels Lyoner Studie „Le« Tischbein“ über-
sehest« Tochter Johann Jakob Tischbeins, eine
begabte Landfchafts-, Blumen, und Tiermalerin,
die fich auch als Kopistin historischer Gemälde
Johann Heinrich Tischbeins deS Älteren hervortat.
äRfta doch, wer da will, auf Dichterbilder lauschen,
Sylben gegen Sylben. Reim' und Reime tauschen.
Recht methodisch schön zu sehn.
Ich — zu voll von Deinem Glücke.
Treue — warme Lieb' in jedem Blicke,
Sieh hier bin ich, Freund, in frohen Jubelrrihn
Mitempfindender Deines Glücks zu seyn!
Welche Lust! in Wonne trunknen Blicken
Lieb' uw Liebe sehn.
Süße- Staunen, ahnendes Entzücken
In verschämten, halbgeschlossnen Augen spähn.
Du, mein Trauter, und Du. feine Beste
Welche Lust! an eurem Liebesfeste
Hin mit Euch zu Eurem Brautaltare
Bollen Heyen» gehn.
Freudenvolles— ungezählte Jahre
Im Gefolge eurer Liebe sehn!
Welch ein Leben! Lust in Lust verwebet!
Lücheltch. wie ihr Reiz in allen Zügen lebet.
Denen seinen Geist ihr Pinsel mitgeteilet:
Ol'Jhr Pinsel**), besten Meisterzügen
Stlbst. mit dankendem Vergnügen,
Unsrer Fürsten Kennerauge weilt.!
Welch' ein Leben! welch' Konzert von Freuden!
Schliche sich auch mal ein halber Mißlaut ein.
O! den zaubert Ihrer Schwester t). oft belauschte Laute.
Deiner süßern Töne süßere Bertraute,
Wieder in» Allegro eurer Freuden
Wie so leise — wie so schnell hinein.
Welch ein Leben!---------Doch von Liebe trunken.
In Gefühlen neuer Lust versunken.
Sie für Dich, Du Ihr die ganze Welt!
O! wer könnte da auf matte Reime hören.
Diese Wonne — nein, beym Gott der Liebe, nein:
O! sie ist zu schön, zu engelrein,
Sünde wä? eS, sie zu stören.
Damals Pardon, schon damals wurden
also die^Kasseler Ehen im Himmel geschlossen.
Berlin. I o a ch i m' K ü h n.
#) Bgl. über ihn Meusels .Gelehrte» Deutschland* VI,
406; XV, 186; XIX. 401. Jntelligenzblatt zur Jenaischen
Literatur-Zeitung 1814. Nr. 69 (Dezember) Spalte 547.
**) Den Lesern von 1779 wird hier empfohlen, .in einem
der deutschen Merkur« ein Wirlandischr» Gedicht an Mamsell
Tischbein. nachzuschlagen. Wir haben nichts derartiges
gefunden.
t) Antonia Tischbein hatte drei Schwestern.
24
Die abgebrannnle Kirche zu Birstein.
Von E. Wenzel.
Mit einer Zeichnung des Verfassers.
Die Kirche zu Birstein, die Anfang Januar
einem Brand zum Opfer fiel, war eine Schöpfung
des 16. Jahrhunderts, ein Reformationsbau ohne
Chor, der nach einer Verwüstung durch die Schweden
einer gründlichen Umgestaltung unterzogen und auch
1701 durchgreifend umgebaut worden war.
Äußerlich ein schmuckloser Bruchsteinbau mit
Verputz und zwei hohen Steingiebeln war die Kirche
durch den nahe der Ostseite angebauten runden
Treppenturm mit mehrfach abgesetztem geschweiften
Helni von malerischer Wir-
kung. Im Innern liefen
doppelte Emporen auf runden
Eichenholzsäulen an drei Sei-
ten des Saalbaus entlang.
Eine flache Brettertonne mit
Fugenleisten deckte den Raum.
Die kleine aber schmucke ba-
rocke Orgel von Christian
Waldheim, an deren Stelle
1688 schon ein ältere gestan-
den hatte, war in neuster
Zeit durch eine neue Orgel
erseht worden.
Ein bedeutendes Werk der
Renaissancekunst war das
große Epitaph an der Ost-
wand der Kirche hinter der
Kanzel. Über mehreren Stu-
fen stand ein sarkophagartiger
Sockel, über dem sich die
Jnschrifttafel mit flankieren-
den Säulen, Gebälk und
Giebelaufbau mit Wappen
und Putten erhob. Das Denkmal war laut In-
schrift dem Grafen Philipp von Isenburg in
Büdingen, geboren 1526, vermählt 1570 mit Irm-
gard von Solms, im Jahre 1596 von Wolfgang
Ernst von Isenburg-Büdingen gesetzt worden. Außer
dem Isenburgischen und Solmsischen Wappen waren
an dem Epitaph 16 Ahnenwappen rings um die
Jnschrifttafeln angebracht. Als Verfertiger dieses
Kirche zu Birstein.
hervorragenden Werks kommt wohl ein Balthasar
Büdenner aus. Büdingen jn Betracht. Lesdep iß
auch dieses Epitaph, durch de» Brand. zerstört
worden.
Ein anderes Epitäph untrr der Empore bestand
aus emèrsi Sand steinrahmen mit. ^Mastern üsid
Giebel, auf dem 16 Ahnenwappen, eine rechteckige
Bronzeplatte umgaben, woran eine Kartusche mit
ovaler Bronzeplatte hing. Das Epitaph war der
1605 verstorbenen Ftasi Hofmeisterin Anna von
Salfeld, verehelichten von
Nostiz errichtet worden.
Eine andere Bronzetaftl
bei dem großen Epitaph wär
wie die vorige in der im
Schloß Birstein befindlich
gewesenen Geschützgießerei ge-
gossen worden. Sre war von
dem schon oben genannten
Wolfgang Ernst von Isen-
burg für seinen 1605 mit
einer Gräfin Elisabeth von
Naflau gezeugten, doch im
folgenden Jahre schon gestor-
benen Sohn Wolfgang Ernst
zum Gedächtnis in der Kirche
aufgehängt worden.
Die Kanzel, die vor dem
großen Epitaph errichtet wor-
den war, war ein Kabinettstück
des Barock. Sie war über-
reich mit Laubwerk. Ranken,
Fruchtstücken, gewundenen
Säulen und Köpfen geschnitzt.
Ihr Verlust ist tief zu beklagen. — Es ist ein
großes Glück, daß uns diese Kunstdenkmäler wenig-
stens im Bilde erhalten geblieben find. vr. L. Bickell
hat uns in seinem Werk, die Bau- und Kunst-
denkmäler des Regierungsbezirks Kassel. Bd. I Kreis
Gelnhausen, in einer Reihe Abbildungen Äußeres.
Inneres der Kirche, Epitaph, Kanzel. Bronzetafel,
Schalldeckel mit erläuterndem Text wiedergegeben.
Der Karl.
Von Käthe Becker.
(Schluß.)
Die Anna und die Christine saßen umschlungen
auf dem mittleren Brett, der Karl hockte in der
Spitze, und der Kaspar hatte den Fahrbaum ein-
gezogen und ließ den Nachen treiben. Die Mädchen
sangen zweistimmig ein eintöniges Lied mit vielen
Versen. Die Anna sang die erste Stimme mit
sicheren hohen Tönen, aber sie preßte sie im Gaumen,
damit sie gefühlvoll klangen. Christinens zweite
tmuL 25
Stimme war selbsterfunden und kunstlos, und bei
dem klagenden Kehrreim fiel auch der Kaspar ein
und brummte eine Art von dritter Stimme zwischen
den Zähnen, die ein kurzes Pfeifchen hielten. Der
Karl paffte stumm und heftig aus einer dicken Zigarre
übelriechende Rauchwolken in die klare Nachtlust.
ES war köstlich still und kühl aus dem leise
ziehenden Fluß. Der Mond stand groß im Osten
und warf ein langes, schimmerndes Netz über die
dünkte Flut. Auf dem ansteigenden linken User
wär däS alte Städtlein aufgetürmt. Die stolze
Klosterkirche mit dem dicken, kuppeligen Glockenturm
über der Vierung und den beiden schlanken, spitzen
Dordertürmen; die alten, hohen Klosterbauten mit
deck glänzenden Schieferdächern, die über den bröckeligen
Klostermauern guckten; die runden Ecktürme mit den
spitzigen Hauben, die von des Städtleins ehemaliger
Befestigung stehen geblieben waren; die Tortürme
an der Stadtmauer und der flache RathauSturm —
alles reckte sich hoch und fein nach dem Sternhimmel
Und hatte verklärte, lichte, aufstrebende Linien um
die tiefdunkle Traumhastigkeit seiner schweren Formen
und seine- erdenschweren Inneren. Und ein süßer,
sommernächtiger Duft wehte herüber über den silbernen
Fluß von den knorrigen Akazien unter der Kloster-
mauer und aus den Klostergärten und aus den
Wiesen um das Städtlein, wo das erste Heu zum
Trocknen lag.
Das Lied war aus, und der Kaspar trieb mit
ein paar kräftigen Stößen den Nachen ans Land.
Die Mädchen sprangen heraus und gingen langsam
hinan; dann kam auch der Karl ans Land und sah,
die Hände in den Hosentaschen, zu, wie der Kaspar
den Nachen auf den Sand zog und mit der Kette
an einen großen Stein festmachte. Dann gingen
die Burschen hinter den Mädchen her. Die achteten
nicht daraus, aber als der Weg zwischen Kloster-
mauer und Friedhof unheimlich dunkel einbog, gingen
sie langsamer, bis die Burschen dicht hinter ihnen
waren. Die Mädchen flüsterten miteinander, und
die Burschen rauchten schweigend.
An des Fuhrmanns Burkhardt Häuschen blieb
die Anna stehen und sagte „Gute Nacht beisammen."
Die Christine und der Kaspar erwiderten den
Gruß und gingen nebeneinander weiter. Der Karl
blieb vor der Anna stehen. Die steckte die Hände
unter die Schürze und zog die Schultern hoch und
guckte den Karl an mit ihren hellen Augen, in denen
immer ein zufriedenes Lächeln stand über ihr jung-
frifcheS, arbeitsfrohes Dasein. Der Karl sah ver-
sonnen weg, dahin, wo die andern im Dunkel ver-
schwunden waren.
„Wo warst Du jetzt heut?" fragte die Anna nach
einer langen Stille.
Der Karl zögerte.
„Auf'm Rathaus", sagte er dann.
„Warum dann?"
Der Karl schwieg.
Nach einer ziemlichen Weile meinte die Anna:
„Was hast jetzt Du auf'm Rathaus verlor'n?"
Und als der Karl weiter schwieg
„No also. - gut' Nacht."
„Wart' emal", sagte er und rauchte stärker.
,»No — ?" fragte sie.
„Aus Johanni wird geheirat'" erklärte er be-
stimmt.
„Wer heirat'?"
„Mir zwei."
„Biste verrückt?"
„Anna, guck' emal —"
Aber die Anna machte die Haustür aus und
knallte sie im Verschwinden herzhaft zu.
Der Karl betrachtete die alte unverschlossene Haus-
tür lange und schwermütig, dann streifte er am
Gartenzaun entlang, wo die Bohnen blühten, und
schlich nach Hause.
* *
*
Unter der offenen Stubentür stand Karls Mutter
und stemmte die bloßen, dürren Arme in die mageren
Seiten. Sie guckte völlig sprachlos aus ihrem harten
Gesicht auf den Herrn Bürgermeister, dem sie eben
ein Viertelchen aus den blanken Eichentisch hingestellt
hatte. Der Herr Bürgermeister wiederholte seine
Worte:
„Ja. also zwischen zehn und elf war er droben
und wollt' alles festmachen."
„Jeffes, Jeffes, der Karl!" zeterte die Frau,
„denk' mal, Vatter!"
- In einem alten, ledernen Großvaterstuhl, inmitten
von schneeweißen Bettkiffen, saß ein Mann, der noch
jugendlich aussah und der aus denselben schwer-
mütigen Kinderaugen guckte wie fein Karl. Seine
Krücken lehnten neben ihm, und seine Beine waren
dick verwickelt, denn er hatte sich beim Feldzug
ins Franzosenland im naffen Biwack vor Metz einen
hoffnungslosen Rheumatismus geholt.
„Wie er nur drauf kommt, der Karl?" meinte
er grübelnd und guckte fragend wie ein Kind nach
der sauberen, zerarbeiteten, verblühten Frau.
„Wie er drauf kommt? Aus so Posse? Weil
Du'm alle Wille läßt", fing Karls Mutter an zu
kreischen. Und dann zeterte sie drauf los. daß
selbst der Herr Bürgermeister nicht hätte zu Wort
kommen können. Wie sie schaffen müffe Tag und
Nacht, und wie der Karl groß geworden wäre,
sozusagen ohne Vater und Mutter. Und jetzt habe
er. seit er aus der Schul' kam, den ganzen Wirt-
schastsbetrieb unter sich, weil s i e doch genug, über-
genug zu rackern habe mit dem Hauswesen und
26
dem Ausschank und dem kranken Mann. Und daß
es gewiß ein Kreuz und Elend sei mit dem Bub",
der immer schon so tue, als wär' er Herr im Hof
und in denZStällen, weil nun mal leider Gottes
keine Geschwister da wären. Und jetzt kriegt er's
auch noch mit Heiratsgedanken! Wo er doch kaum
achtzehn wär' und die Anna auch!
Schließlich mußt' sie doch mal verschnaufen, und
der Herr Bürgermeister kam zum Wort.
„Ja, also was ich sagen wollt'! Mir scheint,
die Sach' hat^schon ihre Richtigkeit," — er lächelte
verschmitzt, „des jung' Volk wird schon wisse, warum's
so pressiert."
Karls Mutter schlug augenblicklich die Hände
überm Kops zusammen.
«Jesses, Jesses, Herr Burgemeister, meine Se dann
wirklich? Gott im hohe Himmel, so e Schand!
S o Kinner! Nei, nei, des glaub' ich net vom Karl!"
Die^Frau * geriet völlig aus dem Häuschen und
schaffte sich so gründlich in ihren sittlichen Eifer
hinein, daß sie ganz vergaß, wie sie selber vor
achtzehn Jahren die Hoffnung auf den Karl statt-
lich vor sich hergetragen hatte, als sie mit seinem
Vater zur Trauung ging.
Draußen im Flur kamen schwere Schritte.
Da fuhr die Frau herum-.
„Karl, Karl — er geht in die Küch' — Karl,
komm' emal her. Sag emal ums Himmels Wille,
was is dann des jetzt? Da, geh' her und sag'
emal, ob's wahr is, daß die Anna e Kind von
Dir kriege sollt'?"
Der Karl war herbeigekommen und stand unter
der Tür. Er hatte nur ein wollenes Hemd und
Lederhosen an, und seine Brust war offen und rot-
braun gebrannt. Er steckte die Hände in die Hosen-
taschen und guckte seine Mutter, seinen Vater und
den Bürgermeister der Reihe nach stumm und ernst-
hast an, als wenn er von weit her käme und nicht
wüßte, um was es sich handeln könnte. Es war
eine Weile ganz still in der kleinen, blanken Wirts-
stube, die nach Schnaps und Seife roch, obwohl
die beiden Fenster offen standen, daß sich die frischen
Vorhänge im Zugwind blähten. Leise klang die
eintönige Melodie des ländlichen Arbeitstages durch
die Mittagsstille.
„No, so antwort' doch, Karl," drängte die Mutter,
„sag', ob's wahr is?"
„Was dann?"» forschte der Karl.
„Daß die Anna e Kind kriegt von Dir — ?"
Da machte der Karl eine kurze Wendung und
ging davon.
„Was kreischst Du^en auch so an, Mutter,"
sagte der Vater traurig aus seinen Kissen heraus.
„Jetzt kann kein Mensch mehr etwas aus em raus
bringe."
Die Mutter greinte und zeterte, und der Herr
Bürgermeister trank dazu sein Biertelchen. Dann
ging sie in die Küche, und der weißbärtige Alte
machte sich davon auf sein Oberseld. Karls Vater
blieb still in seinen Kiffen und horchte versonnen
auf die lockenden Töne des Frühlings da draußen.
* *
*
Abends stand der Karl am Gartenzaun und
wartete auf die Anna. Er guckte in den stillen
Garten und ab und zu pfiff er ein paar eintönige
Takte.
Der Garten lag in einer silbernen Dämmerung,
die aus den verwehenden Schimmern der unter-
gegangenen Sonne und aus den ersten Strahlen
des Mondes gewoben war wie ein Zauberschleier.
Und darunter war ein stilles heimliches Leben von
Keimen und Sprossen, von Vogelliebeslauten wie
lauter seliges, verhaltenes Jubilieren der srühlings-
trunkenen Natur.
Der Karl zog an einer kalten Zigarre und
guckte verträumt in den Garten. So große, er-
wartungsvolle Kinderaugen hatte er, wie die braunen
Aurikeln auf den Beeten. Er wartete ganz ver-
sonnen, ohne Ungeduld, fast ohne Regung und ganz
hingenommen von all dem sehnsüchtigen Leben um
ihn her, aus die Anna, und merkte gar nicht, daß
er sehr lange wartete.
Dann kam sie und war auch im Mondglanz so
frisch und farbig wie der Morgen. Noch einmal
ganz frisch gewaschen und glatt gekämmt war sie,
und sah lächelnd auf den Karl.
„No, bleibe mer da stehn", fragte sie gleich, nach-
dem der Karl sie mit einem verträumten Blick
regungslos begrüßt hatte.
„Warum dann net?" sagte er.
„Die Annern werde schon warte."
«Ich geh' heut net zu de Annern."
„Meinetwege," machte sie und steckte die Hände
unter die Schürze, „dann sag' aber auch, was De
hast."
Das Mädchen lehnte sich mit dem Rücken leicht
gegen den Zaun, aus den der Karl beide Arme
gestützt hatte. Sie betrachtete ihn von der Seite,
immer lächelnd, mit einem unbewußten Gemisch
von belustigter Überlegenheit und mütterlichem Gut-
sein. Und anzusehen war sie, wie eine Kirsche
aus dem Garten, so verheißungsvoll und doch noch
so unreif in ihrer herben Mädchenhaftigkeit.
Der Karl nahm sich Zeit. Aber endlich sagte
er, ganz aus seinen Gedanken heraus:
«Jetzt schwätze schon die Leut' drüber."
„Uber was dann?"
Er antwortete nicht gleich.
„Daß ich aus'm Rathaus war."
27
Die Anna stand mit einem Ruck: kerzengerade.
„Also, jetzt sag' emal, was deS für Poste sein. Was
hast De aufm Rathaus gewollt?" fragte sie energisch.
„Ich hab' gemeint, mer sollte heirate."
Die Anna lachte klingend.
„No, aber so was! Wie kommst De dann da
drauf? Mer meint, Du wärst net ganz bei Trost?"
Der Karl schluckte. Nach einer Weile sagte er
verhalten:
„Also, die Mutter hat heut ebbes gesagt, des
lass' ich Dir net nachsage."
„Was dann?"
„Mer sollte e Kind kriege!"
Die Anna lachte, daß sie sich schüttelte.
„Jesses na, so Zeug! Na, mei Lieber, von Dir
krieg ich net ehnder e Kind, als bis mer verheirat' sein."
„No ja," sagte der Karl erleichtert, „deshalb
mein ich ja auch, mer könnte heirate."
Und dann hob er die Ellenbogen vom Zaun und
wendete sich zu dem Mädchen. Seine tiefen Augen
umfaßten die blühende Holdseligkeit ihrer jungen
derben Gestalt, und in sein Kindergesicht kam all'
seines Herzens Meinung.
„Anna, ich sag' Dir, ich — mag net länger warte
und — wart' auch net mehr länger und da is
es besser, wann —"
Sie lachte, — lachte hell und laut und schüttelte
sich, wie ein Birkenbäumchen im Frühlingswind.
Und als sie endlich wieder zu Atem kam, da
bekam's der Karl zu hören:
„Also, da draus willst Du enaus! Nei, mei
Lieber, geb' der kei Müh'! Du wart'ft ganz schön,
bis es Zeit is. Mer sein ja erst achtzehn Jahr
und sin' noch net emal verspräche!"
Der Karl sah die Anna lange an. Und nur die
sehnsüchtigen Elflein und Geisterlein der Mondnacht
wüßten davon zu erzählen, was aus seinem Kinder-
gesicht zu lesen stand, denn Menschensprache ist dazu
nicht leise genug. Die Anna hielt ihm noch eine
klingende Rede, die fiel von ihren Lippen wie kaltes
Brunnenwasser in ein Steinbecken. Und ihrer jungen
Weisheit letzter Schluß war der: daß der Karl sich wohl
„solange im Zaum werde halten müssen." Mit der
ganzen unbewußten Grausamkeit ihres kühlen Magd-
tums, das sich im Schaffen und Wirken und Blank-
machen genug tat, verlachte sie sein Sehnen und
Langen und zerriß damit das verwirrende Netz seines
Wunschwebens, ehe er es ihr über den blonden Kopf
werfen konnte.
* *
*
Drei Jahre lang hat der Karl noch „warten"
müssen. Tann ist die Anna mit ihm auss Rat-
haus und in die Kirche gegangen. Und sie hat's
auch fertig gebracht, daß erst nach neun Monaten
das pünktliche rosige Mägdlein erschien, das den
Reigen ihrer vielen schönen Kinder, Buben und Mägd-
lein, eröffnete.
„Im Zaum halten" hat sich der Karl aber auch in
der Ehe müssen, und nicht nur in Sachen der Liebe.
---------<»••<«----------
Gedichte von M. Herbert (Therese Kelter), Regensburg.
Der Drache Lindwurm.
Und wenn der Abend zieht ins Land,
Erwachen die alten Schmerzen.
Der Drache Lindwurm kriecht hervor
Und zehrt an meinem Herzen.
Er frißt die Nacht hindurch sich satt
Mit Sehnen, Dangen und Sorgen,
Und rollt sich trotzig in sein Nund,
Wenn siegreich strahlt der Morgen.
Ach Gott, was frommt am hellen Tag
Mein Tun, mein Treiben und Lachen?
Am Abend wird ja dennoch stets
Der alte Wurm erwachen.
Haß und Liebe.
G, es gibt Menschen, die Hasser sind.
Sie hassen die Sonne, sie hassen oen Wind,
Sie hassen das fröhliche Wasser.
Sie sind geborene Hasser.
Und Menschen leben, die Liebende sind.
Sie grüßen die Sonne und wärm sie blind,
Sie lesen das ewige Lieben,
Das über dm Himmeln geschrieben,
Sie liegm vor Licht und vor Glück auf den Kniev,
Sie hörm im Sturme die Melodim,
Gb sie auch kämpfen und ringen,
Eie tragen doch heimliche Schwingen,
Sie holen die Becher der Freude von Gott,
Sie trösten, beschwicht'gen und heilen die Not,
Sie schöpfen aus ewigen Wellen,
Eie schlagen aus Felsen die Guellen.
Sie gehen und lassm die Erde leer.
Wir fragen, wo Kamm die Seligm her?
Sie standm auf hohen Emporen,
Sie waren aus Gott geboren.
Heil dir!
eil dir, der überselig liebt!
em Danke fremd und dem Vergelten
Die Güte Gottes lächelnd übt —
Dein Weg geht über Eterbenswelten.
Es braucht nicht steingegrabne Schrift,
Um deinen Namen festzuhalten,
Dein Fuß weilt auf der ew'gen Trift,
Du lebst mit göttlichen Gewalten.
Geht auch der Pflug ob deinem Grab,
Aus deinem Blute wachsen Ähren!
Wohl dir, der all sein Leben gab
In Arbeit, Liebe und Entbehrm.
**•*46 28 S«*46
Vom Kasseler Hostheater.
Zwei Novitäten hat unS das Kgl. Schauspielhaus in der
letzten Zeit beschert: »Auge um Auge" von PreSber
und „Gudrttn" von Ernst Hardt. (Der Referent apelliert
an die Nachsicht der Leser. Persönliche Verhältnisse hinderten
ihn längere Zeit an der Erfüllung seiner Berichterstatter-
pflicht.) In drei Einaktern variiert Robert Presber
dasselbe Thema. Drei Ehen zeigt er uns. In allen bricht
die Frau die Treue. Und der Dichter wandelt das Wieder-
vergeltnngsrecht in der verschiedensten Weise ab. In „Ab-
rechnung" hintergeht eine „unverstandene Frau" ihren
gelehrten, in etrurischen Vasen und römischen Trümmer-
stücken sich vergrabenden Gatten. Dieser weiß um die
Schuld seiner Frau. Er trägt sein Schicksal schweigend,
um das geliebte Weib nicht ganz zu verlieren. Durch diese
unreinliche Konnivenz bringt er sich — vom Dichter un-
gewollt — allerdings um die Sympathie der Zuschauer.
Aber er gibt dadurch Presber Gelegenheit, sein Drama zu
schreiben. Er tötet den Verführer nicht aus gewöhnlicher Eifer-
sucht. sondern weil dieser sich vor einer Anzahl Zeugen in der
Trunkenheit zynisch der Eroberung gerühmt. Auch der Lieb-
haber wird uns durch seine Schwatzhaftigkeit verächtlich. Ihm
steht mildernd der Tropenkoller zur Seite. Auf den Täter fällt
kein Verdacht. Nach einer gründlichen Abrechnung mit
seiner Frau aber stellt er sich der rächenden Justiz. Daß
er das noch im Stücke tut, wird mit der Absicht motiviert,
einem unschuldig Verdächtigten ein ehrliches Begräbnis zu
sichern. Dies wäre ihm auch so zuteil geworden. Diese
Begründung hat etwas Skurriles an sich. Auch daß im
Moment der höchsten tragischen Spannung eine komische
Szene den Zuschauer zum Lachen reizen soll, ist bei einem
so geschmackvollen Autor verwunderlich. (Eine starke Milde-
rung in der Darstellung dieses Auftrittes wäre unserer
Bühne anzuraten.) Der Ausbau, abgesehen von der über-
flüssigen Eingangsszene, ist straff. Dramatischer Atem
durchweht das Ganze. Vortrefflich ist die Charakteristik
und der Dialog sorgsam gefeilt. Herr Jürgensen schuf
als Professor eine tief wirkende Gestalt voll echter Emp-
findung und erstaunlicher Natürlichkeit. Maske und Geste
waren von verblüffender Echtheit. Die verhaltene Leiden-
schaft riß das Publikum mit fort. Frl. Jähnert gab
die schuldige Frau in ihrem Schmerz, in ihrer Verzweiflung
ergreifend wieder, Frl. Görling war eine wirklichkeits-
treue Witwe, Herr Strial ein famoser Dümmling von
Assessor.
In dem „Jünger" ist es eine mondäne Frau, die aus
Sinnlichkeit mit dem Attache ihres Gatten der als Ge-
sandter eine südamerikanische Republik vertritt, die eheliche
Treue verletzt. Der beleidigte Diplomat kommt dahinter.
Er teilt dem Attache seine Entdeckung mit. Aber er will
erst seine Entlassung in Händen haben, ehe er seine Ehre
rächt. Denn ein Skandal so meint er im Gegensatz zu
dem Publikum, dem seine Beweisführung absolut nicht
imponiert, würde seinem Lande — einer südamerikanischen
Republik! — bei der Nation — im hiesigen Theater:
einem Balkankönigreich! - schaden, bei der er beglaubigt
ist. Der Attache, der dem Manne alles verdankt, dem er
die Frau gestohlen sühnt sein Verbrechen, indem er sich
dem Mordstahl von Verschworenen ausliefert, die den Ge-
sandten löten wollen. Auch dies Stück ist vortrefflich auf-
gebaut. Daß ab und zu ein altes Motiv verwendet ist
— so ist sogar einmal eine starke Anlehnung an die be-
kannte Pantomime „Die Hand" zu konstatieren — soll
Presber nicht verdacht werden. Il prenä son bien ou il
le trouve. Die Titelrolle lag in den Händen des Herrn
Böckler. der allerdings nicht viel damit anzufangen wußte.
Frl. Görling gab die weibliche Hauptrolle. Sie wußte
die glutheiße Sinnlichkeit, die Abenteuerlust und das hin-
reißende Temperament der Weltdame ganz vortrefflich zu
charakterisieren und zeigte sich wieder einmal als Künstlerin
voll impulsiver Leidenschaft und ungewöhnlicher Darstellungs-
krast. Herr Bohnee bewies als Gesandter ein sehr ent-
sprechendes Charakterifierungsvermögen. Er war ein Ge-
sandter voll innerlicher und äußerlicher Vornehmheit und
idealem Schwung.
DaS dritte der Stücke, „Versöhnungsfest" brachte
die heitere Note. Die Frau eines Kritikers hat mit ihrem
Geliebten, einem Lehrer, nach längerer Pause ein Versöhnungs-
Stelldichein. Durch ein amüsantes Versehen kommt der
Gatte hinzu. Sie flüchtet in ein Nebenzimmer und hätt
dort, daß ihr Mann, ohne von ihrer Untreue zu wissen,
das Prävenire gespielt und seit langem Gleiches mit Gleichem
vergilt. Hier ist der prachtvolle, amüsante, glitzernde
Dialog, in dem der Humorist und Satiriker Presber seiner
Laune die Zügel schießen lassen kann, die Hauptsache. Jüngst-
deutsche Dichter wollen uns lehren, was auf der Bühne
gesprochen werde, sei nebensächlich. Nirgends ist eine solche
Vernachlässigung und Verwilderung der deutschen Spracht
zu finden, wie in manchem modernen Theaterstück. Da ist
es denn ordentlich ein Labsal, diesem klugen und sorgsam
gefeilten Dialog zu lauschen, wie er in allen drei Einaktern
an unser Ohr schlägt und wie er besonders im letzten Stück
immer wieder unser Entzücken weckt.
Der Dichter des Herrn Alberti war eine prächtige
Leistung, leichtlebig, überlegen, selbstsicher. Frl. Görling
wußte die Kritikersgattin außerordentlich treffend zu charak-
terisieren. Sie schuf eine Gestalt, die sich dem Zuschauer
fest einprägt und die er lange nicht wieder vergißt. Herr
Berend gab einen philiströsen Kritikeraus gezeichnet, und
Herr Pick er t machte aus dem Kellner eine humoristische
Prachtgestalt, die immer wieder froheste Heiterkeit weckte.
Die Regie (Herr Hertzer) hatte sorgsam und feinfühlig
ihres Amtes gewaltet.
Daß die Stücke schon wieder vom Spielplan verschwunden
zu sein scheinen, ist seltsam. Man sollte doch annehmen,
daß unser Publikum, das sich so gern kunstsinnig nennen
läßt, nunmehr, nachdem seinen Wünschen auf reichhaltigere
Gestaltung deS Spielplans ausgiebig Rechnung getragen
wird, aus seiner Zurückhaltung herausträte und wieder
die Räume des Theaters füllte. Aber es scheint lieber die
Mode mitzumachen und die Befriedigung seines Kunst-
bedürfnisses — im Kino zu suchen
Ob der andern Novität „Gudrun" von Ernst Hardt
ein besser Schicksal beschieden sein wird? Das alte „Lied
von der Treue" endet hier nicht so versöhnlich, wie in seiner
epischen Vorlage. Die Heldin wird innerlich untreu. Sie
liebt ihren Entführer und stirbt deshalb. Fast alle Personen
des älteren Epos treten vor uns hin. Nur König Ludwig
von der Normandie ist vor Beginn des Dramas gestorben.
Aber was das alte Heldenlied auszeichnete: „die Sparsam-
keit mit Worten" ist hier in sein Gegenteil verkehrt. Der
Dichter ist des Wortes außerordentlich mächtig; er freut
sich aber auch selber seiner rdeln Verssprache zuweilen all-
zusehr. Diese Helden, denen das Schwert sehr locker in
der Scheide sitzt, haben eine ebenso gelenke Zunge. Wir
brauchen die Gefühle nicht zu erraten. Sie werden uns
wortreich geschildert. Und was uns im EpoS glaubhaft
erscheint, im Drama wirkt es unnatürlich: daß nicht der
gewaltsame Raub, sondern die Erniedrigung der Königs-
tochter zur Magd das Schlimmste ist, was dieser begegnete.
Es ist ja sehr erfreulich, wenn die altdeutsche Heldensage
von der Bühne herab verbreitet wird. Aber man muß
sich immer wieder verwundert fragen, warum die Dichter
29 904&
nicht ihre Handlung aus unserer, an Konflikten überreichen
Zeit nehmen. Warum sie nicht Gegensätze und Charakter-
bildungen uns vorführen, die uns zeitllch und menschlich
näher stehen. Mangelt es ihnen etwa an Gestaltungskraft?
Fast sollte man es bei Hardt annehmen, dessen Gestalten
uns bisweilen wie blutleere Schemen, trotz aller in Worten
sich äußernden Leidenschaftlichkeit, anmuten
Frl. Görling gab die Titelrolle und schuf damit ein
tief wirksames Charakterbild von ergreifender Tragik. Sie
brachte uns die Heldin menschlich nahe, erhob, bewegte und
rührte. Der immer wiederholte Beifall deS Publikums
war wohl verdient. Der Hartmuth des Herrn Alberti
war leidenschaftlich und resigniert, trotzig und duldsam,
ganz wir rS Hardt will. Frl. Scholz war eine aus-
gezeichnete Gerlind, ihre alles übertönende Mntterliebe kam
zu starkem Ausdruck, Herr Bohnee war ein kraftvoller,
markiger, hünenhafter Witte, Herr Böckler mühte sich
redlich, dem Herwig Blut und Farbe zu geben, und der
ganz anachronistisch wirkende Backfisch ward von Frl. Storm
mit der vom Dichter erforderten Honigsüße wiedergegeben.
Die Regie hatte sehr hübsche Bühnenbilder gestellt und sich
durch die Abtönung der Szenen und die Schaffung eines
einheitlichen Stil« verdient gemacht. Herr H e r tz e r ward denn
auch von dem dankbaren Publikum an die Rampe gerufen.
H. Blumenthal.
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Den Herren-
abend des Kasseler Vereins am 6. Januar er-
öffnete General Ei sen traut mit einem Hinweis
aus die im Jahre 1913 eintretende hundertste Wieder-
kehr der großen Tage des Jahres 1813, in denen
sich das deutsche Volk einmütig zur Befreiung vom
fremden Joch erhob und unter schweren Opfern
seine Freiheit und Selbständigkeit erkämpfte. Redner
sprach die Hoffnung aus, daß neben den vielen
anderen Jubelfesten auch die Erinnerung an das
ruhmvolle Jahr 1913 überall in einer würdigen
Feier des Tages der Völkerschlacht bei Leipzig, des
18. Oktober, ihren Ausdruck finden werde. — Nach-
dem dann Rechnungsdirektor Wo ring er seinen
Vortrag über die Geschichte des königlich westfälischen
Heeres beendigt hatte, berichtete der Vorsitzende über
den sog. Hessischen Willkommen, einen vom Land-
graf Wilhelm IV seinem Schwager, dem Fürsten
Joachim von Anhalt, geschenkten Becher. Der
Landgraf hatte diesen Becher für eine Summe von
1000 Talern herstellen lassen, die Fürst Joachim
in einer Wette an ihn verloren hatte. — Schließlich
gelangten noch einige alte Urkunden und Prozeß-
schriften Kasseler Zünfte zur Verlesung, die Privat-
mann Wentzell hergeliehen hatte.
Marburger Hochschulnachrichten. Der Di-
rektor des Pathologischen Instituts Pros. Dr. Martin
Benno Schmidt hat einen Ruf nach Würzburg
angenommen. Sein Weggang erfolgt vor allem
aus dem Grunde, weil das Studienmaterial an Leichen
für die medizinischen Institute so außerordentlich
gering ist. — Nachfolger des Geheimrats Prof. Dt-,
Krümmel wird nicht der Geograph Pros. Dr. Mei-
nardus zu Münster, sondern der ordentliche Professor
für Geographie an der Universität Kiel Professor
Dr. L. Schültze. — Den ordentl. Pros. Richarz
und Elster wurde der Rote Adlerorden 4. Klasse
verliehen. — Zu dem aus S. 13 dieses Jahrganges
erwähnten Ausruf Marburger Studenten betreffend
den Lehrstuhl für systematische und historische Philo-
sophie wird uns noch folgendes mitgeteilt Es ist
ein alter Wunsch der Studierenden, auch in Marburg
Gelegenheit zu haben, einen Philosophen von neuerer
Richtung hören zu können. Der bisherige Privat-
dozent Dr. Jaensch ans Straßburg, der augenblicklich
an der Universität Halle einen beurlaubten Ordi-
narius der allgemeinen Philosophie vertritt, ist ein,
wie auch seine Gegner anerkennen, vollkommen all-
gemeiner und historischer Philosoph, der das ganze
Gebiet in ausgezeichneter Weise beherrscht. Seine
eigene Arbeitsrichtung ist die der experimentellen
Psychologie. Der gegnerische Aufruf geht von einer
relativ kleinen Gruppe von Marburger Studierenden
aus. Der in ihm dem Ministerium gemachte Vor-
wurf, es sei „völlig ungerechtfertigt, dem Bedürfnis
nach experimenteller Psychologie auf Kosten der
systematischen Philosophie nachzukommen" ist höchst
unberechtigt, denn es handelt sich gar nicht um
Beeinträchtigung der allgemeinen und historischen
Philosophie, sondern nur darum, einer modernen
- Arbeitsrichtung innerhalb jener eine Vertretung an
unserer Landeshochschule zu gewähren, an der sie
bisher mundtot gemacht war. Auch ist es nicht
richtig, wenn gesagt wird, daß der Aufruf jener
kleinen Gruppe von Marburger Studenten von den
„bedeutendsten Vertretern der Philosophie" unter-
zeichnet worden sei. Gerade die bedeutendsten Ver-
treter der neueren Forschungsart in der Philosophie
fehlen unter dem Ausruf. Man kann dem Ministerium
nur dankbar sein dafür, daß es in Pros. Dr. Jaensch
einen der vortrefflichsten Vertreter der neueren
Arbeitsrichtung innerhalb der allgemeinen Philosophie
an unsere Landesuniversität berufen hat. — Der
Deutsch-Amerikaner Gustave Pabst in Milwaukee
hat dem preußischen Kultusministerium eine Stiftung
überwiesen, die für den Privatdozenten in Marburg,
Lic. Karl Bornhausen, zur Errichtung einer
Theologischen Amerika-Bibliothek bestimmt ist. Diese
neue Einrichtung soll dem Studium religiöser, kirch-
licher und theologischer Verhältniffe Amerikas in
Deutschland, der Orientierung der amerikanischen
9mtL> 30 s*E>
Theologie-Studierenden im deutschen religiösen Leben
und dem internationalen theologischen Austausch
dienen und wird demnächst an der Universität eröffnet
werden.
Der Etat des Kultusministeriums sieht unter den
einmaligen außerordentlichen Ausgaben vor: Für die Uni-
versität Marburg 115800 M. zu baulichen Veränderungen
und Verbefferungen in der medizinischen Klinik als letzte
Rate, 50650 M. für Ankauf des Hausgrundstückes Deutsch-
hauSstraße 11 als Dienstwohnung des Direktors der Frauen-
klinik, 150000 M. als 2. Rate für den Neubau einer
Psychiatrischen Aufnahmestation und Poliklinik, 45000 M.
für bauliche Erweiterungen des chemischen Instituts,
150000 M. für den Neubau deS physikalischen Instituts
als 2. Rate, 26000 M. für Erweiterung des Hörsaales
des zoologischen Instituts.
Vom Landesmuseum. Der Neubau des Landes-
museums wird im Sommer 1913 seiner Bestimmung über-
geben werden. Der Etat des Kultusministeriums enthält
als letzte Baurate für dieses Jahr 57 000 Mark. Die
Gesamtkosten des Baues sind veranschlagt auf 829000 Mark,
wozu 80000 Mark für die innere Einrichtung kommen.
Da die Sammlungen des Museums, dem die Pflege der
hessischen kultur- und kunstgeschichtlichen Altertümer ob-
liegt. in mehrfacher Hinsicht Lücken aufweisen, wird zu
ihrer Beseitigung aus Anlaß der Eröffnung des Neubaues
ein Betrag von 54000 Mark im Etat einmalig bereit-
gestellt. Die Erläuterung dieser Etatspositionen bemerkt,
daß für diesen Zweck aus örtlichen Kreisen bereits nam-
hafte Summen aufgebracht wurden.
Todesfälle. Am 2. d. M. starb in Düsseldorf dev
Oberst und Kommandeur des Infanterie-Regiments Nr. 39
Ernst von Blumenstein im 54. Lebensjahre. Er
hatte seine militärische Laufbahn im 1. Kurhessischen Jn-
fanterie-Regt. Nr. 81 begonnen und diesem lange Jahre
angehört. Er nahm am China-Feldzuge teil und kam in
verhältnismäßig jungen Jahren in die Stellung eines
Regimentskommandeurs, von Blumenstein war ein Enkel
des kurhessischen Kammerherrn und Oberforstmeisters Ernst
von Blumenstein, der mit einer geb. v. Meyerfeld ver-
heiratet war. Dieser entstammte einer Verbindung des
Landgrafen Emmanuel von Hessen-Rotenburg (* 1746,
t 1821) mit der Julie Strube aus Rotenburg, die hoch-
betagt in Fulda starb. Von seinem fürstlichen Vater er-
hielt er das rotenburgische Gut Falkrnberg bei Wabern
zum Geschenk, das in den 70 er Jahren für '/. Million
Taler von seinen Kindern an einen Herrn v. Alvens-
leben verkauft wurde. Stabsarzt H a 8 - Oranienstein.
Am 16. Januar verschied zu Marburg, 60 Jahre alt,
der Direktor deS Kgl. Gymnasiums Philippinum Profeffor
vr. Friedrich Aly an den Folgen eines Schlaganfalls.
Er war seit 1901 Nachfolger Buchenaus, seit 1906 Vor-
sitzender der wissenschaftlichen .Prüfungskommission der
Marburger Universität. Aly, der sich durch seine Arbeiten
über Cicero einen Namen gemacht hat. stand im Streit
um das Gymnasium von Anfang an mit an erster Stelle
und trat mit Eifer für die Erhaltung der Eigenheiten deS
Gymnasiums ein; seine Bedeutung auf diesem Gebiet fand
auch dadurch Anerkennung, daß ihm 1907 die Leitung
deS deutschen Gymnafialvrreins übertragen wurde. Mit
feinem Hinscheiden ging rin an Arbeit und Erfolgen reiches
Leben zu Ende. __________________
AuS Kassel. Der dritte oberrheinische Zuverlässig-
keitsflug wird am 1. und 2. Pfingsttag auch über
Kasiel geleitet, zu welchem Zwecke die Stadtverordneten
10 000 Mark bewilligten.
Aus Hanau. Die Hanauer Realschule, aus der die
heutige Oberrealschule hervorging, besteht am 1. Februar
hundert Jahre und wird dieses Jubliäum am 13., 14.
und 15. März festlich begehen.
AusSalmünster. Die Stadt ernannte den ehemaligen
Pastor D. Fuchs, jetzigen Guardian des Klosters Born-
hosen, in Anerkennung seiner Verdienste in der Erforschung
der Geschichte von Salmünster zum Ehrenbürger.
Aus Biedenkopf. Dorf und Kirche zu Breidenbach
werden in einer Urkunde vom Jahre 913 genannt; aus
diesem Grunde soll am 15. und 16. Juni eine Tausend-
jahrfeier stattfinden.
Aus dem Knüllgebirge. Durch die meisten hessischen
Zeitungen ging in diesen Tagen ein dem .Ziegenhainer
Kreisblatt* entnommener Artikel, der sowohl chronologisch
als sachlich auf Irrtümern beruhte. Danach sollen jetzt
gerade 100 Jahre verflossen sein, daß in einem Walde
zwischen Ropperhausen und Oberhülsa zwei französische
Offiziere ermordet und die von ihnen verwahrte französische
Kriegskasse geraubt worden sei. Es könnte sich hierbei
wohl nur um Trümmer des napoleonischen Zuges 1812 nach
Rußland handeln. Ob solche Rückzügler überhaupt in das
Knüllgebirge gekommen sind und die Kriegskasse gehabt haben ?
Das ist doch mehr als fraglich, und diese Jammergestalten
haben sicher auch keine goldenen Treffen an den Lumpen
gehabt, die angeblich die Mädchen aus Oberhülsa als Zierat
auf den Schuhen trugen. — Es kann sich bei der Sage von
der Ermordung nur um die große Retirade nach der Schlacht
bei Leipzig handeln, und da ist eS wieder nur ein Offizier,
der in unserer Gemarkung erschlagen worden sein soll.
Sein Grab, ein grabähnlicher Hügel, befindet sich in der
ehemaligen Schulwiese am Waldesrand des Silberberges.
Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts sollen
Franzosen hier gewesen sein und das Grab besucht haben.
Vielleicht ruht daselbst auch ein gefallener Franzose aus
dem siebenjährigen Kriege, kn dem bekanntlich 1762 in
unserer Gegend zwischen Franzosen und Verbündeten eine
Schlacht geschlagen wurde. In der Gemarkung des nahen
Waßmuthshausen fanden sich in dem Waldort Lichte sieben
grabähnliche Hügel, die man auch Franzosengräber nennt.
Nachforschungen stellten Knochenreste fest. Das sogen,
hölzerne Kreuz im Silberberg soll nach Ansicht sachver-
ständiger Herren mit dem Tod von Franzosen in keinerlei
Verbindung stehen, sondern nur ein Wege- und Grenz-
zeichen sein.
Die Schulden der Provinz Hessen-Nassau. Für
die Schutdenbelastung der preußischen Provinzial- (Bezirks-
usw.) Verbände der Stadtkreise und der Landgemeinden
zusammen ergeben sich 129,18 M., bei den Provinzialver-
bänden allein nur 8.25 M., bei den Kreisen mehr als das
Doppelte, nämlich 20,65 M. und bei den Städten der an-
sehnliche Betrag von 225,03 M. auf den Kopf der Be-
völkerung. Sehr ungleich ist die Verteilung der Belastung
bei den verschiedenen Provinzen. Im Verhältnis zur Be-
völkerungsziffer war am stärksten verschuldet die Provinz
Heffen-Naffau. denn hier entfielen auf den Kopf der Be-
völkerung 217,12 M. Dann erst folgt Berlin mit 212,21 M.
aus den Kopf.
Brandzerstörungen. Am 31. Dezember wurde das
alte Retteröder Schloß bei Lichtenau, das sich seit
Jahren im Besitz der Familie Auell befand, vollständig
durch Feuer zerstört. — In der Nacht zum 8. Januar
vm, 31 VML,
brannte die evangelische Kirche zu Birstein bis auf die
Grundmauern nieder. Auch ein Grabdenkmal aus dem
Jahre 1596 von künstlerischem Wert wurde zerstört. (Vgl.
unseren Aufsatz auf Seite 24.) Zum Wiederaufbau der
Kirche wurden bis jetzt 800V Mark gezeichnet. Die katholische
Gemeinde stellte einstweilen der evangelischen ihre Glocken
zur Benutzung bei Beerdigungen zur Verfügung.
Ein Preislied auf den hessischen Ba uern-
st a n d. Also könnte auch der Titel einer lehrreichen Ab-
handlung Kuno WaltemathS über den Stand der mittel-
deutschen Kleinbauern im Novemberheft der „Preußischen
Jahrbücher* lauten. U. a. macht er darauf aufmerksam,
wie sehr die Viehzucht und die anderen Zweige der Land-
wirtschaft gewachsen sind und sagt in Bezug auf Nassau
und Kurhesten: „Die beiden Länder helfen mit. den Be-
darf der Städte deS Mainzer Becken« zu befriedigen; sie
haben außerdem zu befriedigen Wiesbaden, Kassel. Biebrich,
die Rheingauorte. Marburg. Fulda usw. ES gelingt ihnen!
Und was die Obstkultur anbelangt, so reicht der einheimische
Absatz nicht einmal aus, ihre Erzeugnisse gehen über die
ganze Erde. Das Land ist übersät mit Obstplantagen,
die in den Händen kleiner Besitzer sind. Die Zahl der
Obstbäume übersteigt bei weitem den Durchschnitt für das
ganze Reich. Und ihre Zahl steigt von Jahr zu Jahr,
dank der industriellen Beflissenheit und kommerziellen Klug-
heit der bäuerlichen Landwirte, die in der Erkenntnis
der wachsenden Absatzmöglichkeiten von dem kurzsichtigen
Egoismus der Altvordern abließen, die keine Obstbäume
pflanzen mochten, weil doch erst die Kinder Nutzen davon
hätten. Im Obstbau hat auch die kurhesfische Bauernschaft
vorzügliche Strebsamkeit gezeigt. Nichts ist dabei von dem
Konservatismus zu spüren, den man den hessischen Land-
leuten zu häufig vorwirft. Die Flußtäler sind zu herr-
lichen Obstwäldern umgewandelt. Wer von Hann. Münden
daS Werratal aufwärts wandert, kann Obstplantage au
Obstplantage schauen. Witzenhausen ist das Zentrum. Und
ebenso reich an Obst ist das Fuldatal. Selbst aus den
Höhen des RheinhardSwaldes ist man bestrebt, die Obst-
kultur zu heben; die Bauern deS alten Wallfahrtsortes
Gottsbüren halten selbst in ihrem rauhen Klima die An-
lage von Obstplautagen für ein rentables Unternehmen.
Ihren Höhepunkt erreicht die Obstproduktion in den Kreisen
Hanau und Gelnhausen. Im Kreise Hanau treibt alles,
was ländlich ist, irgendwie Obstzucht. Wie der Garten-
bauinfpektor Huber mitteilt, .lassen die dortigen, meist in
kleinen Betrieben arbeitenden Züchter alles stehen und liegen,
wenn die Obsternte beginnt.'*
Bildschmuck in den Eisenbahnwagen. DaS zur
Ausstattung der Eisenbahnwagen erlassene Preisausschreiben
hat jetzt seinen Abschluß gefunden. Von Marburg waren
9 Entwürfe eingegangen, von denen derjenige von Frieda
Stengl lobend erwähnt wurde. Über die Beteiligung in
Kastel wurde uns nichts bekannt. Ein weiterer Wettbewerb
ist vom Bund Deutscher Verkehrsvereine (Leipzig) für
Berufsphotographen und Amateure ausgeschrieben. Frist
31. Oktober.
--------B-«--------
Hessische Bücherschau.
Ritser, Theodor. Die Lehrer der Augustinerschule
(Gymnasium und Realschule) zu Friedberg
i. d. Wetterau 1850 — 1912. 63 S. 8" Fried-
berg 1913.
Die als Beilage für den Jahresbericht Ostern 1913 ge-
dachte Schrift gibt in 182 Nummern die Lebensbeschreibung
der verstorbenen oder nicht mehr an der Anstalt tätigen
Lehrer seit 1850. Von den augenblicklich an der Augustiner-
schule wirkenden Lehrern sind nur die Namen in zeitlicher
Reihenfolge angeführt. Die sorgfältig durchgearbeitete
Broschüre ist in Verbindung mit Ritserts 1912 erschienener
„Abiturientenliste der Augnstinerschule zu Friedberg (Hessen)
1851—1902" und der 1911 herausgegebenen Programm-
beilage (Dreher: „Professor Dr. Johann Philipp Dieffen-
hach. 1786—1860. Sein Leben und Wirken.*) eine dankens-
werte Ergänzung zu Windhaus. „Geschichte der Lateinschule
zu Friedberg. 1543 — 1893, Friedberg 1893* und den
anderen diesbezüglichen Abhandlungen in: „Archiv für hesi.
Geschichte* (N. F. I. 115—195, 301-325; II. 235—256)
und „Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs-
und Schulgeschichte* II. 3. Dreher.
Musikalisches. Im Verlag von Georg Dufayel in
Kastel ist soeben eine Schrift erschienen, die Gesangsbeflissenen.
Gesangsfreunden und Berufssängern angelegentlichst emp-
fohlen werden kann. Sie hat den König!. Opernsänger
und fürstl. lippifchen Kammersänger HanS Wuzäl zum
Verfaster und führt den Titel „Meine Erfahrungen als
Gesanglehrer über Erziehung und Behandlung der Kunst-
stimme*, Wuzel. der feine ersten Kenntnisse dem Kammer-
sänger Professor Jos. Hauser in Karlsruhe verdankt und
diese im Laufe von 22 Jahren durch Unterrichten um ein
Erkleckliches bereicherte, schuf sein Lehrbuch des Gesangs in
gedrängter und anschaulicher Form, berücksichtigte vieles
Neue auf dem Gebiete-der GefangSkunst und brachte Ver-
einfachtes in der Technik vor, so daß dieses Gesaugsschülern
sicherlich ein Freund und treuer Begleiter in der Zeit ihrer
selbsttätigen Weiterbildung sein wird. Der Herausgeber
geht genau auf die Atmung, Zungenlage und Mundstellung.
Bildung der einzelnen Vokale und Konsonanten ein und
gibt ein „Übungsheft zur Gesangsschule* bei. das in den
Ausgaben für Sopran, Alt. Tenor und B"ß käuflich ist.
Man lernt an der Hand dieser köstlichen Übungen in.Dur
und Moll u. a. das absolute Tonbewußtsein, das Über-
gehen aus dem Piano ins Forte und alle das, was einem
tüchtigen Sänger nötig ist. Auch ist in der Schrift Wuzöls
auf Lieder von Mendelssohn, Schubert, Schumann Vergleichs«
weise hingewiesen. Wuzol, der bei einem Gesanglehrer ebenso
gediegene musikalische und theoretische Kenntnisse als auch
pädagogische Erfahrungen voraussetzt, hat in dieser Gefangs-
schule ein Werk von bleibendem Werte geschaffen, das in
Zukunft nicht mehr übersehen werden kann. Alle die, die
es wirklich ernst mit einem Studium des Gesanges meinen,
werden darin eine Fülle von Wissen und Klarheit finden.
Kastei. Johann Lewalter.
Literarisches. Am 27. Januar erscheint in dritter
und durch 5 Beilagen erweiterter Ausgabe von Dr. phil.
Seeligk „12 Geschichtsbilder aus der Casseler Vergangen-
heit*. Diese werden als Vorläufer der Tausendjahrfeier
manchem willkommen sein.
Numismatisches. Die Blätter für Münzfreunde 1912,
Nr. 11 bringen in der Beschreibung des Münzfreundes
von Niederlauer in Unterfranken von Dr. H. Buchenau
und Dr. M. Bernhart folgende Hessen angehende Münzen:
S. 516: I) Schilling der Abtei Helmershausen. Avers:
' Stehender Heiliger mit Schwert und Krummstab. Um-
schrift: 8anebu8 Liloitvalà'(gemeint ist der Schutzheilige
Modoald, besten Name im VolkSmunde sich änderte). Revers:
ME. 32 ME
Rechenschild mit Ring in der Mitte zwischen drei Arabesken.
Umschrift: Moneta, nova, Helmerhus. Tafel 202 Nr. 99.
Der Schilling, ein Unikum, gehört dem Ende des 15. Jahr-
hunderts an. 2) Schilling der Abtei Fulda und zwar des
Abts Hermann ll. von Buchenau (1440—1449). Avers:
Stehender Heiliger mit Mitra und Heiligenschein. Um-
schrift: Sanctus Bonifacio». Nrvers: Gevierter Schild.
Umschrift: Noneta argentea l'ulcksn. BiSher unbekannter
Schilling nach der MLnzordnung vom 10. Februar 1447.
3) Einfeitiger Pfennig der Landgrafschaft Heffev. MLnz-
stàtte Schmalkalden. mit ben Wappen von Heffen uwd
Ridda.
Personalien.
Verliehen r der Rote Adlerorden 2. Kl; dem Freiherrn
von Dörnberg. Kammerherrn. Majoratsherrn zu Kassel;
der Rote Adlerorden 3. Kl. mit der Schleife; Dr. Grün-
berg. Oberregierungsrat. zu Kassel; von der Marwitz,
Landstallmeister, zu Beberbeck; D. Möller. Generalsuper-
intendent. zu Kassel; Vollgold, Präsident der Eisenbahn-
direktion zu Kassel; der Rote Adlerorden 4. Kl.: Alt-
müller. Pfarrer und Metropolitan, zu Gudensberg;
Bossart Regierungsrat. zu Kassel; Brüning, Kom-
merzienrat, zu Hanau; Düstersiek Postdirektor, zu Fulda ;
Dr. Elster. Professor, zu Marburg; Fenn er. Rrchnungs-
rat. zu Kassel; Groß. Amtsgerichtsrat. zu Kastel; H e n s e l l.
Rechnungsrat. zu Kassel; Dr. Hoebel. Professor. Ober-
lehrer. zu Kassel; Hoffman». Rechnungsrat. zu Geln-
hausen; Knaack, Regierungsrat, zu Kassel; Kowalski.
Eisenbahndirektor, zu Kassel; Krauß. Regierungs- und
Baurat. zu Kassel; Dr. Krull Professor, Oberlehrer, zu
Eschwege; Kusenk»erg. Rittmeister a. D., Regierungsrat,
zu Kassel; K u l l m a n n. Oberlandmesser, zu Treysa; L o o f f,
Medizinalrat. zu Kassel; Mein ecke. Rechnungsrat. Geh.
exped. Sekretär und Kalkulator im Kultusministerium, zu
Berlin; Mittnacht. Revierförster a.D., zu Witzenhausen;
Professor Olde. Direktor der Kunstakademie, zu Kassel;
Dr. Richarz Professor, zu Marburg; Sch la eg er
Regierungsrat. zu Kassel; Schlitzberger Beterinärrat.
Kreistierarzt zu Kassel; Graf von Spee. Landrat zu
Borken; Stüdemann Baurat. zu Melsungen, Stuhl.
Regierungs- und Baurat. zu Hersfeld; Uth, Justizrat,
Rechtsanwalt, zu Hanau, Bial. Rechnungsrat. Rentmeister,
zu Marburg; von Waldthausen Regierungsrat a. D.,
zu HrrSseld; Dr. Weigel. Landesrat zu Kassel; der
Königliche Kronenorden 2. Kl.: Bremer. Oberbaurat, zu
Kastel; der Königliche Kronenorden 3. Kl.: Friedberg.
Geh. Regierungsrat. zu Kassel; Dr. Hartmann. Geh.
Sanitätsrat. zu Hanau; Dr. Hossmann Fabrikdirektor,
in Mainkur (Fechenheim); I e ß, Geh. Justizrat, Landgerichts-
direktor. zu Marburg; Kaupert. Oberstleutnant. Kom-
mandeur der Kriegsschule, zu Kassel; Noeldechen, Geh.
Regierungsrat, Landrat, zu Fritzlar; RiesvonScheurn-
schloß, Kammerherr. Polizeipräsident, zu Frankfurt a. M.;
der Königliche Kronenorden 4. Kl.: Breul. Oberfaktor,
zu Kassel: Filthaut. Präparandenanstaltsvorsteher, zu
Fritzlar; Hecker. Stadtrat. zu Marburg; Kaufmann,
Rektor, zu Gelnhausen; Malmus. Eisenbahnwerkmeister,
zu Kassel: Metz Rentner, zu Gudensberg; Möller,
Postsekretär, zu Hanau; Räuber Oberlehrer, zu Kastel;
Sinn in g, Gutsbesitzer, zu Oberzwehren; Sch a af Zoll-
fekretär, zu Kastel; den Oberlehrern Laubet, Hofmann,
Dr. Heinze zu Kassel. Brokmann zu Fulda und
Dr. Andrae zu Hofgeismar der Charakter als Profestor;
den Vorgenannten, dem Professor Dr. von Spindler zu
Marburg und dem Baurat Hensch zu Fulda der Rang der
Räte 4. Kl.; den Domänenpächtrrn Selhausen zu Gesund-
brunnen bei Hofgeismar, Kimme! zu Rüdigheimerhof,
Braun zu Cornberg und Schwarz zu Kinzigheimerhof
der Charakter als Königlicher Oberamtmann.
Studienrat Georg Berlit (aus Hersfeld),
Profestor an der Nikolaischule zu Leipzig, zum Konrektor
dieser Schule; Oberförster Hawlitschka in Felsbrrg zum
Regierungs- und Forstrat in Oppeln; die Rechtsanwälte
vr. Rumann zu Heringen und Bindewald zu Karls»
Hafen zu Kgl. Notaren; Pfarrer extr. Teichmüller zu
Kastel zum Pfarrer in Frankenau; die Referendare
Dr. Pitz. Dr. Iber, Hartung und Waldhausen zu
Gerichtsassessoren.
Beauftragt mit den Geschäften der RrchnungSdirektorS
bei der Kgl. Eifenbahndirektion zu Kastel der Eisenbahn»
Rechnungsrevisor H e n n i n g s e n.
Geboren: ein Sohn: Dr. Julius Wilhelm und Frau
Fridh, geb. Strinmann (Berlin-Friedenau. 31.Dezbr. 1912);
Gerichtsaffestor Richard Schwerdtfeger und Frau Luise,
geb. Pfeiffer (Görlitz. 3. Januar); — eine Tochter: Ober-
lehrer Jülicher und Frau Irma. geb. Fischer (Ohligs);
Amtsrichter Ernst v. Lorentz und Frau Maria, geb. Hintze
(Rawitsch, 2. Januar); Gerichtsaffestor E. Sethe und
Frau (Berlin-Großlichterfelde, 14. Januar); Hauptmann
Wenderhold und Frau Hedwig, geb. Trost (Schlettstadt.
14. Januar).
Gestorben r Privatmann Jakob Sperling aus Witzen-
hausen. 84 Jahre alt (Turtle Creek bei Pittsburg. Penn-
sylvanien); Oberst Ernst von Blumenstein, 53 Jahre
alt (Düsseldorf 2. Januar); Frau Auguste Ahlborn.
geb. Schreiber Witwe des Kreisphyfikus. 75 Jahre alt
(Kassel 4. Januar); Weinhändler Gustav Wagner.
73 Jahre alt (Homberg); Frau Agnes Weidemann,
geb. Krisch. Witwe de8 StaatSkaffiererS, älteste Bewohnerin
Fuldas. 95 Jahre alt (Fulda, 5. Januar); Ziegeleibrfitzrr
Friedrich Wilhelm Wick (Marburg. 5. Januar); Amtsrat
Helwig Heidt. 73 Jahre alt (Schafhof bei Ziegenhain,
5. Januar); Kastellan a. D.- Kon rad Eitel, 86 Jahre
alt (Kassel. 5. Januar); verw. Frau Minna Francke,
geb. Throm, 59 Jahre alt (Kassel. 6. Januar); Hegemeister
a. D. Gustav Trebs, 65 Jahre alt (Marburg. 6. Januar);
Frau Dr. Marie Wagner, geb. Fuchs, Witwe des Pro-
festors. 80 Jahre alt (Fulda. 7. Januar); Frau Amalie
Massie. geb. Soldan, Gattin des Bürgermeisters (Nieder-
zwehren, 9. Januar); Magistratsmitglied Kaufmann Adolf
Almeroth. 52 Jahre alt (Hanau, 10. Januar); Grrichts-
referendar Hermann Kraushaar'aus Kastel. Dolmetscher-
Aspirant beim deutschen Konsulat (Tanger); verw. Frau
Sophie Ebert, geb.Pfeil, 68 Jahre alt (Kaffel. 11.Januar);
Kaufmann Siegmund Romain, 52 Jahre alt (Kastel,
11. Januar); Fräulein Karoline Roch oll. 65 Jahre alt
(Sand. 12. Januar); Kaufmann Ernst Bodenheim.
Direktor der Verein. Faßfabriken A.-G. zu Kastel. 37 Jahre
alt (12. Januar); Gustav von Wille. 52 Jahre alt
(Hamburg, 14. Januar); Proviantamtsdirektor a. D. Jakob
Stamm (Kastel. 14. Januar); Stadtrat Eduard Hecker.
62 Jahre alt (Marburg. 15. Januar); Bauunternehmer
Rappold (Frielendorf. 15.Januar); Direktor des Gymna-
sium Philippinum Dr. Friedrich Alh, 61 Jahre alt
(Marburg 16. Januar): fr. Oberin des Diakoniffenhaufes
Marie Beh re. 72 Jahre alt (Kastel. 16. Januar); Frau
Adele Grisel. geb. Baurmeister, 80 Jahre alt (Kaffel.
18 Januar); Fräulein Marie Zülch, Tochter de« Pfarrers
(Hofgeismar. 18. Januar). ____________________
Briefkasten.
Dr. R. in Laubach. Empfangen. Besten Dank!
Für dir Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kastel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kastel.
Heffenlan-
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Rr. 3. 27. Jahrgang. Erstes Februar-Heft 1913.
Kanzleistil und Alurnamenforschung.
Von vr. Wilhelm Schoos.
Wundt unterscheidet in dem Kapitel von der
Wortbildung in seiner Völkerpsychologie (Bd. I. Die
Sprache) volkstümliche und gelehrte Neubildungen
von Wörtern. Während jene sich fast immer an
ganz bestimmte laut- und bedeutungsverwandte
Wörter anlehnen (z. B. nhd. Friedhof aus mhd.
vrrtdok „eingefriedigter Hof") und in der Regel
aus einem bestimmten Bevölkerungskreis hervor-
gehen, wenn sie auch zuweilen individuellen Ur-
sprungs sein können, unterscheiden sich die gelehrten
Neubildungen schon nach ihrem äußeren Eindruck
dadurch, daß sie den Charakter willkürlicher oder
absichtlicher Erfindungen an sich tragen und daher
viel bestimmter auf einen individuellen Ursprung
hinweisen. In der Tat ist hier der Schöpfer eines
neuen Wortes in sehr vielen Fällen in einer be-
stimmten literarischen Persönlichkeit direkt aufzu-
finden. Während die volkstümliche Neubildung
nur aus der Muttersprache schöpft, betätigt sich
die gelehrte in der Übertragung fremden Sprach-
gutes in die Muttersprache. Daher sind es nicht
immer wirkliche Neubildungen, sondern oft bloße
Bedeutungs- oder Dialektübertragungen eines einem
beschränkten Berufskreis übernommenen Wortes
in den allgemeinen Sprachschatz. (Wundt a. a. O.
S. 573 ff.)
Diese Ausführungen Wundts bestätigen sich in
vollem Umfang für den Namenforscher, der Ge-
legenheit hat, die mundartlichen Namenbildungen
(Orts- und Flurnamen) in ihrem Verhältnis zu
den urkundlichen bzw. amtlichen Schreibungen zu
verfolgen. Da die Volksmundarten die gesetz-
mäßige Weiterbildung des Althochdeutschen dar-
stellen, sind die mundartlichen Orts- und Flur-
benennungen die ursprünglichen und daher von
größerem Wert für den Sprachforscher als die
amtlichen Schreibungen. In der älteren Zeit, vor
dem Entstehen der neuhochdeutschen Schriftsprache,
schloß man sich auch in den Urkunden möglichst
genau an die ortsübliche Aussprache an, weil sie
die maßgebende war. Erst mit dem Aufkommen
einer über den Volksmundarten stehenden Literatur-
oder Kanzleisprache, seit dem 16. Jahrhundert,
bestrebte man sich, den Namen willkürlich in
Einklang mit der neuhochdeutschen Kanzleisprache
zu bringen, ihn einmal möglichst vornehm zu
schreiben, zum andern ihn aus dem Dialekt ins
Hochdeutsche zu übertragen, weil nach der damals
(und leider heute noch vielfach) herrschenden irrtüm-
lichen Annahme der Dialekt etwas Unfeines, eine
Verdrehung oder Verstümmelung der amtlichen
Schreibweise sein sollte.
URL. 34
So läßt sich an der Hand der mundartlichen
und offiziellen Namensformen manch interessantes
Bild von der Geschichte eines Namens entwerfen.
Dabont sua fata nominal
Obgleich die methodische Erforschung der Orts-
namen neben genauster Kenntnis der urkundlichen
Quellen die mundartlichen Überlieferungen nicht
entbehren kann, so ist sie im übrigen doch besser
daran als die Flurnamensorschung. Denn wäh-
rend hier die amtlichen Benennungen in der Regel
meist jüngeren Datums sind und die Kataster-
nnd Flurbücher selten über das 16. Jahrhundert
hinausreichen, ältere urkundliche Quellen aber nicht
immer erreichbar sind, steht zur Delltung von Orts-
namen, namentlich bei älteren Gründungen, oft
reiches Urkundenmaterial zur Verfügung, das nicht
selten bis ins 8. oder 9. Jahrhundert hinaufreicht
und uns mit Hülfe der mundartlichen Überliefe-
rung eine sichere Deutung ermöglicht. Sind also
die amtlichen Benennungen aus dem 16.— 18.Jahr-
hundert für die Erforschung der Ortsnamen leicht
zu entbehren, ja oft nur irreführend, solange wir
ältere Urkunden und die Überlieferungen der Volks-
sprache besitzen, so sind wir andererseits auf die
mehr oder minder „verhochdeutschten" amtlichen Be-
nennungen der Flurnamen in Ermangelllng von
etwas Besserem geradezu angewiesen. Hier kommt
uns nun eine eingehende Kenntnis der Mundart
zu Hülfe und führt uns oft der widersinnigen
amtlichen Auslegung zum Trotz unerwartet rasch
zum Ziel.
Diesen Unterschied in der Methode der Namen-
forschung näher zu erläutern, mögen einige Bei-
spiele herhalten. Wenn wir unter den überlieferten
Namensformen für Notwesten (Landkreis Kassel)
1585 Uotwursttzn und 1778 gar Rotbwür8tsn
finden, so ist man im ersten Augenblick geneigt,
an wirkliche Rotwürste zu denken, bis uns die ältere
Form Uuäevvarcki88in bald an einen Uuoäwart,
nhd. Robert, als vermutlichen Gründer des Ortes
erinnert. Ähnlich geht es uns, wenn wir die von
Engelhard (Erdbeschreibung der Hessen-Kasselschen
Lande, 1778) erwähnte Form Confugium für
Oberkaufungen mit der älteren Coffungen, wenn
wir die Form Hauobebuie (— Hoheburg!), für
Hachborn mit der älteren Form Daveebeburnen
(— Habichtsborn), wenn wir die Schreibung
HaunerZpiegsI für Hermannsspiegel in der Stifts-
karte von Hersfeld mit der,ältesten mir erreichbaren
Form Zum Hemmensbiegel (biegel — nhd.
Bühel) oder wenn wir die Schreibung Amöne-
burg*) mit dem ältesten urkundlichen Beleg Amana-
burg (— die Burg an der Ohm) vergleichen. Selbst
*) Diese Art von Umdeutung gehört zum Kapitel der
„Schönberge' die weiter unten besprochen werden.
wenn uns die älteren Schreibungen hier fehlten,
nlüßten uns die volkstümlichen Überlieferungen wie
Ilamsrsebbiisl, Oornsnsborb, Haebsbou usw. gegen
die von den Kanzleien oder Klöstern beliebten
Deutungsversuche mißtrauisch machen. Jedenfalls
sind diese Beispiele nicht unwichtige Zeugnisse (und
wir könnten deren noch viele anführen) für die von
den Kanzleien oder Klöstern oft geübte Willkür,
alte überlieferte Namen nach ihrem Belieben umzu-
ändern, wenn sie ihnen aus irgend einem Grunde
nicht genehm waren. Mit Recht wird dieser Miß-
brauch in der Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins, N. F. III, 336 mit den Worten gekenn-
zeichnet „Von jeher waren es die Kanzleien, welche
die Macht ausübten, Namen emporzubringen oder
zu mißhandeln oder ganz abzuwürgen. Für den
Sprachkenner haben sie dabei selten etwas Erfreu-
liches geleistet." Vgl. auch Fuld. Gesch.-B. 1912,
S. 13, Anm. 1.
Noch schlimmer sieht es hier auf dem Gebiet
der Flur- oder Gemarkungsnamen aus. Daher
stößt deren Erforschung unbedingt auf viel mehr
Schwierigkeiten wie die der Ortsnamen, Schwierig-
keiten, die oft jeder Deutung spotten trotz guter
Vertrautheit mit der Volkssprache, besonders dann,
wenn neben der „gelehrten Neubildung" von Wör-
tern, wie Wundt sagt, eine „volkstümliche Neu-
bildung" einhergeht, d. h. wenn ein Name von
Volk und Behörde zugleich nicht mehr verstanden
wurde und wiederholt verändert oder besser gesagt
verstümmelt worden ist.
Die meisten hier folgenden Beispiele entnehme
ich der äußerst anregenden Schrift „die Schlitzer
Flurnamen", gesammelt von Wilhelm Hotz, die
bisher nur zum Teil, als Werbeschrift und mit
einer Einleitung von Dr. Dietrich versehen, ver-
öffentlicht worden ist (Darmstadt 1910) und die
bald vollständig, etwa 10 Bogen stark, vorliegen
wird. Dank dem Entgegenkommen des Herrn Archiv-
direktors Di' Dieterich sind mir die bisher noch
unveröffentlichten Bogen zugänglich gemacht worden.
Zwei interessante Beispiele von amtlicher Um-
deutung führt Dietrich selbst in der Einleitung
S. 31 an: Schönberg und Haidgraben. Aus dem
„Schindberg" der Urkunden, dem 8ebengbäk der
Mundart hat der moderne Landmeffer einen „Schön-
berg" gemacht, ohne zu ahnen, daß hier seit alter
Zeit die Schinderstätte war, an der das gefallene
Vieh eingescharrt wurde. Er verwechselte hier
mundartliches schiin „schön" mit dem schriftsprach-
lichen Wort 8ebinät. Ähnlich wurde eine Sobiuät-
wiese zu einer „schönen Wiese", ein Lobeng-
meobslggraäwo der Mundart zu einem „Schön-
michelsgraben", ein Schenrai der Mundart zu einem
8ebönrain, ein 8ebengab der Mundart zu einem
«og*, 35 SE-
Schöneck und ebenso ein Keknäkekääk 1584 zu
einer Leküneeke, jetzt offiziell wieder „Schnecke"
genannt. Eine Kompromißform zwischen Mund-
art und Schriftsprache bildet der „Schingelgraben"
aus mundartlichem Schengelgroo, während mund-
örtliches Leksnggärts 1584 zu einem LokenK-
garten wurde. Zuweilen find in anderen Gemar-
kungen desselben Bezirks die volkstümlichen Bezeich-
nungen richtig aufgefaßt und wiedergegeben worden,
z. B. am 8ok6ngraa86. am „Schindrasen", am
Sckengkipel, am „Schindtküppel" usw.
(Schluß folgt.)
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
lFortfetzung.)
Der alte Landgraf Heinrich der Eiserne hatte
von seiner Gemahlin Elisabeth von Meißen nur
einen Sohn, den Landgrafen Otto den Schützen,
den wir beim Erlaß der Urkunde über den Kas-
seler Brückenzoll von 1346 kenneli gelernt haben.
Dieser war am 10. Dezember 1366 kinderlos ge-
storben. Als Thronerben kamen nun zwei Ver-
wandte des Landgrafen Heinrich des Eisernen in
Frage, ein Neffe Hermann, der Sohn von Hein-
richs Bruder Ludwig, dem Junker von Grebenstein,
und ein Enkel Otto, der Sohn von Heinrichs
Tochter Elisabeth und deren Gemahl, dem Herzog
Ernst von Braunschweig. Hermann war Geist-
licher geworden; er hatte in Paris und Prag
studiert und war bereits Domherr in Magdeburg.
Er besaß allerdings erst die niederen Weihen, und
es stand deshalb seinem Rücktritt in den weltlichen
Stand kein Hindernis entgegen. Immerhin aber
war Hermanns derzeitiger geistlicher Stand Grund
genug für Otto von Braunschweig, sich als künftigen
Herrn von Hessen zu betrachten. Daß ihm sein
Großvater Heinrich der Eiserne, wie die Chronisten
behaupten, selbst Hoffnung gemacht habe, er solle
dereinst sein Nachfolger werden, ist im Hinblick
auf den geringen Zeitraum, der zwischen Ottos des
Schützen Tod und Hermanns Austritt aus dem
geistlichen Stande verfloß — kaum 3 Monate —
wohl nicht anzunehmen. Indessen konnte Hermann,
den man später den Gelehrten nannte, seiner
wissenschaftlichen Vorbildung nach kaum als ge-
eigneter Bewerber um eine Landesherrschaft gelten
in einer Zeit, in der es für einen Fürsten vor
allem darauf ankam, mit dem Schwert in der
Hand sich seiner Haut zu wehren und sich, sein
Land und das Besitztum seiner Untertanen gegen
die damals unvermeidlichen kriegerischen Übergriffe
der Nachbarn zu verteidigen. Otto von Braun-
schweig dagegen besaß keine Charaktereigenschaften,
die ihn dem alten Landgrafen Heinrich lieb und
wert machen und für die Nachfolge empfehlen
konnten. Sein rauhes und unfreundliches Wesen
wird durch den Beinamen gekennzeichnet, den ihm
die Mitwelt gab. Man nannte ihn den „Quaden",
d. h. den Bösen, oder den „tobenden Hund von
der Leine" Die Chronisten berichten, daß eine
lieblose Äußerung Ottos über seinen Großvater
Heinrich den Eisernen — er soll gesagt haben,
„wenn zwei Augen tot wären, wolle er ein reicher
Fürst sein" — den -alten Landgrafen zu bem
Entschlüsse bewogen hätte, von Ottos Nachfolge
abzusehen. Ob das wahr ist, mag dahin gestellt
bleiben, jedenfalls veranlaßte Heinrich seinen Neffen
Hermann den Gelehrten, auf seine Magdeburger
Pfründe zu verzichten, aus dem geistlichen Stande
auszutreten und nach Kaffel zurückzukehren, wo
er alsbald von seinem Onkel als Mitregent ein-
gesetzt wurde. Hermann griff sofort kräftig in
die Leitung des Hessenlandes ein. Die Ritterschaft,
die unter dem alten Landgrafen gute Tage gehabt
hatte, war damit wenig einverstanden sie redete
verächtlich von Hermann, dem sie den wissenschaft-
lichen Titel, den er erlangt hatte, den Baccalaureus,
als Spottnamen beilegte, und zeigte ihm, wo sie
konnte, ihre Abneigung. Hermann, ein Fürst von
leidenschaftlicher und herrischer Gemütsart, war
aber nicht geneigt, sich das gefallen zu lassen, und
trat den Rittern energisch entgegen, suchte sich
auch eine treue und zuverlässige Beamtenschaft zu
sichern, indem er statt des hessischen Adels fremde
Adlige oder auch Bürger dazu heranzog. Daneben
machte ihn auch seine Sparsamkeit, mit der er
die landgräfliche Hofhaltung erheblich einschränkte,
unbeliebt. Das war um so schlimmer, als zu
jener Zeit die Stimmung zwischen den Fürsten
und dem landsässigen Adel so wie sv schon nicht die
beste war. In der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
Hunderts beginnt überall in Deutschland die Fürsten-
macht zu erstarken, nicht nur nach außen hin,
sondern auch im eigenen Lande, in dem sie immer
größere Gerechtsame in Anspruch nahm. Der Adel
erkannte wohl, daß das Bestreben der Fürsten, ihre
Landeshoheit weiter auszudehnen, für ihn, der bisher
fast selbständig neben den Fürsten gestanden hatte,
die Gefahr in sich barg, zu Untertanen herabgedrttckt
zu werden. So gärte es denn schon gewaltig in
der Ritterschaft, als Hermann seine Mitregentschaft
vmtL> 36 smt>
antrat und durch sein geschildertes Verhalten sich
das Wohlwollen des Adels völlig verscherzte. Da
war es denn erklärlich, daß es dem Adel nur
willkommen sein konnte, als ein neuer Thron-
bewerber in der Gestalt Ottos des Ouaden auftrat,
der behauptete, als Enkel ein besseres Recht auf
die Nachfolge Heinrichs zu haben, als dessen Neffe
Hermann. Als erster und mächtigster Bundes-
genosse schloß sich Graf Gottfried VII. von Ziegen-
hain dem Braunschweiger an. Ihm gelang es
1371, den hessischen Adel zu einem mächtigen
Ritterbund gegen die Landgrafen zu vereinigen,
der das Wappenbild des Ziegenhainers, den Stern,
als Abzeichen annahm und danach der Sterner-
bund genannt wird. Otto, der sich im allgemeinen
mehr im Hintergrund hielt, und die Sterner trieben
die Landgrafen gewaltig in die Enge. Als Hermann
in der Fastenzeit des Jahres 1372 eine Versammlung
der hessischen Städte auf dem Markte zu Marburg
abhielt, da konnte er versichern, daß er seine sämt-
lichen Anhänger mit einem Groschenbrot speisen
könne. Die Städte verpflichteten sich dem Land-
grafen damals zu treuer Hilfeleistung, aber das
allein würde ihn nicht gerettet haben. Er mußte
Hilfe von außen suchen. Am 9. Juni 1373 schloß
er zu Eschwege mit den Markgrafen zu Meißen
und Thüringen eine Erbverbrüderung, die den
Braunschweiger Otto gänzlich von der Erbschaft
des Hessenlandes ausschloß. Die Hilfe, die dem
Landgrafen durch diese Einigung und den nach-
folgenden Bundesvertrag vom 3. Oktober 1374
wurde, und die Gewißheit für den Braunfchweiger,
daß das Hessenland für ihn verloren sei, blieben
nicht ohne Wirkung. Wenn sich der Sternerkrieg
auch noch längere Zeit hinzog, so gewannen die
Landgrafen doch allmählich die Oberhand, und im
Jahre 1374 kam es endlich zur Auflösung des
Sternerbundes. Am 2. Juli 1375 verglich sich
dann Otto der Ouade mit dem Landgrafen und
verzichtete auf alle Erbansprüche an Hessen.
(Fortsetzung folgt.»
--------------------
Das westfälische (8.) Armeekorps in Rußland 1812.
Unter besonderer Berücksichtigung des ersten Teiles des Feldzugs (bis Moskau).
Nach dem Vortrag von Exzellenz Generalleutnant Beß im Marburger Gefchichtsverein.
Der Vortragende ging von der Absicht aus, der
westfälischen Männer zu gedenken die vor 100
Jahren, um für einen Napoleon zu kämpfen, fremden
Fahnen in fremdes Land folgten, in echter Soldaten-
treue ihre Pflicht taten, aushielten, aus den Schlacht-
seldern Rußlands dem deutschen Namen besondere
Ehre machten und, fern von der Heimat, bis auf
wenige zu Grunde gingen. Die Teilnehmer an dem
Heereszuge, namentlich die Oberstleutnants von Loß-
berg, von Conrady, der Kapitän v. Linsingen kamen
hierbei zu Worte, auch wurden die Aufzeichnungen
des Generals von Ochs des öfteren angeführt.
Zunächst legte der Vortragende dar, wie Napoleon,
der ein Riesenheer nicht nur bereit gestellt, son-
dern auch in umfassendster Weise Vorsorge für dessen
Verpflegung und den Nachschub getroffen hatte, es
zu der erhofften Entscheidungsschlacht dicht hinter
der Grenze nicht brachte, wie er den ausweichenden
Russen ins Innere des Landes nachfolgen mußte
und hierbei die Größe des Heeres zu seinem Ver-
derben wurde. Ohne die heute uns zur Verfügung
stehenden Hilfsmittel war damals ein so großes
Heer nicht zu verpflegen und zu bewegen. Große,
die Schlagsertigkeit in Frage stellende Verluste er-
gaben die Märsche der zusammengehaltenen Massen
schon von vornherein, Halte wurden nötig, während
deren der Gegner sich dem Schlage entzog. Aus
Magazinen und mittels Nachschubes in dem kultur-
armen Lande zu leben, namentlich später, als die
Hauptarmee in einer großen Kolonne marschierte,
war ausgeschlossen, zumal die wenigen und schlechten
Wege, sowie mangelnde Organisation des Fuhr-
wesens die Nachfuhr erschwerten. Die Truppen
waren aus Requisition angewiesen, und diese ver-
sagte auf diesem Kriegstheater, bei feindlicher Be-
völkerung und bei der ganz unzulänglichen Armee-
Verwaltung völlig. Der Soldat mußte hungern,
hals sich selbst, die Disziplin ließ nach, hörte schließlich
aus. Daran ging das Heer zu Grunde — nicht
etwa, wie Napoleon es verbreitet haben wollte,
durch den Frost. Die Kälte und der Feind haben
nur den Untergang des Heeres beschleunigt. Alle
diese Umstände waren auch von bestimmendem Ein-
fluß auf die Schicksale der westfälischen Truppen.
Diese waren Mitte Februar 1812 kriegbereit,
wurden als 8. Korps der französischen Armee unter
dem General Vandanime formiert, erreichten An-
fang Mai die Gegend von Warschau, und kanto-
nierten dort bis Mitte Juni. Die 2. Brigade der
2. Infanterie-Division war nicht beim Korps an-
wesend, das 1 Regiment beim Korps Macdonald,
das 8. in Danzig erreichten erst im Oktober das
Korps; das 4. wurde der Donau-Armee zugeteilt,
blieb in Wilna und trat dann zum bayerischen
37
Korps. Von der Kavallerie wurde die Kürassier-
Brigade dem 4. Kavallerie-Korps Latour Maubourg
zugeteilt. Die Stärke des Korps einschließlich der
letzten Brigade betrug an der Weichsel 19 000 Mann-
schaften (statt 24 000) und 48 Geschütze. Das
Korps war in vortrefflichem Stande. Unterstellt
wird es mit dem 5. und 7 Korps (letzteres wird
bald abgezweigt) dem König Jerüme — diesem wird
bei dem Einmarsch in Feindesland der Auftrag, der
bei Wolkowisk stehenden Armee Bagrations dicht
auszubleiben und demnächst den von Wilna ab-
gezweigten Heeresteil Davoust in die Arme zu treiben.
So wenig wie es Napoleon gelingt, die Haupt-
armee unter Barclay de Tolly zur Schlacht zu
zwingen und die einzelnen Heeresteile zu trennen,
so wenig gelingt es auch, Bagration festzuhalten,
er kann sich mit der vorigen Armee bei Smolensk
vereinigen — Jöröme trifft der Zorn des kaiser-
lichen Bruders, er unterstellt ihn dem Marschall
Davoust. Gekränkt zieht ersterer am 14. Juli sich
von Nieswitz zurück. Die Garde du Korps nimmt
er mit nach Kassel. Die Chevaulegers-Garde tritt
zur leichten Kavallerie-Brigade.
Schon während der Kantonierungen an der
Weichsel, ja schon vorher, hatten die westfälischen
Truppen manche Entbehrungen zu erdulden gehabt,
in drückender Sonnenhitze, tiefem Sande, strömendem
Regen; bei schlechter Marschordnung, noch schlechteren
Verpflegungs-Maßnahmen haben sie schon aus den
Märschen nach Grodno schwer zu leiden, schon beginnt
das Marodieren und wird vom Kaiser ein drakonischer
Marodeur-Erlaß bekannt gegeben. In Grodno, wo-
selbst der Niemen überschritten wird, muß gerastet
werden, hier verliert das Korps seinen komman-
dierenden General infolge eines Zerwürfnisses mit
dem König. Zwar roh, hatte Vandamme sich als
tüchtig ausgewiesen. Sein Nachfolger Junot, Herzog
von Abrantes, unfähig, indolent, wohl schon damals
durch die Vorboten der im nächsten Jahre bei ihm
ausbrechenden Geisteskrankheit in seinem Handeln
beeinflußt, wurde für die Westfalen zum Verhängnis,
er traf in Orsza ein, woselbst dem Korps eine
14 tägige Rast gewährt werden konnte. Es hatte
bis dahin über 200 Meilen zurückgelegt, kaum den
Feind gesehen und doch schon 2000 Mann verloren,
sein Pferdematerial hatte sich erheblich verschlechtert.
Nun wurde das Korps nach Smolensk, wo der
Kaiser die Ruffen, die sich weder an der Düna noch
bei Witebsk ihm zur Entscheidungsschlacht gestellt
hatten, mit verwandter Front zu schlagen gedachte,
herangezogen. Aber es kam zu spät, infolge törichter
Marschordnungen seines kommandierenden Generals.
Dieser nutzte auch am 19. August, an welchem Tage
ihm hoher Siegespreis winkte, die Gelegenheit, den
aus dem Rückzüge sich stellenden Ruffen in Flanke
und Rücken zu fallen, nicht aus und lehnte trotz zwei-
maligem energischen Drängen Murats es ab, in
das Gefecht einzugreifen. Die leichte Kavallerie schlug
sich tapfer gegen dreifach überlegene Reiterei. Aus
Drängen schickte Junot tropfenweise Infanterie,
schließlich auch Artillerie vor. Sie konnten noch
wirksam eingreifen und zu dem Gelingen der blutigen
Gefechte bei Walutina-Gora beitragen. Die Früchte
des Sieges durch Verfolgung einzuheimsen unterließ
der kommandierende General. Tapfer hatten sich die
Westfalen geschlagen; die leichte Kavallerie, namentlich
die Chevaulegers, hatte große Verluste gehabt. Auch
eine Voltigeur-Kompagnie des Kapitän Wurmb wurde
bei einem Kosaken-Ansturm vernichtet. Im Korps
herrschte die größte Empörung über das Verhalten
Junots. Napoleon nahm ihm vorübergehend das
Kommando ab und ließ die Westfalen, denen er
von vornherein wenig freundlich gesonnen war, für
die Unfähigkeit ihrers Führers büßen. Ihrer wurde
in dem Tagesbefehl nach den ^chlachttagen bei
Smolensk mit keinem Worte erwähnt, sie gingen bei
den verliehenen zahllosen Beförderungen und Aus-
zeichnungen leer aus, mußten mehrere Tage auf dem
Schlachtfelde bleiben, dieses aufräumen und sich
an das Ende der einen großen Kolonne, in der
das Heer nun nach Moskau marschierte, anschließen.
Das war besonders hart, als alle vorhandenen Lebens-
mittel bereits ausgezehrt waren und man starke
Requisitionskommandos weit weg schicken mußte. In
der wasserarmen Gegend gesellte sich zum Hunger
quälendster Durst und dann ein Staub, der den
Vordermann nicht erkennen ließ, dazu sengende Sonne,
so daß viele Hunderte entkräftet liegen blieben und
sich nicht wieder zurückfanden. Die Heerstraße bot
schon ein Bild der Verwüstungen, dazu überall
brennende, teils von Russen, meistens aber von den
Franzosen angezündete Dörfer. Weiter ab von der
Straße plündernde Banden aller Nationen, Kosaken
und durch das erlassene Manifest des Zaren sana-
tisierte Bauern. Hinter der Armee sieht es schlimm
aus — aber Napoleon hastet, unbekümmert um das,
was liegen bleibt, weiter.
Bei Borodino stellt sich der inzwischen zum
russischen Oberbefehlshaber ernannte Feldmarschall
Kutusow zur Schlacht.
Alles atmete auf, Erlösung von allen Leiden und
Moskau winkte. Aber 9000 Mann hatte das
Korps schon verloren, überdies 3 Bataillone zum
Etappenschutz zurücklassen müssen. In der Schlacht
bildete das Korps zunächst die Reserve für den An-
griff gegen den linken Flügel des russischen Zentrums
(Bagration-Schanzen, Semenowskoje-Stellung), hatte
lange im Artilleriefeuer auszuhalten, wurde dann,
als der Kampf um die Schanzen eine ungünstige
Wendung nahm, zum Ausfüllen der Lücke zwischen dem
38 S««L-
Korps Davoust und dem bei Utiza fechtenden Korps
rechts geschoben; ein Angriff russischer Kiirassiere
wird abgeschlagen. Dann hat der General v. Ochs
mit seiner 1. Brigade (4 Bataillone) in den Kampf
zwischen Schanzen und Wald einzugreifen, er schlägt
auch hier russische Kavallerie-Angriffe ab und setzt
sich zwischen Schanze und Wald fest; nun verbleibt
erstere in den Händen der Franzosen.
Nachdem die Semenowskoje-Stellung und auch
die Rajewsky-Schanze endgiiltig in französischen
Händen, tritt General v. Ochs, unterstützt von der
leichten Kavallerie-Brigade, in den Kampf mit den
nun in vorspringender Stellung sich noch haltenden
russischen Jägern; hierbei zeichnen sich namentlich
die Garde-Jäger und die leichte Kavallerie aus,
beide erleiden schwere Verluste.
Inzwischen ist die 1, Division (Tharreau) zur
Unterstützung des polnischen Korps in den Wald
eingetreten. Es entspinnt sich hier, nachdem die
Schlacht an den anderen Punkten an beiderseitiger
Erschöpfung allmählich erstirbt, ein heißes Wald-
gefecht, in dem der Divisions-Kommandeur, sowie
General v. Börstel und Oberstleutnant Boedicker
verwundet werden, der General Damas fällt. Der
Feind muß weichen, aber noch hält sich eine von
hinten verstärkte Arrieregarde aus dem sogenannten
Hünengrabe. Hiergegen führt General v. Ochs an
der Spitze der Brigade die Infanterie vor. Die
Höhe wird nach hartem Kampfe genommen — die
Schlacht ist gewonnen.
Mit Ruhm hatten die Westfalen gekämpft und
auch nach dem Ausspruch des Marschall Ney zur Ent-
scheidung des Tages wesentlich beigetragen. Napoleon
war mit ihnen außerordentlich zufrieden, die fran-
zösischen Generale des Lobes voll, namentlich auch
über das tapfere Verhalten der leichten wie schweren
Kavallerie. Aber ein Drittel des Bestandes blieb aus
dem Platze und 4 —500 Tote und 2500 Verwundete
(darunter 18 bezw. 146 Offiziere) von denen
die meisten aus Mangel an Pflege starben. Der
König dekorierte 56 Offiziere, 70 Unteroffiziere und
Mannschaften. Wieder mußte das Korps Toten-
gräberdienste tun, aus dem Schlachtfelde sah es grausig
aus, unerhörte Zustände herrschten im Lazarett des
Klosters Koloczkoi.
Es ging nun wieder weiter gen Moskau—die Stief-
kinder der Armee, die Westfalen, nun wieder am
Ende der langen Kolonne — aber nicht nach Moskau
sondern nach Moschaisk, um dort die jetzt schon un-
sichere Etappe zu decken. Nur die Kürassiere Latours
zogen hindurch, und eine gemischte Brigade unter dem
Oberst Bernard hatte den kaiserlichen Schatz nach
Moskau zu eskortieren. Gehoben war die Stimmung
aller, als man erfahren, haß Napoleon seinen Einzug
gehalten, groß und mannigfaltig die Erwartungen
und ebenso groß die Enttäuschung, als man von
einer Anhöhe die Stadt, d. h. eine große schwarze
Rauchwolke, liegen sah. Das langersehnte Moskau
war ein Feuermeer.
Das Detachement quartierte in der Vorstadt,
beteiligte sich auch am Plündern, erhielt auch Nütz-
liches, Tuch, Leder und Pelze. Vom 19. September
mußte es Kriegsgefangene abtransportieren. Der
Transport dieser hungrigen, abgetriebenen und er-
schöpften Mannschaften war eine der schwersten Aus-
gaben für die Begleitkommandos, zu dem man
„Nerven wie Stahl" haben mußte.
Inzwischen häuften sich die Überfälle, und von seiten
der Russen wurde mit unmenschlicher Grausamkeit
der Kleinkrieg geführt. Von Junot auf exponiertem
Posten in Wereia gelassen und aus wiederholtes
Bitten zu spät unterstützt, wird das 1 Bataillon des
3. Lin.-Regts. in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober
von zehnfacher Übermacht überfallen und nach ver-
zweifelter Gegenwehr teils niedergemacht, teils ge-
fangen genommen.
Nachdem General Tharreau seinen Wunden er-
legen, wird das zusammengeschmolzene Korps in
eine Division unter General v. Ochs (3 Brigaden)
formiert. Das 8. Regiment (1400 Mann) ist in-
zwischen eingetroffen. 5400 Mann ist die Infanterie
stark, die leichte Kavallerie hat noch 600 Pferde,
die schwere ist abgesattelt, als der Rückzug ange-
treten wird. Napoleon biegt am 28. Oktober in
die Unglücksstraße ein. — Der Rückzug mit allen
seinen Schrecken ist hinreichend bekannt. Die West-
falen befinden sich jetzt an der Spitze der Armee,
von Smolensk brachen sie nur mit 3 Bataillonen (1500
Mann) auf. Die Artillerie ist verloren. Borissow
erreicht nur noch 1 Bataillon, die Beresina über-
schreitet nur noch 1 Kompagnie und 60 Berittene
unter dem General v. Hammerstein, die noch jen-
seits eine Attacke reiten. Dann gibt es ein 8. Korps
nicht mehr, nur einzelne halsen sich und ihren
schwächeren Kameraden mit aufopfernder Treue durch.
Bei Wilna focht das 4. Regiment in guter Haltung
in der Nachhut.
Ansang Januar fanden sich in Thorn 160 Offi-
ziere und 600 Unteroffiziere und Mannschaften ein,
iin ganzen kehren 280 Offiziere und 2000 Mann
wieder. Im Juni- hat das 8. Korps wieder seine alte
Stärke. Der Weckruf des alten Dorck verhallte für
die Westfalen, 1813 waren sie noch aus der falschen
Seite, dann haben auch sie kräftig mitgeholfen.
Der Redner schloß mit der Mahnung, trotz der
Veränderung der Zeiten sich keinem blinden Ver-
trauen hinzugeben, sondern das deutsche Schwert
scharf zu erhalten, damit solche Zeiten wie vor 100
Jahren nicht wiederkehren.
vwl 89 «ML.
Für den mit großer Spannung verfolgten Vor-
trag sprach der Vorsitzende Archivrat Dr. Rosenfeld
dem Redner den Dank der Versammlung aus. Pro-
fessor Busch wollte auch nur dankend dem großen
Eindruck der gehörten Ausführungen Worte verleihen;
er hob hervor, wie jede Einzelheit bezeichnend sei
für die Eigenart des ganzen Feldzuges, der Napo-
leon nicht auf der gewohnten Höhe erscheinen lasse. —
Professor Wenck erfüllte einen zur Sache gehörigen
Auftrag, indem er im Namen des Verlegers Dyk
die Mitglieder des Marburger Geschichtsvereins zur
Subskription auf das neuerdings erschienene Buch
„Cassel—Moskau—Küstrin 1812 — 13, Tagebuch
während des russischen Feldzuges geführt von Fried-
rich Gieße (aus Melsungen) Premierleutnant im
5. kgl. wsts. Linien-Jnsanterie-Regiment, herausg.
von Karl Gieße, kgl. preuß. Hauptmann a. D." zum
Vorzugspreis von 5.50 Mk. bezw. 6.50 Mk. (geb.)
aufforderte. — Hieran knüpfte Professor Busch eine
Empfehlung der Loßbergschen Erinnerungen in neuer
Ausgabe. Landgerichtsrat Gleim machte aufmerksam
auf das noch ungedruckte Tagebuch eines Marburger
Feldzugteilnehmers Rieß. Geheimrat Hartwig sprach
von der seltsamen Bevorzugung des kommandierenden
Generals des westfälischen Armeekorps Junot durch
Napoleon, sie gehe auf einen von Napoleon einst zu
Toulon empfangenen starken Eindruck zurück. General
von Peutz bezeichnete Junot als unglaublich roh,
er habe schon in Portugal versagt. Professor Busch
wies aus die zeitweilige Erschlaffung Napoleons hin,
die vielleicht durch epileptische Veranlagung zu er-
klären sei, dann wieder voller Tatkraft weiche, die
besonders wieder an der Beresina voll zur Erschei-
nung getreten sei. Exzellenz Beß erwähnte, daß
Napoleon wie dort auch bei Krasnoi eine Glanz-
leistung vollbracht habe.
Schloß Netterode und die Herren von Meysenbug.
Von Ernst Wenzel. Mit einer Zeichnung vom Verfasser.
Wie in der zweiten Januarnummer des „Hessen-
land" mitgeteilt wurde, ist Schloß Retterode bei
Lichtenau im Kreise Witzenhausen einem Brand
zum Opfer gefallen. Seit Jahren befand sich das
Schloß Retterode im Besitz einer Familie Auell,
davor war es mit den dazu gehörigen Ländereien
Staatsgut. Die ersten Besitzer des Gutes zu
Retterode waren die Herren von Meysenbug,
die mit dem Landrat Heinrich von Meysenbug
1810 erloschen.
Die Herren v. Meysenbug waren hessische Ritter
von der Schwalm und Fulda, sie besaßen Burgsitze
zu Felsberg. Jmmenhausen, Lichtenau, ein Freihaus
zu Kassel, die Dörfer und Gerichte zu Netterode,
Niedervorschütz halb, Kappel bei Möllrich, Riede
und Heimarshausen, mit den Diede zum Fürsten-
stein zusammen waren sie Hersfeldische Ganerben
zu Frielingen, unter waldeckischer Lehnsoberhoheit
Erbherrn zu Züschen und waren Erben der Ritter
von Bischofferode, Grifte und Hertingshausen.
Außerdem besaßen sie Güter in der oberen Graf-
schaft. Ein Johann von Meysenbug erwarb 1443
als Marschall des Landgrafen Ludwig I. von den
alten Herrn von Wehren den Ort Riede. Heinrich
von Meysenbug führte 1519 in der Hildesheimer
Fehde dem Landgrafen Hilfstruppen zu. Seine
Brüder waren der Marschall und Amtmann zu
Homberg Philipp von Meysenbug und Johann
von Meysenbug, der Haushofmeister des Land-
grafen Philipp und Obervorsteher. Seine Söhne
waren Johann der Jüngere, Landvogt an der
Werra, und Leo. Von ihnen stammen die Linien
zu Züschen, Netterode und Riede. Die Linie zu
Retterode starb 1756 aus. Die Linie zu Riede
erbaute das nunmehr im Besitz der Herren v. Buttlar
befindliche Schloß Riede, bekannt durch einen pracht-
vollen Soldanschen Ofen und die Kirche, die 1674
in Gegenwart vieler Fürstlichkeiten eingeweiht wurde.
Am bekanntesten ist wohl der Geheime Rat und
Hofmeister des Landgrafen Moritz, der an allen
europäischen Höfen gewesen war und im Jahre 1596
mit v. Donop zur Königin Elisabeth von England
geschickt wurde, um ihr die Gevatterschaft der neu-
geborenen Tochter des Landgrafen anzutragen. Als
-Gelehrter und Staatsmann war er ein Förderer
der Hof- und Ritterschule zu Kassel und starb 1597
Er ist in Lichtenau beigesetzt, sein Grabstein trägt
lateinische Verse, die Landgraf Moritz selbst ver-
faßte. Sie sind abgedruckt im Man». Maurit. I, p. 16.
Soweit bei Rommel, Geschichte von Hessen II, 342
A. 200, 233.
In Retterode erbauten die Herren von Meysen-
bug eine Kirche im Jahre 1453, deren ehemals mit
Staffelgiebeln versehen gewesener wehrhafter Turm
noch steht, umgeben von einer hohen Kirchhofs-
mauer mit zwei Reihen Schießscharten übereinander.
An den Turm stieß ein Grabgewölbe für ein Erb-
begräbnis der Herren von Meysenbug. Zur Unter-
haltung dieses Grabgewölbes hatte Frau Oberst
Wilhelmine von Meysenbug, geb. v. Dalwigk, die
Zinsen eines Kapitals von 300 Talern bestimmt,
die auch zur Anschaffung von Bibeln und Kleidung
für arme Schüler bei der Konfirmation verwandt
wurden. Nachdem die von Meysenbug 1810 aus-
imtu* 40 vrnuj
gestorben waren, wurden über die fernere Ver-
wendung der Zinsen andere Bestimmungen getroffen.
Das Erbbegräbnis an der Kirche wurde beim
Neubau des Kirchenschiffs 1828 zerstört und die
Särge in den Turm geschafft, bis auf einen aber
wieder herausgenommen und auf dem Kirchhof
beigesetzt. Ein Grabstein im Grabgewölbe trägt
18 Wappen eines Angehörigen der Familie von
Meysenbug und seiner Ahnen.
Mit dem verbrannten Schloß Retterode, das
mit dem Gut nach dem Erlöschen der von Meysenbug
im Jahre 1810 heimfiel und Staatsgut wurde, ist
die letzte Erinnerung an das alte Geschlecht dahin-
gegangen. Der großräumige zweistöckige Barock-
bau auf hohem Sockel mit je einem Vorbau auf
den Schmalseiten stand
auf dem alten Gutshof
unterhalb der Kirche.
Eine Vorder- und Hin-
tertür führte über je eine
zweiläufige Treppe in
einen geräumigen Kor-
ridor und auf die ge-
diegene Treppe zu den
oberen Stockwerken.
Die große Küche ent-
hielt noch einen mäch-
tigen Rauchsang und
schwere Schränke mit
Eisenbeschlag. Die
Wände einiger bevor-
zugter Räume waren
über niederen Holz-
lambrien mit bemalter
Leinwand bespannt. Auf ihnen waren Jagdszenen in
Blau und Grün im Geschmack des Rokoko gemalt. In
ähnlicher.Weise waren in Fulda in einem Hause an der
Ecke der Habsburger Gasse die Wände bespannt und
bemalt. Auch dort sah man Jagddarstellungen und
Szenen „aus dem Leben" der Diana. Wenn auch
beide nicht an die großen Gemälde mit der Darstellung
der Reiherbeize, die sich früher im Schloß Wabern
und jetzt im Schloß Philippsruh bei Hanau be-
finden. heranreichen, so sind sie doch als nicht zu
verachtende und gewiß selten gewordene Denkmäler
anzusprechen. Meines Wissens hat Herr Hof-
antiquar Cramer die Retteröder Tapeten dem
Königlichen Museum zu Kassel übermittelt. Die
Türen zu den einzelnen Zimmern waren reich pro-
filiert und die Decken mit Stuck überzogen, die
Ofennischen waren von Holz umrahmt und trugen
oben eine Kartusche;
die Öfen waren noch
die alten Rundöfen auf
Löwenfüßen. Spuren
von Vernachlässigung
der baulichen Unter-
haltung waren am
Äußern des Baues
schon zu bemerken, die
Dachgauben aus der
Hofseite teilweise, auf
der Straßenseite gänz-
lich beseitigt, ebenso die
zweite Treppe, die nach
dem Hofe führte; beide
sind aber auf der bei-
gefügten Zeichnung
wieder ergänzt.
Nun ist alles dahin.
Nur einem Zufall verdanke ich eine Besichtigung
des Innern und ein Bild des Äußern.
eu.».
Schloß Retterode.
Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Von A. Woringer.
2. Italiener. Spanier.
Das wenig wohlhabende Italien hat von jeher
seine Söhne nach Deutschland geschickt, damit sie
sich hier ihr Brot verdienten. Als Murmeltier-
führer, Orgelspieler. Maultiertreiber, als Komödi-
anten, als Südfruchthändler und als Geldwechsler
waren sie überall in Deutschland zu finden, die
nachgeborenen Söhne des Adels aber traten viel-
fach in die deutschen Heere ein. Besonders in
der bayrischen und sächsischen Armee war ihre
Zahl sehr groß, und wir finden noch heute die
Namen ihrer Nachkommen im bayrischen und säch-
sischen Osfizierkorps. Den hessischen Kriegsdienst
wählten verhältnismäßig wenige. Im 30jährigen
Kriege zeichnete sich Hippolytus a Castiglione
aus, der 1621 Rittmeister und Kommandeur der
Ausschußreiterkompagnie der Fulda war. 1623
bis 1626 kommandierte er als Amtmann zu Wolf-
hagen das Zierenberger und Wolfhager Aufgebot
(361 Mann) und wurde 1627 Hofmarschall. 1623
leistete er in Eppstein am Taunus Tilly erfolg-
reichen Widerstand. Im spanischen Erbfolgekrieg
finden wir neben einem D a gl i und einem M arch ese
Barilly, über die ich nichts Näheres angeben kann.
den Leutnant im Regiment zu Fuß v. Exterde
Bonini (seit 17. September 1707) und Philipp
Augustin de Malaspina, der am 5.September
1705 Kornett im Leibregiment zu Pferd wurde
5«N<L 41
und 1706/7 in Oberitalien und in der Provence
kämpfte. *)
Landgraf Friedrich II., der selbst eine Reise nach
Italien unternahm und für italienische Kunst
schwärmte, zog auch mehrere italienische Offiziere
nach Hessen. Der Marchese Luigi d'Angelelly
deMalvezzi aus Bologna war Oberst in hollän-
dischen Diensten und erhielt am 5. Dezember 1756
von Friedrich II. von Preußen den Auftrag, in
Merseburg ein Freibataillon zu bilden, das 1757
vollzählig wurde. Mit seinem Bataillon besetzte
er 31. August 1757 Klein-Brießnih, nahm teil
am Sturm auf Kleinmesselwitz 3/4. Oktober 1757,
Überfall von Hartlieb 29. Oktober 1757, Schlacht
vor Breslau 22. November 1757. Bei Leuthen
5. Dezember 1757 führte er die Fußjäger und
die Freibataillone le Noble, Kalben und d'Angelelly.
1760 erhielt Oberst v. Collignon sein Bataillon,
er wird also wohl damals in hessische Dienste ge-
treten sein, wo er zuerst ä la suite der Armee
stand. 1779 wurde er als Generalleutnant Chef
des Landgrenadierregiments Trümbach, das nun
seinen Namen erhielt. 25. August 1780 wurde
er Ritter des goldenen Löwenordens, später auch
Ritter des Ordens pour la vertu militaire, war
auch Ehrenmitglied der Gesellschaft der Altertümer
in Kassel. Am 29. März 1784 pensioniert, starb
er am 5. März 1797 in seiner Vaterstadt Bologna.
Moritz Ludwig Ernst Gras von Lynar
war 1774 Kornett in der Gardedukorps, Premier-
leutnant im Korps, 1776 Leutnant im Regiment
Gensdarmes, 1784 Major, Kammerherr und
Johanniterritter. Marchese Philipp de Balby
stand in preußischen Diensten als Jngenieuroberst-
leutnant, war dann 1766 Oberstleutnant im hes-
sischen Ingenieur- und Mineurkorps, später Oberst
darin und Ritter des Ordens pour la vertu
militaire. Er starb im März 1779. Ein anderer
Marchese de Balby war 1784 Major ä la
suite der Armee. Der letzte Italiener in hessischen
Diensten war Guiseppe deMarescotti aus
Bologna, ein Offizier von ausgezeichneter Bildung,
') Von seinen Nachkommen zeichnete sich Albert de
Mala spina am 16. Juni 1761 bei Vellinghausen aus.
Der Kommandant einer Redoute beim Dorfe Scheidingen
wollte diese beim ersten Angriff der Franzosen dem Feinde
übergeben und stieg mit einem Tambour auf den Wall,
um Chamade schlagen zu lasten. Da sprang Malaspina
auf den Wall. warf den Kapitän in den Wassergraben
der Redoute, zerstieß dem Tambour das Trommelfell und
verteidigte nun die Rrdoute aufs tapferste, wodurch er
wesentlich zum Sieg beitrug. Ein anderer, Georg Hein-
rich de Malaspina wurde 26. Juni 1792 «ls Leutnant
von der Artillerie zum Jägerkorps versetzt. 1*00 war er
Premierleutnant im Regiment Prinz Karl.
der 1784 Sekondleutnant in der 3. Garde, später
Hauptmann ä la suite der Armee war. Nach der
Besetzung Hessens durch die Franzosen im Jahre
1806 hatte er die Aufmerksamkeit der Polizei durch
seinen Verkehr in den besten hessischen Kreisen auf
sich gezogen. Er wurde plötzlich ohne Angabe eines
Grundes verhaftet und nach Frankreich geschafft.
Nachdem er nach langen Bemühungen seine Freiheit
wieder erlangt hatte und nach Kassel zurückgekehrt
war, vermißte er einen großen.Teil seiner mit
Beschlag belegt gewesenen Habseligkeiten, nament-
lich einen Ring mit einem Brillanten von be-
deutendem Werte. Da entdeckte er diesen eines
Abends bei einer Festlichkeit am Finger der Gemahlin
des Generalgouverneurs Generals Lagrange. Auf
seine Forderung zog die Frau Gencralin den Ring
mit dem Brillanten stillschweigend vom Finger
und überreichte ihn dem Eigentümer, v. Marescotti
war 1824 Major a.D. und Inspektor der Feuerwehr
in Kassel. Er scheint bald darauf gestorben zu sein.
Spanier haben nur zweimal in hessischen Kriegs-
diensten gestanden, einer im 30jährigen, der andere
im Befreiungskriege. Ersterer war der 1644 bis
1648 als Oberstleutnant im Regiment zu Fuß
Nabenhaupt stehende Don Lopez de Villa
Nova. der 1645 an den Schlachten bei Nördlingen
und Allerheim und 1648 an der Eroberung des
Schlosses Homberg teilnahm. Der andere, Don
La Patte, studierte 1813 mit seinem Bruder
in Göttingen. Die Brüder wohnten bei dem seines
Biedersinns wegen allgemein und namentlich bei den
Studenten beliebten westfälischen Kommandanten
der Stadt, dem Bataillonschef v. Osterhausen"),
in dessen Familie sie sehr freundschaftlich verkehrten.
Vermutlich hat v. Osterhausen den einen der beiden
Brüder, der am Sturze Napoleons mit tätig sein
wollte, auf die hessische Armee hingewiesen. Don
La Patte wurde auf seine Meldung am 17. Fe-
bruar 1814 dem Husarenregiment für die Dauer
der Kampagne als Sekondleutnant zugeteilt, machte
den Rest des Feldzugs 1814 in Frankreich mit
und ging im Mai 1814 nach Spanien zurück.
') Gottlieb Heinrich Friedrich v. Osterhausen, grboren
zu Kaffel 16. Oktober 1765, wurde Fàhnrich im Leib-
dragoner-Regiment, 1784 zum Lribregiment Infanterie
versetzt, war 1792 Fàhnrich im Regiment Tarde, 1806
Premierleutnant barin, wurde Zannar 1808 Premierleut--
nant in der westfàlischen Grenadiergarde, war 1810 Kapitàn
und Waffenkommandant in Einbeck. wurde 16. Juli 1810
Bataillonschef in demselben VerhàltniS in Gottingen, 9. No-
vember 1812 Ritter des westfàl. Kronenordens. wurde
31. Januar 1814 Kapitàn im kurh. Regiment Landgraf
Karl, im April 1815 Major barin. Erhielt fiir tapfere
Haltung im Feldzug 1815 am 20. August 1815 den Orden
vom eisernen Helm. Er starb 24. M8rz 1816 in Hersfeld.
N«L> 42
Der Rattenfänger von Hameln.
Sind; „D ie deutschen Sage» der Brüder Grimm." Mit Bildern von O. Ub bet oh de. Verlag Abel L Müller. Leipzig.
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frühes Leid.
Nun muh ich immer einsam sein,
Weil dll von mir gegangen. -
Rings, in der Schwestern Fröhlichsein,
In meines Lebens Frühlingsschein,
Erbleichen meine Wangen.
Nun muh ich immer einsän» sein!
Die Jahre »verde» wandern
So grau, so st»u»»pf! - So schrecklich schwer
Fügt an dem langen, langen Heer
Ein Glied sich zu den» and'ren.
Fulda.
NtU» I»»uh ich immer eitlsam sein! —
Herrgott, ist das das Leben? -
Ich bin so ju»»g noch! - Vater du!
Ich deck' mit Kühlern Nasen zu
Des Herzens wehes Beben.
Nun muh ich ilnmer einsam sein! —
In sehnende»»» Verlarrgen
Vor gold'nen Toren hungernd stehn
Allein, irr» grohen Eturn»es»veh'n,
Weil du von r»»ir gegangen! -
Sophie Nebel v. Türkheim.
43
Der Schorgehof und sein Untergang.
Eine Geschichte aus dem kurfürstlichen Oberhessen.
Von Heinrich Franz.
1.
Der Schorg war ein Altersgenosse meines Groß-
vaters, der oft und gern von diesem seinem Nach-
barn und Freunde erzählte. Im Mannesalter be-
kleidete er lange Jahre hindurch und, soweit ich
sehe, zu allgemeiner Zufriedenheit das Amt eines
Bürgermeisters. Sein Gut war etwas schwächer
als das meines Großvaters, das zugehörige Gehöft,
von einem Gebäude abgesehen, wahrhaft tadellos, die
von den Gebäuden eingeschlossene Hosstätte geräumig,
eben, wohlgepflastert. In der Nähe des Gehöfts
befanden sich ein kleiner und ein großer Garten,
letzterer mit herrlichen Obstbäumen und viel Beeren-
sträuchern. Wieswachs war genügend vorhanden.
Dazu kamen dann meist fruchtbare Äcker, die in
ihrem Kulturstand sich mit den anderen innerhalb
der Gemarkung getrost messen konnten, sowie ein
Achtel an der reichlichen Nutzung aus dem Gemeinde-
wald und der Viehtrift. Überblicken wir das alles,
bedenken wir weiter, daß keine Schulden da waren,
so dürfen wir wohl sagen: Schorg hatte ein prächtiges
Besitztum. Aber mehr noch: Schorg erfreute sich
der Achtung aller Gemeindemitglieder, er lebte im
Frieden mit seinen Nachbarn, er hatte Frieden auch
im Innern seines Hauses. Denn war der Schorg
ein gesetzter, ruhiger Mann, so waltete seine Frau,
die Els, in ihrem Bereich nicht minder ruhig, um-
sichtig und eifrig. Das Schorgsche Ehepaar hatte
nur ein Kind, eine Tochter namens Elisabeth. Es
war ein großes, kräftjggebautes Mädchen, dessen
Gesicht, wenn nicht durch Feinheit des Schnittes,
so doch durch Frische der Farbe erfreute. Die Nach-
barn kannten sie als gutmütig und gefällig, die sie
in nächster Nähe und Tag für Tag sahen, wollten
freilich, ohne die nach außen sichtbaren Eigenschaften
zu leugnen, wissen, daß sie zum Phlegma, ja zu
einer gewissen Gleichgültigkeit neige. Was unter
den Freiern, an denen es der Elisabeth nicht fehlte,
gerade dem Hannkurt — er stammte aus einem
etwa eine Stunde entfernten Dorfe — zum Siege
verholfen hat, ist mir unbekannt geblieben. Der
junge Ehemann war kaum mittelgroß, paßte also
schon in dieser Hinsicht nicht sonderlich zu der hoch-
schüssigen Elisabeth; seine Nase überschritt das Durch-
schnittsmaß und war verhältnismäßig stark ge-
krümmt, die Augen waren braun und glänzend,
das Schönste an dem ganzen Menschen war offenbar
die zarte Haut und die frische, blühende Gesichts-
farbe. Der alte Schorg war übrigens mit seinem
Schwiegersohn nicht übel zufrieden. Denn der neue
Gehilfe verstand das Bauerngeschäst aus dem Grunde
und rührte sich tüchtig. Auch die Nachbarn er-
kannten und anerkannten schnell die wirtschaftliche
Tüchtigkeit des Hannkurt, sie erkannten aber bei
wiederholten Gelegenheiten nicht minder ein anderes,
nämlich daß er sehr jäh zum Zorn und dann ein
geradezu bösartiger, gefährlicher Geselle war. So
glaubten denn die neuen Dorfgenossen auch bereit-
willig die Geschichte, die dem jungen Mann aus
seinem Heimatdorfe nachfolgte. Der Hannkurt —
so lief diese — sei eines Tages aus irgend einem
Anlaß in wahnsinniger Wut über seinen Bruder
hergefallen und habe ihn gewürgt. Der am Leben
Bedrohte habe den Zeigefinger seines Bedrängers
erwischt und so verzweifelt zugebissen, daß tatsächlich
das ganze erste Glied des Fingers, wahrscheinlich durch
anschließende Vereiterung, verloren ging. Einer der
tatsächlichen Vorfälle, nach denen die neuen Dorf,
genossen sich ihre Meinung über Hannkurt bildeten,
knüpft an die Hochzeit meines Vaters. Es war das,
wie mir ein Dorsgenofse, Freund und Vetter meines
Vaters zum öfteren erzählt hat, eine Feier großen
Stils, d. h. die beiderseitige Verwandtschaft, vor
allem aber auch alle Dorfhäuser, das Hirtenhaus
eingeschlossen, hatten ihre Gäste entsandt. Da geriet
nun der Hannkurt, einer der Vertreter des Hauses
Schorg, sehr bald mit irgendwem in einen wütenden
Streit. Das war nun für eine Hochzeit eine sehr
blamable Sache. Man trat daher alsbald zwischen
die beiden Streitenden. Hannkurts Gegner war
auch bereit, Frieden zu halten, dieser selber aber
wollte sich schlechterdings nicht geben, drang viel-
mehr immer wieder rasend vor Wut auf seinen
Widerpart ein. Da erfaßte auch meinen sonst gut-
wütigen Vater, einen großen. starken Mann und
gewesenen Soldaten von der kurhessischen Garde-
dukorps, ein grimmer Zorn gegen den Menschen,
der ihm seinen Ehrentag verschänden wollte, er packte
das kleine Ungetüm und warf es trotz seines Zappelns
über das Treppengeländer aus den Mist-. Der Hann-
kurt fiel dort weich, ja er fand sich, da man zur
Ehre des Tages den Mist mit frischem Stroh be-
streut hatte, völlig reinlich gebettet. Mein Bericht-
erstatter versicherte immer, die ganze Sache hätte
ein sehr drolliges Ansehen gehabt, am spaßigsten
aber sei es ihm vorgekommen, wie der gedemütigte
Streithammel sich aufgerappelt und schleunigst, ohne
auch nur ein Wort zu verlieren, von dem Hochzeit-
lichen Gehöft verzogen hätte.
^Fortsetzung folgt.)
44
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. In der Sitzung
des Marburger Vereins am 20. Januar gedachte
der Vorsitzende zunächst der Verluste, die der Verein
durch den Tod des Rentners Ludwig Müller und
des Gymnasialdirektors Dr. Aly erlitten hat. Es
folgte der Vortrag von Dr. W. Sohm: Ur-
christentum und hessischer Predigerstand
im Reformationszeitalter. Der Vortragende
ging von der Absicht aus, Schicksale der hessischen
Pfarrer im Resormationszeitalter darzustellen und
zugleich in diesen einer Wiederbelebung urchristlicher
Gedanken über das Amt am Wort Gottes nach-
zuspüren. War doch dieses Amt am Worte Gottes das
hervorragendste Regierungsamt unter den Gläubigen
derUrchristenheit, und wollte doch auch der resormato-
rische Prediger im gleichen Sinne Diener am Wort,
Leiter der Gemeinde sein. Hier nun trat neben den
Pfarrer des 16. Jahrhunderts in Hessen, wie allerwärts,
die Gewalt der Obrigkeit. Prediger und Obrigkeit
regierten gemeinsam die „Landeskirche". Nachdem
der Vortragende ausgeführt hatte, daß der Pfarrer
in Hessen theoretisch nach urchristlichen und lutherischen
Gedanken zum Prediger bestellt wurde, wies er nach,
wie obrigkeitliche Teilnahme an dieser Amtsein-
führung zu Härten führen konnte, die urchristlichem
Empfinden widersprach. So z. B. dort, wo Hessen
mit katholischer hoher Obrigkeit sich auseinander-
setzen mußte (Streit zwischen dem hessischen und dem
mainzischen Amtmann bei der Psarrbesetzung zu
Stausebach) oder wo in Hessen ein katholischer Patron
bei katholischem Brauch bleiben wollte (die von
Berlepsch zu Unterrieden). Auch bei der land-
läufigen Einführung des Pfarrers begleitete diesen
ein fürstlicher Gewaltbrief und mischten sich hie und
da andere Interessen in die religiöse Angelegenheit
(Besetzung der Psarre Hersfeld 1565: Katholisches
Patronat. Gemeindevorschlag betont die auf den
Kandidaten aus dem Stadtsäckel verwendeten Kosten).
— Im zweiten Teil ging der Vortragende aus die
Schwierigkeiten ein, die dem Pfarrer im Gemeinde-
leben aus dem Wettbewerb mit obrigkeitlicher Stras-
gewalt entstanden. Der Pfarrer Wendelin Knaben-
schuh zu Borken gab ein Beispiel, wie hier der
Prediger bemüht war, kraft seines geistlichen Straf-
amtes urchristliche Sittenreinheit in der Gemeinde
herzustellen, hierbei aber gerade auf Widerstand
des Schultheißen stoßen mußte. Der landgräfliche
Beamte versagte dem theologischen Ideal seinen
Dienst. Nicht viel besser ging es dem Pfarrer zu
Homberg (Wendelin Engel), der zu lebhaftem Protest
gegen die weltfrohe Obrigkeit getrieben wurde. Andere
Fälle aus Allendors und Echzell rnndeten das Bild
ab. — Trotz solchen Schwierigkeiten glaubte der
Vortragende nicht eine billige Kritik an der hessischen
Landeskirche üben zu dürfen. Einmal bemühte gerade
sie sich vor allem anderen. Geistliches und Weltliches
nach Möglichkeit zu trennen, dann aber fand, nicht
anders als auch in anderen Territorien, die Refor-
mation in Hessen ein durch Armut bedrücktes und
durch Unbildung ungeeignetes Psarrmaterial vor,
— Zustände, die während der ersten Jahrzehnte
andauerten und ebenso, wie die spätere (rationale)
humanistische Bildung des neuen Theologenstandes
urchristlichem Geist schaden mußten. — Dem Vor-
tragenden dankte der Vorsitzende Archivrat Dr. Ros en-
f e l d herzlich für seine feinsinnigen, gedankenreichen
Ausführungen. Die von ihm ausgesprochene Er-
wartung, daß aus dem Kreise der anwesenden Sach-
verständigen eine Aussprache über die angeregten
Gedankenreihen erfolgen werde, erfüllte sich in reichem
Maße. Generalsuperintendent Werner ging zu-
nächst aus die urchristliche Ordination näher ein.
um hier vor allzu raschen Schlüssen zu warnen,
er sah sowohl in der Prüfung der zum Amt zu
Berufenden aus Lehre und Wandel, wie auch in der
möglichsten Einschränkung landesherrlichen Kirchen-
regiments das Bemühen, in Hessen frühchristlichen
Zuständen möglichst nahezukommen. Eine stärkere
Selbständigkeit des hessischen Volkes gegenüber der
obrigkeitlichen Reformation wurde in Abrede gestellt.
Anregende Bemerkungen und Ergänzungen brachten
Pfarrer Balzer, Pfarrer Naumann, Pros. Wenck,
Archivassistent Schultze, Landgerichtsrat Heer. Ein-
gehendere bezügliche Erörterungen, die sich sowohl
aus das Urchristentum als auf Mittelalter und
Reformation erstreckten und ihm zu mancherlei Frage-
stellungen Anlaß boten, gab Professor Böhmer. In
seinem Schlußworte glaubte Dr. Sohm seine Auf-
fassung vom urchristlichen Amt am Wort aufrecht-
erhalten zu können, er dankte insbesondere General-
superintendenten Werner für die von ihm beige-
steuerten Ergänzungen und beantwortete die von
verschiedenen Seiten aufgeworfenen Fragen.
Über „Namengebung in deutschen Fürsten-
höfen mit besonderer Berücksichtigung des
hessischen Fürstenhauses" sprach in der sehr
gut besuchten Monatsversammlung des Kasseler
Vereins am 20. Januar Geheimrat Professor Dr.
EdwardSchrödervonder Universität Göttingen.
Wir werden auf den aufschlußreichen Vortrag in
nächster Nummer noch zurückkommen.
Marburger Hochschul Nachrichten. Die
diesjährige Tagung der Deutschen Pathologischen
Gesellschaft findet vom 31. März bis 2. April hier
in Marburg statt. — Der Ausschuß der Studenten-
45
schaft beschloß, eine Erinnerungsseier an die Be-
freiungskriege zu veranstalten, übrigens war bereits
mit der KaisergeburtStagSseier der Universität eine
Gedenkfeier an die Befreiungskriege verbunden, in
der eine Cantate Professor Jenners aus einen Text
des Festredners Professor Geheimrat vr. Birt ihre
Uraufführung erlebte.
Im Verein für hessische Volkskunde
und Mundartenforschung hielt Herr Prof.
Dr. Wrede aus Marburg am 29. Januar einen
Vortrag über den S p r a ch a t l a s des deutschen Reiches
und das geplante Hessen-Nassauische Wörter-
buch. das er im Aufträge der Berliner Akademie
der Wissenschaften herausgeben wird. Die hervor-
ragende Bedeutung, die der Sprachatlas für die
Germanistik wie für die Geschichtswissenschaft besitzt,
wurde in umfassender Weise unter Vorlegung eines
reichen Kartenmaterials dargelegt und die Ent-
stehungsgeschichte des großen Unternehmens von
seinen ersten Anfängen an vorgeführt. Über die
Anlage und den Umfang des geplanten Wörterbuches
machte der Vortragende genauere Angaben und
forderte zu möglichst allgemeiner Mitarbeit auf.
wozu sich der Verein durch seinen Vorsitzenden gern
hereil erklärte. Der Vortrag erregte bei den Hörern
das größte Interesse und wurde mit lebhaftem Beifall
ausgenommen. vr. A. F.
Personalchronik. Der Chef der ehemaligen kurfürst-
lichen Linie des Hauses Hessen. Landgraf Alexander
Friedrich von Hessen, feierte am 25. Januar seinen
50. Geburtstag. Der Landgraf. 1863 zu Kopenhagen
geboren, ist unvermählt und residiert auf seinen Schlössern
PhilippSruh bei Hanau und Panker in Holstein. In der
Regel pflegt der Landgraf, der ein guter Musiker und
auch Komponist ist, einen großen Teil des JahrrS im
Ausland, namentlich in London und Paris, zu verbringen.
Am 29. Januar beging der bekannte Geograph und
Ethnograph Geh. Reg.-Rat Prof. vr. Georg Gerland
in Straßburg seinen 80. Geburtstag. Gerland, ein Sohn
des kürzlich durch eine nach ihm benannte Straße Kassels
geehrten Generals Balthasar Gerland. des Kommandeurs
der kurhesfischrn Artilleriebrigade und spateren ersten Direk-
tors der hessischen Staatsbahnen, wurde in Kassel am
29. Januar 1833 geboren. Ursprünglich auf linguistischem
Gebiete tätig, machte er sich in den 6Oer und 7Oer Jahren
de» vorigen Jahrhunderts durch Veröffentlichung mehrerer
Schriften und Bücher über ethnographische und anthro-
pologische Fragen bekannt. 1875 auf den Lehrstuhl für
Geographie an die Universität Straßburg im Elsaß be-
rufen, gründete er hier das geographische Institut, gab
zahlreiche geographische Abhandlungen heraus und ent-
wickelte als Lehrer eine sehr fruchtbare Tätigkeit. Sein
Hauptwerk ist die 1899 erbaute Kaiserliche Hauptstation
für Erdbebenforschung in Straßburg i. E.. die, mit einem
kostbaren Schatz seismischer Instrumente ausgerüstet, wert-
volle Beobachtungen liefert, zugleich aber die Erdbeben-
beobachtungen aller Länder sichtet und verarbeitet. Die
„Beiträge für Geophysik", die wichtigste Zeitschrift zur
Erforschung der Eigenschaften unseres Planeten, rief Gerland
1887 ins Leben. Man kann von Gerland sagen, daß er
in gewisier Hinsicht ein Enzyklopädist ist. ein heute, im
Zeitalter der Spezialisten, immer seltener werdender Fall,
denn außer aus den erwähnten Gebieten kennt man von
Gerland soziologische und literarische Arbeiten, dramatische
und musikalische Kompositionen. Vor kurzem gab er 12
Lieder heraus, deren reiche Melodik ein für unsere Zeit
besonders auffallendes Charakteristikum ist. Eine Tragödie,
unter dem Pseudonym Fr. Waltex betitelt „Konrad I".
ist leider durch manche ungünstigen Umstände gänzlich
unbekannt geblieben. In einem seiner Kollegs „über den
Vulkanismus" bedauerte Gerland stets bei Erwähnung der
geologisch so interesianten Basaltkegel unseres Habichts-
waldes den Abbruch des Bühls bei Weimar, sein Warnen
vor weiterer Vernichtung ist gleich dem des Geologen
Geh. Reg.-Rat Prof vr. Kayser in Marburg und trotz
der Einwirkung des Bezirkskomitees für Naturdenkmals-
pflege und des Vereins für Naturdenkmalschutz leider ver-
geblich gewesen. Gerlands letzte Veröffentlichungen aus
den Jahren 1905 und 1912 sind „Kant als Geograph"
und „Die Sintflut"
Der Landesausschuß des Regierungsbezirks Kassel hat
beschlossen, das Entlassungsgesuch des Bezirkskonservators
der Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel Professor
v. Dr ach zum 1. Oktober 1913 anzunehmen und als
Bezirkskonservator und Inventarisator der Kunstdenkmäler
deS Bezirks den Regierungsbaumeister vr^ Holtmeyer
in Magdeburg zu wählen.
Todesfälle. Ein aus Hessen gebürtiger Schulmann,
der Direktor der Internationalen Schule in Mailand.
Wilhelm Braun ist dort am 19. Januar nach kurzer
schwerer Krankheit verschieden. Er hat sich aus den be-
scheidensten Verhältnissen durch Fleiß und hervorragende
Begabung zu dieser Stellung erhoben. Früh verwaist,
wurde er im Kasseler reformierten Waisenhaus erzogen,
besuchte dann das Lehrerseminar in Homberg und fand
nach dem Abgang Anstellung in Kassel. Von hier ging
er nach Mailand, wo er Lehrer an der internationalen
Schule wurde. Nach Ablegung der Mittelschul- und Rektor-
prüfung in Deutschland wurde er zum Oberlehrer und
nach dem Tode des Direktors einstimmig als dessen Nach-
folger gewählt. Ohne dazu verpflichtet zu sein, legte er
. noch vor etwa zwei Jahren in Bonn die Oberlehrerprüfung
ab. Braun war auch hervorragend literarisch tätig. In
der Bibliothek in Mailand befindet sich ein Stück., der
gothischen Bibelübersetzung des Bischofs Ulfilas. Über
dieser hat er eine größere Arbeit vorbereitet, die er nun
leider nicht selbst zum Druck bringen kann. Sein Hin-
gang wird überall, wo man Direktor Braun kannte,
herzlich bedauert werden. A. G.
Am 20. Januar verschied zu Kassel der Präsident des
Kgl. Oberlandesgerichts Wirkl. Geh. Oberjustizrat Leopold
v. Hassel im 70. Lebensjahre. Er war seit I960 in
Kassel oberster juristischer Verwaltungsbeamter, und zwar
zunächst als Präsident de8 Landrsgerichts und seit 1905
des Obrrlandrsgerichts.
Am 25. Januar starb zu Kassel der frühere Direktor
deS Eorbacher Gymnasiums vr. August Wiskemann.
Der Verstorbene war 1844 als Sohn des Pfarrers Wiske-
mann in Bifchhausen geboren, war später als Oberlehrer
am Marburger Gymnasium Philippinum tätig und leitete
von 1885—1911 das Gymnasium zu Corbach und siedelte
dann nach Kaffe! über.
Zu Bozen verstarb am 26. Januar im 59. Lebensjahre
Justizrat Wilhelm Dörffler aus Marburg. Er war
einer der bekanntesten hessischen Anwälte und hat als
Stadtverordnetenvorsteher für die Entwicklung Marburgs
erfolgreich gewirkt.
WMiL. 46 S«tL>
Nach langem Leiden verschied am 29. Januar zu Kassel
67jährig Oberregissenr Albert Steude, dessen erfolg-
reiche und künstlerische Tätigkeit als Oberregissenr an der
Kasseler Hofbühne <1894—1904) ihm ein bleibendes An-
denken sichern wird.
Für das neue LandeSmuseum soll als Geschenk
deS Kreises Schmalkalden, wie Landrat Dr. Hagen in
der letzten KreiStagSfitzung bekannt gab, eine künstlerisch
ausgeführt« Kopie des Festmahls aus der Jweinsage zur
Verfügung gestellt werden. Die Jweinbilder befinden sich
im Keller deS Hesfenhofes in Schmalkalden. Mit der Her-
stellung dieser Kopie soll der Maler Kurt Jäckel betraut
werden. Der Kreistag erhöhte den bereit- für ein Geschenk
bestimmten Betrag von Mark 300 auf Mark 500.
Gegen den Verkauf von Innungs-Altertümern
wendet sich ein regierungsamtlichrr Hinweis. Es ist ge-
rade wieder in letzter Zeit, so heißt es darin, beobachtet
worden, daß Händler von Altertümern mit Vorliebe die
Vorstände von Innungen aufsuchen, um sie zum Verkauf
alter wertvoller Innung«-Jnventarstück«, z. B. Becher.
Urkunden rc. zu veranlassen. Ein derartiger Verkauf be-
darf zur Vermeidung der Nichtigkeit gemäß 8 89 I Ziffer 3
der Reichs-Gewerbeordnung der Genehmigung der Innungs-
Aufsichtsbehörden die ohne triftigen Grund nicht zu er-
teilen sein wird. Gleichzeitig wird ersucht, auch Kirchen-
Altertümer nicht zu veräußern.— Bezeichnend für den regen
Eifer, mit dem jetzt ans dem Lande Altertümer aufgekauft
werden, ist es auch, daß sogar die Preste davon Notiz
nimmt. So wurde jetzt in den hessischen Zeitungen be-
richtet. daß in Zimmersrode und den umliegenden Ort-
schäften von Händlern und Liebhabern viele Altertümer.
Schränke, Truhen, Bilder usw. für recht hohe Preise auf-
gekauft würden. Ohne Not sollte doch niemand das Erbe
feiner Väter verschleudern, um es durch nüchterne Fabrik-
ware zu ersetzen! Freilich auch in die Rumpelkammer sollte
er's nicht verweisen. Wenn es dem Händler gelingt, diese
Sachen wieder ansehnlich zu machen und mit großem
Nutzen wieder abzusetzen, sollte ihnen auch der Landmann
wieder einen Ehrenplatz einräumen können.
Aus Kassel. Am 22. Januar fand die Weihe deS
neuen Marienkrankenhauses im Stadtteil Rothenditmold statt.
Der Obstbau im Regierungsbezirk Kassel. Den
Gemeindekassen des Regierungsbezirks Kaste! sind durch
den Verkauf des im Jahre 1912 geernteten Obstes zu-
geflossen: Kassel-Land 19 610,50 M.. Eschwege19662,70M.,
Frankenberg 12613,40 M.. Fritzlar 17986,60 M.. Fulda
2388,05 M., Gelnhausen 15 568,91 M., Gersfeld272.60M.,
Hanau-Land 3426,98 M. Hersfeld 5080,80 M, Hof-
geismar 37604,88 M.. Homberg 12706,20 M.. Hünsrld
1773,83 M, Kirchhain 17190,10 M., Marburg 20694.05 M..
Melsungen 14755,20 M.. Grafschaft Schaumburg 7380 M.,
Rotenburg 7452,40 M., Schlüchtern 4851,82 M., Herr-
schaft Schmalkalden 4827.87 M., Witzenhausen15714.20M.,
Wolfhagen 18512,55 M., Ziegenhain 11860,90 M., zu-
sammen 271843,54 M.
-------4S-«--------
Hessische Bücherschau.
Jürgens, Elisabeth. Leben und Werden. Gedichte.
Kastei (Ernst Hühn, Hofbuchhandlung). Brosch. M. 1.—
Ein Bändchen von 30 Gedichten, der Direktorin des
Ev. Fröbelseminars zu Kassel Frl. H. Mecke, gewidmet.
Das Grundthema bilden persönliche innere Erlebnisse, wie
sie für manches Menschenleben typisch sein mögen Sehn-
sucht. Suchen nach Glück und Befriedigung, dann Ent-
täuschungen und Kämpfe. Ungemein sympathisch aber
berührt es, wie hier nicht nur die Kämpfe tapfer aus-
genommen werden, nicht bloßes resigniertes Verzichten,
sondern Freude und Glück errungen werden. Als das
Suchen nach dem Glück nichts fruchtet.
„Da gab ich das Hasten, das Jagen auf
Und suchte im Schaffen den Frieden,"
und nun kommt still und ungerufen das Glück herein und
läßt sich nicht mehr vertreiben.
Drei Menschengattungen werden in einem Gedicht ge-
schildert, zuerst die .Sonnenmenschen":
„Fröhlich, strahlend stets ist euer Blick.
Sonnenmenschen mit lachendem Glück.
Wie neide ich euch!"
Dann kommen, die unter dem Jammer deS Lebens seufzen :
„Niemals läutert und hebt euch der Schmerz.
Schattenmenschen mit niederem Herz,
Wie jammert ihr mich!"
Und endlich die dritten:
„Und ihr! Ihr Menschen mit heiterem Blick,
Ihr traget mutig ein schweres Geschick,
Ihr leidet stille im Kämmerlein klein
Und schließet drinnen die Schmerzen all' ein.
Klaglos und heiter euch siehet die Pflicht;
Auf Gott vertrauend verzagt ihr nicht,
Für andrer Sorgen und anderer Leid
Da seid ihr stetig still helfend bereit.
Mutig, stark tragt ihr euer Geschick.
Edelmenschen mit heiterem Blick,
Wie hab' ich euch lieb!"
Etwas Liebenswürdiges hat die persönliche Art, die aus
all den Versen spricht. Was so persönlich erlebt und emp-
funden, wird auch seinen Weg zu andern Menschen finden
und Kräfte des Guten auslösen. Besonders kann es Ver-
langen und Willen wecken nach Selbständigkeit, selber
in eigner Weise sein Leben zu leben, in eignem Empfinden
und Wollen. So heißt es in einem der allgemeiner philo-
sophisch und religiös gehaltenen Gedichte:
„Das Selbst ist ein schlichtes kleines Wort
Mit tiefem Klang.
Es leitet und führt uns ficher fort
Ein Leben lang."
Diesem starken und sympathischen Eindruck der Gedichte
gegenüber verschlägt es wenig, daß hier und da die ästhe-
tische Form noch Unvollkommenheiten zeigt. Daß die Ver-
fasserin aber ästhetische Kritik nicht zu scheuen braucht, dafür
sei zum Schluß noch daS stimmungsvolle Eingangsgedicht
angeführt
„Stille Stunden.
Ich liebe dieses laute Lärmen nicht.
Ich liebe jene stillen ernsten Stunden,
Wo eine Seele mit der andern spricht
Von Glück und Leiden, längst schon überwunden.
Dann ist's, als ob die Seelen Worte fänden
Für das. was unser Innerstes bewegt.
Als griffen tastend wir nach jenen Händen,
Die uns so wohlig, sorglich einst gehegt.
Wenn unsre Seelen leise dann wohl streiften
Die Stunden, die uns einst die schwersten waren,
So fühlen wir wohl noch, wie sie einst reiften
In jenen schwersten, ach, den schwersten Tagen.
Das ist der Segen jener stillen Stunden.
Daß in unS weiterlebt ihr ernstes Wort:
Wir haben unS in ihnen erst gefunden
Und suchen unS nun weiter fort und fort."
Dr. E. Franz.
Heidelbach, Paul. Deutsche Dichter und Künstler
in Escheberg und Beziehungen der Familie
von derMalsburg.Escheberg zuden Fami-
lien Tieck und Geibel. Mit 34 Abbildungen.
244 Seiten. Marburg lN. G. Elwert'sche Verlags-
buchhandlung) 1913. Brosch. 3 Mk. Geb. 4 Mk.
Etwa 30 Kilometer von Kassel entfernt, unweit des alter-
tümlichen Städtchens Zierenberg, liegt in idyllischer Ein-
samkeit inmitten eines grünen Kranzes von Bergen der
hessische Edelsitz Escheberg, eng verknüpft mit dem Namen
der zur althessischen Ritterschaft gehörigen Familie von
derMalsburg. An den Namen Escheberg knüpfen sich
mannigfaltige Beziehungen zu unserer engeren hessischen
und deutschen Literatur. Wie seit den Weimarer Tagen
die Literatur wieder einen geistigen Mittelpunkt in München
durch die Tafelrunde König Maximilians erhielt (der u. o.
Dingelstedt und Geibel angehörten), so vereinigte hier in
Escheberg der edelgesinnte Karl von der Malsburg, der
jüngere Bruder des früh vollendeten Romantikers und
Freundes von Ludwig Tieck Ernst Otto von der Mals-
burg (t 1824), in seinem Schlosse Dichter Künstler und
Gelehrte um sich und erwarb sich dadurch mit Recht in
seiner Heimat den Namen eines hessischen Mäcenas. Das
altehrwürdige Schloß mit seinen prächtigen Räumen, deren
Wände die Ahnenbilder zieren, die Bibliothek, das Theater,
der ausgedehnte Park mit seinen prachtvollen Anlagen,
seinem Teich und stimmungsvollen Geibeltempel, dazu die
reizend liebenswürdige Persönlichkeit des freigiebigen Gast-
gebers, dies alles verfehlte nicht seine Wirkung auf ein
tiefer veranlagtes Poetenherz. Zeuge hierfür ist das Fremden-
buch des Hauses, selbst einer der kostbarsten literarischen
Schätze des Hauses.
So bildete dieser althessische Edelsitz in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts ein angenehmes Asyl für eine Reihe
von deutschen Dichtern, Gelehrten und Künstlern, die gern
und oft das ungezwungene, heitere Leben auf dem welt-
entrückten Schlosse aufsuchten. Fast alle haben sich mit mehr
oder weniger launigen Dankesworten in das Escheberger
Fremdenbuch eingeschrieben. So verweilten hier u. a.
Friedrich Gras Kalkreuth und Graf Lveben, beide ver-
traute Freunde des Romantikers und Calderonübersetzers '
Ernst Otto von der Malsburg, Karl Friedrich Gerstäcker,
Vater des berühmten Reiseschriftstellers. Emanuel Geibel,
Franz Kugler, Friedrich von Bodenstedt, Julius Roden-
berg. Heinrich Marschner. Louis Spohr, der Schauspieler
Ludwig Gabillon, die Historiker Heinrich von Sybel und
Ehr. von Rommel, die Maler Ludwig Emil Grimm,
Moritz von Schwind und noch manche andere.
Angeregt durch diese Eintragungen im Efcheberger Fremden-
buch hat Heidelbach, den selbst verwandtschaftliche Bande
mit Escheberg verbinden, eS versucht, den mannigfachen
Beziehungen dieser auserlesenen Geister zu Escheberg nach-
zuspüren. Nach jahrelanger Arbeit, unterstützt durch
liebenswürdiges Entgegenkommen der Familie v. d. Mals-
burg, ist es ihm gelungen, uns hier in lückenloser, ge-
wandter Darstellung unter sorgfältigster Benutzung der
Ouellen ein literarisches Werk zu bieten, das uns ein-
gehend mit den politischen, gesellschaftlichen und künst-
lerischen Verhältnissen der damaligen Zeit bekannt macht.
Als besonders wertvoll muß darin das umfangreiche, fast
ein Drittel des Buches ausmachende Kapitel über Geibel
. bezeichnet werden. Es enthält u. a. 6 Briefe von Emanuel
Geibels Vater, dem Lübecker Hauptpastor Johannes Geibel,
und weitere 20 Briese Emanuel Geibels an Mitglieder
j der Familie v. d. Malsburg, von denen 6 bisher noch
gänzlich ungrdruckt waren. Ebenso wird Geibels zehnte
Elegie hier zum ersten Mal in der ursprünglichen Fassung
nach Geibels Niederschrift wiedergegeben.
Damit gewinnt die Schrift über Hessen hinaus literar-
historische Bedeutung und wird namentlich von den Geibel-
forschern genügend gewürdigt werden. Wie Geibel hier
aus den Bänden der umfangreichen spanischen Bibliothek
seine köstlichen Romanzen schöpfte, so fand hier einige Jahre
später Friedrich Bodenstedt. der Escheberg in seinem drei-
bändigen Roman „das Herrenhaus im Eschenwald" ver-
herrlicht hat, wertvolles Material für seine orientalischen
Studien und schuf hier seine „Völker des Kaukasus" und
seine „Ada"
Es ist ein unbestrittenes Verdienst Heidelbachs, daS An-
denken an diesen hessischen Mäcen bei unS und über die
rot-weißen Grenzpfähle hinaus erhalten zu haben. Es ist
ein köstliches, ungemein fleißiges Buch, ausgezeichnet durch
wiffenschaftlichen Ernst und fließende, fesselnde Darstellung,
ein Buch, das man immer wieder gern zur Hand nimmt.
Dabei wüßte ich dem Ganzen nur wenig hinzuzufügen.
Bei der Würdigung des Freundschaftsverhältnisses Ernst
Ottos v. d. Malsburg zu Tieck und zum Grafen Kalkreuth
ist dem Herausgeber ein Gedicht Tiecks an Ernst Otto
v. d. MalSburg aus Dresden „beim Abschiede am 30. März
1820" sowie zwei Sonette Kalkreuths, das eine vom
23. Juni 1824 „dem Freiherrn Ernst von der Malsburg
zum Geburtstage" das zweite ohne Datum mit der Über-
schrift „Bitte an Ernst Freiherrn von der Malsburg"
entgangen, die s. Zt. dem Rezensenten auf der Suche nach
ungedruckten Grimmbriefen nebst dem auch von Heidelbach
abgedruckten Briefe Dorothea Tiecks aus Dresden vom
27. September 1824 aus dem Escheberger Familienarchiv
von Sr. Exzellenz dem Vizekanzler Herrn Dr. jur. Hans
v. d. Malsburg (t 1908) in liebenswürdigster Weise zur
Verfügung gestellt wurden. Sie werden demnächst an
anderer Stelle zum Abdruck gelangen.
Ausstattung und Druck sind vornehm und lasten nichts
zu wünschen übrig. Auf S. 59 Z 9 muß es statt „Jahr-
hundert" „Jahrhunderts" heißen. 34 zum Teil wenig
bekannte Abbildungen nach Aufnahmen von Hosphotograph
Karl Eberth u. a. beleben den Text in angenehmer Weife,
über 100 gewissenhaft angezogene Anmerkungen am Schluß
des Buches geben dem Forscher fortgesetzt Gelegenheit, die
Tatsachen nachzuprüfen. Hier wäre zu dem Kapitel über
Ludwig Gabillon der Aufsatz im „Hessenland" 1901
S. 82 ff., zu dem über Bodenstedt der ebenda 1901, S. 231 ff..
249ff.. 265ff. veröffentlichte Beitrag („Escheberger Er-
innerungen") zu ergänzen. Im übrigen muß die Be-
herrschung der einschlägigen Literatur anerkannt, ja be-
wundert werden. Ein sorgfältiges Register am Schluß
endlich erleichtert die Benutzung. Alles in allem ist hier ein
Kulturbild ersten Ranges aus einer literarisch intereffanten
Epoche entstanden, zugleich eine wertvolle Ergänzung zu
unserer hessischen Literaturgeschichte.
Dr. Wilhelm Schoof.
Finot. Jean. Das hohe Lied der Frau. Aus dem
Französischen übersetzt von Dr. H. Warlich. Stutt-
gart (Julius Hoffmann). 306 Seiten.
Geh. 3 M. Geb. 4 und 5 M.
Dr. Warlich. Kassel-Harleshausen hat sich durch die
Übersetzung des Finotschen Werkes rin hohes Verdienst er»
*«*«£> 48 NSSL.
worben, wird doch darin eine der brennendsten Zeitsragen
auf das eingehendste erörtert. Der deutsche Text ist flüssig
und glatt wie der deS Originals und wird der blühenden
und schwungvollen Sprache Finots völlig gerecht. Über
die Frage selbst, die in acht Kapiteln und fünf Anhängen
behandelt wird, ist wohl hier nicht der Ort. in ausgedehnterer
Weise zu verhandeln. Von der Vererbung männlicher
Anlagen und Kräfte auf Mädchen, weiblicher auf Knaben,
die doch fortgesetzt beobachtet wird, ist nichts gesagt, obgleich
damit die Ansicht entkräftet werden kann, daß jahrhunderte-
lange Eindämmung des Weibes das Weib zurückgehalten,
feine Kräfte verkümmert habe. Nirgends wird der Über-
legung Raum gegeben, daß es zum Wohle der Menschheit
notwendig erscheint, einen Teil der Eltern — hier also das
Weib — vor dem übermäßigen Verbrauch der Nervenkräfte,
wie ihn der heutige Kampf ums Dasein erfordert, zu be-
wahren. um frische Kräfte dem kommenden Geschlecht zu
sichern. Schwer arbeitende Frauen bringen schwächliche
Kinder zur Welt. Die Statistiken der Schulen für Minder-
befähigte, schwachsinnige und dergleichen Kinder zeigen hohe
Ziffern solcher Kinder, die von geistig oder körperlich schwer
arbeitenden Frauen geboren wurden. Wir freuen uns
sogar, daß wir im Bauernstand noch in den nicht geistig
arbeitenden Männern Reserven für die Kulturarbeit der
Zukunft haben. Daß die Frau gleiche Rechte wie der
Mann habe, ist gerecht, ist für das Individuum eine Wohl-
tat, für die Menschheit aber sicher nicht. Mann und Frau,
die gleichzeitig ihre ganze Kraft um das Erringen des täg-
lichen Brotes — ist es die geistige Kraft, dann ist es noch
schlimmer — verbrauchen, zeugen nur schwache, aufgeregte,
nervöse Kinder. Dieses Gebiet der Untersuchungen — na-
mentlich amerikanische Gelehrte haben sich damit beschäftigt —
berührt Finot nicht.
Wie man sieht, regt das Buch zum Nachdenken an und
bahnt neuen Ansichten Wege. Es handelt sich ja schließlich
darum, durch allseitige Betrachtung der Frage der Wahr-
heit nahe zu kommen. Jedenfalls ist der Autor ein be-
geisterter Verfechter der Frauenrechte, ein von der. Mensch-
heit sehr hoch denkender Geist. Und in seinem Übersetzer
fand er einen gründlich geschulten und gewandten Dol-
metscher seiner Ideen. Das Werk ist sehr empfehlenswert.
Valentin Traudt.
Personalien.
Verliehen: dem Fabrikbesitzer Schulz zu Kassel, dem
Beigeordneten, Rentner Auel zu Hersfeld, dem Oberlehrer.
Professor Dr. Krull zu Eschwege. dem Pfarrer Noll
zu Hofbieber, dem Pfarrer Römheld zu Steina der
Rote Adlerorden 4. Kl.; dem Polizeipräsidenten von
Schenck zu Wiesbaden (früher Landrat in Hanau)
die Kammerherrnwürde; dem Arzt Dr. Fallmeier zu
Hess.-Oldendors der Charakter als Sanitätsrat; dem Guts-
besitzer Koch zu Bruderdiebacherhof der Charakter als
Ökonomierat; dem Oberzollkassenrendanten Dehnen, dem
Bureauvorsteher bei der Kgl. Oberzolldirektion Ganse
und den Oberzollsekretären Heinatschel und Selling,
sämtlich zu Kassel, der Charakter als Rechnungsrat.
Ernannt: Pfarrer Weber zu Wächtersbach zum
zweiten Pfarrer in Fulda.
Zugelassen: Gerichtsassessor Neitzke zu Rinteln unter
Entlastung ans dem Justizdienste zur Rechtsanwaltschaft
bei dem Amtsgerichte in Rinteln.
übernommen: Gerichtsassessor Wallach zu Kassel
unter Ernennung zum Regierungsassessor in die Verwaltung
der direkten Stenern.
überwiesen: Regierungsrat Juncker von Ober-
conreut zu Arnsberg der Regierung in Kassel.
übertragen: dem Landrat Freiherrn v. Dörnberg
da8 von ihm bisher kommissarisch verwaltete Landratsamt
in Fulda.
Versetzt: die Ghmnasialprofessoren Marxhausen von
Fulda nach Hanau und Schmidthenner von Hadamar
nach Fulda zum 1. April.
In den Ruhestand versetzt Oberbahnhofsvorsteher
Stuckardt zu Treysa.
Bestätigt: der zum Bürgermeister der Stadt Obern-
kirchen auf Lebenszeit gewählte bisherige Bürgermeister
Herzog.
Geboren: ein Sohn: Dipl.Jng. H. Scho euer und
Frau Gertrud, geb. Spielberg (Hamburg. 17. Januar);
Gerichtsassessor Hadlich und Frau Frieda, geb. Brede
(Kassel, 24. Januar); Rechtsanwalt Dr. Weber und Frau
Gerta, geb. Baier (Kaste!, 26. Januar); Regierungsland-
messer Ewald und Frau Liesel, geb. Braun (Frankenberg,
30. Januar).
Gestorben: Präsident des Kgl. Oberlandesgerichts'zu
Kassel Wirkl. Geh. Oberjustizrat Leopold von Hassel.
69 Jahre alt (Kassel, 20. Januar); Kapitänleutnant Her-
mann Freiherr von Dörnberg. 32 Jahre alt (Baden-
weiler. 21.Januar; beigesetzt im Erbbegräbnis zu Hausen);
Hauptlehrer Adam Müller. 45 Jahre alt (Niederaula,
21. Januar); Lehrerwitwe Frau KatharinaStöcker, 69
Jahre alt (Marburg. 21. Januar); Frau Emilie Kalb-
f l e i s ch. geb. Janda. 77 Jahre alt (Marburg, 22. Januar);
Frau Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Marie Steinmetz,
geb. Matthes (Marburg. 23. Januar); Kaufmann Emil
Bohnä (Kassel, 23. Januar); Frau Elise Läufer, geb.
Rehn, 74 Jahre alt (Hersfeld. 23. Januar); Frau Rechts-
anwalt Elise Kleinschmidt, geb. Neumann, 86 Jahre alt
(Marburg. 24. Januar); Gymnasialdirektor a. D. Dr. August
WiSkemann,66 Jahre alt (Kassel 25. Januar); Dr. pdil.
Eduard Oetker (Bielefeld, 25.Januar); Frau Elise Jser-
loh. verw. Scharfscher, geb. Maus, 82 Jahre alt (Kastel,
25. Januar); Rechtsanwalt und Notar Justizrat Wilhelm
Dörffler aus Marburg (Bozen, 26. Januar); Privat-
mann Karl Wachenfeld, 71 Jahre alt (Kastei, 26. Ja-
nuar); Privatmann Andreas Sinning. 75 Jahre alt
(Kassel. 26. Januar); Oberst a. D. Adalbert von Stock-
hausen. 76 Jahre alt (Trendelburg. 27. Januar); Frau
Dorothea Döhrer, geb. Heuser, Witwe des Tierarztes
(Marburg, 27. Januar); Fräulein Mathilde Schäker,
55 Jahre alt (Fulda. 29. Januar); früh. Oberrrgisteur
der Kasteler Hofbühne Albert Steude. 67 Jahre alt
(Kassel, 29. Januar); Kunstmaler Wilhelm Wiegand
(Rostock); Fabrikant Julius Steinbach, 61 Jahre alt
(Hünfeld).
Sprechsaal.
Meine Angabe in Nummer 23 des .Hefsenlandes" vorigen
Jahres verdient eine Berichtigung, da hier eine Verwechs-
lung mit einem älteren Bruder Theodor Gistot vorliegt,
während der im Feldzug 1870/71 im II. Jägerbataillon
als stellvertretender Kompaniechef stehende Max Giflot ur-
sprünglich im Kurhessischen Schützenbataillon stand, 1866
zu den 11. Jägern kam und 1876 als Hauptmann zu
dem 65. Jnfanterie-Regiment versetzt wurde. Am 29. März
1892 Bezirkskommandeur in Saarlouis geworden, verstarb
er daselbst bereits am 3. August 1894.
F. v. und z. Gilsa.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kastel. Druck und Verlag von Friedr. Scherl Kastel.
Hestenlanb
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Rr. 4. 27. Jahrgang. Zweites Februar-Heft 1V13.
Uber Namengebung in deutschen Fürstenhäusern
mit besonderer Berücksichtigung des hessischen Fürstenhauses.
In der Kasseler Monatsversammlung des Ge-
schichtsvereins sprach am 20. Januar Geheimer Ne-
gierungsrat Pros. Dr. Edward Schröder von der
Göttinger Universität, ein geborener Hesse, über
„Namengebung in deutschen Fürstenhäusern-
mit besonderer Berücksichtigung des hes-
sischen Fürstenhauses" Redner, der bereits vor
etwa zwölf Jahren einmal in Kassel über die Quellen
und die verschiedenen Schichten des deutschen Namen-
materials und den Wechsel und Wandel der Mode
in dessen Gebrauch sprach, pflegt diese Namenstudieu
seit bereits zwei Dezennien, kann also schon deshalb
als einer der trefflichsten Interpreten dieses Themas
gelten.
Auf den Höhen der Gesellschaft und Geschichte
einherschreitend — so etwa führte Geheimrat Schrö-
der einleitend aus — können sich die Fürsten
nicht, wie wir das bei Privatleuten erleben, rasch
allen Zufälligkeiten und Eindrücken der Geschmacks-
wandlung hingeben, sie find auch in der Namen-
wahl beschränkt durch Tradition und Rücksicht. Je
höher wir steigen, desto deutlicher nehmen wir bei
der Namenwahl bewußte Absichten wahr, wir können
erraten, warum man hier Namen festgehalten, dort
ausgegeben und gemieden hat. Gewiß spielen Hoff-
nungen, Erinnerungen Verpflichtungen und An-
sprüche auch bei der Namenwahl in unseren Kreisen
eine Rolle, aber vielfach sind diese Momente nur
unbewußt und später, schon nach wenigen Gene-
rationen, kaum noch erkennbar. Die Namengebung
der Fürstenhäuser beansprucht aber auch deshalb
ein erhöhtes Interesse, weil sie, vermittelt durch den
Lehnstaat, Hofstaat und Kriegsstaat, die Namen-
gebung des ganzen Landes anhaltend und aus Gene-
rationen hinaus beeinflußt.
Um nicht allzustark in das reiche Detail zu ge-
raten, führt Redner nun zunächst an der Hand von
Einzelbeispielen in die historische Betrachtungsweise
aus diesem Gebiet ein.
Im März des Jahres 1459 hatte der deutsche
Kaiser Friedrich III. einen Traum, es erschien ihm
der hl. Maximilian, keiner der großen Heiligen,
den erst eine Fälschung des 10. Jahrhunderts schuf.
Dieser Traum hatte eine eigentümliche Folge, er
gelobte sich, einen Sohn, der ihm geboren wurde,
Maximilian zu nennen, und dieser wurde so der
erste deutsche Junge, der den Namen Max führte.
Dieser Name ging von Kaiser Max später auch auf
die Wittelsbacher und dann auf viele katholische
und protestantische Fürstenhäuser über, und außerdem
50
übernahmen ihn die Habsburger und Wittelsbacher
Hofstaaten und Kriegsleute, und im 16., noch mehr
aber im 17. Jahrhundert breitete er sich vom Adel
bis hinab in das Bürgertum aus. Freilich, die
stolze Form Maximilian, bei der er blieb, machte
ihn den Bürgern und Bauern weniger beliebt, während
die vornehme Gesellschaft der Renaissance und Barock-
zeit, eben jener Zeit, die die Allongeperücke brachte,
an dem Namen ihre Freude hatte. Es ist längst
vergessen, daß der Ausgangspunkt dieser Namengebung
ein kirchlicher war. Gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts tritt dann ein neues Moment, ein lite-
rarischer Einfluß, hinzu. Schillers „Wallenstein" er-
schien, und Max und Thekla wurden populär. Daß
der Heiligenname Thekla in protestantische Familien
drang, ist ausschließlich die Wirkung Schillers. Und
nun wandelt sich der Geschmack. Das 19. Jahr-
hundert hat eine Freude an kurzen und derben Namen,
es ist die Zeit, die Namen wie Fritz, Hans, Paul,
Kurt, Heinz und Göh zur Popularität verhilst.
Da wurde auch der Name Max in dieser kurzen
Form beliebt, zugleich hier und da die Erinnerung
an den letzten Ritter dort wieder die literarische
Erinnerung an Max Piccolomini festhaltend. Solche
Namen sinken aber gelegentlich auch rasch zu Tier-
namen herab, und so wurde auch der Name Max
sehr bald zum Pserdenamen, was wieder seine Popu-
larität in manchen Familien hemmte. Ausgang also ist
die Verehrung des Heiligen, es folgt das dynastische
Moment der Lehnstaat, die Hof- und Kriegsleute
übernehmen den Namen, die Mode trägt ihn wegen
seines Klanges, und ein neues Moment bringt dann
wieder der literarische Einfluß.
Mit einem zweiten Beispiel führte dann Redner
in eine ganz andere Sphäre. In einer Rede, die
Kaiser Wilhelm II. aus Anlaß der 300. Wieder-
kehr des Aussterbens der Cleveschen Dynastie hielt,
betonte er, diese Lande seien ihm besonders lieb,
weil aus ihnen seiner Dynastie der Name Wilhelm
zugeführt worden sei. So alt dieser Name in den
verschiedensten Gegenden Deutschlands war, die Hohen-
zollern besaßen ihn recht spät. Ihre Cleveschen Erb-
schastsansprüche zogen sich viele Jahre hin und er-
hielten sich auch in der Namengebung. Bei den
sächsischen Ernestinern taucht der Name Ernst Wilhelm
vor. So bewahrt der Name Wilhelm Ernst des
Großherzogs von Sachsen-Weimar die Erinnerung
an die Cleveschen Ansprüche, während sich im Namen
Friedrich Wilhelm der Wettiner das Festhalten der
staufischen Tradition, verbunden mit dem Cleveschen
Anspruch, bekundete. Ebenso verfuhren die Branden-
burger und Pfälzer, so verbündet sich in Preußen
im Namen Friedrich Wilhelm der alte Zollernname
Friedrich mit der Tradition von Cleve. Diese Art,
den Eigennamen nicht nur als eine Erinnerung,
sondern auch als ein Symbol, als Kennzeichen des
Anspruchs aufzunehmen, lernen wir schon früh kennen.
Charakteristisch ist die Herausbildung der beiden
Namen Friedrich und Karl als symbolische Ver-
körperung des Gedankens der staufiischen und karo-
lingischen Weltmonarchie im 13. Jahrhundert. Ein
Realpolitiker wie Rudolf von Habsburg verstand es
immer, zwei Eisen im Feuer zu haben; er rechnete
ebenso gut mit den Realititäten wie mit den Im-
ponderabilien. Es ist noch nicht ganz aufgeklärt,
warum er seine Frau alsbald nach der Krönung
Anna nannte, wahrscheinlich aber hängt das mit
den Freiburger Ansprüchen zusammen. Den ersten
Sohn, der ihm im Purpur geboren wurde, nannte
er Karl, einen Namen, der seit den Karolingern
geschwunden war. Für seine Enkel sorgte er in
anderer Weise; er gab ihnen außer den alten habs-
burgischen Namen (Rudolf, Albrecht) die Namen
Friedrich und Leopold, die beiden Namen, die
im ausgestorbenen Babenbergischen Hause lebendig
waren. Hier zeigte sich eine bewußte Anlehnung
an die Tradition der Vorgänger aus österreichischem
Boden, dynastisch zugleich und kirchlich. (Sankt
Leopold!) So spiegeln sich die Beweggründe der
politischen Geschichte durchaus in der Namengebung
wieder.
Redner geht dann zu einem Gang durch die
hessische Geschichte über, um auch hier Proben
zu geben. Die Zahl der Namen ist hier keineswegs
groß, trotz der bis zuletzt staunenswerten Frucht-
barkeit im Hause Brabant. So hatte Heinrich I.
mit zwei Frauen 16 Kinder, Moritz mit zwei Frauen
18 Kinder, Wilhelm V von einer Frau 15 Kinder,
Karl von einer Frau 11 Kinder, Philipp von der
so wenig geliebten Christine IO Kinder, in der Darm-
städter Linie Ludwig V 12 Kinder, Georg II. von
einer Frau 19 Kinder, darunter 16 Töchter, Lud-
wig VI. von zwei Frauen 16 Kinder. Das Haus
Brabant wurde in Hessen gegründet durch die Energie
der Sophie von Brabant, die für ihren Sohn, den
Enkel der heiligen Elisabeth, Heinrich das Kind,
lange Jahre kämpfte. Heinrich I. hatte 4 Söhne,
dem ersten gab er den Namen von sich selbst und
zugleich von seinem Vater, den zweiten nannte er
nach dem Großvater mütterlicherseits, Otto dem
Kind von Braunschweig, wobei zum erstenmale
welfischer Einfluß hervortritt. Den dritten Sohn
nannte er Johannes, nach dem regierenden Herzog
von Brabant, und den vierten, Ludwig, nach dem
thüringischen Urgroßvater und führte so den Haupt-
namen der Ludowinger in das Haus Brabant ein.
In den folgenden Jahrhunderten treten verhältnis-
mäßig wenig neue Namen zutage, die hessische Ge-
schichte des 14. und 15. Jahrhunderts kennt meist
die Namen Heinrich, Otto, Johann, Ludwig und
Hermann (ebenfalls Ludowinger), daneben ein
paarmal den Namen Friedrich, zum erstenmal
durch eine Zollernmutter, die Tochter des Burg-
grafen von Nürnberg, das zweitemal durch eine
Wettiner Mutter, die Tochter Friedrichs des Streit-
baren. Ende des 15. Jahrhunderts taucht dreimal
der Name Wilhelm auf, und alle drei Träger ge-
langten zur Regierung. Wie kamen sie zu diesem
Namen, trotzdem damals keine engere verwandschast-
lichen Beziehungen zu Braunschweig und den Wet-
tinern bestanden? Die Landesbibliothek zu Kassel
bewahrt eine prachtvolle, 1334 im Anstrag Land-
graf Heinrichs II. angefertigte Handschrift vom
„Wilhelm von Oranse" Wolframs von Eschenbach,
und Heinrich, der dies wunderbare Prachtwerk her-
stellen ließ, ließ ihm die Bestimmung voranstellen,
daß dies Buch für alle Zeiten bei seinem Hause
verbleiben solle. Damals herrschte im hessischen Laud-
grasenhaus die Vorstellung, daß Wilhelm von Orange,
den man mit dem heiligen Wilhelm gleichsetzte, zu
den Stammvätern des landgräslichen Hauses gehöre,
aus ähnlichen Anschauungen heraus ist ja auch
die Entstehung des merkwürdigen Heiligenkalenders
Maximilians zu erklären. Aus diesem Streben ist
auch die romanhafte Geschichte von Otto dem Schütz
entstanden — nicht eine Volkssage! — ausgebildet
aus Grund einzelner ungenauer Berichte aus der
landgräflichen Familie. So ist die Aufnahme des
Namens Wilhelm aus der romantischen Vorstellung
hervorgegangen, daß zur Zeit der Sarazenenkämpfe
ein Vorgänger des Hauses mit diesem Namen ge-
lebt habe. Von da an ist Wilhelm der Hessen-
name, und mit einer einzigen Ausnahme haben alle
hessischen Regenten ihren ältesten Sohn Wilhelm
genannt, um in diesem Namen das Geschlecht bis
auf die fernsten Zeiten fortzuführen. Wir hätten
keinen Philipp und Moritz, Karl und Friedrich als
Regenten gehabt, wenn ihre älteren Brüder nicht
vor ihnen gestorben wären, so zäh hielt man an dem
Namen fest. Und so ist in Wilhelm VIII. auch
noch ein Wilhelm aus der Familie Karls zur Re-
gierung gelangt. Auch der letzte Kurfürst von Hessen
ist nur dadurch zur Regierung gelangt, daß sein
älterer Bruder Wilhelm Friedrich starb, und er selbst
wieder hat seinen ältesten Sohn Wilhelm genannt.
Er ist fortab der klassische Name des Brabanter
Hauses geworden.
Landgraf Philipp war der zweite Sohn Wil-
helms II. und der Anna von Mecklenburg. Diese
machte keinen Versuch, einen der mecklenburgischen
Namen in das hessische Hans hineinzutragen, Philipp
wurde vielmehr nach seinem Paten, dem Lehnsgrafen
Philipp von Waldeck, benannt. Dazu mochte noch
ein zweites kommen. Die Katzenelnbogische Frage
war noch nicht erledigt, und der letzte Graf von
Katzenelnbogen war ein Philipp, das wird höchst-
wahrscheinlich ausschlaggebend für die Namengebuug
gewesen sein. Von Philipps Söhnen wurde Wil-
helm IV. nach dem Großvater väterlicherseits ge-
nannt, der dritte, Ludwig, nach dem Urgroßvater,
der zweite, Philipp, nach dem Vater, und Georg
nach dem Großvater mütterlicherseits. Der Name
Georg kam übrigens erst im 14. und 15. Jahr-
hundert auf, und seine Popularität hängt mit der
Begründung neuer Ritterorden zusammen, deren
Schutzpatron regelmäßig der hl. Georg war. Die
Namen Wilhelm und Philipp wurden vom Hause
Hessen-Kaffel festgehalten, die Namen Ludwig und
Georg wurden Eigentum der Darmstädter Linie, die
den Namen Wilhelm durchaus der Kasseler Linie
überläßt. Der Name Moritz stammt, wie Georg,
von den Wettinern. Heinrich der Fromme nannte
seinen Sohn nach dem Schutzheiligen der obersächsischen
und niedersächsischen Lande, dem heiligen Moritz, nach
dem in Nieder- und Obersachsen eine große Anzahl
von Kirchen heißen. Auch der Name Christian
ist von den Wettinern entlehnt. Unter den vielen
Söhnen des Landgrafen Moritz führt auch einer
den Namen Ernst nach dem 1622 verstorbenen
Schwager, dem Grasen Ernst von Schaumburg, dem
Begründer der Universität Rinteln. Die verräterischen
Umtriebe des Landgrafen Ernst von Hessen-Nhein-
sels gaben dem Namen dann einen üblen Klang und
ließen ihn nicht fortleben, das Austreten des Namens
in der Darmstädter Linie hat einen anderen Grund.
Wir schreiten rasch fort von Moritz zu Landgraf
Karl, dem zweiten Sohn Wilhelms VI. Woher
hatte er seinen Namen? Nach seinem Taufpaten
Karl X. von Schweden, es war zum zweiten Male,
daß ein schwedischer Name in die hessischen Familien
eindrang, Wilhelm V. hatte nach Gustav Adolf einen
Sohn Adolf genannt. Auch der Name Otto taucht
noch einmal aus. Moritzens Sohn Otto war von
einer Solmserin, in deren Familie der Name zu
Hause war. Aber Moritz, der selbst ein Drama
über Otto den Schütz geschrieben hat, wollte wohl
auch die Erinnerung an diesen auffrischen. Unter
den Söhnen des Landgrafen Karl taucht auch der
Name Friedrich aus, und zwar nach dem Oheim
Friedrich III. von Brandenburg. Aber Karls Jn-
teresten waren vielseitig, er nannte zwei Söhne
Leopold und Maximilian, um die Annäherung
an den Hos von Wien zu bekunden, und nach den
verbesserten Beziehungen mit Hessen-Darmstadt nannte
er einen seiner Söhne Ludwig. Aber der Anschluß
an Österreich war für Hessen nur eine Episode in
der Namengebung. In der letzten Zeit des Land-
grafenhauses war der Anschluß an Preußen be-
sonders eng. Wilhelm II. nannte seine drei Söhne
Wilhelm Friedrich, Friedrich Wilhelm und Friedrich
S««L, 52
Wilhelm Ferdinand, dieser, 1806 im Schlosse
zu Berlin geboren, hieß nach dem kurz zuvor ge-
fallenen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen.
Bemerkenswert hingegen ist das frühe Schwinden
des welfischen Einflusses. Andere dynastische Gin-
flüsfe fehlen in der Kasseler Linie, wo wir sie
— Württemberg. Mecklenburg — vielleicht erwarten
dürften, ganz. Erbvertrüge halten eben einen stärkeren
Einfluß als bloße Familienbande. Der letzte Kur-
fürst von Hessen schloß eine Ehe, die zwar ein ge-
sundes Familienleben zur Folge hatte, aber weder
ihm noch seinem Lande zum Segen gereichte. Er
löste sich selbst aus allen dynastischen Beziehungen.
In der Namengebung seiner Kinder aber klammerte
er sich an die Traditionen seiner Familie. Er war
gewiß kein Romantiker, aber stark durchdrungen von
der Tradition seines Hauses. Und nach den Namen
seiner Vorfahren nannte er ausschließlich die Kinder
seiner Gemahlin und setzte sich dabei selbst über
die Empfindlichkeit gegenüber der Doppelehe Philipps,
die dessen Name immer mehr hatte schwinden lassen,
hinweg, und ebenso ließ er den Namen Moritzens,
des Urhebers des religiösen Zwiespaltes, wieder aus.
leben. So klammerte er sich an die ruhmreiche
Tradition seiner Familie.
Die fürstlichen Frauen, die im Lande eine Rolle
spielten, kamen von auswärts, und die im Lande ge-
borenen trugen den hessischen Namen vielfach hinaus.
Jedoch der Einfluß, den Frauen in der Namengebung
haben können, tritt im hessischen Fürstenhause
nicht sehr deutlich zutage. Tatsache aber ist, daß
die Namen der regierenden Landesmütter eine Rolle
in der Namengebung der bürgerlichen Kreise spielen,
und in Hessen ist zu verfolgen, wie die Namen fast
aller Landgräfinnen über viele Generationen hinaus
wirkten. Die Namen Christine und Sabine
— diese mehr in der ländlichen Bevölkerung —
Sophie. Juliane und Hedwig stammen von
Landgräfinnen, und mit besonderer Liebe hat sich
das Volk der in ihrer Ehre gekränkten regierenden
Gattinnen (Christine und Auguste!) angenommen,
und daß andererseits der Name Gertrud, der
auswärts bereits zur Mode geworden war, sich in
Hessen nicht durchsetzte, hatte gleichfalls seinen Grund.
Kanzleistil und Flurnamenforschung.
Von Dr. Wilhelm Schoos.
(Schluß.)
Ganz ähnlich wird eine volkstümliche Flur-
bezeichnung of der Schiarnstatt (1584) zu ..ui' der
Schomistadt“, während der offizielle Name heute
„ans der Scheuerstatt" lautet, ohne daß damit
bewiesen wäre, daß die Gemarkung nach einer in
der Nähe befindlichen Feldscheune (hessisch „Scheuer")
oder nach einem in Bergnamen sich häufig findenden,
nicht mehr verstandenen Bestimmungswort 8cheur,
Scheuren benannt ist. Ebensowenig hat das im
Odenwald gelegene Dorf Schönmattenwag etwas
mit „schönen Matten" zu tun, vielmehr, wie die
mundartliche Benennung Schimedewoog noch heute
bestätigt, mit „schäumenden Wogeil", denn in alten
Urkunden wird es als schümechten waage be-
zeichnet?) Nach diesen Darlegungen wird man auch
gegen offizielle Benennungen wie „Schönbuche",
mundartlich Scheboch, der schöne Rigge (1584),
„am trüben Rain", „am süßen Baum" u. ä. mit
Recht mißtrauisch werden, zumal wenn man weiß,
daß aus einem „Wiesenacker" ein „wüster Acker",
aus einem „kahlen Strauch" ein „kalterStrauch",
aus einer „kahlen Haide" eine „kalte Haide"2), aus
einer „kahlen Hainbuche" eine „Kalte Hainbuche"^),
’) Vgl. „Blätter s. Hess. Volksk." 1899. S. 21.
*) Berg im Kreis Schmalkalden.
*) 431 m hoher Berg zwischen Itzenhain nnd Sachsen-
hansen.
aus einem „kahlen Hauk" ein „Kalter Hauk"^), aus
einem mundartlichen deke rain, deke struck ein
„dicker Ra in" und „dickerStrauch" geworden ist. Die
Katasterbeamten hielten hier neuhochd. „kahl" für
mundartliches kääl — kalt, ebenso mundartliches dek
im Sinne von „dichtbewachsen" für neuhochd. „dick",
während ihnen die Bedeutung von struch „Busch-
wald" nicht minder geläufig war.
Wenn ferner solche Beamte einen Taffeiacker
zu einem „Teufelacker" stempeln, während es höchst-
wahrscheinlich ein harmloser Kartoffelacker ist, oder
aus einer Steckelsliid (d. h. „steiler Abhang",
ma. stikel — steil, noch erhalten in Bergnamen
wie Steckeisberg) eine „Stückelslinde" (1584)
machen, wenn sie aus einem mit Hainbuchen be-
pflanzten Hainberg einen Hahnberg und ent-
sprechend aus einer Hainliede, d. h. einem mit
ebensolchen Bäumen bewachsenen Abhang, ein Hahn-
lied, wenn sie aus einer ,gruonen wiese* eine
„krumme Wiese", aus einem mundartlichen ,das
lange weer‘, 1565 noch das lange Werde (d. h.
eine sich länglich hinziehende Flußinsel), eine „Land-
*) Bei Margarctenhaun. Der Berg hieß eigentlich
Deggereshouc. Nach der Abholzung wurde der breite,
massige Hügel „Kahles Hauk" genannt, woraus dann die
Kartographen „Kaltes Hauk" gemacht haben. (Vgl. Haas
in den „Fuld. Gesch.-Bl." 1911. S. 178.)
vmtL> 53 vML>
wehr", alls einem mundartlichen Staiwiise (b. h.
Steinwiese) gar eine ..Stubenwiese", aus einem
mundartlichen Maalliid sd. h. Hang an den Mühl-
wiesen) eine ,,Mehlliede" (1584 uf der Mehl-
lieden), aus einem mundartlichen Harwichswääk
einen Haarwiesenweg", aus einem mundartlichen
Gräänzgrond, Gräanzrai und Gräänzwääk einen
Kranichsgrund oder Krangsgrund (1584), Kra-
nichsrain und -weg machen, ebenso aus einer
ßuehtrift oder Rucktrift (d. h. eine Trift auf
dem Bergrücken) eine „Nuhtrift" (1584), aus einem
mundartlichen Muurgraäwe (wahrscheinlich soviel
als „mooriger, sumpfiger Graben", doch vgl. auch
Buck, Oberdeutsches Flurnamenbuch S. 186) einen
Aurbachgraben (1584) und ebenso aus einem
Muurbääk einen „Uhrberg" machen«), aus einer
Munsterschlieden (1580) eine „Musterlied" so
ist diese unabsichtliche oder doch wohl gutgemeinte
Verstümmelung noch nicht so schlimm, als wenn ab-
sichtliche Verdrehungen eines Namens vorge-
nommen werden, weil er „vornehmer" aussehen
soll. Hierher gehören willkürliche Neubildungen wie
Cyriaxquelle für mundartliches am Ziijelbränner-
bernche6 7), am Grabstrauch für mundartliches
im Heannlied (soviel als Abhang fürs Weidevieh),
grüner Birnbaum für volkstümliches uf de
Hühnerspitz (volksetymologisch entstellt, s. v. a.
eine zum Ruhen für das Weidevieh bestimmte
Anhöhe), Hackenberg (!) für kahle Rigge (1584),
Damen weg für Volkstümliches enger der Hai, d. h.
unter der Hallenburg (gräfliches Schloß in Schlitz),
für eine alte Lindenallee, unter der die Damen
des Schlosses sich zu ergehen Pflegen, am Stein-
bruch für mundartliches de Kääl, uffim Ziegen-
berge für mundartliches im Gaisbääk u. a. m.
So ist auch aus den neuen Meßtischblättern die
schöne Fulda (b. f). Scamfulda, „die kurze Fulda",
im Gegensatz zu dem Hauptfluß) in Döllbach
umgetauft worden?)
Ähnliches, d. h. absichtliche Umdeutung von
Namen mit irgendwelchem (meist ethischem oder
ästhetischem) Nebenzweck, finden wir häufig bei Orts-
namen, so z. B. wenn eine französische Kolonie Gotz-
mann zu Gethsemane, eine andere, die eigentlich
Hammonshausen heißen sollte, zu Luisendorf amt-
lich umgestempelt wird, während das Volk zäh an
6) Es soll nicht bestritten werden, daß hier vielleicht
Prosthese, b. h. Anschweißung eines in an das folgende
Wort vorliegt, daß also aus am Ilrbllä-ll später Uuur-
bääk wurde, wie Melnau aus am Elenhouc u. ä.
*) Vielleicht ist hier außerdem eine Lautassimilation mit
begrifflicher Nebenwirkung im Spiel, weil das Volk für
Cyriacus Zilch spricht, z. B. Ziljedswaimer für Cyriax-
weimar.
7) Vgl. Haas in den „Fnldaer Geschichtsblättern"
1912. S. 13.
den alten Benennungen Getsemich und Hammons-
hause festhält. So hieß auch das frühere Kloster
Himmelan bei Gelnhausen eigentlich Ubenhusen.
Nicht immer handelt es sich bei den Umände-
rungen nur um vermeintliche Dialektübertragnngen
oder willkürliche „Verhochdeutschung" Es gibt
nicht selten Verdrehungen, bet deren Deutung auch
die Dialektkenntnis im Stich läßt, deren Ent-
rätselung vielmehr einem glücklichen Zufall über-
lassen werden muß, daneben wieder solche, die so
verblüffend „hochdeutsch" aussehen und so vor-
züglich in das Ortsmilieu hineinpassen, daß man
jedes Mißtrauen gegenüber der Echtheit des Namens
ohne weiteres schwinden läßt. Wenn inan einen
Namen Hahnenpfaltz mundartlich Haanebalz,
liest, der schon 1584 in den Meßbüchern Hannen-
paltz geschrieben wird, glaubt man unwillkürlich,
es mit einer „Auerhahnbalz" zu tun zu haben,
zumal ähnliche Namen (Hühnerbalz, Auerhahn-
küppelj, Hahnkopf) als Bergbezeichnuugeu sich
häufiger finden und auch die Ortseingesessenen eine
derartige Deutung ohne weiteres mit dem Hinweis
auf die dort geschossenen Auerhähne bestätigen.
Wie Hahnenpfaltz in diesem Fall aus ein villa
Hamundis (1284 Name einer Wüstung, vgl.
Landau, Wüste Ortschaften S. 369) entstanden
ist, die auch Hantels genannt und schließlich zu
Hanenpaltz umgedeutet wurde, also mit „Hahn"
nichts zu tun hat, ebenso haben die zahlreichen
Hahuköpfe, Auerhahnküppel usw. ursprünglich nichts
damit zu tun, sondern sind erst später vom Volk
dahin umgedeutet worden. So haben auch die zahl-
reichen Hundsköpfe. Huudsrücken Hühuerberge,
Weinberge, Winterberge, Hungerberge, Zimmer-
berge usw. mit den neuhochdeutschen Begriffen, die
unser Sprachgefühl ohne weiteres ainrimmt, nichts
zu schaffen, ebensowenig Flurbenennungen wie im
Nagelgesang, Honigacker, Honigbaum, süße Wiese,
saure Wiese. Goldberg, Spielberg. Sängerberg usw.
Darüber Näheres in meinen „Beiträgen zur hes-
sischen Namenkunde"
Diese Beispiele von amtlicher Ilmdeutung mögen
genügen, um zu beweisen, welchen Schwierigkeiten die
heutige Namenforschung, besonders die Flurnamen-
forschung, ausgesetzt ist, Schwierigkeiten, die um so
größer werden, je länger eine systematische Samm-
lung sämtlicher Flurnamen (nach dem Vorbild
der Schützer Flurnamen) noch hinausgeschoben
wird. Denn neben den amtlichen nehmen die volks-
tümlichen Umdeutungen einen fast noch größeren
Spielraum ein, weil sie zeitlich viel früher einsetzen
und altes Sprachgut, das im lebendigen Sprach-
schatz längst nicht mehr zu finden ist, in sich schließen
und oft so verhüllen, daß eine sichere Deutung nicht
immer mehr möglich ist.
§3^ 54
Mit dem Absterben alter seltener Wörter in
dem Sprachbestand einer Mundart wird aber die
Deutung der Flurnamen immer mehr verdunkelt.
Deshalb ist in den Gegenden, wo es noch nicht
geschehen ist, eine Sammlung des gesamten mund-
artlichen Wortschatzes sowie eine Sammlung des
Flnrnamenbestandes von gleichem, weil sich er-
gänzendem Werte.
Mit Recht sagt Archivdirektor I)r. Dietrich,
der verdienstvolle Förderer und eifrige Vorkämpfer
aus dem Gebiet der hessischen Flurnamenforschung,
in der Vorrede zu den oben erwähnten „Schlitzer
Flurnamen"- „Bei den Flurnamen handelt es sich
------------4K.
Aus der Geschichte
Von 51. a
(2fort!
Nun waren die beiden Landgrafen unumschränkte
Herren des Hessenlandes. Aber in welchem Zu-
stande befand sich dieses? Die Kriegführung der
damaligen Zeit bestand ja hauptsächlich darin, dem
Gegner durch Verwüstung seiner Lande Schaden
zu tim. So waren denn auch im Sternerkriege
zahlreiche Dörfer verwüstet, die Ernten vernichtet,
die Einwohner von Haus und Hof vertrieben.
Die Steuerkraft des Landes war dadurch natürlich
sehr gering geworden, wahrend andererseits die
landesherrlichen Kassen leer waren und der Auf-
füllung 'dringend bedurften. Aber wie eine solche
beschaffen, woher Geld nehmen? Tie „Bede",
d. h. die übliche direkte Steuer, brachte bei der
allgemeinen Verarmung des Landes nichts ein,
die Zinsen und Renten, die der Herrschaft zustanden,
waren schon für längere Zeit int voraus erhoben,
die besten Schlösser und Ämter des Landes ver-
pfändet, auf anderem Wege als durch solche Ver-
pfändung damals aber Anleihen nicht zu ermög-
lichen. Da entschlossen sich denn die Landgrafen
zu einem Schritt, der in damaliger Zeit in Deutsch-
land an sich nicht ungewöhnlich, in Hessen aber
von schlimmen Folgen begleitet war. Sie be-
schlossen, ein „Ungeld" zu erheben. Diese Art Ab-
gabe war seit etwa 1300 in Deutschland vielfach
zur Einführung gelangt, selten aber ohne Wider-
spruch der Bevölkerung. Schon in dem Namen
„Ungeld" liegt der Begriff des Nichthergebrachten,
des Ungewöhnlichen und vor allem des Unbe-
rechtigten. Das Ungeld stellte sich dar als eine
Steuer auf die in einzelne Orte eingeführten
Lebensmittel als eine Akzise also. Es erlangte
aber den Charakter eines Zolls dadurch, daß es
mit den schon gültigen gleichartigen Zöllen als
ein Aufschlag zu diesen erhoben wurde. Es war
um Zeugnisse der Vergangenheit. die im Durchschnitt
älter und wertvoller sind als die Mehrzahl der vor-
zeitlichen und mittelalterlichen Denkmäler, die heute
staatlichen Schutz unb staatliche Pflege genießen; um
Zeugnisse der Vergangenheit zugleich, die heute
mehr gefährdet sind als alle andern. Mit be-
scheidenen Mitteln, die im Vergleich zu den Kosten
der Wiederherstellung einer Kirche, eines Schlosies
oder eines Rathauses gering sind, kann hier ein
Werk geschaffen werden, das für alle Zeiten seinen
Wert behält, und mit dem der Staat und die
staatlichen Körperschaften, die ihm ihre Unter-
stützung leihen, sich selbst ehren."
des Kasseler Zolls.
0 r i n g e r.
>ung.)
also eigentlich nichts anderes, als der im Jahre
1346 von den Landgrafett und der Stadt Kassel
gemeinsam eingeführte Zollzuschlag auf der Kasseler
Fuldabrücke, mit dem gewaltigen Unterschiede frei-
lich, daß dieser Zollzuschlag auf alle Zollstellen des
Landes ausgedehnt und ständig, nicht, wie der
Zuschlag von 1346, nur vorübergehend eingeführt
wurde. Dabei waren die neuen Zollsätze recht
hoch, wobei man den damaligen Geldwert be-
rücksichtigen muß, der ja viel höher war als der
heutige. Vom Malter Weizen, Korn, Gerste sollten
16, vom Malter Hafer 8 Heller, von jedem ge-
schlachteten Stück Rindvieh 4 Schilling, von der
Tonne Heringe 2 Turnos (Groschen), vom Zentner-
Metall aller Art 2 Turnos, von einer Halben
Wein oder einem Stübchctt Bier beim Ausschank
1 Heller gezahlt werden. Um die Sache schmack-
hafter zu machen, versprachen die Landgrafen, ohne
Einwilligung des Landes das Ungeld nicht erhöhen
und während der Dauer seiner Erhebung keine
Bede, also keine direkte Steuer, erheben zu wollen.
Eine solche sollte überhaupt nur noch dann ent-
richtet werden, wenn zum Ankauf von Schlössern
und Burgen Geld nötig sei, dessen Verwendung
ja dem ganzen Lande zu gute komme, oder im
Falle gemeiner Landesnot.
Als die Landgrafen im Oktober 1375 (nicht
1376, wie Nebelthau angibt) die Einführung des
Ungeldes verkündigten, wurde diese Kunde im
Lande sehr verschieden aufgenommen. Die Städte
jenseits des Spießes, also in Oberhessen, fügten
sich mit wenigen Ausnahmen gutwillig und setzten
der Erhebung des Ungeldes keinen Widerstand ent-
gegen. Nicht so die Städte diesseits des Spießes.
Sowohl in Niederhessen als an der Werra erhob
sich eine starke Opposition, und an der Spitze der
Widerstrebenden stand die Stadt Kassel. Im
Januar 1376 traten Abgeordnete der Städte
Eschwege, Mendorf, Homberg, Rotenburg, Witzen-
hausen, Spangenberg, Wolshagen, Grebenstein,
Zierenberg. Jmmenhausen, Gudensberg, Melsungen,
Felsberg. Lichtenau und Niedenstein auf dem Kas-
seler altstädter Rathaus zusammen, um gemeinsam
mit den Kasseler Bürgern zu beraten, was in
dieser schwierigen Lage zu tun sei. Das Ergebnis
war, daß Bürger-
meister, Schöffen und
gemeine Bürger der
drei Kasseler Städte,
Altstadt, Neustadt
und Freiheit, und
sämtlicheAbgeordnete
der genannten ande-
ren Städte sich dahin
einigten, die Zahlung
des Ungelds unter
allen Umständen zu
verweigern, in dieser
Sache aber alle für
einen und einer für
alle einzustehen und
nur gemeinsam vor-
zugehen. Ohne Wis-
sen und Willen der
übrigen verbündeten
Städte solle kein
Schritt in dieser An-
gelegenheit zu tun
erlaubt sein. Wenn
die Landgrafen gegen
eine der Städte ge-
waltsam vorgingen,
so sollten die anderen
Städte sich ihrer den
Landgrafen gegen-
über annehmen und
ihr zu ihrem Rechte
verhelfen. Die Er-
klärung schloß mit
der Versicherung, daß sie in allem übrigen den
beiden Landesherrn gehorsame Bürger sein und
bleiben wollten.
Wir muffen zugeben, daß das Verhalten der
Kasseler Bürger und wohl auch das der übrigen
niederhessischen und Werrastädte berechtigt war.
Die Abmachung zwischen den Landgrafen Heinrich
und Otto einerseits und den Bürgern der Stadt
Kassel anderseits über den Brückenzoll des Jahres
1346 zeigt deutlich, daß sich die Landgrafen zur
Erhebung neuer Zölle oder gleichartiger Abgaben
nicht für berechtigt hielten. Im Jahre 1354 hatten
dann die Landgrafen den Bürgern der drei Kas-
seler Städte die urkundliche Zusicherung gegeben,
daß es mit den'Zöllen und dem Brückengeld so
bleiben solle, wie es von ihren, der Landgrafen,
Vorfahren den Bürgern verbrieft sei. Die nun
ohne Zustimmung der Kasseler Bürger angeordnete
Erhebung des Ungelds verstieß also zweifellos gegen
die bisher zwischen Fürsten und Stadt bestehenden
Abmachungen, und es war nicht abzusehen, wohin
das Vorgehen des
Landgrafen führen
würde, wenn sich die
Kasseler Bürger die-
sen ersten Versuch,
ihnen einen neuen
Zoll aufzulegen, gut-
willig gefallen ließen.
Die übrigen wider-
spenstigen Städte
mochten wohl alle
mehr oder weniger
in gleicher Lage sein
und ebenso wie die
Kasselauer sich not-
gedrungen den un-
berechtigten Forde-
rungen ihrer Landes-
fürsten entgegen-
stellen.
Der Bund der
Städte erhielt für den
Landgrafen größere
Bedeutungundwurde
geeignet, ihm arge
Verlegenheit zu be-
reiten, als sich ihm
auch der, wie schon
erwähnt, durch das
Auftreten des Land-
grafen Hermann un-
zufrieden gewordene
Adel anschloß. Der
Chronist Wig. Lauze
gibt als hauptsächlichen Grund dafür, wie bei dem
Jnslebentreten des Sternerbundes, so auch hier
wieder den Umstand an, daß „fremde Reiter und
andere Kriegsleute, die der Landgraf Hermann
beim Kampfe gegen seine Widersacher in Dienst
genommen, die besten Ämter im Lande erhalten
und mit den Untertanen viel Mutwillens getrieben
hätten, den irer viel waren geschickter gense und
schweine zu Huten (als) wider andere leute zu
regieren." Auf die Vorstellung der Ritterschaft,
der Landgraf möge diesem Unfug ein Ende machen,
hätte sie eine schlechte Antwort erhalten und sich
Dortchen Grimm, geb. Wild, 1829.
Nach L. E. Grinnm.
Aus L. E. Grimms Lebenserinnerungcn. Leipzig, Hesse k Becker Verlag.
(Reich illustriert geb. 3 M.)
«WML) 56 «WML)
daraufhin an die unzufriedenen Städte angeschlossen.
Im Januar 1378 (Landgraf Heinrich der Eiserne
war 1377 gestorben) schlossen Städte und Ritter
in Kassel eine Einung ab, zu gegenseitigem Schutz
und zur Abstellung der im Lande vorhandenen
Mißbräuche. Die Einung sollte 20 Jahre dauern.
Walter von Hundelshausen als Vertreter der Ritter
und der Stadtrat von Kassel als Vertreter der
Städte sollten fünf Männer auswählen, denen die
Leitung des Bundes übertragen werden sollte.
Ihnen sollten sämtliche Einungsverwandte Folge
leisten. Der Wortlaut der Urkunde ist außer-
ordentlich vorsichtig abgefaßt, so daß sich daraus
kaum erkennen laßt, gegen wen die Einung ihre
Spitze eigentlich richtet. Das sollte aber bald
sichtbar werden. Der Chronist Lanze berichtet
wieder, daß die Verbündeten etliche Städte und
Ämter eingenommen hätten, und nach einer späteren
Nachricht desselben Geschichtsschreibers, die freilich
nur wenige Worte enthält, aus denen man alles
weitere schließen muß, rückten die Verbündeten
dann vor Kassel, überrumpelten das landgräfliche
Schloß und besetzten es. Fraglich bleibt es freilich,
ob nicht die Kasseler Bürger allein das Schloß
überfallen und eingenommen haben. In ihrer
Gewalt befand es sich jedenfalls nachher. Land-
graf Hermann scheint sich nicht im Kasseler Schlöffe
befunden zu haben, sonst hätten wir wohl Nachricht
darüber, daß er, was dann wohl hätte eintreten
müssen, in die Gefangenschaft der Kasseler Bürger
'gefallen sei.
Diese Vorgänge in Hessen konnten natürlich
von den erbverbrüderten meißenisch-lhüringischen
Fürsten nicht unbemerkt bleiben, deren Erbrecht
durch den Aufstand der verbündeten Ritter und
Städte gefährdet wurde. Landgraf Balthasar von
Thüringen griff deshalb ein und vermittelte am
1. Mai 1378 einen Vergleich. Mit dessen Be-
dingungen konnte Hermann der Gelehrte, der doch
in einer außerordentlich großen Gefahr geschwebt
hatte, sehr zufrieden sein, während andererseits
auch die empörten Stände des Landes dadurch
befriedigt wurden. Der Landgraf hat, soweit sich
erkennen läßt, seine Forderung des Ungeldes durch-
gesetzt. Er mußte aber eidlich versprechen, keine
Fremden mehr in höhere Beamtenstellen zu setzen.
„Die von Kassel räumten dem Landgrafen das
Schloß wieder ein", so berichtet der Chronist Lauze
— das sind die wenigen Worte, aus denen wir
den Verlauf des Aufstandes haben schließen müssen.
(Fortsetzung folgt.)
----------------
3ff die Burg Iürslenstein wirklich gesunden?
(Vgl. „Hessenland" 1912 Nr. 19 und 1913 Nr. 2.)
Von Freiherrn von Dalwigk in Glogau.
Im Oktobcrheft 1912 dieser Zeitschrift erzählt
Herr Bibliothekar Dr. Lange außer von seinen Gra-
bungen auf der Nachtigallenburg bei Viesebeck auch
von den Trümmern einer andern Burg, die er bei
dem waldeckischen Dorfe Lütersheim unweit der
bekannten Hollenkammer gefunden hat und die er
für eine in der Urkunde 1186 des 4. Bandes Wests.
Urkundenbuches einzig nnb allein erwähnte Veste
Vorstenstene hält. Herr Ingenieur Happel hat -
dann mit anerkennenswerter Gründlichkeit diese
Trümmer untersucht und seine Ergebnisse, erläutert
durch Grundriß. Aufriß und Rekonstruktion, im
zweiten Januarheft 1913 veröffentlicht.
Leider muß ich aber starke Zweifel an der Be-
rechtigung, diese ehemalige Burg für den Fürsten-
stein zu halten, vorbringen. Wenn Herr Dr. Lange
sagt „früher lag hier das Eichholz und so heißt
jener Platz noch heute", so irrt er. Allerdings
sind dort in der Nähe die Bezeichnungen „Vor
dem Eichholze", „Das Eichholz" usw., aber dicht
am Wege Lütersheim-Volkmarsen finden wir auf
der Flurkarte, die anscheinend den Herren Dr. Lange
und Happel nicht vorgelegen hat, die Bezeichnung
„Am Oelbecker Wege", etwas nördlich davon,
da wo die Burg gestanden hat, „Auf der Oelbecker
Höhe", der vorspringende Winkel, den die Grenze
des Fürstentums nach Norden hin, westlich der
Scheidwarte, bildet, heißt „Das Oelbecker Feld"
und die Wiesen zwischen der Hollenkammer und
Kattenkurts-Klippen heißen „DieOelbeckerWiesen"
Das heutige Dorf Lütersheim, das früher, weil
es den Mönchen von Corvey gehörte. Monich-
luttersen hieß, ist aus den vier Gemarkungen
Monichluttersen, Heide (nordwestlicher Teil), Hil-
mersen (südwestlicher Teil) und Oelbeck, richtiger
Odelbeck (nordöstlicher Teil, zu beiden Seiten des
Weges Lütersheim-Volkmarsen) entstanden, wie
dies Varnhagen in seiner bekannten Grundlage
der Waldeckischen Landes- und Regentengeschichte
S. 55 angibt. Daß Odelbeck oder Oelbeck ein
H o f gewesen, steht also fest, auch daß er nördlich
oder nordöstlich des heutigen Dorfes Lütersheim
gelegen hat. Auch über seinen früheren Besitzer
wissen wir einiges.
1445, Oktober 25., beanspruchen Johann und
Johann, Gevattern von Braunfen (Brunharffen)
S*«L> 57
das Erbe der von Escheberg als Lehen von den
Grafen zu Waldeck. Unter den aufgezählten Lehn-
stücken befand sich der Hof zu Odelbecke
(Wüstens Sammlungen im Archiv zu Camps).
Johann der Alte von Braunsen hatte nämlich Grete,
Witwe Werners von Escheberg, eine geborene von
Immighausen (Jmmeckusen). geheiratet. Werner
war der letzte seines Stammes.
1447, März 25.. belehnen obgenannte Gevettern
von Braunsen mit Erlaubnis des Grafen Otto zu
Waldeck als Lehnsherrn den Volkmarser Bürger
Wilhard Keren mit einem Burglehen zu Odel-
becke (Langenbecks Regestensammlung im Arolser
Archiv).
1448 verkaufen diese das Burglehen mit Zu-
stimmung des Lehnsherrn an den genannten Bürger,
worauf Gras Otto am 8. Juni 1452 diesen und
seine Söhne Wilhart, Werner, Hermann und
Heinrich belehnt „mit seiner Borg zu Odel-
beck, die gehörig ist zur Landawe" (Langenbeck).
1456, September 9., belehnt Herbort von Brobeck
denselben Bürger mit 7* Zehnten von Odelbeck
(Langenbeck). Dieser Zehnte gehörte 1505 und
1516. sowie nach einer notariellen Urkunde auch
60 Jahre vorher dem Kloster Arolsen (Langenbeck).
1510, März 22., verkauft Graf Philipp zu
Waldeck den Hof zu Odelbeck an den bekannten
Friedrich von Twiste, den ränkevollen Rat des
Bischofs Franz von Münster (ebenda).
1537 beschreibt das Waldeckische Landregister
die Grenzen des Amts Landau so- „Anfenglich
nedden am Keißewinkel. da de alde Heuscheure
stund, uff diesselt der Twiste nach dem Wetterholt
paeth de von der Landawe geeht nach Folkemissen,
den paet hinaus, went an der Wetterkercken'), das
sich streckt umme den hoff zur Heyde [s oben] und
um me den hoff zu Helmerssen [s. oben) de zur
Landaw gehorich sein, aver de sotten [ober kercken j
zu Helmerssen, Hort zu Aroldessen, und fort nach
dem Tentelenberg^), hen an der Warthe uff dem
Scheide^), so umb den hoff von Oelbeke,
welcher zur Landawe gehorich ist." (Ebenda.)
Es gab also nicht nur einen Hof zu Odelbeck
oder Oelbeck, sondern auch eine Burg, die nördlich
Lütersheim, in der Nähe des Weges nach Volk-
marsen, gelegen haben muß. Aller Wahrscheinlich-
keit nach ist die von den Herren Lange und Happel
untersuchte Ruine diese Burg. Jedenfalls steht die
Annahme, daß nun gerade diese Trümmer von
der nur einmal, ohne jede topographische Andeutung,
erwähnten Burg Fürstenstein herrühren sollen, auf
schwachen Füßen.
Aber ich glaube auch, daß diese rätselhafte Burg
weiter nördlich gesucht werden muß, znm mindesten
nördlich oder nordöstlich Vvlkmarsen, wo hessisches
und paderbornisches Gebiet aneinander stießen.
Lütersheim war seit alten Zeiten Eigentum des
Klosters Corvey und kam dann später, vielleicht
schon im 13. Jahrhundert, an Waldeck, und die
Burg Odelbeck wird die Schicksale des Dorfes
Lütersheim im allgemeinen geteilt haben.
h Wetter-Kapelle an der Wetter. Rest des wüsten Dorfes
Wetter.
’) Jetzt Tentenberg. unmittelbar nördlich der Hollen-
kammer.
8) Jetzt Scheidwarte, der alte Grenzturm des Kölner
Gebiets von Volkmarsen gegen Waldeck.
wert und den Knick strack hinaus, wynth uff den
-------------
Hessische Dialektforschung
und das geplante Hessen-Nassauische Wörterbuch.
Über dieses Thema sprach Universitätsprosessor
vr. W r e d e in der Sitzung des Marburger Geschichts-
vereins vom 11. Februar. Die deutsche Mund-
artenforschung. vor hundert Jahren durch Andreas
Schweller in Bayern wissenschaftlich begründet, hatte
im 19. Jahrhundert ihren Schwerpunkt in der dia-
lektischen Lokalgrammatik und in lexikalischen Samm-
lungen. Die Lokalgrammatik strebte danach, die
lebende Ortsmundart durch das allgemeine gramma-
tische Schema darzustellen, erreichte darin eine be-
wundernswerte methodische Feinheit, schärfte überall
die Beobachtung und hat wesentlich zur Blüte der
wissenschaftlichen Phonetik gegen Ende des Jahr-
hunderts beigetragen. Aber über dieses rein systema-
tische oder systematisierende, also rein gelehrte Inter-
esse ist sie selten hinausgekommen, ihre Technik
förderte die Sprachbeschreibung. aber verhältnismäßig
wenig die Sprachgeschichte, und populäre Wirkungen
hat sie überhaupt nicht gehabt. Ähnlich hat sich
die mundartliche Lexikographie über fleißiges Sam-
meln und Materialhäufen nur wenig und selten
erhoben. Auf einst kurhessischem Gebiete ist die
Lokalgrammatik durch eine Arbeit von Salzmann
über die Hersselder Mundart (1888) und eine von
Dittmar über die Blankenheimer Mundart (1891)
vertreten, das Wörterbuch durch Vilmars Idiotikon
(1867) und seine späteren Ergänzungen. Bilmars
Werk wird als eine zwar recht ungleiche, aber für
die damalige Zeit höchst respektable Leistung ge-
würdigt, wie sie nur wenig Sprachlandschasten auf-
zuweisen hatten. Ganz neue Gesichtspunkte brachte
zu den grammatischen und lexikalischen die sich auf
hessischem Boden entwickelnde Sprach- und Dialekt-
geographie , in Marburg ist seit den achtziger Jahren
Georg Wenkers Sprachatlas des Deutschen Reichs
erstanden. Seine Entwicklung aus kleinen rheinischen
Ansängen bis zu dem heutigen Riesenwerke, das
einige 40 000 Schulorte des Reichs umfaßt, wird
geschildert. Die bis jetzt fertigen 1200 Kartenblätter,
von denen einige Proben während des Vortrags aus-
gelegt waren, schütten ein gewaltiges Material vor
uns aus und lassen ungezählte sprach- und dialekt-
geschichtliche Probleme uns entgegenleuchten. Ihre
Lösung scheint nur möglich in kleineren Ausschnitten,
in engen Bezirken, und hier immer in nächster Be-
ziehung zu allen sonstigen heimatkundlichen Fragen.
Die Rheinprovinz ist vorausgegangen und hat damit
ihrem Landsmann Wenker treue Dankbarkeit gezeigt:
der Niederrhein, etwa nördlich einer Linie Aachen-
Düsseldorf - Westerwald ist heute im wesentlichen
dialektgeographisch ausgearbeitet, d h. die dortigen
Mundarten sind jetzt nicht nur genügend beschrieben,
sondern auch geschichtlich gewürdigt, sozusagen bio-
logisch ergründet. Und neuerdings regt es sich auch
aus hessischem Boden, in Wenkers zweiter Heimat.
An einer neuen Studie von Dr. Rasch über die
Dialektgeographie des Kreises Eschwege (1912) wird
das gezeigt sie erweist, daß die dortigen dialektischen
Verhältnisse aufs engste zusammenhängen mit der
hessischen Geschichte seit dem 14.. 15. bis ins 19.
Jahrhundert, und daß ihre Gruppierung ein Abbild
der alten hessischen Ämtereinteilung gibt, wie sie bis
1821 bestanden hat, woneben auch die Begreuzung
der Pfarreien sich geltend macht. Die Arbeit zeigt
deutlich, daß der Mundartensorscher nicht nur Pho-
netiker sein darf, sondern vor allem wieder Historiker
werden muß. Historiker im engeren Sinne, das Ver-
ständnis des Dialekts setzt intime Kenntnis der
Geschichte von Land und Leuten voraus. Eine Reihe
ähnlicher Untersuchungen für andere Teile Kurhessens
steht bevor. Wenkers Lebenswerk bietet in erster
Linie eine Lautgeographie, die schon heute eine Gliede-
rung des deutschen Sprachgebietes in zahlreiche Teile
und Unterteile gestattet. Hingegen konnte sie nur
wenig bieten für eine Wortgeographie, für die alle
bisherigen Sammlungen noch lange nicht ausreichen.
Jetzt werden solche lexikalischen Sammlungen in
allen Gegenden im großen Stil organisiert. Der
Vortragende skizziert kurz die vielen Unternehmungen
in allen Gebieten deutscher Zunge, von der Schweiz
bis nach Schleswig, von Siebenbürgen bis nach
Lothringen usw. Die Dialektschätze der preußischen
Monarchie sollen nach einem weitblickenden Plane
der Königlichen Akademie der Wissenschaften systema-
tisch geborgen werden, und so wird von ihr jetzt
auch ein großes Wörterbuch unserer Provinz geplant.
Mit diesem Entschluß der Akademie wird uns ein
Geschenk zuteil, für das jeder Freund der Heimat-
forschung ehrliche Dankbarkeit empfinden muß. Frei-
lich ein „Hessen-Nassauisches" Wörterbuch? Ist der
Name nicht schon ungeheuerlich? Sind nicht Hessen
und Nassau zwei Bezirke von so getrennter Vor-
geschichte, daß es als ein wissenschaftliches Unding
erscheint, ihren Wortschatz in einem Werke zusammen-
zuschweißen? Nun, hier gilt es, scharf zu trennen
zwischen Wifienschaft und politischem Chauvinismus.
Von einem spezifisch hessischen Idiotikon wissen wir
trotz Vilmar außerordentlich wenig, weil wir von
der Ausdehnung seiner Vokabeln außerhalb Hessens
nur selten ein Bild haben. In einigen Beispielen
wird gezeigt, wie anscheinend echte Hassiaca nur
einem Teile Kurhessens eigen sind, dafür jedoch bald
bis nach Westfalen, bald bis nach Lothringen oder
bis ins Schwabenland sich ausdehnen! Die Dialekto-
logie lehrt schon heute, daß das Idiotikon schneller
wandert und neuen Verhältnissen sich eher anpaßt
als Laute und Formen der Sprache, das gilt nicht
etwa nur von „mußpreußischen" Modewörtern, son-
dern auch vom urwüchsigen, alteinheimischen Wort-
schatz. Ob es aber ein spezifisch kurhessisches Wörter-
buch gibt und wie dies aussieht, das wird man erst
beurteilen können, wenn unser „Hessen-Nassauisches"
Lexikon einmal fertig sein wird und mit dem Inhalt
eines rheinischen, westfälischen, thüringischen Lexikons
verglichen werden kann. Unwissenschaftliche Vor-
eingenommenheit wäre es. hier anders vorgehen zu
wollen. Andererseits ist es zu begrüßen, daß die
von Hessen-Nassau umklammerten Gebiete des rheini-
schen Kreises Wetzlar und der hessen-darmstädtischen
Provinz Oberhesfen mit in unser Wörterbuch ein-
geschlossen werden sollen, so ergibt sich ein gut ab-
gerundetes, in sich abgeschlossenes Gesamtgebiet aus
der Landkarte. Der Vortragende bespricht noch den
Organisationsplan des großen Sammelwerkes, wie
es mit Aufrufen und Fragebogen demnächst eingeleitet
werden wird, die zu Tausenden durch das Land gehen
sollen und worüber die Presse immer wieder Mit-
teilungen bringen wird. Daß alle gedruckte Dialekt-
literatur, die wissenschaftliche wie die belletristische,
berücksichtigt wird, ist selbstverständlich. Auf wirk-
same Hilfe aller Geschichts- und Heimatsvereine,
aller Archive und Bibliotheken dürfen wir hoffen.
Über die eigentlich wiffenschastlichen Ergebniffe des
großen Werkes enthalten wir uns vorläufig jedes
Urteils. Nur das wird heute schon gesagt werden
dürfen , die neuere hessische Dialektforschung wird
immer deutlicher zeigen, daß die hessischen Mund-
arten nicht nur ein Stück deutscher Sprache dar-
stellen, sondern vor allem auch ein Stück hessischer
Geschichte.
51)
LLSjähriges Privileg-Jubiläum der Sonnenapotheke zu Kassel.
Am 6. März dieses Jahres sind 225 Jahre ver-
flossen, seitdem Landgraf Karl von Hessen dem
Apotheker Heinrich Wilhelm Vogelfang das Privileg
der Apotheke „Zur güldnen Sonne" erteilte. Die
Offizin befand sich
vom 6. März 1688
bis zum 31. Dezember
1885imHauseMarkt-
gasse 21, die für eine
Reihe von Jahren
mittlere Johannis-
straße hieß, um später-
hin ihren ursprüng-
lichen Namen zurück-
zuerhalten. Die zweit-
jüngste Tochter Vogel-
fangs vermählte sich
1728 mit Johann
Rudolf Mild, dem
Provisor ihres Vaters,
der seinem Schwieger-
sohn im selben Jahre
die Apotheke übergab.
Weiteren Kreisen be-
kannt wurde die Fa-
milie Wild dadurch,
daß sich Wilhelm
Grimm mit Dortchen
Wild vermählte. Sie
war 1793 geboren als
fünftedersechs Töchter
des 1814 verstorbenen
aus Bern stammenden
Apothekers Rudolf
Wild und dessen Gat-
tin Dorothea Katha-
rina, geb. Huber. Tie
war schon als Nach-
barskind (die Grimms
wohnten bekanntlich Ecke Markt- und Wildemannsgasse)
durch Lotte Grimm den übrigen Geschwistern nahe-
getreten und hat allein für den ersten Band mehr als
ein Dutzend Märchen beigesteuert. Die Ehe war eine
überaus glückliche. 1828 wurde ihnen ihr Sohn
Herman, der 1901 verstorbene Kunsthistoriker und
Schwiegersohn Achim von Armins und Bettinas,
und 1833 ihre noch lebende Tochter Auguste ge-
boren. Sie selbst starb am 22. August 1867 *)
Ihr einziger 1849 verstorbener Bruder Rudolf
erhielt die Apotheke,
die 140 Jahre lang
durch vier Familien
hindurch im Besitz der
Familie blieb. Der
letzteJnhaberderApo-
theke aus der Familie
Wild, der wie seine
drei Vorgänger aus
den Namen Johann
Rudolf getauft war,
starb 1867 Seine
Witwe ließ die Apo-
theke ein Jahr ver-
walten und verkaufte
sie am 21. April 1868
andenApothekerLouis
Zeddies, der dann
den kurzen Namen
„Sonnen - Apotheke"
einführte und bis zum
I.Juli 1885 Inhaber
war. Sein Nachfolger
wurde Apotheker Wil-
helm Wolf, der mit
Genehmigung der Re-
gierung das Privileg
am 1. Januar 1886
auf das Haus Hoheu-
zollernstraße 31 über-
tragen durste. Nach
seinem Tode wurde
die Offizin verwaltet,
um dann am 1. Ja-
nuar 1907 in den
Sohnes, des Apothekers Karl
^ Grii»»iha»S.
Die alte Sonnenapotheke in der Marktgafse.
Besitz
Wolf,
des ältesten
überzugehen.
*) Ausführliches über Dortchen Grimm in den von Prof.
Adolf Stoll herausgegebenen Lebenserinnernngen
Ludwig Emil Grimms, denen wir auch mit Erlaubnis
des Verlegers das schöne Porträt auf Seite 55 entnehmen.
-4S>«------------
Die Zeit.
Ach. immer toller wird ihr Lauf.
Eie geht nicht, sie rennt! Eie hört nie auf.
Eie kann nicht stillstehn. Und du inuht mit,
Denn wehe, hältst du mit ihr nicht Schritt.
Sie rennt dich achtlos über den Haufen.
Sie spottet deiner, kannst du nicht laufen.
Haimu-Neslelstudl.
Du denkst, du kannst dich vor ihr verstecken —
Aber sic wird dich doch entdeckelt.
Sie weckt dich aus der beschaulichen Ruh',
Sie führt dich Sturm und Gefahren zu.
Sie reißt dir Wunden, sie schafft dir Leid
Und hat für alles doch Balsam — die Zeit.
Else Hertel.
wnfíL. 60 vmL,
Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Von A. Worinaer.
3. Schweizer. Deutfchböhmen.
Wenn wir uns nun den Völkern germanischer
Abstammung zuwenden, so haben wir zunächst die
deutschen Schweizer zu erwähnen, die in der hessischen
Armee als Offiziere dienten. Es sind nicht viele.
Johann ufmKeller stand zuerst in branden-
burgischem Dienst, trat aber 1677 in den hessischen
als Oberst und Inhaber des bisherigen Regiments
zu Fuß zur Brüggen. Er führte dieses Regiment
1677 und 1678 im Feldzuge gegen Schweden,
wo er in Schonen und auf Rügen auf Seite der
Dänen focht. 1679 wurde er Kommandant von
Marburg, 1690 Generalmajor, wobei er sein Re-
giment abgab, 1698 Gouverneur von Marburg
und am 2. Januar 1704 in diesem Verhältnis
Generalleutnant. Er starb 1706. EinJmThurn
war 1678 Kapitän und Chef einer in Rinteln
stehenden Kompagnie, die 1678 zur Neubildung
des Regiments Ufm Keller verwendet wurde, das
am 8. Januar 1678 im Treffen bei Warcksow
auf Rügen fast gänzlich in schwedische Gefangen-
schaft gefallen war. Er machte dann den Feld-
zug 1678 gegen Schweden in dem erwähnten
Regiments mit, stand aber 1780 wieder mit seiner
Kompagnie in Rinteln. Ein Kapitän Stäbeli
stand 1779 im Regiment v. Trümbach. Karl
Henrich von der Lith war 1779 Fähnrich im
Leibregiment Infanterie, machte den Krieg in
Amerika mit, war 1784 Sekondleutnant im Re-
giment Erbprinz, fiel 18. Mai 1794 bei Tourcoin
als Premierleutnant im Leibregiment Infanterie
verwundet in französische Gefangenschaft und starb
1806 in Marburg als Kapitän im Regiment
Kurfürst. Franz Friedrich von Lerber war
am 4. Oktober 1782 zu Bern geboren, kam 1796
in die Berner Artillerieschule, wurde 1797 2. Leut-
nant der Artillerie und kämpfte als solcher 1798
in den Gefechten bei Grenchen und Lengnau gegen
die in die Schweiz eindringenden Franzosen, ging
aber dann selbst in französische Dienste und trat
noch in demselben Jahre in das Geniebureau in
Straßburg ein und ging 1799 tu die Schule der
Unterleutnantseleven der Artillerie in Chalons
sur Marne über. Als 2. Leutnant in schweizerische
Dienste zurückgetreten, kämpfte er 1804 im so-
genannten Bockenkrieg gegen die züricherischen Auf-
ständigen bei Horgen und Zürich und wurde in
demselben Jahre von der Berner Regierung zum
1. Leutnant des Genies ernannt. 1805 trat er
in kurhessische Dienste als Sekondleutnant im
Regiment Artillerie, nahm aber schon am 5. Sep-
tember 1806 wieder seinen Abschied, worauf er
durch Dekret Napoleons I. vom 18. März 1807
Jnfanteriehauptmann im 3. Schweizerregiment
wurde. Er kämpfte nun in Spanien. Bei der
Kapitulation von Baylen am 23. Juli 1808 ent-
kam er zusammen mit dem Obersten d'Affry vom
4. Schweizerregiment, hat also vielleicht damals
schon im 4. Regiment gestanden. Jedenfalls war
dies 1812 der Fall, wo er im russischen Feldzug
die Artillerie des 4. Regiments führte. Weiteres
konnte ich über ihn nicht ermitteln, vielleicht ist
er in Rußland gefallen oder umgekommen.
Zwei Deutfchböhmen kämpften im 30jährigen
Krieg als Offiziere mit Auszeichnung im hessischen
Heere. Der erste war Karl, Freiherr Raben -
haüpt von Sucha. Am 6. Januar 1602 in
Böhmen geboren und als Hussit erzogen, diente
er seit 1620 unter dem Markgrafen von Jägern-
dorf in der Lausitz und nahm an der Verteidigung
von Bautzen gegen Johann Georg von Sachsen
bis zur Kapitulation vom 3. Oktober 1620 teil.
Er ging dann nach mancherlei Kreuz- und Ouer-
fahrten in die Niederlande, zeichnete sich 1626
unter Graf Ernst Kasimir von Nassau-Diez, Statt-
halter von Friesland, bei der Belagerung von Grot
aus und wurde Leutnant. Nachdem er noch an
der Belagerung von Rheinberg teilgenommen, trat
er 1633 in hessische Dienste als Oberstleutnant
und Kommandeur des bisherigen Reiterregiments
Schaarkopf. Anfangs hatte er im hessischen Dienste
kein Glück. Als er 1634 Kommandant von Rheine
war, rückte er aus und eroberte Vreden und
Bocholt. Während er aber dann Ottenstein be-
lagerte, erstürmten die Kaiserlichen in der Nacht
zum 15./25. Januar 1634 das wichtige Rheine.
Er erhielt nun als Oberst das Kommando in
Steinfurt. Er wurde 1634 Chef des neuen gelben
Regiments zu Fuß, dann 1636 Chef des bis-
herigen blauen Regiments zu Fuß v. Nomrod,
1637 des bisherigen Regiments zu Pferd Schaar-
kopf, 1610 des Regiments zu Fuß v. Kotteritz.
1635 stand er in Hessen. 1640 eroberte er Huisen,
Kalkar und Sonsbeck, 1643 Schloß Oedt bei
Kempen. Im April 1644 schlug er den Herzog
von Lothringen bei Merode in der Nähe von Esch-
weiler, wurde aber dann auf dem Marsche nach
Neuß vom Grafen Christian von Nassau-Siegen
mit den wieder gesammelten Leuten des Lothringers
überfallen und fiel in Gefangenschaft. Bald wieder
ausgewechselt, überfiel er im Dezember 1644 die
Brandenburger, die in dieser Periode keine feste
imtL> 61 Stegh
Stellung für eine der kriegführenden Parteien ein-
zunehmen verstanden und deshalb von allen Parteien
feindlich behandelt wurden, und nahm ihnen Kalkar
ab. Der große Kurfürst rief darauf die Hilfe
Frankreichs an. auf dessen Eingreifen hin die Hessen
die Stadt den Brandenburgern zurückgaben. 1645
stand er in Neuß und führte von dort aus den kleinen
Krieg, wobei er im Oktober den Grafen Gronsfeld
gefangen nahm. Am 4./14. Juli 1645 hatte er
Zons vergeblich angegriffen, schlug dagegen am
18./28. desselben Monats Vehlen zwischen Bergers,
hausen und Blatzheim, nahm Meckenheim und das
feste Haus Wachendorf und belagerte Euskirchen.
1646 entsetzte er das von dem damals in kaiser-
lichen Diensten stehenden Obersten Sparr belagerte
kölnische Schloß Hammersbach, schlug Sparr bei
Zons und belagerte dies, mußte sich aber vor
Melander, der aus hessischem in kaiserlichen Dienst
gegangen war, nach Neuß zurückziehen. Anr
16./26. Mai 1647 nahm er zusammen mit dem
schwedischen General Grafen Königsmark Vechta,
Warendorf. Fürstenau und Wiedenbrück. In diesen
Jahren bei der Besetzung der Stelle des Höchst-
kommandierenden zu Gunsten Mortaigne's über-
gangen. verstärkte er dann dessen Truppen vor
Rheinfels und übernahm, als Mortaigne fiel, das
Kommando, belagerte im August vergeblich Pader-
born und entsetzte dann das damals in hessischem
Besitz befindliche Ostfriesland, wo die hessischen
Besatzungen von Lamboi bedroht wurden, nahm
am 8. November 1647 die Jemgumer Schanze,
ging dann nach Hessen zurück und eroberte am
30. Januar 1648 Homberg a. Efze, in demselben
Monat Friedewald. Nach dem Tode Mortaignes
war ihm Gehso im Oberbefehl der hessischen Truppen,
vorgezogen worden, nach dessen Tode er 1661
Kommandant von Kassel und (2. April 1666?)
Geheimer Kriegsrat, Generalwachtmeister und Ober-
kommandeur der Miliz wurde. Ein Zusammen-
stoß zwischen ihm und den Bürgern Kassels führte
seinen Abgang herbei. Einige hessische Dragoner,
wahrscheinlich Deserteure, hatten den Schutz des
Kasseler Magistrats angerufen, der ihre Auslieferung
verweigerte. Rabenhaupt drang deshalb am 28.Mai
1668 mit dem Obersten Motz und dem Leutnant
Schäfer in das Oberneustädter Rathaus ein und
bedrohte den Bürgermeister Samuel Bourdon mit
dem Degen. Darauf eilten die Bürger ihrem
Magistrat zu Hilfe, die Lage wurde sehr bedenklich,
und erst den» Eingreifen der Landgräfin Hedwig
Sophie gelang es, beide Teile zu beruhigen Die
Reiter wurden ausgeliefert, aber die Kasseler Rats-
mitglieder erhielten das Recht, fortan Degen zu
tragen. Nabenhaupt nahm bald darauf (1668)
seinen.Abschied und zog sich auf seine Besitzungen
in den Niederlanden zurück, wo er als Erb Herr
von Lichtenbcrg und Fremenich, Herr
von Grumbach den Wissenschaften lebte. Als
aber 1672 der Fürstbischof von Münster. Bern-
hard von Galen, in die Niederlande einfiel, griff
Nabenhaupt wieder zum Schwert. Er übernahm
die Verteidigung von Groeningen gegen Galen und
den Kölner Wilhelm von Fürstenberg, die, nachdem
sie die Stadt vom 20. Juli bis 28. August 1672
belagert und beschossen hatten, unverrichteter Sache
abziehen mußten. Rabenhaupt nahm darauf am
30. Dezember 1672 Koevorden, wurde Drost von
Drenthe und Gouverneur von Koevorden, das er
1673 glücklich gegen Galen verteidigte. 1674 fiel
er in das Bentheimische ein und bedrohte das
Münsterland, nahm 1. April 1674 Nordhorn
und 7 April Neuenhans. Er starb als Gouver-
neur von Koevorden am 18. August 1675, fast
80 Jahre alt.
Weniger bedeutend, aber immerhin ein tüchtiger
Offizier, war der andere Deutschböhme, Georg
von Seekirch. Er war Hofmeister der Land-
gräfin Juliane. Gemahlin Landgraf Moritz des
Gelehrten, wurde 1631 Oberstleutnant im weißen
Regiment, 1632 Kommandeur des grünen Leib-
regiments zu Pferd. 1632 finden wir ihn bei
Mercier in Westfalen, wo er 16. Mai 1632 bei
Volkmarsen in die Gefangenschaft Pappenheims
fiel. Am 16. November desselben Jahres kämpfte
er bei Lützen, 1636 nahm er am Entsatz Hanaus
teil und stand 1637 in Ostfriesland.
Der Schorgehof und sein Untergang.
Eine Geschichte aus dem kurfürstlichen Oberheffen. Von Heinrich Franz.
(Fortsetzung.)
2.
Der alte Schorg hatte dieses hochzeitliche Zwischen-
spiel seines Schwiegersohnes nicht mehr erlebt. Er
hatte sich im Vorjahr, bei üblem Wetter aus dem
Felde arbeitend, eine schwere Lungenentzündung zu-
gezogen und war dieser als kaum Einundsechzig-
jähriger erlegen. Damit wurde der Hannkurt der
Herr im Schorgehof. Daß Acker und Wiese dabei,
bis aus weiteres wenigstens, schlecht gefahren seien,
darf nicht behauptet werden. Der neue Besitzer war
vielmehr sehr tätig, er baute sogar noch ein weiteres
Gebäude, eine Durchfahrt, die das Wohnhaus mit
ws&l, 62 s-ssL-
dem Pferdestall verband. Freilich darf auch anderer-
seits nicht gesagt werden, Laß cs mit Hannkurts
kollerigem, giftig galligem Naturell besser geworden
wäre, eher schlimmer. Seine Frau, die Elisabeth, kam
dank ihrer stark phlegmatischen Veranlagung zunächst
noch leidlich mit ihm aus. Doch beging sie schon
jetzt die unbegreifliche Taktlosigkeit, sich bei Knecht
und Magd über das Gebaren ihres Mannes lustig
zu machen. Daß sie damit für den Kollerer die
Veranlassungen, sich zu erhitzen, vermehrte, liegt aus
der Hand. Geradezu unverantwortlich aber handelte
die Elisabeth, als nun die Kinder heranwuchsen.
Ihnen hätte sie unter allen Umständen das göttliche
Gebot einprägen müssen, daß die Kinder Vater und
Mutter ehren, daß sie als Unmündige und damit
Dienende ihren Herrn gehorsam sein sollen, nicht
allein den gütigen und gelinden, sondern auch deu
„wunderlichen" Der „Herr" dieser Kinder, der
Hannkurt, aber war im schlimmsten Sinne „wunder-
lich" Gewiß war er nicht zu entschuldigen, wenn
er grimmig und gallig aus die Kinder einfuhr, aber
geradezu unverantwortlich handelte die Mutter, wenn
sie nun, statt mahnend und begütigend einzuwirken,
im Beisein der Kinder auf den Vater schalt und
schmählte. Ist es da zu verwundern, wenn diese
den kollerigen Vater sehr bald nur noch als den
„alten Narren", das „alte Stoppelkalb" und ähnlich
bezeichneten, wenn sie. sobald sie sich seiner Faust
entwachsen fühlten, seinen grimmigen Ausfällen mit
Spott und Hohn antworteten? Was hier gesagt
worden ist, galt, nach allem, was ich in Erfahrung
gebracht habe, nicht von Hannkurts ältester Tochter,
der Els, die, weil außerordentlich gutmütig, nicht
daran dachte, sich gegen den Vater aufzulehnen. Sie
verheiratete sich überdies bald und schied dadurch
aus diesem Schicksalsverband aus. Um so schlimmer
lies die Sache mit dem ältesten Sohn. Der Heinrich,
ein kleiner, krabbiger Bursche, stand bald mit dem
Vater, dessen Ebenbild er war. in immer neu auf-
flammendem andauernden Streit. Er verließ schließ-
lich, zwanzig und einige Jahre alt, ganz und gar
den Hos und nahm aus einem der größeren Güter
der Umgegend eine Stelle als Verwalter, d. h. wohl
als Oberknecht an. Der zweite Sohn, der Hann,
war mehr das Ebenbild der Mutter groß, stark,
mit sehr lebhaften Farben. Er war von Haus aus
gutmütig, aber zugleich mit einem Phlegma, einer
Gleichgültigkeit, ja Dickfelligkeit begabt, daß er dadurch
den kollerigen Alten immer wieder außer sich brachte.
Die zweite Tochter, die Katharine, war ähnlich ge-
artet wie der Hann. Das jüngste der Geschwister
endlich, der Johannes, ein kleiner stämmiger Bursche
mit frischem Gesicht, war eine Art Eulenspiegelnatur,
d. h. im gründe gutmütig, aber ewig geneigt, allen
Menschen, mit denen er in Berührung kam, mehr
oder minder harmlose Schabernacke zu spielen. Daß
er bei Verübung seiner Foppereien auch vor der
Person des Vaters nicht zurückschreckte, ist bei der
allen Geschwistern eignenden Pietätlosigkeit selbst-
verständlich, ja, ich vermute, daß die kollerigen An-
fälle des Alten für die Angriffslust des jungen
Eulenspiegels einen besonderen Anreiz darstellten.
So befand sich der nun in der zweiten Hälfte der
Fünfziger stehende Hannkurt schließlich in der übelsten
inneren und äußeren Verfassung: in seiner Brust
der Zornleusel, sein Weib ihm entfremdet, seine
Kinder offen ungehorsam und höhnisch feindlich ihm
gegenüberstehend. Leider erkannte der Unglückliche
nicht, daß die Grundursache seines Elends bei ihm
selber lag und daß, wenn anders er nicht in seinem
Elend zu gründ gehen solle, er hier den Anfang
machen und mit Gottes Hilfe den Dämon in der
eigenen Brust zähmen müsse. Er haderte vielmehr
mit Weib und Kindern als der Schuld an seinem
Unglück, er griff auch nicht nach der helfenden Hand
Gottes, er suchte und fand einen anderen „Tröster"
und nahm in Wahrheit zu seinem Zorngeist einen
zweiten bösen Geist, den Branntweinteufel, bei sich
auf. Beide Teufel arbeiteten nun zusammen, um
eine schlimme Sache ins Unendliche zu verschlimmern,
d h. wenn der Hannkurt wieder einmal dem Brannt-
weintcusel unterlegen war, dann raste sein Zorngeist
völlig maßlos tagelang. Er trieb dann Weib und
Kind aus dem Hause und wanderte Tag und Nacht
allein in diesem herum, treppauf, treppab, aus einem
Zimmer ins andere, ewig schreiend und wetternd und
die Türen mit fürchterlichem Krachen hinter sich
zuschlagend. Die Hosinsassen konnten in solchen
schlimmen Zeiten nur aus Schlupswegen das hun-
gernde Vieh versorgen sie selber mußten sich im
Winter in den Nachbarhäusern, im Sommer in den
Ställen, im Backhaus oder in der Laube des großen
Garten bzw. für die Nacht unterbringen.
3.
Einige Jahre vor dieser Zeit setzen meine persön-
lichen Erinnerungen ein, soweit sie sich mit dem
Schorgehos verbinden. Ich sehe mich als ganz
kleines Bürschchen zusammen mit meiner nächstälteren
Schwester in der Wohnstube des Schorgehauses.
Von Hannkurt ist nichts zu sehen. Dagegen sind
Frau Elisabeth, ihre Tochter Katharine sowie die
„alte Godel", Frau Elisabeths Mutter und Schorgs
Witwe, anwesend. Die alte Frau sitzt im Lehnsessel.
Sie ist anscheinend schon recht hinfällig und muß
sich eben gar abquälen mit einem arg festsitzenden
Husten. Indem ich sie nun mit einer gewiffen Teil-
nahme betrachte, bemerke ich, daß ich nicht der einzige
Interessierte bin, da steht vielmehr auch noch der
alte Hausstaar breitbeinig in der Stube, äugt scharf
63
nach der Alten und hustet — zu meinem großen
Erstaunen — nach Möglichkeit wie sie. Und wenn
dann die gute Godel einen ihrer Hustenanfälle über-
standen hat, dann ruft sie wohl: „O der garstige
Vogel! Tut mir doch den garstigen Vogel weg'
Er spottet mir schon wieder nach!" Übrigens habe
ich niemals gehört, daß Schorgs Witwe auch hätte
flüchten müflen. Es scheint danach, daß, wie sie in
den Tagen ihrer Kraft der gute Geist des Hauses
Schorg gewesen war, sie nun selbst in ihrer Hin-
fälligkeit noch dessen Frieden notdürftig ausrecht
erhielt. Nach ihrem Tode der bald nach der er-
wähnten kleinen Episode eingetreten sein muß, ging
es mit dem Schorgehos schnell abwärts. Schon das
nächste Erinnerungsbild zeigt mir die Frau Elisabeth,
wie sie in winterlicher Zeit, flüchtig vor der Wut
ihres Mannes, zusammen mit ihrer Tochter Katharine
tagelang unter dem gastlichen Dach meines Eltern-
hauses weilt. Aus jener Zeit erinnere ich mich
noch sehr deutlich, wie ich abends vor dem Schlafen-
gehen aus dem Fenster in die dunkle, an und für
sich schon unheimliche Nacht hinausschaute und wie
es mich da doppelt unheimlich stimmte, wenn ich
jenseits der Straße den Hannkurt in seinem Hause
schreien und toben und die Türen werfen hörte.
Nicht alle im Dorfe freilich waren solch feinerem
Gefühl zugänglich. Im Gegenteil, den meisten
Burschen und Knechten war das Rasen des Unglück-
seligen willkommene Gelegenheit und Veranlassung zu
allerhand Ulk und Spott. Sie versammelten sich
dann mit sinkender Nacht, je nachdem auch am Tage,
vor dem Haus des Hannkurt, pfiffen, sangen, riesen
Hohnworte und freuten sich unbändig, wenn schließlich
der alte Narr das Fenster aufriß und von oben
herunter maßlos schimpfte. Einmal stürzte der
Wüterich sogar, noch dazu nur mit dem Hemd be-
kleidet, aus seinem Hof heraus und mitten unter
die vor diesem versammelte Rotte. Das bekam
ihm nun freilich übel. Denn die Bengel zogen aus
einem naheliegenden Reisighausen lange Gerten und
verhieben ihn gründlich. Diese herbe Lehre erklärt
wohl den Verlauf einer Szene, die ich selber mit
erlebt habe. Wieder hatte der Wüterich alle Menschen
aus seinem Gehöft herausgekehrt. Er selber haselierte
wie gewöhnlich im Haus herum, und vor diesem
hatte sich der übliche Chorus, diesmal des hellen
Tages halber auch die Dorfbuben, unter ihnen ich.
eingefunden. Die Sache vollzog sich nun wie ge-
wöhnlich, nämlich abwechselnd eine Schimpfsalve des
Betrunkenen oben und ein Beifalls- bzw. Hohn-
geschrei der Versammlung unten. Da betrat einer
von den Burschen, ein langer, schlanker Kerl, den
Boden des Hofes. Sofort wütende Drohungen des
Hannkurt, er werde den Eindringling von seinem
Eigentum werfen. Als er nun tatsächlich in der
Haustür erschien, ging der Bursche zwar wieder
zurück, stellte sich aber genau an der Hofgrenze aus
und erwartete hier mit gekreuzten Armen den
Gegner. Der Wütende stürmte auch heran, machte
aber — ich muß es gestehen, zu unserer aller Be-
dauern — drei Schritte vor dem Lipps Halt und
kehrte, begleitet von dem Hohngeschrei der ver-
sammelten Rotte, wieder in sein Haus zurück. Uni
diese Zeit habe ich auch den Heinrich, Hannkurts
ältesten Sohn, den ich kaum kannte, wieder einmal
im Dorfe gesehen. Was ihn dorthin zurückführte,
ist mir unbekannt geblieben, tatsächlich vollzog sich
die Begegnung zwischen Vater und Sohn in den
widerwärtigsten Formen, d. h. der Vater stand oben
am Fenster der sogenannten Durchfahrt und nannte
den Sohn eins ums andere einen Spitzbuben, Mörder,
Vagabunden usw., während der unten auf der Straße
stehende Sohn in derselben, wennmöglich noch grö-
beren Tonart erwiderte.
(Schluß folgt.)
—--------------
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Den Herren-
abend des Kasseler Vereins am 3. Februar er-
öffnete der stellvertretende Vorsitzende Landgerichts-
direktor Geheimer Justizrat Schroeder mit einem
Hinweis auf die bevorstehende Tausendjahrfeier der
Stadt Kassel und betonte namentlich, daß die Vor-
bereitung einer so umfangreichen Festseier erheb-
liche Mühewaltung erfordert, die eifrigen Bemü-
hungen der leitenden Personen aber einen guten
Erfolg erhoffen ließen. Rechnungsdirektor Wo-
ringer machte daraus Mitteilungen aus dem Tage-
buch des Kasseler Großkausmanns Sattler aus den
Jahren 1788 bis 1792, wovon besonders die Auf-
zeichnungen über die vom Tagebuchsührer gezahlten
Neujahrstrinkgelder und die mit oft sehr drastischen
Bemerkungen versehenen Angaben für die Kriegs-
ereigniffe des Jahres 1792 von Jntereffe waren. Im
Anschluß hieran besprach Geheimrat Fritsch die
Trinkgeldersrage von einst und jetzt. Bankier F i o r i n o
zeigte eine große Anzahl seltener Bilder bedeutender
Heerführer des 7jährigen und der napoleonischen Kriege
vor und berichtete über das Leben dieser Generäle. Von
den gleichfalls von ihm vorgezeigten Plänen und
Abbildungen waren besonders ein Jussowscher Ent-
wurf zum Auetor sowie ein seltener Riß der Veste
Spangenberg bemerkenswert. Kaufmann Kranz
64 WtìL,
zeigte einen Band handkolorierter Abbildungen hes-
sischer Regimenter aus der Zeit um 1800. Schrift-
steller L. Wolfs schenkte eine Urkunde aus 1832
über den Tod eines Mitgliedes seiner Familie, das
als Philhelleue in Griechenland gegen die Türken
kämpfte und fiel, Fabrikant Heß eine weitere Druck-
schrift. Nechnungsdirektor W o r i n g e r verlas zum
Schluß einen Brief des Kasseler Steuerrats Gott-
sched, in dem dieser seinem Bruder, dem bekannten
Leipziger Professor, über ein Erdbeben berichtete,
von dem Kassel am 18. Februar 1756 betroffen
wurde.
Hessische Bücherschau.
Ludwig Emil Grimm Erinnerungen aus
meinem Leben. Herausgegeben und ergänzt von
Professor Adolf Stoll. Mit zahlreichen Kunst-
beilagen, Briefen und anderen Beiträgen zur Familien-
geschichte. 647 Seiten. 7. — 10. Tausend. Leipzig
(Hesse & Becker Verlag) 1913. Preis geb. M. 3.—
Diese von uns bei ihrem Erscheinen freudig begrüßte,
von Professor Adolf Stoll mit sorgfältigem Fleiß heraus-
gegebene Selbstbiographie des jüngsten Bruders von Jacob
und Wilhelm Grimm hat außerordentlich starken Anklang
gefunden. Noch vor Ablauf eines Jahres war sie ver-
griffen und liegt jetzt in einer Neuausgabe vor, die vom
Herausgeber neu durchgesehen und mit 7 Seiten Nachtrag
versehen wurde. Dieser enthält auch die seinerzeit an
dieser Stelle gewünschten Stammtafeln der Familien Bren-
tano, Arnim, Savigny und Grimm. Möge dieses fabel-
haft billige, reizvolle und inhaltreiche Werk, das ein
prächtiges Seitenstück zu den Lebenserinnerungen Ludwig
Richters und Wilhelm von Kügelgens bildet, auch in seiner
Neuauflage noch viele neue Freunde zu den alten finden.
Hbach.
Personalien.
Verliehenr dem Regierungsrat Or. Andritzkh zu
Kassel der Charakter als Geheimer Regierungsrat; dem
Sanitätsrat Or F e h zu Kassel der Charakter als Geheimer
Sanitätsrat; dem Ärzten vr.Eysel zu Kassel,vr. Wigand
zu Fronhausen und dem Direktor der Landesheilanstalt
vr. Schedtler zu Merxhausen der Charakter als Sani-
tätsrat; dem Ökonomiekommissar Burhenne zu Hom-
berg der Charakter als Ökonomierat; dem Landmesser
Or. Overbeck zu Hersfeld der Charakter als Königlicher
Oberlandmesser: den Postdirektoren Retz la ff zu Kassel
und Schacht zu Hersseld der Rang der Räte 4. Klasse;
dem Postmeister Jung zu Karlshafen, dem Regierungs-
sekretär Be re nd es und dem Regierungshauptkassen-Buch-
halter Hebecker zu Kassel der Charakter als Rechnungsrat;
dem Eisenbahnbetriebssekretär Blech er zu Kassel der Rote
Adlerorden 4. Klasse; dem Zollsekretär a. D. Modes zu
Kassel der Kronenorden 4. Klasse; dem Privatier Grebe
zu Hersseld, dem Schreinermeister Sattrup und der verw.
Frau Or. med. Kupferzu Kassel die Rote Kreuz-Medaille
3. Klasse.
Ernanntr Pfarrer Wille zu Neukirchen zum Metro-
politan der Pfarreiklasse Neukirchen; Pfarrer Walther
zu Laudenbach zum ref. Pfarrer >n Stcinbach-Halleuberg;
die Referendare Heß, Rosenthal und Schrader zu
Assessoren; Regierungssekretär Specht zum Regierungs-
Hauptkassen-Buchhalter.
Erteilt: dem Konfistorial-Präsident Freiherrn Schenk
zu Schweinsberg zu Kassel die Erlaubnis zur An-
legung des ihm verliehenen Ehrenkreuzes mit der Krone
des Großh. Hess. Verdienstordens Philipps des Großmütigen ;
dem Regierungsrat Or. fiir. Kusenberg die Entlassung
aus dem Staatsdienste mit Pension unter Verleihung des
Roten Adlerordens 4. Klasse.
Zugelaffe«r Gerichtsassessor Schneider zur Rechts-
anwaltschaft bei dem Amtsgericht in Hessisch-Lichtenau;
Rechtsanwalt Pabst bei dem Landgericht zu Kassel zugleich
auch beim Amtsgericht daselbst.
Bermiihltr Pfarrer Gerhard Doemich zu Ens-
dorf mit Fräulein Maria Kemps zu Malsfeld.
Geborene ein Sohn: Pastor Friedrich Prehn und
Frau Guste. geb. Martin (Dresden, 11. Februar); Seminar-
direktor Koch und Frau Lili, geb. Kienecker (Homberg).
Gestorben: Frau Hegemeister Sophie Küch, geb.
Hammann, 62 Jahre alt (Hessenstein. 2. Februar); Kauf-
mann Ernst Heidt, 45 Jahre alt (Kaffel. 2. Februar);
Großkaufmann Julius Fingerling. 55 Jahre alt
(Kassel, 2. Februar); ehem. Schulvorsteherin Frl. Emma
Heuser, 65 Jahre alt (Kassel. 2. Februar): Kgl. Sta-
tionsvorsteher a. D. Friedrich Giesecke, 80 Jahre alt
(Kassel,3.Februar); Pros.Robert Zwirnmann. 73Jahre
alt (Kassel, 4. Februar); Rektor der Stadtschule Ernst
S ch ü n e m a nn, 48 Jahre alt (Hersfeld. 4. Februar); Ober-
lehrer Professor Moiitz Pohl (Groß-Lichterfelde. 4 Fe-
bruar; Fabrikant Friedrich Zickl er (Kassel, 5.Febr); Guts-
besitzer HeinrichWeiershäuser (Michelbach, 5. Februar);
Medizinalrat und Stadtältester Gustav Looks 70 Jahre
alt (Kassel. 6. Februar); Oberlehrer an der Oberrealschnle
Professor Julius Sander (Fulda, 7. Februar); Mufik-
lehrer und Organist a. D. L. Rehmann, 69 Jahre alt
(Kassel 11. Februar); Stadtkämmerer Dörffler 54
Jahre alt (Eschwege. 13. Februar); stuck. rer. techn.
Herbert Hausen 22 Jahre alt (Braunschweig).
Sprechsaal.
Zu dem Aufsatz des Herrn Wenzel über Retterode
möchte ich bemerken, daß Gut und Schloß nach dem Aus-
sterben der Meysenbugs im Jahre 1810 von Jérôme dem
Oontroleur gén. de la liste civile Anton Chevalier
Borel-Duchambon geschenkt wurde, der damit.zugleich
den Titel eines Barons von Retterode erhielt. Über den
neuen Baron ist wenig bekannt. Ein französischer Lands-
mann nennt ihn eine „assez triste personnage“ aber ein
Generalschatzmeister der westfälischen Krone hatte eS auch
nicht leicht. Nach der Rückkehr des Kurfürsten war es mit
der Baronie des Herrn Duchambon natürlich ebenso vorbei
wie mit der Grafschaft Riede des Monsieur Albignac, der
gleichfalls mit einem heimgefallenen Meysenbugischen Lehen
beschenkt worden war. Ph- L.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kaffel.
Hesienlan-
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 5. 27. Jahrgang. Erstes März-Heft 1913.
Aus der Zeit der Befreiungskriege.
Das russisch-preußische Militärlazarett in Gießen 1813/14.*)
Von Dr H. Bergvr-Gießen.
Nach der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober
1813 hatte die Blüchersche Armee die Verfolgung
der Napoleonischen Heerestrümmer unternommen.
Infolge der Uneinigkeit in der obersten Heeres-
leitung der Verbündeten wurde dem feindlichen
Heere nicht mit dem Eifer nachgesetzt, wie es der
Kriegsbrauch erforderte. So kam es, daß Blücher
bei Fulda Napoleons Rückzugslinie nicht mehr
feststellen konnte und in den Irrtum verfiel, der
Feind sei über das Vogelsgebirge nach dem Lahntal
entwichen. Daher der beschwerliche Marsch der
Blücherschen Armee über Fulda, Grünberg, Gießen.
In den ersten Novembertagen kam die Blücher-
sche Armee, unter der sich auch russische Truppen-
teile befanden, in Gießen an. Gießen war damals
noch für die Verbündeten eine feindliche Stadt,
denn der bevorstehende Abschluß des Dörnigheimer
Vertrags, durch den Großherzog Ludwig I sich
von Napoleon lossagte, war noch nicht bekannt.
Während die Truppen vor der Stadt lagerten,
kam die Generalität in die Stadt ins Quartier.
Blücher nahm Wohnung im „Einhorn". Auf dem
*) Benutzt: Universität« - Archivarten. KrieaSanaeleaen-
heiten 1814.
Rathause empfingen die Spitzen der Behörden den
Helden von der Katzbach und Sieger von Leipzig.
Ihm zu Ehren gab die Stadt ein Festmahl, bei
welcher Gelegenheit der greise Feldmarschall den
Trinkspruch ausbrachte „Gut Deutsch, oder an
den Galgen!" Stadt und Universität wurden
Schutz und Schonung zugesichert. Im allerhöchsten
Auftrag macht der zeitige Rektor, Professor Dr.
Crämer im „Gieser Anzeigungsblättchen" bekannt:
1. daß Seine Exzellenz der hiesigen Universität
nicht nur den Schutz von seiten der hohen Alliierten
im allgemeinen, sondern auch insbesondere Ihre
eigene kräftige Unterstützung in vorkommenden
Fällen auf das humanste und liberalste zuzusichern
die Gnade hatten. 2. daß die Vorlesungen nun-
mehr nicht den 8.. sondern den 15. November
um so gewisser ihren Anfang nehmen werden, da
bis dahin die Truppendurchmärsche der alliierten
Armee durch hiesige Gegend beendet sein werden,
und Seine Exzellenz der Herr Feldmarschall so-
dann als Beweis Ihres hohen Schutzes für die
hiesige Stadt die möglichste Schonung in Rück-
sicht der Einquartierung zu versprechen die Gnade
hatten.
S-SSL 66
Leider zeigte die Folge, wie wenig die Zusicherung
von Schutz und Schonung in Kriegszeiten bedeutet.
Die Blüchersche Armee führte viele Kranke mit
sich, unter ihnen befanden sich Russen, Preußen
und gefangene Franzosen. Die Provinz Oberhessen
wurde zunächst vertragsmäßig zur Aufnahme von
1000 Kranken verpflichtet; nach Gießen sollten 500
kommen. Sogleich nach Ankunft der Blücherschen
Armee wurden von der preußischen Kriegskommission
in Gießen zwei Lazarette errichtet, das eine in
der früheren Entbindungsanstalt (physiologisches
Institut) in der Senkenbergstraße, das andere in
dem alten Zeughaus, der heutigen alten Kaserne.
Neben der großherzogl. hessischen Kriegskommission,
bestehend aus den Herren: Dr Büchner, v. Buri,
v. Krug, Goldmann, wurde auch eine Oberleitung
der Militärlazarette eingesetzt der auch einige
Professoren zugeteilt wurden. Man tröstete sich
in Gießen mit der Hoffnung, daß die Errichtung
der Militärlazarette hierorts nur eine vorüber-
gehende Maßnahme sei, und daß mit Beendigung
der Truppendurchmärsche die Lazarette nach Wetzlar
und Limburg verlegt würden. Stand man doch
noch zu sehr unter dem Eindruck der Nöte, die
man erlitten, als im 7 jährigen Kriege vier Jahre
lang das Universitätsgebäude den Franzosen und
dann in den Revolutionskriegen 1793/94 den
preußischen Truppen hatte eingeräumt werden
müssen. Die gehegte Hoffnung war eine eitele.
Die Truppennachschiebungen rissen nicht ab, die
Einquartierungslasten wurden nicht geringer, da
Gießen preußischer Etappenort blieb. Die Nach-
zügler von Leipzig brachten täglich neue Kranke
mit, darunter viele französische Gefangene. Am
27. November war in den Hospitälern durch ein-
gebrachte kranke Franzosen »t^ptius contagiosa“
ausgebrochen. Eine Verseuchung der ganzen Stadt
drohte, da in dem Zeughaus täglich außer Sol-
daten auch Personen verkehrten, die dort die herr-
schaftliche oder die auf den Speichern für Private
lagernde Frucht zu holen hatten. Aber auch die
in der Nähe der Lazarette am „Brand" und in
der Schloßgasse wohnenden Familien sowie die
Besucher des Universitätsgebäudes waren von der
Ansteckungsgefahr bedroht. Deshalb forderte der
Lazarettkommissar Professor Jaup die Familien auf,
ihre Wohnungen zu verlassen. Bereits hatten
viele Studenten wegen der zunehmenden Ansteckungs-
gefahr die Stadt verlassen. Rektor und Senat
wandten sich am 30. November an den russischen
Staatsrat von Cancrin, der „ehedem der Universität
angehörte" (ob als Student oder Dozent ist nicht
ersichtlich) mit der Bitte um schleunige Verlegung
der Lazarette. In der Eingabe wird betont, es
stehe zu befürchten, „daß nicht nur die temporäre
Auflösung der Universität erfolgen müsse, sondern
es sei auch der ganze Ruin der Stadt und Um-
gegend zu erwarten, obgleich der König!. Preuß.
Herr Feldmarschall v. Blücher schon in den ersten
Tagen dieses Monats der hiesigen Universität
seinen besonderen Schutz und auch der ganzen
Stadt möglichste Schonung zugesichert habe". Die
ehemalige Zisterzienserabtei, Kloster Arnsburg bei
Lich, wurde als Verlegungsort vorgeschlagen, das
nach dem Bericht des Dr. Vogt bequem 600 Kranke
aufnehmen könne. In Kloster Arnsburg war
schon im Frühjahr 1813 ein Militärhospital von
den Franzosen bei ihrem Hinmarsch nach dem
sächsischen Kriegsschauplatz errichtet worden. Außer-
dem kamen noch Wetzlar und Limburg als Kranken-
stationen in betracht. In Wetzlar standen mehrere
Gebäude des Reichskammergerichts zur Verfügung.
Aus der russischen Intendantur traf auch die Zu-
sage ein. daß gegen eine Verlegung der kranken
russischen und preußischen Soldaten nach Arnsburg
nichts einzuwenden sei, auf Wetzlar und Limburg
habe man keinen Einfluß. Mit diesem Bescheid
wandte sich der Rektor an die hiesige großherz. Hess.
Kriegskommission zur Veranlassung des Weiteren.
Diese schlägt das Gesuch um Verlegung kurz ab,
denn 1. „die Kosten des Unterhalts des Lazaretts
seien in Arnsburg um das Doppelte höher, in
Gießen hätten sie schon 100000 Thaler (!) betragen.
2. In Arnsburg fehlen Apotheken und Anstalten
für die Speisung der Kranken. 3. In Arnsburg
fehlen Ärzte und Chirurgen. In Gießen sei die
ärztliche Versorgung nur durch die Hilfe der
preußischen Ärzte und der dortigen Barbierer'
möglich gewesen." Die Universität ruft in dieser
Sache am 11. Dezember die Hilfe des hessischen
Staatsministeriums an. Man berichtet dem Ministe-
rium, daß die Lazarette gegenwärtig mit 500
Kranken belegt seien. Die Sterblichkeitsziffer be-
trage täglich 10 bis 20 Personen, am 8. Dezember
sogar 25. Ein Student sei gestorben, es war
der Kandidat der Medizin Anton Herold aus
Münster in Westfalen. (Auch der am 4. Dezember
im Alter von 50 Jahren verstorbene derzeitige
Rektor Joseph Cämmerer, „weiland Großh. Hess.
Major, öffentlicher und ordentlicher Professor
der mathematischen Wissenschaft", sowie der am
4. Februar 1814 beerdigte Kandidat der Medizin
Kaspar Martini aus Brilon in Westfalen werden
wohl Opfer der Seuche geworden sein.) Die
Eingabe an das Ministerium betont weiter, es
könne „Seiner Königl. Hoheit das Wohl und die
Gesundheit der jungen Männer an der hiesigen
Universität, welche die Pflanzschule für die künf-
tigen Staatsbeamten sei, nicht gleichgültig sein.
Gießen sei außerdem zur beständigen Bildung
V««L, 67 NSSL-
und Übung des großherzogl. Militärs bestimmt."
Das Ministerium antwortete am 3. Januar 1814,
es seien bei dem preußischen Staatsrat v. Ribbentrop
Schritte getan, um das Gießener Lazarett in das
alte Schloß nach Butzbach zu verlegen, die nicht
transportablen Kranken müßten aber nach wie
vor in Gießen verbleiben. Am 27 Januar wird
diese Anordnung wieder rückgängig gemacht, da
Butzbach nicht mehr als 1000 Kranke aufnehmen
könne.
Am 14. Januar 1814 ersucht die hessische
Landes-Kriegskommission die Universität, ihr die
„studiosos medicinae“ zu überlassen, da es „bey dem
eintretenden Abmarsch des angestellten Preußischen
Personals und wegen Vermehrung des Personals
in Butzbach an Ärzten und Chirurgen fehle". Die
Studenten sollten sich um 8 Uhr bei dem Pro-
fessor Dr. Hegar einfinden. Die Universität er-
klärt. „daß sämtliche vorhandenen Studenten der
Medizin dem Rufe ihres resp. Vaterlandes zur
Ergreifung der Waffen gefolgt seien"; es befänden
sich nur hier zwei „rohe (unausgebildete) Anfänger"
Am 24. Januar wird die Universität von dem
Ministerium benachrichtigt, daß der Eigentümer
von Kloster Arnsburg, der Graf von Solms-
Laubach, sich bereit erklärt habe, die Gießener
Kranken dort aufzunehmen. Gießen würde dem-
nächst von der Last befreit werden. Am 18. Februar
richtet die Universität dann auch ein dringliches
Gesuch an den Grafen um endliche Verwirklichung
der Verlegung des Gießener Lazaretts. In ein-
drücklichster Weise wird die Not dargestellt. Die
Krankheiten hätten im Zeughause die größten
Verwüstungen angerichtet. Während man sonst
in Gießen im Jahre durchschnittlich mit Einschluß
der Garnison 160 Verstorbene zählte, habe der
Tod im Jahre 1813: 290 Opfer gefordert, in
dem letzten Monat allein 100. Gießen habe außer-
dem durch das ständige preußische Etappenkommando
gelitten. Am 23. Februar wird das Ministerium
ersucht, der Hess. Landes-Kriegskommission bei Strafe
anzudrohen, die höchsten Befehle zu befolgen. Das
Betragen der Kommission werde in unverant-
wortlicher Weise die Existenz der Universität aufs
Spiel setzen, und das zu einer Zeit, wo durch
die der Universität Heidelberg und den Instituten
Pestalozzis zu Averdun gewährte Befreiung von
Lazaretten die größten Mächte Europas bewiesen,
welche Achtung sie mitten unter den widrigsten
Kriegsereignissen und Kriegsbedrängnissen selbst
auswärtigen gelehrten Bildungsanstalten zollen.
(Es war dies das Verdienst des österreichischen
Oberbefehlshabers v. Schwarzenberg, der über die
Schweiz seinen Einmarsch in Frankreich nahm.)
Am 18. März 1814 gibt das Ministerium Nach-
richt, daß der Graf v. Laubach im Kloster Arnsburg
die Arbeiten soweit gefördert habe, daß die Gießener
Kranken dorthin gebracht werden können. Aller-
dings könne man „für die Zukunft auf das dortige
(Gießener) Lokal nicht verzichten, weil dasselbe zur
augenblicklichen Aufnahme durchziehender Kranken
eingerichtet bleiben müsse" Man halte es für
bedenklich, sich an das preußische Hauptquartier
zu wenden und dort Schritte wegen gänzlicher
Aufhebung des Gießener Lazaretts zu tun, weil
diese doch wahrscheinlich ohne Erfolg sein würden.
So blieben denn die Gießener Militärlazarette
auch für die Folge bestehen, wenn sie auch durch
die Überführung der „leichten" Kranken nach
Arnsburg entlastet wurden.
Wie sehr nicht nur die Stadt Gießen, sondern
auch die Umgegend während dieser Zeit gelitten,
geht aus einer Bekanntmachung des „Gießener
Frauenvereins" vom Mai 1814 hervor, der sich
auch hier wie anderwärts zur Zeit der deutschen
Erhebung gebildet. Es wird darin öffentlich auf-
gefordert, die Beiträge für den Monat Mai ein-
zusenden, „damit alles in der gehörigen Ordnung
fortgehe und stets in der Kasse ein Vorrat bleibe,
womit wie bisher besonders die am Nervenfieber
(Typhus) krank gewesenen Hülfsbedürftigen hier
und in der ganzen Umgegend unterstützt und mit
den nötigen Nahrungsmitteln, Kleidungsstücken
und anderen Bedürfnissen versehen werden können".
Wilde Triebe am Stammbaume der hessischen Landgrafen.
Von Dr. Carl Knetsch.
111. Dieterich von Hessen und Heinrich
von Battenberg.
Dieterich von Hessen war ein Halbbruder
Landgraf Philipps des Großmütigen, ein natür-
licher Sohn Wilhelms des Mittleren. 1507 und
1508 befand er sich in Kost und Lehre bei den
Kugelherren im Weißenhofe zu Kassel?) 1516 a)
kommt er noch einigemal in der Umgebung des jungen
Landgrafen Philipp vor, dann verschwindet er.
Sein Mitschüler im Weißenhofe war "ein Sohn
des 1500 verstorbenen Landgrafen an der Lahn,
Wilhelms des Jüngeren, der von seinem Geburts-
ort den Namen Battenberg trug. Dieser Vor-
läufer der späteren hessischen Nebenlinie gleichen
SSiL, 68 SrssîL.
Namens, Heinrich Battenberg, war seit
1503 Schüler der Kugelherren in Kassel, wo er
sich 1507, 1508 ') und 15108) findet. Am 2. Mai
1515 wurde er unter dem Namen Uenrieus 8essus
de Battenberg an der Universität Heidelberg imma-
trikuliert^), wo er als der „halbe Landtgreffe" noch
1516 und 1517 erwähnt wird. Über seine späteren
Schicksale ist nichts bekannt.
Ein paar ganz charakteristische Zettel über die
Ausgaben, die den geistlichen Herren im Weißen-
hofe im Interesse der beiden jungen Schüler er-
wuchsen, habe ich im 40. Band der Zeitschrift des
Vereins für hessische Geschichte (Seite 307—308)
veröffentlicht. Einige neuerdings zum Vorschein
gekommene Nachrichten über Dietrich und Heinrich
will ich hier noch abdrucken. Es sind Belege zu
den Rechnungen des Kasseler Kammerschreibers
Adam von Usingen von 1508 *) und des Kammer-
schreibers Ludwig Lersenmecher (Lersener) von
1516 und 1517?)
1. Verczeichnunge kost und leregelts auch noit-
torfftiger bestellunge beyder sone unßers g. Herrn
im Whsenhobe von Martini als man schreib
1507 biß Widder Martini 1508.
Der Hern ime Wissenhoiff berechtregister uff
27 g. 24 alb. 3 Heller.
Item ist man den kratribus im Wyssenhobe
schuldig worden uß der kammern unsers gnedigen
Herrn uff Mertin nehestvergangen 1508 rc. von
syner gnade sone wegen Dederichs, auch des an
der Lane seliger, dem got gnade, sone Henrich
vor kostgelt 24 gülden und 2 gülden vor leergelt.
Auch ist ene ußgeleget und zu irer noittorfft
von obgnanten brudern bestalt rc. nemlich wie
volget rc.
Dederichen.
item 3 alb. vor schoe am oistreabend anno 1508,
item 3 a1bo8 vor schoe am phhngstabent,
item 6 a1bo8 vor eyn Par schoe mit duppelten
soln Martini,
item 41 ¡2 albos vor bapir und dhnten durchs jar,
item 1 album vor rymen in sin nuwe cleyder
sontages vor Thome.
Henrichen.
item 2 aIbo8 vor eyn Par scho am oisterabent
anno 1508,
------------4»
faß mir
faß mir meine Träume, Kind,
wenn such Träume 5chäume sind.
Bus dem Traum in süßer Nacht
Bin ich oft zum feit» erwacht,
tast mir meine Träume.
item 2 albos vor scho am mitwochen vor ascen-
sionis domini,
item 2 albos vor scho uff Jacobi,
item 5 schillinge vor scho uff Symonis und Jude
tag,
item 2 V» albos uff Martini vor scho,
item 4 albos und 1 heller vor bapir durch ganz
jar,
item 1 album vor rymmen in haßen und cleyder
sontag vor Thome,
item ine beyden semptlichen ußgelegt vor 10 eln
und eyn sertel flesßen thuch in zu hempter
16 Va albos und 2 Heller, ist die eln kaufft vor
czwenczig Heller.
Summa alles macht 27 gülden, 24 albos und
3 Heller rc.
2. Im Frankfurter Fastenmeßregister 1516 des
Kammerschreibers Lersenmecher
12 golden auß bevelh m. g. f. durch den amptman
Schrautenbach geschickt Henrichen dem halben
langraffen dem staudenten zcu Heydelberg, hait
seyn Wirt zcu Franckfurt sampt der kleydunge
von mir entpfangen in beysein meister Walters
m. g. h. schneider, und Heist sein wirt meister
Hanß Kaupp, Propst Prediger borßen zcu Heydel-
burgk.
3. Im Frankfurter Herbstmeßregister 1516
12 golden auß bevelch m. g. f. gegeben m. g. h.
seligen des jungern an der Lohne sone Heinrichen
dem studenten gein Heydelbergk, hait eintpsangen
der probst Prediger burssen sein wirdt in bey-
seyn Walter Schneiders.
4. Im Frankfurter Fastenmeßregister 1517
(wie eben)
12 gülden gegeben dem probst Prediger borssen
zu Heydelburg von wegen des studenten des
halben landtgreffen aus bevelh meiner gnedigen
Frauen.
y Staatsarchiv Marburg. Belege zur Kasseler Kammer-
schreiberrechnung 1507. 1508.
*) Samtarchiv Marburg Nachtrâge 58, Schuhrechnung
des Schusters Conrad Voitlender von 1516 fsir den jungen
Landgrafen Philipp und seine Umgebung. Beleg zur Kammer-
schreiberrechnung von 1516.
®) Staatsarchiv Marburg. Repertorium der Ouittungen.
y Heidelberger Matrikel.
Im Samtarchiv Marburg Nachtrâge 58.
Träume.
Birgt die weit des Kummers viel,
sich, im Traum klingt fjarfenfpiel.
fjarfenspiel und 6IQ<fc und Buh
weht der 5eeie Trieben zu.
Last mir meine Träume.
Heinrich Sut beriet.
69 9*K£L
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
(Fortsetzung.)
Die Sache sollte aber für die Stadt Kassel
noch ein bitteres Nachspiel haben. Landgraf Her-
mann war nicht der Mann, eine solche Demütigung,
wie er sie hatte erdulden müssen, ungeracht zu
lassen. Er suchte zunächst die Stadt Kassel völlig
von sich abhängig zu machen. Durch welche
Mittel ihm das gelang, wissen wir nicht, es kann
aber keinem Zweifel unterliegen, daß es ihm gelang.
Denn in einer am Johannistage 1380 beurkundeten
„oft und viel" darüber geklagt, daß sich gewisse
Bürger von Kassel in die Regierung des Landes
einmischten. Er war damit einverstanden gewesen,
deren Aburteilung einem Schiedsgericht zu über-
tragen zu dem er in Gemeinschaft mit Bürger-
meister und Rat von Kassel 6 Mitglieder ernennen
wollte, während die anderen 6 von den Be-
schuldigten ernannt werden sollten. Zwei der
Beschuldigten, die Ratsmitglieder Hans Harbusch
Escheberg. Partie am Teich. 3m Hintergrund Oberförsters und darüber der Geibellempel.
Aus Heidelbach. Deutsche Dichter und Künstler in Escheberg. Marburg (N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung). 3 M-. geb. 4M.
Sühne gelobten Bürgermeister und Räte, sowie
eine Anzahl der angesehensten Bürger Kassels,
daß sie niemals wieder eine gegen den Landgrafen
oder seine Erben gerichtete Verabredung treffen
oder eine gegen sie gerichtete Handlung vornehmen
wollten. Dagegen versprach der Landgraf, er wolle
alle Aufläufe und Zerwürfnisse, die vorgekommen
seien, als beigelegt ansehen und verzeihen. Das
scheint aber durchaus nicht ehrlich gemeint gewesen
zu sein. Denn schon im nächsten Jahre flohen
mehrere angesehene Bürger aus Kassel und suchten
Zuflucht in benachbarten nichthessischen Städten,
z. B. in Göttingen. Wie aus dem noch vorhandenen
Schriftwechsel des Kaffeler Stadtrats mit dem
von Göttingen hervorgeht, hatte der Landgraf
und der junge Hartenberg, hatten sich aber darauf
nicht eingelassen, sondern die Hilfe der erbver-
brüderten Markgrafen Friedrich und Balthasar
von Meißen und Thüringen angerufen. Als sie
der Landgraf deswegen vor sich gefordert, waren
sie geflohen. Der Kasseler Stadlrat war bereits
soweit vom Landgrafen zahm gemacht, daß er selbst
den Göttinger Stadtrat aufforderte, den beiden
Flüchtlingen kein Asyl zu gewähren, weil ihre
Schuld erwiesen sei.
Ehe die Angelegenheit dieser beiden erledigt
war. errang der Landgraf einen zweiten Sieg über
die Stadt Kassel. Er gab der Stadt eine neue
Verfassung, die ihr den letzten Rest von Selb-
ständigkeit nahm, der ihr noch geblieben war. Der
70
an die Stelle der früheren drei Stadträte getretene
gemeinsame Rat der Stadt und deren Bürger-
meister wurden von jetzt an vom Landgrafen er-
nannt, dem nun auch das Recht der Bestellung
des Marktmeisters und der Pförtner an den Toren
zustand. Der Landgraf erhielt ferner das Recht,
den Rat, sobald er ihm mißfiel, aufzulösen. Die
Burmeister, d. h. die Vorsteher der einzelnen Stadt-
viertel, und die Stadtknechte mußten dem Land-
grafen den Treueid leisten. Bürger konnten nur
noch mit Einwilligung des landgräflichen Schult-
heißen aufgenommen werden, in dessen Hand sie
dem Landgrafen den Treueid leisten mußten. Und
schließlich wurden die Zünfte und Innungen der
Stadt auf drei Jahre aufgehoben und dadurch
ein größerer Zuzug von fremden Handwerkern
ermöglicht, von denen der Landgraf besseren Ge-
horsam erwartete, als von den eingesessenen Kaffe-
lanern.
Noch einen letzten Versuch machten nun die
Kasseler Patrizier, aus deren Reihen bisher in
erster Linie der Rat der drei Städte sich gebildet
hatte, um die Gewalt des Landgrafen abzuschütteln,
indem sie versuchten, die Stadt Kassel dem Land-
grafen von Thüringen zu übergeben und so die
Macht des Landgrafen Hermann zu brechen. Aber
auch dieser Versuch mißlang. Die Sache verlief
folgendermaßen. Hermann der Gelehrte, dessen
erste Ehe mit Johanna, Gräfin von Nassau.
Saarbrücken kinderlos gewesen war, hatte nach
dem Tode Johannas wieder geheiratet und besaß
nur aus dieser zweiten Ehe mit Margarete, Burg-
gräfin von Nürnberg, einen Sohn. Nun war ihm
die Erbverbrüderung mit Meißen-Thüringen, die
er s. Z. in seiner Notlage eingegangen war, lästig.
Balthasar von Thüringen dagegen war beleidigt
dadurch, daß Landgraf Hermann den erwähnten
beiden Kasseler Bürgern, die bei ihm Hilfe gesucht
hatten und dann nach Göttingen geflohen waren,
nicht verzeihen und sie in Kassel wieder aufnehmen
wollte. Die gegenseitigen Reibereien führten zum
Kriege zwischen Hermann einerseits und den Meiß-
nern Friedrich und Balthasar und ihren Verbün-
deten, Erzbischof Adolf von Mainz und Herzog
Otto dem Quaden von Braunschweig-Göttingen.
Dieser Krieg wurde mit wechselndem Glücke eine
Reihe von Jahren hindurch geführt. Im Jahre
1387 wurde Kassel belagert, aber dank der tapferen
Haltung der Kasseler Bürger nicht genommen.
Es wurde dann in demselben Jahre ein Waffen-
stillstand geschlossen, in dem sich der Landgraf
Hermann wiederum verpflichtete, den Kasseler Bür-
gern zu verzeihen. Auch sollte er die geflohenen
Bürger — nicht nur jene zwei obenerwähnten,
sondern sämtliche, deren es eine größere Anzahl
war — wieder in die Stadt Kassel aufnehmen.
Es sollte ihm aber freistehen, die zwanzig Schul-
digsten davon zu benennen, über die dann ein
Schiedsgericht urteilen sollte. Sprach sie dies frei,
so sollten auch sie ungehindert zurückkommen dürfen,
dem Landgraf den Treueid leisten und dann auch
ihre eingezogenen Güter zurückerhalten. Dieser
Waffenstillstand zwischen Hermann und seinen
Feinden führte aber nicht zum Frieden. Von
neuem brachen die Thüringer, Braunschweiger und
Mainzer in das Hessenland ein, und noch zweimal
hatte Kassel eine Belagerung auszuhalten, die aber
ebenso wie die erste vergeblich waren. Beidemal
standen die Kasseler Bürger ihrem Landesherrn
tapfer und treu zur Seite.
Bei einem dieser Angriffe soll nun der Verrat
der Kasseler Patrizier beabsichtigt gewesen sein.
Am 10. Oktober 1388 erschienen Landgraf Balthasar
von Thüringen, Herzog Otto von Braunschweig
und der Mainzische Heerführer Kurt Spiegel zum
Desenberg plötzlich vor Kassel, um die Stadt durch
einen Handstreich zu nehmen. Eine Anzahl Kasseler
Bürger, die mit den geflohenen Patriziern in Ver-
bindung stand, soll mit den Feinden verabredet
haben, ihnen durch Zeichen die am leichtesten zu-
gänglichen Stellen der Befestigung anzugeben und
sie in die Stadt einzulassen. Ihre eigenen Häuser
wollten sie durch ausgehängte weiße Tücher vor
der Plünderung nach Einnahme der Stadt schützen.
Der Landgraf wurde aber durch einen verbannten
hessischen Adeligen, Eckbert von Felsberg, der sich
im feindlichen Lager befand und den Plan erfahren
hatte, rechtzeitig gewarnt und in die Lage gesetzt,
die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die den
Erfolg hatten, daß die Angreifer unverrichteter
Sache wieder abziehen mußten. Nun hatte der
Landgraf eine sichere Handhabe gegen die von ihm
mit solcher Härte und Ausdauer verfolgten Patrizier.
Als es endlich 1388 zum Frieden kam, wurde
der Landgraf zwar seiner Hauptstadt wieder ge-
neigter. Die Zünfte wurden wieder hergestellt,
die Wahl der Gemeindebürgermeister und Markt-
meister ging wieder auf die Bürgerschaft zurück.
Aber die Rechtsprechung behielt der Landgraf, und
gegen die geflohenen Angehörigen der Ratsfamilien
ging er nun energischer vor. Unter der Beschul-
digung, die Absicht gehabt zu haben, die Stadt
Kassel dem Landgrafen Balthasar von Thüringen
in die Hände zu spielen, wurden nicht nur zwanzig,
wie der Vertrag von 1387 zuließ, sondern sogar
28 Männer unter Anklage gestellt. Es waren:
Hermann Blume, die Brüder Opel und Henze
Bodenreif, des ersteren Sohn Ludwig Bodenreis,
Hermann und Werner von Geismar, Gerlach der
Stadtschreiber, Hermann Ghßelonis, dessen Familie
71 swKi»
Güter in Nordshausen befaß, Hans Harbusch.
Hans und Hermann Hartenberg. Götze und Heinze
Helwigs, Hermann Hesinrod, Dilmar Lune, der
einem ritterbürtigen Geschlecht angehörte, Mein-
wart Merseberg. Kurt Preger. Ludwig Reginboden,
dessen Familie der Reginbodenhof vor dem Hol-
ländischen Tor gehörte, Reinhard des Richen,
Konrad und Eitel Rudewig, Kunz Seheweiß, der
Güter in Kirchditmold und den Seheweißhof, den
heutigen Weißen Hof, in Kassel besaß, Hans
Scheibhusen, Hermann Schultheiß, Werner Tho-
mas, Werner Tugker, Lutze Ziegler und Jakob
Zinsenberg. Sie gehörten allen drei Teilen der
Stadt an, die Harbusch und Hartenberg der Frei-
heit, die Rudewig und des Richen der Neu-
stadt, die Blume, Bodenreif, Hesinrod, Gyßelonis
und Seheweiß der Altstadt. Bis zum Jahre 1391
zog sich die Sache hin. Dann erst kam es zum
Urteil, das nach der Verordnung von 1384 dem
Landgrafen zustand. Auf dem Altstädter Markt-
platz, dem jetzigen Altmarkt, fand die Gerichts-
sitzung statt. Der vom Landgrafen ernannte
Stadtrat, an der Spitze der Bürgermeister Kurt
Mülenbach, bildete das Schöffenkollegium, Johann
von Eisenbach, Otto Groppe von Gudenberg und
Wedekind von Falkenberg das Gericht, weil der
Landgraf selbst in eigener Sache nicht als Richter
auftreten konnte. Als Vertreter der Anklage traten
auf Heinrich von Hundelshausen d. Ä., Johann
von Falkenberg d. Ä. und Kunzmann von Falken-
berg. Von den Angeklagten waren nur drei er-
schienen. Werner von Geißmar, Kunz Seheweiß
und Hermann Schultheiß. Die Anklage lautete
dahin, daß die Angeklagten den Landgrafen und
die Stadt Kassel verraten hätten. Da die ge-
flohenen Bürger ohne Vertretung und Verteidigung
waren, wurden sie ohne weiteres verurteilt und
ihr Leib und Gut dem Landgrafen zuerkannt, ihr
Vermögen ihnen und ihren Kindern ab- und dem
Landgrafen zugesprochen. Die drei anwesenden
Angeklagten leugneten. Der Vertreter des Land-
grafen erklärte aber ihre Aussage für unglaub-
würdig. worauf das Gericht sie aufforderte, für
die Richtigkeit ihrer Aussage Bürgen zu stellen,
spätestens bis zum Schluffe der Sitzung. Mögen
nun die Angeklagten wirklich schuldig gewesen sein
oder mögen ihre Freunde und Verwandten nicht
gewagt haben, dem Landgrafen entgegenzutreten,
das mag dahingestellt sein — jedenfalls war nie-
mand bereit, sich der unglücklichen Angeklagten
anzunehmen. Sie konnten die geforderten Bürgen
nicht stellen, galten deshalb als der Tat über-
wiesen, und man schritt nun zum Urteil, wodurch
auch diese drei Angeklagten mit Leib und Gut
dem Landgrafen zugesprochen wurden, der dadurch
alle Gewalt über ihre Freiheit, ihr Leben und
ihr Vermögen erhielt. Ein Versuch des Bürger-
meisters Mülenbach, die Angeklagten in den Ver-
wahrsam der Stadt Kaffel zu bekommen, mißlang.
Sie wurden dem Landgrafen übergeben, der sie,
wann und wie ist nicht sicher bekannt, hinrichten
ließ. Ihre Güter wurden eingezogen und solchen
Rittern, die dem Landgrafen treu geblieben waren,
zur Belohnung ihrer Dienste geschenkt.
Nicht unerwähnt möge bleiben, daß der Land-
graf auch gegen eine Anzahl der übrigen nieder-
hessischen Städte, die sich an der Einung zur Ver-
weigerung des Ungelds beteiligt hatten, mit strengen
Maßregeln vorging. So hatte der Versuch, das
Zollrecht des Landgrafen zu bestreiten oder doch
wenigstens einzuschränken, gerade den entgegen-
gesetzten Erfolg gehabt die Macht der Städte
war gebrochen, vor allem die der Stadt Kassel,
deren selbständige Geschichte hier eigentlich ihr
-Ende findet. Ihre weiteren Schicksale spielen sich
völlig als die einer landgräflichen Residenz ab,
die von der Politik und dem Willen des Landes-
fürsten abhängig, über einen eigenen Willen nicht
mehr verfügt. —
(Fortsetzung folgt.)
Einschürsungen an Schaumburger Kirchen.
Von Pfarrer Wilhelm Schuster-Rinteln.
Viele niedersächsische Baudenkmäler weisen merk-
würdige Scharten und Ritze auf. Die Zeitschrift
„ Niedersachsen" weist in ihrem Novemberheft auf
diese seltsame, nicht seltene Erscheinung hin, deren
eigentlicher Zweck sich bis jetzt noch nicht restlos
erklären ließ, und nennt von Kirchen in der uns
benachbarten Gegend die Marktkirche in Hameln,
die Kirche in Hess. Oldendorf, an deren süd-
licher Tür sich Längsschliffe befinden, das nördliche
Tor des Klosters Loccum, den linken Sockel am
Südportal der Andreaskirche in Hildesheim, die
Ägidienkirche in Hannover (Profilkehlen am Tür-
pfeiler der Südseite), die Kirche in Luttinghausen
am Deister, die Stadtkirche in W u n s t o r s (auch
bei den letzten beiden auf der Südseite). Nicht
genannt ist dort unsere Nikolaikirche in Rin-
teln. Auch diese zeigt sehr deutlich am Portal
auf der Südseite — und zwar rechts vom Ein-
tretenden an der Außeneinfassung des Portals —
scharf ausgezogene Längsschliffe, worauf der Leser,
9«*^ 72 S«L>
nachdem er durch diese Erörterung der hochinter-
essanten rätselhaften Zeichen ausmerksam gemacht
ist, bei der nächsten Gelegenheit achten kann. Sind
das vielleicht Runen?
Man unterscheidet an den alten niedersächsischen
Steinbauten vier Arten solcher Einschürfungen.
Einmal die obigen scharfgeschnittenen Längsschliffe,
die ohne größere seitliche Ausdehnung oft von er-
heblicher Länge sind, bis zu mehr als einem halben
Meter. Dann direkte kurze Vertiefungen in Form
eines Schiffchens, ferner Aushöhlungen in Form
einer Halbkugel; beide mit scharfen Außenrändern
und glatten Innenflächen. Viertens mehr oder
minder ovale oder halbkugelförmige Ausschleifungen,
Hohlschliffe, wie sie entstehen, wenn man auf einem
Stein längere Zeit Messer und ähnliche Gegenstände
schärft. Die Zeichen der ersten Art finden sich an der
Nikolaikirche, Hohlschliffe der letzten Art am äußeren
Tor der Schaum bürg auf dem Nesselberge.
Zweck und Bedeutung der letzteren dürste wohl
ganz klar sein. Messer, Speere, Schwerter wurden
an diesen Stellen gewetzt. Beim Auszug zu Fehden
oder in den Krieg wetzten die Rittersknechte, die
Söldner u. a. ihre Schwerter an den Kirch- und
Burgtüren, an den Kirchtüren mit Vorliebe als
an „heiligen Türen", im Glauben, daß dies be-
sonders gut und heilsam wirke, sie weihten gleich-
sam ihre Waffen, wenn sie sie an der Kirchenmauer
schliffen. Die Bauern, die mit Wolfspießen zur
Kirche gingen — vor 250 Jahren wimmelte noch
das Land von Wölfen — lehnten ihre Spieße
während des Gottesdienstes draußen an der Kirche
an und schärften sie an den Kirchportalen.
Die Aushöhlungen in Form kleiner Schiffchen rc.,
wie sie die ganze Südwand der katholischen Kirche
in Goslar überdecken, erklären sich anders. Nach
einer Mitteilung des Anthropologischen Korre-
spondenzblattes hat man im Mittelalter Steinstaub
aus dem heiligen Gemäuer herausgekratzt und den
so gewonnenen Rillenstaub zu geheimem Zauber
oder als Heilmittel bei Kranken verwendet.
Für die Rillen in d e r Form, wie sie sich deut-
lich an unserer Nikolaikirche und der Oldendorfer
Kirche befinden, hat man noch keinerlei Erklärung.
Es sind die scharfgeschnittenen Längsschliffe, die
mit einem scharfen Gegenstand (Schwert?) hinein-
gehauen oder hineingeschnitten erscheinen. Aus-
fallend, daß sie vorwiegend auf der Südseite der
Kirchen auftreten!
Das typischste Beispiel der ovalen Ausschleifungen
weist übrigens die Dorfkirche in Lachem gegenüber
Fischbeck auf, deren westliche Tür in der Zeitschrift
„Niedersachsen" abgebildet ist, sie zeigt auch Längs-
schliffe.
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Urteil eines Hessen über China.
Es ist schon öfters das Wort gebraucht worden. Hassia
non scribit, Hessen schreibt nicht. Reich ist allerdings
unser Hessenland nicht an Geisteserzeugnissen. Woher kommt
es wohl? Wir Hessen sind schwerfällige, aber auch gründ-
liche Leute. Was wir anfassen, fassen wir dann auch um
so tiefer an. Das gilt von den Männern unseres Hessen-
landes, die mit ganzer Hingebung sich in ein Arbeitsgebiet
versenkt haben und deren Schriften dann nicht müßige Ge-
dankenerzeugnisse. sondern das Resultat treuer, tiefer Arbeit
sind. Das macht zum Beispiel das Buch unseres hessischen
Landsmannes Wilhelm Speck „Zwei Seelen" so wertvoll, daß
man ihm anmerkt: Aus dem schweren Beruf der Seelsorge
an Gefangenen ist dies alles geboren und durch den schaffenden
Geist des Dichters in eine höhere Einheit gebracht. Aber
noch ein anderes hat immer wieder Männer unseres Stam-
mes zur Geistesarbeit aufgerufen, noch aus anderer Quelle
haben sie schöpfen dürfen. Das ist das Volkstum unseres
Stammes. Denn kein deutscher Stamm ist an Volkstum
so reich als unser Hessenstamm. 'Und zu den Männern
blicken wir mit Achtung und Liebe auf, die sich in unser
eigenes Volkstum mit inniger Hingebung versenkt haben.
Das waren unsere Größten, die hier am tiefsten geschöpft
haben. Ihre Namen brauche ich nicht zu nennen. Sie
find unseres Hessenlandes Stolz.
Aber man darf nun von hier aus weiter gehen und darf
sagen: Wer das Volkstum des eigenen Landes mit Liebe
betrachtet und zur Darstellung bringt, der ist auch imstande,
fremdes Volkstum in seiner ihm eigentümlichen Eigenart
zu würdigen. Denn er allein bringt den richtigen Maß-
stab mit, um auch den Wert fremden Volkstums richtig
einzuschätzen. Von diesen beiden Gesichtspunkten aus möchte
ich im folgenden das Buch eines hessischen Landsmannes
besprechen: Wilhelm Schülers Abriß der neueren
Geschichte Chinas. (BerlinKarlCurtius 1912. 6M.)
Schüler ist ein Enkel des in Hessen einst so bekannten
Allendorfer Superintendenten Schüler, dessen Gestalt gerade
in diesem Erinnerungsjahr 1813 vielen Hessen wieder leb-
haft vor der Seele steht. Nun. der Enkel ist noch weiter
vom Hessenland weggeführt als einst sein Großvater, der
mit den freiwilligen Jägern nach Frankreich hineingezogen
war. Zuerst im Dienst der Mission, sodann als Pfarrer
von Shanghai hat er seit dem Jahre 1900 das Volkstum
Chinas an den Quellen studieren gelernt. Die Frucht seiner
Studien ist diese von der deutschen Kolonialgesellschaft, Ab-
teilung Tsingtau, gekrönte Preisschrift über die neuere
Geschichte Chinas, in der noch die unser Kolonialgebiet
umgebende Provinz Shantung besondere Berücksichtigung
gefunden hat. So darf der Verfasser mit Recht in der
Einleitung sagen, daß ihn bei seinem langjährigen Aufent-
halt in Tsingtau und Nordchina ein fast heimatliches In-
teresse angezogen habe.
Das Buch ist mit einer ganz besonders anzuerkennenden
Sachlichkeit geschrieben, die sich in größter Gewiffenhaftigkeit
bemüht, der Eigenart dieses uns noch so fremden Volkes
näher zu kommen, einer Sachlichkeit, die aber nicht dürre
Zahlen und Tatsachen und Geschichte der Dynastien bietet,
sondern die vor allem die kulturgeschichtliche Ent-
wicklung Chinas hervortreten läßt.
Man könnte auch hier sagen: Wie klein ist doch die
Welt! Wir stellen uns die chinesische Kulturentwicklung
&*0L 73 NSSL.
wohl immer noch als eine von der abendländischen Kultur»
entwicklung völlig abgeschlossene vor- Und wir sind ganz
erstaunt, in Schülers Buch den Nachweis zu finden, daß
diese so eigenartige chinesische Kultur gerade in entscheidenden
Zeitperioden vom Westen her stark beeinflußt worden, daß
schon zur griechisch-römischen Zeit das Samenkorn abend-
ländischer Kultur durch heiße Wüsten hindurch nach dem
Osten getragen worden ist. Das ist nicht nur ein Ver-
gleich, sondern auch buchstäbliche Wirklichkeit. In den ersten
beiden Jahrhunderten vor Christus wanderten der Wein-
stock und der Walnußbaum aus dem Römerreich über
Parthien nach China, während andererseits chinesische Seide
römische Frauen schmückte, weshalb im Latein China den
Namen Lsrioa,. Land der Seidenleute erhielt. Auch schon
frühzeitiger christlicher Einfluß, aber auch die Kultur der
großen arabischen Ka-
lifate vermittelte später
zwischen dem Westen und
Osten. Von hier aus
wird es verständlich, daß
die uns heute vor Augen
stehende und seit Jahr-
hunderten schon andau-
ernde Erstarrung der so
bedeutsamen chinesischen
Kultur dann eintreten
mußte, als sie sich vom
14. Jahrhundert an im
Gefühl ihrer Überlegen-
heit über die westliche
Kultur von dieser völlig
absperrte.
Meisterhaft versteht
es der Verfasser, die
ganze Eigenart dieses
Volkes zur Darstellung
zu bringen. „Diese
Eigenart kennzeichnet sich
in dem Sinn für feste
Formen und Ordnun-
gen, für Maß und Sitte
in allen Beziehungen und
Äußerungen des Lebens,
für Einfügung des Ein-
zelnen in den Organis-
mus des Ganzen in Fa-
milie und Staat, für
pietätvolle Achtung des
von den Vätern über-
lieferten Besitzes."
Ja. mit einer gewissen
Wehmut sehen wir den
Kammerherr Karl ñtto von der Malsburg.
AuS Hridrlbach, Deutsche Dichter und Künstler in Eschebcrg.
Marburg <N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung). 3 M.. geb. < M.
Verfasser die allerneuste Entwicklung dieses Volkes verfolgen,
in der es bestrebt ist, mit Sturmeseile nach Ähnlichkeit der „ja-
panischen Schnellbleiche" die Errungschaften westlicher Kultur
vor allem ihre Kanonen und ihre Maschinen sich anzu-
eignen. in der eS geneigt ist, die Grundlagen der eigenen
Kultur preiszugeben. Wir müsien deshalb mit dem Ver-
fasser diese Entwicklung bedauern, weil aller Kulturfort-
schritt nur dann ein gesunder ist. wenn die Verbindung
mit dem Gesunden der Vergangenheit gewahrt ist. Es ist
eins der wichtigsten Resultate des Schülerschen Buches:
China muß einen Neubau errichten, aber die guten Bau-
steine des alten Fundamentes seiner Kultur darf es dabei
nicht preisgeben. So find wir von hier aus zu dem Haupt-
inhalt des Buches gelangt, der gerade der neueren und
neuesten Geschichte Chinas gewidmet ist. Jene Schreckens-
tage von Peking im Juni 1900. da unser deutscher Ge-
sandter Freiherr von Ketteler unter Mörderhänden zu-
sammensank. stehen wieder anschaulich vor der Seele. Schüler
schöpft hier aus Quellen erster Ordnung, auch von chinesischer
Seite. Wir hören hier zum ersten Male, welch einen ge-
waltigen Einfluß die Kaiserinwitwe als Herrscherin des
Riesenreiches die letzten fünf Jahrzehnte seiner Geschichte gehabt
hat. Schüler sagt von ihr. daß sie zu den bedeutendsten
Persönlichkeiten gehöre, die auf dem Drachenthrone saßen.
Gerade in der Reformzeit nach 1900 bewährte sie zwei der
wichtigsten Herrschereigenschaften: das Verständnis für die
Forderungen der Zeit und die Bereitwilligkeit, in der Durch-
führung dieser Forderungen auf eigene Wünsche und Rechte
zu verzichten.
Noch ist ja die neueste Entwickung Chinas als Republik
nicht abgeschlossen. Aber das ist doch äußerst interessant
zu beobachten und als Vergleich für unser Volk sehr lehr-
reich: In demselben
Augenblick, in dem die
republikanisch- sozialisti-
ichen Ideen in China den
Sieg gewinnen.^regt sich
einerseits der eine mReiche
immer wieder gefährliche
politische Partikularis-
mus der Provinzen und
fallen andererseits die
nur lose mit dem Reichs-
ganzen verbundenen Ge-
biete wie Tibet. Türke
stau und Mongolei vom
Reichsganzen ab um
unter englischen bzw. rus-
sichen Einfluß zu kom-
men. Sobald also eine
feste Zentralgewalt fehlt,
auch wenn sie voller
Gebrechen war. kommt
durch beide genannte Er-
scheinungen das Reichs-
ganze in Gefahr. So
hat's einst vor Jahrhun-
derten auch Deutschland
erlebt, als beim Sinken
der Kaiserlichen Gewalt
immer mehr wertvolle
Bestandteile wie z. B.
Holland, die Schweiz vom
Reiche sich loslösten. Ob
es nicht wieder eintreten
würde wenn eine re-
volutionäre Bewegung
unsere Staatseinheit
untergraben würde und
der Partikularismus der Stämme sein Haupt wieder erheben
würde? So muß uns die Geschichte eines fremden Volkes
zur Lehrmeisterin für uns selbst werden. Aber davon auch
abgesehen ist es genug, was dieses Volk selbst in seiner
Eigenart uns zu sagen hat. Darum seien des Verfassers
herrliche Schlußworte hier angeführt:
Chinas Volk und Kultur stellt in vielfacher Hinsicht
unter den Typen der Menschheit eine hervorragende uns
noch viel zu wenig bekannte Eigenart dar, die eine
unerschöpfliche Fundgrube für die Beobachtung und das
Studium bietet. Und noch viel zu wenig haben wir uns
die Tatsache zum Bewußtsein gebracht, daß daS chinesische
Volk den vierten Teil der ganzen Menschheit ausmacht.
DaS besagte nicht viel, so lange China eine Welt für sich
war. Nun aber ist die chinesische Mauer gefallen. Orient
und Okzident find nicht mehr zu trennen, daS chinesische
Volk tritt aus seiner Abgeschlossenheit hervor, und so wird
WKib 74
die Art seiner Entwicklung künftig von beträchtlichem Ein-
fluß auf jdie Menschheitsgeschichte als Ganzer sein. Da
vereinigt sich für uns Pflicht und eigenes Interesse, daß
wir nicht gleichgültig außerhalb diese- lebendigen Stromes
der Weltentwicklung stehen bleiben und nicht anderen allein
es überlassen, die Brücken fruchtbarer Beziehungen hinüber
und herüber zu schlagen. China ist offen, nun seien
wir nicht verschlossen!
Hier also mit zu arbeite»«, ist heute ernste Pflicht auch
um der Zukunft unseres eigenen Volkes willen. Nicht nur
unsere Marine, nicht nur unser Handel, nicht nur unsere
Mission haben draußen im Osten große Aufgaben zu er-
füllen, auch die Arbeit der Gelehrten hat auf die Zeichen
der Zeit zu achten.
Möge der Wunsch des Verfassers, daß seine Arbeit zur
Förderung solcher Einsicht und solchen Interesses einen
Beitrag liefere erfüllt werden, vor allem aber möge die
weitere Lebensarbeit unseres hessischen Landsmannes für
dieses wichtige Gebiet von immer größerer Bedeutung werden.
I. Fenner.
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Gedichte von Heinrich 6utberlet.
Frie5ensset)nsud)t
IDas Klagst du, irrende Seele?
Schlaf', es ist Dämmerzeit.
Cs öffnet ihre Tore
Die stacht schon weit und breit.
Da zielm in dichten Scharen
Die müden Pilger zu.
Und all' die Sturmesmogen
Deckt stille Isteeresruh.
Und in die Tiefe sinket
Des Tages Tast und Teid —
was klagst du, irrende Seele?
Schlaf', es ist Dämmerzeitl -
Mädchenklage.
Du graue, unendliche Nacht,
ich hab' deine Schauer genossen,
stls meinend im Dett ich gemacht,
nis die Tränen so helft geflossen
Um ihn, der nimmer kam.
Der mich ins Teid gesenket.
Der mich so tief gekränket.
Mir Ruh und Trieben nahm,
ich mag das Ticht nicht sehen,
ich muft im elend gehen,
in elend, 6ram und Not —
v hätte längst der Tob
erlösung mir gebracht —
Komm, süfte, unendliche stacht! -
Dragoner.
Dragoner reiten aus ins Teid.
wie lacht so froh die Trühiingsmeit!
Die Tähnlein flattern hoch im wind,
fuchhe, da ist kein Mädchen blind!
Dragoner!
im Zug die Rosse miehern hell,
stls ging's, fürmahr, zum Schiachtappell!
ein jeder Mann ein Held von Stahl,
Und jeder blick ein Zauderstrahl.
Dragoner!
Die Tenster fliegen auf im stu.
Manch Mägdlein winkt den Reitern zu!
Don Haus zu Haus geht's wie ein Blift,
Hurra, mein Hans, mein Karl, mein Trift! -
Manch heifter Gruft hinauf, hinab.
Und melier geht's im kurzen Trab.
Dragoner!
Und vor dem leftten Tenster steht
Mit roten Bugen Margaret
Und seufzt und seufzt und meint so still,
was sie nur hat, was fle nur will?
Und als der Reiterzug entschwand.
Starrt fle Hinaus wie festgebannt.
Dann schluchzt sie auf - ein Sehnsuchtsschrei! -
»er zog vorbei! - kr zog vorbei!«
Dragoner!
--------------------
vom Kasseler Hofihealer.
Nicht nur auf gesellschaftlichein Gebiete und im Reich
der Mode ist der .Snob* tonangebend geworden. Man
könnte mit freundlichem Lächeln an ihm vorübergehen und.
da man gewöhnlich andere, wichtigere Dinge zu tun hat,
ihn milde ignorieren, mühte er sich nicht auch im Reiche
der Literatur und der Kunst seine Herrschaft auszuüben.
Er geht an den klassischen und modernen Werken von wirk-
lichen Meistern verachtend vorbei und gerät vor den un-
verständlichen Schmarren der Futuristen und Kubisten in
helle Verzückung. Er zuckt über Schillers bewegendes
Pathos geringschätzig die Achseln und begleitet das Ge-
stammel und die künstlerische Impotenz selbstbewußter
.Neutöner* mit schallendem Applaus. Er hebt heute un-
verständliche Mystik auf den Schild, um morgen laszive
Nackttanzereien als Gipfel der Kunst zu prokla,nieren. Er
hat uns nacheinander Präraphaeliten. Naturalisten. De-
kadente. Nruromantiker als Inbegriff dichterischer Genialität
ausschwätzen wollen. Die Gesetze des Kontrapunkts, der
klare Fluß der Melodik find ihm ein Greuel; Diffonanzen
müssen unser Ohr zerreißen und das dreifach besetzte Orchester
muß, jede seelische Sammlung störend, unsere Hingabe,
unsere Anteilnahme zerstreuen, zerreißen. Der .Snob*
hat eine große Gemeinde. Die .Kreise von Bildung und
Besitz* wagen nicht zu gestehen, daß der Kaiser gar nichts
anhabe. Sie bewundern heuchlerisch seine glänzenden Kleider.
Als Mozart seine .Zauberflöte* schrieb, brauchte er nicht
tausend geschwätzigen Interviewern seine eigene Bedeutung
und seines Werks tiefgründige Absichten marktschreierisch
WfgiL, 75
zu entwickeln. Auch «Faust" und „Egmont" „Wallenstein"
und .Teil" „Emilia Galotti" und .Minna von Barn-
Helm" find nicht in Vorträgen und «Einführungen" vor
der Aufführung dem Verständnis deS Publikums anpreisend
„nähn gebracht" worden. Heute gellen uns die Ohren von
den Tam-Tam-Schlägen der Reklame. Und nicht den Be-
urteiler erwartet da« neue Werk auf den Brettern, sondern
den kritiklosen Bewunderer
Mit erfreulicher Eile hat das Hoftheater dem Helden
und Genie der Tage« und feinem neuesten Werk „Ariadne
auf NaxoS" die Pforten geöffnet
Wie war es doch, als Wagner das Kunstwerk der Zukunft
verkündete? Sollte da nicht „das Kunstwerk die lebendig
dargestellte Religion sein" ? Sollte seine Form nicht die
höchste Vereinigung redender, bildender, musikalischer Kunst
darstellen, sein Inhalt von unvergänglich dauerndem mensch-
lich-göttlichem Wert sein? Und heute? Wie die Araber
den ägyptischen Statuen die Nasen abschlugen, hat Hoff-
mannsthal zuerst den Sophokles verstümmelt. Jetzt muß
Moliöre daran glauben. Wer wird das nächste Opfer
sein? Moliöres „Bourgeois gentilhomme“ ist sicherlich
nicht des Dichters Meisterstück. Aber in dieser Verspottung
würdelosen Strebertums liegt so viel scharfe Beobachtung,
so starke Menschenkenntnis, so wirklichkeitstreue Charakteri-
stik, daß das Stück auch in unserer „fortgeschrittenen" Zeit
noch der Anteilnahme, und nicht nur der Literaturfreunde,
sicher sein kann. Wobei dann nur noch zu fragen wäre,
ob wir wirklich so viel weiter gekommen sind und es gar
keine bürgerlichen Streber ä la Jourdain mehr gibt?
Dieser hat sich unter Hoffmannsthals Dichterhand aller-
dings sehr geändert. Bei aller seiner Torheit, seinem
Narrentum, seinem absoluten Mangel an Selbstgefühl
hatte er einen feinen rührenden Zug. Senkte sich der Vor-
hang über dem Getäuschten und Betrogenen so gehörte
ihm ein wenig unseres Mitgefühls und unserer warmen
Anteilnahme. Dieser Jourdain hat nur die täppischen,
burlesken, proletifchen Seiten feines Urbilds. Hat sie in
karikaturistisch vergröbertem Maß. Von der „Großheit"
— „da er die Menschen züchtige, indem er sie in ihrer
Wahrheit zeichne" —. die Goethe dem Moliöre zuerkannte
und die wir auch im „Bourgeois" spüren, ist kein Atom
übrig geblieben. Unseren Künstlern, die dazu verurteilt
sind, an diese burlesken Aufgaben ihr Können zu setzen,
können wir nur anteilnehmend unser Beileid ausdrücken
Moliöre hatte auf den Geschmack seines königlichen Mäzens
Rücksicht zu nehmen. Seinem „Bourgeois gentilliomme"
folgt deshalb, wie anderen feiner Stücke, auch ein Ballett.
Hoffmannsthal läßt seinen Jourdain eine Oper, die
„Ariadne", und ein heiteres „Nachspiel mit Tänzen": „Die
ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber" bestellen und
anordnen, daß beide Stücke gleichzeitig gespielt werden.
Wir erhalten dadurch ein seltsames Gemisch aller möglichen
Kunstarten: Oper. Posse, Operette, Burleske!
Oper und Tanzmaskerade greifen ineinander über, lösen
sich ab, verschmelzen sich, bis Ariadne von Bacchus entführt
wird und Zerbinetta mit ihren Liebhabern siegend davontanzt.
Jourdain und seine Gäste haben der Ausführung beige-
wohnt. Der Gastgeber ist eingeschlafen. Als er erwacht,
hat sich sein gräflicher Freund mit der angebeteten Mar-
quise heimlich entfernt und der Betrogene kann nur noch
in einer Rede an das Publikum versichern, daß er seiner
Torheit treu bleiben werde . Und man fragt sich ver-
wundert. Ist das derselbe Hoffmannsthal, der einst jeder
feinsten Regung seiner Seele lauschen, alle Fibern ge-
heimsten Fühlens abtasten konnte und dadurch seinen
Werken Stimmungen — meist lyrisch - elegischer Art —
von lang nachhallender Wirkung gab? Nur in der
„Ariadne^ sind einzelne Stellen von dichterischer Schönheit,
die an i h n gemahnen. Sonst wirkt er mit grobkörnigen
Mitteln. Jedenfalls aber ist es ein Novum, daß eine
Oper sich über Komponisten. Oper und Publikum lustig
macht und daß man im Zuschauerraum das deutliche
Empfinden hat. man werde ein paar Stunden lang ver-
höhnt.
Zu diesem Konglomerat von Stilen hat Strauß die
adäquate Musik geschrieben. Librettist und Komponist
stimmen diesmal völlig zusammen. Eins aber sei gleich
vorweggenommen: Das Werk enthält zahlreiche hohe Schön-
heiten. Dieses Mal ist das Orchester nur mit sechsund-
dreißig Personen besetzt. Dem Klavier ist eine Haupt-
aufgabe zugewiesen. Harfe, Harmonium und Celesta wirken
mit. Hier zeigt der Komponist seine Gabe zur Bereicherung
der Technik der neuen Musik. Klangschönheiten von eigen-
tümlicher tiefgehender Wirkung weiß er hervorzuzaubern.
In der musikalischen Beigabe zu dem Moliörefchen Lust-
spiel kommt feine humoristische, tonmalende, zuweilen
karikaturistische Ader zur erfreulichsten Geltung. In der
Ariadneoper erhebt er sich in dem Duett zwischen Bacchus
und Ariadne zu erhabener Größe und die Quintette der
Harlekinade prägen sich mit ihrer außerordentlichen Anmut
dauernd dem Gedächtnis ein. Auf der Höhe seiner
Schöpfung, in der Bacchusszene, vergißt Strauß übrigens
selbst, daß das Ganze nur ein dem Jourdain vorgespielter
Ulk ist. Die von der Decke der Bühne herabhängenden
Lampen verschwinden, oben wölbt sich plötzlich der Sternen-
himmel und im Hintergrund rollt majestätisch das Meer.
Keine der einzelnen Schönheiten aber vermag uns dauernd
zu feffeln. In die getragenen Klagen der Ariadne hinein
tönen die Bouffonnerien der Tanzmaskerade, wie schon im
Lustspiel dicht auf die Ariette der Sängerin Jourdain«
grobe Melodie folgte. So wird unsere Anteilnahme nach
allen Seiten gerissen; kein Ruhepunkt gesammelten Ge-
nießen«, kein tiefes Versenken wird uns verstattet. Hat
Ariadne« Klage unser Herz zu rühren begonnen und unser
Ohr mit Wohllaut gefüllt, ertöntJourdains rauhe Stimme,
die die Oper für langweilig erklärt. Und daß wir ja
immer daran erinnert werden, e« sei ja gar nicht Ariadne,
die klagt, und die ganze Sache sei nicht ernst gemeint, es
stehe vielmehr nur eine Sängerin da. die aus Jourdains
Befehl die Ariadne mimt. — müssen immer wieder Zer-
binetta und ihre Liebhaber ihre Improvisationen da-
zwischen werfen. Es ist geradezu, als sollte unser neu-
-rasthenifches Jahrhundert seinen musikalischen Ausdruck
finden. Und da kommt der Snobismus und verlangt
von uns. wir sollten diese Schöpfung geradezu als daS
Kunstwerk verehren! Man könnte zornig werden, daß
eine Schar geräuschvoller Bewunderer und Fanfarenbläser
eizirn Mann wie Strauß so sehr in Selbftgerechtigkeit ge-
taucht und um jede Selbstkritik gebracht hat. Er, der eine
wundervolle Oper „Ariadne" ein heiteres musikalisches
Lustspiel und eine Harlekinade hätte schreiben können, hat
durch die unselige Verquickung ein Werk zustande gebracht,
das. wenn nicht alles trügt, trotz des Lärms seiner Freunde
bald im Theaterarchiv verschwinden wird. Denn souveräner
Richter ist allein das Publikum. Es hat auch anderswo
die Oper lau aufgenommen, trotzdem es vorher mit un-
ermüdlicher Beharrlichkeit bearbeitet worden war. «Das
Publikum ist noch nicht reif" hieß es ba, „in vierzig
Jahren wird es das Werk bewundern." Für Kaffel scheint
dieser Zeitraum etwas kurz bemessen, wenn man die kühle
Haltung bedenkt, die die das Theater füllende Menge ein-
nahm . .
Die Regie des Herrn Hertzer hatte mit vorzüglichem
Gelingen ihres schwierigen Amtes gewaltet. Sie hatte
reizende Szenenbilder geschaffen und mit hervorragendem
Geschick jede feinste Nuance zur Geltung gebracht. Die
Theaterleitung hat tief in den Geldbeutel gegriffen und
eine Ausstattung von verführerischer Pracht geboten. Will
WMÍ6 76
man gerecht sein, muß man auch dankbar des Anteils ge-
denken den Herr Oberinspektor Waßmuth und Herr
Maler Sterra an der Bereitung dieses Augenschmauses
hatten.
Herr Professor Beier leitete die Aufführung mit voller
Hingebung und feinsinnigem Verständnis. In der angeb-
lich Moliöreschen Komödie entfaltete Herr Jürgensen
seine prächtige Charakterisierungskunst, die die Schalheit
der Handlung nicht nur erträglich machte. sondern sogar
warme Heiterkeit auszulösen vermochte. Er fand denn auch
verdientermaßen die laute Anerkennung des Hauses.
Frl. Storm wäre eine famose, neckische, übermütige
Zofe. Herr Alberti ein weltmännischer Dorantes, während
die Herren Berend. Pickert. Bohn6e Strial Eberle
ihre komischen Rollen mit bestem Gelingen spielten. Frl.
G y p e n als Marquise war etwas farblos. Frl. Griebe
gab die Frau Jourdains charakteristisch wieder.
Die beiden Akte, in die das Molwresche Lustspiel bei
Hoffmannsthal zusammengeschrumpft ist. hatte mau übrigens
Der Schorgehof u
Eine Geschichte aus dem kurfürstlichen
4.
Bald nachher pachtete der Heinrich in einem etwa
drei Stunden entfernten Dorfe eine Wirtschaft, und
feine Mutter, die Elisabeth, zog bis aus weiteres
zu ihm, um dem Unverheirateten etwas anzuhelsen.
Eines Abends kam es in der großen Gaststube zwischen
einer Anzahl erhitzter, halbbetrunkener Menschen zu
einer wütenden Schlägerei. Ob nun die Elisabeth
die streitenden Männer hat auseinander bringen
wollen, oder wie es sonst zugegangen ist kurz sie
bekam einen Schlag aus den Hinterkopf und fiel
für tot hin. In dem Dorf erzählte man sich des
weiteren, die Verletzte sei von dem herbeigerufenen
Arzt unsachgemäß und fahrlässig behandelt worden
und deshalb gestorben. Ich selber bin nicht in die
Lage gekommen nachzuprüfen, ob und inwieweit
dieses Gerücht begründet gewesen ist. Ich begnüge
mich deshalb mit der Feststellung der Tatsache, daß
die Elisabeth, Schorgs Tochter in so tragischer
Weise, fern ihrem Heimatdorf und fern dem Hos
ihrer Väter, aus dem Leben geschieden ist. Ob der
Hintritt seiner Frau und die Art, wie er erfolgte,
aus den Hannkurt irgendwelchen Eindruck machte?
Kaum. Wenigstens war aus seinem weiteren Ge-
baren nichts derartiges zu erschließen. Er über-
warf sich jetzt auch völlig mit seinem zweiten Sohn,
dem Hann, so daß dieser ihn gleichfalls verließ und
sich aus einem Nachbardors bei Verwandten unter-
brachte. Eines Tages freilich mußte er wieder ein-
mal aus dem väterlichen Gehöft erscheinen, um in
Gegenwart des Amtmannes, des Aktuars und des
Gerichtsdieners, natürlich auch einer Anzahl Unbe-
rufener, darunter meiner kleinen Person, eine Art
Gastrolle zu geben. Er mußte von der Hofseite her
noch stark zusammengestrichen. Aber es war auch so noch
lang genug.
Frl. v. d. Oste n die die Titelpartie der Oper lang,
brachte die Klage der Ariadne ihre Todessehnsucht und
die Szene mit Bacchus zu tief wirkendem Ausdruck. Frl.
H o f a ck e r bewältigte ihre überaus schwierige Aufgabe mit
außerordentlichem Geschick. Die ungeheuer schweren Kolo-
raturen gelangen ihr sehr gut. Ihr Spiel war graziös
und anmutig. Herr Windgassen ward offenbar durch
eine starke Indisposition gehindert, seiner Aufgabe gerecht
zu werden. Das Harlekinquartett der Herren Groß
Warbeck. Bertram. Korell wirkte ausgezeichnet, Frl.
Bake lNajade). Frl. Herper (Dryade). Frau Sedlmaier
(Echo) boten Erfreuliches. Wenn man all dies ehrliche
Mühn. dieses hingebungsvolle Streben schaut gestellt in
den Dienst dieses extravaganten Werkes, da fällt einem
Platens Frage ein „So viel Arbeit um ein Leichen-
tuch?"
H. Blumenthal.
----
nd sein Untergang.
Oberhessen. Von Heinrich Franz.
-ß.)
an eins der Fenster der Durchfahrt eine lange Leiter
anlegen, hinaufsteigen, durchs Fenster kriechen, kurz
vormachen, wie er es angestellt hatte, um seinem
Vater die Würste und Schinken zu stehlen. So
weit war es ja tatsächlich schon längst gekommen,
daß die Kinder den eignen Vater, wo sie nur konnten,
bestahlen. Angesichts solcher greulichen Entwickelung
der Dinge im Schorgehof fragten sich nachgerade
alle Verständigen im Dorf mit wahrer Besorgnis
„Wann kommt dem Wesen das Ende und welcber
Art wird es sein?" Nun, das Ende kam schnell,
und es war, wie zu befürchten stand, ein Ende mit
Schrecken. Es war im Frühsommer, das Getreide
zum kleineren Teil bereits aus Haufen, alle Hände
draußen auf dem heißen Acker, da hatte der Hann-
kurt wieder einmal in trunkener Wut alles aus dem
Gehöft vertrieben, während er seinerseits nun schon
Tage lang, zumal gegen Abend, tobte und schrie.
Ich selber war an dem Schicksalstage, über dessen
Verlauf ich nun zu berichten habe, wie alltäglich
mit einer älteren und einer jüngeren Schwester schon
vor acht Uhr hinaufgewandert nach dem etwa eine
halbe Stunde entfernten Schuldorse. Wir waren
mitten im Unterricht, als mir gegen Halbelf Uhr
mein scharfes Gehör eine ungewöhnliche Bewegung
aus der Straße ankündete. Dann eilte jemand die
Schultreppe heraus, und im unmittelbaren Anschluß
wurde, wie von einer Petarde gesprengt, die Tür
des Schulzimmers aufgerissen. In der Türöffnung
erschien ein etwas verwildert aussehender Mann des
Schuldorses, starrte uns einen kurzen Augenblick
mit weit aufgerissenen Augen an und schrie dann
ohne weiteres „In H. brennte !" Die Wirkung
dieses Rufes war eine außerordentliche. Meine
Schwestern und alle anderen Mädchen aus meinem
Heimatdorf erhoben sofort ein lautes Jammergeschrei,
aber auch die übrigen Kinder drängten ohne besondere
Weisung der Türe zu. Der Lehrer, ein noch jüngerer,
unverheirateter Mann, setzte dem auch keinen Wider-
stand entgegen, sprang vielmehr seinerseits durchs
Fenster und rannte über den Kirchhof hinweg gleich-
falls dem bedrohten Dorfe zu. Wir unsrerseits,
unterwegs von der scharf zufahrenden Spritze des
Schuldorss überholt, liefen uns natürlich schier außer
Atem. Einigermaßen erstaunt waren wir, als wir
beim ersten Blick aus unser Dorf kein Feuer, nicht
einmal Rauch wahrnahmen. Am Eingang zum Dorf
schon erfuhren wir den Sachverhalt: der wilde
Hannkurt hatte sich, nach-
dem er offenbar vorher Feuer
gelegt, erhängt, das Feuer
war aber bereits gelöscht.
Uns Dorfjungen fiel bei
diesem kurzen Bericht eine
Zentnerlast vom Herzen.
Dagegen meinte einer unsrer
Begleiter aus einem der
Nachbardörser entrüstet:
„Was? Nun bin ich da
'runter gelaufen, und noch
nicht einmal ein ordentliches
Feuer?" Uns verdroß die
unsrem Dorf so abholde Rede
des Knoten ungemein, und
es fehlte wenig, so hätten
wir ihm eine Tracht Prügel
verabfolgt. Was uns davon
abhielt, war wohl die Begier,
Näheres über das unser Dorf
angehende schlimme Doppel-
ereignis zu erkunden. Wir
erfuhren auch das Nötige,
natürlich nicht in der Folge,
wie ich es der Ordnung halber hier erzähle. Am
Morgen, schon gegen acht Uhr, war ein Müllersuhr-
werk aus dem meinem Heimatdorf nächstgelegenen
Seitental der Lahn erschienen, um Mahlfrucht ein-
zuholen. Der Schorgehof gehörte zu seiner Kundschaft.
Da der Hannkurt selbst in seinem schlimmen Zustand
für Dorffremde noch zugänglich zu sein pflegte, trug der
Müller, der überdies ein äußerst handfester Mann war,
kein Bedenken, das verfemte Haus zu betreten. Er
wurde auch nicht ungnädig ausgenommen und saß
sogar einige Zeit redend und trinkend mit dem tollen
Hannkurt zusammen. Dann entfernte er sich mit der
Bemerkung, er werde nach Erledigung seiner übrigen
Geschäfte im Tors noch einmal vorsprechen. Nach
etwa dreiviertel Stunden war er wieder zurück. Da
er seinen Mahlgast im Erdgeschoß nicht antraf, ging
er rufend die Treppe hinaus in den Oberstock. Die
dortigen Zimmer waren gleichfalls leer, so daß der
Müller die Tür zu dem großen Zimmer über der
Durchfahrt öffnete. Auch hier bemerkte er beim Ein-
treten zunächst nichts. Als er aber schräg rückwärts
gehend an etwas stieß und sich nun hastig umwandte,
sah er den Hannkurt am Strick baumeln. Voll
Schrecken stürzte er die Treppe hinunter und ver-
ständigte die in der Nähe befindlichen beiden Kinder,
sowie Knecht und Magd. Diese überzeugten sich
wohl von der Richtigkeit der Erzählung, indes den
alten Sünder abzuschneiden, fiel — unheimlich zu
sagen — nicht einmal den beiden Kindern bei. Sie
ließen ihn vielmehr hängen und gingen — alle
wohl mit dem Gefühl „gut,
daß er endlich weg ist" —
wieder hinunter und ihren ge-
wöhnlichen Beschäftigungen
nach. Etwa eine Viertel-
stunde draus trafen meine
Mutter und eine Nachbarin
vor ihren einander gegen-
überliegenden Gehöften zu-
sammen, beide im Begriff,
den Erntearbeitern das Früh-
stück hinauszutragen. Indem
sie nun am Schorgehos vor»
übergingen, widmeten sie
diesem, noch erregt von der
unlängst erhaltenen Nach-
richt, größere Aufmerksam-
keit als gewöhnlich und sahen
ziemlich gleichzeitig, daß
unter allen Ziegeln des
Hauses Rauch hervorquoll.
Erschreckt fragten sie in der
Küche des Schorgehoss nach,
-und als sie feststellten, daß
hier gar kein Feuer mehr
brannte, schlossen sie sofort, daß im Dachstuhl ein Feuer
im Ausgehen begriffen sei. Unsre Nachbarin eilte in-
folgedessen unverzüglich zum Bürgermeister, um diesen
zu benachrichtigen, meine Mutter nach dem Ernteseld,
um die dort Arbeitenden herbeizurufen. Zum Glück
war in dem betr. Jahr das Winterseld ganz nahe am
Dorf, so daß die durch den Feuerrus Aufgeschreckten
schnellstens zur Stelle waren. Während sich mein
ältester Bruder auf ein Pferd warf, um mit kürzestem
Verzug die Spritze des Kirch- und Schuldorfs herbei-
zuschaffen, drangen die übrigen in das Haus. Sie
fanden den auf dem Speicher lagernden bedeutenden
Flachsvorrat in hellen Flammen. Zum Glück war es
bereits gebrochener Flachs, der naturgemäß lange ge-
schwelt hatte. Wäre es gedörrter ungebrochener Flachs
gewesen, so würde man höchst wahrscheinlich den Brand
Henriette von der Malsburg (Iugendbildnis).
Aus Heidelbach, Escheberg.
78
erst gleichzeitig mit den ausbrechenden Flammen
wahrgenommen haben. Wie glücklicherweise die Sache
stand, gelang es der angestrengten Löscharbeit, die
Brunst wieder zu dämpfen, nur eine Anzahl Sparren
und Dachbalken war stark angekohlt. Natürlich war
nun das Schorgehaus, auch das Zimmer, in dem der
alte Sünder an seinem Strick hing, voller Menschen.
Ich sür meinen Teil habe den widerwärtigen An-
blick des Erhängten auch gehabt. Er hat mich mit
tiefem Grauen erfüllt, noch Wochen lang mochte ich
bei Dunkelheit nicht allein hinaus oder gar in die
Nähe des gräßlichen Hauses, selbst in meinen Träumen
ängstigte mich das wahrhaft abscheuliche Bild. Wäh-
rend der kurzen Zeitspanne, die ich in der Nähe
des Selbstmörders zubrachte, erlebte ich überdies
einen Vorgang, der mich damals mit wahrem Ent-
setzen erfüllte und auch heute noch die stärkste Ent-
rüstung in mir wachruft. Unter den vielen Menschen,
die in dem Zimmer waren, befand sich auch ein noch
jüngerer unverheirateter Mann aus einem Nachbar-
dorf, dessen Schwester in eins der Gehöfte meines
Heimatdorfes eingeheiratet hatte. Ich kann es danach
wohl verstehen, daß dieser dem alten Sünder, der
auch das Anwesen seiner Schwester bedroht hatte,
grollte. Wenn er aber jetzt unter dem Ruf: „du ver-
dammtes altes Aas!" dem Erhängten einen heftigen
Fußtritt versetzte, so daß der elende Kadaver sich
mehrmals an seinem Strick um die eigne Achse drehte,
Aus Heimat
Hessischer Ge schichtsverein. Am 17 Februar
sprach in der Monatsversammlung des Ka sseler Ver-
eins der bekannte Verfasser der Geschichte Lichtenaus,
Obertelegraphensekretär S i e g e l, über die h e s si s ch e n
Land- und Garnison-Regimenter. Wir
werden auf den gediegenen Vortrag noch eingehender
zurückkommen. _______________'
Fuldaer Geschichtsverein. In der Monats-
versammlung des Fuldaer Geschichtsvereins am 19. Fe-
bruar 1913 hielt Lehrer H a ck zu Petersberg einen
Vortrag über das Thema „Ausgestorbene und
imAussterben begriffene Sitten undGe-
bräuche der Fuldaer Landbevölkerung."
Redner gab in ausführlicher Weise ein charakteristisches
Bild der Fuldaer Bevölkerung in der „guten alten
Zeit" bei gewissen Anlässen. Der vordringenden
Industrie mußten auch viele alte Sitten und Ge-
bräuche weichen, und so finden sich heute nur noch
wenige vor.
Marburger Hochschulnachrichten. Zur
Jahrhundertfeier der Befreiungskriege ging am 20. Fe-
bruar in den Stadtsälen vor dem Lehrkörper der
so habe ich das schon damals als eine wahrhaft
empörende Roheit empfunden. Wann, wie und an
welcher Stelle des Kirchhofs man den Selbstmörder
eingescharrt hat. weiß ich nicht, ich habe keinerlei
Neigung verspürt, mich darum zu kümmern. —
Was sollte nun aus dem Schorgehos werden?
Der Hann, der zweite Sohn, war, um sich der ihm
zuerkannten Gefängnisstrafe zu entziehen, schon seit
Jahresfrist heimlich nach Amerika ausgewandert.
Seine Schwester Katharina wollte ihm demnächst
dorthin folgen. Sollte nun etwa der Heinrich den
Hof übernehmen? Das wäre ein in jeder Hinsicht
aussichtsloses Beginnen gewesen. Oder der noch
unmündige Johannes? Das ging erst recht nicht.
So beschlossen die Geschwister den Verkauf. Dank
der Energie eines Dorsinsassen wurde der direkte
Käufer die Gemeinde, die dann die Gebäude auf
Abbruch verkaufte und die Gärten, Äcker und Wiesen
aus die Dorsinsassen verteilte. Die Hosstätte ist
heute zum Teil mit neuen, zu den beiden Nachbar-
gehöften gehörenden Gebäuden besetzt, eine Straße
führt mitten hindurch. Wenige nur wissen noch
etwas von den alten, nun ein halbes Jahrhundert
zurückliegenden bösen Geschichten, noch ein weiteres
halbes Jahrhundert, und der Schorgehos und seine
Schicksale werden völlig in das Meer der Vergessen-
heit untergetaucht sein.
----------
und Fremde.
Universität und der Studentenschaft das fünfaktige
vaterländische Festspiel „Aus eiserner Zeit" von
Geheimrat Pros. Dr. Th. Birt in Szene und fand
stürmischen Beifall. Am folgenden Abend fand
aus dem gleichen Anlaß ein großer studentischer
Kommers statt. — Dem früheren langjährigen
Ordinarius an unserer Universität Geheimrat Pros.
Dr. Edward Schröder in Güttingen wurde der
Kgl. Kronenorden 3. Kl. verliehen. — Professor
Dr.med.Leonhard Jores, ordentliches Mitglied
der Kölner Akademie sür praktische Medizin und
Direktor des pathologischen Instituts der städtischen
Krankenanstalten daselbst, hat den Ruf als Nach-
folger von Pros. Dr. Martin B. Schmidt angenommen.
— In der medizinischen Fakultät habilitierten sich:
Dr. Friedrich Kirstein mit einer Antrittsvorlesung
über „Die Beziehungen der geburtshilflichen Wissen-
schaft zu den Fragen des Hebammenstandes" und
Dr. Hans Klein schm i dt mit einer Antrittsvor-
lesung über „Die Bedeutung der Konstitution sür die
Erkrankungen des Kindesalters"
Personalchronik. Mit dem Ende dieses
Wintersemesters tritt der ordentliche Professor der
79 rwE.
romanischen Philologie an der Universität Halle-
Wittenberg, Geh. Regierungsrat vr. Hermann
Suchier, von seinem Lehramt zurück. Geboren
am 11. Dezember 1848 zu Karlshasen als Sohn des
Kaufmanns Henri Suchier, besuchte Suchier das
Gymnasium zu Rinteln und die Universitäten Mar-
burg und Leipzig, machte den Krieg 1870/71 im
32. Jns.-Rgt. mit, promovierte 1872 in Leipzig
und habilitierte sich 1873 in Marburg. Schon 1874
folgte er einem Ruf als Extraordinarius nach Zürich.
Als Ordinarius wurde er 1875 nach Münster, 1876
nach Halle berufen. An seine Stelle tritt Professor
vr. Karl Voretzsch aus Kiel. — Der zweite Bei-
geordnete der Stadt Hanau, Sanitätsrat vr. Eise-
nach, wurde von den städtischen Körperschaften in
Anerkennung seiner langjährigen Tätigkeit in den
städtischen Behörden, in denen er der Stadt hervor-
ragende Dienste leistete, zum Stadtältesten ernannt.
Erhaltung des Fuldarondels. Das in
seiner Art in Hessen fast einzig dastehende und in
seiner Bedeutung noch zu wenig gewürdigte Rondel
an der Fulda mit der anschließenden Wallmauer,
der einzige Rest des einst so prächtigen hessischen
Landgrasenschlosses, war bekanntlich nach fast dreißig-
jährigem Verschluß von mir zu Jnventarisations-
zwecken (Inventar der Baudenkmäler der Stadt
Kassel) geöffnet worden. Zu den Kosten der Öffnung
und eines dauerhaften Verschlusses gegen unbefugtes
Betreten hatte die Landesverwaltung die Mittel be-
willigt. Der hessische Geschichtsverein nahm daraus
die Gelegenheit wahr, bei der Exkursion zur Be-
sichtigung der noch vorhandenen Reste der Befestigung
an der Fulda das Innere zu besichtigen und sich
von den gewaltigen Dimensionen des Rondels zu
überzeugen.
Von Seiten des Oberlandesgerichts war die Ge-
nehmigung zum Betreten des Rondels nur aus eine
gewisse Zeit erteilt worden, nach deren Ablaus der
Zugang zum Rondel wieder zugemauert werden
sollte. Vor kurzem war nun die Frist abgelaufen,
da der Zweck der Öffnung, die Ausnahme und Ver-
messung des Innern, erfüllt war, konnte kein Ein-
spruch mehr erfolgen. In letzter Stunde gelang
es mir, den verdienstvollen Vorsitzenden des hessischen
Geschichtsvereins, Herrn General Eisentraut, sowie
Landgerichtsdirektor Herrn Geheimen Rat Schröder
für das Rondel zu interessieren. Ihren vereinten
Bemühungen ist es zu danken, daß das Rondel nicht
wieder zugemauert wird, sondern zu geeigneter Zeit,
nachdem das Innere wieder würdig und zweck-
entsprechend eingerichtet ist, einem größeren Publikum
zur Besichtigung zugänglich gemacht wird. Kaffel
wird dadurch um eine Sebenswürdigkeit reicher.
E. Wenzel.
Die Kasseler Kunstausstellung (15. Juni -i-
1. September) im Orangerieschlotz. wird von allen nam-
haften Vertretern der deutschen Kunst beschickt werden. Bi«
jetzt sind bereits, ohne die hessischen. 119 Anmeldungen
deutscher Künstler eingesandt. Die Ausstellung wird auch
den Skulpturen und besonders den Kleinplastiken sowie der
graphischen Kunst in angemessener Weise Rechnung- tragen.
Ehrung des mathematisch-mechanischen In-
stituts F. W. Breithaupt & Sohn in Kassel.
Au8 Anlaß des 159jährigen Bestehens des Instituts haben
Magistrat und Stadtverordneten von Kassel einstimmig
beschlosten, eine bronzene Ehrentafel für die Firma im Rat-
haus anbringen zu lasten.
Aus Alsfeld. Der Voranschlag für die Wiederher-
stellung der Walpurgiskirche soll sich auf 69 899 Mark
belaufen. Mit den baulichen Veränderungen wird im Laufe
des Frühjahres begonnen werden. Für dir Aufdeckung
alter Wandgemälde sind 6399 Mark vorgesehen.
Aus Hanau. Die Stadtverordneten beschloßen, für
eine Fachschule für die Diamantschleiferindustrie,
die von dem Staate hier errichtet werden soll die be-
nötigten Räume unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
Die Schule wird voraussichtlich schon Ostern d. I. eröffnet.
Naturdenkmalpflege. An dem Volksbildungs-
abend am 2. März 1913 zu Fulda, die von dem dortigen
Verein .Volkslesehalle" veranstaltet werden, hielt Professor
vr. Schäfer auS Kassel einen Vortrag über die „Natur-
denkmalpflege. besonders in Hessen." Zahlreiche Lichtbilder,
wobei das Hessenland besonders stark vertreten war, er-
läuterten den Vortrag und machten ihn wertvoller.
Die Schreibung „Bonisatius" In der
vom Langenscheidtschen Verlag herausgegebenen
„Sprachkunde" (Januar 1913) lesen wir
Weitverbreitet statt des richtigen „Bonisatius"
(woher die Kurzform „Bonisaz", wie von Ignatius
„Ignaz") war bisher und ist stellenweise noch heute
die falsche Schreibung „Bonisatius" Abgesehen
davon, daß in den alten Handschriften ti und ci
kaum oder gar nicht voneinander zu unterscheiden
sind, kam der falschen Schreibung Bonika'cius auch
die Volksetymologie zugute, die es mit ka'cors
(— „tun")zusammenbrachte Bonifä'cius — „Wohl-
täter". Aber selbst nachdem die Schreibung Boni-
fatius mit langem ä als die richtige erkannt war,
gab und gibt es noch Gelehrte, die es fälschlich ab-
leiten von katö'ri (— „bekennen")! Bonisatius —
„des Guten Bekenner", so noch in der 8. Auflage
des „Orthographischen Wörterbuches der deutschen
Sprache" von Duden (t 1911), obwohl der verehrte
Verfasser aus der von Prof. vr. H. Jansen geleiteten
Rechtschreibungskonserenz (1904—1906) der ihm
bis dahin unbekannten von Prof. Jansen mitgeteilten
richtigen Ableitung sofort beigestimmt hat. Die
beiden falschen Ableitungen übersehen vollständig,
daß — während Bonisatius erwiesenermaßen ein
langes ä hat — das a der angeblichen Stammwörter
kurz ist und daher in Zusammensetzungen zu i (oder e)
«SO
ablautet, Vgl. von fä'cio: confi'cio, von fäteor
confi'teor. Von fäcere gebildet, müßte der Name
entweder Bonitsx lauten (vgl. pontitsx) oder L8n8
t'ieu8 oder mit erweitertem Suffix Lvnek^eius, mit
fiite'ri zusammengesetzt könnte er nur 8oniki'tiu8
heißen. — Die richtige Ableitung ist die von bonum
tAtam (mit langem ü) — „gutes Schicksal", „Glück",
Bönifä'tius („dessen Schicksal gut ist" — ..der Glück-
liche") ist weiter nichts als die lateinische Übersetzung
des griechischen, u. a. in der Apostelgeschichte (XX, 9)
vorkommenden Namens J^vw/og (— „der Glück-
liche", „der sein Ziel gut erreicht hat").
„Die Handschriften des Klosters Weingarten"
von Professor Dr. Karl Löffler- Stuttgart. Unter Bei-
hilfe von Oberbibliothekar Dr. Scherer-Fulda erschien
kürzlich als Beiheft 41 des „Zentralblatts für Bibliothek-
wesen" eine auch für die Fuldaer Landesbibliothek wichtige
Veröffentlichung. Die Verfasser geben darin eine Rekon-
struktion der Sammlung des ehemaligen reichen Benediktiner-
stifts. Von 843 Handschriften, die Weingarten im 18. Jahr-
hundert besah, sind 708 heute noch nachzuweisen, davon die
Hauptmaste (531) in Stuttgart. 146 in Fulda, die übrigen
verstreut an 10 Orten. Die Beschäftigung mit den Wein-
gartener Handschriften, die der gelehrten Forschung schon
so manches wertvolle Ergebnis gebracht hat. wird durch
diese Arbeit sicher stark angeregt werden.
Eingegangen
Marburger Akademische Reden Nr.28. Th. B irt. Preußen
und der Befreiungskrieg. Gedenkworte am
kaiserlichen Geburtstag gesprochen. Angehängt: Kantate
zur Erinnerung an 1813. 30 Seiten. Marburg (N. G.
Elwert) 1913. Preis 60 Pf.
Personalien.
Verliehen r dem Archivdirektor a. D. Geheimrat Dr.
K o e n n e ck e zu Marburg das Komturkreuz 2. Klasse des
Verdienstordens Philipps des Großmütigen.
Ernanntr Gymnafialdirektor Dr. Fuhr zu Luckau
zum Direktor des Gymnasium Philippinum in Marburg;
Rechtsanwalt Hahn zu Sontra zum Notar; Gerichts-
assestor Hasse «camp zu Schlüchtern zum Amtsrichter
in Neuhof. Kreis Fulda.
In die Liste der Rechtsanwälte eingetragen Gerichts-
assestor Warnke bei dem Landgericht zu Marburg.
Geboren: ein Sohn: Buchdruckereibesitzer Georg S tö hr
und Frau Irene, geb. Baasch (Kassel, 23. Februar) ; Pfarrer
Adolf Mnnch und Frau Luise. geb. Schimmelpfeng
(Rengshausen. 2. März); eine Tochter Magistrats-
astestor Holle und Frau Else, geb.Heusmann (Spandau,
15. Februar); Rechtsanwalt Dr. Mangold und Frau
Elisabeth, geb. Gohde (Kassel 26. Februar); Oberlehrer
Dr. Fritz Pfeiffer und Frau Hildegard, geb. Jung (Han-
nover, 1. März); Pfarrer Schmid und Frau Erna, geb.
Clotz (Kühnheide. Erzgeb., 3. März).
Gestorben: Fräulein Mathilde Lichtenberg, Tochter
des kurh. Gymnasiallehrers Friedrich Lichtenberg (Neuen-
dottelsau, 16. Februar); Frau Domänenrat Gertrud Jo-
hanna Küllmer. geb. Lingelbach. 58 Jahre alt (Kassel.
19.Februar); verw. Frau Gertrude Brandt, geb. Wentzell.
83 Jahre alt (Kastei. 20. Februar); Hüttenbesitzer Ernst
Eichel aus Schmalkalden. 69 Jahre alt (Locarno, 20. Fe-
bruar) ; verw. Frau Elise L a u f f e r, geb. Henkel. 86 Jahre
alt (Kastei. 23. Februar) ; Kgl. Kammermusiker a. D. Fried-
rich Hofmann 90 Jahre alt (Kassel. 27. Februar);
Mechaniker Georg Julius Schatten 62 Jahre alt (Kassel,
28. Februar); ehem. Schreinermeister Ferdinand Mordt.
89 Jahre alt (Kassel. 1. März); Dechant Julius Wieg and.
Pfarrer zu Johannesberg. 72 Jahre alt (Fulda. 2. März) ;
Frau Oberst Hedwig N i e s a r geb. von Bernhardt (Han-
nover, 5. März).
Sprechsaal.
Zum Woringerschen Artikel über „Friedrich Franz von
Leiber" kann ich ergänzend noch folgendes mitteilen: In
Spanien gehörte v. Leiber dem 3. schweizerischen Regiment
an. Nach der Rückkehr aus Spanien trat er in das
4. Regiment (Ende 1811) und wurde Kommandeur der
Regimentsartillerie in diesem. Als solcher machte er den
Feldzug 1812 in Rußland mit und nahm am 24. Juni
1813 seinen Abschied. 1814 wurde ihm als Artillerie-
hauptmann 1. Klasse vom Herzog Ernst von Sachsen-Koburg.
Kommandanten des V deutschen Armeekorps, der Artillerie-
Reservepark dieses Korps übergeben. Er machte den Feldzug
der Verbündeten 1814 mit und erhielt den preußischen
kour le mérite.
Ende 1814 wurde v. Leiber Mitglied des Großen Rates
des Kantons Bern und behielt diese Ehrenstelle bis 1835.
1816 wurde erArtilleriemajor. 1831—33 war er Regierungs-
statthalter in Jnterlaken und starb am 4. April 1837 in
Bern.
Sein Vater, Franz Rudolf v. Lerber (geb. 1757, gest. 1822),
war Mitglied des Großen Rates 1795, Appellationsrichter
1803, Oberamtmann zu Aarwangen 1812—17, Mitglied
des Kleinen Rates 1821. Seine Mutter hieß Rofina
Katharina geb. Stürler, Tochter des Obersten Stürler
(t 1790).
Oranienstein. Stabsarzt HaS.
Briefkasten.
Prof. Dr. W in Leipzig. Ihren Beitrag bringen wir
im nächsten Heft. das vorzugsweise dem Jahre 1813 ge-
widmet sein soll.
Der heutigen Nummer liegt ein Prospekt der Aka-
demischen Verlagsgesellschaft m. b. H., M. Koch,
Berlin-Neubabelsberg über das neue große Liefe-
rungswerk „Handbuch der Kunstwissenschaft"
herausgegeben von Dr. Fritz Burger. München, unter
Mitarbeit bedeutender Gelehrten, bei. Burgers Handbuch
der Kunstwistenschaft stellt eine erstmalige Sammlung und
Sichtung des gesamten ungeheuren kunstgeschichtlichen Stoffes
nach neuen Gesichtspunkten dar und ist die moderne
Kunstgeschichte großen Stils, die nicht allein dem
Fachmann, den Studierenden unentbehrlich ist. sondern
durch ihre geistvolle Darstellung. Pracht und glückliche An-
ordnung des Bilderschmucks für. jeden Gebildeten
und jeden Kunstfreund eine Quelle steter Anregung
und dauernden Genusses bildet.
Ferner ist beigefügt Die Einladung zur Tausend-
jahrfeier der Residenzstadt Kassel (27.—29. Sep-
tember 1913), auf die alle auswärtigen Landsleute ganz
besonders hingewiesen seien.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kastei. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kaste!.
Hessenland
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift sür hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 6. 27. Jahrgang. Zweites März-Heft 1913.
Gedichte von Heinrich Bertelmann
Am Löwendenkmal in der Aue.
Mit Andacht tritt in dieses heil'ge Rund.
Auf diesem Grund
Darfst achtlos keinen Schritt du vorwärts wagen:
Hier ward die Treu erschlagen.
Schumann, Fourier vom Wurmbschen Regiment,
Es schmerzlich auf der Seele brennt,
Daß Frankenlist entrissen
Dem Hessen Waff' und Wehr.
Bei seiner Ehr' —
Die konnt' er nimmer missen.
Er rief die Kameraden auf.
Sie folgten alle, all' zu Häuf.
Zum Treuschwur jede Faust sich ballt
Und nimmt sich wieder mit Gewalt,
Was den Soldaten schmückt und ehrt —
Sein Schwert.
Und Schumann schwang die Hessenfahn'-----------
Es war ein Wahn.
Tyrannenmacht
All' Lieb' und Treu' verlacht. —
Run steht der Schumann auf dem Sand:
„Ade, geliebtes Hessenland!
Ich tat nur, was ich mußt'!“------
Zehn Kugeln für die treue Brust.---------
Tritt leise, leis. Zieh deinen Hut.
Vielleicht grad wo du stehst, trank Erde Heldenblut.
Am Hessendenkmal auf dem Horst.
Sie wagten den ersten Schlag
Für Deutschlands großen Tag
Und ahnten nicht, wie sich lohnte der Hieb.
Sie hatten nur ihr Hessen lieb.
Sie wollten nur frei sein von fremder Macht,
Dafür sie ihr Leben zum Gpfer gebracht.
Wie wohnen wir gut! -
Mit ihrem Blut
Ist verkittet der Grund, darauf wir steh'n.
Deutschland kann nicht untergeh'n,
So lange noch ein Mann
Für seine Heimat sterben kann.
Am Marmorbad.
Unvernarbt noch klafft die alte Wunde,
Die dir schlug die schreckenvolle Stunde,
Da der Räuber ließ von seinem Raub.
Heil'ge Mahnung heischt sie unsern Tagen:
Darfst der Sorge nimmer dich entschlagen,
Franzmanns Ziel heißt: Deutschland in den Staub!
82 s>ê
Von der Erhebung Kurhessens.
Im November 1813 äußerte Goethe in einem
Gespräch mit dem Historiker Luden: „Man sprach
vom Erwachen, von der Erhebung des deutschen
Volkes und träumte, dieses Volk werde sich nicht
wieder entreißen lassen, was es errungen und mit
Gut und Blut schwer erkauft habe, nämlich die
Freiheit. War denn wirklich das Volk erwacht?
Wußte es denn, was es wollte? Ist denn jede
Bewegung eine Erhebung? Erhebt sich, wer ge-
waltsam aufgestöbert wird? Wir sprechen nicht von
den Tausenden gebildeter Jünglinge und Männer,
wir sprechen von der Menge, den Millionen."
Diese Worte zeigen, daß Goethe an eine populäre
Erhebung während der Freiheitskriege nicht ge-
glaubt hat, eine Erhebung, die den Grund unserer
heutigen Freiheit bildet. Er, der Staatsmann
der alten Schule, konnte sich auf Grund seiner
Erfahrungen kein Volk vorstellen, das aus eigener
Kraft in eine solche Bewegung eintrat, und als
sich in Weimar die Freiwilligen organisierten,
hielt der 64jährige, der sich nicht wieder in einen
Jüngling verwandeln konnte, seinen Sohn zurück.
Als dann die Erfolge und die große Besiegung
Frankreichs kam. war er überrascht, wie tatsächlich
alle Volksklassen opferfreudig für ihre sittlichen
Ideen kämpften, und er bekannte, daß er die Deut-
schen niemals einig gesehen habe, außer in ihrem
Haß gegen Napoleon. Er, der in Karlsbad nicht
nur einen Napoleon gefeiert, sondern es auch über
sich gewonnen hatte, dessen bedeutungslosem Bruder
J6rüme in jenem Hallenser Theaterprolog zu hul-
digen. legte dann in „Epimenides Erwachen" aus
tiefster Seele ein eigenes Geständnis ab. das nämlich,
daß er eine erhabene Zeit der Volksarbeit nicht
genug gewürdigt habe in jenen Jahren, wo die
Nation an ihrer Kräftigung gearbeitet, er selbst
aber ausgerufen hatte: „Rüttelt nur an Euren
Ketten, er ist Euch zu groß!" Dieser sittliche
Charakter der Volksbewegung, wie er in jenen
Tagen der Not sich in Preußen so bewunderns-
wert offenbarte, fand aber auch im einstigen Kur-
hessen fein Gegenstück, und es geziemt sich, in diesen
Tagen allgemeinen Gedenkens auch hessische Opfer-
freudigkeit und Tapferkeit nicht zu vergessen.
Welchen Wert Napoleon Hessen beilegte, bewies
er 1807 durch die Errichtung eines französischen
Staats mitten in Deutschland mit der Hauptstadt
Kassel. Mochten auch während der siebenjährigen
Dauer dieses westfälischen Königreiches manche sich
vom Glanze des das Mark des Volkes aufzehrenden
Hofes blenden lassen, die große Mehrzahl der Hessen
verleugnete ihren Charakter nicht, sie blieb hessisch
und deutsch. Und als der Freiheit Morgenrot
heraufdämmerte, als Napoleon zuerst die Schärfe
deutscher Schwerter bei Aspern kennen lernte, da
war man auch in Heffen bereit, das Joch ab-
zuschütteln, und Dörnbergs Name glänzt noch
heute neben denjenigen Schills, des Herzogs von
Braunschweig-Oels, Andreas Hofers und anderer
Helden des Jahres 1809. Im großen Ent-
scheidungskampf auf den Leipziger Schlachtfeldern
waren auch die Heffen mit ihren Herzen dabei,
und in den beiden nächsten Jahren war es ihr
Arm, der an der Besiegung Napoleons keinen ge-
ringen Anteil hatte.
Die Kunde von der großen Völkerschlacht hatte
auch J6räme endgültig aus Kaffel vertrieben. In
den ersten Tagen des Novembers 1813 traf der
hessische Kurprinz, nur von wenigen Getreuen be-
gleitet, unmittelbar von den Leipziger Schlacht-
feldern wieder in Kassel ein. das ihm am Leipziger
Tor einen jubelnden Empfang bereitete. Bereits
am 5. November las man an allen Straßenecken
Kassels jenen Erlaß des Kurprinzen, der mit den
berühmten Worten anhebt: „Hessen! Mit Eurem
Namen nenne ich Euch wieder" und der die Be-
völkerung auffordert, sich demnächst unter den
Waffen ihres Namens würdig zu zeigen. Am
21 November traf dann der Kurfürst selbst nach
siebenjähriger Verbannung wieder in Kaffel ein.
wobei ihm Kasseler Bürgerssöhne die Pferde vom
Wagen spannten und diesen im Triumph durch
die Stadt zum Bellevueschloß zogen. Bald darauf
folgten auch die Kurfürstin und die Kurprinzessin
mit ihren Kindern. „Ich habe niemals etwas
Bewegenderes und Ergreifenderes gesehen, als den
Einzug der kurfürstlichen Familie", schrieb damals
Wilhelm Grimm. Noch heute erinnert im Kasseler
Rathaus ein von der Kurprinzessin gemaltes und
der Residenzstadt gewidmetes Bild an den Moment,
wo zwei hessische Bauern dem wieder hessischen Boden
betretenden elfjährigen Prinzen Friedrich Wilhelm,
dem späteren letzten Kurfürsten, in Netra eine
während der Fremdherrschaft verborgen gehaltene
hessische Fahne überreichten. Am 23. November
vereinte ein feierlicher Dankgottesdienst Fürst und
Volk in der St. Marlinskirche, und anl folgenden
Tage erließ der Kurfürst einen Befehl, daß die
am 1. November 1806 in die Kantone beurlaubten
Regimenter sich in ihren alten Garnisonplätzen
wieder einstellen sollten. Außerdem war Brigade-
major v. Mensing mit der Bildung eines frei-
willigen Jägerkorps beauftragt, das „für die große
Sache Deutschlands und des Fürsten der Heffen
kämpfen" und hauptsächlich aus dem Adel, den
Schriftsässigen, den Bürgern von Bildung und
SW«L> 83 r«G«L»
Landleuten von Vermögen formiert werden sollte.
Der Andrang war außerordentlich groß, und da die
Kosten der Ausrüstung, besonders bei der reitenden
Abteilung, recht bedeutend waren und nicht jeder
sie aus eigenen Mitteln bestreiten konnte, gründeten
die Kursürstin Karoline. die Kurprinzessin Auguste,
eine Schwester Friedrich Wilhelmsill, von Preußen,
und ihre Töchter, die Prinzessinnen Marie und
Karoline, einen Frauenverein, der in einem Auf-
ruf zu Beiträgen für die Equipierung unbemittelter
Freiwilliger aufforderte.*) Die in diesem Aufruf
ausgesprochene Erwartung, daß die hessischen Frauen
in den Beweisen ihrer Vaterlandsliebe nicht nach-
stehen würden, erfüllte sich in glänzender Weise.
Aus allen Teilen des Lan-
des wurden Kleidungsstücke,
Wertsachen und Geldbeträge
geopfert. Die Stimmung,
die allenthalben im Hessen-
lande herrschte, spiegelt sich
in einem prächtigen Brief
Karl Schomburgs, des spä-
teren Kasseler Oberbürger-
meisters, aus Karlshafen vom
25. November 1813 wieder,
in dem es heißt:
„Jst's ein Traum, Freund, oder
Wirklichkeit? Das Riesengebäude
zertrümmert, das auf Säulen der
Ewigkeit zu ruhen schien? Vom
Gipfel des Ruhms der Sieger in
zwanzig Feldzügen, der Ueber-
minder in fünfzig blutigen
Schlachten gestürzt in der Ver-
zweiflung Abgrund? Seine Lor-
beeren schüttelte der Sturm aus
Norden und zerstob eine einzige
verhängnisvolle Feldschlacht. Denn
nur der Ausgang tauft das Leben
groß und schimpflich. Laß uns
jubeln, Freund! Was deutsche
Männer zu unsterblichen Taten kühn begeisterte, was selbst
die deutscheFrauenbrust mitniegefühlterGlutvaterländischen
Sinnes entflammte, dies heilige Ziel ist bald erreicht. Die
PotSdam'sche Jungfrau zeigt lächelnd Dir die für's Vaterland
empfangene Wunde, Mütter verkünden mit Stolz ihrer Söhne
Tod für'- Vaterland, und Balsam gießen Fürstinnen auf die
Wunden Derer, die da bluten für ihr Vaterland! Sehen
wir Schatten aus einer anderen Welt? Kehrten wieder
die alten Zeiten, deren Größe wir anstaunten, deren Ein-
gang wir mit Wehmut beseufzten? Ein neues Geschlecht
ist auferstanden, kräftig und blühend gleich den ersten der
Heroen. O möge feine Götterkraft auf die späteste Generation
sich fortpflanzen, auf daß Deutschlands Glück und Ruhm
glänze wie ein unvergänglicher Sternenkranz am schönen
Himmel: Aus den Stricken der Anmaßung windet sich das
Recht, die Wahrheit triumphiert über die Lüge, die Mensch-
lichkeit über Tyrannei . Dürfen nicht lauter unsere
Herzen sprechen. Freund, nicht freier atmen deutsche Busen?
Der »Totenritter" Christian von Eschwege,
einer der Ritter deS Ordens vom Eisernen Helm.
*) Vergleiche den
land' 1905 S '
reu Aufsah Karl Schwarzkopfs im „Hrssrn-
334 f. und die heutige Nummer S. 87.
O, wärst du Zeuge des Jubels gewesen, der seit dem
28. Oktober unser kleines Tal erfüllte! '
An eben diesem 25. November reiste der Kur-
fürst mit dem Kurprinzen nach Frankfurt, wo die
Kaiser von Rußland und Österreich, die Könige
von Preußen und Württemberg versammelt waren.
Hier erst wurde ihm derjenige Teil seiner Be-
sitzungeit, der mit dem Königreich Westfalen und
dem Großherzogtum Frankfurt vereinigt gewesen
war, nebst Katzenelnbogen und den Salinen von
Nauheim wieder zugesprochen. Kaiser Franz I.
von Österreich schloß in seinem und im Namen
seiner Verbündeten einen Vertrag mit dem Kur-
fürsten, der diesem eben den früheren Besitz seines
Landes wieder zusicherte. Da-
für versprach er 2 ^Millionen
Gulden zu den Kriegskosten
beizusteuern, 24000 Mann
— und zwar 12000 Mann
Linientruppen und 12000
Mann Landwehr — zu stellen
und die früheren den Ständen
und Untertanen zustehenden
Gerechtsame wieder herzu-
stellen. Jetzt erst, nachdem
er wieder in seiner Residenz
angekommen war, wandte
auch er sich öffentlich an seine
Hessen in einer Verkündigung
vom 10. Dezember, die auf
den Umschwung der Verhält-
nisse und die treue Anhäng-
lichkeit der Hessen an ihr
Regentenhaus Bezug nimmt.
„Doch Ihr werdet diese Eure
Gesinnungen weiter zu bewähren
aufgefordert — ein schwerer Kampf
steht uns noch bevor, indem e8
mit der gegenwärtigen Abwerfung
des französischen „Jochs nicht genug, sondern notwendig ist.
der feindlichen Übermacht ein festes Ziel zu setzen und
Deutschlands Unabhängigkeit auch für die Zukunft sicher
zu stellen. Nach dem Vorgang der braven Preußen und
fast aller Deutschen aus den schon befreiten Ländern, mit
ihnen Eure Anstrengungen zur Vollendung dieses heiligen
Kampfes zu vereinigen, werdet Ihr gewiß keinem anderen
Volke an Eifer nachstehen.
Auf also! Ihr, die Ihr berufen werdet, in den Reihen
der Streiter für diesen großen Zweck einzutreten, sammelt
Euch deswegen zu den Fahnen, um unter der eigenen An-
führung meines einzigen vielgeliebten Sohnes durch stand-
haften Mut zu zeigen, daß Ihr Deutsche, daß Ihr
Hessen — Eurer Vorfahren würdig — seid!"
Erst mit dieser Proklamation hatte der Kur-
fürst wieder die volle Regierungsgewalt angetreten;
am gleichen Tage verließ der russische Stadt-
komMandant Kassel, und die Beamten bedienten
sich wieder des kurfürstlichen Titels. Die erste
Wttb 84
Sorge galt nun der feldmäßigen Ausrüstung der
Truppen. Alle Waffenfähigen vom 17 bis 45.
Lebensjahre wurden ausgehoben, und es wurden
vier Linien- und drei Landwehrregimenter, ein
Jägerbataillon, außer den freiwilligen Jägern,
zwei Kavallerie- und ein Artillerieregiment ge-
bildet. Der Zudrang zu den Freiwilligen war
so stark, daß die Zahl ihrer Kompagnien vermehrt
werden mußte. In Kassel
als dem Mittelpunkt dieser
dem Kurprinzen überlassenen
Organisation herrschte reges
Leben, das auch den Geschäfts-
leuten erhebliche Einnahmen
gewährte. Die Vorberei-
tungen zum Abmarsch nach
Frankreich wurden sehr be-
schleunigt. Mitte Januar
1814 waren sämtliche Offi-
ziere ernannt. Von den
Kanzeln wurde gepredigt, wie
es jedem biederen Deutschen
heilige Pflicht sei, Anteil an
dem edlen Kampfe zu nehmen.
Die Soldaten wurden mit
ihren Weibern und Kindern
von den laufenden Steuern
befreit. Bereits im Januar
konnten zwei Kolonnen an
den Rhein abgehen, die das
vierte deutsche Armeekorps
unter Blücher bildeten. Ein
beträchtlicher Teil war noch
mit der heimischen Tracht
bekleidet, und die Uniformen
wurden ihnen erst allmählich
nachgesandt. Mitte Februar
standen die hessischen Truppen
unter den Generälen v. Dörn-
berg und v. Müller vor den
Festungen Thionville, Luxem-
burg und Saarlouis. Die
dritte, 9000 Mann starke Abteilung rückte mit dem
Kurprinzen als kommandierendem General am
2. März aus. Zuvor waren die von der Kurfürstin
gestickten und von der Kurprinzessin gemalten Stan-
darten und Fahnen in der Martinskirche geweiht
worden. Für die Ausrüstung der Landwehrmänner
mit den kleinen Montierungsstücken sorgte teils die
Kriegskasse auf Anordnung des Kurfürsten, teils die
Bevölkerung, wobei selbst die Dienstmägde in den
Dörfern ihre Groschen opferten. Der Maler
Ludwig Grimm, der sich mit seinem Bruder Karl
gleichfalls bei den freiwilligen Jägern gestellt hatte,
hat uns in seiner von Adolf Stoll herausgegebenen
Hessendenkmal
Biographie diesen Feldzug eingehend geschildert.
Im Lande selbst blieben nur ein Kavallerie-
regiment, zwei Regimenter Garde und ein Linien-
regiment Infanterie. Sie wurden zumeist aus
den Veteranen von 1806 gebildet und erhielten
wieder Zopf. Puder und Stock. Auch der Land-
sturm wurde am 3. April 1814 aus Leuten bis
zum 60. Jahre aufgeboten, beschränkte sich jedoch
nur auf die Landgemeinden,
da in Kassel die Bürger-
wehren denselben Zwecken
entsprachen.
Aus die Kunde von der
Einnahme von Paris wurde
in allen Kirchen des Landes
ein Tedeum gesungen, und
der Kurfürst selbst machte
von der Verteilung des von
ihm zur Auszeichnung im
Kampfe für Deutschlands
Freiheit und Selbständigkeit
gestifteten Ordens vom Eiser-
nen Helm *) ausgiebigen Ge-
brauch. Mit Kanonenschüssen
und Glockenläuten wurde der
Tag begangen und in der
Martinskirche die Namentafel
ausgehängt und die Kirche
mit Kränzen geschmückt. Nach
der Besiegung und Absetzung
Napoleons kehrten die hes-
sischen Truppen im Juli durch
eine am Frankfurter Tor
errichtete Ehrenpforte nach
Kassel zurück, und zu den
Festlichkeiten dieser Tage ge-
hörte auch ein den freiwilligen
Jägern im Orangerieschloß
gegebenes Gastmahl.
Im Herbst reiste der Kur-
in der Karlsau. fürst mit seinem Sohn zum
Wiener Kongreß, wo er jedoch
nur zwei Wochen weilte. Dagegen war seine Ge-
sandtschaft instruiert, für die Wiederaufrichtung des
deutschen Kaisertums einzutreten und legte damit ein
erneutes Zeugnis von der kerndeutschen Gesinnung
dieses Fürsten ab. Am 18. Oktober 1814 wurde
die Feier der Schlacht bei Leipzig begangen, und
am 21 November, dem Jahrestag der Rückkehr
des Kurfürsten, auf dem Forst von Kasseler Bür-
gern zum Andenken an die erschossenen Freiheits-
kämpfer eine Eiche gepflanzt.
*) Vergleiche den Aufsatz von Th. Meyer im „Hesien-
land* Seite 80 s.
85
Schon im April des nächsten Jahres zogen die
hessischen Truppen, 12000 Mann stark, abermals
nach Frankreich, diesmal unter Führung des Ge-
nerals Engelhard, und ihre Tapferkeit bei der
Eroberung der Festung Sedan, bei Charleville,
Mezwres und Givet fand auch die Anerkennung
der preußischen Feldherrn. Ruhmbedeckt kehrten
sie im November in die Heimat zurück. Der Kur-
fürst schenkte jedem gemeinen Soldat zwei Taler
aus den 1*/* Millionen Talern, die von der fran-
zösischen Kontribution auf Hessen entfallen waren,
und die Namen aller
Teilnehmer am Feldzuge
wurden in der Kirche
feierlich aufgehangen.
Groß war auch der Ju-
bel, als die nach Paris
entsandte Kommission
auf blumengeschmückten
Wagen die während der
Fremdherrschaft aus
Kassel geraubten Kunst-
schätze wieder zurück-
brachte.
Bei seinem Regie-
rungsantritt 1821, am
selben Tage, an dem
der erste Kurfürst in
der Löwenburg bestattet
wurde, stiftete Kurfürst
seinem Namen K. W. II.
Wilhelm II. eine
geschmückte Denk-
mit
und
Ehrenmedaille aus erobertem Geschütz für alle
Krieger, die in den Jahren 1814 und 1815 den
Kampf für Deutschlands Unabhängigkeit unter-
stützen halfen. Am 18. Oktober 1863, zur fünf-
zigsten Wiederkehr des Tages der Leipziger Schlacht,
legte Kurfürst Friedrich Wilhelm I. auf dem Forst
neben der Hesseneiche den Grundstein für ein Denk-
mal zum Gedächtnis der hier erschossenen hessischen
Männer. Neben der älteren Gedenkplatte am
Fuße der Eiche wurde zu Ende des vorigen Jahr-
hunderts die von einem Gitter umfriedigte Syenit-
platte angebracht. Das
als Ersatz für den 1863
gesetzten schlichten Denk-
stein geplante Denkmal
kam jedoch durch die Er-
eignisse des Jahres 1866
nicht aus den Forst, son-
dern in den Berggarten
der Karlsau, an eben die
Stelle, wo am 16. Fe-
bruar 1807 der hessische
Insurgent Jakob Schu-
mann aus Eschwege er-
schossen wurde. Es ist
jener 1879 von Gustav
Kaupert in Marmor
ausgeführte schlafende
Löwe, der auch den kom-
Erinnerung an hessische
H.
Denkstein bei der Hesseneiche auf dem Forst.
menden Geschlechtern die
Patrioten festhalten soll.
An ein Grabmal auf dem alten Friedhof zu Wanfried.
Inschrift- „Das Grabmal setzten dem Er- |
mordeten dessen trauernde Ettern, seine beiden
Geschwister und sein Taufpate. 1820. Gott ver-
zeihe dem Mörder und seinen Helfern."
„Hier ruhen die sterblichen Überreste des Stadt-
sekretärs Georg Bernhard Hohmann, im blühenden
Jünglingsalter von 19 Jahren zu Wanfried öffent- >
lich ermordet wegen der ihm zum Verbrechen ge-
machten Anhänglichkeit an den rechtmäßigen
Landesfürsien auf Befehl des Usurpators Hiero
nymus Bonaparte. Am 4. Mai 1813."
In dunklen Tannen steht ein Kreuz von Eisen
Verschlungn« Pfade führen zu ihm hin.
Dem Pilger will's den Weg zum Ew'gen weisen,
Ein ernster Mahner seinem flücht'gen Sinn.
So hat dies Kreuz die Jahre überdauert
Und hat der Feiten Rot und Luft gesehn,
Das Herz getröstet, das an ihm getrauert
Mit Worten, die die Winde nicht verwehn.
Wanfried.
Ach, einer Mutter ist der Sohn genommen,
Der Heldenjüngling in die Gruft gebannt.
Für Deutschlands Freiheit war sein Herz erglommen,
Kein welsches Wesen man an ihm erfand.
Run kommt der Frühling, und die weichen Lüfte
Umwehn das Kreuz und auch den harten Stein.
Der ersten Blüten zarte, süße Düfte
Durchziehen froh des Todes dunklen Hain.
Ja, Leben will sich überall entzünden
In dieser Tage wunderbarem Licht,
Und Hoffnung steigt empor aus tiefsten Gründen,
Daß meine Seele jede Fessel bricht.
Und wie die Sonne ihre milden Strahlen
Zu dieses Kreuzes ernster Inschrist schickt,
Fühl' ich mein Herz erlöst von allen Gualen
Und jeder Zwietracht dieser Welt entrückt.
Ich möchte selig diesen Toten nennen,
Der für der Freiheit Heiligtum entbrannt,
Den kein Tyrann in Ewigkeit mag trennen
Von seinem Heil und seinem Heimatland.
Marie Schwalm.
Rede bei dem Ausmarsch der in Kassel gelegenen kurhess. Truppen.
Gehalten den 30. Januar 1814 auf dem Friedrichsplatz von C. F. W. Ernst.
(Nach dem Manuskript mitgeteilt.)
Unendlicher! Der du im Himmel thronst und
auf der Erde herrschest, vor dir beugen wir unsre
Knie und flehen um Kraft und Segen zu dieser
Andacht. Amen! Es find hehre und feierliche
Augenblicke, meine teuersten Freunde, in denen ich
jetzt vor euch auftrete, sie sind es für mick, der
ich zum erstenmal unter Gottes freiem Himmel
vor einer solchen Versammlung und unter solchen
Umständen rede. — Der Anblick hessischer Truppen,
die alle mit mir auf dem vaterländischen hessischen
Boden emporwuchsen, ein
Anblick, den wir sieben Jahre
entbehren mußten, ergreift
mein Innerstes so wie das
Herz jedes braven, biederen
Hessen. Aber diese Augen-
blicke sind noch hehrer und
feierlicher für uns, meine
Brüder, die ihr im Begriff
steht, euern Eltern, Freunden
und Verwandten ein inniges
Lebewohl zu sagen und die
Grenzen des geliebten Vater-
landes zu verlassen. G!
möchten die wenigen Worte,
die ich euch zurufen werde,
sich unauslöschbar in eure
Herzen drücken und euch zu
hohem Mute und zu wahrem,
edlen Heldensinne erwecken
und begeistern. Ihr habt
unverbrüchliche Treue eurem
teuersten Kurfürsten, willigen,
freudigen Gehorsam eurem
geliebtesten Kurprinzen ge-
schworen und Blut und Leben dem Vaterlande
geweihet. Wisset, daß in diesen hehren Augen-
blicken der große Geist, der den Himmel über euch
wölbte und die Erde unter euren Füßen bereitete,
nahe war, euch umschwebte und euren Schwur
hörte. Ihr betretet jetzt die große Bahn des Ruhms
llnd der Ehre, die jeder wahre Krieger mit Freuden
wandelt. — Russen, Preußen, Österreicher, Schwe-
den, Bayern, Sachsen und andere deutsche Völker
sind vor euch hergezogen, um die große Sache von
Europa zu retten und dem Stolze und der Tyrannei
des so lange gefürchteten Napoleons ein Ende zu
machen. Ihr seid Deutsche und seid Hessen, wenn
ihr auch später auf dem großen Kampfplatze er-
scheint, so wird es euch doch nicht an Gelegenheit
fehlen, euch mit Ruhm und Ehre zu krönen.
Das Vaterland winkle euch, ihr kamt fast alle
freiwillig zu seinen Fahnen, ihr seid aus so manchen
alten, angesehenen Familien, die Blüte von Hessen.
Wie groß sind die Erwartungen, die sich das Vater-
land, die selbst die hohen Verbündeten sich von
euch als hessischen Kriegern machen? Manche von
euch fochten vielleicht schon unter den Fahnen der
Tyrannei als Helden. Ihr hattet euren Namen,
euer altes hessisches Wappen verloren. Jetzt tretet
ihr zum erstenmal wieder vereint als Hessen auf,
unter dem heiligen Wappen
des hessischen Löwen, unter
dem eure Väter, eure Ahn-
herrn, eure Vorfahren seit
einer Reihe von Jahrhunder-
ten kämpften und siegten.
Der Anblick des Hessischen
Löwen sei euch eine Aufforde-
rung, nicht als Knaben, son-
dern als Männer, als Hel-
den, als Löwen zu kämpfen.
Keiner von euch wird je
fliehen; wie könnte ein Hesse,
der seines Namens würdig ist,
fliehen! Tod oder Sieg sei
euer Wahlspruch. Mit Gott
für Fürst und Vaterland be-
gann der große Staatenbund,
der große Völkerverein, in
den ihr jetzt tretet. Ihr werdet
nur der Zeit aber nicht dem
Ruhm und der Tapferkeit
nach die letzteren sein!
Denket, daß ihr nicht für
Ehrgeiz, für Eitelkeit, für
Länder- und Eroberungssucht, daß ihr für Herd
und Freiheit, für Fürst und Vaterland kämpfet,
daß ihr hinzieht, um den furchtbaren Menschen,
der länger als dreizehn Jahre die Geißel des All-
mächtigen für Europas Völker war, ganz zu de-
mütigen, auf immer unschädlich zu machen und der
Menschheit Ruhe und Frieden zu erringen.
Vergesset nie, daß ihr Söhne, Nachkommen der
hochherzigen Hessen, einst Kasten genannt, seid, die
vor zwei Jahrtausenden die Räuber, die Tyrannen
der damaligen Welt, besiegen und Deutschlands
Ehre und Freiheit für alle folgenden Jahrhunderte
retten halfen. - Schrecken, Tod und Verderben
ziehe vor euch her, wenn der Ruf zum Kampfe
erschallt - in der Schlacht umhüllt der Enge! der
Menschheit sein Antlitz — aber Schonung und
0. theol. Christoph Friedr. W. Ernst,
* zu Jesberg 1765, + zu Kassel als Generalsuperintendent 1855.
Nach der Natur gezeichnet von seinem Schwiegersohn Ludwig
E. Grimm 1824. Im Besitz des Herrn Privatmanns G. Wentzell.
*mu* 87 9WK6
Barmherzigkeit begleite euch zu den besiegten
Feinden und in die Hütten der Bürger und Land-
leute. Seid wahre Helden» aber auch wahre
Menschenfreunde und — Christen. Lasset euch von
dem Gedanken ergreifen und begeistern, daß der
Prinz, für den alle eure Herzen hochaufschlagen,
der als Vater für euch sorgt, an eurer Spitze steht,
— der einzige Sohn eines siebzigjährigen, ver-
ehrungswürdigen Landesfürsten. — Von euch, aus
euren Händen fordern wir einmal den Prinzen
zurück. Wo die Gefahr ihn umschwebt, werdet
ihr ihn schützen, mit euren Leibern decken und eher
alle sterben, als daß ihr den sterben laßt, für den
ganz Hessen betet. Der Tod ist nichts! Aber ein
Leben durch die Flucht gerettet, mit Schimpf und
Schande gebrandmarkt, ist mehr als Tod, ist die
Hölle auf dieser Welt.
Ihr alle, meine Brüder, werdet euch als wahre
Krieger, als echte Hessen zeigen. Tränen der
höchsten Rührung, der innigsten Freude werden
euren Eltern, euren Verwandten und uns allen in
die Augen treten, wenn die erste Kunde, die erste
Nachricht vom Rheine her kommt: „Eine Schlacht
ist gewonnen, die Hessen haben ihren alten Ruhm
behauptet, sie haben den Ausschlag gegeben und
wie die Wetterwolke des Allmächtigen die Feinde
niedergehagelt." Unsere Wünsche folgen euch, unsre
Segnungen begleiten euch, unsere Gebete steigen
für euch zum Himmel empor. Vergesset Gott nicht,
so wird er euch auch nicht vergessen, bleibt ihm
treu, so wird sein Allmachts-Arm euch schützen.
Keiner von euch kann fallen ohne den Willen dessen,
der über den Siemen thront. Heil und ewiger
Friede über jeden, der mit unverletztem Gewissen
für Fürst und Vaterland auf dem Felde der Ehre
sein irdisches Dasein aushaucht!
Denkt bei allen Strapazen, die euch bevorstehen,
bei allen Gefahren und Beschwerden, die euch
drohen, an den süßen Augenblick, wo eure Väter,
Mütter, Brüder, eure Schwestem, wo wir alle
mit frohem Jubel euch entgegenkommen und mit
Freudentränen euch auf alte deutsche Art und
Weise die Hand reichen. Die hessischen Fahnen
werden euch zu Sieg und Ruhm und dann froh
und mit Lorbeem geschmückt in unser Vaterland,
in unsere Arme zurückführen.
Allmächtiger î Der du den Krieg schaffest und
gibst den Frieden, vor dir stehen Hessens Söhne
in der Blüte ihrer Kraft, zum Kampfe für Recht
und Freiheit, für Vaterland und ihren verehrtesten
Regenten gerüstet. Begleite du sie auf der ge-
fahrvollen Bahn, die sie wandeln. Sei ihr Schutz
und Schirm. Strahle Mut und Heldenkrast in
ihre Adem, wenn die Donner, die Schrecken des
Todes fie umschauem. Erwecke ihre Herzen zur
Großmut und Menschlichkeit gegen den fliehenden
Feind und gegen die Einwohner des Landes.
Schütze und segne unsren teuersten Kurfürsten in
ihrer Abwesenheit und laß ihn immer frohe und
erheitemde Nachrichten von seinen braven Hessen
erhallen. — Dein Schild decke unsem geliebtesten
Kurprinzen ; dein guter Geist geleite und führe
ihn! Allmächtiger! Sei mit ihm, mit unsren
Söhnen, Brüdem und Vätern und mit uns allen;
gib, daß wir, wenn es mit deiner Weisheit über-
einstimmt, uns bald ftoh Wiedersehn und dann die
uns noch übrigen Tage des mühevollen Erden-
lebens in Ruhe und Frieden vollenden. Amen!
------------------
Der vaterländische Hrauenverein.
1813 ISIS.
Auch dieses heute so bedeutungsvollen Vereines
darf im Jubiläumsjahre 1913 nicht vergessen
werden.
Als in Preußen jener gewaltige Sturm vater-
ländischer Begeisterung losbrach und Mann und
Jüngling zu den Waffen rief. da blieben im edlen
Wettstreit auch die Frauen nicht zurück, an ihrer
Spitze die Prinzeffinnen des preußischen Königs-
hauses. Am 23. März 1813 erließ Prinzessin
Marianne von Preußen einen Aufruf an die vater-
ländisch gesinnten Frauen Deutschlands zu wirk-
samer und tatkräftiger Unterstützung der jungen
Freiheitsbewegung. Dieser Aufruf an die Frauen ist
das Fundament des heute in höchster Blüte stehenden
„Vaterländischen Frauenvereins" geworden, dessen
Konstituierung am 1 April d. I. erfolgte.
Prinzessin Marianne war eine Tochter des
regierenden Landgrafen Friedrich V. von Hessen-
Homburg, die seit ihrer Verheiratung mit dem
Prinzen Wilhelm von Preußen am Berliner Hofe
lebte und zur nächsten Umgebung der Königin
Luise gehörte. Sie hatte die unglückliche Königin
auf ihrer Flucht nach dem Osten der Monarchie
begleitet und war bei deren Begegnung mit Napoleon
zugegen gewesen. Regsten Anteil hatte sie an dem
traurigen Geschicke Deutschlands genommen und
sich nach dem Tode der Königin mit hingebender
Liebe der Erziehung der verwaisten Prinzen gewidmet.
Sie stellte sich an die Spitze der vaterländischen
Hilssarbeit der Frauen und hat in diesem Frauen-
verein unsäglich viel Gutes bis zu ihrem 1846
erfolgenden Tode gewirkt.
*wl 88
An der Gründung dieses Vereins waren außer
ihr noch die Leiden Prinzessinnen von Oranien,
Prinzessin Ferdinand von Preußen, Luise von Radzi-
will, Karoline und Marie von Hessen-Darmstadt
und vor allem die Kurprinzefsin Auguste von
Hessen-Kassel beteiligt.
Eine Tochter König Friedrich Wilhelms II. von
Preußen, war sie seit 1797 mit dem Kurprinzen,
späteren Kurfürsten Wilhelm II. vermählt und
lebte nach der Okkupation des Kurstaates am Hofe
in Berlin.
Als der kurfürstliche Hof dann nach Kassel zurück-
gekehrt war, leiteten auch hier die fürstlichen Frauen
eine gleiche Bewegung wie in Preußen und ver-
öffentlichten folgenden Aufruf:
»Mit Freuden ergreift die Blüte der Nation die Waffen
um sich würdig zu zeigen des wieder erworbenen hessischen
Namens und durch ruhmvolle Taten die Bande unaus-
löschlich zu knüpfen, die sie an ihren erhabenen Herrscher
und dessen Haus so heilig fesseln! Um die Gesinnung
treuer Anhänglichkeit an das geliebte Vaterland zu be-
tätigen, hat ein Verein der Frauen sich gebildet, an dessen
Spitze die Kurfürstin, die Kurprinzesfin und sämtliche
Prinzesfinnen des Königlichen Hauses stehen.
Der Zweck dieses Vereines ist. jeden wohlgesinnten hessi-
scheu Patrioten insbesondere Mütter und Töchter auf-
zufordern, Beiträge zur Equipierung hilfsbedürftiger, un-
bemittelter Freiwilliger zu geben.
Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß ein
Jeder mit Freuden sein Scherflein auf dem Altar des Vater-
landes darbringen wird und daß die hessischen Frauen in
den Beweisen ihrer Vaterlandsliebe den Preußinnen nicht
nachstehen werden.
Karoline, Kurfürstin von Heffen.
Auguste, Kurprinzesfin von Heffen.
Karoline, Prinzessin von Heffen.
Maria, Prinzessin von Heffen."
Der Aufruf war von zündender Wirkung! Was
das arme ausgesogene und ausgeplünderte Hefsen-
land und an seiner Spitze die Bevölkerung von
Kassel in dieser Zeit an Opfermut geleistet haben,
das steht würdig dem zur Seite, was an Opfern
in Preußen dargebracht war. Man lese darüber,
was uns Schwarzkopf in seiner »Erhebung der
Kasseler Bevölkerung im Jahre 1813" in dieser
Zeitschrift, Jahrgang 1905, in Nr. 24 erzählt.
Heute im Zeitalter des schwindenden Idealismus
der Jugend berührt es uns doppelt, wenn wir sehen
— um nur ein Beispiel aus den vielen heraus-
zugreifen — wie zwei „hoffnungsvolle Knaben mit
gutem Herzen" den ganzen Betrag ihrer Spar-
büchse herbeibringen. Der eine dieser beiden jungen
Patrioten, der seine Ersparnisse (1 Tlr. 17 Albus)
auf dem Altar des Vaterlandes opferte, war der
10 jährige Ernst von Cochenhausen, der 1871 als
Generalmajor starb, der letzte Kommandeur des
kurhessischen Artillerie-Regiments!
Stabsarzt Has-Oranienstrin.
Schumann oder der Eoldaienaufftand zu Eschwege.
Von Heinrich Bertelmann.
2. Bild:
Im Tillyhäuschen hinter der „weihen
Wand".
Dezemberabend.
Dunkler Raum mit einfachem Tisch und einer Gartenbank.
1. Austritt.
Pfankuch und Schäfer.
Die beiden Soldaten treten in Mäntel gehüllt ein. Schäfer
holt die Laterne unter dem Mantel hervor, leuchtet ver-
wundert umher und stellt sie auf den Tisch.
Pfankuch lfröstelnd). Hu. was für eine Nacht!
Schäfer. Ein Hundewetter!
P fankuch. Ich dachte jeden Augenblick, es käm'
mir so eine Gerberlade aufs Dach.
Schäfer. Und am Klausturm — hörtest Du's
nicht, wie die Glocken heimlich gingen?
Pfankuch. Die ganze Welt ist voll Zorn über
dem, was geschehen.
Schäfer. Ich hab' mein Gewehr an die Ecke
gedonnert, daß der Kolben in Stücke flog.
Pfankuch. Das hättest Du sollen bleiben lasten.
Schäfer. Warum zum Teufel auch? Soll ich's
nicht mehr tragen, ist's für diese Franzosen-
hunde viel zu gut.
Pfankuch. Noch sind es unsere Gewehre, wenn
sie auch alle im Rathaus liegen.
Schäfer Die Schützen hat das auch nicht schlecht
gefuchst, daß sie die Flinten strecken mußten.
Der alte Dirks, der Schützenmeister, soll außer
sich sein.
Pfankuch. Was hilft das alles! Wir find sie los.
Schäfer. Und geschändet.
Pfankuch. Ja, man muß sich schämen.
Schäfer. Es wird aber bald anders, muß
anders werden.
Pfankuch. Hat denn Schumann auch einen
Bürger herbestellt?
tmL> 89 xmtb
Schäfer. So viel ich weiß, nicht. Erst will er
der Soldaten sicher sein. Die Bürger, meint
er, kämen nachher von selbst.
Pfankuch. Hoffentlich verrechnet er sich nicht.
Schäfer. Laß ihn nur gewähren, er weiß, was
er zu tun hat.
Pfankuch. Ach, wenn's nur gerät'
Schäfer. Warum sollt' es nicht geraten?
Pfankuch. Daß ich Dir's gestehe mir steigen
manchmal Zweifel auf.
Schäfer. Junge, sag das nicht.
Pfankuch. Ich kann mir nicht helfen. Denk
Dir, heut Abend, grad wie ich mich fort-
schleichen will, läuft mir meine Mutter in den
Weg. Nimm Dich in acht. Elias, sagt sie,
ich träumte die Nacht, sie hätten Dich erschossen
heimgebracht. Dabei standen ihr die Tränen
im Auge. — Ich hab sie natürlich ausgelacht.
Aber hinterher hat es sich mir doch ein wenig
auf die Nerven gelegt. — (Greift sich ans Herz.)
Da drückt's mich! —
Schäfer (lachend ihn umhalsend). Torheit, Elias!
Förstersfrauen haben das so an sich, vom Er-
schießen zu träumen. Ich könnt' da auch ein
Wort vden. — Weißt wohl, wie mich die
Bertha drängt, im Frühjahr soll unsre Hoch-
zeit sein. Ich sage ja, aber im Herzen glaub
ich nicht daran.
Pfankuch. Wer weiß, wann Du Hochzeit feierst!
Schäfer. Es ist, als türme sich eine schwarze
Mauer auf. Aber wir müssen tun, als sähen
wir sie nicht, Elias.
Pfankuch. Das ist schwer.
Schäfer. Wie's kommen soll, so kommt's. Der
Schumann schenkt uns Vertrauen.
Pfankuch. Und wir wollen ihn nicht enttäuschen.
Schäfer (reicht ihm die Hand). Wir lassen ihn nicht
im Stich!
2. Auftritt.
Die Vorigen. Hupfeld und Sommermann.
Hupfeld (hereinpolternd und den Schnee abschüttelnd).
Himmelkreuzsakerlot, ist das ein SturmHat
der Teufel wieder mal die Höllentür aufge-
lasien, daß ihm das ganze Heidenpack durch-
gegangen ist.
Sommermann. Was meint Ihr wohl? Fast
hätt' es uns nicht vorbei gelassen.
Pfankuch. Weshalb?
Hupfeld. Beim Hüttchen treten wir einen Augen-
blick unter, um ein wenig zu verschnaufen.
Der Wind nahm einem den Atem fort. Kracht
Euch aus einmal die alte Kastanie nieder.
Sommermann. Dicht vor unsre Füße.
HKpselb. Um ein Haar — dann standen wir
nicht hier.
Pfankuch. Zum guten Zeichen nehmen wir'S,
daß Ihr glücklich entkämet.
Schäfer. Wißt Ihr nichts Neues aus Kassel?
Sommermann. Da oben am Wissener wird
man nichts gewahr von der Welt.
Hupfeld. Daß sie uns den Kurfürsten vertrieben
haben, ist eine Sünde und eine Schande.
Pf a n k u ch. Seine Soldaten so im Stich zu lassen!
Sommermann. Ohne ein Silbe zu singen und
zu sagen, es ist zu traurig.
Schäfer. Er durfte so ohne weiteres das Feld
nicht räumen.
Hupfeld. Darüber ist jetzt leicht urteilen. Hätten
ihn die Franzosen gefangen, wär' die Schmach
noch größer.
Pfankuch. Aber eine furchtbare Dummheit war's
doch, die Soldaten bei Wabern zusammen-
zuziehen, um sie wieder auseinandergehen zu
lassen..
Schäfer. Jawohl, eine Dummheit war's. Man
hätt' diese Himmelhunde doch erst mal ran-
kommen lassen sollen.
Hupfeld. Man wird ihn absetzen.
Sommermann. Wer weiß, für wen nun die
schöne Wilhelmshöhe gebaut ist?
Pfankuch. Da fällt mir ein Spaß ein, der
kürzlich im Herrenkeller passierte.
Hupfeld. Erzähl!
Pfankuch. Sitzt da der Trumpf, der kleine Doktor,
im Alkoven und hält einen Vortrag über die
Wilhelmshöhe. Das neue Schloß wäre weiter
nichts als ein Steinkasten und sein Erbauer
ein Bauernschädel —
Hupfeld. Was hat der gesagt?
Sommermann. So ein Hundsfott!
Pfankuch. — ein Bauernschädel, dessen Verstand
nicht weiter reiche, als seine Augen sähen.
Schäfer. Damit will er den Franzosen gefallen.
Pfankuch. Es müsse in Hessen nun auch end-
lich mal was Neues kommen, und das Neue
könne nicht anders heißen als — Napoleon.
Hupfeld. Himmelkreuz — so ein Verräter!
Sommermann. So ein Speichellecker! Man
hat ihn doch —
Pfankuch. Hört nur weiter! Kaum war das
Wort heraus, springt alles hoch -. Was will
so ein Lauskerl. Federfuchser, Rechtsverdreher
sagen? Der will unsern Kurfürsten herunter-
setzen? Hinaus mit ihm!
Hupfeld. Recht so!
Pfankuch. Tische donnerten zur Seite, Stühle
krachten, Gläser gingen in Scherben. Die dicke
Holzapfeln, die hättet Ihr müsien schreien hören!
««ML 90 vmtL
Eh man sich versah, hatt' Euch der Schumann
den Napoleonsapostel am Kragen. Schwebend
hob er ihn über die Köpfe hinweg —
Schäfer. — wie einen Hering —
Pfankuch. Die Fenster flogen wie von selber
auf, und der Doktor saß im Kühlen.
Hupfeld. Das hat er mal wieder gut gemacht.
Sommermann. Er weiß immer zur rechten
Zeit zuzupacken.
Schäfer. Die letzten Tage war er rein von Sinnen.
Stundenlang starrte er vor sich hin, und wenn
man ihn fragte, gab er keine Antwort.
Pfankuch. Hiebe verdienen wir, wenn wir uns
das gefallen lassen, meinte er heute früh, als
er bei mir im Schlierbach war.
Hupfeld. Wie heißt denn eigentlich der Kerl
in Kassel, der das Regiment führt?
Pfankuch. Lagrange.
Hupfeld. Was? Lagrange?
Sommermann. Das hört sich an wie krank.
Schäfer. Ja, krank sind wir alle.
Hupfeld. Die Franzosenkrankheit haben wir nun
über und über. (Lachen.)
Sommermann. Aber ein Hesse stirbt nicht
daran.
Pfankuch. Welche Zeit mag's wohl sein?
Sommermann. Am Klausturm schlug's halb
zwölf.
Pfankuch. Auf zwölf hat er uns bestellt, dann
muß er jeden Augenblick eintreffen.
Hupfeld. Ich höre Tritte. (Geht zur Tür.)
Schäfer. Er ist's.
(Schluß folgt.)
---------4»-^----------
Der Überfall van Wanfried am 18. April 1813.
Von Wilhelm Pippart.
Wer in diesem Frühjahr die Stadt Wanfried
während der Einweihung des Freiheitsdenkmals
besucht, der versäume nicht, sich das lebensgroße
Bild des Majors von Hellwig, dem mit zu
Ehren das Denkmal errichtet wird, in einer Stube
des alten Rathauses zeigen zu lassen, ist doch der
Name dieses Parteigängers in die Tafeln der Ge-
schichte des Städtchens unverwischbar eingegraben.
Bis auf den heutigen Tag haben sich die Namen
anderer Parteigänger wie Schill, Lützow und Herzog
von Braunschweig fortgepflanzt; aber die ruhm-
umkränzten anderer, wie Colomb, Blankenburg,
Dörnberg und Hellwig, sind vergessen, und doch
hat gerade Friedrich von Hellwig, Major im
2. Schlesischen Husaren. Regiment, dessen Brust
die höchsten Kriegsauszeichnungen schmückten, An-
spruch darauf, im Hessenlande und besonders wieder
im Werratale nie und nimnier mit dem Fluch der
Vergessenheit beladen zu werden.
Als Sohn eines herzoglichen Hofrats und Pro-
fessors am 18. Januar 1775 zu Braunschweig
geboren, war Hellwig von früher Jugend von der
unwiderstehlichen Neigung für die Reiterwaffe be-
seelt. Mit 16 Jahren trat er als Junker im
weißen Husaren-Regiment Nr. 3 ein. In der
Rheinkampagne von 1792—95 fand er schon als
ganz junger Kornett Gelegenheit zu einem erfolg-
reichen Husarenstreiche, der die Aufmerksamkeit auf
ihn lenkte. Ein Zeuge aus damaliger Zeit be-
richtete, daß Hellwig eine imposante Erscheinung,
kräftig, unermüdlich, im höchsten Grade umsichtig,
in der Aktion ruhig, besonnen, dabei aber hoch
energisch und kampflustig, stets für die Seinen
sorgend, liebenswürdig und ein guter Kamerad
gewesen sei. 1799 zum Sekond-Leutnant befördert,
verbrachte er die Zeit bis 1806 in mehreren kleinen
Garnisonen.
Drei glänzende Waffentaten, die besonders uns
Hessen und Thüringern unvergessen bleiben müssen,
fallen in die Kriegsjahre 1806 und 1813. Es
sind dies die Überfälle von Eichrodt bei Eisenach,
von Langensalza und von Wanfried. An das
letzte dieser drei kühnen Reiterstücklein wollen wir
hier erinnern.
Wenige Tage, nachdem Hellwig nach 18stündigem
Marsche mit einer Eskadron einen 1200 Mann
Infanterie, 300 Mann Kavallerie starken Feind,
der 6 Geschütze bei sich hatte, in der Nacht vom
12. zum 13. April in Langensalza überfallen und
ihm 3 Kanonen, 2 Haubitzen, 1 Munitions-Wagen,
30 Pferde und einige Gefangene nach einem hart-
näckigen Gefecht abgenommen hatte — ein Unter-
nehmen, das ihm u. a. das Eiserne Kreuz II. Klaffe
einbrachte und das Blücher als ersten Waffen-
erfolg im Feldzuge durch Tagesbefehl bekannt gab
und der Nachahmung empfahl —. stand Hellwig
wieder in unmittelbarer Nähe Langensalzas. Die
z. Z- sehr geschwächte Armee des Königreichs West-
falen stand vereinzelt in vielen Orten des Eichs-
feldes. Auf diese hatte es jetzt der Freischarenführer
abgesehen.
Da brachte ihm ein ehemaliger kurhessifcher
Offizier namens Barthels die genaue Kunde, daß
im nahen Mühlhausen 50 westfälische Husaren
xmtL 91 *"Wb
und in Wanfried eine Schwadron vom 2. west-
fälischen Husaren-Regiment nebst einer Kompagnie
Voltigeurs ständen. Barthels bot sich als Führer
an. Jedoch war Mühlhausen längst vom Feinde
verlassen, und so ritt denn die Freischar noch am
Abend des 17. April nach Wanfried zu.
Überall in den eichsseldischen Dörfern, die Hellwig
passierte, wurden Versprengte gefangen genommen.
Da also die Gegend nicht sicher war und Hellwig
selbst einen feindlichen Überfall befürchtete, ließ er
an wichtigen Punkten Wachen zurück. Dadurch
trat aber eine starke Schwächung seiner Schar ein.
Kaum 100 Reiter waren es
noch. Diese Schar teilte er
an der Straßengabelung
Mühlhausen-Wanfried und
Mühlhausen-Lengefeld wieder
in zwei Teile, ritt mit dem
einen Teil selbst nach Wan-
fried zu und ließ den zweiten
unter Führung eknes Offiziers
über Lengenfeld-Großtöpser-
Frieda reiten, um so Wan-
fried von zwei Seiten um-
klammern und überraschen
zu können.
Schweigende Nacht lag über
dem schlummernden Werra-
tale. Die grauen Giebel der
Häuser des Städtchens Wan-
fried tauchten verschwommen
aus dem Dunkel auf. Nur
fern über die östlichen Berg-
rücken lichteten sich rötend
die Wolken. Der Morgen
begann.
Da wollte eine feindliche
westfälische Patrouille durch
das Obertor. von einem Er-
kundigungsritt durchs Werratal heimkehrend, reiten.
Plötzlich sausten preußische Reitersäbel durch die Luft.
Die ahnungslosen Westfalen sanken aus den Sätteln,
und Hellwig mit seinen Reitern galoppierte durch
das geöffnete schutzlose Obertor. Unterdessen war
auch der andere Teil des Streifkorps durch das
Untertor hereingekommen. So war die Über-
rumpelung der Stadt vollkommen gelungen. Die
überraschten westfälischen Soldaten wurden gefangen
oder niedergemacht. Auch ihr Führer, Rittmeister
Kolbe, geriet in Gefangenschaft. Die Gefangenen
traten zum größten Teil in Hellwigs Dienst und
kamen unter das Kommando des hessischen Haupt-
manns Barthels.
So war Wanfried von der französischen Fremd-
herrschaft vorläufig befreit und die Bürger atmeten
erleichtert auf. Wenn auch ihr aufflammender
Patriotismus für viele verhängnisvoll wurde, so
flog doch die glänzende Tat des Majors von
Hellwig wie ein Lauffeuer durch das geknechtete
Hessenland. Ein ahnungsvoller Frühlingshauch
durchwehte die Täler. Des Königs „Lustigk"
morscher Thron begann zu zittern.
Major von Hellwig hatte nach dem Stadt-
überfall noch Größeres vor. In Heiligenstadt auf
dem Eichsfelde standen je ein Regiment feindlicher
Kavallerie und Infanterie sowie eine Abteilung
Artillerie. Die waren aber durch Versprengte aus
Wanfried rechtzeitig gewarnt
worden. Hellwig gab in letzter
Stunde, da seine Reiter stark
ermüdet und die eingestellten
Westfalen nicht ganz zuver-
lässig erschienen, den Überfall
auf. Er zog sich wieder hinter
Mühlhausen zurück.
Später plante er sogar einen
Überfall auf die Stadt Kassel.
Aber Jvrüme wartete die An-
kunft der kühnenPreußen nicht
ab, tags zuvor hatte er sich
„französisch" empfohlen.
Blücher zeichnete Major
von Hellwigs herzerfrischendes
Reiterstücklein im Werratale
durch einen Tagesbefehl da-
durch aus, „daß des Königs
Majestät dem Major von
Hellwig des kombinierten
Schlesischen Husaren-Regi-
ments für das von demselben
bei Wanfried wiederholt
rühmlich geführte Gefecht das
Eiserne Kreuz I. Klasse ver-
liehen habe."
Dadurch wurde der so Ausgezeichnete der erste
Inhaber des Eisernen Kreuzes I. Klasse in der
gesamten preußischen Armee. —
So waren dem tapferen Freischarensührer drei
Überfälle glänzend gelungen. Aber auch drei seltene
Ordensverleihungen wurden ihm zu teil.*) Durch
seine Waffentaten feuerte er den Wetteifer seiner
Kameraden in hohem Maße an. und der Name
Hellwig hatte in ganz Preußen einen guten Klang.
*) Bereits 1806 nach dem Überfall von Eichrodt hatte
der damalige Sekondleutnant den Orden kour le mérite
erhalten und war zum Rittmeister befördert worden. Bei-
läufig bemerkt sei. daß die Überreichung dieses Orden« an
Hellwig durch das preußische Königspaar eine besondere
Szene des mit Unterstützung des deutschen Kaisers her-
gestellten bekannten Kinofilms „Königin Luise* bildet.
92
Das Interesse an den Helden der Freiheit tritt
für uns Hessen und Thüringer nun etwas mehr
zurück. Wechselvoll und inhaltsreich sind seine
ferneren Kriegsjahre auch weiterhin gewesen. An
zahlreichen Schlachten, Gefechten und Überfällen
hat er hervorragenden Anteil genommen.
Heimliche Märsche, Erkundigungen und Schleich-
patrouillen, Verstecke und Überfälle sind gewisser-
maßen das tägliche Brot des Parteigängers ge-
wesen. Bald unter dem Oberbefehl des Generals
von Bülow stehend, bald dem Oberkommando des
Kronprinzen von Schweden Bernadotte angehörend,
bald in völliger Selbständigkeit seine Unterneh-
mungen ausführend, war Hellwig, der „Normal-
husar", durch seine rastlose Tatkraft, Umsicht und
Geschicklichkeit ein wahrer Schrecken seiner Feinde.
Durch Überläufer, Gefangene deutschen Namens
und Freiwillige vermehrte sich die ihm unterstellte
Truppe immer mehr und mehr, so daß er bald
über 3 Schwadronen Husaren, 1 Schwadron
Reitende Jäger. 3 Kompagnien leichter Infanterie
und eine Abteilung Büchsenjäger verfügte.
Wie im Lützowschen Freikorps, so hat auch bei
Hellwig ein Mädchen in den Feldzügen mitgefochten.
Es war dies die nachherige Ehefrau des Polizei-
sergeanten Scheinemann aus Lübben.
Von großer Popularität bei seinen Untergebenen
zeugt ein den Führer verherrlichendes Soldaten-
marschlied, das mit den Worten begann
„Seht ihn auf dem Schimmel fitzen.
Seht. wie ihm die Augen blitzen.
Gewiß macht er einen Plan."
Dies Soldatenlied gab ihm später einmal Ritt-
meister von Witkows, ein Pole, der eifersüchtig
auf Hellwigs Ruhm geworden war. als er diesen
bei einem unglücklichen Zusammenstoß gerettet,
parodierend im gebrochenen Deutsch mit den Worten
zurück:
„Seh dir Schimmel fitzen
Seh dir Augen blitzen.
Na. jetzt mach sich Plan?
Im Feldzuge 1815 unterstand Hellwig dem
Oberbefehl des alten Blücher. Als Oberstleutnant
und Kommandeur des 9. Husaren-Regiments, das
jetzt den Namen „2. Rheinisches Husarenregiment
Nr. 9" trägt und Straßburg als Garnison hat,
kehrte er in die Heimat zurück.
Im Jahre 1838 wurde ihm auf sein Ansuchen
der Abschied als Generalleutnant in Gnaden
bewilligt. Die letzten Lebensjahre verlebte er in
Schlesien. Am 26. Juni 1845 beschloß der Tod
sein taten- und lorbeerreiches Leben.
Der Name „Hellwig" ist bei Eichrodt und Fisch-
bach in einem einfachen Denkstein der Nachwelt
zum Gedächtnis unvergänglich eingegraben. Die
Stadt Wanfried wird dies in Verbindung der
Namen „Hohmann" und „Gottsleben" in diesem
Frühjahr tun.
Hessische Münzen im Jahr 1813.
Aus dem großen Befreiungsjahr, dessen Jahr-
hundertfeier in diesem Jahre begangen und schließlich
durch die festliche Einweihung des Völkerschlacht-
Denkmals zu Leipzig gekrönt werden wird, haben
wir nicht viele hessische Prägungen. Begreiflicher
Weise, brachte doch erst der Oktober die endgültige
Befreiung, und bis dahin war Hessen-Kassel ein
Bestandteil des Königreichs Westfalen, warum
das Großherzogtum Hessen dagegen im Jahr 1813
überhaupt nicht geprägt hat, läßt sich nur ver-
muten. — Noch hatte Westfalen reichlich für
Münzen gesorgt, wir haben von 1813 solche zu
10 Talern. 40 Frank, 10 Frank, 5 Frank in
Gold, 1 Taler, 2/a Taler, V« Taler in Silber.
Aber dann kam der Umschwung, der den großen
Sieg brachte und Westfalen von der Landkarte
hinwegfegte. Von den für ganz Deutschland hoch-
bedeutsamen Ereignissen handelt eine ganze Reihe
kleiner Denkmünzen aus der bekannten Medaillen-
Fabrik von Loos zu Berlin, die in Gold, Silber
und Bronze geprägt wurden. Sie behandeln alle
möglichen Kriegsereignisse aus den Jahren 1813—15,
zeigen auf der Vorderseite alle übereinstimmend
eine Siegesgöttin mit der Umschrift: 6ott segne
die vereinigten Heere und unterscheiden sich nur
durch die Inschrift der Rückseite, gewissermaßen
eine Fortsetzung jener Umschrift, wobei es nicht
immer ganz logisch zuging. Von diesen 68 kleinen
Loosschen Medaillen beziehen sich Nr. 16 und
Nr. 21 auf Hessen. Die Inschrift auf der Rück-
seite der einen lautet - Bei Hanau durch Wrede
d. 31. Oct. 1813, bei der anderen: Zurückkunft
des Kurfürsten von Hessen-Cassel in seine be-
freite Residenz d. 21. Nov. 1813.
Eine größere Silber-Medaille unbekannten Ur-
sprunges zeigt das Kopfbild des Kurfürsten mit
der Umschrift Wilhelmus I. Elector Hass., auf
der Rückseite eine allegorische Darstellung mit der
ME, 93 ME»
Umschrift Salutis pararía tribulatio (Des Heiles
Vermittlerin ist Trübsal) und im Abschnitt
Regeneratio regimine 1813.
Dem „Bündnis der drei alliierten Monarchen"
gilt eine mit der Bezeichnung Hanau d. 30. Oet.
1813 versehene Messingmedaille von Joh. Thomas
Stettner zu Nürnberg, die sowohl die drei Monarchen
als auch die Leipziger Schlacht bildlich darstellt.
Die einzige amtliche hessische Prägung des Jahres
1813 bildet ein sehr seltener Probetaler, hergestellt
von dem Münzgraveur Wilhelm Körner. Er
zeigt das Kopfbild des Kurfürsten mit der Um-
schrift Wilhelmus I. D. 6. Elect. Landg. Hass,
und das vollständige hessische Wappen mit einem
leeren Mittelschild. In diesem sollte später das
auf ein erhofftes Erzamt bezügliche Zeichen seinen
Platz finden. Hoffte doch Wilhelm I. damals,
daß nun das heilige römische Reich deutscher Nation
neu erstehen und ihn als Kurfürsten mit einem
Erzamte bedenken werde.
Das ist alles, was an hessischer Numismatik
aus dem großen Jahr 1813 zu berichten ist.
Leipzig.
Paul Weinmeistrr.
Eine hessische „religiöse Dankrede".
Gehalten in der Reformierten Kirche zu Rinteln 1813.
Von Pfarrer Wilhelm Schuster, Rinteln.
„Religiöse Dankrede" nennt sich die Predigt,
die Dr. G. Ph. Jäger, Professor und erster Pre-
diger in Rinteln a. W., im Jahre 1813 am 5. De-
zember „dem Feste der Wiederkunft des Durch-
lauchtigsten Kurfürsten von Hessen, Wilhelms des
Ersten, und des Durchlauchtigsten Kurfürstlichen
Hauses in Höchstdero Staaten" gehalten hat.
Diese Predigt, im Stile der Aufklärungszeit
gehalten, gehört zu den interessantesten Hundert-
jahr-Reminiszenzen dieses Jahres und ist nament-
lich für uns Hessen wertvoll. Denn ihr Inhalt
ist ein Zeugnis von der Anhänglichkeit, mit der
der Hesse an seinem angestammten Fürstenhaus
hing; und wenn auch unter den Schaumburger
Bauern der Spruch umging daß ihr Wilhelm I.
nicht gerade allzu viel Verehrung und Dank ver-
diente, sagten sie sich doch, daß sie unter allen
Umständen treu zu ihm halten wollten, weil er
ihr Fürst sei. Wilhelm I. ist bekanntlich durch
Rinteln und die Grafschaft Schaumburg gekommen,
als er vor Jérôme aus seinem Reiche floh.
In der Dankrede, die in der Reformierten Kirche
in Rinteln anläßlich seiner Rückkehr gehalten wurde,
wird Jérôme zwar nicht direkt mit Namen ge-
nannt. ebensowenig Napoleon. Dieser wird zwei-
mal unter dem Titel „Der Feind des Menschen-
geschlechts" begriffen, während Jérôme mit dem
Ausdruck „ein unberufener Fremdling, der, selbst
ein Sklave des großen Weltbedrückers und eigner
Sinnlichkeit nicht Meister, deutsche Völker, Hessen
doch beherrschen wollte" verstanden wird. „In
unserer uralten Stadt", heißt es, und damit ist
Kassel gemeint, „in unserer durch das Andenken
edler und weltberühmter Anherrn und, als der
Sitz großer Regententugenden und treuer Unter-
tanenliebe ehrwürdigen Fürstenstadt" hat sich dieser
unberufene Fremdling „unter dem mißbräuchlichen
Titel eines Königs" eingenistet. „Unsere glückliche
vaterländische Verfassung sahen wir schwinden gegen
die Gebilde einer ausländischen, nur auf Erpressung
und Sklaverei berechneten, auf unser Land, unsere
Sitten und Gebräuche nicht anwendbaren Kon-
stitution. Ehrbarkeit und Biedersinn, Sittlichkeit
und Gottesfurcht, diese unverwelklichen Zierden in
der Krone des alten Fürstenhauses, flohen vor dem
bacchantischen Lärm der unheiligen Menge, die den
neuen Herrscher stets umlagert hielt. Unter frucht-
losen Tränen und gerechten Verwünschungen mußte
der arme Untertan seine letzte Habe, die Frucht
seines Fleißes, das Erzeugnis seiner Sparsamkeit
im Rauchopfer der Wollust und der Ver-
schwendung jeder Art auffliegen sehen." Hierbei
ist natürlich gedacht an die Hosfeste des „Morgen
wieder lustik" und an die Ausschweifungen jeder
mnd meist sinnlicher Art. „Der Handel und jedes
redliche Gewerbe erstarb oder erkrankte unter dem
eisernen Banne einer Staatsklugheit, die nur Er-
preffungen unter lausend Namen und Formen zum
Gegenstand ihrer Erfindung machte." Reichlich
ausgesaugt hat allerdings Jérôme die ihm zu-
gewiesenen Länder. „Unsere Söhne, der Stolz
des Landes, die Freude und Hoffnung unseres
Lebens, der Trost und die Stütze unseres schwachen
Alters, o wir mußten die unglücklichen Opfer dahin
führen sehen, um die Freiheit anderer Völker wie
unsere eigne immer mehr zu unterdrücken, den
Wohlstand anderer Völker wie unsern eignen von
Grund aus zu zerstören und dann, vielleicht un-
begraben, mit ihrem Leichnam das Schlachtfeld
zu decken oder verstümmelt in die trostlose Heimat
zurückzukehren. Sieben Jahre lang seufzten wir
so unter dem Joche des Statthalters eines fremden
Despoten." Der Redner vergleicht in geschickter
Weise diese sieben bösen Jahre mit den bekannten
*WL> 94 NML-
sieben Jahren aus Josefs Traum, ohne diesen
Vergleich direkt auszusprechen.
Begreiflich ist darum der Dank, dem der Redner
Ausdruck gibt in seiner religiösen Dankrede. „Ein
Dank, den gewiß jeder gute Hesse mit Freuden
hier vor dem Thron des Allmächtigen niederlegt.
Ein Dank, an dem gewiß jeder Teutsche herzlichen
Anteil nehmen wird, der das Glück zu würdigen
weiß, einen! Staate anzugehören, in dem der freie
Mann nicht Sklave, der Eingeborene nicht Fremd-
ling ist, einem Staate, in dem der Bürger sein
Eigentum gesichert, seine Rechte geschützt sieht,
in dem Tugend und Ehrbarkeit, Religion und
Menschenwürde geachtet werden, in dem man in
aller Hinsicht unter dem Schutze des Fürsten sicher
lebt, der als rechtmäßiger Regent die heilige Pflicht
anerkennt, sein Land als ein von Gott ihm an-
vertrautes Pfand gewissenhaft zu verwalten und
es nicht, dem ungetreuen Haushalter gleich sme
Järüme^ als ein zeitliches Pachtgut nach Möglich,
keit auszusaugen und selbstsüchtig zu benutzen."
Vielleicht könnte man glauben, daß es etwas
übertrieben sei, wenn man im Folgenden liest:
„Auflösung der Banden des Blutes, der Freund-
schaft und des gemeinsamen Vaterlandes und
tückische Aufwiegelung des Bruders gegen den
Bruder, des Teutschen gegen den Teutschen. Ein-
kerkerung und Hinrichtung schuldloser Menschen
wegen treuer Anhänglichkeit an Fürst und Vater-
land, Krieg und Blutvergießen, Rauben und Plün-
dern, Einäscherung ganzer Städte und Dörfer,
Verheerung blühender Provinzen, allgemeine Nah.
rungslosigkeit, Teuerung, Hungersnot, die selbst
die Gräber nicht schonte, ansteckende Krankheiten,
die die Menschen bei tausenden wegrafften — das
ist die entsetzliche Geschichte unserer Tage." Man
braucht aber nur an die Erschießung der Schill-
schen Offiziere oder an die Niedermetzelung der
Lützower während eines Waffenstillstandes durch
den Württemberger Normann zu erinnern, um
die obigen Worte zu verstehen. Immerhin betont
der Redner mit Recht, daß die Grafschaft Schaum-
burg vom Kriegsgetümmel mehr oder minder ver-
schont blieb-. „Und wenn wir unseren Orts und
unserer Gegend auch mit Dank gegen die Für-
sehung gestehen müssen, daß wir von den gewalt-
samen Erschütterungen und Schlägen, die das Wohl
anderer Städte und Provinzen von Grund aus
zerstörten, nichts oder doch nur den fernen, schwachen
Nachhall empfanden, wenn wir auch das dumpfe
Klagegeschrei der leidenden Menschheit nur von
Ferne hörten, so gingen doch auch uns im Strom
der Zeiten teuere, unersetzliche Güter verloren."
Zum Schluß füge ich die Ehrentafel der kur-
hessischen Vaterlandsverteidiger aus Rinteln an,
die im Kampfe, gegen Napoleon gestanden haben.
Die Tafel befindet sich in der Nikolaikirche in
Rinteln.
Rinteln, am
Bösendahl, Karl Willi
Bösendahl. Rud. Eduard
Abdecker, Gottlieb
Brandt, Ludwig
Bödicker. Karl
Bombeck, Daniel
Brandt, Friedrich Daniel
Breiding. Georg Ludwig PH.
Bosse, Georg Friedrich
Brüggemann, Karl
Caspari, Christian Ludwig
Caspari. Wilhelm. A. P. K.
Dehne, Hermann
Eissel, Carl Ludw.
Goldschmidt. Jakob (Israelit)
Girnaud, Heinrich
Heuser. August Friedr.
Heuser, F. W. C. A.
Herwig, Karl Heinrich
Hildebrand. Karl
Jakobi, Heinr.
Jakobi, August
Jakobi, Daniel
Könemann, Moritz
Heuser. Friedr. Ludw.
Nope, Chrischan
d'Etienne, Chrischan
24. April 1814.
Korff. Friedr.
Küster. Friedrich
von Münchhausen, Wilhelm
Metz. Karl
Netzer. Johann
Osterwald. Karl Friedr. F
Osterwald. Leberecht Friedr.F.
Pröpping, Karl Friedr.
Schlichting. Johann Friedr.
Schmidt, Wilhelm Engelbert
Schnaare, Karl
Schoenfeld, Johann Heinrich
Schwarz. Gottlieb
Schwarz. Ludwig
v. Stein. Karl
Schwarz, Heinrich
Boges, Johann Konrad
Bauth. Karl Anton Heinr.
Wellhaufen. Rudolph
Wagener, Gottfried
Zimmermann. Wilhelm
v. Ditfurth. Georg Alex Ludw.
Wendt, Georg Ludwig
Wagener, August
Flörke, Konrad Heinr.
Flörke, Wilhelm Heinr.
Wilhelm von Geister.
Ein dem tapferen Krieger geweihtes Erinnerungsblatt.
Von M. Geisler.
Hundert Jahre sind seit jener großen Zeit ver-
rauscht, da Begeisterung und Opfermut, Hingabe
von Gut und Blut das Vaterland von schmach-
voller Fremdherrschaft befreiten. Und wenn wir
jenes erhebenden Abschnitts der Weltgeschichte ge-
denken. so treibt uns ein dankerfülltes Herz dazu,
auch den einzelnen Kriegern, die sich durch besondere
Tapferkeit in dem Befreiungswerk ausgezeichnet,
ein warmes Wort zu weihen. Schon in meiner
Kindheit Tagen stand ich in beinahe andächtigem
Schauen vor dem Bilde meines Urahnen — ich
fühlte seine Größe, ohne Wiffen des Zusammen-
hangs. Heute weiß ich. was er für das Vater-
land getan.
Wilhelm von Geisler wurde im Jahre 1791
in Hanau als Sohn eines kurhesfischen Offiziers
tß*b 95 vssL.
geboren. So siel der Beginn seiner militärischen
Laufbahn in jene ruhmreiche Zeit, die den Taten-
durst und die Begeisterung des jungen Offiziers
auf das Höchste entflammte. Das war nicht weiter
Wunder zu nehmen. Sagt doch Weber bei Schil-
derung der Schlacht bei Groß - Görschen: „Die
vaterländische Begeisterung, die die Edelsten der
Nation ins Lager trieb, hatte ihre Feuertaufe
bestanden. Selbst die Toten lagen da mit ver-
klärtem Angesicht; sie waren mit dem Gefühl aus
der Welt gegangen, daß sie ihr Vaterland und
sich selbst gerächt."
Nach mündlicher Überlieferung bestand die
Heldentat des damaligen Leutnants Geisler darin,
daß er mit Gefahr seines Lebens, durch einen
Streifzug an den feindlichen Vorposten vorüber,
eine vorteilhafte Wendung des Kriegsglücks herbei-
geführt. Er hatte damit dem Vaterlande einen
Dienst geleistet, dessen Bewertung sich daraus er-
gibt, daß er m den erblichen Adelsstand erhoben
wurde. Freilich hatte ihn bei dieser Gelegenheit
eine Musketenkugel getroffen, die ihm nach Heilung
der Wunde anfangs keine Beschwerden verursachte,
aber in späteren Jahren wohl den Verzicht auf
manches persönliche Lebensglück brachte. Am
31. März 1814 nahm er teil an dem glorreichen
Ereignis, dem siegreichen Einzug der Verbündeten
in Paris. Das eiserne Kreuz und zahlreiche
Orden schmückten bald die Brust des preußischen
Offiziers. Die Schmerzen jedoch, die ihm im Lauf
der Zeiten die verhängnisvolle Kugel verursachte,
nötigten ihn im Juli 1833, als Hauptmann um
seine Entlassung aus dem Kriegsdienst einzukommen.
Da gerade die betreffenden Patente vor mir liegen,
denke ich, daß es vielleicht nicht ohne Interesse
sein dürfte, von dem Inhalt eines Offizierspatents
aus damaliger Zeit Kenntnis zu nehmen. Das-
jenige aus dem Jahre 1829 lautet wie folgt:
„Nachdem Seine Königliche Majestät von Preußen. Unser
allergnädigster König und Herr reoolviret haben, den
Premier-Lieutenant Wilhelm von Geisler, im 30. Jnfan-
terie-Regiment, wegen seiner guten Eigenschaften und er-
langten KriegSkenntniffe zum Capitaine und Compagnie-
Chef in genanntem Regiment in Gnaden zu ernennen und
zu bestellen, so thun Allerhöchst dieselben solches auch hier-
mit, und in Kraft dieses Patents dergestalt, daß Seinem
Königlichen hohen Hause derselbe ferner getreu, hold und
gehorsam sehn, deß Nutzen und Beste« überall suchen und
befördern. Schaden und Nachteil aber verhüten, warnen
und abwenden, was ihm von seinen Vorgesetzten aufge-
tragen und anbefohlen wird, treulich und fleißig, sowohl
bei Tage, als bei Nacht ausführen und bewerkstelligen,
sich durch nicht« davon abhalten lassen, der ihm anver-
trauten Compagnie wohl vorstehen, für derselben Beste».
Aufnehmen und Oooservatioo sorgen, solche stet« in kom-
pletten und untadelhaften Stande erhalten, den Leuten
dasjenige, was auf selbige assigniret und gezahlt wird,
ohne unzulässige Abzüge verabreichen, übrigens auch bei
allen vorfallenden Krieg»-Begebenheiten mit williger und
ungefcheuter Darsetzung seines Leibes und Lebens, sich
ferner dergestalt verhalten und bezeigen solle, wie e« einem
getreuen Diener und rechtschaffenen kriegserfahrenen Officier
eignet und gebühret, auch deffen Eibe-pflicht r« gemäßigt.
Dagegen wollen Allerhöchst dieselben Dero Capitaine
von Geisler bei dieser Charge und der ihm anvertrauten
Compagnie nebst allen demselben daher zustehenden ?raero-
gativen und Gerechtsamen jederzeit in Gnaden schützen
und wainteuirsn. Das zu Urkund haben Seine Königliche
Majestät dieses Patent Eigenhändig unterschrieben und mit
Dero Jnfiegrl bedrucken lasten. So geschehen und gegeben
Berlin, d. 14ten April 1829.
Friedrich Wilhelm."
Nach erfolgter Pensionierung zog es ihn nach
seinem geliebten Hessenland und seiner treuen Vater-
stadt Hanau, wo er in der Familie seines älteren
Bruders, eines kurhessischen Offiziers, ein schönes,
gemütliches Heim fand. Als ein schweres Los
mochte er es ja empfinden, daß seinem Tatendrang
ein so frühes Ziel gesetzt war — umsomehr, weil
der von der Kugel ausgehende Druck ihn schließlich
zur Benutzung eines Rollstuhls zwang. In seinem
Sanssouci, im Garten vor dem Tore, verbrachte
er wohl manche der Erinnerung geweihte Stunde,
aber das anregende, froh gesellige Haus seiner
Verwandten, die ihm treu ergebenen Freunde
halfen über viel Trübsal hinweg.
Schon am 29. Juni 1840 schlummerte er nach
nur vierundzwanzigstündigem Kranksein aus einem
kurzen, aber inhaltreichen Leben in die Ewigkeit
hinüber. Nach dem Tode wurde die Kugel aus dem
Körper entfernt und dabei festgestellt, daß sie durch
Druck auf einen Nerv am Knie das Gehen behindert.
Die Chirurgie von damals war nicht imstande
gewesen, den Lebenden von der Kugel zu befreien
und ihn damit einem vollwertigen Dasein zurück-
zugeben. Wehmut überkommt mich beim Anblick
des kleinen Geschosses, das für alle Zeiten als
Andenken des tapferen Vorfahren in der Familie
aufbewahrt werden soll. Es zwang ihn zum Ent-
sagen auf eine glänzende Laufbahn, auf manche
Lebensfreude — vielleicht auch zum Verzicht auf
ein ersehntes Herzensglück.
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Auf dem
Herrenabend des Kasseler Vereins am 3. März
berichtete Bibliothekar Di*. Hopf über die Feier
der Verleihung der Kurwürde an den
Landgrafen Wilhelm IX. im Jahre 1603,
besonders über die aus diesem Anlaß in Kassel und
in Obersuhl gefeierten Feste, an welchem letzteren
Orte ein Kandidat Raßmann der Feier den studen-
vmtL 96 vAE.
tischen „Landesvater" zu Grunde legte, sowie über
die bei Gelegenheit dieser Feier entstandene kur-
hessische Nationalhymne. Schriftsteller Wolfs teilte
dazu mit, daß bei dieser Feier zum ersten Male in
Kassel, und zwar an der Ecke des jetzigen Synagogen-
gartens, Leuchtgas gebrannt worden sei, das sein
Großvater bereitet hatte. Bankier Fiorino er-
gänzte die Mitteilungen über die Nationalhymne.
Rechnungsdirektor Wo ring er gab daraus einen
Überblick über den Verlauf der Schlacht bei Hanau
am 30. Oktober 1813, wozu Bibliothekar Dr. Hops
daraus hinwies, daß weniger eigene Unfähigkeit
Wredes als die bestehenden po-
litischen Verhältnisse den Miß-
erfolg der Verbündeten bei Hanau
herbeigeführt haben. Bankier
Fiorino erläuterte hierauf die von
ihm und Privatmann W e n tz e l l
veranstaltete, sich aus die Ereig-
nisse des Jahres 1813 beziehende
Ausstellung, die großen Beisall
erregte. Sie enthielt u. a. Hand-
schriften Järömes und seiner Mi-
nister, die Proklamation Tscherni-
tscheffs, ein Bild der Schlacht bei
Hanau von Westermeyer, ein Bild
des Hanauer Schlachtfeldes von
Horace Vernet, Jörümebildmffe,
Bildnisse der Königin Katharina,
der Kursürstin Auguste, des letzten
Kurfürsten als Kadett, seltene
Porträts hessischer Persönlich-
keiten, z.B. dasjenige von Haynaus,
das Wappen des Königreichs West-
falen, ein Brustschild der Oaräe
royale, Münzen, die die Truppen
1813 trugen, einen gegen Gold-
schmuck eingetauschten eisernen
Ring, eine Anzahl fliegender
Blätter, darunter den ersten Druck
der hessischen Nationalhymne usw.
Nachdem dann noch eine Anzahl von Bibliotheksdirektor
Prof. Dr. Brunner, Schriftsteller Wolfs, Geheimrat
Köhler, Privatmann Rudolph und Weißbindermeister
Schiebeler deni Vereine geschenkter oder für diesen
Abend geliehener Drucksachen, Urkunden usw. vor-
gezeigt und besprochen worden waren, schloß der
Vorsitzende, Generalmajor z. D. Eisentraut, mit
warmen Worten des Dankes an die Herren Fiorino
und Wentzell für die Ausstellung ihrer Sammlungs-
gegenstände die Versammlung.— „Über Kassel
und die militärische Krankensürsorge in
westfälischer Zeit" sprach in der Monatsver-
sammlung des Kasseler Vereins am 17. März
Landesbibliothekar Dr. pdil. Hops. Wir werden
den Vortrag, der auf Grund völlig neuen Materials
ein anschauliches Kulturbild jener Zeit bot und sehr
beifällig ausgenommen wurde, im Wortlaut ver-
öffentlichen. ____________________
Hundertjahrfeier. Die am 10. März als dem
100 jährigen Gedenktag der Stiftung deS Eisernen Kreuzes
und dem Geburtstag der Königin Luise in ganz Preußen
veranstaltete Gedenkfeier der Erhebung Preußens gegen
die französische Fremdherrschaft im Jahre 1813 wurde
auch in allen hessischen Städten und Dörfern festlich be-
gangen. In Kaffel fand außer den Schulfeiern nach einem
Festgottesdienst in den Kirchen Parade der Garnison auf
dem Friedrichsplatz statt, wobei der kommandierende General
Exzellenz v. Scheffer-Bohadel in einer
Ansprache u. a. auch an die ehrenvollen
Erinnerungen der alten Kurheffen er-
innerte. Die Stadt Kassel ließ durch
eine Deputation zur Ehrung der ge-
fallenen Hessen am Löwendenkmal in
der Karlsaue und am Hessendenkmal
auf dem Forst kostbare Lorberkränze
niederlegen. Die rotweißen Schleifen
trugm die Inschrift: „Lieber tot als
fremder Untertan. Gewidmet von
der Residenzstadt Kaffel" Außerdem
wurden im Auftrag des preußischen
Kriegsministers durch Abordnungen
einzelner Truppenteile die Gräber der
Veteranen aus den Befreiungskriegen
auf dem alten und neuen Totenhof
nach einer kurzen eindrucksvollen
Feier durch Kränze mit Schleifen in
den hessischen Farben geschmückt. —
Auch die Leitung der Volksvorträge
hatte eine Feier zur Erinnerung an
den Frühling 1813 veranstaltet.
Festspiele zur Hundertjahr-
feier. Außer Heinrich Bertel-
mann, aus dessen Spiel „Schumann"
wir diesmal einen Abschnitt wieder-
geben, hat auch Wilh. Pippart
in Wanfried rin fünfaktiges Heimat-
spiel „Im Morgenrot" verfaßt. Außer-
dem wurde in Homberg ein dreiaktiaes
Festspiel „Der Gott, der Eisen wachsen
ließ" von GeorgMohr in Kaffel
wiederholt aufgeführt. Der Rein-
ertrag der Aufführungen soll zur
Hälfte als Grundfonds für ein Ludwig Mohr-Denkmal
Verwendung finden.
Aus Allend orf. An der Stelle wo seit Hunderten
von Jahren die sogenannte Zimmerslinde als Wahrzeichen
unserer Stadt gestanden und seit fast 60 Jahren den unter
ihr hingeführten Zimmersbrunnen beschattete, wurde am
17. März zur Erinnerung an die große Zeit vor 100
Jahren, am Hundertjahrestage des Aufrufs Friedrich
Wilhelms III. von Preußen an fein Volk, eine neue Linde
gepflanzt. _____________
Aus Hanau. Von einer Jüdin, die die Feldzüge
von 1813 und 1814 mitmachte, weiß die „Voff. Ztg." vom
4. Dezember 1818 zu erzählen. Esther Manuel (später
Luise Grasemus), geboren zu Hanau, Mutter von zwei
Kindern, war von ihrem Manne verlaffen. Sie hatte er-
fahren. daß er nach Insterburg und in russischen Kriegs-
SML. 97 9msb
dienst getreten fei. Als die russische Armee in Deutschland
einrückte, entschloß sie sich, ihrem Manne nach Schlesien
nachzureisen. In Berlin faßte sie den Entschluß, selbst
Kriegsdienst zu leisten. Da sie in Manneskleidern reiste,
gelang es ihr. in das 2. Königsberger Landwehr-Ulanen-
Regiment einzutreten. Unter Major von Herrmann'machte
sie die Feldzüge von 1813 und 1814 erst als Freiwilliger,
dann als Wachtmeister mit, wurde zweimal verwundet, bei
Jüterbog und in der Gegend von Metz. Im Armeekorps
des Generals Grafen Bülow von Dennewitz erhielt sie
auf dem Marsche durch Holland 1814 das Eiserne Kreuz.
Am 29. März 1814 traf sie bei Montmartre unvermutet
mit ihrem Manne zusammen, der immer noch Wachtmeister
im russischen Garde-Ulanenregiment Konstantin war. Die
Freude des Wiedersehens der Gatten währte nicht lange,
da den Mann am folgenden Tage eine Kanonenkugel nieder-
streckte. Bald darauf verließ auch Luise Esther das
Regiment und kehrte mit ehrenvollen Wunden und Aus-
zeichnungen und glänzenden Zeugnissen über ihr Wohl-
verhalten zu ihren Kindern zurück. Die „Vossische Zeitung"
teilt in ihrem Berichte auch mit, daß die Petersburger-
Zeitung .Der russische Invalide" vom 25. Januar (6. Fe-
bruar) 1815 ebenfalls des weiblichen Ulanen Luise Manuel
Erwähnung tut und den Bericht mit den Worten schließt:
„Sie hat sich durch ihre
Tapferkeit und Geistes-
gegenwart die Bewun-
derung und den Beifall
aller erworben"
Aus Dörnberg.
Eine merkwürdige Be-
gebenheit aus den Frei-
heitskriegen vor hun-
dert Jahren wird hier
erzählt. Als König
Jorüme Anfang Ok-
tober 1813 von Kassel
flüchtete, kam er auch
durch unseren Ort. Aus
Haß gegen den Fremd-
herrsiher gab ein Mann
von hier namens Alex-
ander Dötting einen
Schuß auf den König
ab. ohne jedoch zu
treffen. Als nun Jérôme noch einmal zurückkehrte, sollte
zur Strafe für das Attentat ganz Dörnberg in Flammen
aufgehen. (?) Davon wurde zwar abgesehen, doch wurde
das Haus des Täters dem Erdboden gleich gemacht. Dötting
Grabmal Friedrich von Baumbachs.-RitterS des Eisernen Helms, aus dem
alten Friedhof am Lutherplatz. Aufnahme von E. Machmar, Kassel.
flüchtete und hielt sich in einer Höhle am Dörnberg auf.
die heute noch den Namen Alexanderhöhle führt.
Ein Kasseler Bries aus 1813. Unter
alten Papieren meines Großvaters fiel mir auch
nachstehender Brief aus dem Jahre 1813 in die
Hände. Er ist von dem Regierungsrat Wetzell an
seinen Schwager, den damaligen Friedensrichter
Berner zu Holzheim, geschrieben.
F. B e r n e r. Zahlmeister.
„Cassel, den 29. Oktober 1813.
Mein allerliebster Herr Bruder!
Am Dienstag gegen Mittag und da die Post bereits
abgegangen war, wurde ich von meinem Arrest im Castel,
worin ich 10 Tage gesessen hatte, mit allen meinen Arrest-
Collegen durch einen Loßlassungs-Befehl des General Bon-
gard befreiet und theils denselben Abend und den Mit-
Wochen zogen alle Franzosen von hier ab. Ich kan Gott
dem Allmächtigen nicht genug danken daß meine Gesund-
heit, eS müßte dann noch nachkommen nicht gelitten hat.
ES dient wohl zum größten Beweiß meiner Unschuld daß
ich garnicht verhört bin
und doch mußte ich nebst
3 anderen bis zuletzt
sitzen indem 12 von uns
schon früher entlaßen
waren. Wäre die
Schlacht von Leipzig
welche Deutschland die
Freiheit wieder gegeben
hat nicht so siegreich für
die Alliirten ausge-
fallen. so hätten wir
noch viel zu befürchten
gehabt, allein diese hat
unserm Lande in mehr
als einer Hinsicht ge-
nützt. Seit der ver-
gangenen Nacht haben
wir Rußen und Preu-
ßen hier und jetzt wird
noch für ein starkes
Corps gekocht, welches
heut Nachmittag einrücken wird. Alle waffenfähige Ein-
wohner dienen in den Nationalgarden zu Pferde und zu
Fuße, unser Herr President von Porbeck stehet soeben Schild-
wacht auf der Hauptwache." — Folgt Familienangelegenheit.
Hessische Bücherschau.
Bertrlmann Heinrich. Schumann oder der
Soldatenaufstand zu Esch Wege. Ein Spiel
in vier Aufzügen nebst einem Nachspiel. 84 Seiten.
Kasiel (Friedr. Scheel) 1912. Preis Mark 1,—.
Der Soldatrnausstand des Regiments Wurmb in Efch-
wege gegen die französische Fremdherrschaft war unter allen
gleichzeitigen Soldatenempörungen in Hessen der nach-
haltigste. Unter Führung des Fouriers Jakob Schumann
wurde in der Nacht zum 23. September 1807 das Eschweger
Rathaus gestürmt, die Waffen aus diesem zurückgeholt, die
Tore besetzt und Hauptmann von Uslar zum „Obersten
der Hessen ausgerufen. Uslar gelang es jedoch nicht, die
Disziplin aufrecht zu erhalten; die Soldaten wurden von
den Franzosen entwaffnet und die Hauptschuldigen gefesselt
abgeführt. Fünf der Insurgenten aus der Umgegend
wurden am 21. Februar 1808 auf dem Werdchen in
Esibwege erschossen, während Schumann selbst seine Liebe zum
angestammten Fürsten in der Karlsau zu Kassel mit dem
Leben büßen mußte. Diesen wackeren Hessen hat Heinrich
Brrtelmann in den Mittelpunkt seines Spieles gestellt, das
jene Tage der heldenmütigen Erhebung wieder aufleben
läßt und sich teils zu Efchwege, teils im Kastell zu Kassel
abrollt. Der Verfasser hat es verstanden, seinen Gestalten
Fleisch und Blut zu leihen, und gibt uns in rascher
Szenenfolgt ein lebensvolles, anschauliches Bild aus den
Tagen der Fremdherrschaft, das gerade in diesem ErinnerungS-
jahr verdiente, an zahlreichen Orten des Hessenlandes auf-
geführt zu werden. Wir geben in unserer vorliegenden
Nummer die Verschwörungsszene der aufständischen Sol-
daten wieder. Hbach.
98 smtL
Müsebeck, Ernst. Gold gab ich für Eisen. Deutsch-
lands Schmach und Erhebung in zeitgenössischen Do-
kumenten. Briefen. Tagebüchern aus den Jahren 1806
bis 1815. 393 Seiten. Stuttgart (Deutsches VerlagS-
hauS Bong & Co.). Preis Mark 2,—
Der auch in Hesien durch seine Tätigkeit am Marburger
Staatsarchiv bekannte Archivar am Geheimen Staatsarchiv
zu Berlin Or. Ernst Müsebeck bietet hier ein Erinnerungs-
buch. das uns auS Berichten und Briefen der Zeitgenossen,
aus Tagebüchern, Verordnungen, Zeitungsnachrichten den
Geist der Zeit von 1806 bis 1815 nahe bringen will.
„Gold gab ich für Eisen." So stand eS auf den eisernen
Trauringen, für die man die eigenen goldenen Ringe
hergab, um den Kriegsschatz aufzubringen. Und die Opfer-
freudigkeit und Opserfähigkeit deS deutschen Volkes spiegelt
kaum etwas ungetrübter wieder als diese authentischen
Dokumente, die mit großem Geschick hier zusammengestellt
sind. Hier sei der Brief Blüchers wiedergegeben, den er
bei seinem Zug zum Rhein aus Philippsthal bei Hanau
an seine Frau abschickte:
„Pilipsthal den 30. Oktober 1813.
liebes malchen!!
nun weiß ich nicht mehr waß ich dich schreiben soll alle
ordens die zu haben sind habe ich schon auf dem Leibe,
den Kaiser Napoleon jage ich täglich vor mich hehr, zu
Recht ernsthafte gefegte wirds auf dieser seitte des Neins
nicht mehr kommen und in Zeit von 7 tagen bin ich in
Frankfuhrt oder Coblenz, nach dehm sich mein gegner
wenden wird, gesund bin ich mit meiner gantzen Um-
gebung. die sich Empfiehlt, von Frantz habe ich weiter
keine Nachricht, als daß es mit seiner Heilung guth geht
und er außer gefahr ist, ich hoffe Dressen, wo er ist wird
balde übergehn und dan ist er frey. Dein Bruder ist so
wie ich höre gesund, ich denke du kamst dan wieder zu
mich nach Frankfuhrt, dan kan dein Fritze auch dahin
kommen, lebe Wohl und Schreibe mich ja gleich. Heute
Personalien.
Verliehen: dem Regierungsrat vr. Andritzky in
Kassel der Charakter als Geheimer Regierungsrat; dem
Kgl. Mufikdirigenten a. D. Müller und dem Obermusik-
meister Grosse in Kaffel der Titel Kgl. Musikdirektor;
dem Bezirksbrandmeister Raabe in Kassel der Rote Adler-
orden 4. Kl.; dem Kgl. Musikdirektor Hallwachs in
Kassel das Ritterkreuz des Fürstlich-Lippischen Hausordens;
dem Kantor Heinlein zu Sondheim der Adler der In-
haber des Kgl. Hausordens von Hohenzollern.
Ernannt: Pfarrer Wörner in Dörnigheim zum
Pfarrer in Wächtersbach; Regierungshauptkassenbuchhalter
Hebecker und Regierungssekretär Berendes zu Kaffel zu
Rechnungsräten; Landrat Freiherr KarlvonDoernberg
zu Fulda, Kaiser!. Oberleutnant a.D.RabevonPappen-
heim zu Escheberg bei Zierenberg, Regierungsaffessor
von Kotze zu Kassel. Regierungsaffessor von Götz zu
Kassel. Landrat von Gehren zu Homberg zu Ehren-
rittern des Johanniterordens.
In die Liste der Rechtsanwälte eingetragen. Gerichts-
assessor Friedrich bei dem Amts- und Landgericht in
Kassel; Gerichtsassessor Schön hals bei dem Amtsgericht
in Rotenburg a. F.
Geboren: ein Sohn und eine Tochter: Lehrer E. R i ch t e r
und Frau Hedwig, geb. Lohmann (Kaffel. 12. März). —
Ein Sohn: Hugo Grau und Frau, geb.Grote (Augusten-
hof bei Pyritz 15. März). — Eine Tochter: Zahnarzt
C Fenner und Frau Ella. geb.Zimmermann (Hannover,
8. März); Rechtsanwalt Br. Th. Dellevie und Frau
Olga. geb. Plaut (Kassel. 16. März); renit. Pfarrer
R. Siebert und Frau (Balhorn, 19. März).
rücken meine Truppen in Caffel. Die Einlage ist ein
briff des östreichischen Kaiser, in Wien will man mich ein
monument setzen, du wirst noch woll mein Portrait nach
Prag schicken müßen negstens schreibe ich dich mehr grüße
Hein immer dein Blücher."
Auch sonst findet sich manches für hessische Leser Inter-
essante in diesem Band, so die Briefe v. Loßbergs in die
Heimat während des Feldzugs 1812, der Bericht der Haude-
Spenerfchen Zeitung über die Schlacht bei Hanau usw.
Alle diese Dokumente wirken durch sich selbst. Wer die
Entwicklung weiter verfolgen will, erhält hierzu durch die
am Schluß verzeichnete Literatur die Mittel in die Hand.
________________ Hbach.
Tagebuch eines Ordonnanzoffiziers von 1812
bis 1813 und über seine späteren Staatsdienste bis
1848. Herausgegeben von Burghard Freiherr
von Cramm. 220 Seiten. Braunschweig (George
Westermann).
Karl Bodo von Bodenhausen, 1785 auf dem Jagdschloß
Sensenstein bei Kaffel geboren, als Sohn des später nach
Witzenhausen verzogenen kurfürstlich hessischen Geheimen
Legationsrates, wurde 1807 Kammerherr, zunächst der
Königin von Westfalen und 1812 des Königs selbst. Er machte
den Feldzug nach Rußland und 1813 nach Frankreich mit
und hat über diese Zeit sehr ausführlich Tagebuch geführt.
Auch über seine spätere Zeit als hannoverscher Staats-
beamter — er war lange Jahre als Gesandter des König-
reichs Hannover am kaiserlichen Hof in Wien tätig —
hat er Aufzeichnungen hinterlassen, die bis zum Jahre 1849
reichen und auch das Revolutionsjahr 1848 in Wien aus-
führlich behandeln. Alle diese Auszeichnungen hat Freiherr
von Cramm, ein Urenkel Bodenhausens, in dem vorliegen-
den Bande vereinigt herausgegeben, der auch bei den
hessischen Landsleuten des Tagebuchschreibers reiche« Inter-
esse finden wird. Hbach.
Gestorben: Lehrer a. D. Georg Lohmann. 89
Jahre alt (Kaffel. 6. März); Kgl. Justizhauptkasienrendant
a. D. Rechnungsrat Hermann Maaß 82 Jahre alt
(Kassel, 8. März); Ingenieur Ludwig B ran bau (Kaffel,
8. März); Frau Elise Handschuh, geb. Usbeck, 83
Jahre alt (Marburg. 8. März); Rittergutsbesitzer Ernst
Badenhausen (Freudenthal bei Witzenhausen, 9. März);
Kgl. Förster Georg Müller auS Weißenborn, 45 Jahre
alt (Marburg, 9. März); verw. Frau Auguste Busch,
geb. Wiesmann, 74 Jahre alt (Kaffel, 10. März); LandeS-
hauptkaffenbuchhalter a. D. Karl Ludwig Jde, 74 Jahre
alt (Kassel, 11. März); Pfarrer Karl Jatho. 61 Jahre
alt (Köln 11. März); Regierungsbaumeister Wilh. Rrttig,
37 Jahre alt (Kassel, 11. März); Privatmann Karl
Wüsten selb. 66 Jahre alt (Kaffel, 12. März); Fabrikant
Ferdinand Grau. 56 Jahre alt (Plauen, 15. März);
verw. Frau Elise Deichmann. geb. Lüntzel. 82 Jahre
alt (Kassel, 16. März); Freifrau Marie von Oehn-
Hausen, geb. Freiin von Oeynhausen a. d. H. Greven-
burg, 71 Jahre alt (Kaffel, 20. März).
Briefkasten.
X. in Kaffel und B. in Friedenau. Die uns freund-
lichst übersandten Beiträge kamen für diese Nummer leider
zu spät und werden in der nächsten gebracht werden.
AuS verschiedenen Gründen hat sich daS Erscheinen dieses
HefteS verzögert. Wir bitten die Leser um freundliche Ent-
schuldigung. In Zukunft wird daS „Heffenland" früh-
zeitiger nach Monats-Anfang und -Mitte herauskommen.
Der Verlag de« „Heffenland
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kaffel.
Dementano
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 7. 27. Jahrgang. Erstes April-Heft 1913.
Die Preußen-feiern in Hessen.
Unser Mitarbeiter Dr. Hans Bran n-Berlin
schreibt uns hierüber u. a. folgendes-------Und
dann muß ich Ihnen mitteilen, daß ich von meiner
diesjährigen Hessen-Reise sehr enttäuscht zurück ge.
kehrt bin. Es hatte sich gefügt, daß ich in Kassel
eintraf zwei Tage, nachdem in Berlin die Er-
innerungsfeier für 1813 gründlich verregnet und
ohne Beteiligung des Volkes — wie immer war
alles abgesperrt — sich abgespielt hatte. Nach
den Zeitungsberichten war die Feier hier eines'
der üblichen militärischen Schauspiele — kein
Volksfest. Und als ich dann nach Kassel kam
und in allen hessischen Zeitungen, die ich nur be-
kommen konnte, die Berichte las aus Stadt und
Land, da wurde nur das erwähnt, was vor hundert
Jahren die Ost- und Westpreußen geleistet, was
die Schlesier getan, wie die Märker zu ihrem
Markgrafen gestanden---------Da schnitt es mir
ins Herz. Haben die Hessen vergessen, wie unsere
Väter dem deutschen Vaterlande damals gedient,
haben die Hessen vergessen, daß das. was Preußen
vor hundert Jahren unbezwingbar gemacht — die
Landwehr und der Landsturm —, alte hessische
Einrichtungen sind?
Soviel mir bekannt, ist Heinrich, das Kind
von Hessen, der Enkel von Hessens Schutzgeist
— der heiligen Elisabeth —, der erste gewesen,
der es verstanden hat, aus einem Volk — ein Volk
in Waffen zu machen.
„Der Landgraue. ließ Jedermann Im Lande
gepieten, der nur einen stecken tragen tonte, avff zu sein
vnd das gemeine Vatterland erretten zu helffen." *)
Und dieser Landsturm hat seine Aufgaben er-
füllt, er hat sich glänzend bewährt gegen äußere
und innere Feinde — die Raubritter und Wege-
lagerer —. In den Städten waren die Bürger
geübt im Gebrauch der Waffen, nach Zünften ge-
ordnet rückten sie aus, die Zunftmeister als Haupt-
leute an der Spitze. So blieb der alte kriegerische
Geist im ganzen Hessenvolk wach. Dem Hessen
war der Krieg Bedürfnis, er war Handwerk ge-
worden. Die Deutschen ziehen in den Kampf,
die Hessen aber in die Schlacht — so schreibt schon
Tacitus. Hieraus erklärt sich auch die Vorliebe
für den Kriegsdienst in den späteren Jahrhunderten
— Kriegsdienst auch um Sold und Lohn. Daher die
Freiwilligen, die alle gern nach Amerika mitzogen,
überall, wo es zu kämpfen gab, finden wir die
hessischen Truppen. Schulter an Schulter unter
rotweißem Banner mit den Truppen Friedrichs
des Großen in Schlesien, in Spanien, in Griechen-
land, wenn es wider die Türken und Franzosen ging.
*) Lauze's ungedruckte Chronik. Kassel. LandeSbibliothek.
Blatt 240.
100
Der Landsturm, den Heinrich das Kind ge-
schaffen, hat jahrhundertelang gearbeitet zum Segen
des Landes, bis Moritz der Gelehrte eine Ver-
besserung eintreten ließ. Und die „Reform der
hessischen Volksbewaffnung oder Landwehr, genannt
Land-Ausschuß" ist vorbildlich geworden. Wie hatte
Tilly den hessischen Landsturm gefürchtet! Doch
ich lasse Rommel*), unseren hessischen Geschichts-
schreiber, reden ., Ausgezogene und gemusterte
Bauern und Bürger waren die Römer, die, so
lange sie gute Ordnung hielten und sich selbst
bezwangen auch die Welt bezwangen und denen
jenes rühmlicher war als dieses . denn daß
Bauern nichts anders als Soldaten und Soldaten
nichts anders als Bauern sind, beweiset ihre Ab-
kunft (sind beiderseits Bauern-Geschwister-Kind)
und die Zeit, so kein Krieg ist. da müssen die
Soldaten tun, was Bauern auch tun, arbeiten,
Handwerkern und dienen, wenn sie nicht wollen
Hungers sterben Es ist auch leichter, ein
Fähnlein Landvolksknechte in neuer guter Ordnung
zu unterweisen als jene Miethssoldaten, welche es
für Schande halten zu lernen, statt es für Schande
zu halten nichts zu wissen ." — so dachte
Landgraf Moritz.
Das Hessenland war in Regimenter eingeteilt,
die ihre Namen nach den Flüssen führten Regiment
Diemel, Fulda, Werra, Edder, Schwalm, Lahn,
Main, Rhein. Die Kommandostellen wurden von
den Beamten (Schultheißen, Rentmeistern, Richtern
usw.) besetzt, und an der Spitze eines jeden Regimentes
stand ein landgräslicher Prinz. Sonntags fanden
in den Dörfern Waffenübungen statt, und in den
Städten sorgten die Zünfte für gute soldatische
Ausbildung.
Rommel schreibt weiter (1837) „Auch erlebte
L. Moritz noch die Freude, daß Johann Sigismund.
Kurfürst von Brandenburg, sein Bundesgenosse,
für dessen Befestigung in dem Jülichschen Erbe
er so große Opfer brachte, in der Errichtung einer
National-Miliz in seine Fußtapfen trat. Zwei
versuchte Landwehr-Offiziere wurden deshalb nach
Berlin gesandt**) (1609). Zweihundert Jahre
nachher verkündete ein Nachfolger jenes Kurfürsten
von Brandenburg, als er in seinem Staat ein
Muster allgemeiner Volksbewaffnung aufstellte,
seinen eigenen Untertanen die längst vergessene,
aber schon von L. Moritz anerkannte Wahrheit,
,die Kraft des Krieges beruhe auf dem Willen
des Volkes, kein Heer, wohl aber jede standhafte
Nation sey unüberwindliche — Worte der preu-
ßischen Landsturm-Ordnung von 1813, womit man
*) Rommel. Geschichte von Hessen. 1837. Bd. VI.
S. 704 ff. Landesvertheidigung. National-Miliz.
**) Allerdings ohne Erfolge zu erzielen.
einzelne Stellen in L. Moritzs Darstellung ver-
gleichen muß.*)"
Auch der Gleichtritt — Parademarsch — den
der alte Dessauer 1700 in der preußischen Armee
einführte, ist zuvor schon lange in Hessen in
Übung gewesen.
Das Ahnenschloß des Freiherrn von und zum
Stein, dem Preußen die Städte-Ordnung verdankt,
hat an der Lahn gestanden.
Und Blücher, des großen preußischen Heeres-
meisters Vater, ist hessischer Rittmeister gewesen.
— Bei einer Besichtigung 1814 in Paris stieg
der Marschall Vorwärts vom Pferde, als er zu
den Hessen kam. Friedrich Wilhelm III. fragte
nach dem Grunde. „Bei den Heffen muß man
zu Fuß vorbei gehen" war die Antwort. Bedarf
es eines anderen Hinweises, was hessische Truppen
geleistet vor Luxemburg und später?
Unsere hessischen Truppen haben preußischen
Regimentern die Wahrung alter Waffenehre über-
tragen. Und Preußens König ist stolz auf seinen
kurhessischcn Heerbann. Fließt doch in unseres
Königs Adern 65 mal das Blut Philipps des
Großmütigen, und ich glaube, bei dem stark aus-
geprägten Ahnenstolz unseres Kaisers ist es nicht
rn seinem Sinne, den Kriegsruhm unserer hessischen
Väter zu vergessen oder zu schmälern. Die Völker-
stämme, die zu einer großen Reichseinheit durch
Blut zusammengeschweißt sind, gedenken alle gern
ihrer Väter Taten. — Weshalb hat der Heffe jetzt
geschwiegen?
In der Aue, an der Stätte, die der Erinnerung
an die Braven von 1809 geweiht ist, hatte die
Stadt Kassel in hessischen Farben einen Kranz
niederlegen lassen „Lieber tot als Fremden unter-
tan" Hat denn auch am Grabe des getreuen
Bundesgenossen Friedrich Wilhelms 111. in der
Kapelle auf der Löwenburg ein Kranz gelegen,
am Grabe des Fürsten, der in der Neujahrsnacht
1813/14 den ersten Teil seiner Landwehr unter
Blüchers Leitung über den Rhein setzen ließ?
Gibt es in Hessen überhaupt eine Amts- oder
Schulstube, in der das Bild Philipps des Groß-
mütigen oder des Landgrafen Karl hängt? Müßte
das Bild des Landgrafen Moritz nicht neben des
Deutschen Kaisers Bild hängen, auf jedem Land-
wehr-Dienstgebäude, besonders aber den hessischen!
Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil'gem Siegerglanz:
Vergib die Toten nicht, und schmücke
Auch uns're Urne mit dem Eichenkranz!
Hat man in Hessen wirklich nach Theodor Kör-
ners letztem Willen verfahren? Hat man die
') Rommel VI. 723.
101
Toten nicht vergessen? Denkt man in Hessen
so kleinlich, daß man sürchtet in den Geruch der
Renitenz zu kommen, wenn man der Größe seines
engeren Vaterlandes gedenkt? Unpreußisch wäre
solch Beginnen. Vaterlandsliebe zeichnet den
Preußen aus. ob er aus Ostpreußen stammt, der
Mark, Schlesien oder Hessen.
Ach freu' mich, daß ich ein Chattenkind bin.
DaS soll mich niemals gereuen.
Die Hessen sind nur in einem blind.
In blinder Lieb' und in Treuen.
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
(Fortsetzung.)
Wir hören nun fast ein Jahrhundert hindurch
nichts weiter Besonderes vom Kasseler Zoll. Mit
der Einführung des Ungelds hatte der Geschäfts-
umfang der Zollstelle auf der Fuldabrttcke jeden-
falls bedeutend zugenommen, und die eine Erhebe-
stelle genügte nicht mehr. Denn um 1450 finden
wir schon 4 Zollstellen oder, wie man damals
sagte, Zollstöcke in Kassel, den alten Stock auf
der Fuldabrücke, einen vor der Nikolauskapelle,
einen dritten vor dem heiligen Kreuze und einen
vierten in dem „Steine Tylen Fischbachs". Das
heilige Kreuz war eine Kapelle, der Stein des
Tyle Fischbach wohl ein aus Stein massiv erbautes
Wohnhaus. Auffallend ist dabei, daß sich auf
der Fuldabrücke zwei Stöcke befinden, einer auf
der Brücke selbst und der andere an der Klaus-
kapelle, die sich auf dem Brückenwiderlager am
rechten Ufer befand. Gegen Ende des 15. Jahr-
Hunderts kam es übrigens wieder einmal zu Zwistig-
keiten zwischen dem Landgrafen und der Stadt
Kassel, die aber von Landgraf Ludwig III. gütlich
beigelegt wurden. Vielleicht hängt es damit zu-
sammen, daß die gesammelten Statuten der Stadt
Kassel eine aus jener Zeit stammende Zusicherung
enthalten, daß die Stadt Kassel weder mit neuen
Zöllen noch mit einem Aufschläge der bisherigen
Zölle beschwert werden solle.
Eine andere uns erhaltene Urkunde aus jener
Zeit läßt uns einen Blick in die Verwaltung des
Zolls werfen. Eine Tochter des Landgrafen Wil-
helm des Älteren, Mechtild, hatte sich in das
Kloster Weißenstein, aus dem im Laufe der Jahr-
hunderte das Wilhelmshöher Schloß entstand, zurück-
gezogen. Sie kam nicht mit leeren Händen. Im
Jahre 1493 versprach der Landgraf, ihr Vater,
dem Kloster 1000 Gulden baren Geldes oder den
gleichen Wert in Früchten, sobald seine „herzliebe
Tochter" im Kloster eingesegnet würde. Aber erst
1500 erfolgte die Zahlung der Summe, über die
die^Priorin des Klosters am Walpurgistage dieses
Jahres eine noch erhaltene Quittung ausstellte.
Die Zahlung erfolgte aber nicht in bar und auch
nicht in Früchten," sondern der Landgraf wies sie
derart auf den Zoll in Kassel an. daß dieser dem
Kloster jährlich am Weihnachtstag 50 Gulden zu
zahlen hatte. Es fand also eine Verzinsung der
schuldig gebliebenen Summe von 1000 fl. mit 5 °/o
statt. Wir lernen hier ein im ganzen Mittelalter
und bis in die Neuzeit hinein übliches Verfahren
kennen, nämlich die Anweisung von Geldsummen,
deren Zahlung dem Fürsten oblag, auf einen Zoll.
Die Zöllner waren damals die Bankiers der Fürsten.
Während des ganzen Mittelalters herrschte be-
kanntlich ein großer Mangel an barem Geld,
namentlich auch in der staatlichen Wirtschaft und
am Hose der Fürsten. Die Abgaben wurden ja
fast sämtlich durch Lieferung von Getreide, Wein.
Geflügel und anderen Lebensmitteln entrichtet.
Nur die Zölle forderten die Leistung der Abgabe
in barem Gelde, und der Zöllner war daher meist
iinstande, den Fürsten bei Erledigung ihrer Schulden-
tilgungen durch bare Vorschüsse unter die Arme zu
greifen. Das übliche Verfahren war so. daß die
Fürsten im Laufe des Jahres den Zöllner zur
Zahlung ihrer Verbindlichkeiten anwiesen. An
einem bestimmten, je nach den einzelnen Ländern
wechselnden Tage fand dann im Beisein der fürst-
lichen Beamten der „Zollschluß" d. h. die Ab-
rechnung statt. Der Zöllner wies nach, wieviel
er eingenommen und wieviel er für Rechnung der
Hofhaltung oder des Staates gezahlt hatte. War
die Einnahme höher, so zahlte er den Überschuß
au die fürstliche Kasse ein. Waren aber die der
Herrschaft geleisteten Vorschüsse höher, was sehr
häufig vorkam, so half sich der Fürst, der ja selten
im Besitze des zur Deckung des Fehlbetrags nötigen
baren Geldes war. häufig damit, daß er dem Zöll-
ner Dörfer. Schlösser oder Ämter verpfändete, aus
deren Gefällen sich dieser so lange schadlos hielt,
bis der Fürst in der Lage war, die verpfändeten
Orte wieder einzulösen. In verschiedenen Län-
dern sind dadurch die Zöllner mit der Zeit zu
Landbesitz gekommen. Bei uns in Hessen ist letzteres
zwar nicht nachweisbar, daß aber das Verfahren
der Ausgabeanweisung auf die Zölle auch hier
üblich war, beweist uns der erwähnte Fall der
Mitgift der Prinzessin Mechtilde, und auch hier
werden sich die Zöllner bei diesem Gebrauch nicht
schlecht gestanden haben.
Die vorher erwähnte Zusage, daß der Stadt
102
Kassel keine neuen Zölle aufgelegt werden sollten,
konnte nicht mehr lange in Kraft bleiben. Die
immer mehr anwachsende Macht der Fürsten brachte
eine einheitliche Landesverwaltung zustande die
zum Erlaß für alle Landesteile gemeinsamer Landes-
ordnungen führte. So finden wir im 16. Jahr-
hundert bereits eine Landzollordnung in Hessen,
deren Tarifsätze nicht mehr, wie früher, für eine
Zollstelle galten, freilich auch noch nicht für das
gesamte Hessenland, aber doch wenigstens für größere
Teile Hessens. Damit verlieren die Zollstellen
der einzelnen Städte und Orte ihre Eigentümlich-
keit, und ihre Geschichte vollzieht sich von da ab
im Nahmen der Landesgeschichte. So ist es auch
in Kassel der Fall.
Neben der eigentlichen Zollerhebung wird nun
auch die innere Verbrauchsabgabe, Lizent oder
Akzise, weiter ausgebaut, nicht ohne Widerstand
des Adels und der Städte, der aber jetzt ganz
erfolglos bleibt. Als 1619 Landgraf Moritz der
Gelehrte ein „neues Lizent" einführte und hierbei
den Kasseler Bürger Johann Mehrmann zum
Inspektor und Landkommissar ernannte, da be-
schwerte sich die Stadt Kassel vergeblich, daß in-
folge der neuen Abgabe ihre Leder- und Pferde-
mürkte abnähmen. Der Ausführung der neuen
Lizentordnung war freilich kein langes Leben be-
schickten. Denn als wenige Jahre jpäter (1628)
Tilly mit seinen Truppen in Hessen einrückte, er-
höhte er ganz nach Willkür die Zölle, die während
der Besetzung Hessens in seine Kriegskasse flössen.
Kassel blieb davon verschont, weil es während des
ganzen 30jährigen Krieges keinen Feind in seinen
Mauern sah. Umgekehrt erhoben übrigens die
Hessen auch in den von ihnen besetzten Land-
strichen Westfalens, Ostfrieslands und am Nieder-
rhein während des Kriegs Zölle. Lizent und Akzise,
die der Generalkriegskasse der Landgräfin Amelia
Elisabeth gu gute kamen.
Im Jahre 1644 war der mittelste Pfeiler der
Fuldabrücke wieder schadhaft geworden und drohte
beim Eisgang einzustürzen. Ob man sich nun
erinnerte, daß schon einmal die aus einer Zoll-
erhebung gewonnenen Mittel zur Wiederherstellung
der Brücke verwendet worden waren, mag dahin
gestellt bleiben. Jedenfalls wurden Bürgermeister
und Nat der Stadt Kassel bei der Landgräfin
Amelia Elisabeth vorstellig mit der Bitte, zur Aus-
besserung der Brücke sowie zur Wiederherstellung
der schadhaft gewordenen Steinwege vor der Stadt
zu gestalten, daß „diejenigen Gelder, so von den
Toren und Schleusten dieses Orts von Pferden,
Wagen, Karren, Schiffen und anderen durch-
passierenden Lasten erhoben werden und hiebevor
zu Reparierung des Walles angewendet, nunmehr
nach des Walles beschehener Reparatur zu Er-
bauung der Brücken, Wege und Stege, als die
eben durch solche Durchfuhren baufällig gemacht
worden, hiefür augewendet werden" dürften. Die
Landgräfin erteilte dazu ihre Genehmigung.
Eine neue Abgabe begegnet uns in dieser Zeit
wieder in Kassel. Das ist das N i e d e r l a g e g e l d.
Dies ist aber, soweit sich erkennen läßt, nicht mit
dem in jetziger Zeit zur Erhebung kommenden
Niederlagegeld gleichartig. Während heute Nieder-
lagegeld von denjenigen Waren entrichtet wird,
die, ohne den darauf haftenden Zoll zu entrichten,
in eine als Ausland geltende Zollniederlage ver-
bracht und erst bei der Entnahme aus dieser Nieder-
lage verzollt werden, hat das Niederlagegeld des
17 Jahrhunderts wohl mehr den Charakter einer
Lagerplatzmiete gehabt. Denn eine Verordnung
vom 2. September 1644 bestimmt, daß fleißig
daraus geachtet werden soll, daß das Niederlage-
geld von ausländischem Wein und Bier, die auf
der Schlagd in Kassel ankommen, gehörig entrichtet
wird. Wurde der Wein in Kassel wirklich nieder-
gelegt, so betrug das Niederlagegeld nach dem
Vertrage mit Kurbraunschweig vom 15. Dezember
1653 2 fl. vom Fuder, wurde er aber nur auf
der Schlagd ausgeladen und dann weiter ver-
frachtet, so betrug es nur 8 Alb., entsprechend der
geringen Zeitdauer, während der der Lagerplatz
auf der Schlagd in Anspruch genommen wurde.
Eine Umgehung der Stapelgerechtigkeit der Stadt
Kassel wird uns aus den Jahren 1659 und 1660
berichtet. Damals luden die Salzfuhrleute, die
das Soodener Salz verfrachteten und meist in den
Dörfern am Meißner wohnten, an der Weser-
Bremer Waren, d. h. Kolonialwaren, besonders
auch friesischen Käse, und fuhren diese Waren zum
Verkauf nach Sachsen und Franken, wodurch sie
dem herrschaftlichen Zoll und der Stapelgerechtig-
keit Abbruch taten. Derartige Waren sollten zu
Schiffe oder zu Wagen nach Kaffel gehen und
dort erst dem Stapel unterliegen. Den Salz-
fuhrleuten sollte die Annahme solcher Fracht nur
während der Zeit der Frankfurter Messe, während
der es wahrscheinlich an Fuhrleuten mangelte,
erlaubt sein, und auch dann sollten sie ihre Ladung
erst in Kassel einnehmen.
(Fortsetzung folgt.)
103
Wertvolle hessische Autographen. )
Von Stabsarzt Has-Oranienstein.
In diesen Tagen findet in Berlin bei Leo
Liepmannssohn eine Versteigerung statt, in der
wertvolle Hassiaca auf den Markt gebracht werden,
die es verdienten, in den Besitz unserer heimischen
Museen und öffentlichen Sammlungen oder wenig-
stens in die Hände heimischer Sammler zu gelangen.
So ist ein Brief Dingelstedts zu erwähnen,
1853 an seinen Freund Theodor Mundt gerichtet,
ebenfalls ein solcher
des Germanisten Wil-
helm Grimm und zwei
besonders wertvolle
seines älteren Bruders
Jacob. Der eine davon
ist 1851 an seinen
Freund Koberstein ge-
richtet und enthält eine
interessante Schilde-
rung der Reaktion in
diesem Jahre. „Die
Flamme des Rechts
wird jetzt mit Gewalt
ausgelöscht und wer
weiß, wenn ihr Funke
wiederausbricht' Und
er wird schon einmal
vorbrechen! Nieder-
geschlagener und be-
trübter bin ich nie in
meinem Leben gewesen,
als seit dem letztenJahr.
Es ist gut, daß Sie sich
in der Arbeit Trost
suchen,ich thue es auch."
Tiefergreifendistein
Brief des bekannten po-
litischen Märtyrers, des
Pfarrers Weidig, 1833
an den hessischen Staatsminister (?) gerichtet. Diesem
schrieb er nach seiner ersten Verhaftung, die infolge
des Frankfurter Attentates vom 3. April 1833 (an
dem er aber nicht beteiligt war), an den Minister
richtete, um entweder feine Freilassung aus der
ungesetzlichen Hast oder seine Stellung vor Gericht
zu fordern. Er wurde allerdings bald freigelassen,
allein 1835 von neuem verhaftet. Doppelt inter-
essant ist sein Schreiben durch die Kennzeichnung *)
Silhouette des Kriegsrat Merck in Darmstadt
*) Die beiden Klischees wurden dem Verfasser in liebens-
würdigster Weise von dem Berliner Antiquariat Leo Liep-
mannssohn. Berlin 8. W 11, Bernburger Straße 14 zur
Verfügung gestellt.
des Universitätsamtmannes Georgi, der ihn 4 Jahre
später in den Tod trieb.
Unter den zahlreichen Autographen aus beut
Kreise der „Fruchtbringenden Gesellschaft" des
Palmenordens, einer der bedeutendsten Sprachgesell-
schaften des 17 Jahrhunderts, interessiert uns ein
Brief des schwedisch-hessischen Gesandten Christoph
Deichmann, „der Lautere" genannt (von 1626)
und ein solcher des
Landgrafen Hermann
von Rotenburg, ge-
nannt „der Fütternde"
Dieser ist 1648 an den
Begründer der Gesell-
schaft , den Fürsten
Ludwig von Anhalt-
Köthen, gerichtet, und
beschäftigt sich vor-
wiegend mit dem Or-
den. Der Landgraf
bittet um Einsendung
der Wappen und Far-
ben der neuen Mit-
glieder, um diese im
Winter als Zeitver-
treib zu den Kupfern
malen zu können, die
er von der Gesellschaft
bereits habe. Auch vom
Landgraf Moritz dem
Gelehrten befilldet sich
ein freundschaftliches
Schreiben an seinen
Oheim, den Fürsten
Ludwig zu Anhalt-
Bernburg, dabei. Land-
graf Moritz heißt in
der Gesellschaft „der
Wohlgenannte" - Aus den zahlreichen wertvollen
Stücken, die Goethe und seinen Kreis umfassen, sei
eine (in Sammlerkreifen sehr hoch bewertete) eigen»
händige Quittung seines Jugendfreundes, I. H.
Merck, erwähnt, der 1791 durch Selbstmord endete,
und ein Silhouettenalbum mit 90 Silhouetten aus
dem Goethekreise, das ein Porträt des Kriegsrates
Merck in Darmstadt bringt (siehe die.Silhouette).
Auch Goethes Reisebegleiter Joh. Heinr. Wilh.
Tischbein ist mit einem hübschen Brief an seine
Frau vertreten, der einen angenehmen Einblick in
das Familienleben im Hause Tischbein gewährt.
Die hessischen Künstler sind noch durch Gustav
Eberlein und Ludwig Emil Grimm vertreten, welch'
104
o* HM-1,
No. 2215. Spohr. Eine Seite aus dem Original-Manuscript des Oratoriums: „Des Heilands letzte Stunden.“ (Stark verkleinert.)
letzterer eben erst durch das schöne Stollsche Buch
besondere Würdigung erfahren hat, sodann durch
die beiden Nugendas' (Moritz und Joh. Lorenz),
deren Ahn einst aus Melsungen auswanderte und
sich 1608 in Augsburg niederließ. Auch von dem
bedeutenden Kupferstecher I. G. Wille, geboren
1715 auf der Obermühle bei Gießen, findet sich
ein hübscher freundschaftlicher Brief an den Baseler
Kupferstecher v. Mechel.
Die größten Schätze aber birgt die Abteilung
„Musiker" in 12 Nummern vom Altmeister Louis
Spohr, darunter das Manuskript des Festmarsches,
den Spohr in Kassel zur Vermählung der Prin-
zessinMaria mitdem Herzog von Sachsen-Meiningen
am 23. März 1825 komponierte. Deni Marsche
hat er bekanntlich die Volksweise: „Und als der
Großvater die Großmutter nahm" zu Grunde
gelegt. In seinerSelbftbiographieschreibt er darüber
„Beim Zuge der Neuvermählten in den weißen
Saal spielte die Kapelle meinen Marsch, der sich
sehr festlich und an der Stelle, wo das Großvater-
lied eingeschoben ist, auch recht lieblich machte. Der
Kurfürst und der Herzog sagten mir beide viel
Artiges über den Festmarsch, der auf ihr Geheiß
wiederholt werden mußte." *) Ferner unter Nr. 2215
ein kostbares Manuskript der Partitur seines Pas-
sionsoratoriums, „Des Heilands letzte Stunden",
das er in den Jahren 1834 und 1835 während
des schweren Krankenlagers und Ablebens seiner
von ihm innig geliebten ersten Frau Dorette
Scheidler, die sich als Klavier- und besonders
Harfenvirtuosin einen Namen gemacht hat, kom-
ponierte. Ihren Todestag (20. November 1834) hat
er gegen Ende des zweiten Teiles im Manuskript
besonders vermerkt. Den Nochlitzschen Text dieses
Oratoriums hatte vor ihm bereits Schicht unter
dem Titel „Das Ende des Gerechten" musikalisch
verarbeitet, ohne jedoch damit Beifall zu finden.
Später schlug dieser auch Mendelssohn den Text
zur Komposition vor, der diesen jedoch ablehnte,
bis endlich Spohr die erneute Vertonung vornahm.
In seiner Biographie schreibt er von der Begeisterung,
mit der er sich der Komposition des Oratoriums
hingab, die ihn alles andere vergessen ließ, und
bezeichnet das Werk als die gelungenste seiner Ar-
beiten. Diese Partitur ist noch ungedruckt. *)
*) Vgl. „Hessenland" 1912, S. 367 f. D Red.
105
Es folgen ein handschriftliches Textbuch zu feiner
1827 komponierten Oper. „Pietro von Albano",
deren Librettist sein durch die „Polenkinder" be-
kannter Schwager Karl Pfeiffer ist, ferner noch
folgende Musikmanuskripte 4. Trio für Piano-
forte, für Violine und Violoncell 1846, dann das
Originalmanuskript des Liedes „Bitte, bitte einen
Blick", ein Kanon zu vier Stimmen für 2 Vio-
linen, Viola und Violoncell und ein Entwurf
zu einem Klarinettenkonzert in f moll, bei dem
es sich offenbar um das ungedrnckte, bei Schletterer
„Spohrs Werke" als 3. Konzert für Klarinette
aufgeführte Werk handelt. Schöne Stücke sind
auch zwei musikalische Stammbnchblätter von seiner
Hand, eines (1858) 9 Takte aus der Ouvertüre
zu „Jessonda" und das andere (1857) die voll-
ständige Komposition des Liedes von Walther v.
d. Vogelweide „Die verschwiegene Nachtigall" ent-
haltend. Außerdem wird eine Sammlung von
68 Originalbriefen von Spohrs Hand gebracht,
aus den Jahren 1807 — 1859, die — zumeist an
bedeutende Künstler und Kunstverleger gerichtet —
gewissermaßen eine Ergänzung zu seiner Biographie
darstellen und für die Geschichte der deutschen Oper
des 19. Jahrhunderts von größter Bedeutung sind.
Das prächtigste Stück, gerade jetzt im Jahre
der Jahrhunderterinnerungen von besonderem In-
teresse, ist aber ein Originalmanuskript mit dem
Titel: „Das befreyte Deutschland. Cantate von
Caroline Eichler, in Musik gesetzt von L. Spohr.
Wien im Winter 1814." Es ist dies die eben-
falls noch ungedruckte Partitur dieser Kantate, die
er für eine große Musikaufführung bei der Rückkehr
des Kaisers von Österreich aus den Freiheitskriegen
„in dritthalb Monaten, vom Januar bis Mitte
März 1814 bei allen meinen übrigen vielen Arbeiten",
wie er in seiner Biographie schreibt, komponierte.
Wäre es nicht eine Pflicht der Dankbarkeit gegen
den großen Meister, sie in diesem Jahre seinen
Kasseler Verehrern zu Ohren zu bringen?
Möchten sich doch offene Hände finden, die solche
kostbaren Schätze für unsere Heimat erhalten'
--------Q-«---------
Vom Kasseler Hostheater.
Zur Hebbelfeier hat uns daS Hoftheater des Dichters
„Gyges und sein Ring" beschert. Es war jammervoll
leer im Zuschauerraum. Die große deutsche Hebbelgemeinde
scheint in Kassel nicht viele Mitglieder zu zählen. DaS
ist beschämend — aber nicht für Hebbel. Gewiß, in des
Dichters Schöpfungen ist etwas, das sie hindert. Gemein-
gut der Nation zu werden. DaS Zergrübelte und Kon-
struierte wirkt erkältend und fremdartig. Wenn er Regungen
und Gefühle bis in die äußersten Verästelungen abtastet,
gemahnt es uns bisweilen an ein anatomisches Präparat,
das Sehnen und Nerven in in ihrem ganzen Verlaus
bloßlegt. Seinem tief düstern Weltgefühl, wie wir es in
seinen Dramen empfinden, hat er in einem Briefe Ausdruck
gegeben, der uns ein Schlüssel ist zu manchem Unverständ-
lichen. „Glauben Sie mir. all das Finstre, was durch
meine Arbeit hindurchgeht, ist nicht Resultat meines in-
dividuellen Lebens- und Entwicklungsganges, es sind
keine persönlichen Verstimmungen, die ich ausspreche, es
find Anschauungen, aus denen allein die tragische Kunst
wie eine fremdartige Blume aus dem Nachtschatten hervor-
wächst. Ein tragischer Dichter selbst der glücklichste,
Sophokles, nicht ausgenommen hat nie andere gehabt;
denn wenn die epische und die lyrische Poesie auch hin und
wieder mit den bunten Blasen der Erscheinung spielen
dürfen, so hat die dramatische durchaus die Grund-
verhältnisse. innerhalb deren alles vereinzelte Dasein
entsteht und vergeht, ins Auge zu fassen, und die sind
bei dem beschränkten Gesichtskreis des Menschen grauenhaft.
Das Leben ist eine furchtbare Notwendigkeit, die auf Treu
und Glauben angenommen werden muß. die aber keiner
begreift, und die tragische Kunst, die. indem sie das
individuelle Leben der Idee gegenüber vernichtet, sich zugleich
darüber erhebt, ist der leuchtendste Blitz des menschlichen
Bewußtseins, der aber freilich nichts erhellen kann, was
er nicht zugleich verzehrt. . " Er konnte den Schillerschen
.Wallenstein" für völlig ideenlos erNären und das Problem
dieser Tragödie in dem Mißverhältnis zwischen der be-
i stehenden Staatsform und dem darüber hinausgewachsenen
Individuum finden. Er konnte allen Ernstes die Lösung
des Konflikts im „Wallenstein" „nur durch eine dem großen
Individuum aufdämmernde höhere Staalsform" fordern.
Was allgemein menschlich in Schillers Helden ist und in
seinem Konflikt, was uns empfinden läßt, daß hier ewig
Wiederkehrendes behandelt wird, lag seinem Verständnis
fern. Es liegt gleich fern seiner Kunstauffassung. Darum
die Wahl entlegenster Stoffe, in denen er seine Ideen kon-
struieren kann. Daher das erkältende Furchtgefühl, das
. uns bleibt, und der Mangel an Erhebung.
In „Gyges" will es uns nicht gelingen. Rhodopens
gesteigertes Schamgefühl, das sie zur Tötung ihres Gatten
und zum Selbstmord treibt, innerlich mit zu erleben. Die
fremde Kultur, in der die Heldin aufgewachsen ist. soll
uns ihr Fühlen verständlich machen. Aber der Fall
Rhodope bleibt uns die sorgsam konstruierte abstrakte
Idee, die um so unglaublicher wirkt, als die Liebe Rho-
dopens zu Kandaules sehr gemäßigter Art ist. Daß sie
des Gatten Tod nicht mehr erregt, könnte erklärt nicht
entschuldigt werden durch die Absicht des Selbstmords.
Dem bewußt dicht am Grabe stehenden mag Anderer Tod
gleichgiltig sein. Uns aber fügt dieser Gleichmut einen
Flecken in das Bild. Trotz alledem ist das Drama Hebbels
Meisterwerk. Diese tragische Höbe ward von ihm nicht
wieder erstiegen. Anlage und Durchführung sind mit
genialer Hand geformt, die Zeichnung der Personen in den
verschiedenen Grundstimmungen ausgezeichnet gelungen. Er
hat keinen Intriganten nötig, um die Handlung in Fluß
zu bringen. Es find lauter edle Menschen. Doch aus
ihrem Charakter erwächst ihnen ihr Geschick. In einer
Zeit wo selbstgefälliges blutleeres Ästhetentum das große
Wort führt und auch auf künstlerischem Gebiete Kompromisse
allzu beliebt find, ragt der seinem Ideal ewig getreue
knorrige Dithmarsche zu gigantischer Höhe auf. Und was
Otto Ludwig bei seinem Tode schrieb, es erscheint uns voll
zutreffende „Wieder einer und wohl der Beste unter den
106 msL
Wenigen dahin, denen es noch mit der Kunst ein heiliger
Ernst * Er hätte zu seiner Säkularfeier ein volleres
Hans verdient
Gespielt wurde vortrefflich. Frl. Görling wußte uns
die Rhodope trotz ihrer Fremdartigkeit näher zu bringen.
Ihre Sprödigkeit und ihr Schmerz, ihre Leidenschaft und
ihre Starrheit berührten tief. Die wohllautenden Verse
brachte sie zur stärksten Wirkung. Das prachtvolle Freund-
schaftsverhältnis zwischen Kandaules und Gyges gelangte
durch die Herren Bohnöe und Alberti zu eindringlichster
Geltung. Herr B oh nee erfreute durch die verinnerlichte
Darstellung des Lydierkönigs und erwies sich wieder einmal
als Künstler von Kopf und Herz. Herr Alberti war
ein echter Grieche, von verfeinerter Kultur. Seine Leiden-
schaft .sein Kampf mit sich selbst, seine verzehrende Liebe
— alles trug den Stempel der Echtheit. Die Regie (Herr
Behrend) hatte den Rahmen so einfach wie möglich ge-
staltet und dadurch die Konzentration auf das Stück er-
höht
Zur Säkularfeier gab man ein fünfaktiges »Schauspiel
aus dem Befreiungsjahr 1813" von Heinrich Lee
»Grüne Ostern" Als Drama hat es keine besondere
Qualitäten, als Festspiel ist es ausgezeichnet. Es ist in
Erfindung und Durchführung der Fabel nicht sehr originell
und die Mischung von lautem Patriotismus und rührseliger
Sentimentalität läßt man sich eben nur in einem Gelegenheits-
spiel gefallen. Hier aber versagt die Wirkung nie. Der
Verfasser kennt die Bühne und ihre Anforderungen. Auf
ihre Optik und Akustik sind seine Effekte sorglich berechnet.
Er weiß Verse patriotischer Dichter mit großem Geschick
seinem Zwecke dienstbar zu machen und das Publikum
wundert sich kaum, wenn für den toten Theodor Körner,
dem der Beifall galt, der lebendige Heinrich Lee dankend
vor dem Vorhang erscheint. Was aber dem Stück ganz
besonders zustatten kommt, ist nicht etwa das Interesse an
der Handlung. Diese zeugt von keiner großen dichterischen
Phantasie. Ein deutscher Jüngling Frank Dorfmüller hat
sich in seines Prinzipals, des Kommerzienrats Schüller,
Tochter Sabine verliebt, ist aus dem Hause gejagt worden,
unter die napoleonischen Fahnen getreten, mit der ge-
schlagenen französischen Armee als Oberst aus Rußland
zurückgekommen und - zufällig' — zu seinem früheren
Chef ins Quartier gelegt worden. Sabine liebt ihn noch
immer, obwohl ihre Mutter Franks Briefe regelmäßig
unterschlagen hat. Indes, dem im feindlichen Heere dienenden
Offizier will sie nicht angehören. Er aber kann leinen
Fahneneid nicht brechen. Da tritt ein — unglaublich ge-
zeichneter — französischer General Sabine zu nahe. Frank
Dorfmüller nimmt sich ihrer an und wird wegen Insub-
ordination zum Tode verurteilt. Da gerade hat der König
seinen Aufruf „An mein Volk" erlassen. Wie Klärchen
für ihren Egmont. sucht Sabine das Volk für Frank
aufzureizen. Sie hat mehr Glück. Die Königsberger
übertreffen die Niederländer an Tapferkeit und befreien den
Gefangenen, der Sabine in seine Arme schließt und als
Freiwilliger ins Feld zieht. Mehr als diese Haupthandlung
interessieren die Episoden, die. geschickt zusammengestellt,
dem Ganzen ein sehr hübsches, anheimelndes Lokal- und
Zeitkolorit geben. Für den nötigen Humor sorgt ein
Invalide, für die Rührung eine ganze Anzahl Personen.
Kassel sucht für seine Jahrtausendfeier ein Festspiel. Hoffen
wir. daß ihm eins beschert ist. das dem Lieschen Stück an
geschickter Mache und Wirkung gleicht
Die Regie des Herrn Jürgensen hatte mit großer
Sorgfalt gearbeitet und ganz besonders die Massenszene
im Schweicniher Keller vorzüglich arrangiert. Der Rahmen
gab ein nettes Kulturbild der Zeit. Es wurde flott gespielt
und der Dichter konnte sich mehrfach bedanken. Aus der
großen Zahl der Mitwirkenden seien der sympathische,
feurige Oberst des Herrn Alberti der warmherzige,
eindrucksvolle Kommerzienrat des Herrn Bohn^e die
anmutige Sabine des Frl. Gypen der mit humorvollen
Zügen ausgestattete Weinhändler des Herrn Verend und
der wirksam komische Hauptmann des Herrn Stein ecke
erwähnt. Herr Hellbach verkörperte einen liebedienerischen
Stadtrat vortrefflich. Frl. S ch o l z gab die Frau Kommerzien-
rat vorzüglich wieder. Frau Clever war eine sehr nette Stadt-
rätin. Herr Pickert machte aus seinem Invaliden ein
Prachtstück drastischer Komik und Herr Böckler sprach
als Student seinen Part mit Feuer und hinreißendem
Schwung.
An dichterischem Wert weit über Lees Festspiel steht
das „Dramatische Gedicht" eines heimischen Dichters, dessen
Uraufführnng das Hoftheater uns bot. An kluger Be-
rücksichtigung der theatralischen Technik steht eS ihm nach.
Hermann Kuno hat sich bereits als feinsinniger Novellist
und Lyriker gezeigt. Er hat stets besonderen Wert auf
die Schönheit der Sprache gelegt und sich in seinen Versen
als reiner Idealist erwiesen. In den „Benediktinern"
kann er alle diese Eigenschaften nicht verleugnen. In
einzelnen Szenen von eindrucksvollem Stimmungsgehalt
herrscht ein lyrischer Grundton und das Stück selbst erweist
eine idealistisch-romantische Weltauffassung, die den Sieg
des Guten und Schönen als Lebensinhalt schaut. In einer
Zeit, da auf der Bühne die Pessimisten herrschen, wenn
nicht gerade Sensationsfabrikanten oder unverständliche
Neuromantiker ihr Wesen treiben, wirkte diese zuversichtliche
Lcbensbejahung in wirklich romantischem Gewände auf die
zahlreiche Zuhörerschaft offenbar erfrischend. Widerspruchs-
los machte sich immer neu einsetzender Beifall geltend, der
den Dichter wieder und wieder an die Rampe rief. Zweifel-
los hat an diesem Erfolg die sorgsam gefeilte Verssprache
ihr wohlgemessen Teil. Wir sind der Verlotterung des
Dialogs so sehr gewöhnt, daß eine bilderreiche, inhaltvolle
und wohlgefügte Konversation auf den Brettern eine wohl-
tuende Ausnahme ist. Der Inhalt des Stückes ist einfach
genug. In einem Benediktinerkloster lebt ein junger Mönch,
dessen goldenes Wesen ihm alle Brüder zu Freunden macht,
und der nebenbei noch ein begnadeter Dichter ist. Ihn
hat der Autor des Stücks zum Träger seiner Ideen und
seiner Weltanschauung gemacht. In ihm spiegelt er sich
offenbar selbst. Liborius hat Minne- und Hirtenlieder
geschrieben, die er heimlich im Land verbreiten läßt und
die rings Entzücken hervorrufen. Ein Benediktiner, Poly-
karp. der auf ihn eifersüchtig ist, entdeckt das Geheimnis
und verrät es dem Abte. Liborius muß zur Sühne seiner
Schuld sich einer Mission in fernen Gegenden anschließen.
Nach einigen Jahren kehrt er wieder. Er hat jenseits deS
Meeres Rühmliches vollbracht, und die Herzen seiner Brüder
fliegen ihm von neuem zu. Doch Polykarp sinnt auf seinen
Untergang. Er hat erfahren, daß ein junges Landmädchen
den unbekannten Dichter der Hirtenlieder schwärmerisch
liebt führt sie mit Liborius zusammen und hofft, daß
diesem daraus das Verderben erwachsen werde. In der
Tat gesteht Maria dem jungen Benediktiner, als sie besten
Autorschaft erfährt, ihre Liebe. Doch dieser, trotzdem er
des Mädchens Gefühle heiß erwidert, bleibt fest und ver-
anlaßt auch die Geliebte zur Entsagung. Sie reicht einem
Jugendgespielen die Hand zum Ehebunde, den Liborius
einsegnen will. Als er gebrochenen Herzens das Paar
zusammengibt streckt ein Blitzstrahl ihn und die Braut
nieder und eint im Tode, was im Leben getrennt bleiben
mußte. Polykarp aber erfährt zu spät, daß der Befehdete
sein leiblicher Bruder ist den er so lange gesucht.
Die kurze Inhaltsangabe zeigt, daß es sich um einen rein
romantischen Stoff handelt. Doch „was niemals war.
das ist zu allen Zeiten" Ewig Menschliches tritt vor
uns hin. Allgemeingiltigrs. Tirfergreifendes. Zwar die
107
Technik des Dramas kommt zu kurz. Es wird zuviel
monologisiert, ja ein Teil der Exposition ist in ein Selbst-
gespräch verlegt. Das erste und ein Teil des zweiten
Bildes, so stimmungsvoll sie sind, lassen an dramatischem
Tempo zu wünschen übrig. Aber man merkt überall die
Hand eines begabten, feinsinnigen Poeten, dem es Ernst
ist mit seiner Kunst, dem sie »die hohe, himmlische Göttin"
ist. Und die Handlung ist interessant genug gestaltet, um
auch dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums vollauf
zu genügen. Über dem Ganzen aber ruht eine Stimmung
eigenen Reizes. Derartige romantische Stoffe find nicht
mehr modern. Daß sie noch wirksam sind, hat die Aus-
nahme des Stückes bewiesen. Professor Hobel hat dazu
einige eindrucksvolle Musiknummern komponiert, die lebhaft
ansprachen.
Die Regie des Herrn Jürgen sei, hatte sich des
Stückes mit liebevoller Sorgfalt und mit feinsinnigem Ver-
ständnis für des Dichters Intentionen angenommen. Herr
Alberti gab dem Liborius tiefe Empfindung und idea-
listischen Schwung. Herr Zschokke spielte den Polykarp
charakteristisch und eindringlich. Frl. I ä h n e r t war eine
liebenswerte, schwärmerische Marie. Herr Bohn«'>e ein
warmherziger Abt. Frl. Griebe machte aus der Barbara
eine scharf gezeichnete Charakterfigur und die Herren P i ck e r t.
Eber^r, Verend brachten die komischen Szenen zur
vollen Geltung. H. B l u m e n t h a l.
Schumann oder der Soldatenaufstand zu Eschwege.
Von Heinrich Bertelmann.
(Schluß.)
3. Auftritt.
Die Vorigen. Schumann. Bachmann.
Schumann. Guten Abend, Freunde. Dank, daß
Ihr Wort gehalten. Die wackeren Weiden-
häuser ' — Da bring ich Euch noch eine treue
Haut, den Bachmann aus Frieda. (Begrüßen sich.)
Sommermann tzu Bachmann). Wir kennen uns
von der Hohner Kirmes.
Hup selb. Ja, wenn Weidenhausen nicht wäre,
müßtet Ihr hier im Trockenen tagen. lZu
Sommermann:) Junge, nun mal raus mit der
Pistole!
(Sommermann versucht die umfangreiche Flasche aus
seiner Manteltasche zu ziehen. Es will nicht gelingen.
Schäfer und Bachmann springen zu Hilfe.)
Schäfer (begeistert). Hei ja, das ist ja ein echter
Weidenhäuser!
Pfankuch. Wie kommt Ihr denn zu dieser
Bouteille?
Hupfeld. Das möchtet Ihr nun gar zu gern
wissen! Na ja, dann hört mal zu! Den
alten Braumeister Stippich, den werdet Ihr
kennen.
Sommermann. Er ist so lange ich zu denken
weiß bei Hupfelds.
Hupfeld. In der Dämmrung wollt' ich mir
bei ihm so ein Ohnmachtströpfchen für den
Weg holen. Da hielt er missest. Er hat
dazumal die Franzosen mit aus Frankfurt
vertreiben helfen. Wenn er davon anfängt,
ich sag Euch, er findet kein Ende. Außer sich
ist er, daß der Kurfürst hat flüchten müssen.
Ich hab ihm einen Trost sagen wollen, wir
wären auch noch da. und die Geschichte mit
dem Waffenstrecken wär's Letzte noch lange
nicht. Grad eben wollt' ich nach Eschwege,
zu hören, wie's ständ'. Vielleicht jagten wir
das fremde Pack doch noch eines Tages zum
Land hinaus. - Da hättet Ihr sein Gesicht
sehen sollen' Diese große Flasche hat er mir
voll gezapft, und die Hand hat er mir ge-
drückt, und ich sollt all' meine Kameraden
grüßen, und wir dürften nicht eher ruhen, bis
wir unsere Ehre wieder hätten.
Schäfer. Unsere Ehre — habt Jhr's gehört?
Schumann. Dein Gruß, Hupfeld, gefällt mir.
Das war ein Wort zur rechten Zeit.
Sommer mann (zieht den Kork mit den Zähnen aus
und trinkt aus dem Stammende). Auf gut Glück
denn, Schumann'
Schumann. Es gilt, Ihr Brüder'
(Die Flasche macht die Runde.)
(Pfankuch hat sich während Hupfelds Erzählung auf
die Bank gesetzt und stützt nachdenklich den Kopf in die
Hand. Hupfeld reicht ihm die Flasche.)
Pfankuch (abwehrend). Ich danke!
Hupfeld. Was? Du dankst? Donner und
Doria' Willst Du wohl Bescheid tun'
Sommermann. Hier wird getrunken!
Schäfer. Laßt ihn nur'
Hupfeld. Denkt wohl ans Mädchen.
Schäfer. Diesmal ist's die Mutter.
Schumann. Was ist's mit ihr?
Schäfer (Pfankuch umhalsend). Soll ich's sagen?
Pfankuch (mit sich kämpfend, richtet sich plötzlich auf).
Laß. es ist vorüber '
Schumann. Mein lieber Junge, unsere Mütter
in Ehren, aber Münnerwerk dürfen sie nicht
stören.
Hupfeld. Da — trink' (Pfankuch tut Bescheid.)
Hab mich auch erst mit meiner Alten rum-
zanken müssen. „Zu Deinen Saufkumpanen
willst Du", fuhr sie inich an. Das Haustor
hat sie abgeschlossen und den Schlüssel ver-
steckt. Eine Not hab ich ausgestanden, nicht
zu sagen. Am Ende bin ich durchs Kammer-
fenster entwischt. — Hi hi hi - Dies Ge-
witterchen, wenn ich heimkomme?
108
Bach mann. Mein Großvater liegt schon seit
Wochen an der Gicht. Mitten in den größten
Schmerzen sängt er aus einmal an Geschieht
denn immer noch nichts, daß Ihr Eure Waffen
wieder in die Faust kriegt? Er war mit den
Jägern in Friedewald unter Stainville dabei,
wo ihrer sechzig Mann tausend Franzosen
stundenlang genarrt haben, und meint, wir
wären heute gar keine Kerls mehr.
Schumann. Zeigen wir den Alten, daß wir
ihrer würdig sind. Laßt uns endlich zu unserer
Sache kommen! (Alle nehmen eine ernste Haltung
an. Pfankuch und Schäfer treten rechts, die übrigen
links von Schumann, der vor dem Tische steht.)
Ihr wißt, wie uns die freche Forderung über-
rumpelt hat.
Schäfer. So ist's, daran hatte keiner gedacht.
Schumann. Gutwillig gaben wir die Waffen
aus den Händen.
Pfankuch. Wie Besiegte laufen wir umher.
Hupfeld. Wie Gefangene.
Sommermann. Ehrlos im eigenen Lande.
Bachmann. Es ist zum toll werden.
Schumann. Aber das ist noch nicht alles! Etwas
Neues Unerhörtes fordert man von Euch!
(Allgemeines Staunen.)
Pfankuch. Neues — sagst Du?
Schäfer. Nicht möglich! Was kann man noch
Schlimmeres wollen?
Hup selb. Raus damit!
Alle. Raus damit!
S ch u m a n n. Ihr werdet Euch wundern. Hört!
In Hagenau im Elsaß soll ein neues Infanterie-
regiment errichtet werden. Wer dabei eingestellt
werden will, soll sich bei der Ortsobrigkeit
melden. Die von der Garde müssen bereits
morgen in Kassel sein.
Hupfeld. Eingestellt werden will? — Hahaha,
wer mag da wollen'
Schäfer. Was diese Bande eigentlich von uns
Hessen denkt!
Sommermann. Gemeinheit'
B a ch m a n ii. Auf mich können sie lange warten!
Schumann. Wenn's damit abgetan wäre!
Pfankuch. Nun?
Schumann. Wer nicht zur Stelle ist, soll als
Aufrührer betrachtet und erschossen werden.
(Alle fahren auf.)
Alle (durcheinander). Was? erschossen? —
Hupfeld. Himmelkreuzsakerlot'
Pfankuch. Das ist zu arg!
Schäfer. Erst entreißen sie uns die Wehr, und
dann wollen sie uns in fremde Legionen
zwingen'
Sommermaun. Auf diese Weise schafft man
uns bequem aus dem Lande, —
Bachmann. — damit man dann hier um so
leichteres Spiel hat.
Hupfeld. Sind wir noch Männer?
Pfankuch. Wollen wir für die Ungerechtigkeit
streiten?
Alle. Nimmermehr!
Sommermann. Lieber die Kugel.
Alle. Lieber den Tod!
Schumann. Ihr seht, Brüder, wohin unser
Schifflein treibt. Kann uns noch Schlimmeres
drohn?
Alle. Nein, nein, es ist das Letzte.
Schumann. Wollen wir die Knechtschaft dulden?
Alle. Niemals!
Schumann. Dann müssen wir handeln.
Pfankuch. Es muß etwas geschehn.
Alle. Geschehen muß etwas.
Schumann. So ist denn meine Meinung. wer
nicht fremde Waffen tragen will, soll seine
eigenen wiedernehmen.
Alle. Wiedernehmen!
Hupfeld. Das wollen wir.
Alle. Müssen wir!
Pfankuch. Das Rathaus stürmen.
Alle. Das Rathaus stürmen.
Hupfeld (umhalst Pfankuch). Junge, Du hast's
getroffen.
Schumann. Aber wann?
Sommermann. Je eher, je besser.
Bach mann. Biel Zeit ist nicht zu verlieren.
Schäfer. Die nächste Nacht.
Pfankuch. Es sind ja alle Hände frei dazu.
Hupfeld (jauchzend). Da nehmen wir, was unser ist.
Alle. Was unser ist!
Schumann. Aber wer soll uns führen?
Hupfeld. Der da fragt, ist uns gut genug.
Alle. Der ist uns gut genug.
Schumann (erschrocken). Ihr irrt Euch, Kameraden,
— das geht nicht. Wohin denkt Ihr? Ein
Offizier muß das sein.
Pfankuch. Hat sich denn schon einer von denen
um uns gekümmert, seit wir auseinander gejagt
wurden?
Schäfer. Wo stecken sie?
Hupfeld. Kein Teufel läßt sich sehen.
Schumann. Sic haben ja gar keine Ahnung
von unserm Vorhaben. Wir müssen sie auf-
suchen und in unsere Pläne einweihen.
Sommermann. Warum verließen sie so rasch
die Garnison! Das wird schwer halten.
Bach mann. Wozu ihnen nachlaufen?
Schäfer. Das brauchen wir nicht.
5SSÜ. 109
Schumann. Hast recht, das brauchen wir nicht.
Heute Abend sind nämlich Hauptmann Ulmer
und Leutnant Neitzenstein im Hessischen Hof
abgestiegen. Was sie herführte, weiß ich nicht,
werde es aber erfahren. Am Ende kommen
sie unserm Vorhaben entgegen.
Pfankuch. Wieso?
Schumann. Sie haben uns was mitgebracht.
Hupfeld. Mitgebracht? Was könnte das sein?
Alle. Raus damit!
Schumann. Zwei schwere Kisten — voll Reiter-
säbel! Im Hofe des Dielenmatz am Staade
sind sie abgesetzt.
Alle. Schurri!
Hupfeld. Die müssen wir haben'
Alle. Die müssen wir haben!
Sommermann. Dann glaube ich auch, daß
sie was im Schilde führen.
Pfankuch. Dann schlage ich vor, erst das Rat-
haus zu stürmen, und dann rücken wir vor
den Hessischen Hof und verlangen die Säbel —
B a ch m a n n. — und die Offiziere.
Schumann. Einverstanden. Wenn sie uns be-
waffnet sehen, ist es ihre Pflicht, sich an unsere
Spitze zu stellen.
Schäfer. Bauen wir keine Brücke in die Luft'
Sind wir nicht Manns genug? Laßt uns nur
erst mal die Flinten wieder in den Knochen
haben, den Weg nach Kassel finden wir schon.
Schumann. Wir können ja heute die Führer-
frage offen lassen. Kommt Zeit.,kommt Rat.
Vor allem gilt es jetzt, die Kameraden zu
gewinnen. Nicht allzufrüh, daß nicht Schwätzer-
Zeit finden, die Sache zu vereiteln. Wir ver-
teilen uns in die Stadt. Ich übernehme den
Markt, Pfankuch das Dünzcbacher Tor und
den Brühl, Schäfer die Neustadt, Hupfeld den
Staad und die Forstgasse, Bachmann Brücken-
hausen und Sommermann den Berg. Wenn
wir so um sechs herum anfangen, haben wir
sie um acht im „weißen Roß" alle beisammen,
daß wir den Schlag wagen können.
Schäfer. Und die Bürger?
Schumann. Die reißen wir schon mit.
Pfankuch. Und dann?
Schumann. Und dann? — nun — und dann —
dann —
Hupfeld. Dann geht's auf Kassel los.
Schumann. Dann geht's auf Kassel los.
So mm er mann. Wir allein?
Schumann. Das ganze Land wird wach werden.
Bürger und Bauern werden marschieren. Wenn
sie das in Kassel hören, werden sie schon wissen,
was zu tun ist.
Hupfeld. Unsern Kurfürsten wollen wir wieder
haben.
Alle. Den wollen wir wieder haben.
Bach mann. Es gibt eine Heidenarbeit.
Sommermann. Das gibt's.
Pfankuch. Ob wir's schaffen werden?
Schumann. Es gilt ums Recht —
Schäfer. — und um Gerechtigkeit.
Schumann. Empor die Hände! Gott ist unser
Zeuge' Wir wollen treu zusammenstchn.
Alle. Wir wollen treu zusammenstehn.
Schumann. Niemals Franzosenknechte werden.
Alle. Niemals Franzosenknechte werden.
Schumann. Des Kurfürsten getreue Soldaten
bleiben.
Alle. Des Kurfürsten getreue Soldaten bleiben.
Schumann. Bis in den Tod'
Alle. Bis in den Tod'
110
Am Tore der Heimat.
(1813).
«Zur Erinnerung an den unglücklichen, zur .Grützen Armee" gehörenden Soldaten aus Altenburschla, der — glücklich aus den blutigen
Schneeftldcrn Rutzlands gerettet — sich bis in die Nähe der Fcldmühle bei Heldra schleppt, totkrank zusammenbricht und angesichts der
Heimat in einer Kammer der Mühle stirbt.»
Die Mühlwaffer rauschen, schwer dreht sich das Rad,
Im Stübchen liegt röchelnd ein kranker Soldat.
Die anderen alle der großen Armee
Längst schlummern vergessen in Eis und m Schnee.
Die haben nickt Sarg und nicht Kranz und nicht Stein,
Schon nagen die Raben ihr Totengebein —
Nur ihn hat der Sehnsucht beflügelte Kraft
Zur Heimat, zur Heimat emporgerafft.
Wie eilt er. wie flieht er in Angst und in Harm,
Zu sterben, zu sterben in Mütterchens Arm.
Zlt sterben, zu sterben in Mütterchens Schoßt
O, bestes, o. schönstes und herrlichstes Los!
Schon ist er am Ziele' Schon schaut er das Tal'
Da drückt ihn zu Boden die fiebernde Qual.
„Barmherziger Himmel, so läßt du's geschehn.
Am Tore der Heimat noch unterzugehn
Rasch bettet das Mitleid den Ärmsten sogleich
Im Stübchen der Mühle so warm und so weich —
Blutrünstige, marternde Bilder durchschwirrn
Wie Geier sein wahnsinndurchschütteltes Hirn.
W u n s r i e d.
Horch! — Tief aus der Heimat zum Kranken jetzt weht
Des Kirchglöckleins mahnendes Abendgebet.
Da packt's ihn! Da greift'S ihn! In zehrender Glut
Erzittert des Herzens durchfieberndes Blut.
Da greift's ihn! Da packt's ihn' Mit weher Gewalt
Das nagende Heimweh die Seele durchhallt.
Da ist's ihm, als streiche sein Mütterchen schlicht.
Wie ehmals, ihm über das Kindergeficht.
Als führe sie wieder an schwieliger Hand
Den fröhlichen Knaben durchs blühende Land;
Als streiche sie wieder an Gottes Altar
Ihn kosend, ihn segnend durchs lockige Haar —
So sinnt er — so lauscht er mit tränendem Blick
Von Heimat, von Mutter, von Jugendzeits Glück
Die Sonne verblutet — das Dorfglöcklein schweigt -
Das Haupt des Soldaten stillächelnd sich neigt —
Die Mühlwasser rauschen im ächzenden Klang
Wie klagender, seufzender Totengesang —
Und leise ein Wimmern — ein schluchzender Schrei -
Als bräche das Herz einer Mutter entzwei.
Wilhelm Pippart.
Aus aller und neuer Zeit.
Marburger Studenten als Freiheits-
kämpfer. Herr Landesrat K l ö ssler in Kassel stellte
uns aus dem Stammbuch seines Vaters, der in den
Jahren 1811/15 in Marburg Theologie studierte
und der Landsmannschaft Hassia angehörte (außer
dieser waren noch die Landsmannschaften Guestphalia
und Rhenania vorhanden), nachfolgende Notizen aus
»nb aus einzelnen Stammbuchblättern, die sich aus
die Beteiligung aus dem Freundeskreis seines Vaters
an den Freiheitskriegen beziehen, sreundlichst zur
Verfügung. Sie werden auch für die Leser des
„Hessenland" von Interesse sein.
12. 10. 1811. Kassel. Kimm. Wilhelm Theodor, carni,
pharm., Hesse, blieb als westfälischer Chasseur 1812 in der
Schlacht bei Smolensk.
13. 9. 1813, Marburg. ProlliuS, C. E., aus „Cassel
in Unterdessen" stuck. med., Westfale, wurde im Winter
1813/14 Chirurg bei dem hessischen Armeekorps und ging
mit nach Frankreich.
22.2. 1807, Hersfeld. Brack Konrad, aus Herles-
hausen. Heffe, kam früher als Unteroffizier zu den westfäl.
Kürassieren; im Winter 181314 wurde er Offizier bei
der hessischen Armee und ging nach Frankreich.
6. 9. 1812, Marburg. Bode aus Reichenbach. Werra-
departkment. stuck, med., wurde Chirurg bei den westf.
Husaren, mit denen er im Sommer 1813 zu den Preußen
überging.
5.5.1813. Kassel. Limberger Louis. Leutnant
m 2. westf. Jnfant.-Reg. ging als westfälischer Offizier
nach Rußland, von wo er zurückkam. Er wurde im Winter
1813 Offizier bei der hessischen Armee und ging mit nach
Frankreich
März 1813, Marburg. Grau W.. aus Melgers-
hausen in Unterhessen, stuck., Westfale, ging im Winter
1813/14 zu den gelernten Jägern und marschierte mit der
hessischen Armee nach Frankreich.
11. 5. 1816, Marburg. Elias C. P. F.. aus Nieder-
hessen. stuck, rneck., Hesse, hatte am Feldzug in Frankreich
teilgenommen.
16. 3. 1813, Marburg. Eichen au er M>, aus Friede-
wald bei Hersfeld, stuck., wurde im Winter 1813/14 frei-
williger reitender Jäger und ging mit der hessischen Armee
nach Frankreich.
21. 3.1811. Hersfeld. Lappe Wilhelm Anton Karl.
Gymnasiast, später stuck. Wie vor.
30.8.1811 Marburg. Günste. M. aus Fischbach
in Niederhessen, stuck, zur., Hesie. Wie vor.
16.9.1807 Hersfeld. Frankfurth, aus Roten-
burg a./F., Gymnasiast, später stuck. Wie vor.
9. 3. 1808, Hersfeld. Brack Karl Wilhelm, aus
Herleshausen. Gymnasiast, später stuck., Heste. Wie vor.
10. 9.1813, Marburg. Kellner, aus Rotenburg a. F.
in Niederhessen. stuck, zur., Hesse. Wie vor.
Sept. 1812, Marburg. Wtheil. A.. aus Immichen-
hain in Unterhessen, stuck., Hesse. Wie vor.
9. Junius 1807 Hersfeld. Endemann Ernst,
Gymnasiast, später stuck., wurde im Winter 1813/14
hessischer freiwilliger Jäger zu Fuß und ging mit nach
Frankreich.
111
4. 3 1813, Marburg. Wachs W. aus Deutsch-
Europa. «tud. jur. Wie vor.
14.9.1812, Marburg. En bemann C. (oder L.?),
auS Hersfeld. stud. jur., Hesse. Wie vor.
8. 3. 1812, Marburg. Wangemann. W. G.. aus
Rausibenberg. Btad. jur., wurde im Winter 1813/14 Hess,
freiwilliger Jäger und ging nach Frankreich.
16.3.1812, Rauschrnberg. Clemen C. W. T., auS
Rauschenberg. «tud., Hesse. Wie vor.
5. 10. 1812. Niederaula. Siegel. Wilhelm, cand.
tibeol.. Hesse. Wie vor.
23. 3. 1811, Hersfeld. Buchenau. G. (Bureaubeamter
der Unterpräsrktur in Hersfeld?) Wie vor.
6. 9. 1811, Marburg. Schüler, aus Spangenberg,
stud. theol., Hesse. Wie vor.
Die .in dem Herrn geliebten Marburger Jäger."
Bor einiger Zeit stand im .SimpilzissimuS" folgende An-
ekdote aus Marburg, die inzwischen weiter gewandert ist
und auch in hessische Zeitungen Aufnahme gefunden hat
.Meine in dem Herrn geliebten Jäger!" So
Pflegte der alte GarnifonSpfarrer Waldmann in Marburg
--------
Aus Heimat
HessischerGeschich 1 sverein. In der Sitzung
des Marburger Vereins vom 11 März hielt Ober-
regierungsrat a. D. vr. Firn Haber den ange-
kündigten Vortrag „ZurVorgeschichteder Kur-
hessischen Eisenbahnen" Einleitend wies er
daraus hin, daß das Interesse an der Geschichte des
Eisenbahnwesens wenig verbreitet sei, berührte die
Verdienste Friedrich Lifts und der Brüder Friedrich
und Gustav Harkort und erwähnte den prophetischen
Ausspruch, den Friedrich Wilhelm IV als Kronprinz
1839 bei Eröffnung der Berlin-Potsdamer Eisen-
bahn tat: „Diesen Karren, der durch die Welt
läuft, hält kein Menschenarm mehr aus." Gerade
in Kurheffen hat das Interesse an Eisenbahnen sich
schon sehr früh gezeigt. Männer wie Oberbergrat
Henschel, Geh. Ob.-Baurat Fick, Oberberginspektor
Scharfer und besonders auch Baron Waitz von
Eschen sind früh für Eisenbahnen eingetreten. Schon
1803 und 1817 hatte Henschel Lokomotiven kon-
struiert, ohne daß sie praktische Verwendung fanden.
1832 ist er mit Vorschlägen zu einer mit Preßluft
zu betreibenden Lokomotive hervorgetreten, schon 1822
aber hatte er vorgeschlagen, eine Eisenbahn von den
Hansestädten über Hannover—Kassel— Frankfurt nach
Bayern zu bauen. Dieser Vorschlag muß als das
erste Projekt einer kurhessischen Eisenbahn bezeichnet
werden. Im Jahre 1832 hat Oberberginspektor
Schaeffer in einer „Prospektus und Vorschlag zu
Anlage einer großen Kontinentaleisenbahn zur Ver-
bindung der Ost- und Nordsee mit dem Main, der
Donau — dem schwarzen Meere" betitelten Druck-
schrift den Henschelschen Vorschlag wieder aufge-
griffen. Daraus ist im Frühjahr 1833 eine größere
Anzahl von Männern, außer den Genannten u. a.
an drr Lahn feine allsonntäglichm Predigten zu beginnen,
seit unvordenklichen Zeiten, denn so lange war er schon im
Amte, und so lange schon war seine Gemeinde die Gar-
nison von Marburg, die einzig und allein im 11. Kur-
hessischen Jägerbataillon bestand. An einem Sonntagmorgrn
hatte er wieder einmal die Predigt mit der üblichen An-
rede eingeleitet: „Meine in dem Herrn geliebten Jäger!"
Da sah er plötzlich mitten unter den Grünrölken sechs
Kaffelcr Husaren mit ihrem Unteroffizier sitzen, ein Kom-
mando auf dem Durchmarsch nach Frankfurt a. M.. das
in Marburg seinen Ruhesonntag hatte. Der gute alte
Pfarrer stutzte, er wollte um keinen Preis die sieben Nicht-
jäger durch Übergehen in seiner Anrede kränken, und so
begann er nach kurzer Überlegungspause aufs neue: „Meine
in dem Herrn geliebten Jäger! Und auch Ihr meine
lieben berittenen Mitchristen!"
Die Anekdote mag ganz gut sein, schade, dasi sie nicht
auch wahr sein kann. Denn erstens hat es niemals einen
GarnisonSpsarrer in M. gegeben, zweitens überhaupt
keinen Pfarrer W a l d m a n n, der den Jägern hätte predigen
können. Die Jäger stehen auch nicht seit unvordenklichen
Zeiten in Marburg, sondern erst seit 1866 bzw. 1887. Ph. L.
«»-... - -
und Fremde.
Obersteuerdirektor Meisterlin, Oberfinanzrat Romme-
zur Bildung eines Vereins für Eisenwegebau zu-
sammengetreten, und dieser Verein hat auch bald
die landesherrliche Sanktion erhalten. Er bean-
tragte sogleich bei der Regierung die Bewilligung
von 10 — 12 000 Talern zu Versuchszwecken, zunächst
aber ohne Erfolg. Inzwischen war diesem sank-
tionierten Verein für Eisenwegebau ein Nebenbuhler
erwachsen in dem von einem gewissen I. W. Schmitz
ins Leben gerufenen „Bunde der Völker für Ge-
werbe und Handel", der eine den ganzen Kontinent
umspannende Finanzanlage bezweckte und namentlich
auch einen Eisenbahnverein ins Leben ries. Trotz seines
- marktschreierischen Auftretens und seiner wunderbar
phantastischen Pläne fand Schmitz viel Anklang, und
viele Mitglieder des sanktionierten Eisenbahnvereins
traten ihm bei. Bald kam jedoch eine Verschmelzung
beider Vereine zustande, dem Bunde der Völker
aber wurde die nachgesuchte höchste Genehmigung
versagt, nachdem sich die Regierung auf Grund eines
Gutachtens des Kurs. Handels- und Gewerbevereins
dagegen ausgesprochen hatte. Redner berührte weiter
die 1833 bei Elwert erschienene Broschüre des
Marburger Professors der Staatswissenschaften vr.
Alexander Lips, der mit zum Teil sehr drastischen
und komischen Gründen den Beweis zu erbringen
suchte, daß Eisenbahnen für Deutschland nicht paßten,
und für Einführung eines für Chausseen geeigneten,
von dem Engländer vr. Church erfundenen, Dampf-
wagens ohne Schienen eintrat, und schilderte die
weitere Tätigkeit des sanktionierten Eisenbahnvereins.
Dieser hatte nach Vereinigung mit dem Schmitzschen
Eisenbahnverein auch die Erbauung weiterer Eisen-
bahnen. besonders einer solchen von Osten von Halle
MSL. 1 12
über Kassel— Lippstadt nach Minden in den Bereich
seiner Ermittelungen gezogen. Man war jedoch
durchaus nicht einig, welcher der beiden Linien, einer
Nord-Süd- oder Ost-West-Bahn, man den Vorzug
geben solle, wobei man an der Ansicht festhielt, daß
die zu erbauende Eisenbahn die Hauptbahn sein müsse
und werde, an die alle weiter zu bauenden Bahnen
sich anzuschließen hätten. Mit den auswärtigen
Städten war man in Verbindung getreten, namentlich
hatte Geh. Rat Fick aus einer Reise nach Hannover
mit den dortigen Handels- und sonstigen Kreisen
Fühlung genommen. Erreicht wurde indessen prak-
tisch wenig, die partikularistischen Strömungen waren
noch zu stark, als daß man zu einer die verschiedenen
kleinen Staaten durchschneidenden Eisenbahn die
Hand bieten wollte. Über seine Reise nach Hannover
hatte Fick einen eingehenden Bericht erstattet, der
an eine große Reihe bedeutender Männer versandt
worden war. Von den zahlreichen Antworten wurden
einzelne vorgetragen, darunter die des Geh. Rats
Bauth, Direktors im preuß. Handelsministerium,
der der Frage des Eisenbahnbaues sehr kritisch gegen-
überstand und nur solche Bahnen zulassen wollte,
deren Rentabilität nachgewiesen sei. Im Ausschüsse
des sanktionierten Eisenbahnvereins war man über
die zu bauende Bahn nicht einig. Baron von Waitz
war für eine Bahn von Halle über Kassel nach
Lippstadt, deren einer Teil 1848 als hessische Nord-
bahn und als erste kurbessische Eisenbahn gebaut
worden ist. Geh. Rat Fick war für die Bahn von
den Hansastädten über Kassel nach Frankfurt, aber
nicht über Marburg sondern über Fulda, trotz der
größeren Steigungen, die er dadurch zu bezwingen
hoffte, daß er den Zügen neben den Lokomotiven
Pserdevorspann geben wollte. Die Regierung unter-
stützte den Eisenbahnverein wiederholt, solange der
Staatsminister Hassenpflug am Ruder war. Später
schlug der Wind um. Der Plan einer Eisenbahn
über Marburg wurde von der darmstädtischen Re-
gierung, deren Staatsminister du Thil und besonders
von Gießen aus gefördert, wo ein Eisenbahnverein
bestand. Auch in Marburg bestand ein solcher unter
dem Vorsitze des Straßenbaumeisters Althaus. Auch
für die heutige Main-Weser-Bahn wurden 1837
Vorarbeiten angeordnet, das Hauptinteresse wandte
man jedoch der späteren Kassel—Bebra—Hanauer
Bahn zu. Die Tätigkeit des Eisenbahnvereins wurde
aber plötzlich unterbrochen durch ein höchstes Reskript
vom 24. Oktober 1838, das alle weiteren Vor-
arbeiten für Eisenbahnen in Kurhesien untersagte.
Das auf Hasfenpflug folgende Ministerium von Hon-
stein hatte keinerlei Interesse an den Eisenbahn-
angelegenheiten, erst mehrere Jahre später kamen
diese wieder in Fluß. — Für den interessanten
Vortrag, dem lebhafter Beisall zuteil wurde, sprach
der Vorsitzende den herzlichsten Tank aus. Einige
kleine Ergänzungen boten Pros. Wenck, der die Be-
deutung Kurhessens als Straßenlandes für das
Werden des Zollvereins und für das neue Verkehrs-
wesen der Eisenbahnen hervorhob, der Vortragende
selbst durch kurze Mitteilungen über den Bau der
Main-Weser Bahn, die 1850 Marburg erreichte,
Landgerichtsrat Gleim mit dem Hinweis aus die
Biographie des an den Verhandlungen der dreißiger
Jahre beteiligten kurhessischen Staatsmanns Theodor
Schwedes (1788—1882 — verfaßt von Auguste
Schwedes), endlich teilten Pfarrer Abbee und Apo-
theker Strippel einige für die volkstümlichen An-
schauungen über die Eisenbahnen der ersten Zeit
bezeichnende Geschichten mit.
Hochschulnachrichten. Marburg: Der Senior
der hiesigen juristischen Fakultät, der er seit 40 Jahren
angehört. Geh. Justizrat Professor Dr. Ludwig
Enneccerus, beging am 1 April unter mannig-
fachen Ehrungen seinen 70. Geburtstag. — Das
ordentliche Mitglied der Akademie für praktische
Medizin und Direktor des Pathologischen Instituts
der städtischen Krankenanstalten zu Köln Professor
Dr. Leonhard Jores wurde zum ordentlichen
Professor und Direktor des hiesigen Pathologischen
Instituts an Stelle des nach Würzburg berufenen
Pros. Dr. M. B. Schmidt ernannt. — Ter außer-
ordentliche Professor der Hygiene und Abteilungs-
Vorsteher am Hygienischen Institut Dr. Paul
Römer wurde vom Kultusministerium zu einem
einjährigen Studienaufenthalt in Bonn und Berlin
beurlaubt. — Privatdozent Professor Lic. theol.
W. Bauer wird einem Ruse als außerordentlicher
Professor in die evangelisch-theologische Fakultät der
Universität Breslau folgen. — Dem Sanitätsrat
Dr. Alsberg zu Kassel wurde anläßlich seines
50jährigen Doktorjubiläums das Diplom erneuert.—
Eine sportliche Anlage, wie sie in gleicher Größe in
Deutschland noch nicht vorhanden sein dürste, wird
in einem Universitäts-Spielplatz aus dem Hirsenseld
am linken Lahnuser geschaffen werden. Der Ankauf
von 4000 gm Gelände wird in den nächsten Tagen
durch den Staat abgeschloffen werden. — Am 1. und
2. April hielt die Deutsche pathologische Gesellschaft
hier ihre Tagung ab. — Gießen: der derzeitige
Rektor der Rostocker Universität Pros. Dr. Hübner
hat einen Ruf als Nachfolger des Geh. Justizrats
Pros. Dr. Schmidt angenommen. — Der ordentliche
Professor der Staatswissenschaften Dr. jar. st phil.
M. Biermer verschied am 27 Februar im Alter
von 52Jahren an Herzschlag.— Dr. Walter Sülze
habilitierte sich für das Gebiet der Physiologie mit
der Schrift „Ein Beitrag zur Kenntnis des Er-
regungsablauss im Säugetierherzen".
Personalchronik. Dem bisherigen persön-
lichen Adjutanten des Landgrafen von Hessen, Haupt-
mann z. D. Frhrn. Gunthram SchenkzuSchweins-
berg wurde die König!. Preußische Kammerherrn,
würde verliehen. Gleichzeitig wurde er zum dienst--
tuenden Kammerherrn des Landgrafen von Hessen,
des Chefs des Kurhessischen Fürstenhauses, ernannt.
An seine Stelle wurde der Oberleutnant Freiherr
Max Riedesel zu Eisenbach vom Dragoner-
Regiment Nr. 5 als persönlicher Adjutant komman-
diert. Beide Offiziere gehörten früher dem Kurhefi.
Jägerbataillon Nr. 11 an. — Zum Direktor desMar-
burger 6/mn»8ium Philippinum wurde anstelle des
verstorbenen Gymnasialdirektors vr. Aly der bisherige
Direktor des Gymnasiums in Luckau (Niederlausitz)
vr. Fuhr ernannt. Fuhr ist klassischer Philologe
und steht im 60. Lebensjahre. — Ein alter hessischer
Jurist, der Oberstaatsanwalt Geh. Oberjustizrat Karl
Rabe in Köln, trat am 1 April in den Ruhestand.
Er wurde 1842 in Schlüchtern geboren, studierte in
Marburg und Heidelberg, trat 1864 in den hessischen
Justizdienst, wurde 1866 in die preußische Justiz-
verwaltung übernommen und Gerichtsafiessor mit
dem Dienstalter von 1868. Nachdem er in den
Jahren 1870—71 als Hilfsarbeiter bei der Ober-
staatsanwaltschast in Kassel gearbeitet hatte, wurde
er 1872 Staatsanwaltschastsgehilfe, später Staats-
anwalt in Rotenburg und 1879 in Marburg. 1884
wurde er zum Ersten Staatsanwalt in Aachen und
1896 zum Oberstaatsanwalt in Köln ernannt. —
Baron von Gilsa zuGilsa wurde zum Ehren-
mitglied des Hessischen Geschichtsvereins ernannt. —
Der in den weitesten Kreisen Hessens als Kanzel-
redner bekannte frühere Pfarrer zu Caßdorf bei
Homberg, Regierungs- und Schulrat Nickel zu
Hannover, wurde zum Geheimen Regierungsrat er-
nannt. — Kantor Heinlein zu Sondheim bei
Homberg beging sein 50jähriges Dienstjubiläum und
Apotheker Sander zu Hofgeismar, der Inhaber
der dortigen mehr als 200jährigen Apotheke, sein
50jähriges Apothekerjubiläum. — Seine Erlaucht der
Gras zu Psenburg und Büdingen in Meerholz ernannte
den Gräflichen Forstrat Nemnich zum Kammer-
direktor der Standesherrschast, nachdem Kammer-
direktor St oll wieder in den Staatsdienst zurück-
getreten ist. — Als erster Reserveoffizier zum
Fliegerkorps einberufen wurde der dem Dragoner-
regiment in Hofgeismar zugeteilte, als Flieger weit-
hin bekannte Referendar Caspar, der auf dem
Flugplatz in Fuhlsbüttel eine Fliegerschule unter-
hält. Caspar, ein geborener Kaffelaner, wird seine
Fliegerübung auf dem Döberitzer Flugplatz ableisten.
— Dem Pfarrer E. Waltemath in Exten bei
Rinteln wurde die am 1. Juli frei werdende Pfarr-
stelle an der Elisabethkirche zu Marburg übertragen.
Todesfälle. Der zu Köln am 11. März seinen qual-
vollen Leiden erlegene Pfarrer Karl WilhelmJatho
war am 25. September 1851 zu Kassel geboren, wo er
auch daS Gymnasium besuchte. Auf den Universitäten Mar-
burg und Leipzig studierte er Theologie. Als Kandidat
war er von 1874 bis 1876 Religionslehrer in Aachen, um
dann 1876 als Pfarrer der deutsch-evangelischen Gemeinde
nach Bukarest zu gehen. 1884 kehrte er von dort nach
dem Rhein zurück, wo er sieben Jahre Pfarrer in Boppard
war. 1891 wurde er nach Köln berufen, wo er verblieb,
bis er 1911 wegen „Irrlehre* seines Amtes entsetzt wurde.
Durch eine „Jathospende* dazu in den Stand gesetzt, lebte
er seitdem al« Prediger, Lehrer und Seelsorger in Köln
und hielt dort und auswärts Vorträge. Von feinen Werken
sind seine Predigten und AndachtSdüchlrin und das Buch
„Fröhlicher Glaube* viel gelesen. Politisch war er partei-
los. Jatho war ein glänzender Redner, der auf feine Zu-
hörer einen gewaltigen Einfluß ausübte und sich eines
großen persönlichen Anhange» erfreute. Seine Lehre, die
allein daS Gewissen des einzelnen zur Richtschnur auch der
Religionsunterweisung machte und daher auch für die Kon-
firmanden vom Apostolikum absah, brachte ihn in den
bekannten, vielbesprochenen Gegensatz zum Kirchenregiment.
dem er unterlag.
In Bethlehem Pa. (Nordamerika) verstarb kürzlich der
„Eisenmeister* John Fritz oder FritziuS. der weit
über Amerika hinaus bekannte Nestor der Eisenhüttenleute.
Sein Anteil an der Entwickelung und dem Ausbau der
größten amerikanischen Eisenhütten- und Walzwerke ist so
groß, daß man ihn den Bismarck der amerikanischen Eisen-
industrie genannt hat. Besonders ist ihm JohnStown zu
Dank verpflichtet, wo er in den fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts durch seine Erfindung für das Walzen von
Schienen eine förmliche Umwälzung in der Herstellung
diese« Artikels hervorrief und die Cambriawerke in aller
Welt berühmt machte. Er war damals Chefingenieur der
Werke. Als dann die Befsemer-Stahlgewinnung kam.
schenkte er dieser seine ganze Aufmerksamkeit, was ihm
u. a. die Bessemer-Medaille einbrachte. Dann warf er
sich auf die Produktion von Panzerplatten und schuf in
den Bethlehem-Stahlwerken dafür ein mustergültiges Werk.
Reichtum hat er sich nicht erworben, dafür aber desto mehr
Ehrungen in allen Industriestaaten. Die drei großen Jn-
gettieurgefellschaften Nordamerikas ehrten ihn durch die
Stiftung einer goldenen „Fritz-Medaille*, Carnegie, Schwab
und alle Eisenbarone der Welt haben ihn gefeiert. Fritz
hat nie eine technische Schule besucht und sich selbst zu
dem gemacht. waS er war. Dieser Amerikaner war kur-
hessischer Abstammung. Sein Vater. George FritziuS.
soll bei Kastei geboren und als 12 jähriger Knabe mit
seinen Eltern nach Amerika ausgewandert sein. Unser
Landsmann, RegierungSratvr. Doehne in Berlin-Frirdenau
hat sich bis jetzt vergeblich bemüht, über die Familie und
den Stammort Nähere« zu ermitteln. Vielleicht ist es einem
unserer Leser möglich, den kurhessischrn Geburtsort des
VaterS festzustellen.
AuS Hanau. Die hiesige Obrrrralschule beging
in den Tagen vom 13.—15. März ihr 100jährigeS Be-
stehen mit Begrüßungsfeier. Festakt in der Johanniskirche
und Schülerfrst in der Turnhalle. Aus Anlaß de» Jubiläums
erhielt der Direktor vr. Schmidt den Adler der Ritter
des König!. Hausordens der Hohenzollern. die Profestoreu
Forst und L o h m a n n den Roten Adlerorden 4. Klaste
und Lehrer Liefe den Kgl. Kronenorden 4. Klaste. Ehe-
malige Schüler überreichten eine Stiftung von 20 000 M.
zur geistigen und körperlichen Förderung der Schüler. —
Hier soll am 1. April eine Diamanten sch leifer-
Fachschule ins Leben treten und später der neuen Zeichen-
tm¥L> 114
akademie angegliedert werden. Das Reichskolonialamt stellte
einen Kostenbeitrag von etwa 50 000 M. in Aussicht und
der Handelsminister sagte Deckung der übrigen Kosten
zu. Das erforderliche Rohmaterial liefert eine Hanauer
Diamantenschleiferei; auch sott der feinere holländische Schliff
gelehrt werden. Die entsprechenden Räume werden zunächst
von der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Aus Rotenburg. Der 23. hessische Städtetag wird
vom 29.—31. Mai in unserer Stadt tagen. Die Stadt
wird aus diesem Anlaß eine Festschrift herausgeben.
Personalien.
Verliehen: den Regierungs- und Forsträten Kieke
und R h e n i u s zu Kassel der Charakter als Geh. Regie-
rungSrat; dem Spezialkommiffar. Ökonomiekommissar
Büchner zu Marburg der Charakter als Ökonomierat;
dem Amtsgerichtssekretär Ritzel in Melsungen der Cha-
rakter als Rechnungsrat; dem Sanitätsrat Dr. Alsberg
zu Kassel anläßlich seines 50 jähr. Doktorjubiläums,, und
dem Kriminalkommissar Maethner zu Kassel beim Über-
tritt in den Ruhestand der Rote Adlerorden 4. Kl.
Ernannt: Rechtsanwalt Rau in Marburg zum
Notar; Postinspektor Krause zu Kassel zum Oberpost-
inspektor in Köln; die Referendare Dr. Siegfr. S t e r n,
Dr. Herrn. Stern. Stiefel. Schwabe und Ellen-
berger zu Gerichtsassessoren; Gewerbereferendar Röse
aus Kassel zum Gewerbeassessor und der Gewerbeinspektion
zu Charlottenburg überwiesen.
Übertragenr dem Rentmeister Schultz in Reidenburg
die Verwaltung der Königlichen Kreiskasse in Hofgeismar;
dem Rentmeister Lucke in Lübbecke die Verwaltung der
Königlichen Kreiskasse in Hanau.
überwiesen: Regierungsassessor Freiherr v. Tettau
in Marburg dem Kgl. Polizeipräsidium in Charlottenburg;
Forstassessor Aß mann in Kassel der Forstabteilung des
Ministeriums für Landwirtschaft Domänen und Forsten
als Hilfsarbeiter.
Zugelassen zur Rechtsanwaltschaft die Assessoren
Meyer bei dem Amtsgericht in Volkmarsen. Rehn bei
dem Amtsgericht in Schlüchtern.
Versetzt: Regierungs- und Gewerberat Geh. Regie-
rungsrat Siebert von Kassel nach Stade; RegierungS-
und Gewerberat Dr. Löwen stein von Stade nach Kaffel;
Regierungsrat Spieß an die Kgl. Regierung zu Kassel;
Regierungsassessor Ca ft an in Recklinghausen als Vor-
sitzender der Einkommensteuer. Veranlagungs- Kommission
nach Hanau; die Amtsgerichtssekretäre Schultheis von
Niederaula nach Schmalkalden. Stingel von Neukirchen
nach Marburg. K n a p k e von Veckerhagen nach Neukirchen.
Entlasse«: Gerichtsassessor Betting infolge Er-
nennung zum Militärintendanturassessor.
In den Rlthestanb versetzt: Oberlandesgerichtsrat,
Geh. Justizrat Wurzer in Kassel; Baurat Janert in
Kassel unter Ernennung zum Geh. Baurat; Prof. Dr. Gold-
sch e i d e r. Direktor des Kgl. WilhelmSgymnasiums zu Kassel.
Gebore«: ein Sohn: Hugo Grau und Frau. geb.
Grote (Augustenhof b. Pyritz. 15. März); Dr. PH. Flörke
und Frau Kätr, geb.Finkbeiner (Posen—Wilda, 28. März);
Kunsthistoriker Ernst W e n z e l und Frau. geb.Hüther (Kassel);
— eine Tochter: Architekt Friedrich Nichelson und Frau
Sophie, geb. Berneburg (Kassel. 28. März); Diplom-
HandelSlehrer H. Münscher und Frau Elsa. geb. Claus
(Kaffel. 30. März); Fabrikdirektor Ad. Duncker und
Frau Charlotte, geb. Haltaufderheide (Zuckerfabrik Immen-
dorf. 3. April).
Gestorben: Diplom-Ingenieur Ludwig Schlunk
Branddirektor in Düffeldorf. 37 Jahre alt (Kassel. 24. März);
Oberst und Kommandeur des Bergischen Feld-Art.-Rgts.
Nr. 59 Egon von Dehn-Rotfelser 54 Jahre alt
(Köln. 28. März); verw. Frau Emilie Lauckhardt, geb.
Seidler. 68 Jahre alt (Kassel. 29. März); Frau Katha-
rina Zulauf. Witwe des Geh. HofratS. 74 Jahre alt
(Kassel. 30. März); der als der „Krawaller" und durch seinen
Humor in ganz Hessen bekannte Privatmann Johannes
Kregelius. 87 Jahre alt (Fürstenhagen. 30. März);
RegierungSrat Anton Klocke. Mitglied des Abgeordneten-
hauses, 48 Jahre alt (Kassel. 30. März); Frl. Klara
Scheurmann. 76 Jahre alt (Kaffel, 31. März); Rentner
Georg Römer 87 Jahre alt (Schweinsberg); RechnungS-
rat Josef Hüfner (Kaffel. April); Privatmann Siegmund
Rommel 72 Jahre alt (Kaffel-Wilhelmshöhe. 3. April);
Frl. Julie Lücken. 64 Jahre alt (Kaffel. 4. April); Frau
Sophie S ch ü ß l e r. geb. Döhne. 66 Jahre all (Kassel. 5. April);
der berühmte „Eisenmeister" John Fritz oder Frihius.
91 Jahre alt (Bethlehem Pa., Nord-Amerika); Fabrikant
Eduard Pape senior aus Ziegenhagen. 87 Jahre alt
(Dahtvn. Ohio); Pfarrer John Anler aus Somborn
65 Jahre alt (Early, Iowa).
Sprechsaal.
Aus Hofgeismar. Zu dem interessanten Artikel „Ein-
schürfungen an Schaumburger Kirchen" von Pfarrer Wilhelm
Schuster-Rinteln mag erwähnt werden, daß auch in dem
Turmportal der hiesigen Altstädter Kirche und zwar im
rechten Türpfeiler ein Längsschliff von */« m Länge und
mehreren Zentimetern Tiefe sich befindet. Wenn Pfarrer
Schuster mit seiner Annahme über die Entstehung solcher
Längsschliffe im Recht ist. dann datiert wohl die Ein-
schürfung an der Altstädter Kirche noch aus jener Zeit,
als in ihrer Nähe sich ein Herrenhof. die Salburg, erhob,
die dem nach Westen führenden Tor den Namen „Sälber-
tor" gegeben hat. Unsere Altstädter Kirche war die Mutter-
kirche aller rings umher gelegenen Nebenhöfe: Aschendorf.
Bunheim. Westheim Sudheim Guderode Fresenhusen,
Gotthardessen und Nordgeismar und versammelte an Sonn-,
Fest- und Feiertagen in sich die Bewohner der Umgegend,
die sich zum Schutz gegen die Wölfe mit Spießen bewehrten,
die während des Gottesdienstes an dem Hauptportal auf-
gestellt und vor der Rückkehr wohl an dem Pfeiler ge-
schliffen wurden. ___________ R.
Zu dem Aufsatz des Pfarrers Schuster in Rinteln in
der letzten Nr. (5) S. 71 f. erlaube ich mir zu bemerken,
daß die rätselhaften langgezogenen Rillen an den Kirchen-
portalen m. E. eine sehr einfache Entstehungsursache haben.
Ich selbst habe solche Rillen als Kind mit hervorgerufen
oder weiter ausarbeiten helfen: denn an den Sandstein-
einfassungen meiner heimatlichen Dorfkirche pflegten wir
Kinder unsere Griffel zu »wetzen" Dadurch entstanden
solche „scharf ausgezogenen Längsschliffe" genau ebenso wie
Flachschliffe durch das Wetzen von Meffern, Meißeln usw.
entstanden.
Halle. Prof. Dr. H e l d m a n n.
Anfrage.
1907 hielt Sanitätsrat Schwarzkopf einen Vortrag über
den westfälischen Artilleriekapitän Steinbach an Hand von
dessen Feldzugsbriefen von 1812. Wer besitzt diese Briefe
jetzt? Wer kann mir Auskunft geben?
Oranienstein. Stabsarzt HaS.
Berichtigung. Auf Seite 92. Spalte 2. Zeile 5 von
oben muß es statt von WitkowS v. Witkowsky heißen.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kaffel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kaffel.
Hestenlanä
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 8. 27. Jahrgang. Zweites April-Heft 1913.
Alte Denk- und Grenzsteine im Kreise Hünseld und Umgegend.
Von P. Jllgner.
„Wenn Steine reden könnten!" Können sie es
nicht? Schauerliche Mär kündet manch verfallner
Turm. Auch im Kreise Hünseld raunen ganz un-
scheinbare Steine, einst aufgerichtet, um nachgebornen
Geschlechtern bestimmte Kunde zu übermitteln, gar
manche Tat, gar manches Schicksal der Vorfahren.
I. Grabsteine.
Unsre Voreltern suchten nicht unter den fertigen
Kreuzen aus. Das Grabmal mußte den Ver-
storbenen darstellen und seine persönlichen Ver-
hältnisse widerspiegeln. Schöne bärtige Männer-
gestalten zeigen uns die Grabmäler an den einstigen
Sitzen des reichsunmittelbaren buchischen Adels,
sorgfältig aus Sandstein gehauen, zuweilen mit
Spuren farbiger Ausmalung.
Das uralte Geschlecht von Trubenbach (von
Trümbach) ist in den Kirchen zu Rhina und
Wehrda verewigt, bis 1556 zurück. In Burghaun
in der evangelischen Kirche sieht man die Ritter
von Hanne, in Mansbach die von Mansbach und
die im 17. Jahrhundert dort ansässig gewordenen
von Geyso, die machtvollen von Buchenau in der
Kirche ihres Stammdorfes.
Auch manche adlige Frau ist dargestellt, so
Freifrau von Merlau in der Kirchhofsmauer von
Steinhaus, Kreis Fulda. Noch wissen dort die
Bauern, auf welchem Gemarkungsteile die Mer-
lausche, auf welchem die Lauterbachsche Schafherde
huteberechtigt gewesen ist. Wir sehen solche Grab-
mäler im Museum zu Breslau, die des Kreises
Hünseld und der Umgegend stehen ihnen nicht nach
an Alter und Aussehen.
Manch harter Herr mag unter den Rittern
gewesen sein. Auf dem Grabmal des Hans Wolf
von Trümbach 1611 sieht man eine Eidechse. Die
mißhandelten Bauern haben den Ritter im Walde
erschlagen und eine Eidechse in seinen Mund gesteckt,
damit man glaube, er sei an ihr im Schlafe erstickt.
Aber der Anblick der knieenden, betenden Ritter
zeigt doch: sie waren gottesfürchtig und kaum
schlimmer als andre Kinder ihrer harten Zeit.
Nur fehlt es vor dem Richterstuhle der Geschichte
ihnen an Eideshelfern. Die Stadtschreiber schrieben
blutigrot die Missetaten der Ritter und deckten den
Mantel der Liebe über die Frevel der Ihrigen,
des Ritters Faust dagegen wußte den Federkiel
nicht zu meistern, noch 1575 konnten die buchischen
Ritter nicht ihre Namen schreiben.*)
') Fürstabt Balthasar v. Fulda und die StiftSrebellion
von 157«. in .Fuld. Geschbl.' ISN. S. 57.
116 S«tL-
Einfacher, aber kaum weniger interessant sind
die bäuerlichen Grabsteine. Sie veranschaulichen
den Verstorbenen mit seiner ganzen Familie, denn
um ihn knieen Gattin und Kinderschar. So auf
den Kirchhöfen zu Ausbach und Motzfeld, Kreis
Hersseld, im Kreise Hünfeld z. B. in Oberstoppel,
Oberufhausen, an der Totenkirche zu Rothenkirchen.
Interessant ist festzustellen, wie auch die Bauern-
kleidung dem Wechsel unterlag?) Dieser Wechsel
hing mit Weltereignissen zusammen. Der Bauer
konnte nicht mehr gezwungen werden, nur in selbst-
gewonnenes Leinen und Wolle sich zu kleiden, als
Baumwolle und andere überseeische Erzeugnisse den
Flachsbau und die Schafzucht zurückdrängten, die
Tat des Kolumbus legte den Todeskeim der Volks-
tracht. Und wenn die Denkniäler seit 1806 nicht
mehr lange Mäntel und lange Haare der Bauern
ausweisen, so hängt dies wohl mit dem von Frank-
reich kommenden allseitigen Umstürze zusammen,
dem ja auch der Zopf des Soldaten zum Opfer fiel.
Zu den Grabmälern von Rittern und Bauern
gesellt sich das eines Geistlichen in der Kapelle
zu Unterufhausen, es zeigt eine Hand mit Kelch
und die Inschrift „In Christo dem Herrn ent-
schlafen anno 1621 den 2. May ist der ehrbare
würdige Herr Valentinus Hodinus" (Hodes). Er
findet sich auch aufgeführt als Teilnehmer am
synodus Fuldensis 1617?) Pfarrer wurden ge-
wöhnlich in ihrer Kirche beigesetzt. Der Grabstein
in der Kapelle zu Unterufhausen, wohl auch der
neben der Kapelle stehende alte Taufstein, scheinen
die im Volke verbreitete Ansicht zu bestätigen,
Kirche und Pfarrei seien früher nicht wie jetzt
in Ober-, sondern in Unterufhausen gewesen.
In Schletzenrod ist am Dorfe ein Acker- und
Wiesenstück „am alten Kirchhof" Hier soll eine
Kirche gestanden haben. Mehrere alte Leichensteine
liegen dort, aus einem ist die Zahl 16?? erkennbar. *)
*) Seist, Die Grabdenkmäler auf dem Ausbacher Fried-
Hofe. in „MeinHeimatland" Hersfeld 1911 S.20; Spieß,
Vom Wesen und Entstehung der Volkstracht, in „Natur und
Geisteswelt" Bd. 342 (vgl. „Hesfenland" 1911, S. 185).
8) Schannat, Dioecesis Fuldensis, S. 377.
Vor etwa 25 Jahren sollen viele menschliche Ge-
beine dort ausgegraben worden sein.
Erwähnenswert sind noch die Grabmäler der
Baiern, die 1866 im Gefechte gegen die Preußen
am Ouecksmoor fielen, auf den Kirchhöfen von
Kirchhasel und Hünfeld.
II. Mordkreuze.
Den Grabdenkmälern nahe stehen die „Mord-
kreuze". Auch in alter Zeit hat jäher Tod be-
sonderes Aufsehen erregt.
Bekannt sind jedem Besucher von Salzkammer-
gut und Tirol die „Märteln", auf denen mit
freiwilligem und unfreiwilligem Humor Unfälle
und Untaten in Bild und Reim der Nachwelt
aufbewahrt sind. In Deutschland beschränkte man
sich auf die Untaten, und auch diesen hat man
meist nur einfache Steinkreuze gewidmet, wohl auch
nur in den Fällen, wo man des Täters habhaft
geworden war und die Kosten des Kreuzes von
ihm beitreiben konnte. Solche Kreuze aber sind
weit verbreitet?)
Im Kreise Hünfeld und Umgebung scheinen
sie häufig gewesen zu sein. Der Flurname „am
Kreuzstein", z. B. in Dipperz und Steinhaus, Kreis
Fulda, in Oberweisenborn, in Langenschwarz im
Königlichen Wald, wo früher ein Steinkreuz ge-
standen hat sind davon herzuleiten. Auf „am
Kreuzstein" in Stcinbach soll ein beim Sturm
auf Schloß Hauneck gefallner Soldat begraben
sein?) * 5
*) Gieseck Zwei Mordkreuze, in „Daheim" 1911, S.30;
von Wrikowsky-L inda u und Paul Kutzer, Stein-
kreuze in Oberschlefien. in „Oberschlesische Heimat" Bd. 5.
S.20; ebenda <8.29: Kutzer. Steinkreuze aus Osterreichisch-
Schlefien. - In einem Vergleiche von 1449 übernahm der
Beschuldigte, „ein Leichezeichen" zu bestellen; 1601 wurde
ein Mörder neben anderen Strafen auch zur Errichtung
eines Steinkreuzes verurteilt.
Jacobi, Die Nickusberge, in „KasselerAllgm.Zeitung"
Sonntagsbeilage v. 27. Febr. 1910.
5) Hauneck wurde 1469 von den von Buchenau zerstört;
eine spätere Bestürmung ist nicht bekannt. Landau, Hessische
Burgen, I., S. 123. (Vgl. Usbeck Burg Hauneck in
„Mein Heimatland", HerSseld, Nr. 3 1912.)
(Fortsetzung folgt.)
-------S-«----------
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
(Fortsetzung.)
Bereits bei dem Berichte über die Einführung
des Brückengeldes von 1346 habe ich erwähnt, daß
das in die Stadt Kassel eingeführte fremde Bier
zum Schutze der einheimischen Brauereien besonders
hoch verzollt wurde. Im Laufe der Zeit war diese
Abgabe eine sehr ertragreiche geworden. Wie jetzt
das bayrische und tschechische Bier sich besonderer
Beliebtheit erfreuen, so war dies seit dem 16. Jahr-
hundert mit dem norddeutschen Bier der Fall.
1526 wurde in Hannover der ersteBroyhan gebraut.
tmtL, 117 ««&>
Auch in Münden gelang eS dann, ihn herzustellen.
Dieses gute Mündener Bier errang sich nun bald
die Vorliebe der Kasselaner, und wöchentlich gingen
mehrere Schiffsladungen davon in Kassel ein.
Während der Kampf um den Mündener Stapel
immer weiter ging, ließen sich die Kasselaner das
Gebräu der feindlichen Mündener gut schmecken.
Um nun die Abgabe von diesem Biere zu sichern,
erließ Landgraf Karl am 23. Dezember 1696 eine
Verordnung, wonach kein Schiff oder Wagen, auf
denen Btoyhan von Münden nach Kassel gebracht
worden, von der Schlagd oder aus den Stadttoren
gelaffen werden sollte, ehe eine Bescheinigung des
Lizenterhebens über die geschehene Zahlung des
Bierimposts vorgezeigt war. Die Minister, Räte
und Prediger, wenn deren etwa einer oder der
andere seiner Gesundheit wegen solches Getränke in
kleinen Fässern nach Kassel bringen laffen möchte,
sollen zwar von dem darauf haftenden Jmposte
befreit sein, jedoch unter der Bedingung, daß zur
Verhütung alles Unterschleifes und damit man
wissen könne, was jährlich an Mündenschem Broy-
han eingebracht werde, dennoch vom Schiffer oder
Fuhrmann eine Bescheinigung des Lizenteinnehmers
über die Zulässigkeit der abgabenfreien Einfuhr
bei der Abfahrt von der Schlagd oder an den
Toren vorgezeigt werde. Diese Bierabgabe lieferte
denn auch eine stattliche Einnahme für den Land-
grafen, der sie, wie Heidelbach in seiner vorzüg-
lichen Geschichte von Wilhelmshöhe nachgewiesen
hat, größtenteils zum Bau des Oktogons und der
Kaskaden auf Wilhelmshöhe verwendete. Aus den
Brvyhanlizentgeldern wurden 1703 3000 Taler,
1705 2000 Taler, 1707 3000 Taler. 1708, 1710
und 1711 je 2000 Taler zu jenem Bau ange-
wiesen. Interessant ist es, daß hierbei noch ein
bereits erwähntes, im Mittelalter übliches Ver-
fahren angewendet wurde. Falls nämlich die Lizent-
kasie die erforderlichen Gelder, wenn sie zum Bau
gefordert wurden, noch nicht besaß, so mußte der
Bierlizenteinnehmer Registrator Simon den Betrag
aus seiner Tasche gegen Verzinsung vorschießen.
Er erhielt 1708 für eine vorgeschossene Summe
von 1000 Talern an halbjährigen Zinsen 25 Taler,
also eine Verzinsung von 5 °/o. Der Zinsfuß hatte
sich demnach seit 1500, also seit 208 Jahren, nicht
geändert. — Um 1730 kamen noch jede Woche
durch die Mündener Fuldaschiffer 2 Schiffsladungen
Broyhan nach Kaffel.
Während also Landgraf Karl der Einfuhr des
Mündener Bieres nicht entgegentrat, wohl aber
sie zum Besten seines Landes auszunutzen suchte,
war er aufs eifrigste bestrebt, den Handel Kassels
und HeffenS überhaupt von dem Hindernis des
Mündener Stapels frei zu machen. Ein Haupt-
mittel dazu sah er in der Schaffung eines hessischen
Weserhafens unterhalb Mündens, von dem aus
die weseraufwärts kommenden Kolonialwaren unter
Umgehung Mündens mit Fuhrwerk nach Kaffel
gebracht werden konnten. Als geeignete Stätte
für diesen Hafen wählte er das wenig umfang-
reiche angeschwemmte Gelände an der Mündung
der Diemel in die Weser. Er forderte im Jahre
1700 in einer öffentlichen Bekanntmachung zur
Ansiedelung an dieser Stelle auf und erneuerte
1704 diese Aufforderung. Die Niederlassung, die
zunächst nach einem dort früher bestandenen Orte
Sieburg hieß und 1717 den Namen Carlshafen er-
hielt. wurde die Zufluchtsstätte einer Anzahl nach
Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich
geflohener Refugisfamilien. Der Ort erhielt einen
Hafen und geräumige Lagerhäuser und erfreute
sich bald eines gedeihlichen Handels. Wesentlichen
Schaden hat er dem Mündener Stapel nicht getan.
Die Landfracht von Carlshafen nach Kaffel war
zu teuer, so daß die Kaufleute doch den Wasser-
weg für den Bezug der Kolonialwaren vorzogen,
wenn er auch die Unannehmlichkeit des Mündener
Stapels mit sich brachte. Landgraf Karl sah
das auch wohl ein und faßte deshalb den für da-
malige Zeit großartigen Plan, Carlshafen mit
Kaffel durch einen Kanal zu verbinden, so daß
der Schiffsverkehr, wenn auch mit unvermeidlicher
Umladung auf Leichterschiffe in Carlshafen, die
Kolonialwaren bis Kassel bringen sollte. Der
Kanal sollte von Carlshafen aus der Diemel folgen
bis zur Mündung der Esse, dann dies Flüßchen
benutzen bis in die Gegend von Burguffeln, hierauf
unter Verwendung der zahlreichen, bei Mönchehof
gelegenen, jetzt ausgetrockneten Teiche bis zum
Ehlschen Bach geführt werden, diesem bis zu seiner
Einmündung in die Ahna folgen und mit der
Ahna unterhalb Kassel in die Fulda münden.
Der Plan dazu ist vollständig ausgearbeitet, ja, es ist
sogar mit der Ausführung bereits begonnen worden.
Die Mitglieder des Geschichtsvereins haben vor
2 Jahren bei dem Besuche des Schönebergs bei Hof-
geismar das ausgehobene Bett des Kanals zwischen
Stammen und Hümme in Augenschein genommen.
Mit diesem Kanal wäre allerdings wohl dem Mün»
dener Stapel ein großer Schaden zugefügt worden.
Die Schwierigkeiten des Baus waren aber bei den
damaligen Hilfsmitteln sehr groß. Landgraf Karl
unterschätzte sie nicht, war aber auch nicht der Mann,
vor ihrer Bewältigung zurückzuschrecken, ja, er hoffte
sogar, den Kanal noch über Kaffel hinaus fort-
setzen zu können. Unter Benutzung der Fulda,
der Edder, der Schwalm, der Wiera, der Wohra
und der Ohm sollte er bis zur Lahn ausgebaut
und so ein direkter Wasserweg von der Weser zum
118
Rhein hergestellt werden. Aber mit dem großen
Landgrafen wurde auch sein großer Plan zu Grabe
getragen. Damit war auch der weiteren Ent-
wickelung des Kasseler Handels ein vorläufiges
Ziel gesetzt, und der Mündener Stapel übte seine
feindliche Wirkung nach wie vor.
Wir müssen nun wieder eine Reihe von Jahren
vorüberziehen lassen, aus denen wir über den
Kasseler Zoll nichts Wesentliches berichten können.
Die Jahre des 7jährigen Krieges waren bekanntlich
außerordentlich schwere für das Hessenland, dessen
nach dem westfälischen Frieden kaum wieder er-
rungener Wohlstand von neuem völlig vernichtet
wurde. Diesmal wurde auch das im 30 jährigen
Kriege unberührt gebliebene Kassel hart genug be-
troffen. Die Franzosen nahmen überall weg, was
sie brauchen konnten. Als sie im Jahre 1761
unter dem Herzog von Broglie in Kassel von den
Verbündeten Friedrich des Großen belagert wurden,
mußte die hessische Regierung zur Verproviantierung
der Stadt 600 Sack Mehl und 600 Sack Hülsen-
früchte liefern. Da dies aber noch nicht ausreichte,
so ließ Broglie 200 weitere Säcke Mehl, die auf
dem Kasseler Zollamte lagerten und auf ihre Ab.
sertigung warteten, einfach und ohne jede Ent-
schädigung wegnehmen. Die Klagen der Kasseler
Kaufleute, denen sie gehörten, blieben völlig un-
beachtet.
Bald nach dem 7jührigen Kriege erfahren wir
auch etwas über die Diensträume und die Besetzung
des Kasseler Zollamts. Seit dem Beginn eines
lebhaften Schiffsverkehrs war das Zollamt wohl
stets an der Fuldaschlagd gewesen, und in deren
nächster Nähe finden wir es auch nun wieder unter-
gebracht. An der unteren Schlagd, zwischen der
jetzigen Straße „Vor der Schlagd", die vom Alt-
markt zum Fuldaufer hinabführt, und dem alten,
diesseits des Finkenherds gelegenen Zuchthaus stand
damals eine Gruppe herrschaftlicher Gebäude. An
der Fulda entlang stand der Oberste Hos, auf den
ich später noch zurückkommen werde, ihm gegenüber
an der jetzigen Fliegengasse entlang das Amthaus,
in dem das Landgericht für die 3 Kaffeler Ämter sich
befand. Westlich davon, an der jetzigen Straße „vor
der Schlagd", stand das noch erhaltene Salzhaus. Es
ist ein hohes, vom Landgrafen Wilhelm dem Weisen
in den Jahren 1570 bis 1580 ganz aus Stein auf-
geführtes Gebäude, in dem die herrschaftlichen Salz-
vorräte aufbewahrt wurden. In dieses Gebäude
wurde 1764 das Zollamt oder, wie es damals
hieß, die „Akzis-, Lizent- und Zollstube" verlegt.
Das Amt bestand zu dieser Zeit nach dem Hoch-
fürstlichen Adreßkalender aus folgenden Beamten:
einem Zollschließer, einem Zollkassierer und Lizent-
meister, einem Zollkommissarius, einem Oberneu-
städter Jntraden- und Lizenterheber. einem-Akzis-
schreiber, zwei Zollbereitern, einem Hausbänder,
einem Wollenwieger und einem Zoll-, Atzis-. und
Lizentaufseher. Bei dem Titel des Zollschließers
erinnern wir uns daran, daß im Mittelalter jährlich
ein Zollschluß gehalten wurde, bei dem der Zoll-
Herr und sein Zöllner mit einander abrechneten.
Die beiden Zollbereiter gehörten einer Beamten-
klaffe an, die Hessen eigentümlich war. Ihre Dienst-
geschäfte bildeten eine Vereinigung einzelner Teile
der jetzigen Dienstgeschäste des Oberzollkontrolleurs,
des Zollaufsehers und des Amtsdieners. Der Zoll-
bereiter (neben dem es für die allgemeine Landes-
verwaltung den Landbereiter gab) war, wie sein
Titel besagt, beritten und hatte neben der Kontrolle
der Zollpflichtigen u. a. auch die Aufgabe, rück-
ständige Zahlungspflichtige anzumahnen und Schrift-
stücke der Zollbehörden an ihre Adresse zu befördern.
Ihm stand im Adreßkalender, wie auch dem Haus-
bänder und den oberen Beamten, die Bezeichnung
„Herr" zu, während der Wollwieger und der Zoll-
aufseher darauf keinen Anspruch hatten. Der Bänder
— der Name bezeichnet soviel wie Küfer — wird
wohl nötig gewesen sein, weil mit dem Zollamt
ein umfangreiches herrschaftliches Branntweinlager,
„das Branntweinskommiß" verbunden war, in dem
jedenfalls Herstellung und Ausbesserung von Fäffern
nicht selten vorkamen. Dem Wollenwieger lag die
Gewichtsfeststellung der zur Ausfuhr bestimmten
hessischen Landwolle ob. Diese Ausfuhr war damals
bei der starken Schafzucht recht erheblich. — Wenige
Jahre später, im Jahre 1774, finden wir dieselbe
Besetzung des Zollamts, als Vorstand des Amtes,
noch über dem Zollschließer, wirkt aber jetzt ein
Oberlizentinspektor, der Major Wiskemann, ver-
mutlich ein im 7 jährigen Kriege invalid gewordener
Offizier. Im Jahre 1784 steht dann wieder der
Zollschließer an der Spitze des Amtes und der
Oberlizentinspektor unter ihm. Ersteres ist damals
der Kriegs- und Domänenrat Schröder. Es scheint
hiernach, als ob der persönliche Rang des Ober-
lizentinspektors und des Zollschließers entscheidend
dafür gewesen ist, wem die Leitung des Zollamtes
zustand. Später verschwindet dann das Amt des
Zollschließers überhaupt und der Oberinspektor be-
hauptet die Leitung des Amtes.
Im Januar des Jahres 1775 vermehrte sich
der Geschäftsumfang der Zollbehörden um die Er-
hebung einer weiteren, neu eingeführten Abgabe,
des Chausseegelds. Die Abgabe war an sich
nicht sehr hoch. Es waren zu entrichten: von
einem ausländischen, mit Kaufmannsgütern be-
ladenen Wagen von jedem Pferde 1 Albus — 11 Pf.,
von einem inländischen, ebenso beladenen Wagen
von jedem Pferde 6 Heller — 5 Pf. Bestand aber
119
die Ladung aus Holz, Frucht, Futter- oder Lebens-
rnitteln, so zahlte der ausländische Wagen von jedem
Pferde 6 Heller, der inländische 4 Heller. Extra-
posten, Kutschen und ähnliche Fahrzeuge entrichteten
von jedem Pferde 6 Heller, Reiter und beladene
Pferde 4 Heller, leere Wagen und ledige Pferde
und Maultiere, sowie Großvieh 2 Heller, Klein,
vieh 1 Heller. Das Schlimme bei der Sache war
aber, daß immer in einer Entfernung von etwa
1 bis höchstens 2 Stunden eine Chausseegeldhebe-
stelle mit ihrem Schlagbaum stand, bei längerer
Fahrt das Chausseegeld also immer wieder bezahlt
werden mußte. Diese Abgabe wurde deshalb all-
gemein als ein sehr lästiges Hindernis des Ver-
kehrs empfunden, und Kurhessen kann sich rühmen,
daß es einer der ersten Staaten war, die um die
Mitte des 19. Jahrhunderts das Chausseegeld ab-
schafften. Hier in Kassel stand ein Schlagbaum
vor jedem der Stadttore, meist an Wegkreuzungen,
z. B. an der Wahlebachsbrücke vor Bettenhausen,
wo die Nürnberger und die Hannoversche Straße
von der Leipziger Straße sich abzweigen. Dies
Chauffeehaus ist noch erhalten. ES steht an der Ecke
der Leipziger und der Nürnberger Straße, neben
dem Dienstgebäude der Gasanstaltsverwaltung.
(Fortsetzung folgt.)
Kriegslasten der Stadl Gießen im Jahre 1813.
(Nach alten Bürgermeistereirechnungen.)
Von vr. H. Berger-Gießen.
Die üblichen Vorstellungen von den Kriegs-
bedrückungen, die die Stadt Gießen mit Umgebung
während der Napoleonischen Kriegsoperationen im
Jahre 1813 habe erfahren müssen, beschränken
sich gewöhnlich nur auf die Zeit nach der Völker-
schlacht bei Leipzig. Nachforschungen in alten
Gießer Bürgermeistereirechnungen ergaben, daß
das ganze Jahr 1813 von Anfang bis zu Ende
der Stadt Gießen, wenn sie auch fern vom Kriegs-
schauplatz lag, Bedrückungen aller Art gebracht
hat.Heimsuchüngen, wie sie wohl schlimmer schwerlich
ein anderer Ort in Deutschland damals erfahren hat.
Am 16. Dezember 1812 war Napoleon, als
Herzog von Piacenza reisend, in Hanau angekommen,
von cho er in kurzer Rast im Gasthaus „Zum
Riesen" schleunigst weiter fuhr. Ihm folgten
Scharen kranker und verwundeter Soldaten. Aber
nicht nur auf der großen Leipziger Straße über
Hanau, sondern auf allen Heerstraßen bewegten
sich die Trümmer der einst so stolz ausgezogenen
französischen Armee, die im elenden Zustande jetzt
affs Rußland zurückkehrten.
Auch Gießen passieren schon im Januar 1813
auf der Rückkehr befindliche Franzosen. Am
30. Januar wird hier schon ein Quartieramt
errichtet, um für die durchziehenden Franzosen zu
sorgen. Am 28. Februar erhalten Lollar, Heuchel-
heim und Wieseck französische Einquartierung,
denn es werden nach der Rechnung Botengänge
dahin vergütet, „um Franzosen, 1 Kompagnie
Franzosen dahin zu leiten". Unter den an-
kommenden Franzosen befanden sich viele Kranke.
Außer.^dem „Bürgerhospital" am Seltersweg
müssen'noch 3 Lazarette errichtet werden, vor
dem Neustädter Tor, „an der Ziegelhütte" (Kaiser-
allee, hinter dem „Krokodil") und im Schulhause
„in der Hintergab" (jetzt Wetzsteingasse neben
Metzger Sack). Während des Monats März
kamen tagtäglich Wagen mit Kranken an, die so
elend waren, daß sie „mit der Bortschaise" (Porte-
Chaise) ins Spital getragen werden mußten. So
wurden am 1. März 30 Kreuzer bezahlt „vor
2 Mann, Franzosen mit der Bortschaise in daß
Lazarett zu tragen". Gleiche Vergütung für die-
selbe Arbeit wurde bezahlt am 3., 17 und 18. März.
Das Auswarten und Wachen in den vier Lazaretten
erforderte besondere Ausgaben, und nicht immer
waren die nötigen Kräfte zu haben, um, wie es
in den Randbemerkungen der Rechnungsbelege oft
heißt, „die ekelhafte" Arbeit zu verrichten. Auch
die Kriegsfahrten, die Gießer Fuhrleute am
2. Februar nach Wetzlar, am 16., 20., 24., 25. Fe-
bruar. am 4., 8., 14., 20., 27. und 30. März
nach Friedberg zu unternehmen hatten, werden
wohl meist der Weiterbeförderung der Kranken
gedient haben. Am 22. März wird ein Transport
Kranker nach Kloster Arnsburg gebracht.
Im Mürz finden dieBewegungen der französischen
Truppen von Friedberg aus über Gießen nach Nord-
deutschland statt. Es waren Truppen, die aus
den deutschen Kantonierungen, hauptsächlich aus
Mainz, Frankfurt und Umgegend kamen. Tag
und Nacht treffen Franzosen in Gießen ein, und
das Ouartieramt hat vollauf zu tun, um die An-
kommenden durch besondere Boten nach den um-
liegenden Ortschaften zu leiten.
Am 1., 2., 3. und 4. März erhalten Mainzlar,
Wieseck, Daubringen, Staufenberg und Alten-Buseck
französische Einquartierung. Am 5. März muß
ein Bote einen Brief nach Großen-Linden an den
ankommenden französischen Kommandanten bringen,
„damit in Großlinden und Kleinlinden die Ein-
*WL 120 9«&>
quartierung zurückbleibe", jedenfalls, weil Gießen
und Umgegend schon zu sehr belastet waren. Am
7. März müssen zwei Boten gestellt werden, die
1 fl. 30 Krz. erhalten, „um bei der Nacht fran-
zösische Quartiermacher nachGroßbuseck zu bringen"
In derselben Nacht müssen Boten französische Kom-
pagnien nach Burkhardsfelden, Altenbuseck, Reiß-
kirchen leiten.
In Großbuseck befand sich das Standquartier
des „französischen Kommandanten", dem in der
Nacht vom 10./11. März durch einen Boten ein
Eilbrief aus Gießen überbracht wird. Dorthin
werden auch am 11. die ankommenden Pulver-
transporte gebracht. Am 14., 16. und 17. Mürz
erhalten Heuchelheim, Wieseck, Nultershausen,
Burkhardsfelden. Steinbach, Daubringen Ein-
quartierung. Am 16. muß ein Bote gestellt
werden, um des Nachts einen Train französischer
Artillerie nach Lollar zu bringen. Am 22. wird
je eine Kompagnie Franzosen in Heuchelheim und
Leihgestern einquartiert. Am 19. und 24. März
gehen Boten mit Briefen an den französischen
Kommandanten in Laubach ab. Am 29. wird
ein Bote des Nachts nach Schotten beordert, um
Fuhrwerke nach Gießen zu bestellen.
Am 28. März müssen Bürgerwachen gestellt
werden zur Sicherung der französischen Bagage
im Zeughaus. Am 31. März müssen Gießer
Einwohner die ganze Nacht wachen, um die an-
kommenden französischen Truppen zurechtzuweisen.
Vom 2. bis 14. März werden Gießer Bürger
beordert, um Wagen zu bestellen und Vorspann-
dienste zu leisten zu Kriegssahrten nach Marburg.
Am 17. werden Wagen requiriert zu Kriegsfuhren
nach Lich und Laubach. 12 fl. werden an Anton
Krailings Witwe bezahlt, „für eine Stube und
Handwerksgeschirr pro 15 Tage vom 9./26. März
an die französischen Büchsenmacher verliehen ge-
wesen".
Nachdem Napoleon im März seine neuen Aus-
hebungen in Frankreich beendet hatte, werden nun
auch im April die Bewegungen der französischen
Truppen in Deutschland lebhaft, namentlich gegen
die Mitte des Monats. Am 16. April marschierte
die französische Kaisergarde, 16—18000 Mann
stark, durch Hanau. Napoleon selbst reiste am
25. April über Hanau zum Kriegsschauplatz. Am
1. April muß ein Bote nachts 2 Uhr von Gießen
nach Leihgestern mit Wagen abgehen, um die
Franzosen fortzuschaffen. Am 9. April war eine
Kompagnie „Westphälinger" nach Daubringen
und Mainzlar zu leiten. Am 8. und 9. April
fanden zahlreicheDurchmärsche französischerTruppen
über Gießen statt. 5 fl. 20 Krz. erhielten „Daniel,
Flett und Consorten. welche vom 1. bis 8. April
die bei Nacht angekommenen Truppen zurecht
gewiesen haben". In der Nacht vom 8. zum 9.
war außer im Quartieramt auch eine starke Wach-
mannschaft im Gasthaus „Zum Schwan" (VMtor-
straße) nötig, „wegen des ankommenden Militärs
zurecht zu weisen". Am 9. April wurden 4 fl.
verausgabt für Arbeitslohn, „um einen 'großen
Transport Effekten von nachmittags 3 Uhr bis
nachts 1 Uhr, da beständig Fuhrleute ankamen,
abzuladen" 12 fl. erhält Peter Flett „für die
Bestellung beim Fuhrwesen vom 1. bis 30. April",
ebenso 4 fl. 50 Krz. „Daniel Flett und Consorten.
welche den in der Nacht vom 9. bis 19. April
angekommenen Militärs Personen frische Fuhren
herbeigeschafft haben". Fuhrwerke mußten gestellt
werden am 17., 18.. 19. und 24. April nach
Marburg. Am 14. April bekommen Heuchelheim,
Kinzenbach, Gleiberg, Launsbach, Krofdorf fran-
zösische Einquartierung, die am 19. wieder Ordre
zum Abmarsch erhielten. Am 17. April zeigen
sich zum ersten Mal Polacken in Gießen. An
diesem Tage muß ein Bote einem polnischen General
den Weg nach Großbuseck zeigen. Am 19. kommen
Polacken in Großlinden, am 30. in Wismar und
Oppenrod ins Quartier.
Vom Mai bis August sind die Polacken die
Herren in Gießen. Am 1. Mai kam ein großer
Transport „polnischer Effekten" an, der am 3. Mai
nach Laubach befördert wurde. Am 7. Mai mußte
das philosophische Auditorium geräumt werden
„zum Einnehmen des polnischen Magazins". Am
11. Mai kamen 15 zweispännige Wagen mit pol-
nischen Effekten an. Am 1., 5. und 7. Mai er-
halten Neiskirchen, Dudenhofen, Wetzlar, Lützel-
linden und Wismar Einquartierung. In Wetzlar
und Laubach waren Stationen für die Oberleitung
der polnischen Truppen, denn es müssen von Gießen
aus Boten gestellt werden für Überbringung von
dringenden Nachrichten. In Gießen befand sich
eine polnische Kanzlei, 24 Krz. werden verausgabt
für Ausbesserung eines Tisches „zur Canzley der
Polacken". In den Stallungen des Gasthauses
„zum Schwanen" und in dem Zeughaus waren
Monate lang die Pferde der hier in Quartier
liegenden polnischen Soldaten untergebracht, wo-
durch dem Quartieramt ständige Ausgaben für
Besorgung von Stallwachen erwachsen. Das bis
zu Ende des Monats Mai noch in Gießen an-
kommende polnische Militär wird meist nach Lollar,
Staufenberg und Großbuseck, Klein-Rechtenbach,
Dudenhofen abgeschoben. Die Monate Juni und
Juli verliefen etwas ruhiger, insofern, als die
seitherigen Truppendurchmärsche nachließen.
(Schluß folgt.)
——
vsrrL. 121 ?«*4L>
Zum 150jährigen Bestehen der Hersselder Zeitung.
Die Hersselder Zeitung konnte am 20. März ein
seltenes Jubiläum begehen. An diesem Tage erschien
vor 150 Jahren ihre erste Nummer unter dem Titel
„Intelligenz, und Zeitungsblatt von Hessen". Der
Wagemut, kurz nach dem
Abschluß des Krieges, der
gerade Hessen besonders
mitgespielt hatte, und dazu
bei dem auch in wohlhaben-
den Kreisen noch recht ge-
ringen Lesebedürfnis, eine
eigene Zeitung zu gründen,
sollte, wie der Erfolg zeigt,
den Herausgeber Johann
Christoph Mohr nicht
im Stiche lassen. Er ent-
stammte einer angesehenen
Württembergischen Familie,
hatte in Tübingen seine
Kunst erlernt und 1752 für
rund 4 5 O Taler die Pfingst-
sche Buchhandlung und
Buchdruckerei mit ihrenPri-
vilegien käuflich erworben.
Mohr war einer der ersten
hessischen Buchdrucker, der
Verlagsverzeichnisse her-
ausgab und auch schon für
seine Buchhandlung Sorti-
mentskataloge herstellte.
Aber Hersseld war für
diesen rührigen Geist zu
klein — unter den 75
Zentner Typen, die er 17 5 9
besaß, befanden sich auch
griechische und hebräische —
und er arbeitete mit Verlust.
Sein Vermögen schmolz
immer mehr zusammen, und
der einst so arbeitssreudige
Mann ergab sich, durch fort-
gesetzte Fehlschlüge mißmu-
tig geworden, dem Trünke.
Das ., Jntelligenzblatt"
stellte schon mit der 81 .Num-
mer seinErscheinen ein. Sein
1762 in Hersfeld geborener
Sohn Johann Daniel versuchte das Blatt unter
dem Titel „Hersfelder Jntelligenzblatt" als Wochen-
schrift wieder ins Leben zu rufen, aber auch diese
Gründung ging 1805 nach dreijährigem Bestand
wieder ein. Die mißliche Lage Mohrs veranlaßte
dann Ludwig Happich, einen geborenen Hers-
selder, der in Kassel die Buchdruckerkunst gelernt
und dann 13 Jahre im Grenadierbataillon von Löß.
berg gedient hatte, 1822 das „Hersselder Jntelligenz-
blatt" neu herauszugeben, das sich lebensfähig erhielt
»SU** ,87
Hersfeld, den 5. Zun. 1763. Rro. 23.
Mb
VTJtt Hoch-Fürstlich- gnädigstem privilegio.
i.) Oekonomische Nachrichtey.
A] Ist ZU verkauffett
s sollen Mittwoch, den r s. Juri. Nachmittag- um 1 Uhr, eine
Quantität auf denk Eichhof noch befindliche Französische Lazarerh-
Bett-Spannen, a« vieMeinstbictende gegen daare edickmäßige Be-
zahlung verkauffel werden. 8»8N.Herßfcld, den iten Jun. 176/.
B] Ist ZU Verpachten:
CS wird hierdurch bekant gemacht, daß Mittwoch, den z. hu ins, c a
Bretkendachcr vor Friedlos gelegene Herrschaftliche Wiese an den Meist-
bietenden verpachtet werden soll, kiebhabere können sich ersagten Tages allhier
Renchof zu Herßfeld einfinden, darauf von r l dis I r Uhr ihr Gebote
thun, und des Zuschlags gewärtigen.
C] Zu Verbessern -der neu erfunden worden:
Fortsetzung des vorigen Artikels, Lir. C )
«Jtrnrat man nun alles dieses zusammen in genauere Erwrgung, so geben
NM gerne zu, daß eme solche Dünge-Lauge sowol der Erfabruna, a2
auch der Natur des Pflanzen. Reichs gemäß ist. ' «rsayrung , als
Vorschriften so au-sthen, wie die
Mff Thenakzu machen, wo kühlende, hitzende, stopfende, erweichende,
an-
1763.
Zeitungssetle aus dem Jahre
(*'« natürl. Größe.)
und trotz der Konkurrenz des von der Schusterschen
Buchdruckerei (jetzt Ludwig Funk) 1837 heraus-
gegebenen „Hesfenboten" bis in unsere Tage erhalten
hat. Ludwig Happichs Sohn führte das Geschäft
und die Zeitung, die im tollen Jahr 1848 für kurze
Zeit ein Beiblatt der „Gesellschafter" erhielt, weiter,
tmtL 122
Druckereigebäude der Hersfelder Zeitung (erbaut 1700).
und nach seinem Tode ging die Druckerei 1876 in
die Hände Eduard Hoehls über, des Besitzers der
ehemals Schusterschen Buchhandlung. Unter Hoehl
nahm die Buchdruckerei einen erheblichen Aufschwung
und erfuhr auch räumliche Erweiterungen. 1876
trat an die Stelle der bisherigen Handpresse die
erste Schnellpresse, der
Das einst nur einmal
wöchentlich erscheinende
Jntelligenzblatt erschien
von 1874 an dreimal,
erhielt, wesentlich ver-
größert, 1885 den Titel
„Hersselder Zeitung"
und erschien seit Ende
1900 täglich. 1906
ging das Blatt in den
rührigen Verlag von
Wilhelm Bächstädt
über, zählt jetzt statt
der einstigen 318 Abon-
nenten rund 5300 und
verfügt neben einem
gut geschulten Arbeits-
bald eine weitere folgte.
Druckerzeichen Zoh.
personal über die modernsten mechanischen Hilfs-
mittel.
Aus Anlaß des 150jährigen Bestehens der „Hers-
selder Zeitung" überreichte der Verlag seinen Lesern
undAreunden eine'geschmackvoll illustrierte Festschrift,
die außer einer wissenswerten Belehrung über den
„Werdegang einer Zeitung" mehrere Aussätze über
die Geschichte der „Hers-
selder Zeitung" brachte,
die Wilhelm Neu-
hau s den verdienst-
vollen Herausgeber der
gleichfalls dieser Zei-
tung angegliederten hei-
matkundlichen Monats-
schrift „Mein Heimat-
land", zum Verfasser
haben.
Wir wünschen dem
übrigens vortrefflich re-
digierten gediegenen
Blatt im alten Hersseld
ein kräftiges Weiter-
Christoph Mohrs. blühen und Gedeihen!
vmtb 123
Der Pflug.
Ich sah den Landmann seinen Acker pflügen,
Und sah die braunen Schollen Stück für Stück
Zermürbt und bröckelnd sich dem Eisen fügen,
Als erstes Tpfer für das Ernteglück.
Und lange stand ich vor den tiefen Rinnen
Des aufgewühlten Erdreichs. Unverwandt
Sah ich des Landmanns emsiges Beginnen,
Wie es dm Weg zu meinem Herzen fand.
München.
-------------4»
Der Pflug ritz auf die alten, harten Narben;
Er grub sich ein mit Furchen, tief und rot:
Und die mein Herz beweint, noch einmal starben,
Und alles fand zum zweitenmal den Tod. —
Ihr pflügt zum Leben! Meine Erdenscholle
Gibt keinem Sprossen ihre Krume her.
Das arme Herz, das einst so übervolle,
Hat keine Saat und keine Ernte mehr.
Gustav Adolf Müller.
Ein kleiner Beitrag zum älteren Kasseler Humor.
Von Otto Gerland.
Es ist eine alte Gewohnheit, nicht nur in Kassel,
sondern allenthalben, militärischen und sonstigen
Signalen einen Text unterzulegen. Ältere Leute
erinnern sich wohl des Textes für das Ankunfts-
signal der Turn und Taxisschen Postwagen:
»Jetzt kommt die ordinäre Post
usw."
Besonders beliebt aber war es in Kassel, den
Signalen für den Zapfenstreich Texte unterzulegen,
die zum Teil nicht ohne Humor waren, so der
wohl noch jetzt bekannte:
»Soldaten sollen nachhause gehn
Und nicht so lange beim Mädchen stehn."
Für den Zapfenstreich der Trommler war schon
zu Anfang vorigen Jahrhunderts der Text gang
und gäbe:
»Geht heim, geht heim, ihr Lumpenhund,
ES trommelt schon 'ne halbe Stund."
Ein bitterböser Text wurde ihm aber 1851 nach
der Flucht des demokratischen Agitators Gottlieb
Kellner aus dem Kasseler Kastell untergelegt,
einer Flucht, bei der der Leibgardist Zinn als
Gehilfe eine große Rolle gespielt hatte, während
der Polizei-Kommistar Schnabel bei der Ver-
folgung der Flüchtlinge keine Lorbeeren erntete.
Man sang damals .
»Der Kellner und der Zinn,
Wo find die beide hin?
Sie find jetzt fortgegangen.
Der Schnabel sollt fie sangen.
Der Schnabel fing . "
Noch mehr Verse wurden für den Hornisten-
Zapfenstreich verfaßt. Hier einige Beispiele.
Im Jahre 1806 hatten sich bekanntlich die
Bürger von Hersfeld gegen ihre italienische Ein-
quartierung erhoben und dadurch den Zorn des
Kaisers Napoleon auf sich geladen. Dieser sandte
die badischen Jäger unter Major Lingg*) nach
*) Später von Kurfürst Wilhelm I. als Lingg von
Lingenfeld geadelt.
Hersfeld mit dem Aufträge, die Stadt zu plündern
und an allen vier Ecken anzuzünden. Die wackeren
Badener kamen diesem Aufträge nicht nach und
erfreuten sich deshalb großer Beliebtheit. Als das
Bataillon bald darauf nach Kassel in Quartier
kam, sang man zum Zapfenstreich:
„Es ist kein Mädchen in der Stadt.
Das nicht 'nen badischen Jäger hat.
Trara, trara, trara."
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
lebten in der Kasieler Altstadt zwei Friseure,
Rothstein und Aubery, die aus unbekannten
Gründen den Volkswitz heraus forderten. Man
sang auf sie:
»Der Rothstein und der Aubery.
Die wollen beide Doktor sin
Und sind doch nur Raseurs."
und ferner:
»Der Rothstein und der Aubery.
Die haben beide scheibe Knie
Und find dabei Raseurs."
Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zeich-
nete sich auf dem Gebiete der sozialen Wohltätigkeit
die Schulvorsteherin Fräulein Halberstadt, an
die noch lange die „halberstadtschen Häuser" in der
Hedwigstraße erinnerten, aus. Sie gründete eine
Rentenanstalt, die aber, wie das damals bei der
Neuheit solcher Einrichtungen vielfach der Fall
war, an ihrer auf unvorsichtigen Berechnungen
beruhenden Fundierung zu Grunde ging, wobei
die Versicherten ihre Einlagen einbüßten. Dies
mochte die Spottlust herausfordern, und da außer-
dem die Dame von der Natur nicht mit Schönheit
gesegnet war, so entstand der Spottvers.
»DaS schönste Mädchen in der Stadt,
Da» ist das Fräulein Halberstadt,
Trara, Trara, Trara."
Vermutlich sind noch mehr solcher Spottverse
im Schwung, die für die Kulturgeschichte nicht
ganz ohne Bedeutung sind und deren Sammlung
daher recht zu empfehlen wäre.
124
Hessische Charakterlandschaften.
Ein Laienwunsch für die diesjährige Kunstausstellung.
Von Otto Kleim.
Unsere größten Künstler hingen mit allen Fasern ihrer
Seele an der engeren Heimat. Was in ihr lebte und
webte, was sie täglich sahen, das stellten sie dar, bald im
taufrischen Glanz der Morgensonne, bald in heißer Mittags-
glut, bald im verklärten Schein der Abendsonne.
Auch unsere Hessenkünstler suchen die heimatlichen Werte
in ihren Werken zu verherrlichen. Gern fahren sie zur
Insel an der Schwalm, die sich wie ein Granitfels im
brandenden Ozean gegen die einebnenden Gewalten der
Neuzeit wehrt. Auch die „vergessene Ecke" die Werner
ans Licht gezogen hat, wäre wert, vom darstellenden Künstler
besucht zu werden.
Unsere Frauen werden staunen, vielleicht die Männer
noch mehr, wenn sie hören, daß hier ein Mädchen bei seiner
Verheiratung seine Kleider fürs ganze Leben mitbekommt.
Mode kennen diese derben Leute nicht. Ihre einfache Kleidung
mag nicht die malerische Wirkung auslösen wie die der
Schwälmer mit ihrer mannigfaltigen Farbenpracht. Aber
auf diesen Höhen fehlen auch die fetten Wiesen der Schwalm,
die die Mittel für eine kostbare Kleidung erzeugen.
Und trotzdem würde der Maler zahlreiche Motive finden
Tief im Walde versteckt, die letzten Mauerreste einer Kirche,
auf denen prächtige Baumriesen hervorgewachsen sind; auf
einer breiten Talwiese am Waldrande einen alten Turm,
auf' dessen Mauerrande sich Kiefern und Birken angesiedelt
haben; dann dies Prächtig gelegene Herta am gleichnamigen
Bache; die Friedewatder Schlotzruinen; eine hochgewachsene
Friedewalder „Schneegans" in ihrem weiten, faltenreichen
Rocke ; ein Greisenantlitz. das mit seinem andächtigen Gesichts-
ausdruck an die Worpsweder erinnert.
Doch bald wird auch diese „vergessene Ecke" in den Strudel
des industriellen Lebens hineingezogen sein; denn ichon
kriecht die neue Zeit die Täler hinauf vom Westen die
Eisenbahn, vom Osten die Kaliindustrie.
Aber noch mehr als in solchen kleinen Ausschnitten redet
das Hessenland in seinen weiten Landschaften zu uns. Nun
find ja schon oft Burgen und Basaltberge mit Freude und
Hingebung dargestellt. Und diese schlanke Felsburg neben
der etwas plumpen Altenburg muß ja jedes Künstlerherz
erfreuen. Aber ist denn Hessen nur Basalt? Hat die
Ebene keine künstlerischen Reize? Sie wird ja wegen ihrer
Waldarmut wenig geliebt. Aber in der erwärmenden
Frühlingssonne auf Rasenwegen durch die schattenlose Ebene
zu schlendern, vorbei an sumpfigen Wiesen mit Erlen- und
Birkenbeständen, vorbei an den Schilfdickichten, aus denen
der Ruf des Wasserhuhns ertönt, vorbei an den Wasser-
tümpeln. aus denen der hellgrüne Wasserstern, das charakter-
volle Pfeilkraut und der breite Froschlöffel hervorsprießen,
und diese endlosen Linien mit den türmenden Bergen im
Hintergründe: das find doch auch Reize mit malerischer
Pracht und müßten doch auch auf die Leinwand zu
bannen sein.
Je mehr wir uns in diese Pracht vertiefen, desto mehr
wächst die Freude am Schauen. Blicken wir von der
Wabernschen Ebene noch Norden oder Süden, so wird
unser Auge von diesen kilometerlangen Lehmrücken gefesselt,
die sich zwischen Fritzlar und Felsberg von Basaltbergen
flankiert und zwischen Untershausen und Kleinenglis dahin-
ziehen. Es ist. als ob sie die Ebene in einer höher ge-
legenen Etage kopieren wollten. Und wieder eine Stufe
höher ahmt der Buntsandstein im Fritzlarschen Wald und
im Alten Wald dasselbe Bild mit nur kleinen Ab-
änderungen nach.
Aber sehen wir nach Südosten oder Südwesten, so werden
die Horizontlinien außerordentlich lebendig. Dort sind es
die Basalte um Homberg, die lebendige Höhenlinien hervor-
zaubern. hier das mannigfach zerschnittene und zerschlagene
„alte Gebirge" des Kellerwaldes. Um dies letzte Bild so
recht aus erster Hand genießen zu können, wandern wir zur
Schwalmpforte und steigen über den Kuhberg zur Alten-
burg hinauf. Diese breiten Ringwälle haben schon manchen
Geschichtsforscher erfreut. Aber uns zieht's höher hinauf.
Wir wollen den Fernblick auf den Kellerwald genießen.
O, welche Enttäuschung! Nichts als Buschwald, der jede
Fernsicht hemmt. Unwirsch wird der Rucksack abgeschleudert
und der Mantel ausgebreitet, um ein wenig über die Zu-
sammenhänge eines anstrengenden Marsches und getäuschte
Fernsichthoffnungen nachzugrübeln. Dann gehen wir ein
wenig den Westhang hinab, wo die jungen Tannen an-
gepflanzt sind. Und nun stehen wir sprachlos vor einem
Bilde von einziger Schönheit: Zu unseren Füßen der
Saum eines düstern Fichtenhains, die Schwalm hart am
Rande des Bergfußes, dahinter das üppige Grün der Tal-
wiesen von Niederurf und Zwesten, bewachsene und kahle
Felder, dahinter der Kellerwald von den Tälern der Urfe
und Gilsa zerschnitten, so wechselvoll, wie wir es nirgend
im Hessenlande wiederfinden.
Ein solches Bild wäre ein feines Gegenstück zu einer
Basaltlandschaft, wie wir sie vom Eingang in den Quiller
bei Ellenberg oder von der Höhe von Guntershausen und
Rengershausen sehen.
Daneben müßten zwei Bilder stehen, die eine Muschelkalk-
und eine Zechsteinlandschaft darstellen. Besonders wirken
die Abstürze der Muschelkalkplatten des Ringgau malerisch;
während die langgezogenen Kalkrücken an den großen
Grabenbrücken intimere Reize offenbaren. Die Zechstein-
landschaften sind oft so stark charakterisiert, daß sie schon
aus weiter Ferne erkannt werden: Die weichen Letten find
nicht widerstandsfähig. Die festen Dolomite wehren sich
mit Erfolg gegen die zerstörenden Witterungseinflüffe und
ragen überall als scharfe, wie zerfressen aussehende Felsen ans
dem Gelände hervor. Beispiele finden sich bei Kleinalme-
rode, Hubenrode. Rückerode, Wolsterode. Abterode. Sontra.
Es fehlt nun noch eine Buntsandsteinlandschaft. Sie
könnte entweder die ununterbrochene Höhenlinie des Süllings-
waldes, oder die von Basalten unterbrochene Linie des
Kaufungerwaldes. der Söhre oder deS Reinhardswaldes
zum Ausdruck bringen.
Diese sechs Landschaftssormen dürften in einer hessischen
Gemäldesammlung nicht fehlen. Die oberen Zehntausend
haben eine reiche Auswahl für Künstleraufträge, während
sich der Dutzendmensch mit Künstlersteinzeichnungen begnügen
müßte. Nun ist es aber schwer, eine Anstalt zu bestimmen,
einen Auftrag zu übernehmen, der ein eng begrenztes Absatz-
gebiet hat. Jeder Liebhaber einer Künstlersteinzeichnung,
der eins der ansgestellten Charakterbilder zu erwerben
gedenkt, zeichnet sich in eine aufliegende Liste rin. Auf
diese Weise gewinnt der Verleger eine Übersicht über den
zu erwartenden Gewinn oder Verlust aus dem Unternehmen.
Von einer großen Zahl von Käufern solcher Bilder für
Haus und Schule wird es abhängen, ob sich ein Verleger
bereit findet, derartige Bilder herzustellen.
-----
125
Vater ist da!
Skizze von M. Herbert.
Die alte gelbüberstaubte Lohgerberei mit ihrem
braunen Gelirre von Guergebälk, Gerüst und Ge-
häng, mit ihren Galerien und klitschigen Stein-
treppen ist weit in den versonnenen Hessenfluh
hineingebaut gewesen, ganz nahe am großen Wehr,
wo über die mächtigen, hellgrün bemoosten Steine
die silbernen Sommerwellen tanzen und die gelben
schweren Fluten des Hornung ihren donnernden
Marsch trommeln.
Dort ist auch das Lohgerberhaus unter breiten
Ellern und Weiden gelegen, breitspurig und in sich
zufrieden. In all seinen bescheidenen Räumen ist
der scharfe Geruch der Lohe gewesen. Man hat
das hochgegiebelte Haus „Am Bietzen" genannt.
Niemand weiß warum. Eine uralte Familie ist
darin gesessen, „die Lotze" In der Familie hat
seit Menschengedenken stets der älteste Sohn Georg
geheißen und der zweite Henner. Der Älteste hat
die Gerberei geerbt und die übrigen Söhne haben
sich in der Welt zerstreut — von alters her. Manche
sind emporgekommen, manche sind verkommen und
verschollen, wie das so ist mit Leuten, die nicht
wie die Schneck' ihr eigenes Heim auf dem Buckel
tragen, sondern den Wanderstab fetzen mögen,
wohin sie wollen.
Auch damals ist der Gerbermeister Georg Lotze
in dem Vaterhaus gesessen, ein behäbiger Mann,
bedächtig und recht, der seinen Platz in Kirche und
Magistrat gehabt hat. Auch er hat einen Bruder
namens Henner besessen. Der Henner ist zuerst
auf guten Wegen gewesen, hat eine Stelle als
Stadtschreiber erhalten und eine Bürgerstochter
geheiratet. Die ist ein stetes und braves Weib
gewesen, schlicht und fest und hat den etwas losen
Henner in sanfter, aber ernster Zucht gehalten.
Ehrbarlich ist er neben der blanken Frau zur Kirche
gegangen und hat abends neben ihr bei der kleinen
Petroleumlampe gesessen und ihren fleißigen Fin-
gern zugeschaut, statt wie sonst draußen vor dem
Tore im Roten Löwen zu bechern, wo es wilde
Zechkumpane, freche Mäuler, Weiber und Rauf-
bolde gibt.
Aber als die Marie endlich nach langem Warten
ins Kindbett gekommen ist und der Henner halb
ungescheit getan hat mit seinem kleinen Mädchen,
ist durch eine Unvorsichtigkeit das Fieber herbei-
geschleppt worden, hat die Frau in seine roten,
glühenden Hände genommen und ist mit ihr auf
und davon bis durchs Friedhofstor. Da lag sie,
und nur ihr Kreuzlein hat noch von ihr erzählt.
Da hat es keinen unglücklicheren gegeben als den
Henner Lotze. Man hat ihn bewachen müssen,
sonst hätt' er sich ein Leid getan. Demi immer
ist er auf der rabiaten und heftigen Seite gewesen.
Das Neugeborene hat des Georgen Lotze Weib,
die kinderlos war, an sich genommen mit großer
Lieb' und Treue, und bald hat sie nimmer ge-
wußt, ob das Mariechen nicht ihr Eigenes ist.
Der Henner hat dann zuerst auch jeden freien
Augenblick in der Gerberei bei dem Kinde ge-
sessen, und als es zum ersten Lallen und Sprechen
gediehen ist, haben die Lohgerberin und der Stadt-
schreiber sich schier feindselig angeschaut, weil die
Ziehmutter gehofft hat, das Kind wird als erstes
Wort „Mutter" sagen, und der Henner, es wird
„Vater" rufen. Und es hat zuerst „Vater" ge-
rufen; das war wohl die größte Freud, die dem
Henner überhaupt je geworden ist auf Erden.
Auch nachher hat trotz aller Liebe »nid Treue
der Lotzin das Mädel immer nach dem Vater
verlangt und aufgejauchzt und die Händchen aus-
gestreckt, so oft es ihn hat unter dem niederen
Türbalken erscheinen sehen. Die Lohgerberin hat
das den Henner entgelten lassen: „Ich hab' mehr
Recht auf das Kind als du' Ohne mich wär's
elend zugrund gegangen. Mich soll's lieb haben,
mich allein!"
Da hat der Henner gefürchtet, das Mariechen
müßte seine Liebe zum Vater bei den Zieheltern
büßen, und ist nicht mehr so oft in die Lohgerberei
gekommen, ob es ihm auch fast das Herz abge-
drückt hat. Daß er wieder gefreit hätte, ist ihm
gar nicht beigekommen, er hätte es nicht zuwege
gebracht. Soweit er auch schauen konnte, da war
keine, die der toten Frau auch nur etwas gleich ge-
sehen hätte, da war keine mit so leisem Gang und so
guten Augen, keine mit so stiller Rede und so gefaßtem
Wesen, keine, bei der dem unruhigen Manne heimat-
lich geworden wäre. Nach und nach hat er dann
begonnen, wieder abends im „Roten Löwen" zu
zechen und Karten hinzuhauen, in den heiligen
Sonntag hinein seinen Rausch zu verschlafen, so
daß weder Kirchenglocken noch Gottes Wort mehr
an ihn heran gekonnt haben.
Das Kind ist indessen wohlbehütet im Lohgerber-
haus herangewachsen. Schier andächtig hat der
Henner das Mariechen angeschaut, wie es im ersten
weißen Kleidchen auf der breiten Fensterbank ge-
sessen ist und sein Haar im Sonnenscheine gegleißt
hat wie gesponnenes Gold. Da ist er hingegangen
und hat heimlich, ohne daß die Lohgerberin es
gemerkt hat, ein Löckchen herabgeschnitten und es
VML- 126 vmu*
in seiner alten Lederlasche geborgen, als wär's ein I
Talisman. Es ist aber nachher doch herausgekommen,
und die Frau hat gezetert, als wär's ein Gottesraub.
Aber selbst das goldene Löckchen hat den Kenner
nicht an seinem feinen zarten Gespinst hallen könnm,
auch nicht die Freude, die das Manschen immer
gezeigt hat, wenn der Vater im Hause war. Ein-
mal ist er gekommen und hat das Kind auf den
Arm nehmen wollen; da hat die Lotzin ihn an-
getobt: „Daß du das Kind nicht anrührst * Pfui
Deisel, du stinkst nach Fusel!" Seitdem hat er
sich rar gemacht. Ohne Branntwein hat er über-
haupt nicht mehr sein könnm, schon wegen dem
Vergessen, das ihm der Rausch gebracht hat. Als
man ihm wegm Liederlichkeit von Magistrats wegen
die Stelle aufgesagt hat und er brotlos geworden
ist, ist das Mariechen fünf Jahre alt geworden.
Da ist der Kenner wie von Sinnen gewesen, ist
herangestürmt und hat das Kind an der Hand
gepackt, hat es an sich gerissen und ist mit ihm
hinunter zum Fluß. Ilm ein Haar hätte er sich
und das Kind ertränkt; nur noch ein Schritt breit
hat gefehlt. Aber der Georg Lotze, der ein bären-
starker Mann war, hat ihm das Kind entrissen
und den Sinnlosen in das Haus zurückgebracht.
„Brauchst noch lange nicht aus dem Leben! Hier
hast du eine Heimat, Henner," hat der Georg ge-
sagt. „Bist mein Bruder, ich steh ein für dich.
Bleib da, bestell die Äcker, pfleg die Küh. Ist
ehrliche Arbeit, schändet nicht. Wird mir so alles
zu viel."
Eine Zeitlang ist also der Kenner so eine Art
von Knecht im Vaterhaus geblieben. Die Schwägerin
wär's ja zufrieden, aber allzugut hat sie's mit dem
armen Bracher nicht gemacht. Er kam ja oft be-
rauscht morgens ums Hähnekrähen heim
„So einer kann seinen Leutm leicht das Haus
überm Kopf anzünden Mit so einem ist man
nie seines Lebens sicher Vor einem solchen
soll einen Gott bewahren Was kann einer
schaffen, der erst vor Tau und Tag heimgeht r"
So haben die Reden der Lotzin geklungen. Ob-
wohl der Henner tüchtig geschanzt hat draußen auf
dem Kortoffelacker und dem Runkelrübenfeld, hat
die Frau es den Schwager doch wacker merken
lassen, daß er geschenktes Brot effe und um Gottes-
willen im Hause wohne. Die Herunterkommenden
finden immer noch einen, der ihnen noch einen
Stotz nach unten gibt. So wär's und so wird's
immer sein.
Das Mariechen aber hat in seinem treuen Kinder-
herzen zum Vater gestanden. Ost ist es ihm heim-
lich nach aufs Feld: „Will Vater mein Frühstück
bringen! Mariechen will bei Vater sein, Vater
hat Jammer nach Mariechen."
Die Kleine nimmt ihre Röckchen zusammen und
steigt den steinigen Distelhang empor zu Vater, der
am Galgenberg ackert oder Korn schneidet oder
Kartoffeln austut. Dann sind die beiden schier
lustig zusammen und stecken sich ein Helles Kar-
toffelfeuer an, das flackert rot und froh wie eine
Freudenfahne in das blauvernebelte, tief verträumte
Hessental hinunter. Hoch am Galgenberg steht ein
fremder Baum, darauf wachsen eßbare Kastanien,
die brät Henner für das Mariechen und Henner
weiß ein so drolliges Lied:
Eia, popeia, was raschelt im Stroh?
Die Gänslein sind barfuß und haben kein Schuh,
Der Schuster hat Leder kein Leisten dazu,
Sonst hätten die Gänslein schon längst ein Paar Schuh!
„Niemand kann singen wie Vater!" sagt das
Mariechen. Das kann aber die Meisterin nicht
leiden, daß die beiden da draußen so glücklich
miteinander tun. Hellauf brennt in ihrem Herzen
die Eifersucht. Sie holt das Kind heim, und es
bekommt die ersten unguten, harten Reden und
die ersten Schläge wegen Ungehorsam. Die
Meisterin versalzt auch dem Schwager das Essen
mit bösen Worten und Sticheleien auf das Gnaden-
brot, das einer in Demut essen soll.
Da ist eines Tages der Henner verschwunden
gewesen, auf gut Glück in die Fremde hineinge-
streunt mit ein paar letzten Talern in der Tasche.
„Wird schon heimkehren an die Krippe," hat die
Meisterin wegwerfend gesagt. Er ist aber aus-
geblieben, Woche auf Woche ist ins Land gegangen,
niemand hat wieder von ihm gehört, mit Stromern
und Landstreichern ist er auf und davon.
Von dem Tage ab ist das Mariechen füll und
ernsthast geworden, und wenn es abends im Bette
sein Nachtgebet gesprochen hat, hat es leise hin-
zugefügt: „Lieber Gott, mach', daß Vater heim-
kommt. Lieber Gott, laß Vater auch eine gute
Nacht haben."
Je länger aber der Henner ausgeblieben ist,
desto mehr hat sich das Kind gegrämt und ist
stille dagesessen, wie ein krankes Vöglein, dem
keines helfen kann. Ja, das Mariechen ist ver-
fallen und vergangen und hat allzeit auf den
Brückensteig geschaut, den man vom Fenster aus
sehen konnte. Unter allen Vorübergehenden hätte
das Mariechen den Vater erkannt, schon ganz,
ganz von weitem.
Aber der Vater kommt nicht. Einmal hat Meister
Lotze gehört, daß man den Hmner in der Nähe
gesehen hat; ganz wie ein Bettler soll er gewesen
sein, barfuß, in zerrissenen Hosen, flieraugig und
blaß, verlumpt und vertmnken. Man will es dem
Mariechen nicht sagen, aber Mariechen erfährt es
smtL> 127 vmtL
doch. Es gibt immer Leute, die Kindern von der
Schmach ihrer Eltern erzählen. Mariechen grämt
sich, es ist schon so bleich und dünn, nun liegt es
in seinem Bettchen und fiebert: „Ich will Vater
suchen, Vater soll kommen!"
Und als der Winter naht mit Schneewehen
und bluterftarrender Kälte, sagt Mariechen.- „Nun
muß Vater erfrieren, draußen im Feld! Ich muß
gehen und Vater holen." Aber es kann selber
nicht mehr aufflehen. Wenn der Sturm nachts
um das Haus heult und die Flußwellen aufpeitscht,
daß sie donnernd gegen das Wehr rollen, weint
Mariechen: „Ach, wo ist der Vater jetzt?"
Und eines Nachts, als der Grkan mit beiden
Fäusten an den Fensterläden schmiert, schreit das
geängstete Kind: „Ich weiß es, Vater ist draußen!
Vater will herein. Mach' Vater auf!"
Da muß Meister Lotze die Laterne anzünden
und vor der Haustüre suchen. Draußen ist aber
nur die schwere Finsternis der Nacht und nichts
sonst. Nur der Kauz sitzt in der hohlen Glimmer-
weide und schreit sein uraltes „Komm mit!"
Mariechen aber wird immer kränker und kommt
zum Sterben. In der letzten Nacht seines kurzen
Lebens sitzt es mit einem Male hoch im Bette
auf: „Ich weiß es, Vater ist jetzt da'" Das sind
seine letzten Worte gewesen auf Erden.
Und der Henner ist wirklich dagewesen. Als
im Frühjahr der Eisgang kam und der Fluß seine
Wintergeheimnisse preisgab, hängt ein ange-
schwemmter Mann im braunen Gerüst der Loh-
gerberei; seine Brust ist ganz mit Gras und Tang
zugewachsen, sein Gesicht ist nur noch ein Schädel.
Aber an der alten Ledertasche mit dem Löckchen
des Kindes hat man ihn erkannt.
Der Georg Lotze, der zeitlebens ein ruhiger
Mann war, ist seitdem noch stiller geworden,
stiller und in sich gekehrt. Der Henner ist ihm
zu Herzen gegangen. Er hat sich gesagt, daß er
den Bruder hätte fester halten müssen, festhalten
mit aller Kraft.
Aber der Georg Lotze hat nie viele Worte ge-
macht, auch über die härtesten Dinge nicht, und
erst recht nicht, wenn sie ihn nahe angingen. Er
hat gemeint, daß Worte selten etwas bessern, und
vor allem keinen aus dem Grabe holen. So hat
er auch seinem Weib keinen Vorwurf zu schmecken
gegeben, denn die hat früher harte trockene Augen
gehabt, aber jetzt sind sie den ganzen Tag voll
Tränen gestanden um das Mariechen.
-»•••<&>
Einer Freundin.
Wanderer sind wir zu einem Ziel,
Ewig dunkler Mächte Spiel.
Ach, wir glauben, wir lenken den Wagen.
Und Dämonen sind's, die uns tragen.
Gute, böse? Die Frage meide,
Hohe Liebe adelt sie beide.
Gießen.
| Aus einen Grabstein.
Wer da stehe, wer da falle,
Kinder Gottes sind wir alle;
Fehlt die Brücke, fehlt der Steg,
Liebe weiß den rechten Weg.
Alfred Bock.
Aus Heimat und Fremde.
Hessischer Geschichtsverein. An der Jahres-
versammlung des Zweigvereins E s ch w e g e am 9. April
nahmen neben den zahlreichen Mitgliedern, Damen
und Herren, auch die Vertreter des Efchweger
Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung,
der Vorstand des Werratalvereins und der Ehren-
vorsitzende und eifrige Förderer des hiesigen Geschichts-
vereins, Landrat und Kammerherr v. Keudell, teil.
Nachdem der Vorsitzende, Rechnungsrat Hartdegen,
die stattliche Versammlung herzlich begrüßt, erstattete
er einen eingehenden Jahresbericht über die
Tätigkeit des Vereins im abgelaufenen Geschäftsjahr.
Der Eschweger Zweigverein, der im Jahre 1904
gegründet wurde, zählt gegenwärtig 79 Mitglieder.
Eine sehr rege Tätigkeit entwickelte das Vorstands-
mitglied Oberlehrer vr. Römheld auf dem Ge-
biete der Ausgrabung prähistorischer Funde. Er
legte in den Herbstferien in einer Kiesgrube bei
Eschwege einen Pfahlbau frei. Die Ausgrabungs-
kosten im Betrage von 500 M. hat der Verein ge-
tragen. Unterhalb des Schwebdaer Bahnhofs wurde
ein großer Urnenfriedhos und in einer Kies-
grube bei Niederhone germanische Wohngruben
entdeckt. Diese Ausgrabungen ergaben eine reiche
Ausbeute an Urnen, Scherben, Steinwerkzeugen,
Geräten und Tierknochen. Die Funde sind von
Museumsdirektor vr. Boehlau in Kassel und dem
Direktor des röm.-germ. Museums in Mainz, Pro-
feffor Schumacher, als sehr wertvoll bezeichnet worden,
vr. Römheld hatte eine Auslese dieser Funde im
Saale ausgelegt, die einer eingehenden Besichtigung
unterzogen wurden. Nachdem Rechnungsrat Hart-
VvttL- 128 WKÍb
degen Herrn Dr. Römheld für seine große Arbeit
bestens gedankt, gab der Rechnungsführer Professor
Dr. Pontani den Kassenbericht. Die Rechnung
wies eine Einnahme von 640,94 M. und eine Aus-
gäbe von 638,09 M. aus. Die Altertümer-
s a m m l n » g des hiesigen Zweigvereins, die bislang
in einem Raume des Gymnasiums untergebracht ist,
erhält jetzt eine würdige Stätte dadurch, daß die
Kreisverwaltung dem Vorstand zu diesem Zwecke
die frühere katholische Schloßkapelle kostenlos zur
Verfügung gestellt hat, die der Verein als Heima 1s-
museum einrichten will. Zur Bestreitung der Ein-
richtungskosten wurde eine Zeichnungsliste bei den
Teilnehmern in Umlauf gesetzt, die am Schlüsse der
Versammlung 316 M. auswies. Nach Erledigung
des geschäftlichen Teils hielt Oberlehrer Dr. Röm-
held einen sehr interessanten und anregenden Vor-
trag über „Vorgeschichtliche Funde bei Esch-
tvege", für den er großen Beifall erntete. Landrat
v o n K e u d e l l versicherte, daß er an dem geplanten
Heimatsmuseum das größte Interesse habe, und sicherte
ihm die weitgehendste Unterstützung aus Kreis- und
Gemeindemitteln zu. Im Mai will der Geschichts-
verein gemeinsam mit dem Werratalverein einen
Ausflug nach Germerode zur Besichtigung der dor-
tigen altehrwürdigen und schönen Klosterkirche unter-
nehmen. __________
Marburger Hochschul Nachrichten. Der
im 70. Lebensjahre stehende Direktor des chemischen
Instituts, Geheimrat Professor Dr. Th. Zincke, der
seit 1875 in Marburg wirkte, hat beim Kultus-
ministerium die Entbindung von seinen akademischen
Verpflichtungen nachgesucht. Mit seiner Vertretung
ist der außerordentliche Professor und Abteilungs-
vorsteher im chemischen Institut Dr. Karl Fries
betraut worden. — Am 12. April verschied im
54. Lebensjahre der Privatdozent der philosophischen
Fakultät Dr. Paul Fritsch. — Privatdozent Pros.
Lic. theol. Walter Bauer wurde zum 1. April
zum außerordentlichen Profestor für neutestament-
liche Theologie und Exegese an der Breslauer Uni-
versität ernannt.
Personalchronik. Dem Stadtsyndikus und Polizei-
direktor Senator Dr. Otto G e r l a n d zu Hildesheim wurde
das Offizierkreuz des Herzoglich Braunschweigischen Ordens
Heinrichs des Löwen verliehen. — Der Leiter der Kasseler
Kunstgewerbeschule Prof. Schick beging sein 25jähriges
Dienstjubiläum.
Zur Errichtung eines Grabdenkmals flir
unseren Kasseler Landsmann Pfarrer Jatho erläßt der
Verein für evangelische Freiheit zu Köln einen Ausruf.
Geldbeiträge nehmen in Kassel entgegen Bankier Schirmer
sowie die Freyschmidtsche. Sieringsche und Kempfsche Buch-
handlung.
Die Gipsabgüsse des Kasseler Museum
Fridericianum. die ursprünglich verkauft werden
sollten, werden dank den energischen Einsprüchen des Kasseler
Magistrats und der Vertreter der Stadt Kaflel im Kom-
munal-Landtage für den Regierungsbezirk Kaste! nach wie
vor der Öffentlichkeit und namentlich den hiesigen höheren
Lehranstalten für Bildungszwecke zur Verfügung bleibe» ;
sie sollen im unteren Stockwerk der Bildergalerie ihre Auf-
stellung finden, da die Räume des Museum Fridericianum
demnächst bekanntlich für die Zwecke der Landesbibliothek
dienstbar gemacht werden.
Der Nordwestdeutsche und Südwestdeutfche
Verband für Altertumsforschung traten Ende
März zu gemeinsamer Tagung in Göttingen zusammen,
von Geheimrat Prof. Dr. Schröder im Namen der
Universität und Stadtverwaltung begrüßt. Es sprachen
u. a. Professor Dr. Wol ff-Hanau über die Wohngruben
bei Diemarden und der Springmühle und Dr. B r e m e r -
Gießen über den Stand der neolithischen Forschung in Ost-
deutschland. __________
Aus Schmalkalden. Wegen der geplanten Ge-
dächtnishalle zur Erinnerung an den Schmalkalder
Bund fand dieser Tage eine Besprechung statt- Von fürst-
lichen Mitgliedern des Schmalkalder Bundes kommen ins-
gesamt 19 Bilder in Frage; sieben Gemälde find bereits
fest zugesagt. Bei manchen Bildern darf auf Schenkung
gerechnet werden. Die 29 Städte, die dem Bunde angehörten,
wurden gebeten, ihre Wappen für die Gedächtnishalle zur
Verfügung zu stellen. Für den Gedächtnissaal kann nur
das Schloß Wilhelmsburg in Frage kommen. Mit der
Domänenverwaltung wurde wegen Überlastung deS söge-
nannten blauen SaaleS bereits verhandelt; doch liegt ein
abschließendes Ergebnis zurzeit noch nicht vor.
Ein Geschenk des Königs von Dänemark
für Schmalkalden. Der König von Dänemark hat
dem Magistrat eine Kopie des Bildes König Christians III.
von Dänemark (1533—1559) zur Erinnerung an den
Schmalkaldischen Bund für die Gedächtnishalle geschenkt.
Das Originalbild befindet sich im Nationalmuseum FrederikS-
borg. König Christian III. gehörte zu denjenigen prote-
stantischen Fürsten, die 1531 zur Verteidigung ihres
Glaubens den Schmalkaldischen Bund schloffen.
AusFriedberg. Der Neubau des städtischen Museums,
Archivs und der Bibliothek ist soweit vollendet, daß er in
einiger. Wochen bezogen werden kann. Die Eröffnung deS
Museums soll mit der 700 Jahr-Feier der Stadt verbunden
werden. Aus diesem Anlaß gibt die „Historische Kom-
mission für Hessen' als Festgabe eine erlesene Sammlung
„Friedberger Chroniken' heraus.
Aus Hanau. Auf eine Anfrage der Stadtverwaltung
an das Reichskolonialamt über die in Berlin durch die
Diamantenregie zu errichtende Diamantenschleiferei wurde
vom Staatssekretär deS Reichskolonialamts mitgeteilt: „Die
in Berlin zu errichtende Diamantschleiferei ist als gewerb-
liches Unternehmen und nicht als Fachschule gedacht, wenn
sie auch zunächst wegen Mangel an gelernten Arbeitskräften
am Berliner Platze Lehrlinge einstellen muß. die von
belgischen Schleifern angelernt werden sollen. ES ist mir
eine Genugtuung, bei dieser Gelegenheit mitteilen zu können,
daß es mir gelungen ist. di« zur Einrichtung und Erhaltung
einer Fachklaste für Diamantfchlriferei in Hanau von den
zuständigen Stellen als erforderlich bezeichneten Geldmittel
SASL. 129 9«^
zusammenzubringen. * Die Einrichtung einer Diamant-
schleiferei-Fachschule in Hanau kann somit als gesichert an-
gesehen werden.
Aus Homburg v. d. H. Zur Erinnerung an den
Aufruf zur Bildung vaterländischer Frauenvereine, den
Prinzessin Marianne von Hessen-Homburg als spätere
Prinzessin Wilhelm von Preußen vor 100 Jahren erließ
(vgl. Hessenland Seite 87). wird hier die Errichtung eines
Denkmals für die Urheberin der Organisation dieses Frauen-
verbandes in die Wege geleitet. — Wenig bekannt dürfte
es sein, daß unsere Stadt im Besitz einer genauen Nach-
bildung des .Heiligen Grabes* zu Jerusalem ist. Die
im Jahre 1490 erbaute Kapelle stand bis 1825 in Geln-
hausen. wo sie von frommen Pilgern nach glücklicher
Heimkehr aus Jerusalem errichtet wurde. Durch die An-
lage einer Straße wurde ihr Abbruch nötig. Landgraf
Friedrich Josef von Hamburg kaufte die Kapelle für
500 Gulden und ließ sie auf dem jetzigen reformierten
Friedhof in Homburg wieder aufbauen. — Das Bauwerk
besteht aus zwei Kammern, von denen die vordere, die
.Engelskapelle* durch zwei Fenster erhellt wird. Im
Fußboden dieses Raumes liegt der .Engelstein' und hinter
diesem der Opferstock. In dem Grundstein, der die Jahres-
zahl 1490 trägt, lag. als man ihn 1825 öffnete, ein Flasche
mit Jordanwasser. Der hintere Raum, die Grabkammer,
wird durch eine den Sarkophag darstellende Bank geteilt.
Diese besteht aus einer Steinplatte, die sich vorn auf eine
andere Platte mit quadratischem Loch. an der Wandseite
auf eine Konsole stützt. Schmucklos wie das Innere ist
auch die Autzenarchitektur des .Grabes". Außer in Hom-
burg gibt es nur noch in Görlitz und Nürnberg derartige
Nachbildungen des .heiligen Grabes*
Aus Bad Homburg v. d. H. Auf Anordnung des
Kaisers wurde auf der Saalburg ein römisches Lager nach
dem Muster der kleinen ausgegrabenen Saalburgschanze
mit einem Stück Pfahlgraben nach dem römischen Verfahren
hergestellt. _______________
Wert des Fuldaer Porzellans. Bei der Ver-
steigerung der Sammlung Francis M. Baer (London) in
der Galerie Helbing erzielte ein kleines Fuldaer Porzellau-
figürchen, einen grüßenden Harlekin darstellend, den höchsten
Preis, der bisher überhaupt auf einer Auktion für eine
derartige Figur bezahlt wurde, nämlich 9000 Mark.
Aus der Rhön. Im Rhöndorfe Empfertshausen
verstarb der älteste Schnitzer der weithin bekannten Rhöner
Holzschnitzkunst. Altmeister V a l e n t i n B l r h. der eigent-
liche Begründer der Holzschnitzschule seines Heimatortes,
in der zahlreiche Kräfte ihre Ausbildung erhielten und
noch erhalten.
Anderweitige Ab grenz un g der Bergreviere.
Dem Bergrevier Kaste! gehören von jetzt ab im Reg -Bez.
Kaste! folgend« Kreise an ; Hofgeismar. Wolfhagen. Kassel-
Stadt, Kassel-Land. Witzenhausen. Melsungen. Fritzlar.
Homberg. Ziegenhain. Kirchhain. Marburg und Franken-
berg. jedoch mit Ausschluß des Bezirks Vöhl.
Die Juden in Kurhessen. Eine Kommission des
preußischen Abgeordnetenhauses beschäftigte sich mit einer
von 27 hervorragenden Persönlichkeiten der Synagogen-
gemeinde Gelnhausen eingereichten Petition, die um Ab-
schaffung der alten Gesetze über die Verhältnisse der Juden
in Kurhessen bittet. Wie der Berichterstatter. Abg. Mehrn-
schein ausführte, wenden sich die Petenten gegen die kur-
hesfischrn Verordnungen von 1823 — 1833. Nach diesen
Gesetzen hat jede lokale Judengemeinde in den früheren
kurhefsischen Provinzen Niederhessen. Oberhesten. Fulda und
Hanau mehrere (2—3) Älteste und einen Vorsteher. Für
die Provinzen sind neben den Provinzialrabbinern Vor-
steherämter in Kassel. Marburg. Fulda und Hanau er-
richtet. die Personen ernennt der Minister. Dagegen wenden
sich die Petenten s sie sagen, die Gemeinden könnten nicht
einmal ihre Ältesten selbst wählen, die Ältesten würden
ihnen aufgedrungen, und es sei bezeichnend, daß zwei In-
haber der obersten jüdischen Behörde deS Provinzialvorsteher-
amtrS in N. ihre eignen Kinder einer anderen Religion
zugeführt hätten. Weiter wird zur Aufbringung der
Gemeindelasten statt einer Klassensteuer die Besteuerung
durch Zuschläge zur Staatseinkommensteuer gewünscht,
ferner bei den Provinziallasten ein ähnlicher Modus wie
bei der Besteuerung der Kirchengemeinden zu den landes-
kirchlichen Lasten, daß das Provinzialamt einen Etat auf-
stellt. diesen den Gemeindevertretungen zugänglich macht
und den Bedarf gemeindeweise, nicht wie jetzt nach ihrer
Steuerlast, sondern nach ihrer Steuerkraft, wie sie sich aus
der Staatseinkommensteuer ergibt, umlegt. Der Regierungs-
Vertreter meinte, die bestehende Organisation werde in
weiten Kreisen der hessischen Judenschaft geschätzt. Der
Antrag auf Materialüberweisung wurde schließlich an-
genommen. _____________
Die Nibrlungenhalle am Rhein. Zum 100. Ge-
burtstag Richard Wagners errichten Verehrer des großen
.deutschen Meisters eine Gedächtniehalle bei Königswinter
a. Rh. Hermann Hendrich hat 12 große Wandgemälde,
freie Kompositionen zum „Ring der Nibelungen . dafür
geschaffen, der Bildhauer Splieth ein Relief des Meisters
für den Runenstein, auf dem u. a. folgender Wrihespruch
von Karl Engelhard eingegraben wird:
»Der du, in WotanS Wissen eingeweiht.
Von Helheims Fluch hast unsern Hort befreit
Und selbst ein Siegfried. Not erlöst durch Not.
Bleib' bei uns. Starker, bis die Welt verloht."
In der Apsis sollen alljährlich auch Werke anderer Künstler
ausgestellt werden, die Bezug auf die deutsche Sagenwelt
haben.
Hessische Bücherschau.
Traudt Valentin. Ein LiebeStraum. (Aus dem
Tagebuch einer Bergsteigerin.) Erzählung. Berlin
(Aug. Scherl).
Der bekannte hessische Erzähler der .Leute au« dem
Burgwaldr* nimmt uns mit in» Hochgebirge. Wir erleben
den LiebeStraum der kleinen lustigen Lehrerin, die in dem
Franzl, ihrem Bergführer, das Idealbild deS Mannes er-
kennt. Das tiefe innige Verlangen deS Weibes zum Manne
hat der Dichker schlicht und schön gezeichnet. Daß Hingabe
des Weibes wahrhafte« Wesen ist. kommt hier wieder einmal
im Gegensatz zu den Überspanntheiten der Modernen zu
rechtem Ausdruck. Der Lehrerin gegenüber steht der kluge
Franzl. der stolze Sohn der Tiroler Berge, bei dem die
Vernunft siegt. — Der in Tagebuchform gehaltenen Er-
smi> ISO
zählung ist eine kurze prägnante Sprache eigen. Die Sätze
haben etwas Hastendes an sich. Man eilt gern mit zu
den Glanzpunkten Tirol«: Zell, Krimml, Defreggerhütte,
Täufers, GerloS, Moserboden. Mayerhofen u. a.
Traudt, Valentin. DaS Geheimnis des Grenadiers.
Roman. Berlin (Aug. Scherl). 5 Bde. ä 20 Pfg.
Der Verbannte auf Elba kam an jenem 1. März nicht,
fein Vaterland zu retten. Ihn trieb nichts als nacktester
Ehrgeiz. Er vertraute seinem Stern und seinem Heer.
Und sein Heer, das fich einbilden durfte, die Nation zu
fein, riß seine Führer mit. Auch einen Ney und einen
Soult, die in beleidigenden Worten von der Wiederkehr
des Kaisers gesprochen hatten. Und da« Heer führte seinen
Helden nach Paris. Die Diplomaten waren verblüfft. Die
Beamten hielten treu zum Könige, der nach Gent ging.
Das Volk ließ den Rausch über sich ergehen. Die Armee
mochte sehen, wie sie mit ihm fertig würde. Und sie ver-
mochte dem noch einmütigen, bewaffneten Europa nicht zu
widerstehen. Waterloo endete den Traum der hundert
Tage. — Auf diesem Hintergründe baute Traudt seinen
Roman aus. Wir erleben in dem Geschick des Grenadiers,
des Sohnes Elbas, jenen merkwürdig inszenierten Aufstieg
des Kaiseraars und seinen jähen Todessturz. In größter
Lebendigkeit eilt die Handlung vorwärts. Demgemäß
schwingt fich dir Sprache oft zu dramatischer Höhe auf.
Die einzelnen Personen, hinter denen immer wieder die
überwältigende Gestalt des Kaisers in stets wechselnder
Beleuchtung erscheint, find treffend gezeichnet, besonders
Anita, das sympathische Naturkind Elbas.
Allen Freunden Traudtscher Erzählkunst seien die beiden
Werke bestens empfohlen. 8.
Altdeutsche Post. 22 Kostümbilder auf echt Bütten-
karton, historisch getreu von Künstlerhand feinstens
koloriert durch Maler Onnich, Hörzhausen (Ober-
bayern. Preis 1,75 M.
Der Künstler hat hier in Verbindnng mit einem bahr.
Postsekretär eine Sammlung der in den Jahren 1842 bis
1853 im Postalmanach erschienenen Abbildungen von Post-
beamten und Postillionen der damaligen deutschen Bundes-
staaten zusammengestellt und in vorzüglicher Weise wieder-
gegeben. Auch die kurhesfische Post ist darunter vertreten.
Wir können die Kartenreihe jedem Sammler bestens emp-
fehlen. ______________ 8.
Literarisches. „Mater dolorosa“, die Tragödie
einer Mutter, von B. Moriton-.v. Mellenthin in
Kassel, von dessen Annahme in Biel (Schweiz) bereit« ge-
meldet wurde, ist inzwischen von einer Reihe ständiger
Theater erworben worden, u. a. in Leipzig. Breslau,
Wilhelmshaven, Stolp, Itzehoe, Heide und Bad Freien-
walde a. O. DaS Drama ist zum Preise von 2 und 3 M.
im Buchhandel käuflich.
Personalien.
Ernanntr Eisenbahnrechnungsrevisor Henningsen
zum Eisenbahnrechnungsdirektor in Kassel.
Verliehe«: den Oberlehrern, Professoren Forst und
Lohmann zu Hanau und dem Oberlehrer a. D. Professor
Franz zu Kassel der Rote Adlervrden 4. Kl.; dem Pro-
gymnafialdirektor a. D. K r ö s ch zu Hofgeismar, dem Ober-
lehrer a. D. Professor vr. Lauer zu Marburg und dem
Eisenbahndirektor Halsband zu Kassel bei dem Übertritt
in den Ruhestand der Kronenorden 3. Kl.; dem Oberreal-
schuldirektor vr. Schmidt zu Hanau der Adler der
Ritter des Königlichen Hausordens von Hohenzollern; dem
Lehrer L i e s e zu Hanau und den Katasterasfistenten Grand-
m o n t a g n e und Lipprandt zu Kassel der Kronenorden
4. Kl.; dem Rechtsanwalt und Notar Backhaus zu Treysa
der Charakter als Justizrat.
übertragen: dem Landrat Nirrnheim die Ver-
waltung deS LandratSamteS im Kreise Gersfeld endgültig.
Versetztr Geh.Bauratt Platt, bisher in Danzig, als
Mitglied der Eisenbahndirektion nachKaffel; Baurat Lehm-
tz r ü b n e r von Stettin nach Kassel als Vorstand des Hoch-
bauamts II; Amtsgerichtsrat Eden von Wanfried nach
Buxtehude.
In den Ruhestand versetzt: Baurat Overbeck in
Hofgeismar unter Verleihung des Charakters als Geh.
Baurat; Eisenbahndirektor Ziegler zu Fulda.
Gebore«: ein Sohn: Pastor Liebe und Frau Marie,
geb. Piderit (Schöndorf bei Ziegenrück i. Th.. 13. April);
Oberlehrer Fi scher und Frau Maria, geb. Hamel (Schmal-
kalden. 12. April); — eine Tochter: Pfarrer Eisen-
b erg und Frau (Dreihausen, 11.April); Betriebsingenieur
Emil Berg und Frau Elisabeth, geb. Ackermann (Fulda,
14. April).
Gestorbenr Hauptlehrer und Kantor H. A. Schefer,
61 Jahre alt (Niederhone); Frau Henriette Birnbaum.
geb. Werthau (Fulda, 4. April) ; Kantor L. Bischofs,
77 Jahre alt (Kassel, 5. April) ; Fräulein Elfe Stähle
(Kassel. 6. April); Frau Karoline Schmitt, geb. LamS-
bach, 77 Jahre alt (Oederan. 9. April); Frau Kätchen Koch,
geb. Wenzel, Witwe des UniverfitätSbuchdruckereibefitzerS
Joh. Aug. Koch, 78 Jahre alt (Marburg. 10. April) ; Fräulein
Charlotte Kümmell (Kassel. 11. April); Dekan Fritz
Schmidt, 51 Jahre alt (Schlitz. 11. April); Lehrer Karl
Becker aus Allendorf, 53 Jahre alt (Efchwege); Direktor der
Korrektionsanstalt zu Breitenau Ludwig Schmidt (Brei-
tenau, 13. April) ; Oberlehrer vr. phil. Karl Euler, 34 Jahre
alt (Düsseldorf-Oberkassel, 13. April); Ziegeleibefitzer Eduard
Lautenschläger, 75 Jahre alt (Kaffel. 15. April) ; Ober-
landeSgerichtsrat, Geh. Justizrat vr. Otto Brandt, 60 Jahre
alt (Kiel, 16. April); Rentner Wilhelm Piepenbring,
63 Jahre alt (HerSfeld, 16. April); Pfarrer Zimmer-
mann (Fritzlar, 16. April) ; Kapitänleutnant Erich Kleyen-
st e u b e r, 29 Jahre alt (Kiel, 17. April); Freifrau Aurelie
Wolfs von Gudenberg. geb. Amelung. Witwe des
JnvalidenhauPtmannS, 85 Jahre alt (Meimbreffen).
Sprechsaal.
Zu dem Artikel .Preußenfeiern' von vr. Hans Braun
sei bemerkt, daß in Eschwege ein patriotisches Stück .Heffen-
treue', das wie BertelmannS .Schumann und der Soldaten-
aufstand in Eschwege' denselben Stoff behandelt, aufgeführt
wurde und stets ein volles Haus brachte. Der Berfaffer
ist der Gastwirt Müller in Grebendorf, der Sohn des in
weitester Umgegend bekannten Gastwirts Merten Müller.
Durch die Zeitung habe ich aber auch davon nichts erfahren.
Schämt man fich so feiner Ahnen, daß man die HeimatS-
gefchichte ganz übersieht ? Es gibt eben noch viele, die glauben,
man wäre kein guter Preuße, oder könne als solcher ver-
kannt werden, wenn man auf seine Heimat und die Geschichte
seiner Väter stolz sei. E Wenzel.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friede. Scheel, Kaffel.
Heffenland
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. S. 27. Jahrgang. Erstes Mai-Heft 1913.
Die Entwicklungsgeschichte von Hessen.
über den Namen, die Bewohner und die Ge-
schichte Hessens begegnet man oft falschen Vor-
stellungen. Vom Großherzogtum ist eigentlich nur
ein kleiner Teil alteS Hessenland. Nicht die Hessen-
Darmstädter. sondern die Kurhessen sind die Nach-
kommen der Chatten; in Starkenburg und Rhein-
hefsen haben keine Chatten, sondern Franken,
Burgunder, Alemannen und früher noch andere
Völker gewohnt. Auch das Kartenbild unseres
Nachbarstaates hat nicht immer so schön abgerundet
ausgesehen, wie heute. Vielmehr sind die Pro-
vinzen Starkenburg und Rheinheffen erst im Laufe
der Zeit und Stück für Stück erworben worden,
die Entwicklung ging bis ins 16. Jahrhundert
nicht von Süden nach Norden, sondern umgekehrt.
Das Großherzogtum Hessen in seiner jetzigen
Gestalt ist im großen und ganzen ein Produtt des
Wiener Kongresses, und innerhalb der rot-weißen
Grenzpfühle herrschte früher ein tolles Durch- und
Nebeneinander von Dutzenden von Staaten und
Stäütchen, fo wie heute etwa noch in Thüringen.
Bestand doch das heilige römische Reich deutscher
Nation vom Westfälischen Frieden bis zu seinem
seligen Ende auS über 300 geistlichen und welt-
lichen Staaten! Warum soll es in unserer Gegend
anders ausgesehen haben als im übrigen Deutsch»
land? Um bekannte Namen zu nennen: die Herren
und Grafen Erbach, Wertheim, Katzenelnbogen,
Frankenstein, Gemmingen, Wamboldt, Albini,
Schönborn, Dalberg, Nassau, Isenburg. Riedesel.
Görtz, Stolberg, Solms, Hanau, Kaichen. Ziegen-
hain und Nidda, Leiningen, Salm, Kurpfalz, Kur-
mainz, das Bistum Worms, die Abtei Fulda, die
'Reichsstädte Friedberg und Frankfurt, auch Frank-
reich, sie alle besaßen das, was heute Starkenburg,
Oberhessen. Rheinhessen heißt. Andererseits hat es
Zeiten gegeben, wo Hessen über seine heutigen
Grenzen hinausreichte, und Gebiete, die jetzt zum
Elsaß, zu Baden, Bayern oder Preußen bis hin-
unter nach Westfalen gehören, waren ehemals hes-
sisch.
Bis ins 16. Jahrhundert umfaßte die Land-
grasschast Hessen (1292 war Heinrich das Kind,
ein Enkel der heiligen Elisabeth, in den Reichs-
fürstenstand erhoben worden) vorwiegend altes
Chattenland, das Gebiet zwischen Lahn und Werra
mit den Städten Marburg, Gießen, Kassel; auch
Biedenkopf und Battenberg gehören dazu. Im
Jahre 1450 kamen die Grafschaften Ziegenhain
und Nidda, d. h. die Gegenden der oberen Schwalm
und der oberen Nidda, an Hessen, eine natürliche
Abrundung und Vervollständigung des seitherigen
Besitzstandes. Eine weitere wichtige Erwerbung war
1479 der Anfall der beiden Grafschaften Katzen-
$«&> 132 SAiL.
einbogen mit einem Teil der Grafschaft Diez infolge
der Vermählung Landgraf Heinrichs III. mit Anna,
der Erbtochter des letzten Grafen von Katzeneln-
bogen. Die niedere Grafschaft Katzenelnbogen mit
Diez lag größtenteils im Taunus, im Lahn- und
Rheingebiet; Schwalbach. Schlangenbad, Braubach,
St. Goar mit Rheinfels, St. Goarshausen mit der
„Katz" gehörten hierher. Mit der Obergraf-
schast, der Ecke zwischen Main und Rhein mit
Rüsselsheim, Groß-Gerau, Darmstadt, Lichtenberg,
Auerbach, erwarben die hessischen Landgrafen auch
süddeutsches Gebiet.
Der letzte Herr dieses Gesamtgsbietes war Philipp
der Großmütige, „Landgraf zu Hessen, Gras zu
Katzenelnbogen, Diez, Ziegenhain und Nidda".
Nach seinem Tode (1567) beginnen die Teilungen.
Zunächst (später gibt es noch andere, wie Hessen-
Homburg, Hessen-Butzbach, Hessen-Notenburg.
Heffen-Philippsthal-Barchfeld) entstehen unter seinen
vier Söhnen folgende Linien: 1, Niederhessen mit
der Hauptstadt Kassel, etwa die Hälfte des ur-
sprünglichen Besitzes (Wilhelm), 2. Oberhessen mit
Marburg, ungefähr einViertel des Ganzen (Ludwig),
3. die niedere Grafschaft Katzenelnbogen mit Rhein-
fels und St. Goar (Philipp), 4. die obere Grafschaft
mit Darmstadt (Georg I.). Die Linien Marburg
und Rheinfels starben aber schon bald aus, und
so bestehen seit 1567 zwei hessische Landgrafschasten
nebeneinander H e s s e n - K a s s e l, das spätere Kur-
fürstentum, seit 1866 mit Nassau und Frankfurt
preußische Provinz, und Hessen-Darmstadt,
seit 1806 Großherzogtum. Man sieht also, den
eigentlichen Kern des Großherzogtums, an den sich
die späteren Erwerbungen ankristallisierten, bildet
ursprünglich die Obergrafschast Katzenelnbogen, der
nordwestliche Teil der heutigen Provinz Stark.'n-
burg.
Eine genauere Kenntnis dieser und der späteren
Gebietsveränderungen war seither nur dem möglich,
der sich in die ältere, zum. Teil veraltete Literatur
vertiefte. Freudig müssen daher die Arbeiten be-
grüßt werden, die Prof. H a t t e m e r (Darmstadt)
veröffentlicht eine kurze Übersicht über die Ge-
schichte Hessens (in Verbindung mit Professor
Rösiger) und eine auf breiterer Grundlage auf-
gebaute Darstellung der Territorialentwick-
lung Hessens. Der erste Teil des zuletzt ge-
nannten Werkes, die Territorialgeschichte Hessens
bis zum Tode Philipps des Großmütigen, ist bereits
erschienen, weitere Hefte (Hessen in vorrömischer,
römischer und frühmittelalterlicher Zeit und Ent-
wicklungsgeschichte Hessens vom Tode Philipps des
Großmütigen bis zur Gegenwart) werden folgen.
Unterstützt uud erläutert werden diese Aus-
führungen durch ein Kartenwerk desselben Ver-
fassers, das auch in Buchform erschienen ist unter
dem Titel: Karten zur Entwicklungsge-
schichte Hessens. Die erste Karte gibt ein
Bild von der Landgrasschast Hessen in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, und eine Nebenkarte
zeigt Hessen vor Erwerbung von Ziegenhain und
Nidda (1450). Wir sehen, inmitten des deutschen
Reiches, wie im Zeitalter der Reformation hessisches
Gebiet bereits von den Ufern der Weser bis in
die Wetterau, in den Odenwald und an den Rhein
reicht, allerdings geteilt in das Hauptland nördlich
des Mains und verschiedene kleinere Landesteile, die
wieder von fremden Staaten umklammert sind.
Unter diesen fällt besonders die gewaltige Aus-
dehnung des Kurfürstentums Mainz und der Abtei
Fulda auf, die 1815 in den Besitz von Hessen-
Kassel kam.
Auf der nächsten Karte: Landgrafschaft Heffen-
Darmstadt vom Tode Philipps des Großmütigen
bis zur französischen Revolution sehen wir neben
dem ursprünglichen Besitz Georgs I. vor allem den
großen Zuwachs, den Heffen-Darmstadt dadurch er-
hielt, daß es sich mit Hessen-Kassel in die Erbschaft
der 1604 ausgestorbenen Linie Hessen-Marburg
teilte: es erhielt ein Gebiet, viel größer als die
Obergrafschaft, im Vogelsberg und in der Wetterau,
sowie das sogenannte Hinterland (1866 an Preußen
abgetreten). Hessen-Darmstadt faßt also Fuß
nördlich vom Main und legt den Grund zur Ent-
wicklung der heutigen Provinz Oberheffen. Dieser
Marburger Erbfolgestreit, auch bekannt unter dem
Namen Hessenkrieg, spielte in Verbindung mit Kon-
fessionsstreitigkeiten während des dreißigjährigen
Krieges (in Kassel war man reformiert, in Darm-
stadt lutherisch; Kassel war verbündet mit den
lutherischen Schweden und den Franzosen, Darm-
stadt mit den Habsburgern) und fand erst mit dem
Westfälischen Frieden seinen Abschluß. Erwähnt
sei hier, daß die Grafschaft Isenburg, die sich eben-
falls den Schweden angeschloffen hatte, also auch
Offenbach (1685 600 Einwohner) 1635—42 in
hessen-darmstädtischem Besitz gewesen ist, ein Gegen-
stück zu 1816, der endgültigen Erwerbung durch
Hessen.
Sehr dankenswert ist auch die Wiedergabe der
1736 ererbten Grafschaft Hanau-Lichtenberg,
die heute zum Elsaß, zur bayrischen Pfalz und zu
Baden gehört. Ludwig VIII. war mit der einzigen
Tochter des letzten Grafen von Hanau-Lichtenberg
vermählt, und sein Sohn, der spätere Landgraf
Ludwig IX., trommelte und exerzierte in Pirma-
sens, während seine Gemahlin, die große Landgräfin,
in Darmstadt im Reiche der Kunst und Poesie
herrschte und mit Friedrich dem Großen korrespon-
dierte.
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Die dritte Karte endlich zeigt die beiden Hessen
in ihrer größten Ausdehnung zur Zeit des Wiener
Kongresses. Kurhefsen reichte damals vom Main
bis zum Steinhuder Meer und nach Thüringen
hinein, das Großherzogtum vom Neckar bis zur
Ruhr und Lippe! Man sieht die großen Erwer-
bungen des jungen Großherzogtums beim Reichs-
deputationshauptschluß (1803), beim Rheinbund
(1806) und Wiener Kongreß (1815). Die geist-
lichen nnd kleinen weltlichen Staaten waren ver-
schwunden, und so erhielt Hessen den hinteren
Odenwald, den Süden und Nordosten der Provinz
Starkenburg, die recht ansehnlichen Besitzungen der
Erbacher, Jsenburger, der Stolberg, Riedesel, Görtz,
Solms, und wenn auch nur vorübergehend, das
kurkölnische Herzogtum Westfalen (1803—15), die
Grafschaft Wittgenstein (1806—15), die Mainzi-
schen Ämter Alzenau, Heubach, Amorbach, Milten-
berg (bis 1816).
Diese kurzen Proben mögen zeigen, daß die
Karten eine Fülle von Belehrung und Anregung
geben. Sie sind vereinigt in einem eleganten Heft,
das nur 2 Mark kostet (bei größerem Bezug
direkt bei dem Herausgeber Preisermäßigung).
Hinzu kommt noch eine Wandkarte im Maßstab
1 250000, die die drei Karten in großem Format
auf einem Blatt nebeneinander bietet. Die Karten
sind sehr klar und übersichtlich und mit großer
Sorgfalt hergestellt und füllen eine wirklich schmerz-
lich empfundene Lücke in unserer historischen Li-
teratur, wofür Hattemer den Dank und die An-
erkennung weiter Kreise verdient, und es ist er-
wähnenswert daß Professor Hattemer für sein
immerhin auch patriotisches Unternehmen keinen
Verleger fand und die Wandkarte unter erheblichen
Opfern im Selbstverlag erscheinen lassen mußte.
Während diese vielleicht nur für Schulen in Frage
kommt, wendet sich die kleinere, wohlfeile Ausgabe
(1 600 000) an jeden, der Interesse für die Ver-
gangenheit seiner Heimat hat. pr. F. Schrob.
Ihr Burgen im Lande zu Hessen!
Von Dr Georg Fink.
„Wohl sah ich die Schlösser an Saale und Rhein,
Gewaltig im Wetter und Sonnenschein.
Doch auch hab ich nimmer vergessen,
Euch seifige Hügel, euch Höhen im Wald,
Euch alte Gemüuer, so moosig und alt,
Ihr Burgen im Lande zu Hessen!"
Ja, ich habe sie gesehen, die Schlösser an Saale
und Rhein! Auf der Rudelsburg hab ich dem
jungen Bismarck schäumenden Trunk gebracht. Von
den Mauern des Giebichenstein tönte mein Lied
über die Saale. Und dann wieder saß ich auf
dem Drachenfels, wo senkrecht die Steinwand hin-
unter fällt in die Tiefe, und empfand jenes köst-
liche Herrschergefühl, mit dem der Bonner Student
seinen Rhein und seine Sieben Berge umspannt.
Aber muß darum der Hesse die Burgen seiner
Heimat weniger lieb haben? Wo der Knabe an
seiner Eltern Hand staunende Ehrfurcht empfand;
wo des jungen Lebens Blütenträume vergangne
Tage mit Gestalten der Jetztzeit belebten — nein,
euch hab ich nimmer vergessen! Schlösser, deren
jedes andere Erinnerungen weckt; Ruinen und
Burgen, die alle ihre eigenen Stimmungskreise
auftun, die alle ihre Geschichten erzählen, die lieben
alten Geschichten väterlicher Freunde, denen man
stets von neuem wieder gerne lauscht. Von stolzem
Herrentum und stattlichem Hof weiß die eine. Im
Waldesdunkel versteckt flüstert die andere von
Männern, die sich abschlössen vor denen draußen
und ihre Gründe liebten; von minnigen Edelsrauen,
die unter den Fensterbögen die Dämmerung ver-
träumten. Und wieder andere schauen auf die
Heerstraße herab und rühmen von geprellten Pfeffer-
säcken, von Schwerterklirren und Becherklang.
Der Odenwald tut seine Berge auf, gekrönt
von Ruinen, umflochten von Buchenlaub. Von
der Höhenkette der Bergstraße blicken Burgen hinab
in die Rheinebene. Jenseits winkt man vom Boot
nach den Vesten der rheinhessischen Hügel. Und
im Lande der Chatten grüßen sich die Rittersitze
von der Wetterau zum nachbarlichen Hinterland.
Dort blickt sie über die Lande, Amöneburg,
die Liebliche, die stolze Schöne. Sanft wogt das
Wellenland der Hügel, wo aber einmal, wie
jauchzend, sich eine Kuppe höher reckt, da hat ihr
Menschenhand die Krone aufgesetzt. Schutz heischend
lehnt sich an die Burg das Städtchen, mit ein-
geschlossen in seinen Mauerkranz. Weithin be-
herrschte sie die Runde, die das Mainzer Rad
durchs ganze Mittelalter seine jungfräuliche Veste
rühmen konnte.
Die Ohm durcheilt den hessischen Gau, nimmt
das feine Bild der Amöneburg in sich auf, die so
huldvoll herüberblickt, wie einst die Burgfrau, wenn
sie ihren lieben Junker grüßte. Und die Ohm
eilt der Lahn entgegen, die noch von Marburg
träumt und lächelt des lieblichen Anblicks der
schönen Stadt und schwärmt vom würdigen Land-
grafenschloß, von der Elisabethenkirche, darin der
Leib der Heiligen ruht, und von der alma mater,
die ihre Stadt so fröhlich macht. Bald wieder
spiegelt ihre Flut ein Schloß, wo B i e d e n k o p f,
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das traute Hefsenstädtchen, sich zu ihren Seiten
ins Tal schmiegt, und seine Häuslein, eins über
dem andern, die Bergwand erklettern. Manch
steilen Treppenstieg kostet es, willst du oben die
wetterfeste Burg besuchen und sehn, was dort all
zusammen getragen ist an Schätzen hessischer Volks-
kultur. Von unten herauf blinkt das Stromband
der Lahn.
Wasser und Ruinen — zwei Zauber sind's,
die neuen Zauber schaffen! So hat an Hessens
südlicher Mark der Neckar seine Berge mit Schlössern
geschmückt. Ihrer vier sind allein zu Neckar-
st e i n a ch an den steilen Fels geklebt. Dort sang
Bligger, der Minnesänger aus dem Steinacher
Geschlecht. Und seine Harfe wurde des Geschlechtes
Wappen. Dort machten die Landschaden die Gegend
unsicher. Und desselben Hauses Söhne schauten
von dem lustigen „Schwalbennest" in des Flusses
grüne Wellen. So keck und frisch wie das Völkchen
schauen die Steinacher Burgen aus den Augen.
So freundlich und traut wie der Neckar ist Hirsch-
horn. das seine Fluten spiegeln. Zu Häupten
die Burg, ein stattlicher Turm, vom Helm gekrönt;
ein festes Haus unter schützendem Dach — sie
erzählt von alten Tagen, wie die Wehrmauer des
Orts, die Kirche, das Kloster und die kleinen
Häuser auf der Mauer, die aussehen, als guckten
die Leute, auf die Ellenbogen gelehnt, in die Welt.
Etwas Schützendes, Väterliches ist jenen Burgen
eigen, zu deren Füßen Menschen wohnen, oder
die mit ihren Mauern einen Ort umschließen.
Ihrer wenige zählt der Odenwald unter seinen
zahlreichen Burgen, doch eine wieder ihrer Art die
einzige, die seine Perle heißt wer kennte nicht
Lindenfels? „Es steht ein Baum im Odenwald,
der hat viele grüne Äst'" — im Odenwald stehn
viele Bäume, aber dieser Baum — man sagt so —
steht in Lindenfels auf der Burg. Dort, wo der
Odenwälder Bursch so manchesmal mit seinem
Schatz gewest, dort blickt sich's wohl ins Land.
Aber das Land schaut ja so fröhlich drein, weil
ihm Lindenfels gehört! Wem einmal darüber die
Sonne gelacht, der bewahrt das Bild im Herzen.
Auf dem feinen Bergkegel dehnt sich behaglich die
kleine Stadt. Und die obersten Häuser schmiegen
sich an den Hals der pikanten Ruine. Turmlos,
erhält sie von dem einen freistehenden Giebel ihre
Eigenart. Und schon was besseres darf sie sich
dünken: In Stauffer- und in Welfenhänden war
sie in grauer Zeit. Haus Wittelsbach zählte sie
dann zu seinen festen Burgen. Eberhard von
Württemberg, der zweite seines Namens, ist dort
Todes verblichen. Hier schmachtete in langer Haft
die Stammutter des Hauses Löwenstein. Und die
Blüte der Odenwälder Ritterschaft diente aus Schloß
Lindenfels dem Pfälzer Kurhut. — Wir laffen
Lindenfels im hellen Sommerschein. Jhv fehlt
es an Bewunderern nie. Im Sommer bleiben
sie wochenlang und freuen sich täglich der Perle
des Odenwaldes, ihrer Schönheit, ihrer Feine.
Eh die Sonne sich zur Ruhe schickt, steht vor
uns ein Bild von Eugen Bracht: Stahlblaue,
finstere Wolken hat ein Gewitter hoch am Himmel
aufgebraut. In gleißnerischem Sonnenstrahl blendet
uns, grell abgehoben von der düstren Wand. eine
schlichte Burg; über trutziger Mauer ein einfacher
Wohnbau, ein kurzer, dicker Turm. Weil er so
dick und rund und hell ist, nennt ihn das Oden-
wälder Volk „die Weißerübe", den Bergfried auf
dem Otzberg. Auch hier tritt ein Dorf nah an
die Burg heran. Und doch war's den Bewohnern
von Hering nie nah genug, wenn fie, das Joch
auf dem Nacken, von droben 'die gefüllten Eimer
trugen. Mühsam, aus abgrundtiefen Brunnen,
mußten sie auf der Burg am Tretrad ihr Waffer
aus dem Inneren der Erde quälen. Hast du je
als Kind in solchen finstern Schlund hinabgeschaut,
und er ist dir niemals im Traum erschienen?
Magisch zieht der gähnende Brunnen den Schläfer
— man stürzt hinein, und fällt, und fällt, bis
man erwacht. Noch so friedsam und traut kann
ein Ort sein — oft hält sich die Kindesphantasie
an Nebenumstände und verleiht ihm düstre Töne.
Gehen die Jahre solcher Empfindungen vorüber,
und die Dinge schauen sich mit anderen Augen
an — etwas von jenen ersten Eindrücken bleibt
gewiß haften. Die ersten Färbungen, die das
Gemüt den Stätten mitgeteilt, sie begründen Vor-
liebe und Vorurteil, sie verknüpfen und lösen.
Mit dem Otzberg steht vor mir der Breuberg
— weil ich sie einst beim gleichen Ausflug besucht.
Sie gehören für mich zusammen, so verschieden man
sie auch finden mag. Erhabener liegt der Breuberg
auf waldiger Höhe. Den Fuß des Berges netzen
die Wellen der Mümling. Von der Eingangs-
pforte herab begrüßt den Besucher der „Breilacker",
mit dem das Volk den Namen des „Breiberg" in
Zusammenhang bringt. Die alte Geschichte: Der
Belagerte spottet des Feindes, der ihn ausgehungert
wähnt, indem er ein reichliches Mahl vor seinen
Augen verzehrt. So sollen die Herren Ritter vom
Breuberg einen mächtigen Topf Brei ausgelöffelt
und den heißen Rest den Belagerern über die Köpfe
gegossen haben. Höhnisch streckt die Figur des Tor-
bildes die Zunge heraus. Widerstandsfähig mag
die Burg in der Tat gewesen sein. Das erzählen
ihre stattlichen Reste, die jetzt Gemeinbefitz der
Häuser Löwenstein und Erbach find. Fast der ganze
Odenwald hat einst den Erbachern gehört. Am
Stammort steht das Schloß mit der berühmten
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Waffensammlung im Rittersaal. Fürstenberg,
Michelstadt und König sind durch die Herrensitze
des Grafenhauses verschönt. Bis an die Bergstraße
reichen die Domänen, wo in Schönberg das alte
Schloß der gefürsteten Linie mit dem neuen Kirchlein
wetteifert, das niedliche Gebirgsdorf zu zieren. Von
einem Höhenweg des Auerbacher Fitrstenlagers
warfen wir dorthin noch einen Blick zurück. Dann
ist unser Ziel das Auerbacher Schloß, dessen Türme
drüben auf der Höhe aus dem Wald lugen.
Das Auerbacher Schloß! — welch hessische
Burg ragt lebendiger hinein in die Tage des heutigen
Geschlechts, als diese? Selbst in Winterzeiten sehen
ihre Mauern ab und zu Besuch. Aber wenn erst
die Ostersonne das junge Grün der Berge lächeln
macht, dann kommen sie in Scharen von nah und
fern, von Darmstadt und Frankfurt, aus Oden-
wald und Ried, steigen auf ihre Mauern und
blicken hinab vom Turm. Drunten lehnen sich
die schmucken Örtchen an der Berge Fuß, in matt-
grünen Feldern, zwischen blühenden Bäumen. Weiter-
hin dehnt sich die Ebene mit Wäldern und Dörfern
bis zum fern gleißenden Rheinstrom. Bläulich
schimmern drüben Rheinheffens Hügel. Und rück-
wärts in greifbarer Nähe schmiegt sich Berg an
Berg. Rechts der Melibokus mit seinen adeligen
Konturen, seinen wechselvollen Licht- und Schatten-
tönen. Zur Linken, etwas ferner, Ruine Starken-
burg. Man schaut sie von des Schlaffes Höhe und
dünkt sich ihresgleichen.
Drunten die Mauern erfüllt Leben und Lust.
In buntem Durcheinander sitzt das fröhliche Volk
in Hof und Halle, und ein schmuckes Wirtshaus
sendet gefüllte Gläser und Tassen. Über Wirt-
schaftsbetrieb in Burgruinen kann man verschiedener
Ansicht sein. Man störe nur nicht die Romantik
abgelegener Winkel! Aber auf dem Auerbacher
Schloß will ich Leben sehn! Dort müssen kleine
Mädchen Kuchen naschen und lüsterne Teckel die
Tische umschnuppern. Dort müffen wilde Jungen
zur Verzweiflung behütender Mütter die Mauern
ersteigen. Die landhungrigen Städter, die ange-
rosteten Philister — hier gehören sie her.
,AuS niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
AuS Handwerk«-' und Gewerbesbanden.
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern.
AuS der Straßen quetschender Enge.
AuS der Kirchen ehrwürdiger Nacht *
Und das freundliche Wirtshaus mutet nicht an
wie ein frecher Eindringling, sondern wie ein gütiger
Zeitgenosse, der den alten Mauern seine Freund-
schaft anträgt. Wen seine Gäste stören, der komme
an einsamem Wintertag. suche in der Ebene Kloster
Lorsch hinterm Wald und denke der Zeiten, da
auf dem Auerberg die Ritter saßen, die den reichen
Mönchen ihre Lande schirmten,
folgt.)
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
lFortsetzung.)
Landgraf Wilhelm IX., der 1785 zur Regierung
kam, nahm auf dem Gebiete des Zollwesens keine
Änderung vor. Es blieb auch in Kassel in dieser
Beziehung alles wie bisher, nur daß im Jahre
1803 aus der landgräflichen eine kurfürstliche Zoll-
stube wurde, zunächst freilich für wenig länger als
3 Jähre. Tenn am 1 November 1806 besetzten be-
kanntlich die Franzosen Kassel. Bis zum 6. Dezember
1807 stand Kurhessen unter einem französischen
Generalgouverneur, der aber die kurhessischen Be-
hörden in ihrem bisherigen Bestände bestehen und
in ihrer Tätigkeit nach hessischen Gesetzen ungestört
ließ. Auch als am 7. Dezember 1807 König
Jérôme auf Wilhelmshöhe eingetroffen und damit
das durch den Tilsiter Frieden neugeschaffene König-
reich Westfalen ins Leben getreten war, änderte
sich in dieser Beziehung zunächst wenig. Die Zölle
und indirekten Abgaben wurden vorläufig noch
nach alter Weise verwaltet. Man war zwar be-
strebt. die Erhebung der Zölle an die Grenzen
des Königreichs zu verlegen, allein wie mit so
vielem anderen, was man in Westfalen plante, ist
man auch damit nicht fertig geworden. Im Jahre
1809 wurde ein neuer Zolltarif veröffentlicht, dessen
Sätze aber an den alten Zollstellen im Inneren
zur Erhebung kamen. Das Verbot der Einfuhr
englischer Waren, das der Kaiser Napoleon am
21. November 1806 erlassen hatte, die sog. Kon-
tinentalsperre, war natürlich auf die Tätigkeit der
Zollbehörden von großem Einfluß. Nicht nur. daß
ein wesentlicher Teil der Einfuhr wegfiel, vor allem
wurde den Zollbeamten zugemutet, auf heimlich ein-
geführte englische Waren zu fahnden, eine Tätigkeit,
die die Beamten bald sehr verhaßt machte. Wurde
verbotene englische Ware aufgefunden, so wurde sie
öffentlich verbrannt. In Marburg geschah dies
mehrere Male. Daß es auch hier in Kassel geschehen
sei, habe ich nicht feststellen können. Die Einrichtung
der Zollstellen wurde gänzlich dem französischen
Muster angepaßt. In jedem Departement wurde
eine Direktion der indirekten Steuern eingesetzt,
die aus einem Direktor, einem Inspektor, einem
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oder ncehreren Distriktskontrolleuren, einem oder
mehreren Stadtkontrolleuren und einem Rech-
nungsbureau bestand. In Kassel finden wir 1813
den Direktor Du Vignau, den Inspektor Villaret,
den Distriktskontrolleur Jungblut und die Stadt-
kontrolleure Jacobine und Riesch. Daneben wirkten
eine Anzahl Absertigungsbeamten mit dem fran-
zöschen Titel eommig aux exercices. Beim Rech-
nungsbureau standen der Bureauches Kersting und
die Verifikateure Grisse und Hoffmann und eine
Anzahl Employes. Zum ersten Male finden wir
auch eineDirektivbehörde für dieLeitung der gesamten
Verwaltung der Zölle und indirekte Steuern, die
den Titel Generaldirektion führte. Generaldirektor
war seit dem 27 März 1811 der Staatsrat von
Schmidt-Phiseldeck, bekannt aus seinem späteren
Streit mit dem Diamantenherzog Karl von Braun-
schweig, vor dessen Haß er nach England flüchten
mußte. Unter ihm standen 4 Generalinspektoren,
ein Staatsratsauditeur, zwei Bureauchefs und ein
Chef des Rechnungswesens mit einer Anzahl Bureau-
beamten.
In Kurhessen hatte man bis 1806 eine solche
Direktivbehörde nicht besessen. Soviel aber hatte
man von der Zeit des Königreichs Westfalen doch
gelernt, daß man bei der Wiedereinrichtung der
kurhessischen Verwaltung nach der Rückkehr des
Kurfürsten Wilhelm I. im Jahre 1814 den Nutzen
einer solchen Behörde einsah. Man kam aller-
dings noch nicht dazu, sich ganz von den alten
Verhältnissen loszureißen, und so kam denn eine
Behörde zustande, die nichts Ganzes und nichts
Halbes war. Bei der Oberrentkammer wurde nämlich
eine besondere Abteilung für die Akzis-, Lizent-,
Zoll- und Stempelverwaltung gebildet, die aber
nur aus einem Spezialdirektor, einem Hauptstempel-
verwalter und einem Landzollverwalter bestand.
Und diese drei fungierten sogar nur im Nebenamt.
Spezialzolldirektor war nämlich der Oberforst-
direktor und die beiden anderen Stellen wurden
von Oberrentkammergegenschreibern versehen. Unter
dieser Spezialdirektion standen 4 Lizentkommissare
in Kassel, Fulda, Marburg und Hersfeld. Diese
Einrichtung mußte ganz unzureichend sein gegen-
über dem Anwachsen des Geschästsumfangs der
Zollbehörden, das wir schon aus der größeren Be-
setzung des Kasseler Zollamts erkennen. Dieses
bestand jetzt aus einem Akzis- und einem Lizent-
schreiber, einem Akzis- und einem Lizentkontrolleur,
einem Kassenassistenten, einem Zollverwalter, zwei
Wageinspektoren, einem Kontrolleur, einem Pack-
hofsbuchhalter, vier Zollbereitern, drei Lizentauf-
sichtern und drei Wageknechten. Die Erhebung des
Zolles geschah noch immer nach den Sätzen der
Verordnung vom 27. Februar 1784, zu der aller-
dings am 8. Februar 1814 ein neuer Tarif ein-
geführt war. Die Erhebung geschah immer noch
bei zahlreichen Zollstellen im Inneren des Landes,
bis zum System der alleinigen Grenzzölle war
man noch nicht fortgeschritten. Man halte zwar
Grenzzölle eingeführt, aber die alten Zollstellen im
Inneren beibehalten, so daß die eingehenden Waren
nicht nur an der Grenze, sondern auch noch mehrere
Male im Inneren verzollt werden mußten, ehe
sie ihren Bestimmungsort erreichten.
Wirkte dieser Umstand schon erschwerend auf
den Verkehr, so traten bald noch andere Verhält-
nisse ein, die von sehr bedenklicher Wirkung aus
den Wohlstand Kurhessens sein sollten. Während
der Dauer der Kontinentalsperre war es den eng-
lischen Fabriken unmöglich gewesen, ihre Erzeug-
nisse nach Deutschland abzusetzen. Ungeheure Vor-
räte an Waren hatten sich nach und nach an-
gesammelt. Sobald nun Napoleons Herrschaft zu-
sammengebrochen war, war es das erklärliche Be-
streben der Engländer, diese Warenmengen so schnell
als möglich los zu werden. Sie überschwemmten
nun mit ihren Fabrikaten Deutschland und ver-
kauften zu so außerordentlich billigen Preisen, daß
ein Wettbewerb der deutschen Industrie gänzlich aus-
geschlossen war. Die billigen englischen Baumwoll-
waren hinderten den Absatz des hessischen Leinens,
das von jeher einen Weltruf gehabt hatte, die
englischen Eisenwaren schädigten das Kleineisen-
gewerbe Schmalkaldens, und ähnlich war es auf
allen anderen Gebieten des Gewerbfleißes. Zu
diesem Rückgang des Verdienstes kamen die schweren
Folgen der Mißernten der Jahre 1816 und 1817,
die eine förmliche Hungersnot in vielen Teilen
Kurhessens nach sich zogen. Ähnlich wie in Kur-
hessen sah es freilich in ganz Deutschland, namentlich
in Norddeutschland aus. Aber während das kleine
Kurhessen kein Mittel sah, sich helfen zu können,
griff mdn in Preußen die Sache mit großer Tat-
kraft an. Durch das Gesetz vom 26. Mai 1818
wurden sämtlicheBinnenzölle im preußischen Staats-
gebiete aufgehoben und die Erhebung der Zölle
an die Grenzen verlegt. Damit wurde nun aber
die Not der kleinen Nachbarstaaten Preußens noch
größer, denen nun die Möglichkeit, ihre Waren
nach Preußen abzusetzen, genommen wurde. Denn
wenn auch die neuen preußischen Zollsätze nicht
gerade hoch waren, so übertrafen sie doch die früheren,
ihrer mehrfachen Erhebung wegen sehr niedrigen
Binnenzölle, und vor allem brachte es die für viele
Gegenstände und Waren neu eingeführte Erhebungs-
art nach dem Gewichte mit sich, daß gerade die
Maffengüter von geringerem Werte, wie sie Kur-
heffen nach Preußen ausführen konnte (Getreide,
Salz, Holz, Erz u. dergl.), besonders schwer getroffen
«ML. 137 smn>
wurden. Durch die gleichzeitig eingeführten preußi-
schen Durchgangszölle wurde zudem der Bezug vieler
Waren für Kurhefsen sehr verteuert, da es kaum
eine Ware beziehen konnte, ohne daß sie auf ihrem
Wege preußisches Gebiet durchquerte. Die Aus-
saugung. Hessens während der westfälischen Zeit,
in der-weniger das Wirken der westfälischen Ne-
gierung selbst, als die ungemessenen Forderungen
Napoleons 1. an Geld und Menschen das an sich
nicht wohlhabende Kurhessen zur Nerarmung ge-
bracht hatten, wirkte natürlich in den nächsten
Jahren nach der Wiedererrichtung des Kurfürsten-
tums auch noch gewaltig nach. Alles daS zu-
sammen brachte einen schweren Notstand in Kur-
Hessen hervor. Die Regierung versuchte zu helfen,
aber sie faßte die Sache am verkehrten Ende an.
Die Zölle an der Grenze wie im Inneren wurden
erhöht und dadurch nun erst recht das Land vom
Verkehr mit den Nachbarstaaten völlig abgeschnitten
und der schon gegen Preußen unmöglich gewordene
Absatz kurhessischer Erzeugnisse nun auch nach den
anderen umliegenden Staaten vernichtet. Das böse
Preußen, das an allem allein schuld sein sollte,
während dies doch nur zum kleineren Teile zutraf,
wollte man schädigen durch die Erhebung eines
Retorsionszolls, der auf Baumwollwaren, Brannt-
wein, Filzhüte, Leder und Lederwaren, seidene und
halbseidene Zeuge, Eisen- und Stahlwaren gelegt
wurde und der z. B. bei Eisen- und Stahlwaren
die enorme Höhe von 50 °/o des Wertes erreichte.
Natürlich war auch diese Maßregel verfehlt.
(Schluß folgt.)
Alle Denk- und Grenzsteine im Kreise Hünseld und Umgegend.
Von P. Jllgner.
(Fortsetzung.)
Über die Feldlage „das Steinkreuz" in Langen-
schwarz wird berichtet * *); „Nach Aussage und Er-
zählungen unserer Vorfahren hat unweit Langen-
schwarz früher eine Stadt gelegen, die den Namen
Halle geführt haben soll. Französische und rus-
sische Offiziere haben sie im Kriege 1806—13
noch auf der Landkarte gehabt. Sie muß einen
großen Umfang gehabt haben. Der Kirchengraben,
wo die Kirche gestanden haben soll, liegt an der
hessisch-darmstädtischen Grenze unweit Unterschwarz,
auf der Gräflich Görtzschen und der Freiherrlich
von Steinschen Waldung die Grenze bildend, am
darmhessischen ,Kirmeseberg'. An der Gemarkung
Wehrda liegt an einem engen Wiesental, das ,die
Totengasse' heißt, ein Stück Staats- und Privat-
wald und Feld ,das Steinkreuz' genannt. Hier
soll der Totenhof der Stadt gewesen sein. Bis
vor etwa sechzig Jahren stand hier ein steinernes
Kreuz. Alte Leute haben erzählt, nach Zerstörung
der Stadt hätten die übriggebliebenen Einwohner
im Steckengraben in Hütten gewohnt. Davon
wird wohl das Dorf Langenschwarz, wo sich wahr-
scheinlich nur ein Herrschaftssitz befunden hatte,
entstanden sein. Langenschwarz soll einmal 1300
Seelen gezählt haben und es waren besonders viele
Handwerker da, noch vor 60 bis 70 Jahren allein
300 Weber."
'1 Von Joh. Georg Hornung. Standesbeamten in
Langenschwarz. — Landau. Wüstungen und Pa bst,
Untergegangene Ortschaften bei Hünseld, in »Fuldaer
Geschichtsbl." 1906. S. 45, erwähnen hier keinen unter-
gegangenen Ort, aber ihre Verzeichnisse ließen sich auch
sonst für den Kreis Hünseld vervollständigen. — Wegen
deS Namens »Halle' vgl. weiter hinten.
Nicht ganz im Sinne des Erschlagenen dürfte
errichtet worden sein das in der Gemarkung Großen-
bach am Landwege nach Kirchhasel stehende Kreuz
„aufm toten Juden".
Am Wege vom Bahnhof zum Dorfe Eiterfeld
steht ein verstümmeltes Kreuz, „der Kreppelstein"
Zwei Brüder gerieten wegen eines Kreppels
(Kuchens) in Streit und einer erschltig den andern
mit der Sense.
In Leibolz steht nahe der Grenze mit Großen-
taft das „Paderkreuz" Ein Priester soll hier bei
Ausübung seines Amtes erschlagen worden sein.
1766 verbot der Bischof zu Fulda die Flurritte,
an denen der Pfarrer zu Pferde teilnahm, wegen
der damit verbundenen „Mißbräuche und aber-
gläubischen Vorstellungen"a) Bedenkt man, daß
Athanasius Kircher bei einem Flurritt-Wettrennen
fast getötet wurdet, berücksichtigt man, was das
Paderkreuz erzählt, so wird das Flurritts-Verbot
verständlich.
Ein Kreuz am Dorfe Arzell bezeichnet die Ruhe-
stätte eines französischen Offiziers. Bei der „großen
Retirade" haben viele Franzosen in Hessen den
Tod gefunden?) Die Flurnamen „das Soldaten-
grab" in Soislieden (bis zur Verkoppelung eine
') Richter, Über die Abschaffung des Flurritts, in
Fuld. Geschichtsbl. 1906 S. 96.
*) Pabst, Die Flurwallfahrten im Fuldischen, in Fuld.
Geschichtsbl. 1906 S. 91. — Auch in Schlesien führte der
Pfarrer zu Pferde den Flurritt, dem sich Pferderennen
anschlössen, auch hier wurde er 1653 verboten: Gregor,
Die oberfchles. Osteraebräuche, in »Oberschles. Heimat" 3.
S. 77.
*) Dgl. Rüppel, Der Franzosenmord auf der Kerspen-
häufer Kuppe, in »Mein Heimatland" 1910 S. 60.
tmb 138 VE,
Kaute voll Gestrüpp), „Franzosenbürnchen" bei
Mackenzell, „auf dem Kirchhof" bei Sargenzell
werden damit erklärt.
Die bisher erwähnten Mordkreuze haben keinerlei
Zeichnung. In Gemarkung Glaam aber steht ein
Kreuz mit eingemeißelter Hirtenschippe. Zwei
Schäfer sollen in Streit geraten und der eine vom
andern mit der Hirtenschippe erschlagen worden
sein. Das Kreuz steht im Walde Stöckigt auf
der Grenze zwischen dem Landecker Stöckigt und
dem Kreuzberger (jetzt Philippsthaler) Stöckigt,
da konnte ein Streit um die Abgrenzung der Hute-
rechte der beiden Herrschaften leicht entstehen.
Wie in Glaam, so find die Mordwerkzeuge auch
dargestellt B) auf einem Kreuze am „Höhenwege"
in Gemarkung Dipperz. Kreis Fulda: ein langes
und ein kurzes Schwert, dabei die Zahl 1614.
Erwähnt sei noch „das rote Kreuz" im Walde
von Michelsrombach. Heute steht dort ein Kreuz
(das aber nicht rot ist) mit dem Gekreuzigten.
Aber der Name deutet auf eine Dingstatt, Gerichts-
stätte. Dazu paßt die Lage an der Grenze des
ursprünglichen Gebietes des Klosters Fulda, am
„MarkbacherBrand" und am ..Dreiborn"; Wald-
stücke von vier Gemeinden liegen dort durchein-
ander?)
III. Grenzsteine.
Die Mordkreuze von Leibolz und Glaam haben
uiss gezeigt, wie in der alten Zeit Grenzstreitig-
keiten auf Leben und Tod ausgefochten wurden.
Dazu passen die unerhört harten Strafen für Ver-
letzung von Grenzzeichen i einer cler ein rnark-
8tein wissentlich ausgrebt, denselben soll mann
in die erden graben piss an den halss, ond
sal dan vier pferde, die des ackers nit gewont
seyn, an einen pflüg spannen, der do neu sey,
. ond im als lang nach dem halss ern (ackern),
bis er yn den hals ap geern hat.7)
Solcher Marksteine sind manche erwähnt oder
noch vorhanden.
Innerhalb der Stadt Hünfeld schied der „Stefans-
stein" die „Freiheit" des Kreuzstifts von der übrigen
Stadt. Die Bewohner der „Freiheit" brauchten
städtischen Bannwein ®) nicht zu nehmen, gepfändet
werden wegen Schulden durften fie nur außerhalb
®) Darstellung der Mordwerkzeuge ist auch auf den
Kreuzen andrer Gegenden häufig. „Oberschles. Heimat"
Bd. 6 S. 21.
") List Völkerstämme 81.61.93: „Rothenkreuz" bei
Jglau. ehemalige Dingstatt, von „ruoth" = Recht.
') Weistum von Hrrrenbreitungen 1506 in Grimm,
WriStümer. Bd. 3. S. 581.
') Über Bannschank in Hünfeld s. Pa bst in „Fuld.
GeschichtSbl." 1906 S. 189.
der „Freiheit"?) Darin liegt nicht» Ungewöhn-
liches. Auch das Weistum von 1483 für Neu-
kirchen, Kreis Hünfeld. gestattete zu pfänden uf der
gassen und nicht uf sinos junghem gode.10)
Die Bewohner der Schloßfreiheit in Braunfels
an der Lahn genießen noch heute einige Freiheiten,
und Gerichtsbarkeits-Grenze bezeichnete «uch der
Stein auf der Langenbrücke zu Fulda.")
Wo der Stefansstein gestanden hat, läßt fich
einigermaßen bestimmen. Nach dem Schiedssprüche
von 1424 muß er nahe dem „Kaufhause" gestanden
haben; 1502 gestattete Abt Johann, an Stelle de»
inzwischen verschwundenen Kaufhause» ein Rathaus
zu bauen"), und dieses stand da, wo jetzt die
Lateinschule sich befindet. Bis dahin also reichte
die „Freiheit" des Kreuzstifts.
Einen von der Naturgewalt gesetzten Stein be-
nutzte man bei Begrenzung der von Trüm bachscheu
Herrschaft Rhina "): „auf der andern Gerte an
Schickau und Reiner Gemeinde, und daun aber
an Haunecker Holz, allwo der große Stein
liegt und die gezeichneten Kreuzbüume stehen."
Der „große Stein" ist ein noch heute in Gemaxkung
Unterstoppel auf dem Stoppelsberge liegender Fels-
block. auch 1773 in der Grenzbeschreibung von
Unterstoppel erwähnt.
Der Flurname „am Niederstein" zeigt, daß
Ober- und Unter » Ufhausen nicht wie jetzt eine,
sondern getrennte Gemarkungen besaßen.") Ein
Stein von etwa 1709 scheidet noch heute die ehe»
*) Schiedsspruch zwischen Stadt und Stift Hünfeld 1424.
in den ungedruckten Schriftstücken de« Kreuzstift- lLande--
bibl. Fulda): Czu dem andern male als von des ban-
weyns wegen setzen und scheyden wir eyntrechtig-
lichen, weliche hofflute und ander in und uff der
fryheit gesessen uszwerther gudter hoffe ader ecker
erbetten forder dan pfründeecker, die des banweyns
nicht entrungken (?), weliches jars und als digk sich
das gebort dem ader dene solde eyn zentgreffe ader
burgermeyster, welchem das zustande, iren weyn in
das Kauffhusz oder hoher den Steffanssteyn schicken,
als vil yne dan guborde, und inen iren Knecht lassen
sagen, das si ynen halten und bezalten; theten sie des
nicht, so mochten sye dieselben darnach gleich andern
uszwendig der freyheit pfenden ane Widerrede eyns
iglichen der zu dem stiefft gehöret. Und sollen säst
nymant keynen baneweyn senden uff die freyheit oder
damit bekomem.
,0) Grimm, WriStümer Bd. 3 S. 378.
") Grau. Da-Steindenkmal auf der Langenbrücke zu
Fulda, in Fuld. GeschichtSbl. 1910 S. 190. — Auch der
Name .Stephan»"-Stein deutet wohl auf Grenze: Stefan-»
kirchen lagen überall außerhalb der Stadtmauer. List.
Völkerstämme. S. 102.
") Fuld. GeschichtSbl. 1905 E. 38.
'*) Lehn-brief von 1824, dessen Grenzbestimmungen au-
älteren LehnSbriefen übernommen find.
") „Nirdernufhausen" im Wei-tum von Fürsteneck 1461.
Grimm, WriStümer Bd. 3. S. 22; auch 1501 findet fich
„obern und nidern Ufhausen".
vm*L> 139 vmt,
Sonntag itn Odenwald. Hlbild von Heinz Heim.
Au» .Hessen-Kunst". Kalender für alte und neu« Kunst 1913. Verlag von Adolf Ebel. Marburg a. L.
140
malige Mark Fürstenecke von der „Rugau" in
Gemarkung Eiterfeld, die jetzt Fürsteneck umfaßt,
ebenso stehen noch Steine zwischen Branders und
Buchenau.
In Kirchhafel finden wir nebeneinander die
Flurnamen „die Markwiesen" und „am Rödel-
stein". Im vorigen Jahre fand man dort viele
kleine Topfscherben. Der „Rödelstein" stand jeden-
falls an der Grenze des untergegangenen Dorfes
„Rötelsdorf" ,5)
Zu beachten sind auch die Flurnamen mit dem
Worte „Mark", das (vgl. „Mark Brandenburg")
ein Grenzgebiet bedeutet, z. B.1<J) „am Markstein"
im Hünfelder Stadtwalde Prasorst: „die Mark-
äcker" in Oberrombach an Rudolphshan; „am
Markstrauch" in Michelsrombach an Oberrombach;
„der Markplatz" (nicht, wie abweichend von der
Aussprache des Volks in der Karte steht. „Markt-
platz")^), ein Triefch in Gemarkung Müsenbach;
„das Markwiesenfeld" in Mackenzell nach Molzbach.
Daß „auf der Mark" in Rasdorf von der
jetzigen Gemarkungsgrenze entfernt liegt, hängt
damit zusammen, daß in dieser großen Gemarkung
mehrere Dörfer mit ihren Ländereien aufgegangen
sind.
Zugleich bringt uns dies auf Erklärung des
sonderbaren Namens „Buttermarkt".
Neben „auf der Mark" liegt nämlich „ein Dorf-
flecken" (wie die Leute sagen, auf den Karten „Tor-
") Landau. Wüstungen S.352; Jllgner, Zur Alter-
tumssammlung in Hünfeld im „Hünfelder Kreisblatt"
1911 Nr. 38.
") Stuhl. Der Ursprung des Namens der Germanen
(Verlag des Bundes der Germanen. Wien) leitet „Mark"
von murinlc = Gemeindering -- Gemeindegebiet; er scheint
allmählich nur das Grenzgebiet der Gemeinde bedeutet zu
haben, das auch naturgemäß am längsten unaufgeteilt,
„gemeine Mark" blieb.
") Anders „der Marktplatz" in Monsbach, im Dorfe
an der Dorflinde.
flecken"). Dort soll ein Dorf gestanden haben, und
hierfür sprach bis zur Verkopplung, daß in der
sonst wegearmen Gemarkung von diesem Punkte
nach vier Seiten Wege ausstrahlten. An Ken
„Dorfflecken" aber stößt „am Buttermarkt" auf
dem Hellenberge neben dem Waldstücke „der Juden-
kirchhof", unweit der Grenze mit Treischfeld; „am,
Buttermarkt" liegt auch in Treischfeld am Hellen-
berge; „die Buttermarktsteile" in Grüsselbach sind
vom Hellenberge geschieden durch die bewaldete
„Au" und das Ackerland „die Auteile". Die
Buttermarktsteile der drei Gemarkungen stehen
offenbar miteinander im Zusammenhange. Es soll
dort nicht recht geheuer sein, die Heiden sollen dort
eine Opferstätte gehabt haben. Fest steht nur, daß
die Treischfelder bis vor etwa 60 Jahren auf einer
Blöße des vom Dorfe ziemlich entfernten, bewal-
deten „Buttermarkts" ihren Kirmestanz abhielten.
„Buttermarkt" bedeutet „Außenmark"; es'steckt
darin das an der Wasserkante noch heute gebräuch-
liche Wort „buten" — außen.") Die „Buten-i
mark" lag jenseits der ursprünglichen Marksleine-
sie war ein ehemals selbständiger, dann unter die
drei genannten Gemeinden und Großentaft, in
dessen Bezirk der Helleberg hauptsächlich liegt, auf-
geteilter Bezirk?")
") Die Flurnamen des Herzogtums Braunschweig Bd. 1;
W i e r i e s Die Namen im Amtsgerichtsbezirk Harzburg.
S. 15: böten nach Schambach. Wörterbuch der nieder-
deutschen Mundart. = draußen. Daher der „Butterberg"
In Salzderhelden heißt ein äußerer Stadtteil „de büter
Gemeinde".
") Darauf deuten auch die Namen Auteile. Butte«
Markts teile. Auffällig ist auch „Au" als Waldbezeich-
nung. während dieser hier häufige Name sonst immer eine
weite Acker- oder Wiesenfläche bezeichnet. Die „Au" dürfte
Ackerland eines untergegangenen Dorfes gewesen fein. .Biel-
leicht hängt mit ihr zusammen der in der Mackenzeller
Güterbeschreibung 1719 erwähnte Personenname „von der
Aue" jetzt in Professor Bonderau in Fulda fortlebend.
(Fortsetzung folgt.)
-------------------------
Nach dem Naturalismus.
Zur Ausstellung Walter Schliephackes im Kasseler Kunstverein.
Von Ernst Zöllner.
Kunst sucht und flieht die Natur. Das natura-
listische und das idealistische Prinzip wurden gleich-
zeitig geboren; sie sind so alt wie die Kunst selbst.
Beide Prinzipien stehen in einem fortwährenden
Kampfe, dergestalt, daß jeweils eins von beiden
vorwaltet und die Oberhand hat, das andere mehr
oder weniger zurücktritt, doch nie ganz verschwindet.
Das lehrt die Geschichte aller Kunst, mögen auch
die Theoretiker zu verschiedenen Zeiten das eine
oder das andere ausschließlich als das allein Wahre
und Seligmachende proklamiert haben.
Die Malerei erlebte gegen den Schluß des 19.
Jahrhunderts, gegen das Ende ihrer Verfallszeit
von Frankreich her eine völlige Revolutionierung.
Den technischen Neuerungen, der Freilichtmalerei
und dem Impressionismus Manets noch voran
ging (angeregt von Millet und Courbet) eine stoff-
liche Neuerung, die das Volk bei der Arbeit suchte
r«ss-L- 141
und ohne Schönfärberei darstellte. Alles Existierende
sollte (wenigstens der Theorie nach) fortan Gegen-
stand.der Kunst sein können. Ihr Stoffkreis sollte
so weit reichen, wie die sichtbare Welt. Es ist
bekannt, daß die Folge dieser weitherzigen Doktrin
eine merkwürdige Einseitigkeit war. Denn in der
Praxis trat eine Bevorzugung des von der alten
Ästhetik als „häßlich" Bezeichneten ein. Es war
die Zeit, in der das Paradoxon geprägt wurde:
„Das Häßliche ist das Schöne." Das Phantasie-
bild schien völlig verdrängt. In Deutschland hat
der Moderne Naturalismus, dem Menzel und Leibl
vorgearbeitet hatten, die verflachte Historien-, Geure-
und Schönheitsmalerei ebenfalls rasch überwunden.
Pleinair- und Armeleutemalerei sind vereinigt auch
bei uns eine Bewegung geworden, die den Sieg auf der
ganzen Linie errang. Doch machte sich neben diesem
Naturalismus (der sich, nebenbei bemerkt, vom
literarischen Naturalismus nur durch die Ausdrucks-
mittel unterscheidet) eine andere, eine stilisierende
Richtung bemerkbar, die, der Wirklichkeit abgewandt,
die freie Phantasie walten ließ und sich der Sage
und Mythe, der Mystik und Symbolik zuneigte.
Es war Böcklin, der hier dieselbe Johannes-Rolle
spielte wie Menzel beim Naturalismus. Und wie
stellt sich die Situation heute dar? Die Nur-
Naturalisten sind bereits ins Hintertreffen geraten.
Noch bilden sie die große Masse, der wir auf den
Ausstellungen begegnen, aber sie haben nichts Neues
mehr zu sagen sie wiederholen nur. Die Re-
volutionäre von gestern sind die Akademiker von
heute. Die schöpferischen Kräfte (stets eine kleine
Minderheit) ringen bereits um andere Probleme.
Schon hat sich in der Malerei bei wenigen führen-
den Begabungen (Klinger z. B.) eine Durchdringung
des naturalistischen und idealistischen Prinzips voll-
zogen, eine großartige Synthese, wie wir sie in
der genau den gleichen Wandlungen unterworfenen
modernen Dichtung noch nicht zu verzeichnen haben.
Anlaß zu dieser kurzen Orientierung über die
moderne Kunstentwicklung gab die gegenwärtige
Aufstellung des Kasseler Kunstvereins. Sie zeigt
uns einen Maler, dem die strenge Schule des
Naturalismus Voraussetzung und Grundlage zu
neuem Tun gab. „Morgensonne" heißt das letzte
Bild Walter Schliephackes, eines jungen, hier
lebenden Meisters, der sich selten auf Ausstellungen
sehen ließ. „Morgensonne"! — Man könnte Lust
verspüren, im Hinblick auf die Bedeutung des
Bildes eine versteckte Symbolik ous dem Titel
herauszulesen. Wir sehen eine Flußlandschast mit
Bäumen, ganz eingetaucht in eine graublaue Luft,
die das goldene Frühlicht zu durchblitzen und zu
durchrieseln beginnt. In dieser Landschaft voll
geheimnisvollen Lichtzaubers stehen Menschen in
feierlicher Ruhe oder gemessener Bewegung. Ihre
nackten Körper sind umflossen von dieser eigen-
artig durchsonnten Atmosphäre, die sie farbig restlos
zum Ganzen stimmt. Wahr und wirklich und
dennoch auch wieder traumhaft-unwirklich erscheint
die Welt der „Morgensonne". Wer die Formel
für diese Kunst sucht, wird sie mit dem Schlag-
wort „Neuromautik" nicht ausreichend charakte-
risieren. Wir haben hier die völlige Verschmelzung
neu-romantischeu Gefühlslebens und Schönheits-
empfindens mit naturalistisch erforschter und
naturalistisch wiedergegebener Wahrheit. Beide
Richtungen steigerten sich wechselseitig, ein solches
Ergebnis zu zeitigen.
Schon in einem frühen Stadium seiner Ent-
Wicklung hat Walter Schliephacke versucht, seine
Persönlichkeit im Phautasiebilde auszuprägen. Er
war dabei nicht selbständig von Anfang an. Man
ist immer jemandes Sohn — zunächst wenigstens,
ehe man ein „ich selbst" wird. Es liegt in der
Veranlagung und im Temperament Schliephackes
begründet, daß er sich frühzeitig zur idealistischen
Richtung, zur Romantik und farbigen Stilisierung
Böcklins hingezogen fühlte, daß ihn auch Hans
v. Maries mit seiner Welt, einer unwirklichen,
zeitlosen Schönheit, mächtig angelockt hat. Das
bezeugen Werke wie „Ritter und Mädchen", eine
Gruppe von Akten und Halbakten, „Frauen und
Kinder" in einer Landschaft. Moderner ist schon
ein sehr feines religiöses Bildchen „Die Flucht
nach Ägypten", doch deutet auch hier ein romantisch
symbolisierender Kolorismus noch überwiegend nach
rückwärts. Wäre Schliephacke auf diesem Wege
geblieben, so hätte man nur einen begabten Epigonen
mehr zu verzeichnen. Ein unablässiges Natur-
studium mit den Mitteln moderner malerischer
Technik hat ihn vor diesem Schicksal bewahrt.
Zwar hat der Künstler nie aufgehört, das Traum-
land seiner Phantasie zu gestalten, doch konnte
er durch Jahre in der Hauptsache nichts Besseres
tun, als sich zum konsequenten, rücksichtslos-ehr-
lichen Naturalisten und Eindrucksmalerzu entwickeln.
Er hat Studien verschiedenster Art, Köpfe, Akte,
Landschaften mit und ohne Figuren, Interieurs und
Stilleben gemalt, die inbezug auf lebendige Un-
Mittelbarkeit der Wiedergabe des optischen Eindrucks
belichteter und beschatteter Objekte zu den besten
Leistungen zu rechnen sind, die moderne Wirklichkeits-
Malerei aufzuweisen hat. In selbständiger Weise hat
der Künstler sich vor der Natur jene Valeurmalerei
zu eigen gemacht, die dein Auge das Luftleben
zwischen den Dingen offenbart, ihm jene Ver-
änderungen der Farbentöne zur Erkenntnis bringt,
die sich ergeben aus der Stellung der Gegenstände
im Raume, ihrer verschiedenen Entfernung unter-
VWL 142 9<w&
einander und vom Betrachter und aus der zwischen
ihm und den Objekten befindlichen, vom all-
gegenwärtigen Lichte mehr oder minder erfüllten
Atmosphäre.
Wenn nun der Künstler, ausgerüstet mit diesen
Ergebnissen seiner Naturbeobachtung und im Be-
sitze aller technischen Erwerbungen moderner Ein-
drucksmalerei. wiederum die Gefilde früher Sehn-
sucht betritt, in denen einst Böcklin wandelte, so
droht ihm nicht mehr die Gefahr, ein Nachtreter
zu werden oder einer naturfremden, verschminkten
Schönheitsmalerei zu verfallen. Indem er jenes
alte weite Wunderland der blauen Blume nunmehr
ganz mit eigenen Augen zu schauen, mit eigenen
Mitteln zu gestalten vermag, ist es in Wahrheit
ein Neuland geworden, ein Neuland der Phantafie,
dem doch der frische, kräftige Erdgeruch nicht mangelt.
Solches verkündet uns seine „Morgensonne".
Kriegslasten der Stadt Gießen im Jahre 1813.
(Nach alten Bürgermeistereirechnungen.)
Bon vr. H. Bergor-Gießen.
(Schluß.)
Um so größer war der tägliche Zugang von
Kranken und Verwundeten. Nicht nur die bereits
bestehenden Lazarette waren überfüllt, sondern auch
das Rathaus war beständig mit 100 Mann be-
legt. Die Lieferung von gemischtem Brot und
Weißbrot zum Frühstück, die Joh. Heinrich Moll
Wwe. übernommen hatte, erforderte durchschnittlich
eine Ausgabe von 3 fl. Für den Wärterdienst auf
dem Rathaus waren täglich 15—20 Personen zu
bestellen, die etwa 6 fl. insgesamt täglich erhielten.
Da der Wärterdienft recht unangenehm war. so
mußte auch die Vergütung dafür erhöht werden.
So erhielten unter anderen: „Conrad Rinn und
Consorten für Aufwartung bei den Verwundeten
vom 17. bis 20. September 17 fl. 10 Krz."
Nachdem sich im August die Polen aus Gießen
verzogen hatten, kommen wieder vereinzelte Ko-
lonnen Franzosen an. Vom 13. August bis 18. Ok-
tober werden beständig Gießer Fuhrwerke requi-
riert zur Beförderung der Bagage in der Richtung
Marburg. Am 8. Oktober müssen Fuhrwerke nach
Gladenbach gestellt werden, am 22. nach Friedberg.
Anfangs Oktober kommt französische Kavallerie
nach Lollar, Daubringen und Mainzlar ins Quar-
tier. Am 28. Oktober sind von Gießen aus fran-
zösische Dragoner nach Königsberg zu leiten.
Während der Monate November und Dezember,
mit Ankunft der Truppen der verbündeten Armee,
ist Gießen und Umgegend ein vollständiges Kriegs-
lager. Nicht nur Gießen, sondern auch die um-
liegenden Ortschaften hatten schwere Einquar-
tierungslasten zu tragen. Heuchelheim erhielt am
2.. 6. und 18. November russisches Militär, am
5. November preußische Artillerie. Am 2.. 5., 7.,
13. und 16. November werden Russen in Rodheim
einquartiert. Am 2 und 14. kommen Russen nach
Hohensolms ins Quartier, am 4. Kosaken nach
Königsberg und russische Kavallerie nach Krofdorf,
am 7. Russen nach Fellingshausen, am 5. russische
Husaren nach Steinberg, am 7. Russen nach Dau-
bringen, am 16. nach Wieseck, am 17. nach Rödgen.
Lollar erhielt am 20. November Kosaken als Ein-
quartierung, am 7 Dezember preußische Truppen.
Am meisten wurden mit Einquartierungen heim-
gesucht die an den Straßen nach Wetzlar liegen-
den Ortschaften, weil die Marschroute der an-
kommenden Truppen über Wetzlar—Weilburg das
Lahntal hinabführte. So kamen nach Kleinlinden
ins Quartier am 2., 6., 11. und 16. November
Russen, am 6., 7 und 8. preußische Truppen.
Dudenhofen, Nechtenbach, Lützellinden, Hochelheim
blieben gleichfalls nicht verschont. Am meisten litt
Großlinden unter den Einquartierungslasten, das
nicht nur bei dem Hinmarsch der französischen
Truppen, sondern jetzt wieder bei dem Zurückfluten
der verbündeten Armee fortwährend belästigt
wurde. Außer den erwähnten werden noch viele
andere Ortschaften mit Einquartierungen heimgesucht
worden sein, die nicht durch das Gießer Quartier»
amt veranlaßt wurden. Das Ouartieramt befand
sich im Hause des Ratschöffen Schmid, der während
dieser Zeit den Titel „Kriegsbürgermeister" führte.
Alle Rechnungen mußten von ihm angewiesen
werden. Im November wurde das Ouartieramt
„wegen der vielen hier durch passierenden Russen
und sonstigen Truppen auf das Rathaus verlegt.
Das Stellen einer dauernden Wachmann-
schaft. die stets bereit sein mußte, Botengänge
bei den ankommenden Truppen zu versehen, legte
der Stadtkasse bedeutende Ausgaben auf. So
werden am 1. Novemben 18 fl. 12 Krz. veraus-
gabt an 3 Mann für Wachen im „Weißen Roß"
während 7 Tage und 7 Nächte. Vom 1. auf
2. November müssen 10 Mann Wache „im Stern"
und Zeughaus gestellt werden „wegen Kriegs-
unruhen". 4 fl. 40 Krz. werden verausgabt für
„14 Mann Wache im Zeughaus bei den russischen
Pferden", wie auch „im Stern wegen der Ordo-
nanzen", am 5. November 8 fl. 20 Krz. für
25 Mann Nachtwachen im „Stern, auf dem Rat-
«A«- 143 smi.
Haus, bei Stallmeister Frankenfeld (Universitäts-
stallmeister) und ins Sprucke".
Am 9. November waren „bei der außerordent-
lichen Einquartierung und der die ganze Nacht
durchpassierenden Rusien und Preußen 40 Mann
als Boten auf das Rathaus bestellt" Vom 10.
auf 11. November werden 20 Mann zur Nacht-
wache auf das Rathaus beordert und erhalten
6 fl. 48 Krz. Dom 11. auf 12. sind 16 Mann
Wache nötig „wegen der vielen auf dem Rathaus
gelegenen französischen Gefangenen und der deshalb
notwendigen Bestellungen". Am 12. November
waren wieder 7 Mann auf das Rathaus befohlen,
um Kranke und Verwundete zu tragen. Da das
Geschäft äußerst unangenehm ist, werden dem Mann
15 Krz. bewilligt. Am 12. mußten 3 Fuder
Roggenstroh geliefert werden „zum Behuf der
französischen Kriegsgefangenen in dem Rathaus".
Am 26. sind Aufwärter nötig für die russischen
Kranken auf dem Rathaus. Am 3. November
sind 1 fl. an Fuhrlohn verausgabt, „um Fourage
für die Generale v. Sacken und Blücher in die
Quartiere zu fahren". (Blücher logierte im Ein-
horn.) 30 Krz. erhält Johs. Pfaff, „um Stroh
bey der Pulvermühle vor die Russen zu fahren"
1 fl. 36 Krz. werden verausgabt, um Brot und
Fourage für die Rüsten am Schießhaus zu fahren.
30 Krz. erhielt Wilhelm Frech, einen Wagen Hafer
an das Schießhaus zu fahren. 12 fl. werden Johs.
Moll vergütet für das Bestellen von Fuhrwerken
vom 1. bis 15. November. 2 fl. 18 Krz. werden an
Fr. Frank und Lony bezahlt, „welche am 3. und
4. Dezember bei Tag und Nacht die Fuhren herbei-
geschafft haben, ebenso an Joh. Hilgard und Wilh.
Moll für gleiche Leistung am 6. Dezember.
Alle möglichen Anforderungen wurden an die
Stadtkaste gestellt. Sie muß 54 fl. an I. Berger
bezahlen für 180 Pfund Wagenschmiere für das
russische Militärfuhrwerk. Im November lieferte
zu Lasten der Stadtkaste der Gastwirt „zum gol-
denen Hirsch", Joh. B. Müller, auf Befehl des
Herrn Polizeirats Raiß an die Tafel des Herrn
Prinzen General Whishilikow 2 fette Welschen
» 4 fl. 30 Krz. und einen fetten Kapaun a 1 fl.
3V Krz. Am 19. November werden verausgabt
----------4»
Ich hebe die §
4 fl. für Lieferung von 4 Enten für die Generals-
tafel in Nr. 650, ferner 2 fl. für eine fette Gans
an denselben General. Der Betreffende wohnte
im ehemaligen v. Gatzertschen, jetzt Gailschen Hause
in der Neustadt. 2 fl. 30 Krz. erhalten 2 Personen,
die die Aufwartung bei dem Herrn Grafen v. Schmet-
tau gehabt hatten. 24 Krz. erhält eine Person für
Bedienung bei dem Prinzen Wilhelm von Preußen
(Bruder des Königs Friedrich Wilhelm Hl.). Für
Wache bei demselben während 2 Tage werden
40 Krz. verausgabt. 48 Krz. erhält die Nachtwache
„bei den russischen Kühen im Linkerschen Garten".
Als Dolmetscher bei den Polen und Russen
dienten Friedrich Mohr und Thomas Chovernsly.
Mohr hatte schon im August bei der Anwesenheit
der Polen die Verständigung vermitteln müssen;
er bekam die jeweilige Dienstleistung mit 50 Kreu-
zern vergütet. Chovernsky scheint erst später mit
dem Eintreffen der Russen zugezogen worden zu
sein. Er erhielt 30 fl., weil er „als Dolmetscher
bei den Russen auf dem Rathaus gebraucht wurde".
Über 1000 fl. werden verausgabt für Brannt-
wein. Lieferanten waren Hast & Eckstein, Heinr.
Wilh. Ferber, Balth. Becker Witwe, Gottfried Gil-
bert und Wilh. Hofmann von Dorf-Gill. Im
ganzen wurden während des Jahres 1813 aus
der Stadtkaste bezahlt: an Botenlohn 1363 fl.,
für Lieferung an die Truppen 26 375 fl., für
Kriegsfahrten 8875 fl., insgesamt 36 513 fl. Die
Rechnung wurde 1816 in Gegenwart des Bürger-
meisters und der Ratsschöffen geprüft, aber erst
endgültig 1827 nach stattgehabter Revision ab-
geschlossen. 22 642 fl. mußten auf die „Stadt-
Schulden-Tilgungskaste" übernommen werden, den
-übrigen Betrag übernahm die Landeskasse.
Der Schaden, den die Bürgerschaft während der
Kriegswirren 1813 durch Einquartierungen, Kon-
tributionen , Schwierigkeiten im Erwerbsleben,
Verteuerung der Lebensmittel erlitten, läßt sich
nicht ziffernmäßig feststellen. Immerhin wird er
auch beträchtlich gewesen sein, und er mußte dauernd
schwer empfunden werden, da die Jahre 1814
und 1815 nicht nur nicht Erleichterungen brachten,
sondern noch neue Anforderungen an die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Bürger stellten.
----------
ins Licht.
Auf hoher Warle steh ich allein © Rausch! Entzückender Sonnenrausch!
Und hebe die Hände ins Licht; ! Ich fühl' mich so glücklich und rein,
® du rieselnder, goldener Sonnenwein, Singend verschweb' ich ins All und lausch'
Du machst mir die Welt zum Gedicht! I 9n die Seele der Gottheit hinein —
Das ewig-ruhige Himmelsblau,
Das schweigend in Träumen spricht -.
© wundertiefe Gedankenschau —
Ich hebe die Hände ins Licht!
Hanau.
K. Engelhard.
s«tL. 144
Ein Traum.
Skizze von W. Mumm.
Ich lag unter einem blühenden Apfelbaum. Ich
war so müde. Den ganzen Tag war es ein Hin-
und Herrennen gewesen. Die ganze kleine, fröhliche
Kinderschar, drei Knaben und zwei Mädchen, hatte
ich reisefertig gemacht, und wenn wir auch tagelang
vorher gearbeitet, geräumt und gepackt hatten, es
gab doch im letzten Augenblick soviel, so unendlich
viel zu tun, bis alles fix und fertig war. Vor einer
halben Stunde hatte ich sie zur Bahn gebracht und ließ
sie unter der Gbhut des Fräuleins zur Großmutter
reisen, in deren schönem großen Garten auf dem
Lande sie die ersten Frühlingstage genießen sollten.
Es war ganz still in unserem Hause geworden,
nur der kleine Karl war bei mir geblieben. Karl
war damals fünf Jahre alt. Ich wußte, es wäre
ihm so schwer gewesen ohne mich, seine Mutter, zu
reisen, war ich doch seine einzige Freundin und
Vertraute, denn er liebte keinen von den kleinen
Kameraden, die ich manchmal für ihn einlud, und
selbst zu seinen Geschwistern hatte er nicht so recht
viel Vertrauen. Ich selbst hätte ihn darum auch
kaum so lange von mir gelassen.
Da lag ich min in unserem Garten auf dem be-
quemen Liegestuhl ausgestreckt. Karl spielte vor mir
im Grase. Ich blinzelte müde in die Sonne hinein.
Karl schien sein Spiel nicht so recht zu erfreuen.
„Mutter," sagte er zu mir, „laß uns an den Teich
gehen zu den Schwänen. " Das war fein Schönstes.
Wenn Karl Schwäne fütterte, war er glücklich.
Dann vergaß er ganz, daß er unter Menschen war,
die ihm sonst stets eine gewisse Scheu einflößten.
Er sprach mit den Tieren, als seien sie seine Spiel-
Kameraden. „Karl, mein lieber Junge, ich bin so
müde, laß mich schlafen", sagte ich und strich ihm
über das blonde Köpfchen. „Mutter, Du hast es
mir aber versprochen", beharrte der Kleine. Der
Teich war zwar nicht weit von unserem Hause; er
lag in einem Park, der an unseren Garten stieß.
Doch heute war ich wirklich zu müde. „Mutier will
jetzt schlafen, mein Liebling, ein andermal gehen
wir hin", sagte ich und drehte meinen Kopf zur
Seite, als Zeichen, daß ich schlafen-wollte. Karl
----------
rührte sich nicht vom Fleck; da er aber nicht mehr
bat, glaubte ich, er habe sich zufrieden gegeben.
Ich hatte das Gefühl, als ob ich träume, und war
mir doch nicht klar darüber. Ich sah Karl, den
lieben Kleinen, vor mir, Karl, meinen kleinen Jungen,
der so menschenscheu war, der kaum mit den anderen
Jungen seines Alters sprach, der stundenlang mit
einer Blume in der Hand sitzen und sie betrachten
konnte, der sein Schaukelpferd und seinen Hampel-
mann kaum anrührte und lieber ganz mäuschenstill
dasaß und ins Blaue hinausträumte. Ich sah Karl
im Lauffchritt, die Händchen, wie es seine Gewohn-
heit war, auf dem Rücken gefaltet, auf die Garten-
tür zugehen. Aber was ist denn das, wo will er
hin? Man sieht schon den Teich, die Schwäne.
Wird er wirklich dort hingehen, trotzdem ich es so
ost verboten hatte? Nein, er zögert, er bleibt stehen.
Er weiß, er darf nicht allein an den Teich. Und
doch, als habe er jetzt den festen Entschluß gefaßt,
geht er direkt auf den Teich zu. Und nun steht er
am Rande des Wassers. Die Arme noch immer
auf dem Rücken gekreuzt, beugt er sich über den
Wasserspiegel. Er lockt, er ruft die Schwäne, er
beugt sich tiefer hinab. Entsetzen packt mich; einen
Zoll weiter und er ist verloren! Ich will aufipringen,
zu ihm eilen da wache ich auf. Neben mir
steht Karl und legt seine Hand auf meinen Arm.
Mit erschreckten Augen sieht er mich an; ich mag
wohl im Traum gestöhnt haben. — Am liebsten
hätte ich den kleinen Jungen in meine Anne ge-
nommen und ihn geherzt und geküßt nach Herzens-
lust. Aber nein, das würde das kleine Kinderherz
nur noch mehr erschreckt haben. — „Komm, Karl,"
sage ich und nehme ihn bei der Hand, „jetzt wollen
wir zu den Schwänen gehen, es läßt sich doch nicht
so recht schlafen hier im Freien." Da leuchteten die
Augen des Kindes auf. Hand in Hand gingen wir
hinunter zum Teich. Von der Bank aus sah ich
dem Spiel des Kindes zu und nahm mir selbst das
Versprechen ab, nie wieder zu zögern, dem Kinde
eine Bitte zu gewähren, deren Erfüllung ich ihm
bereits zugesagt hatte.
---------
Aus Heimat und Fremde.
Hochschulnachrichten. Der außerordentliche
Professor an der Berliner Universität vr. Karl
Kaiserling ein geborener Kasselaner und Schüler
Virchows, nahm einen Ruf als ordentlicher Pro-
fessor der pathologischen Anatomie an die Universität
Königsberg an.— Marburg vr.Mr. G.Wolzen-
dorss habilitierte sich mit einer Antrittsvorlesung
über „Die kommunale Wohlfahrtspflege als Ursache
polizeilicher Beschränkungen der Einzelfreiheit
Personalchronik. Die Wahl deS Oberlehrers am
Gymnasium zu Wesel Prof. Lic. Arthur Stahl zum
Direktor des Progymnasiums in Hofgeismar wurde be-
stätigt. — Der Stadtkämmerer a. D. Justus Müller
zu Marburg beging seinen 80. Geburtstag und der Domänen-
145 vî.
rat Heinrich Moll in Fulda fein 50jährigeS Dienst,
jubiläum. _____________
Auf dem 23. hessischen Städtetag, der am
30. und 31. Mai in Rotenburg stattfindet, wird u. a.
GhmnafialprofessorSchwarz.Rotenburg über „Die Förde,
rung des Natur- und Vogelschutzes durch die Gemeinde"
referieren.
Aus Kassel. Die Hauptstadt des Hessenlandes wird
in den Pfingsttagen ein luftsportliches Ereignis ersten
Ranges sehen. 21 Teilnehmer des Prinz Heinrichfluges,
die besten Flieger, werden am 1. Pfingsttag Kassel von
Wiesbaden aus erreichen, und am 2. Pfingsttage von hier
nach Koblenz starten. Uber 50 Kraftwagen werden den
vom Prinzen Heinrich persönlich geleiteten Flug begleiten.
— Bei der 100. Wiederkehr der Tage der Leipziger Schlacht
find in Kaflel ein Festzug nach dem Bowlinggreen. wie
er hier auch 1883 stattfand, und abends verschiedene Feiern
in der Stadt geplant.
Der Festzug zur Tausendjahrfeier Kassels
wird folgende Gestalt annehmen:
I. Im Jahre 913. König Konrad l. als Herr des
GutshofeS Kassel. (Bezirksverein Wehlheiden)
II. Die Leute vom Königshof Kassel um 1013. Kaiserin
Kunigunde aus der Durchreise nach dem Stift Kaufungen.
(Bezirksverein Kirchditmold).
III. Die Bewohner der bei dem Königshof entstandenen
Anfiedlung um 1113.
III». Die Nonnen des von der Landgräfin Hedwig
von Thüringen und ihrem Sohne Heinrich Raspe ge-
gründeten Ahnaberger Klosters als Jugenderzieherinnen.
(Vorausfichtlich Bezirksverein Rothenditmold.)
IV BerkehrSlebrn in der mit städtischen Rechten be-
liehenen Ortschaft Kaste! um 1213. (Kaufmännischer Verein.)
V. 1363. Landgraf Heinrich I. (Vorausfichtlich Reiter-
gesrllschaften.
VI. Einritt der hessischen Ritterschaft zu einem Turnier
und festliches Treiben in der Stadt um 1313. Die Er-
bauer der Brüderkirche. (Teil I voraussichtlich hessische
Ritterschaft, Teil II Bezirksverein der Mittel- und Altstadt.)
VII. Die Bauhütte von St. Martin um 1363. Otto
der Schütz. (Bezirk-vereine der Mittel- und Altstadt.)
VIII. Aufzug der Zünfte um 1413. Die Kugelherren.
(Innungen.)
IX. Aufzug der Bürgerschützen 1463. (Schützenverein.)
X. Festliche« Leben der Bewohner der Residenzstadt
Kastei um 1513.
Xa. Philipp der Großmütige. (Bezirksverein Holländische
Torgemeinde, BrzirkSverein Nordwest.Bezirksverein Nordost.)
XI. Bürger und Magistratsperfonen von Kassel um
1563. Besuch von Profestoren und Studenten aus Mar-
burg. (I. Teil Gemeindebeamtenvereine Kastels, II. Teil
voraussichtlich Alte-Herrenverbände.)
XII. Landgraf Moritz als Förderer von Kunst und
Wistenfchaft um 1613. (Schlaraffia Chassala in Verbindung
mit Kunstakademie und Kunstgewerbeschule.)
XIII. AuS der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Land-
graf Wilhelm V. mit Amalie Elisabeth mit Umgebung
von Feldhauptleuten.
XIII a. Ausmarsch hessischer Söldner um 1663. (Verein
Südend.) *)
XIV. Hof und Bürgerschaft unter Landgraf Karl, um
1713. Die Refugiär. (Bezirk-verein Oberneustadt.)
*) Gegen diese Gruppe hat übrigens Herr Major v. Pfister
mit Recht als unhistorisch protestiert. Die Redaktion.
XIV a. Schöpfer und Werkmeister der Park und Wasser-
kunstanlagen nm Weißenstein und Winterkasten. Die
Anwohner der Anlagen. (Bezirksverein Wahlershausen-
Mulang.)
XV AuS der Zeit de« siebenjährigen Kriege«. Einholung
des Landgrafen Wilhelm VIII. durch die Kasseler Bürger-
schaft. (Kriegerverband.)
XVI. Eine Reiherbeize unter Landgraf Friedrich II.
nach 1763. (Bezirksvereine Hohenzollern und Westend.)
XVII. 1813. Hof und Bürgerschaft in der Hauptstadt
des KönigSrrichs Westfalen. (Bezirksvereine Hohenzollern
und Westend.) Tschernitscheffs Kosaken: die Rückkehr des
Kurfürsten Aufgebot von 1814. (Bezirksvereine Unter-
neustadt-Bettenhausen.)
XVII a. Kasseler Bürgergarde zu Pferde und zu Fuß.
(Kriegerverband.)
XVIII. Hessische Garde du Corps um 1663. (Krieger-
verband.)
Außer diesen Gruppen ist noch die Einschiebung eines
Bildes in Erwägung gezogen worden, das den Einzug der
siegreichen Krieger un Feldzug 1871 veranschaulicht. Die
Verhandlungen hierüber sind aber noch nicht abgeschlossen.
Ferner ist eine Schlußgruppe in Vorbereitung, die die
„Kräfte der Gegenwart" darstellen wird: sie wird Land-
wirtschaft, Industrie, Gewerbe und Handwerk sowie Handel
und Verkehr umfassen. Vertretungen der Kasseler Innungen
und Vereine werden den Schluß des Zuges bilden.
AuSHanau. Zu unserer Notiz über die vom Minister
für Handel und Gewerbe genehmigte Errichtung einer Fach-
schule für Diamantschleiferei ist noch nachzu-
tragen, daß die für die Unterhaltung auf die Dauer von
5 Jahren erforderlichen Mittel von 56000 M. von einigen
deutsch-südwestafrikanischen Diamanten-Schürfgesellschasten
und von der Diamanten-Regie aufgebracht werden, während
die Stadt selbst die erforderlichen Unterrichtsräume bis zur
Errichtung des neuen Gebäudes der Kgl. Zeichen-Akademie
übernommen hat. ____________________
Dingel st edt-Erinnerungen. Die Tochter Franz
Dingelstedts, Baronesse Susanne von Dingelstedt in
Graz, hat durch Vermittelung des Herrn Profestor Schwarz
in Rotenburg a. F.. eines ehemaligen Schülers des Kgl.
FriedrichsgymnafiumS zu Kassel, dieser Anstalt in dankens-
werter Weise ein schönes, imposantes Bild ihres 1881 ver-
storbenen Vaters übersandt, das im Lehrerzimmer seinen Platz
gefunden hat. Bekanntlich war der gefeierte Dichter, von
dem auch das allbrliebte Weserlied stammt, vom Jahre 1836
bis 1833 als Lehrer an dieser Schule (dem damaligen
Lyceum Fridericianum) tätig. Im letztgenannten Jahre
wurde Dingelstedt an das Gymnasium in Fulda versetzt,
wo er dann 1841 seinen Abschied nahm, um seine hessische
Heimat für immer zu verlassen. — Profestor Schwarz hat
sich übrigens in Rinteln um die Gründung und Einrichtung
eines dem Andenken des Dichters gewidmeten Raumes in
dem dortigen sehenswerten Heimatsmuseum sehr verdient
gemacht, für den die Töchter Dingelstedts eine große An-
zahl wertvoller Erinnerungen an ihren Vater, einen Schüler
des Rinteler Gymnasiums, gestiftet haben.
Die Vorfahren von John Fritz (s. „Hessenland"
S. 113). Regierungsrat vr. Doehne, der sich um die
Ermittelung der Vorfahren des kürzlich in Nordamerika
verstorbenen „Eisenmeisters" Fritz (FrihiuS) bemüht, wurde
von Bibliothekar Dr. Losch auf den Pfarrer Konrad Lud-
wig Fritz hingewiesen, der 1812 in Frankenberg abgesetzt
wurde. Er stammte auS Kirchhain. Nach seiner Absetzung
verschwand er, ohne daß nähere Nachrichten über seinen
Verbleib vorhanden sind. Da es damals öfters vorkam,
imi> 146 vmtL>
daß abgesetzte hessische Pfarrer nach Amerika auswanderten
und der Vater des John Fritz als 12jähriger Junge mit
seinen Eltern ausgewandert sein soll, ist, wie vr. Losch
meint, die Vermutung wohl nicht unberechtigt, daß John
Fritz von jenem Konrad Ludwig Fritz abstammt.
MehrSchutzden Naturdenkmälern Vor kurzem
ist. wie die „Oberh. Ztg." berichtet, die „dicke Eiche" bei
Treisbach, einer der ältesten und größten Bäume unsere-
hessischen Heimatlandes, mit 14 m Umfang und 25 m Höhe,
von bübischer Hand in Brand gesteckt worden und nieder-
gebrannt. Im Herbst deS Jahres 1903 wurde die Kaiser-
eiche bei Haffenhausen. nach Höhe und Kronenwuchs feiner
Zeit wohl die schönste Eiche im Hessenland. gleichfalls durch
böswillig angelegtes Feuer vernichtet. Beide Bäume waren
hohl und der Hohlraum von außen zugänglich. Nach den
Bestimmungen über die Denkmalspflege find diese als Natur-
denkmäler bezeichneten lebenden Zeugen früherer Jahr-
hunderte ganz genau inventarisiert, in die Merkbücher ein-
getragen, auf den staatlichen Forstkarten nach Stand nnd
Größe als Naturdenkmäler bezeichnet und den betreffenden
Besitzern als solche natürlich auch bekannt. Man hat alles
mögliche auf dem Papier für sie getan, um sie der Nach-
welt zu erhalten, jedoch fehlt ihnen ein wirklich praktischer
Schutz. Weit ab von den bewohnten Orten stehen sie ein-
sam am Waldrand oder auf der Hutung, und nur ganz
selten kommt mal der Feldhüter und der Waldschütz an
ihnen vorbei. Es fehlt jede Beaufsichtigung. Wenn also
diese meist hohlen alten Bäume eines Ta^eS aus Gleich-
gültigkeit und Unverstand oder aus Roheit und Mangel
an Herzensbildung dem Feuer zum Opfer fallen, fo braucht
man sich darüber kaum zu wundern. Jeder Besitzer eines
lebenden Naturdenkmals sollte durch Bestimmungen der
Aufsichtsbehörden gezwungen werden, einen solchen kost-
baren Besitz gegen Feuer zu schützen. Mit geringen Kosten
wird eS sich ermöglichen lassen. den Eingang zu dem Inneren
mittelst Beton und darüber genagelten eichenen Bohlen
wirksam und dauernd zu verschließen. Auf die Bohlen
wird wieder eine dicke Zementschicht gestrichen; das Ab-
gleiten der frischen, flüssigen Masse verhindert man durch
ein auf die Bohlen befestigtes Drahtgeflecht. Schließlich
wird die Zementschicht in noch weichem Zustand so gestaltet,
daß sie das Aussehen der umgebenden Baumrinde hat;
durch Zusatz von etwas brauner oder grauer Farbe läßt
sich die Borke täuschend ähnlich nachmachen. Auf diese
Weise können hohle wertvolle Bäume am wirksamsten gegen
Feuer geschützt werden. Man gehe also energisch vor.
Geschieht ferner nichts, dann wird bald das letzte ehrwürdige
Naturdenkmal vernichtet sein.
Personalien.
Verliehe«: dem Amtsgerichtssekretär Rechnungsrat
A l b e r t i zu Hanau und dem Oberlandmesser K u l l m a n n
zu Treysa der Rote Adlerorden 4. Kl.; dem Stadtkämmerer
und Sparkassenrendanten a. D. Müller zu Marburg der
Krünenorden 4. Kl.; den SanitätSräten vr. G e m m e l zu
Salzschlirf und vr. S r b o l.d zu Kassel der Charakter als
Geheimer Sanitätörat; den Ärzten vr. Claus zu Greben-
stein und vr. K a u d l e r zu Kloster Haina der Charakter
al« SanitätSrat; dem Amtsgerichtssekretär Ritzel zu Mel-
sungen der Charakter als RechnungSrat; dem Stadtältesten
Rentner Müller zu Fulda das Komturkreuz deS päpst-
lichen Sylvesterordens.
In den Ruhestand versetzt: Postsekretär Weis zu
Hanau unter Verleihung des Kronenordens 4. Kl.
Ernannt r der Vortragende Rat im Justizministerium
Geheime Oberjustizrat Greifs zum Präsidenten des Ober-
landesgerichts in Kassel unter Verleihung des Charakters
als Wirklicher Geheimer Oberjustizrat mit dem Range der
Räte erster Klasse; Pfarrer Waltemath zu Exten zum
3. lutherischen Pfarrer in Marburg; Hilfspfarrer Jde zu
Großalmerode zum Pfarrer in Laudenbach; Pfarrer Röm-
held zu Rüdigheim zum Pfarrer in Dörnigheim; Pfarrer
Dellit zu Gemünden zum Pfarrer in Kirchlotheim;
Rechtsanwalt Knierim zu Hilders zum Notar; die
Referendare Katzenstein undStart zu Gericht-assessoren;
Fräulein Bock zu Fulda zur Bibliothekarin bei der LandeS-
bibliothek dortselbst.
übertragen r dem Postrat Rutsch zu Kassel die Ver-
waltung einer Stelle für Abteilungsdirigenten bei der
Ober-Postdirektion in Berlin; dem Ober - Postinspektor
Wendel zu Berlin die Postdirektorstelle in Gelnhausen
unter Ernennung zum Pofldirektor.
Beauftragt: Pfarrer sxtr. Jtzenhäufer mit der
Verfehung der Hilfspfarrei Großalmerode.
Versetzt: AmtSgerichtSrat Eden von Wanfried nach
Buxtehude; GerichtSaffeffor Freiherr vonVerfchuer in
den OberlandeSgerichtSbezirk Posen; Postrat HuSner von
Köln nach Kassel: Postdirektor Behm von Gelnhausen
nach Friedland (Mecklb.).
Geboren: ein Sohn: Rechtsanwalt Poelmann und
Frau Friedel. geb. Pabst (Datteln. Westf., 22. April);
Oberlandmesser K r e i s und Frau (Hünfeld); KreiSfekretär
Schmeiß er und Frau Lina. geb. Ammer (GerSfeld); —
eine Tochter: Rechtsanwalt und Notar Karl Heine mann
und Frau Martha, geb. Weckesser (Hofgeismar).
Gestorben: Ingenieur Wilhelm Baur. Sohn der
Gießer Theologieprofessors. 61 Jahre alt (Newhork,
22. März); Frau Elisabeth Rechberg. geb. Kistner,
89 Jahre alt (Hersfeld); Metropolitan Wilhelm Peter,
63 Jahre alt (Zierenberg, 20. April); Stiftsdame Frei-
fräulein Amelie von Oeynhausen, 60 Jahre alt (Kassel,
20. April); Kaufmann Franz W e y l a n d auS Kassel,
30 Jahre alt (20. April); verw. Frau Hedwig Schaeffer,
geb. von Marschall. 71 Jahre alt (Kassel, 21. April);
Kaufmann Hugo Berger. 56 Jahre alt (Schmalkalden.
21. April); Privatmann Arnold Brethauer, 61 Jahre
alt (Kassel. 22.April); Gymnafialoberlehrer Hugo Mathi
(Hadamar, 22. April); Realgymnafialoberlehrer Wilhelm
Renz (Schöneberg. 22. April); OberlandesgerichtSrat vr.
Otto Brandt. Verfasser der Schrift über Landgräfin
Amelia Elisabeth von Hessen (Kiel); Kaufmann Heinrich
I. Schnell. 64 Jahre alt (Kassel. 28. April); Privatmann
Heinrich Pillmeirr, 81 Jahre alt (Kassel. 25. April);
Frau Marie Engelhardt, geb. Ritter-hausen, Witwe
des Majors Ferdinand Engelhardt. 84 Jahre alt (Kassel,
29. April); Privatmann Georg Eitel, 73 Jahre alt
(Kassel. 29. April); Lehrerin Paula Wiegand (Marburg.
29. April); Mechaniker des Physiologischen Institut- Max
Rinck (Marburg. 29. April); Pfarrer Wilhelm LheliuS,
58 Jahre alt (Ebsdorf, 29. April); Frau Erna Braun,
geb.Schwertzel, Gattin des Universität-buchhändlers Wilhelm
Braun. 53 Jahre alt (Marburg. 29. April); Frau Kammer-
rat Emilie Bode, geb. Rappe (Fulda, 29. April); Mtto.
Frau Marie von Gilsa, geb. Herzog (Kassel. 30. April-;
Frau Berta Z i n g l e r. geb. PrrtoriuS, Gattin des Polizei-
sekretärs (Fulda. 1. Mar); vr.med. Rösing, 84Jahre
alt (Kassel. 3. Mai).
Für die Redaktton verantwortlich: Paul Heidelbach. Kassel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
Hessenland
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte» Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 10. 27. Jahrgang. Zweites Mai-Heft 1013.
Ein hessischer Edelsih.
Als Bonifatius im Jahre 722 zum ersten Male
das Hessenland durchzog und, aus dem Tale der
Lahn in das der Ohm gelangt, den steil auf-
ragenden Felsenberg der Amöneburg erblickte, lenkte
er seine Schritte dorthin. Er wußte, daß dort
ein vornehmes Bruderpaar, die Grafen Detik und
Dierolf, schon früher die ersten Nachrichten vom
Christentum empfangen hatte. Dieses Bruderpaar
endgültig für das Christentum zu gewinnen und
dessen Wohnort zum Stützpunkt seiner Missions-
tätigkeit zu machen, galt ihm als hohes Ziel.
Noch heute zeigt man die Stelle, wo Bonifatius
die Taufe an den beiden Brüdern vollzog, und
die andere, wo er — zum ersten Male in chattischen
Landen — das Kreuz aufrichtete, das, vermöge
seines hohen Standortes, weit hinaus in die um-
liegenden Gaue leuchtete. Wer jemals auf dieser
Stelle, auf dem höchsten Punkt der Amöneburg
gestanden und einen Blick hinab in die gesegnete
Gegend geworfen hat, der wird mit mir über-
einstimmen, daß dieser Blick zu den landschaftlich
schönsten zählt, die das Hesfenland bietet. Die
stolzen Dörfer am Fuße des Berges reihen sich
eins ans andere ; Wiese, üppige Flur, Wald und
Wasser wechseln mit einander ab. Drüben von
den Lahnbergen winkt der stolze Kaiser-Wilhelms-
Tunn herüber, dort grüßen die Trümmer des
Frauenberges, näher leuchtet die Bergkirche von
Wittelsberg, links seitlich davon erscheint inmitten
eines großen Parkes das Schloß Holzhausen,
dem Freiherrn von Stumm gehörig. Dorf und
Schloß Holzhausen sollen heute unser Wanderziel
sein. Darum begleite mich, geehrter Leser, in
diese Gegend mit den grünen Hügeln und waldigen
Höhen und fruchtbaren Ebenen, auf die Gottes Sonne
gegenwärtig so segnend herabschaut. Während ich
dies schreibe, gedenke ich der frohen Zeit, wo ich als
Kind in diesen Dörfern mein Jugendparadies fand.
Das Dorf Holzhaufen heißt in jener Gegend
gemeinhin Rauisch-Holzhausen, zum Unterschied
von den Dörfern gleichen Namens, deren es in
Hessen eine ganze Anzahl gibt. Die Familie von
Rau hat dem stattlichen Dorfe den Namen gegeben.
Die Raue, die sich zuerst von Schröck und dann
von Frauenberg nannten, nahmen ihren späteren
Namen erst um das Jahr 1340 an. Schon früher
teilten sie sich in mehrere Stämme. Im Jahre
1630 erwarben sie die Burg Dorheim in der
Wetterau und gründeten bald darauf die beiden
Linien Nordeck und Dorheim. Die Familie ist
im Hessischen im Mannesstamme erloschen und
ihre Güter sind in andere Hände übergegangen.
Im Jahre 1870 erwarb der damalige LegationS-
fekretär Freiherr von Stumm — ein Bruder
*m> 148
des verstorbenen Königs Stumm in Neunkirchen —
die Rauischen Güter zu Holzhausen und erneuerte
die Gebäude des Gutshofes von Grund auf. Das
Herrenhaus wurde ebenfalls in Stand gesetzt.
Gleichzeitig aber faßte der neue Besitzer den Plan,
seine Lieblingsidee zu verwirklichen und für sich
und seine Nachkommen in der herrlichen Gegend
ein modernes Schloß mit großen Parkanlagen zu
bauen. Zu diesem Zweck hielt er unter den hervor-
ragendsten Architekten Hessens Umschau und fand
in der Person des jungen Marburger Baumeisters
Schäfer den Mann, der seine Pläne verwirklichen
sollte. Es war ein glücklicher Griff, den ihn der
Zufall tun ließ. Nach dem einhalbjahrhundert-
langen Darn iederliegen jeglicher künstlerischer Bau-
tätigkeit kam es wie das Erwachen des Frühlings
über die deutschen Baukünstler. Georg Gottlob
Ungewitter in Kassel hatte sich in der Polytechnischen
Schule als Gotiker einen Ruf erworben, der. weit
über die hessischen Grenzen hinausgehend, in ganz
Deutschland ein freudiges Echo fand. Alle seine
Schüler hingen ihm in glühender Begeisterung an
und trugen seine Ideen in alle deutschen Gaue.
Einer der bedeutendsten seiner Schüler war der
Baumeister Karl Schäfer, der vom preußischen
Staat insofern ganz besonders ausgezeichnet worden
war, als ihm die Wiederherstellung und der Umbau
des Marburger Schlosses übertragen wurde, eine
Aufgabe, die er in mustergültiger Weise gelöst hat.
Die Folge davon war, daß in seine Hände bald
darauf auch der Neubau des Universitätsgebäudes
mit Aula gelegt wurde, ein Bau, der zu den
großartigsten gotischen Profanbauten Deutschlands
zählt. Was Wunder, wenn einem solchen Meister
nun auch ein Luxusschloß in Entwurf und Bau
übertragen wurde.
Die Lage des Schlosses war bald bestimmt.
Dort, wo Bach, Wiese, Feld, Wald am nächsten
zusammenrückten, wo dichtstehende hohe Erlen den
Lauf des Baches bezeichneten und die Zeisige ihre
Nester bauten, auf einer sanft ansteigenden Wiese,
die nordwärts von dem Dorfteil „Neu-Potsdam"
begrenzt wird, wurde im Jahre 1871 der Grund
zu dem Prachtbau gelegt. Das Material wurde
der Umgegend entnommen roh behauener Basalt,
der von vornherein den Schein des Allzuneuen
zurückdämmt und dem Ganzen eine gewisse vor-
nehme Antike verleiht. Bei den Fundamentierungs-
arbeiten mußte man des Triebsandes wegen stellen-
weise bis 12 Meter heruntergehen. Mancher Bau-
meister würde wohl in einer solchen Lage verzweifelt
sein, doch Karl Schäfer nicht, der in dem jungen
Frankfurter Architekten Kaufmann eine tüchtige
Stütze gefunden hatte. Die Hindernisse wurden
überwunden, und binnen zwei Jahren war der
äußere Bau bis Dachhöhe gediehen; die vortreff-
lichen Holzschnitzereien wurden eingesetzt, und wieder
in Jahresfrist war die äußere Arbeit vollendet.
Im Jahre 1877 konnte das Schloß bezogen werden.
Die ganze bauliche Anlage ist eine Millionen-
schöpfung ; mag man das' Schloß von der Süd-
oder Nordseite, von der Höhe oder dem Tale aus
betrachten, so zeigt sich überall ein gleich vornehmes,
harmonisches Bild. Verschiedene Türme in mannig-
fachen Formen erheben sich nicht unwesentlich über
die Dachfirst und beleben das blauschwarze Schiefer-
dach in schöner Weise. Ein Teil der Türme und
des Schlosses ist mit kletterndem Grün bewachsen
und bietet zur Herbstzeit durch das leuchtende Rot
ein anziehendes Bild. Dem eigentlichen Herren-
hause angegliedert und im oberen Teile mit ver-
ziertem Fachwerk versehen ist das Nebengebäude,
das verschiedenen Zwecken dient. Besonders fallen
hier die gediegenen Holzschnitzereien an der Tor-
fahrt auf, wie denn überhaupt das künstlerische
Kleinhaudwerk in Holz und Metall wahre Kabinett-
stücke aufweist. Die einzelnen Zimmer, Säle.
Hallen des Herrenhauses verraten durch ihre ge-
diegene Einrichtung ebenso die Wohlhabenheit des
Besitzers wie dessen feines Empfinden für wahre
künstlerische Vornehmheit. Ohne jedes protzenhafte
Sichhervordrängen sieht unser Auge die aus-
erlesensten Kunstwerke; wir werden nicht müde,
immer wieder die einzelnen Einrichtungen mit-
einander zu vergleichen, ohne zu wiffen, welcher
wir den Preis zuerteilen sollen.
Der Anlage des Parkes wurde besondere Sorg-
falt gewidmet. Unter der Leitung eines tüchtigen
Gartenkünstlers entstand — ganz nach den Plänen
des Schloßbesitzers — in steter Anpaffung an die
umgebende Natur ein Teil nach dem andern des
weiten Lustgartens. Englischer Stil war maß-
gebend , enge Verbindung mit dem die Landschaft
durchfließenden Bach, der, von schönen Erlen ein-
gefaßt. eine anmutige und belebende Situation
bot, das Natürliche. Kleinere und größere Wasser-
fälle, teichartige Verbreiterungen des Wasserspiegels
wurden angelegt und — nicht weit vom Eingang
zum Park — ein größerer Teich geschaffen, von
dem man auswärts zum Schloß einen entzückenden
Blick genießt. In vornehmer, grüner Umgebung
bietet dieser Teich, belebt von Schwänen, einen
Glanzpunkt des weiten Parks. Über das Schloß
hinaus verlieren sich die Anlagen am Bismarck-
denkmal vorüber (das die Freundschaft dem großen
Kanzler errichtete) allmählich in prächtigen Hoch-
wald, der aber überall die sorgsam schaffende Hand
des Schloßherrn offenbart.
Je tiefer wir in diesen prächtigen Wald ein-
dringen, desto größer wird die Ruhe; außer den
««££> 149 9«MtL>
Sängern des Waldes hören wir vielleicht nur noch
den Schrei des Hähers oder das Rascheln des Fasans.
Äsendes Wild, dem besondere Pflege gewidmet wird,
kann von uns ost beobachtet werden. Gutgepflegte
Wege, hier und dort einladende Ruhebänke machen
diesen Parkteil zu einem Eldorado, und es ist ein
vergnügliches Geschäft, unter den mächtigen Buchen
und Eichen sich der Ruhe hingeben zu können.
Und wenn du ein Sonntagskind bist und die Sprache
des Waldes verstehst, so hörst du aus dem Rauschen
der Bäume die Geschichte von dem Schalten und
Walten der ausgestorbenen Geschlechter, die Ge-
schichte von der Liebe und dem Leid unserer Vor-
fahren.
Es war nur allzu natürlich, daß eine solche
hervorragende Schöpfung, wie es Schloß und Park
Holzhausen in der Tat ist, die Aufmerksamkeit
nicht nur der Umgegend auf sich zog; von weit
her kamen Besucher, um die stolze Anlage kennen
zu lernen. Die Stellung des Erbauers und Be-
sitzers tat das ihre, um auch fürstliche Gäste hier
einkehren zu lassen. Nachdem der Besitzer als
ehemaliger Botschafter von Madrid und Ritter des
Ordens vom Schwarzen Adler sich ständig hierher
in sein Tuskulum zurückgezogen hatte, sah man
öfter berühmte Herrschaften hier einkehren. Auch
der Liebling des deutschen Volkes, Kaiser Friedrich,
war zweimal hier, und noch jetzt geht davon die
Erinnerung an diese Holzhäuser Ehrentage von
Mund zu Munde. Aber wenn ein Wort auf
------------
den Schloßherrn zutrifft, so ist es dies: Er ist eS
wert, daß du in fein Haus gehst, denn er hat das
Volk lieb und die Schule hat er ihm erbaut. Ja,
nicht nur die stattliche Schule, er hat auch nach
der feierlichen Einweihung seines Schlaffes dem
Dorfe eine neue Kirche erbauen lasten und zwar
dorthin, wo das alte Geschlecht derer von Rau im
Kreise der Gemeinde seine letzte Ruhestätte gefunden
hat, auf dem alten Friedhof. Auf dem Platze der
ehemaligen Kirche aber erhebt sich jetzt die neue
Schule. Nicht nur das; Exzellenz Stumm hat
auch die Diakonissenstation und die Post erbauen
lassen und was der Verdienste mehr sind. Was
Wunder, wenn das ganze Dorf in dankbürem Stolz
seinem Schloßherrn anhängt.
Der Park steht auf vorherige Anfrage dem
Publikum offen; auch das Innere des Schlosses
wird in Abwesenheit der Herrschaften gezeigt.
Mancher Ruf des Erstaunens wird hierbei ver-
nehmbar. Ein großes Kontingent der Besucher
stellt die Universitätsstadt Marburg, die nur zwölf
Kilometer von hier entfernt ist. Die bunten Mützen
der Marburger Aktiven sind hier ebenso bekannt
wie immer hochwillkommen.
Und so nehmen wir Abschied von einem Fleck-
chen Erde, das in der großen Welt zwar wenig
bekannt ist, das aber für würdig befunden wurde,
einen der schönsten deutschen Edelsitze zu tragen.
Möge über ihm allezeit ein günstiger Stern walten!
R. Sch.
-------------
Aus der Geschichte des Kasseler Zolls.
Von A. Woringer.
(Schluß.)
Im Jahre 1821 hatte Kurfürst Wilhelm II.
alsbald nach seiner Thronbesteigung eine völlig
neue Einrichtung der Staatsbehörden vorgenommen.
Durch das Organisationsedikt vom 29. Juni 1821
war indeffen eine Änderung in den Zoll- und
Lizentbehörden nicht eingetreten, abgesehen davon,
daß sie nun unter den Finanzkammern als Direktiv-
behörden standen. Dagegen war die alte Ein-
teilung des Landes in Ämter, denen auch die Zoll-
und Lizenthebestellen entsprachen, in Wegfall ge-
kommen und an ihre Stelle die Einteilung in
Kreise getreten. Die Folge davon war nun, daß
häufig sogar die Bewohner eines und desselben
Amtsbezirks, der nun verschiedenen Kreisen an-
gehörte, nicht mehr mit einander verkehren konnten,
ohne für ihre Erzeugnisse Zoll zu zahlen.
Es ist erklärlich, daß die allgemeine Unzufrieden-
heit im Lande, die nicht nur durch den Notstand,
sondern auch nicht zum wenigsten durch das Be-
wußtsein veranlaßt wurde, daß man viele gute Ein-
richtungen der westfälischen Zeit gegen veraltete
und rückständige Maßnahmen eingetauscht hatte,
daß diese Unzufriedenheit sich hauptsächlich gegen
das Zollwesen wendete. Am schlimmsten war die
Stimmung im Süden des Landes, wo es zur Zer-
störung der Zollämter durch empörte Volkshausen
kam. Auch in Marburg und Fulda war die
Stimmung sehr böse. Hier in Kassel war es nicht
besser, aber man blieb auf dem Wege der Ordnung,
und die Zollbehörden konnten ihren Dienstobliegen-
heiten ungestört nachkommen, während die Regierung
im Hanauischen und Fuldaifchen auf die Erhebung
der Zölle verzichten und dafür eine Abfindung zahlen
lasten mußte.
Die Regierung sah nun endlich ein, daß sie
allein dem Lande nicht helfen konnte. Es wurden
Verhandlungen mit den Nachbarstaaten angeknüpft,
um durch gemeinsames Handeln der Not abzu-
helfen. Aber man kam zu keinem gedeihlichen
Ende. Bald verhandelte man mit Heffen-Darmstadt,
150 9mL,
bald mit Bayern, Württemberg, Baden und Nassau,
bald mit Hannover, Braunschweig und Oldenburg,
sogar mit dem gehaßten Preußen, aber stets gab man
die Verhandlungen wieder auf. Selbst den endlich
erfolgten Abschluß des mitteldeutschen Handels-
vereins, der aus Hannover, Kurhessen, Oldenburg
und Braunschweig bestand, hielt man nicht ein.
Es würde zu weit führen, wollte ich auf diese weit-
läufigen Verhandlungen näher eingehen. Es möge
genügen, darauf hinzuweisen, daß endlich am
25. August 1831 der Vertrag mit Preußen und
Hessen-Darmstadt abgeschlossen wurde, durch den
sich Kurhessen dem Zollverein anschloß, der damit
eigentlich erst ins Leben trat.
Kurhessen mußte nun seine Zolleinrichtungen mit
den preußischen in Übereinstimmung bringen. Als
Direktivbehörde wurde in Kassel eine Oberzoll-
direktion errichtet. Unter dieser standen 5 Haupt-
zollämter in Kassel, Karlshafen, Witzenhausen,
Hanau und Marburg, die nun die Zölle und bald
auch einige weitere, dem Zollverein gemeinschaft-
liche Einnahmen, nicht mehr allein für Kurhessen,
sondern für sämtliche am Zollverein beteiligte
Staaten erhoben, unter die sie nach der Kopfzahl
der Einwohner jedes Staates verteilt wurden. Die
Einrichtung dieser Hauptzollämter entsprach ganz
der preußischen, die sich seit 1818 bewährt hatte.
An der Spitze standen ein Oberzollinspektor, ein
Hauptzollamtsrendant und ein Hauptzollamtskon-
trolleur. Diese drei bildeten den Vorstand des
Amtes, daneben hatte der Oberinspektor besonders
den äußeren Dienst und die Abfertigungen zu über-
wachen, während die beiden anderen Hauptamts-
mitglieder die Kassengeschäfte des Amtes besorgten.
Die Zollabfertigung war Sache des Packhofsin-
spektors und der Hauptzollamtsassistenten, von denen
das Hauptzollamt in Kassel 5 erhielt, als zweite
Abfertigungsbeamte wirkte ein Anzahl dem Amte bei-
gegebener Steuerausseher. Das Hauptzollamt Kassel
hatte nur eine geringe Grenzstrecke gegen Hannover,
für die ihm die Nebenzollämter zu Sandershausen
und Nieste unterstellt waren. Während in Preußen
die Hauptzollümter nicht nur die Zollvereinsab-
gaben, sondern auch die in ihrem Bezirke fälligen
privativen preußischen Abgaben erhoben, konnte man
sich hierzu in Kurhessen nicht entschließen. Man
war aber wenigstens so vernünftig, den mit der
Erhebung der kurhessischen privativen indirekten
Steuern betrauten Ämtern die gleiche Einrichtung
zu geben, wie den Hauptzollämteru. Diese Ämter
hießen Provinzialsteuerämter und bestanden in
Kassel, Marburg, Fulda und Hanau. Sie waren
den Hauptzollämtern derart angegliedert, daß beide
Ämter nur einen gemeinsamen Oberinspektor besaßen.
Die Zollbeamten mußten übrigens auch ihre bis-
herige blaue Uniform ablegen und die preußische
grüne Zollsarbe annehmen.
Wie erwähnt, besaß das Hauptzollamt Kastei
eine Grenzstrecke gegen Hannover. Dieses König-
reich, das damals noch in Personalunion mit
England vereinigt war und völlig englischen Zwecken
diente, war dem Zollverein nicht beigetreten, da es
ein Haupteinfuhrland für die englischen Kolonial-
und Fabrikwaren war und aus dem Zwischen-
handel mit diesen große Einnahmen zog. Das
Kasseler Hauptzollamt erhielt dadurch eine erhebliche
Bedeutung, da nun auf der hannoverschen Straße
von Münden her eine sehr lebhafte Einfuhr eng-
lischer Waren nach Kassel stattfand. Äm Zoll-
haus auf dem Sandershäuser Berg, das bis vor
kurzem als Försterwohnung diente und vor dem
noch die Stemsitze zu sehen sind, auf denen die
Fuhrleute ihre Äbfertiguug erwarteten, wurden die
Warenzüge unter Begleitung bewaffneter Grenz-
aufseher nach Kassel auf den Packhof gebracht.
Dieser Packhof, in dem das Zollamt seit 1832
untergebracht war, hatte eine interessante Ver-
gangenheit. Das Gebäude war errichtet von
Friedrich v. Rollshausen, der l 552 an dem Feld-
zug Moritz' von Sachsen und Wilhelms IV von
Hessen gegen Kaiser Karl V teilnahm und sich beim
Sturm auf die Ehrenberger Klause auszeichnete,
dann 1562 mit 2000 Mann den Hugenotten in
Frankreich und 1567 mit einer Schar hessischer
Reiter Wilhelm von Oranien in den Niederlanden
zu Hilfe zog. Er hatte auf seinen Kriegsfahrten
ein bedeutendes Vermögen erworben, von dem er
auf seinem Gute zu Friedelhausen ein Schloß,
das er Kleinfrankreich nannte, und in Kastei an
der Fulda das Haus baute, das nach ihm der
Oberstenhof genannt wurde. Er starb als Hof-
marschall und Oberst der Kasseler Garnison. 1573
kaufte ihm Landgraf Wilhelm IV den Obersten-
hof ab. Landgraf Moritz der Gelehrte 'schenkte
den Hof seiner zweiten Gemahlin Juliane von
Nassau als Wohnung, nach der er den Namen
Nassauer Hof erhielt, der sich aber gegen den alten
Namen des Oberstenhofes nicht behaupten konnte.
1736 wurde das Gebäude vollständig erneuert,
war dann lange Zeit vermietet und diente teil-
weise als Wildbretschirne. 1757 wurde es zur
Abhaltung des katholischen Gottesdienstes für die
französische Garnison der Stadt benutzt. Dieses
Gebäude nahm nun, nachdem es abermals ganz
umgebaut, namentlich in seinem mittleren Teil
zu einer Zollniederlage eingerichtet worden war,
das Hauptzollamt auf. Das an dieses anstoßende,
bereits früher erwähnte Gebäude, das Amtshaus,
wurde abgebrochen, und es entstand so ein geräu-
miger, zur Aufnahme der Frachtwagen bis zu
r««L- 151 rML.
ihrer Abfertigung geeigneter Platz. Es war da-
mals nur noch von Landfracht die Rede. Der
Mündener Stapel war zwar im Jahre 1824 auf-
gehoben, aber die Schiffahrt auf der Fulda war
völlig eingegangen. Die hannoversche Regierung
hatte vor dem Einfluß der Fulda in die Weser ein
Wehr errichtet, das den Übergang der Schiffe aus
der Weser in die Fulda unmöglich machte.
Mit dem Anwachsen des Zollverkehrs bei dem
Hauptzollamte in Kassel hob sich auch der Miß-
brauch, der von einem gut gehenden Zoll un-
zertrennlich ist, der Schmuggel. Dieser war ja
auch in früherer Zeit getrieben worden, hatte aber
mehr an den Landesgrenzen stattgefunden, wo die
im 18. Jahrhundert häufigen Gaunerbanden auch
diesen verwerflichen Erwerbszweig betrieben. Kassel
war davon wenig berührt worden. Als die Kasseler
Festungswerke unter Landgraf Friedrich II. fielen,
hatte man zwar die Stadt zum Schutze gegen den
Schmuggel mit einer Mauer umzogen, ja um das
Jahr 1820 sogar in der Schönen Aussicht das häß-
liche und den Blick in das Kasseler Tal hindernde
Eisengitter zum Schutze gegen unerlaubte Waren-
einfuhr durch die Aue errichtet, dessen sich ältere
Kasselaner noch zu erinnern wissen; aber bedeutend
war der Schmuggel nie gewesen. Jetzt aber wuchs
er gewaltig an. Die benachbarten hannöverschen
Dörfer, namentlich Spickershausen und Landwehr-
hagen, betrieben das Schmugglerhandwerk in flotter
Weise. Gegen Spickershausen mußte ein besonderes
Wachthaus an der Fulda errichtet werden, die jetzige
Graue Katze, und wenn man die Wälder an der
Grenze auf dem Sandershäuser Berg bis hinunter
zum Kragenhof durchstreift, stößt man noch häufig
auf einsame, schmale Pfade, die aus jener Zeit
herrühren und auf denen die Waren ins hessische
Gebiet hinüber geschafft wurden. Förmliche Ge-
fechte mit Grenzbeamten und Schmugglern waren
nicht selten.
Dieser häßliche Zustand — denn der Schmuggel
ist. wie man an unserer Reichsgrenze noch heute
feststellen kann, imstande, ganze Gemeinden völlig
zu demoralisieren — hörte erst auf, als im Jähre
1854 Hannover dem Zollverein beitrat. Damit
verlor das Hauptzollamt Kassel auch wieder an
Bedeutung, die es erst allmählich durch die Er-
bauung der Eisenbahnen und das Aufblühen der
Stadt Kaffel wieder erlangte. Bon der Steuer-
verweigerung des Jahres 1850 war es wenig be-
rührt worden, da es ja seine Einnahmen nicht für
Kurhessen, sondern für den Zollverein erhob und
deshalb nicht, wie die anderen hessischen Steuer-
behörden, den Betrieb einstellen konnte. In eine
eigentümliche Lage kamen aber die hauptamtlichen
Beamten im Jahre 1866. Denn während Preußen
mit dem größten Teil der deutschen Staaten im
Kampfe lag, bestand der Zollverein ruhig weiter,
und wir haben das eigentümliche Vorkommnis zu
verzeichnen, daß die kurhessischen Beamten, während
die preußischen Truppen ihr Land feindlich besetzten,
die Zölle, die zum überwiegenden Teile Preußen
zugute kamen, ruhig weiter erhoben, wie dies
andererseits von den preußischen Zollbehörden
ebenso für Kurhessen geschah.
Mit der Einverleibung Kurheffens am 8. Ok-
tober 1866 trat das kurhessische Hauptzollamt
Kaffel in die Reihe der preußischen Behörden ein.
Da ja in der Einrichtung der kurhessischen und
preußischen Hauptzollämter bisher schon Über»
einstimmung bestand, so blieb bei dem Hauptzoll-
amt Kassel alles, wie es gewesen war, nur wurde
das Provinzialsteueramt mit ihm vereinigt, so daß
es nun auch die inneren indirekten Steuern erhob.
Demgemäß wurde der Name in Hauptsteueramt
umgewandelt. Der Bezirk des Hauptamts wurde
durch den des eingehenden Hauptzollamts Karls-
hafen und den schon früher erfolgten Wegfall des
Hauptzollamts Witzenhausen erheblich vergrößert.
Die Oberzolldirektion erhielt den Namen Provinzial-
steuerdirektion und dehnte ihre Tätigkeit über die
ganze neugebildete Provinz Hessen-Nassau aus.
So bestanden das Hauptsteueramt, das übrigens
später das baufällig gewordene Dienstgebäude an
der Fulda verließ und nach kurzer Unterbringung
in der Bahnhofsstraße im Jahre 1883 sein jetziges
Amtsgebäude in der Kölnischen Straße bezog, und
die Provinzialsteuerdirektion, deren Geschästsumfang
nach dem Aufgehen des Zollvereins im Deutschen
'Reiche, dem Aufblühen von Handel und Industrie
und dem weiteren Ausbau der Zölle und indirekten
Steuern sehr erheblich gewachsen war, bis zum
1. April 1908. An diesem Tage trat eine be-
deutende Änderung ein. Das Hauptsteueramt
erhielt wieder den alten Namen eines Hauptzoll-
amts und seine innere Einrichtung wurde in wesent-
lichen Punkten geändert. Die Provinzialsteuer-
direktion wurde wieder zur Oberzolldirektion, an
deren Spitze ein Präsident trat und deren Gebiet
auf die Hohenzollernschen Lande ausgedehnt wurde.
So sind aus dem kleinen Zollstock auf der Kaffeler
Fuldabrücke, an dem ein einziger Zöllner von den
vorüberfahrenden Fuhrleuten seine Abgabe erhob,
zwei Behörden entstanden, von denen die eine, das
Hauptzollamt, ganz Niederhessen in zöllnerischer
Beziehung verwaltet, während das Gebiet der
anderen, der Oberzolldirektion, von der Weser bei
Karlshafen bis jenseits des Bodensees zur Herr-
schaft Achberg zwischen Lindau und Bregenz reicht.
xmtL 152
Alte Denk- und Grenzsteine im Kreise Hünfeld und Umgegend.
Von P. Jllgner.
lSchluß.)
In die graue Vorzeit lenkt dieser „Buttermarkt"
unseren Blick, wenn wir Forschungsergebnisse von
Professor Stuhls berücksichtigen. Hölle, Helle,
Halle ist nach ihm eine Befestigung. Danach werden
wir auch den Helleberg zwischen Rasdorf und
Treischfeld als befestigten Zufluchtsort anzusehen
haben. Stuhl legt ferner dar- Vom deutschen
Norden kamen die Dieten, Deuten (Deutschen),
an die die in Österreich häufigen „Judendörfer"
erinnern. Aus Schweden und Norwegen aber
drangen nach Süden vor die „reisigen Recken", die
„Riesen" oder „Rosen", und gründeten die „Ros-
dörfer", die „Rosengarten". — War der „Dieten-
kirchhof" eine Befestigungsanlage des Hellenbergs?
Wurde die Niederlassung der Dieten zerstört durch
die „Rosen", die nun „Rasdorf" (781 „Rostorp"
geschrieben) gründeten und „Rosbach", in dessen
Gemarkung unweit des ehemaligen Adelssitzes
Rommelshausen das Waldstück „Rosengarten" im
Walde „Dörnig" am „Höllgraben" liegt?")
Aus „Butenmark" dürfte auch verdorben sein
der „Butlerwecksacker", der in Oberrombach um-
schlossen wird vom „Markacker" und angrenzt an
den Schaafberg in Rudolphshan, in Rudolphshan
am Wege zum Schaafberge steht ein großer alter
Stein ohne Inschrift, nach dem die kurhessische
Katastervorbeschreibung von 1859 die Bestimmung
„ober dem Markstein" enthält. Er steht aber von
der Grenze nicht unerheblich entfernt, es scheint
also, daß zwischen ihm und dem „Markacker"
früher eine fremde Gemarkung lag: die „Buten-
mark".
Aus dem Kreise Fulda sei noch ein Grenzstein
erwähnt. In Gemarkung Dipperz, aber von der
übrigen Gemarkung getrennt durch die „alte
Straße" (von Wisselsrod nach Friesenhausen), liegt
am Fuße des hohen Alschberges in seinem Acker
einsam der Alschbergerhof. An seiner Grenze mit
Kohlgrund stehen zwei kleine Steine mit der Be-
zeichnung: EI. 1733. Die Alten erzählen, das
sei die Grenze der verschwundenen Stadt Heigenfeld.
*) Stuhl, Auf Germanenwegen, in Grazer Wochen-
blatt 1911. Nr. 4 bis 6. — „Reisläufrr" hießen noch lange
die Söldner aus der Schweiz lvgl. List, Armanenfchaft 7).
— Vgl. Jllgner Kirchhofsbefestigungen, in Fuld. Ge-
fchichtsbl. 1912.
*) Damit vergleiche man, was eben über die Feldlagt
„am Steinkreuz" in Langenschwarz mitgeteilt ist: Dort soll
die Stadt „Halle" gestanden haben, unweit des „Kirmese-
bergS" und des .Totenwegs"; diese Namen erinnern an
den „Helleberg" mit dem Kirmesplatz der Treischfelder und
dem „Judenkrrchhof".
Arg lange schon muß sie verschwunden sein. Als
1011 der Erzbischof Erkanbald die Grabfeldgrenze
feststellte, lief sie zwischen den Marken von Dieters-
hausen und „Heigenfeld" durch die Hart. Nach
der „Aussage über Ried und Heigenfeld" von 1453
reichte die Heigenfelder Mark von der Dittrichs-
huser Mark bis an den Alesberg. aber Heigenfeld
wird hier schon als wostenonge bezeichnet und
der Aussagende bekundet: ime sie wol wissent-
lich daz etliche menner zu Ditrichshusen haben
buwelich gesessen, unde haben Heigenfeilt inne
gehabt und geerbeit.8)
Also zwischen 1011 und 1453 scheint Heigen-
feld untergegangen zu sein?)
Die Grenze selbst ist hiernach uralt. Wir be-
finden uns nahe der Grenze der Schenkung, durch
die Karlmann das Kloster Fulda begründet hat?)
Eine Vermutung betreffs dieser Grenze gestatte
man hier aufzustellen. Die Großen des Landes
wurden darüber gehört, ob sie Einwendungen er-
höben gegen Karlmanns Schenkung an das Kloster
Fulda. Widersprochen haben sie sicherlich einer
Ausdehnung des Schenkungsgebietes in ihre eigenen
Wohnbezirke hinein. Solcher Bezirk war mut-
maßlich der Alsberg mit Umgebung. Mit alah
übersetzte Bischof Ulfilas den „Tempel" ins Gotische,
alah bezeichnete Heiligtum und Zufluchtsort des
germanischen Stammes.8) Zur Fliehburg von
Natur geschaffen war der einsame hohe Alsberg,
solange wilder Wald und Dorngehege seine Er-
steigung erschwerte. Am Fuße des Berges wohnte
der Häuptling, der Große des Landes, mit seinem
Volke, und dies bewohnte Gebiet war vom Bann-
zaun umhegt, „gehegtes" Feld, „Heigenfeld". Vor
diesem Hag mußten die Mönche des Bonifatius
haltmachen. Die „alte Straße" und der „Höhe-
weg" führten durch die Waldwüften hindurch vom
bewohnten Heigenfeld zu anderen Orten, wohl als
s) Gegenbauer, DaS Kloster Fulda im Karolinger
Zeitalter, Buch 2, S. 14; S ch a n n a t. Buchonia vetus 327;
Grimm. Weist., Bd. 3. S. 390.
*) 1772 heißt eS in von GuttenbergS Kollektaneen
lHandfchr. der LandeSbibl. Fulda): „Die durch die AlS-
berger Koppelhut fast gänzlich vereitelte Beforstung des
Happelwaldes" Auch die Koppelhute, die gemeinfchaft-
lichen Besitz mehrerer Gemeinden ausdrückt, spricht dafür,
daß der Alschberg gemeinschaftlicher Zufluchtsort gewesen ist.
') Haas. Über Rübels Angriffe auf die bona Läes
der Gründer Fuldas, in Fuld. GeschichtSbl. 1909, S. 77.
") Arnold. Anfiedlungen S. 335; Stuhl. Auf
Germanenwegen, im Grazer Wochenbl. 1911, Nr. 22.
153 smtL>
Fortsetzung der seraita antiqua der alten Grenz-
beschreibung. 6)
Bis in die neuste Zeit, bis zur Verkopplung,
hat der einstige Herrensitz eine wirtschaftliche Spur
hinterlassen: Die ganze Gemarkung Dipperz war
belastet mit der landesüblichen gemeinschaftlichen
Hute aller Dorfgenofsen, frei von fremder Hute
war aber nach uralter Überlieferung der zum
Alschbergerhofe gehörige Ackerbesitz. Solche Hute-
freiheit gebührte dem zusammenhängenden Besitze
der Großen, namentlich auf dem vom Herrenhose
bewirtschafteten „Salgute"7), und darauf deutet
der Flurnamen „am Saalacker"
Unauffällige, aber offenbar sehr alte Steine
ziehen sich in Gemarkung Rasdorf, bei einem Ouett
nahe der Landstraße beginnend, über den Gipfel
des Hübelberges. Am Anfangspunkte dieser Stein-
reihe muß die Mark Rasdorf zusammengestoßen
sein mit den Gemarkungen der untergegangenen
Dörfer Fuchteborn, Rode°) und Morsberg, und
die in der alten Markbeschreibung von Rasdorf
erwähnte „Onheresquelle" begrüßt man wohl in
dem seltsamen Rasdorfer Flurnamen „am armen
Heinrich".
Eigenartig sind noch die „Bartfrauensteine"
Im Dorfe Bodes steht das stattliche „Bartfrauen-
haus", ausgezeichnet durch Schnitzwerk der Balken.
Hier wohnte die „Bartfrau", deren bärtiges Bild
im Schenckschen Schlosse zu Buchenau hängt?)
Geht man von Bodes nach Neukirchen, so trifft
man nicht weit hinter der ehemaligen Bodeser Tanz-
buche am Rodebiel neben dem Eichbergwalde einen
Grenzstein. Er trägt die Zahl 1689, den Eisvogel
(das Wappentier der von Buchenau), ein einfaches
Kreuz und darunter: G.VB. D. (jedoch der letzte
Buchstabe unsicher), oben ist in den Stein eine
Grenzlinie eingemeißelt. Der Stein heißt „Bart-
frauenstein". Außerdem Heht ein Stein mit dem
Bilde der Bartfrau im Freiherrlich von Schenck-
schen Walde zwischen Buchenau und Bodes.
An der Südseite des Ulmensteins, zwischen den
Gemeindewaldungen von Hofaschenbach und Mittel-
aschenbach, stehen fünf Grenzsteine mit der Zahl
1743?°) Der Wald, „die Ulmet", dürfte früher
beiden Dörfern gemeinschaftliche „Almende" ge-
wesen sein, die wohl 1743 gesondert wurde.
’) Landau, Das Salgut, S. 118; Arnold, Anfird-
lungen. S. 253.
°) Fundstücke aus diesen beiden Dörfern in der Alter-
tumssammlung zu Hünfeld.
') Mitteilung des Freiherrn von Schenck zu Schweins-
berg auf Schloß Buchenau.
'") Mitteilung des Hegemeisters Lorengel in Haselstein.
Von stattlicher Höhe sind die alten Landes-
grenzsteine. Sind sie nach den auf ihnen ein-
gemeißelten Zahlen noch nicht außergewöhnlich alt.
so waren die Grenzen doch schon viel früher vor-
handen. oft älter als die Herrschaften, deren Wappen
die Steine tragen.
Im Kreise Hünfeld finden sich fast nur Grenz-
steine zwischen Abtei Fulda und Kurhessenn), mit
der Zahl 1709 oder einer nur um wenige Jahre
abweichenden Zahl, auf der heutigen Grenze der
Kreise Hünfeld und Hersfeld. Sie zeigen auf
einer Seite (Hünfeld) das fuldische Kreuz, auf der
andern den kurhessischen Löwen. Solche Grenz-
steine stehen zwischen den Gemarkungen Soislieden
und Wehrshausen, zwischen Oberufhausen und
Unterweisenborn, dann auf einer Einsenkung des
bewaldeten Ringberges nahe Schloß Fürsteneck,
weiter am Landwege Wölf-Landeshausen, an der
Grenze zwischen Landeshausen und Wölf, endlich
an der Eitra innerhalb des Dorfes Bodes. Man
hat die in der Grenzbeschreibung der Mark Fürsten-
eck von 1461 ia) angegebene Grenzlinie vor sich.
Andere Hoheitssteine als die zwischen Kurhessen
und Fulda ls) sind im Kreise Hünfeld festgestellt
nur in Gemarkung Glaam.
An dem nach Ransbach, Kreis Hersfeld, hin
liegenden Waldorte „auf der Scheid" stehen mehrere
hohe Grenzsteine, der größte zeigt auf der Rans-
bacher Seite einen Löwen, die Zahl 1768 und
die Buchstaben A. L. D; auf der Glaamer Seite
das Kreuz, das im Wappen der von Mansbach sich
findet, und die Buchstaben V.G.R. (ober V. C. R.).
Offenbar handelt es sich um die Grenze zwischen
Kurhessen und der Herrschaft Mansbach.
An der Grenze der Gemarkung Glaam und
der weimarischen Ortschaft Unterbreitzbach steht an
der Breitzbach ein alter Grenzstein, der auf der
Unterbreitzbacher Seite anscheinend den Löwen zeigt
auf der Glaamer Seite ist ein geteilter Schild:
rechts zeigt er ein Rad mit vier Speichen und den
Buchstaben V M. (von Mansbach?), links ist ein
Kreis, in dem das Wappenzeichen nicht mehr er-
kennbar ist, mit den Buchstaben V. 6.
Noch viele solcher Steine mögen vorhanden sein.
Auch die alten Taufsteine und Bildstöcke könnten
mancherlei erzählen dem, der unscheinbaren Spuren
nachzugehen nicht verschmäht.
") Vgl. Heußner, Alte Grenzsteine bei Hersfeld. in
„Mein Heimatland" (HerSfeld) 1910 S. 59.
") Grimm WeiStümer 3, S. 880.
") Die Grenzen Fuldas wurden noch versteint 1775
mit Kurmainz, 1776 mit Hessen-Darmstadt, 1780 mit den
von Riedesel: von Guttenberg, Kollektaneen. Hand-
schrift der LandeSbibl. Fulda.
154
Luther auf der Wartburg.
(Nach einer Sage.)
1.
Was wirkst du, stille Frühlingsnacht,
So wunderweichen Traum?
Ich bin ein Mönch in Bann und Acht,
Hab' nirgends Ruh' noch Raum.
Ihr Buchen, die ihr schirmend reckt
Den Arm ob meinem Pfad,
Bedenkt, der in der Kutte steckt,
Ist schuldig schwerer Tat!
Du Springquell, eile flugs vondann.
Es haftet Fluch der Stätte an.
Der ich genaht.
Was hast du mir das Herz beschwert,
Thüringen, teures Land!
Mein Heim ist nicht von dieser Erd,
Es ruht in Gottes Hand. —
Einst hatt' auch ich ein heißes Herz,
Das schlug so wild und weit.
Run ist's umfchient mit starrem Erz,
lind sein Gebet heißt. Streit.
Herr Kaiser, rüstet das Schafott,
Es lebt ein Wort, cs lebt ein Gott
Ich bin bereit! -
Gefangner meines Dürsten bin ich worden,
Auf hoher Beste hält er mich tu Hast.
Dort singt der Wind in brausenden Akkorden
Sein ewig Lied von wundersamer Kraft.
Zu dunkler Nacht bei roten Fackelbränden
Zog ich hier ein. Des Burgmanns Töchterlein
Bot einen Trank mir dar mit weißen Händen,
Ihr Wänglein flammte unterm Fackelschein.
„Ist das der Luther" sprach sie hohen Mutes,
Und sah mich an. - Mir ward so wonniglich,
Ich fühlte jäh das Hämmern meines Blutes,
Das sonst so träg durch alle Adern schlich. —
Es fiel ein Korn keimfrohcr junger Saaten
Auf steinigt Land, fruchtlos von Anbeginn.
Fahr wohl — des holden Tranks muß ich entraten,
Ich schütt' ihn aus und dürste fürderhin. -
Kassel.
In meinem Thüringerwalde
Wie prangen Berg und Au!
Ich wollt', ich wär' ein Skalde
Könnt' singen, was ich schau'!
Die frischen Hügel glänzen
In sel'gem Maienlicht,
Und Blumen sich zu Kränzen
Die sanfte Wiese flicht.
Nun heischt auf grünen Straßen
Das Wandervolk sein Recht,
Der Kuckuck ruft ohn Maßen,
Es lacht der bunte Specht.
Da schwirrt's von tausend Geigen,
Drommetet, pfeift und trommt. —
Ich muh fein stille schweigen
Wie's dem Gefang'nen frommt.
Ich glaub', es hat der Böse
Sein Spiel mit meinem Wahn,
Daß er die Fesseln löse.
Die Gott mir angetan. —
In meinem Thüringerwalde
Wohnt eine süße Frau. -
Ich wollt', ich wär ein Skalde
Dürft' singen, was ich schau'
4.
Meinen Wangen wuchs ein blonder Bart,
Und sie haben Junker mich geheißen,
Und des Weidwerks, deß sie sich befleißen,
Sollt' ich üben nun nach Herrenart.
Zog ich rüstig aus mit Hund und Horn,
Armes Mönchlein, zag im Narrenkleide.
Keinem Tierlein tat ich je zu Leide,
Bin zum Zähmen besser als zum Zorn.
Hat ein Häslein, so mich recht erkannt,
Hilfesuchend just mich angesprungen,
Hab' mein' Mantel um das Tier geschlungen
Und mein zitternd Seelchen es genannt.
Doch die Hunde griffen's mir zum Spott,
Haben's zugericht' mit bösen Bissen.
— Meine arme Seele ist zerrissen
Bon des Teufels Krallen, Herre Gott. —
Karl Frhr. von Berlepsch.
Wä«L 155
Kassels Iahrtaufendfeier.
Vom Zauber tausendjähriger Erinnerung um-
woben. von der Sonne der Festfreude umstrahlt,
wird die Residenzstadt Kassel in den September-
tagen dieses Jahres den schönsten Festschmuck anlegen.
Durch den im besten Sinne volkstümlichen Grund-
ton der Tausendjahrfeier wird eine künstlerisch-
kulturelle Note durchklingen. Alles ist geschehen,
um die Feier so vorzubereiten, daß sie sowohl dem
verfeinerten Empfinden höherer Lebenskunst als
auch der überströmenden Festfreude der breiten
Masse Genüge tut. Die Kräfte des hessischen
Volkstums zu einer eindrucksvollen festlichen Kund-
gebung zusammenfassend, wird die Feier einen
fesselnden Ausschnitt des Gegenwartlebens der Stadt
darstellen, wie sie zugleich dem Gedächtnis einer
stolzen Vergangenheit geweiht ist.
Als einleitendes Vorspiel der Septemberfesttage
ist die deutsche Kunstausstellung gedacht, die vom
15. Juni bis 1. September im Orangerieschloß
in der Karlsaue stattfindet. Wie die besten Namen
der bildenden Kunst Deutschlands vertreten sein
werden, so wird besonders die hessische Künstler-
schaft sich vollzählig daran beteiligen. Au ihrer
Spitze Hessens bedeutendster Maler, Professor
Bantzer, mit seinem berühmten Schwälmer Bauern-
tanz, und der bekannte hessische Bildhauer Adolf
Hildebrand mit einer Bismarckbüste. Die Aus-
stellung verspricht ein umfassendes Bild des heutigen
deutschen Kunstschaffens zu geben und gestaltet sich
somit zu einem interessanten Gegenstück der alten
Kunstsammlungen Kassels in der Gemäldegalerie
und dem hessischen Landesmuseum. Die im August
erfolgende Einweihung dieses Museums ist gleich-
falls in den Kreis der Tausendjahrveranstaltungen
einbezogen, ebenso wie die im September zu er-
wartende Eröffnung der neuen, 5000 Personen
fassenden Stadthalle.
Dem weiter gezogenen Rahmen der Tausendjahr-
feier gehören auch die von den 14er Husaren,
11er Feldartilleristen und 83er Infanteristen be-
absichtigten 100jährigen Gründungsjubiläen an.
Diese eng mit ihrem Garnisonort Kassel ver-
wachsenen Regimenter werden in den Tagen vom
3.-5. Juli, 6.-7 und 16. —17 August ihrer
ruhmreichen Geschichte gedenken. Zu den Feiern
sind die früheren Regimentsangehörigen eingeladen.
Mit dem 27 September setzen die Hauptfestlich-
keiten der Tausendjahrfeier ein. Die Aufführung
des preisgekrönten Festspiels in der Stadthalle
durch Damen und Herren der Bürgerschaft steht
im Vordergrund des ersten Festtages. Im Hof-
theater wird eine Festvorstellung Jacobis Schau-
spiel „Chasalla' bringen. Vormittags sind Schul-
feiern vorgesehen, die städtischen Körperschaften
werden sich im Rathause zur festlichen Sitzung
versammeln. Im Lause des Nachmittags werden
die frischen Stimmen von Kassels Schuljugend auf
dem Friedrichsplatz in Massenchören erklingen.
2000 mit Lampions ausgerüstete Sänger werden
abends nach einem Umzug dem auf dem Friedrichs-
platz zu errichtenden Chasallastandbild in Form
einer Serenade eine imposante musikalische Huldi-
gung darbringen.
Der zweite Tag, ein Sonntag, wird durch Fest-
gottesdienste dem festlichen Ereignis die kirchliche
und religiöse Weihe geben. Mittags erfolgt der
historische Frstzug durch die reich geschmückte Stadt.
An dem Zug werden sich etwa 2000 Personen be-
teiligen. In 20 von Künstlerhand angeordneten
Gruppen werden die kulturgeschichtlich hervor-
ragendsten Momente aus Kassels Entwickelung
vom einstigen Königshof Konrads I. zur heutigen
Großstadt in malerischen Bildern vorgeführt.
Abends finden Festaufführungen in der Stadthalle
und im Hoftheater statt.
Während sämtlicher Festtage wird sich auf dem
Bowlinggreen in der Karlsaue das rege fröhliche
Treiben eines Heimatfestes abspielen. Die den
Charakter einer hessischen Kirmes tragenden volks-
tümlichen Veranstaltungen werden mit sportlichen
Vorführungen der Jugend und der Sportvereine
verbunden sein. Als Haupttag des Heimatfestes
ist der dritte Festtag, Montag der 29. September,
bestimmt. Die Landbevölkerung wird in ihren
originellen heimischen Trachten erscheinen. Das
Ganze wird einen reizvollen Einblick in das hessische
Volksleben gewähren und einen poesievollen Aus-
klang der Festlichkeiten bedeuten.
Für eine großzügige Durchführung des oben ge-
schilderten Festplanes bürgen."die sorgfältigen Vor-
bereitungen, wie auch die Begeisterung, mit der
Bürgerschaft und Künstlerwelt der Residenz sich
den mannigfachen Aufgaben des Festes widmen.
Man darf daher einen glanzvollen Verlauf von
Kassels Ehrentagen erhoffen, umsomehr, als die
in der Fremde lebenden zahlreichen Hessen des Jn-
und Auslandes ihr lebhaftes Interesse bekundet
haben.
R. Spangenberg.
156
Ihr Burgen int Lande zu Hessen!
Von Dr. Georg Fink.
(Schluß.)
Auch die Starkenburg da drüben ward von
der Abtei erbaut. Heute stark zerfallen, lädt auch
sie den Freund der Burgen und der Berge. Doch
stets wird er mehr in Auerbachs Ruine den Typ
der Ritterburg erblicken. Und der Kenner müht
sich, mit Blei und Spaten ihre Mauern zu er-
gründen.
Den Melibokus säumt von hier ein ebner Weg.
der Herrenweg geheißen. Der Laubwald nimmt
ihn auf. Links unten in friedlichem Waldgrund
schaut des Heilands Kreuzbild herab auf den Ka-
pellenrest zur heiligen Not Gottes. Und weiter
um die Tale schlängelt sich der Weg. Ein knappes
Stündchen, und ein Zinnenkranz lugt über die
Baumwipfel. Das ist Burg Bickenbach, jetzt A l s-
bacherSchloß genannt. Auf einer Vorhöhe des
Malchen ist's bis auf die Krone in den Wald ge-
taucht. Wenn erst sein Eingang über eine Lichtung
sichtbar wird, dann freut sich der Wanderer der
stattlichen Reste, die er nicht vermutet. Durch die
äußere Wehrmauer, durchs innere Tor führt der
Pfad hinein zum Hof. Die Wohnburg liegt ruinen-
haft, der Turm steht wohlerhalten mit schönem
Blick über die Wälder. Von grausam Jagdspiel
erzählt ein Bildnis. Des Landgrafen Jäger hetzten
einen Hirsch hinauf zur Burg, und auf der Mauer,
die er in Angst erklommen, erreichte ihn der Schuß. —
In selbem Schloß aber bot des Großmütigen Philipp
Freundschaft landflüchtigem Mann ein stilles Asyl.
Von seinem Volk verstoßen, von Feinden bedroht,
verbrachte Ulrich von Württemberg gedankenschwere
Zeit im Frieden der Burg. Die Eschstruth entlieh
Hauffs Lichtenstein Farben für den irrenden Fürsten,
wie er unerkannt von Schloß Bickenbach aus die
Gegend durchstreift. Burg Jossa stand da noch
als feste Wehr — heut nur noch ein Häuflein
Steine oberhalb Jugenheim.
Ein schlanker Zug feingeformter Höhen zeigt
sich die Bergstraße dem Wanderer im Ried. Eine
Burg fast gänzlich verschwunden im Waldesgrün,
nur noch mit den Zinnen das Laub überragend;
wieder eine mit starkem Rundturm auf freierem
Kegel, oder gar stattlich mit verschieden gekrönten
Türmen einladend, beleben die alten Rittersitze das
Bild. Näher Darnistadt blicken zwei wohlerhaltene
Türme mit Schieferhelmen über den Wald. Ist
sie gar heute noch ein bewohntes Schloß, die Burg
Franken st ein? Köstlich duftet der Laubwald,
den wir aufwärts durchschreiten. Steil auf streben
die gewaltigen Mauern der Burg. Aber die Nach-
kommen der Ritter, die in der kleinen Kapelle
von ehrwürdigen Grabtafeln aufblicken, haben zer-
fallende Mauern verlassen, bald nach dem großen
Krieg, als des Hauptstamms letzter Mannessproß
schon über ein Säkulum in der Familiengruft zu
Niederbeerbach schlief. Die festen Türme blicken
auf eine Ruine herab. Kernfrisches Leben hat einst
hier gehaust. Kühnheit wuchs zu Verwogenheit
und wohl gar zu frevler Tat. Seinen St. Georg
soll der Frankenstein gehabt haben, der ein gequältes
Volk von räuberischem Lindwurm erlöste. Aber
später — so kann man wohl hören — raubten die
Junker selbst und schlugen der Menschheit Wunden,
als das Rittertum vom Stegreif für edles Gewerbe
galt. — Auf der Frankfurter Heerstraße wirbelt
der Staub. Da öffnet sich das schwere Tor des
Franken stein, und panzerfest fliegt der Troß, die Vi-
siere geschlossen, zu Tal. Was hilft da Wachsamkeit
der Kaufmannskarawane und reißige Wehr? Aus
dem Hinterhalt der Tannen brechen die Ritter im
Sturm. Und gefangen werden die schwerbeladenen
Wagen bergan gezerrt. Hinter ihren tiefen Rad-
geleisen schließt sich das feste Tor . . .
Ist das Dichtung, ist es Wahrheit? Ich will
es nicht untersuchen. Nur leis klingt solche Mär
an. Ihre Stätte ist ein Ausflugsort geworden,
wo man Aussicht genießt und Kaffee trinkt. Doch
einzelne Gestalten der ritterlichen Sage leben fort,
und ihr geheimnisvoller Zauber bewegt den Lands-
mann wie den Gast. Folgt mir nach einem fernen
Winkel des Odenwaldes!
Im Grunde versteckt liegen die Reste des R o d e n-
st e i n, von Sagen umwoben, wie sie jetzt der Wald
verbirgt, daß du sie suchen mußt. Von diesen
moosigen Mauern, von diesen bröckelnden Bogen
bleibt das helle Licht der Geschichte fern. Hier
hat die Dämmernis der Sage ihr Reich. Von
dem Ritter raunt sie, dem unsteten, der all sein
Gut vertan. Und wie einst der Becherstarke, trinkst
du den Rodensteiner Willekumm — aber nicht in
seinen Mauern, seitab in einem Wirtshaus, das
deinen Traum nicht stört. Hier wär es Frevel,
eine Schenke aufzuschlagen. Einsam muß hier der
Herbststurm seine Blätter streuen, daß das Ver-
gangene sich regen kann. Wenn er bei sinkender
Nacht die Bäume biegt, die Kronen rauschen und
die Stämme knarren, die Wolken gespenstisch über
das Tal eilen, dann ist sie in den Lüften, die
wilde Jagd. Der Odenwälder Bauer hört das
Hifthorn gellen, die Schwerter klirren an die
Brünnen beim Hufgetrappel der stürmenden Roffe.
Umschwärmt von kläffender Meute, geht der Zug
tmtL 157
zum Schnellerts stracks durch die Luft. Knarrend
öffnet sich das Kainsbacher Scheunentor — hui,
saust die Jagd hindurch. Im pfeifenden Sturm
vergeht der Spuk. Der hessischen Sage irrender
Ritter, der Rodensteiner, hält auf dem Schnellerts
Friederast.
In Scheffels launigen Liedern lebte der Alte
mit den Jungen fort. Da ist er der unersättliche
Zecher, den der Durst ruhelos umhertreibt. Kein
Wunder, wenn die durstige Schar der Studenten
mit Hingabe die flotten Kneiplieder singt! Und
im Umkreis feiner Alma mater findet der hessische
Musensohn Burgen genug, in deren Mauern sein
Sang den Sagenhaften rufen kann.
Selten hat eine Burg so nachhaltig der Zeit
getrotzt und ihren Stürmen, wie der G l e i b e r g.
Noch im vorigen Jahrtausend von der Konradiner
altem Stamm gegründet, hat er Jahrhunderte
hindurch seine Herren geschützt, bis der dreißig-
jährige Krieg seine Mauern brach. Wenn aber
heute wieder die Veste trutzig in die Lande schaut,
so haben sie die baulichen Kräfte der Neuzeit für
ihre Ausdauer belohnt. Und die Neuzeit lebt mit
dem Gleiberg ein fröhliches Leben. Oft schickt die
Ludwigsuniversität zu seinen Füßen ihr liederfrohes
Volk hinauf. Dann beleben die bunten Mützen
das Grau der Mauern mit allen Farben. Und
wie einst die Burg Schwert und Speer ihrer Ritter
sah, so blickt sie jetzt auf die blitzenden Schläger
des kecken Nachwuchses und erwacht aus ihrem
Traum. In allen hessischen Gauen sitzen sie, die
mit Veste Gleiberg fröhliche Erinnerungen ver-
binden. Und wenn sie die alte Burschenherrlichkeit
wieder fühlen wollen in der Stadt ihrer Jugend,
dann wird auch dem Gleiberg sein Gruß — „euch
hab ich nimmer vergessen!"
Im Umkreis hat sie ihre Genossen, die Burg.
Vetzberg und Staufenberg grüßen von be-
nachbarten Höhen. Eine aber hat ihre stillen Ver-
ehrer, die mit feinem Sinn ihre schlichte Poesie
erfassen nahe der Chattenstadt, in niederem Grunde
gelegen, die Bad en bürg. Ein kleiner Weiher
bespült ihren Fuß. Und wenn in dem toten Wasser
die grauen Enten ängstlich ins Schilf huschen, wenn
du durch die Fensterhöhlen der zerfallenen Mauern
hinunterblickst, und drüben liegen im letzten Abend-
schein die gefallenen Ähren der Ernte: dann redet
die stille Ruine eine Sprache mit der Natur,
flüstert das Lied vom Vergehn. Und er, mit dem
ich dorten saß, der die Badenburg seine Freundin
nannte, er ist auch schon dahingegangen — in
seinem Sommer.
Wo seid ihr jetzt, fröhliche Lieder der Burschen?
Doch! von drüben her tönt Gesang; aber er klingt
elegisch. Der Abend senkt sich auf das Chatten-
land. Und der Mond liegt mit seinen Strahlen
auf den Burgen der Höhe. Die Reste der Baden-
burg werfen bläuliche Schlagschatten auf die Niede-
rung. —
Weit über die Grenzen des deutschen Vater,
landes hinaus geht der Ruf von Bad Nauheim.
Tausende strömen dort aus aller Herren Länder
zusammen, um an den Heilquellen ihren Sommer
zu verbringen. Und darum ist auch das Bild
einer deutschen Stadtburg besonders bekannt. Wie
oft wendet der Nauheimer Badegast seine Schritte
nach Friedberg zu! Stolz und schmuck hebt
sich da der Adolfsturm vom Himmel ab. mit seiner
freiaufstrebenden Spitze und den zierlichen Seiten-
türmchen. An die Burg angelehnt liegt mit der
prächtigen Liebfrauenkirche die einst reichsfreie
Stadt. Dem Besucher der Burg entrollen ihre
Bauten mit den schmucken Wappenschildern ein
Wechsel- und sturmvolles Stück Städte- und Adels-
geschichte, erzählen von des römischen Kaisers
Majestät, von dem Stolz freien bürgerlichen Gemein-
wesens. von der Macht der Ganerben und von
ihren schließlich siegreichen Fehden mit der Stadt.
Friedberg ist die Stadt der Wetterau. Seine
Burg steht als Wahrzeichen in diesem fruchtbaren
Landstrich, der Heimat einer kerndeutschen, gold-
treuen Bevölkerung. Weiter nördlich hebt sich aus
diesem Wellenland die Ruine Münzenberg,
die keinen flotten Adolfsturm aufzuweisen hat,
aber zwei nicht minder charaktervolle schlichte
Gesellen, die allseits weithin sichtbar, dem Volke
lieb und traut sind und der Burg in seinen!
Munde den Vergleich mit einem Tintenfaß ein-
getragen haben. Weit war bereits Münzenbergs
Zerfall vorgeschritten, als endlich die Ganerben
die wertvollen Reste schützten, den romanischen
Pallas der Stauferzeit und die schmucken Zeugen
der Gotik. Die Burg grüßt hinüber nach dem
Zisterzienserkloster, das der fromme Sinn der
Münzenberger Herren ins Leben rief. Der Türme
Plattform schaut die Rhön wie den Spessart, den
Westerwald und den Vogelsberg, zu dessen Basalt-
kegel sich schließlich die Hügellinie der Wetterau
hinanschwingt.
Der Vogelsberg weiß heut noch manches Schloß
reichsfreier Herren. Doch wenn wir von den Toten
reden, die poetischer Geist neu belebt, dann schauen
wir nach U l r i ch st e i n, dem weltfernen Städtchen,
deffen Burgreste der schneidende Wintersturm um-
braust.
Das Volk macht aus dem friedlichsten Nest eine
Mördergrube und dichtet die Burg redlicher Ritter
zum Raubschloß. Schreckmären, die im Winter-
dämmerstunden der Großvater am Ofen dem Enkel
erzählt, bildet die Phantasie zur Geschichte. Liegt
**#6 158
heute die Burg in Trümmer, die ehemals Hessen
aus dem Weg friedlichen Kaufes zu seinem Eigen
machte, so hat sie der Landgraf erobert und zerstört.
Hat auf Ulrichstein der landgräfliche Sproß Graf
von Diez ein lockeres Leben geführt, so war er
ein Raubritter. Und entfernten jenen seine Halb-
brüder durch einen frischen Handstreich, so haben
sie ein Raubnest geschleift. Aber die düstere Sage
steht dem kleinen Städtchen im Wetterwinkel unseres
Hessenlandes wohl an. Denke dir, du stehst auf
einer geschleiften Raubritterburg, und erhaben durch-
weht dich das Gefühl der waltenden Gerechtigkeit
um der bestraften Schnapphähne willen. Anders,
wenn du weißt, daß heute noch hier ein fester
Wehrbau der Zeit trotzen könnte, hätte nicht un-
historischer Sinn sich an diesen Mauern vergriffen,
wo jetzt unwirtlich das Wetter das Zerstörungs-
werk der Menschenhand vollendet.
* *
*
Sind sie das alle, die Burgen, die Hessens
Gaue schmücken und von ihrer Geschichte zeugen?
Ach nein' Wenig nur sind wir über die Grenzen
des Darmstädtischen hinausgegangen, und selbst
im Großherzogtum zogen nicht alle an unserem
Auge vorüber. Noch ragt in Rheinhessen mancher
Rittersitz — wer könnte Landskron vergessen,
ihre langgestreckten Mauern, durch deren öde
Fensterhöhlen des Himmels Wolken hinabblicken
in den Rhein zu Oppenheim! Und all die kleineren
Vesten und Warten in den Rebenhügeln des
hessischen Weinlandes, dessen fröhliches Volk sie
bauend und erntend umschwärmt! Noch manche
Ruine steht in Oberhessen und Starkenburg; viele
Stätten noch weiß man, da eine gewesen, deren
Namen fortlebt. Und gar in den Landen, die
heute der rot-weiße Löwe nicht mehr beherrscht!
Um Marburg darfst du noch weiter suchen. Gar
manche findest du in den Gauen von Kassel und
Hersfeld. Wer könnte sie alle nennen, alle be-
schreiben, Preisen!
Zürnt nicht, ihr Burgen der Heimat, wenn
heut euer Volk anders geartet um euch lebt als
vormals! Noch jetzt sind und erstehen euch Be-
wunderer, Freunde. Aber auch jene, die nicht
nach eurer Vorzeit fragen, nicht euren Reiz zu
würdigen verstehn, die nur in euren Mauern
fröhlich sind, laßt sie! Einst schütztet ihr euer Volk
— ihr habt es überdauert und seid eurer Pflicht
ledig. Dem heutigen Volke dient ihr zur Freude.
Ob aber der Lebende sich a n euch freut oder i n
euch, er genießt euer — und der Lebende hat recht!
--------------
»Dürre Hunde".
Wenn man der Erhaltung hessischer Eigentümlich-
keiten das Wort redet, so darf man auch nicht an
Minderwichtigem, wie es z. B. eine Wurst bei ihrer
völligen „Wurschtigkeit" sein könnte, vorübergehen.
Ich kämpfe schon seit einigen Jahrzehnten an gegen
die in Kassel und nächster Umgebung üblich gewordene
Bezeichnung einer hessischen Wurstart mit „dürre
Runde" anstatt mit deren altem Namen „dürreHunde".
Die alten Hessen in Stadt und Land kannten bis
vor 30 Jahren an sogenannten trockenen Würsten,
d. h. an solchen, die aus reinem Schweinefleisch her-
gestellt waren, nur „Hammerstiele" und
., dürre Hunde" Die ersteren waren gerade
dickere Würste, den käuflichen Zervelat-
Würsten ähnlich, letztere dagegen dünnere
Würste, die bei der Anfertigung zwar
rund waren, aber dadurch, daß sie in der
Mitte nochmals durchgebunden wurden, sich
bei längerem Hängen gerade zogen und
schließlich zwei paralelle gerade Stangen
bildeten, wovon jede Stange dann zum
Dürrer Hund Frühstück eines alten Hessen gerade aus»
hessischer Art reichte. Diese Würste wurden durch das
fortgesetzte Eintrocknen „so dürr wie ein Hund"
und erhielten deshalb den Namen „dürre Hunde".
Diese Bezeichnung ist übrigens in weiterer Entfernung
von Kassel, z. B. im Kreise Fritzlar, noch heute durch-
weg üblich. Diese dürren Hunde schmecken besonders
vortrefflich, wenn sie nach zwei bis drei Tagen aus
dem Rauch genommen und, entweder gebraten oder
gekocht, gegessen werden. Die übrigen bleiben im
Rauchfang hängen.
Nun entwickelten sich vor einigen Jahrzehnten in
Kaffel kaufmännisch betriebene Wurstgeschäfte, die
ihre Waren zumeist aus Thüringen bezogen, wo die
fabrikmäßige Herstellung der Wurst zu- ÖÖ
erst eingesetzt hatte. Thüringen kannte
aber keine hessischen „dürren Hunde",
die dort hergestellten dünnen trockenen Al M
Würste waren nicht, wie die hessischen Jfj
„dürre Hunde", in der Mitte durch-
gebunden, blieben also auch in der Folge Thüringisch-
rund und gaben so den erwähnten Wurst.
Geschäften Veranlaffung, sie in den Anpreisungen
in den Tagesblättern in Anlehnung an die hessische
Bezeichnung „dürreHunde" als „dürre Runde"
anzubieten.
Natürlich wurde dieser für Heffen neue Ausdruck
von der großen Menge gedankenlos nachgesprochen,
entweder weil man. wie die Eingewanderten, es nicht
159 9«K&
bester wußte, und auch, weil die Bezeichnung „Runde"
schicklicher und vornehmer klang als „Hunde", oder
weil es eben in der „Zeitung" so gestanden hatte.
Ja, selbst alte Heffen, die über 50 Jahre ihres Lebens
„dürre Hunde" gesagt hatten, gebrauchten fortab,
um gebildet zu erscheinen, die neue Bezeichnung
„dürre Runde".
„Dürr" bezeichnet an sich entweder das, was ohne
Feuchtigkeit oder das. was ohne Fettigkeit ist, und
so ist dürres Fleisch nach Vilmars Idiotikon ent-
weder geräuchertes Fleisch. ..Dürrfleisch" (schon in
einem Ernteregister von 1391 belegt) oder mageres
Fleisch ohne Fettanhang, im Gegensatz zu Fett,
Speck usw.
Natürlich läßt sich der Zusammenhang dieser
nur in Niederhessen vorkommenden Wurstart mit
dürren. Hunden heute angesichts der überall umher-
laufenden fetten Köter nicht mehr finden, aber es
lebte sich nicht immer so üppig im deutschen Vater-
land, besonders in Hessen, und es gab Zeiten, noch
vor 50 Jahren, wo die Hunde sehr dürr waren
und sie Fleisch wohl zu sehen, aber nicht zu fressen
--------
Aus Heimat
Marburger Hochschulnachrichten. Am
19. Mai beging der Professor der Chemie, Geheim-
rat vr. P h. Z i n ck e. der fast ein Menschenalter
unserer Universität angehört (vgl. „Hessenland"
S. 128), seinen 70. Geburtstag. — Nach beendigter
Immatrikulation ergab sich für dieses Sommer-
semester eine bisher noch nie erreichte Zahl von 2409
Studierenden, darunter 163 Frauen (Philologie
242, Philosophie 1103 Männer und 139 Frauen,
Medizin 522 Männer und 24 Frauen. Rechtswissen-
schaft 379).
Personalchronik. Beim letzten Sängerwett-
streit in Frankfurt wurde ein geborener Hesse, der
Vorsitzende des Berliner Lehrergesangvereins Lehrer
Adolf Zissel Träger der Kaiserkette. Ziffel
stammt jedoch nicht, wie mehrfach berichtet wurde,
aus dem Kreise Frankenberg, sondern aus Wollmar
im Kreise Marburg.
Die allgemeine deutsche Kunstausstellung
in Kassel aus Anlaß der Tausendjahrfeier der Residenz-
stadt wird in umfassender Weise die deutsche Kunst in ihren
Hauptvertretern zur Anschauung bringen. Sie wird etwa
450 Gemälde. 75 Plastiken und 3 —400 graphische Kunst-
werke enthalten. Speziell hessische Künstler find daran mit
200 Gemälden. 160 graphischen Arbeiten und 42 Plastiken
beteiligt. Zu den hessischen Plastikern rechnen auch die
Bildhauer Rechberg-Paris und Prack-Frankfurt. Bon
bekamen, und wo der Bürgersmann kaum des Sonn-
tags ein Stückchen Fleisch für sich selbst in den Topf
tun konnte. Noch schlimmer erging es den Hunden
während und nach dem dreißigjährigen Kriege, wo
die Dörfer und Menschen dezimiert wurden, die
Hunde aber in großen Mengen hungernd umherliefen
und auffielen durch ihr dürres Aussehen. Damals
ist wohl die Bezeichnung „so dürr wie ein Hund"
entstanden und dann auch auf anderes übertragen
worden, sobald es eben so dürr war wie ein Hund.
Und was lag nun näher, als die dürren, zu-
sammengetrockneten Würste so zu benennen, schon
mit Rücksicht darauf, daß ihre Haut die gleichen Ein-
schrumpfungen zeigte, wie das Fell des dürr ge-
wordenen Hundes.
Was also ein rechter Hesse ist, der benennt diese
herrlich schmeckenden „dürren Hunde" auch heute
noch mit dem von den Vorfahren überkommenen
Namen, zumal die Zeit nicht mehr fern ist, wo diese
Wurstart unter Denkmalschutz gestellt werden muß
und das letzte Paar vielleicht nur noch im hessischen
Landesmuseum ausgehängt sein wird.
Franz X. Schmidt.
---------
und Fremde.
Karlsruhe wird man hier eine größere Kollektion graphi-
scher Kunstwerke antreffen. Bantzers „Bauerntanz" und
andere Werke dieses Künstlers kommen aus Privat» und
öffentlichem Besitz zur Ausstellung. Ebenso hat Max
Kli nger eine Sammlung Gemälde und Plastiken zugesagt.
Der Berliner Bildhauer Hahn sendet seinen Bronzereiter,
Adolf Hildebrand eine Bismarckbüste. Von weiteren
hervorragenden Künstlern, die die Einladung zur Teil-
nahme angenommenchaben. sind zu nennen: Brütt, Franz
Stuck. Dettmann, Olde. Thoma Slevogt usw.
Die Ausstellung wird bekanntlich in den Räumen des
OrangerieschloffeS in der Karlsaue stattfinden, von dem auch
die sonst nur Wohnungszwecken dienenden Seitenflügel zur
Verfügung stehen. Gerade die letzteren Räume eignen sich
vorzüglich für die Unterbringung der graphischen Arbeiten.
ES sollen auch Abonnements für die ganze Dauer der
Ausstellung ausgegeben werden. Man darf erwarten, daß
die hessischen Kunstfreunde namentlich von diesem Vorteil
Gebrauch machen und sich in die demnächst auszulegenden
Listen recht zahlreich eintragen werden.
Todesfälle. Am 13. Mai verstarb zu Kassel der
ehemalige kurfürstliche Hoflakai Georg Gerhardt im
75. Lebensjahre. Mit ihm ist wieder ein Stück Alt-Kassel,
ein Stück Kurheffen dahingegangen. Er gehörte zu den
Dienern des letzten Kurfürsten, die in seiner Umgebung dessen
letzte Tage miterlebt und ihrem fürstlichen Herrn allezeit ein
getreues Andenken bewahrt hatten. Reich war die Fülle
seiner Erinnerungen, und wer den alten originellen Herrn
je einmal an seiner Stammtischecke in der „Post" hat
plaudern hören, wird sich seiner humorvollen, wenn auch
160
5rankenberg, Blick vom Goßberg.
mitunter etwas fabulierenden Erzählung-kunst stets gern
erinnern.
Nach schwerem Leiden verschied am 20. Mai zu Kassel
Fräulein Marie Ganslandt die sich, als Tochter
eines hessischen Richters geboren und ursprünglich für den
Lehrerinnenberuf ausgebildet, ein Menschenleben hindurch
mit seltener Aufopferung dem
Dienst der praktischen Nächstenliebe
gewidmet und dadurch in weitesten
Kreisen ein dauerndes Andenken
gesichert hat.
Aus Hersfeld. Hier fand
zu Pfingsten der erste F a m i l i e n -
tag der Familie Schimmel-
pfeng unter dem Vorsitz des Herrn
Kabinettsrat Adolf Schimmel-
pfeng aus Berlin statt. Aus allen
Teilen Deutschlands und aus dem
Ausland waren Familienglieder
erschienen, denen frohe Festes-
stunden Gelegenheit gaben zu
gegenseitigem Sichkennenlernen
Am zweiten Feiertag gab's eine
geschäftliche Sitzung, in der die
Familie sich ihre Vertreter zur
Erledigung der Arbeit und zur
Bearbeitung des Stammbaumes
wählte. Fröhlich und gesegnet sei
der weitere Gang dieser alten kur-
hessischen Sippe!
namentlich der in Hessen ansässigen und verbreiteten im
Druck und Selbstverlag herausgegeben. Dir Ermittelungen
erstrecken sich aus einen Zeitraum von über 600 Jahren.
Das 192 Druckseiten starke Werk ist mit familiengefchicht-
lichen Abbildungen, wie solchen von sehr alten noch vor-
handenen Grabdenkmälern. Gemälden. Städteanfichten. Hand-
schriften Faksimiles mit Ab-
drücken von Urkunden Leichen-
prrdigten usw. ausgestaltet. Außer-
dem ist das aus 1580 herrührende
Familienwappen in großemKunst-
buntdruck und in kleinerem
Schwarzdruck, sowie eine ausführ-
liche Stammtafel beigegeben. Das
Namensverzeichnis umfaßt 770
Personen das Ortsverzeichnis
197 Städte und Ortschaften. Das
Werk wird broschiert zu 10.50 M.
und fein gebunden zu 12.50 M.
abgegeben.
Familiengeschichte. Rech-
nungsrat Stamm in Frankfurt
a. M. hat daS umfangreiche Er-
gebnis seiner vieljähngen For- . .
schung über die Familie Stamm, Rathaus und Kriegerdenkmal in 5rankenberg. bauliche
Aus Neustadt. Der Junker
Hansen-Turm wurde von dem
Landrat von Gilsa, dem Kreisbau-
inspektor Verlor' aus Kirchhain,
dem Bezirkskonservotor. Professor
von Drach nebst einem Oberregie-
rungsrat aus Kassel. sowie einem
Ministerialdirektor aus Berlin
besichtigt. Auf Staatskosten wurde
der. um das Jahr 1489 von dem
hessischen Hofmeister. Junker Hans
von Dörnberg erbaute Turm einer
gründlichen äußeren Renovation
unterzogen; die Kosten belaufen
sich auf über 6000 Mark. Innere
Veränderungen stehen
161 sE-
noch bevor. Das alte Bauwerk hatte auch vor zwei Jahren
das Interesse des Kaisers gefunden, auf dessen Anordnungen
seiner Zeit Photographien angefertigt und dem Zivilkabinett
eingereicht wurden. Jedenfalls find die vorgenommenen
Reparaturen auf die Initiative des Kaisers zurückzuführen.
Als würdiger Reprä-
sentant einer fast ver-
gefsenen Zeit erhebt sich
der Turm frei neben
dem Schlofie in einer
Höhe von 152 Fuß.
L iterarifches.
Pestalozzis Liebe.
In einem Dorfe Sie-
benbürgens (Karz) er-
lebte Karl Engel-
tz a r d S dramatische
Idylle „Pestalozzis
Liebe* ihre Urauffüh-
rung. Der „Schul- und
Kirchenbote* Sieben-
bürgens schreibt u. a.:
„Unsere Bauern hier
haben geweint, gelacht
und fich gut unter-
halten. Wenn ihnen
auch manche» unklar
geblieben fein sollte.
Kloster St. Georgenberg in 5rankenberg.
---------»••<«»-------
Hessische Bücherschau.
den Kern der Sache verstanden fie doch! Dem Spiel ging
ein kurzer Vortrag voraus, der das Leben Pestalozzis
behandelte, so daß die Leute nicht ganz unvorbereitet
waren Möchte Pestalozzis Liebe in vielen Herzen ein-
kehren!* — Armand Strubberg. Preston Barba
von der Universität
----------------------------------Jndiana(Philadrlphia)
hat jetzt da« Endergeb-
nis seiner auch in
Kastei betriebenen Stu-
dien über Armand
Etrubberg in den
„German American
Annals“, dem Organ
der deutsch - amerika-
nischen historischen Ge-
sellschaft . niedergelegt
und damit einen wei-
teren Beitrag zur Ge-
schichte deS Deutschtums
in den Vereinigten
Staaten geliefert. Wie
uns Pastor Otto Engel
zu Rorwalk mitteilt,
ist in nächster Zeit
eine weitgehende Strub-
berg - Forschung jen-
seit« deS Ozean« zu
erwarten.
Führer durch Frankenberg und Umgebung.
Herausgegeben vom Verkehrs-Verein. 18 (47) Seiten.
Frankenberg (Buch- und Kunstdruckerei F. Kahm).
Diese neue Gabe des rührigen Frankenberger Verkehrs-
Vereins wird den Freunden der malerisch gelegenen alten
Edderstadt sehr willkommen sein. Mit vielen Abbildungen
geschmückt, führt fie uns in fesselndem, zuverlässigem Text zu
den mannigfachen Se-
henswürdigkeitendie-
ser einst so mächtigen
hessischen Stadt, deren
Geschichte in großen
Zügen an uns vor-
überzieht. Tine Be-
schreibung lohnender
Ausflüge beschließt
den Text des Buches,
dem auch eine über-
sichtliche Karte der
Zufahrtsstrecken bei-
gegeben ist. Dieser
Führer wird, so
hoffen wir, dieser für
den Freund der Ge-
schichte, der Kunst und
der landschaftlichen
Schönhei t gleich inter-
essanten Stadt man-
chen neuen Freund
werben. Hbach.
Inneres der Liebfrauenkirche in 5rankenberg.
Hentrich, Dr. Konrad. Wörterbuch der nordwest-
thüringischen Mundart des Eichsfelds. Göt-
tingen (Vandenhorck & Ruprecht) 1912. Preis 4 Mk.
Dem Lande Kurhesten hat sein verstehender Sohn Vilmar
als letzte Gabe sein Idiotikon hinterlaffen. ein aus-
gezeichnetes, wenn auch der Vervollständigung bedürfende«
und seitdem von Pfister auch weitergeführtes Werk. In-
zwischen ist die Dialektforschung, die damals noch in ihren
Anfängen stand, weiter fortgeschritten; und mit allen diesen
Fortschritten, auch den technischen, vertraut hat Dr. Hentrich
die nordwestthüringische Mundart des Eichsfelds zur Dar-
stellung gebracht. Es handelt sich um das Mitteleichsfeld.
d. h. den eichsfeldi-
scheu Kestel und das
Leinetal bis zur hes-
sischen Grenze, südlich
begrenzt von Dün
und Höhe, nördlich
vomOhmgrbirgeund
Rotenberg und dem
Zuflußgebiet der
Leine. Die Grenzen
gegen das Hessische
bilden die Dörfer
Hohengandern, Neu-
seesen Lindewerra;
länger ist die Grenze
gegen daS nieder-
deutsche Sprachgebiet
und auch gegen das
Westthüringische. In
der nordwestthürin-
gischen Mundart
unterscheidet derBer-
faffer noch 5 Unter-
dialektgruppen. über
die näheren Aufschluß eine demnächst zu erwartende Gram-
matik des behandelten Sprachgebiets bringen soll.
ES ist ein engbegrenztes Gebiet, das sich der Verfaffer
gewählt hat; aber diese Spezialisierung ist nur von Vorteil.
Sie ermöglicht eine Vollständigkeit, die ein auf viele andere
162
Sammler angewiesener Erforscher eines großen und geteilten
Gebiets nicht erreichen kann. In diesem Blatte aber sei
auf diese wertvolle Bereicherung der Dialektforschung hin-
gewiesen, damit durch Hentrichs Buch ähnliche Forschungen,
zunächst in dem an-
grenzenden Kreis Esch-
wege. dann aber auch
weiterhin für abge-
grenzte und dialektische
Gebiete angeregt wer-
den.
Heilmann.
Göttingen.
Eingegangen
K i l l m e r W. Ge-
schichte der Lande um
den Meißner der
Grafschaft Bilstein
und ihrer Dynasten
samt einer Zusam-
menstellung dergräf-
lichen (später hessi-
schen) Vasallen. Nebst
einem Anhang: Un-
sere historisch-litera-
rische Führung im ssrankenberg
RegrerungS - Bezirk
Kassel. 80 U.21S. Allendorf a.W. (Fischer). M.I.—
v. L o ß b e r g. Offizier-Stammliste des Füsilier-Regiments
von GerSdorff (Kurhesfifchen) Nr. 80. 1813 —1913.
155 Seiten. Berlin (E. S. Mittler & Sohn) 1913.
Die Friedberger Chroniken. Bearbeitet von Prof,
vr. Chr. Waas. 8 Seiten. (Geschichts- und Alter-
tumsverein Friedberg i. H.) 1913.
Hessische Chronik. 2. Jahrg. Heft 4. (Darmstadt,
L. C. Wittichsche Hof-
----------------------------------2 buchdruekerei). Losch.
Der Uriasbrief de«
Grafen von Schaum-
burg. Dingeldey.
Stammbuch der Fami-
lie Dingeldey. Bräu-
ning-Octavio, Prof. D.
Dr. W. Diehl. Diehl,
Beiträge zur hessen-
darmstädtischen Lehrer-
matrikel. Knetsch, Die
Wolfsburg und die be-
nachbarten Häuser am
Schloßberg zu Mar-
burg. Würth. Wappen
blühender hessischer
Bürgergeschlechter. -
Dreher, lieber Fried-
berger Apotheken. —
Kleine Mitteilungen.
Hassiaca des Groß-
em der Ldder. Herzogtums Heflen und
der Provinz Hessen-
Nassau. Lagerkatalog Nummer 148. 1216 Nummern.
Osnabrück (Ferd. Schöningh) 1913.
Frankfurter Blätter für Familien-Geschichte.
6. Jahrg. Heft 4. Frankfurt a. M. (K. Kiefer).
Personalien.
Verliehenr dem Geheimen Rechnungsrat Heilig zu
Kassel-Wilhelmshöhe der Rote Adlerorden 3. Klasse mit
der Schleife; dem Pfarrer Reinhardt in Heinebach der
Rote Adlerorden 4. Klasse; dem Referendar Caspar,
z. Z. bei der Döberitzer Fliegerstation. und dem städt.
Steuerkommissar Kluge in Hanau der Kronenorden 4. Kl.
Ernanntr Kreistierarzt Oellerich zum Regierungs-
und Veterinärrat bei der Regierung zu Kassel unter Über-
tragung der nebenamtlichen Verwaltung der Kreistierarzt-
stelle für den Landkreis Kassel; Pfarrer Blendin zu
Oberkalbach zum Pfarrer in Wachenbuchen.
Bestätigt r Oberbürgermeister I>r. Hur. Gebe sch us in
Hanau auf eine weitere Amtsdauer von 12 Jahren.
Beauftragtr Pfarrer ext*. Heermann als Gehilfe
der Pfarrer der lutherischen Kirchengemeinde in Kassel;
Pfarrer exte. Günther mit der Versetzung der Hilfs-
pfarrei Auf dem Berg; Pfarrer exte. Lieberknecht mit
der Bersehung einer Hilfspfarrstelle in Hersfeld; Pfarrer
exte. Kersting als Gehilfe für das Kirchspiel Oberaula.
Versetzt: Amtsgerichtsrat Horst von Zierenberg nach
Nordhausen.
Geboren: ein Sohn: Oberlehrer Gottfried Schüler
und Frau Elisabeth, geb. Kochendörffer (Marburg. 8. Mai);
Karl Freiherr Löffelholz von Colberg und Frau
Anna. geb. Scholl (Ingolstadt, 7. Mai); — eine Tochter:
Oberleutnant Söldner und Frau Minna, geb. Vogt
(Ingolstadt. 7. Mai).
Gestorben: Privatmann Fred. W. Baumann aus
Deissel. 90 Jahre alt (Newark, N.-J.); Privatmann Samuel
Epstein aus Fulda, 76 Jahre alt (Chillicothe. Ohio);
früherer Gerbereibrsitzer Frdr Braun aus Michelstadt.
83 Jahre alt (Philadelphia, Pa.); Großhändler Charles
Koch aus Borken, 62 Jahre alt (Pitcaim. Pittsburg. Pa.);
Kaufmann August Gaul aus Büdingen. 78 Jahre alt
(Dayton. O); Franz von Eiff aus Grünberg, 36Jahre
alt (Newyork); Amtsgerichtsrat a. D. Ludwig v. Stiern-
berg, 78 Jahre alt (Kassel. 5. Mai); Kaufmann Hermann
Wäscher (Kassel. 6. Mai); Kantor a. D. Stichtenoth
(Großburschla); Stadtrat Kaufmann Georg W alp er
(Rotenburg, 6. Mai); Lehrerin a. D. Frl. Jda Mar-
schall, 78 Jahre alt (Marburg, 7. Mai); Bürgermeister
a. D. Johann Konrad Herrmann. 76 Jahre alt (Neu-
hof. 9. Mai); Fabrikant Christian Schäfer. 51 Jahre
alt (Kassel, 9. Mai); Mühlenbefitzer Heinrich Jakob,
51 Jahre alt (Hollstein bei Lichtenau 10. Mai); Kauf-
mann Erwin Lu dl off (Kassel. 12. Mai); Frl. Anna
Schroeder, Tochter des verst. Geh. Reg.-Rrg., 79 Jahre
alt (Kassel, 13. Mai); ehemal. kurfürstl. Hoflakai Georg
Gerhardt, 74 Jahre alt (Kassel. 13. Mai); Stadtver-
ordneter Metzgermeister Karl Köhler, 63 Jahre alt
(Hofgeismar); Frau K. Müller, geb. Amrhein (Mar-
bürg. 15. Mai); Frl. Therese Lange, 77 Jahre alt
(Kassel, 16. Mai); Frl. Wilhelmine Walberg, 69 Jahre
alt (Marburg. 17. Mai); Oberbürgermeister a. D. Gustav
Schneider, 66 Jahre alt (Magdeburg. 17. Mai); Rentner
Ernst O. Francke aus Kassel (Kisiingen, 18. Mai); Frl.
Marie Ganslandt (Kassel, 20. Mai).
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kassel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kassel.
Heffenland
Hessisches Heimatsdlatt
Zeitschrift sür hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 11. 27. Jahrgang. Erstes Juni-Heft 1913.
Hersfeld und die Landgraffchafl Hessen im 14. und IS. Jahrhundert.
Von Dr. H. Butte, Kassel.
Die Geschichte Hersfelds, wo auf engem Raum
in Stift und Stadt scharfe Gegensätze aufeinander-
stoßen. bietet an sich schon viel des Interessanten,
sie läßt eigenartige Persönlichkeiten erwachsen,
kriegerische Äbte, die ihr Fürstentum, dessen Selb-
ständigkeit unaufhaltsam dem Ende zugeht, bis zum
letzten verteidigen, und Bürger von diplomatischer
Begabung wie den Schöffen Brückenmüller im 14..
den Schultheißen Gerwig im 15. Jahrhundert. Die
Geschichte Hersfelds im 14. und 15. Jahrhundert
spiegelt aber zugleich in einer eigenartigen Weise
größere Entscheidungen wieder, die draußen im
Hessenlande ausgetragen wurden, als die Land-
grafen in schweren Kämpfen die politischen Klein-
gewalten und den großen Gegner, das Mainzer
Erzbistum, niederwarfen und den Grund legten
zu einem einheitlichen Gebäude des hessischen Landes-
staates.
Ich will mit einem Bilde beginnen.
Wir kommen hier aus Kassel und nähern uns
Hersfeld von Norden her, dem Laufe der Fulda
entgegen. Wir schreiben den 20. April 1418,
morgen ist der Festtag des heiligen Vitalis. Es
beginnt Frühling zu werden: überall frisches Grün,
und die starken Wälle der mittelalterlichen Stadt,
die da vor uns auftaucht, schauen freundlicher aus
als sonst, ihr wehrhaftes dorniges Gestrüpp prangt
in dem weißen Blütenschmuck des Weißdorns. Da-
hinter aber steigen schwer und trutzig die starken
Mauern und Stadttürme Hersfelds auf, dieselben,
auf die sich schon im 14. Jahrhundert der Schöffe
Brückenmüller berief, als der Abt Berthold von
-Völkershausen den Bürgern seinen Zorn androhte:
„Sie hätten so starke Mauern und tiefe Gräben,
sie wollten schon wieder zu Gnaden kommen."
Ganz hinten zeigen sich eben noch die Türme und
das Dach der prachtvollen Stiftskirche, die noch
keines französischen Marschalls Hand in Brand gesteckt
hatte, eins der schönsten Denkmäler des romanischen
Baustils und ein repräsentatives Zeichen der Macht
und Größe der gefürsteten Reichsabtei Hersseld
aus ihrer Glanzzeit, dem Zeitalter des Hohen-
staufen. Aber weiter vorn, inmitten des städtischen
Mauerrings, taucht trotzig der schwere vierkantige
Turm der Stadtkirche auf, damals höher als jetzt
und mit scharfer Spitze; wie im bewußten Gegen-
satze steht er da zu jenem alten Dome, ein Zeichen
des selbstbewußten Bürgertums, das nach Unab-
hängigkeit strebt aus der geistlichen und staatlichen
Herrschaft der Stiftsherren und des Fürstabtes.
Wir nähern uns der Stadt. Auf den Wiesen
am Geisbache hin sehen wir weithin die weißen
Ml 164 9mtb
Linnen und Tuche der Hersfelder Tücher ausge-
breitet zum Trocknen und Bleichen - schon damals
war Hersfeld ein Hauptplatz der Tuchindustrie, die
den Wohlstand und Reichtum der Stadt begründete.
Aber die Walkmühlen, die gleich daneben in langer
Reihe den Lauf des Baches begleiten und mit ihrem
Stampfen den Wanderer begrüßen, stehn heute
still; denn wenig weiter, und mit Fahnen, Musik
und Getümmel begrüßt uns das bunte Leben eines
Festplatzes. Heute will die Bürgerschaft feiern und
sich dessen freuen, was ihre Voreltern einst errungen :
heute feiert sie den Vitalisabend. Rund 40 Jahre
sind's jetzt, seit Abt Berthold von Völkershausen
jenen tückischen Anschlag auf die Stadt plante, der
ihr alles in jahrzehntelanger bürgerlicher Arbeit
Errungene mit einem Schlage wieder nehmen sollte;
denn die Stadt hatte sich ja nicht nur im Gewerbe
und Kaufmannschaft gediegenen Wohlstand er-
arbeitet, auch Rechte und Privilegien hatte sie er-
worben, sie hatte in langem Gewohnheitsrecht ihren
Stadthaushalt, Polizei und Niedergericht selbst
verwalten gelernt; sie wachte mit eigener Mann-
schaft über ihre selbsterbauten starken Befestigungen
und war von ihrem Landesherrn, dem sie fast nur
noch Steuer zahlte, nahezu unabhängig geworden.
Und das alles wollte damals Abt Berthold mit
einem Schlage rückgängig machen, sie in die enge
Abhängigkeit der kleinen Landstadt zurücktreiben.
Da aber erwachte der Bürgerzorn wie sie da den
geheiligten Stiftsbezirk mit stürmender Hand ge-
nommen, wie sie in der Vitalisnacht 1378 die
Angreifer mit blutigen Köpfen heimgeschickt! Am
Rathause hängt noch des Ritters Eberhard von
Engern durchschossene Sturmhaube als Andenken
an den großen Tag.
So war dieses Fest alljährlich eine laute Demon-
stration der Stadt gegen die Abtsherrschaft, die
ihr zu enge geworden, und für den hessischen Land-
grafen, den Freund und Beschützer der Stadt, und
so pflegte denn auch die Vitalisfeier der Bürger-
schaft alljährlich damit zu enden, daß erst die
feierliche Prozession der Bürger von den Abtsleuten
mit Hohn und Spottrufen gestört wurde und nach-
her, sobald erst beim Scheibenschießen, Reden und
Wein die Köpfe genügend erhitzt waren, das Fest
in einer blutigen Schlägerei zwischen Stiftsknechten
und Handwerkerfäusten seinen würdigen Abschluß
fand.
Wie war es zu diesem tief eingewurzelten Gegen-
satze gekommen? Wir müssen zu diesem Zwecke
die Hersfelder Begebenheiten schon des 14. Jahr-
hunderts im Zusammenhang und in großen Zügen
an uns vorüber gehen lassen.
Der Zwiespalt zwischen Stift und Stadt Hers-
feld ist so alt wie die Stadt selbst. Schon der
werdenden Marktgemeinde im 12. Jahrhundert
standen die Äbte eher hemmend als fördernd gegenüber,
und seitdem hatte jedes Geschlecht in seiner Weise
den Gegensatz ausgesochten. So auch im 14. Jahr-
hundert. Hatte er unter dem klugen und milden
Abte Johann zeitweilig geschwiegen, so trat er unter
dem heißblütigen Berthold von Völkershausen um
so schärfer hervor. Zwei Welten standen sich hier
gegenüber: hier die Stadt, gegründet auf Verkehr,
Gewerbe. Geldwirtschaft und Veränderung, dort
die fürstliche Reichsabtei, am alten Ruhme zehrend.
Einst hatten ihre Mönche zur Karolingerzeit das
Licht christlicher Kultur hineingetragen in das
Dunkel der hessischen Wälder, und in glänzenden
Hohenstaufentagen hatten Hersfelder Äbte als ver-
traute Ratgeber des Kaisers die Geschicke des
Imperiums mitgelenkt. Die Zeiten waren längst
vorüber. Der Fall der alten Kaisermacht raubte
der Reichsabtei ihre wichtigste Stütze: der Abt war
im 14. Jahrhundert ein kleiner Territorialfürst,
der mühevoll sein Staatswesen verteidigen mußte
gegen die von außen und innen drohenden Gefahren.
Im Innern drohte, neben der angewachsenen
Stadt, die sich aus dem Stistsorganismus zu lösen
strebte, vor allem auch die Lebensart im Kloster
selbst auf die Dauer zersetzend zu wirken. Mit
der Erledigung der Kulturaufgabe, deren das
Kloster überhaupt fähig war, schwand auch der
Trieb zu derartigem Wirken. „Die Klöster sind
worden allzumal für den Adel ein Spital" sagt
ein Spottvers aus dem 15. Jahrhundert. Die
alte Einfachheit und Zucht war einem reichen herren-
mäßigen Leben gewichen. Nicht ganz so aus-
schließlich, wie in den reinen Adelskonventen nach
dem Muster von St. Gallen oder Reichenau, aber
doch vorwiegend diente das Kloster zur Versorgungs-
anstalt für die nachgeborenen Söhne der ersten
hessischen Adelsgeschlechter; mit einer Reform 1414
werden dann die Bürgerlichen etwas häufiger, doch
mußten sie den fehlenden Adel durch einen ent-
sprechenden Reichtum ersetzen, den sie dem Kloster
zubrachten. Gerade sie haben, wie es scheint, nicht
zur Hebung der Disziplin im Stifte beigetragen.
Längst schon war das gemeinsame Leben aufgegeben;
die einzelnen Amtsherren bewohnten ihr eigen Haus,
mit Dienerschaft, Stallung, Falknerei und Schatz-
kammer; mehr als der Gottesdienst nahmen sie
Jagd und Geldgeschäfte in Anspruch; sie schritten
einher im kriegerischen Koller, in modisch enger
Kutte, den Winterrock verbrämt mit kostbaren
Pelzen, statt mit Lammsfell, wie sich's allenfalls
geziemt hätte. Ein geistlicher Inspektor des Abts
berichtet aus den Thüringer abhängigen Klöstern,
wie dort gewisse Mönche unstät von Kloster zu
Kloster laufen, nirgends lange aushalten und
165 EL,
zwrschendurch mit zweifelhaften Weibern sich in
den Dorfwirtschasten umhertreiben, teilweise in welt-
licher Tracht, zum größten Skandal für den Orden.
Ganz so schlimm mag es im Hauptkloster nicht
gewesen sein und überhaupt nicht schlimmer als
anderswo damals auch; aber für einen Abt, der
ernsthaft auf die Festigung und Neugründung seines
Stiftsstaats gerichtet war. bedeutete doch dieser
Konvent, der gleichzeitig den mitregierenden Land-
stand des Fürstentums darstellte, eine sehr brüchige
Grundlage.
Fortsetzung folgt.)
Adam Traberls Historisch-literarische Erinnerungen".'»
Unser jetzt fast 91jähriger Landsmann hat sich, dem
Drängen seiner Freunde nachgebend, entschlossen, seine zum
größten Teil schon 1886 niedergeschriebenen Erinnerungen
herauszugeben, und bietet sie nun in dem vorliegenden um-
fangreichen Werke dar. Wir verfolgen das reichbewegte
Leben dieses trefflichen Mannes von der in seiner Vater-
stadt Fulda verlebten Jugend ab. erleben mit ihm seine
so wenig »bemoste" Studentenzeit in Marburg, begleiten
ihn nach Spangenberg, wo er eine mehrjährige Festungs-
haft verbüßte, sehen dann den eifrigsten Gegner der kur-
fürstlichen Regierung 1866 sich in den treuen Kämpfer
für den entthronten Landesfürsten umwandeln und erfahren
feine weiteren Erlebnisse in Österreich, das alles in hoch-
interessanten, lebenswarmen auch die Details liebevoll aus-
malenden Schilderungen, die überall eine starke Persönlichkeit
verraten. Uns Hessen interessiert in erster Linie die Dar-
stellung der kurhesstschen Ereignisse, einschließlich des Jahres
1866. Mag diese umfassende Arbeit hier und da Irrtümer
enthalten und im einzelnen Widerspruch finden — eS fei
z. B. an die Entgegnung des Rechtsanwaltes I. Martin-
Kassel in Nummer 3944 der »Hessischen Blätter" erinnert. —
Traberts Werk wird fortab für alle Bearbeiter der Geschichte
des vorigen Jahrhunderts eine unentbehrliche Fundgrube
bilden. Besonders wertvoll erscheinen die Charakteristiken
der kurhesstschen Politiker wie Jordan, Heise, Kellner,
Oetker, Hahndorf usw. Namentlich Sylvester Jordan er-
scheint hier in völlig neuer Beleuchtung, wie denn sein
Werk gerade zur Beurteilung dieses Mannes viel neues
Material bietet. lVgl. auch hierzu die »Hessischen Blätter"
Nummer 3949.) In anderen Kapiteln, wie bei der Schil-
derung seiner Verlobung und Festungshaft, verspüren wir
den Dichter und Humoristen. — Kurz, das Buch dieses
einstigen Demokraten bringt vieles und darum jedem etwas,
dem Politiker wie dem Literarhistoriker und Laien. Wir
veröffentlichen nachstehend seine Charakteristik Kellners und
Heises.
vr. Gottlieb Kellner und Heinrich Heise.
Den Liberalen gegenüber machten sich in Kassel
anfänglich die Männer der Bluse durch vereintes
Austreten bemerklich, und ich habe wahrgenommen,
daß dem Treiben der „Bassermannschen Gestalten"
dort nicht ohne heimliches Grauen zugesehen wurde.
Gar mancher tapfere Bürgergardist, der 1849 zum
Ausrücken kommandiert wurde, ergriff die Muskete
nur mit Zittern und Zagen.
Die eigentliche Demokratie Kaffels aber entstand
erst mit dem Auftreten Heinrich Heises und
vr. Gottlieb Kellners.
Beide Demokratenführer habe ich schon als Student
#) Kempten und München (I. Köselsche Buchhandlung)
1912. VH und 536 Seiten. Preis geb. M. 6.—
gekannt. Mit Gottlieb Kellner wurde ich gleich in
meinem ersten Semester in Berührung gebracht durch
Hornseck; doch schickte sich Kellner damals schon an,
die Universität zu verlassen, ich weiß nicht, ob er
sich irgendwo als Dozent habilierte oder sich der
Schriftstellern widmen wollte. Schon damals, als
ich ihn, wenn auch nur flüchtig, kennen lernte, hatte
er einige Poesien drucken lassen, wodurch mein Freund
Hornfeck veranlaßt wurde, seinen Umgang zu suchen.
Gottlieb Kellner war ein großer, stattlicher Mann
von seltener Schönheit. Seine dunklen Augen leuch-
teten freundlich, aus seinen Gesichtszügen sprach
heiterer Ernst und Lebensmut. Seine Kraft aber
lag, wie sie sich erst in 1848 offenbarte, in einer
wahrhaft demosthenischen Beredsamkeit. Kellners
Organ war beim öffentlichen Sprechen sehr anmutig
und dabei so kräftig, daß er auch die zahlreichste
Versammlung, mochte diese in weitem geschlossenen
Raume oder im Freien tagen, vollkommen beherrschte.
Er sprach auch, wenn er improvisierte, in wohl-
gebauten, streng geordneten, immer klaren Perioden
mit bestechender Eleganz. Selbst wenn er in dem,
was er sprach, vernichtend scharf war, bewahrte er
eine stolze, vornehme Ruhe, steigerte sich aber, wo
es ihm notwendig schien, zum hinreißenden Pathos.
Seine Rede glich dem breiten und tiefen Strome, der
nur aufschäumt und aufbraust, wo er auf Hinder-
niffe stößt, aber dann jedes Hindernis in unbändiger
Kraft sofort hinwegreißt und zertrümmert.
Daß ein solcher Mann im Jahre 1848, wenn er
nur wollte, alsbald eine mächtige Partei hinter sich
haben mußte, verstand sich von selbst.
Heinrich Heise war jüngerer Student als Kellner,
was ich daraus schließe, daß ich ihn noch in meinem
dritten Semester in Marburg gesehen habe. Sein
erstes dortiges öffentliches Auftreten steht mir aber
noch so deutlich in Erinnerung, als wäre es von
gestern. Es war am Grabe des Professors Ende-
mann, der in Marburg noch in den ersten vier-
ziger Jahren in ausgezeichneter Weise Privatrecht
und Zivilprozeß dozierte, aber starb, als ich eben
seine vollsgia belegt hatte. Endemann hatte nicht
bloß als vorzüglicher Dozent, sondern auch als ein
charakterfester Mann von seltenem politischen Frei-
mute weit und breit in hohem Ansehen gestanden.
&OL 166
Die gesamte Studentenschaft folgte ihm deshalb
trauernd ans Grab.
Einer der protestantischen Pastoren hielt dem
Toten die Grabrede und entledigte sich dieses Amtes
nicht ohne Würde, aber auch ohne einen besonderen
Aufwand von Geist. Der Tote war in der Tat
bedeutender gewesen, als ihn der Herr Pfarrer
schilderte.
Da trat ein schlanker Student, dessen scharf ge-
schnittene und dabei seine Gesichtszüge von langen
braunen Locken umflattert waren, aus den Erdhügel
und begann mit tief einschneidender Stimme „Kennt
Ihr nun den Mann? Wißt Ihr jetzt, Kommilitonen,
wen Ihr da in die Grube gesenkt habt? Noch hat
es Euch keiner gesagt, aber ich will es Euch jetzt
zeigen. Mein Schmerz wird mich beredt machen."
Überrascht und verblüfft horchte man aus und
nun entwickelte Heise in der Fortsetzung dieser so
seltsam begonnenen Grabrede in großen Zügen Ende-
manns Taten und Charakter.
Später bewarb sich Heise in Kassel, nachdem er
dort seine Staatsprüfung abgelegt hatte, etwa ein
Jahr nach der erwähnten Grabrede, um die Zulassung
zum juristischen Vorbereitungsdienst. Justizminister
war damals I. W. Bickell, der Vater des katholisch
gewordenen Innsbrucker Profeffors gleichen Namens.
Der Minister, der von der Grabrede Heises Kennt-
nis erhalten hatte, fand es für angemessen, dem
jungen Mann, bevor er dessen Zulassung zu seiner
Vorbereitung für den Staatsdienst gewähren könne
oder ablehnen müsse, erst persönlich aus den Zahn
zu fühlen. Es entstand zwischen I. W. Bickell. der
ein zweifellos geistreicher und sehr unterrichteter
Mann war, und dem Kandidaten Heise ein sehr
umfassendes Zwiegespräch, das sich eingehend über
alle Fragen der Zeit verbreitete und den besonderen
Zweck hatte, zu konstatieren, ob es für Heise noch
überhaupt eine Autorität gebe. Es endigte damit,
daß der Minister unumwunden erklärte, daß Heise,
wie ja eigentlich wir alle taten, ein Mann sei, der
alles und alles nur aus sich heraus entwickle, „wie
die Spinne ihren Faden", und daß Männer dieser
Art. für die es eine Autorität irgendwelcher Art
gar nicht mehr gebe, nicht im Staatsdienste zu
brauchen seien. Als dann die Märztage kamen, trat
Heise als Volksredner aus. Erst im kleinen, aber
dann in immer mehr wachsenden Kreisen. Er sprach
nicht in der kunstgerechten Eleganz Kellners, aber
immer schön, in raschem, lebendigem Fluß, glühend,
geistsprühend, hinreißend. Gedanke folgte auf Gedanke,
aber bei keinem verweilte er länger als nötig war,
um ihn scharf auszudrücken. Alles wurde nur so
herausgeschleudert, wie ein Verschwender seine Scheide-
münzen mit vollen Händen unter das Volk streut.
Wer beide Redner, Kellner und Heise, gehört hat.
wird mir gern zugeben, daß ich bei keinem über-
treibe. Sie waren, wie ich sie hier schildere. Ja
gewaltiger, als ich sie zu schildern vermag.
Schon früh m 1848 ließ Heise auch ein kleines
Blatt erscheinen — ich glaube, er hatte ihm schon
damals den bezeichnenden Titel „Hornisse" gegeben.
Als sich dann Gottlieb Kellner, wie das für beide
nahe lag, zu gemeinsamer Tätigkeit mit ihm ver-
einigte, wurde ein regelmäßig erscheinendes Blatt
daraus gemacht, das sich allmählich zu einer Tages-
zeitung erweiterte. Damit kamen diese beiden Volks-
tribunen an die Spitze der demokratifchen Bewegung
nicht bloß Kassels, sondern ganz Kurhessens und
blieben es, bis auch für sie das Verhängnis kam.
das sie wegfegte — den einen in einen frühen Tod
auf irischem Boden, den andern, Dr. Kellner näm-
lich. in die Südstaaten Nordamerikas, in denen er
meines Wissens in der Zeit, in der ich dies nieder-
schrieb, als Herausgeber einer Zeitung tätig war.
------------------
Sylvester Jordans „Politische Erinnerungen".
Der „Vater der kurhessischen Ver-
fassung", der Marburger Professor S y l v e st e r
Jordan (1792—1861) ist selten in richtiger
Weise gewürdigt worden.
Heinrich von Treitschke hat ihn in seiner Ge-
schichte des neunzehnten Jahrhunderts völlig ver-
urteilt. Sein Urteil ist sicher zu hart. Er hat
sich augenscheinlich nicht genauer mit Jordans
Schriften befaßt, sondern mehr nach dem Auftreten
im politischen Kampfe geurteilt. — Im Gegensatz
zu Heinrich von Treitschke stehen nun wieder solche,
die Jordan über alle Maßen loben. So z. B. die
Schrift „Sylvester Jordans Leben und Leiden"
von Dr. Trinks und Dr. Julius, und „Sylvester
Jordan" von Dr. Eduard Duller im 6. Bande
des Sammelwerkes „Die Männer des Volkes"
(1848). Zumal die letzte Schrift vergöttert Jordan
in unglaublichster Weise und bringt ganze Seiten
fadester Lobeserhebungen.*)
Dem schlichten Bilde des Mannes, wie es sich
in Jordans Leben und Wirken darstellt, werden
diese Darstellungen sicher nicht gerecht. — Am
besten lernen wir Jordan in seinen eigenen
Schriften kennen. Es ist daher sehr zu begrüßen,
daß kürzlich in der Wochenschrift „Das neue Jahr-
*) Wir verweisen weiter auf die Beurteilung Jordans
in Traberts neuem Memoirenwerk. Vgl. Seite 185.
Die Redaktion.
rmt«L- 167 9mtL>
hundert" eine noch ungedruckte Schrift Jordans.
„Politische Erinnerungen" betitelt, ver-
öffentlicht worden ist. Diese Schrift fand sich als
Manuskript in dem Nachlasse von Jordans Tochter,
der bekannten hessischen Dichterin Henriette
Keller-Jordan.
Wir lernen ihn hier keineswegs nur als Politiker,
sondern auch als Gelehrten, als treuen Familien-
vater und als frommen Christen kennen. Besser
als ihn alle Biographen schildern, stellt sich hier
Jordan selbst dar.
Die „Politischen Erinnerungen" beginnen im
Jahre 1840, wo Jordan schon seit Jahresfrist
auf dem Marburger Schlosse — „dem Gasthof
zum Landgraf Philipp dem Großmütigen", wie
er humorvoll in seinen „Wanderungen aus meinem
Gefängnisse" sagt — im Untersuchungsgefängnis
saß. Schwer lastete auf ihm die Kerkerhaft, zumal
er seine kranke Frau mit vier Kindern hatte ver-
lassen müssen. Schwerer drückte ihn aber noch
die Anklage des Hochverrates, die er als durchaus
ungerecht empfand. Er fühlt sich unschuldig „dieses
scheußlichsten Verbrechens, — das, in der
Verfolgung eines v er r u ch t e n Zieles, die h e i l i g st e n
Bande, die Menschen an Menschen fesseln, mit
Füßen tritt und zerreißt" Sein ganzes Leben
und Wirken führt er als Beweis für die Un-
haltbarkeit der Anklage an.
Schon in seiner Jugend ist ihm „Geheimnis-
krämerei und maulwurfsartiges Treiben und
Schleichen im Finstern" tief verhaßt gewesen. Wer
könnte ihn für einen Demagogen halten, „den
selbst der Schwindel auf Universitäten als Jüngling,
und zwar als alleinstehenden, sich selbst überlassenen
Jüngling, nie zu irgendeinem tollen Streiche
hinriß, der nie zu einer Verbindung Studierender,
von welch' Namen oder Art sie auch sein mochte,
gehörte"! Damals habe er noch nicht „das
gefährliche Glück der Berühmtheit" gehabt. Sein
Name sei erst seit dem Jahre 1830 von „politischer
Bedeutsamkeit" Erst seitdem der Name Sylvester
Jordan „Anklang bei den deutschen Völkern" ge-
funden habe, sei er von den Demagogen mißbraucht
worden, um „ihre finsteren Werke vor den Augen
leichtgläubiger Toren zu beschönigen"
Auch in seiner späteren politischen Tätigkeit sei
sein Streben dahin gerichtet gewesen, „die Ruhe
und Ordnung im Lande aufrechtzuerhalten". Stets
sei er im ersten Landtage (1830—31) auch für
das Recht und die Autorität der Negierung ein-
getreten. Viele Belege führt er dafür aus seinem
Auftreten im Parlament und bei sonstigen öffent-
lichen Gelegenheiten an. — „überall beharrte ich
mit Konsequenz aus rein konstitutionellen Grund-
sätzen ; ich verteidigte mit gleichem Eifer die Rechte
der Staatsregierung da, wo man ihr zu nahe
treten wollte, wie die Rechte des Volkes und der
einzelnen Standesklassen; treu meinem Reform-
system, das ebenso gegen das Reaktions- als auch
gegen das Revolutionssystem ankämpft." — Scharf
kämpft er gegen das übertriebene Geschrei nach
„Freiheit und Gleichheit", das er in einem Ge-
dichte „Die politische Freiheit und Gleichheit im
Sinne des Pöbels" bitter verspottet
Was ist politische Reife des Volkes?
Wann, sagt, ist ein Volk zur politischen Freiheit gereifrt?
Wann es die Freiheit erkannt, wenn es als höchstes sie wünscht.
Das sollen die politischen Reformatoren bedenken;
„Pfui der Schande!" so schreit ihr. politische Reformatoren!
Unaufhörlich, „dies Volk schmachtet in Fesseln noch jetzt.
Wo die Vernunft längst jedes Dunkel zerstreut hat.
Und die Willkür verdammt, freies Aufstreben gebeut."
Doch nur Geduld, ihr Herren! Vergeht nicht vor allem
zu fragen.
Ob auch gefesselt sich fühl', Freiheit sich wünsche das Volk? —
Wär es nicht grausam, dem Kind die leitenden Hand zu
entziehn. noch
Eh eS der eigenen Kraft, eh es sich selber vertraut?
Denn das Volk muß der politischen Freiheit
auch würdig sein:
Bürger! wollt ihr politische Freiheit erlangen, so müßt ihr
Würdig derselben auch sein, müßt ihr durch emsigen Kampf
Euch von der sinnlichen Lust und unedlen Begierden befreien;
Selber wollen und tun. was das Gesetz sonst verlangt.
Auch der politischen Freiheit würdig ist nur der sittlich
Freie, welcher sich selbst stets zu beherrschen vermag.
Sittlich Unmündigen völlige Freiheit im Staate gewähren.
Hieß Wahnfinn'ge befrei'n, ehe sie völlig geheilt.
Hand in Hand sollen Landtag und Regierung
zum Wohle des Vaterlandes arbeiten. „Die
Staatsregierung müsse der Ständeversammlung
mit gleichem Zutrauen entgegenkommen, wie es
von dieser geschehe." Wenn beide einig seien, so
würde dies zum Wohle des Landes und zur
Festigung der Treue der Untertanen dienen, denn
„in Hessen sei kein heilloses Streben, weder gegen
die vaterländische Verfaffung noch gegen den Deut-
schen Bund sichtbar" —
Auch auf die akademische Jugend wirkte er in
seinen Vorlesungen über Staatsrecht und bei jeder
anderen Gelegenheit im Sinne der Ordnung ein.
— Er erzählt uns. daß er einst in Kassel von
einer Anzahl Göttinger Studenten begrüßt wurde.
Diese erbaten sich als Andenken die Rose, die
Jordan auch damals wie häufig in der Stände-
versammlung trug. „Ich benutzte als akademischer
Lehrer die Gelegenheit, die mir so viele jugendlich
warme und empfängliche Gemüter entgegensührte,
zu freundlichen Warnungen vor den Gefahren in
unserer Zeit, namentlich vor den extremen Richtungen
in politischen Angelegenheiten, und zu väterlichen
Mahnungen in religiöser, sittlicher und wissen-
r«s«L> 168
schaftlicher Hinsicht. — Alle Anwesenden waren
von der kurzen warmen Rede innig ergriffen."
Solche Mahnung zur Mäßigung konnte bei
dem wilden Stürmen und Drangen der akademischen
Jugend gewiß nichts schaden. Sie ist ein sprechender
Beweis sür die Unhaltbarkeit der Anschuldigung
„demagogischer Umtriebe", unter der Jordan
damals stand. l)r. Walter Wieder.
Mein Dorf.
Mein Kleines Dorf, zur Maienzeit
In Blüten eingebettet.
An dich hat Glück und tiefes Leid
Mein Herz gar fest gekettet!
Ich geh' den schmalen Wiesenweg
Am Bach zwischen Weiden und Erlen,
Es schmückt die Spinnennetze am Steg
Der Tau mit glitzernden Perlen.
Vom Berge hab' ich herab gesehn
Auf Raine und grünende Wälder,
Sah Gottes freundlichen Atem gehn
Über die wogender Felder,
Kassel.
Und sah in Ruh' auf den eilenden Zug,
Auf glänzende Schienenstränge.
Er lockte mich nicht. Ich habe genug
An meiner traulichen Enge.
Hoch über mir zog im klaren Blau
Der Bussard ruhige Kreise.
So dunkel der Wald, so grün die Au,
Der Wind so heimlich und leise. —
Ach, alles ein Traum, ich bin erwacht.
Mein Heim mir auf ewig entrissen!
Und bitterlich weinend in dunkler Nacht
Berg' ich mich in den Kissen. —
Zum Stammbaum der Strubbergs.
Preston A. Barba von der Indiana University,
der netteste Biograph Armand Strubbergs, be-
hauptet in »Oorman American Annals“ 14,
191 f., daß der bekannte Reiseschriftsteller ein
direkterNachkommeLandgraf Friedrichs!,
von Hessen gewesen sei. Es heißt dort „Land-
graf Friedrich I. schloß im Jahre 1717 eine
morganatische Ehe mit der Witwe des holländischen
Generals Grafen Wilmsdorf-Brevendors;
diese Ehe wurde 1720 wieder getrennt, als der
Landgraf die Königin von Schweden heiratete und
selbst den schwedischen Thron bestieg. Aus der
erwähnten morganatischen Ehe stammte eine Tochter
Anna Amalie, die 1741 den Klevischen Domänen-
rat Christian Heinrich Strubberg heiratete." Dieser
Letzgenannte war der Großvater Armands. Es
ist leider nicht deutlich gesagt, aus welcher Quelle
diese merkwürdige Behauptung stammt. Nach einer
Anmerkung scheint sie auf Briefen Armands zu
beruhen, die aber erst in einer späteren Nummer
der ,Oerman American Annali veröffentlicht
werden sollen. Einstweilen ist dazu zu bemerken,
daß bisher von einer solchen morganatischen Ehe
des Landgrafen Friedrichs I nichts bekannt ge-
worden ist. Der Landgraf war zweimal vermählt,
zuerst mit Luise Dorothea Sophie von Branden-
burg, die 1705 kinderlos starb, dann mit Ulrike
Eleonore von Schweden, aber nicht erst feit 1720,
sondern schon seit dem 4. April 1715. Bon einer
morganatischen Ehe kann also in den Jahren
1717—20 keine Rede sein. Aber auch von einer
anderweitigen illegitimen Verbindung mit einer
Gräfin Wilmsdorf-Brevendors weiß die Geschichte
nichts. Sie kennt nur die Beziehungen des Land-
grafen-Königs zu der schwedischen Gräfin Hedw.
Ulrike von Taube, die aber in eine viel spätere
Zeit fallen und aus der die älteren Grafen Hessen-
stein entsprungen sind. Grafen Wilmsdorf-Breven-
dorf hat es wohl nie gegeben. Es gibt ein polnisch-
westpreußisches Geschlecht Przebendowski, früher
Wilmsdorf v. Prebentow oder Prebentow v. W.
genannt, von dem ein Zweig 1711 durch den
Reichsvikar König August II. von Polen den
Grafentitel erhielt. Der angebliche holländische
General gehört aber wahrscheinlich nicht zu diesen
Grafen. Es ist vielmehr anzunehmen, daß er mit
dem holländischen Major Justus Beruh, v. Wolms-
dorff zusammenhängt, der ein Sohn des gleich-
namigen kurbrandenburgischen Rittmeisters v. W.
und der Marie Luise v. Seeguth-Stanislawska
war. Dieser holländische Major war vermählt
mit Ernestina Jacotte des Axelles, lebte aber 1748
noch, so daß diese Chronologie auch wieder nicht
zu dem angeblichen Strubbergschen Stammbaum
stimmt. Einstweilen wird man wohl die fürstliche
Herkunft dieser Familie billig bezweifeln dürfen.
Ph. Losch.
$€g£L> 169 SSSKb
^Heinz Heim, Der einsame Gast. Schlierbach i. G. 1889. Glbild.
Bus »Hessen»Kunst" Kalender für alte und neue Kunst 1918. Verlag von Adols Ebel, Marburg a. L.
vwb 170 «<«&
Luther auf der Wartburg.
(Nach einer Vage.)
Von Karl Freiherr von Berlepsch in Kassel.
II.
5.
Ein Knabe sang beim Striegeln seines Pferdes:
Gebt mir Blumen zu warten und Frauen zu küssen.
Gebt mir ein loses, leichtes Gewissen,
Das nicht so schwer
An Waffen und Wehr
Wird tragen müssen.
Ich bin nicht gemacht wie ihr zu Fronen und Fasten,
Ein Birkenholz taugt nicht zu Masten.
Es biegt sich im Wind,
Und wie Lachen rinnt
Sein Lichtlaub von allen Ästen.
Wären alle wie ihr, wie mühte die Erde darben,
Wie mühte sie sich sehnen nach Sang und Farben!
Ich bin wie der Mohn,
Der den leuchtenden Ton
Mischt unter fruchtschwere Garben. -
Gebt mir Blumen zu warten und Frauen zu küssen,
Gebt mir ein loses, leichtes Gewissen,
Das nicht so schwer
An Waffen und Wehr
Wird tragen müssen! —
6.
Ich liege hier auf Knieen
Vor deinem Angesicht:
Nimm, was du mir verliehen,
Nimm von mir Amt und Pflicht!
Als ich dein Wort zu künden
An heil'ger Stätte stand,
Hat sich mein Herz in Sünden
Der Fraue zugewandt.
Ach Herr, ich trage Neue,
Zwo Augen wonnesan,
Die waren mir in Treue
Und Andacht aufgetan.
Dah ich mein' Sünd vertriebe,
Las ich im heil'gen Buch,
Drin fand ich Lieb um Liebe
In jedem Wort und Spruch. —
Die großen Stürme schlagen
Mit Fäusten an mein Dach,
Die schwarzen Wolken jagen
Dem flücht'gen Sommer nach. —
Herr, der du zürnst in Wettern,
Der Daum und Busch entlaubt,
Herr, wollest nun zerschmettern
Mein schuldig Haupt. —
7.
Es läuten die Glocken von Wittenberg!
Der Herr sei gepriesen,
Der mir den Weg gewiesen!
Kampf läuten die Glocken von Wittenbergs
Kampf, frohlockendes Feldgeschrei,
Du tönst keinem Tauben!
Die Brüder zu stärken im Glauben,
Nun, Kurfürst Friedrich, gebt mich frei!
Will lieber lassen vor Kaiser und Reich
Mein' Stimm' erschallen,
Will lieber in Ehren fallen,
Als mühig liegen ohne Streich!
Will lieber wandern durch Feindesland
Frisch, froh und vermessen. —
Die blasse Blume vergessen,
Gar gern an fernen Straßen stand. —
8.
Die Sterne sind entglommen,
So friedvoll liegt das Haus.
Zur Nachtzeit bin ich kommen.
Und nächtens zieh' ich aus.
Mein Röhlein steht beschlagen.
Mein Bündel ist geschnürt.
Was soll das dumpfe Klagen,
So mir ans Herze rührt?
Hinauf zu ihrer Kammer
Mit letztem Blick ich späh,
Dort ruht sie sonder Jammer
Und weih nicht, daß ich geh.
Der Mond, mein Weggeselle,
Lugt just am Wald hervor. —
Wie klingt so hart und helle
Der Huffchlag unterm Tor.
Ich rett' ins arme Leben,
Das ich so reich gedacht.
Herr Christ wird mir vergeben
Um eine Maiennacht.
r««L- 171
Die Karl Aberding die Heimat fand.
Novelle von Lotte Gubalke.
Bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahre war Karl
Aberding niemals satt geworden.
Daran dachte er jetzt, nachdem er seinen Gästen
die Treppe hinabgeleuchtet hatte und nun vom
Nebenzimmer aus zusah, wie seine Leute die Tafel-
reste hinaustrugen.
Dann trat er ans offene Fenster und blickte hin-
aus in die Sommernacht mit ihrem Sterngefunkel.
Wie deutlich die Milchstraße zu sehen warf Wenn
seine gute Mutter kein Brot im Hause gehabt hatte,
dann erzählte sie Märchen.
Der Sternenhimmel mit seinen schimmernden
Weiten hatte oft herhalten müssen, um über eine
karge Wirklichkeit hinwegzuhelfen.
Aber nun hatte er ein Ziel erreicht, das ihm
vorschwebte, so lange er denken konnte. Alle Welt
redete von seinem Glück.
Wieviel arbeitsschwere Tage und Nächte, in einem
totenähnlichen Schlaf verbracht, und Wochen voll
heißen Heimwehschmerzes zwischen jenen Hunger-
jahren seiner Kinderzeit und dem sorgenlosen Heute
lagen, daran dachte niemand. Und es gab auch
niemand, mit dem er davon hätte reden können
— außer mit seiner Mutter, und die schlief lange
schon unter dem grünen Rasen. Gab es wirklich
sonst niemand? Karl Aberding zuckle die Achseln.
Sie hatte die Hungerjahre nur so lange aus-
gehalten, bis er ausgelernt hatte beim Kaufmann
Challier, der auch aus der Emigrantengemeinde
stammte. Der hatte ihm dann während dieser drei
Jahre immer wieder klar gemacht, daß die Menschen
Pilgrime und Bürger sind. Also gut - Pilgrim!
So hatte er denn den Rest seines kleinen Ver-
mögens genommen, um auszuwandern.
Niemand hielt ihm vor, wie bitter das Leben in
der Fremde sein könne. Im Gegenteil. Sie malten
ihm das Glück aus, das drüben auf einen wage-
mutigen Jungen lauere. Es war damals gerade
die Kunde von dem Goldlande Alaska in die
Welt gedrungen.
Zwanzig Jahre lagen zwischen jenem Tage, da
er zum letzten Male vom Frauenberg aus auf sein
Heimatstal geblickt hatte, und dem, da er sein neu
erbautes Haus im Kreise einiger Gäste einweihen
konnte. Er hatte es gerade dort erbaut, neben
der Linde und der Steinbank, auf der er an jenem
Abschiedsmorgen faß und keine Tränen vergoß, weil
seine Augen in heißem, trockenem Weh brannten.
Zwanzig Jahre1 Nach Alaska war er niemals
gekommen! Wer hatte daheim eine Vorstellung
gehabt von den ungeheuren Weiten, die durch-
wandert sein müssen, bis er von New Pork aus
dorthin kam?
Die paar Taler, die von dem Reisegeld übrig
waren, nahmen ihm Betrüger in den ersten Stunden,
die er an Land zubrachte, ab. Dann führte er
jenes Leben voll grausamer Enttäuschungen, das
den Anfang von jener Laufbahn „drüben" kenn-
zeichnet, einerlei, ob sie im Glück oder im Elend
endet. Er wusch Teller, schachtete Baugründe aus,
schleppte Lasten, hungerte, hatte kein Dach über
sich nachts, aber er hatte eine heiße Sehnsucht und
einen festen Willen, und wenn er abends nach dem
Himmel und seinen Sternen sah, kam ihm Stärkung
für beide, lind wenn der Himmel trübe und fírmen-
los war, so fiel ihm ein, wie seine Mutter immer sagte,
Sonne samt Mond und Sternen ständen auch am
trübsten Himmel nur daß man geduldig warten
müsse, bis ein frischer Wind die Wolken ausein
ander blase aber man solle dabei nicht die Hände
in bcn Schoß legen.
Ganz allmählich ging es dann vorwärts. Eine
Farmerswitwe aus dem Westen, der seine weiche,
singende Mundart auffiel, engagierte ihn als Ar-
beiter. Eigentlich war er nur mitgegangen, weil
er auf diese Art wieder näher nach Alaska Kain.
Dort war er für lange Zeit fest geworden in
Dimond. Er hatte sich das Herz der alten Dame
gewonnen, als er aus alter Gewohnheit beim
Kirschenpflücken pfiff. Da war der Alten das Bild
der kargen Heimat lebendig geworden.
„Warum pfeifen Sie?" hatte sie gefragt.
„Um meinen Mund zu beschäftigen ineine
Mutter hielt mich dazu an, weil es etwas aus-
machte, ob ein Pfund Kirschen mehr oder weniger
auf den Wochenmarkt kam."
»Ja," sagte die alte Dame, „es gibt mancherlei
Gründe, aus denen die Menschen pfeifen und singen."
Von diesem Tage an besaß er das Vertrauen
von Mrs. Drownton. Sie redete ihm aus, daß
er unter die Goldsucher ginge. Wer kann wissen,
ob sie es wirklich aus Besorgnis ftir das Wohl
ihres Angestellten tat oder aus Eigennutz, um
keinen guten Arbeiter zu verlieren. Jedenfalls
machte er dennoch fein Glück in den fünf Jahren,
während deren er Mrs. Brownton diente. Sie
vermachte ihm eine Summe, die ihn instand setzte,
in Frisco eine Garküche aufzumachen, gerade da,
wo der Weg nach Alaska hinführt, in der deutsche
Gerichte gekocht und deutsches Brotgebacken wurden.
Der Plan, der von der Alten stammte, war min-
bestens so viel wert als ihr Geld. Daß sie es
4ML. 172 SML,
ihm nur unter der Bedingung vermacht hatte, eine
Garküche für Heimatskost zu griinden, war hart,
aber weise. Karl Aberding seufzte lächelnd, als
er an diese Zeit seines Lebens dachte, die er feine
Pilgrimzeit nannte. Jetzt wollte er das Leben
eines Bürgers führen.
Das Haus war so erbaut, wie es alle diese
Jahre über in seinen Träumen stand. Breit und
behaglich lag es neben der alten Linde.
Sein Altan ruhte auf Säulen. Seine Grenze
bildete der flinke Bach links, der dem breiten
Fluh im Tale zulief. Rechts befand sich eine ver-
wilderte Hainbuchenhecke, die ausgebessert sein
wollte, und am Fuh des Hügels lag noch jener
Platz, „auf dem Schutt abgeladen werden konnte",
wüst wie immer. Auch den hatte er milerworben,
um ihn in einen Garten zu verwandeln. Der
Bach sollte sein Wasser zu einem Bassin mit Spring-
brunnen herleihen - Goldregen und Flieder und
silberblättrige Weiden sollten dort wachsen.
Karl Aberding wunderte sich heute, daß er nicht
mehr Freudigkeit empfand, da er doch der Ver-
wirklichung seiner Wünsche so nahe gekommen war!
Die Tafel war abgeräumt — tiefe Stille herrschte
im Haus, aber Karl mochte nicht zur Ruhe gehen.
Der Mond hing gerade über der alten Linde.
Eine breite, lichte Wolke fing seinen Silberglanz
auf und schwebte leuchtend dahin. Es litt ihn
nicht im Zimmer. Er ging hinaus, am Bache
entlang, bis zu dem Platz, „auf dem Schutt ab-
geladen werden durfte" Er hatte ihn mit einer
niederen Mauer einzäunen lassen. Das schmiede-
eiserne Gitter, das sie krönen sollte, würde morgen
aufgerichtet werden. Es würde viel Mühe und
Arbeit kosten, bis der Platz, von allen Scherben-
resten iittb Abfällen befreit, zu einem fnichtbaren
Stück Land nmgefchaffen war. Während er, auf
der niederen Mauer sitzend, die Glasscherben und
zerbeulten Blechgeschirre betrachtete, die im Mond-
licht wie ausgestreute Kostbarkeiten flimmerten und
glänzten, kam ihm der Gedanke an ein Mädchen,
das er feit seinen Kinderjahren kannte und fast
vergessen hatte — nein, wenn er ehrlich sein wollte,
ganz vergessen hatte - als es ihm besser ging:
Cöleste Hildenhagen!
Er legte die Hand vor die Augen. —
Einen Büchsenschuß entfernt vom Frauenberg
lag der Friedhof. Jeden Sonnabend abend be-
suchte er mit seiner Mutier das Grab seines Vaters.
Cöleste war die Tochter des Totengräbers. Bei
diesen Spaziergängen hatte er sie kennen gelernt.
Sie half ihrem Vater bei seiner Arbeit, und viel-
leicht trug das die Schuld, daß ihre jungen Augen
so nachdenklich in die Welt sahen. Seine Mutter
wählte jedesmal als Rückweg den über den Frauen-
berg. Saß mit ihm auf der Steinbank und zeigte
ihm die Himmelsrichtungen und die Stellen in der
Grtsflur, die einstmals seinen reichen Vorfahren
gehört hatten. Manchmal gab der Totengräber
ihren Bitten nach und ließ Cöleste mitgehen. Meist
mußte sie einen Korb aufbuckeln, in dem ver-
moderte Kränze lagen, die auf die Stelle gebracht
werden sollten, „wo Schutt abgeladen werden
durfte"
Karl half ihr bei diesem Geschäft - so wurden
sie Freunde. Cöleste fand immer irgend etwas
zwischen dem abgeladenen Schutt, das eine Kost-
barkeit darstellte. Sicherlich aber brachte sie eine
grüne oder braune Glasscherbe hervor, durch die
die Welt betrachtet werden konnte. Cöleste Hilden-
hagen war die einzige gewesen, die bei seinem
Abschied weinte. Bei der Beerdigung seiner Mutter
hatte er seit langem zum ersten Male wieder mit
ihr gesprochen. Es war am Abend jenes Tages,
als er noch einmal allein auf den Friedhof ging,
um das fertige Grab zu sehen. Er fand sie beim
Ordnen der Kränze. Das war nichts Besonderes,
denn das tat sie seit Jahren schon. Er hatte sich
gewundert, wie groß sie geworden sei.
Auch damals hatte er den Rückweg über den
Frauenberg genommen, und Cöleste war ihm ge-
folgt mit einem Korb für die Abfallftätte auf dem
Rücken. Er hatte sie anfänglich gar nicht bemerkt,
erst als die Friedhofstür in den Angeln pfiff, drehte
er sich um. Sie sprachen von seiner Mutter, und
daß er auswandern wolle.
(Fortsetzung folgt.)
------------------------
Funde beim Neubau der Kirche zu Niederzwehren.
Beini Ausheben der Baugrube für die Erweite-
rung bzw. den Neubau des Kirchenschiffes in Nieder-
zwehren stieß man am 20. Mai in über 3 m
Tiefe im gewachsenen Boden unter einer starken
Humusdecke mit zahlreichen Knochen auf ein gut
erhaltenes Bruchsteingewölbe von 2.60 m Länge
und 2.35 m Breite mit einem in der Langseite
am Ende liegenden, nur 50 cm breiten Eingang,
dessen Einsteigöffnung verschüttet ist. Die hintere
Stirnmauer des Gewölbes liegt 3,40 m von der
alten Befestigungsmauer um den alten Kirchhof
entfernt.
Nach Sachverständigenurteil handelt es sich bei
diesem interessanten Fund. den man nicht gemacht
»«WL, 173
haben würde, wenn der neue Flügel nur um 10 cm
geringere Breite erhalten hätte, um ein Erdgewölbe,
Erdhaus oder Gaden genannt, wie solche im 15.
und 16. Jahrhundert überall in Hessen, Thüringen
und benachbarten Landen auf den als letzte Zu-
flucht dienenden Kirchhöfen eingerichtet wurden.
An einigen Orten wie Werkel, Jesberg, Reichen-
sachsen u. a. sind solche Gaden noch urkundlich
nachzuweisen; in Bischhausen an der Schwalm hat
sich ein solches Gewölbe, das später auch als Ge-
fängnis diente, erhalten.
Solche Gaden waren als Vorratskeller, teilweise
mit hölzernem Überbau, von den Hofbesitzern für
die Zeit feindlicher Überfälle eingerichtet. Es be-
fanden sich also noch viele solcher Gaden auf einem
Kirchhof, je nach der Anzahl der Bauernhöfe. Man
kann also direkt behaupten, daß auch in Nieder-
zwehren noch viele solcher Notkeller zu finden sein
werden. In sie brachte der Landmann den eisernen
Bestand an Lebensmitteln, den er erst angriff,
wenn er Haus und Hof im Stiche lassen mußte
und sich und seine Habe und sein Vieh auf den
Kirchhof unter den Schutz des festen wehrfähigen
Turmes hinter hohen Mauern mit Schießscharten
innerhalb eines breiten Grabens flüchten mußte.
(Siehe meinen Aufsatz „Über befestigte Kirchhöfe"
in der Zeitschrift des Hess. Geschichtsvereins, „Der
Kirchturm zu Niederzwehren" im Burgwart und
bei Usbeck, «Chronik von Niederzwehren".) Der
Fund des Kellers ist also eine neue Zutat zu den
schon vorhandenen Wehreinrichtungen des Nieder-
------------
zwehrener Kirchhofs, dem starken Turm mit seinen
vier Gußerkern, den Eckrondelen mit Fußscharten,
den Schlüffellochscharten im Turm und in der
starken Ringmauer. Bei einer oberflächlichen Räu-
mung des Fußbodens fand man Holzkohlen, weitere
Funde werden über den Gebrauch des Kellers Auf-
schluß geben.
flirtai« m*w*t
Auch im Kirchenschiff wurde beim Abbruch des
Altars ein wichtiger Fund gemacht. Es wurde
ein 1,10 m im Durchmesser haltender runder Tauf-
stein auf achteckigem Fuß mit einem breiten Wein-
rankenfries gefunden. Hoffentlich bleibt der einzig-
artige Taufstein erhalten und findet Aufstellung
im hessischen Landesmusenm. E. Wenzel.
-------------
Der Main.
Reiseskizze von Else Hertel.
I. Die Mainschlucht.
Hoch in den Lüften zieht in stolzem Fluge ein
mächtiger Raubvogel seine Kreise. Immer lang-
samer, immer ruhiger wird die Bewegung. Jetzt
steht er fast still in der reinen, klaren Morgenlust.
Uber ihm ein tief blauer Himmel. Unter ihm, ein-
geengt zwischen prächtigem Nadelwald, smaragdgrünes
Wiesenland. Stille ringsum und Frieden.
Stille. Nur unterbrochen von einem Murmeln
und Rauschen, von einem Plätschern und Klingen
dort zwischen den Weiden und Espen.
Über das Steinicht und Felsgeröll kommt ein
Bergwaffer, hell und klar wie der Tag, und frisch
wie der Morgen.
Es ist der junge Main, kaum dem Schoße der
Mutter Erde entsprungen, drei Stunden erst zählend,
der hier so jauchzend ins Leben hineinstürmt.
* *
*
Ob es mich trägt?
Ihr Steine, kaun ich hinüber? Oder springen
die Wellen zu rasch, und löst sich das lockere Geröll
bei des Fußes Berührung?
Schon steh' ich inmitten aus mosigem Stein, den
die Wellen bespülen.
Vorsichtig! Das Kleid hoch! Ein Schritt noch
— ein Sprung — und ich trete ins taufrische Gras
des anderen Users.
Fröhlich schreite ich weiter im Schatten des Berges.
Um mich der köstliche Odem des Waldes.
Stille ringsum und Frieden.
O du Tal dort zwischen den waldigen Höhen,
o du Mainschlucht, wie lieb' ich dich! Und du Main,
du holder, plaudernder Knabe, wie bist du ans Herz
mir gewachsen! Was rauschest du? Was raunst
du? Was kicherst und lachst du, und erzählst mir
alles — heute und morgen, und all die Tage und
Jahre, so lang ich dich kenne?
174 NAL.
Und ich sitze drüben am Hang, aus der roh ge-
zimmerten Bank, das Buch aus den Knien. Aber
immer wieder unterbricht mich dein Plaudern, dein
holdes kindliches Spielen und Singen. Immer
wieder kommst du zu mir und liegst mir im Ohre.
Und ich höre nur dich und dein Kosen, und das
Buch liegt müßig im Schoße.
II. Der Abschied.
Sie haben eine Brücke über dich hingelegt, kunst-
los gesägt. Drei behauene Fichtenstämme. Der in
der Mitte biegt sich ein wenig. Zu beiden Seiten
ein Handgriff.
Wie oft bin ich darüber geschritten! Habe der
klaren Flut zugewinkt und lächelnd hinein in ihr
fröhliches Antlitz geschaut.
Wie oft'
Und heute? — Soll es das letzte Mal sein?
Das Letzte.
Wie einen Menschen hab' ich lieb dich gewonnen'
Es würgt mich etwas im Halse. Abschied soll ich
nehmen von dir' Der Reisetag ist beschlossen.
Schon morgen führt mich der Ellzug hinweg —
hinaus aus dem Waldtal, hinaus aus dem Frieden —
ins hastende, nimmer rastende Leben.
Leb wohl' O leb wohl'
Und es legt sich mir sengend aufs Auge. Nur ver-
schwommen seh' ich das liebe, das köstliche Bild noch.
Ich klettre den Waldsleig hinan und winke und
grüße hinunter. Noch einmal seh' ich im Sonnen-
glanze ein glitzerndes Wellchen sich heben, ein schaum-
gekröntes, dann nimmt mich der schweigende Wald auf.
Und höher steig ich hinaus. Ein Wiesenland wird
überschritten — und wieder geht es durch würzigen
Fichtenwald bergan.
Alles düstet umher. Wilder Thymian und blühende
Heide, die rings den Boden bedecken.
Die letzten Bäume des Waldes aus luftiger Höhe. —
Der Wind geht über sie frei hin. Und der Wind
greift hinein in die Kronen und spielt mir ein
brausendes Lied — die Abschiedsgabe des Waldes.
III. Die Reise.
Heiß liegt die Mittagssonne auf dem rasch dahin-
gleitenden Zuge. Sie glüht allmählich durch Wand
und Getäfel, durch Fensterscheiben und Polster, und
mischt sich mit dem ansgewirbelten Kohlenstaub der
nahen Lokomotive. Und sie legt sich heiß auf die
Stirne der Menschen.
O Stille' O kühle Waldeslust' Wie weit da-
hinten. —
Und hinweg geht es in sausendem Fluge immer
weiter ins Land. Immer weiter von dir!
Es dehnt sich die Ebene. Ohne Aufenthalt rattert
der Eilzug vorbei an Städtchen und Dorf, an Klöstern
und Burgen, an manchem schönen alten Gemäuer,
an waldigen Höhen.
Stunden vergehen. Dann ein vermindertes Maß
der Schnelligkeit.
Sonniges Bergland umher — und ein glitzerndes
Band durch den Talgrund.
Ein Flußlaus. Und aus seinem Rücken trägt er
Lasten von Bergholz — und rings an dem Bahn-
gelände sind sie aufgestapelt — unendliche Massen
prächtiger Stämme.
Da durchzuckt es mich mächtig — fast hätt' ich's
hinaus gejubelt:
„Du bist es, du Main! Du lieber, holder Ge-
fährte' So seh' ich dennoch dich wieder'"
Doch eigen berührt mich die Last, die man auf
deine Schultern gebürdet.
Nun tritt der Ernst des Lebens an dich heran,
und du mußt tragen und schaffen, was man dir
auflegt.
Kaum kann ich die Weiterfahrt nun erwarten.
Immer geht sie dahin mit dem lieben Freunde zur
Seite. Das kürzt mir die Reise.
Und ich seh' ihn erstarken im Tragen. Ich sehe
ihn wachsen und immer mehr sich entsalten. Und
Brücken, nicht mehr wie der Steg in der Schlucht
aus drei Balken, nein, mächtige Brücken von Stein
überspannen die Fluten.
Dann seh ich zum ersten Male ein Schiff deinen
Rücken befahren. Du wiegst es und schaukelst es
lind. Du trägst es frisch durch die Wellen. Mit-
unter verlieren wir uns aus den Augen. Doch stets
kommt es wieder, nur breiter und stolzer, das Band,
das die Ebene durchschneidet.
Wir fahren an Bamberg, der alten Stadt mit
dem prächtigen Münster vorüber. An Würzburg.
Und überall windet sich das glänzende Band der
blauen Flut durch die Landschaft, und schmiegt sich
an die historischen Stätten vergangenen Glanzes,
vergangener Wirksamkeit. Und größer werden die
Schiffe und schwerer befrachtet. Und höher werden
die Berge und enger die Täler.
Die ersten Kuppen des Speffart grüßen herüber.
Der Tag geht zu Ende. Es legt sich der Abend
mit seinem duftigen Schleier aus Berg und auf Tal.
Wir kommen in sausender Eile herab vom Gebirge.
Noch einmal sah ich von ferne im Abendscheine
das Band, das zum Strome geworden — dann legt
sich die Dunkelheit schwarz aus die Erde.
IV Die Ankunft.
Schwacher Lampenschein erhellt das Kupee. Stern
um Stern glänzt draußen vom nächtlichen Himmel.
Jetzt donnert der Zug über ein mächtiges Bau«
werk von Eisen.
Ich schaue hinaus. Da sehe ich sie glitzern und
blinken — unter mir tief — die nachtüberschatteten
Fluten des Maines, in dem die Sterne des Himmels,
die Lichtwogen der Großstadt sich spiegeln in schau-
kelndem Glanze.
Du Main, säst sremd bist du mir in deinem
stolzen Gewände. Mit Schiffen und Masten beladen.
Mit prächtigen Brücken bespannt. Von diesem Ge-
füge aus Eisen, das unseren Zug trägt, bis zu jener
altehrwürdigen mit dem Standbild des Kaiser Karolus,
die, den Anforderungen einer neuen Zeit nicht mehr
genügend, fällt, um einem großartigen Neubau Platz
zu machen.
Fast fremd bist du mir mit dem vornehmen Kai,
und den reichen Palästen zur Seite.
Und zuletzt mit dem neuen, mächtigen Hafen.
Ich sehe hinab in die rauschende glitzernde Flut,
und mich faßt ein Gefühl halb der Wehmut, halb
herzlicher Freude.
Mein trauter Knabe, mein Freund, wie bist du
herrlich geworden'
--------«»■
Aus Heimat
Hessischer Geschichtsverein. Der Esch-
weger Zweigverein veranstaltete am 19. Mai im
Saale des „Hessischen Hofes" eine sehr gut ver-
laufene Jahrhundertfeier, die dem Andenken
der Eschweger Freiheitskämpfer gewidmet war. Der
Vorsitzende, Nechnungsrat Hartdegen, begrüßte
die zahlreichen Damen und Herren aufs herzlichste,
wies aus die Bestrebungen des Vereins hin, die ins-
besondere aus die Gründung eines Heimatmuseums
gerichtet sind. Die zu diesem Zwecke vom Vorstande
angeregte Sammlung in hiesigen Bürgerkreisen ergab
800 Mark. Außerdem wurde dem Vorstande zu
den Einrichtungskosten vom Kuratorium der Gustav
Schäfer-Stiftung 500 Mark verwilligt Das Heimat-
museum das in der ehemaligen Schloßkapelle eine
würdige Heimstätte finden wird, soll noch in diesem
Jahre eröffnet werden. Darauf hielt Lehrer Bier-
wirth einen längeren sehr interessanten Vortrag
über „Eschweger Erinnerungen an das Jahr 1813"
Aus Eschwege nahmen 9 Offiziere, 19 als freiwillige
Jäger zu Fuß und zu Pferde und 192 Soldaten
anderer Waffengattungen an dem Freiheitskampse
teil. Drei von ihnen erhielten wegen ihrer Tapfer-
keit den Verdienstorden vom „EisernenHelm". Großes
Interesse erregte das Lebensbild eines Eschweger
Freiheitskämpfers, des Jakob Christoph Heinemann,
der im Lützowschen Freikorps die Feldzüge 1813,
1814 und 1815 mitmachte. Er nahm an den beiden
Wie manchem hast du gedient und hast mancherlei
Segen gebracht, wohin du dich wendest. Und deiner
Windungen sind gar viele von Ansang bis hierher.
Und so rauschest du weiter, um weiter den Handel
zu heben, und das Wachstum der jeweiligen Stadt,
die du umfließest, des jeweiligen Landes, durch das
dich dein Weg führt, zu fördern.
Und am Ende? — Gibst du dich ganz einem
Größeren zu eigen. Du führst deine Wasser ihm
zu. Und in ihm erreichst du — ein Tropfen —
das Meer, und hilfst mit. so weit du vermagst, zum
großen Verkehre der Welten.
Und wie das Wesen der Welt unendlich ist, so
ist's auch das deine.
Nichts vergeht. Alles lebt fort. nur in anderm.
Auch du kehrst zurück. In Nebeln steigst du vom
Meere empor und befeuchtest niedersinkend die Erde.
Gibst Speise den Quellen und nährst die Flüsse. Du
bist das Wasser, das Goethe unsrer Seele vergleicht:
„Vom Himmel kommt eS,
Zum Himmel steigt es
Und wieder nieder
Zur Erde muß es
Ewig wechselnd"
----------
und Fremde.
Einzügen in Paris 1814 und 1815 teil, wurde bei
Ligny leicht verwundet und focht wie ein Löwe bei
Waterloo. Heinemann war ein sehr guter Freund
Theodor Körners. Seine Nachkommen besitzen noch
zwei wertvolle Andenken an den Dichter von „Leyer
und Schwert", ein Bild und eine Tabakspfeife. Beide
tragen die Widmung „Theodor Körner seinem
Freund Heinemann." Der Vorstand des Geschichts-
vereins hatte seine Lützower Reiteruniform, die sehr
selten und darum wertvoll ist, und die Familie
Heinemann verschiedene Denkmünzen, Waffen, alte
Dokumente und andere wertvolle Andenken an diesen
Freiheitskämpfer ausgestellt. Herr Theodor Schäfer
hatte die Ausrüstungsgcgenstände seines Großvaters,
der als freiwilliger kurhessischer Jäger an den Freiheits-
kriegen teilgenommen, auch öffentlich ausgelegt. Das
Material zur Biographie des Lützowers Heinemann,
der als Eschweger Bürger sich durch einen großen
Unternehmungsgeist auszeichnete, hatte sein in Kassel
wohnender Enkel, Hermann Heinemann, der mit den
anderen Familienmitgliedern derEhrenfeier beiwohnte,
Lehrer Bierwirth zur Verfügung gestellt. Nachdem
der Vorsitzende dem Redner den wärmsten Dank der
Versammlung ausgesprochen, gedachte er der Nach-
kommen jenes bedeutenden Freiheitskämpfers und
brachte ihnen ein Hoch aus. Sonntag den 25. Mai
veranstaltet der Geschichtsverein gemeinsam mit dem
Werratalverein einen Ausflug nach Germerode. Hier
&wl 176 smtL
wird Professor Ulrich einen Vortrag halten über
die dortige ehrwürdige Klosterkirche. Die Feier
wurde mit dem gemeinsamen Gesänge der Lieder
„Ich hab' mich ergeben" und „Deutschland, Deutsch,
land über alles" würdig geschlossen. — Am 25. Mai
unternahm der Eschweger Zweigverein in Verbindung
mit dem Werratalverein einen Ausflug nach Germe-
rode zur Besichtigung der dortigen Klosterkirche.
Während die Mitglieder des Geschichtsvereins sich
direkt nach dem schön gelegenen Meißnerdorse be-
gaben, machten die des Werratalvereins vorher von
Hasselbach aus einen Gang über die Seesteine, Kitz-
kammer und Schwalbental. Eine große Zuhörerschaft,
Damen und Herren, darunter auch viele Bewohner
aus Germerode und der Umgegend, hatte sich in dem
Gotteshause eingesunden. Hier hielt Professor Ulrich-
Eschwege einen längeren interessanten Vortrag über
„Die Geschichte des ehemaligen Klosters Germerode
und insbesondere über die noch vorhandene romanische
Klosterkirche". Das Germeroder Prämonstratenser-
Kloster wurde 1145 von dem Grasen Rücker II.
von Bilstein, dem Gaugrasen der Germarmark, „zum
Heil seiner Seele" gegründet und der Jungfrau
Maria geweiht. Ursprünglich für Mönche und Nonnen
bestimmt, war es seit 1273 nur noch mit Chorsrauen
besetzt. Durch die Gunst der Bilsteiner Grasen ge-
langte das Kloster im Lause der Jahre zu hohem
Ansehen und großem Reichtum. Aus 133 Orten
bezog es Dienste und Abgaben. Auch erhielt es
frühzeitig die peinliche und niedere Gerichtsbarkeit
über die Dörfer des ehemaligen Gerichts Germerode.
Ende des 14. Jahrhunderts trat ein Verfall des
Klosters ein und 1527 wurde es, wie die übrigen
Klöster in Hessen, durch den Landgrafen Philipp
den Großmütigen aufgehoben. Die letzte Priorin,
Mechtilde von Keudell, stellte mit ihren 30 Nonnen
den Verzicht aus. Heute bilden die Klostergüter
eine Domäne. Die Kirche, eine romanische Pfeiler-
basilika, ist von hohem Kunstwert. Sie wurde nach
der Einführung der Reformation zu einer evangelischen
Predigtkirche umgebaut. Prof. Ulrich gab eine ge-
naue und klare Beschreibung der Kirche in ihrem
früheren und jetzigen Zustande. Nach der Besichtigung
des Gotteshauses verweilten die Teilnehmer noch eine
zeitlang bei einer Taste Kaffee in der Wirtschaft
von Reinhard. Hier dankte der Vorsitzende des
Geschichtsvereins, Rechnungsrat Hartdegen, im
Namen der Zuhörer dem geschätzten Redner für
seinen gediegenen Vortrag. Der Ausflug nahm, vom
herrlichsten Maiwetter begünstigt, den besten Verlauf.
Am 21. Mai unternahm der Marburger Verein
unter stattlicher Beteiligung einen Ausflug nach
W i e s e n s e l d. In wenigen Minuten gelangte man
vom Haltepunkt der Frankenberger Bahn zur Kirche
und Johanniterhaus, dem Zielpunkt. Dieses, wenig-
stens heute einstöckig, ist von zwei Tagelöhnerfamilien,
die gern die Besichtigung gestatteten, bewohnt. Es
stammt aus dem Ansang des 16., die Kirche aus
dem 13. Jahrhundert. In ihren Räumen erhielten
die Teilnehmer der Fahrt durch einen kleinen Vortrag
des Vorsitzenden, Archivrat vr. Rosenfeld, ein-
gehende und dankenswerte Kunde von den Schicksalen
eines Gliedes der großen internationalen Ordens-
gemeinschaft in diesem stillen hessischen Tale: Wiesen-
seld ist entstanden als Johanniter-Niederlastung. die
begründet wurde von den Grafen von Battenberg
im 1. Viertel des 13. Jahrhunderts; möglicherweise
hat Gras Werner I. von Battenberg, der an der
Heerfahrt von 1197 nach Palästina teilnahm, die
Verbindung mit dem ältesten der drei Ritterorden
dort angeknüpft; jedenfalls ist sein Sohn Werner II.
— anscheinend schon vor 1227 — dem Orden bei-
getreten und ist der erste urkundlich bekannte Bruder
des 1238 zuerst genannten Ordenshauses Wiesenseld;
erst 1259 wird der 1. Komtur daselbst erwähnt.
Der Johanniterorden versuchte bald nach seinem ersten
Auftreten in Hessen das von der eben verstorbenen
Landgräfin Elisabeth bei Marburg begründete Fran-
ziskus-Hospital in Anspruch zu nehmen, diese Pläne
scheiterten (1232), und die junge Gründung blieb
aus eine bescheidenere Wirksamkeit angewiesen. Auf
Grund des nicht sehr umfangreichen und auch nicht
ganz vollständig erhaltenen Urkundenarchivs der
früheren Kommende läßt sich ein Bild gewinnen von
dem Besitz des Hauses an Grundstücken, Zinsen und
Zehnten, von Bedeutung sind namentlich eine Anzahl
im 14. Jahrhundert erworbener Kirchenpatronate.
Die Schenkung der Pfarre und des Psarrhoss von
Frankenberg an den Orden durch Landgraf Hermann
den Gelehrten (1392) brachte die Verlegung des
Sitzes der Kommende nach Frankenberg mit sich,
doch wurde das Haus in Wiesenfeld auch weiterhin
besetzt gehalten mit einigen Rittern und Kaplänen,
zu denen sich eine Anzahl von sog. Donaten ge-
sellten, Brüdern und Schwestern, die, ohne den welt-
lichen Stand zu verlassen, sich dem Orden, vielfach
unter Hingabe ihres Vermögens gegen lebenslängliche
Versorgung, anschlosten. Gerade die Urkunden über
diese Ausnahmen von Donaten aus dem 15. und Anfang
des 16. Jahrhunderts gewähren manchen intereffanten
Einblick in die inneren und häuslichen Verhältnisse
des Ordenshauses. 1528 wurde die Kommende
von Landgraf Philipp wie andere Klöster aufgehoben
und die Jnsaffen durch Abfindungen entschädigt,
die Kommende, jetzt landgräsliche Domäne, wurde
schon 1538 an die v.Kramm, später an die v. Dern-
bach verpfändet, erst Landgraf Karl hat sie wieder
eingelöst und zur Ansetzung von französischen RefugieS
benutzt (1720). Über die Kirche selbst, einen nicht
unintereffanten frühgotischen Bau des 13. Jahr-
ftm, 177 vML,
Hunderts mit späteren Zutaten, sind urkundliche Nach-
richten kaum vorhanden; sie wurde wie der Turm
und das gegenüberliegende Johanniterhaus von 1507
eingehend besichtigt. — Bei herrlichem Wetter genoß
man in vollen Zügen den nur zu kurzen landschaftlich
reizvollen Weg nach Ernsthausen. Dort erquickte
man sich in der Gastwirtschaft Bornemann aufs
beste, besichtigte dann noch die stattliche neue Kirche
des Ortes und kehrte um die Erinnerung an einen
schönen Nachmittag reicher nach Marburg zurück.
Marburger Hochschulnachrichten. Geh.
Hosrat Professor vr. Albert Köster in Leipzig,
der 1892—99 als Literarhistoriker hier wirkte,
wird voraussichtlich den Ruf als Nachfolger Erich
Schmidts an die Berliner Universität ablehnen. —
Professor vr. Richard Hamann von der König-
lichen Akademie in Posen hat den Ruf als Ordi-
narius für Kunstgeschichte zum kommenden Winter-
semester angenommen. — Dem Repetenten Pfarrer
Paul Behnke wurde von der theologischen Fakultät
der Grad eines Lizentiaten der Theologie fionoris
causa verliehen.
Personalchronik. Am Geburtshaus des früheren
Direktors drS Kasseler WilhelmSgymnafiumS Geheimrats
vr. Christian Muff in Treffurt ließ der dortige
Magistrat eine Gedenktafel anbringen.
Todesfälle. Am 18. Mai verschied an Herzlähmung
zu Magdeburg der dortige Oberbürgermeister Gustav
Schneider. Zu Sontra am 23. Mai 1847 geboren,
besuchte er das Gymnasium zu Hersfeld, studierte in Mar-
bürg und Leipzig die Rechtswissenschaften, wurde 1876
Lanoesrat in Kassel und 1881 zweiter Bürgermeister der
Stadt Halle, 1890 erster Bürgermeister von Erfurt und
1895 Oberbürgermeister in Magdeburg, um welche Stadt
er sich u. a. durch die Schöpfung des Königin Luisen-
gartens und aus dem Gebiete des heimischen Denkmäler-
schutzeS wertvolle Verdienste erwarb. Seit 1906 lebte
Schneider im Ruhestand zu Magdeburg. — Am 31. Mai
verstarb zu Eschwege der Fabrikant Ernst August
Döhle, der sich in zahlreichen Ehrenämtern — er war
u. a. 16 Jahre lang Stadtrat und seit 1905 erster Bei-
geordneter der Stadt — als treuer Bürger und edler
Mensch rastlos im Interesse der Stadt und der Bürger-
schaft betätigt hat. — In seiner Vaterstadt Kassel verstarb
der Kunstmaler Artur Ahnert im besten ManneSaltrr.
Ein schweres Siechtum, dem der riesenstarke Mann endlich
unterlag, ließ ihn \n den letzten Jahren mit Neuschöpfungen
nicht mehr an die Öffentlichkeit treten, dagegen hatte er
einen Ruf als geschickter Restaurator und betätigte sich als
solcher als Konservator der Stadt Kassel sowohl als des
Fürsten von Waldeck. in dessen Schlöffe er alljährlich
einige Wochen zubrachte. Von Ahnerts früheren Werken
ist besonders das Gemälde „Unser täglich Brot gib uns
heute* zu erwähnen, das seinerzeit auch auf der Großen
Berliner Kunstausstellung auffiel. Es sollte daS erste
einer das Vaterunser illustrierenden Bilderserie sein und
ist auch das letzte und einzige geblieben. Der Name dieses
strebsamen Künstlers wird in Kaffel immer in Ehren bleiben.
Eine Neuerwerbung der Kasseler Gemälde-
galerie durch Direktor vr. Gro nau bildet ein Gemälde
vonJakobOchtervell, einem altniederländischen Meister
auS der Mitte des 17, Jahrhunderts, vr. Gronau hat
dem koloristisch wertvollen Stück die Bezeichnung »Sing-
probe* gegeben.
Der Festzug zur Tausendjahrfeier. Der Vor-
stand des Hessischen Geschichtsvereins veröffentlicht folgende
Erklärung:
„Bei den Beratungen über das Programm für den
historischen Frstzug, der einen Höhepunkt der Tausend-
jahrfeier der Stadt Kaffel bilden soll, ist der unter-
zeichnete Vorstand de« Vereins für hessische Geschichte und
Landeskunde von Anfang an vertreten und nachdrücklich
bestrebt gewesen, dem Festzug neben der gebotenen Rück-
sicht aus dir künstlerische Ausführbarkeit die historische
Treue zu sichern. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit
war das am 20. Januar d. I. veröffentlichte Programm,
daS auch vom geschichtlichen Standpunkt au« als zur Aus-
führung geeignet bezeichnet werden muß. Am 11. April
d. I. ist ein abgeändertes Programm veröffentlicht worden,
das ohne unser Vorwissen und ohne unsere Mitwirkung
zustande gekommen ist und erhebliche, schwer inS Gewicht
fallende Abweichungen von dem vorhergehenden zeigt. Gegen
dieses Programm müssen ernste Bedenken geltend gemacht
werden, und zwar nicht nur gegen die von Herrn v. P.
beanstandeten — übrigens längst richtig gestellten —
hessischen „Söldner*, sondern vor allem gegen die gänzlich
unhistorische Behandlung, die Landgraf Philipp und seiner
Zeit zugedacht ist. Hiergegen öffentlich Einspruch zu er-
heben. ist unabweisbare Verpflichtung unseres Vereins, der
es aber ablehnen muß. in eine weitere öffentliche Erörterung
der Angelegenheit einzutreten.
Kassel den 29. Mai 1913.
Der Vorstand
deS Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde.*
AuS Kassel. Die,Hundertjahrfeier seines Geschäftes
beging am 1. Juni der' Obermeister der Fleischerinnung.
Hofmetzgermeister Karl Schnell, au« welchem Anlaß
ihm der Kgl. Kronenorden 4. Klasse verliehen wurde.
Aus Frankenberg. Zur Erinnerung an die Be-
.freiungSkriege wird auf dem Goßberg ein Gedenktempel
errichtet werden. _____________________
Auf dem 23. hessischen Städtetag in Rotenburg
betonte u. a. Stadtrat Syndikus Brunner-Kaffel, daß
der hessische Städtetag die Klarstellung der Rechtsverhält-
niffe auf den hessischen Friedhöfen bei der Ministerial-
instanz energisch betrieben habe, um endlich den politischen
Gemeinden Gemeindefriedhöfe mit eigener Verwaltung zu
sichern, bi« jetzt aber ohne Erfolg. Landrat Valentin-
Schlüchtern sprach über Jugendpflege und Gymnafial-
profeffor Schwarz-Rotenburg forderte die Anlage von
Vogelgehölzen und Niststätten für die immer mehr bedrohte
Bogrlwrlt. Ort der nächstjährigen Hauptversammlung ist
Arolsen. _______________
Werbeliteratur über Kassel. Die tatkräftige
Propaganda des Stadtverkehrsamtes hat u. a. zwei ge-
schmackvolle Neuheiten herausgebracht die in ihrer vor-
nehmen Ausstattung die Werbetätigkeit für Kaffel sehr
günstig unterstützen werden. DaS „Kasseler Rathaus*
betitelt sich das erste Büchlein, da« neben einem gediegenen
Text 6 lose Künstlerpostkarten mit Aufnahmen auS dem
Innern des Rathauses enthält, nur 50 Pfg. kostet und
selbst dem Einheimischen eine willkommene Gabe sein wird.
SUSL. 178 S«SL>
Gemeinsam mit dem Verkehrsverein gab sodann das Ver-
kehrsamt eine mit 8 Farbenphotographien geschmückte
Broschüre „Die Residenzstadt Kassel mit Wil-
helmshöhe" heraus, die in einem flott geschriebenen
Aufsatz die Hauptvorzüge der Residenz und ihrer Um-
gebung aufführt. — Schließlich ließ der Aerkehrsverband
sür Hessen und Waldeck ein „Verkehrsbuch für
----------Ä*
Hessen und Wald eck" erscheinen, das. neu bearbeitet,
in erster Linie als Ratgeber bei Auswahl von Sommer-
frischen und Standquartieren dienen soll mit ganz vor-
trefflichen Illustrationen versehen ist und von der Geschäfts-
stelle des Verkehrsverbandes (Kasseler Rathaus. Zimmer 83)
und in der Auskunflsstelle am Kasseler Bahnhof gegen den
Auslagenersatz von 10 Pfg. bezogen werden kann.
■«»-----------
Personalien.
Verliehenr dem Oberregierungsrat Behrendt zu
Kassel der Rote Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife;
dem Staatspräsidenten Stegemann zu Kassel der Kronen-
orden 3. Klasse i dem Eisenbahnbetriebskontrolleur Rech-
nungsrat Kromm zu Kassel anläßlich der Vollendung
einer 50jährigen Dienstzeit der Kronenorden 3. Klasse mit
der Zahl 30; dem Pfarrer Krapf zu Nesselröden und
dem Rechnungsrat Rudolph zu Bebra der Rote Adler-
orden 4. Klasse; dem Studienrat Professor Berlit Kon-
rektor der Nikvlaischule zu Leipzig, das Ritterkreuz 1. Klasse
deö Königlich Sächsischen Albrechtsordens.
Genannt r die Landrichter Dr. Kirschstein und
Dr. von Hagens zu Oberlandesgrrichtsräten in Kiel bzw.
Kassel; die Referendare Stark, Bütte. Israel und
Müldner zu Gerichtsassessoren: Hitfspfarrer Kurz zu
Langenselbold zum Pfarrer in Rüdigheim; Hilfspfarrer
Reimann zu Bebra zum H. Pfarrer in Homberg
übertragen r dem Geheimen Regierungsrat Grafen
von Platen-Hallermund die Geschäfte des landes-
herrlichen Kommissars bei dem Vorsteheramt der Jsraeliten
in Kassel; dem Regierungs - Hauptkassenoberbuchhalter
Dörge zu Kassel die kommissarische Verwaltung der
Landrentmeisterstelle bei der Regierungshauptkasse in Köln.
Versetzt: Amtsrichter Finscher von Rörenberg nach
Wanfried.
Eingetragen r in die Rechtsanwaltsliste der Rechts-
anwalt Edinger zu Witzenhausen.
Geboren: ein Sohn: Dr. ,ne,I. Otten und Frau
Elisabeth, geb. v. l'Estocq (Kassel. 20. Mai>; Dr. med. Adolf
Speck und Frau Dora. geb. Horn (Langgöns, 27. Mai);
RechtSanwalt Brethauer und Frau Lina, geb.Schimmel-
pfeng (Hersfeld. 31. Mai); Dr. Ernst Stern und Frau
Marie. geb. Gotthelft (Kassel. I.Juni); OberlehrerDr.phil.
Hermann Degenhardt und Frau Adelheid, geb. Mellerup
(Kassel,4.Juni); eine Tochter: Professor Math es und
Frau Käthe. geb. Munckel (Marburg. 26. Mai).
Gestorben: verwitwete Frau Sophia Klein geb.
Rückeisen aus Witzenhausen. 71 Jahre alt (Allentown.
Pennsylvanien)'; Pietzgeimeister Henry A. Arnold aus
Frankenberg. 44 Jahre alt (Brooklyn. 18. Mai); RechtS-
anwalt Dr. zur. Hans Sauer (Berlin 19. Mai);
Kaufmann Heinrich Klee 95 Jahre alt (Marburg.
20. Mai); Oberst a. D. Werner v Schön fei d t (Kassel.
21. Mai); Regierungsrat Heinrich Eisiengarthen (Mar-
burg. 22. Mai); Lehrer a. D. Joh. Ludwig Schellhas
(Kassel, 24. Mai); Fräulein Sophie Gau 75 Jahre alt
(Kassel. 25.Mai); Kunstgärtner Hermann Breitenborn.
50 Jahre alt (Fulda. 25. Mai); Generalmajor z. D. Karl
Freiherr von und zu Gllsa (Berlin); Kreistierarzt Dr.
August Meyerstraße aus Hünfeld. 4t Jahre alt (Fulda.
25. Mai); Fräulein Mathilde Kloefsler, 88 Jahre alt
(Marburg. 28. Mai); Pros. Dr. Arthur Seibt 72Jahre
alt (Kassel. 28. Mai); Rechnungsrat a. D. Adolf Egbert
Born (Kassel. 28. Mai); Kaiserlicher Forstmeister a. D.
Wilhelm König 77 Jahre alt (Marburg. 29. Mai);
Kgl. Hegemeister a. D. Dreusicke (Frankenau); Schwester
Elisabeth Wolfs (Marburg. 29. Mai); Stadtältester Ernst
August Döhle. 73 Jahre alt (Eschwege, 31. Mai); Frei-
frau Marie von Buttlar-Ziegenberg. geb. von Raven,
79 Jahre alt (Stiedenrode bei Gertenbach. 31. Mai); Kgl.
Hofbäckermeister Georg Häde (Kassel, 31. Mai): Frau
Pfarrer Marie Weiß.geb.Gründler(Hofgeismar,I.Juni);
Kunstmaler Artur A h n e r t (Kassel. 1. Juni); Frau Marie
Louise Rothe. Witwe des Oberappellations-Gerichtsrats,
91 Jahre alt (Kassel. 2.Juni); Frau Klara Rothfels
geb. Wallach. Gattin des Justizrats in Kastei, 51 Jahre
alt (Jena, 4. Juni).
Sprechsaal.
Herr Dr. Schoos zählt in seinem Aufsatze „Kanzlei-
stil und Flurnamenforschung" in Nr. 3 und 4
des „Hessenland" zu den Namen, bei denen eine „absicht-
liche Umdeutung" vorliege, auch den Namen des früheren
Klosters Himmelan bei Gelnhausen (Himmelan ist
wohl Druckfehler) und sagt. dieser hätte eigentlich „Uben-
h u sen" gelautet (S. 53, Spalte 2). Das ist nicht richtig.
Das Kloster Himmelau war 1305 von dem Bischöfe Sieg-
fried von Chur, einem geborenen Gelnhäuser und damals
Vikar des Erzbischofs Gerhard von Mainz, zu „Uben-
hiisen prope Gelnhnsen“ als Zisterzienser-Nonnenkloster
gegründet worden und ging 1537 infolge der Reformation
ein. Es hieß nicht „llbenhusen". sondern eben „Him-
melau" lag aber in dem ehemaligen und später wüst
gewordenen Dorfe ,,0benbu»er?' „uszwendig der innren
zu (Jeilenhnsen“ „prope innre» opidi Geylhusen“, „in
der Heczerauwe“ also auf der Ostseite der Stabt Geln-
hausen. Es wird deshalb in den Urkunden neben „Himmel-
au" auch nur „monasterhvm in Ubenhusen prope Geilen-
husen“ genannt und nicht „monasterium Ubenhusen“
Seine Gebäude wurden erst 1777 abgebrochen. Ihre Stelle
bezeichnet noch ein Brunnen auf der Klvsterwiefe, über dem
eine Sonne eingehauen ist mit der Inschrift: „Himmelauf
geht mein Lauf." Von dem Kloster berichten zahlreiche
Urkunden (et'. Reimer. „Urkundenbuch zur Geschichte der
Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau"
Bd. II. II1 u. IV). Eine kurze Geschichte bringt Junghan«
in seiner „Geschichte der freien Reichsstadt Gelnhausen"
(Zeitschrift für hessische Geschichte und Landeskunde. Bd. 12.
1886), S. 217—220, ebenso Landau in seiner „Beschreibung
der wüsten Ortschaften in Hessen" Dagegen liegt nord-
westlich von Gelnhausen am Fuße der Ronneburg, ein
Dorf namens NeuwiedermuS. das vom Volke niemals
anders als „Fuchsgraben" genannt wird.
Anschließend hieran erlaube ich mir noch darauf hinzu-
weisen. daß das Thema der Verunstaltung der Flurnamen
schon öfters behandelt und erörtert worden ist. 0k. z. B.
Kost Die Fälschung der Flurnamen (Zeitschr. für Ver-
messungSwesen. XXXI V. 1905. S. 179-182 u. 188-195);
Andrer. Braunschweiger Volkskunde, 2. Aust. S. 84—132,
Braunschweig 1901;
Knoll Mißverstandene Flurnamen (Braunschwrigrr
Magazin. IV. 1898. S. 21-22);
Kellner. Verketzerung von Flurnamen (Blätter des
Schwäbischen Albvereins. X. 1898, Spalte 78);
Steiff Flurnamen und Geometer (Ebenda, X, 1898,
Spalte 157—160), u. a. m.
Steinau. G. Maldfeld.
Für dir Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kastei. Druck und Verlag von Friedr. Scheel Kastei.
SM" Hierzu eine Beilage der R. G. Elwertfche« Verlagsbuchhandlung, Marburg, betr. „August Vilmar.
Ein Lebens- und Zeitbild. 2 Baude. Ban Wilhelm Hopf."
Hessenland
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 12. 27. Jahrgang. Zweites Juni-Heft 1913.
Chasfalla.
Sonnwendtag. Auf den Höhen ringsum
Flammengeloder, feierlich stumm.
Frommer Seelen Gpfertat
Hegt Begebr nach Götterrat.
Und den Gesichtern und Stimmen im Tann
Lauscht beklommen ein Jägersmann,
Bebend im Chaos der finstern Gewalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Erdengeschäste der Götter sind aus.
Mönche bauen der Gottheit ein Haus.
Artschlag lichtet Dickicht und Dom.
Talhin dustet's nach reifem Korn.
Not um Brot drängt Mann an Mann,
Heischt einen Starken, der schützen kann,
Krönt eines Herzogs Schwertgewalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Und der Edele, stolz und fest,
Rüstet am Berge ein sicheres Nest.
Zwischen Burg und Kloster stellt
Sich die Stadt, eine neue Welt.
Himmelan streben Türme und Dom.
Segen spendet das heilige Rom.
Frommer Wallfahrt Sang erschallt.
Und die Fulda rauscht durch den Hefsenwald.
Fliehenden Forst jagt Korn, jagt Wein,
Fette Herden brüllen herein.
Lägen sich nicht die Herren im Haar,
Gäb' es heuer ein gutes Jahr.
Aber Fehde ist angesagt.
Armes Land, wie bist du geplagt!
Manchen Herd macht' Mainz dir kalt. —
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Geht durch Deutschland neue Mär,
Daß Gott ein Gott der Gnade wär'.
Und Menschensatzung ward zu Spott.
„Eine feste Burg ist unser Gott!" —
Herr Philipp lauscht dem Widerhall
Der Wittenberger Nachtigall,
Weckt seine Hessen, jung wie alt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Gar stille ward's da im Klosterraum.
Deutschland hatt' einen schönen Trauni,
Einen süßen Traum von Freiheit, Licht;
Dann aber kam's wie Weltgericht:
Tilly trieb seine Horden aus,
Die wandelten Hessen zum Totenhaus,
Drin wankte das Leben in Dühergestalt. —
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
stzsL. m
Deutschlands Fürsten, groß wie klein,
Sonnenkönige möchten sie sein.
Blieb Herr Karl da nicht zurück,
Baute Paläste für künftiges Gluck.
Sieh die Fontänen, Kaskaden sprühn!
Über des Habichtswaldes Grün
Hebt sich des Herkules Riesengestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Grollende Wetter im Westen drohn.
Ringsum Krieg und Napoleon.
Frankenrosse reiten zu Haus.
Blitzt eine Königskrone auf. —
Hessentreue dumpf zerbrach. —
Aber ein Ende nimmt die Schmach:
Eiegesgesang durch Deutschland hallt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Alte Treue festet den Thron.
Freiheit fordert der Hesse als Lohn,
Freiheit für ein neues Geschlecht,
Keine Gnade mehr, Recht nur, Recht.
Und in stolzem Bürgersinn
Tritt er vor den Fürsten hin.
Neues siegt und nimmt Gestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Letzter heißer Druderstreit
Einmal noch deutsche Lande entweiht.
Bis der Aar den Sieg behält
Und die enge Schranke fällt.
Herrlich dann über Krieg und Not
Weht das Banner Schwarz-weiß-rot.
Auf taucht Wilhelms Heldengestalt.
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Eonnwendtag! Auf den Höhen ringsum
Wäldergewoge feierlich stumm.
Weit im Tale dehnt sich die Stadt,
Die ihren großen Festtag hat.
Habe gelauscht in der Buchcnruh:
Gottes Liebling bleibest du.
So lange der Name Deutschland schallt
Und die Fulda rauscht durch den Hessenwald.
Kassel. Heinrich Berlelmann.
------------^>-«4»--------------
Deutsche Kunstausstellung Kassel 1913.
Es war ein glücklicher Gedanke, der Tausendjahr-
feier der inmitten des alten Kattenlandes gelegenen
Residenzstadt Kassel, die in den Septembertagen
dieses Jahres in großem Stile begangen werden
soll, gleichsam als Präludium eine deutsche Kunst-
ausstellung vorauszuschicken, wie sie in diesem Um-
fang und dieser Bedeutung noch nie in der durch
ihre Gemäldegalerie und ihre Wilhelmshöher Kunst-
schöpfungen weit bekannten alten Kurfürstenresidenz
gesehen wurde. Sind doch in dieser Ausstellung
alle deutschen Künstler, die nur irgend Ruf und
Namen haben, in bedeutender Weise vertreten.
Am 14. Juni nachmittags Va5 Uhr wurde die
Ausstellung vor einem geladenen Publikum, dar-
unter dem Kommandierenden General des 1I.Armee-
korps General der Infanterie Frhrn. v. Scheffer-
Boyadel, dem Oberpräsidenten der Provinz Wirk-
lichen Geheimen Rat Hengstenberg und den übrigen
Spitzen der Behörden im Mittelsaal des Orangerie-
schlosses in der Karlsau durch den Direktor der
Kgl. Gemäldegalerie vr.Gronau mit einer fest-
liche Ansprache eröffnet Redner sprach allen denen,
die zu dem Zustandekommen des schönen Werkes
beigetragen, den Dank des geschäftsführenden Aus-
schusses aus, nicht zuletzt auch den deutschen Künst-
lern, die trotz der großen Konkurrenz durch andere
bedeutende Ausstellungen dem an sie ergangenen
Ruf Folge geleistet und dadurch das Bestreben,
hier eine Übersicht über das deutsche Kunstschaffen
der Gegenwart zu geben, in vollem Umfang er-
möglicht haben. Die Beschränkung auf lebende
deutsche Künstler sei dem Werke sehr förderlich
gewesen. Nachdem Redner die Ausstellung für
eröffnet erklärt hatte, folgte unter feiner Leitung
ein Rundgang durch die zahlreichen Räume, der
einen überraschenden Eindruck von der außerordent-
lich zahlreichen und lückenlosen Beschickung der
Ausstellung gewährte. Die bedeutendsten Namen
der deutschen Künstlerwelt auf dem Gebiet der
Malerei, Graphik und Skulptur sind vertreten, und
in geschloffenen Gruppen zeigen die Münchener,
Berliner, Dresdener, Düsseldorfer, Weimarer,
Worpsweder, Karlsruher, Stuttgarter und Frank-
furter Künstler ihr Können. Daß in der alten
Hauptstadt des Hessenlandes gerade die Heffen am
stärksten vertreten sind, ist begreiflich. Neben
manchem Alten tritt auch manches junge Talent
zum erstenmal vor die breitere Öffentlichkeit. Durch
Überlastung des inmitten der Karlsau gelegenen
Orangerieschloffes hat die Ausstellung dank dem
9tM& 181 «E,
Entgegenkommen des Landwirtschaftsministers ein
Milieu erhalten, wie es landschaftlich nicht schöner
gedacht werden kann. Allgemein gefiel die zweck-
raum haben die Profefioren Wagner und v. Tettau
mit wirkungsvollem figürlichen und dekorativen
Deckenschmuck versehen. Wir werden auf die Aus-
Deutsche Kunstausstellung Kassel 1913, Kuppelraum im Grangerieschloß.
Aufnahme von Hosphotograph Karl Eberth, Kassel.
mäßige Einteilung der Kabinette durch Stoff-
bespannung und die überaus günstige Gestaltung
der Belichtungsverhältnisse. Den großen Kuppel-
stellung, die 841 Nrn. umfaßt, bis zum 1. September
geöffnet ist und der Stadt Kassel zweifellos viele Be-
sucher zuführen wird, noch eingehend zurückkommen.
H.
Hersfeld und die Landgrafschasl Hessen im 14. und 15. Jahrhundert.
Von vr. H. Butte, Kaffel.
(Fortsetzung.)
Der schwierigen inneren Lage der Abtei entsprach
die äußere. Wie schwer war es schon für den Abt,
stets die finanziellen und militärischen Mittel flüssig
zu machen, um den durch Hessen und Thüringen
weitverstreuten Besitz des Stifts zu behaupten!
Und während trotz allen Mühens ein Stück nach
182 vmtL
dem andern von dem entfernteren Besitz abbröckelt,
wirkt auf das Kernland zwischen Knüll und Werra
die starke Anziehungskraft der Landgrafschaft
Hessen. Die kirchliche Heils anstatt Hersfeld,
für die es einst abgetrennt war, hatte ihre Auf-
gabe erfüll^ und ihr Gebiet mußte dem Mutter-
lande Hessen wieder zufallen. Es war eine natür-
liche Entwicklung und eine lange Reihe von Äbten
hat sich vergebens dagegen gewehrt.
Das war es nun auch, was den hessischen Land-
grafen und die aus den kleinen staatlichen Ver-
hältnissen herausstrebende Stadt Hersfeld so eng
zusammenführte. Ihre freundlichen Beziehungen
lassen sich schon durchs frühere 14. Jahrhundert
nachweisen. Aber recht zusammengeschweißt wurden
beide erst durch die Notzeiten des Sternerkriegs.
Es war der große Kamps, in dem die zahlreichen
ritterlichen und fürstlichen Kleingewalten Hessens,
zusammen über 2000 Herren, sich zusammenschlossen
gegen die Landgrafschaft, von deren stetigem An-
wachsen ihrer kleinen Selbständigkeit ein Ende
drohte. Es war ein Entscheidungskampf für Hessen:
es ging der Landgrasschaft ums Leben; aber
widerstand sie dem Anprall, dann war ihr Über-
gewicht entschieden unb sie durfte sich's zum Ziele
sehen, die izersplitterten Teile des Hessenlandes
unter ihrer Herrschaft zu einigen.
Diesem großen Kampfe gab an entscheidender
Stelle die Stadt Hersfeld eine neue Wendung
durch ihr entschlossenes Eintreten für den Land-
grafen. Es war im August 1372. Ein über-
mächtiges Sternerheer unter dem Grafen von
Ziegenhain als Führer trieb das Heer der ver-
bündeten Landgrafen von Thüringen und von
Hessen vom Herzberge her das Fuldatal gegen
Hersfeld zu. Hier aber stand den Fliehenden der
Abt von Hersfeld, gleichfalls Sterner, entgegen,
und an den festen Mauern der Stadt Hersfeld
mußte es gelingen, das landgräfliche Heer zu zer-
reiben. Da griff unerwartet die Bürgerschaft
Hersfelds ein. Mit raschem Blick überschauten
die Bürger die Lage: hier galt's, alte Gunst des
Landgrafen zu vergelten und neue zu erwerben.
In dramatisch bewegter Erzählung berichtet uns
der städtische Chronist Ruhn, wie schon halb ent-
schlossen, die Landgräflichen einzulassen und sie
zu retten in die schützenden Mauern der Stadt,
sie noch zurückschrecken vor dem Wagnis und zum
Abt ins Stift schicken um Verhaltungsbefehle.
Der aber schlägt höhnend sein Skapulier auf und
zeigt den Abgesandten das bisher verborgen ge-
haltene Bundeszeichen, den Stern: „Das sage
Deinen Ratsherrn." Die aber wußten nun, was
sie zu tun hatten: „Da wagten sie das Abenteuer",
heißt es weiter, „und ließen die Herren ein."
Spätere städtische Geschichtschreibung hat die Ver-
wirrung des Augenblicks phantastisch ausgestaltet:
Da waren die Sterner den Landgräflichen so dicht
auf den Fersen, daß Freund und Feind in die
Stadt eindrangen, daß viele in den Toren erdrückt
wurden, viele Landgräsliche auch ausgeschlossen
blieben und der Wut der Sterner zum Opfer fielen.
Das Verdienst der Städter um den Landgrafen
sollte um so kräftiger hervortreten.
Ihr Verdienst war auch so groß genug. Die
einzige mühsam organisierte Gesamtaktion, zu der
es der Bund gebracht hat, war hauptsächlich durch
das Eingreifen der Hersfelder Bürger gebrochen.
Das Bundesheer, stets schwer zu regieren, war
nicht mehr zusammenzuhalten. Der Graf durfte
keine Belagerung der verschloffenen Stadt wagen.
Der Krieg verzettelte sich bald in einzelne Fehden,
Sonderbündeleien ließen den Bund rasch zerbröckeln.
Der Landesstaat hatte gesiegt.
Die Stadt Hersfeld stand auf Seilen der Sieger,
der kühne Wurf war gelungen. Darüber freilich
mußten sich die Bürger im klaren sein, daß jetzt
der Faden mit dem Abt zerschnitten war. Um
so mehr ist es charakteristisch für den vorsichtigen
Kaufmannsgeist der Bürgerschaft, daß sie sich einer
vertragsmäßigen Festlegung dieses Verhältnisses
so lange als möglich entzogen Gleich nach jener
entscheidenden Aufnahme der Landgräflichen hat
Landgraf Hermann die Bürger aufgefordert zur
förmlichen Absage an den Sternerbund und zum
feierlichen Bündnisverträge mit Hessen. Die vor-
sichtigen Bürger hielten sich sehr reserviert: sie
säßen wie Schafe zwischen den Wölfen; sie hätten
den Landgrafen doch lieb, auch ohne förmliche
Parteierklärung. Aber Hermann ließ nicht locker.
In der Tat war jetzt auch für die Bürger keine
Halbheit mehr möglich: alle Bedenken mußten
überwogen werden durch den Rückhalt, den der
Landgraf dem Abte gegenüber zu bieten vermochte.
Die Behauptung gegen das Stift bildete jetzt die
Hauptsorge der Stadt.
So kam denn im Januar 1373 zwischen dem
Landgrafen und dem Stadtrat das Bündnis zu-
stande. das zuerst einen vertragsmäßig fixierten
hessischen Einfluß in der Stadt Hersfeld begründete.
Die Stadt nahm eine hessische Besatzung und einen
landgräflichen Amtmann in ihre Mauern auf;
sie genoß dafür den vollen landesherrlichen Schutz
des Fürsten und erhielt das Privileg der zollfreien
Wareneinfuhr in alle landgräflichen Lande. Noch
war in den Bestimmungen der gegenseitigen mili-
tärischen Hilfeleistung der Abt uud sein Stift aus-
drücklich von der Bekämpfung ausgenommen;
damit war nur mühsam verschleiert, daß die Stadt
sich tatsächlich von der Hoheit des Abts losgesagt
«ML. 183 «ML.
hatte. Der Existenzkampf zwischen Stift und
Stadt um die Wiederaufrichtung oder endgültige
Abschüttlung der Abtsherrschaft war die unaus-
bleibliche Folge. Wir wissen bereits, wie in der
Vitalisnacht 1378 der Abt den gewaltsamen
Versuch machte, die widerspenstige Stadt zurück-
zuzwingen in Gehorsam und Untertänigkeit, und
wie die Wachsamkeit der Bürger den Tag zum
vollständigen Siege wandelte. Ein langer ver-
wüstender Rachekrieg zwischen Abt und Stadt folgte,
der die Mittel des Stifts aufzehrte und Handel
und Gewerbe der Stadt auf ein Menschenalter
hinaus ruinierte. Vergeblich suchten in langem
Instanzenwege Kaiser und Reich, Papst und Erz-
bischof die Kämpfer zu versöhnen. Die Entscheidung
mußte schließlich dem hessischen Landgrafen zufallen,
der allein, durch sein natürliches Übergewicht, die
Gewähr für dauernde Erhaltung des Friedens zu
bieten vermochte.
1381 war es, als Landgraf Hermann den langen
Kampf durch eine dauernde Sühne beendete. Er
erschien jetzt als der Neubegründer der staatlichen
Ordnung in Hersfeld. Ihm mußte nun als Frucht
seiner Arbeit in Stift und Stadt der herrschende
Einfluß zufallen. Das Stift erwählte ihn zu
seinem Vormund, mit Vollmacht zur Regelung der
zerrütteten Stiftsfinanzen und zum Empfang der
Huldigung durch die Hersfeldischen Amtleute, und
am 2. Juli 1383 folgte ein Schutzbündnis auf
drei Jahre nach. Von hier aber bis zur dauernden
Abhängigkeit der Abtei war nur ein kleiner Schritt.
Da trat ein unerwarteter Umschwung ein. Hermanns
Verfeindung mit seinem bisherigen treuen Freunde,
dem Landgrafen von Thüringen, der nachfolgende
schwere und unglückliche Krieg gegen Thüringen,
Mainz und Braunschweig stellten den gesunden und
festen Bau der Landgrafschaft Hessen auf die letzte
Probe und rissen dem Landgrafen auch die HerS-
felder Frucht aus der Hand. — Auf ein Menschen-
alter hinaus war Hersfeld dem hessischen Einflüsse
entzogen.
(Fortsetzung folgt.)
Luxus, Modetorheit und Ausländerei in alter Zeit.
Von Herma
Es ist ein weiterer Beweis für des Ben Akiba
„Alles schon dagewesen", zu gleicher Zeit aber auch
ein trauriger Beleg für die Tatsache, daß der
Mensch sich mit der Zeit nur in Äußerlichkeiten
ändert, was die folgenden Stellen aus säst andert-
halb Jahrhundert alten Betrachtungen und aus
Briefen predigen, die nebenbei geradezu rührend
anmutende Zeugnisse der bürgerlich strengen, haus-
väterlichen Anschauungen sind, die vor Zeiten in
fürstlichen, hier in dem hessischen Hause des'
Lebens Richtschnur waren.
„Mangel an Originalität und übertriebener
Nachahmungstrieb der Ausländer (rich-
tiger: der Trieb. Ausländer nachzuahmen), sind
Fehler, die den Teutschen nie genug vorgeworfen
werden können. Ein Volk, das sich durch Fleis
und Aufmerksamkeit von allen andern unterscheidet,
erfinderische Köpfe und Männer von Genie nicht
in kleinerer Anzahl besitzt als irgend eine Nazion,
das Wollüste wenig achtet*) und unter den tapferen
das tapferste ist, dieses Volk verachtet sich selbst,
haßt sich, kauft, lobt und ahmt nur das Fremde
nach. Wenn rühmlicher Nazionalstolz mit Vater.
*) Landgraf Moritz war. wie ich das in kurzer Zeit
zeigen werde, in dieser Hinsicht ganz anderer, entgegen-
gesetzter Anficht, in Bezug auf Ausländerei teilte er
sie Daß gleiche Klagen auch in England beweglich
erscholl, dafür ist kein Geringerer als Shakespeare
Zeuge, wie ich andernorts ausstlhrte.
n Schelenz.
landsliebe unzertrennlich verbunden ist. mithin
Mangel des Nazionalstolzes unter den Nazional-
sehlern obenan steht, so müssen jene Klagen dem
Patrioten um so mehr zu Herzen gehen, da es
leider ein gegründeter Vorwurf ist, daß wir für
gewöhnlich nur das Fehlerhafte anderer
Naz tonen nachahmen, wodurch dem Bieder-
sinn des Teutschen, seiner geraden, redlichen, stand-
haften Denkungsart, seinen Familienfreuden und
seinem häuslichen Glück ein unersezlicher Verlust
beigebracht wird. Man würde unserm Zeitalter
Unrecht tun — so heißt es in dieser Klage aus
dem Jahre 1787 (in den hessischen Beiträgen')
weiter —, wenn man übertriebene Nachahmung
der Ausländer unter seine eigentümlichen Fehler
rechnen wollte. Schon vor zweihundert Jahren
klagten Patrioten darüber", und als Beweis besten
wird aus Zimmermann „Vom Nationalstolz"
und aus Spangenbergs „Adelsspiegel" folgen-
der Satz angeführt: „Jst's daß man einen Tanz.
Kindtauf oder dergleichen Wohlleben hält, so darf
sich manche einen Tag wohl dreimal umkleiden,
und solches etliche Tag aneinander, jezt teutsch,
dann welsch, bald spanisch, dann ungarisch, zulezt
gar französisch."
Arg großartig war das Leben an den hessischen
Fürstenhöfen am Ende des 17. Jahrhunderts nicht,
wie die folgende Tatsache und der sich daran
knüpfende Briefwechsel erkennen läßt.
9*846 184 5*866
Anna Elisabeth, die Tochter des Kurfürsten
Friedri ch III. von der Pfalz, Gemahlin des
Landgrafen P h i l i p p desJüngeren, der beider
Teilung Hessens durch Philipp den Groß-
mütigen etwa ein Achtel des väterlichen Besitzes
erhalten hatte (die Niedergrafschaft Katzenellen-
bogen) und in Rheinfels residierte, war nach
Heidelberg geladen worden, um eine Hochzeit am
dortigen Hofe mitzumachen. Im Vertrauen auf
kostbare Geschenke, die sie an Zahlungsstatt an-
geben wollte, hatte sie eine „goldene Haube mit
Perlenrosen für 50 Gulden, 25 Ehlen schwarzen
Sammt, die Ehle zu 4 Gulden, zwei Armbänder
mit Perlen und Steinen für 312 Gulden", zu-
sammen für 560 Gulden gekauft und geborgt.
Ihre Hoffnung hatte sie im Stich gelassen, sie sah
sich außer Stande, zu bezahlen, ihr Bruder Jo-
hann Casimir hielt sein Versprechen, ihr zu
helfen, nicht, die Kasse des Gatten war durch
große Bauten erschöpft, und sie wagte nicht, ihn um
Hilfe anzugehen. Ihr Schwager. W i l h e l m IV.,
dem zweifellos mit Fug und Recht der Ehren-
beiname „der Weise" beigelegt wurde, hatte ihr
Vertrauen. Ihm trug sie am 22. Mai 1580
folgende Bitte vor „Dahmit ich glauben halten
mag, so ist meine gantz herzliche freundliche
schwesterliche Bitt an Ew. Liebden, wollen mich
diesmal nitt lassen vnd mir behülflich sein. Gott
weiß, ich hab's aus kein forwitz oder Hochmutt
gedan, sunder die nott hat mich dazu Zerrungen
dahmitt ich auch etwas Feins möcht haben, ich
hett mich ehr Himmelfalls versehen, ehe ich ge-
dacht sollt haben, das mir nichs sollt geschenkt sein
werden, dismal ist es geschehen, aber nit mehr
soll es geschehen. Ich weis in Wahrheit niemantz
anzusprechen als E. L. und bitt noch einmal ums
gottes willen vnd ganz freundlich, wans E. L mug-
lich zu dun ist, E. L. wollen mich nit lassen dismal,
damit ich aus den schulden kum. Mein Herr hat
itz so ft! mit dem baven zu dun das es meim
Herrn nit müglich war das nur mein Herr zu
steuer konnt kumen, wie wol mir mein Herr noch
Kleinotten ein oder zwey schuldig ist. aber weil
mein Herr das Geld zum baven mus haben, so
schweig ich stracks still, vnd muß gemach dun bis
gott meim Herrn wider gelt gibt. Ich hab bei
mir bedacht, es sey fil besser man sprech seine
liebe freundt an den das ich meim Herrn schulden
bis wen ich stürb".
Der Landgraf half, aber nur zum Teil, aus
Gründen, die er in einem eingehenden Schreiben
üar legt. Die folgenden Stellen verdienen sicher-
lich eine Wiedergabe und Beherzigung bei denen,
die „Ohren haben zum hören".
Er führt aus, daß es nach seinen vielfachen
mehr als brüderlichen Aufwendungen im Grunde
unrecht sei, ihn wieder mit Bitten zu behelligen,
„er habe genug beschwerden und sitze nicht dermaßen
inn rosen wie E. L. vnd andere Jro imaginiren.
Wenn wir uns selbst unser Gemahll und beider-
seits unsere Diener und Dienerin in Kleydung
nach eines jeden schneiders new hervorgebrachtem
Muster enderten vnnd unserer altenn vnd vonn
unsern Eltern mitgegebenen Kleydungen schemten
und also alzeyt vns nach der nerrischen Nieder-
landschen Art Affen Welt regulierten vnd alles
was uns angelobt wirdt und gefallt, ann vns mit
vffborgung gelts keufften auch vff alle Dentz vnd
Prachterey ziehenn wollen, wer sich gewißlich
nicht anderß zu versehen, als wo wir das Landt
zu Hessen, wie solches vuser Herr Vater seliger
ingehabet aber nunmehr an 5 lappen zertheilt
(der fünfte „Lappen" war an Philipps und der
Margarethe von der Saale Kinder, die Grafen
von Diez gefallen), ja wenn wir noch zwey Lande
zuhetten, das solches nicht aureichen, sondern wir
noch dabey um schwere schulden so woll als E. L.
einsitzen vnd dabei unsere liebe treve Vnterthanen
mit nit geringer Befestigung unseres gewißens
beschweren mußten. Wir haben aber mit gutem vor-
bedacht altem fürstlichem teutschem vndt nit
welschem Herkomen gemeß vns vnsere Gemallin
und Kinder bißhero dermaßen» hingebracht, das
wir dennoch sieder unsers Herrn Vaters Absterbenn
ob wir vns woll Hinterlegung großer Barschaft
nit zu rühmen doch auch nit zu clagenn haben,
das wir nit einige schulden gemacht, sondern dero
etzliche vnd eine stadtliche ansehnliche summe ab-
geleget habenn, welch warlich nit geschehen wehre,
wo wir vff alle Reichstäge, dahin wir gefordert
vnd gebetten, erschienen, jedermennig ein sollen
fraeß an vnserm Hof gestattet auch einem jeddenn
bachanten mit gnaden gellt und Verehrung der
besten stuck auß vnsernn Ambtenn begegnet". Der
Landgraf rät der Schwägerin und ihrem Gemahl,
ähnlich zu wirtschaften. Trotzdem er „einen fliegenden
Krieg zu schütz und schirm seiner Vnderthanen,
mit nit geringen kostenn führen müße", und trotz-
dem er bei der „großenn schweren vnerhorten
theurung damit itzo vnsere armen Underthanen
beladen, denen zu steur vnd erhaltung Ihres
leybs vnd lebens vnd nich Pracht vnd Kleydung,
wir beiy frembden eine merkliche summa Korn,
in etzliche tausend fl. sich erstreckende, mit vnserm
schaden haben einkauffen müssen woll vrsach hatte
sich dießes E. L. suchen zu entschlagen", sendet er
150 fl., mahnt sie aber, daran zu denken, daß
„nach der Lehr des heiligen Petri eines Weibs
Geschmuck nicht auswendig sein solle, mit Hahr-
flechten vnd Gollt vmbhangen oder Kleyder an-
185
legen, sondern der verborgen mensch des hertzens
vnuerruckt mit sanfften vnd stillem geiste, welches
köstlich sey vor Gott, denn vor wahr es ist ver-
gebens, das sich eine furstin an geschmuck sich zu
erkennen geben vnd einer jeden welschen Esfin
nach thun will, sintemal itziger Zeitt nit allein
die Greuin sondern vom Adell ja Kauffleuts
Weiber vnd dochter mit dem geschmllck es so hoch
drehben als es die fürstinn nimmer treyben können,
dahero auch großer Konnige und Potentaten frawen
vnd dochter vrsach nehmen, sich gar schlecht zu
tragen und damit sie vor Andern, so sich zu hoch
schmucken, erkannt werden".
Diesen goldenen Worten des wahrhaft weisen
Fürsten ist wenig hinzuzufügen. Sie wären un-
nötig gewesen und die hessischen Beiträge
hätten sie nicht ihren Lesern vor anderthalb Jahr-
hundert vor Angen zu halten nötig gehabt, hätte
die Menschheit die Mahnung des von ihm als
Gewährsmann herbeigeholten heiligen Petrus be-
herzigt und nicht, was ja allgemein menschlich
und noch immer an der Tagesordnung ist, die
Schuld auf andre und zwar, was ja auch wieder
ein Zeichen für das traurige „Alles schon da-
gewesen" ist, in damaligem Antisemitismus
aus die Juden geschoben hätte. Man klagte näm-
lich in Hessen 1784 über „den Übermut seiner
stolzen Ebrüer und Ebräerinnen" in erster Reihe.
Zu der „so berühmten Aftertoleranz" dieser Zeit
würde eine Verordnung, wie sie die Reichspolizei-
ordnung von 1530 enthält (daß sie ein auffallendes
Abzeichen an ihrer Kleidung tragen sollten), nicht
passen, daß aber auch die hessische Kleiderordnung
von 1739 nicht beachtet werde, bezeuge die „täg-
liche Erfahrung, die um so trauriger sei. als die
übertriebene kostbare Kleidung, in der sich Putz-
macherinnen und Jüdinnen nach jeder neuen Mode
zeigten, nur Luxus ist, der unsere Weiber und
Töchter verführt und des Hausvaters Beutel fegt"
Was würde Landgraf Wilhelm sagen, wenn er
einen Blick in die Jetztzeit tun könnte, wenn er
den modernen Modeteufel schaute, der alle Welt
in Fesseln schlägt und unverhältnismäßige Summen
für eine „welsche" Gewandung fordert, trotzdem
sie kaum die Blöße deckt, und für Hüte gleichen
Ursprungs, die ins Riesenhafte gewachsen sind,
und wenn er. was das Schlimmste scheint, gewahr
würde, wie man nicht gerade „Reichstäge", aber
die unendliche Zahl von „Dentz und Prachterei",
Vereine und Klubs besucht und damit das Wirken
in der Familie und im Frieden des Hauses ver-
nachlässigt, in dem unsers lieben Vaterlandes Kraft
und Stärke seit jeher lag und liegen sollte.
--------------------
Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde I.
Hermannspiegel, Harmulsachsen, Mecklar.
Von Dr. Wilhelm Schoos.
An der Bahnstrecke Hersfeld — Fulda liegt am
linken Ufer der Haune unweit der Einmündung
der Eitra in die Haune zwischen den Bahnstationen
Oberhaun und Neukirchen ein kleines, nur aus
wenigen Höfen bestehendes Dörfchen, das den selt-
samen Namen Hermannspiegel führt. Sanft
angelehnt an die Ausläufer des Johannesbergs,
liegt es in einer Gegend, die ziemlich dicht besiedelt
ist. deren Boden wenig erträglich ist. Die An-
nahme, daß der Ort eine verhältnismäßig junge
Siedelung sein muß. wird nicht nur durch den
Namen selbst bestätigt, sondern mehr noch dadurch,
daß er in den geschichtlichen Quellen der Abtei
Fulda erst spät vorkommt. Die älteste mir bekannt
gewordene urkundliche Form stammt aus 1494x) und
lautet zum Hemmenspiegel. 15681) findet sich
hof zu Hemenspiegel und 15921) Haunerspiegel.
Von den Deutungsversuchcn des Namens
Hermannspiegel knüpft die eine von K. Friedrich-
Hersfeld in „Mein Heimatland" (monatliche Bei-
') Nach Reimers Handschrift!. Ortslexikon im Kgl.
Staatsarchiv zu Marburg.
läge zur Hersfelder Zeitung), I. Band, S. 19 an
die Schreibung Haunerspiegel an, die sich außer
auf Mercators Karte von 1592 auch auf einer
alten Stiftskarte von Hersfeld (Beschreibung von
dem Stift Hersfelt, Amstelodami sumptibus
Henriei Hondy) des 16. oder 17. Jahrhunderts
findet. Da aber diese Karte auch sonst sehr un-
genau und unzuverlässig ist, so liegt die Vermutung
nahe, daß wir es hier mit einer willkürlichen
Änderung eines Kartographen zu tun haben, wie
das in den Klöstern des Mittelalters nicht selten
vorkam (vgl. auch Fuld. Gesch.-Bl. 1912, S. 131)
und wie es noch heute vielfach durch Katasterbeamte
mit den Flurnamen geschieht. Wenn Friedrich
daher die Schreibweise Haunerspiegel für echt
hält und erklärt, daß das Wort mit Hermann
nichts zu tun habe, dagegen auf die Lage des Ortes
an der Haun hinweise und der „hiesigen" Mund-
art „sprachlich jedenfalls besser liege" als das Wort
Hermannspiegel, so überzeugt diese Ausstellung
ebenso wenig, wie wenn er die Namenssormen Neu-
Sorge und Neu-Horcbau für identisch ansieht.
186
Eine teilweise richtige Erklärung gibt Piderit
in der Zeitschrift für hessische Geschichte I. 290:
Hermannspiegel, richtiger Hermannsbühel —
Hermannshügel. Wie Lämmerspiel aus einer
älteren Form Liutmarsbuhil, Habichtsspiel aus
älterem Habichtsbühel entstanden ist, so sind die zahl-
reichen Spielberge (z. B. bei Zierenberg, Wächters-
bach8), zwischen Steinbach und Klausmarbach, Kr.
Hünfeld, bei Bermbach in der Rhön), Spielköpfe
(z. B. bei Unterufhausen, Kr. Hünfeld) usw. nichts
anderes als tautologische Bildungen, deren erster
Teil das nicht mehr verstandene und daher ent-
stellte ahd. bnhil — collis bildet. Da neben dem
Maskulinum in Hessen noch das Neutrum vor-
kommt, so muß die Form spiel durch Prosthese
des vorausgehenden s des Artikels entstanden sein.
So findet sich 1537 im Saalbuch des Amts Borken:
auf dem spuell (aus der unumgelauteten ahd. Form
buol, mhd. buhel), und im Saalbuch von Sontra
aus 1576 an dem Bonspiel, am Bonspuel, im
Gieselwerderschen Saalbuch von 1551, Gemarkung
Gottsbüren, beim Kirssbüle, im gleichen Saal-
buch, Gemarkung ödelsheim (Weser)! irn Kirsch-
pful. Zu der letzteren Form vgl. den Flurnamen
irn unckenpfuel, „Hessenland" 1912, S. 383, und
Vilmar, Idiot., S. 200: irn Kirschenteich im
Sinne von „Brunnenkressenteich" Kirschpkul
könnte daher den gleichen Sinn haben. Kirssbül,
vielleicht auch Kirschpful, geht entweder auf eine
ältere Form. Kirch(s)-bühel „Kirchberg" ober
auf Kirs-bühel „Kirschberg" (vgl. mhd. Kirse —
Kirscheb) zurück, ähnlich wie Honspiel auf eine
ältere Form Bomspiel (mundartlich für mhd.
Boumspiel) „der mit (Obst)bäumen bewachsene
Berg" zurückzuführen fein dürfte. Auch das Spiel,
ein Waldort bei Marjoß, gehört zweifellos hierher
und nicht zu spil Indus, wieArnold, Ansiedelungen
und Wanderungen, S. 339. annimmt. Derartige
prosthetische Lautverbindungen finden sich in Orts-
namen nicht selten, z. B. Melnau < zu dem Elen-
houk, 1521 schon zu dem Melnau* 4), Meysenborn<
am Eisenborn5) Meiches < zum Eich es6), Nero-
berg (bei Wiesbaden) < zum Eresberg, Merk-
fritz < zum Erkinfridis, Mottrichs < zum
Ottrichs 1341, Mahlerts < zum Adelhartes,
Malkomes < zum Alckma(n)s 1532, daneben
*) 1258 Spegelberge, ein Beweis, wie früh die volks-
tümliche Umdeutung schon stattgefunden hat.
*) Vgl. Vilmar a. a. O. S. 200 unter Kersche und
Kesper, wo nachgewiesen wird, daß auf niederd. Sprach-
boden Xirochs nur Brunnenkresse bedeutet, während für
nhd. Kirsche nur Kesper gebraucht wird.
4) Vilmar a. a. ß. S. 178.
'1 Hess. Bl. f. Volksk. 1909, S. 129.
schon 1493 zum Malckmuss, Melzdorf < zum
Elbewinesdorf6) usw.
Da in der hessischen Mundart der Spiegel neben
«beiel auch sbiial lautet, entstand leicht Verwechslung
mit nhd. „Spiegel". So heißt 1555 ein Feldort im
Saalbuch von Felsberg, Gemarkung Beuern, im
Spiechel. Ähnlich erklären sich die Waldorte Spiegel-
schlag im Reinhardswald und Spiegelbusch bei
Naumburg, die Spiegelmühle bei Wilhelmshausen,
Amt Grebenstein, wo im 17. Jahrhundert eine Eisen-
hütte bestand, u. ä. m. Auch die in Süddeutschland
sich zahlreich findenden Spiegel berge, Spielberge,
Spielmatten, Spielhöfe, Spielbrunnen (Buck,
Oberd. Flurnamenbuch, S. 263) dürften eher zu
bühel zu stellen sein als zu speculum oder
spiel — Schauspiel, Volksschauspiel.
Demnach würde also Hermannspiegel, wie
Piderit vermutet, Hermannsberg bedeuten, wenn dem
nicht die aus dem 15. Jahrhundert belegte Namens-
form zum Hemmenspiegel widerspräche. Dreier-
lei Möglichkeiten liegen hier vor entweder ist das
Bestimmungswort in Hemmenspiegel eine assi-
milierte Form für Hermen, Herman oder es steckt
darin eine Kurzform zu Hamrich oder Haimrich
(vgl. Haas in den Fuld. Gesch.-Bl. 1909, 15) oder
es ist das ndd. Wort Hamm, ein durch Gräben und
Zäune eingehegtes Grundstück (vgl. Müllenhoffs
Glossar zu Klaus Groths „Quickborn". S. 292,
Müller, Ortsnamen im Reg.-Bez. Trier II, 46).
Auch Buck, Oberd. Flurnamenbuch, S 100 be-
zeugt: hamme — eingezäuntes Feld. Vgl. Hess.
Blätter für Volkskunde 1, 119: irn Hamme, in
dem Hemme, Flurbezeichnung in der Nähe von
Gießen, desgl. der Hammen, Hammengraben
bei Wichdorf. Vgl. auch Grimm, Wörterb. IV,
II, 308 der es dem Begriffe nach mit ndd.
kamp — umzäunter Ort, umzäunte Wiese ver-
gleicht und die umgelautete Form hem, Dativ
hemme für das Niederdeutsche nachweist. Auch
int Nassautschen^) finden sich mehrmals Flur-
namen wie aufm Hamm, im Hamm, Hammen,
Hamen neben Hemm, Hemmen, Hemberg, Hem-
born, Hemmerborn, Heinmerweg, Hemberwies8),
Hemmerich9) u. ö. tn.10)
Die hessischen Ortsnamen Hemmen bei Lüder-
münd an der Fulda (1389 zu dem Hemmen),
die Wüstungen Hemmenhausen, jetzt Kolonie
'} Fuld. Gesch.-Bl. 1909 S. 5, 1908, S. 151 u. ö.
’) Kehrein. Volkssprache und Volksfitte in Nastau III,
431 und 448.
®) Von Kehrein als Himbeerwiese (!) gedeutet.
') Das Suffix ich ist im Volksmund in Mitteldeutsch-
land (Thüringen. Hessen und sonstwo) vielfach aus borg
entstanden.
l#) Val. auch Eigelwardus in hemmingazzen, Eber-
bacher Urk. aus 1213 (Kehrein a. a. O. Hl. 8).
187
Luisendorf, bei Frankenberg. (1201 Hmmenhusen,
14. Jahrhundert Hemmenhusen, Hemmenhusin),
Hemmenrode bei Kassel (1453 Hemmenrade)
und bei Waldeck (1226 Hemmenroth) dürften
eher hierher zu stellen sein als zu einem Personen-
namen Hemmo, wie Arnold annimmt, vielleicht
auch die Hemmbergs Mühle bei Moischeid.
Demnach würde Hemenspiegel bedeuten s. v. a.
der Ort an dem bühel, wo sich eine Umzäunung,
ein Gehege, etwa für Viehherden, befindet, und
wir hätten Hermannspiegel als eine modernisierte
Umdeutung anzusehen ähnlich wie Weinberg
(< Weiäenberg) zu Venusberg oder Lenneberg
zu Limoneberg umgedeutet wurde.
Da der Name Hermann in Hessen, zumal in
der Haunegegend, nicht recht volksüblich ist, will
es fast scheinen, als ob das nicht mehr verstandene
alte Wort hem bzw. ham noch eine andere Ent-
wicklungsstufe durchgemacht hätte, ehe es zu dem
schriftsprachlichen Hermann umgedeutet wurde.
Den Weg weist uns hier die mundartliche Aus-
sprache des Ortsnamens, die stets ein sicheres
Kriterium ist, wenn die urkundlichen Belege uns
im Stich lassen oder nicht genügend sichere Auf-
schlüsse zu einer Deutung bieten. Es ist auffallend,
daß zwei mundartliche Bennungen des Ortes vor-
handen sind: härmssbiiel und hamorsbiisl. Letztere
enthält zweifellos das alte Wort ham oder hem,
vom Volke an den nhd. Begriff „Hammer" an-
gelehnt, während die erste das in ganz Hessen
volksübliche Appellativum Hermen") — Ziegen-
bock enthält.
Wie in Hessen neben Ziege Geiss, Zikke neben
Hetz, Hitz, so ist auch Hermen noch vielfach im
Volke als Ausdruck für den Ziegenbock üblich. Daß
Hermen ein sehr alter Ausdruck ist und daher
nicht überall mehr verstanden wird, beweist u. a,
daß er bereits im Froschmäuseler und Reineke
93o§12) vorkommt. Luther braucht das Wort auch
als Lockruf für Schafe (Grimm a. a. O.) Auch
als scheltende Bezeichnung. steifer Hermen, und
in der Kindersprache, Hermen Stutzbok, hat es sich
erhalten. Zweifellos ist es der zum Appellativum
gewordene Eigenname Hermann (vgl. das alte
") Vilmar. Idiotikon. 165. Pfister. Nachtr.. 102.
CreceliuS. Oberh. Wörterb.. 459,60. Grimm. Deutsches
Wörterb. IV. in«.
Volkslied von der Varusschlacht: Hermen, 8laa
lärmen), der vielleicht wegen seiner appellativischen
Nebenbedeutung sich in Hessen keiner so großen Be-
liebtheit erfreute wie etwa Konrad oder Heinrich.
Um so gebräuchlicher wird er in der übertragenen
Bedeutung für Ziege gewesen und fast ausschließlich
als Tiernamen verwandt worden sein (vgl. ähnlich
Männe — Hermann in seiner appellativischen
Bedeutung als Hundename), wie das aus zahl-
reichen Orts- und Flurnamen in Gegenden hervor-
geht, die zum Anbau nicht sonderlich geeignet waren
und entweder erst spät besiedelt wurden oder nie
eine andere Bedeutung gehabt haben werden, als
weidenden Herden, in diesem Falle vorwiegend
wohl Ziegen- oder Schafherden, ein dürftiges Futter
zu geben. Darauf läßt schon schließen, daß die
meisten so benannten Örtlichkeiten nicht im Tale,
sondern auf Anhöhen gelegen sind. So nimmt
Hermen, wie es scheint, oft geradezu die übertragene
Bedeutung „Bergweideplatz für Ziegen" m einer
Reihe von Feld- und Weideplätzen an: z. B. der
schöne Herme18) bei Betziesdorf. Kreis Marburg,
wahrscheinlich nichts anderes als ein moderner
Euphemismus für eine ältere Bezeichnung der
Schind Herme (d. h. der Platz oder die Wiese, die
früher als Weideplatz für Ziegen oder Schafe, sodann
als Schindanger diente), so wie Schindberg zu
Schönberg"), Schindmichelsgraben zu Schön-
michelsgraben'^), Schindbuche zu Schönbuche
von Katasterbeamten umgedeutet worden ist, falls
nicht volkstümliche Einwirkung im Anklang an
Redensarten, wie „der steife Hermen“, vorliegt.
Weiterhin findet sich „im Hermes“18), Wiesen,
Feld und Wald bei Molzbach und bei Großenlüder,
ferner unterhalb Sterbfritz gegen den Wald hin,
als Ortsname Hermes (< Hermans 1341), eine
Wüstung bei Lauterbach. Im letzteren Fall mag es
unentschieden bleiben, ob der Eigennname Hermann
zu Grunde liegt oder ob nur volksetymologisch
Anlehnung an den Namen stattgefunden hat und
die Siedelung aus einem früheren Ziegenweideplatz
angelegt worden ist.
"1 Vilmar. Die Ortsnamen in Kurhessen. Zisch, f.
hest. Gesch. 1. S. 245.
") Hotz, Die Flurnamen der Grafschaft Schlitz, S.XXXl.
'*) Land, das früher dem Schinder Michel gehört haben
") melke die zege unde Hermen de bok (Reineke
Fuchs 1771).
soll. Hotz, a. a. O. 33.
") Elliptische Bezeichnung aus älterem im Hermen».
(Schluß folgt.)
T
{S3SÜ, 188 S-SLE-
Die Walderholungsstätle Kragenhof.
Auf der durch landschaftliche Reize ausgezeich-
neten Halbinsel Kragenhof, wo Hessen-Nassau und
Hannover zusammenstoßen, hat der 1903 begründete
Verein „Walderholungsstätten Kassel" eine Wald-
erholungsstätte für Männer (1903), für Frauen
(1905) und für Kinder (1907) ins Leben gerufen.
Das Gut Kragenhof hatte die Stadt Kassel seiner-
zeit von dem verstorbenen Rittergutsbesitzer Thom6e
zum Geschenk erhalten mit der Bedingung, es zu
einem Genesungsheim zu verwenden, und dem
genannten Verein für seine Zwecke für Benutzung
überwiesen. Das Werk entwickelte sich aus primi-
tivep An-
fängen zu-
sehends. Die
ans priva-
ten Mitteln
mit Unter-
stützung der
Stadt
Kassel, der
Landesver-
sicheruugs-
anstalt Hes-
sen-Nassau,
desdeutschen
Zentral-
komitees zur
Bekämp-
fung derTu-
berkulose in
Berlin und
des Vereins
zurBekämP-
snng der WalderholungSstStte Kragenhof.
Schwindsuchtsgefahr in der Provinz Hessen-Nassau
geschaffenen Tageserholungsstütten sind räumlich
vollständig getrennt, werden aber von einem gemein-
samen Verwaltungsgebäude aus — als solches
dient die von der Stadt angekaufte und dem
Verein zur Verfügung gestellte SchueiderscheDilla —
bewirtschaftet. Durch den großen Zuspruch, den
die Walderholungsstätle aufzuweisen hatte, war
ein Erweiterungsbau notwendig geworden, der
hauptsächlich wirtschaftlichen Zwecken dient, aber
auch Räume zur Einrichtung von Brausebädern
für Männer und Sol- und Sitzbäder für Frauen,
bessere Schlafräume für das Personal und Räume
mit acht Betten für solche Frauen und Kinder
enthält, die die tägliche Eisenbahnfahrt nach Kassel
nicht vertragen. Trotzdem soll dadurch mit dem
Prinzip der Tageswalderholungsstätten nicht ge-
brochen werden. Die schwierigste, aber auch
dankbarste Aufgabe war die Durchführung der
Walderholungsstätte für Schulkinder. Sie enthält
Brause- und Solbäder, was bis jetzt keine solche
Walderholungsstätte auszuweisen hat; auch ist ihr
eine Waldschule angegliedert, an der neun Lehr-
kräfte wirken und außerdem Schülerinnen des
Evang. Fröbelseminars beschäftigt sind. Bis jetzt
haben die Anstalten 5000 Personen verpflegt und
sehr gute Kurerfolge erzielt. Die Walderholungs-
stätte, die 1903 von 114 Patienten besucht wurde,
weist jetzt eine jährliche Besuchszifser von 700 bis
800 auf. Trotz der allgemeinen Teurung erhält
sich der Be-
trieb mit
Hilfe des
Zuschusses
der Landes.
Versicher-
ungsanstalt
immer noch
von selbst
und ist nach
wie vor be-
strebt,an den
bisherigen
billigen
Kurkosten-
preisen fest-
zuhalten.
Am 7. Juni
fand die fei-
erliche Ein-
weihung des
N e u b a u s
statt, zu der
sich eine zahlreiche Versammlung, darunter die
Vertreter staatlicher und städtischer Behörden,
eingefunden batte. Geheimer Regierungsrat vr.
Schröder gab in Vertretung des am Erscheinen
verhinderten Vorsitzenden Geheimrats I)r Krause
in seiner Festrede einen Rückblick auf die Ent-
stehung und Entwickelung der Walderholungs-
stätte und sprach allen Förderern der Sache, dem
Vaterländischen Frauenverein und den Schwestern,
dem Zentralkomitee vom Roten Kreuz, Frau Ge-
heimrat Henschel, den Städten Kassel und Münden
herzlichen Dank aus und dachte besonders auch des
unermüdlichen Hauptförderers und Schriftführers
des Vereins, des Rentners Otto Ehrenberg, der sich
um das Gedeihen dieser Walderholungsstätten in den
verflossenen zehn Jahren in hervorragendem Maße
verdient gemacht habe. Ein Rundgang durch den
Neubau beschloß die schlichte und eindrucksvolle Feier.
II.
Männerstation. Schießstand und Hütte.
§«£4^ 189
Me Karl Aberding
die Heimat fand.
Novelle von L. G u b a l k e.
Fortsetzung.)
„Ich möchte das auch",
sagte sie. „Aber es geht
nicht, mein Vater braucht
mich."
„Mich braucht kein
Mensch!" hatte er gesagt.
Der ganze Jammer der
Verlassenheit war über ihn
gekommen.
Cöleste war schweigend
neben ihm hergegangen.
Er hatte zugesehen, wie sie
den Korb auf der Schutt-
stelle leerte und dann einen
Augenblick mit herabhän-
genden Armen dastand
und auf den Boden blickte.
Er hatte philosophiert:
„Als wir Kinder waren, Cöleste, machte es uns
Vergnügen, die Welt durch bunte Glasscherben
anzusehen — jetzt sind wir darüber hinaus. Kein
buntes Glas täuscht uns mehr über ihre wahre
Gestalt."
Das sagte er mit achtzehn Jahren.
Und Cöleste hatte erwidert: „Wenn die Hoff-
nung nicht wär' auf ein Wieder — Wiedersehn."
WalderholungSstLtte Kragenhof. Kinderstation. Unterricht im Walde.
Cöleste war auch noch mit ihm hinauf unter die
Linde gegangen. Auf der Steinbank sitzend, hatte
sie mitangehört, was er ihr von dem Goldland
erzählte, und zum Schluß hatte er ihr versichert:
„Dir bringe ich etwas mit."
„Gold?"
„Gewiß, Gold! Ich komme nicht anders heim
- als steinreich."
i wi ’■ fltii a£&üÄ % k&t r w&m Jä__
[JB|
ÄJt 19 L & •*'' Awaits;
«alderholungsftStte Kragenhof. Kinderstation. Schreiner, und Fröbelarbeiten.
Sie hatte geseufzt.
Am Morgen seiner Ab-
reise hatte sie auf dem
Prellstein an der Brücke
gesessen und auf ihn ge-
wartet. Hatte ihm ein
Stückchen Brot zugesteckt,
das ihn vor Heimweh
bewahren solle, und die
Augen mit der Schürze
getrocknet. Das Brot-
stückchen? Du liebe Zeit
— wo war es doch hin-
geraten! Es war samt
seinem Reisesack verloren-
gegangen, und die harte
Not des Lebens hatte so-
gar die Erinnerung an
Cöleste und sein Ver-
sprechen einschlafen lassen.
Ein Jahr fast war er in
der Heimat und hatte mit
keiner Silbe ihrer gedacht,
190
noch nach ihr gefragt. Gb sie noch daran dachte?
Er besann sich, daß sie mit ihrem Vater auf dem
Brühl gewohnt hatte, da, wo die kleinen Häuser
der Schiffer und Fischer und Schlagdarbeiter
stehen.
Dann stieg ihm plötzlich ein heißes Rot in die
Wangen. Am Ende war sie es, die seiner Mutter
Grab in Ordnung gehalten hatte! Er hatte seit
Jahren an die Friedhofskasse eine Summe dafür
geschickt und sich mit der Tatsache bei seiner Rück-
kehr begnügt, daß seine Anordnung erfüllt wurde.
Am andern Morgen ganz in der Frühe ging
er nach dem Brühl und traf den alten Fischer Lühr.
Lühr erkannte ihn nicht und verstand ihn erst nach
langen Auseinandersetzungen. Erst als er den
Namen Cöleste Hildenhagen nannte, war mit dem
Alten etwas anzufangen. Cöleste wohnte schon
lange nicht mehr auf dem Brühl. Was er sich
denke! Sie habe einen reichen Schiffskapitän zum
Manne genommen, der sogar später Schiffseigen-
tümer gewesen sei. Karl lachte vor sich hin. Was
hatte er sich doch für unruhige Stunden gemacht!
Gewissensbisse um ein vergessenes Kinderversprechen!
Du lieber Himmel — daß ihm immer noch so
viel Romantik anhing!
Im Laufe des Tages kam er mit dem Bürger-
meister zusammen, um wegen seines Fischrechts am
Bach zu verhandeln. Den fragte er wie von un-
gefähr auch nach Cöleste Hildenhagen.
„Ja — ganz recht - ein schönes Frauenzimmer —
nur etwas sonderbar. Sie nahm einen Witwer,
pflegte ihn, bis er starb - seine Verwandten be-
stritten ihr die Erbschaft - sie hätte ganz anders
auftreten können, aber sie ließ es sich gefallen,
daß man sie auf den Pflichtteil setzte. Sie wohnt
vor dem Brückentor, neben dem Zolleinnehmer.
Entsinnen Sie sich auf das kleine Haus mit den
beiden Balsampappeln?"
Gewiß, er entsann sich sehr wohl, erst gestern
war er stehengeblieben, um die Malven zu be-
wundern, die an der Hauswand blühten. Gegen
Abend lenkte er seine Schritte nach Cölestes Haus.
Er traf sie nähend am Fenster sitzen. Es kam
ihm sonderbar genug vor, daß diese schlanke, ernste
Frau die kleine Cöleste vom Totenhof sein sollte.
Diese Frau war für ihn eine ganz fremde. Er
kam sich verlegen und töricht vor. Was wollte
er eigentlich bei ihr? Aber jetzt, als sie ihn mit
ihren großen, braunen Augen ansah — fiel ihm
ihr Lied ein „Wenn die Hoffnung nicht wär'
auf ein Wieder — Wiedersehn", und er hätte
gern gewußt, ob sie noch an sein Versprechen dachte.
Unwillkürlich nannte er sie Frau Hildenhagen.
Sie lächelte ein ganz klein wenig und sagte: „Ich
heiße jetzt Prätorius."
Sie sprachen von allen möglichen Dingen -
von Selbstverständlichkeiten, und dann entschuldigte
er sich, daß er heute erst bei ihr vorspreche, und
ehrlich fügte er hinzu: „Die Erinnerung an Cöleste
Hildenhagen war mir ganz untergegangen in der
Not des Lebens."
Sie sah ihn nachdenklich an. „Not? Alle Welt
erzählt von dem Glück, das Sie hatten."
„Glück? Wie man den Begriff faßt. Es war
gewiß ein Glück, daß ich keinen Goldklumpen
fand — so wie ich es Ihnen damals ausmalte,
sondern daß ich viele Jahre im Schweiß meines
Angesichts um Erfolg ringen mußte."
Sie sah ihn erstaunt an.
„Dachten Sie, es sei anders gekommen?"
„Ich behielt das, was Sie mir damals unter
der Linde ausmalten, im Gedächtnis. Es hatte
einen sehr liefen Eindruck auf mich gemacht. Ich
trug mich immer mit der Hoffnung, auch eines
Tages doch noch in jenes Goldland fahren zu
können — man ist sehr töricht in jungen Jahren,
und ich brauchte sehr lange Zeit, ehe ich die Welt
so kernen lernte, wie sie ist."
„Waren Sie nicht glücklich mit Ihrem Manne?"
Sie wurde leichenblaß. Nun sah er erst, wie
schön sie war — wie goldbraun ihr Haar und
wie tief der Blick ihrer schönen Augen. Ihre
Nasenflügel bebten leicht, und um ihren Mund
lag ein hochmütiger Zug.
„Das hat mich noch niemand gefragt! Und
ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Ich
hatte keinen Grund zum Klagen."
„Ich dachte nur!" entschuldigte er sich ungeschickt.
„Er war sehr viel älter wie Sie, Cöleste, und
später haben Sie von seinen Verwandten Unfreund-
lichkeiten erfahren! Kann ich nicht etwas für Sie
tun, Cöleste?"
„Ich habe, was ich brauche!" antwortete sie ge-
lassen und sah an ihm vorbei zum Fenster hinaus.
„Ich hatte Ihnen aber doch versprochen, Gold
mitzubringen."
„Daran erinnern Sie sich erst heute?"
„Sie hatten es nicht vergessen?"
„Ich vergesse nichts — aber ich habe schon viele,
viele Jahre nicht mehr mit Ihrem Versprechen ge-
rechnet. Hinrich Prätorius hatte mir klar gemacht,
daß die Goldsucher etwas versprechen, was kein
Goldfinder hält - nur neugierig war ich, wie
Sie sich mit Ihrem Versprechen abfinden würden."
Sie lächelte ein wenig spöttisch.
Das reizte ihn. Er stand auf und sagte: „Ich
bin kein Goldfinder in Hinrich Prätorius' Sinn —
ich habe so hart arbeiten müssen, daß mir alle
Holdseligkeiten des Lebens entschwanden und erst
wieder aufwachten, als das Ziel erreicht war —
vmuL> 191 *w<b
Und das Haus neben der Linde stand. Leben
Sie wohl, Frau Prätorius, es kann mir nicht in
den Sinn kommen, die Lehren ihres Galten um-
zustoßen."
Erft als er wieder draußen auf der Brücke
stand, verging das Flimmern, das vor seinen Augen
lag. Der frische Wind, der vom Wasser herauf
kam, tat ihm wohl. Und dennoch konnte er die
Röte des Unmuts über seine Ungeschicklichkeit im
Benehmen gegen Frau Cöleste Prätorius nicht fort-
fächeln.
(Schluß folgt.)
Aus Heimat und Fremde.
Das Regierungsjubiläum des deutschen
Kaisers wurde, wie in ganz Hessen, so auch in Kassel
festlich begangen. Eine städtische Abordnung überreichte
eine vom Maler Wittig an der Kunstgewerbeschule her.
gestellte Glückwunschadresse. Diese zeigt in einem
Umschlag aus grauem Leder mit Goldpressung auf Per>
gament im oberen Teil des goldornamentierten Rahmens
ein achteckiges Feld mit einer figürlichen Darstellung in
der der Kaiser al» St. Michael allegorifiert ist. Der untere
Teil enthält das Kasseler Wappen, zu dem das Steinrelief
des alten Rathauses als Vorbild gedient hat. Dir Adresse
hebt den Beschluß der städtischen Behörden hervor, mit einem
Kapital von 25000 Mark eine Jubiläumsstiftung
zu errichten, aus deren Zinsen Volksschulkindern der Besuch
bestimmter auszuwählender Vorstellungen im Hoftheater er-
möglicht werden soll. — Am Tage des Jubiläums hatten
die Kasseler und auch eine Reihe hessischer Zeitungen Fest,
nummern erscheinen lasten; u. a. brachte das „Kasseler
Tageblatt" in seiner Festnummer eine Anzahl von Ab.
bildungen. die sich auf den Kasseler Schulaufenthalt des da.
maligen Prinzen Wilhelm beziehen.
Hessischer Geschichtsverein. Am Ausflug
des Kaffeler Vereins nach dem Karthause beteiligte
sich eine große Zahl von Mitgliedern. Von Gensungen
aus begab man sich zum Gasthos „Zum Heiligen-
berg", wo der Vorsitzende General Eisentraut an die
reichen geschichtlichen Erinnerungen des Heiligenbergs
erinnerte und dann besonders aus die Geschichte des
1223 in Gensungen als Filiale des Ahnaberger
Klosters begründeten Augustiner Nonnenklosters ein-
ging. das etwa 200 Jahre blühte, um dann den
Karthäuser Mönchen übergeben zu werden. Diesen
schenkte Landgraf Ludwig II. auch die zerfallene
Burg auf dem Heiligenberge. Dort bauten sie eine
Kapelle und lasen allwöchentlich eine Seelenmesse,
wie der Landgraf angeordnet. Das Kloster hatte
drei stattliche Höfe in der Nähe in Besitz, den Nieder-,
Mittel- undOberhof. Nachdem LandgrasPhilippd. Gr.
das Kloster aufgehoben hatte, sank die Karthause
allmählich zu einem Vorwerk der spätern Domäne
Mittelhos herab. Landgraf Moritz ließ den Nieder-
und Oberhos eingehen und später abbrechen, den
Mittelhos aber zu einem landgräslichen Schloß her-
richten. Ein 11 Fuß hoher eigentümlich gestalteter
Ofen aus dem Jahre 1663, der bis vor einigen
Jahren in einem Zimmer des Mittelhofes stand,
schmückt jetzt das neue Landesmuseum.
Im letzten Jahre des 7jährigen Krieges — 1762 —
war diese Gegend links und rechts von Ende Juni
bis Mitte August von zahlreichen Truppen der
Alliierten und der Franzosen besetzt. Nach der Schlacht
bei Wilhelmsthal am 24. Juni 1762 hatten sich die
Franzosen nach Kassel und hinter die Fulda zurück-
gezogen. Als Herzog Ferdinand, der ihnen zuerst
zwischen Weimar und Hohenkirchen gegenüberstand,
seinen rechten Flügel nach Süden — bis Gudens»
berg und Fritzlar — ausdehnte, um den Franzosen
die Zufuhr von Süden abzuschneiden, sahen sich
auch die Franzosen genötigt, ihren linken Flügel
zu verlängern und schließlich die Gegend am Heiligen-
berg zu besetzen. Das Schloß Felsberg war von
ihnen mit 1 Offizier und 4v Mann besetzt. Es
wurde am 29. Juni von den Alliierten gestürmt und
nun dauernd mit hessischen Jägern besetzt. Die
Stellung der Franzosen am Heiligenberg lief Mitte
Juli vom Mittelhos und der Karthause, wo sie starke
Schanzen errichtet hatten, hinter dem Heiligenberg
her über Beuern und Hilgershausen nach Elsers-
hausen. In der Nacht vom 25. zum 26. Juli unter-
nahmen die Alliierten einen Angriffauf diese Stellung,
wobei es dem hessischen Oberst v. Gräffendorff ge-
lang. die Edder zu überschreiten und den Feind
aus Gensungen zu vertreiben. Die Franzosen räumten
am 26. Juli die Stellung am Heiligenberg und
zogen sich auf das rechte User der Fulda zurück.
Am 17. August zogen sie aus dem nördlichen Hessen
nach Süden ab.
Die erwähnten, von den Franzosen bei der Karthause
und dem Mittelhos errichteten Schanzen find noch
gut erhalten. Die erstere liegt zwischen dem Kohlen-
bergwerk und der Karthause, nordwestlich der Straße
Gensungen-Melgershausen, auf einem Bergvorsprung.
Sie ist vierseitig, nach der Straße zu offen. Die
Schanze aus der Höhe über dem Mittelhos ist wohl
die größte und best erhaltene Feldbefestigung in
Heffen aus jener Zeit. Ihre 3 bis 4 m hohen
Wälle umschließen ein geräumiges Viereck mit einer
mächtigen kreisrunden und rings geschloffenen Bastion
an jeder Ecke.
Nach dem Kaffee trat man den Weg an in die
reiche schöne Landschaft, besichtigte erst die Schanze
bei der Karthause, dann diese selbst. Dom Kloster
steht nur noch ein Teil der Kirche, die mit einem
um, 192
Anbau zur Scheune eingerichtet ist. Durch den
Mittelhof erstieg man dann die Schanzenhöht, von
der aus der Vorsitzende noch eimal in anschEßlicher
Weise das Gelände erläuterte. Von der mächtigen
Schanze führte nun der Weg nach dem Dorfe Alten-
brunslar, von wo aus die Bahn die Teilnehmer
nach Kassel zurückführte.
Marburger Hochschulnachrichten. Die Uni-
versität beging das Regierungsjubiläum des Kaisers durch
eine akademische Feier in der Univerfitätskirche, in der
Geh. Konsistorialrat Prof. vr. Jülicher die Festrede
hielt. — Der Professor an der Königlichen Akademie in
Posen, vr. Richard Hamann wurde zum ordentlichen Pro-
fessor in der philosophischen Fakultät und zum Direktor der
Sammlung für neuere Kunstgeschichte ernannt. — Der
Direktor des chemischen Instituts in Greifswaid, Professor
vr. Karl v. A u w e r s, hat den Ruf nach Marburg ange-
nommen und wird zum I. Oktober sein neues Lehramt
antreten. — Pros. vr. Heymann, der seit 1904 als
Nachfolger Lehmanns in Marburg wirkt wurde der
Charakter als Geh. Justizrat verliehen.
Personalchronik. Professor Vr. Julius Roden-
berg. der am 9. Juni gleichzeitig die goldene Hochzeit
und das vierzigjährige Jubiläum als Herausgeber der
»Deutschen Rundschau" beging, feiert am 26. Juni seinen
82. Geburtstag. Wir wünschen dem alten rüstigen Herrn,
der uns schon so oft sein warmes Interesse für unsere
Zeitschrift bekundete und überhaupt regen Anteil nimmt
an allen literarischen und künstlerischen Bestrebungen seiner
hessischen Heimat, noch manches Jahr gesegneten Schaffens
in seiner bekannten geistigen Frische und körperlichen Rüstig-
keit! — Der langjährige Herausgeber der „Hessischen
Schulzeitung" und ehemalige Vorsitzende des hessischen
VolksschullehrervereinS Lehrer Lange beging seinen 80. Ge-
burtstag und Lehrer Gl len b erg-Kassel sein bOjähriges
Lehrerjubiläum. _____________________
Todesfälle. Am 6. Juni verschied zu Kassel im
66. Lebensjahr der einer hessischen Gelehrtenfamilie ange-
hörende Schriftsteller Hermann Bezzenberger, der
sich namentlich durch seine bizarren, ein entschiedenes Talent
verratenden Kirchhofphantafien „Ich will und die Himmels-
leiter" lzwei Bände mit 90 phyfiognomischen Studien) und
die „Bampeliana" bekannt gemacht hat.
Am 11. Juni verstarb im 64. Lebensjahr Realymnafial-
direktor Profestor vr. Karl Schirmer in Magdeburg,
der 1886 bis 1893 an der Frirdrich-WilhrlS-Schule zu
Eschwege als Direktor tätig war.
Im Alter von 73 Jahren starb in Königstein im Taunus,
wo er zur Erholung weilte, an den Folgen einer Lungen-
entzündung der Begründer der Auskunftei Schimmelpfeng
inBerlinWilhelm Schimmelpfeng. DerVerstorbene
gründete fein Unternehmen, das der Sicherung des Kredit-
verkehrs zu dienen bestimmt war. im Jahre 1872 zunächst in
bescheidenem Umfange. Heute ist die Auskunftei Schimmel-
pfeng das führende Unternehmen dieser Art. In dem
Hauptgeschäft in Berlin und in den vielen Filialen werden
insgesamt über 2600 Angestellte beschäftigt. Wilhelm
Schimmelpfeng ist der Schöpfer dieses Riesenunternehmens
und auch der Schöpfer des Wortes „Auskunftei", das, zu-
nächst viel beanstandet, heute im deutschen Sprachschatz
längst Geltung erlangt hat. Der Verstorbene war der Sohn
des früheren Hersfelder Bürgermeisters C. B. Schimmel-
pfeng.
Kassels HochzeitSgeschenk an die Kaisertochter.
Als Hochzeitsgeschenk für die jungvermählte Herzogin
Viktoria Luise von Braunschweig-Lüneburg hat die Residenz-
stadt Kassel auf besonderen Wunsch ein Gemälde bestimmt,
das die Gegend von Wilhelmshausen an der Fulda dar-
stellt und dem Kunstmaler Hans Meyer-Kassel über-
tragen wurde. _____________________
Kassels Festspiel zur Tausendjahrfeier.
Der Festspiel-Leseausschuß hat nunmehr die Entscheidung
über daS bei der Tausendjahrfeier aufzuführende Stück
getroffen. Nach längerer Beratung wurde folgender Beschluß
gefaßt: Unter den 38 Einsendungen, die auf das Preis-
ausschreiben vom 26. April vorigen JahreS erfolgten, be-
findet sich nach dem einstimmigen Urteile des Preisgerichts
keine, die in vollem Maße den an ein Festspiel zur Tausend-
jahrfeier zu stellenden Anforderungen genügte und alS
geeignet im Sinne des Preisausschreibens zu bezeichnen
wäre. Abgesehen hiervor werden als die besten der ein-
gereichten Stücke und einander etwa gleichwertig die mit
dem Motto „Weißer Hof" und ,1385" bezeichneten Manu-
skripte ausgewählt und jedes mit einem Preis von 1000 Mark
bedacht. Aus bühnentechnischen Gründen wird trotz ge-
wisser Bedenken gegen den Inhalt unter dem Vorbehalt
einiger Änderungen daS mit dem Kennwort ,1385" ver-
sehene Stück zur Aufführung gewählt. Bei der Öffnung
der beiden mit den obigen Kennworten versehenen, ver-
siegelten Briefumschläge ergeben sich als Verfasser: für
„1385" Kunstmaler Benno von Francken aus Dresden,
z. Zt. Düsseldorf, und für „Weißer Hof" Lehrer Heinrich
Bertelmann aus Kassel. — Es wird auch unseren Lesern
eine besondere Freude sein, daß der ihnen durch seine
prächtigen Erzählungen seit Jahren bekannte heimische
Dichter Heinrich Bertelmann zu den Preisträgern gehört,
wenn auch sein fünsaktigeS Festspiel „Fürst und Bürger",
das den Streit zwischen Landgraf Hermann und den Kasseler
Bürgern zum Vorwurf hat. leider nicht zur Aufführung
gelangt. Da sich nach dem Preisausschreiben die Stadt
Kassel das Recht vorbehielt, von den eingereichten Fest-
spielen noch weitere zur gelegentlichen späteren Aufführung
zu erwerben, darf man annehmen, daß sie vielleicht auch
das von Valentin Traudì eingereichte und, wie wir
hören, als drittbestes bewertete Stück ankaufen wird.
Aus Kassel. Oberbürgermeister vr. Sch o lz wurde
endgiltig zum Oberbürgermeister von Charlottenburg ge-
wählt. so daß sich Kassel nach dessen kaum einjähriger
Amtsdauer um ein neues Oberhaupt bemühen muß. —
Die von dem verstorbenen Ehrenbürger der Stadt Georg
Andrer Lenoir auf dem Teichhof bei Lichtenau der
Stadt gestiftete Lenoirsche Waisenanstalt, die zunächst 200
Waisen, 100 Knaben und 100 Mädchen, aufnehmen soll
und außer den Nebenstiftungen von 1264000 Mark heute
einen Vermögensbestand von 5 Millionen Mark umfaßt,
wurde am 12. Juni feierlich eingeweiht. — Die Feier
des 50jährigen Geschäfts-Jubiläums beging am 17. Juni
das bekannte Bankhaus Damms & Streit in Kassel.
Schnell aus Kassel. Aus Anlaß deS 100jährigm
Bestehens der Firma Schnell in Kassel erinnerte man sich
auch der bekannten Ballade des 1797 verstorbenen Mar-
burger Professors der Philosophie, Literatur und Zeichen-
kunst Josef Friedrich Engelschall, die, in seinen 1788
erschienenen „Gedichten" unter dem Titel „Schnell" zum
erstenmal veröffentlicht, rasch große Verbreitung fand und
in veränderter Form und mit dem Titel „Schnell aus
Kassel" in verschiedene Anthologien überging, so bereits
1792 in des Darmstädter KirchenratS Friedrich Ludwig
Wagner „Lehren der Weisheit und Tugend", in der sie
#m> 193 vmiL
sich noch in der Auflage von 1834 befindet, und weiter
in die dreibändige .Deklamation für das mittlere Jugend-
alter von Loßnitzer', Leipzig 1836. Bd. II. ..Seite 203.
Der Tradition nach fall fich der hier geschilderte Überfall bei
einer Wanderung Schnell- nach Rotenburg ereignet haben.
Vom Meißner. In Schwalbenthal erfolgte am
15. Juni die Einweihung des großen Meißner-Verbands-
WasserwerkeS. das durch den Verband sämtlicher Gemeinden
des Meißnergebietes finanziert ist. Der Feier, zu der die
Bewohner der an das Wafierwerk angeschlostenen Gemeinden
überaus zahlreich erschienen waren, wohnte u. a. auch Re-
gierungspräfident Graf von Bernstorff bei. der dem Er-
bauer. Ingenieur Leithäuser-Kassel den Roten Adlerorden
4 Kl. überreichte. Vor dem von Architekt Max Hummel ge-
schaffenen Brunnendenkmal hielt der Begründer des Meiß-
ner-Verbands-Wasserwerkes, Landrat und Kammerherr
v. Keudell die Festansprache. Am Frauhollenteich ent-
wickelte fich sodann ein frohes Volksfest. Das Versorgungs-
gebiet des neuen
Wasserwerks umfaßt
in 8 Ortschaften 6600
Seelen und 8000
Stück Vieh mit einem
täglichen Wasserver-
brauch von etwa
600 cbm; außerdem
werden die Bahnhöfe
Eschwege und Nieder-
hone von ihm ver-
sorgt. Das Werk
kann täglich etwa
2500 edm Wasser
liefern, also ungefähr
ein Fünftel der täg-
lichen Leistung der
Kasseler Waffer-
werke. Die das Werk
speisenden Haupt-
quellen find die Stol-
lenquelle am Schwal-
benthal sowie der
Mühlrnborn; außer-
dem find noch Fas-
fungsanlagen unter-
halb Schwalbenthal
am Friedrichsstollen
sowie in den Germe-
röder Wiesen errich-
tet. Die Quellen find
in der Hauptsache
forstfiskalifcher Besitz
und von der Regie-
rung dem Zweckver-
band pachtweise zu-
nächst auf die Dauer
von 50 Jahren überlasten Die gesamten Baukosten be-
laufen fich auf etwa 1500 000 Mark.
AuS Salzschlirf. Am 14. Juni wurde anläßlich
des 75jährigen Bestehens des Bades an dem ältesten kleinen
Häuschen auf der Marienlust eine Bronzeplakette zur Er-
innerung an den Begründer des Bades, 0r. Eduard
Martiny. angebracht.
Ein tausendjährige« hessisches Dorf. Das in
dem durch seine originellen Volkstrachten und feine alten
Volksbräuche bekannten hesfischen Hinterland, dem heutigen
Kreis Biedenkopf, gelegene, etwa 1000 Einwohner zählende
Dorf Breidenbach feierte am 15. und 16. Juni sein
tausendjähriges Be st ehe n. Da» Dorf erscheint
zuerst in einer Urkunde vom 16. Juni 913 und gehörte
mit dem Perfgau zum Befitze des Herzogs Eberhard von
Franken, des Bruders König Konrads I.. der im oberen
Lahngau seine HauSmacht hatte. Das Gaugrafenamt ging
später an die unter der Lehnshoheit der Erzbischöfe von
Mainz stehenden Grafen von Wittgenstein über. Als die
Erzbischöfe ihre Macht gegenüber den hessischen Landgrafen
erweitern wollten, unterlag der Krummstab dem hesfischen
Löwen, und Breidenbach kam mit dem Perfgau in den
Besitz Hessens, dem es bi» zum Jahr 1866 angehörte, wo
eS an Preußen fiel. Die Geschichte des Dorfes, das ein
eigenes Rittergeschlecht, die Herren von Breidenbach ljetzt
benannt Breidenbach zu Breidenstrin). besaß, ist recht wechsel-
voll. Trotz seiner weltabgeschiedenen Lage hat Breidenbach
unter den mittelalterlichen Kriegsstürmen und ihren Folge-
! Erscheinungen schwer gelitten. Der dreißigjährige Krieg
vernichtete den Wohl-
stand der Bewohner.
Pest. Blattern und
ähnliche Seuchen
rafften die Mehrzahl
der Bewohner dahin.
Manche Bauten des
Dorfes haben die
Jahrhunderte über-
dauert und find jetzt
stumme Zeugen einer
schöneren Vergangen,
heit. Die noch wohl-
erhaltene, aus dem
13. Jahrhundert
stammende Kirche be-
sitzt drei Glocken aus
den Jahren 1450-54
und eine nahezu 250
Jahre alte Orgel.
Das alte Pfarrhaus
entstammt dem Jahre
1575. Zahlreiche
Holzbauten mit ihren
Inschriften geben
Zeugnis von der mit-
telalterlichen Bau-
kunst. Aus Anlaß
dieser Tausendjahr-
feier ist ein Bauern-
haus errichtrtworden,
das eine Altertums-
ausstellung beher-
bergt, während der
Festzug Gelegenheit
gab. die alten ori-
ginellen Hinterlän-
wieder zur Geltung zu bringen.
Zur Emanuel Geibel-Forschung wird aus
Wachenbuchen, wo bekanntlich das Stammhaus des Dichter«
steht, berichtet: Seit einiger Zeit ist der Chemnitzer Historiker
Uhlmann-Uhlmannsdorf hier anwesend, um Nachforschungen
nach der Genealogie der Ahnen de« Dichter- Emanuel
Geibel anzustellen. Nach seinen Feststellungen treten ur-
kundlich nachweisbar Geibels Ahnen bereit« 1571 in Wachen-
buchen als Grundbesitzer auf von denen Andrea« Geibel
1620 als Bürgermeister Wachenbuchens genannt wird, auch
dessen Enkel Heinrich Geibel ist Bürgermeister gewesen.
Im 30jährigen Kriege (1647) war dieser als Kontribution«-
Die Prima des Kafieler Frie-richsgymnafiamS 1876.
Obere Reihe von links nach rechts: Brauneck (Professor, Hamburg!, Lengemann
l-s- Geh Bergrat, Aachen), Hetzer (Landgerichtsrat, Potsdam). Ganslandt (l. Staats-
anwalt. Kassel), Wittich (+ Referendar, Kassel). Jungmann (t als Gymnasiast), Standen-
Horn (Oberregierungsrat Dr., Kassel).
Mittlere Reihe: Leicher (Jnftitutsvorsteher, Südamerika). Schlichteisen (Oberlehrer,
Pr. Stargard«, Prinz Wilhelm von Preußen. Oberlehrer Prof Weber +,
Sommer (Oberlandesgerichtsrat Dr., Frankfurt a. M ), Herzog, (Prof.. Mannheim).
Unten stehend, links: Eollmann (Landgerichtsrat). rechts: Klepper (Oberlandesgericht-»
rat, Kassel).
Unten fitzend: Wbhler (1- Referendar, Kaflel) Heer (Landgerichtsrat. Marburg),
Schmid (Oberregierungsrat Dr., Magdeburg). Iouvenal (t Rechtsanwalt Justizrat Dr.,
Kassel). Ziemann (Geh. Regierungsrat, Frankfurt a.O), Gunkel (Rechtsanwalt. Fritzlar).
(Aus der zum Regierungs-Jubiläum Kaiser Wilhelms II. erschienenen illustrierten
Festnummer des Kafieler Tageblatt und Anzeiger.)
der Volkstrachten
9*WL 194 S«LL>
grisel für seine Gemeinde nach Hanau gebracht worden.
Des Dichters Großvater ist 1741 in Wachenbuchen geboren.
In seinem Besitze befand sich das von Geibel in seinen
Gedichten besungene und in Heidelbachs Werk Über „Teutsche
Dichter und Künstler in Escheberg" znm erstenmal ab-
gebildete Stammhaus. In diesem Hanse hat man nun
auch dos Wappen der Familie Geibel. das sich unter mehr-
fachem Kattüberstrich an der Decke eines Zimmers im
ersten Stock befand, wieder freigelegt. Später verzog der
Großvater nach Hanau, wo er Rats- und Amtsdiener wurde.
<Wie wir übrigens erfahren, hat der Besitzer das betr. Wappen
schon wieder mit neuem Kalk Überstreichen lassen, um seine
Wohnung nicht zu einem Wallfahrtsorte zu machen. D. Red)
Literarisches. Das von der hessischen Dichterin
B. Moriton-v. Mellenthin verfaßte Drama „Maler
dolorosa“ die Tragödie einer Mutter, würd« kürzlich
in Landau erfolgreich aufgeführt. Das .Landauer Volks-
blatt" schreibt Über dieses im Buchhandel bereits erschienene
Werk: „Einen durchschlagenden Erfolg bedeutete die gestrige
Erstausführung des Dramas „Naber dolorosa“. Die
Künstler taten ihr möglichstes, um dem Gedanken des
Autors gerecht zu werden; sie schufen Gestalten, die dem
Leben entnommen sind, dem menschlichen Leben mit seinen
Licht- und Schattenseiten, mit den Herzen voll Liebe und
Haß. Die Tragödie einer Mutter, ein Meisterwerk
B. Moriton-v. Mellenthins, wird sich schnell alle Bühnen
erobern und eine begeisterte Aufnahme seitens des Publi-
kums besonders dort finden, wo es die räumlichen Ver-
hältnisse gestalten, das Werk in seiner ganzen Größe zur
Darstellung zu bringen."
Personalien.
Verliehenr dem Generalleutnant z. D. Bernhard
der Stern zum Roten Adlerorden 2. Klasse; dem
Oberst z. D. Hellwig zu Kassel der Kronenorden 2. Kl.;
dem Landeshauptmann von Hessen Frhrn. Riedesel zu
Ei send ach zu Kassel der Stern zum Kronrnorden 2. Kl.;
dem Oberbürgermeister Dr. Gebeschus zu Hanau der
Rote Adlerorden 3. Kl. mit der Schleife; dem Ober-Re-
gierungsrat v. Len he zu Kassels Regierungsrat von
Ho Itzendorfs zu Kassel, Regierungsrat v. Eschwege zu
Dassel, Regierungsrat Frhrn. v. Tettau zu Kassel. Rent-
ner Satorius zu Marburg. Rentner Halbleib zu
Fulda, Rentner Otto Ehrenberg zu Kassel, stellvertre-
tenden Vorsitzenden des Vereins für Walderholungsstättm,
Rrchnungsrat Telgmann. Hauptkassierer an der Re-
gierungs-Hauptkasse zu Kassel, ord. Prof. Dr. Bonn hoff
zu Marburg. Landgerichtsrat Klingenbiel zu Marburg,
Direktor des Oberhess. Museums und der Gailschen Samm-
lungen, Hauptmann a. D. Dr. d. e. Kramer in Gießen,
Negierungsrat Schütze beim OberverficherungSamt zu
Kassel Divifionspfarrer Wagner zu Kassel. Ingenieur
Leit Häuser zu Kassel. RegierungShauptkassen-Buchhalter
Rechnungsrat Bloemacher zu Kassel der Rote Adler-
orden 4. Kl.; dem Lehrer Ellen berg zu Kassel desgl.
mit der Zahl 50; dem Direktor des Kgl. Friedrichs-
Gymnasiums in Kassel Dr. B altzer der Adler der Ritter
des Kgl. Hausordens von Hohenzollern; dem Major a. D.
v. Arni m. Landesökonomirrat Förster. Geh. RegierungS-
und Forstrat Graf von der Schu lenburg. Geh. Bau-
rat Kießgen. Geh. Regierungsrat Angern Geh. Justiz-
rat Wurzer. Oberstleutnant a. D. von Verteil, sämt-
lich zu Kassel, der Kronenorden 3. Kl.; dem Kammer-
virtuos Deyerberg. Hosdachdeckermeister Kunold und
Hoffleischermeister Schnell zu Kassel der Kronenorden
4. Kl. dem Magistrats-Sekretär Strien ing und dem
Bankprokuristen Dr. zur. Reinemund zu Kassel die Rote
Kreuz-Medaille 3. Kl.; dem Regierungs- und Schulrat
Bottermann zu Kassel der Charakter als Geheimer Re-
gierungsrat; dem Direktor des Gymnasiums zu Hanau
Dr. Braun der Charakter als Geheimer Studienrat; dem
Bureauvorsteher Balle bei der Intendantur der König-
lichen Schauspiele in Kasiel der Charakter als Hofrat;
dem Gutsbesitzer Nöll in GudenSberg der Charakter als
Ökonomierat; dem Eisenbahnobersekretär Blume und dem
Regierungssekretär Bönning in Kasiel der Charakter als
Rechnungsrat.
Versetzt: die Postinspektoren Bruns von Berlin nach
Eschwege und Koerber von Eschwege nach Kasiel.
Gebore«: ein Sohn: Hauptmann Beichhold zu
Ingolstadt und Frau Paula, geb. Salzmann (Kasiel.
7. Juni); Fritz Bechtel und Frau (Kassel 14. Juni);
Oberzollsekretär Kühn und Frau Tilla. geb. Leist (Kastel-K.,
19. Juni); — eine Tochter: Dr. Schoenewald und Frau
Rosy. geb. Gotthelft (Bad Nauheim. 15. Juni).
Gestorben: österr Hauptmann Adolf Au ff arth aus
Fulda. Mitkämpfer der Schlachten von Magenta. Sol-
serino und Custozza. 78 Jahre alt (Badgastein, 30. Mai);
Fräulein Friederike D o m m e r i ch, 64 Jahre alt (Goslar.
4. Juni); Regierungsbaumeister Emil Weiß (Kassel.
5. Juni); Privatmann Hermann Bezzenberger.65 Jahre
alt (Kassel. 5. Juni); Frau Emmy Pank, geb. Bethke
(Halle a. S.. 5. Juni); techn. Sekretär, Rechnungsrat
Franz Koch (Kassel, 12. Juni); Geh. Baurat Oskar
Loebell 70 Jahre alt (Kassel, 16. Juni); Lehrer Fritz
Schade 47 Jahre alt (Kasiel. 16. Juni); verw. Frau
Anna Braun, geb. Jacobs (Rotenburg, 16. Juni); Bäcker-
meister und Stadtrat Crede (Treysa. 16. Juni); Ma-
schinenfabrikant Wilhelm Rohde, 61 Jahre alt (Kasiel,
17. Juni); Oberstabsveterinär a. D. Karl Cleve (Kassel,
18. Juni); Eisenbahn -Obersekrrtär Johannes Fend
59 Jahre alt «Kasiel, 18. Juni); Oberamtmann Her-
mann Albert Schubert. 66 Jahre alt (Kresienbrunnen,
18. Jum) Lehrer Nikolaus Zeiß. 68 Jahre alt (Kassel,
18. Jum); Professor Dr. Samuel Herrlich, 68 Jahre
alt (Berlin. 18. Juni); Kaufmann Heinrich Theiß
(Rauschenberg. 18. Juni); Oberst a. D. Ernst v. Kiecke-
busch (Rittergut Hoof. 20. Juni); Fabrikant Heinrich
Hild (Kassel. 20. Juni); Frau Charlotte Sauer, geb.
Kirms. 62 Jahre alt (Hersfeld. 20. Juni); Wilhelm
S ch i m m e lp f e ng Begründer der Auskunftei in Berlin,
73 Juhre alt (Königstein i. T., 22. Juni): Lehrerswitwe
Maria K a t h a r i n e r geb. Trabert, 70 Jahre alt (Fulda);
Kgl. Revierförster a. D. Wilhelm Amelung. 76 Jahre
alt (Flieden».
Zu dem Aufsatz von Dr. W. Wieder in Nr. 11. „Syl-
vester Jordans Politische Erinnerungen", tragen wir noch
ergänzend nach, daß das im „Neuen Jahrhundert" zum
erstenmal veröffentlichte Manustript von Dr. Paul Tes-
dorpf-München, dem Erben des literarischen Nachlasies
von Henriette Keller-Jordan, herausgegeben und kommen-
tiert wurde. _______
Briefkasten.
E. in Hanau. Besten Dank für den Hinweis. Daß
selbst eine Zeitschrift vom Range des „Türmer" (Juniheft
1913, Auf der Warte) das noch kürzlich von Bibliothekar
Dr. Losch in der „Hessischen Chronik" (April 1918) gründ-
lich zerstörte Märchen vom Uriasbrief de« Grafen Schaum-
burg aufwärmt und. aus diesem gefälschten Brief fußend,
die hessischen Fürsten schmäht, ist höchst bedauerlich. Hoffent-
lich wird sie von geeigneter Seite auf ihren groben Irr-
tum hingewiesen werden.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kasiel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel Kasiel.
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 13. 27. Jahrgang. Erstes Juli-Heft 1913.
Ungedruckte Briefe des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf
und des Grafen Maximilian II. zu Isenburg und Büdingen
wegen der Erbpachtung der Nonneburg.
Von Friedrich Wilhelm Fürst zn Äsen bürg und Büdingen.
Zum Verständnis des nachstehenden, noch nicht
veröffentlichten Briefwechsels des G r a f e n N i c o -
laus Ludwig von Zinzendorf, sowie der
Antworten des Grafen Maximilian II. zu
Psenburg und Büdingen in Wächtersbach
(voll letzteren die Original-Konzepte) mag fol-
gendes vorausgeschickt werden:*)
Die Ronneburg, um deren Erbpachtung durch
Zinzendorf es sich hier handelt, ein altes, aus
den« frühen Mittelalter stammendes, im 16. Jahr-
hundert vollständig um» und ueugebautes Schloß
von bedeutender Ausdehnung, hatte öfter ben
Besitzer gewechselt und kam 1725 an Menburg-
Wächtersbach. Graf Ferdinand Maximilian II.
setzte sie seinem Bruder Wilhelm (1729—1746)
als Aparagium aus. Dieser wohnte auch einige
Zeit hier, zog aber dann nach Gelnhausen und
vermietete die leeren Räume an allerlei Leute,
wodurch der Grund zun» Verfalle der Burg
gelegt wurde.
*) Entnommen dem Führer für die Ronneburg von
Fritz Schleucher. Is. Aufl.. dessen geschichtlicher Teil
von dem Unterzeichneten redigiert wurde.
Es fand nach dem 30 jährigen Kriege ein
fortwährendes Einwandern in die hiesige Gegend
statt. So verehlichte sich 1666 ein Jean Louage,
Höfmann auf der Ronneburg, aus Welschland,
mit Marie Thoraviot aus Hanau. — Überhaupt
spielte die Ronneburg in damaliger Zeit, was
Trauungen anbelangt, die ähnliche Rolle, wie
die weltberühmte Schmiede in Gretua - Green,
jenem schottischen Dorfe an der englischen Grenze.
— Brautpaare, die aus verschiedenen Gründell
eine Ehe nicht eingehen konnten, fanden hier gegen
Zahlung einer Taxe die Möglichkeit dazu.
1668 Pierre Brune aus Gallos in Frankreich.
1669. Der Pachter auf dem Rouneburger
Hof, Franz Rettly aus den Niederlanden, heiratet
Jeanette Schmelin aus Hanau.
1687 läßt Pierre le Cojeur, Hofmann auf dem
Baumwieserhofe und
1668 Henri de Güle, Hofmann auf dem Baum-
wieserhofe, taufen. — Andere Franzosen sind noch:
Jsac Gens, Courvoisier, Jacques Tavernier rc.
(Junghans).
Endlich aber nahm Graf Wilhelm eine ganze
vmL> 196
Anzahl s. g. Separatisten, auch Inspirierte geheißen,
in der Ronneburg aus. Diese Sekte war unter
Friedrich Nock und andern in die Gegend ge-
kommen und hatte sich hier stark verbreitet. Die
auf der Burg lebenden Führer waren wohlhabend.
Sie richteten Teile der Burg zur Fabrik ein, in
der sie eine gut gehende Wollmanufaktur betrieben.
Sie pachteten auch das Nonneburger Hofgut und
widmeten sich mit Eifer der Landwirtschaft. Die
Folge davon war, daß sie eine ganze Anzahl
Leute, als Fabrik- und landwirtschaftliche Arbeiter,
in die Burg aufnahmen, in deren Auswahl sie
nichts weniger als vorsichtig waren. Auch gestalteten
sie einer Anzahl Juden in der Vorburg zu wohnen.
Diese kauften die zur Fabrikation erforderliche
Wolle in der Umgegend auf, um gleichzeitig als
Hausierer die gefertigten Woll- und Strumpfwaren
unter die Leute zu bringen. Dies geht namentlich
aus einem Protokoll vom 17 Dez. 1740 hervor,
in dem diese Bewohner der Burg einzeln nach
Stand und Herkommen auf Befragen aufge-
nommen worden sind. Es waren im ganzen
38 Personen, die teils schon längere Zeit, oft bis
zu 30 Jahren, da wohnten und schon auf der
Burg geboren waren, teils aber erst seit kurzem
anwesend waren und meistens aus umliegenden
Orten stammten. Doch auch aus entfernteren
Gegenden Deutschlands herzugezogene Leute waren
vorhanden, manche nichts weniger und nichts mehr
wie Landstreicher. Am Schlüsse des Protokolls
heißt es: „Die Juden haben wegen ihres Sabbaths
nicht vorgenommen werden können!"
Daß die Burg, von der Teile, wie berichtet,
zu Fabrikräumen umgewandelt worden waren,
durch diese Invasion sehr leiden mußte, ist er-
klärlich. Schlüssel, eiserne Ofenteile, Geländer-
stangen usw. wurden entwendet und als altes
Eisen verkauft. In welcher Weise die Burg
damals ruiniert wurde, kann man am besten aus
dem Übergabeprotokoll von 1730 an den Grafen
Wilhelm aufgrund des Aparagiumvertrages von
1729 und aus dem Nückgabeprotokoll von 1746
ersehen. 1730 war die Burg, wenn auch nicht
in untadligem Zustande, so doch so erhalten, daß
ihre Wiederherstellung bei pfleglicher Behandlung
mit nicht zu großen Kosten eine sehr leichte gewesen
wäre. 1746 sieht es aber bereits furchtbar dort
aus. Sie war total im Verfall. Türen, Fenster,
Öfen, Fußböden rc. befanden sich im denkbar
schlechtesten Zustand. Aus einem Protokoll des
Jahres 1767 geht jedoch wieder hervor, daß der
bauliche Zustand der Burg ein wenig besser
geworden sei.
In jene Zeit der größten Verwahrlosung der
Burg füllt auch der Aufenthalt des Grafen Zinzen-
dorf, des Begründers der Herrnhuter Brüder-
gemeinde. Wie bekannt, unterhielt Zinzendorf
Beziehungen zu den Inspirierten, auch Separa-
tisten genannt. Es war sein Bestreben, diese zü
seiner Gemeinde herüberzuziehen. Er hielt sich
daher längere Zeit in der Wetterau. wo es viele
dieser Inspirierten gab, auf, und dieses war auch
der Grund, daß er längere Zeit auf der Ronne-
burg Aufenthalt nahm, wo er am 13. Juni 1736
einzog und einige Wochen blieb.
Wie schlimm es damals hier aussah, geht ans
folgendem hervor: Ehe Zinzendorf die Burg bezog,
sandte er den Zimmermann und Gemeindeältesten
Christian David hin, um sie in Augenschein zu
nehmen. Dieser kehrte aber mit der Nachricht
zurück, daß man dort nicht mehr wohnen könne.
Die Gesellschaft, die die Räume innehätte, könne
ihm nicht gefallen. Zinzendorf erwiderte hierauf •-
„Bist du nicht in Grönland gewesen?" Worauf
David entgegnete: „Ja, wenn es noch wie in
Grönland wäre!" Doch der Graf ließ sich da-
durch nicht abschrecken und zog noch in demselben
Jahre in die Burg ein.
Er begann sofort seine Bekehrungsversuche an
seinen Mitbewohnern, jedoch waren sie nur mit
wenig Erfolg gekrönt. Zinzendorf verließ daher
die Gegend und wandte sich nach Livland, seiner
Gemahlin das Weitere überlassend. Diese erregte
durch ihre Predigten bald großes Aufsehen, so
daß die Räume der Burg nicht mehr ausreichten,
alle Zuhörer zu fassen, weshalb im Burghof die
Gottesdienste abgehalten werden mußten. Die
Folge davon war, daß die Obrigkeit einschreiten
zu müssen glaubte und die Gräfin mit ihrem
Anhange des Landes verwies.
Doch hörten hiermit die Bestrebungen Zinzen-
dorfs, die Separatisten der Ronneburg sowie der
Wetterau zu bekehren und eine Brüdergemeinde
auf reformiertem Bekenntnisse zu gründen, nicht
auf. Zunächst dachte er an die Ronneburg selbst,
als den geeignetsten Mittelpunkt des Unternehmens,
trotz ihres schlechten baulichen Zustandes. Es
entstand infolgedessen im April des Jahres 1737
eine teilweise eigenhändige Korrespondenz zwischen
dem Grafen Zinzendorf bezw. in dessen Auftrag
auch mit seiner Gemahlin und dem damals in
Wächtersbach regierenden Grafen Ferdinand Maxi-
milian II. — zwecks Erbpachtung der Ronneburg
durch Zinzendorf, welche Korrespondenz hier zum
ersten Male im Drucke erscheint. Die Verhand-
lungen zerschlugen sich aber, weil sich die Parteien
nicht über die Bedingungen einigen konnten.
Im gleichen Jahre mietete nunmehr Zinzendorf
von dem Grafen zu Isenburg-Meerholz desien
Schloß Marienborn, etwa eine Wegstunde in
smiL> 197 v«E-
westlicher Richtung von der Nonneburg gelegen,
zur Wohnung für sich und feine Familie. Auch
siedelte er dort eine Anzahl Herrnhuter refor-
mierten Glaubens an. Die Mehrzahl von ihnen ließ
sich jedoch im Herrenhaag nieder. Zinzendorf
Pachtete zu diesem Zwecke den Grund und Boden
von dem Grafen Ernst Casimir I. zu Menburg-
Büdingen (1708—1749) und ließ mit dessen
Genehmigung eine Anzahl größerer Gebäude mit
einer Kirche, Schul-, Brüder- und Schwestern-
Häusern erstehen. Zinzendorf nannte den Ort
Verschiedene Mißverständnisse und Irrungen
mit der Regierung zu Büdingen veranlaßten jedoch
bald die Auslösung der im schönsten Aufblühen
begriffenen Gemeinde. Die Brüder verließen
zwischen den Jahren 1750 bis 1753 den Herren-
haag und wanderten teils nach Peunsylvanien
(Amerika), teils nach andern Brüdergemeinden
aus, worauf die von ihnen errichteten Gebäude
abgebrochen wurden; nur die Kirche und das
Grafenhaus blieben erhalten. Die Grundstücke
wurden zu einem großen Hofgute mit dazuge-
Die Ronneburg.
Herren Haag und machte ihn zum Mittelpunkte
der damals zahlreichen Brüdergemeinden in der
Wetterau.
Die Gemeinde Herrenhaag nahm bald so zu,
daß sie schon nach wenigen Jahren an 1000
ständige Einwohner zählte. An Festtagen und
bei besonderen Veranlassungen sollen sich jedoch
oft 4—5000 Menschen eingefunden haben. Im
Jahre 1747 zog Graf Zinzendorf mit seiner
Familie von Marienborn, wo er bis dahin in
Miete gewohnt, selbst nach dem Herrenhaag, nach-
dem er sich daselbst das noch vorhandene sog.
„Grafenhaus" hatte erbauen lassen. Vom 12. Mai
bis zum 14. Juni d. I. hielt er eine berühmte
Synode ab, zu der sich aus fast allen Weltteilen Ab-
geordnete der Brüdergemeinden eingefunden hatten.
hörigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden vereinigt
und in Pacht gegeben.
In Marieuborn blieb noch längere Zeit eine
Herrnhuter-Kolonie bestehen, bis auch hier deren
Glieder auswanderten.
Die Ronneburg war in den Händen der Sepa-
ratisten geblieben, die sich von Zinzendorf nicht
konvertieren ließen und hier bis zum Jahre 1832
verharrten, worauf sie abzogen, da ihnen die
1816 zur Landesherrschaft gelangte Hessen-Darm-
städtische Regierung allerlei Schwierigkeiten be-
reitete. Da es die Wohlhabenden waren, die die
Burg verließen, so blieb eine Menge armer In-
sassen, besonders Juden, ohne Erwerb zurück.
Da nun die Ronneburg eine eigene politische
Gemeinde bildet, so fiel der Unterhalt dieser Leute,
imttL, 198 9mL
die meistens Ortsarme waren, der Herrschaft, dem
Grafen Adolf und später dem Grafen — späteren
Fürsten Ferdinand Maximilian gu Wnbnrg-
Wächtersbach zur Last. Hand in Hand mit
diesen mißlichen Umständen verfiel die Burg immer
mehr, da es kaum möglich war, der Dieberei und
Naubsucht der Einwohner zu wehren. Alles mög-
liche verschwand, ja an das Balkenwerk legte man
die Hand, um sich im Winter damit die Gelasse
zu erwärmen.
Ein Verzeichnis der Ortsarmen liegt noch vor.
Es stammt ans dem Jahre 1865 und gibt deren
Zahl auf 51 an. und zwar 29 männliche und
22 weibliche Personen, darunter 18 christlichen
und 33 israelitischen Bekenntnisses. Nach Wieder-
errichtung des Deutschen Reiches 1871 und nach
Erlaß des Gesetzes über die Freizügigkeit gelang
es der Fürstlichen Verwaltung, die Burginsassen
allmählich abzuschieben. Die letzte von ihnen.
Betty Goldstücker, starb am 26. Februar 1886 im
Mathildenhospitale zu Büdingen, der letzte^ Maier
Schwarzschild, am 9. Dezember 1893 in Mittel-
gründau, wo er in Pflege gegeben war. Der
letzte Insasse dagegen, der auf der Ronneburg
selbst das Zeitliche segnete, und zwar am 21 August
1885, war Adam Jordan, ein katholischer Christ.
Der am Südfuße des Burgberges gelegene, wieder-
holt genannte Hof, sowie das Hofgnt, das haupt-
sächlich aus dem Burgberge besteht, wurden nach
nach Abzug der Separatisten 1832 an die Familie
Koch in Pachtung gegeben. Im Gegensatz zur
Burg sind beide, Hos und Hofgut, in vorzüglichem
Zustande, ein Verdienst dieser Familie.
(Fortsetzung folgt.)
Hersfeld und die Landgraffchafl Hessen im 14. und IS. Jahrhundert.
Von Dr. H. Butte, Kassel.
(Fortsetzung.)
Die 30 Jahre, die auf des Abts Berthold
von Völkershausen Tod folgen, dürfen wir hier
übergehen. Bertholds beide Nachfolger waren
nicht gesonnen, den Zwiespalt zwischen Stift
und Stadt, der aus beiderseitiger Erschöpfung
schwieg, von neuem aufzurühren. Sie sahen
auch ruhig zu, wie die Stadt von den Wun-
den, die der Krieg mit Berthold ihr geschlagen,
sich langsam erholte, wie der alte Oppositions-
geist von neuem wuchs und wie sie allmählich
zu den alten Hoheitsrechten, die sie sich auf
Kosten des Stifts angeeignet, immer neue
an sich zog.
Die gefährlichste Einbuße des Abts war
sein schwindender Einfluß auch auf die hohe
Gerichtsbarkeit in der Stadt, den Kern jeder
mittelalterlichen Landeshoheit. Und hier stand
ihm der Mann entgegen, in dem sich nun
der Widerstand der Stadt konzentriert es ist
der Abts eigener oberster Beamter, der Schult-
heiß Hermann Gerwig. Wir müssen
uns die Bedeutung vergegenwärtigen, die das
Schultheißenamt für Hersfeld besaß.
Die zahlreichen Funktionen dieses Amts auf
Berwaltungs-, Finanz- und Gerichtsgebiet
gaben ihm eine Gewalt, die in der Hand des
geeigneten Mannes schon recht ulibequem für
den Abt werden konnte. Schon einmal hatte
ein Abt den Machtbereich dieses seines obersten
Beamten einzuschränken und ihn allein auf das
niedere Gericht zu beschränken gesucht, frei-
lich ohne großen Erfolg, weil natürlich der Abt
nicht alle Fälle des hohen Blutgerichts persön-
lich erledigen konnte und so der Schultheiß
der gegebene Stellvertreter blieb. Zu dieser
Machtausstattung des höchsten Beamten kam
nun als zweites seine besondere Stellung
zur Bürgerschaft. Seit dem 14. Jahrhundert
stammte der Schultheiß fast regelmäßig aus
den oberen Kreisen der Hersfelder Bürgerschaft,
seine Bestellung erfolgt zudem unter Mit-
wirkung der Schöffen des Stadtgerichts.
Dazu kam noch weiter, daß das hohe A b t s -
gericht außerhalb der Stadt, im Abtshofe statt-
fand; je gespannter das Verhältnis wurde,
um so unerträglicher mußte es den Bürgern
werden, sich dort verantworten zu müssen,
umsomehr mußten sie wünschen, das Nieder-
gericht des Schultheißen in der Stadt, in
dem nur bürgerliche Schöffen über die Bür-
ger urteilten, zur alleinigen Instanz zu
machen. So wuchsen städtische Selbständig-
keit und Schultheißenmacht Hand in Hand.
Wie, wenn diese Machtmittel an einen Mann
kamen, der seine Amtsgewalt, seine Fami-
lienbeziehungen, seinen Reichtum und seine
in langer Amtsführung erworbene genaue
Kenntnis aller Verhältnisse benutzte, dem
städtischen Unabhängigkeitsstreben zum macht-
vollen Führer zu werden, der vielleicht gar
einen Rückhalt hätte an dem hessischen Land-
grafen, für den er ja einen äußerst willkom-
menen Bundesgenossen darstellte!
All das vereinigte sich in der Person Her-
mann Gerwigs. Die Gerwige sind althers-
felder Familie, schon gegen Abt Berthold
tmtu 199
hatte ein Gerwig mitgefochten. Seit 1397
bereits kommt Hermann Gerwig als
Schultheiß zu Hersfeld vor; er wird 1415
von neuem mit dem Amte belehnt, des Abtes
actor, factor et gestor genannt, also wohl
Leiter der äbtlichen Finanzen. Der Reich-
tum der Familie gab Gerwigs politischen Be
strebungen eine ergiebige Grundlage. Die
Verbindung der Gerwige mit der Landgraf-
schaft zeigt' sich zunächst in Grund- und Dar-
lehnsgeschäften, die sie mit dem gleich allen
Fürsten der Zeit stets geldbedürftigen Land-
grafen abschließen. Etwa um die gleiche Zeit
wurde Gerwig auch Lehnsmann des hessischen
Landgrafen. Und ebenso wußte er seine
Stellung in Hersfeld zu befestigen, indem er
für eine feste Summe die gesamten Erträge
des Schnltheißenamtes und einen großen Teil
der übrigen landesherrlichen Einkünfte und
Steuern des Abts an sich kaufte.
In welcher Weise nun Gerwig in Hers-
feld gegen den Abt gearbeitet hat, darüber
fehlt uns bei den zufälligen urkundlichen
Angaben, auf die wir hier angewiesen sind,
jede Nachricht, und so bleibt auch die freilich
delikate Frage offen, ob G. wirklich für den
hessischen Landesstaat gearbeitet hat, oder ob
er den Landgrafen nur benutzte als Mittel
zur Erreichung einer erträumten Hersfelder
Reichsfreiheit. In Hessen hatte ja 1413 Land-
graf Hermann sein bewegtes Leben geschlossen,
sein Sohn Ludwig war ein elfjähriges Kind,
für das ein ritterschaftlicher Ausschuß die Vor
mundschaft führte. Hier aber und noch jahr-
zehntelang darüber hinaus war die leitende
Persönlichkeit Eckhard von Röhrenfurt, Lud-
wigs rastlos tätiger „Landvogt in Hessen"
Zwischen ihm also und Gerwig müssen sich
die geheimen Verhandlungen abgespielt haben.
Als Ergebnis solcher Verhandlungen dürfen
wir wahrscheinlich das erneute Bünd
nis ansehn, das am 6. August 1414zwischen
dem jungen Landgrafen und der Stadt zu-
stande kam. Es ist in allem wesentlichen die
Erneuerung des mit dem Vater 1373 abge-
schlossenen. Wieder wird eine hessische Be-
satzung und ein hessischer Amtmann zu Hers-
eingesetzt, wieder verspricht der Landgraf der
Stadt die freie Wareneinfuhr nach Hessen und
den Schutz wie seinen eigenen Untertanen,
ja er will ihnen auch fernerhin in ihren Fehden
zu Hilfe kommen, wo sie des bedürften. Die
redliche Erfüllung dieser Zusage und zugleich
den Fortgang der diplomatischen Verhand-
lungen zwischen Landgraf und Stadt zeigen
1417 ihre gemeinsamen Fehden erst gegen die
Ritter von Hanne, dann gegen die von Wallen-
stein. Es ist recht bezeichnend für die anarchi-
schen Zustände der Zeit, wie hier des Stifts
Stadt gegen des Stifts Ritter ihre Stein-
büchsen auffährt, wie der Kampf beider um
die Hersfeldischen Dörfer und Kirchhöfe tobt
und ihre Fluren verwüstet.
Das war in den letzten Lebenstagen des
alten Abtes Hermann von Altenburg. Der
Abt starb im Sommer 1417, und eine strengere
und festere Hand ergriff nun die Zügel in
Hersfeld, Abt Albrecht, aus dem steifnackigen
Geschlechte der Ritter von Buchenau.
Eine der bedeutendsten Erscheinungen in der
Reihe der Hersfelder Äbte tritt uns in ihm
entgegen. Eine starke, unbeugsame Persönlich-
keit wie alle Buchenauer, dabei von klarem
politischen Blick, von kalter und nüchterner
Konsequenz, ohne Bertholds ehrgeizige .Hitze,
die ihn oft auf falschen Weg und zu Schein-
erfolgen geleitet. Wohl mußte sein Ziel das
gleiche sein wie das Bertholds von Völkers-
hausen seinen Stiftsstaat zu festigen, ihn kon-
kurrenzfähig zu machen unter den staatlichen
Bildungen der Zeit. Aber Albrecht träumte
nicht mehr vom Glanze der alten Reichsabtei
von Anfang an rechnet er klar mit den ge-
gebenen realen Mächten. Schon unter der
Regierung des friedfertigen Abtes Hermann,
der seinem Konvente großen Einfluß ließ,
hatte Albrecht, damals Propst von Kreuzberg,
kräftig hingearbeitet auf die zwei wichtigsten
Heilmittel die Linderung der finanziellen Not
des Kleinstaates, und auf Hebung der sittlichen
und religiösen Zucht im Kloster, es ist mit
sein Werk, wenn der Mainzer Erzbischof
Johann, den das Stift 1414 zu seinem Be-
schützer annahm, bei der Gelegenheit auch in
die sittlichen Verhältnisse des Klosters etwas
hineinleuchtete. Mehr als seine Vorgänger
stand er in der kirchlichen Bewegung der Zeit
er war Teilnehmer des Konstanzer Konzils
und eine seiner ersten Handlungen war, von
dem Papste Martin V., dem nach langer Kir-
chenspaltung gewählten neuen einigen Haupte
der Christenheit, persönlich Weihe und Be-
stätigung zu erbitten.
Die Aufgabe für den neuen Abt war nun
vor allem, die übermütige Stadt in den Stifts-
organismus, wenn nötig mit Gewalt, wieder
hineinzudrängen, eh sie ihn ganz zersprengte
Nach langem geduldigen Geschehenlassen und
Vertuschen wagte Albrecht zum ersten Male
wieder, „das Pflaster von der Wunde zu
tmtL 200 vmtL,
reißen", wie sein Chronist treffend sagt, und
über die Herrschaftsverhältnisse in Hersfeld
Klarheit zu fordern. Albrecht versuchte es
zuerst im Guten; er erneuert der Stadt in
liebenswürdig gehaltenem Schreiben ihre Pri-
vilegien und sucht durch Sonderrechte die im
Stadtrat maßgebenden kaufmännischen Kreise
für sich zu gewinnen.
Der Lockversuch scheiterte an der Person
des Schultheißen Hermann Gerwig, der mit
eiserner Konsequenz an seiner hessischen Poli-
tik festhielt und dem die Bürgerschaft blind-
lings folgte. Dem Abt wurde die harte Not-
wendigkeit klar, diesen Mann aus dem Wege
zu räumen, der unter dem geduldigen Abte
Hermann nun schon zwanzig Jahre sein hoch-
verräterisches Spiel hatte treiben dürfen.
Freilich war cs ein Wagnis, ihn anzugreifen.
Hinter ihm stand nicht nur geschlossen die
Bürgerschaft, die Gerwig, ihren Führer und
ihre Hoffnung, zum äußersten verteidigen
würde, hinter ihm stand auch sein Lehnsherr
und mächtiger Gönner, der Landgraf von
Hessen. Aber Albrecht von Buchenau ließ
sich nicht schrecken es kam noch darauf an, ob
die Bürger sich nicht einschüchtern ließen; und
mit dem Landgrafen, der weit war und selbst
in Sorgen, ließ sich schließlich fertig werden.
Nur rasch mußte gehandelt werden. Eines
Tages durchlief die Gassen Hersfelds die Nach-
richt, der Abt selbst sei mit starker Bedeckung
in die Stadt eingeritten, er habe auf dem Rat-
hause den Schultheißen mit eigenen Händen
ergriffen und gefangen auf seinen festen Eich-
hof abgeführt, wo er ihn sogleich in ein fin-
steres dumpfes unterirdisches Loch geworfen
habe Wenige Tage darauf kam neue Kunde
Gerwig sei tot, der Abt habe ihn im Verließ
verhungern lassen, selbst die heiligen Sterbe-
sakramente habe er ihm geweigert.
Schrecken und Empörung auf allen Seiten
folgte der Tat. Eine gewaltige Erbitterung
faßte die Hersfelder Bürgerschaft. Der Land-
graf von Hessen schrieb an seine Stadt Alsfeld
einen zornigen Brief, in dem er sich bitter be-
schwerte über den Undank der Hersfelder Bür-
ger, die er doch neulich erst mit Einsatz von
Land und Leuten aus der Wallensteinschen
Fehde herausgehauen und die ihm nun zum
Dank seinen Lehnsmann so umkommen ließen;
denn wäre das ernsthaft ihr Wille gewesen zu
hindern, so hätte sich's der Abt nicht getraut.
Er wolle aber für den Gerwig schon Recht
schaffen, und für jeden, der sich unter seinen
fürstlichen Schutz gestellt. — Der vornehme
Konvent aber des Hersfelder Stifts versagt
jetzt in der schwierigen Lage vollkommen: Er
verkriecht sich vor dem Zorne des Landgrafen
hinter den breiten Rücken des Abts und weist
schlotternd alle Mitschuld und Mitverant-
wortung an der schlimmen Tat weit von sich.
Nur Abt Albrecht blieb ruhig und fest. Der
Konvent brauche nichts mitzuverantworten,
weil er gar nicht erst gefragt worden sei. Und
er, der Abt selbst, sei gleichfalls niemandem
Rechenschaft schuldig außer dem Papste. Wenn
da beispielsweise ein ganz finsterer Gerhard
Rübe behaupte, Richter des heimlichen Fehm-
gerichts in Hessen zu sein und als solcher ihn
den Abt vorlade, so sei das eine lächerliche An-
maßung, und der Mann werde sich deswegen
noch vor dem päpstlichen Gericht zu verant-
worten haben. Aber um gehässigen Unter-
stellungen vorzubeugen, gebe er freiwillig den
Augenzeugen von Gerwigs Tod Befehl, genau
der Wahrheit gemäß darüber zu berichten.
Wir besitzen noch die protokollarischen Aus-
sagen dieser Männer
Ob nun, wie sie aussagen, Gerwigs Gefäng-
nis tatsächlich hell und luftig, seine Speise aus-
reichend war, können wir heute nicht mehr
nachprüfen. Zu denken gibt aber eine Angabe
des Beichtvaters Conrad Fosch, Gerwig habe
zuletzt noch von einem Trank gesprochen, den
ihm seine Freunde zugesteckt hätten, und er
wünschte jetzt, er hätte sich nie daran erinnert.
Fosch will offenbar andeuten, Gerwig habe
Gift genommen. Ist das nun erlogen, um die
Schuld abzuwälzen, oder hat Hermann Gerwig
wirklick einen freiwilligen Tod langer Ge-
fangenschaft vorgezogen, hat er vielleicht nur
in seinem Märtyrertod, der den Abt als den
Mörder hinstellte, das Mittel gesehen, die
langsame Bürgerschaft gegen ihren Abt zu
entflammen, den Landgrafen zum Eingreifen
zu veranlassen und so. nach zwanzigjähriger
Tätigkeit, dock im Tode zu siegen?
Zunächst schien's, als sollte der Abt recht
behalten. Die Bürgersckaft, eingeschüchtert vom
Abt und vom Landgrafen, suchte den leidigen
Handel ganz von sich abzuschieben- in der
städtischen Chronik ist die Sache so dargestellt,
als sei Gerwig außerhalb der Stadt und ganz
ohne ihr Wissen gefangen worden. Auch der
Landgraf und sein Landvogt Eckhard konnten
sich zunächst nicht um die Sache kümmern.
Aber bald änderte sich das Bild. Heinrich
Gerwig, der Sohn des Verstorbenen, brachte
bald eine Zahl entschlossener Hersfelder zu-
sammen, und in Verbindung mit hessischen
tmL> 201 ««Mb
Rittern, voran Reinhard von Dalwig, des
Landgrafen Rat, begann ein verwüstender
Rachekrieg gegen den Abt.
Auch im Kampf um das Schultheißcnamt
trat mit Gerwigs Tode nur ein Wechsel der
Person ein. Gerwigs beiden Söhnen Heinrich
und Hermann war das Amt verpfändet
und dem Abte, der es nicht einlösen konnte,
waren die Hände gebunden. Der Abt hatte
sich getäuscht, wenn er geglaubt hatte, mit
Hermann! Gerwigs Person den Geist der Oppo-
sition zu vernichten. Die Gerwige fühlten sich
sicherer als je, Hermann Gerwig war Ver-
schluß
doppelt neuerstanden. Abt Albrecht war klug
genug, es zu keinem neuen Martyrium kommen
zu lassen. Aber auch sein Versuch, der uner-
träglichen Gerwige sich zu entledigen und das
Amt anderweit zu besetzen, scheiterte an dem
Widerstand der Brüder und der Bürgerschaft,
dem an Gerwigs Stelle vom Abt aufgezwunge-
nen Schultheißen machten sic sein Amt derartig
sauer, daß er es nach wenigen Wochen frei-
willig zurückgab. Nun gab es gar keinen an-
erkannten Schultheißen und demgemäß kein
obrigkeitliches Gericht mehr in Hersfeld; die
Rechtsprechung übernahm der Stadtrat.
folgt.)
Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde I.
Hermannspiegel, Harmulsachsen, Mecklar.
Von Di*. Wilhelm Schoos.
(Schluß.)
Hällfiger sind die mit Hormon zusammengesetzten
Bildungen -. Hermelith, im Hermespfuhl, an der
Hermstruth (Saalbuch vom Amt Borken, 1537),
der große Hermannsberg (Kr. Schmalkalden),
Hermesberg (Forst Heringen, 307 m, südl. von
Kleinensee), Hermannsberg zwischen Hergetsfeld
und Kämmershagen und Ortsnamen wie Hermes-
hain, Hermannshain, Wüstung bei Haina, Ermes-
hain, Hermesbach, Hermsdorf, Hermannsdorf,
Hermannstein, Hermannrode, vielleicht auch
Ermshausen und Ermershausen, Wüstungen bei
Frankenau und Röddenau, obwohl bei einigen eine
Ableitung vom Eigennamen Hermann möglich ist,
als dem Gründer des Ortes, der dort zuerst ge-
rodet und gewirtschaftet hat, vielleicht auch nur dort
belehnt war. Die Deutung wird dadurch erschwert,
daß Weideplätze und späte Rodungen meist hoch
zu liegen pflegen, also aus der Örtlichkeit allein
hier kein sicherer Schluß gezogen werden kann.
Die erste Deutung wird wahrscheinlicher, wenn
wir die große Zahl ähnlich lautender Flurnamen be-
rücksichtigen. Denn die Häusigkeit eines Namens,
über weite Gebiete verbreitet, ist das sicherste Kenn-
zeichen dafür, daß wir es hier mit einer alten
germanischen Einrichtung zu tun haben, die ihre
Spuren noch in vielfach verstümmelten Namen
zurückgelassen hat.
Wie wir Ungerberg neben Hungerberg finden,
so haben wir Ermeshain neben Hermeshain, Erm-
struth neben Hermstruth. So findet sich auch
Hermensassen 1194 neben Ermensassen 1263,
1301 u. ö., Ermpsassen 1371, Ermetsassen17)
") Engelhard, Erdbeschreibung der hessen-lasselschen
Lande. Kassel 1778.
1391, Armisassen 1234 und Harmensassen neben
Armensachsen, Harmutsachsen ca. 1620 neben
Armutsachsen 1585, 1747 u. ö. Als das alte
Wort Hermen in seiner ursprünglichen Bedeutung
bei der völlig veränderten Kultur nicht mehr ver-
standen wurde, weil die Erinnerung an die Gemein-
weideplätze infolge der dichteren Besiedelung und
Aufteilung der „gemeinen Marken" gänzlich ge-
schwunden war, trat die volkstümliche Umdeutung
ein, die sich zwanglos in den Begriff „Armut" und
„arm" einfügte, weil das Dorf an dem rauhen
Hundsrück gelegen war, der wohl als Bergweideplatz,
aber wenig als Neurodung geeignet schien und im
Gegensatz zu dem älteren, in einer fruchtbaren Tal-
niederung gelegenen gleichnamigen Dorfe geringe
Bodenerträgnisse lieferte. Dieses erhielt von nun an
den Namen Reichsensachsen (zu den Richinsassin
1439, Richinsassin 1369, Richensachsen 1484,
Reichensachsen 1585), während es im 12. und
13. Jahrhundert meist noch ohne Unterscheidung«,
form vorkommt (Lassen 1262, zu den Lassen
1355, 1407 U. ö., zu den Lassin 1347, 1439).
Derartige volkstümliche Gegenüberstellungen finden
sich namentlich in der Flurnamenbezeichnung öfters,
z. B. Höllental unmittelbar neben einer Flur im
Himmelreich18), Paradies neben Fegfeuer, Winter-
liete. Winterseite, Winterberg gegenüber Sommer-
liete, Sommerseite oder Sommerberg, Goldkamp
neben Hungerkamp"), Silberborn gegenüber einem
") So liegt in der Rhön der Himmrldunlbrrg gegenüber
der Hohen Hölle.
") W ierie«, Die Flurnamen de« Herzogtums Braun-
schweig E. 38.
vmuL 202 rmL.
Hungerborn29) Silbergraben gegenüber einem Gold-
graben^^, Hungerbrunnen neben einem Spring-
brunnen^^), eine süße neben einer sauren SBiefe28),
Gottesacker neben einem Tenfelsgraben usw.
Ob der zweite Kvmpositionsteil des Ortsnamens
Hannutsachscn zu abd. siaza (sieza, sioza, siuzza),
ags. seote, sete „Weioegut, Ansitz. Waldeigentum"
zu stellen ist, so daß sich als Grundbedeutung
„Ziegenweide" ergeben würde, oder ob er zu lat.
sedcrc im Sinne von „Niederlassung. Wohnsitz" zu
stellen ist24), mag dahingestellt sein und soll in
anderem Zusammenhang erörtert werden. Jeden-
falls darf die Ansicht Arnolds28), daß der Ort
eine Ansiedelung sächsischer Kriegsgefangener durch
Karl den Großen sei, als überwunden gelten.
Als sicher darf ferner angenommen werden, daß in
dem ersten Teil von Hannutsachscn keine mytholo-
gische Beziehung (Jrmino), wie Arnold 473 an-
nimmt, enthalten ist. sondern daß der Ort ebenso wie
Hcrrnannspiegcl seinen Namen von der Boden-
beschaffenheit und der darauf betriebenen Art der
Bewirtschaftung erhalten hat, zu einer Zeit, als
infolge der ziemlich spärlichen Besiedelung die Be-
bauung des Bodens noch nicht sehr weit vorgeschritten
war und sich vorwiegend in den fruchtbaren Tal-
niederungen den Flußläufen entlang hielt, der
größere Teil daher noch Wald und Weide und
gemeinsamer Besitz der in benachbarten Dörfern an-
gesiedelten Dorfsippen war (sogenannte Allmende
oder ungeteilte Mark). Erst als die Besiedelung
dichter wurde, ging man zu einer Neurodung und
Schmälerung der gemeinsamen Weidegrundstücke
über Diese Annahme wird auch dadurch wahr-
scheinlich. daß die Siedelung sich am Abhang eines
Bergrückens befindet, der noch heute den Namen
Huudsrück trägt und, wie früher an dieser Stelle
nachgewiesen worden ist28), ausschließlich oder vor-
wiegend den Zwecken germanischer Weidekultur
diente. Wenn Arnold der Ziegenzucht innerhalb
der ausgedehnten germanischen Weidewirtschaft keine
große Bedeutung beimißt, so wird diese Annahme
schon durch die reiche Synonymik Ziege, Geiss,
Hermen, Hetz27) oder Hitz, Heppe, Heppel,
*°) z. B. an der Nordseite des Sommerbergs bei Ehlen'
während der Silberborn an dem gegenüberliegenden Süd-
abhang liegt.
*') z. B. im Forst Niederaula.
Birlinger Volkstümliches aus Schwaben. S. 141 ff.
") z. B. ein Sauerberg (zwischen Kerzell und Harmerz)
gegenüber einem 8esgraben (ma. Siesgraben).
'*) Fuld. Gesch.-Bl. 1912. S. 90.
“) Arnold S. 473.
") .Hessenland' 1912, S. 347. ff.
81) Vielfach umgedeutet zu Hesse und Hase, daher
zahlreiche Flurnamen wie Hessenliede, Hessengrund,
Hessenkuppe, Hessenktippel, Hessenstein, Hessenspitze,
Mecke, Meckel18), Kitz89), Zikke30) und die zahl-
reich mit diesen Worten gebildeten Flurnamen,
insbesondere die zahlreichen Ziagendergo mit
ihren noch zahlreicheren Umdeutungen (Ziegelbütte,
Ziegelfeld, Ziegelhof, Zieglersrand, Zieglers-
kuppe, Zimmerberg, Zimmersrode, Zimmershof,
Zimmersfeld, Zimmerbach, Zimmerwiese usw.)
widerlegt. Tatsache ist allerdings, daß die Ziegen-
kultur im späteren Mittelaller immer mehr zurück-
tritt, und zwar „im Zusammenhang mit der ratio-
nellen Bewirtschaftung des Waldes, dessen größte
Feindin ja die naschhafte Geiß ist" (Wimmer,
Geschichte des Deutschen Bodens, Halle 1905,
S. 452).
Mit delti Rückgang dieser Kulturart gingen
viele Namen entweder verloren oder wurden volks-
etymologisch umgedeutet, weil die Erinnerung an
die frühere Verwendung des Bodens nicht mehr
vorhanden war und sie unverständlich waren. Er-
kennungsmale für die Umdeutuug bieten meist noch
die zweiten Kompositi austeile (Grundwort), ferner
die Tatsache, daß alte Flurnamen nie nach Zufällig-
keiten. sondern nach tiefeingreifenden, dauernden
Lebensverhältnissen (Ackerbau, Jagd, Viehzucht) be-
nannt und erst später bei veränderter Kultur nach
zufälligen Ereignissen willkürlich oder unwillkür-
lich umgedeutet worden sind. Hierfür bietet die
systematische Flurnamenfokfchnng immer neue Be-
lege, und sie räumt gründlich mit den alten märchen-
haften Deutungsversuchen (Mythologie, Kelten-
tuni) auf.
Einen interessanten Beleg dafür bietet der Name
Hermannspiegel. Wie Harmutsachsen in beiden
Kompositionsteilen volksetymologisch umgedeutet
und an geschichtliche Ereignisse (Zeit Karls des
Großen) angelehnt worden ist. so ist auch der Name
Hermannspiegel im Lauf der Jahrhunderte mit
einem geschichtlich bedeutsamen Ereignis (Varus-
schlacht) verknüpft worden — vielleicht erst zur Zeit
der Freiheitskriege, als die Erinnerung an den
Befreier Deutschlands in aller Herzen mächtig auf-
flackerte — nachdem Hermen infolge seines Gleich-
klangs mit dem Namen des Ziegenbocks als an-
stößig und unfein empfunden und in seiner Grund-
bedeutung nicht mehr verstanden wurde.
Ein in gewisser Beziehung ähnliches Beispiel
bietet der Ortsname Mecklar (Kr. Hersfeld) an
Hessenhagen, Hesslar, Hatzfeld, Hasengarten, Hasen -
lauf, Hasenstock, Hasenküppel usw.
**) in Flurnamen wie aufm Meckel, Meckelgraben,
Meckelwies, Meckelheck, Meckelrod, Mecklar (<
Meckelar), Meckelkante usw.
**) z. B. Kitzkammer, vielleicht auch umgedeutet zu
Kesselsberg, Kesselsgraben usw.
*°J z. B. Zikkenwinden, Zickegarten.
*53*6 203 s«sL>
der Fulda. Während das Grundwort auf ahd. lar,
lari „Niederlassung. Stätte" zurückgeht^ *), scheint
das Bestimmungswort auf den ersten Blick einen
Personennamen Meckel zu enthalten. Dieser Name
kommt bis ins 18. Jahrhundert als Frauenname
ziemlich häufig und ähnlich travestiert wie Hermann
in Hessen vor") und hat, sich bis heutigen Tages
als Familienname bei uns erhalten. So findet er
sich u. a. in einer Calderner Urkunde von 1383:
ich Cuntz, ich Meckell bekennen usw. Im
17. Jahrhundert tritt bei diesem Namen, ähnlich
wie bei Hermann, Travestie ein, entweder wegen
seines häufigen Vorkommens oder wahrscheinlicher
wegen seines Anklangs an den appellativischen
Namen Necke (mhd. meck, Grimm, Deutsches
Wörterb. 1837) für „Ziege", der zweifellos ein und
dasselbe Wort ist und schon früh zum Appellativum
geworden ist. So ist cs wahrscheinlicher, daß der
Ort Necklar, der 1232 Mekelar, 1305 Neckelar,
*’) Arnold a. a. O. 137 ff.
Vilmar. Idiotikon S. 421 und 267. Zisch, f.
1370 Meglar, 1483 Meglar, 1620 Neckelahr
urkundlich geschrieben und im Volksmnnd noch Heute
Nägdlaar gesprochen wird, einer auf den Boden-
verhültnisskn beruhenden fultuvcstcu Einrichtung
des frühen Mittelalters seinen Namen verdankt,
zunial auch der Name des benachbarten Dorfes
Neckbach darauf Hinweist, als daß der Ort nach
einer Frau mit Namen Necket benannt sein sollte.
Wir Hätten Hier den umgekehrten Fall wie bei dem
Namen Hermann. Während dieser heute seinen
Nebensinn verloren, ja vielfach in Ortsnamen
eingedentet ist. hat Neckei an Beliebtheit eingebüßt
und wird heute als Name kaum noch verstanden,
während er den alten Nebensinn in volkstümlichen
Redensarten wie 8chnei(ler, Lchneiäer, Neck',
Neck', Neck' und »Neckes* noch bis heute be-
wahrt hat.
So führen alle drei Namen, hermannspiegel,
harmutsachsen, Necklar, zu derselben Grund-
bedeutung und Kulturperiode unserer Vorfahren
zurück, einer Periode, die in ihrer Wichtigkeit für
die Namenkunde leider noch nicht genügend ge-
würdigt und erkannt worden ist.
hrss. Gksch. IV 81.
----------«»■•«>----
Die hessischen Künstler
auf der Deutschen Kunstausstellung Kassel 1913.
Bon E r n st Zöllner.
Wenn etwas auf dieser Kunstschau zur Kasseler
Tausendjahrfeier überraschend genannt werden
darf, so ist es die Wahrnehmung, daß der Kreis
hessischer Künstler weit größer ist, als man bisher
annehmen konnte. Und an diese Bemerkung muß
sich sofort eine andere, nicht minder erfreuliche und
noch wichtigere Feststellung schließen die hessische
Kunstproduktion hat eine gemeinsame Note bewahrt,
sie ist in der Tat wahre Heimatkunst. Sieht man ab
von den Beiträgen jener Maler, die erst kürzlich in
Hans Oldes Gefolgschaft an die Akademie kamen
und sich naturgemäß noch nicht akklimatissieren
konnten, so geht durch die Gesamtheit des Ge-
schaffenen ein unverkennbarer, eigenartiger Zug
starken Heimatgefühls, der den verschiedenen Lei-
stungen das Siegel der Zusammengehörigkeit auf-
drückt. Mögen die Arbeiten der Hessen im einzelnen
noch so sehr divergieren — das Gemeinsame ist
fühlbar, von Bantzer angefangen bis zum beschei-
densten Landschaftsmaler, der sich ehrlich müht,
etwas von der Stimmung seiner hessischen Wald-
berge auf seiner Leinwand einzufangen. So wohl-
tuend nun auch diese Beobachtung ist, so darf man
deshalb die Bedeutung unserer Ausstellung nicht
überschätzen. Sie ist nicht (wie man das gelegent-
lich wohl hören konnte) ein Ereignis, das an sich
das lokale Kunstleben wesentlich zu fördern ver-
möchte. Das mag denen gesagt sein, die es
schmerzen muß, ausgeschlossen worden zu sein,
aber auch denen, die da glauben mit einer Ausstel-
lung allein für die Gesundung unserer zwerghaften
künstlerischen Kultur in Kassel bereits etwas Außer-
ordentliches getan zu haben. Wenn es gestattet ist,
die Ausstellung im Zusammenhang mit verschie-
denen anderen Bestrebungen zur Hebung der Kunst
in Kassel, vor allem in Verbindung mit der im
Werden begriffenen Neuordnung der Akademie zu
betrachten, dann muß gesagt werden, daß die vor-
übergehende Erscheinung einer Ausstellung keine
tiefere und nachhaltige Wirkung haben kann. Was
hier zunächst notwendig ist, das ist ein wirkliches
Arbeitsprogramm der berufenen Führer mit dem
Ziele die vielen zerstreuten Einzelkräfte für den all-
gemeinen Fortschritt zu sammeln. Es unterliegt
keinem Zweifel, daß in Kassel Mancher und Manches
stehen geblieben ist, aber es wäre unnütz, verkehrt
und ungerecht das Vorhandene einfach beiseite zu
schieben. Gerade hier hat gesunde, sorgsam wägende
Reformarbeit einzusetzen. Es liegt mir fern damit
etwa für Veraltetes und Erledigtes eine Lanze ein-
tmb 204 SML.
Ifslcn zu wollen und ich vertrete durchaus die
Meinung, das; manches frische Reis nötiß fein wird,
damit der alte Stamm aufs neue ergrünen kann,
aber man vergesse auch nicht, dahin zu schauen,
lvo erstarrte Arbeitsweise neu belebt, ewige Wieder-
holung durch frische Anregung noch erlöst werden
kann. Das aber wird nur geschehen, wenn alles,
was vorwärts will und kann, ans Licht gebracht
wird in der gemeinsamen Arbeit einer Organisation,
die sich nicht, wie die bestehende, lediglich um wirt-
schaftliche Zwecke, sondern um künstlerische Absichten
ittüht. Die einzige Verbindung von hessischen Künst-
lern, die keine wirtschaftliche Vereinigung ist, die
„Pinselsruh", dürfte wohl keinen Anspruch erheben,
als eine solche Sammelstelle zu gelten. Doch allen
Ernstes: unbedingt nötig ist eine periodisch wieder-
kehrende gemeinsame Arbeit der Künstler. Ein
sogenannter „Komponierverein" etwa — wie er
anderwärts, in München z. B. segensreich gelvirkt
hat — das wäre die rechte Organisation zur För-
derung aller redlich Strebenden. Hier könnten
neue künstlerische Aufgaben erwogen und angeregt,
technische Dinge, neue Arbeitsweise» und Material-
versuche rasch uud leicht vermittelt werden und
manches Talent würde sich hier selbst finden, seine
eigentlichen Fähigkeiten erkennen, statt sich ein-
sam auf falschem Wege zu verlieren. Andererseits
tvürden in einer solchen Organisation die unfähi-
gen Elemente sich schnell überflüssig fühlen und
damit würde die Menge der Allzuvielen glatt er-
ledigt werden. Freilich dürfte auch mit solchen
Versuchen innerhalb der Künstlerschast selbst alles
Nötige zur Förderung künstlerischer Kultur in
unserer engeren Heimat noch ebensowenig getan
sein, wie mit der Veranstaltung von Ausstellungen.
Es tut außerdem not, alle Gelegenheiten rasch zu
ergreifen, wo Kunst und Künstler gebraucht werden.
Und wenn ich die Dekorationen, die Fahnenmaste
und Schilder betrachte, die das liebe Publikum
vom Bahnhöfe zur Ausstellung geleiten, so will
es mir scheinen, daß hier gleich die nächste Gelegen-
heit dazu einigermaßen verpaßt worden ist
Das wären so die wichtigsten Gedanken allge-
meiner Art, zu der die Ausstellung anregte, und
ich möchte nun im Folgenden versuchen, eine ge-
drängte Übersicht über die wesentlichen Einzel-
leistungen unserer Hessen zu geben. Tie Bildhauer-
kunst, sonst gewöhnlich das Stiefkind der Aus-
stellungen, ist hier einmal (für Kasseler Verhält-
nisse wenigstens) gut vertreten, und so mag sie
ausnahmsweise an der Spitze stehen.
Plastik.
Da die Hessen in dieser Abteilung mit Adolf v.
Hildebrand und August Gaul antreten können,
rücken sic an die erste Stelle. Hildebrands
bronzene Bismarckbüste ist ein Meisterwerk monu-
mentaler Plastik, gewaltig im Formalen, wie iiy
Ausdruck des Geistigen. August Gaul sandte vier
Kleinplastiken (Bronzen) aus seinem speziellen Ar-
beitsgebiet der Tierdarstellung eine stehende
Löwin, zwei Enten und eine Gruppe von Pingui^-
nen, starke Zeugnisse eines eindringlichen Natur-
studiums und (wie sich aus der Vereinfachung und
der Anordnung der Formen zu „reiner Sichtbar-
keit" ergibt) eines hochentwickelten plastischen Ge-
fühls. Von Arnold Rechberg sieht man die über-
lebensgroße Marmorfigur eines nackten Mannes.
Die Empfindung erwuchs hier nicht aus der plasti-
schen Darstellung selbst, eine literarische Idee hat
die Form angeregt. „All alta fantasia pui manco
possa" (Dante, Ende der göttlichen Komödie) ist
dazu im Katalog bemerkt. Im übrigen ist noch
auf die Anlehnung an den bekannten „Sklaven"
Michelangelos hinzuweisen. Sehr lebendig sind
die beiden Porträtbüsten Rechbergs, bei denen der
moderne französische Impressionismus in der Pla-
stik (Rodin, Troubetzkoi) Pate gestanden hat. Hans
S a u t t e r ist mit dem Gipsmodell einer monu-
mental-dekorativen Figur eines nackten sitzenden
Mannes vertreten. Die kraftvolle Formensprache
dieser durchaus originalen Schöpfung läßt ohne
weiteres erkennen, daß die Figur zur Ausführung
in Stein und zur Aufstellung im Freien bestimmt
ist, wo sich die Formen für das Auge gegen die
auflösende Wirkung von Licht und Luft zu be-
haupten haben. Von demselben Künstler die präch-
tige lebensvolle Statuette eines hessischen Bauern,
die einzige Holzplastik auf dieser Ausstellung. (Die
Porträtbüste von Heinrich Weddig ist zwar auch
aus Holz, aber darum allein noch keine Holz-
plastik.) Akademieprofessor Carl Bernewitz,
der eine ältere Richtung der Bildhauerkunst ver-
tritt (er kam von Begas), zeigt drei Bronzearbeiten,
eine Rciterstatmtte (Exzellenz v.Scheffer), eine Por-
trätbüste seiner Gattin, und einen symbolisch auf-
zufassenden, mit ausgebreiteten Armen vorwärts-
schreitenden Mädchenakt (Sehnsucht zum Licht).
Ein Knabenakt von Adele C l a e s s e n läßt in der
strengen Anordnung der Formen zu geschlossener
Masse, klarer Ansicht und einfachem Umriß die
gute Schule Sautters erkennen. Wilhelm Oskar
Prack erfreut durch eine tüchtige Steinarbeit,
Büste eines Hessenjungen aus grünem Dolomit,
Ottilie Schäfer durch einen ausdrucksvollen
Männerkopf (Bronze) und die geschickt komponierte
Statuette eines kauernden Mädchens. Wolfgang
S ch w a r tz k o p s f hat ein liebenswürdiges Kin-
derbildnis (Marmor) ausgestellt, das köstlich-echt ist
im Ausdruck der Kindlichkeit. In zwei anderen
tmiL, 205 «ML.
Arbeiten, einem Mädchenakte in Bronze und einem
weiblichen Torso, den er „Traumland" nennr,
strebt Schwartzkopff offenbar in einer neuen Rich-
tung, die man in der Malerei „Expressionismus"
nennt imb die auch in der Bildhauerkunst (Aristide
Maillol, George Minne) bereits ihre Parallele
gefunden hat. Man will damit eine Kunst be-
zeichnen, die gewissermaßen die Impression vom
Auge in die Seele verlegt. Es ist — (lucí) bei den
Plastiken Schwartzkopffs — nicht mehr die formale
Beherrschung des Körpers, auf die es ankommt,
sondern die Leidenschaft des Ausdrucks, die diese
Gestalten zu Symbolen menschlicher Empfindung
erheben möchte. Von dem vielseitig begabten Walter
Schliephacke sieht man zwei kleine Tierbronzen,
einen schreitenden und einen fressenden Panther,
die ganz impressionistisch den ersten schlagenden
Eindruck vermitteln, den das Auge von einem
solchen geschmeidigen Tierkörper empfängt. Prof.
D ü r r i ch, der die Ziseleurklasse der Kasseler Kunst-
gewerbeschule leitet, hat leine von der Stadtver-
waltung als „offiziell" anerkannte Medaille zur
Tausendjahrfeier ausgestellt, eine geschickte tüch-
tige Reliefarbeit. Von Fritz C a u e r ist die hübsche
Bronzestatuette eines musizierenden Malers zu
erwähnen, von Hans Everding eine Liszt-
Statuette.
Gemälde.
Carl B a n tz e r als der Altmeister der heutigen
Hessenkunst ist der einzige, der sich mit mehr als
drei Gemälden präsentieren konnte. Man war
sogar bemüht, möglichst viele Arbeiten von seiner
Hand zusammenzubringen und der Erfolg ist zu
loben es sind Werke verschiedener Perioden zur
Stelle und man gewinnt einen gewissen Einblick
in Bantzers Entwicklungsgang. Eine Datierung
kann ich allerdings hier nicht versuchen. Ein
Jugendbildnis zeigt ihn noch einigermaßen im
Bann altmeisterlicher Braunmalerei, alle übrigen
Werke künden den modernen Realisten, der mit
neuen (freilich nicht den allerneusten) malerischen
Mitteln arbeitet. Um Bantzers Bedeutung für die
Kunst des Hessenlandes recht zu würdigen, muß
man sich ein wenig der Knaus und Vautier und
ihres novellistischen (manchmal auch sentimentalen)
Bauern - Genres erinnern. Auch Bantzer malt,
wenn man seinen „Bauerntanz" und andre Schil-
derungen aus dem Volksleben Oberhessens so
nennen will, „Genrebilder", aber sie sind grund-
verschieden von jenen alten, nicht nur im male-
rischen Vortrag, ganz besonders in der Objektivität
der Auffassung, in ihrer schlichten, ungeschminkten
und absichtslosen Wirklichkeitstreue „Ethnogra-
phisches" oder „Kulturhistorisches Genre" hat man
diese Bauerndarstellungen wohl nicht unzutreffend
genannt, aber über das unvermeidlich „Illustrative"
hinaus behaupten sie ihren Wert als reine Malerei.
Bei der „Hessischen Bauernbraut" (aus dem Darm-
städter Museum) nicht minder wie bei dem „Banern-
tanz"war es das dekorative Element des Vorwurfs,
das den Künstler wohl in erster Linie reizen mußte
„die kurzen Röcke der Bäuerinnen, die beim wir-
belnden Herumdrehen wellcnlinig sich aufbauschen,
die breiten, rotgelben Pelerinen, die gleichfarbigen
Schürzen und Kopfbedeckungen, die sich von den
grellblauen Röcken der Männer und dem Hinter-
grund des Himmels in breiten Flächen grell ab-
heben. Durch die Verteilung der hellen Farben
in dem sonst eintönigen Graublau gewinnt das
Bild einen unruhigen Eindruck, der recht tvohl
zu der Tanzbewegung der sich dicht gedrängt dre-
henden Paare stimmt. Und was als charakteristisch
für die Bauernbilder aus unserer Zeit angesehen
werden muß, der ewig sich gleich bleibende Ernst
in allen Lebenslagen, kehrt auch hier in den Ge-
sichtszügen wieder. Alles Gefühl scheint in den Kör-
per zurückgezogen, und nirgends leuchten lachende
Lust und heitere Fröhlichkeit aus den Mienen."
^Alfred Koeppen.) Von der Farbigkeit des „Bancrn-
tanzes" scheint Bantzer in seinen späteren Werken
immer mehr zum „Ton" übergegangen zu sein,
der die Farbe unterordnet. Reine Valeur-Malerei
ist das wundervolle Bildnis der Mutter des Künst-
lers, das so unendlich viel von Herzensgüte und
Klugheit aussagt, dann jenes Bildnis einer Frau,
bei dem der Künstler beide Hände so fein zur Er-
gänzung der Charakteristik benützt hat, schließlich
die „Abendruhe", eine Darstellung arbeitsharter
Bauern, die sich in ihren hellen Kitteln und Hosen
in dämmriger Landschaft aus der Erde gelagert
haben. Noch sind zu erwähnen die Studie zu einem,
wohl in den Besitz eines Museums übergegangenen
großen Gemälde „Hessische Bauern vor der Kirche"
und der scharf individualisierte Charakterkopf eines
Landmannes, den sich die Stadt Kassel für ihre
vielleicht künftig doch einmal Wirklichkeit werdende
Galerie sichern sollte.
(Schluß folgt.)
206
Wie Karl Aberding die Heimat fand.
Novelle von Lotte Gubalke. (Fortsetzung.)
Er nahm sich vor, nicht mehr an sie zu denken.
Er hatte ja nicht die geringste Verpflichtung, sich
um sie zu sorgen. Sie hatte, was sie brauchte.
Wohl ihr*
Im Goldland waren sie beide nicht - imd die
Welt hatten sie beide so sehen gelernt, wie sie ist!
Sein Besuch bei
Frau Prätorius
war nicht unbe-
merkt geblieben.
Als er nach eini-
gen Tagen wieder
init dem Bürger-
meister zusammen-
traf, sagte der
„Nun, wie fanden
Sie Frau Kapitän
Prätorius? Es ist
gar nichts bei ihr
zu holen. Sie be
sitzt einenHochmnt,
der schon an Sou
derbarkeit grenzt,
Anlage hat sie
wohl immer dazu
gehabt, und Prä
torius hat ihn dann
kultiviert."
„Was war das
denn für ein
Bilrfche?" fragte
Karl Aberdillg
obenhin.
„Nun, die Be-
zeichmnlg verdient
er nicht. DerMann
war in jllllgen
Jahren mehr als
einmal um die
Welt gesegelt und
hat viel Unglück
gehabt Seine Frau und seine Kinder starben an der
Cholera; als er heimkam, fand er ein leeres Haus.
Die große Stadt war ihm verleidet. Er wollte sich
zur Ruhe setzen - kam die Weser hinunter und
kaufte sich hier an. - Na, und dann lag ihm das
wohl so im Blut er kaufte sich einen kleinen
Weserdampfer und machte sein Geschäft mit Personen-
verkehr."
„Und wie kam er zu seiner zweiten Frau?"
„Ja — wie denn? Sie gefiel ihm wohl. Er
sah sie öfters an der Schlagd. Sie hatte einen
kleinen Gemüse- und Gbsthandel angefangen. Ihr
Vater war damals gestorben. Eigentlich wollte sie
auswandern. Sie hat sich bei ihm Rat geholt -
und da hat er ihr wohl das ausgeredet, und sie
war klug genug, bei ihm zu bleiben."
„Eine gute, im Grund nachher doch verfehlte
Spekulation."
„Sie meinen,
weil seine Ver-
wandten ihr das
Besitzrecht auf seine
Habe anfochten?
Mein Gott, der
Pflichtteil, den sie
erhielt, reicht für
ihre Ansprüche
mehr als genug
aus. Sie hat es
sehr gut bei dem
Alten gehabt, er
hielt sie wie seine
Tochter und stellte
keine anderen An-
sprüche an sie, als
man von einer sol-
chen verlangt."
Karl Aberding
brachte die Rede
auf andere Dinge
er bat den
Bürgermeister, ihn
mit den neuen Fa-
milien bekannt zu
machen, die jetzt
im Grt aufgekom-
men waren. Das
fand jener für eineil
sehr vernünftigeir
Gedanken und
überschlug im stillen
die Zahl der ledi-
gen Mädchen, die als Frau in Karls Haus hätten
einziehen können.
» *
$
Cöleste war mitten in der Stube stehengeblieben;
ihre Arme hingen wieder so lasch herab, und ihre
Augen hafteten am Boden, wie damals auf dem
Schuttplah, als sie nach einem bunten Glasscherben
suchte, durch den man die Welt hätte anschauen
können.
Wirklich, sie hätte etwas darum gegeben, wenn
sie die Welt durch eine bunte Brille hätte betrachten
Heinrich Pforr. Meine Eltern.
lNach chini, ©cim’itbc in der Deutschen Kunstausstellung Kassel i'.n»)
«OtgL> 207 SS3S4L.
Können. Die Wahrheit macht nicht immer froh. —
Hinrich Prätorius hatte sie gelehrt, datz die Wahr-
heit sicher mache. Gewiß! Eie war keinen Augen-
blick mehr darüber im Zweifel, daß sie sicher sein
könne — Aberding habe niemals im Ernst daran
gedacht, ihr Gold mitzubringen. Und fest und
sicher wollte sie ihren Weg weiter durchs Leben
gehen und die dumme Sehnsucht nach einem Gold-
land aufgeben.
Was hatte Hinrich Prätorius doch laut gelacht,
als sie damals von ihren Plänen sprach und ihn
um Rat batf Ein ödes Land war dies Alaska
— wüst, kalt — das Gold schuf nur Streit, Gier,
Haß — Neid! Es war nicht so, wie sie es sich
träumte Leute in weichen, bunten Kleidern mit
goldenen Borden — weiße Häuser mit goldenen
Dachkandeln und goldenen Türgriffen! Goldene
Schüsseln und goldene Teller.
Hinrich war ihr Lehrer geworden. Eine neue
Welt tat sich vor ihrer jungen Seele auf.
Sie hatte Schutz und Trost bei ihm gefunden, und
sie war ihm Ersatz geworden für alles, was ihm
ein grausames Schicksal nahm. So friedvoll wurde
ihr Leben in dem sorglosen Hausstand, in den sie
sich versetzt sah. Und dann schlich sich doch
wieder der Glaube an das Goldland in ihre Seele
ein. Sie gestand sich's kaum ein am Tage, daß
sie nachts davon träume. Es gab ganz be-
stimmt ein Land — ein goldenes Land der Ver-
heißung, wo das Seufzen der Kreatur zur Ruhe
kam. Es war ihr so gewiß, als ihre Sehnsucht
danach vorhanden war. Nachher, als sie allein j
war, gab sie deshalb so leichten Herzens das hin,
was ihr Hinrichs Leute mißgönnten. Für Ruhe 1
und Frieden schien ihr der Preis nicht zu hoch.
Und ihr blieb noch genug. Am Ende war das
„Mehr" nur ein Ballast. Von Hinrich Prätorius
hatte sie die Psalmen und die Sprüche des Weisen
Sirach kennen gelernt, denen sie als Schulkind
immer mit soviel Not und Mühe gegenüber
gestanden hatte. Von ihm hatte sie die Sitte des
Tischgebets übernommen und jene gelassene Lebens-
anschauung kennen gelernt, die Seefahrer und Berg-
leute für ihren Beruf stark macht.
Was verdankte sie doch alles Hinrich Prätorius!
Aber in den Garten des Paradieses in das
Goldland hatte er sie nicht führen können. Und
über alle Dankbarkeit hinaus lebte ein Wille in
ihr um jeden Preis — in das Paradies zu kom-
men, das sie sich erträumte. Seltsam - wenn sie
auch schon lange nicht mehr glaubte, daß Aber-
ding ihr Gold mitbringen würde — so hatte sie
doch geglaubt, er brächte den Schlüssel zum Garten
des Paradieses mit. Ihre Enttäuschung war
sehr groß, als er vor einem Jahre heimkam, ohne
auch nur mit einer Silbe nach ihr zu fragen. Sie
war in sich selbst erstarrt, und obgleich sie es als
Hohn empfand - sprach sie mechanisch täglich über
ihrem gedeckten Tisch die Worte, die Hinrich sie
sprechen lehrte: „Lieber Gott, ich danke dir für alle
Liebe und Güte."
Als sie jetzt auffuhr, weil draußen auf der Gasse
die Kinder sangen und lärmten — kam sie sich
uralt vor. Uralt und wissend wie sonst kein Mensch
außer ihr.
Dieser Karl Aberding, der seit ihren trüben
Kindertagen das Freudige und Schöne in ihrem
Leben verkörperte - hatte ihr mehr Wissen in
eitler Viertelstllnde beigebracht als Hinrich Prätorills
in den fünf Jahren, da sie seine gelehrige Schülerin
tvar.
Daß er sie vergessen hatte - daß sie ihm nichts
war — nun wußte sie es. Und sie wußte auch,
weshalb ihr Herz schmerzte und zuckte. Gh, sie
kannte auch das Lied von der heimlichen Liebe,
von der niemand nichts weiß. Sangs auch nicht
ihr Vater, so sangen's doch die Burschen und Mädchen,
die, vom Feld kommend, am Friedhof vorüber-
gingen. Jetzt wußte sie, daß alle ihre Träume
Schäume waren. Sehr bunt und laut ging es in
der Welt zu — möglich, daß ihr Lärm den leisen
Ton der Erinnerung an ein armes Mädchen und
an die Heimat dämpfen konnte. — Aber daß er
nach einem langen Jahr, während dessen die Heimat
lvieder zu ihrem Recht kam, sie aufsuchte, um sich
zu entschuldigen und obenhin zu fragen „Kann ich
etwas für Sie tun?" — das war schimpflich. Fast
hätte sie die Faust geballt. Zum ersten Male sprach
sie nicht Hinrichs Tischgebet. Und sie dachte darüber
nach, wo sie ging und stand, ob es richtig sei, daß
Wahrheit Sicherheit gebe? Ihr Stolz reckte sich
empor. Eine Zeitlang hielt sie sich an den.
Und dann kamen ihr Zweifel, ob das, was ihre
Bitterkeit als Wahrheit ausgab, wirklich Wahrheit
sei. Sprach Karl Aberding nicht von herber Not?
Und wußte sie denn nicht aus eigener Erfahrung,
wie Not stumpf mache? War sie nicht selbst erst
aufgewacht, als der Hunger und der Kummer um
die einfachsten Dinge von ihr genommen wurden?
Gewiß - aber was gewann sie bei dieser Er-
kenntnis ? Sie wurde Karl Aberding gerechter —
beurteilte ihn milder. Glücklicher wurde sie nicht.
(Schlich folgt.)
208
Aus den „Bampeliana" von Hermann Bezzenberger f.
Zum Geburtslage Louis Spohrs. I
Wieder einmal war im Wechsel der Zeiten, die
selbst vor dem Kirchhof nicht Halt machen, der fünfte
April herangekommen, und die musikalische Welt
erinnerte sich daran, daß ein Tondichter aus dem
Kirchhof begraben lag, dessen Melodieenreichtum
ebenso groß war als seine gottbegnadete Kunst, diesen
Melodienreichtum zu vermitteln und in die Herzen der
Hörer hineinzuzaubern. Aber noch lange, bevor die
musikalische Welt sich aus den Weg nach dem Kirchhof
machte, um ihren Liebling zu feiern und zu ehren,
feierte ihn Kassels gefiederter Sängerchor. War das
ein Singen, ein Flöten und ein Trillern an den Tagen
vorher aus dem Kirchhof vor dem Holländischen
Tor' Aber nicht allein auf dem Kirchhof probten
Kassels gefiederte Sänger, nein, alle Gärten und
Vorgärten, der Finkenherd, die Aue, die Wilhelms-
höhe und die schönen Alleen, die Kassel mit Stolz
sein eigen nennt, hallten wieder von dem Gesang
der Amseln, Drosseln, Finken. Grasmücken und wie
sie alle heißen. Am Vorabend des fünften April
war Generalprobe, und die fiel glänzend aus, denn
unseres Hergotts Kammermusici wußten, wem es
galt. Sie sangen mit einer Andacht und Hingabe,
daß der holdselige Lenz. der alle Hände voll zu tun
hatte, um Kassel und seinen Kirchhof zu schmücken,
entzückt zuhörte. Als aber der Morgen des fünften
April heranbrach und die ersten Sonnenstrahlen den
Kirchhof verklärten, eilten auf leichten Schwingen
die buntgefiederten Sänger herbei, um den Meister,
der ihrer im Leben so liebreich gedacht, im Lied zu
feiern. Wunderbar erklang es in den taufrischen
Frühlingsmorgen hinein:
„Lausche, Meister, unsern Tönen.
Lausche. Meister, unserm Lied,
Das. wie deine ewig schönen
Melodiken. Feuer sprüht.
Lausche. Meister, unsern Weisen.
Lausche. Meister. unserm Sang.
Alle Vvglein, wie sie heißen.
Feiern dich mit Jubelkang.
Hat dein Geist sich aufgeschwungen.
Deine Lieder blieben hier.
Ewig werden sic gesungen.
Ewig singen wir sie dir."
Und die entzückten Englein im Himmel (die lieben
Kasselaner schliefen noch) sangen leise mit (um den
lieben Gott in seinen Staatsgeschästen nicht zu stören)
„Lausche. Meister, unsern Tönen.
Lausche. Meister, unserm Lied,
Das, wie deine ewig schonen
Melodiken, Feuer sprüht."
Aber Gott, der ein schönes Pianifiimo über alles
liebt, hörte nicht nur seine Englein, sondern er
hörte auch seine kleinen gefiederten Kammermusici
auf dem Friedhof vor dem Holländischen Tor. nur
daß sie nicht leise sangen, sondern laut. Da ries
Gott, den ein Forte und ein Fortissimo stets bewegt,
wenn es aus liebendem, dankerfülltem Herzen kommt
„Bravo'" und ernannte Louis Spohr, den die
Englein suchen mußten, bevor sie ihn fanden (er
war noch immer so bescheiden wie'einst auf Erden)
zu seinem himmlischen Kapellmeister.
Klinge laut, mein Lied!
Seligkeit erfüllt mein Herz,
Seligkeit mein Lied,
Denn mein Traum von Leid und Schmerz
Ist gottlob verfrüht.
Singt doch noch aus freier Vrnft
vöglein in dem Wald,
Und mit nie geahnter Lust
Auch inein Lied erschallt.
Sieh der Erde Herrlichkeit!
Alles grünt und blüht,
Alles schwimmt in Seligkeit -
Klinge laut, inein Lied!
Frühlingslied.
Aufgeackert ist die Erde,
Und gelockert ist das Land;
Daß es wieder Frühling werde.
Hat Gott seinen Geist gesandt.
Geist der Freiheit, steige nieder,
Geist der Wahrheit, fahre drein!
f.orch! Es steigen frohe Lieder, —
rühling, Frühling, du zeuchst ein!
---------
Aus Heimat und Fremde.
Diediesj 8 hrigeMitglieder sammlungdes
Hessischen Geschichtsvereins findet vom 7. bis
9. August in Homberg a. d Efze statt. Näheres berichten
wir im nächsten Heft.
Personalchronik Der preußische Kriegsminister
General der Infanterie JosiaS von Heeringen ein
geborener Kafielaner, wurde zum Grneralinsprkteur der
2. Armeeinspektion lBerlin) ernannt und erhielt vom Kaiser
besten Bildnis in El verliehen. — Generalmajor Adolf
Wild von Hohenborn, Kommandeur der 3. Garde.
Jnfanteriebrigade. ein geborener Kastelaner — sein Bater
war der Obermedizinalassestor vr. Wild und er selbst
begann seine militärische Laufbahn als Fahnenjunker beim
tmm. 209 «we»
Jnf-Rgt. Nr. 83 und wurde 1900 gelegentlich deS Jahr-
hundertwechselS nobilitirrt — wurde anstrllr deS zum
Gouverneur von KSln ernannten Generals v. Wandrl zum
DepartementSdirektor im Kriegsministerium berufen. — Die
Kasteler stLdtischen KSrperschaften wahlten den Syudikus
Stadtrat Brunner anstelle deS OberbltrgermeisterS a. D.
MKller zum Abgeordneten fllr den Kommunallandtag.
Todesfälle. Am 20. Juni verschied auf seinem Ritter-
gute Hoof der Oberst a. D. uüd Fideikommißbefitzer E r n st
von Kieckebusch. ein Schwiegersohn der Frau Geheim-
rätin Sophie Henschel. Seine militärische Laufbahn hielt
ihn lange Jahre beim HofgeiSmarer Dragonerregiment, in
besten Reihen er auch den Feldzug gegen Frankreich mit-
machte. Mit dem Eisernen Kreuz geschmückt, kehrte er in
die Heimat zurück. Als Kommandeur des 6. Dragoner»
regimentS nahm Oberst von Lieckebusch seinen Abschied, um
sich der Verwaltung seines Grundbesitzes im benachbarten
Hoof zu widmen. Seit sieben Jahren war er Mitglied
de« Kreistages.
Am 2. Juli entschlief zu Kassel der erste Vorsitzende
deS hessischen VolkSfchullehrervereinS Johann Peter
Grebe im Alter von 65 Jahren. Ein hervorragender
Redner, liebenswürdiger Kollege und begeisterter, hoch-
begabter Pädagoge, hat er sich als Führer der hessischen
Lehrerschaft, für deren Bestrebungen er in vorbildlicher Weise
eintrat, unschätzbare und bleibende Verdienste erworben.
GroßherzogErnstLudwigimBerlinerHes-
s e n v e r«i n. Der Großherzog von Hessen hielt am 18. Juni
in der hessischen Gesandtschaft einen offiziellen Empfang der
Hessischen Kolonie ab, zu dem sämtliche in Berlin weilende
höhere hessische Staatsbeamte, sowie die nach Berlin ab-
kommandierten Offiziere erschienen waren. Der Großherzog
empfing u a. auch die Vertreter des Vereins der Hesten
und Hesten-Nastauer zu Berlin, die Herren Ingenieur
Gumprecht, Kaufmann Machmar und Schriftsteller von
Muralt, in privater Audienz und unterhielt sich in scherz-
hafter Art. teilweise in hessischer Mundart mit den Herren,
die er über die Verhältnisse in der hessischen Kolonie in
Berlin befragte. Zum Schluß drückte der Großherzog seine
Freude über das einträchtige Zusammenhalten der Hessen
aus und legte ihnen besonders noch die Pflege der hessischen
Mundart ans Herz.
Die Jahrhundertfeier der in Kassel in Garnison
liegenden Hessen-Homburg-HusarenregimenteS
(f. »Heffenland* 1912, S. 163) nahm in den Tagen vom 3.-5.
Juli unter sehr starker Beteiligung auswärtiger Gäste,
meist alter RegimrntSangrhörigen. einen ungetrübten Ver-
lauf. Empfang der Gäste, glänzende Reiterfestspiele in der
Kaserne, BegrüßungSkommerS, Feldgottesdienst, Exerzitien
und Parade auf dem Truppenübungsplatz Waldau, feier-
licher Einzug in die festlich geschmückte Stadt. Festesten
in verschiedenen Lokalen und Besichtigung der Sehens-
würdigkeiten bildeten die einzelnen Punkte des wohlvor-
berriteten Programms, das mit einer weiteren Aufführung
der Reiterspiele und MannschaftSeffen sein Ende fand.
DenkmünzezurErinnerungandaSlOOjäh-
rigeBestehen früherer kurfürstlich hessischer
Truppenteile. Da» ArmeeverordnungSblatt veröffent-
licht einen kaiserlichen Erlaß betreffend die Stiftung einer
Denkmünze zur Erinnerung au das hundertjährige Be-
stehen früherer kurfürstlich hessischer Truppenteile. Diese
»KurhessischeJubiläumS-Denkmünze* wird aus
der Bronze eroberter Geschütze geprägt. Die Vorderseite zeigt
einen Löwen, die Rückseite trägt den festgesetzten StiftungS-
tag und das Jahr der Jubiläumsfeier. Die Denkmünze
wird am Bande deS Allgemeinen Ehrenzeichens auf der
linken Brust getragen und folgt an der Ordensschnalle un-
mittelbar hinter der Kaiser Wilhrlm-ErinnerungSmedaille.
Die Denkmünze erhalten alle Teilnehmer an der betreffenden
Jubelfeier, die früher in der kurfürstlich hessischen Armee
und zwar entweder in den Truppenteilen, die durch KabinettS-
Order vom 24. Januar 1899 als Stamm der jubilierenden
preußischen Truppen bestimmt find. oder in den kurfürstlich
hessischen Kavallerie-Truppenteilen: GardeS du Corps.
1. oder 2. Gardehusarenregiment, gedient haben. Die Denk-
münze verbleibt nach dem Tode deS Inhabers den Hinter-
bliebenen.
Ein Kurhesse der Schöpfer der Postscheck-
verkehrs Mit der Enthüllung eines Denkmales für
den Gründer der österreichischen Postsparkaste und den
Schöpfer deS Postschecksystems, vr. Georg Coch. wird.
wie die »Franks. Zig." mitteilt, die Erinnerung au einen
trefflichen Man erweckt, besten rastlos schaffender Geist
schließlich in tragischer Weise an dem Intrigenspiel öster-
reichischer Bureaukraten scheiterte. Coch war von Geburt
Kurheffe und stammte aus dem Dorf Hesterode bei Kassel.
Nach mehrjähriger erfolgreicher kaufmännischer Tätigkeit
im Orient kam er im Jahr 1866 nach Wien und widmete
sich dort volkswirtschaftlichen Studien. Seiner Tätigkeit
war die Gründung der österreichischen Postsparkaffe zu
verdanken. Als erster Direktor dieses Institutes, das sich
anfänglich an bekannte Vorbilder anlehnte, wurde er der
Schöpfer deSPostscheckverkehreS und damit einer Einrichtung,
der später ungeahnte Erfolge beschieden waren. Coch schwebte
von Anfang an ein größeres Ziel vor, die Gründung einer
Art von Staatsbank, die, losgelöst von dem politischen
Parteigetriebe, ihre Kräfte in den Dienst deS Staatskredites
stellen sollte Diese« Streben wurde ihm zum Verhängnis;
er wurde bereits im vierten Jahre feines Wirkens bei der
Postsparkasse (1886) unter höchst unwürdigen Begleit-
umständen seines Amtes enthoben, und eine offiziöse Feder
bediente sich des — »Frankfurter Journals* seligen An-
gedenkens. um den verdienten Mann in ehrenrühriger Weife
zu verdächtigen. Die Rehabilitierung im österreichischen
RrichSrat entsprach nur wenig der Schwere der Beschul-
digungen. Coch kehrte nach dem Orient zurück und ar-
beitete im Dienste der Pariser Loeiatä des Batignolles
die Pläne zum Bau einer Bahn nach Bagdad aus. auch
hierbei noch verfolgt von seinen Wiener Gegnern. Er ver-
starb am 8. Januar 1890 in Pera plötzlich infolge eine«
Herzschlages im Alter von kaum 47 Jahren. Cochs Name
war noch geraume Zeit in der österreichischen Bureaukratie
verpönt. ES ist immerhin ein erfreuliches Zeichen, daß sich
jetzt das offizielle Österreich seiner erinnert und daß die
Festschrift deS Denkmalkomitees, verfaßt von Josef Zahner.
in ungeschminkter Weise eines der unrühmlichsten Kapitel
österrelchifchrr VerwaltungSgrschichte. unseres Wissens zum
erstenmal, darstellt.
AuS Kassel. Die vom Großen Bürgerverein ge-
sammelte Bürgerspende zur Tausendjahrfeier der Residenz
für arme kranke Kinder hat den Betrag von 30578 Mk.
erbracht; der endgültige Schluß der Sammlung erfolgt erst
nach der Tausendjahrfeier. — Im Auftrag der Stadt-
Verwaltung werden 10 farbige Postkartenbilder erscheinen,
die hervorragende Ereigniffe aus der Geschichte Kassels
wiedergeben und vom Kunstmaler Profestor Adolf W a g n e r
entworfen wurden. — Eine offizielle Medaille zur Erinnerung
an die Tausendjahrfeier gibt nach dem Entwurf deS Kastrier
ProfestorS Hermann Dürrich die Kunsthandlung von Ernst
Hühn heraus. — Die Platzfrage für den in Kassel anzu-
«•N& 210 9«tf&
legenden Flugstützpunkt. für den die Stadt einen Betrag
von 10000 Mark zur Verfügung stellte, ist nunmehr ge-
löst. Er wird auf dem Forst ^'nahe der Nürnbergerstraße
zu liegen kommen.
Aus Fulda. Die grob« Empfangsstation für draht-
lose Telegraphie und Zeiiübertragung wurde am 29. Juni
dem Betrieb übergeben. Alle durch den Erbauer Ingenieur
Schneider bisher angeflelllen Versuche einer Verständigung
mit Paris und den deutschen Küstenstationen waren von
überraschender Schärfe und Klarheit. Die Einrichtung einer
Sendestation im nahen Kämmerzell ist in Vorbereitung.
Mit Hilfe dieser beiden Stationen, die übrigens die einzigen
sind, die für Mitteldeutschland zu Versuchs- und Vor-
führungszwecken von der Reichtzpostverwaltung genehmigt
wurden, wird fortan in zahlreichen deutschen Städten die
Zeitübertragung auf drahtlosem Wege bewerkstelligt. Eine
wissenschaftliche Kommission des Reichspostamtes wird in
diesen Tagen an den Stationen besondere Versuche vor-
nehme». — Gegen da8 dem Ingenieur Ferdinand Schneider,
Fulda, auf eine Empfangsvorrichtung für drahtlose Tele-
graphie erteilte Patent hatten die beiden Grobgesellschaften
(Trlefunken-Grsellschaft in Berlin sowie die Hochfrequenz-
gefellschaft L. Lorenz A.-G. in Berlin) Einspruch erhoben, weil
der Erfinder einen sehr umfangreichen Patentanspruch zum
Schutze seiner Erfindung gegen die Großgesellschaften ein-
gereicht hatte. In allen bisherigen Instanzen hatte der
Erfinder gewonnen. Am 20. Juni fand der letzte Termin
mit persönlicher Verhandlung am Patentamt in Berlin
statt, zu dem eine Reihe von Sachverständigen mitwirkte.
Dir Großgesellschaften waren vertreten durch einen bedeu-
tenden Fachmann auf dem Gebiete der drahtlosen Tele-
graphie. der große Anstrengungen machte, die Patenterteilung
zu verhindern. Nach einstündiger Verhandlung und einer
halbstündigen Beratung wurde das Patent im vollen Um-
fang dem Erfinder zugesprochen. Nunmehr sind sämtliche
Einspruchsmittel erschöpft, und Herr Schneider ist jetzt im
Besitz des alleinigen Rechtes zur Ausführung der draht-
lösen Telegraphie mit Morseschrift. Die bis jetzt bestehenden
funkentelegraphischen Gesellschaften haben bisher kein ähn-
liches Mittel, mit dem Morseschreiber: die Telegramme zu
fixieren. — Wir werden auf diese bedeutsame Erfindung
noch in einem der nächsten Hefte zurückkommen.
Eingegangen:
Preston Albert Barba, Ph. D. The life and
works of Friedrich A rm and Strubberg.
Americana Germanica. Volume 16. Publications of
the University ot Pennsylvania. 1913. 194 Sriten.
Thritz Georg Der unumschranktr Stadtbau-
rat von Kassel. Eine kritifche Bctrachtung. 29
Seiten. Kassel 1913. PreiS 20 Pf.
Familiengeschichtliche BlStter. 11. Jahrg. Nr. 4.
Leipzig (Ludwig Degener).
Personalien.
Verliehen r dem Generalsuperintendenlen v. Pfeiffer
zu Kassel der Stern zum Kronenorden 2. Kl. ; dem Rech-
nungSrat Heide zu Kassel der Kronrnorden 3. Kl ; dem
Eisenbahn-BetriebSkontrolleur NechnungSrat Kromm der
Kronenorden 3. Kl. mit der Zahl £>0 ; dem Pfarrer und
Direktor der Anstalten Hephata zu Trehfa Schuchard
der Rote Adlerordrn 4. Kl. ; dem Gntspächter Hofmann
zu Niederdorfelden die Rettungsmedaille am Bande; dem
KreiStierarzt Branda» zu Hanau der Charakter als
Veterinärrat ; dem GeneralkommissionSsekretär B reu cher
zu Kassel der Charakter als Rechnungsrat.
Ernannt: I)r. Fertig in Hanau zum Direktor deS
HerSfelder Krankenhauses; der Leiter der Realschule zu
Gelnhausen, Dr Küchen thaï zum Professor; die Pfarrer
Sehbert zu SchrcckSbach zum Pfarrer in Wippershain,
Todenhöfer zu Wippershain zum Pfarrer in Lischrid,
Hilfspfarrer Wolpert z» Frankfurt-Bockenheim zum
Pfarrer in Oberkalbach. Pfarrverweser Iber zu Hals-
dorf zum Pfarrer daselbst; der Kreisassistcnzarzt Or.
Wittich zu Kassel zum Kreisarzt für den Kreisarztbrzirk
Fritzlar-Homberg; Regierungssekretär Jäger zu Kassel
zum Buchhalter bei der RegierungShauptkasse.
Versetzt: Amtsgerichtsrat vr. Becker in Pasewalk als
Landrichter nach Kassel; Regierungsrat Goldschmidt
in Kassel an die Kgl. Regierung in Allenstein; der Di-
rektor des Hersfelder Krankenhause- Or. Lindner zum
1. Oktober als Leiter der chirurgischen Abteilung deS
Krankenhauses nach Hanau; der Katasterkontrolleur Krue-
ger von Johännisburg nach Rotenburg.
Entlassen.: auf Antrag der Pfarrer Hachtmann zu
Willershausen.
Geboren: ein Sohn: Wilhelm Aßhauer und Frau
Johanna, geb. Baum (Bielefeld, 20. Juni); Ingenieur
Reinh. Hart mann und Frau Elfe. geb Trautmann
(Düsseldorf-Rath) ; Kaufmann Aug. Dietrichs und Frau
Marie. geb. Schnell (Kaste!, 21. Juni); vr. C. v. Wild
und Frau Gertrud, geb. Nickel (Kassel, 21. Juni); vr.
Ludwig Nöll und Frau Elisabeth, geb. Finkenwirth;
Bürgermeister Or. Wachsmut und Frau Paula, geb.
Groß (Rinteln. 29. Juni); vr. W. Frohneberg und
Frau Marie Luise, geb. Fritz (Fechenheim, 30. Juni);
Apotheker C. Bernhardt und Frau Auguste, geb. Hankel
(Jsselhorst i. W.); — eine Tochter: Kaufmann Heinrich
Köhler und Frau Else. geb. Grosch (Kastel, 1. Juli).
Gestorben: Buchdruckereibesitzer Friedrich Funk. 67
Jahre alt (Hersfeld, 2l. Juni); Bürgermeister Geibel
(Hanau-Kesselstadt, 23. Juni); Lehrer a. D. Ignaz Apel
95 Jahre alt (Worbis. 24. Juni): Frau Elise Sauer,
geb. Schäfer, 78 Jahre alt (Hersfeld, 27. Juni); Kgl.
Oberamtmann Hermann Albert Schubert. 67 Jahre
alt (Kressenbrunnen); verwitw. Frau Therese Köhler,
geb Kübel (Fulda, 28. Juni); Kaufmann Peter Rie-
bold, 72 Jahre alt (Fulda, 2. Juli); Hauptlehrer a. D.
Bernhard Stern 81 Jahre alt (Homberg. 2. Juli);
Lehrer a. D. Johann Peter Grebe. 65 Jahre alt (Kastel.
2. Juli); Bürgermeister Heinrich Docke. Ehrenbürger der
Stadt Eschwege. 59 Jahre alt (Efchwege. 2. Juli); Privat-
mann Georg Heinrich Becker (Kastel 3 Juli); Mühlen-
direktor Heinrich Ulrich. 58 Jahre alt (Brüggen i. Hann.,
3. Juli); Hauptlehrer a.D. Joseph P a b st (Fulda. 3. Juli);
Bürgermeister Heinrich Trieschmann (Welferode. 3. Juli);
Bürgermeister Friedrich Zissel 58 Jahre alt (Wetter).
Briefkasten.
L. in Steglitz. Besten Dank für den Hinweis, daß der
kürzlich verstorbene Kunstmaler Artur Ahnert nicht in
Kastel. sondern am 14. August 1865 zu Nieder-Rabenflein
in Sachsen geboren wurde. — DaS betr. Werkchen ist. wie
wir hören, vergriffen. Vielleicht wenden Sie sich einmal
an den Verfaster.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kastel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kastel.
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift sür hessische Geschichte. Volks- und Heimatkunde. Literatur und Kunst
Nr. 14. 27. Jahrgang. Zweites Juli-Heft 1913.
Die ältesten Nachrichten über die Errichtung
der Stammlruppe des Iüsilier-Negiments v. Gersdorff
lKurheff.) Nr. 8V im Jahre 1631.
Von Oberst z. D. von G e y s o.
Das Jubiläum dieses Regimentes, das vor
wenigen Tagen (7.-9. Juli) gefeiert wurde, hat
erkennen lassen, wie treu die Erinnerungen und
die Geschichte seines Stamm-Regimentes, der alt-
hessischen Leibgarde, gepflegt werden. Ähnliches
tritt auch bei den Vorbereitungen zu den Jubi-
läumsfeiern der anderen ehemals kurhessischen Re-
gimenter. die in diesen Sommermonaten noch
stattfinden werden, zu Tage, und die unter dem
4. Juli d. I. erfolgte Stiftung eines besonderen
Ehrenzeichens für diejenigen alten Offiziere und
Soldaten, die noch in der kurhessischen Armee
gedient haben und an jenen Erinnerungsfeiern
teilnehmen, beweist, wie hoch Se. Majestät der
Kaiser die ruhmreiche Vergangenheit der hessischen
Armee und die Pflege ihrer Geschichte bewertet.
Die Erkenntnis, daß echte Vaterlandsliebe vor-
nehmlich aus der Anhänglichkeit an Land und
Leute der engeren Heimat erwächst, verbreitet sich
immer mehr. Unter diesen Umständen wird auch
die Veröffentlichung zweier Urkunden von Interesse
sein, die uns Nachricht über die Errichtung des
„weißen Regimentes", der Stammtruppe des
hessischen Leibgarde-Regimentes, geben. Das Ori-
ginal der älteren dieser Urkunden befindet sich in
einem völlig ungeordneten Aktenbündel mit der
Aufschrift „Schweden 1631—39" im Staatsarchiv
zn Marburg. Sie ist nur durch einen Zilfall
erhalten und von mir aufgefunden.*)
Zum Verständnis dieser Urkunde und der A n -
sänge einer hessischen Armee überhaupt
mögen folgende Angaben dienen Die Siege der
kaiserlichen und ligistischen Heere unter Wallenstein
und Tilly in den Jahren 1625—28 hatten die
evangelischen Territorien im mittleren und nörd»
lichen Deutschland unter die Botmäßigkeit des
Habsburgers Ferdinand gebracht. Auch mehrere
der damals noch mit Wall und Mauern um-
gebenen Städte Hessens, vornehmlich an der Werra,
wurden seit Jahren mit ligistischen oder kaiser-
*) Auf einem anderen Faszikel dieses dicken Aktenbündels
findet sich die anscheinend von der Hand Landaus her-
rührende Bemerkung »Aus dem wüsten Haufen im Ge-
wölbe." Sie gibt eine Erklärung sür den Zustand des
gesamten hessischen Akten - Materials aus der Zeit des
30 jährigen Krieges.
lichen Truppen besetzt gehalten. Das Verhältnis
des Kaisers und der katholischen Partei zu Hessen,
wie es sich — nicht ohne Verschulden des Land-
grafen Moritz — in den letzten Jahrzehnten
herausgebildet hatte, hatte in Hessen die Besorgnis
hervorgerufen, daß es im geeigneten Moment
ähnlich wie Mecklenburg, Braunschweig. Hersfeld
ganz oder teilweise zur Dotation habsburgischer
Erzherzöge oder kaiserlicher Feldherrn und Staats-
männer bestimmt sei. Der Erlaß des Restitutions-
Ediktes im Frühjahr 1629 gab dieser Besorgnis
neue Nahrung. Unzweifelhaft stand das durch
Landgraf Moritz gewaltsam zum reformierten
Bekenntnis übergeführte Niederhessen im Jahre
1629/30 vor der Alternative, ob es sich bedingungs-
los dem Kaiser unterwerfen oder ob es für die
Selbständigleit des Landesfürstentums und die
Duldung des reformierten Bekenntnisses kämpfen
sollte. Die militärischen Hilfsmittel Hessens waren
aber, ohne daß es sich bisher aktiv am Kriege
beteiligt hatte, ebenfalls durch die unheilvolle Re-
gierungsweise des Landgrafen Moritz, bis auf die
Neige erschöpft, und ein neues Moment der
Schwäche bildete die von demselben Herrscher bei
seiner Abdankung 1627 vollzogene Schöpfung der
sog. Notenburger Quart. In dieser neuentstandenen
Landgrafschaft Hessen-Notenburg führte damals
die Landgräfin Juliane, die Gattin des mit sich
und aller Welt zerfallenen Landgrafen Moritz,
die Negierung für ihre minderjährigen Söhne
Hermann und Ernst. Sie, die Enkelin des großen
Oraniers, die es verstanden hatte, während der
zwei Jahrzehnte planloser Vergeudung des Fami-
liengutes und des Volksvermögens bedeutende Ver-
mögensobjekte für sich und ihre Kinder in Sicher-
heit zu bringen, faßte zuerst den Entschluß, dem
Kaiser Widerstand zu leisten. Sie hatte mit den
Generalstaaten und mit dem im Juli 1630 an
Pommerns Küste gelandeten König Gustav Adolf
geheime Verbindungen angeknüpft und war bereit,
im geeigneten Moment Truppen (Söldner) auf-
zustellen. Alls Veranlassung des Schwedenkönigs
war aber auch der in Kassel regierende junge Land-
graf Wilhelm V , der Stiefsohn Julianens, zu
den Verhandlungen herangezogen, und auf einer
gemeinsamen Konferenz in Rotenburg vom 20. — 23.
Dezember 1630 waren die Grundlinien für die
hessische Politik in diesen schwierigen Zeiten fest-
gesetzt worden Beide hessischen Fürstenhäuser waren
bereit, trotz der ablehnenden oder zweifelhaften
Haltung der übrigen protestantischen Reichsstünde,
sich dem Schwedenkönige anzuschließen, man wollte
sich aber erst dann exponieren, wenn dieser, den
noch die schwer zu überwindenden Abschnitte der
Oder und Elbe von Hessen trennten, in der Lage
war, eine Erhebung Hessens direkt oder indirekt zu
unterstützen. Der von dem Kurfürsten von Sachsen
nach Leipzig zusammen berufene Konvent der evan-
gelischen Reichsstände hatte den dort von Mitte
Februar bis Anfang April 1631 anwesenden Land-
grafen Wilhelm erkennen lassen, wie wenig von dem
Zusammenwirken der durch Sonderinteressen gespal-
tenen, mattherzigen und kurzsichtigen Fürsten und
freien Städte zu erwarten war. Die in Leipzig
gemachten Erfahrungen hatten ihn in den in Roten-
burg gefaßten Entschlüssen neu bestärkt. Unmittelbar
nach seiner Rückkehr nach Kassel am 12. April
begann Wilhelm, unterstützt von dem gleichge-
sinnten, hochgemuten jugendlichen Herzog Bernhard
von Weimar, mit den Vorbereitungen für das
kühne Unternehmen einer hessischen Erhebung
unter den schwierigsten Verhältnissen. Die Land-
gräfin Juliane war mit ins Vertrauen gezogen.
Bereits am 15. April sandte sie den Oberstwacht-
meister Johann Geyso, den sie im August 1629
zu ihrem Rat und Amtmann in Eschwege gemacht
hatte, zu ihrem Stiefsohn nach Kassel. Dieser
damals 38jährige ans Borken in Hessen stammende
Offizier hatte schon unter Moritz von Oranien in
den Niederlanden, unter Gustav Adolf in Livland
und Kurland, unter Mansfeld in Böhmen, am
Rhein und in Flandern und zuletzt als Führer
des von dem 21jährigen Herzog Bernhard von
Weimar errichteten Kürassierregiments im nordisch-
dänischen Kriege gedient. Seine reichen Erfahrungen
und Beziehungen wurden jetzt für die Landgräfin
Juliane und für Landgraf Wilhelm wertvoll.
Auf der erwähnten Konferenz in Rotenburg hatte
er die Grundzüge für eine militärische Erhebung
Hessens entworfen.*) Das 6reäitik nun, das
dem Oberstwachtmeister Joh. Geyso in Kassel am
15. April 1631 für seine Fürstin, die Landgrüfin
Juliane mitgegeben wurde, lautete folgendermaßen:
„Was bey dem durchlauchtigen, hochgeborenen
Fürsten und Herrn, Herrn Landgraven Wilhelm
zu Hessen der fürstlich jungen Herrschaft Rath
und Ambtmann zu Eschweig, Johann Geiß**), ver-
möge gehabter in8truetion in unterschiedlichen
Punkten an uns vorgetragen, solches haben hoch-
gedachte Jhro f. Gn. wohl und genugsamblich ein-
genommen, erküren sich darauf folgendergestalt also,
Soviel vors Erste die begerte temporal Ufneh-
mung in derv Schloß und Jagdhaus Friedewalt
*) DaS nachträglich, ziemlich mangelhaft abgefaßte .Pro-
tokoll" dieser Konferenz befindet sich in dem Aktenstück
„Schweden 1630"
**) Der aus dem fränkischen Personennamen Giso zum
Familiennamen gewordene Name Geiso hatte sich in Hesien
im 15. und 16. Jahrhundert allmählich in Geis. Gehse
abgeschliffen. Der Johann G. und seine Brüder schreiben
sich von 1620 ab konsequent wieder Geyßo.
213 EL-
betrifft"---- (Ein Vergleich, der hier nicht weiter
interessiert.) „Anreichendt zum Andern, die zur
Beförderung des bevorhabenden algemeinen Evan-
gelischen <tef6v8ion Wesens in verschiedener Wege
erklärt und vorgeschlagene Volkshilfe, hätten Jhro
f. Gn. solche gern vernommen, nehmen dieselbe auch
mit Dank uf und ahn, und wie Jhro f. Gn. aus
gewißen bedächtigen Ursachen den gethanen
Vorschlag mit den Eintausend Musquitiren vor
den ersprießlichsten achten thäten und dahero
denselben sich gern gefallen ließen, ^eigenhändiger
Zusatz des Landgrafen am Rande „doch daß
noch etwa eine frei Compagnie zu Roß noch
darzu möchte gerichtet werden, maßen mündlich
mit dem Major Geisen geredt worden,"^ also
wollen sie auch nicht zweifeln, man würde deren
Unterhaltung halber, sich auch hiernechst der-
maßen freundlich zu vergleichen wissen, daß es
rühmblich und denen ahn der Fürstlich Roten-
bergischen seilten bescheenen begeren gemäß und
ehnlich seyn,
Als dann ferneres und drittens ahn gueter
richtiger Kundschaft merklich und viel gelegen, so
laßen sich Jhro f. Gn. dieselben anzustellen und
in Wahrung zu nehmen, Mich auch gerne und
willig angelegen sein, des unfehlbaren Versehens,
man werde andernseits (d. h. in Rotenburg) zu
einem ebenmäßigen mit sondern emsigen Begierde
weniger nicht geneigt erfunden werden,
Zu Anstellung und wiederufrichtung eines Aus-
schußes im ganzen Fürstenthumb sind Jhro f. Gn.
zum Virten entschlossen, eine gewisse förderliche
Commission zu verordnen, und nichts zu unter-
lassen. was disfals zur Landes äeton^on und
beschützung nötig und praotieadel ist.
Und solle vors fünfte bei ahnordnung der Land-
eontridution vermittelst göttlicher Gnade eine solche
billichmäßige gleichheit gehalten werden, darüber
sich mit fugen niemandes zu beschweren,
Sechstens die fürstlich Rotenbergische re8oIution
des gnädigen Herrn Vatters äomieilirung im Haus
Pleß betreffend ist dem abdications abschied gemäß,
wird hiermit aeeeptirt.
Und dieweil Herr Landgraue Wilhelms f. Gn.
wegen Überlassung Ein Tausend Musqueten gegen
den abgefertigten Ambtmann Geisen sich mündlich
selbst erkläret haben, als hette es darbet auch sein
Verbleibens, und Jhro f. Gn. Landgraf Wilhelm
zu Hessen woltens dem fürstlich Rotenbergischen
Abgefertigten zur begerten antwort in gnaden nicht
verhalten, deme sie gnädig wohl gewogen sind.
Signatum unter Jhro f. Gn. eigenhändigen
8ul)86ription
den 15. Aprilis Anno 1631
Wilhelm.
Die in diesem Schriftstück erwähnten 1000 Mus-
ketiere, die im Mai und Juni 1631 teils aus
altgedienten Söldnern teils aus jüngeren Bauern-
söhnen der Ämter Rotenburg, Eschwege, Sontra,
Ludwigsstein (Witzenhausen) und Allendorf durch den
Amtmann Joh. Geyso zusammengebracht wurden,
erscheinen schon bald als das „weiße Regiment"
Der Abschluß seiner Formation wurde Ende Juni
durch den Vormarsch Tillys unterbrochen, den dieser
nach der Eroberung Magdeburgs mit dem Gros
seiner Armee auf Hessen unternahm, um den dort
auflodernden Brand der Erhebung zu ersticken,
bevor er auf andere protestantische Gebiete über-
griffe. Die Verluste, die das Regiment durch die
Tillyschen Vortruppen an der Werra erlitt, haben sich
in hohem Maße bezahlt gemacht König Gustav
Adolf, gegen den nur schwache Kräfte unter Pappen-
heim zurückgelassen waren, konnte die Elbe über-
schreiten. Der berühmte strategische Brückenkopf,
das verschanzte Lager von Werben, entstand in
diesen Wochen, und der Kurfürst von Sachsen, der
lange zwischen den Parteien hin- und hergeschwankt
hatte, sah sich durch den Abmarsch Tillys ans Hessen
zum Anschluß an den Schwedenkönig genötigt.*)
Über das Verhältnis, in dem die Landgräfin
Juliane anfangs zu dem weißen Regimente stand,
gibt ein Schreiben Ausschluß, das sie unter dem
12. September 1631 gemeinsam mit ihrem Sohne
Hermann an König Gustav Adolf richtete.**) Unter
Fortlassung der Kurialien heißt es in diesem
„Als Landgraf Wilhelm f. Gn. sich ohnlängst
in Kriegsverfassung gestellt haben wir in An-
betracht dessen was Ew. König!. Majestät uns durch
unseren Abgesandten Dr. Hermann Wolf offerirt
und aus Beherzigung des nothleidenden evangelischen
Wesen, aus unseren eigenen Mitteln, ohne Be-
schwerung des Landes ein Regiment Musquetirer
unterm Commando des Obristlieutenant Geysen
werben und ohne Jhro Liebden (d. h. Landgraf
Wilhelms) Zuziehung mustern lassen und ist zwischen
ihme und uns die Abrede dermals geschehen, daß
dieses Regiment unser Regiment sein und genannt
werden, uns mit gewissen rsZpeet und pflichten
*) Vergl. Wittich „Magdeburg, Tilly und Gustav Adolf"
S. 711; Struck „Das Bündnis Wilhelms von Weimar
mit Gustav Adolf" S. 128 u. f.; Halwich „Aldringen".
Bd. I. S. 52.
Auch nach der Schlacht von Breitenfeld, am 10. Sep-
tember 1631. hat der Rückzug Tillhs nach der oberen
Weser und sein erneuter Versuch, mit den Resten seiner
Armee und den aus seinen niederdeutschen „guarnisonen"
herauSgezogenrn Verstärkungen die hessische Erhebung
niederzuwerfen, es dem Könige Gustav Adolf ermöglicht,
seinen bekannten, einem Triumphzuge ähnlichen Marsch
zum unteren Main in wenigen Wochen zurückzulegen.
**) St.-A. Marburg „Schweden 1631-32"
S88L- 214
obligirt sein, doch aber von Jhro Liebden äireetive
ckspenckiren folte. "
Nachdem Landgraf Wilhelm, der in diesen kri-
tischen Zeiten eine ungeahnte Entschlossenheit und
Seelenstärke bewiesen hatte, vom Könige zu seinem
Stellvertreter und kommandierenden General im
nordwestlichen Deutschland ernannt worden war,
muß nun die Landgräfin Juliane gefühlt haben,
daß sie höflich aber bestimmt zur Seite geschoben
wurde. Sie bittet daher den König, es „bei der
geschehenen Musterung und Vereidigung" der von
ihr geworbenen Truppen zu belassen. Was der
König, der sich damals in Frankfurt a. M. auf-
hielt, antwortete, ist nicht bekannt. Der Verlauf
des Krieges und die überragende Bedeutung des
jungen Landgrafen verwischte jedenfalls das be-
sondere Verhältnis des weißen Regiments zur
Landgrüfiu Juliane mehr und mehr. Auch die
Doppelstellung Geysvs, der gleich beim Kriegs-
ausbrüche au die Seite seines ehemaligen fürstlichen
Regimentschefs, des Herzogs Bernhard von Weimar,
trat und der Generalquartiermeister des Landgrafen
Wilhelm wurde daneben aber der Inhaber des
weißen Regimentes blieb, mag hierzu beigetragen
haben. Sein Regiment gelangte sogar zu einer
besonderen Stellung innerhalb der hessischen Armee,
die mit der Ausdehnung der „Quartiere" auf
Westfalen, am Niederrhein, in Ostfriesland, im
Fuldaischen und in der Wetterau zu einer für die
damaligen Zeiten bedeutenden Stärke anwuchs.
Rückschläge blieben aber nicht aus. Mit der „Er-
weiterung" und „dem Verlust" der „Quartiere",
auf denen allein die Existenzmöglichkeit der Truppe
in diesen Zeiten beruhte, kommen und vergehen
auch die Regimenter, und mit dem Wechsel ihrer
Inhaber ändern sie ihre Bezeichnungen. Sie lassen
sich teils gar nicht, teils nur schwierig durch die
Wechselfälle des großen Krieges verfolgen.*) Auch
die gleichzeitig mit dem weißen Regiment für die
Erhebung Landgraf Wilhelms durch die Obersten
bezw. Oberstleutnants Franz Elgar und Curt v.
Dalwigk, Johann und Curt Heinrich von Uffeln
in Niederhesscn errichteten Regimenter verloren ihre
Eigenart und ihre ursprünglichen Bezeichnungen,
da diese hessischen Lehnsleute schon in den nächsten
Jahren starben oder wie Franz Elgar v. Dalwigk
unter einem Generalleutnant Melander nicht dienen
wollten. Die Ausländer aber, die als höhere
Offiziere in hessische Dienste traten, brachten ent-
weder komplette Regimenter mit, wie z. B. der
Oberst Jacques Merrier, genannt „der kleineJakob",
der Oberstleutnant Berghofer, die Obersten Ernst
*) In den Angaben der .Stamm- und Rang-Liste des
Kurf. Hess. Armeecorps." S. 5—7 sind verschiedene Irr-
tümer nachweisbar.
Albrecht v. Eberstein, v. Alefeldt u. a., oder sie lie-
ferten doch einen Teil der Offiziere, wie z. B. der
Generalleutnant Melander (später Graf Holzapfel),
der Oberst Thilo v. Uslar, der Fürst Friedrich von
Anhalt u. a. Ihre Kapitäne hatten ihrerseits
wieder Unteroffiziere, „Reiter oder Knechte an der
Hand", und so erklärt es sich, daß auch die
hessischen Regimenter bald den bekannten Typus
der Söldnertruppen annahmen.*) Der einzige
geborene Hesse, dem es beschieden war, in höheren
Führerstellen den Krieg von Anfang an mitzu-
machen und zu überdauern, war Johann Geyso.
Trotz seiner vielseitigen anderweitigen Verwendung
blieb er, der allmählich zum Generalleutnant und
Oberbefehlshaber der hessischen Armee aufstieg, stets
der Inhaber (Patron) des weißen Regiments. Eine
Art Clanschaft verband ihn mit seinen älteren
Offizieren und diese wieder mit den Unteroffizieren
und Mannschaften, wie aus verschiedenen in den
Akten erhaltenen Schriftstücken hervorgeht.**) Dies
Verhältnis scheint dem Regiment einen inneren
Halt gegeben zu haben, der den Söldnertruppen
dieser Zeit sonst nicht eigen war. So erkürt es
sich, daß dieser Truppenteil unter dem Namen
„weißes Regiment" oder „Regiment Geyso" durch
alle Wechselfülle des Krieges in seiner Eigenart
sich erhielt, und daß nach Beendigung des Krieges
bei dem schwierigen Geschäft der Abdankung einer
*1 Wen» bei der hcssich.'n Armee im 30 jährigen Kriege
trotzdem ein gewisser nationaler Halt unverkennbar ist,
so hat dies wohl daran gelegen, daß der Landgraf Wilhelm
und nach seinem Tode <1637) seine ifnn geistesverwandte
Gattin Amalie Elisabeth die wichtigen Stellen der .Kriegs-
Kommissare" nur mit geborenen Hessen (Otto von der
Malsburg. Henrich v. Callenberg, Braun Karl v. Uffeln,
Reinhard Scheffer n. a ) besetzte und ihnen zur Verwaltung
der okkupierten Gebiete ein treu ergebenes Beamtenpersonal
zur Verfügung stand, das die widerstreitenden Interessen
der Truppen und der Einwohner nach Möglichkeit aus-
zugleichen suchte.
**) Schon in einer Eingabe der Kapitäne des Regiments
<1. »I. Kassel, den 9. Februar 1639 an Geyso (Kriegsakten
1639) weisen diese mit einem gewiffen Stolz auf die
Eigenart ihrer Truppe hin.
Das Offizierkorps hat anscheinend nur aus geborenen
Hessen bestanden. In der Stelle eines Oberstleutnants,
dem etwa die Aufgaben eines heutigen Regimentskom-
mandeurs oblagen, befand sich von 1636—1646 Christian
Motz, der Stammvater der hessischen Familie von Motz,
vorher ein Major Krug, der bei der Verteidigung von
Höxter fiel, nachher der Oberstleutnant Henrich Gleim.
Kapitäne sind Poppenhansen <1637—45), Lucanus (in der
Schlacht bei Hess. Oldendorf gefallen). Barthel (1637—46,
nach dem Kriege Besitzer des Gutes Lispenhausen), Metz
(nach dem Kriege Landdrost der Grafschaft Schaumburg und
Stammvater der Familie von Mehrn). Rhen (1636—45),
Georg Krug und Hans Ludwig Krug (Verwandte des Joh.
Geyso; Teile dieser Familie hießen später Krug v. Nidda),
Geise (in der Schlacht von Allersheim 1645 gefallen),
v. Nordeck. v. Riedesel, Mildener usw.
§3S^ 215
Armee, die das kleine, verarmte Hessen 17 Jahre
lang die Rolle einer Großmacht hatte spielen lassen,
zwei Kompagnien dieses Regiments erhalten
blieben. Diese beiden Kompagnien wurden, als
die Zeit für die Errichtung stehender Heere ge-
kommen war, unter Landgraf Karl im Jahre 1683
der Stamm für das hessische Leib-Garde-Negiment.
Das Füsilier-Regiment Nr. 80 kann somit ans
eine 282 jährige Geschichte zurückblicken. Wenn
ihm ein solch' ehrwürdiges Alter formell nicht bei-
gelegt'worden ist, weil die hessischen Regimenter
m der westfälischen Zeit (1806—1813) aufgelöst
wacen, so haben doch auch in diesen Jahren der
Fremdherrschaft viele der in ihre Heimat entlassenen
alten Unteroffiziere und Soldaten von dem ihnen
innewohnenden soldatischen Geist und von ihrer
Anhänglichkeit an das hessische Fürstenhaus ehren-
volle Beweise abgelegt. Und als nach dem Zu-
sammenbruch der Napoleonischen Gewaltherrschaft
der Kurfürst Wilhelm 1. im November 1813 die
alten hessischen Regimenter wieder in ihre letzten
Garnisonen zusammenrief, da erschienen sie die
alten hessischen Grenadiere. Husaren. Dragoner.
Musketiere und Artilleristen, wieder in selbstver-
ständlicher Pflichttreue und altgewohnter Disziplin,
und mit ihnen zahlreiche Freiwillige, erfüllt von
dem Geist einer neuen Zeit und neuerwachter
deutscher Baterlandsliebe. Mit vollem Recht
können daher in diesen Sommermonaten auch bei
den hessischen Regimentern des XI. und XVIII.
Armeekorps die Erinnerungen an die große Zeit
vor 100 Jahren gefeiert werden.
Angedruckte Briefe des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf
und des Grafen Maximilian II. zu Menburg und Büdingen
wegen der Erbpachlung der Nonneburg.
Von Friedrich Wilhelm Fürst zu Isenburg und Büdingen.
(Fortsetzung.)
Miffiverr von Herrn Grafen von Zinzendorf
wegen Verpachtung der Ronneburg pp.1736,37.
Hochgebohrner Graff
Hochzuehrender lieber Herr Vetter
Es ist mir recht sehr angenehm in eine solche Corre-
spondenz mit Ihnen zu kommen und Ihnen zu zeigen
wie sehr ich sie estimire, und wie leid es mir sey,
daß würcklich durch einen gewißen Mißverstand ver-
wichenen Sommer ihnen Gelegenheit zu einem Disput
gegeben, da es nemlich das Ansehen gehabt, als ob
ich dasienige aus Mangel gehöriger Deserenz unter-
ließe, was ich würcklich aus respcct unterlaßen, nemlich
wegen meines kurzen Sejours auf der Ronneburg
um Erlaubniß anzuhalten. Ich hoffe also dieser
Passus werde aus beyden Seiten gäntzlich aboliret
seyn. Nun mehro finde ich mich durch eine gewisse
Proposition verehret, welche der Eppstein dem Amt-
mann von der Ronneburg gethan, und dieser mir
mit Bezeugung seiner völligen Zufriedenheit nach
London überschrieben, ich aber nicht ehe beantworten
können, bis ich gesehen und gehöret daß sie würcklich
von E. Ld. herkomme. In dem ich in dergleichen
Sachen behutsam gehe nach dem ich mich nun resol-
viret E. Ld. mit 9000 fl. oder 6000 rh. ohne Inte-
ressen gehorsamst auf Zu warten und die wenige
Differenz von 1000 fl. dadurch genugsam gehoben
meine was ich im Schluß des projects vor eine
Tröstung gethan, daß nemlich die Ronneburg, nach
mein und meiner Kinder Abgang, in 8t»tn tune an
Dero Wächtersb. Haus auch wohl ohne refundirung,
dieses darlehns zu rück fallen solle, welches gar viel
importiren kann, so wünschte ich wohl Allerwertester
Herr Vetter' daß die Sache bald ins reine käme,
weil ich in pvojeeto stehe wieder nach Sachsen zu
gehen, und mich so gern ich wolle, gar nichts aus-
halten kann.
Wenn E. Ld. auf den 10 000 fl. bestehen, so will
ich auch endlich darüber nicht disficultiren wie wohl
es mich in diesen theuren Zeiten incommodiret, und
meinem Weysenhaus zu Herrnhuth, wo ich den
Scheffel Korn vor 4 rthlr. oder 6 fl. zahlen muß
würcklich abgehet ich aber billig alle Sorge zu tragen
habe, daß meine lieben Unterthanen und Pfleg be-
fohlenen von der misere welche gantz Schlesien und
Lausitz überschwemmet möchten bewahret bleiben, und
mich sehr ungern desfals gantz aus dem Vortheil
gebe, und mit neuem Ankauff oder Handel selbst
in Schulden stecke. Oonsickei- Ew. Ld. darneben daß
ich in St. Crur u. St. Thomas, in Guinea und
auf Capo de buoua speranza in Holland, Georgien.
Carolina und Pensylvanien in Grönland und Rußisch
Lappland Knechte Gottes zu besorgen habe, die ob
sie zwar in Ansehung ihres Soutiens bey nahe
wunder thun, doch nicht vergessen werden dürfen und
mein Domesticwesen in Georgien allein aus 40 Per-
sonen (ohne Kinder) ansteiget die Kinder aber zu
Herrenhuth auch in meiner Versorgung stehen, welche
aufrichtige Erklärung in meinem theuren Herrn
Vetter darum thue, daß sie mich nicht etwa in einer
unsichern Vermuthung laffen mögen, als wolle ich
nur marchandiren, und thäte mir nichts, ob ich ein
216 srsSL.
oder mehr 1000 mehr oder weniger gäbe. Es ist
wahr Gott thut in Ansehung meiner revenüen großes
an mir seine Sachen auszuführen, Capital™ aber
habe ich gar nicht und was meine Gemahlin hat
kann nicht gehoben werden die subsidia aber von
andern Orten davon man saget, sind ein purer Un-
grund, und ich hätte es meinem Herrn vor eine
Schande gehalten wenn ich bis diese Stunde vor
mich oder meine Exulanten einige collecte veranlassen
sollen, was aber gute Leute dann und wann an dem
Weisenhause zu Herrnhuth, von freyen Stücken gethan
das ist (nach unserer Art) zwar alle mahl wohl zu
paße kommen aber in wenigen Tagen weg gewesen.
Das ist der Punct des Geldes, in Ansehung der
Auslage, wenn ich nun die Wieder-Einnahme aus
Nonneburg bedenke, so müßen E. Ld. Gn. überlegen,
daß ich eines Theils eben so wohl aus ein hundert fl.
oder was Überschuß zu sehen habe als ein Pachter
nicht nur meinet sondern der Armen willen, die
von mir ungetrennt sind, und die ich aus das Theil
rechnen muß, wo sie sich aushallen, weil meine eta»
blissemens anderwerts dieser neuen halben nicht aus-
hören, sondern (wie in Herrnhuth täglich geschiehet)
immer mehr anwachsen. Wie ich nun eben so sehr
und billiger daraus zu sehen habe, als Herr Schuchert,
so werde ichs doch dahin nie bringen, denn was
Er zum Cxemp. vom Schlöffe nimmt, das fällt weg.
was ich zu seiner indemnisation thun muß wenn
er aus dem Pacht gehet, dabey gewinne ich nichts,
was er hat eingehen lassen das baue ich aus dem
Schloße, daß also die reparations-unkosten alleine
die Einnahmen auszehren, und weil 13 000 fl. dcauff
haften so muß ich die Interessen doch geben und
den Ew. Ld. schuldigen, nach dem Abzug ich mag
nun etwas oder nichts eingenommen haben. Daß
also E. Ld. hoch vernünftig begreifen, daß wenn ich
meine Gemahlin persuadire (als welche die Direktion
aller meiner domestic-affairen bisher so weislich und
gesegnet geführet) 9 oder 10000 fl. ohne interessen
hinzu geben und als eine Baase vom Hause einen
um so viel schwereren Pacht zu treffen als ihn ein
gantz fremder Mann so viel Jahre gehabt, es gewiß
alles ist, was ich thun kann anerwegen sie nicht
begreifet, warum ich eine solche affection zu etwas
habe, daß sie gar nicht goutirt, und da zu sie
keine Nothwendigkeit siehet, immaßen sie davor hält,
wenn auch (wie es doch bis letzt ohne alle apparanz
ist) uns das emigrations Wesen noch von unsern
Güthern in Oberlausttz weg brächte wir ja die
Ronneburg doch nicht könnten zu unserm Sitz machen
sondern eine andrer Herrschaft ankaufen müßte. Ich
thue hinzu allerwerthester Herr Vetter! daß der
Religions-Punct, welcher noch manchmal zur reso-
lution schreiten macht, die man ordinarie nicht er-
greifet , bey uns gar von keiner Erheblichkeit sey.
weil wir dazu keine Connivenz noch toleranz be-
dürfen, sondern so bald sich nur iemand die Mühe
giebt uns zu fragen, demonstriren können, und bisher
allenthalben behauptet haben daß die B. B. und
Mährische Brüder, wohl die Mutter der Prote-
stantischen beiden Kirchen nicht aber (wie unverständige
Leute reden) eine neue oder verdächtige Secte be-
deuten können, und diese Dinge (welche erst vor ein
paar Wochen von der Englischen Kirche auch ad
Acta declariret worden) sind schon so viel mal ge-
druckt und geschrieben und können allensals bey dem
Königl. Preuß. Oberhos-Prediger H. I). Jablonsky
so gründlich erfahren werden, daß kein Zweifel ist.
es stehe uns dissals nicht nur des Königs in Preußen
Maj. sondern alles land offen, ich will also E. L.
nicht mit mehreren aufhalten sondern nur bitten,
alles dahin anzu wenden daß wir der Ronneb. Pacht
aus neben gesetzt. Art zu theil, und die punctation,
darüber, in wenigen Tagen zwischen uns vollzogen
werde, ad firmandum negotium, der eigentl. Contract
kann dann mit mehrer Muße vollbracht werden,
wenn nur E. Ld. wegen der 9 oder 10 000 fl. und
ich wegen der Sache selbst fest und unzweiffentl.
versichert seye. So kann ich reisen und das übrige
können wir unsern Beamten oder mandatariis über-
laßen. Ich hoffe darneben nach E. Ld. retour welche
ich bald wünsche, die Ehre und das Vergnügen zu
haben Ihr meine Aufwartung selbst zu machen und
verharre in zwischen mit aller Ergebenheit
E. Ld.
Lindheim treu dienstwilligster Vetter
am 25. April und Diener
1737 gez. Zinzendorff.
Kopie des Handschreibens an H. Gras Zinzendorf
dd. Wächtersbach den 5. April 1737
PP.
E. L. geehrtes vom 2. dieses ist mir zuerst durch
rückbringern dieses überliefert worden, aus welchem
ich dann mehreren inhalts ersehen, was dieselbige
wegen der Ronnenburg an mich zu gesinnen gefällig
geworden, und so viel die haubtsach aber selbsten
betrifft, so werden E. L. nicht ungütig Vermerken,
daß daraus gegenwärtig sogleich positive nicht ant-
worte, indem einige umstände wegen gemelkter
Ronnenburg Vorkommen, die eine genaue Unter-
suchung erfordern, ehe und bevor ich die von mir
begehrte erklärung auf das von E. L. mir zugeschickte
project geben kann, bis dahin dann dieselbige in
geduld zu stehen belieben werden.
Das was Vergangenen Sommer pasfiret, davon
wird sich vielleicht noch gelegenheit geben, E. L.
explication zu ertheilen, dergestalten, daß ich. noch
die Meinigen daran nicht Ursache gewesen, sondern
Vielmehr andere, und vornehmlich daß dieselbige
SSML- 217 S^iL,
damahls wegen ihres kurtzen Sejours sich an unrechte,
und zwarrn an solche Leute vertrauet und bey solchen
gemeldet, mit welchen ich große Vorsichtigkeit zu
gebrauchen habe, und denen ich Mich nicht vertrauen
kann. Dieses ist es was E. L. in sreundvetterlicher
Antwort ohn Verhalten und anbey versichern sollen,
allstets zu seyn E. L.
gez. F. M. G. z. Y.
(Fortsetzung folgt.)
Hersfeld und die Landgraffchafl Hessen im 14. und 15. Jahrhundert.
Von Dr. H. Butte, Kassel.
(Schluß.)
So ging jetzt aus (Herwigs Tode eine
schlimme Saat für den Abt ans. Von Feinden
umstellt, selbst vor Mordanschlägen nicht sicher,
blieb ihm nichts, als sich auch einen auswär-
tigen Beschützer zu suchen, loie eS vorher schon
die Stadt getan. Und da bot sich von selbst der
große Gegner des Landgrafen, der Erzbischof
Konrad von Mainz.
Stetig und unaufhaltsam drängten damals
die Tinge der Entscheidung zu zwischen dem
großen Erzstift, das auf allen Seiten Hessen
umklammerte, und der verhältnismäßig kleinen
Landgrafschaft im Kern des Landes, die sich
doch im Sternerkrieg so fest erwiesen. Jetzt
suchten beide Gegner Stützpunkte und Bundes
genossen. Dem Erzbischof, der eben im Hoch-
stift Fulda sich festgesetzt hatte, kam der Antrag
des Hersfelder Abtes sehr gelegen 1420 kam
der Berrrag zustande, der den Erzbischof zum
lebenslänglichen Vormund der Abtei Hersfeld
machte und ihm ihre Burgen pfandweis über-
lieferte
Die Antwort der Stadt und des Landgrafen
ließ nicht auf sich warten es war die Erneue
rung und Befestigung ihres Bündnisses, jetzt
auf Lebenszeit des Landgrafen geschlossen.
Und hatte die Stadt bis dahin wenigstens den
Schein festgehalten, daß sie sich nicht von ihrem
.Herrn losgesagt, so läßt sie 1423 auch das
fallen, nicht nur soll der Landgraf sie schützen
gegen alle Beeinträchtigungen des Abtes, sie
selbst will auch, wenn es zum Kampfe kommt,
aktiv zu ihm stehn gegen Abt und Erzbischof.
Abt Albrecht machte jetzt den Versuch, durch
''Anklage seiner Bürger vor dem päpstlichen
Gericht zu Recht zu kommen. Ein Hers-
feldischer Probst wurde nach Rom abgesandt,
und durch drei Instanzen zog sich der kost-
spielige Prozeß. Aber was Albrechts Ge-
schäftsträger in dem von gewerbsmäßigen
Vermittlern wimmelnden Rom schließlich er-
reichte, war ein Spruch zugunsten des Abts
gegen die Bürger, der im Grunde eine bloße
Sympathiekundgebung bedeutete, und einige
Privilegienbestätigungen.
Daß der Prozeß vor der römischen Kurie
so gar ergebnislos verlief, hatte seinen Grund
nicht zuletzt in dem geschlossenen Widerstand
der Bürgerschaft, die einer Vorladung vor ein
auswärtiges und geistliches Gericht als gesetz-
widrig auf alle Weise widerstrebte Im Gegen-
teil suchten die Bürger nun durch Truckmaß-
regeln aller Art den Abt zu zwingen, sich
einem Schiedsgerichte des Landgrafen von
Hessen zu stellen. Ta wurden zunächst sämt-
lichen Stiftsangehörigen, die doch in der Stadt
durch Haus- und Rentenbesitz stark genug in-
teressiert waren, die Stadttore rundweg ver-
schlossen. Tie Klosterarbeiter werden an der
Ackerbestellung gehindert, verschiedene Stifts-
herren, die auswärts geweilt, werden gewalt-
sam lau der Rückkehr gehindert und müssen aufs
Kloster Johannisberg flüchten, und als Trumpf
des ganzen wählen die Bürger schließlich des
Landgrafen ersten Minister, den Landvogt in
Hessen Eckhard von Röhrenfurt, zum Hers-
felder Schultheißen und zu ihrem .Hauptmann.
Eckhards erste militärische Leistung war denn
alsbald, Türme und Befestigungen, die das
Stift vertragswidrig neu errichtet zum Schaden
der Stadtmauer, unnachsichtlich zu zerstören.
Auch das Schultheißenamt ergriff er sofort.
Dem scharfen Blick des Politikers Eckhard von
Röhrenfurt konnte freilich die Bedeutung dieses
Postens in der richtigen Hand nicht entgehen.
Sein erstes war, das Amt den Gerwigen, die
es noch in Pfandbesitz hielten, abzukaufen, er
hat es dann mit einer ungewöhnlichen Zähig-
keit zu halten gewußt, obwohl der Abt oft ge-
nug die Wiedereinlösnngssumme anbieten ließ.
Unter solcher Art Truck kam dann schließlich,
nach Vorverhandlungen durch Eckhard von
Röhrenfurt, Eckhard Riedesel und die anderen
maßgebenden Räte Ludwigs, das von den Bür-
gern gewünschte Schiedsgericht des Land-
grafen und seines Neffen, des Grafen von
Ziegenhain, zustande Tie Bürgerschaft hatte
ein langes Klageverzeichnis gegen den Abt
eingereicht und dieser hatte Punkt für Punkt
sich schriftlich verantwortet. Eine entsprechende
218
Verantwortung ihrerseits scheinen dagegen die
Bürger nicht gegeben zu haben. Es würde
keinen Zweck haben, hier durch die Reihe
der Gewaltsamkeiten hindurchzuführen, mit der
beide Seiten ihre wirklichen oder vermeint-
lichen Rechte verfolgten. Es ist kein Zweifel,
daß der Abt mancherlei .Härten sich zuschulden
kommen ließ, so. wenn er Hersfelder Bürgern,
die auf seinem Grund und Boden gebaut hatten,
für ihren rückständigen Zins .Haus und Eigen-
tum einfach abbrechen und das Material ins
Stift fahren ließ. Aber die Hauptschuld liegt
doch au den Bürgern, die es zu einer Verstän-
digung mit der landesherrlichen Abtei grund-
sätzlich nicht kommen lassen wollten. Der
Gegensatz äußert sich vorwiegend auf dem wirt-
schaftlichen Gebiet Der Abt wird gehindert,
seinen Bannwein in der Stadt auszu-
schünken er muß ihn vor den Toren lassen,
bis er verdirbt Der demokratische Sinn der
Bürger bekämpft ferner alle Vorzugsstellungen,
die Steuer und Lastenfreiheit der Priester und
Adligen wie der Hörigen des Klosters alles
lvas in der Stadt wohnt, soll auch an den Kosten
teilnehmen. Es war feine ieidjte Aufgabe für
den Landgrafen, als Schiedsrichter zwischen
diesen zwei Rechtsanschauungen, der konser-
vativen des Abts und der geldwirtschaftlich-
demokratischen der Bürger zu entscheiden. Doch
hatte sein Spruch iinmerhin auf ein paar Jahre
wenigstens Bestand.
Es lvar beiderseits nur Waffenstillstand, der
Gegensatz lvar mehr überdeckt als beseitigt.
Zwischen Stadt und Landgraf dauert das gute
Verhältnis fort so gestattet er ihr 1425 auf
den hessischen Märkten die gleichen Vorteile
wie seinen eigenen Untertanen. Ter Abt besann
sich inzlvischen, etwas spät und als letzte Hoff-
nung, auf feine Verpflichtung gegen Kaiser und
Reich er ließ sich von König Sigismund mit
den Regalien belehueu und verschaffte sich dabei
ein königliches Urteil gegen die Verkleinerer
des Stifts; der Spruch blieb, wie manche andere
Entscheidung, auf dem Pergament stehen.
Alle äußeren Hilfsquellen hatten tatsächlich
versagt. Auch der offizielle Beschützer Hers-
felds, der Mainzer Erzbischof, lvar weit und
völlig in Anspruch genommen von den Kriegs-
vorbereitungen gegen Hessen. Der Abt ver-
suchte, sich der Stadt zu nähern, bauend allf
eine unverbindliche höfliche Antlvort, die ihm
der Stadtschreiber König überbracht hatte, auch
diese Verständigung schlug fehl. Albrecht durfte
jetzt nicht verschmähen, feinem Konvente weit-
gehende Zugeständnisse in Mitregierung und
Verwaltung von Stiftsgut und Einkünften zu
machen.
In Wahrheit brauchte die Entscheidung des
Hersfelder Verfassungsstreits gar nicht in
Hersfeld selbst auSgefochten zu werden. Stift
und Stadt waren so eng verflochten mit den
beiden großen Gegnern Mainz und .Hessen,
daß der Ausfall dieses Krieges unwiderruflich
auch für Hersfeld die Entscheidung bringen
mußte. Sie fiel am 23. Juli 1427 bei Großen-
englis. Der vollständige Sieg des Landgrafen,
seine Besetzung Fuldas und sein Übergewicht
in ganz Hessen machten es nur zur Frage der
Zeit, wie lange der Abt von Hersfeld sich noch
halten könne.
Der Friede zu Frankfurt zwischen Mainz und
Hessen regelte auch die Hersfeldischen Ange-
legenheiten. Eckhard von Röhrenfurt wurde
als Schultheiß anerkannt, zugleich aber auch
gestand er dem Abte das Wiedereinlösungsrecht
zu er brauchte das Amt nicht mehr, es hatte
feilten Dienst getan.
Der Abt versuchte noch ein letztes Mittel
die Eifersucht der Handwerkszünfte suchte er
auszuspielen gegen den kaufmännischen Stadt-
rat, den Träger der konsequenten hessischen
Politik. Landgraf Ludwig mußte durch ein
neues Bündnis mit der Stadt dagegen parieren
also daß wir bey einander verbliben und unß
in keyne wieß von eynander scheiden ltorf)
scheiden lassen. Das Mittel, obwohl erneut
versucht, scheiterte denn auch vollkommen.
Die langen Prozeßverfahren, die nun noch
folgten, können uns hier nicht mehr interessie-
ren. Es war nicht mehr an der Zeit, wenn
jetzt noch einmal Landgraf und Erzbischof zu
Schiedsrichtern gemacht wurden feit Großen-
englis lag die Entscheidung nur noch bei
einem. Landgraf und Erzbischof konnten sich
nicht auf einen gemeinsamen Spruch einigen,
und eine lange Reihe von anderen erwählten
Schiedsrichtern, darunter die juristische Fakul-
tät zu Erfurt und mehrere Reichsstädte, lehnten
das undankbare Amt höflich ab.
Der Abt mußte erkennen, daß er von seinem
Schirmer, dem Erzbischof, nichts mehr zu
hoffen habe. Erzbischof Konrad war seit dem
Zusammenbruch seiner großen Lebenshoffnung
ein gebrochener Mann. Ter einst so tatkräftige
versuchte jetzt noch im Osten, im Hussitenkriege
zu retten, was er lange hatte vernachlässigen
müssen, für Hersfeld war er verloren. So
entschloß sich Abt Albrecht zu dem Unvermeid-
lichen am 2. November 1432 begab sich die
Reichsabtei in den erblichen Schutz der
9«K&> 219 9CSKÒ
hessischen Landgrafen. Das Hersfeldische Ge-
biet mit allen seinen Ämtern, Schlössern und
Städten huldigt dem Landgrafen als erblichen
Verweser, alle Burgen werden ihm geöffnet
und alle Pfandschaften ihm zuerst angeboten.
Künftigen Streit zwischen Stift und Stadt
entscheidet der Landgraf.
Die Geschichte des selbständigen Fürstentums
.Hersfeld ist damit tatsächlich zu Ende Ten
Zeitgenossen mag der Einschnitt kaum so tief
erschienen sein, aber ein Mann wie Abt Al
brecht von Buchenau hat ihn gefühlt, er hat
sich von diesem Schlage nie wieder erholt.
Die Entwicklung schritt über ihn hinweg.
Wenige Jahre nachher, 1438, hat er dem Kon-
vente die Verwaltung übergeben und seine
Würde freiwillig niedergelegt. Im gleichen
Jahre ist er in seiner freiwilligen Zurückge-
zogenheit gestorben. „Er war gar eyn streng
mann, hefftig und ernst, und das glück war
ihme doch entgegen", sagt sein Chronist.
Die Höhezeit der geistlichen Staaten war
vorüber Wie in Hessen, so blühten damals
auch in den andern deutschen Landschaften,
gegen Kleinadel und geistliches Regiment,
weltliche Staatswesen empor, die allmählich
die Kraft der im Kampfe zwischen Kaiser und
Herzogtum zertrümmerten alten deutschen
Stämme wieder in sich sammelten. Wie da-
mals Landgraf Ludwig Ziegenhain und Nidda
gewann, wie er in Fulda und Waldeck seinen
Einfluß durchsetzte, so erlebte auch die alte
Reichsabtei Hersfeld 1432 und dann weiterhin
1525 und 1648 ihren Heimfall an den hessi-
schen Landesstaat.
Die hessischen Künstler
auf der Deutschen Kunstausstellung Kassel 1913.
Von Ernst 3 ö l l n e r.
(Fortsetzung.)
In der vorigen Betrachtung wurde angedeu-
tet, was Bantzer für die bodenständige Kunst in
Hessen bedeutet, speziell als Bahnbrecher für das
moderne ethnographische Genre, für die realistische
Schilderung des Volkslebens, die wahrheirsgetreue,
ungeschminkte Darstellung von rassigen Typen des
heimischen Menschenschlages. Gleiche Aufgaben
stellt sich Wilhelm T h i e l m a n n in seinen aus-
gezeichneten Radierungen, von denen weiter unten
die Rede sein lvird, und in seinem Ölgemälde „Nach
der Arbeit", in dem eine ganze Schar von Bäue-
rinnen aufmarschiert. Die Komposition ist nur schein-
bar zwanglos-naturalistisch, in Wirklichkeit folgt die
Gruppierung der scharf gesehenen Gestalten einem
bestimmten Grundriß. Die Figuren werden damit
zugleich die Träger des räumlichen Eindrucks, der
Blick wird durch ihre Anordnung in bestimmter
Richtung innerhalb des Bildes geführt. Tie näm-
liche künstlerische Absicht läßt sich deutlich erkennen
in dem glänzend komponierten Marktbilde von
Hans Meyer, das den Königsplatz mit seinem
Gewimmel von Käufern und Verkäufern räumlich
ungemein anschaulich wiedergibt. Für Heinrich
P f o r r, Laudenbach, der gleichfalls feine Motive
init Vorliebe dem Volksleben entnimmt, ist hingegen
das Licht die Keimzelle der Position. In seinem
„Winterabend" wird der Raum charakterisiert durch
die Beobachtung der mit der Entfernung von der
Lichtquelle abnehmenden Beleuchtung. Diese Quelle
ist hier die „trauliche" Petroleumlampe, deren
Schein am stärksten die um den Tisch herumsitzende
Gesellschaft trifft, so daß der Künstler die Einzel-
figuren liebevoll individualisieren konnte Etwas
farbiger tvie dieser in braunen Tönen gehaltene
„Winterabend" ist ein Freilichtbild von Pforr, ein
Porträt seiner Eltern, das in der vorigen Nummer
des „Hessenlandes" reproduziert >vnrde. Auch in
dieser recht heimatlich-volkstümlich anmutenden
Darstellung ist übrigens ein Lichteffekt, das Spiel
der Sonne auf den Gesichtern der beiden alten
Leute, das malerische Hauptproblem. Für August
Heitmüller (Bad Nenndorf) ist die Erscheinung
einer Bäuerin in der Landstracht der Anlaß zu
einer dekorativen Stilisierung, während sein „Schul-
kind", zwar mit modernen Mitteln gemalt, doch
ein Kennzeichen des alten Genres an sich trägt
das derbe kleine Mädchen schaut mit verschmitztem
Lächeln unvermittelt aus dem Bilde heraus und
tritt zum Beschauer in Beziehung. Etwas hart in
den Farben und konventionell in der Auffassung
ist das Bauernbild von Karl Mons. Hessische
Typen, einen Schäfer und einen Landmann bei der
Arbeit, bringt ferner Hugo Mühlig. In diesen
Bildern kleineren Formats tritt - im Gegensatze
etwa zu der Art Bantzers und Thielmanns —
das Illustrative zu Gunsten des rein Malerischen
vollständig zurück. Es sind vielmehr tonschöne
Stimmungsbildchen.
Die Stimmungslandschaft, der deutsche „pay-
sage intime", seit langem eine starke Seite der
220 S-WL
hessischen Knnstproduktion, ist (int vertreten durch
eine Reihe meist wohlbekannter Rainen. Reben
der Ratnrstudie, dem dkatnrschnitt, spielt die
mehr oder minder stilisierte Landschaft eine nicht
unbedeutende Rolle. Wrof^iuiifli’ Vereinfachung des
Raturvorbildes in ruhigen tonigen Flüchen ist bei
allem Realismus das Bezeichnende für Otto
llbbelohdes „Lahnufer" und fein auf ein duftiges
Grün - Blau gestimmtes MelibocnS - Bild. Ter
Vordergrund wird durch interessante Baum-
silhouetten belebt, prachtvoll ist das Atmosphärische,
das Schweben der Wolken im Äther versinnlicht.
Walter Schliephacke bringt eine von romantisch-
poetischem Farbenzanber erfüllte Landschaft „Rach
dem Regen" Reiche figürliche Staffage gibt dem
Beschauer den rechten Maststab für die G röste der
Rntnr und zugleich ein wesentliches Mittel für die
klare Ablesung des Raumes. In einem anderen
Gemälde Schliephackes „Mädchen am Wasser" um-
spielen Zwielicht und kühle Morgenluft die un-
bekleideten Körper, die in meisterlicher Dreiecks-
komposition in ein Waldinneres gesetzt sind. Hans
Meyer bevorzugt neuerdings eine von den Reoim-
vressivnisten ausgebildete, mit kurzen, viereckigen
Pinselstrichen arbeitende mosaikartige Technik. Er
erreichte damit eine gesteigerte Lichttvirknng in
seiner dekorativ stilisierten, ans helle Töne von Gelb,
Blau und Violett gestellten weiträumigen Land-
schaft „Blick ins Werratal von der Tenfelskanzel"
Mit den gleichen Mitteln konsegnent durchgeführt
ist die Schilderung eines Wohnzimmers im Wil-
helmshöher Schlost. Der bei Interienrdarstellnngen
häufig anzutreffende Rachteil der Vereinigung ver-
schiedener Blickrichtungen ist auch bei dieser Arbeit
nicht vermieden. Heinrich Giebel hat sich immer
mehr zu einer feinen realistischen Tonwertemalerei
durchgerungen. Die schönste Probe seines gereiften
Könnens und seiner an der Ratnr geschulten
malerischen Empfindung ist ein Waldinneres, in
dessen Vordergrund eine Dame in gelbem Kleide
sitzt. Wie in diesen Arbeiten Giebels und der
Vorhergenannten, so ist die Beobachtung der Licht-
nnd Lufterfüllung des Raumes, der Veränderungen
der Farbentöne mit wachsender Entfernung vom
Auge des Beschauers, das Abwägen in „Valeurs"
die eigentlichste Aufgabe all' der Maler, die in
ihren Raturansschnitten nach überzeugender opti-
scher Wirklichkeitsillnsion, nach Wahrheit und Echt-
heit der Stimmung streben. Kurze Andeutungen
über die Einzelnen mögen genügen. Von Hans
Olde sieht man das Innere eines Buchenwaldes
mit Sonnengold und leuchtenden roten Herbst-
tönen. Von Ferdinand Koch „Sommertag",„Auf-
ziehendes Wetter" und ein von zarten bläulichen
Lufttönen erfülltes, überaus duftig gemaltes Wald-
tal „Alis dem Sanerlande" Von Otto Höger eine
entfernt an Trübners flächige Vortragslveife er-
innernde, in ihren feinen Valeurs von Grün und
Gelb ungemein reizvolle Waldlandschaft. Von Earl
Holzapfel eine seiner kräftigen draniatischen Na-
turszenerien, ein Gewitter mit heftigem Regen am
Rande des Meeres, lvahrfcheinlich an der Nordsee.
Von Friedrich Fennel, der früher etwas bunt und
locker malte, jetzt aber entschieden zum „Ton" ab-
geschlvenkt ist, mehrere vortreffliche hessische Land-
schaften, unter denen ein frisch empfundener Vor-
frühling besonders hervorzuheben ist. Von Paul
Sch eff er eine tüchtige Rhönlandfchaft mit zweck-
voll benutzter Tier-Staffage. Von Rudolf Sieg-
mund eine Ansicht des Wilhelmshöher Schlosses
und mehrere Landschaften in einer für ihn an-
scheinend charakteristischen Tonskala von Gelb und
Blau. Bon Otto Lang-Wollin kraftvolle frische
Impressionen, eine grau-grüne Regentagstimmung
und einen von Sonnenlicht durchfluteten Park. Fer-
ner noch eine ganze Reihe mehr oder minder be-
achienswerter Leistungen auf diesem vielkultivierten
Gebiete landschaftlicher Stimmungskunst solche
von Fritz Rhein, Julius Jung, („Abendwol-
ken"), Earl Jung („öerbftiomtc"), .Hermann
Metz („Vorfrühling"), Heinrich Otto l„Graner
Herbsttag" n. a.), Georg Höh mann, Hanna v.
Kästner, Martha Dehrmann, Earl Geist, Leni
Zimmermann - Heitmüller, Richard Jcfchke,
Gerhard Sh, Ferdinand Schmitz.
Von den nicht eben zahlreichen Binnenranm-
bildern erwähnte ich schon das eine von Hans
Meyer. Es find noch hinzuzufügen ein Kirchen-
interienr von Edeline Karbiner mit guter Be-
obachtung des einströmenden Sonnenlichtes, ein
ranmtiefes dämmeriges.Hofinnere mit Schafherde
von Alfred Qu eck und ein in altmeisterlicher
Brauit - Manier gemaltes Bibliothekzimmer von
.Hermann Graf.
Recht bescheiden erscheint bei den .Hessen das
Stilleben vertreten, namentlich tvenn man etwa
die glänzenden Leistungen Berliner und Dresdener
Künstler zum Vergleiche heranzieht. Immerhin
darf hier, ganz abgesehen von dem frischen, präch-
tigen Hortensienstück des Kasselers Fritz Rhein
(der zur Berliner Sezession gehört), auf die Ar-
beiten von Maria Ihlee, Frieda Koeppel, Ed-
mund Schaefer und Earl Doerbecker, Marburg,
aufmerksam gemacht werden.
Sehr interessanten, ja bedeutenden Leistungen
begegnet man ans dem Gebiete des Porträts. .Hier
find es besonders die neuen Kräfte der Kasseler
Akademie, die sich hervortun, an ihrer Spitze Hans
Olde mit einem Meisterwerk impressionistischer
Bildniskunst, dem „Alten Herrn im Schnee", und
221
dem Porträt einer Dame, die in grauem Seiden-
kleide vor einem Hause steht. Die Charakteristik
ist von packender Unmittelbarkeit, das „Imposante"
dieser Frau als hervorstechendstes Merkmal ihrer
Erscheinung in geschickter Weise betont durch die
Art, wie sie in den Raum gestellt ist und durch
die als .Maßstab im Hintergründe angebrachten
Figuren. Etwas von der Frische des schöpferischen
Moments spricht auch aus dem mit einfachen
Mitteln gemach-
ten Selbstporträt
von Johannes
Valett. Die bei-
den andern Bild-
nisse von seiner
Hand reichen an
dieses nicht ganz
heran. Kurt Hei-
necke zeigt eine
junge Dame mit
rotem Hut. Die
Farbe spielt da-
bei aber durchaus
nicht die Rolle,
die man nach
dieser Bezeich-
nung vermuten
könnte; die Spra-
che dieses Werkes
ist vielmehr we-
sentlich eine
Sprache der Lini-
en und sparsam
modellierter Flä-
chen. Im Gegen-
satze dazu strebte
Edmund Schae-
fer („Bildnis
eines Polospie-
lers") mit gutem
Gelingen nach
dem Reize einer
originellen,
aparten Farbenkombination. Desgleichen Walter
Schliephacke in seinem räumlich ausgezeichnet
komponierten, auf den Akkord Blau - violett-
grün gestimmten Damenporträt. Etwas gewaltsam
erscheint der dekorative Kolorismus, den Carl
Carl Bantzer. Hessische Dauernbraut.
(Nach einem Gemälde in der Deutschen Kunstausstellung Kastei 1913.)
Heine pflegt. Doch ist es interessant, wie er seine
lebhaft kontrastierenden großen Farbenflächen
innerhalb des Bildraumes ins Gleichgelvicht zu
bringen sucht. Am bemerkenswertesten scheint mir
der geschickte Aufbau der drei Frauenakte. Bon
Hermann Knackfuß sicht man den schon bekannten
jungen Skiläufer, von Ernst Odefep ein recht
lebendiges, aber in der Beobachtung des Räum-
lichen vernachlässigtes Selbstporträt, von Georg
Burmester eine
tüchtige impressi-
onistische Arbeit
„Großmutter" u.
ein monumen-
tal - dekoratives
Gemälde von go-
belinartiger Wir-
kung, „Badende
Frauen am Ar-
no" Die leben-
dige Organisie-
rung der großen
Fläche, d e straffe
Bindung eines
erheblichen Lini-
en- und Formen-
reichtums zu
einer Einheit sind
die Hauptquali-
täten dieser
ernsten künstle-
rischen Leistung.
Ferner erwähne
ich noch die nicht
ohne liebevolle
Vertiefung in in-
dividuelle Einzel-
heiten gegebenen,
in der Farben-
wahl recht ge-
schmackvollen
Porträts von
Margarete von
Hüllessem und Charlotte Frederking und darf
zum Schlüsse wohl feststellen, daß — nehmt Alles
nur in Allem — die Malerei der Hessen im
Rahmen dieser Ausstellung recht gut besteht.
(Schluß folgt.)
Wie Karl Aberding die Heimat fand.
Novelle von Lotte Gubalke. (Schluß.)
Karl Aberding hatte in diesen Tagen viel Arbeit
mit seiner Schuttabladestätte. Es ist keine Kleinig-
keit, des Unrates Herr zu werden, der sich seit
Jahrzehnten angesammelt hat. Und während er
den wüsten Grund ausschachten ließ, mußte er un-
ausgesetzt an Cöleste Hildenhagen und seine karge
222
Kinderzeit denken. Diese Zeit war karg aber
sie hatte ihn stark gemacht für die Widerwärtig-
keiten seines späteren Lebens. Und die hellen und
schönen Stunden jener Zeit kamen von seiner Mutier
und einem Kinde, das noch ärmer war. Und wenn
er sein Haus just auf diesen Hügel baute - ober-
halb dieses wüsten Platzes - so geschah das, um
dieser hellen freudvollen Stunden willen, die ihm
die Heimat trotz aller Not zum Paradies gemacht
halten, das er zurückgewinnen wollte.
Cölefte wäre die einzige gewesen, mit der er von
diesen Dingen hätte reden können. Ihm war,
als ob er mit ihr das Schöne im Leben verloren habe.
Aber sollte es denn wirklich niemand geben, der
— wie seine Mutter — das Holdselige in sein
Leben trug?
Er raffte seinen Stolz zusammen und versuchte
es, über Cölefte hinwegzukommen.
Der Bürgermeister machte ihn mit den jungen
Damen der Gesellschaft bekannt. Das waren, im
Grunde genommen, alles alte Bekannte, mit ihren
jungen Töchtern, die ehemals über seine erfrorenen
Hände und seinen fleckigen Rock gelacht hatten,
als er noch bei Herrn Challier Kolonialwaren abwog.
Eine jede brachte ihm Hochachtung und Interesse
entgegen und klagte und fragte und tat, als ob
er der Mann sei, der Lenzrode zu einen neuen
Auffchwung bringen würde. Sie fanden alles, was
er tat, bemerkenswert und bewunderungswürdig,
und die Mütter sagten ihm, daß er ein Vorbild
für ihre Söhne sein sollte.
„Sie sollten Ihre Lebensschicksale in ein Buch
fassen und sie herausgeben. Ihre Mitbürger ver-
langen danach, Ihren Werdegang kennen zu lernen",
sagte Fräulein Thekla Helfrich.
„Sie müssen uns Ihr soziales Programm ent-
wickeln — Sie haben doch eins? Wie denken
Sie über das Frauenstudium? Soll die Frau
denken, eine Stimme in der Gemeinde haben im
Gegensatz zu den alten Kulturen?" wollte Berta
Schneidewin wissen.
„Erzählen Sie uns, bitte, von der gigantischen
Schönheit der westindischen Natur, von den Kolibris
und den Häusern, die ganz in Blumen gehüllt sind,
von der Farbenpracht des Meeres und dem Glanz
des südlichen Sternenhimmels", bat Emmchen
Hupfeld.
Er sagte: „Meine Lebensschicksale sind mein
eigenstes Eigentum, ich kann sie denen nicht preis-
geben, die niemals daran dachten, als ich noch
auf steilen Wegen ging, mir ein gutes Wort zuzu-
rufen. Ein soziales Programm habe ich nicht;
die Frauen wünschte ich allezeit so wie meine Mutter
war: Nothelferinnen, Vergolderinnen des Welt-
elends sollen sie sein. Gewiß müssen sie denken
— aber mit dem Herzen. Schön kam mir die
Fremde nicht vor, denn in eben dem Maße, als
alle Vögel und Blumen bunter und alle Früchte
süßer waren, schien mir auch das Ungeziefer giftiger,
größer und bissiger zu sein."
Da wandten sich die jungen und die reifen
Damen von ihm ab und nannten ihn einen Empor-
kömmling, mit dem nicht gerechnet werden könne.
Karl Aberding hatte ein Haus, aber er hatte
die Heimat noch nicht zurückerobert; das kam ihm
klar zum Bewußtsein, als auch der Schmuckplatz
mit dem Springbrunnen fertig war.
Fast wäre er verzagt, aber dann wachte sein
zäher Wille wieder mit aller Stärke auf. Er hatte
zwanzig Jahre lang um die Heimat gerungen und
Niedrigkeit und Hunger für nichts erachtet -
und nun sollte es ihm nicht gelingen, Cölefte zu
gewinnen?
Für was gewinnen? Er erschrak selbst, als er sich
klar machte, daß er sie zu seiner Gefährtin machen
wolle. Er rechtfertigte es mit dem Stückchen Brot,
das sie ihm zum Abschied gab, und machte die
Drangsale der Fremde dafür verantwortlich, daß
es ihm abhanden gekommen sei.
Es war an einem sonnigen Novemberlag. Über
Nacht hatte der Frost den zähesten Blüten - den
braunen und gelben Dahlien und den Reseden —
den Garaus gemacht. Sie hingen die Köpfe, und
das Laub fiel zu Boden, wie von unsichtbaren
Händen abgestreift. Er ging auf einem Umweg
nach Cölestes Haus und fand, daß die Schlehen
an den dornigen Hecken über Nacht süß geworden
waren, und er mußte unwillkürlich an des Schleh-
dorns bräutlich weißes Gewand im Frühling denken.
Ein Mädchen, das Cölestes Haus bewachte, sagte
ihm, Frau Prätorius sei zu Markt gegangen. Eq
erklärte, daß er sie erwarten wolle.
Das Mädchen schloß Herrn Aberding die Haus-
tür auf und bat ihn, einzutreten. Er stand in dem
Zimmer, das ganz nach Hinrich Prätorius aussah.
Von der Decke herab hing ein Schiffsmodell, und
auf den Borden ringsum standen und lagen Ge-
schirre und eingetrocknete Früchte aus fremden
Ländern. Fromme Bilder hingen an den Wänden,
just über dem schwarzledernen Kanapee — das
von Iairi Tochter. Blumen, die vor dem Frost
bewahrt waren, blühten auf den Fensterbänken.
Er hielt es keine drei Sekunden in diesem Raum
aus, in den seiner Ansicht nach Frau Cölefte nicht
hineingehörte. Er trat auf den Hausehren zurück
und ging auf den Hof. Dort fand er gackernde
Hennen und eine weiße Katze auf dem niedrigen
Mäuerchen in der Herbstsonne. Er setzte sich auf
die Bank neben dem Weinspalier und wartete.
Ihm erschien es wie eine Ewigkeit. .
««KL» 223 ««KL»
Endlich hörte er Cölestens raschen Schritt, ihre
Stimme und den Bescheid des Mädchens.
Er horchte ängstlich hin. Was würde sie ant-
warten? Sie schwieg, und als es ihm zu lange
dauerte, bis sie ein Zeichen von sich gab, stand er
auf und fand sie gegen den Türpfosten gelehnt,
gelähmt von dem Unerwarteten.
„Frau Prätorius," bat er kleinlaut, „kommen
Sie, bitte, nur noch einmal mit auf die Stelle, wo
,Schutt abgeladen' werden durste. Der Platz ist
ein sauberer Garten geworden, aber ich erblicke ihn
in einem aschgrauen Licht; vielleicht finden Sie mir
eine bunte Glas-
fcherbe, durch die
ich ihn in freund-
licheren Farben
schimmern sehe."
„Was gibt
Ihnen das Recht,
mich mit solchen
unangebrachten
Scherzen zu ver-
höhnen?" fragte
Cöleste mit flam-
menden Augen.
„Sie wissen
ganz genau, daß
ich nicht scherze,
Frau Prätorius,
Sie wissen ganz
genau, daß ich
Gold erst mit
Ihnen zusammen
finden kann, es
wäre denn - Sie
hätten es bereits
mit einem andern
gefunden das
Gold, dessen
Glanz durch kei-
nen Hauch getrübt
werden kann'"
Cöleste war hinaus in den Vorgarten gegangen,
er folgte ihr.
„Wahrheit macht frei und sicher, Karl Aberding '
Können Sie leugnen, daß ich zwanzig Fahre nicht
für Sie auf der Welt war?"
Er schüttelte den Kopf. „Sie standen sicherlich
wie die Sonne am Himmel, auch wenn sie Wolken
verhüllten' Haben Sie nie graue Tage verlebt,
an denen Sie ganz vergaßen, daß es eine Sonne
am Himmel gibt, die Glück und Leben zu ihrer
Zeit spendet?"
„Nein, ich habe niemals und nimmer vergessen,
daß" -
Sie konnte nicht weiterreden, denn sie konnte
nicht lügen. Sie hätte sagen müssen: „Daß Du
mir das Gold mitbringen wolltest» und daß daran
für mich Glück und Leben hing."
„Wenn Du doch den Satz vollenden wolltest,
Cöleste' Ich muß heute erfahren, ob ich fürder
hier eine Heimat habe oder nicht."
„Und das soll von mir abhängen?" fragte sie bitter
spöttisch.
„Du gabst mir
schon einmal Brot,
das mich vor
Heimweh schützen
sollte, denn es
war aus Korn
gebacken, das auf
unserem Boden
reifte. Nur Du
kannst mir die
rechte Heimat-
freude geben, weil
Du mein Jugend-
land kennst."
Seit vielen Jah-
ren hat Cöleste
Prätorius wieder
geweint an die-
sem November-
morgen.
Und Karl Aber-
ding hat es ver-
standen, ihre Trä-
nen zu trocknen.
Er gab nicht nach.
Sie mußte noch an
diesem Morgen
mit ihm nach dem
Frauenberg und
zu dem umgewandelten Schuttplatz kommen.
Als sie vor dem Springbrunnen standen, der
seinen silbernen Strahl geradeswegs in die Sonne
zu senden schien, zeigte Cöleste auf den siebenfarbigen
Lichtstreifen, der sich in ihm brach.
„In seinem Licht wollen wir das Leben be-
trachten."
„Ich habe die Heimat, weil ich Dich habe, Cöleste,
die mit dem Herzen denkt'"
Gtto Ubbelohde. Melibocus.
(Nach einem Gemälde in der Deutschen Kunstausstellung Kastei 1013 )
*«£6 224
Erntezeit.
Durch segenschweres, reifes Ährenfeld
Girrt fanst der Senfe Singen hin und wieder;
Da sinken müde Garben, fruchtgeschwellt,
Und drüber hin erklingen Erntelieder.
Noch wenig Tage Zulisonnenbrand,
Da führt der Bauer seine starken Wagen
Hin auf sein banges, frohes Ernteland,
Dah sie den Segen in die Scheunen tragen.
Kassel.
Mit frohen Armen schaffen Dirn und Knecht.
„$u stolzer Bursch!" — „Du mit dem roten Mündchen!"
„Hast mich auch wirklich lieb?"—„Bin ich Dir recht?"
„Gelt Du, nachher!"— „Dann tanzen wir ein Stündchen!"
Bei Weib und Kind der Dauer steht am Tor,
Blickt auf des letzten Wagens schweres Wanken,
Dann auf die Seinen hin und dann — empor
Und spürt sein Sorgen — Schaffen — freuen — Danken.
Gottfried Buchmann.
Aus Heimat
Historische Kommission fürHessen und Waldeck.
Dem 16. Jahresbericht über die wissenschaftlichen Unter-
nehmungen der Kommission entnehmen wir folgendes:
Fulda er Urkunden buch. vr. Stengel hat mit
Druck einer ersten Lieferung begonnen und ihn soweit
gefördert, daß die Ausgabe gegen Schluß des Sommers
wird erfolgen können. Sie wird die Urkunden aus der
Zeit des ersten Abtes (bis 779) enthalten. Zur Entlastung
der Einleitung und zugleich als wertvollen Ertrag der
Publikation hat vr. Stengel eine demnächst im Archiv
für Urkundenforschung Bd. 5 erscheinende Abhandlung ver-
faßt, die die ältesten Urkunden des Klosters Fulda be-
handelt. — Chroniken von Hessen und Waldeck.
Der zweite Band. der die Klüppel'sche Chronik, bearbeitet
von vr. Jürge« in Wiesbaden, die Aufzeichnungen von
TrygophoruS. bearbeitet von Prof. Leiß in Wiesbaden,
und die Flechdorfer Chronik, bearbeitet von Archivar
1)r. Der sch in Posen, enthält, wird im Herbst erscheinen.
— Oberlehrer F. Jülicher in Ohligs, der für den
dritten Band die Herausgabe der chronikalischen Werke
deS Johannes Ruhn von Hersfeld übernommen, hat die
Vorarbeiten fortgesetzt. — Landgrafenrege st en. Ar-
chivrat vr. Rosenfeld hat seine Sammlungen für die
Zeit bis zum Jahre 1413 sowohl aus dem Marburger
wie aus auswärtigen Archiven wesentlich ergänzen können.
Insbesondere haben ihn die staatlichen Archive in München,
Darmstadt und Würzburg durch Zusendungen unterstützt.
Außerdem hat er die Archive in Frankfurt a. M. Büdingen
und Lich besucht und das in ihnen für die Landgrafen-
regesten in Betracht kommende Material auch für vr. Arm-
brust durchgesehen und verzeichnet. — vr. Armbrust
in Berka, der die Regesten des Landgrafen Ludwig I
(1413—1458) bearbeitet, hat im verflossenen Berichtsjahr
die Archive in Rudolstadt. Magdeburg. Braunschweig.
Hannover und Düfleldorf besucht und in Weimar Sendungen
aus mehreren andern Archiven erledigt. Auch in Marburg
hat er längere Zeit gearbeitet, und es wird dort nur noch
weniger Wochen bedürfen, um den Rest zu bewältigen.
Eine Anzahl weiterer Archive ist noch zu benutzen, eine
größere Ausbeute aber nur in Darmstadt, Frankfurt und
Würzburg zu erwarten. - Wetterauer Reichsstädte.
Oberlehrer Dreher ist durch amtliche Obliegenheiten und
durch den Umzug deS Archivs in Friedberg schwer belastet
gewesen. Dafür hat der Umzug und die Ordnung des in
Darmstadt befindlichen Archivs der Burg von Fricdberg
eine Fülle von Nachträgen, auch zum ersten Bande, zu
Tage gefördert. Er gedenkt im Herbst d. I. mit dem
Druck des zweiten Bandes des Friedberger Urkundenbuchs
zu beginnen. — Münzwerk. vr. Buchenau in
München hat, behindert durch amtliche und sonstige Arbeiten.
und fremde.
fortgefahren, gelegentlich auftauchendes hessisches Material
zu beschreiben und seinen Sammlungen einzuverleiben.
— Quellen zur Geschichte des geistigen und
kirchlichen Lebens, vr. So hm hat die Arbeit im
Marburger Staatsarchiv rüstig gefördert und hofft im
Laufe des kommenden Jahres nach der Durchficht aus-
wärtiger Archive, wie Darmstadt und Wiesbaden die
Sammlung des Materials beenden zu können. Es soll
für die Veröffentlichung in zwei Abteilungen zerlegt werden,
deren erste Lehre und Leben, die zweite Kirchengut und
dessen Verwaltung behandeln wird. Jede Abteilung wird
voraussichtlich zwei Bände erfordern. Den Stoff des ersten
Bandes der ersten Abteilung hofft der Bearbeiter binnen
Jahresfrist abgeschlossen zu haben. — Klosterarchive.
a) Werraklöster. Stadtarchivar vr. HuySkenS ist im
vergangenen Jahre durch amtliche und sonstige neue Ver-
pflichtungen behindert worden. Register und Einleitung
des textlich fertig gestellten Bandes abzuschließen. Er
gedenkt jedoch nunmehr die Arbeit soweit zn fördern, daß
der Band noch im Laufe des Jahres erscheinen kann.
b) Kasseler Klöster. Archivasfistent vr. Schultze hat den
Druck des Textes abgeschlossen und hofft Einleitung und
Register so rasch zu fördern, daß der Band zum Jubiläum
der Stadt Kassel ausgegeben werden kann. — Kloster-
lexikon. Archivrat vr. Derfch in Posen wird das
Manuskript im Herbst in den Druck geben. Dagegen ist
er an seinem jetzigen Wohnort vorläufig nicht in der Lage,
die Arbeit für die Beiträge zur Vorgeschichte der
Reformation in Hessen und Waldeck zu Ende
zu führen. — Sturio's Jahrbücher der Neustadt
Hanau. Professor vr. H e r a e u 8 in Offenbach glaubt,
daß ihm seine sonstigen Arbeiten die Ausführung unmöglich
machen werden. Er gedenkt der Kommifion einen andern
Bearbeiter vorzuschlagen. — Hessische Behördenor-
ganisation. Stadtarchivar vr. Gundlach in Kiel
hat das Dienerbuch im wesentlichen fertig gestellt und hofft
den zweiten Teil, der den BehördenfchematismuS enthalten
soll, im Laufe des kommenden JahreS abschließen zu können.
— Hessischer Lehens st aat. Archivar vr. Knetfch
hat die Arbeit, um anderer Verpflichtungen willen, nur
in geringem Umfange weiter führen können. — Quellen
zur Rechts- und Verfassungsgeschichte der
hessischen Städte. Archivrat vr. K ü ch hat den Text
des Bandes Marburg soweit gefördert, daß er voraus-
sichtlich vor Ablauf des Geschäftsjahres wird in den Druck
gehen können. — Hessische Urbare. Oberlehrer
vr. Ähren8 hat infolge dienstlicher Inanspruchnahme
für die Ziegenhainer Urbare nur geringe Zeit erübrigen
können, und ebenso ist auch ProfessorFrh. von derRopp
nicht dazu gelangt, für die Herausgabe des Oekonomischen
r««L, 225 s-s«L»
Staate« Landgraf Wilhelms IV. andere al« literarisch«
Vorarbeiten zu unternehmen. — Darstellungen und
Quellen zur Geschichte Philipp« de« Groß-
mütigen. Professor vr. Heidrich in Frankfurt a. M.
hat die Bearbeitung der »hessisch »bayerischen Politik bis
zum schmalkaldischen Kriege"' eifrig gefördert und die ein-
schlägigen Akten de« Marburger Staatsarchivs im wrsent-
lichen erledigt. — Ortslexikon. Geh. Archivrat vr.
Reimer hat die Arbeiten an dieser Publikation wieder
aufgenommen. — In den Sitzungen der an dem Histo-
rischen Atlas für Hessen. Nassau usw. beteiligten Kom-
missionen hat General Eisen traut die Kommission für
Hessen und Waldeck vertreten. Die Karte für das Jahr
1793 und der Text dazu werden in diesem Jahre druck-
fertig werden. _____________
Hessischer Geschichte verein. Die Mitglieder-
versammlung am 7.. 8. und 9. August d. I«. in Hom-
berg a. Efze hat folgendes Programm:
Donnerstag. 7. Aug ust. 4'/, Uhr nachm. Sitzung
des Gesamtvorstandes im Hessischen Hof. 8 Uhr abends
Vereinigung der Mitglieder und Gäste im Deutschen Kaiser.
Freitag. 8. August. 9'/. Uhr morgens Mitglieder-
versammlung im Stadtpark. Ansprachen. Vorträge, Ge-
schästliches. 12 Uhr Frühstück daselbst. 1 Uhr Besichtigung
der Stadt und der Evangelischen Kirche. 4'/, Uhr nachm.
Versammlung auf dem Ptarktplatze zum Aufstieg nach dem
Schloßberg und der Ruine. 6 Uhr abends Festessen im
Hessischen Hof. woselbst abends Tanz. Sonnabend.
9. August. Bei günstiger Witterung: 9 Uhr morgens
Versammlung auf dem Marktplatze zum Abmarsch über
die Sauerburg und den Mosenberg (1 */* St.) nach Hebel
(1 St.), wo in der Wirtschaft Löffert kalte Küche und
Getränke bereit stehen. Von dort nach Bahnhof Wabern
bzw. Homberg. Wagen stehen für den Ausflug zur Ver-
fügung. Bei ungünstigem Wetter: 9"' morgens Bahnfahrt
von Homberg nach Treysa zur Besichtigung der Stadt.
12 Uhr gemeinsames einfaches Essen im Gasthof zur Burg.
Anmeldungen der auswärtigen Teilnehmer zur Unter-
kunft in Homberg find bis spätestens 1. August an Steuer-
Inspektor Georg daselbst zu richten. In den dortigen
Gasthöfen stehen wenige, in den Bürgerhäusern zahlreiche
Wohnungen zur Verfügung. Auskunft über bestelltes Unter-
kommen in Homberg wird bei Ankunft im Bahnhof und
im Hessischen Hof erteilt. Der Verkauf der Festkarten und
Feslabzeichen findet nur im Hessischen Hof statt. Gäste,
----------
auch Damen, find bei allen genannten Veranstaltungen
herzlich willkommen. —
Der Bericht aus Marburg erscheint in der nächsten Nummer.
Ehrungen. Die Stadt Hersscld ließ am Geburts-
hause ihre« Ehrenbürger«, des Wirkt. Geh. Oberregierungs»
rateS F r a n z UI r i ch eine Gedenktafel in Marmor anbringen.
Gleichfalls ein marmorne Gedenktafel ließ der Magistrat
in Großalmerode am Geburtshause de« dort 1861 geborenen
Schriftstellers Pfarrer v. Wilhelm Speck anbringen.
Eine weitere Ehrung erfuhr Speck kürzlich dadurch, daß
der Meißnerverein am Dohlbrunnen in Orferode, wo Specks
-Joggeli" spielt. Tisch und Bank mit entsprechender In-
schrift aufstellen ließ.
Au« Marburg. Hier wurde auf Veranlafiung von
Profesior vr. Elster eine Ortsgruppe de« Deutschen
Germanisten-Verbande« begründet. Hier in Mar-
burg wird auch am 29. September die erste Tagung de«
Verbandes stattfinden, besten Ziel es ist. die Kenntnis alles
besten, wa« deutsches Wesen ist in Geschichte. Kunst und
Leben, zu bereichern und zu verbreiten. — Bei den Arbeiten
für die Wasserleitung nach Schröck fand man in der Nähe
des Elisabethbrunnrns eine alte Brunnenanlagr. die der
Überlieferung nach der eigentliche Elisabethbrunnen gewesen
sein soll. Näheres über den interessanten Fund steht noch
nicht fest. _____________
Au« Alsfeld. Beim Abschlagen der Empore im süd-
lichen Seitenschiff der Walpurgiskirche kamen in den Brettern
des Fußbodens Reste eines mittelalterlichen Bildes zutage.
Es sind zwei zweiseitig bemalte Bretter, wohl von der Tür
eines Altarbildes. Auf der einen Seite, die nach unten
gelegen war. ist die auf Leinwand hergestellte, auf Goldgrund
angebrachte Malerei ziemlich gut erhalten. Sie stellt an-
scheinend Maria dar. umgeben von den sie verehrenden
Aposteln, von denen noch acht zu erkennen sind. Ans der
anderen Seite war das Bild unmittelbar auf Holz gemalt.
Diese Seite diente als Fußboden; so ist die Mitte des
Bildes völlig zertreten. Es stellte den Verrat des Judas
dar. Zu erkennen sind noch Gesicht und Gestalt des Herrn
und die Gestalt des Judas. Auf dem andern Bild steht
ein bärtiger Knecht mit einer langen Lanze. Der Charakter
des Bildes stimmt mit den am Anfang de« 16. Jahrhunderts
gemalten alten Gemälden im Chor überein. Über die
Kunstverachtung einer Zeit die wertvolle Gemälde als
Fußboden benutzte, kann man nicht genug staunen.
«------------
Hessische Vücherschau.
Entstehung und Bedeutung hessischer
Sagen. Von Carl Hehler. Dassel. (C. Vie-
tor) 1912.
Die kleine Schrift macht den dankenswerten Versuch,
systematisch Entstehung und Bedeutung unsrer Sagen
aufzuzeigen. Ten Ergebnissen, zu denen sie gelangt,
wird man im allgemeinen zustimmen dürfen. So sind
>vir mit ihr der Ansicht, daß der Odenberggeist trotz
seines Beinamens Quinte oder Quintes nichts mit
Mari V., letztlich auch nichts mit dem großen Franken-
könig .(larl zu tun hat, sondern daß hinter dem klart
Quintes des niederhessischen Berges der Riesenschatten
Wodans aufsteigt. Von hier ab freilich müssen wir eine
Auffassung vertreten, die von der Heßlers grundsätzlich
verschieden ist. Wir sind der begründeten Ansicht, daß
die verhältnismäßig jungen Gebilde der eigentlichen
Götter, so wichtig sie für das politische Leben der
Germanen waren, nur wenig tief in die religiöse An-
schauung des Einzelnen eingedrungen sind. Als Volks-
und Hausreligion und damit in stärkster Einflußnahme
auf die Sagen bildung haben sich vielmehr ihnen
gegenüber die älteren Schichten der religiösen Entwicke
lung, der Seelenglaube und der aus ihm erwachsene
Glaube an die Elben und Riesen, behauptet. Der Mari
Quintes des Odenberges ist daher für uns nicht der
noch dazu jüngste aller Götter, Wodan, der nun,
wie Heßler will, mit sämtlichen Göttern und Göttinnen
in den Odenberg zieht, sondern sein riesisch-elbischer
Ahne, der Sturmriese Wodan oder Wade, der die Toten,
d. h. die leiblos gewordenen Menschenseclcn führt, der
im Sturm, vor allem aber in den heiligen Zwölfnächten
mit ihnen durch dle Lüste rast, um dann mit dem ganzen
wilden Heer wieder in einen Berg — die Berge sind
einer der gemeingermanischen Hauptausenthaltsortc der
Seelen — einzuziehen. Derselbe Sturmriese, nicht der
(Mott, ist für uns auch der Urgrund des Glaubens an
226 S«S«L-
den „wilden Jäger", der in ganz Hessen, vor allem aber
im Bereich des Bogelsberges, so viele Sagen erzeugt
hat. Man könnte dieser Auffassung die Frau Holle in
ihrer Bedeutung für die hessische Sage entgegenhalten.
Indes auch Frau Holle ist sür uns wie für andere nicht,
wie Heftler >vill, eine „Göttin", sonder nur ein elbisches
Wesen, das allerdings im Begriff steht, sich über den
ungeheuren Schwarm seiner Genossen zu erheben und
am iveiteren ''Aufsteigen ivahrscheinlich nur durch das
Eindringen des Christentums gehindert worden ist.
Selbst im Volksglauben der Nordgermanen haben die
(Götter trotz der ihnen hier gewährten längeren Frist —
diese Überzeugung ringt sich immer mehr durch — durch-
aus nicht den früher angenommenen tiefgreifenden Ein-
slust geübt. Vielmehr sind auch die nordischen Götter-
sagen nicht Volks-, sondern Kunstgebilde. Mit dieser
grundsätzlichen Auseinandersetzung soll selbstredend nicht
der Wert der fleistigen Arbeit Hehlers herabgesetzt
»verdeu. Im (Gegenteil, wir glauben, das; die kleine
Schrift, wenn in weitere Streife dringend, sehr geeignet
ist, das Interesse für unsere Volkssagen zu steigern und
ihr Verständnis zu fördern.
Kassel. Prof. Heinrich Iran z.
v. Loßberg. Offizier-Stammliste des Füsilier-
Regiments von Gersdorf f(Kurhessi scheu) Nr.80.
1813-1913. 155 S. Berlin (Mittler L Sohn) 1913.
In schmuckem Gewände tritt das erste der geschichtlichen
Werke an die Öffentlichkeit, die wir aus Anlast der hundert-
jährigen Jubelfeiern der kurhessischen Regimenter zu er-
warten haben. Mit außerordentlichem Fleiße und großer
Sorgfalt hat der Verfasser die Biographien sämtlicher den
kurhrssischen Regimentern Garde und Gardegrenadiere von
1813 bis 1866 und dem preußischen Füfilierregiment Nr. 80
von 1866 bis 1913 ungehörigen Offiziere und Zahlmeister
zusammengestellt und damit nicht nur einen wertwollen
Beitrag für die Geschichte dieses Regiments, sondern auch
für die Familiengeschichte Kurhesiens gegeben. Eine Stamm-
tafel des Regiments bildet eine sehr erwünschte Beigabe.
Wir können das Buch nicht nur den alten Gardisten und
Achtzigern, sondern allen Freunden hessischer Heeresgeschichte
warm empfehlen. 'War.
Kurhessische Regimenter. Bekanntlich begehen
die ehemals kurheffischen Regimenter (80—83. Husaren 13
und 14 und Feld-Artillerie 11) in diesem Sommer die
Hundertjahrfeier des Tages, an dem ihre Stammtruppen
nach drückender Fremdherrschaft in ihren alten Standorten
wieder zusammengetreten find. Aus Anlast der bevor-
stehenden Feier hat der bekannte Niederstesfische Postkarten-
verlag von C. Heller in Hessisch-Lichtenau eine neue Post-
kartenreihe mit Darstellungen der vorerwähnten Truvpenteile
herausgegeben, die bis zur Gründung der althessifchen
Stämme zurückreichen und so ein lebendiges Bild ihrer
ruhmreichen Vergangenheit bieten, umsomehr, als auf der
Vorderseite der Karte zugleich eine Ruhmestafel mit den
Namen der größeren Schlachten und Gefechte gegeben wird,
an denen die betreffenden Truvpenteile ehrenvollen Anteil
hatten. Die Darstellung des Regiments 80, der Husaren
und des Artillerieregiments umfassen je 2. die der übrigen
Regimenter je 1 Karte. Die neue Postkartenreihe wird
sicher allen und im besonderen auch den früheren Ange-
hörigen kurhessischer Truppenteile sehr wertvoll sein und
zu ihrem Teil zur Neubelebung der Regimentsgeschichten
beitragen. Druck. Farben und Text find sorgfältig aus-
geführt. Wir können die Karten daher bestens empfehlen. 8.
Personalien.
Verlieben: dem Geh. Baurat Goos zu Kassel und
dem Geh. Negierungsrat Wistell zu Marburg der Rote
Adlerorde» 3. Klasse mit der Schleife; dem Kataster-
kontrolleur Steuerinspektor B r i n k m a n n zu Rotenburg a. F.
und dem Vermessungsinspektor Landesökonomierat Förster
zu Kassel der Kronenorden 3 Klasse; dem Oberlandmesser
Ziege, seither zu Hanau. jetzt zu Marburg, der Rote
Adlerorden 4. Klasse; dem Spezialkommissions-Bureau-
vorsteher Obersekretär Jenisch. seither zu Hünfeld. der
Kronenorden 4. Kl.; dem Landgerichtsdircktor H e m P f i n g
und dem Landgerichtsrat R i n t e l n zu Kassel der Charakter
als Geh. Justizrat; dem RechtSanwalt und Notar Berlin
zu Schmalkalden der Charakter als Justizrat; dem Fabrik-
besitzer Konrod Schäfer zu Marburg und dem Fabrik-
besitzer Friedrich Rechberg zu Hersfeld der Charakter
als Kommerzienrat.
Erteiltr dem Generalsuperintendentcn D. Pfeiffer
die nachgesuchte Entlassung mit Pension zum 1. Juli d. I.
Ernannt: Pfarrer B ü h rm a n n zu Sprmgstille zum
Pfarrer in Exten; Pfarrer Witzel zu Rambach zum
Pfarrer in Fritzlar; Gerichtsaffessor B r u n s aus Rinteln
zum Amtsrichter in Zierenberg; Referendar Cramer
zu Kassel zum Gerichtsaffessor; Eteuersekretär Schmidt
zu Hersfeld zum Rentmeister in Ziegenhain; Aufseher
Rudi off vom 1. April d. I. ab zum Hilfsrestaurator
beim Hessischen Landesmuseum zu Kaffel.
Versetzt r Amtsrichter Hesse von Langenselbold nach
WeißenfelS; Oberförster S ch n ä d t e r von Raumburg nach
Büllingen; Regierungslandmeffer G i e d e von Limburg a. L.
nach Homberg; VermesiungSasfistent Via Ion von Lim-
burg a. L. in das geodätisch-technische Bureau der General-
kommission zu Kaffel.
Verlobt: Vergaffesior a. D. Eduard Siebert. Berg-
werksdirektor zu Mörs im Rheinland, mit Fräulein
Katharina Mejer zu Zellerfeld im Harz.
Geboren: ein Sohn: Hermann Brauer und Frau
(Marburg. 6. Juli); Katasterlandmesser Schneider und
Frau Nanny. geb. Mannteufel (Schmalkalden. 12. Juli);
Sparkassenkvntrolleur H. Eimer und Frau (Marburg); —
eine Tochter Professor Dr. Hohmeyer und Frau Agnes,
geb. Hassenpflug (Marburg); Professor Dr. O. Keller und
Frau Gertrud, geb. Rachwitz (Marburg. 6. Juli): Amts-
gerichtsrat Bücking und Frau Frieda, geb. Biskamp
(Kassel, 10.Juli); Oberleutnant v. Schoenfeldt und Frau
Maria. geb. Werner (Fritzlar. 10. Juli).
Gestorben: Oberlehrer und Pfarrer Karl Collman u
39 Jahre alt (Ciudadela. Mexico. 18. Juni): Hauptlehrer
Krapf. 50 Jahre alt (Ransbach. 3. Juli); Bürgermeister
Georg Friedrich Zissel, 57 Jahre alt (Wetter); Fräulein
Anna Köster. Lehrerin a. D. (Kaffel. 8. Juli); Lehrera.D.
Kantor Johannes Müller. 82 Jahre alt (Biedenkopf.
12. Juli); früherer kurfürstlicher Leibkutschrr Johannes
Schäfer, der älteste Veteran des II. Artillerie-Regiments.
90 Jahre alt (Wilhelmshöhe, 12. Juli); Frau Maria
Pinder, geb. Heffe. Gattin des ObrrregierungsratS,
60 Jahre alt (Kaffel. 13. Juli); Lehrer Georg Linde
(Kassel. 13. Juli); Kaufmann Ernst Otto. 72 Jahre alt
(Hersfeld. 16. Juli); verwitwete Frau Herwig, geb. Stein.
75 Jahre alt (Niederaula. 16. Juli); FabrikbesitzerEhristian
Wirth, 71 Jahre alt (Eitra. 17. Juli); Rentner Max
Seippel 63 Jahre alt (Marburg. 18. Juli); Frau
Dorette Zwirnemann. geb. Arnold. Witwe des Haupt-
manns, 70 Jahre alt (Kaffel, 18. Juli).
Briefkasten.
<5. in Hildesheim. 8. in Hersfeld. Dankend empfangen.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kaffel.
Heffenlanö
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 15. 27. Jahrgang. Erstes Auguft-Heft 1913.
Angedruckte Briese des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf
und des Grasen Ferdinand Maximilian!!. zu Vsenburg und Büdingen
wegen der Erbpachtung der Ronneburg.
Von Friedrich Wilhelm Fürst zu Isenburg und Büdingen.
(Fortsetzung.)
Hochgebr. Grast
Hochgeehrtester Herr Vetter
Wird Ew. Ld. bekannt seyn, daß der Amtmann
Schuchart sich gegen mich und andre herausgelaßen,
daß er sich von Herz zu Gott bekehren wolle, auch
davon mir und andern Spuren gezeiget, wenn nun
dieses so ist und bleibt, so ists gut, wo nicht, so
verlasse ich mich aus Ew. Ld., daß sie ihm nicht zulassen
werden, die von uns droben seyende 2 oder 3 Per-
sonen, die er selbst hinauf genöthiget, und die Ihm
ordentl. Zins geben wie andere, abermals auf die
Art zu tractiren wie mich, als der bloßen Ursache
weil ich ihm sein Geld von Gr. Wilh. nicht zahlen
könnte, ich halte also unmaßgeblich vor gut, wenn
Ew. Ld. die Gnade haben und dem Amtmann durch
ein gnädigstes rescript wiflen lasten wolle, daß der
Schulmeister Martin welches er ehemals hinauf ver.
langt habe unter Ew. Ld. protection stände, sie sich
deßfalls gnädigst gefallen ließe und wollen daß Ihn
Fr. Schuchart, dasselbe solle genießen lasten, es wird
solches entweder gleich, oder alsdann erst gut seyn
wenn sie ingrietiert werden, denn er hat, da ich ihm
vor dem Jahr nicht allen Willen machen konnte,
den Leuten heimlich verboten die Kinder in die
Schule zu schicken er ihnen mit fortjagen, ja Schläge
gedrohet. Ew. Ld. dienen hierunter nicht mir sondern
dem Heiland, der solcher armen Kinder ihr Hirte
ewig ist und gerne führt, wenn bei gelegenheit des
Spieles solcher bösen Buben, als dort von allen
Orten würckl. sind, ihre unschuldigen werden, somit
verharre Ew. Ld.
treuergebener Better u. Diener
gez. Zinzendorff.
nt in litt. 29. Apr. 1737.
?. 8. ich schreibe diesen Briest gerate wie ich zwar
sähe, daß ihn Ew. Ld. niemand als der Gemahlin
sehen ließen es ersührts der Amtm. sonst wieder,
u. ehe er uns etwas thut, wollte ich ihm nicht
gerne zuvor gelegenheit geben.
Hochgeb. Grast
Hochgeehrter Herr Vetter
Ich bin sehr verwundert, daß ich noch bis dato
ohne die geringste Antwort bin, daher ich auf den
Gedanken gerathe Ew. Ld. haben die idee geändert.
Ich gehe also fort, und überlaste Ew. Ld. ob sie
wsíí, 228
auf begehrende erklärung etwas an meine Gemahlin
wißen laßen wollen, oder nicht.
Ich verharre mit aller Consideration
E. Ld.
ergebenster Freund
gez. Zinzendors.
Üeberbringer Meinem Secretario können E. L.
Alles sagen und anvertrauen,
d. 13. April 1737.
Hochgebohrner Grafs,
Freundlich vielgeliebt und
Hochgeehrter H. Detter,
Sogleich wie der erste Plan wegen der Ronne-
burg durch den Ew. Ld. zuletzt überschickten gäntzl. aus
gehoben worden, also will ich mit heutiger Post
Ew. Ld. dießsallßige Erklährung meinem Herrn zu-
senden, damit derselbe die darinnen vorgekommene, und
vorhin zum theil' unbekannt gewesene Umstände in
Erwegung ziehen, und Ew. Ld. sofort das weitere zu-
wißen thun möge. Inzwischen bin ich an meinem Ort
Ew. Ld. verbunden, was Dieselben sich wegen des
Puncts der Wohnung aus der Ronneburg betreffende zu
Erklähren beliebet haben. Ich versichere dabey, daß
meines Herrns maximen gantz nicht ist einig gute
Ordnung in Geist oder Weltln. Dingen zustöhren,
wohl aber dieselbe aufs alle Weiß zubesördern.
Gestatten E. L. dann, wofern noch etwas aus dem
Ronneburger Vorhaben werden sollte, nicht nur
dieses, sondern auch sein erkenntl. Gemüth gegen
Ew. Lbd. im Werk darzulegen ohnermanglen wird.
Die ich übrigens, nebst meiner gehorsamen Emp-
fehlung an Dero Frau - Gemahlin Lbd., mit aller
Hochachtung vhnaußgesetzt Verharre.
Ew. Lbd.
Ergebenste Baaß
und Dienerin
gez. Gräfin Zinzendorff.
Frankfurtt am Mahn den 23. April 1737
Hochgebohrner Gras
Hochwertester Herr Better,
Die Sache mit der Ronnebg. hat durch Ew. Ld.
letzte erklärung ein Ansehen genommen, daß es
wenigstens vor dismal damit nicht zu stände kommen
kann, meiner eigentlich, absicht wegen werde ich mich
erst einmahl näher expectoriren, die sind gar nicht
so pressant noch bedenklich als es das Ansetzn haben
mag, sondern sie sind naturell, und entstehn aus der
Sache selbst. Die Offerte von 6000 rthlr. ist mir
vor mein ganzes Zuthun nicht in den Sinn ge-
kommen, vielmehr können all in Händen habenden
Briefe zeigen daß sie der Jud Eppstein an den
Amtmann noe. Ew. Ld. und dieser an mich schriftlich
gethan hat daß ich sie goutiret, kommt von einer
von mancher Seite vor romanesque, von mir aber
dem Sinne Christi gemäß geachteten Methode her,
die ich habe als interim sequerealitäten, durch aus eine
Sache näher zu besaffen, wenn zugleich der mit mir
contrahirende Theil nicht weiß noch selbst brauchen
kann, inzwischen wissen Ew. Lbd. zum Voraus
meine Gedanken dahin, daß mein Absehen aus die
Ronneburg so beschaffen gewest, daß Ew. Ld. davon
keine Behelligung hätten können zugewandt haben.
Denn unser Gewinn ist gar nicht im geringsten
einiger Kaution unterworfen, sondern offenbar alt-
evangelisch und dafür von beiden tbeolo^is ecclesiarum
erkannt, daß ich predige ist kein Irrthum, sondern
nur etwas neues, und daß mich Leute hören kommen,
um der Traurigkeit willen naturell. Ich würde aber
selbst gewiß da nicht gepredigt haben, denn was ich
eigentlich aus der Ronneburg will, kann ohne mich
verrichtet werden. Wenn Gott Segen giebt, die
vielen 1000 Schaafe, die keinen Hirten haben, die
jammern mich, und ihre Kinder hätte ich gerne zum
Heiland. Daß ist die gantze vüe, die ich habe,, die
Gegend ist angenehm, die Reparatur des Schlosses
nicht unmöglich und so wäre es mir zu einem Sommer-
besuch recht gewesen.
Eins finde noch nöthig hinzuzuthun, darnach will
ich schließen. Ew. Lbd. haben wegen Mainz nichts
zu befürchten, denn meine intention ist gar nicht
emigranten dahin zu ziehen, zu geschweigen, daß ich
mit dem emigrations Wesen schon seit einigen Jahren
nichts mehr zu thun habe und alle die darauf aus-
gesetzte auch wohl gedünkten Nachrichten lauter un-
gegründete Ideen sind, so ist der Emigranten Sinn,
nicht in das Land zu kommen, denn sie haben eine
andere retirade gesunden, die ihnen weiser ist. Ich
verharre mit aller herzlichen Ergebenheit meines
Hochcdl. H. Vetters
treu dienstergebener Vetter und Diener
gez. Zinzendorff.
Berlin am 29. Apr. 1737
Eine sehr unterth. Empsehl. an die Fr. Gemahlin
u. Cont. Schwester.
Oopia.
Des vom Amtmann ergangenen Schreibens an
mich, aus welches Martin Rohleder und Johann
Nitschmann nach der Ronneburg gesendet worden
sind.
pp.
Dieses Schreiben haben eigentlich die hiesigen
Kinder überbringen wollen welche auch schon auff
dem Wege gewesen und vom Satan wieder irre
gemacht worden sind, daß dann Überbringer dieses,
der Conrad mit mehrerem remonstriren kam. zu
welchem Ende er auch abgeschickt worden. Wie ich
dann hinsühro die Ronneburg zu E. p. Führung,
Ms«L- 229 *«*6
Verordnung und Vorsorge mit dieser hertzinnigen
Bitte anvertraue und empfehle, allen in ihrem
vesten Vorsatz sich wahrhaftig zum Heyland wendende
Seelen, durch treue Arbeiter und Arbeiterinnen „fort"
und gleicherweise durch gute Vorsorge und Arbeiter
derer Berufs Geschäffte p. erleichten p. zuhelsen.
Damit wir ruhig und in der Still unserem Heyland
dienen, unsern Beruff ertragen, und alles treulich
verrichten mögen.
Ronneburg d. andern gez. Otto Schuchart.
Xbr. 1736.
An den Grafen v. Zinzendors
nach Francksurt.
Copia des vom 21 Aprili.
Meine mit Hand und Siegel doppelt bescheinigte
Forderung (m. Gr. Wilh.) fält mit nicht weg, und
wird von mir und den meinig. gefordert und bringt
die Natur der Sache mit sich, daß ich in keine
Notierung mit der Ronneburg consentiren kann, ich
gestehe aber alle Zeit vest alles um des Heylandes
Wille aufzuopffern. gez. Otto Schuchart.
Concordale oviginalis bezeuge ich aus mein Träu
u. Glaube gez. Zinzendors.
Daß mir Endesunterschriebenen von Jhro Excellz.
dem H. Grossen von Wächtersbach an meine Gndgste
Frau Gräfin, durch einen Bothen ein Paget richtig
ist überliefert worden, ein solches wird hierdurch
bescheiniget.
Francksurt am Mayn den 20 ten Aprill. 1737
gez. Nitschmann
Secretari.
Daß nachstehende Declarationes des Amtmann
Otto Schuchards aus Ronnenburg nicht nur deßen
eigener Hand, wort für wort consorm, sondern auch
erst gestern Von ihm mündlich Bekräftiget worden.
Bescheinige Bey meinen Gräfl. wahren Worten, mit
Vorbehältlicher Vorzeigung der originalien
(C. S.) gez. Zinzendorff.
A.
Wie ich dann hinsühro die Ronneburg zu Ew.
Hochgräfl. Gnd.- Geist- und Leiblichen führung,
Verordnung und Vorsorge mit dieser Herhinnigen
Bitte anvertraue und empfehle p.
gez. Otto Schuchard.
Ronneburg d. 2. Xbr. 1736.
B.
Was nun mich anlanget, weilen ich weiß, daß
alles um des lieben Heyls. willen auf und mit der
Ronnenburg unternommen wird, so habe mich gegen
H. Rath Lauterbach Vor denen Brüdern erklähret,
alle Beförderung zu thun und gar im geringsten
nicht daran Veränderlich zu seyn, zumahlen da ich
Ew. Hochgräfl. Gnd. Intention mit der Ronnen-
burg weiß, und weil dieselben wißen und von mir
können versichert seyn, daß ich nach meinem jetzigen
Erkänntnüß, nicht wie diesen verwichenen Sommer,
aus eitelen und nichts Beytragenden dingen Bestehen
werde, so werden sie nun desto leichter mit mir
Übereinkommen können. gez. Schuchard.
Francksurt d. 24. Jan. 1737
An Jhro des H. Gr. von Zinzendorff.
Hgdn.
C.
Was ich wegen Cedirung der Ronneburg Unserem
H. Grasen geschrieben, und auch in die Hände ver-
sprochen, das ist feste, und hat meine Frau die art
und weiße, wie ichs an gnd. H. überschrieben, Voll-
kommen approbiret. gez. Schuchard.
Ronneburg d. 1 Febr. 1737
An H. D. Krugelstein.
1.
Weil ich eine affection auf die Ronneburg ge-
worfen und naturellement gerne gesälligkeit erzeige,
so Viel ich kann, so sollen mich die Conditiones
des Hn. Vetters Von Wächtersbach Lbd. nicht arre-
tiren, mit dem Vorschuß aber Von 9000 fl. ohne
Interessen werden sich der H. Vetter ein wenig ge-
dulten, weil ich das geld nicht baar liegen habe,
sondern erst anstalten darzu machen muß, ich will
aber wohl diese 9000 fl., wenn sich die Zahlung
über ein Jahr Verziehen solle, selbst mit 4 p. C.
Verinteressiren.
Ich hoffe aber auch daß alles ordentlich und ohne
Gefahr werde eingerichtet werden, weil ich bona
fide handle, und mir sehr unrecht geschähe, wenn
ich ex post erst umstände erführe, die ich zuvor
nicht gewust.
2.
Wenn schon ich selbst so gar Viel nicht hier seyn
dürste, weil aber doch von Zeit zu Zeit meine
Kinder (indem ich die Ronneburg für sie convenienter
finde, alß einigen ander ort, wenn sie zumahlen ein
wenig beßer aptiret wird) sich Viel Hier aushalten
dürften, so wünschte ich daß die Pacht-jahre so
determiniret würden, daß Wir nicht so schlechter-
dings aus dem Pacht gesetzet werden könnten, weil
es doch nur um deßwillen alß ein Pacht tractiret
wird, damit das Dominium directum dem Gräfl.
Psenburg. Hauße nicht entzogen 6t Spes recuperandi
übrig gelaßen werde, solle es gleich zu unsern Zeiten
nicht geschehen.
3.
Ohnerachtet alß ein freyer Herr auf der Ronne-
burg wie überall zu wohnen gedenke, und sonderlich
in Kirchen-Sachen diejenige Freyheit des Gewißens
praetendire die aus der Ronneburg Herkommens ist,
230 Sê-
in Specie aber ungehindert mein melier zu treiben,
nemlich Christum an die Hertzen der Menschen zu
bringen so werde ich doch allen den meinen was
das Dominium sminsn3 Betrifft dem Hvchgräfl.
Nfenburg. Wächtersbach. Hauße alle deserenz zeigen,
die sie von dem geringsten ihrer Unterthanen er-
warten, auch ihnen von allen Meliorationen so viel
sich immer thun laßen will das Ihre mitgenießen
laßen.
4.
Und wenn wir mit Herrschaft!. Conduite gegen
unß zu frieden zu seyn ursach haben, wie nicht
zweifele, so soll, wenn Wir und unsere Kinder ohne
Erben Versterben die Ronneburg nach resundirung
des bloßen Vorschußes oder auch wohl (mit dem
Beding daß alle gute anstalten in Statu quo bleiben)
ohne Entgelt) ans Wächtersbach. Hauß zurück fallen,
sie mag auch inzwischen so schön aptiret und melioriret
seyn alß sie will, weil ich mir ein Vergnügen mache
recht dankbar zu seyn, und mir nach mein und der
Descendenten Abgang niemand näher zu seyn achte
alß die Landes-Herrschaft.
5.
Ich bitte mir aber die endliche Resolution Vor
meiner Rückreiße nach Sachsen, welche in wenig
Tagen erfolgen wird, positiv aus, um wenn es allen-
falß nichts wäre meine mehsures annoch anderweit
zu nehmen.
Schloß Ronnenburg am 31 len Marly 1737
(L. 8.)
gez. Zinzendorfs.
(Fortsetzung folgt.)
--------------------
Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Von A. Worinaer.
Balten.
Der deutsche Adel der jetzigen baltischen Pro-
vinzen Rußlands sandte bis in den Anfang des
19. Jahrhunderts hinein seine Söhne meist auf
deutsche Hochschulen, und auch im deutschen Staats-
und Kriegsdienst sinden wir sie häufig. In Hessen
sind sie am zahlreichsten unter der Regierung des
Landgrafen Karl zu finden. Der Umstand, daß
Karls Gemahlin Marie Amalie. Prinzessin von
Kurland und Semgallen, ihrem Lande entstammte,
mag sie besonders zum Eintritt in den hessischen
Dienst veranlaßt haben. Jakob Friedrich,
Freiherr von Kettler. geboren zu Mitau
1655, war 1686 Oberstleutnant im oberrheinischen
Kreiskavallerieregiment, wurde 1689 als Oberst-
leutnantKommandeur der hessischen roten Dragoner,
1689 Oberst und Chef des bisherigen Dragoner-
regiments Nassau-Weilburg, 1691 daneben Ober-
hofmarschall, 1693 Brigadier und Chef der Garde
du Korps (bis 1730), 1700 Generalmajor und
neben seiner Stellung als Chef auch noch Kom-
mandeur der 1. Kompagnie der Garde du Korps,
17 November 1703 Generalleutnant. 1710 Chef
des bisherigen Regiments zu Fuß v. Baumbach
(bis 1717). Neben diesen Stellen war er auch
Staatsminister und Generalkriegskominissar. 1699
bis 1700 begleitete er den Landgrafen Karl nach
Italien. 1730 ging er in Pension und starb
1. Oktober 1735, 82 Jahre alt. Sehr zahlreich
vertreten finden wir die Familie von Korff.
Alexander Magnus von Korff war 1690
bis 1694 Kapitän im Leibregiment zu Fuß, nahm
1692 an der Verteidigung von Rheinfels teil und
wurde im März 1694 entlassen. Christoph
Gerhard von Korff war 1704 Leutnant in
der Leibgarde zu Fuß. 1705 und 1706 Kapitän
darin, wurde 1706 Major darin, nahm 1706
und 1707 an den Feldzügen in Oberitalien und
der Provence teil, wurde 14. Februar 1709 Oberst-
leutnant in der Garde. 21. November 1724 Oberst,
stand im Regiment Prinz Maximilian, wurde
1730 Chef des Regiments Prinz Ernst. Bei
dessen Reduktion 1731 erhielt er das bisherige
Regiment Oeppen. Er starb 1734. Heinrich
Neinhold vonKorsf wurde 27.August 1705
Fähnrich in der Garde zu Fuß, was er 1709
noch war. Auch er kämpfte 1706 und 1707 in
Italien und der Provence. Dies tat auch Johann
Heinrich Ernst von Korff, der 1705 Fähn-
rich in der Leibgarde zu Fuß war und 16. Sep-
tember 1707 Leutnant darin wurde. Otto Ernst
von Korff war 1709 Fähnrich im Regiment
zu Fuß v. Baumbach. Friedrich Gerhard
von Korff aus Zweren in Kurland wurde
6. Mai 1738 Leutnant im Regiment zu Fuß
Clement, war 1746 Kapitän im Regiment v. Mans-
bach. Er hatte am Rhein und in Bayern gefochten
und fiel 11. Oktober 1746 bei Rocoux?) Fried-
rich Wilhelm von Bistram war 1704 Fähn-
rich im Regiment Schöpping, 1706 Leutnant darin,
Friedrich Heinrich von Bistram wurde
1. Dezember 1705 Leutnant in demselben Regiment.
') Karl Ferdinand von Korff. 1742 Kapitän im
Regiment Element, und Philipp von Korff 1742
Kapitän im Königsdragonerregiment, waren gebürtig aus
Obermöllrich.
rML- 231 v««L-
das seit 1704 von Exterde hieß. GeorgHeinrich,
Freiherr von Toll war um 1690 als zweiter
Sohn des Freiherrn Georg von Toll auf dem
väterlichen Gute Peche! auf der zu Livland ge-
hörigen Insel Oesel geboren. 1709 trat er bei
der schwedischen Besatzung von Arensburg, der
Hauptstadt von Oesel, als Kadett ein. Als solcher
erkrankte er an der Pest, genas aber wieder. Dem
durch diese verheerende Krankheit, die die meisten
seiner Familienangehörigen dahinraffte, und die
fortwährenden Einfälle der Russen, die schließlich
die Insel dauernd besetzten, maßlos gewordenen
Elend auf Oesel entging Toll, indem er nach
Deutschland auswanderte. Hier trat er am 5. Mai
1713 als Kadett im Regiment Graf von Hessen-
stein in hessische Dienste, wurde darin 2. November
1714 Fähnrich, 29. Juli 1723 Leutnant, 6. Juni
1730 reformierter, 20. Juni 1734 konfirmierter
Kapitän. 20. August 1744 Major. Als solcher
1. Februar 1745 in das Regiment Anhalt ver-
setzt. wurde er darin 1. Januar 1747 Oberst-
leutnant, 20. August 1749 Oberst. Am 21 März
1757 wurde er zum Regiment Mansbach, 27. Juni
1758 zum Regiment Capellán versetzt, das er bei
seiner am 16. Mai 1759 erfolgten Ernennung
zum Generalmajor als Chef erhielt. Am 14. No-
vember 1760 wurde er Generalleutnant, 1763
Kommandant von Marburg, starb aber schon am
3. November desselben Jahres. Walter Rein-
hard von Stackelberg wurde 9.August 1727
Leutnant und stand 1732 als solcher im Regiment
König. Justus Heinrich von Rahding aus
Kurland wurde 7./17. Juni 1704 Oberstleutnant im
Regiment v. Wartensleben, 1. November 1704 ins
Grenadierregiment, dann zur Leibgarde zu Fuß
versetzt, wurde 27 Dezember 1709 Oberst und
Chef des bisherigen Regiments v. Spiegel. Er
kämpfte 1706 und 1707 in Oberitalien und der
Provence, nahm aber schon 1719 seinen Abschied
und kehrte nach Kurland zurück. Reinhold
Johann von Rahding wurde 16. September
1706 Fähnrich im Grenadierregiment, 3. August
1726 Kapitän und stand 1732 als solcher im
Regiment Wilke, 1740 im Regiment Maurmann.
Kasimir Christian von Rah ding wurde 1 De-
zember 1727 Leutnant im Regiment Wilke, 24. April
1739 Kapitän im Regiment Maurmann, 22. Mai
1752 Major bei der Landmiliz, 17 Juni 1758
Oberstleutnant im Garnisonsregiment v. Wurmb.
Er nahm am Gefecht bei Sandershausen 28. Juli
1758 teil und starb als Oberstleutnant 1763.
Otto Friedrich von Haudring aus Jlmagen
in Kurland wurde 25. Juni 1728 Kapitän,
28. September/9. Oktober 1739 Major in der
Garde, war seit 1744 Oberst darin, wurde 17. April
1751 Chef des Regiments v. Baumbach und starb
27 Juli 1757 an einer tags zuvor bei Hastenbeck
erhaltenen Wunde. Salomon Meyendorff,
Baron von Üxküll, wurde 6. April 1735
Fähnrich im Regiment Waldenheim. Rein hold
Ernst von Sacken aus Kurland war 1683
Leutnant im Regiment Graf zur Lippe, 1689
Kapitän im Leibregiment zu Fuß und wurde
1690 Major in diesem Regiment, von dem er
bei der Verteidigung des Rheinfels gegen die
Franzosen vier Kompagnien führte, an deren Spitze
er verwundet wurde. 1694 wurde er Oberst-
leutnant, 1702 Oberst und Kommandeur des er-
wähnten Regiments, 5. November 1704 Brigadier.
16. September 1706 Generalmajor, machte 1706
und 1707 die Feldzüge in Oberitalien und der
Provence mit und zeichnete sich besonders bei der
Eroberung von Susa am 21. August 1707 aus.
Am 20. Dezember 1713 wurde er Generalleutnant
und Gouverneur von Ziegenhain, wo er 1729
starb?)
Engländer.
Offiziere englischer Herkunft haben nur sehr
wenige in Hessen gedient. Ein Kapitän im weißen
Regiment Berkeley wurde am 24. Juni 1636
beim Sturm auf die Hauptschanze vor Hanau
verwundet. Archibald de Gibsone wurde
1 August 1759 als Fähnrich im Grenadier-
regiment bei Minden leicht verwundet, 1760 zum
Sekondleutnant in der 3. Garde, 1763 zum Stabs-
kapitän im Jägerkorps befördert. Eine interessante
Persönlichkeit war Sir George Hangher2),
der jüngste Sohn des Gabriel Hanger, Lord Cole-
raine, Peers von Irland. Geboren um 1750,
besuchte er das Eton-College, studierte hierauf
einige Monate in Göttingen und hielt sich dann
3 Jahre in Hannover und Kassel auf, um Deutsch
zu lernen. Da ihm sein Vater die Mittel ver- * 22
'1 Bei folgenden Angehörigen der Familie von Sacken
kann ich nicht angeben, ob sie Balten waren oder ob sie
in Deutschland geboren sind: Alexander Reinhold
von Sacken, fiel 1717 als Fähnrich im Regiment Prinz
Maximilian. Christoph Ferdinand von Sacken,
war 1779 Fähnrich, später Sekondleutnant im Regiment
Erbprinz. Feldzüge in Nordamerika. Nahm im Mai
1784 seinen Abschied. Fromhold Ulrich von Sacken
wurde 8. April 1730 Leutnant im Regiment Garde.
Johann Ulrich von Sacken war 1702 Kapitän in der
Leibgarde zu Fuß. wurde 6. November 1706 Major im
Regiment v. sterbe, kämpfte 1708/7 in Oberitalien und
der Provence. Johann Werner von Sacken wurde
22. März 1708 Fähnrich im Regiment v. Gxterde.
'1 So wird er in den hessischen Staat-kalendern ge-
schrieben; er selbst schrieb sich stet- Hanger. Da- Folgende
nach der ausführlichen Lebensbeschreibung Hangers, die
Bibliothekar vr. phil. Losch im .Hessenland" 1906,
S.246 ff., veröffentlicht hat.
232
weigerte, in russischen Diensten gegen die Türken
zu kämpfen, wurde er hierauf Fähnrich un 1 Re-
giment der englischen Fußgarde, nahm aber schon
1776 seinen Abschied, weil er sich bei der Be-
förderung übergangen glaubte. Am Kasseler Hofe
von früher her bekannt, wurde er auf Empfehlung
eines mit General v. Schliessen befreundeten eng-
lischen Generals in demselben Jahre Stabskapitän
im hessischen Jägerkorps. Er soll auf Beförderung
verzichtet haben, um seinen Hintermännern nicht
zu schaden?) 1778 nach Amerika gelangt, nahm
er zunächst mit den hessischen Truppen am Kriege
teil, stand aber 1780, mittlerweile znm hessischen
Major befördert, in der British Legion des Oberst-
leutnants Tarleton und wurde am 22. September
desselben Jahres bei Charlotteville verwundet.
1783 nach England zurückgekehrt, geriet er infolge
seiner verschwenderischen Lebenshaltung bald in
Vermögensverfall. Nachdem er vorübergehend
Stallmeister des Prinzen von Wales gewesen war,
saß er vom 2. Juni 1798 bis 6. April 1799
im Schuldgefängnis. Dann fing er in London
einen Kohlenhandel an. Gleichzeitig ließ er seine
Memoiren erscheinen, die mit der Aufforderung
an den Leser schließen, er möge seine Kohlen vom
Verfasser kaufen. Er war in dieser Zeit im hes-
sischen Militär bis zum Obersten r» la suite auf-
gerückt. Nachdem er am 11 Dezember 1814 durch
den Tod seines Bruders Lord Coleraine und Peer
von Irland geworden war, wurde er nach der
Rückkehr Kurfürst Wilhelms I. im Jahre 1815
wieder als Generalmajor h la suite in den hessischen
Listen geführt und erhielt sogar am 8. Februar 3
3) Nach ». Eelking. Hilfstruppe», Bd. 2, S. 268.
------------
1815 ohne ersichtlichen Grund den hessischen Orden
pour hi vertu militaire. Durch den Tod des
Bruders war er wieder in günstige Vermögens-
verhältnisse gekommen, den Titel eines Lords
Coleraine hat er aber nicht geführt, er nannte
sich bis an sein Lebensende George Hanger, er-
wähnte aber auf dem Titelblatt seiner Jagd- und
Sportschriften stets seinen hessischen Generalstitel.
Am 31. Mürz 1824 starb er unvermahlt in
seinem Hause am Regents-Park in London. Da
man von seinem Tode in Kassel nichts erfuhr,
wurde er als hessischer Generalmajor weiter geführt,
bis er endlich 1840 ans den Listen gestrichen
wurde. — Ein weiterer Engländer, Charles von
Sheldon trat 1791 als Kornett in die hessische
Gardedukorps ein, wurde 1792 Kornett im Husaren-
regiment, für seine tüchtige Haltung bei Erstürmung
der Weißenburger Linien (13. Oktober 1792) zum
Leutnant, weiter am 28. Dezember 1800 zum
Premierleutnant und 1805 zum Stabsrittmeister
im Husarenregiment befördert. Nach Wieder-
errichtung des Kurfürstentums wurde er seit 1814
als Major a la suite der Armee weiter geführt,
was noch 1843 der Fall war. Der letzte Eng-
länder in hessischem Dienst war Edward von
Pollock geboren 1776 zu London, der am 24. Mai
1809 als Premierleutnant in das leichte Infanterie-
Bataillon des in Böhmen geworbenen kurhessischeu
Freikorps eintrat, am 7 November 1809 zum
Stabskapitän befördert und bei Auflösung des
Korps am 31 Dezember desselben Jahres ver-
abschiedet wurde.
An die Engländer reiht sich der Schotte Robert
Leslie an, der 1641 bis 1643 Oberst und Chef
eines hessischen Reiterregimentes war.
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Die hessischen Künstler
auf der Deutschen Kunstausstellung Kassel 1913.
Bou E r u ft Z ö l l u e r
(Schluß.)
Graphik
Auch in der umfangreichen graphischen Abtei-
lung, die sechs Räume mit Haudzeichnnugen,
Radierungen, Stichen, Lithogravbien Pastellen.
Aquarellen usw. füllt, vermögen sich die Leistungen
der hessischen Künstler, trotz der zum Teil quali-
tativ außerordentlich hochstehenden auswärtigen
Konkurrenz, einen Anspruch ans genügende Be-
achtung zu sichern. Bei dem großen Reichtum des
Gebotenen muß ich mich allerdings, um nicht weit-
schweifig zu werden, ans knappe Andentnngen be-
schränken. Wir begegnen naturgemäß sehr vielen
Namen, die uns schon beschäftigt haben, und es ist
ein gutes Zeiche» für die Produktivität nuferer
Heimatkünstler, -daß sie häufig z» Stift, Radier-
nadel und Xtupferplarte greisen, um Oiedanken,
Empfindungen und Borstellnngen auszudrucken, zu
deren Niederschrift das Material der Ölfarbe nicht
geeignet ist.
An die Spitze ist wohl Hans Slde zu stellen,
dessen geistreich radierte Eharakterkövfe (Prof.
Eucken, Elans Groth, Friedrich Nietzsche) starke
Eindrücke vermitteln. Bon Fritz >loch sieht man
eine Reihe von Zeichnungen, die im „Hessenland"
bereits gelegentlich der Ausstellung zur Eröffnung
der neuen Akademie gewürdigt worden sind viele
NSSL. 233 SML.
italienische mtb einige heimatliche Landschafts- und
Architektnrmotive in einer subtilen, mit weichen
Hell-Dnnkeltönen malerisch arbeitenden Technik.
Bon Adolf Wagner mehrere ebenfalls schon be-
kannte, mit dem Silberstift gezeichnete und zart-
farbig getönte Damenbildnisse, ferner einige Tier-
bilder. Bon Hermann Kätelhön tüchtige Radie-
rungen, Möpse und Landschaften. Bon Margarete
von Hüll esse m ein frisches, vornehmen Farben-
geschmack bekundendes Damenbildnis (Pastell).
Bon Georg Branmüller einen amüsanten farbi-
gen Holzschnitt Irmchen. Bon Otto Lang-Wollin
mehrere farbige Zeichnungen, in denen man seine
ans Ölgemälden bekannte flotte Handschrift sofort
ivieder erkennt. Bon Karla Lehr einige weichtonige
malerisch aufgefaßte Radierungen. Bon Margarethe
Loebell n. a. eine sehr schöne Winterstimmung
„Hinter dem Herkules" (Radierung) und einige
bemerkenswerte Bersuche aus dem schwierigen Ge-
biete der farbigen Radierung. Bon Herbert Rolf
Schlegel eine gut impressionistische Zeichnung
„Kürassiere" Bon Walter S ch l i e p h a ck e zwei
frische Pastellzeichnungen mit heimatlichen Mo-
tiven. Bon Hans Reumann mehrere, das Natur-
vorbild in breiten tonigen Flächen geistreich verein-
fachende Holzschnitte („Winteriia.cht", „In der
Weinlaube"). Bon Otto Ubbelohde eine feine
Radierung „Hessisches Dorf" Bon August Heit-
müller ein wie ein dekoratives Panneau behan-
deltes Pastell „Trauernde Bäuerinnen" Ferner
graphische Arbeiten von Martha Wenzel, Sophie
Herwig, Arno Weber (Kircheninneres in Dorla),
Leni Zimmermann - Heitmüller, Luise vou
Die Propheten i
Die Gemeinde zu Altenburschla stiftete in Er-
innerung an zwei alte Altenburschlaer eine Gedenktafel
aus Granit, die an deren Geburts- und Wohnhause
in diesem Sommer enthüllt wurde. Die nachfolgende
Festrede des Pfarrers Dithmar gibt die wesent-
lichen historischen Daten über die sogenannten „Pro-
pheten von Altenburschla", die Ludwig Mohr in
seiner historischen Erzählung „Rot-Weiß" auftreten
läßt, wieder
Vor einem schlichten Hause haben wir Halt ge-
macht, um zweier einfacher Bauersleute zu gedenken,
die in schwerer Zeit unsers Vaterlandes einst mutig
für Treue und Vaterlandsliebe eingetreten. Das
waren die Brüder Cornelius (1736—1807) und
Nikolaus (1746—1806) Lorenz. Sie waren
entsprossen wohl dem ältesten Bauerngeschlechte unseres
Ortes, denn schon um 1540 bei Gelegenheit eines
„Umsturzes" d. i. einer feierlichen Grenzbegehung und
Gilsa ^Federzeichnung - „Augustlandschaft"), Frie-
drich Fenuel, August Heitmüller, Elisabeth
Schiebeler, Joseph Brackel, Frieda Koeppel
iSpritzzeichnnng, „Ammersee"), Paul Scheffer
«Gouache „Aus Rotenburg"), Heinrich Giebel
»„Trauernde Bäuerin"), Berthold Huszar („Mo-
tive aus Kassel").
Die hier ausgezählten Arbeiten befinden sich im
linken Eckhause der Orangerie, in den Räumen
zur Rechten ist besonders auf die Blätter von Wil-
helm Thiel mann aufmerksam zu machen, die den
Geist echter Heimatkuust atmen und in jeder Linie
den kräftigen Könner zeigen. Wie knapp und viel-
sagend erscheint hier die Schwarz-Weiß-Sprache
der Radierung und Bleistift-Zeichnung, wie über
legt ist jeder Strich gesetzt, wie vollkommen alles
Überflüssige ausgeschieden' Mit höchster Unmittel-
barkeit wird die hessische Landschaft charakterisiert,
iverden Szenen aus dem heimatlichen Volksleben
in lebendige Anschauung umgesetzt die Bauern-
hochzeit, die Spinnstube, die Holzversteigeruug, die
Schafschur, das Treiben in einem Wirtshaus. Rebe»
Thielmann kommen Haus Meyer und nochmals
Walter Schliephacke mit heimatlichen Motiven i»
vortrefflichen Pastellen zur Geltung, ferner Hein-
rich Otto (Radierungen>, Anna Rheiubach (Kohle-
zeichnungen >, Albert Haueisen (.Holzschnitt), Adal-
bert Metzger, der köstliche farbige .Holzschnitte
bietet, schließlich der Kreis der neuen Männer um
Llde Ernst Odesey, Joses von Brackel und
Rudolf Siegmund, der in einem Holzschnitt
„Grabtragung" wohl an deutsche Meister der Spät-
gotik anknüpft.
w Altenburschla.
Grenzfeststellung, wurden zwei Lorenze, „Rudeloff"
und »Hans" als Zeugen für die Grenze der Flur
Altenburschlas angegeben, gewiß ein Zeichen, daß
die Familie Lorenz um 1450 schon eine alte Bauern-
samilie war. Von solch' einem alten wohleinge-
sessenen Geschlechte kann man ruhig sagen, daß es
ein Adel im Bauernkittel sei. Manchen treuen
Schultheißen, manchen gewiffenhasten Kirchenältesten
hat nach den Akten der Pfarrei diese Familie unserm
Dorfe gegeben. Heute gedenken wir der Brüder,
denen vor über 100 Jahren der Volksmund schon
den Namen „Die Propheten von Altenburschla"
beigelegt hat. Als der siebenjährige Krieg unsere
Gegend verwüstete, da waren Cornelius und Niko-
laus Burschen. Eine etwas bessere Bildung mögen
sie von Haus aus besessen haben, denn der Lehrer
des Ortes, Cornelius Arnold (Vater und Sohn
waren über 100 Jahre Inhaber unserer Schulstelle)
234
war Pate des einen, und der Pfarrer im Haufe
gegenüber mag ihnen manche Anregung gegeben
haben in besonderem Unterricht. Doch die beste
Bildung besaßen sie aus der heiligen Schrift. Mir
hat einmal ein Schriftsteller unserer Tage gesagt:
„Mit dem einfachsten Mann, der die heilige Schrift
kennt, kann ich stets eine gebildete Unterhaltung
anknüpfen". So war es auch bei jenen.
Noch heute sind eine Anzahl von Blättern da, aus
denen man sieht, wie namentlich Cornelius einzelne
Sprüche der heiligen Schrift niedergeschrieben und
eine Auslegung auf Grund der Erfahrung und der
Ereignisse seiner Zeit versucht hat. Die Nachkommen
aber wissen zu erzählen, daß die Brüder manchmal
im Felde die Arbeit plötzlich abgebrochen und heim-
geeilt seien, um einen Bibelspruch, der ihr Denken
beschäftigte, nachzulesen. Und waren sie mal beim
Studieren, dann konnten sie selbst Arbeit und Vieh-
füttern vergessen. Sonst aber waren es fleißige
Männer mit überlegener Körperkraft, die manchen
schweren Stein vom Muhlienberge herabgefahren,
um das Wehr ihrer Werramühle in Wansried zu
bauen. Das stille Studium gab ihnen eine geistige
Überlegenheit über ihre Ortsgenoflen, dazu kam eine
offenbar vorhandene Divinationsgabe, daß sie bei
einem Diebstahl im Orte sofort den Dieb vor dem
versammelten Volke bezeichneten.
Mit dem Jahre 1806 kamen schwere Zeiten,
eine Kompagnie preußischer Truppen lag aus dem
Durchmärsche in Altenburschla. Beim Weggange
sprach Cornelius zu einem Soldaten: „Euer armer
Hauptmann und Euere arme Kompagnie, ich sehe
fort und fort ihr Verderben" Wenige Wochen
später nach der Schlacht bei Jena befand sich jener
Soldat aus der Flucht bei Cornelius. Cr konnte
nur mit Tränen bestätigen, was jener Bauersmann
geahnt.
In den Sturz Preußens war Hessen mitverwickelt.
Bald war auch unser Altenburschla ein Dorf im
Königreich Westfalen. Schwer war das unsern
Vätern. Da stand an den Sonntagnachmittagen
und abends Cornelius (sein Bruder war schon ge-
storben) da eben unter der damaligen dicken Dorf-
linde auf dem Anger und verkündete „Nur Geduld,
es wird nicht ewig währen, in sieben Jahren wird
die Macht Jörümes dahin sein" Bald hatten
fränkische Kundschafter die Sache gemeldet. An
einem Sonntagnachmittag führten französische Reiter
den alten Heffen hinweg. Einen Blick warf er noch
aus das alte Haus seiner Väter, einen zweiten nach
der Kirche, wo er einst getauft und konfirmiert,
einen dritten nach der Dorflinde, und ihre Zweige
rauschten ihm zu: „Einst wird kommen der Tag
der Freiheit". Nach einem kurzen Verhör auf dem
alten Rathause in Wanfried — aus dem heutigen
Marktplatze stand es — ging es ab nach Kassel.
Er sollte aber die Residenz Jerümes nicht erreichen.
In Eschwege war die Lebenskraft des Greises er-
schöpft. Von einem Soldaten bewacht, mußte er
beim Wirte Scheuffler im Gasthause „Zum Anker"
(heute Haus Nr. 10 zwischen den Brücken) bleiben.
Der damalige Kommandant von Eschwege willigte
ein, daß Cornelius ein Testament mache. Es geschah
am 25. und 26. Januar. Beide Testamente find
heute noch da. Am 28. Januar hatte er ausgelitten.
Auf dem alten Friedhofe, dem Klausturme gegen-
über, hat Lorenz sein Grab gesunden, das noch nach
langen Jahren seine Lieben von hier besucht. Soweit
der Lebensgang jener einfachen Leute.
Was wollen wir nun von ihnen lernen? Ich
denke: Dreierlei. Zunächst soll es sein Treue und
Fleiß, von denen der Dichter ausruft:
„Und weil der Bauer noch mit Stolz
Die eigne Scholle bant.
Weil auf fein Haus von braunem Holz
Er herzbefriedigt schaut.
Weil noch de« deutschen Bauern Arm
Das Beil schwingt donnerstark.
Vergiftet nicht der Großstadt Harm
Des deutschen Volkes Mark."
(F. Dahn)
Zum andern lernen wir von ihnen Vaterlands-
liebe. Der Menschen- und Geschichtskenner Macaulay
sagt einmal „Nur die achtbaren, fleißigen und
gottessürchtigen Bauern und Handwerker sind die
wahre Stütze der Nation" Endlich zum dritten
schauen wir auf die tiesste Wurzel von Treue und
Vaterlandsliebe, das ist die Gottesfurcht, die da
ausrufen kann „Gott ist unsere Zuversicht und
Stärke, eine Hülse in den großen Nöten, die uns
betroffen haben." So enthülle ich denn diese Tafel
und lese vor, was in Granit geschrieben dasteht-.
Hier wohnten die Brüder
Cornelius Lorenz (1736—1807) und
Nikolaus Lorenz (1746—1806),
zwei gute Christen und treue Hessen in schwerer Zeit,
genannt
„Die Propheten von Altenburschla"
Cornelius starb den 28.1. 1807 zu Eschwege in fran-
zösischer Gefangenschaft, ein Opfer der Fremdherrschaft.
Die Gemeinde Altenburschla
im Gedächtnisjahre 1913.
Möge der Inhalt sein eine Erinnerung an die
eiserne Zeit vor hundert Jahren, ein Antrieb für
uns und kommende Geschlechter, daß wir bekennen
und bezeugen mit einem der größten Geisteshelden
der deutschen Nation:
„Ein' feste Burg ist unser Gott'"
Hans Meyer-Kassel. Segelschiffe in Chioggia
(Nach der farbigen Zeichnung in der Deutschen Kunstausstellung Kastei 1»13>
s««L, 235
Überall..
Überall seh' ich dich.
So oft auch meine Seele wandern geht,
So oft mein Fug auf fernen Wegen steht:
Überall seh' ich dich!
Alles erfüllt dein Bild.
In meine Nächte wirkt es sich hinein
Und gibt den Dingen einen Heiligenschein,
Alles erfüllt dein Bild.
Theater
Von Heinrich
Theater? — Was war das? Seit Wochen nahmen
die Dorfkinder das Wort in den Mund, wie man
eine fremde Münze in die Hand nimmt. Man
kennt ihren Wert nicht, wendet sie um und um und
weiß nicht, was man sich dafür kaufen kann.
Nun ging keins mehr gleichgültig am Pfarrhause
vorbei. Mit neugierigen Blicken schauten wir zu
den hohen Fenstern hinauf, dahinter sich das Rätsel
barg. Jeden Morgen, wenn wir zur Schule mußten,
stand er mit dem roten, bebrillten Gesicht und der
langen Pfeife am Eckfenster und nickte uns wie alten
Bekannten zu, er, der allein die Lösung wußte, der
Herr „Sekertar"
So nannten wir den alten Herrn, der mit dem
neuen jungen Pfarrer seit kurzem in unser Dorf
eingezogen. Ziemlich beleibt, hatte er die Gewohn-
heit, aus Schritt und Tritt zu blasen. Ich kam
daher auf die törichte Meinung, Theater müsse
etwas Heißes sein, mindestens aufflammen wie das
Feuer in der Schmiede.
In einen seligen Sonntagnachmittag schneite eine
Einladungskarte. „Theater mundi" stand darauf.
Meine Vorstellung erweiterte sich jetzt dahin, daß
ich die rätselhafte Sache mit dem Munde, d. h. mit
Essen in Beziehung brachte.
Durch ein Heer neidischer Genossen, die nicht zu
den Geladenen zählten, stieg ich zur bestimmten
Stunde die hohe Psarrhaustreppe empor. Die Tür-
klingel, auf deren Leier ich schon so oft von außen
gehorcht, die überhaupt viel vornehmer klang als die
unsrige, kündete laut meinen Eintritt. Aber da stand
auch schon das Kathrinchen und nahm mich bei der
Hand. Treppauf und noch einmal treppauf ging's,
dem Wunder entgegen.
In der Nacht der Bodentreppe verlor ich einen
Schuh. Aber dies Mißgeschick kam mir eigentlich
erst zu rechtem Bewußtsein, als ich auf meinem
Platze saß. Die vielen Bekannten, die ich hinter
mir entdeckte, und der Bretterverschlag vor mir
Bist wie ein stiller Gast,
Der heimlich über meine Schwelle tritt
Und bringt so viel au Licht und Schönheit mit.
Bist wie ein stiller Gast.
Überall seh' ich dich.
Es deckt dein Leben meine Wünsche zu;
Auf allen meinen Wegen wandelst du, -
Überall seh' ich dich!
Gustav Adolf Müller.
----------
mundi.
Bertelmann.
sorgten, daß ich über den unangenehmen Verlust
rasch hinwegkam.
Inmitten des Derschlags blieben meine Augen
an einem prächtigen Bilde hängen. Ein blumen-
streuender Engel schwebte über einer Sommerland-
schast, die ganz in Licht und Sonne getaucht war.
Nachdem ich das eine Weile bestaunt, spähte ich
verstohlen zur Seite, was für Gesichter die anderen
wohl machten, um zu erraten, ob das am Ende
schon die ganze Sache sei. Da bekam ich einen
Rippenstoß. Kantors Karl kicherte hinter mir.
„Paß nur auf, bald geht's los", flüsterte er mir zu.
Indem ließ sich auch schon das bekannte Blasen
vernehmen, und ich hielt den Atem an.
Eine Seitentür öffnete sich knarrend. Darin er-
schien der rote Kopf des Herrn „Sekertars", der
die Gesellschaft musterte. Eine Schelle gebot dem
letzten Geflüster Ruhe. Die Tür schloß sich wieder,
und die Neugier war nun aufs höchste gespannt.
Auf einmal begann das Bild da vor mir zu
beben, zu zittern, schon hob es sich kühn und ver-
schwand in dem Dunkel der Decke, dem staunenden
Auge einen langen ungehemmten Blick in ein Märchen-
land zu gönnen.
Blauer blühender Sommer. Wo sollte man nur
ansangen, wo aufhören? Über einen weiten Wiesen-
gründ hinweg, den üppiges Buschwerk säumte, ver-
lor sich der Blick in einer offenen Dorsstraße mit
dem Durcheinander von Hos und Garten, Scheune
und Zaun und den eckigen, trotzigen Häusern und
Häuschen, ganz wie sie das Heimatdorf aufwies.
War das nicht Jakobs Haus und drüben Nils auf
der Ecke? Und links unten die Mühle? — Wahrhaftig,
das Mühlrad drehte sich, drehte sich nicht nur, man
hörte deutlich sein Geklapper. Und über den Steg
gelangte man wohl hinauf aus den Fössenberg. Aber
weiter hinten war es doch wieder ganz anders. Da
ragte ein wundersamer Berg auf. der trug eine
Kapelle. Line Kapelle hatte ich noch nie gesehen. Hinten
236
im Westfälischen sollte es eine Klus geben, davon hatte
ich gehört, daß ein Mönch darin Hause, der drei-
mal des Tags in einer Kapelle das Glöcklein läute.
Daran mußte ich denken.
Wie weit man überhaupt in die Ferne sehen
konnte' Ich schaute mich um wir saßen richtig
noch auf dem schwarzen Boden des Pfarrhauses.
Ich war doch schon einmal auf dem Rosenberg ge-
wesen. Aber soweit hatte ich noch nie in die Welt
gesehn. Wie groß die doch eigentlich war'
Run belebte sich die Szene. Ein Knabe stürmte
mit einem Drachen vorüber. Ein Schornsteinfeger
begegnete einer Küchensee. Hier ächzte eine Kötzen-
srau, dort stolzierte ein strammer Soldat. Jetzt
ging der Herr Pfarrer mit seiner Frau am Arme
spazieren. Landleute mit Rechen und Sense eilten
aufs Feld. Schulbuben. Die Gänseliese. Der Nacht-
Wächter mit dem Horn. Aus jenem Winkel trottete
langsam faul ein Ochse. Wahrhaftig, er blieb stehen,
bog den Kopf zur Seite, juckte sich, als hätt' ihn
eine Fliege gestochen. Gelächter begleitete ihn, als
er langsam weiterbrummte.
Mit einem Marsche zogen die drei Dorsmusikanten
vorbei. Das waren sie wirklich, wie sie leibten und
lebten Vorn der lange Lite mit der Klarinette,
dahinter der Friedrich mit der Tuba, neben sich
seinen Bruder Henrich mit dem Waldhorn. Ein
paar Zuschauer bedachten diese Gruppe mit allerlei
witzigen Bemerkungen.
Ein echter, rechter Bauer im blauen Kittel tappte
herzu, mit dem Stock aufstoßend. „Der alte Schäser-
hvwer", platzte eine Frauenstimme heraus. Lautes
Kichern quittierte den Treffer. Zwei Mönche folgten,
der eine himmellang und spindeldürr, der andere
ein wandelnd Faß. „Die Auszehrung und die Ein.
zehrung", meinte ein Witzbold.
Bei leerer Szene fing es auf einmal droben im
Kirchlein zu läuten an. Wie feierlich das klang' Land-
leute kehrten wieder zurück wie am Abend. Und
sieh — in langer Reihe nahte die Ronnenprozession
und strebte dem Berge zu.
Noch tief versunken in den Zauber des romantischen
Bildes, wurden wir durch einen vornehmen Herrn
geweckt, der auf einmal im Vordergründe auftauchte.
Er blieb stehen und nahm richtig den Hut ab.
„Gute Nacht, gute Nacht" — und der Vorhang
sank über die Wunderwelt. Das Theater, das etwa
eine halbe Stunde gedauert haben mochte, war zu
Ende. Die Bodentreppe ging's wieder hinunter in
den lichten Tag hinein, wo sich gar bald auch der
verlorene Schuh wieder einstellte.
Wohin hatte ich geschaut? Diese leuchtende,
lachende Welt mit ihrem Glockenläuten und Mühl,
radrauschen und ihren Menschenstimmen, wie kam
sie zustande?
Ein paar Jahre verstrichen. Ich hatte mir vieles
erzählen lassen, wie die geschickte Hand des Herrn
„Sekertars" alles und jedes herstelle. Manchen
Weg war ich für ihn zum Schreiner und Schlosser
gelaufen. Gar oft hatte ich ihn dabei betroffen, wie
er Figuren bemalte, Drähte und Fäden führte. Räder
richtete, leimte und lötete zirkelte und schnitzte.
Eines schönen Tages aber hieß er mich dableiben
und setzen.
„Sag einmal." überfiel er mich plötzlich, „wer hat
denn die fünf Bücher Mosis geschrieben? Du rührst
dich nicht von der Stelle, bis du das weißt."
Drauf wandte er mir blasend den Rücken und
spazierte seiner Bogelhecke zu. Die heute wohl noch
offene kritische Frage quälte mich indessen nicht all-
zulange, als ich sah, wie der alte Herr nnt seinen
gefiederten Stubengenossen Zwiesprach führte. Dieser
bärbeißige Alte — wie zärtlich konnte er tun' Mit
weicher Stimme und melodischem Pfeifen entlockte
er den liederreichen Kehlen des goldig schimmernden
Chores die schmetterndsten Weisen. Ich schien für
ihn überhaupt nicht mehr da zu sein. Denn nun
nahmen ihn seine Lieblinge an den Wänden ringsum
völlig in Anspruch. Aus jede Frage erhielt er wie
aus einen Schlag mehr als zwanzig gellende Ant-
worten. Hier hatte er Wasser zu reichen, dort
Samen, hier steckte er Zucker, dort Weißbrot, dort
Grünes auf. immer redend, pfeifend, pustend.
Endlich trat er mitten in die Stube, zog eine
schwarze Dose aus der Schlafrocktasche, klopfte daran,
öffnete den Deckel und nahm eine Prise, niesiete
dreimal, wobei er mich wieder zu entdecken schien
und mich jedesmal durchbohrend ansah, griff eins
der roten Taschentücher, die aus dem Ofenschirm
trockneten, schneuzte sich und kam auf mich los.
Erschrocken gedachte ich der schwierigen Frage,
errötete und sah schweigend vor mich hin.
„Nun?" fauchte er mich an und die Glocken seines
Schlasrockes baumelten aus meinen Knien.
Zögernd wagte ich's, die wichtige Tat dem Manne
Moses in die Schuhe zu schieben.
„Bestanden'" brummte es über mir. „Morgen
Mittag erscheinst du mit Papier und Blei."
So saß ich denn jeden Mittwoch mit einem halben
Dutzend Genossen in einem traulichen Hinterstübchen
des Pfarrhauses zu Füßen des „Sekertars" im Banne
der Kunst. Der große Birnbaum aus dem nahen
Schulhausgarten schaute zum Fenster herein und
warf aus Geheiß des Lenzwindes seinen Blütenschnee
aus unsern Tisch. Es war ein fröhliches Arbeiten
voll Lust und Lachen. Die Blumen und Früchte,
Geräte und Häuser, Mühlen und Burgen, die wir
nach Vorlagen unter beständigen Scherzen des Alten
nachzubilden hatten, bereiteten uns viel Vergnügen.
Dabei hatten wir Gelegenheit, zu beobachten, wie
§*e«6 237
all die Wunder des Theater mundi wuchsen und
wurden. Nicht nur den mechanischen Betrieb baute
er eigenhändig auf, auch die Figuren und Land-
schaften stellte er her.
Einmal nach der Zeichenstunde nahm er mich mit
auf den Boden. Klopfenden Herzens stand ich vor
dem Verschlag. Ich ahnte, zu welch großen Dingen
ich hier berufen wurde: ich sollte ein Wissender werden.
Mit herablassendem Schmunzeln empfingen mich
die bereits Eingeweihten. In diesem Reiche hatte
außer dem Alten nur der Julius zu befehlen. Nur
er redete, alle anderen hatten zu schweigen. Der
nahm mich dann beim Arm und enthüllte mir die
Geheimnisse hinter den Kulissen. Da standen aus
einem Seitentische am Dachfenster in schönster Ord-
nung nebeneinander all die alten Bekannten, jeder
aus seinem Wäglein. Ich hätt' sie streicheln mögen.
Und dann schaute ich in die Gassen. Julius drehte eine
Kurbel. Ein Leinwandstreifen brachte ein Klötzchen
heraus, das ein aufgestelltes Wäglein vor sich her-
schob. Die in Schienen rollenden Räder setzten wieder
die Figur in Bewegung, die drüben einer in Empfang
nahm.
Dem Neuling wurde zu guterletzt die hinterste
Gasse als Wirkungsfeld angewiesen. Sie lag zwischen
den Bergen und war für die Eisenbahn bestimmt.
Zu drehen war hier nichts, es mußte vielmehr ge-
schoben werden. Dabei war zu beachten, daß die
Hand nicht sichtbar wurde. Der erste Versuch gelang
zu aller Zufriedenheit.
Am nächsten Tage war Geburtstag im Pfarr-
hause. Die Gäste sollten durch eine Ausführung
überrascht werden. So ungesehen aus dem Hinter-
gründe heraus andere Menschen lachen machen, ich
fühlte es, das war eine köstliche Sache.
Alles ging gut. Zur Prozession hatte ich das
Läuten zu besorgen. Mit einer Wäscheklammer
schlug ich an einen kristallenen Tafelaufsatz.
Da kam das Unglück. Eben hatte der Julius
den Ochsen sich jucken lassen. Hastig reichte er ihn
---------
Aus Heimat
Hessischer Geschichtsverein. Am 2. Juli
hatte sich eine stattliche Zahl von Mitgliedern des
Marburger Vereins zu einem Ausflug nach
Schweinsberg vereinigt, dessen Burg ihnen durch
die Güte des Freiherrn Di-. Ernst Schenk zu Schweins-
berg, Erbschenk in Hessen, gastlich die Tore öffnen
wollte. Die Führung hatte in erster Linie Archiv-
direktor a. D. Geheimrat Freiherr Dr. Gustav Schenk
zu Schweinsberg übernommen. Das hochragende
Schloß krönt einen steilen Basalthügel, der die
bauliche Hinterlaflenschast von sieben Jahrhunderten
mir, damit ich ihn zur Seite stelle. Allein ich
weiß nicht, wie es kam, ob meine Hände noch vom
heiligen Glockenklang zitterten, oder ob ich schon an
den Eilzug dachte — der Ochse tat einen tiefen Fall.
Dafür waren natürlich die Figuren nicht gebaut,
und als ich zugriff, hielt ich zu meinem Entsetzen
zwei Dinge in der Hand: den Wagen und den
Ochsen.
Fauchend erschien des Alten Kops in der Tür:
„Himmelkreuz sapperment, wer war das?"
Julius deutete aus mich.
Ich wußte nicht, wen ich mehr verwünschen sollte,
den frommen Nonnenzug oder das störrische Hornvieh.
„Drei Tage bei Wasser und Brot aus Erbsenstroh
knieen'" diktierte der Gestrenge und schnob hinaus.
Von meiner Freudenmilch war aus einmal aller
Rahm abgeschöpft. Die hämischen Blicke meiner
Genossen trieben mich in meine Gasse zurück, denn
nun sollte bald die Eisenbahn an die Reihe kommen.
Und Julius nickte. Ich setzte meinen Damps-
wagen auf. „Verkehrt, verkehrt'" wetterte es
draußen. Ich hatte den Wagen so ausgesetzt, daß
der Dampf in der Fahrtrichtung zog.
Wieder knarrte die Tür. Ich hörte bereits das
Erbsenstroh knistern. Doch ließ er mich meines
Fehlgriffs nicht entgelten, und als die Vorstellung
glücklich beendet war und die Frau Pfarrer zum
Pudding einlud, durste ich auch mit dabei sein.
Mit der Zeit wuchs die Zahl der Zuschauer,
was dem stillen Psarrhause bald lästig wurde. So
stieg denn eines Tages das Theater mundi aus
dem Bodendunkel hinab in die große Stube des
Gemeinderathauses. Manchen Winter durch hat es
die Dorfleute unterhalten und belustigt, bis es eines
schönen Morgens hieß: „Der Herr Sekertar ist
fort" Bei Nacht und Nebel hatte er dem Dorfe,
das ihm gewiß zu einsam war, den Rücken gewandt,
um sich in einer nahen Stadt niederzulaffen.
Im Dorfe aber geht heute noch die Mär vom
Herrn „Sekertar" und dem Theater mundi.
•«»---------
und Fremde.
umschließt, und dient einem weitverzweigten Geschlecht,
das heute ungefähr fünfzig männliche Glieder zählt,
zum Treffpunkt. Vom Bahnhof aus kam man vor-
über an einem Haus, das in Holz geschnitzte Bild-
nisse des Pfarrers Lanz und Frau trägt. An der
Kirche des Städtchens, die im 13. Jahrhundert ge-
gründet, im 16. umgebaut und vor etwa vierzig
Jahren restauriert wurde, interessierte der Grabstein
des aus Schweinsberg gebürtigen Kanzlers der Mar-
burger Universität Joh. Georg Estor (f 1773), der
unserer Universitätsbibliothek durch die testamenta-
238 Tî,
rische Überlassung seiner großen Bücherei zum Wohl-
täter wurde. Unter den Grabsteinen im Chor trägt
einer die Jahreszahl 1503, Erinnerungen an gewalt-
same Eingriffe des Landgrafen Moritz sind mit der
Geschichte der Kirche verknüpft. Aufsteigend zur
Burg empfand man imponierend die gewaltigen
Größenverhältniffe des aus dem angehenden 16. Jahr-
hundert stammendes Hexenturms. Der Schutz der
Burg wurde sonst durch die dreifache Umhüllung
des nassen Grabens, des Walls und der Mauer
besorgt. Die Mantelmauer, die die Burg umzieht,
fällt teilweise bis zu 13 Meter tief in den Burg-
graben ab. Sie stammt aus den letzten Jahrzehnten
des 15. Jahrhunderts. Als die Burg, in den letzten
Jahren des 30jährigen Krieges mehrfach umstritten,
auch vom Feuer verheert worden war, ließ die Land-
gräfin Amelia Elisabeth, um einer Festsetzung des
Landesseindes an dieser Stelle vorzubeugen, breite
Breschen in das Mauerwerk schlagen. Die Wanderung
um die langausgedehnte Mauer war reizvoll durch
den Ausblick und andererseits durch den Ausblick
in das üppiggrüne Wiesenland, aus dem sich nahe
grüßend der Bergrücken Amöneburgs erhebt. Von
Tor zu Tor, die schlichte anmutige Vorburg passierend,
gelangte man zu dem von Fr. Lange in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts restaurierten und mit
einem Anbau versehenen Hauptwohngebäude der
Unterburg. In einem großen gewölbten Raum des
Erdgeschosses, wohl der ehemaligen Gesindestube, wo
die Fundstücke der besonders vor zwei Jahren mit
bestem Erfolg vorgenommenen Ausgrabungen aus-
gestellt waren — und vor einem Tisch, aus dem
Grundrisse und Zeichnungen ausgebreitet lagen, emp-
fingen die Anwesenden aus dem Munde des Geheim-
rat Schenk dankenswerte Mitteilungen aus der Ge-
schichte des Geschlechtes und der Burg. Im Jahre
1215 taucht der Name Schweinsberg zuerst urkundlich
aus. Ein Glied desMarburgerBurgmannengeschlechts,
das sich von seiner Marburg nannte, Guntram, hatte
mit einem Fräulein von Merlau am Ausgang des
12. Jahrhunderts, wie eine Urkunde von 1199
bezeugt. Schweinsberg, das freie Eigentum der Vor-
besitzer, erheiratet. Noch heute ist es Gegenstand
des ganerbschaftlichen Besitzes der Familie. Die
erste Ummauerung ist in das 13. Jahrhundert zu
verlegen, die beiden folgenden Jahrhunderte schufen
neue Mauerkränze. Die Oberburg blieb, während
andere Behausungen für einzelne Geschlechtsgenossen
geschaffen wurden, gemeinsamer Besitz, im Jahre
1646 wurde sie durch eine zufällige, aus Unvor-
sichtigkeit beruhende Explosion zur Ruine. Die oben
erwähnten Ausgrabungen haben die beinahe kreis-
förmige Umfassungsmauer und den runden Bergfried
im Grundriß festgestellt. — Nach den Genüssen, die
dein Auge und dem geschichtlichen Sinne der Ausflugs-
teilnehmer geboten waren, wurde ihnen durch die
Güte der Schloßherrn auch materielle Stärkung zu
Teil. In dem angeregten Beisammensein wurden
von Archivrat vr. Rosenseld im Namen des Mar-
burger Zweigvereins und von dem Erbschenken Trink-
sprüche gewechselt. Dann besichtigte man noch einige
Behausungen unterhalb der Burg, in denen einzelne
Zweige des Geschlechtes Wohnung haben, und kehrte
endlich heim mit dem dankbaren Bewußtsein, den
schönen Stammsitz eines unserer ältesten hessischen
Adelsgeschlechter näher kennen gelernt zu haben.
Der Kasseler Verein veranstaltete am 21. Juli
eine vorbereitende Mitgliederversammlung, um sich
über die der Jahresversammlung in Homberg vor-
zuschlagenden Wahlen zu verständigen. Man einigte
sich aus den bisherigen Vorstand. Der Vorsitzende,
General Eisen traut, teilte noch mit, daß nach
Erweiterung der Landesbibliothek dem Vereine im
alten Museum ausreichende Räume zur Verfügung
stehen würden.
Marburger Hochschulnachrichten. Zum
Rektor der Universität sür das Rektoratsjahr
1913/14 wurde Geh.Justizrat Proseffor vr. Träger
gewählt. — Der Proseffor der Chirurgie Geh. Me-
dizinalrat Professor vr. med. Emil Küster,
Generalarzt, M. d. H., in Charlottenburg, der 1890
bis 1907 in Marburg wirkte, beging am 4. August
die 50 jährige Doktorjubelseier. — Im besten
Mannesalter von 40 Jahren wurde Proseffor vr.
phil. lie. theol. Gust av Westph al durch den
Tod abberufen. — Dem Assistenten an der medi-
zinischen Polyklinik vr. Friedrich Loening
wurde die venia legendi erteilt. — Am 28. Juli
hielt vr. Georg Magnus seine Antrittsvor-
lesung über „Wundbehandlung"
Das Rittergut Freudenthal bei Witzen-
hausen a. d. Werra konnte am 6. August eine
seltene Feier begehen. Seit dem 6. August 1813
wird das Gut, das landschaftlich sehr schön gelegen
ist und eine interessante geschichtliche Vergangenheit
auszuweisen hat, ununterbrochen von der Familie
Badenhausen landwirtschaftlich bewirtschaftet. Am
3. und 4. April 1813 verkauften die Brüder v. Butt-
lar ihre Güter Ermschwerd, Stiedenrode und Freuden-
thal mit sämtlichen Vorwerken an den Kgl. Preuß.
Regierungsrat Heimbach in Langeln. Von diesem
kaufte das Gut Freudenthal am 25. April der
Kgl. Westfälische Generalleutnant und Königsleut-
nant Allix für 50 000 kr. Der Kaufvertrag wurde
durch die Notare Wachs und Schulte in Kaffel
rechtsgültig ausgenommen. Am 26. April nahm
Allix Besitz von Freudenthal und bewirtschaftete es
sw&l, 239
zunächst einige Monate selbst. Am 6. August ver-
pachtete er es aus 6 Jahre an den damaligen
Pfarrer Badenhausen in Ermschwerd. Dieser war
froh, daß er das baufällige Pfarrhaus in dem nur
eine Viertelstunde von Freudenthal entfernten, am
linken Werrauser gelegenen Kirchdorfe Ermschwerd
mit dem. erst 1801 erbauten Herrenhause in Freuden-
thal vertauschen und dorthin übersiedeln konnte.
Allix wurde im Oktober 1813 von Ieröme für
seine Verdienste, die er sich bei der Verteidigung
Kassels gegen Czernitscheff erwarb, zum Grafen von
Freudenthal ernannt. Viel Freude hat er aber an
seinem Gute und seiner neuen Würde nicht erlebt.
Im Januar 1814 ergriff nämlich die Kurfürstliche
Oberrentkammer aus Befehl des Kurfürsten Besitz von
Freudenthal, damals wie auch heute noch im Volks-
munde „Hof
Thal" genannt,
und befahl dem
Pächter, die
Pacht nicht an
Allix, sondern
an die Kur-
fürstliche Ober-
rentkammer zu
zahlen. Der Ge-
neral strengte
deshalb gegen
den Kurfürsten
von Hessen ei-
nen Prozeß an,
in dem er die
Herausgabe des
Gutes ver-
langte. Da sich
aber der Prozeß
Jahrzehnte lang hinzögerte, bot Allix seinem Pächter
wiederholt das Gut zum Kaufe an. Ein Kauf kam
aber nicht zustande, weil der Käufer den schwe-
benden Rechtsstreit mitübernehmen sollte und der
jeweilige Pächter ein derartiges Risiko nicht ein-
gehen wollte. 1859 ging Freudenthal in den Besitz
des Grafen v. Berlepsch aus Schloß Berlepsch bei
Gertenbach a. d. Werra über, und kurze Zeit daraus
wurde auch der Rechtsstreit zu Gunsten des Be-
sitzers entschieden.
Todesfälle. Zu Kasiel verschied am 28. Juli im
Alter von 65 Jahren der Königliche Oberstaatsanwalt
Hermann von Ditfurth. Aus Schwanenberg in
Lippe gebürtig, machte er als Referendar den deutsch-fran-
zösischen Krieg mit, aus dem er mit dem Eisernen Kreuz
2. Kl. zurückkehrte, wurde als Assestor StaatSanwalts-
gehilfe in Kassel, war dann hier als Staatsanwalt tätig
und kehrte später als Leiter der Staatsanwaltschaft nach
hier zurück, um zuletzt an die Spitze der Staatsanwaltschaft
des Oberlandrsgrrichtsbezirkes Kastrl zu treten. Der hu-
mane Beamte von vornehmer Denkart verbrachte somit den
größten Teil seiner. Amtstätigkeit in Kasiel.
Zu Marburg entschlief, fast 83 Jahre alt, der Land-
gerichtsrat a. D. W i l h e l m G l e i m. Gleim, der bekannten
althessifchen Familie angehörend, stammte aus Melsungen,
trat 1855 in den kurhessischen Justizdienst, wurde 1865
vom Obergerichtsreferendar zum Affestor beim Gelnhäuser
Justizamt befördert, wurde dann Kreisrichter in Roten-
burg, kam später nach Marburg und wirkte dort bis zu
seiner I960 erfolgten Pensionierung. Gleim genoß in
allen Teilen HestenS außerordentliche Beliebtheit, und sein
Hinscheiden bedeutet namentlich auch für den hessischen
Geschichtsverein dem er regste« Interesse entgegenbrachte
und dessen Jahresversammlungen er durch seinen köstlichen
Humor zu würzen wußte, einen Verlust.
Auch in die Reihen bekannter hessischer Frauen riß der
Tod eine empfindliche Lücke. Mit der am 18. Juli
71 jährig verstorbenen Frau Hauptmann Dorette Zwir-
nemann die der bekannten Kasseler Fabrikantenfamilie
Arnold entstammte, ging eine große Wohltäterin der
Armen dahin,
und in der Ober-
lehrerin Fräu-
lein Helene
Müller, die am
25. Juli zu Kassel
verschied, verliert
daS städtische Ly-
zeum und Ober-
lyzeum eine Lehr-
kraft von seltener
Hingabe und
Pflichttreue, dir
sich auch über den
Kreis der Schule
hinaus uneinge-
schränkte Liebe
und Achtung zu
erwerben verstan-
den hat.
Das I.Kurh.
Infanterie-
Rgt. Nr. 81 in
Frankfurt a. M.
(ehedem Regiment Kurfürst) beging am 25. und 26. Juli
unter großer Anteilnahme seine Hundertjahrfeier.
So vereinigte die Festhallt am ersten Tage gegen 16000
Gäste. Unter den Jubiläumsgaben befanden sich auch
vier große Kristallschüsteln als Spende der Stadt Kassel.
Der Ehef des Regiments. Prinz Friedrich Karl von Hessen,
überreichte sein Bildnis in Öl, sein Bruder, der regierende
Landgraf von Hessen, ein Ölgemälde des Landgrafen Karl
von Hessen - Kassel. Der Kaiser verlieh eine Reihe von
Auszeichnungen und dem Regiment selbst den Namen
„Infanterie-Regiment Landgraf Friedrich!,
von Hessen-Kassel*
Inventarisator der Bau- und Kunstdenk-
mäler. Nach einem Beschluß des LandeSauSfchusseS ist der
RegierungSbaumeister Di-, phil. Dr. ing. Alois Holt-
meyer zu Magdeburg im Dienste des BezirksverbandeS
als Landesbaumeister und Inventarisator der Bau- und
Kunstdrnkmäler im Regierungsbezirk Kaste! angestellt
worden. Der Dienstantritt erfolgt am 1. Oktober 1913.
Der Amtsbereich der Stelle ist die Inventarisation der
Bau- und Kunstdrnkmäler im Regierungsbezirk Kastei und
insbesondere die weitere Herausgabe des bereits begonnenen
JnventarisationSwerkes des BezirksverbandeS. Der Jn-
Rittergut Kreudenthal bei Witzenhause«. <A»sn. von Heinrich Huhn, Witzenhausen).
S«LL> 240 §«Éíb
Haber der Stelle ist in dieser Beziehung dem Landeshaupt-
mann unmittelbar unterstellt. Arbeiten des Baufaches
können ohne Einwilligung des StelleninhaberL diesem nicht
übertragen werden, abgesehen von etwa erforderlich werdenden
Vertretungen anderer höherer Baubeamten des Bezirksver-
bandes. Für eine Hilfskraft bei den Arbeiten der Denkmals-
inventarisation wird eine Pauschalvergütung im Jahres-
betrage von 2500 M. und weiter 500 M. als Ersatz sür
Aufwendungen an Reisekosten usw. für das Jahr gewährt.
Auf Bestätigung der Wahl zum Bezirkskonservator durch
den Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten
wird hingewirkt werden.
Aus Fulda. Auf Veranlassung des Professors V o n -
de rau werden gegenwärtig am Domplatz Ausgrabungen
zu weiteren vorgeschichtlichen Forschungen vorgenommen.
Aus Fritzlar. Anfang August konnte das Kloster
der Ursulinerinnen auf ein 200 jähriges Bestehen zurück-
blicken. Schon 1710 und 1711 waren Ursulinerinnen aus
Dllderstadt und Metz nach Fritzlar berufen worden, um
hierein neues Kloster zu begründen. Den Plan des 1713
begonnenen Neubaues entwarf kein Geringerer als Guer-
niero, der Erbauer des Oktogons zu Wilhlmshöhr. Der
Bau mißglückte jedoch, und erst der zweite, 1714 durch
Meinwols begonnene und noch heute stehende Bau konnte,
wie Rauch in seinem trefflichen „Führer durch Fritzlar"
mitteilt, 1719 bezogen werden.
Aus Schmalkalden. Für den Audienzsaal des
Rathauses hat Professor Piderit aus Hanau eine Anzahl
Bilder aus Schmalkaldens Vergangenheit als Wandschmuck
gestiftet. Die ersten Bilder sind jetzt hier eingetroffen.
Erfolg einer Kasseler Autorin. Im Leipziger
Battenberg-Theater errang unlängst ein neues Drama der
geschätzten dramatischen Schriftstellerin B. Moritonvon
Mellenthin „ Mater dolorosa“ die Tragödie einer
Mutter, bei der Uraufführung einen vollen Erfolg. Das
„Leipziger Tageblatt" bringt eine äußerst anerkennende
Kritik über das interessante Stück und konstatiert, daß der
Vorhang sich nach dem Schlußakt mehr als zwei Dutzend
mal heben mußte. Das Werk ist auch im Buchhandel
erschienen.
-----è«--------
Hessische Bücherschau.
Geschichtedesl.KurhessischenFeldartillerie-
Regiments Nr. II lind seiner Stamm-
truppen. Auf Veranlassung des Regiments bearbeitet
von Dr. Wilhelm Has Stabsarzt beim Kadetten-
haus Oranienstein, früher im Regiment. Mit Beiträgen
von G. Ei se nt raut Generalmajor z. D., früher
im Regiment, und M. von Kn och. Hauptmann und
Batteriechef im Regiment. Enthält 12 Tafelbilder,
88 Tafeln mit Porträts. Bildern. Skizzen und Karten.
14 farbige Unisormtafeln. 814 Seiten. Marburg
(N. G. Elwertsche Universitäts- u. Verlagsbuchhandlung)
1918. Preis gebunden 15 M.
Dem 1. Kurhesfischen Feldartillerie-Regiment Nr. 11 in
Kassel, das in den Tagen vom 5. bis 7. August seine
Hundertjahrfeier begeht, ist eine Festschrifl erstanden, wie
sie in diesem Umfang und dieser Ausstattung wohl nur
lvenigin Regimentern zu teil geworden sein dürfte. Dir
ruhmvolle Tradition des Regiments gab dem Verfasser
dieser JubiliäumSgeschichte freilich auch eine solche Fülle von
Stoff, daß er gezwungen war. von Petitdruck und Ab-
kürzungen in umfangreicher Weise Gebrauch zu machen.
Stabsarzt Has ein geborener Kassrlaner und früher dem
Regiment zugehörig, hatte es übernommen, sich der genuß-
reichen, wenn auch mühevollen Ausarbeitung zu unterziehen,
und mit Staunen erfahren wir, daß das umfassende Werk
einschließlich der Drucklegung der 51 Bogen großen Formats
in der knappen Zeit von noch nicht 2'/, Jahren entstand. Dies
war nur dadurch möglich, daß der Verfasser von allen
Seiten in umfangreichster Weise bei seiner Arbeit unter-
stützt wurde, und vor allem auch dadurch, daß General
E i s e n t r a u t. der beste Kenner des Siebenjährigen Krieges
in Hessen, die Bearbeitung dieses Abschnittes und Haupt-
mann von Kn och diejenige des Krieges 1870/71 über-
nahm. Neben der gedruckten Literatur wurden zahllose,
z. T. bisher noch nicht verwandte Archivalien benutzt. Im
Vordergrund steht naturgemäß die Vorgeschichte der kur-
hesfischen Stammtruppen, während diejenige der nassauischen
und preußischen Stammbatterien dagegen entsprechend zurück-
tritt.
Die ersten Anfänge des Regiments sind in der landes-
herrlichen Artillerie der Landgrafschaft Hessen zu suchen, als
deren Begründer Philipp der Großmütige zu betrachten ist.
Unter seinen Nachfolgern bestand diese aus Garnisonstüben
und einzelnen Kompagnien, die 1741 zu einer geschlossenen
Formation, dem „Artillerie-Korps" vereinigt wurden, das
als ältester Stamm des Regiments anzusehen ist. Nach
dem Siebenjährigen Krieg erhielt dieses die Bezeichnung „Feld-
artillerie-Korps" und hieß seit 1787 „Artillerie-Regiment"
Bei der Okkupation des Kurfürstentums durch Napoleon
1806 wurde das Regiment „beurlaubt" und erst nach
der Auflösung des Königreichs Westfalen samt der übrigen
kurhessischen Armee reorganisiert und zu 5 Fußbatterren
bzw. Kompagnien formiert. 1866 ging das Regiment in
das preußische Feldartillerie-Regiment Nr. 11 über und
hieß seit 1867 Hessisches Feldartillerie-Regiment Nr. 11.
seil 1902 1. Kurhessisches Feldartillerie-Regiment Nr. 11.
in dessen erster Abteilung das alte kurhesfische Artillerie-
Regiment noch heute fortbesteht.
Ausgehend von der älteren Geschichte der landgräflich
hessischen Artillerie, schildert Verfasser eingehend die landes-
herrliche Artillerie Landgraf Philipps und die landgrüflich
Hessen-kasselsche Artillerie unter seinen Nachfolgern. Die
weiteren Abschnitte sind gewidmet dem hessen-kasselschen
Artillerie-Korps 1741—1787, dem hessen-kasselschen bzw.
kurhessischen Artillerie-Regiment 1787—1806, der Kur-
hesfischen Legion in Böhmen 1809 und dem kurhessischen
Artillerie-Regiment 1813—1866. Nachdem die nassauischen
und preußischen Stammbatterien behandelt sind, bringt das
folgende Kapitel die Regimentsgeschichte von 1866 bis zur
Gegenwart. Außerordentlich wertvoll sind dann die Bio-
graphien der Chefs und Kommandeure von 1610—1913
sowie der Offiziere, Ärzte und oberen Beamten von 1741
bis 1866. Zu dieser mühsamen und eingehenden Arbeit
wurden nicht nur reiche gedruckte und handschriftliche
Quellen benutzt, sondern auch zahlreiche Mitteilungen von
Familien. Stadtverwaltungen, Gemeinde- und Pfarrämtern,
so daß hier ein Nachschlagewerk ersten Ranges entstanden
ist. Umfangreiche Anlagen beschließen das Werk, das mit
einer Fülle prächtiger Illustrationen ausgestattet ist. Die
farbenprächtigen Uniformbilder von Kunstmaler Fran-
kend ach in Wiesbaden wurden z. T. nach vorhandenen
Originalen, z. T nach Beschreibungen aus den Akten zu-
sammengestellt und geben zum ersten Mal einen zuver-
lässigen Gesamtüberblick der Uniformierung während der
smsL. 241
verschiedenen Jahrhundert«. Alles in allem ein Standard
work, auf das das Regiment für alle Zeiten stolz sein kann.
Hbach.
1813—1913. Festschrift zur Hundertjahr-
jahrseierdes 2. Kurhess. Inf.-Regt s. Nr. 82.
vormals Kurhess. rr. Jnf.-Regt. .Landgraf
Wilhelm von Hessen" (Mit einem Auszug aus
der Offizier-Stammliste des Regiments). Auf Befehl
Regiments bearbeitet von Dieterichs, Hauptmann
und Kompagnie-Chef im Regiment, gr. 8' 50 Seiten.
Göttingen 1913. Druck und Verlag von Ludwig
Funks Buchdruckerei in Hersfeld.
Es ist freilich nur eine Festschrift von mäßigem Umfang,
die uns der Verfasser bietet, aber es ist ihm gelungen, uns
darin einen Überblick über die gesamte Geschichte de« Jnf.-
Regt. Nr. 82 und seiner hessischen Stammregimenter, von
von der Entstehung der letzteren an bis zum heutigen Tage,
zu geben. Keine trockene Darstellung, sondern eine fließend,
in oft poetisch anklingenden Worten geschriebene Geschichte
der Ruhmestaten des Regiments, das in Griechenland und
Ungarn gegen die Türken, in zahlreichen Feldzügen gegen
die Franzosen in Amerika gegen die Aufständischen und
die Franzosen und nach seiner 1813 erfolgten Wieder-
errichtung 1814 und 1815 in Frankreich. 1848 in Baden.
1849 in Schleswig-Holstein kämpfte und sich 1870/71 bei
Wörth, bei Sedan und vor Paris in gleich ruhmvoller
Weise betätigte, ist es. in der der Verfasser überall, wo
es nötig erscheint, auf Einzelheiten eingeht und namentlich
die Teilnahme des Regiments an den Schlachten des Jahres
1870 ausführlich schildert. Das Garnisonleben des Re-
giments. seine Uniformierung und Bewaffnung haben,
soweit erforderlich. Berücksichtigung gefunden. Die äußere
Ausstattung macht der Druckerei alle Ehre. Das Buch
reiht sich den umfangreicheren Regimentsgeschichten der
übrigen hessischen Regimenter würdig an. Wor.
Hopf Wilhelm. August Vilmar. Ein Lebens- und
Zeitbild. Bd. 2. Mit 2 Bildn. IV. 476 S. Marburg
(Elwert) 1913. Preis geb. M. 7,-
Pünktlich wie versprochen ist der Schlußband der Hopfschen
Vilmar-Biographie erschienen. Er beginnt mit dem Jahre
1848, vielleicht der stürmischsten Zeit in Vilmars stürme-
reichem Leben. Durch Begründung des hessischen Volks-
freundes trat der Marburger Gymnasialdirektor mitten
hinein in die politischen Kämpfe, die für ihn solche im
buchstäblichsten Sinne des Wortes sein sollten. Nur mit
der blanken Waffe in der Hand, auf der Straße mit seinen
Pistolen, im Hause mit der Kugelbüchse, vermochte der
früher so gefeierte Historiker der deutschen Nationalliteratur
seine Position in Marburg gegen die Demokraten zu be-
haupten. Seine Primaner blieben ihm treu und bildeten
eine freiwillige Schutzwache, während in der Tertia die
Republik proklamiert wurde! Der Revolution folgte jedoch
die Reaktion auf dem Fuß. und Vilmar wurde zur Bil-
dung eines neuen Ministeriums ausersehrn. Was Hops
über die im Herbst 1849 völlig geheim geführten Verhand-
lungen mit dem Kurfürsten und seinen Vertrauten be-
richtet. ist bisher ganz unbekannt gewesen. Die Verhand-
lungen zerschlugen sich vor allem wohl deswegen, weil
Vilmars schroffe Forderung an den Kurfürsten: „Geben
Sie die Kirche frei" diesem unbequem war. Statt Vilmars
wurde Hassenpflug im nächsten Jahre Ministerpräsident,
Vilmar aber deffen rechte Hand im Ministerium des Innern.
Mit Spannung lesen wir die dramatische Schilderung der
sog. Flucht nach Wilhelmsbad, zu der sich der Kurfürst
nur sehr ungern entschloß, im richtigen Gefühl, daß sie
falsch verstanden werden würde. Es folgte die verfehlte
und verunglückte Reaktion durch die neue Verfassung von
1852, Vilmar wurde Verweser der Kasseler Generalsuper-
intendur und zog sich von der eigentlichen Politik mehr
und mehr zurück auf seine eigentliche Domäne, da« geistliche
Oberhirtenamt. Wir sehen dann, wie es zum Bruch mit
dem Kurfürsten kommt, der seinen Summepiskopat durch
Vilmars Lehre vom geistlichen Amt und lutherischen Bekennt-
nisstand der hessischen Kirche gefährdet sieht. Vilmar kehrt
nach Marburg zurück, aber wider aller, nicht zum min-
desten seiner eigenen Erwartung, als Professor der Theologie.
Seiner akademischen Wirksamkeit ist die ganze zweite Hälfte
des Bandes gewidmet. Selten hat wohl ein Dozent unter
schwierigeren Verhältnissen sein Amt angetreten. Nach
häßlichen Kämpfen mit den eigenen Fakultätsgenossen, deren
Genesis hier zum erstenmale nach unveröffentlichter authen-
tischer Quelle erzählt wird, eroberte er sich endlich die
akademische Position, in der er seine bedeutendste lang-
nachhaltige Wirksamkeit entfaltete. Mit dem großen Ver-
fassungskampf begannen die letzten Stürme, die ihn noch
einmal in die politische Arena riefen. Aber der Kelch
einer abermaligen ministeriellen Tätigkeit, die ihm 1862
winkte, ging glücklich an ihm vorüber. Das Unglück des
Jahres 1866 brach den Lebensmut des vielgeprüften alten
Kämpfers, er hat es nicht lange überlebt, aber noch lange
genug, um in den beginnenden kirchlichen Wirren in Hessen
seinen bisher überragenden Einfluß sinken zu sehn.
Schon beim Erscheinen des 1. Bandes des Hopfschen
Werkes, dessen reicher Inhalt hier nur ganz flüchtig skizziert
werden konnte, haben wir angedeutet, daß seine allgemeine
Geschichtsauffassung der zurzeit herrschenden keineswegs ent-
spricht. Wir haben aber soviele Darstellungen dieser Periode
unserer Geschichte vom liberalen Standpunkte aus. daß
diese zum mindesten als Ergänzung einen hohen Wert
! beansprucht, um so mehr als dem Verfasser ein ungemein
reiches Quellenmaterial zur Verfügung stand, das in dem
! Buche zur Verwertung und zum Abdruck gekommen ist.
Für die Kenntnis der neueren hessischen Geschichte, nament-
lich der Hassenpflugischru Ära wird Hopfs Werk jedenfalls
unentbehrlich sein. Daß auch Vilmars literarische Tätig-
keit darin gebührend gewürdigt ist. versteht sich von selbst.
Zu bedauern ist nur, daß ein genaues und vollständiges
Verzeichnis seiner Publikationen fehlt. Wir würden dann
wohl auch erfahren haben, was es für eine Bewandtnis
mit der Schrift über „die heilige Elisabeth" hat, die 1895
unter Vilmars Namen in Gütersloh erschienen ist. aber
kaum von ihm herrührt. I’h. L.
Ruprecht. Gustav Das Kleid der deutschen
Sprache. Unsere Buchschrift in Gegenwart und Zu-
kunft. 5. Auflage. Mit 4 Abbildungen im Text und
2 Beilagen. Göttingen (Vandenhoeck L Ruprecht) 1912.
Preis 1 Mark. (Ein Auszug von 20 Seiten bei 10
Stück zu 10 Pf., bei stärkerem Bezug billiger.)
Kosmopolitischen Ideen und Gefühlen ist der Deutsche
leider mehr, als ihm und der Welt heilsam ist, leicht zu-
gänglich. und so hat er sich auch eingeredet, daß das Kleid
seiner Sprache, die Schrift, unschön und dazu ihm hinder-
lich sei. „ein unnützes Erzeugnis müßiger Mönche, eine
Zottelschrift", wie der Vorsitzer des Vereins für Altschrift
behauptet. Die Lateinschriftler haben sogar beim Reichs-
tag beantragt, daß die Lateinschrift für die ersten vier Schul-
jahre zwangsweise eingeführt werde. Und wer zuerst die
Gründe der Lateinschriftler hört, ist in der Tat in Gefahr,
wenn auch vielleicht mit Bedauern die deutsche Schrift auf-
zugeben. Nun aber lese man dieses Büchlein des kundigen
Verlegers, der sich in der Welt, in der Geschichte des Buch-
drucks und in den gesundheitlichen Fragen gut umgesehen
hat, und mit Staunen wird man erkennen, wie sehr gerade
NBL. 242 EL.
die deutschen Schriftzeichen der deutschen Sprache angepaßt
find und daß diese Zeichen die sicherste und schnellste Les-
barkeit der Schrift, auch für Ausländer, ermöglichen.
Ich muß es mir versagen, die schlagenden Beweise hier an-
zuführen. 600 Univerfitätsprofestoren haben jüngst für
die deutsche Schrift als Wahrzeichen und einigendes Band
für das Deutschtum auf der ganzen Welt ihre Stimme er-
hoben, und da gerade die Freunde der Heimatbeweguug
den stärksten Widerstand gegen das charakterlos alle Eigen-
art wegwerfende Weltbürgertum bilden, möchte ich die Leser
des „Hrssenland" ganz besonders auf die Notwendig-
keit des Eintretens für dies Erbgut und auf die treffliche
Schrift Ruprechts aufmerksam machen. Ich kann dabei
die Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Schriften des
hessischen Geschichtsvereins, die früher in deutscher Schrift
gedruckt wurden, schon in den 70 er Jahren an Volks-
tümlichkeit deswegen eingebüßt hatten, weil sie in lateinischer
Schrift gedruckt wurden. Sollte es nicht an der Zeit
sein, die der Heimatliebe dienenden Schriften auch in
deutschen Buchstaben zu sehen? Der Verein würde es
sicher nicht zu bereuen haben.
Göttingen. Heilmann.
Personalien.
Verliehenr dem Marine-Assistenzarzt Lins auf S.
M. S. .Kolberg" dem Kaufmann Schmidt in Hofgeismar
und dem Land- und Gastwirt Ko hl he pp in Schwarzen-
fels der Kronenorden 4. Klasse; dem Landgerichtsrat Dr.
Klein mann in Hanau der Charakter als Geheimer Justiz-
rat; den Ärzten Dr. Köhler in Kassel und Dr. Schaub
in Oberkaufnngen der Charakter als Sanitätsrat.
Ernannt: der Gerichtsassessor Köthe zum Staats-
anwaltin München-Gladbach; die Referendare Gabriel.
Görl ing und Hermes zu Gerichtsassessoren; der Steuer-
sekretär Zorn in Lauban zum Rentmeister bei der Kreis-
kasse in Wolfhagen; der Kunstmaler Breuer zum Konser-
vator der Gemälde der Residenzstadt Kassel und zum fürst-
lich waldeckschen Hofkonfervator.
übertragene die kommissarische Wahrnehmung der
Stelle des pharmazeutischen Assessors beim Medizinal-
Kollegium zu Kastel dem Apotheker Dr. Gaze in Marburg.
überwiesen r Regierungsrat Dr. Reuter zu Oppeln
der Regierung zu Kassel zur weiteren dienstlichen Ver-
wendung.
Zugelassen: Gerichtsassessor Strippe! zur Rechts-
anwaltschaft am Königlichen Landgericht zu Kassel.
Versetzt r der Rentmeister S ucker in Ziegenhain an
die Kreiskasse in Cleve und der Steuersekretär Schmidt
in Gersfeld unter Ernennung zum Rentmeister an die
Kreiskaste in Ziegenhain.
In Ruhestand versetzt. Oberlandmesser Ziege zu
Hanau und Spezialkommisfions - Bureauvorsteher Ober-
sekretär Jenisch, seither in Hünfeld.
Geboren: ein Sohn: Dr. H. Lu ecke und Frau Luise,
geb. Hill (Marburg. l7. Juli); Oberlehrer Professor Dr.
Gaebel und Frau Charlotte, geb. Pabst (Kassel. 20. Juli);
Oberlehrer Werner und Frau Maria, geb. Nagel (Kassel.
23. Juli); Oberlehrer Viktor Hirsch und Frau Hedwig,
geb. Sänger (Berlin-Friedenau. 26. Juli); Buchdruckerei-
brfitzer und Verleger Eduard Weber und Frau Helene,
geb. Taubrrt (Kastel. 27. Juli); Lehrer Obermann und
Frau (Marburg); — eine Tochter: Pfarrer W.R.Möl-
ler und Frau (Kastel. 21. Juli); Hermann Geißler
und Frau Elisabeth. geb. Rössing (HerSfeld, 22. Juli);
Katasterlandmester Hölzerkopf und Frau Lisa. geb.
Ziggel (Marburg. 30. Juli); Professor Dr. Diels und
Frau Gertrud, geb. Biesrnthal (Marburg. 30. Juli); Apo-
theker Müller und Frau Liesel, geb. Grießrl (Schlüch-
tern. 31. Juli).
Gestorben: Iran I. Poppen Häger aus Kastel. 73
Jahre alt (Columbus. Ohio); Regierungsarzt Dr, Reinhard
Houy aus Hanau. 32 Jahre alt (Pama, Neukamerun);
Konzertsängerin Rosa v. Schlereth aus Fulda (Würz-
burg. 7. Juli); Oberst a. D. Wilhelm Friedrich Groos
69 Jahre alt «Marburg. 10. Juli); Maurermeister Georg
Heinrich Dietzel. 74 Jahre alt (Ziegenhain. 19. Juli);
Privatmann G. W. Herwig (Helsa. 19 Juli); Lehrer
a. D. August D emme, 76 Jahre alt (Mönchehof, 20. Juli);
Frau Luise Timm geb. Knabe Gattin des Zollkon-
trolleurs. 68 Jahre alt (Fulda. 21. Juli); Frau Elise
Schaaf. geb.Klee (Marburg. 21. Juli); Rentner Hermann
Sp ruck. 60 Jahre alt (Marburg. 21. Juli); Oberlehrer
Professor Adolf Wagenknecht. 68 Jahre alt lBiebrich);
Eisenbahndirektor He nkrl(Mainz); Frau Elisabeth Stock,
geb Kees, 74 Jahre alt (Gelnhausen, 23. Juli); Glaser-
meister Friedrich Schippe!. 62 Jahre alt (Marburg,
24. Juli); Frl. Helene Müller Oberlehrerin. 53 Jahre
alt (Kassel. 25. Juli); Pfarrer emer. Friedrich Pfeiffer
68 Jahre alt (Greiz. 27. Juli); Regierungs- und Baurat
a. D. Karl Wende roth. 83 Jahre alt (Kassel, 27. Juli);
Landgerichtsrat a. D. Wilhelm Gleim. 83 Jahre alt
(Marburg. 27. Juli); Fabrikant Karl Ricke 51 Jahre
alt «Kassel. 28. Juli); Oberstaatsanwalt Hermann v. Dit-
furth. 65 Jahre alt (Kassel. 28. Juli); Sanitätsrat
Dr. med. Edmund Lorenz. 54 Jahre alt (Kassel. 28. Juli);
Obersteuerinspektor a. D. Steuerrat August Raddünz.
74 Jahre alt (Kassel. 28. Juli); Frau Lina Baden-
hausen. geb. Benderoth. Witwe des Landwirts. 60 Jahre
alt (Kassel 23. Juli); Frau Sophie Siebert. geb.
Schnegelsberg. Witwe des Kgl. Abteilungs-Ingenieurs
(Kassel. 29. Juli); Kaufmann Louis Hesse. 63 Jahre
alt (Kassel - Wolfsanger. 30. Juli) ; Univerfitätsprofestor
Dr. pilli. lio. bti60l. Gustav Westphal 39 Jahre alt
(Marburg. 1. August).
Mitteilung.
Die beiden Septemberhefte werden zusammen als Sonder-
heft anläßlich der Tausendjahrfeier der Residenzstadt Kastel
erscheinen. Redaktion und Verlag des ,Hestenland*
Tragekasten.
«Mehrfachen Wünschen entsprechend, werden wir unter dieser Rubrik
fortlaufend die auS unserem Leserkreis eingehenden kurzen Anfragen
veröffentlichen. Tie etwa einlaufenden Antworten werden unter der-
selben Nummer beantwortet.
1. Wo gibt es ein Exemplar einer kurhestischen Ober-
försterunisorm oder ein farbiges Bild davon?
2. Wann ist die in Kurhesten im 18. und 19. Jahr-
hundert übliche Sitte des Glattrafiertseins aufgekommen?
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kastel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel. Kastei.
Heffenland
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 16. 27. Jahrgang. Zweites August-Heft 1913.
79. Jahresversammlung des
Es ist eine schöne Sitte des Vereins für hessische
Geschichte und Landeskunde, seine jährlichen Mit-
gliederversammlungen reihum in den hessischen Städten
abzuhalten. So wirbt er sich nicht nur selbst wieder
immer neue Mitglieder und bleibt mit den einzelnen
Zweigvereinen in engster Fühlung, sondern gibt
auch seinen alten Mitgliedern immer wieder neue
Gelegenheit, das Heffenland und seine Geschichte an
seinen bedeutendsten Stätten aus eigener Anschauung
kennen zu lernen und so immer neue Anregungen
zu gewinnen. So hatte er sich sür die dies-
jährige Wanderversammlung das schmucke, heute
etwa 3600 Einwohner zählende Städtchen Homberg
ausersehen, das malerisch an dem schon aus weiter
Ferne sichtbaren, vom User der Esze steil aufsteigenden
Bergkegel am südöstlichen Rand der größten Ebene
Niederhessens gelegen, mit seinen reichen historischen
Erinnerungen dem Erforscher und Freund der hes-
fischen Geschichte vieles zu bieten vermag.
Freilich, von der Höhe des Schloßberges, der
einen nnvergleichlichen Blick in die weite, von Bergen
und Wäldern umgrenzte Ebene gestattet, grüßen nur
noch wenige Trümmerreste. Schon im 12. Jahr-
hundert war hier der Burgsitz des Geschlechtes von
Hohenberg, das auch der Stadt ihren Namen gab
und im Jahre 1429 erlosch. Ob es jemals die
Burg als Eigentum besessen hat, ist ungewiß. Schon
Hessischen Geschichtsvereins.
zu Ansang des 13. Jahrhunderts gehört sie den
Landgrafen von Thüringen und Hessen, durch die
auch die 1234 zuerst genannte Stadt entstand. Wie
fast alle anderen hessischen Städte weiß auch Hom-
berg durch die Jahrhunderte hindurch von Brand-
und Kriegsnöten mancherlei Art zu reden, schon
1317 und 1376 tobten gewaltige Feuersbrünste in
ihm^ und die durch Landgraf Heinrich II. den
Eisernen begründete Neustadt wurde bereits 1372
vom Sternerbund in Brand gesteckt. Furchtbar
waren auch die Zerstörungen, die der kaiserliche
General Götz und nach ihm General de Werth
während des dreißigjährigen Krieges in Homberg
anrichteten, und als es dem niederhessischen General-
wachtmeister Rabenhaupt 1648 endlich gelungen war,
die vom Feind besetzte Stadt zu nehmen, waren
Stadt und Schloß eine Ruine. Viele Einwohner
kehrten nicht wieder zurück, und die Zurückkehrenden
waren von allem entblößt. Noch 1670 waren die
meisten Kramläden am Marktplatz unbesetzt, und
weitere zehn Jahre später lagen noch zahlreiche
Ländereien wüst.
Von allen geschichtlichen Erinnerungen aber, die
sich an Homberg knüpfen, ist die bekannteste die-
jenige an die Homberger Synode vom Oktober 1526.
Aus besondere Ladung versammelten sich hier unter
dem Vorsitze Landgraf Philipps des Großmütigen
fmtL 244
in der Homberger Stadtkirche die landgräslichen
Räte, die Vertreter der Ritterschaft, die Abgeordneten
der hessischen Städte sowie die Äbte und Geistlichen,
um über die Einführung der Reformation in Hessen
zu verhandeln. Der eigentliche Leiter der Konferenz
war Philipps trefflicher Kanzler Johannes Feige.
Lambert von Avignon, der beredte Theologe, ver-
focht die zahlreichen Thesen, die er an die Türe
der Stadtkirche angeschlagen, in lateinischer Sprache,
die dann der eigentliche Reformator Heffens, der
Hofprediger Adam Krafft, verdeutschte und kommen-
tierte. Heiß war der Redekampf zwischen Lambert
und Nikolaus Ferber, dem Franziskanermönch aus
Marburg, der die alte Lehre verteidigte. Das Er-
gebnis der Verhandlungen war die Homberger
Kirchenordnung, die freilich, niemals in Geltung
getreten, heute noch vielfach überschätzt wird; immer-
hin aber bedeutet diese Homberger Tagung den
Abschluß der vorbereitenden Maßnahmen, denen nun
die Taten folgten.
Zu zweit denken wir, wenn von Homberg die
Rede ist, an den denkwürdigen Dörnbergschen Auf-
stand des Jahres 1809. Liesen doch alle Fäden
des weiten Netzes, das diese Erhebung über Heffen
ausbreitete, hier in Homberg zusammen. Hier hatte
um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Erbtochter
des Geschlechts der Freiherrn von Wallenslein ein
Fräuleinstist gegründet, in das nur Töchter des
ältesten Adels, die mindestens 16 Ahnen ausweisen
konnten, aufgenommen wurden. Das Stift wurhß.
zur Zeit Jöromes nur von drei Damen bewohn^
der Abtissin von Gilsa, der Dechantin Marian«
von Stein, einer Schwester des Staatsministers,
und der Kanonissin von Metsch. Doch war das
Stift auch der Mittelpunkt für andere Frauen des
Adels, so für die in Homberg wohnende Sophie
von Baumbach und ihrer Nichte Karoline. Hier
in der klösterlichen Stille des JungsrauenstisteS
konnten, mitten zwischen Kassel und Marburg, un-
gestört die vertraulichen Zusammenkünfte der Auf-
ständischen stattfinden, und so entstand hier bald der
Hauptherd der Verschwörung. Namentlich hatte die
von dem Friedensrichter Martin geleitete Bewegung
hier ihren Mittelpunkt. Aus das Sturmläuten der
Homberger Glocken in jener Aprilnacht des Jahres
1809 versammelten sich nicht nur die eingeweihten
Homberger Bürger, sondern auch die Bewohner der
umliegenden Dörfer und die aus zwei Schwadronen
des ersten Kürassier-Regiments bestehende Garnison
zum Marsch gegen Kaffel. Nach dem Scheitern des
Ausstandes ging man auch gegen die Damen des
Stifts Wallenstein vor, die beschuldigt wurden, die
Fahnen und Abzeichen gestickt und die Erhebung
mit Geld unterstützt zu haben. Sie wurden nach
Mainz in die Untersuchungshaft geführt und Mari-
anne von Stein längere Zeit in Paris festgehalten.
Das Stift wurde eingezogen, 1814 von Kurfürst
Wilhelm I. wieder hergestellt und 1832 wegen Un-
zulänglichkeit der bisherigen Räume nach Fulda ver-
legt. Das alte Stistshaus, das damals dem Pro-
vinzial-Schullehrer-Seminar überwiesen wurde, steht
noch heute in der „Freiheit".
Auch sonst weist das schmucke Heffenstädtchen noch
manche Zeugen aus alter Zeit aus, so neben der
1892 restaurierten Pfarrkirche, deren Turm 1374
erbaut wurde, das 1480 erbaute Gasthaus zur
Krone, einen prächtigen Fachwerkbau, in dem Land-
gras Philipp bereits logiert haben soll, das 1582
errichtete alte Rathaus — das jetzige wurde 1767
erbaut — und das 1368 erbaute, dem heiligen Geist
geweihte Hospital in der Freiheit. Der alte Toten-
hos aber birgt so manches Grab unvergeffener
Männer und Frauen, hier ruht u. a. der berühmte
Komponist Bolckmar, dessen hundertsten Geburtstag
wir unlängst begingen, und jene mutvolle Marianne
von Stein, die später dem Stift noch lange Jahre
als Äbtissin vorgestanden hatte.
Söhne der Stadt Homberg find u. a. der um
1495 geborene hessische Historiograph Wigand Lauze,
sodann Hans Stade, der 1556 die erste Beschreibung
einer Amerikareise herausgab, ferner der hochgelahrte
Mutianus Rusus*), ein Mitschüler von Erasmus
von Rotterdam und Freund von Luther und Melanch-
thon, und schließlich der hessische Sänger und Dichter
Ludwig Mohr, besten „Rot-Weiß" sich ja nicht zuletzt
in seiner Vaterstadt abspielt.
So vermochte auch Homberg manches zu bieten,
namentlich auch den Mitgliedern des hessischen Ge-
schichtsvereins, die vom 7.—9. August dort ihre
Wanderversammlung abhielten.
Der nicht öffentlichen Sitzung des Gesamtvor-
standes, die am Nachmittag des 7. August im „Hes-
sischen Hos" stattfand, folgte abends 8 Uhr eine
Vereinigung der Mitglieder und Gäste zum Empfangs-
abend im „Deutschen Kaiser", wo außer Landrat
v. Gehren auch die Vertreter der städtischen Be-
hörde anwesend waren. In seiner Begrüßungs-
anspräche betonte Steuerinspektor Georg u. a., daß
es sich gerade der Hessische Geschichtsverein seit je
angelegen sein laste, in allen Städten Heffens Vater-
lands- und Heimatliebe zu wecken. Archivar vr. R o s e n-
selb, der Vorsitzende des Marburger Zweigvereins,
sprach im Namen des Vereins den Dank für den
herzlichen Empfang aus und forderte die auswärtigen
Gäste auf, auf das Wohl der Stadt Homberg und
der Homberger ihr Glas zu erheben. Erst spät
fand dieser wohlgelungene EmpsangSabend sein Ende,
*) Verreiche .Hessenland' 1897, S. 260 ff. und 1912,
S. 259 ff.
emtL, 245 *mt>
der durch die trefflichen Vorträge der Lüdtkeschen
Kapelle und des Gesangvereins „Liedertafel" noch
wesentlich verschönt wurde.
Zu Beginn der eigentlichen Mitgliederversammlung
am nächsten Tag wurde der Verein vom Landrat
v. Gehren aufs herzlichste im Namen des Kreises
begrüßt. Redner betonte die tapfere Haltung der
Homberger im 30jährigen Krieg, ihre Beteiligung
am Dörnbergschen Ausstand 1809 und gedachte auch
des in Homberg geborenen letzten hessischen Minister.
Präsidenten Rohde. Bürgermeister Löber hieß im
Namen der Stadt den Verein willkommen, woraus
der Vorsitzende General Eis ent raut im Namen
ihrer Privilegien beraubt, die Tore niedergeriffen,
die Weinkeller geleert und die Einwohner vielfach
mißhandelt. Dieser Bürgerkrieg wurde bekanntlich
die Hühnerfehde genannt, weil in ihm kein Menschen-
blut geflossen, aber um so mehr Hühner erwürgt
worden waren. Am 21. und 22. Oktober 1526
fand in Homberg jene Synode statt, in deren Folge
die Reformation in Hessen eingeführt wurde. 1536
wurden Altstadt und Freiheit, die bisher als zwei
getrennte Städte, jede mit ihrem eigenen Magistrat,
neben einander bestanden hatten, unter einer Ver-
waltung vereinigt, und um jede Spur der Trennung
zu verwischen, wurde auch die Mauer, die bisher
Homberg an der Este.
des Vorstandes und der Versammlung für die
einzelnen freundlichen Begrüßungen dankte und nun-
mehr Metropolitan Schenkheld das Wort zu
seinem Vortrag über die Geschichte Hombergs er-
teilte. Redner ging aus von dem Geschlecht derer
von Hohenberg, das der Stadt den Namen gegeben.
1162 wird das Schloß über der Stadt als ihm
gehörig erwähnt, aber bereits 1231 ist es Eigentum
der Thüringer Landgrafen und kam von diesen an
die hessischen Landgrafen. Im Sternerkrieg wurde
die von Landgrafen Heinrich dem Eisernen be-
gründete Vorstadt, die „Freiheit", von den Sternern
in Brand gesteckt. 1427 stirbt der letzte Hohen-
berger. Der während Landgraf Philipps Minder-
jährigkeit eingesetzten Regentschaft versagt die Stadt
die Huldigung, muß sich aber dann unterwerfen und
2000 Gulden Strafe bezahlen, die Stadt wurde
(Nach photographischer Aufnahme.)
beide Städte geschieden hatte, weggeräumt. 1636
griff der kaiserliche General Götz Schloß und Stadt
an. Das Schloß wurde vom Kommandanten Breul
aufs tapferste verteidigt, dieser mußte aber schließlich
wegen Wassermangel kapitulieren und erhielt freien
Abzug. Stadt und Schloß haben im 30 jährigen
Kriege noch sehr gelitten, und das Schloß wurde
schließlich völlig zerstört. Redner schilderte sodann
den bekannten Dörnbergschen Aufstand vom 22. April
1809, in dem Homberg eine bedeutende Rolle spielte,
und erwähnte schließlich noch eine Reihe bedeutender
Homberger, so den 1888 verstorbenen Minister Rohde,
Pfarrer Schafft, Professor vr. Volckmar, der an-
läßlich seines 50 jährigen Dienstjubiläums Ehren-
bürger der Stadt wurde, Geheimrat von Gehren
und Bürgermeister Winter. Nachdem der Vorsitzende
dem Redner den Dank der Versammlung zum Aus-
fmt, 246 ?«*&>
druck gebracht, erstattete der Schriftführer, Rechnungs-
direktor Wo ring er den üblichen Jahresbericht,
den wir in den Hauptzügen hier wiedergeben.
Er berichtete zunächst über den trefflichen Verlauf der
vorjährigen Wanderversammlung in Schmalkalden und
teilte sodann mit. daß der Verein zur Zeit 1956 Mit-
glieder umkaßt. Im Gesamtvorstand und im Redaktions-
ausschuß sind im Vereinsjahr keinerlei Veränderungen ein-
getreten. Der im letzten Herbst erschienene Band 46 der
Zeitschrift brachte zugleich auch das von Bibliothekar Dr. phil.
Legband aufgestellte „Systematische Inhaltsverzeichnis" zu
allen vom Verein seit seiner Gründung bis zum Jahre
1911 veröffentlichten Schriften, so daß deren Benutzung
jetzt wesentlich erleichtert ist. Die Flurnamenforschung ist
weiter gediehen. Amtsgerichtsrat Pitel in Homberg hat
die große Gemarkung Raboldshausen fertiggestellt. Die
Bearbeitung der Flurnamen der Gemarkung Kassel und
der eingemeindeten Orte Wehlheiden. Wahlershausen. Kirch-
ditmold. Rothenditmold und Bettenhausen hat Rechnungs-
direktor Woringer in Angriff genommen und hofft im
nächsten Sommer damit fertig zu werden. Diese Arbeit
ist besonders eilig, weil die zunehmende Ausdehnung der
Großstadt die Flurnamen und die Erinnerung daran schnell
verschwinden läßt. Die Flurnamen des Kreises Hünfeld
hat Regierungsrat Jllgner bereits vollständig zusammen-
gestellt so daß nur noch die Vergleichung mit den aus
den alten Katastern des Marburger Staatsarchivs aus-
zuziehenden Namen fehlt.
Die Ruinen der Burg Falkenstein bei Niedenstein, zu
deren Sicherung der Verein in Gemeinschaft mit dem Nieder-
hessischen Touristenverem und anderen Vereinen wie auch
dem Brzirksverbande die Mittel durch eine Sammlung
unter seinen Kasseler Mitgliedern aufgebracht hatte, find
derart befestigt worden, daß für ihren Bestand auf längere
Zeit hinaus nichts mehr zu befürchten ist. Die Kosten
der Herstellung waren aber so erheblich, daß zu ihrer
Deckung der Verein im nächsten Jahre voraussichtlich noch-
mals hilfreiche Hand leisten muß. In gemeinsamem Vor-
gehen mit dem Verein für Naturdenkmal- und Heimat-
schütz gelang eS dem Verein, den sog. Riesenstein lTeufel-
stein) bei Großenritte, an den sich zahlreiche Sagen knüpfen
und den der Besitzer der Feldlage. auf der er steht, ver-
nichten wollte, zu erhalten. Das große Interesse, daS sich
im Kreise der Kasseler Mitglieder für die Bastion an der
Fulda, die sog. Nehme. zu Kassel bei dem Besuche im
Jahre 1911 zeigte, veranlaßte den Vorstand, bei den Vor-
standsbeamten des Kgl- Oberlandesgerichls dahin vorstellig
zu werden, daß der neuerdings hergestellte Zugang zum
Innern der Bastion, der wieder zugemauert werden sollte,
erhalten bleibe. Der Bitte wurde unter Anordnung der
notwendigen Vorsichtsmaßregeln bereitwilligst entsprochen,
wofür wir auch hier unseren Dank aussprechen. Die Be-
mühungen des Vereins um die Erhaltung des Schlosses
Friedewald in seinem bisherigen Zustande haben mit dazu
beigetragen, daß ein Verkauf des Schlosses bisher nicht
eingetreten ist.
Unser an das Kgl. Provinzialschulkollegium gerichtetes
Ersuchen um ausgedehntere Berücksichtigung der engeren
Landesgeschichte in den höheren Schulen fand zwar freund,
liche Aufnahme, indes war rS dem Kollegium im Hinblick
auf den schon zu behandelnden umfangreichen Lehrstoff und
andere Schwierigkeiten nicht möglich, dem Wunsche des
Vereins in vollem Maße zu entsprechen.
Den weiteren Bemühungen unserer Mitglieder, des Bank-
beamten Hösbach in Philadelphia und des Kaufmanns
Habicht in Newhork ist es gelungen, nicht nur den Auf-
enthalt der drei in Amerika lebenden Bickellschen Erben,
deren Abtretungsurkunden vom Grundbuchrichter in Mar-
bürg beanstandet waren, zu ermitteln, sondern auch von
zweien dieser Erben die Neuausfertigung der Abtretungs-
urkunden zu erlangen. Die letzte damit noch rückständige
Erbin wird hoffentlich in nicht zu ferner Zeit auch zur
Ausfertigung einer neuen Urkunde zu bewegen sein. Damit
würde die Erledigung der Bickellschen Erschaftsangelegenheit,
die nun seit einem Jahrzehnt den Gegenstand der Sorge
des Vorstandes bildet, bedeutend näher gerückt sein.
Der Neubau des Landesmuseums in Kastei ist vollendet,
und die Aufstellung der von unserem Verein dem Museum
überlastenen Sammlungsgegenstände kann nun stattfinden.
Es hat nach dem Umzug des Museums nunmehr auch mit
dem Umbau des alten Museum Fridericianam begonnen
werden können, das dann der Landesbibliothek, die bislang
nur einen Teck davon inne hatte, vollständig überlasten
werden wird. Dank dem Entgegenkommen der Bezirks-
verwaltung und der Direktion der Landesbibliothek im
besonderen werden in dem Gebäude auch unserem Verein
ausreichende Räume zur Unterbringung seiner Bibliothek
und zur Einrichtung eine« Geschäftszimmers überlasten
werden.
Die Kommission zur Erforschung der vor- und früh-
geschichtlichen Befestigungen in Hessen setzte die Ausgrabungen
auf der Altenburg bei Niedenstein fort. Ihre Arbeit brachte
wiederum wertvolle Ergebnisse, namentlich neben der Auf-
findung eines NegenbogenfchüstelchenS die genaue Fest-
stellung der baulichen Beschaffenheit der Stein- und Erd-
wälle u. a.
Unsere Zweigvereine und Ortsgruppen haben auch im
abgelaufenen Jahre eine rege Tätigkeit entfaltet, die sich
sowohl in Vorträgen als in Ausgrabungen (so in Eschwege
und Rotenburg) und in der Anlage von Heimatmuseen
(so in Rotenburg und Frankenberg) zeigte.
Als Vertreter unseres Vereins bei der Hauptversammlung
deS Gesamtvereins deutscher GeschichtS- und Altertums-
vereine in Würzburg vom 9. bis 12. September 1912
hatte der Zweigverein Marburg, den diesmal die Reihe
traf Archivar Dr. phil. Rosenfeld entsandt. Bei der
Jahresversammlung deS Nordwestdeutschen Verbandes für
Altertumsforschung in Göttingen vom 27. bis 29. März 1913
vertrat Bibliothekar Dr. med. Lange den Verein.
Die Einnahme der Vereinskasse betrug im Berichtsjahre
16909.39 M-, die Ausgabe 7221 M.. so daß ein Bestand
von 9688.39 M. verbleibt. DaS Konto der Bickellschen
Erbschaft konnte, wie bereits mitgeteilt wurde, noch nicht
abgewickelt werden. Den aus Anlaß der Erbschaft ge-
machten Ausgaben steht der Besitz des Bickellschen HauseS
in Marburg in etwa gleichem Werte gegenüber. Die
Finanzen des Vereins können hiernach als gut bezeichnet
werden.
Für die Marburger Sammlungen find eine Reihe Neu-
erwerbungen gemacht worden. Die Kaffeler Sammlungen
sind, wie bereits erwähnt, in das Landesmufeum Überführt
worden, wo auch die von Marburg abgegebenen Stücke
Aufstellung finden und im Verein mit den Sammlungen
des Museums besser als bisher zur Geltung kommen und
Nutzen bringen werden.
Nachdem Direktor Woringer der Dank des Vereins
für seine Mühewaltung geworden, gedenkt der Vor»
sitzende der im verflossenen Vereinsjahre verstorbenen
Mitglieder. Vorstand und Vorsitzender werden für
das nächste Jahr auf Antrag des Superintendenten
Wistemann (Hofgeismar) einstimmig wiedergewählt.
Sodann wird beschlossen, die nächstjährige Ver-
sammlung in Kirchhain abzuhalten. — Der Mit-
gliederversammlung schloß sich um 12 Uhr ein gemüt-
247
licher Frühschoppen im Stadtpark an. Um 1 Uhr
fand Besichtigung des Friedhofes, der Stadt und
der Evangelischen Kirche statt, um Va5 Uhr Auf-
stieg zum Schloßberg. Um 6 Uhr vereinigten sich
die Mitglieder im .Hessischen Hof" zum Festessen, das
einen anregenden Verlaus nahm. Der Vorsitzende
General Eisen traut brachte den Kaisertoast aus,
Bürgermeister Lö b er-Homberg toastete auf den
Geschichtsverein, UniversitätSprosessor vr. Wenck-
Marburg auf die Stadt Homberg, Superintendent
W i s s e m a n n - Hofgeismar auf die Damen, Landrat
v. Gehren auf den Vorstand, besonders General
Eisentraut. Anschließend folgte für die älteren Mit-
glieder ein gemütlicher Kneipabend, für die jüngeren
Ball. Sonnabend vormittags 9 Uhr versammelte
man sich wieder auf den Marktplatz und stieg bei
stark fallendem Nebel nach der Sauerburg auf, deren
sehr interessante vorgeschichtliche Befestigungen be-
sichtigt wurden. Die sonst so gerühmte Aussicht
des kahlen Mosenbergs, der nach 1 ^stündigem
Marsche erreicht wurde, war infolge des ungünstigen
Wetters nur beschränkt. Der Abstieg führte nach
Falkenberg, wo das alte hessen-rotenburgische Schloß
besichtigt wurde. Das Endziel bildete Hebel, wo
ein gemeinsames Abschiedsesien noch einmal die Teil-
nehmer vereinigte. Während dann die Homberger
Mitglieder wieder nach dort zurückkehrten, eilten
die auswärtigen über Wabern der Heimat zu.
Angedruckte Briefe des Grafen Nicolaus Ludwig von Zinzendorf
und des Grafen Ferdinand Maximilian!!, zu Vfenburg und Büdingen
wegen der Erbpachtung der Nonneburg.
Von Friedrich Wilhelm Fürst zu Asenburg und Büdingen.
(Schluß.)
Schließliche Declaration in prmoto der Ronnenburg.
Jmmaßen ich Endesunterschriebener, nach Ver-
schiedentlichem Erinnern Von Wächtersbach nicht nur
Keine positive Antwort erhalten, sondern auch der
Amtmann Schuchard welcher mir die Ronneburg
zu meiner Disposition Laut der Beylagen 8ub
A. B. C. Bereits eingeräumet, neuerlich solche sor-
derungen gemacht, daß ich ihn die 9 Pacht-Jahre
aushalten laßen, und mich darein nicht mengen
werde. So finde ich mich genötiget, die gegen Meinen
Hochgeehrten Herrn Vettern Von Ysenburg Lbdn.
geschehene eventual-fürschläge Hirmit zurückzunehmen,
und alß nichts geschehen zu erklären, und da mich
die Antwort Hieraus nicht mehr antrifft, so stelle
Mhhgfl. Herrn Vetters Lbdn. anheim, ob sie wegen
des Besitz- und Gebrauches Dero Schloßes Ronne-
burg (ohne einige Pacht-Nutzung, Biß zu Ende der
dem Amtmann Stipulirten 9 Jahre) um eine andere
oder nähere Erklährung an Meiner Gemahlin Lbdn.
thun, oder die gantze Sache auf sich Beruhen laßen
wollen, über welches alles Sie sich binnen 8 Tagen
unfehlbar resolution gewärtigen, und Bey Verzug
Wir unß wegen des, des Herrn Vetters Lbdn. da-
durch entgehenden Commodi Vorentschuldiget zu
Halten ersuchen wolle, Geben Frankfurt am Mayn
d. 13 len April 1737
(L. S.) gez. Zinzendorff.
Ahn die Frau Gräfin von Zintzendors.
Ew. Lbd. werden nicht übel Vernehmen, wann
Dieselbige mit gegenwärtigem Beschwerlich falle.
Nachdeme aber Dero Herrn Ehegemahls Lbd. meine
déclaration aus das erste von der Ronnenburg d.
31. Mart, dieses laufenden Jahres an mich über-
schickten projects Begehret und solche auch durch
Dero Secretarium H. Nitschmann mich Bey Über-
bringung der letzten von des Herrn Vettern Grafen
von Zinzendorff Lbd. Herzenden Entschluß die Ronne-
burg Betr. sowohl schristl. alß mündl. errinnern
laffen, und dieses an Ew. Lbd. schristl. zu thun,
mich verwießen Alß nehme die freyheit mit Dero
Erlaubniß solches zu bewerkstelligen und zwaren
soviel das erste Project Betr. und insbesondere was
den. ersten articul angehet.
1. Den Vorschuß ohne intéressé von 9000 fl. an-
langet.
So ist bekand, daß den selbigen nicht habe be-
gehret, sondern daß der Antrag deselben von dem
Jud Jsaac Epstein aus Befehl Dero Hertzlieben
Herrns geschehen ist, welchen ich auch gleich zur
antwort gegeben, daß auf die geschehene proposition
mich keineswegs einlaßen könte, sondern die intention
(um mich daraus näher erklären zu können) schristl.
zu sehen verlangte, welche dann auch nach Dero
glückl. Retour aus Engelland hieroben gemeld, er-
folget. Nachdeme nun jedermann wer mich kennet
zur genüge wißend ist, daß meine gewohnheit nicht
ist, etwas aus Interesse zu thun, sondern alles das-
jenige, worinn meinem Nechsten, einige gesalligkeit
und Dienste erweißen kann gerne und ohne Absicht
thue, mithin da dieses Vorausgesetzt so halte mich
dabey nicht weiter auf. Und da es zur Hauptsache
nicht gehöret und keines der principalsten Puncten,
so gehe weiter und soviel zwar das 2te belangt.
vmuL 248 smtL,
So ist solcher eingerichtet, daß mann aus diesem
schließen könte. alß wollen Dero H. Ehegemahlß
Lbd. ein an fie gekommenes eigenthum der Ronne-
burg durch obgemeldeteS project praesupponiren, Be-
sonders wann mann
Die wortte: Damit das Dominium Directum
dem Gräfl. Ysenburg. Hauße nicht entzogen et Spes
recuperandi übrig gelaßen werde genau und nach
ihrem klaren sinn Betrachtet. Dann wann mann
die quälitaet eines Pacht Contracts Consideriret, so
braucht von dem locatore dem Eigenthums-Herr Die
Hoffnung das seinige wiederum zu bekommen, nicht
vorbehalten zu werden, sondern es kommet nach
Endung der Stipulirten Bestands Jahren von selbsten
wieder an seinen Herrn. Aus diesem erhellet Klärlich,
daß diese angeführte paffage eine gar deutliche expli-
cation erfordere. Besonders wann ich die vorwaltende
umstände Bey diesem geschäst in genaue Überlegung
ziehe. Dann
3. Ist die Ronnenburg meinem Bruder zum ansitz
und loco appanagü übergeben, mithin es nicht in
meinem Vermögen stehet, solche an einen tertium,
ohngeachtet der geschehenen retraduction, zu verlehnen,
dann diese hat keinen längeren Bestand, alß die
umstände erwehnten meines Brudern so bleiben, und
folgl. kann weder er noch ich etwas Beständiges mit
der Ronnenburg vornehmen worzu noch komt, daß es
ein Chur Mayntz. Lehen ist, und alle güter der
Grafschaft Dsenburg mit einem schweren Fideicommiß
behaftet seyen Welche pacta gentilitia mich nicht
allein sondern alle Herren agnaten des Haußes ver-
binden, daß sie nicht im stände seyen eine alienation
eine omnium Agnatorum consensu zu unternehmen,
sondern, wan dergl. Veräußerung gegen verhoffen
sollte vorgenommen, der Lehenherrliche Consens noch
darzu erfordert werde. Den dritter Punct und zwar
soviel und wie die wortte lauten:
Betr.: Ohnerachtet alß ein freyer Herr aus
der Ronnenburg wie überall zu wohnen
gedencke, und sonderlich in Kirchensachen
diejenige Freyheit desgewisenspraeten-
dire die aus der Ronneburg Herkommens
ist, so ist bekand daß weder ich noch sonsten jemand,
meinen H. Detter den Grafen von Zinzendorff einem
Herrn zustehende Personalfreyheiten werde disputabel
machen, sondern ihm alles dasjenige angedeyhen laßen
war ihm gebühret. Die auf der Ronnenburg Her-
gebrachte gewißenssreyheit aber ist nicht in einem
weitläustigen sinn zu nehmen, sondern dergestalten,
daß niemanden zu Kirchen, abendmahl gehen pp.
gezwungen werde, sondern einem jeden erlaubet seinem
Gott in der stille mit seinen Haußgenoßen zu dienen
aber keine aparte gemeinden aufzurichten, die in
gemeld. articul wegen angewandten Kosten zu Meli-
orationen angehen, davon ist hier nicht nötig Vieles
zu melden, und sich solches von selbsten ergeben
wird, alßo will soviel was den
4. Punct Betr. meine Declaration dahin thun,
daß weilen solche im ende dasjenige besaget, was
oben im 2. paragrapho angemerket, so habe Kürtze
halben mich aus meine in Vorhergehendem gethanene
Antwort beziehen wollen. Um nun aber auch aus
die letztere von Dero H. Ehegemahlß Lbd. mir über-
schickte schließt. Declaration de Dato Frsurt d.
13. Aprill 1737 noch zu expliciren.
(Wie daß sie neml. gesonnen wären den Schuchard
seine ihme zustehende 9 Pacht-Jahre aushalten zu
laßen und keine utititato daselbst zu genießen So
scheinet aus diesem alß ob mehrgent. H. Vettern von
Zinzendorff Lbd. gesonnen wären nur allein die
Wohnung auf der Ronneburg ohne einige Pacht-
nutzung zu begehren.) So ohnverhalte hieraus, daß
ich nur solches könte gefallen laßen, wann anderster
auf solche art und weiße wie oben schon gemeldet,
und daß sowohl die hier im land üblichen geist-
alß weltlichen Ordnungen nichts vorgenommen, auch
daß von solcher Wohnung und einrichtung aus
der Ronnenburg mir deutlicher Nachricht gegeben
mithin ein ordentl. Contract zwischen meinem H.
Vettern und mir könnte deßsalß errichtet werde,
immaße, der jetzo admodiator nicht befugt dergl.
ohne meinen Special consens und gewh. Haltung
vorzunehmen, innfolgl. diejenige aus einem einseitigen
mit ihme geschloffenen Contract entstehende Ver-
drießlichkeiten zu verhindern, und dieses um so viel
nötiger ist. jemehr Biß dato viele Klagen über die
von andern mit dem Schuchard einseitig errichtete
convention Bey mir eingelaufen, infolglich ich mit
gar großer praecation in confideration mehrgenanndte
Schuchards zu verfahren habe. Dieses ist also was
schuldigster maaßen und auf begehren Dero H. Ehe-
gemahlß nebst remittirung derer originaiio denen-
selbigen habe berichten und anbey versicheren wollen
mit alleroffen. Hochachtung zeit lebens zu verbleiben
Ew. Lbd.
----------------------
Hermann Dezzenberger.
Von Dr. Philipp Losch.
Wenig beachtet wie er gelebt, so ist auch der
Schriftsteller Hermann B e z z e n b e r g e r gestor-
ben. Es wird wohl nicht sehr viele Leser des
„Hessenlandes" geben, die diesen Namen kennen, und
noch weniger, die von den Schriften des unlängst
Verstorbenen etwas gelesen haben. Und doch ist
mit ihm eine eigenartige literarische Persönlichkeit
dahin gegangen, die es nicht verdient hat, so gänz-
249
lich totgeschwiegen zu werden, wie es bisher ge-
schehen ist.
Bezzenbergers Wiege stand zwar am Ufer der
Elbe, wo er am 4. Juli 1847 zu Dresden ge-
boren wurde, aber er entstammte einer althessischen
Familie und darf darum, und weil er die letzten
16 Jahre seines Lebens in Kassel zubrachte, wohl
den hessischen Schriftstellern zugezählt werden.
Sein Großvater war der lutherische Kantor und
Musikdirektor Georg Wilhelm B. zu Marburg, sein
Vater Georg B. war zuerst Gymnasiallehrer in
Hersfeld und Fulda, ging dann nach Sachsen und
wurde 1851 Direktor des Vitzthumschen Gymnasi-
ums zu Dresden. Ein Bruder seines Vaters, der
Oberschulinspektor Heinr. Ernst B. zu Kassel, ver-
faßte die „Regeln für die deutsche Rechtschreibung",
die seit 1859 für die hessischen Schulen maßgebend
waren. Dessen Sohn, also ein Vetter des ver-
storbenen Hermann Bezzenberger, ist der bekannte
vergleichende Sprachforscher Professor Adalbert
Bezzenberger zu Königsberg i. Pr.
Hermann Bezzenbergers Lebenslauf bietet nichts
besonders Merkwürdiges. Er hatte in seiner
Jugend den brennenden Wunsch, Schauspieler zu
werden (sein mimisches Talent verraten die physio-
gnomischen Studien irr, „Ich will und die Himmels-
leiter"), aber die Ausführung dieses Wunsches
scheiterte an dem Willen seines Vaters. Er mußte
Kaufmann werden und kam damit um sein
Lebensglück, wie er selbst sagte „Die Vergangen-
heit wird mir wieder lebendig, und ich sitze wieder
wie vor 50 Jahren in der Droschke meinem Vater
und meiner Mutter gegenüber, die mich nach dem
Bahnhof bringen, nehme noch einmal in mich auf
die bekannten Erscheinungen der Heimatsstadt im
Glanze der Straßenlaternen, und mit jener bangen
Erwartung, die nur die Jugend kennt, steige ich
in das Abteil 3. Klasse, freiwillig und doch un-
freiwillig, wie etwa ein Raubtier in einen Käfig
geht, um meinem Schicksal entgegenzufahren, das
- o Spott und Hohn! - bestimmt hat, ich solle
Kaufmann werden. Das Schicksal liebt es manch-
mal, schlechte Witze zu machen, und ich fürchte, es
war ein schlechter Witz, als es mich, den unver-
besserlichen Träumer, der eine Gedankenwelt in
sich trug, aber eine verborgene, in die kaufmännische
Lehre schickte! Großer Gott' Wie viele Menschen
werden täglich und stündlich von Dir in die Lehre
geschickt, und wenn sie mit ihrem Geschick hadern
und sich wie wahnsinnig gebärden, so vergessen
sie, daß Deine Wege nicht unsre Wege sind, und
daß die Lehre, in die Du uns schickst, wenn sie uns
auch nicht auf die Universität, die Kunstakademie
oder das Konservatorium führt, doch die beste
Lehre ist."
In Gotha beim Kommerzienrat Arnoldi begann
er die ihm so verhaßte Laufbahn, die nur durch
den Feldzug nach Frankreich unterbrochen wurde,
dessen Ende er trotz seiner schwachen Gesundheit
mitmachte. Tann ging er nach London, übernahm
ein optisches Warengeschäft, wurde durch einen
Kompagnon betrogen und schwer geschädigt, und
dadurch seinem Beruf noch mehr entfremdet und
gegen die ganze Menschheit erbittert und miß-
trauisch gemacht. Richt viel besser erging es ihm
in Paris und dann in langen Wanderjahrcn in
Hamburg, wo er heiratete, Lübeck, Frankfurt,
Heidelberg und Gießen, bis er im Jahr 1897
nach Kassel übersiedelte, wo er die letzten 16 Jahre
zubrachte, meist körperlich leidend und seines, nach
seiner Ansicht verfehlten Lebens nie recht froh
tverdend.
Erst mit 60 Jahren fing er an zu schrift-
ftellern, aber es war zu spät. Der gehoffte, von.
ihm so heiß ersehnte äußere Erfolg sollte ihm auch
auf diesem Gebiete versagt bleiben. Die fast kind-
liche Freude am Schaffen, die er als Schriftsteller
empfand bis an sein Lebensende, war der einzige
Gewinn, den er dabei davontrug.
Sein erstes Werk war sein größtes und wohl
auch sein bestes. Es erschien im Jahre 1906 im
Kommissionsverlag von Max Spohr in Leipzig
unter dem sonderbaren Titel „Ich will und Die
Himmelsleiter von Hermann Ludwig" Wer das
Buch einmal in der Hand gehabt und nur flüchtig
darin geblättert hat, der wird verstehn, daß es
keine Verbreitung finden konnte. Schon der hohe
Preis (6 Mark für 100 Seiten) mußte abschrecken,
aber es half auch nichts, daß der Autor den
Preis nachher erheblich herabsetzte, ja schließlich
sein Buch wie sauer Bier anbot und durch den
Drucker buchstäblich verschenken ließ. Es ist auch
wahrlich keine leichte Lektüre, und ohne Kopf
schütteln wird sich kaum einer durch die beiden
Bände (der 2. Bd. erschien 1907) hindurcharbeiten.
Fast unmöglich erscheint es, mit wenigen Worten
ihren reichen Inhalt zu charakterisieren. Schon
die Anordnung ist sonderbar. Die beiden Phan-
tasiebilder - Erzählungen kann man sie nicht
nennen - „Ich will" und „Die Himmelsleiter"
gehn durch beide Bände hindurch als ein wunder-
liches Gemisch von grotesker Satire, elegischer
Stimmung und märchenhaft phantastischer Kari-
katur. Ein Bild jagt das andere, der Leser kommt
nicht zur Besinnung, und es wird ihm schwer in
dem Wust von Personen, von Witzen, meist unver-
ständlichen Anspielungen, direkten Kalauern, ly-
rischen Gedichten usw. den Faden zu finden oder-
gar zu behalten. Wem es aber gelingt, sich durch
das Wirrsal durchzuarbeiten, der kann nicht um-
hin, die stellenweise geradezu E. T A. Hoffmann-
sche Phantasie des Verfassers und sein reiches
Wissen auf allen möglichen Gebieten zu bewun-
dern und an einzelnen lyrischen Oasen in der
grotesken Wüste seines Werkes mit Freude zu
verweilen. Tie absonderliche, von einem Extrem
zum andern jagende Phantasie Bezzenbergers wird
merkwürdig illustriert durch den dem 1. Bande bei-
gegebenen höchst eigenartigen Bilderschmuck. Die
nicht weniger wie 90 physiognomischen Studien
sind sämtlich photographische Selbstporträts des
Verfassers, der danach ein eminentes mimisches
Talent besessen haben muß. Ohne irgend welche
Kostümierung, nur durch wechselndes Mienenspiel
tßWL 250 §«tL>
wirkend, zeigt er sich da in schier unerschöpflichen
Variationen vom gutmütig lächelnden spmpathi-
schen Greisengesicht bis zur scheußlich grinsendes
Satansfratze, wobei allerdings der Zusammenhang
der Bilder mit dem Text nur in seltenen Fällen
zu erraten ist. Es durfte in der deutschen Literatur
kaum ein zweites Werk geben, das namentlich bei
einem Umfang von knapp 100 Seiten mit so
vielen Porträts seines Autors geschmückt ist.
In den „Bampeliana", die 1010 im Selbstver-
läge Bezzenbergers und unter seinem wirklichen
Namen erschienen sind, herrscht ein ähnliches
kunterbuntes Durcheinander von Anekdoten, Ge-
dichten und Skizzen *). Nur in dem größeren Ab-
schnitt „Ersinderlos", der etwa die Hälfte des
Buches umfaßt und die Reise des Professors Lu-
na ticus vom Monde nach Loschwitz erzählt, ist
ein verbindender Faden ersichtlich. Am meisten
Zusammenhang zeigt noch Bezzenbergers letztes
Werk „Im siebenten Himmel", das er kurz vor
seinem Tode beendigte, ohne seine Drucklegung
zu erleben. Der Titel ist unglücklich gelvählt und
irreführend. Bom siebenten Himmel ist darin nicht
die Rede, sondern von den Schicksalen einer aus
dem siebenten Himmel stürzenden Seele, die im
Sperationssaal eines Kasseler Krankenhauses wieder
zur Besinnung erwacht und von dort eine gar wun-
derliche Reise durch Hessen nach Paris und London
inacht, um schließlich zur Tausendjahrfeier in die
Kasseler Heimat zurückzukehren. Auch dieses Werk
zeigt dieselben Vorzüge und Schattenseiten wie
*'i Man vcrgl. das im „Hessenland" lñlñ, S. 2
abgedruckte Bruchstück „Zum Geburtstag L. Spohrs"
I „Ich null" lind „Die Himmelsleiter", nur daß das
Lokalkolorit mehr hervortritt als in dem älteren
Werke. Das Ganze klingt in ein Loblied auf die
Stadt Kassel aus und die Heimat seiner Väter,
die auch zuletzt seine Heimat wieder wurde'
Ich frage nichts nach Dank und Lohn,
Doch bin ich dein getreuster Sohn
Zu jeder Zeit, Chasalla'
Die Jahrtauseudfeier hat Bezzenberger nur im
Traume noch miterlebt und beschrieben. Kurz
tiachdem er den letzten Federstrich am „Siebenten
Himmel" getan, ist er am 5. Juni 1913 zu Kassel
gestorben. Der Tod, den er in seinen Phantasien
so oft zittert, daß er ihm ein vertrauter Geselle^
geworden war, erlöste ihn von manchen Leiden.
In müder Resignation hatte er ihn schon lange
kommen sehn
Ich habe gesungen
So manches Lied,
Längst ist'S verklungen,
Die Zeit entflieht.
Ich habe gestritten
In mancher Schlacht,
Ich habe gelitten
In mancher Nacht.
Jetzt sterb ich vergessen.
Der doch getreu.
Im Lande zu Hessen
Auf harter Streu.
Er lvar zweifellos ein Mann mit reichen Gaben.
Schade, daß das Schicksal ihm nicht vergönnte, sie
besser auszubilden und zu zügeln. So wurde und
blieb er ein literarischer Sonderling, dessen Sehn-
sucht nach Verständnis seiner Eigenart und dessen
Lechzen nach Anerkennung unerfüllt bleiben mußte.
-----------------------
Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Von A. Wo ring er.
Holländer.
Zwischen Holland und Hessen bestanden von je
her lebhafte Verbindungen. Gleiche Stammesange-
hörigkeit und gleiches Religionsbekenntnis beider
Völker, verwandschaftliche Beziehungen der beiden
Fürstenhäuser begünstigten dies freundschaftliche
Verhältnis. Eine Reihe hessischer Fürsten des
18. Jahrhunderts stand in holländischen Diensten,
und bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts
hinein stammten viele Angehörige des holländischen
Heeres aus Hessen, während zahlreiche Holländer
unter den hessischen Truppen zu finden sind. Ein
holländischer Ingenieur Janson wurde 1620 bei
der Befestigung von Rheinfels verwendet. Während
des 30 jährigen Krieges stand 1643 ein Kapitän
von Brederode in Lippstadt in Garnison, ein
Sohn des berühmten Hugo Grotius, der damals
als schwedischer Gesandter in Paris lebte, Cor-
nelius de Groot, trat 1639 in hessische Dienste,
wurde 1642 als Oberst Chef des bisherigen Regi-
ments zu Pferd de la Boderie, nun de Groot,
stand 1643 und 1644 mit seinem Regiment in
Fulda, nahm 5. August 1645 an der Schlacht
von Atterheim teil, besetzte 16. Dezember 1646
abernials Fulda, eroberte 1647 die Steckelburg,
den Geburtsort Ulrichs von Hutten. Sein Regiment
wurde 1648 aufgelöst. Ein anderer de Groot
war 1644 Rittmeister im Regiment zu Pferd
de Sweerts und stand 1647/8 als Major in
Friedberg. Michael de Sweerts stand 1643
als Oberstleutnant vor Coesfeld, wurde in dem-
selben Jahre Chef des Regiments zu Pferd Leslie,
nun de Sweerts und fiel 1645 als Oberst an
der Spitze seines Regiments bei Allerheim. Johann
von Boeckhorst erhielt nach der Schlacht de
Sweerts Regiment als Oberst, das er 1647 abgab.
Der bedeudtendste Holländer in hessischem Dienst
und einer der tüchtigsten Heerführer Hessens über-
haupt war Kaspar Cornelius de Mortaigne
dePotelles. Um 1609 geboren und reformierter
251
Gasthaus «Zur Krone- in Homberg. (Aus Biclell. Hessische Holzbauten. Verlag von N. G. Elwert. Marburg.)
Flamländer, wurde er Edelknabe des bei Lutter a.B.
gefallenen Prinzen Philipp von Heften, eines Sohnes
Moritz des Gelehrten. Nach dem Tode des Prinzen
trat Mortaigne in schwedische Dienste, war 1637
Oberst. 1641 Generalmajor, wurde 1642 vor Brieg
schwer verwundet, nahm aber in demselben Jahre
9W& 252 &WL
schon wieder an der Schlacht bei Breitenfeld teil
und eroberte 1643 eine Anzahl fester Plätze in
Mähren. Am 12. Februar 1645 wurde er, mit
wichtigen Schriftstücken auf einer Reise nach Leipzig
begriffen, von den Kaiserlichen bei Borna gefangen
genommen. Bald ausgewechselt, führte er in der
Schlacht bei Jankau das schwedische Zentrum und
belagerte dann wieder verschiedene Plätze in Mähren.
1646 übernahm er mit Genehmigung der Königin
Christine von Schweden den Oberbefehl des hessischen
Fußvolkes und trat, nachdem er im Winter 1646/7
mit anderen Kommissaren in Ulm wegen des mit
Bayern abzuschließenden Waffenstillstandes ver-
handelt hatte, anfangs 1647 als Generalleutnant
völlig in hessische Dienste. Mit Übergehung zweier
älterer Generalwachtmeister erhielt er den Ober-
befehl des hessischen Heeres. Als am 1. April
1647 der mit Hessen-Darmstadt abgeschlossene
Waffenstillstand abgelaufen war, nahm er in dem
nun wieder ausbrechenden „Hessenkriege" den Darm-
städtern und ihren Verbündeten Friedberg, Reifen-
berg, Merlau, Königsberg, Blankenstein, Burg-
solms, St. Goarshausen, die Katz, Hohenstein,
Kaub, Gutenfels, Reichenberg und die Pfalz im
Rhein ab. Als er dann den vom Obersten von
Koppenstein tapfer verteidigten Rheinfels angriff,
zerschmetterte ihm am 10. Juli 1647 eine Kanonen-
kugel das linke Bein. Infolge der sehr ungeschickt
vorgenommenen Amputation starb er am 18. Juli
aus dem Rheinfels, dessen am 14. erfolgte Übergabe
er also noch erlebte. Er liegt in der Großen
Kirche zu Kassel begraben. Er war verheiratet
mit Anna von Longchamp. Aus der Zeit des
30jährigen Krieges ist noch der Oberstleutnant
Ludwig von Siegen zu Sechten zu er-
wähnen, der freilich niemals zum militärischen
Dienste verwendet worden ist. 1609 in Utrecht
geboren, studierte er bis 1623 in Kassel, wurde
nach einigen Reisen Kammerjunker und Oberst-
leutnant am hessischen Hofe, ging 1641 nach
Amsterdam, dann nach Wolfenbüttel, wo er Oberst-
wachtmeister wurde. Nach einem Aufenthalt in
Mainz soll er 1680 in Woisenbüttel gestorben
sein. Er war ein tüchtiger Kupferstecher und
erfand die sog. Schwarzkunst (Schabkunst)?)
Unter Landgraf Karl dienten 6 Holländer. Ein
Hauptmann Kuylenberg stand im April 1689
mit seiner Kompagnie in Amöneburg, besetzte aber
am 8. desselben Monats die Stadt Fritzlar wegen
verweigerter Zahlung der Kriegskosten für den
oberrheinischen Kreis. Gerhard Burghard
Rechter», Baron von Almelo wurde 1703
als Oberst Chef des Regiments v. Tilemann gt.
*) Vgl. den Aufsah von F r a n z G u n d l a ch in „Hessen-
land" 1891. S. 66.
Schenk, 26. Juni 1706 Brigadier der Kavallerie
und nahm in demselben Jahre seinen Abschied.
S a m u e l v o n B o e r d h wurde 1708 Rittmeister
in der Leibgarde zu Pferd, van Nyfeld 4. April
1708 Fähnrich im Regiment zu Fuß v. Wilcke,
van Steendorn 16. März 1708 Kornett im
Leibregiment zu Pferd. Otto Christoph von
Berschuer war 1703 holländischer Oberst und
zeichnete sich bei der Belagerung von Bonn aus;
am 17. Juli 1704 trat er als Generalmajor in
hessische Dienste, wurde 1706 Chef der Artillerie.
6. Oktober 1709 Generalleutnant. Er starb 1712
auf dem Rheinfels, dessen Gouverneur erseit 1706war.
Zur Zeit Landgraf Friedrichs II. standen an
Holländern im hessischen Heere Erasmus Gou-
dover, der 1766 Fähnrich im Regiment v.
Donop, und Johann Peter van der Lahr
de Smeth, der 1784 Kornett im Regiment Gens-
darmes war.
Besondere Vorliebe für die Holländer scheint
Kurfürst Wilhelm I. gehabt zu haben. Unter seiner
Regierung finden wir auffallend viele Offiziere
holländischer Abstammung, namentlich von 1804
bis zur Auflösung des Heeres 1806. Es waren
wohl meist reiche Leute, die der Kurfürst gern in
seiner Residenz sah und an seinen Hof zog. B)
Otto Georg Jaensen, 1797 Kornett im
Husarenregiment geworden, nahm 1800 den Ab-
schied. Christian Karl Maximilian von
Bergh war 1800 Stabskapitän im Regiment
Erbprinz. 1804 bis 1821 Major ä la suite der
Armee. Abraham Calkoen van Cortenhoef,
Christian van Singendonck, Theodor
vanderLahrdeSmeth waren 1804 bis 1806
Sekondleutnants, Baaker van Leuwen war
1804 Premierleutnant, I. W. W. Graf von
Wassenaer-Obdam 1805 bis 1806 Kapitän,
sämtlich ä 1a suite der Armee. JakobBaaker
von Leuwen wurde 1800 Fähnrich im Regiment
Erbprinz, 1803 Sekondleutnant im Husarenregi-
ment, 7. April 1805 Premierleutnant darin, trat
nach der Auflösung des hessischen Heeres 1807 in
preußische Dienste als Rittmeister, dann in wal-
deckische Dienste. Am 13. Februar 1812 wurde
er Kapitän im königl. westfälischen Generalstab
und wurde bei Borodino als Adjutant des Generals
v. Ochs verwundet. Am 22. Juli 1813 erhielt
er den Orden der westfälischen Krone. 1814 war
er Major in holländischen Diensten, in denen er
5) Nach einer Mitteilung des Herrn Bibliothekars vr.
phil. Losch in Steglitz wandten sich diese holländischen
Offiziere durch Vermittelung des Landgrafen Friedrich von
Hessen, des Stifters der Linie Rumpenheim, nach Hesien,
der 1784—1795 Gouverneur von Mastricht war und da-
mals vor den vordringenden Franzosen kapitulieren mußte.
vmnL> 253 w**l>
1820 starb. Adolf und Jan Dierk von
Hoey Schilthover van Ostee waren 1806
Fahnenjunker, ersterer im Regiment Kurfürst, letzterer
im Regiment Biesenrodt. Heinrich Cornelius
von Mollerus wurde 1802 Sekondleutnant
im Husarenregiment und 1804 ä la suite der
Armee gestellt. GobertSimon van RengerS
war 1804 Sekondleutnant in der Gardedukorps,
wurde am 2. Dezember 1810 Sekondleutnant in
der königl. westfälischen Chevaulegersgarde, van
Boorst war 1804 Kornett, 1806 Leutnant im
Regiment Gensdarmes. N. Snouckaert van
Schauburg war 1805 und 1806 Kapitän a la
suite der Armee, 1811 Kapitän und seit 18. Sep-
tember desselben Jahres Bataillonschef im königl.
westfälischen Generalstab. RehndertSnouckaert
van Schauburg war 1805 und 1806 Sekond-
leutnant ä la suite der Armee, wurde im Januar
1808 westfälischer Premierleutnant und Adjutant
des Generals von Lehsten. 1809 im 3. Linien-
Jnfanterie-Regiment ä la suite gestellt, 8. März
1809 zum Kapitän im 5. Linien-Jnfanterie-Re-
giment befördert. Beide letzteren scheinen 1811 in
französische Dienste gegangen zu sein.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts trat noch
ein Holländer in hessischen Militärdienst Jean
Philipp van der Hoeven wurde 5. August
1846 Sekondleutnant im 1, Husarenregiment,
12. März 1854 Premierleutnant darin und erhielt
am 11. Oktober 1855 den erbetenen Abschied.
Schließlich müssen wir noch ein Mitglied der
eigentlich aus England stammenden Familie von
Stamford seiner Geburt nach als Holländer an-
sprechen. FerdinandWilhelm Leopold von
Stamford war am 1 Januar 1799 zu Nym-
wegen geboren. Er trat am 3. September 1819
als Sekondleutnant aus hannoverschem in hessischem
Dienst, wurde dem Leibgarderegimeut aggregiert.
1821 in das Regiment einrangiert, nahm aber
schon 9. September 1822 wegen Kränklichkeit seinen
Abschied. Trotzdem erreichte er ein hohes Alter,
er starb erst am 6. Mai 1868 in Kassel.
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Unser Vogelschießen.
Wanfrieder Plauderei von WilhelmPippart.
Das ist unbestritten, Schützenfest kann auch der
kleinste Grt des Kreises Eschwege feiern, Vogel-
schießen aber nur unsere liebliche Werrastadt Wan-
fried. Das ist noch ein Erbstück aus der Väter
Zeit. Und was den Allvorderen heilig war, hält
heute noch der Enkel hoch in Ehren.
Vogelschießen! Wie pocht das Herz in heller
Freude beim Klange dieses Wortes. Wie heitere
Sonnenblicke ziehen die Erinnerungen durch das
Herz. Wie von Feenhand hervorgezaubert, so steigt
das Bild der halbvergessenen Heimatstadt dem in
der Feme weilenden Wanfrieder vor die Augen.
Viel zu schmücken braucht sich das Städtchen
zum Empfang seiner Gäste nicht. Es ist immer
prächtig herausgeputzt. Und gerade zur Vogel-
schießenszeit hat ihm die Natur den allerliebsten,
unübertrefflichsten grünen Iägermantel um die
Schultem gelegt. Die buntesten Blumen sind hin-
eingestickt, und das schillemde Silberband der Werra
umsäumt das Kleid.
Wie kecke, grüne Iägerhütlein überragen Linden-
wipfel den Grt der Feier. —
Die Tage der vorberàng, der Arbeit und des
Schaffens sind vorüber. Vorüber auch die Vor-
feier, der Bratwurstabend, und nun ist Sonntag, ist
Vogelschießen. Zwar macht der Himmel noch ein
gar griesgrämiges Gesicht, und voller Sorgen sind
seine Stimfalten. Aber die Kirchenglocken tönen
so hell und die geputzten Kirchgänger schauen ihn
so bittend an, daß für Sekunden ein leises Lächeln
über sein Gesicht huscht.
Nachmittags um 3 Uhr rauscht der Schützenzug
durch die Stadt. In den hellen Jubel der Musik
mischt sich schüchtern das Klingen des Schellen-
baumes. Er ist ein Erbstück aus der Zeit der
Bürgergarde. Wenn er erzählen könnte! Wieviele
lachende Gesichter sind ihm schon gefolgt' Wohl
jcdes'Iahr ist seine Gefolgschaft eine andere. Alte
traute Gesichter verschwinden, neue tauchen auf.
So geht es fort im steten Wechsel der Zeiteil, eine
Generation verdrängt die andere. Hinter der Mu-
sik schwebt auf den starken Schultern des Vereins
dieners der Doppeladler, ein Niesenvogcl in bunt-
schillemden Farben und weitausgebreiteten Flügeln.
Ein wahres Kunstwerk der Tischlerei ist er. Gleich
hinter der Kapelle schreitet die Majestät des Festes :
der Schützenkönig! Er ist sich seines Amtes und
seiner Würde wohl bewußt. Hellen Auges, stolzen
Schrittes, so trägt er die schwere silberne Kette
auf der Brust, wie es ihm das Königsamt befiehlt.
Und nun folgen ihm die anderen Schützen im glei-
chen Schritt und Tritt. Sie sehen schmuck aus
in ihrer grünen Uniform. Keck fitzt das Iäger-
htttlein auf dem Kopfe, und die sichelförmig ge-
bogenen Federn daran wiederholen den Takt des
marschierenden Fußes. Über der geschloffenen Ko-
lonne weht flatternd die Fahne. „Üb' Aug' und
Hand fürs Vaterland" rauscht es aus den Falten.
vsöL. 254
Ein bunt Gewirr marschlustiger, musikliebender
Schuljungen, durch deren Adern schon ein Tröpf-
lein Iägerblut ungestüm pocht und jagt, beschließt
hüpfend und jubelnd den Zug. Schon sind die
Schützen auf dem Scheibenstande angekommen.
Furchtlos steigt der Riesenvogel an der Stange
empor. Weithin leuchten seine gold- und silber-
bronzierten Flügelfedern, die kunstvoll geschnitzten
Kronen» Reichsapfel und Zepter.
Der erste Schuß fällt. Das ist das Eröffnungs-
zeichen des Festes. Wie ein Heller, sieghafter Jodler
hallt der Ton durch das Tal, bis er im fernen
Waldgeflüster stirbt. Und nun beginnt die kunst-
gerechte Tranchierung des Doppeladlers. 9n ganz
bestimmter Reihenordnung fallen Fähnchen, Krone,
Reichsapfel, Zepter, Flügel und Schwanz den
saufenden Kugeln zum Opfer. Mit dem Herunter-
schießen einer dieser Trophäen wird dem glücklichen
Schützen ein Geldbetrag zuerkannt.
Unterdessen hat sich abseits auf dem Festplatz»
dessen Umrahmung aus vielfitzigen Wirtszelten be-
steht, ein fröhliches Treiben entwickelt. Auf zwei
Angern dreht sich nach den Weisen der Kapelle
die tanzlustige Jugend. Wahre Jünger Terpsichores
führen elegant ihre Kunst aus, aber auch Ängst-
liche, Ungeschicktere mischen sich schüchtern dazwischen.
Wer für weniges Geld einen einzigen Tunnel
dutzendmal durchfahren will, der steige in das
nebenstehende Karusfel, in dessen Glas- und Pgr-
lenbehang der Dachrundung die Sonne goldene
Maschen webt. Allerlei andere Buden laden auf-
dringlich zum Besuche ein. Das find die modernen
Szyllas und Charybdis eines jeden Festes, denen
selten einer ungerupst entrinnt. Nebenan hockt
unter niedrigem Leinendache ein verrunzeltes Zucker-
weiblein. Ihr Häuslein gleicht ganz der Honig-
kuchenhütte im Märchen von Hänsel und Gretel.
Flammendrote Zuckerherzen liegen zu Bergen auf-
geschichtet auf dem Tische. Das ist die begehr-
teste Ware des Festes. Je schöner und feuriger
der Spruch darauf, desto reißender ist der Absatz
der Liebesherzen.
Froh blickt die Alte in das vorübertreibende
Menschengewühl, denn ihre Lederlasche füllt sich von
Stunde zu Stunde, und den grauen Sorgenlagen
ist für längere Zeit der Besuch verwehrt. Hin und
wieder wirst sie einen Blick auf die Tanzenden.
Da taucht aus ihrer Erinnerung eine schlanke,
blonde, lebensprühende Mädchengestalt auf. Die
Augen glühen wie helle Frühlingsblüten, Blumen
hängen im vollen Haare, frisches Kriftallachen
quillt aus den roten Mädchenlippen. Die ganze
Erscheinung scheint die verkörperte Anmut, ihr
Gehen ein Tanzen auf blumigen Beeten zu sein.
War sie es selbst? „Aus der Jugendzeit, aus
der Jugendzeit “
Höher schlagen die Wogen der Freude und der
Lust über den Festplatz, lauter klingt das Lachen und
Jubeln der Feiernden, schmelzender und lockender
umfließen die Melodien die Reihen der Tanzenden.
Über alles Leben aber breiten wie ein einziger grüner
Riesensonnenschirm uralte Linden ihre Kronen aus.
Langsam sinkt der Sonnenball, und die Nacht
schreitet lautlos über das Werratal. Aber dort
stirbt das frohe Vogelschießenleben nicht. Heute
wandelt keiner in den ausgetretenen Fußtapfen
des Alltags. Heute ist unser Vogelschießen! Wie
ein Stück aus einem uralten deutschen Märchen
mutet das festliche Treiben den an, der es des
Abends aus einiger Entfernung betrachtet. Dann
ist der grüne Riesenfonnenschirm zum mächtigen
Pilzhute geworden. Die bunten Lampions um-
schwirren und beleuchten ihn wie leuchtende, tanzende
Johanniswürmchen. Wie Geistermusik klingt es
scheu herüber. Und unter dem Pilzdache tanzen
und Hüpfen den Werrafluten entstiegene Nixen
ihre Ringelreihen.
Das ist rechter Wanfrieder Vogelschießenzauber,
der nie stirbt.
Der zweite Vogelschießentag gleicht dem ersten,
wie ein Bruder dem anderen. Und auch der dritte
hat ein fast gleiches Gesicht. Nur daß die Fremden
fast ganz verschwunden sind. Aber das ist kein
Fehler; denn erst jetzt ist es ganz unser Fest.
Wie aber sieht der stolze Doppeladler aus?
Zerfetzt, zerhackt, zerrissen, so klebt er, ein Bild
des Jammers, an seinem lustigen Horste. Aus
dem stattlichen Königsvogel ist ein einziger form-
loser Holzklotz geworden. Doch ist es das beste
Zeugnis für die Kunst der Schützen.
Erft am nächsten Sonntag wird die Königs-
würde neu verliehen. Wer den Vogelrumpf ab-
schießt, wird zum König gekrönt. Mit dem Fallen
des Rumpfes ist der glückliche Schütze im Verein
Träger der Königswürde fürs ganze kommende
Jahr. Mit seinem letzten Schuß hallt es trium-
phierend über Tal und Fluß . „Der König ist tot,
es lebe der König!"
Neue Würde, neue Bürde. Und die neue Bürde
des neuen Königs besteht zunächst im Tragen der
schweren Königskette, die ihm feierlichst überreicht
wird. Doch muß er auch echt königlichen Sinnes
am Krönungslage seiner Untergebenen gedenken.
Je tiefer sein Säckelmeister in den Königsschatz
greift, desto freudiger hallt ihm auch der Huldigungs-
eid, der in einem dreifachen Hoch besteht, entgegen.
Nun hält er seinen Triumphzug in die Stadt.
Bis hin vor sein Hans geht der Zug, das nun
ein ganzes Jahr lang ein Königsschloß bleiben soll.
vmtL, 255 «ML,
Schon Jahr um Jahr hat der steinerne Roland
am Gasthaus zum Schwan einen neuen König an
sich vorüberziehen sehen. Es ist, als wenn jedes-
mal an solchem Tage ein sonniges Lächeln über
sein Steingesicht husche. Freut er sich über die
Enkel, die Sitte und Brauch der Ahnen nicht in
der hastenden, modernen Zeit untergehen lassen? —
Erloschen ist der Festtrubel auf dem Griesgraben.
Hinweggeweht sind Leben und Lust, Lachen und
Scherzetz. Nur über die Wipfel der Linden läuft
noch ein letztes Zucken und Lohen. Aber rings-
um im reifenden Ährenfelde hebt ein Raunen und
Flüstern an. Die vom Segen gebogenen Ähren-
halme sind es, die wehmütig Zwiesprache hallen
vom nahenden todbringenden Ernteschnitt. Sie
erzählen von blitzenden Sensen und Sicheln und
nervigen Fäusten. Und daran mangelt es den
Wanfriedern auch nicht . . .
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. In der
gut besuchten Generalversammlung des Mar-
burger Zweigvereins am 16. Juli erstattete der
Vorsitzende, Archivrat vr. Rosen selb, den Be»
richt über das abgelaufene Geschäftsjahr. Eine er»
sreuliche Vermehrung der Mitgliederzahl war fest
zustellen. Der Vorsitzende gab sodann einen lurzen
Rückblick auf die Ereignisse im Vereinsleben seit der
vorjährigen Mitgliederversammlung in Schmalkalden,
aus die Vortragsabende und Ausflüge und forderte
zum Besuch der diesjährigen Mitgliederversammlung
auf, die vom 7. bis 9. August in Homberg a. d. Efze
tagen wird. In Vertretung des abwesenden Kon-
servatorS berichtete der Vorsitzende ferner über die
Neuerwerbungen für die Altertümersammlung, über
den Besuch der Sammlung, sowie über ihre Be-
nutzung für kunstgewerbliche und wissenschaftliche
Zwecke. Besonderes Interesse erregten die Mit-
teilungen über die in dem abgelaufenen Geschäfts-
jahre endgültig erledigte Teilung der Sammlung, bzw.
den Austausch mit Kassel. Unter dem 19. Februar d. I.
ist der gegenseitige Leihvertrag zwischen dem Kasseler
Landesmuseum und dem Verein vom Kultusmini-
sterium genehmigt worden. Demgemäß ist die Ab-
gabe der aus der Vereinssammlung als Leihgabe
dem Museum zu überweisenden Stücke Anfang April
erfolgt, die Leistung der Gegengabe wurde mit Rück-
sicht auf die großen, für die Einrichtung des neuen
Museums in Kassel erforderlichen Arbeiten in beider-
seitigem Einverständnis noch verschoben. Bisher ist
nur ein großer Barockschrank aus dem Anfang des
18. Jahrhunderts hier eingetroffen; doch konnte auch
eine vorläufige Auswahl aus den vom Museum zur
Verfügung gestellten Sachen in Kassel durch die
Vertreter des Marburger Vereins vorgenommen
werden. Noch nicht berücksichtigt wurden dabei die
Prähistorie und die Münzabteilung; ausgesucht wurden
Proben von Porzellan. Fayence und Steingut der ver-
schiedenen hessischen Fabrikorte, Gläser, Schnitzereien
in Bernstein, Elfenbein. Achat. Buchsbaum usw.,
auch Waffen und Möbel. Gewiß ist dieses noch kein
gleichwertiger Ersatz für die von dem Verein ge-
brachten Opfer, weder an materiellem noch an künst.
lerischem Wert, andererseits ist nicht zu leugnen,
daß die nach Kassel abgegebenen Stücke dort vielfach
zu befferer Geltung kommen werden, und für die
Vereinssammlung wird ein größerer Gegenwert in
dem dauernden Austauschverhältnis zum Kasieler
Museum liegen. Durch die bevorstehenden Zugänge
aus Kassel wird auch für Gebiete, die hier bisher
gar nicht oder für Studienzwecke ganz unzulänglich
vertreten waren, doch so erhebliches Material der
Marburger Sammlung zugeführt, daß ste wirklich
nun den Grundstock für ein zweites hessisches
Museum bilden kann. Die beträchtliche Ver-
mehrung, die ihr infolge des Abkommens mit Kassel
nun bevorsteht, läßt auch das Bedürfnis nach zweck-
mäßigeren Räumen wieder stärker hervortreten,
daher ist es erfreulich, daß durch den Beschluß der
Stadtverordneten vom 19. Mai d. I. 30 000 Jt>
als Grundstock für einen Museucksbau bewilligt
worden find. Da außerdem die Gelder des Alter-
tums» nnd Kunstvereins für diesen Zweck zur Ver-
fügung stehen, so ist das Ziel einer Museumsbaues
der Verwirklichung nahe gerückt. — Sodann er-
stattete der Schatzmeister, Landgerichtsrat Heer,
den Kassenbericht und legte den Voranschlag für das
nächste Jahr vor; nach Bericht der Revisoren über
die Prüfung der Rechnung wurde Entlastung er-
teilt und der Voranschlag genehmigt. — Die Mit-
glieder deS Vorstandes und des Redaktionsaus-
schuffeS wurden auf Antrag aus der Versammlung
durch Zuruf von neuem gewählt; der Vorstand
besteht aus den Herren- Rofenfeld, Wenck, Heer
und Giebel, die von Marburg zu wählenden Mit-
glieder des RedaktionsausschuffeS find: Schröder-
Göttingen und Wenck. — Es folgte der angekündigte
Vortrag von Archivrat vr. Rofenfeld: Land-
graf Friedrichll. von Hessen-Kassel und
d i e H e r r e n h u t e r. In die kolonisatorischen Be-
strebungen dieses Landgrafen gehört auch ein Versuch,
eine Herrenhuter Niederlassung nach Kassel zu ziehen;
der Gedanke dazu scheint durch einen Besuch Fried-
richs in Neuwied 1781 angeregt zu sein, wo sich
seit 1750 eine, damals in schönster Blüte stehende
Brüderkolonie befand. Besonderes Interesse erregt
256 9W£b
dieses Projekt durch die Person des Vermittlers,
des berühmten Möbelsabrikanten, „KabinetmacherS"
und „Ehernsten", David Roentgen von Neuwied,
der im eigenen Geschäftsinteresse den Plan betrieb,
nachdem schon vor einigen Jahren ein Versuch, eine
Filiale seiner eigenen Fabrik nach Kassel zu ver-
legen, gescheitert war. Er vermittelte eine Korre-
spondenz des Landgrafen mit dem Bischof der
Brüdergemeinde. Gottlieb August Spangenberg in
Barby, die indessen resultatlos blieb und auch dem
eifrigen Geschäftsmann nicht einmal den ersehnten
Kommerzienratstitel eintrug. Die Brüderunität,
damals auch von anderen Dynasten umworben,
lehnte das Anerbieten des Landgrafen ab, weil
dieser, dem im merkantilistischen Interesse allein
daran gelegen war, in den Brüdern geschickte Pro-
sessionisten und steißige Gewerbetreibende ins Land
zu ziehen, sich in seinen Versprechungen kirchlicher
und bürgerlicher Freiheiten doch nicht zu sehr
binden wollte.
Marburger Hochschulnachrichten. Unser
Privatdozent der Astronomie und Meteorologie,
vr. Alfred Wegener hat nach einem hier ein-
gelaufenen Telegramm Grönland von Osten nach
Westen glücklich durchquert. Die Expedition, die er
zusammen mit dem dänischen Hauptmann Koch aus-
geführt hat, hat die Nachricht ihrer Ankunft in
Tröwen an der Westküste Grönlands an das Komitee
zu Kopenhagen gelangen lassen, von dem die Nachricht
dann weitergegeben worden ist. (Die Expedition
verließ am 20. April das Winterquartier aus d.em
Inlandeis mit fünf Schlitten und fünf Pferden,
um den 1200 Irin langen Marsch nach der West-
lüste Grönlands anzutreten. Die Expedition hatte
sehr viele Schwierigkeiten zu überwinden, am 2. Juli
mußte das letzte Pferd, am 15. Juli der einzige
mitgenommene Hund geschlachtet werden. Mit dieser
Expedition ist seit Nansen s1888j die vierte Durch-
querung Grönlands geglückt, abgesehen von den im
höchsten Norden verlaufenen Expeditionen PearyS.)
— Mit einer Antrittsvorlesung über „Die Realität
des Allgemeinen" habilitierte sich vr. phil. Heinz
HeimSoeth.
Regimentsjubiläen. Fünf Hundertjahrfeiern ehe-
maliger kurhesftfcher Regimenter fielen in den August.
Am 3. August fand die feierliche Enthüllung deS Hessen-
denkmals auf der Höhe von Elsaßhausen bei Wörth statt.
daS dem 1. Kurhessischen Feldartillerie-Regiment
N r. 11 von ehemaligen Angehörigen gestiftet war. An
dem in Form eines achteckigen Aussichtsturms errichteten
imposanten Bau. bei dem die Eäulenträger der hohen
Fensteröffnungen aus den letzten noch im Berliner Zeughaus
vorhandenen 4- und 6pfündigen Geschützrohren gebildet
werden, hielt General E i s e n t r a u t die Festrede, der An-
sprachen des Oberstleutnants z. D. Henrici des Obersten
deS Regiments, Freiherrn v o n P r e u s ch e n des Professors
vr. Fennel, des Stadtrats Kühnemann und des Haupt-
manns der Landwehr Scheel folgten. Am 5.- 7. August
fand dann die eigentliche Hunderjahrfeier des Regiments
in Kassel statt, zu der die Sonderzüge außerordentlich viele
Elfer aus allen Gauen Deutschlands in ihre alte Garnison-
stadt brachten. Glänzende Reiterfestspiele auf dem Kasernen-
hof leiteten daS Fest ein, ein großer Festkommers, an dem
stch gegen 9000 Personen beteiligten, schloß sich an. Der
nächste Tag brachte große Parade auf dem Friedrich-platz,
bei der 150 ehemalige kurhesfische Artilleristen die kur-
hessische Erinnerungsmedaille erhielten. Bon den ehemaligen
kurhesfischen Offizieren des Regiments sind noch am Leben
Franz A l f e r m a n n, Generalarzt a. D. in Kassel, Sieg-
mund Breithaupt Oberstleutnant a. D. in Kaffel,
Georg Burkhardt v o n K i e tz e l l. Major z. D. in Darm-
stadt . Oskar v. Normann. Oberstleutnant a. D. auf
Schloß Miltenberg bei Afchaffenburg, Rudolf Wilhelm
v. Pfister, Generalmajor a. D. in Kassel, Hermann
Paul Scheffer, Major a. D. in Kaffel Wilhelm
V o l m a r, Major a. D. in Kassel. An Geschenken erhielt
das Regiment u. a. von der Stadt Kaffel wertvolles Tafel-
silber. Wein aus ihrer Kellerei und 1500 M. Beisteuer
zum UnterstützungsfondS, von Senator Polizeidirektor Otto
Grrland-Hildesheim das Bild des früheren Obersten und
Regimentskommandeurs, des ehemaligen Generalmajors
Gerland. der das Regiment 1826—52 führte, und von
anderer Seite das Bild des Obersten Koeler, der das Re-
giment 1814—15 geführt hat.
Gleichfalls in den Anfang August fiel die Hundertjahr-
frier des 2. Kurh. Jnf.-Regts. Nr. 82 in Göttingen.
in deren Mittelpunkt eine Festvorstellung im Stadttheater
und ein großer Festzug mit 22 Gruppen stand.
Gegen 5000 ehemalige Angehörige beteiligten sich an dem
im überaus festlich geschmückten Marburg vom 9.—11. August
begangenen Jubiläum des Kurh. Jäger-Bataillons
Nr. 11. Konzert. Kommers. Vorführung der aktiven
Mannschaft. Festgottesdienst, Parade, Bataillonsappell und
Preisschikßen bildeten das wohlverlaufene Programm. Der
älteste Jägerveteran war der Marburger Kratz vom Jahr-
gang 1846.
Zu der in den Tagen vom 16. und 17. August ab-
gehaltenen Hundertjahrfeier des Infanterie-Regiments
von Wittich (3. Kurhess.) Nr. 83 schließlich trafen
über 22 000 ehemalige Angehörige des Regiments, dar-
unter 165 aus kurhessischer Zeit, in Kassel ein. daS in
allen Stadtteilen mit Fahnen und Girlanden reich ge-
schmückt war und damit bezeigte, wie regen Anteil es an
diesem Fest seiner 83er nahm. Die Feier wurde durch
Zapfenstreich und Feiern der einzelnen Kompagnien ein-
geleitet. Am Sonntag war großes Wecken, dann Regi-
mentsappell und religiöse Feier auf dem Kasernenhof.
Der Parade auf dem Friedrichsplatz, die leider vom Regen
beeinträchtigt wurde, wohnte außer dem kommandierenden
General Sr. Exzellenz von Scheffer-Bohadel auch der Ehef
des Regiment«, der Fürst von Waldeck nebst Gemahlin
bei. Turnspiele der Mannschaften und Festessen der Offi-
ziere, Mannschaften und ehemaligen Regimentsangehörigen
bildeten auch hier den Beschluß der Gedenkfeier, die zahl-
reiche Ordensauszeichnungen brachte.
In dieselbe Zeit fiel auch das Jubiläum des 1. K u r h e s s.
Husarenregiments Nr. 13 in Diedenhofen. bei dem
sich dessen Chef, der König von Italien, vertreten ließ.
Kasseler Dichterbuch. Auch die Kasseler Dichter
und Dichterinnen rüsten sich, das JubiliäumSjahr würdig
zu begehen. Sie tun dies durch Herausgabe eines Kaffeler
Dichterbuches lVerlag A. Frryschmidt. Kassel). Das Buch
wird, soweit es der Raum zuläßt, einen Überblick über die
vßütL, 257 *m>
gesamte literarische, vorzugsweise lyrische Bewegung Kassels
geben und daher jedem Literatursreund unentbehrlich sein.
Der Preis des gediegen ausgestatteten Werkes mit Buch-
schmuck der hiesigen Malerin und Zeichnerin C. Deymann
beträgt bei Vorbestellung bis 1. September 2.50 Mark,
später erhöht sich der Preis auf 3.50 bis 4 Mark. Be-
stellungen nehmen sämtliche Buchhandlungen entgegen.
Noch lebende Verwandte des »Jägers aus
Kurpfalz" Der Kaiser hat in diesen Tagen dem um
1750 lebenden kurpfälzischen Forstverwalter, dem „rheu-
tenden Erboberförster und Forstinspektor des vorderen
SoonS" Friedrich Wilhelm Utschauf Entenpfuhl im
Taufpate über Franz Ruppert. Gerbereibesiher in Kirch-
brrg. besten Sohn. König!. Forstmeister a. D. Julius Ruppert.
noch lebt. Der Ehe des Adam Ruppert mit Elisabeth Utsch
entstammen vier Söhne: Joseph. Franz. Viktor und Karl.
Franz ist der erwähnte Gerbereibesitzrr in Kirchberg. später
als Rentner in Wadern verstorben; dessen Sohn. König!.
Forstmeister a. D. Julius Ruppert in Marburg, dürfte
als Urenkel des Jägers aus Kurpfalz der nächste noch
lebende Verwandte des »Jägers aus Kurpfalz" sein, da
alle anderen Abkömmlinge einen Grad weiter verwandt
sind. Der 84jährige Forstmeister a D. Julius Ruppert
wohnt in der Schwanallee zu Marburg.
Das Denkmal des Artillerie-Regiments Nr. 11 bei Llsahhausen unweit DSrth.
«Aus dem „Kasseler Tageblatt und Anzeiger".)
Soonwald, der angeblich durch das bekannte Lied des Kar-
melitermönchs Martin Klein verewigt wurde, ein Denkmal
errichtet, das den Jäger in der Rokokotracht darstellt. Von
Angehörigen des „Jägers aus Kurpfalz" wird der »Ober-
hessischen Zeitung" mitgeteilt: Die Tochter deS Erbober-
försters Utsch, Elisabeth, heiratete Adam Ruppert, Gasthaus-
befitzer. Stadtfchöffe und Oküeier àe ?o1io6 in Kirch'
berg. die Schwester von Adam Ruppert den Sohn von
Friedrich Wilhelm Utsch, den Oberförster Franz Peter
Utsch auf dem Entenpfuhl. Franz Peter UtschS Nachfolger
war Oberförster Gerhard Utsch. Franz Peter Utsch war
Personalien.
Verliehen r der Stern zum Roten Adlerorden 2. Kl.
mit Eichenlaub dem Generalleutnant z. D. Dietrich-
Thebesius in Dresden; — der Stern zum Kronen-
orden 2. Klasse dem Generalleutnant z. D. Berndt in
Kassel und dem Generalmajor z. D. von Roques in
A u 8 M a r b u r g. Die Stadtverordneten genehmigten
die Vorlage über die Umarbeitung des Friedrichsplatzes
im neuen Südviertel zur Aufstellung des vielumstrittenen
Kreiskriegerdenkmals, das in einer Nische nach der
BiSmarckstraße zu stehen soll, mit der Borderseite nach dem
malerischen Dammelsberg gerichtet. Die Einweihung wird
im nächsten Frühjahr erfolgen.
AuS Fulda. Bei den Nachgrabungen am Domplatz
stieß man auf die Grundmauer der Apsis der JohanniS-
kapelle, des östlichen Vorbausder früheren Fuldaer Kathedrale.
Kassel; — der Kronenordrn 2. Klasse dem Generalmajor
z. D. v. Stuckrad in Blankenburg (Harz) und dem
Obersten z. D. I a c o b i in Charlottenburg; — der Rote
Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife dem Oberst und
Kommandeur des Kurh. Feldart.-Rgts. Nr. 11 Freiherrn
von Preuschen in Kassel und dem Oberstleutnant z. D.
imL 258 rê.
v. Moellendorf in Kassel; — der Kronenorden 3. Kl.
dem Oberstleutnant a. D. Rein hold in Dachau bei
München, dem Major a. D. F i s ch e r in Kassel und drM
Metropolitan und Pfarrer a. D-, Kreisschulinspektor
Wittekindt zu Hohrtanne im Landkreise Hanau; —
der Rote Adlerorden 4. Klasse dem Hauptmann Clau-
sius. dem Hauptmann Freiherrn v. Buttlar-Ziegen-
berg. dem Hauptmann d. R. Professor vr. Krüger,
dem Hauptmann d. R. Hofjuwelier und Stadtverordneten
Scheel in Kassel, dem Metropolitan und Pfarrer a. D.
Manger in Marburg und dem Buchhändler Pape in
Hamburg; - der Kronenorden 4. Klaffe dem Fabrik-
besitzer Kramer in Fulda; — das Ritterkreuz 1. Klasse
mit der Krone de- zur Erinnerung an Philipp den Groß-
mütigen gestifteten Verdienstordens dem Superintendenten
a.D.v. Wolfs in Kassel; — der Adler der Inhaber des
Kgl. HausordenS dem Lehrer Schwalm in Obergrenze-
bach; — das Verdienstkreuz in Gold dem Gerichtsvoll-
zieher a. D. Pfeiffer in Marburg und dem Stadt-
sekretär Waldmann in Kaffel; — dem Generalmajor z.D.
v. Dehn-Rotfelser in Greene bei Kreiensen der Cha-
rakter als Generalleutnant; dem Oberstleutnant a. D.
Bode in Kaffel der Charakter als Oberst; dem Majorz. D.
Henrici in Kaffel. dem Major a. D. Vial in Kassel
und dem Major a. D. Freiherrn von und zu Gilsa
in Kassel der Charakter als Oberstleutnant; dem Ober-
leutnant a. D. v. Schwedler in Rüdersdorf, früher im
Jnf.-Reg. Nr. 83. der Charakter als Hauptmann.
Ernannt: Pfarrer Lucke zu Niederelsungen zum
Pfarrer in Zierenberg; Regierungssekretär Giesler bei
der Kgl. Regierung in Kaffel zum kommissarischen Prä-
fidialsekrrtär.
übertragen: dem Oberförster SB ü f f. bisher in
Spangenberg (Forstlehrlingsschule), vom 1. Oktober d. I.
ab die Obersörsterstelle Vöhl.
Beauftragt: Missionar B r e i d e n b a ch mit der Ver-
setzung der HilfSpfarrei Langenselbold; Pfarrer extr.
Schwanz mit der Versehung der Hilfspfarrei Weiterode-
Bebra. *
Gebore«: ein Sohn: Fritz Baumann und Frau
Minna, geb. Krach lHerSfeld. 3. August); Pfarrer Th.
Kor ff und Frau Amalie, geb. Mathei (Holzhausen,
Kr. Kirchhain, 7. August); Pfarrer Raab und Frau
Marie, geb. Lingelbach (Mitterode. Kr. Eschwege. 8. Au-
gust); Pflanzer Karl Landgrebe und Frau Antonie,
geb. Rodenacker (Grebenrode bei Leudorf-Leganga, Deutsch-
Ostafrika, 8. August); — eine Tochter: RegierungSbau-
meister Kays er und Frau Anna. geb. Landgrebe (WormS,
1. Juli); Regierungsbaumeister Zernickow und Frau
Johanna, geb. Jde (HerSfeld. 9. August); Or. phil. Ro-
bert Thomas und Frau Paula, geb. Scriba (Hersfeld,
13. August); Otto R o w o l d und Frau Franza. geb. Eller
(Oberursel im Taunus); Landgerichtsdirektor Co in g und
Frau Therese, geb. Jrß (Hannover 13. August); Groß-
händler Fritz Diemar und Frau Kornette geb. von
Davidis (Kassel, 14. August).
Gestorben: Landgerichtsrat Stoll aus Hanau (Bad
Orb); Rentner Eduard Schreiber (Kassel. 6. August);
Fräulein Auguste von Haller. 83 Jahre alt (Kaffel,
7. August); Professor Oskar Iacobi 68 Jahre alt (Kassel.
8. August); Oberlehrer Hugo Schreiber 44 Jahre alt
(Galkhausen, 8. August); frühere Ballettmeisterin der Kasseler
Hofbühne (1868—76) Laura Jdali 85 Jahre alt
(Weinheim, 11. August); Bürgermeister a. D. Nikolaus
Menge! 88 Jahre alt (Roßberg. 11. August); Kgl.
Kammermusiker a. D. Franz Ludwig (Kaffel. 15. August);
Frau Sophie Lange, geb. Oestreich (Kassel. 16. August).
Sprechsaal.
August Vilmar und die heilige Elisabeth.
PH. L. sagt am Schluß seiner Besprechung von W. Hopfs
Vilmarbiographie Bd. Il in diesen Blättern Nr. 15 S. 241,
wenn Hopf ein Verzeichnis von V.'s Veröffentlichungen
gegeben hätte, „dann würden wir wohl auch erfahren haben,
was es für eine Bewandtnis mit der Schrift über „Die
heilige Elisabeth* hat. die 1895 unter V.'s Namen in
Gütersloh erschienen ist. aber kaum von ihm herrührt.*
Ich weiß nicht, wie L. zu diesem Zweifel kommt? Er
scheint die Vorrede des Schriftchens von 1895 nicht gelesen
zu haben. Dort spricht vr. C. A. Willens, nachdem er
der auch später für die hl. Elisabeth von V. bewährten
Vorliebe gedacht hat. doch gewiß nicht leichtfertig aus. daß
er einen Neudruck eines 1842 von V. in Hengstenbergs
Evangelischer Kirchenzeitung veröffentlichten Aufsatzes ein-
leitet. Daß V. dieser Zeitschrift damals ferngestanden habe,
wird L. nicht behaupten wollen, s. Hopf 1, 363. Wenn
Hopf die Elisabethbiographie übergangen hat. ebenso wie
die 1883 in gleichem Verlag erschienene Lutherskizze, so
hat sich dagegen die Verlagshandlung Bertelsmann auf der
letzten Seite des ersten Bande« mit buchhändlerischer An-
kündigung aufs neue zu V.'s Verfafferschaft auch der Elisabeth-
skizze bekannt. Für sie spricht unabweisbar, daß man die
bekannten Vorzüge der Erzählungsweise V.'s. der hier einen
ihm überaus sympathischen Stoff behandelt, sämtlich in dem
Büchlein wiederfindet, wie Ad. Jülicher in seiner Besprechung
(Christliche Welt 1895 S. 965/6) urteilt, ohne an einen
Zweifel zu denken-, und ebenso spiegeln die eingestreuten
„praktischen stets giltigen Winke und Fingerzeige geistlich
reifen Urteils* (Worte des Herausgebers) deutlich die
Denkungsart V.'s wieder. Man wird zweifellos dem Urteil
JülicherS zustimmen müssen, daß dem Neudruck des Auf-
satzes, weil die Forschung in jenen fünfzig Jahren nicht
stillegestanden hatte, große Bedenken hätten entgegenstehen
müssen, aber ihn V. abzusprechen, dafür liegt gar kein
Grund vor.
Marburg a. L. K. W e n ck.
Mitteilung.
Die beiden Septemberhefte werden zusammen als Sonder-
heft anläßlich der Tausendjahrfeier der Residenzstadt Kaffel
erscheinen. Redaktion und Verlag des „Heffenland*.
Tragekasten.
(Mehrfachen Wünschen entsprechend, werden wir unter dieser Rubrik
fortlaufend die auS unserem Leserkreis eingehenden kurzen Anfrage»
veröffentlichen. Die etwa einlaufenden Antworten werden unter der»
selben Nummer beantwortet.)
Fragen.
3. Ich möchte anfragen, wo s. Z. „Schwänke des alten
Oberförster Grau in Kirchditmold* unter diesem oder ähn-
lichem Titel erschienen find. Da ich an einer Familien-
geschichte arbeite, wäre ich sür eine Auskunft dankbar.
4. Ferner wäre mir erwünscht zu wiffen ob der alte in
Fritzlar s. Z. übliche Brauch noch fortbesteht, zu gewiffer
Zeit. so um Ostern herum, abends die Fenster der Leute
von der Straße aus mit E r b s e n zu bewerfen, und waS
dieser in meiner Jugend sehr ausgiebig gepflegte Brauch
eigentlich zu bedeuten hat.
Glauchau i. Sa. Ingenieur Grau.
Antworten.
2. Ihre Anfrage wird in einem besonderen Aufsatz be-
antwortet werden.
Für dir Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach. Kaffel. Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kaffel.
Hejsenland
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 17/18
27. Jahrgang. September-Doppelheft 1913.
Widmung.
Der Tausendjährigen.
So lange schon der Fulda Welle rinnt
Durch deine Mauern, du geliebte Stadt!
Wo sich so manches Kindheitsmärchen spinnt
Und jeder Stein ein Stückchen Sehnsucht hat.
Wo jeder Wunsch, verklärt von Sonnenlicht,
Was ihn bewegt, in Heimatzauber hüllt,
Und jeder Mund, der deinen Namen spricht,
Das Wort mit seiner ganzen Liebe füllt.
Ich bin mit dir verwachsen felsendicht.
Und auch das Schönste draußen tauscht' ich ein
Für jeden Schritt in deinem Sonnenlicht,
Für jedes glückliche Zuhausesein! —
Nun schmückt dich heut' der seltne Festtagsflor
Der Tausendjährigen. Doch, wie wunderbar:
Je älter du, je mehr blühst du empor,
Du bist erhaben über Tag und Jahr!
Mein Kassel! Wohl das Schönste dank' ich dir,
Du Stadt im waldgeschmückten Heimatland!
Neigt sich dein liebes Bild im Traum zu mir,
Dann spür' ich leise meiner Mutter Hand.
München. Gustav Adolf Müller.
Nun drückt ein jubelnd Jahrtausend
Aufs Haupt dir den Ruhmeskranz.
Du schaust verwundert zurück
Und siehst nur Morgenglanz.
Es war dir nur Kämpfen und Ringen
Durch Nebel und Wolkennacht.
Du hörst nur Lerchensingen
In taufrischer Frührotpracht.
Nun trittst du wie eine Göttin,
Den Rosenkranz im Haar,
Dein Dankesopfer zu bringen,
Zum festlich geschmückten Altar. —
Wir aber steh'n ferne und beten
Für unsre geliebte Stadt:
Mag Gott sie schützen und schirmen,
Die Hessens Grakel hat. —
Glück auf! Und gesegnete Zeiten!
Gott war dir immer so nah.
Nun laß dich jauchzend geleiten
Zum Fest. Heil Chassala!
Kasse,. Heinrich Dertelmann.
«wfcb 260
Zu Kassels Tausendjahrfeier.
Bon Paul Heidelbach.
Kassel, die einstige kurfürstliche Residenz,
rüstet sich für die Septembertage zu glanz-
voller Iahrtausendfeier. Gleichsam als Auf-
takt dieser Festtage wurde am 15. Juni eine
bis Ende August währende deutsche Kunst-
ausstellung im Grangerieschlosse eröffnet. Die
Weihe des neuen Landesmuseums bildete ein
weiteres bedeutsames Ereigllis dieses Jahres.
Aus allen Teilen der Erde, namentlich aus
der neuen Welt, haben sich die alten Kasselaner
in Hellen Haufen zum Geburtsfest ihrer Vater-
stadt angemeldet, und auch sonst wird die
Stadt des „Herkules" und der weitberühmten
Gemäldegalerie in diesen Herbsttagen eine
besonders starke Anziehung ausüben.
Trotzdem Kassel nicht zu den alten Städten
gehört, liegen die Anfänge seiner Geschichte
noch im Dunkel. Richt eimal sein Name läßt sich
restlos deuten. Tn die Geschichte tritt Kassel als
fränkischer Königshof, auf demKönig Konrad I.
am 18. Februar 913 urkundete und sich ein
Menschenaller später auch Kaiser Gtto I. aufhielt.
Tm Jahre 1008 überschrieb der frömmelnde
Kaiser Heinrich 11. diesen seinen im Hessen-
gau belegenen Eigenhof zu Kassel dem von
seiner Gemahlin Kunigunde begründeten be-
nachbarten Kloster Kaufungen. Dann kam
der Besitz wieder in die weltlichen Hände der
Grafen von Gudensberg, von denen er durch
Vererbung auf die Landgrafen von Thüringen
überging. Als 1247 der Mannesstamm der
Landgrafen von Thüringen ausstarb, wurde
Heinrich 1. vom Brabanter Stamme, ein Enkel
der heiligen Elisabeth, erster Landgraf von
Hessen und verlegte seine Residenz nach Kassel,
das im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts
Stadtrechte erhielt. Unter Landgraf Philipp
dem Großmütigen legte eine durch die Un-
vorsichtigkeit einer Frau am Müllertor ver-
ursachte Feuersbrunst ein Drittel der Stadt in
Asche. Kaum war seit dem Wiederaufbau der
Häuser die unter Philipp vollzogene Befesti-
gung der Stadt vollendet, so wurden auch
schon während dessen Gefangenschaft auf Befehl
des Kaisers Karl V sämtliche Festungswerke
wieder geschleift. Erst 1559 war die umfang-
reiche Neubefestigung vollendet. Trotz mancher-
lei schweren Schicksalsschlägen blühte Kassel in
aufftrebender Entwicklung empor. Es blieb
unter dem starken Schuh seinerMauern während
des ganzen dreißigjährigen Krieges die einzige
deutsche Stadt, deren Boden kein feindlicher
Fuß betreten hat. Eine neue Zeit brach für
sie herein, als Landgraf Karl, der genialste
unter den hessischen Fürsten, die Gberneustadl
anlegte und durch die hier angesiedelten flüch-
tigen Hugenotten der Industrie neue Erwerbs-
zweige wies. Seinem Schönheitssinn verdanken
wir auch die Anlage der Karlsaue und der
monumentalen, von der Herkulesstatue ge-
krönten Kaskadenanlagen, die 1718 vollendet
wurden. Der eigentliche Begründer des mo-
dernen Kassels war dann Landgraf Friedrich II.
Unter ihm fielen die alten Festungswerke, neue
Straßenzüge und stolze Plätze traten an ihre
Stelle, Gymnasium, Museum, Kunstakademie
und Charitk sind einige der Gründungen dieses
prachtliebenden Fürsten, deren Segen noch
heute fortwirkt.
Manch stattlicher Bau entstand dann noch
unter dem ersten hessischen Kurfürsten Wil-
helm I., dem „Bankier Europas", der in
erster Linie freilich der nach ihm benannten
Wilhelmshöhe durch ftaunenerregende Schluß-
anlagert ihren Weltruhm sicherte. Sieben lange
Jahre mußte er als Verbannter fern der Heimat
weilen, während der Benjamin der Napoleoni-
schen Familie, Fsrüme, den Thron seines
Königreichs Westfalen im alten Kasseler Land-
grafenschloß auffchlug, das im November 1811
in Flammen aufging. Nach der Vertreibung
des gutmütigen, aber ungeheuer leichtsinnigen
„König Lustik" plante der zurückgekehrte greise
Kurfürst an Stelle seines Ahnenschlosses die
Errichtung eines Fürsienbaues, wie ihn stolzer
die Welt noch nicht gesehen. Diese Katten-
261 «««£>
bürg blieb Ruine und gab zwei Menschenaller
später die Steine zum Bau der neuen Ge-
mäldegalerie her. Unter seinem Sohne und
Nachfolger Kurfürst Wilhelm II.» dem Schwager
König Friedrich Wilhelms HI. von Preußen,
hatte die Kasseler Residenz wenig Erfreu-
liches zu erleben, und Hessens letzten Kur-
fürsten Friedrich Wilhelm I. zwangen die Er-
eignisse des Jahres 1866, sein Land für immer
zn verlassen, das nunmehr als Teil der Pro-
vinz Hessen-Nassau dem Königreich Preußen
einverleibt wurde.
Fragen wir nun, was Kassel dem Einheimi-
schen und Fremden bietet, so ist es neben der
unvergleichlichen Umgebung, den verschiedenen
Hochwaldparks, der Galerie, dem Hofiheater,
dem der Kaiser sein besonderes Interesse widmet,
sowie den übrigen Kunst- und wissenschaftlichen
Instituten nicht zuletzt die Altstadt mit ihren be-
häbigen, in noch unverdorbener Hessenart errich-
teten Bürgerhäusern, die in dieser Einheitlich-
keit nur noch wenige Städte aufweisen können
und die schon der vielgereiste Merian pries.
Seitdem entstand seit der Hugenottenzeit über
Barock. Rokoko und Biedermeier so manches
beachtenswerte Bauwerk bis zu den: wuchtigen
neuen Rathaus, in dem städtische Selbst-
herrlichkeit eine sichtbare Verkörperung ge-
funden hat.
Die nun tausendjährige Fuldastadt, in der
ein Philipp der Großmütige mannhaft zum
Schwerte griff, in der ein Papin die ersten
bahnbrechenden Versuche mit der Dampf-
maschine und Goethe nebst dem Anatomen
Sömmering Anno 1783 mit dem Luftballon
anstellte, in der die von eben diesem Goethe
besungene Mara, die größte Sängerin ihres
Jahrhunderts, geboren wurde und Johannes
von Müller starb und begraben liegt, in der
Ernst Koch, der spätere Fremdenlegionär,
seinen unvergänglichen „Prinz Rosa Stramin"
dichtete, in der Louis Spohr wirkte und kompo-
nierte und die Brüder Grimm ihre Märchen
schrieben — dieses Kassel hat, wie diese wenigen
Hinweise verraten, auch noch andere als bau-
liche Erinnerungen.
In den letzten Jahren hat die Residenz
einen Auffchwung genommen, der demjenigen
anderer gleichgearteter Großstädte unbedenk-
lich zur Seite gestellt werden kann. Ungeachtet
seiner Einwohnerzahl ist Kassel aber doch keine
Großstadt im eigentlichen Sinne. Frei von
Ruß und Rauch bietet es noch immer dem,
der seine Zelte nicht gerade an den Haupt-
adern des flutenden Verkehrs aufschlägt, eine
Stätte der Ruhe und des Behagens. Daß
Kassel zu den schönsten Städten des Deutschen
Reiches gehört, ist überall zu lesen; der Ein-
gesessene kann sich also darauf beschränken,
dieses Lob seiner Vaterstadt den Fremdling
künden zu lassen. Jahrhundert um Jahr-
hundert wurde es von einsichtvollen und fein-
sinnigen Baukünstlern nach einheitlichenPlänen
angelegt, und Aufgabe der Gegenwart bleibt
es, das organisch geschaffene Städtebild - mehr,
als es leider in den letztön Fahren der Fall
war — vor den brandenden Wogen der nivel-
lierenden Neuzeit zu schützen.
Die alte Stadt ist noch guter Hoffnung —
der Hoffnung auf ein großes internationales
Wellbad. Droben am Habichtswald, am Fuße
der Wilhelmshöhe, die bisher neben ihrer
Eigenschaft als kaiserliche Sömmerresidenz nur
den berechtigten Anspruch machte, als Luft-
kurort zu gelten, ist man seit fast einem Jahr-
zehnt mit großen Mitteln daran, eine kohlen-
saureKochsalzquelle zu erbohren. Nach mehreren
Bohrungen an verschiedenen Stellen ist man
in diesem Sommer bis etwa 750 Meter Tiefe
gelangt. Sobald der erwünschte Erfolg erreicht
ist — die Sole erfreut sich der günstigsten
Gutachten geologischer Autoritäten —, soll
sofort mit der Errichtung eines Solbades mit
Kuranlagen begonnen werden.
Wer also in den festlichen Septemberlagen
dem Rufe: „Ab nach Kassel!" Folge leistet,
wird sich innerhalb wie außerhalb des Kasseler
Weichbildes — es sei nur noch an die auf-
strebenden Gartenstädte rings um die Stadt
erinnert — bald davon überzeugen können,
daß die tausendjährige Chassalla auch der neu-
zeitlichen Entwicklung Rechnung zu tragen weiß.
262 sî,
Gedichte von Heinrich Bertelmann.
Gsanna.
Din deine bebende, sorgende Seele,
Ruhlos losende Stadt,
Daß mir ketns die Stunde verfehle,
Die es aus Gottes Gnaden hat.
Gb ich auch lästig dir werde und quäle,
Gb du auch sagst, ich habe dich satt,
Ruf' ich dennoch — ein stammelnd Kind,
Froh hinein in Nacht und Wind:
Gsanna.
Wenn über Dächer dem jungen Tage
Klingt im Ghre der Schrei nach Brot,
Misch ich mich ein mit ehernem Schlage.
Jeder mit seiner lieben Not
Steht dann lauschend, was ich wohl sage.
Jauchzend sing' ich ins Morgenrot
Immer wieder die alte Weise,
Damit ich den Herrn des Himmels preise
Gsanna.
Blutig klafft so manche Wunde
In der Tage heißem Streit.
Bange zähle ich Stunde um Stunde
Jeden Tropfen bittres Leid.
Dennoch aus vollen Bechers Munde
Meiner Lieder Herrlichkeit
Schütt' ich hinein in das Jammern und Klagen,
Weih immer eins nur zu singen, zu sagen:
Gsanna.
Alles, was auf der Erde irrt,
Einmal wird es zum Ziel gebracht.
Hat sich dein Lebensfaden verwirrt,
Hast du dir Kummer und Sorge gemacht,
Ist einer droben, der's lösen wird:
Der da rief: Es ist vollbracht!
Geht dann dein müdes Herz zur Ruh,
Singen wir beide, ich und du:
Gsanna.
------------^
Angedruckte Briese Ernst
Von Hans
Der 15. September 1831.
Der grohe Tag — vergiß ihn nicht —
Wie Morgenlicht
Brach er ins Land,
Das heiß ersehnte Recht an heil'ger Hand.
Das gute Recht, des Volkes Hort,
Zu Throne trat's mit freiem Wort,
Heischt kühn sein Erdasyl. —
Am Friedrichsplatze, welch Gewühl!
Mann hinter Mann
In dumpfem Bann
Starrt bang zum Fürstenhaus. —
Am Fenster regt sich's: Wer schaut hcraus? —
Das ist der Herbold, wahrhaftig, kein Trug.
Und er winkt mit weißem Taschentuch,
Er winkt. — Hurra, wir wissen genug!
Der Freiheit Tor ward aufgetan.
Nun vorwärts, aufwärts! Dem Recht eine Bahn!
Nun bindet Volk und Thron das Recht.
Vergiß es nicht, du junges Geschlecht.
Am Denkmal Schomburgs.
Dein Name wird stets da zu lesen sein.
Wo Recht und Freiheit sich zum Throne wagen,
Von Wahrheit und von Gottvertrau'n getragen,
Wo Treu' und Demut Männertalen weih'n.
Dein Wesen stand wie lichter Sonnenschein
Gb Kassels trüben, arg verworr'nen Tagen.
Du opfertest dich selber sonder Zagen,
Als Friedensstifter schritt'st du durch die Reih'n.
Du buhltest nicht um Lohn und Gunst. Dir war
Die Arbeit Lohn, die Bürger glücklich macht.
An deines Hauses heiligem Altar,
Da Liebe fromm entgegen dir gelacht.
Schien dir des Schicksals Dunkel ewig klar,
Und einen Sieger hüllt' die Todesnacht.
Kochs an Karl Altmüller.
Altmüller.
Ich teile im Folgenden die vorhandenen Bruchstücke
eines Briefwechsels mit, der, wenn er vollständig wäre,
ein noch weit wertvolleres Dokument zur hessischen Litte-
raturgeschichte sein würde, als er es auch in der vor-
liegenden Gestalt ist. Es handelt sich um die Korrespon-
denz zwischen Ernst Koch und Karl Altmüller, die leider
nur bruchstückweise erhalten ist, da, wie eine Anfrage
bei den Hinterbliebenen Ernst Kochs ergeben hat, die
Briefe Altmüllers bedauerlicherweise verloren gegangen
sind. Doch spiegeln sie sich einigermaßen in den Ant-
worten Ernst .üochs, der sich auch hier als den echten
Verfasser des „Prinz Rosa-Stramin" erweist.
Zwar der viel ältere von beiden, erscheint er doch als
der ungleich leichtere und weichere Charakter, bis zu
seinem Ende, wie ebenfalls diese Briese dartun, an der
ungestillten Sehnsucht nach der Heimat und nach dem
unmittelbaren Verständnis seines Wesens krankend. Es
ist beiderseits ein rührendes und immer innigeres Ver-
hältnis, was die zwei Freunde verbindet, die wie kaum
noch Andere wahre Hessendichter gewesen sind (worunter
ich z. B. auch das Gegenteil von Streber verstehe, was
etwa Dingelstedt war), und von denen der jüngere den
Ruhm des älteren zunächst ganz allein geschaffen har.
H. A.
263 s«sL>
Luxembg. 19. 2. 55.
Lieber Freund!
Was soll ich sagen zu Ihren unverhofften Zeilen?
Rund heraus: daß mir lange nichts mehr so recht
innerlich und heimlich das Herz gewärmt hat, als
dieser Berliner Gruß aus dem Kurfürstenthume.
Er hat meinem Blute die alte verlernte Bewegung
wiedergegeben; und eine lang entbehrte Freude
rannte wie ein närrisches Kind in meiner Seele
umher und lauschte der alten Gemüthsglocke, die
drunten einsam hängt und die Ihre Worte ange-
schlagen haben. Sie beweisen, daß es in dieser tollen
Zeit, wo Keiner mehr den Andern versteht (eben
heulen 2 Drehorgeln, von Masken umgaukelt,
unter meinem Fenster), noch vernünftige Leute
gibt, vernünftig 1. weil sie den „Prinz Rosa" loben,
und 2. weil ihnen einfällt, daß in fernem Auslande
eine liebesdurstige expatriirte Poetenseele jammert,
der es sehr wohl thun würde, wenn man ihr uner-
wartet eine erquickende Orange mit den Worten
zuwürfe, „laß Dir's wohl sein, mein Alter! Diese
Frucht ist von dem Christbaume Deiner Jugend,
den Du erstorben glaubtest, und den junge Hände
wieder angezündet, vom Baume der wahren Er-
kenntniß, und das Schul-Reglement verbietet Dir
in keinem § 25, sie in aller Gemüthlichkeit zu ge-
nießen und dem Freunde Lupinus einen warmen
Dank zuzurufen.
Ja, ernstlich, Liebster, meinen herzinnigen Dank'
nicht weil ich mich geschmeichelt fühle (diese Sorte
von Gefühl ist mir in der Fremde abhanden ge-
kommen) sondern weil Sie meiner Seele einen
Reim auf sich selber gegeben, den ich lange gesucht,
und einen Freund, nicht, wie sie überall wild
wachsen, sondern einen, mit dem ich mich so recht
in meinem geheimsten Wesen zu verstehen scheine,
den mir aber das Schicksal nach der Brandenburger
Heide verschlagen muß, während ich hier wohne,
wo die deutsche Welt und die Pferdeausfuhr ein
Ende haben.
Daß Sie meiner im „Hessischen Jahrbuche"
(guiä hoc?) zu erwähnen beabsichtigen, ist mir sehr
angenehm, da ich aus der mir übersandten Probe
sehe, mit welchem Takte, mit welcher Kenntniß und
Reife Sie urtheilen. Manche Anerkennung dieser
Art ist mir aus Hessen zugekommen, aber keine
mit so viel Sachkenntniß und so ruhigem poetischem
Verständniß. Biographisches und anderes Material
hierzu werde ich Ihnen spätestens in den Oster-
ferien übersenden, und im Herbste sehen wir uns
vielleicht zu Kassel.
Sagen Sie mir doch, wie ich Ihnen und Ihren
jungen Freunden in Bezug aus jenes Jahrbuch,
oder sonst, nützlich sein kann. Vielleicht regt mich
das wieder zum Produciren an. Zwar hab' ich
hier Ursache zufrieden zu sein. Meine Stellung,
unter 21 Collegen an der alten in den Gymnasial-
geschichten berühmten Staatsanstalt, ist ehrenvoll.
Ein braves Weib und liebe Kinder umblühen mich.
Aber jeder Ausländer hat hier mit einem wahren
Sebastopol von Vorurtheilen zu kämpfen und muß
jeden Schritt Terrain mit Gewalt erstreiten. Seit
die Theorie mein Handwerk ist, urtheile ich nüch-
terner und producire ich weniger. Seit ich mit
einem krit. Commentar zu Sch.'s Teil bei allen
deutschen Buchhändlern abgefahren bin, bis mir
Andere zuvorkamen; seit noch neulich E. Balde
zu Kassel mir ebenso verneinend auf einen andern
Vorschlag geantwortet, mein Mäcenas H. Hotop
bankerot gemacht hat, und ich täglich in allen An-
thologien und Geschichten der modernsten Littera-
tur, die allen Schund von Wiesenblumen aufneh-
men, vergeblich nach meinem Namen blättere, seit-
dem bin ich verdrießlich geworden, und die Schul-
meisterei (ich habe wöchentl. 21 Stunden) drückt
mich nieder. Auch Schritte, um mich nach Hessen
zurückzusiedeln, sind vergebens gewesen. Nun ur-
theilen Sie, wie lieb und tröstlich mir Ihre Zeilen
sein mußten.
Grüßen Sie mir herzlich Jeden, der sich für
mich interessirt, namentlich aber Ihre zwei jungen
Verbündeten. Gern wär' ich, wenn ich Sie nicht
genirte, in Ihrem Bunde der Vierte.
Vorläufig umarm' ich Sie, trotz der Lebens-
gefährlichkeit Ihres angenommenen Namens, brü-
derlich als Ihr ergebenster
_____________ Koch.
Luxembg. 12. April 55.
Lieber Freund!
Wie versprochen send' ich Ihnen hier die be-
gehrte biographische Notiz, die eher zu lang als
zu kurz ist, und mich an mehr als einer Stelle
in kuriose Verlegenheit gesetzt hat. Wie ist doch
so ein Leben so todt, wenn es dasteht in Buchstaben,
und die nackten Thatsachen und Resultate mit
kalten Gesichtern in Reihen aufmarschiren wie in
der nächtlichen Heerschau. Wollen Sie doch ein-
mal über mich sprechen, so ist es nöthig, daß Sie
über das Ganze den subjectiven Firniß werfen,
den Sie in meinen Productionen finden. Manches
würden Sie aus unserer persönl. Bekanntschaft er-
gänzen können. Anderes wird Ihnen aus Ge-
sprächen mit Leuten klar werden, die mich kennen,
und da hab' ich denn mit Vergnügen gesehen, daß
Sie zuweilen die Meinigen in Kassel besuchen.
Thun Sie das doch recht oft. Man sieht Sie gern.
Sie finden in Sophie weniger Gemüth, aber scharfe
Urtheilskraft und einen tüchtigen Mutterwitz, da-
gegen in Minna ein tiefes Frauenherz, das noch
nicht ausgezittert hat von den Erlebnissen früherer
Jahre. Wollen Sie rationalisiren, so reden Sie
mit Sophie; lieben Ihre Gedanken kindlich fromm
zu spielen, so wenden Sie sich an Minna. Jene hat
mehr Ironie und Witz, diese mehr Sentimentalität.
Daher kommt es, daß ein geistvoller Mann in
gleichzeitiger Unterredung mit beiden leicht in die
Stimmung des Humors geräth. — Apropos! Wie
richtig Sie mich in jenem Aufsatze der Kasseler
Zeitung durchschaut haben, ist unglaublich. Er
machte mir den Eindruck, als säh' ich mich im
Spiegel. Ein Beweis ist, daß ich in der That, in
meinem 16. Jahre, für Jean Paul wahrhaft ge-
schwärmt habe, und damals in allen Privatbriefen
VWL, 264
und Schulaufgaben in ganz verrückter Weise Jean-
paulisirte. Ebenso ging es mir ein Par Jahre später
mit Heines Reisebildern und seinem maliciösen
Liebesjammer. Erst gegen 1830 kam ich in diesen
Dingen auf den richtigen Standpunkt zurück. Sehen
Sie, daß Sie mich richtig gepailt? Wenn wir uns
persönl. kennen lernen, muß ich Sie fürchten.
Doch nein, wir sympathisiren, und es muß zwischen
unseren Seelen etwas Schwesterliches sein, das
sich sogar bis auf unsern Styl erstreckt. Meine
Schwestern werden Ihnen erzählen, wie mich Je-
mand im Verdacht gehabt, ich und Lupinus seien
identisch, und diesen Verdacht aus der Ähnlichkeit
der Ausdrucksweise pp. geschöpft hatte. — Leider,
lieber Freund, scheint in diesem Jahre aus
meiner Reise nach Kassel nichts zu werden, oder
vielmehr es wird nichts daraus, wenn nicht außer-
ordentliche Umstände diese Reise möglich oder ganz
nothwendig machen. — Meine Schwestern besitzen
eine (gedruckte) Novelle von mir unter dem Titel
„Die Novelle." Sie scheint mir gelungen zu sein,
und ist, da das Blatt, in dem sie steht, nicht über
die Luxemb. Grenzen hinausgeht, als Manuskript
zu betrachten, das Sie benutzen können, wie es
Ihnen gut dünkt.
Die beifolgenden Urtheile über meinen Band
Novellen haben mir einst meine Schwestern geschickt.
Sie sind die einzigen, die mir hier am Ende der
deutschen Welt zu Augen gekommen sind.
Leben Sie wohl! es umarmt Sie herzlich
Ihr ergebenster
Koch.
Grüßen Sie unsere gemeinschaftlichen Freunde!
Biographie.
Ich bin geboren am 3. Juni 1808 zu Singlis
in Niederhessen im Hause meines Großvaters, des
Obervogts Murhard. Mein Vater (f 1847 als pen-
sionierter Regierungsrath zu Marburg) war da-
mals Friedensrichter zu Oberaula, zog 1814 nach
Neukirchen, dann nach Waldkappel und 1815 als
Fürst!. Rotenburg'scher Oberschultheiß nach Witzen-
hausen. Hier wuchs ich auf bis zum 14. Jahre und
erhielt in den Stadtschulen die ersten Elementar-
und humanistischen Kenntnisse. Die wunderlieb-
liche Natur des Werrathales und die Lectüre der
Schiller'schen, Körner'schen und Mathison'schen
Lyrik, für die mein sehr gemüthvoller Vater
schwärmte, übten ihren Einfluß aus den empfäng-
lichen Knaben. Als 1821 mein Vater nach Kassel
als Kreisrath berufen wurde, trat ich dort in die
3 te Classe des Lyceums ein. Hier entwickelte bald
der höhere Unterricht, der Besuch des Theaters und
das rege Residenzleben die poetische Anlage des
Schülers. Hier dichtete ich in Tertia, lieferte in
Secunda himmelstürmende Abhandlungen, bei wel-
chen dem würdigen Lehrer der Maßstab der schul-
mäßigen Prosa versagte, und durchschwärmte in
Prima alle Leiden und Freuden einer poetischen
Gymnasiasten-Liebe. Siebenzehn Jahre alt (1825),
bezog ich die Universität Marburg, dann Göttingen,
und wieder Marburg, wo ich 1829 als voetor zuris
abfolvirte. Meine Jnaugural-Disfertation (über
die s. g. Specification) hat, obgleich nicht in den
Buchhandel gekommen, in dieser Lehre des röm.
Privatrechtes Epoche gemacht, da die Lehr- und
Handbücher nach derselben die bisherige Ansicht
geändert haben und sie überall citiren. Im fol-
genden Jahre bracht' ich den Sommer in Berlin zu,
um mich bort als Privatdocent zu habilitiren,
kehrte aber in Folge der politischen Ereignisse nach
Kassel zurück und trat in den hessischen Staats-
dienst als Obergerichts-Referendar. Hier schossen
1831 unter Bescheid-Entwürfen und Criminal-Re-
lationen die Vigilien des Candidaten Hubert auf
und erwarben mir, als ein Zufall den Verfasser
verrieth, in hohem Grade die Liebe des aufge-
regten Publikums. Diese erkaltete plötzlich, als ich
die Ernennung zum Secretär des Landtagskommis-
särs Minister Eggena und ein Jahr darauf die zum
Provisor, außerordentl. Referenten im Ministerium
annahm. Aus dieser Stellung wurde ich 1833 an
das Obergericht zurückgeschickt, um mich zum 2 ten
Staatsexamen vorzubereiten. Mit dem Publicum
zerfallen, zerfiel ich bald mit mir selbst, und be-
gann, statt der Prüfungsarbeiten, ein regelloses
Leben, das mich in Schulden und Verwirrung
stürzte, und mich im December 1834, nachdem ich
den „Prinz Rosa-Stramin" in die Luft geschleudert,
zu dem Entschluß brachte, mein Vaterland heim-
lich und ohne bestimmte Aussicht in die Zukunft zu
verlassen. Ich wendete mich nach Strasburg. Ver-
schiedene Pläne, mir eine Existenz zu gründen,
mißglückten hier und in Paris, und schon nach
einigen Monaten bestimmte mich in Paris der
gänzliche Mangel an Subsistenzmitteln, als Soldat
nach Africa zu gehen. Von hier an verschwand in
Kassel jede Spur von meinem Verbleiben.
Man sandte den Freiwilligen über Toulon nach
Algier in die Fremdenlegion. Diese wurde noch
in demselben Sommer (1835) nach Spanien als
Hülfstruppe der Königin gegen die Carlisten über-
geführt; und ich theilte nun auf der pyrenäischen
Halbinsel das Schicksal jenes Corps, das innerhalb
zweier Jahre durch Kugeln und Krankheiten von
7000 auf 381 Mann herabschmolz und 1837 ehren-
voll verabschiedet wurde. Kurz vorher war ich,
nach der einzigen aber einer schweren Krankheit
im Lazareth zu Pamplona, (Mai 1837) zur rö-
misch-katholischen Kirche übergetreten, und trug
nun mein Herz, das fest aber kalt geworden, und
aus dem der Sturm alle kurhessischen Zaubereien
und Träume herausgefegt hatte, ohne besonderes
Heimweh mechanisch dem mütterlichen Lande zu.
So kam der verabschiedete Unterofficir der Frem-
denlegion nach einer sechswöchentlichen Wanderung
von Pamplona aus über Metz und Sierk im Sep-
tember (1837) bei Marburg an, wo ihn ein Freund
aus Frohnhausen auf der Landstraße auffing, und
ihm eine Stunde drauf aus Lewald's Europa
(July- oder Auaustheft 1837) Fr. Dingelstedt's
Worte vorlas: „Kurhessen hat eigentlich nur einen
einzigen Dichter geboren, und auch nur zufällig
Hierüber hat sich meine gute Mutter schwer ge-
9*m> 205 s-A«L-
Ehrenhalle im Königlichen Museum 5ridericianum (Hessischen Landesmuseum) zu Kassel.
ärgert); das ist Ernst Koch, der Verfasser des
„Rosa-Stramin" Seitdem er heimlich sein Vater-
land verlassen, ist seine Spur verschwunden. Möge
die Vorsehung ihn beschützen auf seinen dunkeln
Pfaden!" Der angestammte Landesfürst verwei-
gerte dem Zurückgekehrten, der sich bei seinen ver-
söhnten Eltern in ein einsames Leben einspann
und eine Darstellung des kurhess. Privatrechtes
begann, die fast vollendet ist, jede Anstellung; und
mit Mühe erschwang ich zwei Jahre lang als Mit-
arbeiter eines Obergerichts-Anwaltes ein Honorar,
von dem ich meinem Vater den Unterhalt vergütete
und meine Gläubiger befriedigte. Da rief mich
1839 unerwartet der Civilgouverneur Hassenpflug
nach Luxemburg, wo ich sofort als Secretär der
Landesregierung angestellt wurde, nach H.'s Ab-
gang als Bureauches blieb, mich mit der Tochter
des Anwaltes Mühlendorff verheirathete, und als
glücklicher Familienvater lebe und seit sechs Jahren
das Amt eines „Professors der deutschen Sprache
und Litteratur" beim Königlichen Athenäum bekleide.
Die Production ist mir zu unbedeutender Neben-
sache geworden, für die ich weder um Stoff noch
um Muße werben mag. Auch die Novellen (1847)
sind nur die Frucht einiger müßiger Wochen, da
die erste und zweite derselben schon früher in Din-
gelstedt's „Salon" abgedruckt waren (der auch
andere Aufsätze und Dichtungen von mir enthält).
«AtL. 266 ««KL.
Da fja&en Sie ein zerfahrenes aber heilsames
Leben, ein Leben, in welchem der active „Sturm
und Drang" später in's Passivum umgeschlagen
sind, das aber jetzo scheint friedlich einmünden zu
wollen.
Ernst Peter Wilhelm August Koch.
(April 1855).
Luxembg. 7 Juni 55.
Herzlichsten Dank, liebster Freund, für Ihre
beiden erquickenden Briefe. Den ersten, vom April,
hätt' ich früher beantwortet, wenn ich Sie sicher
in Marburg gewußt hätte. Ihre Andeutung, daß
Sie nach der frommen Stadt Phil.'s des Großm.
zögen, konnt' ich zwar nicht anders verstehen, doch
hatten Sie mir kurz vorher geschrieben, daß nach
den Frühlingsferien meine Briefe Sie in Berlin
treffen würden. Daher hab' ich mich erst bei
meinen Schwestern erkundigt.
Ach, lieber Altmüller, warum können wir denn
nicht zusammen leben? Wenn ich jetzt bei
dem wonnevollen Wetter durch die pitoresken Thäler
schleiche, dann liegt der späte Frühling so er-
drückend auf mir, daß mir ordentlich wehe wird,
und das ist nicht der Körper, sondern die Seele,
die darunter leidet in ihrer Einsamkeit. Zwar
sind ihre großen Säle offen und angefüllt mit
Menschen und Philistern und, Gott sei Dank,
mit einem Reichthum von bürgerlichem Segen.
Aber die inneren Gemächer sind seit Jahren ver-
schlossen, und die Luft darin ist zum Ersticken.
Da schneidet mir denn jede Nachtigall wie einem
Gefangenen durchs Herz, und dann muß ich mir
sagen, daß ich doch hier im fremden Lande eigent-
lich keinen einzigen Menschen habe, dem ich mich
ganz hingeben könnte, wie ich es bei Ihnen thun
würde. Kommen wir beide einmal zusammen, so
werden Sie in mir ein recht glückliches altes Kind
finden, einen verrückten Poeten und tollen Pro-
fessor, los und ledig lang gehegter Sehnsucht, und
Schloß und Riegel will ich sprengen, damit die
frische erquickende Luft hereindringt, mit der mich
Ihre Briefe angehaucht haben.
Herzlichen Dank zumal dafür, daß Sie mein
am 3/6 gedacht haben. 3 u. 6 sind zwar — 9,
der Musenzahl, aber 3/6 ist ein Bruch und etwas
Halbes und da haben Sie das Horoskop des
Menschen, der am 3. Juni 1808 zur Welt kam.
Freund! Nun hören Sie ein großes Wort!
Am 20. Mai d. I. gebar mir mein braves Weib
das 9 te Kind, ein Mädchen. Vier von diesen
Neun sind beim lieben Gott, vorausgesandte liebe
kleine Quartirmacher und Fourire und lebendige
Beziehungen mit dem Jenseits. Die fünf, die noch
mit mir hier unten wandeln, sind liebe gesunde
Kinder, von denen drei den männlichen und zwei
den weiblichen Stand ergriffen haben. Der älteste
ist bereits Gymnasiast, aber noch nicht mein
Schüler. Das Athenäum hat nämlich 8 Gymnasial-
und 4 Realclassen, und über dem ganzen s. g. aca-
demische Curse. Ich habe wöchentl. 19 Stunden.
Das Lehrerpersonal besteht aus 21 vom König er-
nannten Professoren, die sich in ihren mittelalter-
lichen schwarzen Togen, nebst Toque und Rabbat,
gar ehrwürdig ausnehmen, etwa wie Faust in der
1. Scene. Am ehrwürdigsten erscheint unter ihnen
der Prinz Rosa und ehemal. Candidat Hubertus,
der's nun doch endlich zu etwas gebracht hat und
nicht „untergegangen" ist, wie eine fromme
Kasseler Dame achselzuckend von mir sagte, als
ich die Feuerprobe in Spanien bestand. Wär' ich
ein Stern, so würde mir der Ausdruck leicht wehe
gethan haben. So aber bin ich nur ein leichter
Mensch und die gehen bekanntlich nicht leicht
unter. Aber unsere Hülfe steht im Namen des
Herrn, lieber Karl, und Er sei uns auch ferner
gnädig, uns und der frommen Kasseler Dame und
allen Kasselern, sie mögen Bier trinken oder nicht,
und auch dem vr. Pinhas. — Schade, daß Sie
nicht von Coblenz herüber gekommen sind. Sie
hätten nicht nur mein Herz, sondern auch die
„Lothring'sche Jungfrau" festlich geschmückt ge-
funden, wegen der Anwesenheit unseres Königs,
seines Bruders und des Prinzen v. Preußen. —
Wo wohnen Sie denn zu Marburg. Ich kenne
dort fast alle Kneipen. Vor 8 Jahren war ich
dort in einem Bierhause (Lederer), der unbekannte
durstige Fremde, im zufälligen Gespräche mit einigen
unbekannten Studenten, und da geschah es mir
^um zweiten Male, daß man, als man hörte, daß
ich aus Luxembg. sei, sich bei mir nach mir er-
kundigte. Dies schmeichelte mir mit solcher Gewalt,
daß ich ein 2tes Glas Bier bestellte, und mich
selbstgefällig, nachdem ich alle Auskunft über mich
ertheilt, erst beim Weggehen zu erkennen gab. Da
entstand ein allgemeiner Jubel, weniger über mein
Weggehen, als darüber, daß sie den Prinz Rosa
körperlich erwischt hatten und durch Wegstipitzung
seines Mantels zum Bleiben nöthigen konnten. —
Wollten Sie nicht die Güte haben, lieber Karl,
einmal gelegentlich auf dem dortigen Kirch-
hofe vor dem Barfüßer Thore nach dem Grabe,
oder vielmehr dem kleinen Denkmale meines dort
ruhenden Vaters sehen? Es bekümmert sich Nie-
mand darum und ich möchte doch nicht gern, daß
es verfiele. Sie finden das Grab etwa 20 Schritte
links vom Eingang, also nach der Stadt zu, es
ist mit einem eisernen Kreuz bezeichnet, das den
Namen meines Vaters trägt. Vergessen Sie's
doch ja nicht, und schreiben Sie mir darüber ge-
legentlich. — Ich habe zuletzt in der Untergasse
beim Schreiner Hasselbein gewohnt, mit der ein-
zigen Einsicht in die „Philosophie", die ich jemals
gewonnen habe. Es waren doch schöne Jahre!
aber daß sich das academische Leben so verändert
hat, wie Sie es in kurzen Worten treffend schildern,
habe ich voraus gesehen. — Meine diesjährige
Reise nach Hessen ist sehr zweifelhaft. Wenn ich's
aber machen kann, komm ich gewiß gern, gegen
Ende August. Dort müssen wir aber u. a. einmal
im Ritter speisen, dessen Wirth sich einst dankbar
gegen mich bewies, wegen des Büchleins, und in
dessen Saale ich mich immer sehr wohl befunden
9«M£L> 267 r—L,
habe, und nun gar an Ihrer und unserer Freunde
Seite!
Nun zur Beantwortung einiger Fragen. Unter
0-2-r ist allerdings Glinzer zu verstehen, der sich
einmal so wüst und abscheulich als früher enthu-
siastisch und schwärmerisch gegen mich bewies. —
G. Büchner aus Darmstadt hab' ich, meines Wissens
nie persönlich kennen gelernt, und gewiß nicht in
Strasburg. — Der Humoristische Gabelstich ist
allerdings theilweise Copie. Ich wohnte nämlich
1826—27 zu Göttingen in der Allee*) beim Schnei-
der Koch, in Einem Hause mit dem stuck. tdool.
Ludwig Böhme (Loedme) aus Braunschweig (den
ich später einmal dort in seiner Heimathstadt am
s. g. Bohlwege, besucht habe), einem tiefhumoristi-
schen talentvollen Jüngling, der aber schon damals
an der Auszehrung dahinsiechte. Er war ein gründ-
lich gebildeter Clavierspieler und nicht ohne poe-
tisches Talent. In seinem Leben spukte wirklich
eine mysteriöse erste Liebe. Zu Kassel war er nie
mit mir. Böhme schwärmte für I. Paul, und Sie
^hätten ihn hören sollen, wenn er mit seinem
hageren bleichen Gesichte und den großen vor-
liegenden Augen vorm Instrumente saß, aus dem
aufgeschlagenen Buche irgend ein phantasiereiches
Fragment aus Richter (z. B. „Rede des todten
Christus vom Weltgebäude herab" oder „Die Neu-
jahrsnacht eines Unglücklichen") deklamierte und
dabei die Begleitung des Claviers improvisirte —
Wirklich großartige Melodramen.
Was er zu seinem Portrait gesagt hat, hab-' ich
nie erfahren. — Die Lenzbacher Kindergeschichten
in den ersten Kapiteln sind meist Erinnerungen aus
Witzenhausen. Ein Brüderchen hatt' ich me. Die
Schinkenburger Gestalten sind zum Theil aus dem
damal. Felsenkeller- und Bürgergardeleben zu
Kassel, dessen Philisterei mir so vieles verleidete.
— Im Causid'schen Hause, das Sie erwähnen,
hab' ich einst eine Spitzbüberei begangen. Die
beiden alten Fräulein chicanirten mich, wo sie
konnten, weil ich ihre Niöce nicht heiraten wollte.
Als ich endlich, cki tanti palpiti, auszog, klebte
ich tief im Innern des Sekretärs, an dem ich
schrieb, folgende Verse an, welche auch die gute
Laune und vielleicht gleiche Erfahrung späterer
Bewohner lange stehen lieft:
Geduld hab' ich 'ne gute Dosis,
Soviel man braucht in's Haus,
Doch mit den alten Fräulein Causid's
Da halt's der Teufel aus! —
Hubertus.
An wen schreibst du denn so eifrig, fragt eben
im Vorübergehen mein Weib. O, erwidert Paul,
(der älteste) es wird wohl an Hrn. Altmüller sein,
von dem er gestern Abend so viel gesprochen hat.
Nun leben Sie wohl und vergessen Sie mir das
Grab nicht. Bon Herzen Ihr
_____________ Koch.
*) Ein beiliegender Zettel enthält die Angabe: Haus-
nummer 889 — Alleestraße 18. Besitzerin: Engelbrecht,
relicte Johanne, geb. Heiger, jetzt verehel. Koch, Schneider
(in Göttingen).
Beim Überlesen dieses unordentlichen Briefes
bemerke ich, daß er fast nur von mir redet. Sie
müssen mir das verzeihen, da Sie einigermaßen
selbst daran Schuld sind, und uns dergl. Dinge
auch geistig mehr annähern. Machen Sie cs amh
so! Schreiben Sie mir recht bald wieder,
wenigstens noch einmal vor den Ferien!
Luxbg. 28. 10. 55.
Lieber Freund!
Soeben erhalte ich Ihre Zeilen vom 24. d. M.
und beeile mich, mein bisheriges Schweigen wenig-
stens in etwas gut zu machen. — Bor 9 Jahren
schrieb Dingelstedt zuletzt an mich. Ich glaubte in
seinen Zeilen einen Mißton von Aufgeblasenheit
und Hoffahrt zu finden, der mich verwundete. Ich
war damals sehr empfindlich. Jetzt hab' ich seinen
Brief, den ich Ihnen verneinend und anklagend
mittheilen wollte, wieder gelesen und finde, daß
ich mich ziemlich geirrt.
Der beiliegende Brief, dieses Geständnis frei-
mütig aussprechend, wird ihn angenehm über-
raschen und Ihnen einen freundlichen Empfang
bereiten, als dem Boten eines Friedens, den er
gewiß nicht gestört glaubte. Ich behalte mir vor,
ausführlich auf Ihren früheren Brief zu antworten.
Ich thue dies in Bezug auf das, was Sie dort
von „Character" sagen, schon durch die Erfüllung
Ihrer Bitte.
Schreiben Sie mir gefälligst, sobald Sie beim
Hrn. Hofrath waren, und vergessen Sie nicht, mir
Ihre Münchener Adresse anzuzeigen.
Mit bekannter Liebe Ihr
Koch
Lxmbg. 21. Mertz 1856.
Lieber Freund!
"Was müssen Sie von mir denken! Hätte ich
nicht dieser Tage ermuthigende Nachrichten von
Ihnen erhalten, so würde wahrscheinlich auch aus
diesem Briefe nichts werden, wegen der Schwie-
rigkeit, mich zu rechtfertigen. Aber wir sind ja
in der Buß- und Leidenswoche, da werden Sie
versöhnlicher sein. Ja, wenn es aber auch in einer
jubelnden Auferstehungswoche und mitten im Lerch-
concerte der Natur und der Menschheit wäre —
und dann gerade erst recht — so würde ich Ihnen
dennoch frisch und frank Folgendes erklären Ich
werfe mich Ihnen gar nicht zu Füßen, sondern an's
Herz, an das sanfte, liebe verständige Herz, das
gleich aus Ihren ersten Zeilen, wiewohl etwas be-
fangen, zu dem meinigen gesprochen hat, und das
mir später so warm und so freundlich aufgegangen
ist, daß ich meine, wir hätten uns immer gekannt.
Und nun geben Sie mir die Absolution. — Hundert
gleichgültige Briefe hab' ich freilich seit der Zeit
geschrieben, leichte Ware, wie sie einem so im
Laufe des Tages aus den Fingern gehen. Aber
an Sie wollt' ich einen recht ordentlichen Brief
schreiben — und gerade deshalb ist bis jetzt nichts
268 s^L>
draus geworden, und dieser hier fängt recht un-
ordentlich an. Dabei die ermüdende Schulfuchserei,
häusliche Sorgen (kranke Kinder) — stoßen Sie
nun Ihren Hubertus noch von sich? oder denken
Sie „Komm Alter, armer Candidat, denn ein
Candidat bleibst Du doch dein Lebelang, und es
wird nichts aus Dir, aber ich vergebe Dir, weil
Du viel geliebt hast." Schmerzlich hat mich Ihre
gezwungene Rückkehr aus München berührt. Desto
froher war ich, als ich hörte, daß Sie neulich die
Meinigen besucht. Was hat Ihnen denn gefehlt?
Schonen Sie sich doch; Sie sind ja noch jung und
versäumen nichts, wenn Sie den Geist zügeln.
Könnten wir beide doch täglich spazieren gehen,
in der schönen „Gechend" von Kassel uns erholen,
aber nicht in der einsamen feuchten Au, die einen
wie ein Grab anhaucht, wie ein vermodertes Land-
grafenthum, und wo L. Börne einst einen Ducaten
auf eine Bank legte, wettend, und ihn am andern
Tage wiederfand, und wo die „Kasselaner" auf
Pfingsten ihre nassen Füße holen; sondern nach
Kirchditmold, wo man bei Gänsegeschnatter und
Kuhgebrüll idyllischen Kaffe schlürft und die Loco-
motiven pfeifen hört, oder nach der „mahlerischen
K a f f e m ü h l e" s e l b st, dem Urquell des Phili-
stcrgenusses, oder nach dem herrlichen Wilhelms-
höhe, wo S. Königl. Hoheit der Kurfürst wohnen.
Nun, in einigen Monaten wird sich, denk' ich, das
Alles ausführen lassen, und wir werden unsere
Körper und Seelen spazieren führen, wobei ich
dann zuweilen Ihren Arm loslassen werde, um
einen Sprung zu thun (hier darf das der Professor
nicht wagen) vor Freude, daß ich wieder im alten
Vaterlande bin und bei Ihnen. Dagegen wird ja
die Polizei nichts haben, zumal auf Wilhelmshöhe,
wo das Springen die Hauptfreude ist, und wo ich
selbst Thaler springen sah und die Kasseler sogar
die „Wasserfälle springen" lassen. - Am 15. Ok-
tober v. I. haben Sie die „Schinkenburger Assem-
blee" definitiv errichtet und meiner dabei so herzlich
gedacht? Wäre ich doch bei Ihnen gewesen und
hätte das halbe Dutzend voll machen können! Ich
hätte auf die Ihrige eine feierlich einweihende Rede
gehalten, in welcher ich mit gerührtem und rüh-
rendem Danke die Präsidcntenschaft anbenommen
hätte. So kann ich es leider nur schriftlich, und
schändlicherweise erst 5 Monate nachher. Künftigen
Herbst berufen Sie, denk' ich, eine außerordentliche
Versammlung des Hubertusvereines und dann
wollen wir unsere Herzen springen lassen. Einst-
weilen Gruß und Bruderkuß den wackern Genossen
der Tafelrunde! — An jenem Abende, wo Sie
meinen Geist citirten, saß dieser sehr niederge-
schlagen auf dem Kanapee und niesele. Eine ge-
waltige Grippe plagte mich, und wenn ich mich
damals in ihrem lieben Kreise magisch bemerkbar
gemacht habe, so kann es nur durch ein würgendes
Husten und ein welterschütterndes Niesen gewesen
sein, wozu es ganz gut gepaßt hat, wenn Sie
etwa auf mein Wohlsein getrunken haben. —
Dingelstedt hab' ich mir ganz so gedacht, wie Sie
mir ihn schildern. Was die übrigen literar. Be-
kanntschaften zu München betrifft, so beneid' ich
Sie besonders um den Umgang mit H. Lingg.
Der ist eine kernige poetische Thatkraft und ein
frischer prächtiger Epiker. Ich glaube, daß er
durchdringt, wenn er es nicht schon ist. Zwar
leb' ich am Ende der Welt. Nicht eine einzige
Litteratur-Zeitung kommt hierher, und ich bleibe
schlecht au eourLnt durch die wenigen Neuigkeiten,
die mir die Buchhändler zur Einsicht schicken. Ab-
gesehen von einigen kleinen Sachen, die Sie sich
von meinen Schwestern mitteilen lassen mögen,
schweigt meine Muße gänzlich, und ich kann sie,
obgleich es vielfach in mir klingt und singt, nicht
zum Reden bringen. Ich glaube, es kommt daher,
daß ich hier gar keine Anregung habe und meine
ganze Kraft nach jeder Richtung hin auf die Schule
verwende. Das gewährt mir eine kostbare Beruhi-
gung.
Nun schreiben Sie mir gefälligst, ob Sie gänz-
lich wieder hergestellt, und ob Sie wieder nach dem
Bier-Athen zu Frau Greil ziehen, und wie Sie
sonst leben.
Wie gefällt Ihnen Laube und sein Benehmen
in Bezug auf den Fechter von Ravenna und den
„Essex"?
Lassen Sie sich umarmen von Ihrem
Koch.
Gern würd' ich Ihnen mein Portrait schicken,
aber erstlich würden Sie über meine Fratze er-
schrecken, und das können Sie noch nicht vertragen,
und zweitens ist hier weder Daguerretypist noch
Photograph, sondern nur ein Telegraph, ein Geo-
graph und zwei französische Grafen. Ich komme
zwischen 20. und 30. August nach Kassel und dann
tauschen wir uns gegenseitig auch im Bilde aus.
Eine Bitte! Man wünscht hier zu wissen, ob
sich nicht zu Kassel auf alten Häusern, etwa über
dem Thore, zwei gegeneinander gekehrte Pferde-
köpfe etwa in Stein gehauen, befinden, und wel-
chen Ursprung und welche Bedeutung man diesem
Bilde gibt. Der antiquarische Verein hat mich
mit dieser Bitte beauftragt, und vielleicht wird
Ihnen K. Bernhardt Auskunft geben können, den
ich zu grüßen bitte. —
Luxembg. 3. Aug. 1856.
Lieber Karl!
Gefordert von Ihnen hab' ich bisher noch nichts,
weil Sie mir freiwillig so viel gaben Ihre Liebe,
Ihr Vertrauen, kurz Ihr Herz, ein Schmuckkäst-
chen, nebst Allem, was drin ist. Dadurch aber kühn
geworden, fordre ich jetzt ein Opfer, nämliche
1. Verzeihung für mein bisheriges Schweigen
auf Ihren Geburtstagsbrief, und 2. Verwendung
in gleichem Sinne bei unsrer excellenten Veronika.
Das war eine Geburtstagsfreude' An der Letzteren
Briefe zehr' ich noch jetzt. Welch ein Pracht-Mäd-
chen! Jedenfalls antwort' ich ihr noch vor meiner
Abreise. Möchte sie doch schon jetzt begreifen, daß
man solch einen Brief nicht zu jeder Stunde be-
antworten kann — und mein Herz war bisher
so unruhig und bewegt — und welch eine kindische
vmü 269 tmL,
Freude mir ihre Zeilen gemacht haben, und wie
glücklich sich mein Herz auch deshalb fühlt, daß
es ein Echo in sich trägt für solche frische seltene
Waldgrüße. Vielleicht macht es sich, daß ich sie
diesen Herbst zu Witzenhausen kennen lerne. Vor
4 Jahren trieb ich mich dort wie ein Einsiedler
umher, einen Tag lang und schlenderte alle alten
Ecken aus. Hätt' ich damals etwas von Mathilde
W. gewußt, ich wäre nach Hübenthal gelaufen.
Aber so geht's. Das Leben ist ein närrisches
Blindekuhspiel, anch wenn's Jean Paul nicht ge-
sagt hätte. Hat sich, lieber Karl, der raffinierte
Schmerz, den Ihnen das Schicksal auf das Herz
gebrannt hat, noch nicht verzogen? Rufen Sie
Vater Justinian zu Hülfe. Das Oorpim juris ist
ein treffliches Buch, und die Novellen haben, beim
Mangel alles poetischen Verdienstes, zuweilen gute
Wirkung bei Bruststichen und inneren Blutungen
gehabt. — Öfters streift durch die Briefe meiner
Schwestern eine Nachricht über Sie, namentlich,
daß Sie sich, wie ich, auf unsre persönliche Be-
kanntschaft recht von Herzen freuen. Natürlich
haben Sie sich irgend ein Bild von mir gemacht,
wie ich von Ihnen. Wenn's hernach nicht ähnlich
ist, so darf uns das nicht stören. Ich bin ein häß-
licher Lümmel, mit einer großen Glatze auf dem
Kopf (die Haare ließ ich in Spanien) und einem
zahnlosen Mund. Man hat mir viel harte Sachen
zu beißen gegeben. Mein Gesicht ist, wie meine
Handschrift, ziemlich unleserlich, trägt aber eine
gewisse hausgebackene vaterländische Gutmütigkeit,
wie ein hessischer Wecke, und die große Nase zu-
weilen ein Lorgnon, das mir ein verfluchtes An-
sehen gibt. Besondere Kennzeichen^ Inhaber trägt
eine Narbe auf der Brust, und raucht beständig,
weshalb (jedoch nur aus diesem Grunde) besonders
Damen vor ihm gewarnt werden. Alle Behörden
werden gebeten, auf den signalirten Menschen im
Auslande zu fahnden und ihn über die hessische
Grenze herein in sein Vaterland zurückzuschleudern,
todt oder lebendig. —
Ja, lieber Freund, einstweilen sistir' ich mich
im Kurfürstenthum in den ersten Tagen des
September freiwillig. Dann werd' ich Sie
hoffentlich zu Kassel finden. Eher kann ich nicht
kommen. Doch bleib' ich etwa 14 Tage. Ich bringe
Jemand mit, und ich melde Ihnen das, damit Sie
sich nicht unangenehm überrascht fühlen. Es ist
ein junger kathol. Kaplan hier aus dem Lande,
Namens Doo8 (Doos), hier mein einziger und sehr
intimer Freund, schüchtern, voll Herz und Gemüth,
naiver Empfänglichkeit für Poesie und alles Schöne,
der auch Veronikas Brief vollkommen verstanden,
fern von allem den Umgang störenden pfäffischen
Wesen, und dabei zum erstenmal in der Welt, denn
er kam nie aus dem kleinen Ländchen hinaus, sah
nie ein Theater u. s. w. Nun geht er nach kurzem
Aufenthalt bei den Meinigen, nach Oesterreich,
wo er in einen Orden eintreten wird. Doos ist
ein gelehrter Theolog, und dabei der lebenslustigste
toleranteste Mensch von der Welt, der Ihnen nicht
mißfallen und unsern Umgang durchaus nicht stören
wird. Wir reisen am 31. August oder 1, September
hier ab, gehen zu Wasser bis Köln, dann wieder
herauf bis Mainz, und dann von da über Frank-
furt nach Kassel.
In Folge einer Mittheilung am Schlüsse Ihres
Briefes schrieb ich an Wigand und sagte ihm meine
bescheidenen Wünsche für den Fall einer Wiedcr-
auflaae des Rosa-Stramin. Es wäre mir aus öko-
nomischen Gründen sehr erwünscht, wenn er mir
das geringe Honorar, gegen welches ich ihm das
Buch abtreten will (60 Thlr.) im September zu
Kassel geben könnte. Ich würde dadurch viel un-
abhängiger im Genusse meiner Ferien werden.
Wigand hat mir aber bisher nicht geantwortet.
Dank dafür, daß Sie nach meines Vaters Grab
gesehen, und Dank nochmals für die Freude, die
Sie mir durch Ihren und Mathildens Brief gewährt.
In vier Wochen umarmt Sie, so Gott will
Ihr treuer
Koch.
Luxbg. 2. Nov. 56.
Dank, lieber Karl, für Deinen erquickenden und
so ganz unerwarteten Brief. Ich hätte Dir, an den
mein Herz so vielfach gekettet ist, und dem ich
eigentlich allein die glänzende Freude meiner jüng-
sten Heimathfahrt zu verdanken habe, schon längst
geschrieben, wenn nicht eine gänzliche Gestörtheit
meines Körpers, die bittere Folge jener Reise, und
unendliche Arbeit mich gehindert hätten. Der
kurhessische Husten, den ich mir auf Wilhelmshöhe
holte, schlug hier zur Grippe um, und eine exta-
tische Gereiztheit der Nerven, nöthigte mich, ärztl.
Hülfe zu suchen. Nun geht's viel besser.
Daß Wigand das Büchlein so schnell in die Welt
schickt, freut mich. An Deinem Lnterg [?] de Prince
wüßt ich nichts zu ändern — es wäre denn der
Ausdruck göttlicher Leichtsinn", welcher der Gra-
vität der Verlagshandlung wenig entspricht, auch
vielleicht etwas unbescheiden ist. Alsdann wünsche
ich, daß Du darauf aufmerksam machst, daß der
Verf. des Prinz R. Str. und der Verfasser der
1847 bei Hotop erschienenen „Erzählungen" (No-
vellen), Ernst Koch, identisch sind. Eine solche Be-
merkung würde meinem Namen förderlich sein.
Einstweilen lebe wohl, und grüße mir unsre aka-
demischen Freunde!
Könnte ich mich als Mitglied der 3 Corps be-
trachten, deren Bänder ihr mir schenktet!
N. Germania, Hercinia und welches war
das 3te? Die Bänder im Koffer haben bei der
Duane zwischen Kehl und Straßburg politischen
Verdacht erregt, und mich zu Explikationen ge-
nötigt. So ein Pulverfaß ist Frankreich.
Doos wurde schon acht Tage nach unsrer Ab-
reise Kaplan zu Malsch (in Baden) zwischen Rastatt
und Karlsruhe.
Herzlich umarmt Dich, und in Eile Dein treuer
Koch.
Will Wigand das Buch nicht eingebunden
versenden? Solche Äußerlichkeiten thun viel zur
Verbreitung, oder eine Vignette, z. B. einen
9muL> 270
Knaben, der eine Masse Blumen über seinen ge-
bückten Kops hinaus in den Tag hineinschleudert'?
L. 3. 6. 57.
Was mußt Du denn, mein guter Karl, denken,
daß ich so schweige, und Dein gutes warmes Herz
durch den Zweifel quäle, das meinige denke nicht
täglich an Dich und schlage nicht doppelt warm
für Dich, seitdem uns die schönen Herbsttage des
vorigen Jahres persönlich zusammengeführt. Aber
ich bitte Dich, lies meinen heutigen Brief an meine
Schwestern, und Du wirst Dich überzeugen, wie
unter dem moral. Drucke, der mich niederhält und
der mir Gemüth und Feder bannt und mich seit
Monaten mit dem Bewußtsein quält: wie mein
Schweigen andere quält, Niemand mehr leidet, als
Dein treuer Koch.
Laß mich nicht weiter in diesen Zustand eingehen.
Das würde mich, Dir gegenüber, dem Mann und
Dichter, der mich so ganz versteht, zu schmerzvollem
und mich ergreifendem Ergüsse führen. Laß mich
nur von Herzen Dir um den Hals fallen und Dich
bitten, mir nicht böse zu sein und mit mir Geduld
zu haben. Deine Verlobung, Dein nun bestandenes
Examen — das hat mich mit so viel Ideen und
herzlichen Gedanken und Wünschen erfüllt, daß ich
Dir das Alles mündlich sagen muß, wo Aug' und
Händedruck mich unterstützen und meine Seele be-
glaubigen werden, die Dich, glaub' es mir, ganz
wie einen Bruder in sich aufgenommen hat. Von
Ems werd ich, wenn Gott will, auf einige Tage
nach Kassel hinübereilen.
deicht sowohl vom Wasser, als vom Aufenthalt
zu Ems hoffe ich das Beste. Mich einmal ganz
von dieser erstickenden Geschäftsluft zu befreien,
mich der Natur in die Arme zu werfen und einige
Wochen harmlosen vielleicht poetischen Lebens zu
trinken — das wird mir Erquickung und Heilung
bringen.
Du wirst nun, an der Seite Deiner lieben
Mutter, die Du mir herzlich grüßen wirst, auf
Deinen Lorbeern ruhen.
Gedenke dann zuweilen, bis wir uns wiedersehen,
in ungetrübter Liebe Deines
Koch.
Luxemburg, den 4. Dezember 1858.
Lieber Herr Altmüller'
Mit betrübtem Herzen muß ich Ihnen den
großen Verlust mittheilen, den Sie an dem Tode
eines theuren Freundes und wir an dem Tode
eines guten Vaters erlitten haben. Den 24. No-
vember verschied er abends um acht Uhr, ganz in
den Willen Gottes ergeben. Neun Tage vor seinem
Ende legte er sich erst in's Bett, aß nichts mehr
und ward täglich schwächer. Die 3 letzten Tage
lebte er nur mehr von Mandelmilch, bis er end-
lich dem Tode unterliegen mußte. Das Unglück
war lange vorauszusehen, doch machte es einen
tiefen Eindruck auf uns alle. Dies Absterben ist
ein großes Unglück für unsere Familie; wir müssen
uns aber nun einmal in das Schicksal fügen.
Daß Sie am vorigen Herbste ausblieben, hat den
Vater betrübt. Hätten Sie seinen nahen Tod
vorausgewußt, Sie wären gewiß gekommen, um
ihren Freund Ernst zum letztenmale zu sehen.
Beiliegend schicke ich Ihnen ein Gedicht, welches
ein College meines Vaters, Namens H u ß, ge-
macht hat.
Ich weiß nicht, ob mein Vater Ihnen schon
früher sein „T e st a m e n t" geschickt hat. Er hat
es im vorigen Sommer gedichtet. Für den Fall,
daß Sie es nicht kennen, will ich es Ihnen hier-
mit geben
Mein T e st a m e n t
I.
Wenn ich ausgelitten hab'
Und mich von euch wende,
Macht mir doch mit meinem Grab'
Nicht viel Complimente.
II.
Setzt mir keinen Stein daher
Der's den Leuten sage
Freut euch, daß ich keinen mehr
Auf dem Herzen trage.
III.
Auch mit Rosen bleibt mir fort
(Kränzen oder Kronen).
Flechtet sie, wo hier und dort
Frohe Menschen wohnen
IV
Weder Schutt noch Blumenfeld
Scherben oder Kräuter
Machen mir die and're Welt
Länger oder breiter.
V
Viel Poeten haben's gern
Wenn sich Vöglein's Flügel
Um die Zeit vom Abendstern
Senkt auf ihren Hügel.
VI.
Oder wenn vom nahen Baum
Nachtigallen pfeifen
Während durch den stillen Raum
Laue Weste streifen.
VII.
Nichts begehr ich von den Allen
Wollt auch eh'r erdolcht sein
Als von Mond und Nachtigallen
Bis in's Grab verfolgt sein.
VIII.
Im November jedes Jahr
Sollt ihr rnich besuchen
Dorten wo mich auf der Bahr
Fremde Schultern trugen.
IX.
Ob vielleicht schon Schnee und Frost
Mich bedeckt da draußen
Ob die Stürm aus Nord und Ost
Durch die Felder brausen.
««MCL 271 WKb
X.
Grade wenn's recht stürmisch ist
Sollt ihr zu mir treten,
„Vater unser, der du bist"
Herzhaft für mich beten.
XI.
So befohlen und gestift
Hier in dem Gedichte
Auf daß jeder, den's betrifft,
Demgemäß sich richte.
Des Vaters Collegen wollen seine Gedichte
drucken lassen. Wollten Sie nicht vielleicht die
Güte haben, alle Gedichte, welche von ihm Sie
kennen, mir zu übersenden?
In dem Journale „Der Salon" werden Sie
viele finden.
! Theilen Sie gefälligst die traurige Nachricht den
Freunden des Verstorbenen mit.
Gruß von allen und von
ihrem Freunde
Paul Koch.
Das neue hessische Landesmuseum in Kassel.
Von Paul Heidelbach.
Die Verknüpfung einer an Wert und Um-
fang in Kassel bisher nie gesehenen deutschen
Kunstausstellung und der Einweihung eines
neuen Landesmuseums mit der zum September
bevorstehenden Jahrtausendfeier der Residenz-
stadt Kassel verleiht dieser Feier einen dauern-
den Inhalt. Wird doch damit die alte Tradi-
tion der landgräflichen Kunststadt nach langer
Unterbrechung mit vollem Bewußtsein und mit
dem festen Willen wieder aufgenommen, der
Pflege dieser Tradition in ihrem ganzen Um-
fang und mit allen Mitteln wieder gerecht zu
werden.
So gut wie kaum eine andere Stadt gleicher
Größe ist Kassel für diese Aufgabe ausgestattet.
Die große Bewegung innerhalb der kontinen-
talen Sammlungen während der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts, die u. a. den großen
Galerien von Dresden und Wien ihr heute
noch charakteristisches Gepräge gab, zeitigte
auch in Kassel, dank dem Kunstsinn hessischer
Fürsten, jene Gemäldegalerie, die ihrem Werte
nach noch heute zu den bedeutendsten Samm-
lungen Europas zählt, zwei Jahrzehnte später
entstand die Kunstakademie, die durch Nahl
und den älteren Tischbein von Anfang an
ein bedeutsames Relief erhielt, und 1779
das Museum Fridericianum, jene damals
in Deutschland ihres gleichen suchende Kunst-
stätte, in der Landgraf Friedrich II. nicht nur
das von seinen Vorfahren begründete Rari-
tätenkabinett der Renaissancezeit wieder auf-
leben ließ, sondern zugleich diesem, der weite-
sten Öffentlichkeit überwiesenen Institut eine Er-
weiterung gab, die es, wie gesagt, als eine der
glänzendsten Schöpfungen der Zeit ins Leben
treten ließ. Er führte ihm den ansehnlichen
Rest des vorwiegend aus Goldschmiedearbeiten
des 16.—18. Jahrhunderts bestehenden land-
gräflichen Silberschatzes aus der fürstlichen
Schatzkammer hinzu und neben anderen Kost-
barkeiten vor allem seine hervorragende
Sammlung von antiken Marmorskulpturen
und Bronzen. So wurde die alte Kunstkammer
zu einem der ersten Museen in deutschen Landen.
Freilich, Friedrichs Nachfolger Wilhelm IX.,
Hessens erster Kurfürst, frönte mehr seiner
Baulust, die das Wilhelmshöher Schloß und
die Löwenburg erstehen ließ, als daß sein auf
allen übrigen Gebieten so sparsamer Sinn der
Weiterpflege des Museum Fridericianum be-
sondere Pflege zugewandt hätte, und vollends
die französische Fremdherrschaft unter Jerome
dezimierte die Kasseler Kunstschätze aufs emp-
findlichste. Die hessischen Kurfürsten setzten der
Öffentlichkeit der hauptstädtischen Kunstin-
stitute erhebliche Schranken, und als man nach
Begründung des deutschen Reiches auch in
Hessen begann, der Wiederbelebung des Mu-
seumsgedankens näher zu treten, erwiesen sich
dte alten Räume des Museums zu eng, das
zudem noch die umfangreiche Landesbibliothek
beherbergte. Den jahrelangen zielbewußten
Bemühungen des Museumsdirektors Dr. Boeh-
lau ist dann die Verwirklichung des jetzigen
Neubaus zu danken. Der deutsche Kaiser gab
die erlesensten Altertümer aus der Löwenburg
als Leihgabe her, die Stadt Kassel, die dem
neuen Museum — gleichwie der hessische Ge-
schichtsverein und die städtische Gewerbehalle —
nicht nur ihre Sammlungen überwies, son-
dern ihm auch einen jährlichen Zuschuß von
15000 M. zubilligte, stiftete anläßlich der Sil-
berhochzeit des deutschen Kaiserpaares an einer
der vornehmsten Stätten der Neustadt das
Baugelände, und nun endlich konnte die Kul-
tusverwaltung den Bau Professor Dr. Fischer
in München übertragen, der in den Jahren
1910 bis 1913 am Wilhelmshöher Platz jenen
vielbewunderten Museumsbau hinstellte, der
tmw> 272 *mtb
jetzt in Gegenwart des preußischen Kultus-
ministers, des Oberpräsidenten der Provinz
und zahlreicher auswärtiger Museumsdirek-
toren seine sestliche Weihe erhielt.
Fischer stellte das Gebäude parallel zu der
eben hier beginnenden Wilhelmshöher Allee
und setzte den kräftig aufstrebenden Mittel-
turm in die Achse der Königsstraße, die noch
heute, wie im 18. Jahrhundert, im Mittel-
punkt des städtischen Getriebes steht und durch
eben diesen Museumsturm nun einen bedeu-
tungsvollen Abschluß erhielt. Hessische Bau-
denkmäler der Spätrenaissance waren es, die
Fischer zu seinem neuen Bau anregten, für
den er im einzelnen eigene Formen prägte.
Maßgebend für die Wahl der fast durchweg
angebrachten Breitfenster war die Rücksicht auf
eine zweckmäßige Verteilung der Lichtquellen.
Nur die hohe festliche Ehrenhalle erhielt Palast-
fenster nach barocker Art. Außer dieser Ehren-
halle, dem Kirchenraum und dem in vornehmer
Strenge ungemein eindrucksvollen Antikensaal
haben die übrigen in sich geschlossenen Räume
nur mäßige Abmessungen. Sie sind in Form
und Behandlung einfach und zeitlos gehalten,
lassen den Magazincharakter überall in künst-
lerischer Form zu Tage treten und vermeiden
durchweg stilistische Anlehnungen an die auf-
gestellten Schätze.
Die Grundrißanlage ist in einfachen, recht-
eckigen Massen gegliedert. Eine offene Halle
führt in die in gedämpftem Licht gehaltene,
mit Sandsteinfiguren von Klimsch geschmückte
Eingangshalle, von der aus man durch eine
niedere Tonne in den hohen basilikalgeform-
ten Antikensaal gelangt, dessen Architektur
mit seinem unschätzbaren Inhalt in glück-
lichste Verbindung gebracht wurde. Die
Basilika verbindet die beiden Hauptflügel
miteinander; die Räume sind derart anein-
ander gereiht, daß sie der Besucher auf seinem
Rundgang alle passieren muß und immer
wieder zum Antikensaal zurückkehrt. Die Wände
zeigen durchweg Schablonenmalerei, die sorg-
fältig Rücksicht auf den Inhalt der Räume
und die Farbigkeit der aufgestellten Gegen-
stände nimmt. Für die Außenfronten wurde
der deutsche Travertin aus Langensalza ge-
wählt, und dieser flächenhaft bearbeitete poröse
Stein schuf eine reizvolle Oberfläche, die mit
Rücksicht auf die beabsichtigte Wirkung in die
Ferne durchweg in einfachen großen Formen
gehalten ist. An Baukosten standen rund 830000
Mark für den Bau, einschließlich der Außen-
anlagen, zur Verfügung und 80000 Mark für
innere Einrichtung. Recht erhebliche Mittel
wurden auch für Neuerwerbungen zur Ver-
fügung gestellt.
So kann das neue hessische Landesmuseum,
das in dankbarer Erinnerung an den einstigen
Stifter des alten Museums den Namen Muse-
um Fridericianum fortführen wird, einer drei-
fachen Aufgabe gerecht werden. Nicht mehr
Hellas und Rom, sondern die deutsche Heimat
und ihre Kunst und Kultur in der Vergangen-
heit sind das Feld der Betätigung für das
Landesmuseum, das somit seine alte Bestim-
mung wesentlich erweitert. Während es ein-
mal ein Bild der kunstgeschichtlichen Entwicke-
lung in Hessen gibt und sodann auch an die
ruhmreiche Geschichte des Landes und seiner
Armee erinnern soll, will es schließlich auch
einem praktischen Bedürfnis entgegenkommen
und durch die guten Vorbilder des alten Kunst-
handwerkes anregend und vorbildlich wirken.
Ja, noch mehr. Die schon vorhandenen Samm-
lungen sollen ergänzt werden durch die metho-
dische Vorführung von Erzeugnissen des mo-
dernen Kunstgewerbes. So erhält der neue
Bau mit neuem Inhalt auch neue Aufgaben.
In einem angegliederten Hörsaal wird neben
die Vorführung sorgsam gewählter Vorbilder
auch das lebendige Wort treten. Schließlich
sind noch einige Räume für eine geplante
Exportausstellung nach Stuttgarter Muster
vorgesehen, so daß das auf dem alten Kuriosi-
tätenkabinett fußende Kasseler Museum heute
den neuzeitlichen Bestrebungen willig die Hand
reicht.
Die Eröffnung des neuen Hauses vollzog
sich überaus weihevoll. Museumsdirektor
Dr. Boehlau warf einen Rückblick auf die
Geschichte des Museums, dankte den Stiftern
und nicht zuletzt auch dem deutschen Kaiser,
der in hochherziger Entschließung die kost-
barsten Altertümer der Wilhelmshöher Löwen-
burg als dauernde Leihgabe überwiesen habe.
Kultusminister von Trott zu Solz, selbst ein
Sohn des Hessenlandes, gedachte des hohen
Kunstsinnes der hessischen Fürsten, deren
Vermächtnis wir für das Können unserer Zeit
nützen sollen. Die schon im 18. Jahrhundert
begründete Dreiheit der drei Kasseler Kunst-
institute — Gemäldegalerie, Kunstakademie
und Museum — sei nun aufs neue geschlossen
worden. Möchte sie dazu beitragen, daß Kunst
und Gewerbe in weiten Kreisen künstlerischer
Betätigung gefördert, der edle Geschmack und
das feinere Kunstverständnis früherer Zeiten,
von denen uns ein Jahrhundert kriegerischer
273 *a«b
und Politischer Kämpfe trennen, aufs neue
wirksam und anregend werden.
Unbeschadet der Wertschätzung heimischer
Kunst hat die von Friedrich II. im 18. Jahr-
hundert angelegte kostbare Sammlung antiker
Skulpturen, ein Schatz, wie ihn nur wenige
Museen ausweisen können, auch im neuen Hause
ihren Ehrenplatz erhalten, in jener Basilika,
die in ihrem stimmungsvollen Aufbau eine Tat
zu nennen ist. Die Hauptstücke der Sammlung
sind der Apollo, dessen Urbild um 450 in
Athen entstand und eine Athena, wohl eine
mit den sonst kaum noch in solcher Fülle und
Seltenheit zu findenden astronomischen In-
strumenten des 16. Jahrhunderts, den von
dem berühmten Burgi für Wilhelm IV ge-
arbeiteten Meßapparaten, Stücke berühmter
Mechaniker des 18. Jahrhunderts, Apparate,
die nach Ideen des Landgrafen Karl angefer-
tigt wurden, die ältesten Elektrisiermaschinen,
Magnete von staunenswerter Tragkraft usw.
Der hessische Ehrensaal zeigt die Fahnen und
Standarten der hessischen Armee, bis auf den
Landgrafen Karl zurückreichend, und wir ge-
Das Königliche Museum (Hessische» Landesmuseum) zu Kassel.
Wiederholung der lemnischen Athena des
Phidias. Der anschließende Raum enthält die
antike Kleinkunst, ein weiterer Modelle hessi-
scher Bauten, Ofenplatten aus hessischen Gieße-
reien des 16. bis 18. Jahrhunderts und als
Kuriosität jene verstümmelte Marmorstatue
Napoleons I., die als Brunnenfigur in west-
fälischer Zeit den Kasseler Königsplatz schmück-
te, um dann nach dem Sturze der Fremd-
herrschaft den einrückenden Kosaken als Ziel-
scheibe zu dienen. Die folgenden Säle erinnern
an das große Interesse, das die hessischen
Landgrafen an den exakten Wissenschaften
nahmen. Da ist die Uhrenkammer mit ihren
wertvollen Raritäten, das Wilhelmszimmer
denken der unerschütterlichen Bundestreue, die
Friedrich II. sich auf die Seite des gleichnamigen
großen Preußenkönigs stellen ließ, hier
hängen die Feldzeichen, unter denen die hessi-
schen Truppen fochten, deren Blut auf den
hessischen Schlachtfeldern des siebenjährigen
Krieges für unser großes Deutschland geflossen
ist. Hier sehen wir auch den zerfetzten und
blutgetränkten Rock des hessischen Hauptmanns
von Gilsa, dem 1762 bei Vellinghausen der
Unterarm durch eine Kanonenkugel zerschmet-
tert wurde, Uniformen und Ausrüstungsstücke
der westfälischen und späteren Zeit, Fahnen
der Bürgergarde usw. Unter den mittelalter-
lichen Kunstwerken birgt ein einziger Schrank
»ML- 274 »ML.
den Wert einiger Millionen; er enthält u. a.
den berühmten Katzenelnbogischen „Willkomm"
aus dem 15. Jahrh., fälschlich die Ziegen-
hainer Kanne genannt, die unvergleichliche
Seladonschale aus dem ältesten chinesischen
Porzellan (Anfang des 15. Jahrhunderts) und
syrische Gläser aus dem 14. Jahrhundert.
Der Goldsaal zeigt eine reiche Fülle von Gold-
schmiedearbeiten des 16. bis 18. Jahrhun-
derts, als glänzenden Rest des alten land-
gräflichen Silberschatzes, Straußeneierpokale,
Münzhumpen, Tierfiguren als Trinkgeschirr,
Scherzbecher, die auf einen Zug geleert werden
mußten und u. a. auch den Sickingenbecher als
hessische Kriegsbeute von 1523. Den kostbaren
Renaissancemöbeln der folgenden Zimmer
schließen sich die Barockmöbel an, unter ihnen
die vier großen Frankfurter Schränke, die das
ganze 18. Jahrhundert hindurch die hessischen
Möbel beeinflußt haben. Es folgt die barocke
Kleinkunst, Elfenbein-, Bernstein- und Halb-
edelsteinschnitzereien von unschätzbarem Wert,
die Glassammlung in elf Schränken, die dank
den ergiebigen hessischen Tonwerken umfang-
reiche Kasseler Keramik, Rokokomöbel, hessische
Fayencen (Flörsheim, Frankfurt, Höchst, Of-
fenbach, Hanau, Fulda), italienische Majoliken
des 16. und 17 Jahrhunderts, Meißner, Delfter,
Fürstenberger und Mündener Porzellan, ein
besonderes Zimmer mit Fuldaer Porzellan,
das der Sammeltätigkeit Boehlaus zu danken
und heute kaum noch zu erschwingen ist, Em-
pire- und Biedermeiermöbel und im Kirchen-
raum u. a. Fenster aus Winnen aus dem
14. Jahrhundert, von demselben Künstler, der
die Sakristeifenster der Marburger Elisabeth-
kirche schuf. — Im Obergeschoß, zu dem vom
Ehrensaal eine Treppe emporführt, stoßen wir
zunächst auf Büsten der Napoleonischen Fa-
milie und verschiedene Porträts Jervmes und
gelangen dann in den Raum mit dem köst-
lichsten chinesischen und japanischen Por-
zellan. Der nächstfolgende enthält Textilien,
darunter das reichbestickte Bett Landgraf Wil-
helms IV und gestickte Hofkostüme aus dem
18. Jahrhundert. Das anschließende türkische
Zimmer birgt hauptsächlich die sehr kostbare
Beute aus dem Türkenkrieg 1717 (Belgrad).
Von hohem Wert sind auch die vorgeschichtlichen
Altertümer aus Hessen, namentlich die Funde,
die bei der von Tacitus erwähnten chattischen
Fliehburg auf der Altenburg (Mattium!) ge-
macht wurden. Die größte hessische Münz-
sammlung umfaßt Stücke von der Brakteaten-
zeit bis 1866, die Eisensammlung Grabkreuze,
Gasthausschilder, Oberlichtgitter, Wetterfahnen
usw. Höchst instruktiv ist das hessische Trachten-
zimmer und köstlich die minutiös ausgestattete
Schwälmer Bauernstube mit angrenzendem
Schlafzimmer. Den Schluß bildet ein Jagd-
zimmer mit Jagdaltertümern, einer wunder-
vollen Sammlung alter Armbrüste und einer
vollständigen historischen Gewehrsammlung.
Man sieht, das kostbare Vermächtnis der Ver-
gangenheit hat unter der umsichtigen Leitung
Boehlaus eine Pflege und verständnisvolle Er-
gänzung erfahren, die das neue Kasseler Lan-
desmuseum den übrigen Kunstsammlungen der
Gegenwart würdig zur Seite stellt.
So hat denn die Stadt Kassel in eben dem
Jahre, in dem sie sich anschickt, ein zweites
Jahrtausend ihrer Geschichte anzutreten, die
Erfüllung eines lange gehegten Wunsches er-
leben dürfen. Möge der schon erwähnte
Wunsch des Kultusministers, den -er bei der
Weihe des Hauses zum Ausdruck brachte, in
dauernde Erfüllung gehen, daß die im 18.
Jahrhundert begründete alte Dreiheit der Kas-
seler Kunstinstitute aufs neue den edlen Ge-
schmack und das feine Kunstverständnis früherer
Zeiten in Hessen beleben und befruchten möchte.
Dann wird die nun tausendjährige Residenz-
stadt Kassel das werden, wozu sie seit Jahr-
hunderten durch die Betätigung ihrer Fürsten
bestimmt ist, zu einer Kunststadt im edelsten
Sinne.
------------------
Bismarck, ein Nachkomme Philipps des Großmütigen.
Von vr. Karl Kn et sch.
Im „Hessenland" (1912, Nr. 12—15) ist aus-
führlich über Landgraf Wilhelms IV. Sohn
Philipp Wilhelm v. Cornberg berichtet worden.
Eine merkwürdige Fügung hat den Begründer
der Familie von Cornberg auch zum Ahnen
des ersten deutschen Reichskanzlers gemacht.
Es mutet seltsam an, daß in dem Manne,
dem unser Heimatland in erster Linie den
Untergang seiner Selbständigkeit zuschreiben
muß, ein Tröpflein Blut von Hessens größtem
Fürsten, von Philipp dem Großmütigen und
damit auch von seiner erlauchten Ahnfrau, der
heiligen Elisabeth, von Karl dem Großen und
so vielen hervorragenden Männern des Mittel-
275 SML.
alters, von Kaisern, Königen und Helden floß.
Erstaunlich für uns Kasselaner ist's auch, daß
Bismarck, den in späteren Jahren die Stadt
Kassel zum Ehrenbürger ernannt hat, durch
seine Abstammung von der ehrenwerten Kasseler
Bürgerfamilie Waldenstein (Wallenstein) schon
so etwas wie ein Recht auf diese Ehrung hätte
herleiten können.
Die Abstammungsreihe*) ist folgende
Philipp der Großmütige
Landgraf zu Hessen
1504—1567
I
Wilhelm IV
Landgraf zu Hessen
1532—1592
i
Philipp Wilhelm von Cornberg
1553—1616
i
Anna Sabine von Cornberg
1607—1659
verm. mit Hans Ernst v. Witzleben.
>
Dorothea Katharina v. Witzleben
1640—1671
verm. mit Hans v. K a t t e 1633—1684
I
Dorothea Sophia v. Katte
1669—1719
verm. 1694 mit August v. Bismarck 1666—1732
!
August Friedrich v. Bismarck
1695—1742
>
Karl Alexander v. Bismarck
1727—1797
!
Karl Wilhelm Ferdinand v. Bismarck
1771 - 1845
Otto v. Bismarck
1815—1898
Der Weimarer Maler Dr, Adolf von den
Velden hat nach meinen Angaben in einem
seiner außerordentlich dekorativ wirkenden
Wandteppiche eine mit dem heraldisch muster-
haften Wappen der von Cornberg geschmückte
Ahnentafel der Bismarckschen Ahnfrau aus
dem Hessenlande gegeben, die wir, wenn auch
leider nicht in den Farben des Originals, hier
*) Die Angaben über v. Witzleben - v. Katte —
v. Bismarck nach Georg Schmidts Werk „Das Geschlecht
v. Bismarck", 1908.
Wandteppich von A. von den Velden.
abbilden dürfen. Danach entstammten die Ur-
großeltern der Anna Sabine von Cornberg
den fürstlichen Häusern Hessen und Sachsen,
der Kasseler Bürgerfamilie Wallenstein, die
1468 zuerst erwähnt wird, und den adeligen
Geschlechtern von Boyneburg, von Reckrod,
von Herda und von Creutzburg.
SASL. 276
Angedruckte Briefe Johannes von Müllers an den Grafen Beugnot.
Nach den Originalen der Pariser Nationalbibliolhek herausgegeben von Joachim Kühn.
I.
Trotz den schätzbaren Arbeiten, die in den
letzten fünfundzwanzig Jahren über die Ge-
schichte des Königreichs Westfalen erschienen
sind, wäre es doch verfrüht, die darin nieder-
gelegten Forschungen für abschließend zu hal-
ten, um so mehr, wenn es sich wie im vor-
liegenden Fall darum handelt, eine in der
Geschichte der ephemeren napoleonischen Schöp-
fung so viel genannte Persönlichkeit wie den
Generaldirektor des öffentlichen Unterrichts,
Johannes von Müller, durch Veröffentlichung
einer Reihe bedeutsamer Briefe von höchstem
biographischen Reiz in ein neues, menschlich
fesselndes Licht zu rücken. In Frankreich nur
von Charles Schmidt, dem vortrefflichen Hi-
storiker des Großherzogtums Berg, in Deutsch-
land überhaupt nicht beachtet, sind die in Frage
stehenden, aus dem letzten Lebensjahr des
großen Historikers stammenden Briefe 1902
aus dem Nachlaß des Grafen Albert Beugnot
in den Besitz der Pariser Nationalbibliothek
übergegangen^ und an den Großvater des
Erblassers, Grafen Jacques Claude Beugnot
gerichtet. Was aus den bisher bekannt ge-
wordenen, aus politischen und persönlichen
Gründen ängstlich gesichteten Briefen Müllers
aus seiner Kasseler Zeit nur unklar hervorging,
tritt in ihnen zum erstenmal mit erschütternder
Deutlichkeit zu Tage ein gebrochenes, durch
einen Moment der Eitelkeit sich selbst und
seiner Bestimmung gewaltsam entfremdetes
Leben ringt hier um Befreiung oder, als die
letzte Hoffnung schwindet, wenigstens um Ver-
gessenheit, ein hochbegabter Gelehrter sucht sich
in Geschäften zurechtzufinden, an deren schab-
lonenhafter Trockenheit er vergebens Geschmack
zu gewinnen sucht, und zimmert sich endlich,
mürbe und müde geworden, ein Opfer selbst-
geschaffener Verhältnisse, aus denen es kein
Entrinnen gibt, eine Art Winkelglück zusam-
men, bis ihn endlich der Tod erlöst. Der
Adressat war bekanntlich im April 1807 zu-
sammen mit Jollivet, Simeon und dem Ge-
neral Lagrange nach Kassel entsandt worden,
mn bis zum Regierungsantritt des Königs
die Geschäfte der besetzten Lande zu leiten, bei
der endgültigen Organisation der westfälischen
Verwaltung wurde er im Dezember 1807 zum
Finanzminister, im Februar 1808 zum Schatz-
') Nouvelle» acquisitions françaises, vol. 10226.
minister ernannt, stellte sich aber im April des
gleichen Jahres Napoleon wieder zur Verfü-
gung, da er die Aufforderung des Kaisers, auch
während seines Aufenthalts in Westfalen sein
Minister zu bleiben, mit Jérômes Weisungen
nicht in Einklang zu bringen vermochte. Wäh-
rend dieser Zeit hatte er Johannes v. Müller
kennen gelernt; ein im Sinne des Anden
régime feingebildeter und für wissenschaftliche
Fragen gern interessierter Mann, der sich,
als er noch als Präfekt in Rouen waltete, durch
Einführung englischer Spinner aus Manchester
um die Hebung des Wohlstandes seines Depar-
tements außerordentlich verdient gemacht, trat
er dem berühmten Historiker bald näher, fuhr
oft gegen Abend bei ihm vor und verplauderte
mit ihm ein paar angeregte und Müller um
so unvergeßlichere Stunden, als dieser bei seinen
übrigen Kollegen im Ministerrat zunächst nur
wenig Entgegenkommen und für das Opfer,
das er Napoleon gebracht, überhaupt kein Ver-
ständnis fand. Durch gemeinsame Protekti-
onen auch außerdienstlich ständig verbunden,
trat ihm Beugnot geistig sehr nahe; sein Ent-
schluß, Jérômes Dienste zu verlassen und nach
Frankreich zurückzukehren, versetzte Müller in
schmerzlichste Erregung. Beugnot war der ein-
zige, der ihm das Leben in Kassel erträglich
gemacht hatte ging der Freund, so wollte
auch er nicht mehr bleiben. Vielleicht gab es
noch ein Zurück? Vielleicht war es Beugnot
möglich, Napoleon zu seiner schon Ende De-
zember 1807 angestrebten völligen Entlassung
zu veranlassen? In ergreifenden Worten schil-
derte er dem scheidenden Minister seine Lage
und ließ ihm nach Erledigung einiger persön-
licher Angelegenheiten am Schluß die Bitte
durchblicken, sich nach seiner Ankunft beim
Kaiser im angedeuteten Sinne zu verwenden.
„Da wäre nun der fatale 10. März, der über
Ihre nahe Abreise entscheidet! Es gibt nur ein
Mittel, mich darüber hinwegzutäuschen mich so tief
in meine Arbeit zu versenken, daß ich meines uner-
meßlichen Verlustes nicht gewahr werde. In der
Tat kann ich nur den Entschluß fassen, den Tag
so auszufüllen, daß für die Grille, an morgen zu
denken, keine Zeit übrig bleibt. Da steht mein kal-
vinistischer Glaube mit dem weisen Gedanken Cor-
neilles und der Muselmanen in Einklangs Faites
votre devoir et laissez faire aux dieux.2) *)
*) Der Vers kehrt in den Briefen aus Müllers west-
fälischer Zeit öfters wieder. Cf. Sämtliche Werke, 18. Teil,
Tübingen 1814, S. 110.
Gestatten Sie mir, daß ich Sie zum letzten Mal
an ein paar arme Teufel erinnere, die ich Ihrer
Protektion anempfohlen hatte: Schalch^) ist von
Ihrer Güte entzückt und hätte zweifellos lebhaft
gewünscht, daß das Spiel nicht durchkreuzt worden
wäre, Ew. Exzellenz haben mich über Fariaux be-
ruhigt; Apel wird Ihnen von einem Plan ge-
sprochen haben, wenn er unausführbar ist, wäre
ihm vielleicht eine Empfehlung an seinen ehema-
ligen Chef oder an Ihren Nachfolger von Nutzen.
Ferner wünschte ich sehr, Karl v. Baumbach aus
seiner schrecklichen Lage befreien zu können (20
Taler jährlich mit Weib und drei Kindern!), er
würde sich trefflich für einen Jnspektorposten beim
Brücken- und Wegebauamt oder im Post-, Forst-
oder Salinendepartement eignen, ich habe ihn
nämlich, nachdem ich ihn schon als Opfer unserer
neuen Gesetze empfohlen, noch nebenbei als sehr
geschickt kennen gelernt, ich besitze von ihm eine
Schilderung des Fuldadepartements, er schreibt
ein sehr gutes Deutsch, ein leidliches Französisch
und scheint mir auf Grund seiner nicht adligen
Mutter die Aristokratie des Landes gegen sich zu
haben, während ein ausländischer, aufgeklärter Mi-
nister besser dazu geeignet ist, ihn zu befreien.
Ich möchte Sie nicht persönlich aufsuchen, weil
Ihre Augenblicke gezählt sind; doch haben Sie
einen freien, so lassen Sie mich rufen und ich
gehöre Ihnen.
Ich füge ein letztes, ganz vertrauliches Wort
über meine eigene Stellung hinzu. Sie ist so gut
wie sie es hier nur sein kann und ich bin fest
überzeugt, daß der Minister des Innern^), ein
gerechter, aufgeklärter und billig'denkender Mann,
mich in meinem Ziel, so viel als möglich Gutes
zu tun, unterstützen wird. Doch kennen Sie 1 den
Zustand unsrer Geschäfte und die sich daraus er-
gebende Ungewißheit, 2. daß daraus die Unmög-
lichkeit folgt, für öffentliche Unterrichtsgegenstände
das Wünschenswerte zu tun, 3. daß ich in Er-
mangelung eines eigenen Bureaus meinen ganzen
Tag mit Korrespondenzen und auf mein Amt be-
züglichen Nachfragen vertrödeln muß und daß es
deshalb 4. mit der Laufbahn, die mir einen Ruf
erworben, die mir von der Natur vorgezeichnet
war und das Glück meines Lebens ausmachte,
ohne von der Eitelkeit, einige Verdienste um die
Nachwelt zu besitzen, zu sprechen, zu ende ist, und
das ist traurig. Sicherlich schuldete ich demjenigen,
der den großen Mann dazu bestimmte, sie wieder-
betreten und für sie leben zu dürfen, das meiste
auf der Welt; er wäre mein erster Freund und
stände mir so hoch wie mein Vater.
Ich habe mein ganzes Herz an Ihrer Freundes-
brust entlastet, weil ich herausgefühlt, daß Sie
mich verstehen und daß wir in allen Jahrhunderten
gemeinsame Freunde zählen, die ein edleres und
heiligeres Band um uns schlingen als hätte uns
ein bloßes Ungefähr von gleichen Vorfahren ab-
*) Generaldirektor der Polizei, Vorgänger Bercagnys.
*) Simeon.
stammen lassen. So reisen und leben Sic glück-
lich, meine Wünsche, meine innigste Zuneigung ge-
leiten Sie. Ich bin der Ihre
10. März 1808. I. v. M ü l l e r "
Zweieinehalbe Woche später hatte Beugnot
Kassel noch immer nicht verlassen. Müller
nahm die Gelegenheit wahr, ihn um seine Ver-
wendung für den Herzog von Braunschweig-
Bevern zu bitten, dessen durch die Ereignisse
verschuldete, jämmerliche Vermögenslage um
so mehr seine Teilnahme erregte, als er selbst
unter beständigen Finanzschwierigkeiten litt.
„Heute muß ich Sie langweilen, wie sehr ich
auch wünschte Ihnen immer zu gefallen. In dem
dunklen, einsamen Hause, wo der greise Herzog
von Braunschweig-Bevern mit der Gefährtin seines
traurigen Daseins die letzten Seufzer seines un-
schuldigen Lebens aushaucht und, da er nur die
ohnmächtigen Bitten der Armen hat, trotz seines
guten Rechts von den Machthabern verhöhnt, mit
Plutarch äs 8sra Gummis vinäieta zu klagen hat
— dort weiß man noch nicht, daß nicht ich es
mehr bin, der S. M. etwas vortragen kann5),
und die Herzogin hat die Ungeschicklichkeit noch ein-
mal an mich zu schreiben. Muß ich sie an den
Grafen Fürstenstein oder an wen sonst verweisen?
Der König schien seinerzeit die Verlvandten seiner
Gemahlin nicht öffentlich Hungers sterben lassen
zu wollen und ich glaubte, daß die letzten Sprossen
des erlauchten WelfenhauseS eine Anzahlung auf
das ihnen Schuldige als Almosen erhalten sollten.
Könnten Sie sich nicht noch vor Ihrer Abreise
dieses Verdienst erwerben? Sind >vir denn so völlig
sicher, daß es keinen Gott mehr gibt der die
Sache der schonungslos unterdrückten Schwäche an
Kindern und Kindeskindern rächt? vixi, ich wasche
mir die Hände. Möge das Blut dieses Greises
nicht über den König und sein Haus und die
Häupter meines hiesigen besten Freundes und
seiner Kinder kommen.
28. März. I. v. M ü l l e r."
Die Angelegenheit, die dem Charakter des
großen Historikers alle Ehre machte, zog sich
bis zum Sommer hin, erst'nachdem er sich
am 20. Mai in sehr scharfen Wendungen an
Simeon gewandt und mit erstaunlichem Frei-
mut an das Walten der Nemesis erinnert
hatte — vielleicht hoffte er im Stillen, dadurch
einen Bruch mit der Regierung und eine
ihm so erwünschte Entlassung aus westfälischen
Diensten herbeizuführen - wurde dem Herzog
am 14. Juni eine kleine Pension ausgesetzt.
Inzwischen hatte Beugnot Kassel verlassen und
sich in das kaiserliche Hoflager begeben. Dort-
hin richtete Müller seinen dritten Brief, einen
*) Müller war am 26. Februar als Minister-Staats-
sekretär des Königreichs durch Jérômes Günstling, Le
Camus, Grafen von Fürstenstein, ersetzt worden.
der bedeutendsten der Sammlung, in dem er
sich in bitterster Weise über seine Kasseler
Tätigkeit als Generaldirektor des öffentlichen
Bildungswesens aussprach, die ihn nicht im
entferntesten für den Verzicht auf seine Lauf-
bahn entschädigte und trotz seinem angestreng-
ten Fleiße — von der sich taub stellenden Re-
gierung ganz zu schweigen - von Präfekten
und Bürgermeistern für rein dekorativ gehalten
wurde, entschieden sie doch in Unterrichtsan-
gelegenheiten über seinen Kopf hinweg. Die
Bürde der ihm obliegenden Korrespondenzen
wuchs aus diese Weise ins Unendliche; sie raubte
ihm den ganzen Tag. Nur abends konnte er
sich ein paar Stunden abstehlen, um sie bei
seinen geliebten Büchern zu verbringen. Es
hat etwas Ergreifendes, wenn er Beugnot
schreibt, daß sie und sie allein ihn „wieder
jung" machen und ihn trotz allem mit jenem
tiefen, schweizerisch-hartnäckigen Kultus für den
Imperator, dem „Gott die Welt gegeben", er-
füllen, der ihm nach seinem Tode so schwer
verdacht wurde und ihm doch gerade Mut gab,
sein drückendes, unbefriedigendes Tagewerk,
seine „Sisyphusarbeit" am nächsten Morgen
wieder aufzunehmen.
„Ich erstatte Ew. Exzellenz Ihr Vermächtnis,
Michael Berr, zurück, der uns verläßt und durch-
aus mit ein paar empfehlenden Zeilen für Sie
beauftragt sein will. Ganz unnötig, kennen Sie
ihn doch eben so gut und besser als ich, während
ich meinerseits keinen Beweis habe, daß Sie sich
noch meiner erinnern. Doch lege ich so großen
Wert daraus, daß ich seinem Drängen nachgab.
Berr hat sich immer gut geführt, hat immer
großen Eifer sich auszuzeichnen bewiesen und scheint
Männern, die es gut mit ihm meinen, ehrlich
zugetan zu sein; man kann auf seine Dankbarkeit
zählen. Er wird Ihnen einen Brief von Herrn
Simöon zeigen, ein ehrenvolles Zeugnis. Er hat
dem König jeine Werke in prächtigem Einband ge-
widmet, aber es ist vergessen worden, ihm etwas
sagen oder schreiben zu lassen und ihn durch eine
kleine Spende zu entschädigen. Das ist weder die
Schuld des von Natur freigebigen Königs noch
die Ihres Dieners, der gewisse Persönlichkeiten
hinreichend darauf aufmerksam gemacht hat. Sehen
Sie zu, was Sie für ihn in Frankreich tun können,
er ist Schriftsteller, ich weiß nicht, ob er in der
Verwaltung gut verwendbar sein wird, jedenfalls
aber im Finanzdicnst, für den sein Volk von Haus
aus Talent hat.
Meinerseits schlage ich mich mit den Schwierig-
keiten herum, die sich mir in der allgemeinen Lei-
tung des öffentlichen Unterrichtswesens entgegen-
stellen. Sie wären nicht unübersteiglich, wenn man
nur wollte. Ich habe mich oft mit dem Gedanken
getragen, mich an den Großmeister der französi-
schen Universität ,;) zu wenden, um seine Ansichten
über gewisse Punkte einer akademischen Organi-
sation zu hören, die ich sehr gern hier in Vor-
schlag bringen möchte. Die großen Prinzipien im
Gesetz des Kaisers haben mich frappiert, aber von
manchem spricht er garnicht. Hier hat der General-
direktor des öffentlichen Unterrichts nicht einen
Heller zur Verfügung, er kann nicht einmal das
einmal Bewilligte den Leuten auszahlen lassen.
Willkürliche Entschließungen der Präfekten und
Bürgermeister machen ihm oft derartige Striche
durch die Rechnung, daß sich die bedeutendsten Um-
wandlungen vollziehen, ohne daß er eine Ahnung
davon hat, und daß seine Briefe trotz seiner Bitten
monatelang unbeantwortet bleiben. Ich spreche
garnicht von sonstigen Unannehmlichkeiten. Es ist
hart, sich zu einer Sisyphusarbeit verurteilt zu
sehen, wenn eine fesselnde, ehrenvolle, ruhige Lauf-
bahn, Entwürfe, begonnene Werke vor einem lagen.
Doch beeinflußt das nur selten den Charakter den
Sie an mir kennen, heiter und sorglos, sobald es sich
nur um Wissenschaft und Freundschaft handelt. In
den Abendstunden von etwa neun Uhr ab finde ich
an dem ewigen, unerschöpflichen Jungbrunnen des
Studiums mein Selbst wieder und vergesse alles
was mich bedrückt. Er gibt mir Mut zu hoffen,
vieles zu verachten und äs laisssr kairs aux dieux.
Ich arbeite, stelle zusammen und mache Notizen als
wüßte ich, daß ich noch eines Tages die Muße finden
würde, meine Bücher zu schreiben.
Was machen Sie? Haben Sie ein wenig gelesen
oder noch besser geschrieben? haben Sie etwas
Großes und Schönes getan? Sagen Sie mir vor
allem ob Sie sich glücklich fühlen und, was in erster
Linie steht, ob es Ihnen gut geht? Nie werde ich die
gemeinsam verlebten, interessanten Stunden ver-
gessen, und wenn mich auch immer Ihre klassische
Beschlagenheit in Erstaunen versetzte, verweile ich
doch stets am liebsten bei den Äußerungen Ihres
eigenen Genius', bei den edlen Regungen Ihres
Herzens. Beunruhigen Sie sich niemals wegen ge-
wisser Wünsche Ihres Freundes, die Sie nicht zu
verwirklichen vermögen. Ich bin der Erste es zu
begreifen und bin darum Ihrer von allen außer
uns und in fremder Macht stehenden Einflüssen
völlig unabhängigen Freundschaft doch nicht minder
sicher.
Nur eins macht mich ungeduldig! keine Gelegen-
heit zu haben. Sie wiederzusehen, zuweilen mit
Ihnen einen Abend verbringen und mich über die
Langeweile eines langen Mahls im Gespräch mit
Ihnen hinwegtäuschen zu können. Wie reichen
Stoff bietet doch der Kaiser, dem Gott die Welt
gegeben, um über Vergangenheit und Zukunft
nachzudenken (denn über die Gegenwart nachzu-
denken ist unmöglich, er absorbiert alles). Gab es
je eine Zeit, die fesselnder war für Naturen, die
die Weltgeschichte in großen Zügen betrachten und
ihre Beziehungen vergleichen? Ich fühle mich
wieder auf die Deut des Brenles in den Helvetischen
') Ten Lichter Fontanes.
s«sL- 279
Alpen versetzt, wo ein düsteres, sür die Rückkehr
des Chaos kämpfendes Wolkenmeer die hundert
Städte des Bernerlands von damals und das ganze
Burgund jenseits des Jura meinem Blick entzog
doch der unbesiegliche Gott des Tags schleuderte
seine Blitze, verjagte die Finsternis und mit einem
Schlage trat die wiederbelebte Welt anbetend und
lebensfroh hervor. Ich finde daß ich die Alten,
die Geschichtsschreiber ihrer großen Männer besser
verstehe, wenn ich zum Vergleich die Gegenwart
heranziehe. Wenn ich daran denke, werde ich wieder
jung; wie soll man sich von einem solchen Schau-
spiel losreißen?
Heute hat das prächtige Begräbnis des armen
Heister stattgefunden. Er war drei Jahre jünger
als ich; aber in diesem Augenblick vergaß ich ein-
mal die kleinlichen Ärgernisse meiner Stellung und
dachte nur an die Dinge, mit denen sich der Ver-
blichene niemals befaßte und an die Weise, in der
man das Leben verwenden kann, da fühlte ich noch
für dreißig Jahre Kraft in mir.
Fort mit diesen romantischen Träumen, ich
nehme meine Sisyphusarbeit wieder auf, spähe
aber sehnsüchtig nach dem Abend und der Fort-
setzung meiner Studien aus und verkürze mir die
Wartezeit mit irgend einer großen Neuigkeit und
der Ausmalung von tausend Freuden, von denen
der Empfang eines Briefes von Ihnen nicht die
geringste wäre. Senden Sie mir liebenswürdige
Reisende, befehlen Sie, wann ich Ihnen oder irgend
jemand dienstlich sein kann und endlich fao valeas
meque mutuo diligas!
Cassel, den 16. Juli 1808. I. v. Müller."
Wo dieser Brief in Beugnots Hände gelangte,
ist ungewiß, wurde doch der Minister - am
6. Juni zum Chevalier de l'Empire erhoben -
am 19. Juli 1908 zum „Commissaire extra-
ordinaire pour prendre possession des duches
de Berg et de Cleves, Munster et la Marek“,
also etwa zum kaiserlichen Statthalter am
Niederrhein ernannt, am 31. Juli traf er in
Düsseldorf ein. Rund einen Monat später
empfahl ihm Müller einen Herrn von Coever-
den zur Anstellung in seiner Verwaltung und
sandte ihm ein Exemplar der Rede zu, die er
vor kurzem bei der Schließung der westfälischen
Ständeversammlung verlesen, eine Rede die,
wie er damals an Charles de Villers schrieb,
nicht das was i st, sondern das was sein
könnte aussprach.
„Ew. Exzellenz wollen mir gestatten, Ihnen den
Generalsekretär von Steinfurt und umliegenden
Ländereien, Herrn van Coeverden vorzustellen.
Ich lernte den ausgezeichneten Mann vor 4 bis
5 Jahren in Wien kennen. Er hat ein Werk über
Papiergeld geschrieben, ein Muster für die klarste
und knappste Zergliederung eines ungemein ver-
wickelten Gegenstandes7); er hat darin voraus-
gesagt, was die österreichische Monarchie seitdem
unaufhörlich empfunden. Seine Art einem Gegen-
stand auf den Grund zu gehen, seine hervorragenden
Talente, sein reiner und tugendhafter Charakter
haben damals mein Interesse erregt und einige
kürzliche Unterredungen haben mir bewiesen, daß
er seitdem nicht müde geworden ist, sich in Men-
schen- und Sachkenntnis immer mehr zu vervoll-
kommnen. Er ist in der kleinen Stadt Coesfeld bei
Münster beamtet, und als wahrer Weiser, dessen
Glück in ihm selbst ruht, beklagt er sich nicht da-
rüber, aber man darf sich wohl einen größeren
Wirkungskreis und reichere Bildungsgelegenheitcn
wünschen. Wenn Sie ihn anstellen könnten, würden
Sie einen vortrefflichen Griff tun. Im großen
und Ganzen muß Düsseldorf für ihn geeigneter sein
als sein Städtckien und er ist dazu geschaffen, im
Centrum der Geschäfte verwandt zu werden. Ich
habe ihm gesagt, daß ich ihn an einen Mann von
Genie und großem Charakter weisen werde, ich
sage Ew. Exzellenz, daß ick) Ihnen einen jungen
Mann vorstelle, der Ihrer würdig ist, ich bin im
voraus sicher, daß weder Sie noch er mich Lügen
strafen werden. Könnte ich ihn doch begleiten und
jene glücklichen Abende noch einmal durchleben, wo
ich mit Ihnen, dem alles Sehenden, alles Teilenden
laut denken durfte' Nie hätte ich es mir mehr
gewünscht. Im übrigen bin ich, wie Sie mich ver-
lassen haben, tue meine Pflicht soweit man es mir
erlaubt, und erwarte den Lauf der Ereignisse, die
sich gewiß in einer für diesen Erdteil entscheidenden
Weise entwickeln werden. Ich lege meine Rede bei,
vielleicht hat sie Ew. Exzellenz noch nicht gelesen.
Dank der uns verbindenden Liebe zur Wissenschaft,
dank der Hochschätzung und lebhaften Freundschaft,
die Sie mir fürs ganze Leben eingeflößt, bleibe ich
in jeder Lage mit Herz und Seele der Ihre.
. Cassel, den 2. September 1808. I. v. Müller
Wären Sie so liebenswürdig, mir mit einer,
unserer Freundschaft würdigen Offenheit mitzu-
teilen, ob Ihnen meine Rede gefällt? sic war wie
eine Fahrt zwischen Scylla und Charybdis nicht
ohne ganz besondere persönliche Schwierigkeiten."
II.
Ob Beugnot antwortete, ist ungewiß. Beide
Freunde waren durch die Last der ihnen ob-
liegenden Geschäfte so stark in Anspruch ge-
nommen, daß ihnen für private Korrespon-
denzen keine Zeit blieb. Überdies absorbierte
Müller der unerträgliche, zähe Widerstand, den
ihm der Chef der Ministerialabteilung für
Kultus und Untericht, Petitain, beim dama-
ligen Minister des Innern, Simson, in den
Weg legte. Petitain wollte drei bis vier der
') A. von Coeverden, Persuch einer Entwickelung der
nachteiligen Folgen einer gar zu großen Masse Staats-
papiergeldes für einen Staat, Göttingen 1805. Er lebte
später als preußischer Regierungsrat in Cleve.
fünf bestehenden Universitäten unterdrücken so-
wie sämtlichen Gymnasien und Lyzeen jede
staatliche Unterstützung entziehen, er übte auf
den durch Überlastung an einer Selbstprüfung
verhinderten Simeon einen so entscheidenden
Einfluß aus, daß dieser dem großen Historiker,
besonders seit Müller Anfang Oktober bei Je-
rome in Ungnade gefallen, auf dessen Vor-
schläge hin wiederholt „son etonnement, son
grand etonnement" aussprach. In seiner
Eitelkeit aufs tiefste verletzt, richtete Müller
darauf am 3. Dezember 1808 ein sehr heftiges
Schreiben an Simeon und wurde nicht müde,
über Petitains Böswilligkeit Klage zu führen,
so fehlte es an Muße Erst als im Januar 1809
die Unmöglichkeit, einen Schützling Beugnots in
der westfälischen Verwaltung unterzubringen,
eine Antwort nötig machte, wurde der Brief-
wechsel wieder aufgeuommen. In einem kurzen,
doch inhaltreichen Schreiben berichtete Müller
über seine Stellung zu Simeon, den er per-
sönlich für Petitains Intriguen keineswegs
verantwortlich machte, und den Umschwung,
der sich seit dem letzten 2. Oktober in seiner
Lage vollzogen. Mit einer Ruhe, die über-
raschen würde, wenn nicht dem „Tacitus der
Schweiz" eben eine Verabschiedung aus Jé-
rômes Diensten ganz erwünscht gewesen wäre,
gibt er darüber näheren Aufschluß und wägt
ganz illusionslos und beinahe freudig von der
leisen Hoffnung belvegt, seine Entlassung möchte
sich doch noch verwirklichen, die dadurch herbei-
geführten persönlichen und wirtschaftlichen Zu-
kunftsaussichten ab.
„Liebe, würdige Exzellenz. Ich sende Ihnen
Herrn Barriä zurück, er ist in meinen Augen wie
in den Ihren anstellungsfällig, aber es ist un-
möglich; jeder sucht seinen Vorteil, der des Königs,
des Staats ist ohne Hüter. Unstreitig ist Barrie
tauglich und kann gute Dienste leisten. — Übrigens
wissen Sie, daß Hr. Simeon das Innere verloren
hat, ich habe mich sehr mit ihm gezankt, aber nur
durch die Schuld eines unwissenden, unverschämten
Sekretärs; wenn wir uns persönlich darüber ans-
spracheu, ging alles vortrefflich, ich liebe und be-
daure ihn. Mcinesteils habe ich das Unglück, in
eine Ungnade gefallen zu sein, deren Grund sich
mir entzieht8). ¡Seit dem 2. Oktober hat der König
weder mit mir gesprochen, noch im Staatsrat nach
meiner Meinung verlangt. Doch ist mir weiter
nichts geschehen. So erwarte ich mit völliger Ge-
lassenheit einen Wandel im Auftreten S. M. oder
eine durch die Verabschiedung gekennzeichnete voll-
kommene Ungnade. Glücklicherweise besitze ich Be-
8) Jérôme, dem Müller überhaupt unsympathisch war,
legte ihm die jüngsten Studentenunruhcn in Halle zur
Last.
ziehnngen genug, um mich anderwärts davon zu
erholen, Mittel genug, um meine Sache vor dem
Publikum zu vertreten und Grundsätze, die mich
über alles stellen, was man mir etwa antun könnte.
Ich habe mich seit dem 28. Februar nicht mehr an
Cäsar gewandt es schien mir, als wäre es nicht
ihm vorbehalten, mich glücklich zu machen. Ich
denke nicht einmal mehr daran. Ich halte mich an
Corneilles Faites votre devoir et laisser faire
aux dieux! Und selbst wenn ich vermögenslos
enden sollte; ich habe mein 57. Lebensjahr voll-
endet, habe genossen und gehandelt und hinterlasse
ein Lebenswerk; und glücklicherweise habe ich nur
bei Leuten Schulden, die reich genug sind, um durch
meinen Tod nicht zugrunde gerichtet zu werden,
er lvird ihr Vermögen nicht einmal angreifen. Ich
wäre also entzückt, meinen allergnädigsten Herrn
von der Pein mir zu begegnen erlöst zu sehen,
Sie tvieder in die Arme zu schließen und ruhig
in Paris zu leben. 8ed non cuivis licet adire
Corinthum. Ich bin der Ihre, ausgezeichneter,
an Geist und Liebenswürdigkeit unvergleichlicher
Freund! ich bin wie Sie sehen stets der Ihre.
Cassel 11. Januar 1809. I. v. Müller."
Zwei Monate später — am 26.März 1809 -
sandte Müller an Beugnot einen Herrn Boege-
held aus dem Münsterlande, der ihm von dem
Göttinger Nationalökonomen Professor Sar-
torius ans Herz gelegt worden war, er be-
glückwünschte ihn zur Verleihung des Grafen-
titels - „ehrenvollen Belohnungen, mit denen
S. M der Kaiser Ihre Dienste gekrönt hat" -
und empfiehlt sich ihm aufs herzlichste. Der
Brief ist kurz und unbedeutend; um so wert-
voller ist das folgende Schreiben, das um-
fangreichste der Sammlung, eine Antwort auf
Beugnots Bitte, ihm einen passenden Titel
für den Kopf seiner Erlasse zusammenzustellen.
Er macht mehrere Vorschläge, spricht dann
über das Großherzogtum Berg, die Unter-
stützung, die er seinem brachliegenden Unter-
richtswesen aus westfälischem Überfluß zuteil
werden lassen will, und kommt endlich auf per-
sönliche und politische Verhältnisse zu sprechen,
hochinteressante Ausführungen, die den ehe-
maligen Mitbegründer des Tugendbundes, den
Verehrer Friedrichs des Großen, ganz in die
Bewunderung des napoleonischen Genies ver-
sunken zeigen und es einigermaßen verständlich
machen, weshalb der Bruder des großen Histo-
rikers bei der Veröffentlichung seiner Korre-
spondenz im Jahre 1814 die oben gestreifte
strenge Sichtung in politischer Beziehung für
nötig hielt. Ter Vorwurf der Opportunität
ist Müller deshalb kaum zu machen. Er war
in den kosmopolitischen Anschauungen des aus-
gehenden 18. Jahrhunderts aufgewachsen; ihm
kam es, wie er 1807 selbst bekannte, lediglich
darauf an, soviel Freiheit, Würde und Glück,
als nach den verschiedenen Umständen und
Formen für die Nation irgend erreichbar seien,
zu erzielen, Napoleon und seine begeisterten
Scharen schienen ihm das zu gewährleisten, so
gehörte er ihnen mit Herz und Hand. Wahr-
scheinlich hätte er sich 1813 ebenso freudig
Preußen zugewendet.
„Ich kann Ihnen nicht sagen, Herr Graf, wie
sehr mich der Anblick Ihrer Schriftzüge entzückt
hat. Die Erinnerung an Sie steht mir immer heilig
und unverletzlich vor Augen. Erst nachdem ich
Ihren Brief gelesen, habe'ich verstanden, daß Ew.
Exzellenz mir die Frage vorzutragen die Güte
hatten, um mein Gedächtnis^auf die Probe zu stellen
und mir die Genugtuung zu verschaffen, etwas aus
Ihrer Feder zu lesen. - Nicht weil die Frage
nicht ganz ohne Schwierigkeit ist — finde ich doch
kein einziges ganz analoges Beispiel — sondern
weil über ihre Lösung in der Tat nur der Wille
Napoleons zu entscheiden hat, kann man mehr als
einen Standpunkt vertreten, es ist nur richtig,
daß allein der Kaiser zu sagen hat was ihm paßt.
Ich habe Ihren Collegen^) zu Rate gezogen und
dieser hat verschiedene Formeln ersonnen, die alle
in Vorschlag gebracht werden können.
Napoleon, von Gottes Gnaden des Rhein-
bundes, Vormund und Administrator während der
Minderjährigkeit des Kronprinzen Napoleon Louis
von Holland, in seiner Eigenschaft als Souverän
des Großherzogtums Berg und Cleve;
Napoleon, Kaiser der Franzosen usw., Regent
des Großherzogtums B. und C. bis zur Groß-
jährigkeit des Prinzen Napoleon Louis, und Na-
poleon Louis, Kronprinz von Holland, mit der
Erlaubnis unseres Oheims, des allermächtigsten
und allererhabensten Kaisers der Franzosen usw.,
Großherzog von Berg und Cleve;
Napoleon Louis, Kronprinz von Holland, mit
Erlaubnis S. M Napoleons, Kaisers usw.,
des Rheinbundes, unseres Vormundes, Großherzog
von B. und Cl.
Die dritte Formel deckt sich am meisten mit
unsern und den schwedischen Bräuchen, aber der
Kaiser, wahrhaft unvergleichbar, kann wohl Vor-
bilder aufstellen, richtet sich aber nach keinen. Er
hat eine neue Weltordnung geschaffen, er hat jedem
Ding seinen Namen zu geben, so tat Adam im
Paradiese.
Tie zweite gefällt Hrn. Simeon am meisten.
Wenn Sie sie annehmen, würde ich „bis zur Groß-
jährigkeit" usw. ausschalten, das ist eine staats-
rechtliche Bestimmung, die im Titel nicht Platz
finden darf; „allerhöchster", „allermächtigster",
Prädikate, die an jeden Krautjunker^) verschwendet
worden sind, dürfen den Allererhabensten nicht ver-
unzieren. Ich weiß, der Kaiser will, daß Napoleon *)
*) ©tmeon.
,0) Müller schreibt „gentillätre“
Louis genannt wird. Tie Art und Weise hängt
ganz von S. M Belieben ab.
Ich war von der literarischen Armut Ihrer im
übrigen so betriebsamen Laude, deren Bevölkerung
ich für recht aufgedeckt hielt, ganz betroffen. Aller-
dings ließen die Jesuiten dort, wo sie keine Gefahr
liefen, die guten Leute gern schlafen, in Ländern,
die zu aufgeklärt tvareu, um sie wieder zu verfinstern,
haben sie sich bemüht, die gebildetsten zu werden.
Im übrigen beweisen die Bevölkerung und der alte
Wohlstand, daß die Verwaltung die Dinge ihren
Weg gehen zu lassen, keine Fesseln aufzulegen und
sich von jenem streng reglementären Geist fern zu
halten hat, der das Nationalgefühl einschnürt. Ich
hoffe, daß es Ihnen gestattet ist, die RegieruugS-
formen zu vereinfachen, sie zu nationalisieren, die
Gesetzgebung auf eine Anzahl von Prinzipien zu-
rückzuführen, die jeder erfassen und behalten kann.
Lassen Sie dann die Einnwhuer tun, was diese
ihren Interessen für dienlich halten, so sind Sie
des — immer noch sehr seltenen - Ruhn,es sicher,
das wahre, allen genehme Regieriiugsspstem ge-
funden zu haben. Anderwärts gibt es zuviel Ge-
setze und da Sankt Paulus versichert, daß mit der
Zahl der Gesetze auch die der Übertretungen wächst,
so überlasse ich Ihnen das Urteil, ob der Code
Wapoicon und die Prinzipien des Kaisers irgendwo
besser verstanden und ausgeführt fein werden, als
in Ihrem Großherzogtum.
Um auf die Wissenschaften zurückzukommen, so
hoffe ich, daß Sie die Uueigeuuützigkeit meiner
Freundschaft und mein Anerbieten anerkennen
werden, S. M. den König von Westfalen zu einer
großmütigen Abtretung von dreißig bis vierzig
Lehrern zu bewegen, deren wir uns bei einigem
guten Willen begeben können, wenn nur der
Finanzminister einwilligt. Ich kann Ihnen aller-
dings nicht ganz freie Wahl lassen. Doch werden
Sie auch die Billigkeit anerkennen müssen, die
mich während dieser schönen Verhandlungen leitet,
ich werde Ihnen keine Greise schicken, die schon mit
einem Fuß im Grabe stehen, sondern gereifte
Männer, von denen man weiß, was mau au ihnen
hat, gesetzte Männer, die nicht die Geister durch
allzuviele neue Gedanken in Verivirrung bringen
werden, Männer, die der schwarze Neid niemals
imstande sein wird, irgend einer Ketzerei anzu-
klagen, die aber, wenn sie nur zur rechten Zeit
ihr Gehalt beziehen, vadere mundum lassen wer-
den sicut vadit, und ginge sie zum Teufel.
Kennen Sie Herrn Villers' Rapport an die
dritte Klasse des Institut de France über alles
was Deutschland seit den letzten drei Jahren (und
welchen Jahren!) auf dem Gebiet der klassischen
Literatur und der Geschichte hervorgebracht hat?
Das muß man gelesen haben, sonst glaubte mau
es nicht. Ich habe mehrere Bücher darin notiert,
die mir in der Fülle entgangen sind. Ich habe
niemals eine im betrüblichsten Sinne erstaunlichere
Versammlung beieinander gesehen.
Was den erwähnten Minister betrifft, so habe
ick) schon längst seine vortrefflichen Seiten, seine
282
Sicherheit des Urteils, die Fülle seiner Kenntnisse,
seine Kunst, Gegensätze zu mildern, seinen sicheren
Charakter erkannt. Oft geriet ich außer mir, aber
nur solange ich ihm nicht geschrieben oder ihn
selbst gesprochen hatte; unsere Differenzen rührten
von Subalternen her, die ihn nicht gut bedienten.
Jetzt ziehe ich ihn in allen vorkommenden Fällen
am liebsten zu Rate, ich liebe ihn wahrhaftig.
Ich habe mich nun darein ergeben, das Sisy-
phusrad den Berg hinaufzuwälzen, die zwei Nacht-
stunden, in denen ich lese, trösten mich Mer alle
Tageslasten hinweg. Darüber vergesse ich nicht
die Bestimmung, für die ich geboren war, und hoffe
mit recht viel Ruhe und Humor noch die Zeit
zu erleben, wo ich ihr werde genügen können. Beim
Lesen mache ich stets zweckdienliche Notizen ver-
gangenen Dezember habe ich gezählt, daß meine
seit zwanzig Jahren angefertigten Auszüge —
von meinen noch älteren, ebenfalls zahlreichen Ex-
zerpten abgesehen — 10 298 mit meiner kleinen,
vielfach abkürzenden Schrift bedeckte Folioseiten
füllen. Ich wäre trostlos, hätte ich eine solche Ar-
beit umsonst getan, obschon sie ihren Lohn in sich
selber birgt. Wieviel Stunden habe ich damit der
Langeweile entrissen' Wie habe ich durch sie in
der Geschichte großer Männer und denkwürdiger
Staatsumwälzungen geschwelgt! Man lernt dabei
die Kunst, Schicksalslaunen gelassen zu betrachten
und sich zu konzentrieren, die Pflege des Geistes
und der Freundschaft sind nach der Gesund-
heit - die einzigen wahren Güter
In diesem Augenblick vernehme ich, daß der
Kaiser hier dnrchgefahren ist und zwischen Donau-
wörth und Nürnberg die ersten Vorpostengefechte
stattgefunden haben das Zeichen ist also gegeben.
Wie' verschieden unsere Zeit von der, wo Europa
von denen bedroht wurde, die heute, der Warnung
der Zeitgenossen ungeachtet, nur von der Kraft
der Verzweiflung getragen, in die Schranken zu
treten wagen! Wir leben nicht mehr um 1648,
wo Forstner prophezeite ?ostrerno ipsi quoque
Austriaci, postquam per prostratos calcatosque
populos ad summum potentiae processerint, suam
ipsi magnitudinem infirmissimum hostem expe-
rientur. Heute wird das Schicksal vielmehr das
Symbol Friedrich III. kommentieren, der für die
fünf Silben Austria Erit In Orbe Ultima n) ge-
wählt hatte und augenscheinlich damit sagen wollte,
daß sein Glanz und seine Macht erst beim Unter-
gang der Welt verschwinden würde. Es ist aber
auch möglich, daß es die Reihe der im Mittelalter
gebildeten alten Reiche beschließt, die heute einer
neuen Ordnung Platz machen müssen. Immer-
hin packt die gegemvärtige Weltlage mehr als da-
mals, wo Solimán seine Batterien gegen den erz-
herzoglichen Palast auffahren ließ, packt mehr als
die Not Böhmens und der aufständischen Pro-
“) Anmerkung Müllers: Man hat lange über die Aus-
legung geschwankt, denn er schrieb nur A. E. I. O. II.,
doch ist auf der Wiener Bibliothek ein Manuskript vor-
handen, wo er die Sentenz ausgeschrieben hat.
testanten, mehr als die Zeit Belle-Jsles und
Friedrichs. Woran werden sich die Völker von
nun an mehr erinnern, an den Ruhm, den uner-
schöpflichen Wohlstand der Gegenwart oder an die
Gemetzel von Prag, die Verletzungen verbriefter
Rechte und hassenswerte Verfolgungen? Wieviel
gibt es zu sehen und wie veranschaulichten unsere
Tage das, was Andere nur in Büchern gesehen
haben. Aber bei allen Theatervorstellungen wacht
über einem die Polizei so schweigt man sich aus.
In der Tat ist der Vorwurf des Dramas dazu an-
getan, ganz gefangen zu nehmen.
Empfangen Sie die Versicherung meiner un-
verändert freundschaftlichen Gefühle (alle anderen
miteinbegriffen) und den Ausdruck meines leb-
haften Verlangens, Sie wiederzusehen oder wenig-
stens etwas von Ihnen zu lesen. Ich bin auf
immer der Ihre.
Cassel, den 16. April 1809. I. v. Mülle r."
III.
Es waren die letzten Zeilen, die Beugnot
von des Freundes Hand empfing, am 29. Mai
1809 schloß der große Historiker die Augen. Der
Auditeur Rudolf Bosse, der Müller während
seiner letzten Zeit als Sekretär zur Seite ge-
standen"), nahm es auf sich, den Minister von
seinem Ableben in Kenntnis zu setzen. Beug-
nots Bild, der Gedanke an ihre Unterhaltungen
hatte ihn auch in seinen schwersten Stunden
nicht verlassen.
„Cassel, den 8. Juni (180)9.
Gnädigster Herr,
Ich unterziehe mich der traurigen Pflicht, Ew.
Exzellenz das letzte Lebewohl des berühmten Jo-
hannes von Müller zu übermitteln. Er hat mich
wenige Augenblicke vor seinem Tode damit beauf-
tragt. Mehr als einmal hat die Erinnerung an
die Unterhaltungen mit Ew. Exzellenz den Kummer
zerstreut, unter dem er in der letzten Zeit seines
Freundschaft und Arbeit gewidmeten Lebens litt.
Wenn er von Ew. Exzellenz sprach, erinnerte er
sich an soviel bewunderungs- und liebenswürdige
Züge, daß ich oft zu diesem Universalheilmittel
griff, um seinem von tausend Bitternissen nieder-
gedrückten Geist neuen Schwung zu verleihen.
Ich komme zur Erzählung seiner letzten Krank-
heit. Er interessierte sich denkbar lebhaft für das
Schicksal der Universitäten er tat alles mögliche
zu ihrer Erhaltung. Doch besitzt das Königreich
fünf oder gar sechs 13), von denen die kleinsten
'*) Rudolf oder Raoul Bosse veröffentlichte später im
8. Band der „Zeitgenossen" eine Biographie Müllers; er
wurde nach Meusel, der auch ein Verzeichnis seiner
Schriften gibt, erst 1812 zum westfälischen Ritter er-
hoben, seine Unterschrift „De Bosse" scheint also nicht
den Tatsachen zu entsprechen.
") Göttingen, Halle, Marburg, Rinteln und Helm-
stedt; als „sechste Universität" rechnet Bosse wohl die
von Otto I. gegründete Gelehrtenanstalt Kloster-Bergen bei
Magdeburg.
««Mb 283 ««Mb
ihre Mittel am ehesten zusammenhalten konnten,
während die Göttinger und Hallenser fast voll-
kommen verarmt sino. Eine Reform war unver-
meidlich und dringend. Sie war im Entstehen be-
riffen. Ingen8 locke dolor. Niemand half ihm
ei der Verteidigung ihrer Interessen, die ihm am
meisten am Herzen lagen. Ferner argwöhnte man,
daß die Studenten den Schillschen Zug begünstigten.
Die Vorwürfe gegen sie gaben seinem Herzen den
Todesstreich.
Am Sonntag, den 14. Mai kehrte er heim wie
Pompejus in sein Lager, als er die Flucht seiner
Cavalerie vor Cäsars Legionen erblickt hatte. Der
tiefste Schmerz bemächtigte sich seiner Seele. Er
war dazu entschlossen, semen Posten zu verlassen
die Freundschaft und der Trost des Herrn Mi-
nisters Sim6on hinderten ihn daran. Aber seine
Stunde war gekommen. Aus Preußen traf ein
anonymer Brief ein (ckorrniene Cassie), in welchem
ihm sein Austritt aus preußischen Diensten zum
Borwurf gemacht und hinzugefügt wurde: es gibt
keine Geschichte mehr, weder im Allgemeinen, noch
für Herrn von Müller.
Der Todesstreich hatte ihn getroffen. — Seine
Krankheit begann am 19. mit einer Gesichtsrose,
unter der er sehr häufig litt. Seine Freunde
maßen ihr keine große Bedeutung bei, doch gab er
schon am nächsten Tage die eingenommenen Speisen
wieder von sich und das Fieber nahm zu zwei
Tage später ging das Erbrechen in ein beständiges
Röcheln über, das ihm ein Einschlummern nicht
mehr gestattete. Seine Krankheit wuchs von Tag
zu Tag und mit ihr die allgemeine Teilnahme.
Die Herren Simöon und Reinhard bezeugten ihm
die Aufmerksamkeit und Liebe inniger Freunde.
Am Sonntag traf der berühmte Arzt Richter aus
Göttingen ein, ließ aber keine Hoffnung mehr. Er
starb am Montag um 43/4 morgens, seit Sonn-
abend hatte er bewußtlos gelegen. Seine Krank-
heit war schmerzlos, sein Scheiden sanft. Beim
Eintritt des Todes nahmen seine Züge von neuem
den ihnen charakteristischen Ausdruck der Güte an.
Er war auf das Ende gefaßt und trug mir schon
in den ersten Tagen seiner Bettlägerigkeit auf,
Ew. Exzellenz, der er die innigste Freundschaft
entgegenbrachte, sein Lebewohl zu übermitteln.
Wie er sich über Ew. Exzellenz letzten Brief freute!
Mit welcher Freude er sich darüber mit den Herren
Simöon und Reinhard unterhielt und mit welchem
Interesse er jede sich bietende Gelegenheit wahr-
nahm, derselben von neuem seine Ergebenheit zu
bezeugen!
Das Verdienst, auf Grund dessen ich es wage, Ew.
Exzellenz mit diesem Brief zu behelligen, ist die
Freundschaft, mit der mich der berühmte Tote be-
ehrte, indem er mich als Generalsekretär an seine
Person knüpfte. Anders hätte ich ihn nicht ver-
lassen. Doch der für meine Vermählung bestimmte
Tag fiel ach! mit dem Tage seiner Beerdigung zu-
sammen. Von nun ab werde ich die Studien fort-
setzen, in denen ich am meisten Erfolg hatte; denn
ich bin von der Universität Göttingen für eine Ab-
handlung über die Reditus publie! imperii Ro-
mani usque ad témpora Augusti preisgekrönt
worden und habe über die Finanzen der Römer
und Franzosen, mit einer statistischen Skizze des
Königreichs Westfalen, geschrieben. Vielleicht ge-
ruhen Ew. Exzellenz aus diesem Grunde den Aus-
druck meiner Bewunderung entgegenzunehmen, mit
dem ich mich deren wohlgeneigter Protektion empfehle.
Ich verbleibe mit tiefer Ehrfurcht, gnädigster
Herr, Ew. Exzellenz untertänigster, gehorsamster
und ergebenster Diener
R. von Bosse,
Auditeur im Staatsrat."
Wenige Tage später wurde der Entschlafene
zur letzten Ruhe geleitet, an seiner offenen
Gruft hielt Simeon in französischer Sprache,
aber in deutschem Geist eine warmherzige
Trauerrede. Den Verstorbenen, den die ewigen
„etonnsments", die unverhohlenen Zweifel des
Ministers des Innern an seinem Einfluß in
Deutschland zum Äußersten gebracht, hätte
dieser posthume Weihrauch gewiß für Augen-
blicke über sein Leid hinweggetröstet. Freilich:
was an ihm gesündigt worden, konnte damit
nicht mehr gut gemacht werden. Im Gegen-
teil, jetzt erschien er erst recht als Söldling der
verhaßten Fremdherrschaft, als Handlanger des
napoleonischen Systems. Wie warm sein un-
deutsch, aber stets groß und vornehm empfin-
dendes Herz für die Aufrechterhaltung akade-
mischer Freiheit unter dem Szepter Jeromes
eingetreten, mit welch' schmerzlichen Opfern er
die eitele Schwäche eines Augenblicks bezahlt
— das hat der Völkerfrühling von 1813
schonungslos in den Hintergrund gedrängt.
Mag die Veröffentlichung seiner Briefe an den
Grafen Beugnot zur unparteiischeren und sym-
pathischeren Würdigung seiner westfälischen
Zeit beitragen.
---------------------
Ein Besuch bei Louis Spohr.
Bon Alsred Bock.
Mein Vater hatte bei Schnyder von Wartensee
in Frankfurt Generalbaß und Komposition studiert.
Ohne berufsmäßiger Musiker zu sein, nahm er als
ein vortrefflicher Pianist im musikalischen Leben seiner
Vaterstadt Gießen eine hervorragende Stellung ein.
Zeitlebens unterhielt er mit vielen musikalischen
vmtL, 284 vm*b
Größen freundliche, ja freundschaftliche Beziehungen.
Die Musik war ihm das Ideal selbst, die Seele
aller Künste. Im September 1854 wurde er durch
den Musiker
Knoop in Kassel
bei Spohr ein-
geführt. Über
seinen Besuch
bei dem Meister
schrieb er mei-
ner Mutter, sei-
ner damaligen
Braut: „Mein
Freund Knoop
bewillkommne-
te mich in Kassel
mit kollegiali-
scher Herzlich-
keit und sagte
mir, um halb
elf Uhr sei
Trioprobe bei
Spohr. Ich bat
ihn, mich zu
diesem Stern
erster
Prisr
Louis Spohrs Wohnhaus in Kassel.
mitzunehmen, was auch nach eingeholter Erlaubnis
bei Spohr geschah. Als ich den Garten betrat,
worin des Meisters idyllisch gelegenes Haus erbaut
ist, wurde ich
von Gefühlen
der Ehrfurcht
bewegt, es über-
kam mich eine
heilige, religi-
öse Stimmung,
die nur der be-
greifen kann,
der die Kraft
und Gewalt des
Genius zu wür-
digen versteht.
Spohr ist ein
Mann von ko-
lossaler Statur
mit markierten,
wohltuenden
Zügen, er trögt
eine lichtbraune
Perücke. Er kam
mir ernst und
würdig ent-
gegen und wies mir einen Platz an. Frau Spohr
ist eine Matrone von ungefähr sechzig Jahren,
ohne in ihrem Äußeren etwas Hervorstechendes zu
Der Musiksaal im'Haufe Louis Spohrs.
haben.*) Spohr, seine Frau und Knoop trugen ein
Trio vor, das mich in Enthusiasmus versetzte. Am
meisten Eindruck aus mich machte Spohrs Molin-
spiel. Dieser
erhabene Greis
erschien mir als
ein Verklärter.
Seine Physio-
gnomie korre-
spondiert stets
mit dem Cha-
rakter der je-
weiligen Musik,
düstere Wolken
umziehen die
Stirn, sie wer-
den immer hel-
ler, ein heiteres
glückliches
Lächeln spielt
um seine Lip-
pen — kurz,
es ist ein Hoch-
genuß, den Alt-
meister geigen
zuhören. Spä-
ter kam eine junge Dame, Fräulein Weinrich, die
auch trefflich Klavier spielt. Nach der Matinee
nahm uns Spohr mit hinunter, führte uns in sein
Kompofitions-
zimmer und
dann in den
Garten. Ich
konversierte mit
ihm eine Stun-
de. Als Kurio-
sum muß ich
Dir berichten,
daß mir Spohr
auch seine Bade-
anstalt zeigte,
die von sehr
praktischer,
zweckmäßiger
Einrichtung ist.
Der liebe Mann
lud mich aus den
andern Abend
ein, ich konnte
jedoch wegen
meiner Abreise
nichts anneh-
men." — So weit mein Vater.
*1 Spohrs zweite Frau Marianne, eine Tochter des
OberappellationsgerichtSratS Pfeiffer in Kassel.
s-AL. 285 SE-
Wenige Jahre später (1857) wurde Spohr Jefsonda in Prag. 1859 erlöste ihn der Tod
seiner Stellung als Hoskapellmeister in Kassel ent- von quälendem Leiden,
hoben. 1858 dirigierte er noch einmal seine Oper
Kassel und die militärische Krankenfürsorge in weslsälischer Zeit.
Vortrag, gehalten am 17 März 1913 im Zweigverein Kassel des j Vereins
für hessische Geschichte und Landeskunde von Landesbibliothekar Dr. W. Hopf.
Die Errichtung des Königreichs Westfalen
brachte den in ihm vereinigten Gebieten neben
der drückenden Erhöhung und Erlveiterung
aller Abgaben eine gewaltige Steigerung vor
allem auch der militärischen Lasten. Napoleon,
der die von ihm abhängigen Staaten nur
als Geld- und Menschenquelle für seine kriege
rischen Unternehmungen ausnutzte, nahm auch
bei dieser seiner Gründung nicht die geringste
Rücksicht auf die vorhandene Leistungsfähig-
keit, sondern schraubte seine Anforderungen
an die Steuer- und die militärische Kraft
des Landes unerbittlich höher und höher Ihn
kümmerte es nicht, daß die kriegerischen Ver-
lvicklungen der vorausgegangenen Jahre dem
Lande schon bedeutende Opfer auferlegt hatten
— zur Durchführung seiner Pläne brauchte er
den letzten Mann auch aus diesen Gebieten,
und er ließ sich nur von seinen eignen Berech-
nungen leiten, als er die westfälische Heeres-
macht aus 25 000 Mann festsetzte, eine Zahl,
die beim Beginn des russischen Feldzuges be-
reits auf 30000 erhöht war Und es war
nur eine scheinbare Hülfe, wenn Napoleon
zunächst die Hälfte jener 25000 Mann über-
nahm und nach Magdeburg - natürlich auf
Kosten Westfalens - eine französische Be-
satzung von 12 500 Mann legte; denn diese
blieben auch dann im Lande und ihre Zahl
wurde sogar noch vermehrt, als die im Grund-
gesetz festgelegte Truppenzahl längst erreicht
war.
Die vorhandenen Kasernen reichten für die
Aufnahme solcher Massen nicht aus, und so mußte
man auf das alte Aushilfsmittel der Bürger-
quartiere zurückgreifen, eine Maßregel, die sich
um so empfindlicher bemerklich machte, als die un-
ausgesetzten Durchmärsche sie in immer wachsen-
dem Umfang in Anspruch nahmen. Und nicht
genug damit, daß ein erheblicher Teil der im
Lande befindlichen Truppen die Einwohner
in ihren ohnehin vielfach beschränkten Be-
hausungen noch mehr beengte - die am
15. Oktober 1810 erfolgte Neuregelung des
gesamten militärischen Verwaltungswesens
wies den Gemeinden, in denen die Einquar-
tierung den Bürgern zur Last fiel, auch noch
einen Teil der Fürsorge für die kranken Sol-
daten dadurch zu, daß ihnen die Einrichtung
und Unterhaltung der Regiments - Kranken-
stuben aufgebürdet wurde.
Damit war für Kassel, wo mau gerade vor
100 Jahren mit der Inanspruchnahme von
Bükgerquartieren gebrochen hatte, eine neue
und - wie sich mit der Zeit herausstellte
recht empfindliche Belastung geschaffen. Die
Grenze der Stadt erstreckte sich damals vom
Königs- über das Napoleons- (Wilhelms-)
höher Tor zur Schönen Aussicht, folgte hier
der heute noch bestehenden Linie bis zum Un-
terneustädter Kirchplatz, verlief weiter zum
Weser- und Holländischen Tor und setzte sich
schließlich zusammen aus der Königs-, Hohe
Tor-, Post- und Schusterstraße - die letztere
gleich der heutigen Wolfschlucht Auf diesem
Gebiet standen rund 1500 Häuser, in denen
ungefähr 23 000 Einwohner angesiedelt waren;
die hier unterzubringende Einquartierung
sollte 3000 Mann nicht übersteigen, war aber
häufig nicht unbeträchtlich höher und muß
im Durchschnitt auf mindestens 2500 Mann
veranschlagt werden. Es leuchtet ohne wei-
teres ein, daß eine solche Einquartierung,
die jahrelang mehr als 10 v. H. der gesam-
ten Bevölkerung betrug, auf dieser schwer
lasten mußte, und daß dadurch vor allem
auch der vorhandene Platz bis auf das letzte
Eckchen in Anspruch genommen wurde. Um
so größer waren von Anfang an die Schwierig-
keiten, der neuen Auflage zu genügen und
für die Krankenstuben der in Bürgerquar-
tieren liegenden Truppenteile geeignete Räume
zu beschaffen.
Für die Krankenpflege stand damals nur
das Hospital der Charite vor dem Leipziger
Tor zur Verfügung, das heutige, inzwischen
an anderer Stelle neu aufgeführte Landkran-
kenhaus, das bestimmt war, „dürftige Per-
sonen vom Zivilstande, die an schweren Krank-
heiten, sobald sie nur nicht chronisch oder un-
heilbar waren, oder an harten Verwundungen
und gefährlichen Gliederverletzungen litten",
286
unentgeltlich aufzunehmen und zu behandeln.
Im Jahre 1808 wurde das Militärlazarett
damit verbunden, in dem die Militärkranken
auf Kosten der Kriegskasse verpflegt wurden.
Für den täglichen Krankendienst waren
die Regiments-Krankenstuben bestimmt, außer
den bei der Truppe stets vorkommenden ge-
ringfügigeren Erkrankungen und Verletzungen
hatten sie vor allem die Behandlung der ein-
fachen Krätze und der leichteren venerischen
Erkrankungen zu übernehmen. Die Zahl dieser
Kranken war nach den vorliegenden Berichten
verhältnismäßig recht hoch; immer und immer
wieder weisen die behandelnden Ärzte auf die
steigende Zahl dieser Kranken hin und be-
gründen damit das Verlangen, daß ihnen für
deren Behandlung größere Räumlichkeiten be-
reitgestellt werden müßten. Der Stadt er-
wuchsen daraus besondere Schwierigkeiten, da
die Möglichkeit, diesen — meist mit großem
Nachdruck vorgebrachten — Forderungen zu
entsprechen, immer geringer wurde. Denn be-
greiflicher Weise weigerten sich die Bürger -
und eine fürsorgende Verwaltung konnte es
ihnen auch gar nicht ernstlich zumuten —,
ihre Wohnungen und Häuser für diese Kran-
kenstuben herzugeben, in denen fast ausschließ-
lich Krankheiten behandelt wurden, mit denen
eine erhebliche Übertragungsgefahr verbunden
ist. Es ist eine selbst für die damalige Zeit
nicht häufige und unerhörte Rücksichtslosig-
keit, daß die Militärverwaltung sich nicht
scheute, die Bürger der Möglichkeit solcher
Ansteckung auszusetzen. Ein wenn auch nur
geringes Wohlwollen, das den Bewohnern des
eignen Landes gegenüber selbstverständlich sein
mußte, hätte zweifellos einen geeigneten und
gangbaren Ausweg finden lassen.
Überhaupt scheinen die westfälischen Militär-
behörden bei all ihren Maßnahmen immer
von der Voraussetzung ausgegangen zu sein,
daß sie sich in Feindesland befänden; und
wie sie mit schlecht verhehltem Eifer jede Ver-
fügung durchzuführen sich bemühten, die der
Bürgerschaft neue Belastung brachte, so for-
derten sie mit sichtlichem Behagen die schleu-
nige Ausführung dieser Bestimmung und ver-
langten, daß schon zum 1 Januar 1811 ge-
eignete Räume zur Verfügung gestellt würden
für die Krankenstuben der Truppenteile, die
z. Zt. in Bürgerquartieren untergebracht
waren, nämlich des 3. Linien-Jnfanterie-Re-
giments und des Elite-Korps der Jäger-Kara-
biniers. Nach Lage der Dinge konnte es nur
einen kleinen Aufschub bedeuten, wenn der
Maire von Canstein sich zunächst darauf be-
rief, daß ihm diese Bestimmung wie über-
haupt die „Verordnungsmäßige Instruktion
über alle Verwaltungszweige des Materiellen
im Kriegswesen des Königreichs Westfalen"
amtlich noch nicht bekannt geworden sei und
er also auch keine Veranlassung habe, solchem
Ansuchen zu entsprechen. Denn die vermißte
amtliche Benachrichtigung wurde auf Veran-
lassung des Kriegsministers Graf Hoene durch
den Präfekten von Reimann unverzüglich nach-
geholt. Wie gern der Kriegsminister jede Ge-
legenheit benutzte, die Stadt seine Überlegen-
heit empfinden zu lassen, zeigte sich auch hier,
als er sich — eigentlich ohne jeden Anlaß -
zu der Drohung verstieg, die mit diesen üblen
ansteckenden Krankheiten behafteten Soldaten
ebenso wie ihre gesunden Kameraden in Bür-
gerquatiere legen zu wollen. Es war nur ein
leerer Vorwand, wenn er sich dabei auf eine
Weigerung von Cansteins, dieser Bestimmung
zu entsprechen, berief. Denn daß der Maire
nur Zeit gewinnen wollte, konnte auch dem
Kriegsminister nicht verborgen bleiben. Außer-
dem war es doch auch nicht das erste Mal,
daß er mit dem Maire von Canstein zu ver-
handeln hatte; er konnte daher wohl wissen
und wußte natürlich auch, daß dieser gar nicht
der Mann war, Verfügungen der Regierung
— mochten sie auch noch so drückend und noch
so ungegründet sein — ernsten Widerspruch
entgegenzusetzen. Zudem hätte doch auch der
Ausweg nahe gelegen, die Krankenstuben der
in Bürgerquartieren liegenden Truppenteile
mit den in der Hohen-Tor-Kaserne befind-
lichen zu vereinen; dafür hätte man eine ent-
sprechende Anzahl der dort untergebrachten
Soldaten in Bürgerquartiere verlegen können.
Und als der Maire diesen Vorschlag — auf
den die Militärverwaltung selbst hätte ver-
fallen sollen — zur Erwägung stellte, da wirkte
es nur als mangelhafte Verschleierung des
nicht vorhandenen Wohlwollens, wenn der
Kriegsminister die Entscheidung dem Gouver-
neur Divisions-General von Heldring zuschob,
der den Antrag denn auch glatt ablehnte. Es
ist ja nicht zu verkennen, daß die Durchführung
dieses Planes für die Militärverwaltung in-
sofern Schwierigkeiten gebracht hätte, als
dann kleinere Abteilungen von Truppen, deren
größere Masse in der Kaserne lag, in Bürger-
quartieren von den übrigen getrennt gewesen
wären, diese Schwierigkeit wäre aber bei gutem
Willen wohl zu überwinden gewesen.
Diese hinhaltende Behandlung der Ange-
NS2L- 287 N«L>
legenheit brachte dem Maire einen Zeitgewinn
von ungefähr 3 Wochen; trotzdem sah er sich,
als er nun nicht mehr länger ausweichen
konnte, vor der Unmöglichkeit der Forderung
zu entsprechen. Denn da Bürgerquartiere nicht
in Frage kommen konnten, war in der Stadt
tatsächlich kein Raum frei, der dazu hätte
bestimmt werden können. Den einzigen mög-
lichen Ausweg bot das in der Schäfergasse
gelegene alte Militärhospital, das aber auch
schon von der Militärverwaltung zur Unter-
bringung von Veteranen in Anspruch genom-
men war. Wie sehr es auch hier an Platz
fehlte, zeigt der Umstand, daß der einzige im
Hintergebäude etwa frei zu machende Raum
nur 5 Betten zu fassen vermochte, also für
den gedachten Zweck viel zu klein war, dabei
diente dieser Raum im Augenblick 5 Veteranen
mit ihren Frauen und 13 Kindern zum Auf-
enthalt! Die Regimentskrankenstuben mußten
aber bedeutend größer sein, da auf die 2240
Mann eines Regiments nie unter 30, meist
50 bis 60 hier zu behandelnde Kranke ent-
fielen.
Nachdem auch der Vorschlag, eins der Ar-
menhäuser für diesen Zweck frei zu machen,
als undurchführbar hatte aufgegeben werden
müssen, blieb keine andere Wahl, als doch
noch in der Schäfergasse für die nötigen Räume
zu sorgen und hier die Krankenstuben für das
2. Linien-Jnfanterie-Regiment und die Jäger-
Karabiniers unterzubringen. Offenbar beruhte
aber diese Regelung nur auf mündlicher Ver-
einbarung mit den betreffenden Truppen-
Befehlshabern, die wohl wußten, in welcher
Notlage sich die Stadt befand, und eher geneigt
waren dem Rechnung zu tragen, als die Mili-
tärverwaltungsbehörden, die zunächst gar keine
Kenntnis von dieser Abmachung erhielten. Die
Krankenstuben waren denn auch schon 4 Wochen
im Betrieb, als der Kriegskommissar Benard
am 23. Februar geeignete Räume für das
2. Linien-Regiment anforderte und dabei daran
erinnerte, daß solche auch noch für die Jäger-
Karabiniers bereitzustellen seien. Ganz un-
befangen antwortete der Maire noch an dem-
selben Tag, daß diese längst in der Schäfer-
gasse eingerichtet und in Gebrauch genommen
seien. Er mag wohl betroffen gewesen sein,
als er umgehend von Benard wie auch vom
Platzkommandanten Oberst von Schlotheim
unter Berufung auf den Befehl des Kriegs-
ministers die Weisung erhielt, das Gebäude in
der Schäfergasse sofort zu räumen, da es aus-
schließlich für die Aufnahme von Veteranen
und für die Krankenstuben der in den Kasernen
liegenden Truppenteile bestimmt sei.
So sah sich der Maire abermals vor der
schweren Aufgabe, dem Verlangen der an-
spruchsvollen Militärverwaltung Genüge zu
tun, die Verhandlungen wurden dadurch nicht
erquicklicher, daß sich die Verwaltung auch
durch die überzeugendste Darlegung der kaum
zu überwindenden Schwierigkeiten nicht von
ihrer Forderung abbringen ließ. Die ver-
schiedensten Möglichkeiten wurden erwogen und
mußten nur zu rasch wieder aufgegeben werden.
So dachte man daran, den neben der Charite
vor dem Leipziger Tor liegenden sogenannten
Russischen Krankenverschlag hierfür einrichten
zu lasse«. (Es ist mir übrigens nicht gelungen
festzustellen, woraus sich diese auffallende Be-
zeichnung erklärt; vielleicht darf man daran
denken, daß diese Baracken — um solche han-
delt es sich wohl — für eine besondere Art der
Krankenbehandlung errichtet wurden.) Bei der
herrschenden Stimmung war es freilich nicht
sehr geschickt, wenn der Maire die Ausführung
dieses Plans durch den Hinweis darauf zu för-
dern suchte, daß dann aus dem Vorrat des
Militärhospitals, das ja in der Charite unter-
gebracht war, mit den nötigen Betten und
sonstigen Einrichtungsgegenständen ausgehol-
fen werden könnte. Die Lieferung dieser Dinge
war nach den bestehenden Bestimmungen
Sache der Stadt, und es genügte denn schon
die Andeutung der Möglichkeit, daß sie einen
Vorteil davon haben könnte, den Plan zu
Fall zu bringen. Auch ein anderer Vorschlag,
das Tuchhaus am Gouvernements-, dem heuti-
gen Martins-Platz hierfür zu benutzen, konnte
nicht zur Ausführung kommen.
Da war es einer Staatsbehörde und zwar
der Präfektur vorbehalten, einen Ausweg zu
finden, der jede Rücksicht auf das Allgemein-
wohl vermissen ließ. Denn wenn sie kurzer-
hand das vor dem Frankfurter Tor gelegene
Zwangsarbeitshaus für die Regiments-Kran-
kenstuben bestimmte, so entzog sie damit diese
Anstalt ihrer eigentlichen Aufgabe, die Bett-
ler zur Arbeit und besseren Lebensführung
anzuhalten, und verursachte dadurch ein Über-
handnehmen der Bettelei in der Stadt. Der
Maire vermochte dem aber keinen besseren
Vorschlag entgegenzusetzen, mußte sich daher
fügen und die Einrichtung möglichst beschleu-
nigen, damit die neuen Räume am 1 März
1811 belegt werden konnten.
Die Hoffnung, daß damit eine endgültige
Regelung dieser leidigen Frage erreicht sei.
§ssáí6 288
erwies sich aber schon bald als trügerisch.
Am 10. Juli beschloß die Wohltätigkeits-Kom-
mission, das ihrer Verwaltung unterstehende
Zwangsarbeitshaus seiner ursprünglichen Be-
stimmung wieder zuzuführen. Der Grund da-
für liegt nahe es war offenbar die einzige
Möglichkeit, der Bettelei erfolgreich zu steuern.
Trotzdem muß dieser Beschluß auffallen, da
die Stadt durch ihn in neue Ungelegenheiten
gestürzt wurde und der Maire Vorsitzender
dieser Kommission war Er beeilte sich denn
auch gar nicht, für andere Räume zu sorgen,
erreichte damit freilich nur, daß der Präfekt
am 1 August, ohne sich mit ihm überhaupt
zu benehmen, verfügte, daß die - z. Zt.
nur in Frage kommende - Krankenstube des
2. Linien-Jnfanterie-Regiments nach Ober-
kaufungen verlegt werde und die Stadt alle
daraus entstehenden Unkosten zu tragen habe.
Der Maire war auch damit zufrieden und
erhob keinerlei Widerspruch gegen diese Maß-
regel, er war offenbar froh, daß diese Schwie-
rigkeit wieder einmal behoben war Wie wenig
freilich den Bedürfnissen der kranken Soldaten
Rechnung getragen war, mag man sich vor-
stellen, wenn man hört, daß dort ein altes
Klostergebäude in Benutzung genommen wurde,
dessen Fenster z. T von Anfang an schadhaft
waren, z. T zerbrachen, als das Gebäude
bezogen wurde, so daß die nächtliche Kälte
überall ungehindert eindringen konnte. Auch
war die Lagerstätte der Kranken — entgegen
den Bestimmungen der „Instruktion" - un-
mittelbar auf dem Boden bereitet, die Lieferung
der vorgeschriebenen Bettstellen war bei der
größeren Entfernung offenbar unterblieben.
Merkwürdigerweise wurden diese Mißstände
von der Militärverwaltung ohne Widerspruch
ertragen, es mag das seine Erklärung darin
finden, daß sie nur den unmittelbar beteiligten
Befehlshabern bekannt waren, und daß diese
sich auch diesmal mit den gegebenen Verhält-
nissen abfanden. Wären sie zur Kenntnis der
oberen Behörden gelangt — die freilich auch
die Verpflichtung gehabt hätten, sich von den
dortigen Zuständen zu überzeugen —, so hätten
sich diese die Gelegenheit gewiß nicht entgehen
lassen, mit pflichtmäßigem Handeln der Stadt,
deren Maire nie ernstliche Schwierigkeiten
machte, neue Ungelegenheiten zu bereiten. Wie
sehr diese Neigung herrschte, zeigte sich deut-
lich, als der Kriegsminister Graf Hoene und
der General-Administrator des Ordens von
der Westfälischen Krone Freiherr von Münch-
hausen erfuhren, daß diese Krankenstube in
einem dem Orden gehörenden früheren Stifts-
Gebäude untergebracht war. Einem so un-
erhörten Zustand mußte natürlich schleunigst
ein Ende gemacht werden, unbekümmert darum,
daß dieses verwahrloste Gebäude weder vorher
noch jetzt irgend einer anderen Bestimmung
gedient hatte oder zugeführt werden konnte.
Die sofortige Räumung wurde befohlen und
dem Maire am 23. November 1811 aufge-
geben. Er blieb auch jetzt sich selbst treu, fügte
sich ohne allen Widerspruch und machte sich
brav und bieder wiederum auf die Suche nach
einem in der Stadt gelegenen Raum. Nach
seinem eigenen Eingeständnis hätte er es sogar
gern gesehen, wenn man ihm von höherer
Stelle aus ein geeignetes Gebäude unmittel-
bar bezeichnet hätte, das daraufhin seinem
Besitzer abgenommen werden könnte. Diesen
Gefallen tat man ihm nun freilich nicht, man
ließ ihm aber auch nicht Zeit, die schon vor
einem halben Jahr ausführlich erörterten
Möglichkeiten und Gründe auch jetzt wieder
in längerem Schriftwechsel zu erwägen, son-
dern genehmigte sofort die abermalige Bele-
gung des Zwangsarbeitshauses, unbekümmert
darum, daß es damit wiederum seiner Be-
stimmung entzogen wurde, ohne daß für ander-
weitigen Ersatz gesorgt worden wäre. Schon
am 5. September 1811 wurden die kaum ver-
lassenen Räume wieder mit den Kranken des
2. Linien-Jnfanterie-Regiments belegt, und
damit hatte eine Irrfahrt ihr vorläufiges
Ende gefunden, die rein heiter stimmen könnte,
wenn man sich nicht vergegenwärtigen müßte,
welche unausgesetzten Quälereien diese Zu-
stände für die kranken Soldaten mit sich bringen
mußten. Außerdem gibt sie wenn auch in
kleinem Ausschnitt ein deutliches Bild davon,
wie schwer und mannigfach die Lasten waren,
die Kassel in diesen Jahren zu tragen hatte,
und die nach Möglichkeit zu lindern die Staats-
behörden sich nie geneigt zeigten.
Die Bestimmung der „Instruktion", daß die
Gemeinden die Räumlichkeiten für die Regi-
ments-Krankenstuben bereitzustellen hatten, be-
deutete somit angesichts der bestehenden Ver-
hältnisse schon an und für sich eine drückende
Belastung; sie wurde aber noch erheblich
schwerer durch die Geldaufwendungen, die un-
mittelbar damit verbunden waren.
Denn die „Instruktion" verlangte von den
Gemeinden nicht nur die unentgeltliche Über-
lassung der nötigen Räume, sondern belastete
sie auch mit der Lieferung der „zum Lagern
s«SL» 289
nötigen Effekten, Badewannen, sowie auch der
zur Zubereitung der Speisen und Getränke,
und zum sonstigen besonderen Gebrauch der
Kranken erforderlichen Geräte" Es ist klar,
daß darin alles und jedes einbezogen werden
konnte und sollte, was nur irgend zur Aus-
stattung solcher Räume zu rechnen war Da
die Stadt diese Dinge unmöglich selbst be-
schaffen konnte, mußte sie sich zur Erfüllung
dieser Verpflichtung der Magazine von Unter-
nehmern bedienen, daß diese mehr auf ihren
Verdienst als auf unbedingt ausreichende Lei-
stungen bedacht waren, kann nicht Wunder
nehmen. Den daraus entspringenden Klagen
gab der Oberwundarzt-Gehülfe Haase vom
2. Linien-Jnfanterie-Regiment etwas drasti-
schen Ausdruck, als er die gelieferten Bett-
laken beanstandete, „die wahrscheinlicherweise
aus den Hemden gemacht wurden, die die
Kinder Israel während ihrer vierzigjährigen
Wanderschaft in der Wüste nicht vom Leibe
zogen"
Zunächst erhob sich die schwere Frage, aus
welcher Kasse überhaupt die hier entstehenden
Kosten bezahlt werden sollten — eine Frage,
über die der Maire natürlich nicht selbst zu
befinden wagte, die zu entscheiden er vielmehr
der Präfektur als Aufsichtsbehörde gehorsamst
überließ. Und es war mehr einfach als zweck-
mäßig, wenn der Präfekt schnell entschlossen
auf die Gelder verwies, die aus den Beiträgen
zusammenkamen, die für Befreiung von der
Natural-Einquartierung geleistet werden muß-
ten und für die Verpflegung der Truppen be-
stimmt waren, die etwa verbleibenden Rest-
beträge, mit denen bei der starken Inanspruch-
nahme dieser Kasse von vornherein gerechnet
werden mußte, sollten auf die Kämmerei-Kasse
übernommen werden.
Besonders ärgerlich waren natürlich die
Kosten, die durch die wiederholte Verlegung
und Einrichtung der Krankenstuben entstanden
und die sich vom 1 Januar bis 1 August 1811
auf rund 160 Rtlr. beliefen, ungefähr der-
selbe Betrag muß für die gleiche Frist für das
gelieferte Holz angesetzt werden — denn auch
die Heizung „jedes zum Dienste der Kranken-
stuben bestimmten Ofens", der „Backöfen in
den Küchen und zu den Bädern" mußte von
der Gemeinde geleistet werden.
Diese Holzlieferungen waren überhaupt die
Quelle unendlicher Verdrießlichkeiten und Aus-
einandersetzungen. Die „Instruktion" legte
wohl die für jeden Ofen der Regiments-Kran-
kenstuben täglich zu liefernde Menge genau
fest, enthielt aber keine Bestimmung darüber,
wie lang — außer in den Küchen und Bade-
stuben — geheizt werden müsse. Und hier-
über gingen denn auch die Meinungen erheb-
lich auseinander. Der Maire suchte natürlich
die angeforderten Lieferungen möglichst zu
beschränken und berief sich immer wieder da-
rauf, daß man doch im Sommer die Zimmer-
öfen nicht zu heizen brauche, zumal es im
August, September und auch noch im Oktober
1811 so heiß gewesen sei, daß niemand an
Stubenheizen gedacht habe. Demgegenüber
wurde von militärischer und ärztlicher Seite
geltend gemacht, daß vor allem die Behand-
lung der Krätzigen im Warmen vorgenommen
werden müsse; deshalb habe man auch schon
im August und September morgens und abends
heizen müssen. Daß die Witterungsverhält-
nisse doch nicht ganz so günstig gewesen sein
können, wie von Canstein behauptete, ergibt
sich aus der Tatsache, daß das 2. Linien-
Jnfanterie-Regiment durch Vermittlung der
Präfektur in der zweiten Hälfte August „wegen
eingetretener nächtlicher Kälte" für die in
Oberkaufungen untergebrachten 57 Kranken
wollene Decken verlangte. Da der Maire diesem
Ansuchen ohne weiteres entsprach — wenn er
auch nur 27 Decken liefern konnte —, darf
man wohl annehmen, daß er die Begründung
nicht zu bestreiten vermochte.
Besonders lebhaft wurden diese Ausein-
andersetzungen, als der Kantons-Maire von
Oberkaufungen den Betrag, den seine Ge-
meinde für Heizung usw. verauslagt hatte,
auf rund 300 Rtlr. berechnete; hier war also
in vier Monaten fast das Doppelte von dem ver-
braucht worden, was in der Stadt in sieben
Monaten und wesentlich ungünstigerer Jahres-
zeit hatte aufgewendet werden müssen. Es
war also wohl berechtigt, daß der Maire dies-
mal nachdrückliche Vorstellungen erhob; er be-
einträchtigte aber die mögliche Wirkung seines
Vorgehens von vornherein durch die Unge-
schicktheit, mit der er eigensinnig darauf be-
stand, das angeblich zuviel gelieferte Holz
dem Regiment bei den weiteren Lieferungen
in Abzug zu bringen. Denn es mußte doch
ohne weiteres einleuchten, daß es nicht an-
gängig sein konnte, gerade beim Eintritt der
kälteren Jahreszeit zum Ausgleich möglicher
Weise vorgefallener Überschreitungen an den
vorgeschriebenen Holzlieferungen zu kürzen,
d. h. also die kranken Soldaten dafür büßen
zu lassen. Viel aussichtsvoller wäre es ge-
wesen, wenn er auf das Anerbieten des Ober-
ften von Fülgraff vom 2. Linien-Jnfanterie-
Regiment eingegangen wäre und diesem durch
Mitteilung der nötigen Unterlagen die Mög-
lichkeit gegeben hätte, die Beanstandung - es
handelte sich überhaupt nur um 4 Klafter Holz,
für die möglicher Weise 30 bis 40 Rtlr. hätten ab-
gezogen werden können - genau zu untersuchen
und nötigenfalls den Schuldigen zur Ersatz-
leistung heranzuziehen. Er lehnte dies Ver-
fahren aber rundweg ab, da es ihm nicht so
sehr darauf ankommen könne, zur Feststellung
der etwa Verantwortlichen mitzuwirken, als
darauf, Ersatz für die geleistete Mehrlieferung
zu erhalten. Die Folge davon war, daß Oberst
von Fülgraff, der sich bisher wiederholt ent-
gegenkommend erwiesen hatte, diese seine Hal-
tung änderte und von nun an streng auf der
Erfüllung aller sich aus der „Instruktion"
ergebenden Verpflichtungen bestand.
Nicht mehr Glück hatte von Canstein mit
dem Versuch, den Maire von Oberkaufungen
dafür verantwortlich zu machen, daß er sich
überhaupt auf die beanstandete Mehrlieferung
eingelassen habe. Denn dieser war ihm in
tatkräftigem Auftreten und sachlicher, ge-
schickter Berichterstattung entschieden überlegen.
In bestimmter und gelegentlich recht derber
Sprache wies er den Versuch, die angeblichen
Überschreitungen der Gemeinde Oberkaufungen
aufzubürden, entschieden zurück und legte die
Notwendigkeit der verausgabten Beträge dar;
in außerordentlich geschickter Weise wußte er
in eingehender Einzelberechnung den Nachweis
zu führen, daß er mit der größtmöglichen
Sparsamkeit verfahren sei, und daß jeder Ver-
such, die notwendigen Lieferungen in anderer
Weise zu beschaffen, eine Vermehrung der Un-
kosten hätte mit sich bringen müssen. Und es
war ein voller Erfolg, als der Generalsekretär
der Präfektur von Nordenflycht dahin ent-
schied, daß das Verfahren des Kantons-Maire
von Oberkaufungen eher Beifall als den von
Canstein verlangten Tadel verdiene. Außer-
dem hatte auch der Kriegsminister schon früher
entschieden, daß die für die Hospitäler gelten-
den Bestimmungen der „Instruktion" auch für
die Regiments-Krankenstuben in Anwendung
zu bringen seien und demnach die Lieferung
für die Heizung während 8 Monaten geleistet
werden müsse. Somit blieb von Canstein nichts
weiter übrig, als sich wohl oder übel damit
abzufinden, daß die Verpflichtung, für die
Regiments-Krankenstuben die nötigen Räum-
lichkeiten bereit zu stellen, sie einzurichten und
zu unterhalten, der Stadt Kassel in dem einen
Jahr 1811 neben all den sonstigen Beschwer-
den, Plackereien und Verdrießlichkeiten einen
Kostenaufwand von mehr als 600 Rtlr. ver-
ursacht hatte.
Für die Gesamtrechnung der Stadt konnte
dieser Betrag wohl nicht allzu schwer ins Ge-
wicht fallen, und die Auflage selbst kann zu-
nächst nicht als besonders schwere bezeichnet
werden. Was sie aber in der Ausführung
so empfindlich und drückend machte, war die
aus den bestehenden Verhältnissen entspringende
kaum zu überwindende Schwierigkeit die ver-
langten Räume zu beschaffen; lagen doch z. B.
im Mai 1811 in der Stadt eine Schwadron
Garde-du-Corps, ein Regiment Garde-Che-
vaux-legers, ein Bataillon Garde-Grenadiere,
ein Bataillon Gardejäger, ein Bataillon
Gardejägerkarabiniers, ein Regiment Linien-
Jnfanterie, Artillerie und Train, zusammen
rund 6900 Mann! Dazu kam, daß die Hand-
habung dieser Bestimmung, jedes Entgegen-
kommen von seiten der Behörden vermissen
ließ. Und so mag auch dieses kleine Glied in
der Kette der Lasten und Bedrückungen jener
Jahre dazu beigetragen haben, die gerade um
die Wende der Jahre 1811/12 hervortretende
Erbitterung in der Bevölkerung zu nähren und
zu steigern. Diese tiefgehende Verstimmung
war auch dem leichtlebigen Hof nicht verborgen
geblieben, und mit welcher Sorge man hier
die Bewegung verfolgte, zeigen die Worte in
einem Bericht Jerömes vom 5. Dezember 1811.
„Die Gärung ist auf dem Höhepunkte, und
wenn der Krieg ausbricht, werden alle Gegen-
den zwischen Rhein und Oder den Herd einer
allgemeinen Insurrektion bilden." Und er
verrät gewiß offenen Blick und klare Einsicht,
wenn er sich weiter dahin ausspricht „Die
Hauptursache dieser gefährlichen Bewegung ist
nicht allein der Haß gegen die Franzosen und
der Unwille gegen das Joch der Fremdherr-
schaft, sie liegt noch weit mehr in den un-
glücklichen Zeiten, in dem gänzlichen Ruin
aller Klassen, in dem übermäßigen Druck, den
die Abgaben, die Kriegskontributionen, der
Unterhalt der Truppen, die Durchzüge der
Soldaten und die unausgesetzt sich wieder-
holenden Belästigungen aller Art ausüben.
Es sind Ausbrüche der Verzweiflung von den
Völkern zu besorgen, die nichts mehr zu ver-
lieren haben, weil man ihnen alles genommen
hat."
So nahe war freilich das gefürchtete Ende
noch nicht, und es mußten noch die viel
schwereren Lasten und Opfer des Jahres 1812
$mtL> 291 9«M£b
getragen und gebracht werden, bis mit der
allgemeinen Erhebung des gequälten Volkes
der Kampf begann, der mit der endgültigen
Abschüttelung der Fremdherrschaft und der
Wiedereinsetzung des angestammten Herrscher-
hauses im Hessenlande endete.
Das neue Deckengemälde im Nathans von Professor H. Knackfuß.
Die Stadt Kassel ist vor einiger Zeit um zugeben) seine Komposition dementsprechend
eine künstlerische Sehenswürdigkeit bereichert in drei Teile, die auch einzeln für sich — oder
worden, die sie dem preußischen Staate ver- je nachdem mit einem andern Abschnitte zu-
dankt. Der Kultusminister hatte s. Zt. aus sammengesehen — geschlossene Bilder darbie-
Mitteln des Kunstfonds für ein Deckengemälde ten. Es ist dem Künstler restlos gelungen, die
im Treppenhause des neuen Rathauses 26 000 Schwierigkeiten des perspektivischen Problems
w
Mark bewilligt und mit der Ausführung den
Lehrer an der Kasseler Akademie Professor
Hermann Knackfuß beauftragt. Nach zwei-
jähriger Arbeit hat dieser nunmehr sein Werk
vollendet. Dem Künstler war vollkommene
Freiheit gelassen, er hatte lediglich die Schwie-
rigkeiten zu überwinden, die in der Aufgabe
selbst lagen. Diese waren allerdings infolge
der räumlichen Situation nicht gering. Die
wagerechte Flachdecke des Stiegenhauses kann
nämlich infolge einer in der Höhe der Treppe
ringsumlaufenden Galerie von keinem Punkte
aus vollständig, sondern immer nur abschnitt-
weise überschaut werden. Da für die Betrach-
tung auf dem Treppenlaufe drei Standpunkte
in Frage kommen, gliederte der Künstler (ohne
doch den Zusammenhang der Darstellung auf-
zu lösen, die darin bestanden, nach so ver-
schiedenen Seiten hin befriedigende Ansichten,
d. h. solche ohne Schwankungen und Formver-
zerrungen, zu schaffen.
Mit ihren weißen, lichtblauen und goldigen
Tönen macht die Komposition einen festlich-
heiteren Eindruck. Die Hauptansicht zeigt
einen mächtigen Zug von Gestalten, der wie
eine lichterfüllte Wolke im klaren Himmels-
blau schwebt. Tie motivische Erfindung
knüpft recht glücklich an die Sage einer segen-
spendenden germanischen Göttin an, die gerade
in Hessen als Frau Holle noch im Volks-
bewußtsein fortlebt. Auf einem von weißen
Rindern gezogenen Wagen erblickt man diese
von Sonnenlicht umflossene Frauengestalt, be-
gleitet von Huldinnen, die ihr den Spinnrocken
««£L> 292 S«tL>
als Zeichen des Fleißes und ein Schatzkästlein,
der Mühe Preis, nachtragen. Sie ist umgeben
von einem Schwarm von Kindergestaltcn,
jenen Wichteln der Hollesage, durch die die
Segenspenderin zu den Menschen in Beziehung
tritt. Aus den Wolken strömen diese bewegten
Kinderschwärme hervor, sie schleppen einen
Pflug, Wassergefäße und Handwerkszeuge aller
Art. Andere Wichtelmännchen hantieren —
wieder in Anlehnung an das Märchen von
der Frau Holle — mit einem Pechgefäß und
einem Goldgefäß, deren Inhalt sie ausschütten.
Bei dieser Gruppe ist dem Künstler ein hübscher
perspektivischer Scherz gelungen- Wohin sich
der Beschauer auch stellen mag, stets sieht er
den Goldstrom auf sich gerichtet, während der
Inhalt des Pechgefäßes links an ihm vorüber-
zufließen scheint. Ernst Zöllner.
--------------------
Die Reste des Zwehrentors und der Daumgartenpforte.
Von E. Wenzel, Magdeburg.
Was sich von Überresten aus Kassels bedeu-
tender Festungszeit an beiden Ufern der Fulda
in dem alten Wasserturme des Schlosses, ge-
nannt Rondel, den Kasematten des Stadtbaues,
der .Häuser an der Schlagd, des großen und
kleinen Finkenherds und der Unterneustädter
Mühle sowie den Scharten in der alten Wall-
mauer der Unterneustadt erhalten hat, habe ich
gelegentlich der Führung durch das Rondel-
gewölbe mit seinem unterirdischen Gang und
die Kasematten des Finkenherds den Mitglie-
dern und Freunden des Geschichtsvereins zeigen
können.
Heute möchte ich auf zwei Kasseler Tore ein-
gehen, die noch zum Teil erhalten, zum Teil
leicht aus aufgedeckten Resten noch zu erkennen
sind.
Die beigefügte Abbildung zeigt oben den
Zwehrenberg, auf Grund genauer Messungen
und unter Benutzung zuverlässiger Karten und
Abbildungen im Aufriß gezeichnet. Ter hohe
Wall mit dem gemauerten Fuß und dahinter
laufenden Wallgang bedeckte fast vollständig
den alten Zwehrenturm bis zum noch jetzt er-
haltenen .Hohlkehlgesims des alten Daches. Das
vom Turm her unter dem Berg verlaufende
lange Gewölbe des Torwegs endigt unter einem
besonders vorgeschobenen Spitzwall in einem
steinernen Tore hinter der langen Brücke über
den Graben, die in der Mitte ein Aufzugs-
joch für die Zugbrücke trug. Unten ist der
Zwehrenberg in seiner Lage zu den jetzt am
Friedrichsplatz stehenden Gebäuden nach ge-
nauer Aufnahme gezeichnet. Das Ende des
18. Jahrhundert von Du Ry errichtete Biblio-
theksgebäude oder Nu86um i'riäerieianuw, be-
zeichnet mit A, bedeckte demnach einen großen
Teil des alten Zwehrenberges, der seine Ent-
stehung dem Landgrafen Wilhelm IV verdankt.
Bor der Zerstörung der Festungswerke auf
Grund der Kapitulation von Halle hatte der
Zwehrenberg eine runde Gestalt, einen hohen
SÄE, 293 S«MK>
Erdwall mit gemauertem Fuß mit Wallgang.
Der Berg war nach Dürerschem System als
Bollwerk errichtet, um die mittelalterliche Be-
festigung gegen die immer gefährlicher werden-
de Belagerungsartillerie zu decken. Der alte
Zwehrentorturm aus der Zeit des Landgrafen
Heinrich des Eisernen hatte seine Bedeutung
als Trutzmittel verloren. Seine Sperrvorrich-
tungen und Fallgatter sowie seine Höhe nützten
dem Turnierplatz durch eine Reihe von Kauf-
gewölben für die Abhaltung einer Messe mit
vorgelegten Arkadengewölben verblenden las-
sen. Auch die an die Stadtmauer herantreten-
den Rückseiten der Hintergebäude des Stein-
wegs ließ er durch Arkaden und Pilaster in
Stuck verblenden. Die Arkadengewölbe wurden
Anfang des 19. Jahrhunderts wieder abge-
brochen und die mit einer neuen Fassade versehe-
A Museum
B PALAIS
C KRlECSCHUlE
v NATURALIENMUSEUM
E DENKMAL
F HOSPITAL
C ABCEßft. Häuser.
H ¡EWEHRENTURM
I KASEMATTEN
K CfWÖLRE
nichts gegen ein aus der Ferne auf ihn gerich-
tetes Geschützfeuer. Auch die alte Stadtmauer
diente nicht mehr als Verteidigungsmittel, sie
blieb aber weiter bestehen und bildete noch die
Futtermaner des großen davor geschütteten Erd-
walles. Glücklicherweise ist ein großes Stück
der mittelalterlichen Stadtmauer aus der Zeit
der zweiten Ummauerung Kassels noch erhal-
ten geblieben, wenn auch nicht ohne weiteres
zu erkennen. Landgraf Karl hatte die mittel-
alterliche Stadtmauer nach der Rennbahn oder
nen Kaufgewölbe gingen allmählich in den Besitz
der Anlieger über Die hinter den Gewölben
herlaufende Stadtmauer hat stellenweise eine
Stärke von 2,60 m, sie verläuft dann weiter
nach dem Zwehrenturm zu und dient dem Na-
turalienmuseum als Nordwand. Man erkennt
sie hier sofort an ihrer Stärke, ihrem geboge-
nen Verlauf und dem unorganischen Zu-
sammenhang mit dem der Kriegsschule zuge-
kehrten Prachtgiebel. Da, swo auch jetzt der
Mauerzug zwischen den Arkaden und dem Na-
294 SS8L,
turalienmuseum unterbrochen ist, befand sich
eine nach der Rennbahn, wo zu Zeiten auch
das landgräfliche Geschütz aufgefahren war,
führende Pforte.
Hatte man schon früher bei Kanalisations-
arbeiten in dem oberen Steinweg zwischen dem
Museum und der Kriegsschule einen Kase-
mattengang mit einer Wendeltreppe und eine
im Gewölbe steckende Kanonenkugel gefunden
und ebenso am Friedrichsplatz vor dem Museum
sowie beim Bau der Bürgerschule in der unte-
ren Karlstraße Gewölbe freigelegt, so bot sich
kürzlich bei Anlage des Heizkellers für die Zen-
tralheizung der Landesbibliothek erneut Ge-
legenheit, Spuren des Zwehrenberges und des
Zwehrentores festzustellen. Meine Vermutun-
gen über den Verlauf des Vorgewölbes wurden
beim tieferen Eindringen in den Füllboden
des Museumshofes bald bestätigt. Zuerst schnitt
man ein Stück der nördlichen Seitenwand und
später auch ein langes Stück der südlichen an.
Die Entfernung war die gleiche, wie die des
Zwehrentorturms, dessen dem Museumshof zu-
gekehrter Teil, der oben die Treppe trägt, unten
noch ein Teil des Torgewölbes mit den seit-
lichen Kasematteneingängen ist. Auch die Rich-
tung der beiden Mauern entsprach im wesent-
lichen der des Turmgewölbes. Weiter stieß man
auf eine nach der Ecke der Rotunde führende
starke Mauer, deren Bedeutung jedoch zweifel-
haft geblieben ist, jowie auf ein nur 0,60 m
breites, kaum 1 m hohes langes Gewölbe,
das nach der unter einem Flügel herlaufen-
den Kasematte führt und in der Decke viele
gemauerte nach oben führende Schächte zeigt.
Die Bauleitung hat in dankenswerter Weise
meinen Vorschlag angenommen, das Gewölbe,
das gerade in den Heizkeller führt, nur leicht
zu verschließen, um es jederzeit auf Erfordern
öffnen lassen zu können.
Bekanntlich war das lange dunkle Torge-
wölbe des Zwehrentores nur schwer zu passie-
ren. Nachdem eine Frau mit einem Bündel
Heu durch einen Ochsen im Gewölbe aufgespießt
und ein Offizier durch eine Kuhherde zu Tode
getreten worden war, wurde das Tor gesperrt
und statt dessen das Neue Tor im Zug der
Straße an der Garnisonkirche angelegt und
ein anderes Tor, das ausschließlich dem Hof
als Durchfahrt zum oberen Baumgarten diente,
dem öffentlichen Verkehr übergeben. Auf Me-
rians Ansicht der Stadt Kassel*) sehen wir auch
tatsächlich nicht am Zwehrentor, sondern am
Baumgartentor eine Zugbrücke über den Gra-
ben gehen. Den über dem Tor beim Austritt
aus dem Wall stehenden Turm dürfte Merian
wohl dazu phantasiert haben. Im 18. Jahr-
hundert nach Anlage der Oberneustadt ist das
Zwehrentor wieder beschränkt in Benutzung,
dagegen das Baumgartentor geschlossen.
Lediglich seiner versteckten Lage verdanken
wir die Erhaltung des Tores, das in dem
Winkel zwischen dem Zugang zum Exerzierplatz
der Kriegsschule und dem Naturalienmuseum
liegt. Über einem 3,12 in breiten, 2,5 in hohen,
noch mit den steinernen Drehringen versehenen
Rundbogentor befindet sich eine Sandsteintafel
mit der Inschrift ANNO 1591 IST W L. Z. H.
DEN 27 APR1L1S DAS ERSTE MAL DURCH
DIS GEWELBE GEFAREN. Das Gewölbe
hat sich noch auf eine Länge von 7,52 in er-
halten und ist weiter nach hinten zugesetzt, da
es dem Gebäude der Kriegsschule gefährlich
geworden war.
*) Siehe Umschlagvignette.
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Die Kasseler Napoleonsstalue.
Von Paul Heidelbach.
Zu den verschiedenen Überraschungen, die
das in diesen Tagen eröffnete hessische
Landesmuseum in Kassel brachte, gehört
auch eine Napoleons st atue, die früher
lange Zeit Antonio Canova zugeschrieben
wurde, jedoch von der Hand des durch seinen
Amor mit Schmetterling im Louvre berühmt
gewordenen Denis Antoine Chaudet stammt.
Chaudets Napoleonsstatuen haben merkwür-
dige Schicksale gehabt. Die bekannteste von
ihnen, die den Korsen als Caesar mit dem
Lorbeerkranz darstellt und die 1810 bis 1814
auf der Pariser Vendomesäule stand, wurde
nach der Restauration herabgestürzt, und ihre
Bronze mußte für die Statue Heinrichs IV
auf dem Pont-Neuf von Franyois Lemot her-
halten. Eine andere Bildsäule Chaudets, für
den gesetzgebenden Körper in Paris bestimmt,
befindet sich im Berliner Museum. Eine Kopie
dieser Statue ist nun diejenige, die jetzt im
Kasseler Landesmuseum nach genau hundert
Jahren wieder ihre Aufstellung gefunden hat.
Nur kurze Zeit hat sie den Königsplatz zu
Kassel „geziert", und nach ihr trug eben dieser
295
kreisrunde Platz den Namen Napoleonsplatz.
Laut Dekret des Königs vom 25. Februar 1810
sollte am 12. November 1812, am Jahres-
tage der Unterzeichnung der Konstitution, eine
Bronzestatue des Kaisers auf dem Königsplatz
aufgestellt werden. Das Metall dazu wollte
man westfälischen Bergwerken entnehmen, da-
mit sie ein Werk nationalen Kunstfleißes re-
präsentiere. Da sich aber, wie Kleinschmidt
in seiner Geschichte des Königreichs Westfalen
mitteilt, die geeigneten Erzgießer nicht fanden,
so beschloß Jérôme, die Bildsäule vorläufig
in karrarischem Marmor ausführen zu lassen,
wozu die schon erwähnte Chaudetsche Statue
als Modell benutzt wurde. Der vom Kaiser
hochgeschätzte Chaudet selbst war zwar schon
im April 1810 verschieden, sie wurde jedoch
nach dem Modell so vorzüglich ausgeführt, daß
die lange Zeit hindurch übliche Annahme der
Urheberschaft Canovas verständlich erscheint.
Die neun Fuß hohe Statue, die 1812 fix und
fertig aus Paris in Kassel ankam, stellt den
Kaiser als römischen Imperator dar. „Ein
weiter, am Rande mit Blätterornamenten be-
setzter Mantel, der auf der linken Schulter
durch eine Spange zusammengehalten wird,
umhüllt in schwerem, aber vornehm geord-
neten Faltenwurf die mächtige Gestalt, so daß
nur der linke Unterschenkel, der rechte Arm
und ein Teil der Brust unbedeckt bleiben. Die
in die Seite gesetzte Linke ist ganz im Ge-
wände verborgen, die Rechte hält eine Per-
gamentrolle als Hinweis auf die von ihm
verliehene Konstitution des Königreichs West-
falen. Im Haar trägt er einen Lorbeerkranz
mit herabfallenden Bändern, über der Schulter
ein Bandelier, an dem das Schwert hängt,
dessen unterer Teil unter dem Mantel sichtbar
wird. Die Füße sind mit Sandalen bekleidet."
Gestalt, Tracht und Gesichtszüge sind ideali-
siert. Chaudet gibt keine scharfe Porträtähn-
lichkeit, sondern verallgemeinert die charakte-
ristischen Züge des Kaisers und steigert sie ins
Heroische, wie ja auch Canova nach dem ersten
Entwurf seiner Napoleonbüste schließlich eine
Jdealbüste ohne eigentliche Ähnlichkeit ent-
wickelte.
Durch Grandjean de Montigny, den bekann-
ten Architekten Jérômes, wurde die Statue
auf eine Brunnensäule des Königsplatzes ge-
setzt, und schon damals meinte ein Kasseler
Witzbold (wie Moranville an Ludwig I. de-
peschierte)^ „Der Held ist da nicht in seinem
Element, der Mann hat kein Glück auf dem
Wasser", wie denn auch in dieser Zeit ein nach
Die Kasseler Napoleonsstatue.
bekannter Melodie weit verbreitetes Spottge-
dicht gesungen wurde
Zu Kassel auf dem Zaitenstock
Ohne Hemd und ohne Nock,
Ohne Schuh und ohne Hosen
Steht der Kaiser der Franzosen.
Das Piédestal trug die Inschrift
La Westphalie reconnaissante
a érigé ce monument
en 1812
à son fondateur
Napoléon Premier,
Empereur des Français,
Roi d’Italie,
Protecteur de la Confédération du Rhin,
Médiateur de la Confédération Suisse.
Bei prächtigem Wetter fand die glänzende
Enthüllungsfeier statt. Minister v. Wolffradt
feierte am Fuße der Statue den vergötterten
Kaiser in überschwenglicher Rede, und fünf
Tage später beging ein großes Volksfest auf
dem „Napoleonsplatz" den letzten Geburtstag
König Lustiks in Kassel.
vmtü 296 s«L>
Kaum ein Jahr sollte die Kaiserstatue auf
ihrem Platze bleiben. Am 30. September 1813
rückten die Russen unter Tschernitscheff, deren
Kugeln Jérôme jählings in die Flucht getrie-
ben hatten, zum zweiten Mal in Kassel ein,
und bald ward kein französischer oder west-
fälischer Soldat mehr in der Stadt gesehen,
da das Militär vorgezogen hatte, Zivilkleider
anzuziehen. Nun erfuhr auch die Napoleons-
statue eine herbere Kritik, als sie ihr in jenem
Gassenhauer zuteil geworden war. Wie Klein-
schmidt mitteilt, wollten einige exaltierte Bur-
schen das neue Standbild vom Brunnen her-
unterzerren, und als sie daran durch russische
Offiziere gehindert wurden, begnügten sie sich
damit, die Nase und den unteren Teil des rech-
ten Armes abzuschlagen. Nach anderer Ver-
sion sollen die Kosaken die Verstümmelung auf
dem Gewissen haben, während eine dritte Über-
lieferung berichtet, daß der treu hessisch ge-
sinnte Salinendirektor Schaub aus Sooden der
Statue beim Anrücken der Kosaken jene Ex-
tremitäten abgeschlagen und sich der Verhaf-
tung durch westfälische Jäger durch rasche
Flucht in den Harz entzogen habe. Durch
Scherer wissen wir, daß der Bautenminister
Jussow alsbald die abgeschlagenen Teile durch
den Bildhauer Chr. Ruht in Gips ergänzen
ließ. Erst nach dem endgiltigen Abzug der
Franzosen kam sie von ihrem Standort für
immer herunter, der nach siebenjähriger Ver-
bannung zurückgekehrte Kurfürst hatte begreif-
licherweise kein Interesse an ihrer Erhaltung.
Der obere Teil lag lange im Materialienhause
in der Schäfergasse, der untere, Platte mit
Füßen, noch bis zum Jahre 1882 im Hause
des Hofrats Ruhl, bis schließlich alle noch
vorhandenen Stücke unter dem Treppenhause
des alten Museums ein vergessenes und ver-
I staubtes Dasein führten, aus dem sie jetzt beim
Umzug Museumsdirektor Dr. Boehlau wieder
hervorholte. Die wenigsten wußten bis jetzt,
daß überhaupt noch etwas von der Statue
vorhanden war Nur die Erinnerung an ihren
Sturz hatte sich bis in die Gegenwart gerettet.
Schon bald, nachdem das Königreich Westfalen
wie ein Kartenhaus zusammengestürzt war,
hatte sich eine Flut von Pamphleten über das
Land ergossen, angesichts der früheren Hul-
digungen ein Kriterium der Charakterlosig-
keit, wie es die Geschichte zu allen Zeiten ent-
hüllt hat und noch enthüllt. So konnte es
sich auch der (natürlich) anonyme Verfasser der
1813 in Kassel erschienenen „Jeremiade", die
noch zu den relativ besten Gelegenheitsgedich-
ten der Zeit gehört, nicht versagen, in seiner
Kritik der Bautätigkeit Jerömes auch der Na-
poleonsstatue zu gedenken
Der Königsplatz, den leer man fand.
Erhielt ein Wasserbecken,
Des Bruders Bild, das mitten stand,
Sollt' Ehrfurcht in uns wecken.
Doch sahe man das Ganze an.
So gab der weiße Brunnenmann
Nur Stoff zum Hohngelächter.
Die Statue zeigt heute noch die Ergänzun-
gen von 1813. Doch ist ihr, man weiß nicht
wann und warum, der linke Fuß abgesägt,
und auch die benachbarte Partie des Mantels
zeigt noch deutlich den Ansatz der Säge. Wahr-
scheinlich trifft die Bemerkung des 1801 ge-
borenen Kasseler Akademiedirektors Friedrich
Müller zu, der in seinem Memoirenwerk
„Kassel seit siebzig Jahren" bedauert, daß die
Barbarei von 1813 noch überboten wurde, als
man mit anderen Teilen des trefflichen Kunst-
werkes den beschädigten Mantel des auf dem
Friedrichsplatz stehenden Denkmals Landgraf
Friedrichs II. flickte.
----------»•■«&»-------
Ein fliehendes Staatsarchiv in Kassel.
Von A. W o r i n g e r.
Jourdans Sieg bei Fleurus über die Öster-
reicher am 26. Juni 1794 hatte einen völligen
Umschwung in der Kriegslage herbeigeführt.
Die österreichische Armee mußte ihre Stellun-
gen aufgeben, die französische Sambre- und
Maas-Armee konnten sich vereinigen und ganz
Belgien besetzen und auch an der Mosel rückten
die Franzosen vor und besetzten Trier und
die Eifel.
In der kurkölnischen Residenzstadt Bonn
wurde man besorgt. Kurfürst Maximilian
Franz, Erzherzog von Österreich, der seit 1784
den Kurstaat regierte, sah ein, daß er und
seine Behörden nicht mehr sicher waren. Schon
seit einiger Zeit waren das kurfürstliche Archiv
und die Schriftstücke der Regierungskanzlei
verpackt und zur Abfahrt bereit gemacht
worden. Als nun die Nachricht eintraf, daß
am 19. September 1794 Aachen in die Hände
der Franzosen gefallen sei, wurden Archiv und
Kanzlei in Schiffe verladen und den Rhein
hinab bis Düsseldorf, von da aber zu Lande
297
nach dem damals kurkölnischen Best Reckling-
hausen gebracht. Der Kurfürst selbst hielt vor-
läufig noch stand. Am 2. Oktober aber brach
auch er auf und verlegte seine Residenz nach
Dorsten. Der kölnischen Regierung wurde
Recklinghausen, den höheren Gerichten Arns-
berg, der Hofkammer Brilon als vorläufiger
Sitz angewiesen.
Aber schon nach wenigen Monaten ließ das
weitere Vorgehen der Franzosen auch diese
Städte nicht mehr sicher erscheinen. Der strenge
Winter von 1794 auf 1795 hatte es den Fran-
zosen ermöglicht, über das Eis der zahlreichen
Flüsse und Kanäle Hollands zu gehen. Die
verbündeten Heere hatten Holland räumen
müssen und die Franzosen waren in Westfalen
eingedrungen. Maximilian Franz von Köln
zog deshalb vor, sich über Frankfurt a. M und
Leipzig nach Mergentheim zu begeben, dem
Sitze des deutschen Ordens, dessen Hochmeister
er war. Von dort ging er dann später nach
Wien, wo er 1801 starb.
Aber auch das kurkölnische Archiv erschien
in Recklinghausen bedroht. So wurde es denn
abermals auf Karren verladen und trat dann
ebenfalls die Reise nach Mergentheim an.
Durch Westfalen*) wandte man sich zuerst nach
Kassel, wo das Archiv am 16. Februar 1795
ankam und von dem Kasseler Kaufmann Satt-
ler in Empfang genommen wurde.
Gottlieb Sattler, geboren am 29.August1739
in Hannov. Münden, wohin sein Vater, der
Kaufmann Johann Gottlieb Sattler aus Butt-
städt im Sachsen-Weimarischen gezogen war,
hatte sich als junger Mann in Kassel nieder-
gelassen, und es war ihm gelungen, sein
Kolonialwarengeschäft auf eine recht bedeu-
tende Höhe zu bringen. Er wohnte am Alt-
markt, wo er die beiden Häuser besaß, die jetzt
die Bezeichnung Brüderstraße Nr. 19 und 21
tragen. Seine Handelsverbindungen mit Hol-
land und den Rheinlanden mochten ihn wohl
auch mit der kurkölnischen Regierung in Ver-
bindung gebracht haben, die ihm nun die
Weiterbeförderung ihres Archivs übertrug.
Seine Tätigkeit hierbei ergibt sich aus dem von
ihm sehr genau geführten Tagebuche, von dem
einige Jahrgänge erhalten sind und sich im
Besitze eines seiner Nachkommen in Münden
befinden.
Mit 126 Dienstpferden trafen, wie erwähnt,
die Wagen und Karren, auf denen das Archiv
verladen war, am 16. Februar 1795 in Kassel
*) Vorübergehend ist es wohl in Arnsberg aufbewahrt
gewesen.
ein. Es waren darunter auch 18 Wagen mit
Silberzeug, ein Wagen mit Geld und eine
Chaise, in der die vier Räte fuhren, denen die
Beförderung des Archivs anvertraut war
Nach Sattlers Angabe waren es die Hof-
kammerräte Dirichs, Fortwesi, Breda und der
Rat Fronß. Sattlers Schrift ist sehr schwer zu
lesen. Es mag deshalb dahin gestellt bleiben,
ob die Wiedergabe der Namen richtig ist. Die
vier Herren stiegen im Gasthaus „zum gol-
denen Helm" in der Fischgasse (jetzt Juden-
brunnen Nr. 3) bei dem Gastwirte Mensing
ab. Der „goldene Helm" war damals eins der
besten Gasthäuser Kassels. Die Lastwageir
wurden in der städtischen Wage untergebracht.
Am folgenden Tage besprach sich Sattler mit
den kölnischen Räten im „Helm" und ließ
dann das Archiv abladen, worauf die west-
fälischen Wagen und Pferde wohl nach Hause
zurückkehrten. Abends lud Sattler die drei
Kammerräte zum Essen ein, zu dem auch sein
Schwiegersohn, der Kaufmann Johann Hein-
rich Bindernagell und dessen Ehefrau Rosine,
sowie Sattlers Nachbar, der Kaufmann Ludwig
mit seiner Frau zugezogen wurden. Nach dem
Abendessen begab sich die ganze Gesellschaft
um 11 Uhr zu einer Maskerade in den Stadt-
bau. Die Chaise, mit der man den kurzen
Weg zurücklegte, kostete 1 Taler Das Ein-
trittsgeld für Sattler und seine Frau 21 Alb.
4 Hlr.*) Das Ehepaar verzehrte nur für 10
Alb., verlor aber 10 Taler 30 Alb. im Spiel.
Es war üblich, daß bei diesen Maskeraden auf
dem Stadtbau Roulette gespielt wurde. Satt-
ler hatte sich auch seine Perücke für diesen
Abend frisieren lassen, was 5 Alb. 4 Hlr.
kostete. Mit dem Lohn für 2 Boten, die er
im Laufe des Abends zur Post senden mußte,
betrugen seine Ausgaben für diesen Abend
13 Taler 17 Alb. 8 Hlr. Morgens 5 Uhr kam
man wieder nach Hause.
Am 18. Februar führte Sattler alle vier
kölnischen Räte in das Museum. An diesem
und dem nächsten Tage wurden auch die kur-
kölnischen Güter für die Weiterbeförderung
an Kasseler Fuhrleute verdungen und sodann
verladen. Am Abend des 19. Februar besuchte
Sattler mit den vier Räten die Komödie, was
ihm 14 g. Gr **) kostete Am 21 brach das
Archiv nach Mergentheim auf, diesmal nur
mit 32 Pferden, einer einspännigen Chaise und
9 Karren. Sattler gibt den Nutzen, den er bei
diesem Speditionsgeschäft hatte, auf 111 Taler
*) 1 Taler = 30 Albus zu 12 Heller.
**) 1 Taler — 24 gute Groschen.
s«ssL. 298
©tto Ewald.
Gehörte der ñaffelrr Bühne von 1871-1901 al« Opernrrgiffeur. Sänger «Tenorbuffo) und Schauspieler an.
C«NtL 299 VML.
18 Alb. 8 Hlr. an. Davon gingen ab: Ver-
gütung an seinen Geschäftsgehilfen Melhorn
6 Taler 8 Alb., an den städtischen Wageinspek-
tor Paul Vorwerk 4 Taler 24 Alb., so daß
ihm ein Nutzen verblieb von 100 Talern 18
Alb. 8 Hlr.
Sattlers „sonstige Kosten", worunter wohl
der Aufwand für die Bewirtung der kölnischen
Räte usw. zu verstehen ist, betrugen 10 Taler,
die er aber „nicht in Anschlag brachte" Der-
artige Ausgaben waren in dem gastfreien
Sattlerschen Hause nicht selten und wurden
nicht sonderlich beachtet.
Das kölnische Archiv sollte aber in Mergent-
heim noch nicht zur Ruhe kommen. Nachdem
durch den Frieden von Luneville (9. Februar
1801) das ganze linke Rheinufer an Frank-
reich gefallen war, ist das Archiv vermutlich an
dieses ausgeliefert worden. Es gelangte dann
über Aachen (Archiv des Roerdepartements)
und Köln nach Düsseldorf, wo es sich noch
heute befindet.
Die Schnurrbartdebatte der hessischen Ständekammer.
Bon Dr Philipp Losch.
Im Fragekasten des „Hessenlandes" wurde
unlängst die Frage aufgeworfen wann die
in Kurhessen im 18. und 19. Jahrhundert
übliche Sitte des Glattrasiertseins aufgekom-
men sei? Das klingt gerade so, als ob sich
bei uns die Leute anders barbiert hätten
als in der übrigen Welt, und ist in dieser
Allgemeinheit gesagt natürlich falsch. Die
hessischen Bartsitten waren im wesentlichen
von den allgemein europäischen nicht ver-
schieden. Die Barttracht war der Mode unter-
worfen, wie sie es im Grunde genommen heute
auch noch ist, nur daß die Mode der älteren
Zeit viel strenger war als in unseren Tagen.
Wie alles in der Welt, so hat auch der Bart
seine Geschichte, und es hat Leute gegeben, die
dicke Bücher darüber geschrieben haben. Es
gab im Mittelalter Zeiten, wo es direkt als
unanständig galt, einen Bart zu tragen, und
als gegen Ende dieses Zeitalters die Bärte
wieder aufkamen, da konnten Volksprediger
wie Geiler v. Kaisersberg nicht heftig genug
gegen diese neue Mode der Narren und Bart-
hänse zetern, die ihre Gesichter auf türkische
und jüdische Manier zu zieren oder zu ver-
unzieren begannen. Man kann die wechselnde
Barttracht ganz gut an den bekannten hessischen
Fürstenbildern der Wilhelmshöher Schloß-
kuppel studieren, wenigstens vom 16. Jahr-
hundert an.*) Bon Philipp dem Großmütigen
bis zu Landgraf Wilhelm VI. trugen die Land-
grafen sämtlich Bärte, zuletzt immer kleinere.
*) Die älteren Porträts sind mehr oder weniger Phantasie-
bilder. Das Bild Hermanns des Gelehrten mit dem
dünnen Schnurrbart des 17. Jahrhunderts (!) ist sogar
eine direkte Fälschung, da es den Prinzen Hermann,
einen Sohn Moritz des Gelehrten, darstellt. Dies Bild
ist übrigens nicht mehr in der Schloßkuppel, sondern in
neuerer Zeit auf unaufgeklärte Weise verschwunden.
Dann verschwindet der . .Bart, um erst im
19. Jahrhundert bei Kurfürst Wilhelm II.
wieder aufzutauchen. Die Kckegszeiten des 16.
und 17 Jahrhunderts waren der Barttracht
günstig gewesen, denn im Felde ist das Ra-
sieren noch umständlicher und unbequemer wie
zu Hause. Nach dem dreißigjährigen Kriege
kam die Perücke auf, eine der sonderbarsten
Moden aller Zeiten, die allmählich den Bart
völlig verdrängte. Bartlosigkeit wurde zu einem
Symbol der europäischen Kultur. Peter der
Große ließ seine Untertanen gewaltsam bar-
bieren und den Vollbart mit einer hohen
Steuer belegen. Die Perücke schrumpfte dann zum
Haarbeutel und Zopf zusammen, aber die
Bärte wuchsen noch immer nicht. Selbst die
vielen Kriege des 18. Jahrhunderts mußten
ohne Bärte geführt werden. Nur die Grena-
diere und Husaren hatten das Recht, Schnurr-
bärte zu trägen, ein Recht, das zu einer Pflicht
wurde, weil diese Waffengattungen besonders
martialisch und fürchterlich aussehen sollten.
Dann kam die französische Revolution. Pe-
rücken und Zöpfe verschwanden, und die Bärte
fingen allmählich wieder an zu wachsen. Zuerst
ganz schüchtern und vereinzelt als stoppeliger
„Knasterbart", dann als kleiner krauser Backen-
bart vor den Ohren, der als „Favorit" große
Beliebtheit bei der feinen Welt gewann. Den
Vollbart lernte man erst 1813 wieder kennen,
als die Russen und Kosacken durch Deutsch-
land zogen. Geradezu unheimlich kam dieser
große Bart der glattrasierten Menschheit vor,
aber gerade deswegen wurde er von Leuten
angenommen, die es darauf anlegten, ihren
Landesvätern und der Polizei unheimlich zu
erscheinen. Solche Bärte trugen die Freigeister,
Weltverbesserer und Demokraten, und so wurde
der Bart fast zu einem politischen Symbol
300
und Erkennungszeichen. Schnurrbärte waren
seit den Freiheitskriegen nur beim Militär
üblich. Der friedliche Bürger ließ sich weiter
balbieren und nur den Backenbart stehn, der
nur allmählich größer wurde und sich schließ-
lich unter dem Kinn vereinigte. Abweichungen
von diesen Moderegeln wurden wenigstens bis
zum Jahre 1848 immer als auffällig bemerkt
und unter Umständen mißliebig empfunden.
In Hessen verlief die Geschichte der Bart-
tracht wie gesagt im wesentlichen wie im übrigen
Deutschland. Daß Kurfürst W i l h e l m I. dem
Zopf noch einmal zu einer kurzen siebenjährigen
Renaissance verhalf, ist bekannt. Die Franzosen
hatten ihn abgeschafft, und das war ein Grund
genug für den Kurfürsten, um ihn wieder ein-
zuführen. Um die Bärte kümmerte er sich nur
insofern, als er dafür Sorge trug, daß seine
Gardisten Schnurrbärte hatten, wenn keine
echten, dann wenigstens falsche oder gemalte.
Die sonderbare Sitte, den bartlosen Gardisten
bei Paraden Schnurrbärte zu malen, hat ja
bekanntlich bis in die Regierungszeit des letzten
Kurfürsten gedauert. Der Schnurrbart galt
eben als ein notwendiges militärisches Requisit,
als ein Stück der Uniform.
Unter Kurfürst Wilhelm II., der selbst als
erster hessischer Fürst seit 160 Jahren wieder
einen Bart, Schnurrbart und Backenbart, trug,
änderte sich dies nicht wesentlich, wenn auch
die Zöpfe der Soldaten endgültig fielen. Aber
die Unzufriedenheit wuchs unter seinem selbst-
herrlichen Regiment, er mußte die Verfassung
geben, und die Bürgergarde entstand. Der
friedliche Bürgersmann fing an Soldat zu
spielen, und da zum Soldaten der Schnurrbart
gehörte, so fing auch auf mancher Zivilisten-
lippe der sonst sorgfältig rasierte Bart wieder
an zu sprossen. In der Bürgergarde aber
dienten nicht nur Gevatter Schneider und
Handschuhmacher, sondern auch kurfürstliche
Beamte, und unter den Referendarien, Asses-
soren und jüngeren Räten gab es einige, die
hinter ihren bürgerlichen Kameraden nicht zu-
rückstehn und auch einen militärischen Bart
haben wollten wie die richtige Soldateska.
Hätten sie ihn sich nur angemalt, wie die
Gardisten, so wäre ja das weiter nicht schlimm
gewesen, so aber hörten sie auf sich zu bar-
bieren und erschienen nicht nur auf dem Exer-
zierplatz sondern — horribile dictu — auch
auf den Bureaus mit ihren frischen Stoppeln
auf der Oberlippe. Darob allgemeines Entsetzen
unter den älteren Herren, die noch den richtigen
Zopf getragen hatten und die Zugluft der neuen
revolutionären Zeitströmung unangenehm
empfanden. Der Kurprinz-Mitregent
kam ihnen zu Hilfe. Er selber trug den kurz-
geschnittenen Schnurrbart wie sein hochverehr-
ter Oheim Friedrich Wilhelm III. von Preußen,
von dem er die Vorliebe für alle militärischen
Äußerlichkeiten und Kleinlichkeiten angenom-
men hatte. Für ihn gehörte der Schnurrbart
zur Uniform und zwar nur zur militärischen,
und eine Änderung der Staatsdieneruniform
konnte ohne seine Einwilligung nicht vorge-
nommen werden. Und für die Bürgergarde
hatte er so wie so nicht allzuviel übrig. So
erging denn an die Ministerien ein Reskript,
wonach „Se. Hoheit das Tragen eines Schnurr-
barts im Dienst oder bei der Dienstkleidung
der Zivilstaatsdiener umsomehr für unstatthaft
erachteten, als jener zu den militärischen Ab-
zeichen gehöre" und diese allerhöchste Willens-
meinung wurde durch Protokoll vom 22. De-
zember 1831 den Direktoren der einzelnen
Kollegien zur geeigneten Nachachtung eröffnet.
Das Schnurrbartreskript fiel in eine auf-
geregte Zeit. Wenige Tage vorher am 7 De-
zember war in der sog. ersten Gardedukorps-
nacht Bürgerblut in Kassel geflossen, und die
Stimmung der Bevölkerung gegen die Regie-
rung und das Militär war sehr gereizt. Das
Schnurrbartverbot erschien als ein Eingriff
in die persönliche Freiheit des deutschen Bür-
gers, die doch eben erst durch die Verfassung
sanktioniert war Wenn auch nur wenige da-
durch betroffen wurden, so erhitzten sich doch
auch die Gemüter derjenigen, die nie daran
dachten, sich selber einen Schnurrbart wachsen
zu lassen. Die Presse griff die Angelegenheit
auf, die zu einer Prinzipienfrage gestempelt
wurde, und schließlich kam es sogar zu einer
Interpellation in der Ständeversammlung.
Die denkwürdige Sitzung fand am 3. Januar
1832 statt, fünf Tage vor der 1 Jahresfeier
der Verfassung, die hier wieder mal von der
Despotie mit Füßen getreten sein sollte. Die
Angelegenheit schien so wichtig, daß der Vater
der Verfassung, der gefeierte Sylvester
Jordan selbst das Wort ergriff, um die Re-
gierung zur Rede zu stellen. Er müsse sich
eine Frage an den Landtagskommissar er-
lauben, so führte er aus, die an sich kleinlich,
ja lächerlich erscheine, aber doch tief in das
Wesen unserer Verfassung selbst eingreife. Er
habe gehört und sogar in öffentlichen Blättern
gelesen, den Zivilstaatsdienern sei verboten
worden, beim Erscheinen im Dienst oder in
ihrer Dienstkleidung Schnurrbärte zu tragen.
rrsrL, 301 S«KSL>
Das sei gegen den § 31 der Verf.-Urk., wo-
nach die persönliche Freiheit nicht mehr be-
schränkt werden dürfe. Ja sogar ein Ministe-
rialreskript gleichen Inhaltes solle dem Ver-
nehmen nach erlassen sein. Ob das wirklich
wahr sei? er könne es gar nicht glauben. An
den Bart eines Mannes dürfe sich doch sogar
nicht einmal der türkische Sultan
heranwagen. Der Bart sei ein persön-
liches Eigentum, ein Anhängsel der Person,
und das Arbeiten an der Person, das Modeln
daran, wie an einer Puppe, sei ein Eingriff
in die persönliche Freiheit, die dadurch in
eine wahre Leibeigenschaft verwandelt
würde.
Die starken Worte des Volkstribuns fanden
jedoch nicht ganz das erwartete Echo in der
Ständekammer Die glattrasierte Mehrheit
hatte wohl das richtige Gefühl, daß sein Pathos
einer besseren Sache würdig gewesen wäre.
Als Vertreter der Schnurrbartgegner ergriff
der Finanzkammerrat Wilh. v. Baumbach,
ein alter Freiheitskämpfer und Ritter des
Eisernen Helms, das Wort und sprach sein Be-
dauern darüber aus, daß die Stände mit solchen
unbedeutenden Dingen behelligt würden. Man
habe doch wirklich Wichtigeres zu tun. Übri-
gens sei seines Erachtens ein Schnurrbart für
einen Zivilstaatsdiener und insbesondere für
einen, der ein Richteramt bekleide, eine höchst
unpassende Dekoration, deren Tragen schon
längst hätte verboten werden sollen.
Jordan mußte darauf zugeben, daß er
selber für seine Person auch, kein großer Freund
der Schnurrbärte sei. Er habe nie einen ge-
tragen und werde auch in Zukunft sich keinen
wachsen lassen. Hier handele es sich aber um
ein Prinzip; denn ebenso gut könne man ja
den Beamten ansinnen, sich wie Mönche zu
scheren, oder einen Haarbeutel von bestimmter
Größe zu tragen.
Ein Vertreter des liberalen Bürgertums,
der Tabaksfabrikant Strubberg (Vater des
Reiseschriftstellers Armand) kam ihm zu Hilfe.
Er war als junger Mann aus Holland in
Kassel eingewandert und hatte damals miter-
lebt, wie Landgraf Wilhelm IX. durch ein
drastisches Mittel den aufkommenden Revo-
lutionsgeist in der Mode zu bekämpfen suchte.
Damals mußten die Kasseler Eisengefangenen
im französischen Kostüm mit langen Hosen und
hohen Zylinderhüten die Straßen kehren und
die Winkel reinigen. Er erinnerte also die
Stände an das französische Kleiderverbot des
Landgrafen von 1796 und daß schließlich die
Franzosen selber gekommen seien und ihre
neuen Moden mitgebracht hätten. Sehr rich-
tig bemerkte er, daß man Modesachen dem
freien Willen des Einzelnen überlassen müsse.
Hier sei man aber in Gefahr, nächstens von
Regierungs wegen barbiert zu werden.
Der Präsident Friedrich v. Trott, der
spätere Minister, suchte vergeblich die Debatte
von dem sonderbaren Thema abzulenken. Er
könne nicht einsehn, wozu diese Diskussion
eigentlich führen solle, halte auch die Frage
Jordans für geschäftsordnungswidrig. Der
hartnäckige Tiroler ließ aber nicht locker Man
müsse tiefer in die Sache eindringen, sie sei
sehr wichtig, die Verfassung sei verletzt.
Es entspann sich eine längere Geschäftsord-
nungsdebatte, in deren Verlauf der Deputierte
Scheuch II, Advokat zu Gudensberg und einer
der fleißigsten Redner der Kammer, sich auf die
Seite des Präsidenten stellte, während der Ober-
appellationsgerichtsrat Pfeiffer (der sog. prak-
tische Pfeiffer) Jordans Partei ergriff, beide
aber erklärten, der Gegenstand wäre besser in
der Ständekammer gar nicht berührt worden.
Als Jordan noch einmal seinen Unwillen
darüber aussprach, daß der Landtagskom-
missar, der doch sonst seine Fragen beantworte,
sich in Schweigen hülle, da meldete sich endlich
dieser, es war der Ministerialrat M e i st e r -
lin, zum Wort mit der Erklärung, er müsse
es doch sehr bezweifeln, ob die Ständeversamm-
lung Lust habe, ihre ernsten Geschäften gewid-
mete Zeit mit solchen Ergötzlichkeiten hinzu-
bringen.
. Noch einmal brauste Jordan auf es handle
sich um keine Ergötzlichkeiten, die Folge werde
es lehren. Wenn aber die Versammlung jetzt
nicht auf die Frage eingehen wolle, dann werde
er einen entsprechenden Antrag stellen.
Nachdem noch der Landtagskommissar
lächelnd die Versicherung abgegeben hatte, die
Regierung warte auf diesen angedrohten An-
trag und fürchte ihn nicht, führte Karl
Schomburg den Schluß der Debatte herbei,
indem er vorschlug, darüber abzustimmen, ob
man vor Stellung eines Antrags auf Jordans
Anfrage eingehen solle, deren Gegenstand an
sich doch recht unbedeutend sei.
Es wurde also abgestimmt und das Resultat
war eine völlige Niederlage Jordans. Tie
Schnurrbartsgegner hatten gesiegt und zwar
war der Sieg ein dauernder, denn Jordan
führte seine Drohung nicht aus und kam auf
die Angelegenheit in öffentlicher Sitzung nicht
wieder zurück. Tie hessische Staatsmaschine
302 S-WL»
ging ihren Gang weiter auch ohne Schnurr-
bärte, aber der Keim der Unzufriedenheit und
Mißstimmung blieb gewiß bei manchem
Staatsdiener zurück, der sich damals nolens
volens hatte rasieren müssen.
Vielen unserer Zeitgenossen wird diese ganze
Geschichte recht lächerlich erscheinen. Lächerlich,
daß man die Beamten ihrer Lippenzierde be-
raubte, lächerlich, daß man diesen Raub zu
einer parlamentarischen Haupt- und Staats-
aktion zu stempeln suchte. Man darf aber
solche Dinge nicht mit dem Maßstabe der heuti-
gen Anschauungen messen. Daß die sehr zur
Opposition neigende hessische Ständekammer
schließlich den Vorstoß ihres Lieblings Jordan
nicht unterstützte, beweist, wie sehr ihre meisten
Mitglieder im Grunde ihres Herzens die
Schnurrbarttracht d« Beamten doch als extra-
vagant, wenn nichl, wie Baumbach sich aus-
drückte, als „höchst unpassend" empfand. Mußte
doch Jordan selber zugeben, daß auch er kein
Freund der Schnurrbärte sei. Die Mode
ist eben von jeher eine Tyrannin gewesen,
wenn auch heute nicht mehr ganz so wie
früher Aber wie lange ist es her, daß ein
evangelischer Geistlicher einen Schnurrbart
tragen darf, ohne bei seinen Vorgesetzten und
seinen Gemeindegliedern Anstoß zu erregen!
In England, dem typischen Lande der
Freiheit, war der Schnurrbart im Heere bis
1840 streng verboten, und die Richter dieses
Landes tragen noch jetzt die Perücken des
17. Jahrhunderts. In der österreichischen
Armee herrscht erst seit 1869 völlige Bartfrei-
heit, bis auf das Regiment der Windischgrätz-
dragoner, das freilich seine Bartlosigkeit als
ein Ehrenrecht empfindet. In der preußischen
Garde war bis in die feuere Zeit das aus-
rasierte Kinn vorgeschrieben, und daß bis auf
den heutigen Tag in der deutschen Reichs-
marine das Tragen des bloßen Schnurrbarts
verpönt ist, das wissen nicht nur die Barbiere
von Kiel und Wilhelmshaven. Einen sog. ver-
nünftigen Grund für derartige Beschränkungen
wird man wohl kaum finden können, und
wenn auch hier und da einer der davon Be-
troffenen sich dadurch beschwert fühlen mag,
so wird doch vermutlich der deutsche Reichs-
tag wohl nie eine Schnurrbartdebatte haben,
wie einst der hessische Landtag von 1832.
------------------------
Nachrichten zur Kasseler Tausendjahrfeier.
Der e n b g i 111 g e Festzugsweg. Nach ein-
gehenden Erwägungen und wiederholtem Befahren hat
das Königliche Polizeipräsidium folgende Festzugsstraßen
genehmigt:
Die Spitze des etwa 3200 Personen umfassenden
Fuges befindet sich auf dem Kaiserplatz, Ecke Murhard-
straße. Er bewegt sich durch die Kaiserstraße, Hohen-
zollernstraße bis zum Ständeplatz. Die dort befindliche
Fontäne umkreisend, geht er weiter durch die Friedrichs-
straßc nach dem Wilhelmshöher Platz, obere Königs-
straße, Königsplatz, rechts abbiegend und den Platz um-
kreisend bis zur Kölnischen Straße. Diese aufwärts,
über den Fricdrich-Wilhelms-Platz, das Denkmal links
liegen lassend, durch die Kurfürstenstraße zum Bahn-
hofsplatz, Bahnhosstraße, Lutherstraße, Mauerstraße, Hed-
wigstraße, die untere Königstraße durchkreuzend zum
Martinsplatz. Um die Martinskirche herum, durch die
Hohentorstraße in die untere Königstraße einbiegend
bis zum Holländischen Tor. Vor der Volksküche um-
biegend zurück durch die Holländische Straße zum Schü-
tzenplatz. Durch die Artilleriestraße und Fischgasse zum
Altmarkt. Auf der linken Seite der Fuldabrücke über
den Holzmarkt, um den Unterneustädter Kirchplatz herum
bis zur Bettenhäuserstraße. Durch die Mühlengasse
ivieder bis Holzmarkt. Über die Fuldabrücke zurück, Alt-
markt, Brüderstraße, Marställerplatz, Schloßpjatz, Stein-
weg, Friedrichsplatz. Links umbiegend zum Theater
Uber die Schöne Aussicht, Friedrichsstraße zum Wil-
helmshöher Platz. Durch die Wilhelmshöher Allee bis
zum Wilhelmsplatz, wo sich der Zug auflöst.
Durch diese Straßenfolge wird erreicht, daß die Auf-
lösung in der Nähe der Sammelplätze erfolgt. Die vom
Wilhelmsplatz ausgehenden verschiedenen Straßen er-
möglichen einen geordneten Abmarsch.
Festspielaufführungen in der Stadt-
halle. Am 26., 27., 29. und 30. September finden
Aufführungen des preisgekrönten Festspiels „1385" statt.
Der durchschnittliche Eintrittspreis beträgt 2 M., das
Tetxbuch wird für 50 Pfennig abgegeben. Bei Voraus-
bestellungen mit Angabe des gewünschten Abends werden
die Karten bereit gehalten. Auch für die Vorstellungen
im König!. Hoftheater werden Karten im Empfangsge-
bäude ausgegeben.
Festkommers in der Stadthalle. Zu dem
am Sonntag abend stattfindenden Festkommers kann nur
eine beschränkte Anzahl von Karten ausgegeben werden.
Die übrigen Festteunehmer werden Gelegenheit haben,
in anderen Sälen, z. B. in der Faßhalle, zu feiern. Da
die Wünsche der auswärtigen Festgäste in erster Linie
berücksichtigt werden sollen, werden diese um rechtzeitige
Anmeldung gebeten. Die Eintrittskarte für den Fest-
kommers kostet bei freier Garderobe 3 Mark, in welchem
Betrag der Preis für eine Flasche Festwein eingeschlossen
ist. Für Damen stehen lediglich Zuschauerkarten für die
Galerie zum Preise von 2 Mark zur Verfügung.
Hessisches Heimatsfestin derKarlsaue.
Die Dauerkarte für sämtliche Veranstaltungen vom 27.
bis 30. September kostet 1 Mark, für Kinder die Hälfte.
Tageskarten zum Preise von 30 Pfg. beziehungsweise
10 Pfg. für Kinder sind am Eingang zum Festplatz zu
haben.
Tribünen. An verschiedenen hervorragenden Punk-
ten der vom Fcstzug berührten Plätze und auf dem
Sportplatz des Hessischen Heimatfestes werden Tribünen
sm(L> 308 wwt.
errichtet. Vorausbestellungen nimmt die Firma Hein-
rich Apell, Opernstraße 8, zum Preis qon 2—5 Mark
entgegen.
Kartenbestellung. Im Interesse der Festteil-
nehmer empfiehlt es sich dringend, die erforderlichen Aus-
weiskarten vorauszubestellen. Karten können in der Aus-
kunftsstelle des Verkehrsvereins am Bahnhof (rechts
vom Ausgang) und in der Freyschmidt'schen Buchhand-
lung, obere Königstraße 12, zu Originalpreisen in Emp-
fang genommen werden. — Alle weiteren frühzeitig
eingehenden Anfragen erledigt: Stadtverkehrsamt im,
Rathaus, Zimmer 81—83.
Der Sanitätsdien st bei der Tausend-
jahrfeier. Auf Wunsch des Magistrats werden zur
Tausendjahrfeier 12 Sanitätswachen für plötzliche Un-
glücksfälle errichtet. Während des Festzuges treten sämt-
liche Sanitätskolonnen aus Kasses und der Umgegend an;
sie werden in den Straßen der Stadt aufgestellt und
patrouillieren, alle 50 Meter wird ein Sanitäter zu
finden sein. Weitere Sanitätswachen werden auch in
der Stadthalle und im Orangerieschloß in der Aue unter-
gebracht.
Po st amt beim Heimatfest. Während der Dauer
des Heimatfestes zur Jahrtausendfeier wird im Orangerie-
schloß in der Karlsaue eine P o st st e l l e mit Fernsprech-
automaten, Briefabfertigung, Telegrammaufgabe usw.
eingerichtet. Für die Abstempelung der Marken gelangt
ein besonderer Entwertungsstempel zur Verwendung, der
den Aufdruck „Tausendjahrfeier Kassel" trägt. Die von
der Stadtverwaltung als „offiziell" bezeichneten P o st -
karten — zehn Bilder aus der Kasseler Geschichte —
von Akademieprofessor Adolf Wagner werden rechtzeitig
vor dem Fest in den Handel kommen.
Die Landesbibliothek beabsichtigt, nach er-
folgtem Umbau, zur Tausendjahrfeier eine Ausstellung
historischen Urkunden-, Bücher- und Bilder-Materials zu
veranstalten, das sich auf die Geschichte der Residenz
bezieht.
Die Festsitzung des Kasseler Lehrerver-
eins zu Ehren der Tausendjahrfeier der Stadt Kassel
findet am 24. September, abends 8 Uhr, im kleinen
Stadtparksaale statt. Der Festakt umfaßt die Begrüßungs-
rede des Vorsitzenden, kurze Festansprachen der Herren
Kreitz und Kimpel, der Herausgeber des der Stadt ge-
widmeten Werkes: Die Entwicklung der Kasseler Volks-
schulen. Weiter wird Oberbürgermeister t)r. Scholz
sprechen.
Der Festkommers der städtischen Beam-
te« - ans--Anlaß der Tausendjahrfeier der Stadt, findet
am 20. September im großen Stadtparksaale statt. Die
städtischen Behörden werden daran teilnehmen. Im
Mittelpunkte des Abends steht die Aufführung der Fcst-
dichtung „Glückliche Sterne über Kassel" von Paul Dietz.
Die offizielle Tausendjahrfeier-Me-
daille der Stadt Kassel, die nach dem Entwurf von
Professor Hermann Dürrich-Kassel im Hühnschen Kunst-
verlag erschien, ist vor allem als wertvolles Schaustück
für die alteingesessenen Familien Kassels bestimmt. Fer-
ner soll sie als Ehrengabe der Stadt hervorragenden
Teilnehmern an der Feier überreicht werden und Kasse-
lanern aus allen Weltteilen, die zu dem Feste herbei
kommen, eine bleibende Erinnerung sein. Das in ver-
schiedenen Edelmetallen hergestellte Kunstwerk hat allent-
halben großen Anklang gesunden, ebenso sind, wie wir
hören, von der kleinen mit Schleife in den Farben der
Stadt oder mit Kettchen versehenen Medaille bis jetzt
über 12 000 Stück abgesetzt.
Sonderzüge zur Tausendjahrfeier. Die
Einlegung von Sonderzügen zum ermäßigten Preise von
l3/* Pfennig für das Kilometer kommt nur dann in
Frage, wenn die tarifmäßigen Voraussetzungen für Gc-
sellschaftssonderzüge gegeben sind, d. h. wenn die Lösung
von mindestens 230 Fahrkarten dritter Klasse gewähr-
leistet wird. Anmeldungen werden vom Stadtverkehrs-
amt Kassel entgegengenommen. Unabhängig hiervon
wird die Eisenbahnverwaltung je nach Bedarf für die
Einlegung von Verstärkungszügen zum gewöhnlichen Preis
Sorge tragen.
----------------
Aus Heimat und fremde.
90. Geburtstag. Am 24. August beging der aus
Kassel stammende Bildhauer Professor Heinrich Ger-
hardt in Rom, ein Schüler Werner Henschels, seinen
90. Geburtstag. Von Gerhardt sind besonders bekannt
geworden seine Skulpturen für die Villa Brandt, „Der
Brunnenhof" bei Zürich. Um das deutsche Kunstleben
in Rom und um die Heranbildung des künstlerischen
Nachwuchses hat Gerhardt sich außerordentlich große
Verdienste erworben. Er ist Ehrenpräsident des Deutschen
Künstlervereins in Rom. Ferner ist Gerhardt zum In-
spektor der Serpentara bestellt, des 1873 geschenkweise
in den Besitz des Deutschen Reiches gelangten berühmten
Eichenhains bei Olevano im Sabinergebirge, in dem so
viele unserer bedeutendsten deutschen Landschaftsmaler
ihre Studien gemacht haben, über die Professor Ger-
hardt, wohl dem letzten aus dem Künstlerkreise um
Böcklin, erwiesenen Ehren wird dem „Berliner Lokal-
anzeiger" berichtet: „Auf Einladung des deutschen Flot-
tenvereinszu Rom fand sich eine Schar Deutscher in dem
Eichwald Serpentara zusammen, um den neunzigsten Ge-
burtstag des Bildhauers Professors Gerhardt, Vorsitzen-
den des Flottenvereins, zu feiern. Bei einem ländlichen
Mahl im Waldschatten, geliefert von der altberühmten
Äünstlerherberge Casa Baldi, gedachte Dr Noack mit
geschichtlichem Rückblick auf die Geschichte des deutschen
Künstlertums des Geburtstagskindes, seiner Beziehungen
zur historischen Stätte der Serpentara und seiner Ver-
dienste um die Pflege des Deutschtums in Rom, wie
um den Flottenverem. Bei herrlichem Wetter verlief
das Fest in bester Stimmung. Von der Kunstakademie
in Berlin war Professor Manzel entsandt, der dem
Jubilar eine Glückwunschadresse der Akademie und ein
Medaillonbild des Kaisers, sowie den Kronenorden zweiter
Klasse überbrachte. Unter zahllosen brieflichen und tele-
graphischen Glückwünschen waren viele von ehemaligen
Kunststipendiaten, außerdem vom italienischen Unter-
9*3^ 304 SSLL.
richtsminister Credaro, von der römischen Akademie
San Luca, den deutschen Konsuln, vom Fürsten und
der Fürstin Bülow. Das Fest verlief außerordentlich
harmonisch." - Seiner Batcrstadt Dassel hat Professor
(Gerhardt bekanntlich als ein Werk seiner Hand vor
längeren Jahren die kleine Brunnenfigur in Bronze
auf dem Opernplatz gestiftet.
Todesfälle. Dem am 3. Juni d. F. zu Berlin-
Grunewald verstorbenen Inhaber der bekannten Werk-
zeugmaschinenfirma Schuchardt & Schütte, Bernhard
Schuchardt widmen die „Monatsblätter des Berliner
Bezirksvereins Teutscher Ingenieure" folgenden Nach-
ruf:
Schuchardt wurde im Jahre 1855 in Kassel geboren.
Seine kaufmännische Ausbildung genoß er in England.
Größere im Auslande unternommene Geschäftsreisen
gaben ihm schon in jungen Jahren Einblick in die in-
dustriellen Berhältnisse Europas. Im Herbst 1880 wurde
er Mitbegründer der Firma Schuchardt & Schütte in
Berlin, die anfangs im bescheidensten Umfange betrieben
wurde. Als im Jahre 1800 deutsche Eisenhüttenleute
eine Reise nach Amerika unternahmen, befand sich
Schuchardt in ihrer Mitte. Er sah die damalige Über-
legenheit des amerikanischen Werkzeugmaschinenballes und
fühlte, daß hier Vorbilder für die deutsche Industrie
waren. Seine Firma betrieb nun die Einfuhr amerika-
nischer Werkzeugmaschinen nach Deutschland und hatte
einen vollen Erfolg damit zu verzeichnen. Hieran
schlossen sich im Laufe der Jahre die Gründung von
Zweighäusern der Firma Schuchardt & Schütte in Wien,
Stockholm, New - Bork, St. Petersburg, Kopenhagen,
Budapest, Prag und London an. Der deutsche Werk-
zeugmaschinenbau fand in den eingeführten Maschinen
Anregungen, die auf seine Entwickelung einwirkten.
Schuchardt erkannte, das; den deutschen Fabriken größere
Absatzgebiete zu erschließen waren, wenn mit der neu-
zeitlichen Bauart der Maschinen auch neuzeitliche Arbeits-
verfahren Platz greifen würden, wie dies in Amerika der
Fall gewesen ist, und war deshalb stets bemüht, auch
solchen neuen Arbeitsmethoden in Deutschland Eingang
zu verschaffen. Im Jahre 1005 unternahm er eine
große Reise, die ihn in alle Weltteile führte. In
Shanghai und Tokio wurden eigene Häuser, in Austra-
lien und Südamerika Vertretungen errichtet. Bei allen
seinen Unternehmungen ließ sich Schuchardt stets von
dem Grundsätze strengster Rechtlichkeit lenken. Das Ver-
trauen, das er und seine Firma sich im Laufe vieler
Jahre erworben hatte, wollte er bewahrt und behütet
wissen. Er war Kgl. Norwegischer Generalkonsul, Kgl.
Preußischer Kommerzienrat und Inhaber verschiedener
Orden. Schlicht wie seine Denkungsweise blieb auch sein
Auftreten. Wer je diesem seltenen Menschen in die
gütigen, klaren Augen gesehen, der vergaß dieses feine,
durchgeistigte Antlitz nie.
Am 21. August verschied zu Kassel der Kgl. Land-
gerichtsdirektor Geh. Justizrat W i l h e l m S ch r o e d e r.
Er wurde in Kassel am 28. Dezember 1851 als der
zweite Sohn des Kaufmanns und Eisenhändlers Wilhelm
Schröder am Druselplatz geboren, besuchte das Friedrichs-
Gymnasium, das er 1871 mit dem Reifezeugnis verließ,
um sich dem Studium der Rechtswissenschaften in Mar-
burg, Göttingen und Leipzig zuzuwenden. 1877 legte
er die erste juristische Staatsprüfung ab, wurde zum
Gerichtsreferendar ernannt und trat in den Vorberei-
tungsdienst im Bezirke des Ober-Apellationsgcrichts in
Kassel ein. Nachdem er seiner militärischen Dienstpflicht
bei der Artillerie in Fritzlar genügt hatte, bestand er
1888 die große juristische Staatsprüfung und wurde zum
Assessor ernannt. Er wurde hierauf bei dem Amts-
gericht in Kassel beschäftigt, trat 1884 in den nassauischen
Landgerichtsbezirk über, wurde als Hilfsarbeiter bei der
Staatsanwaltschaft zu Wiesbaden beschäftigt und 1889
zum Amtsrichter am Amtsgericht zu Idstein im Taunus
ernannt. 1804 wurde er als Landrichter an das Land-
gericht zu Altona versetzt. Nachdem er 1897 zum
Landgerichtsrat befördert war, wurde er 1901 zum Ober-
landesgerichtsrat ernannt und an das Oberlandesgericht
zu Hamm versetzt. Von dort kam er, nachdem er zum
Landgerichtsdirektor ernannt war, 1907 nach Kassel. Bis
vor wenigen Wochen, wo zunehmende Krankheit ihn
zwang, seine Tätigkeit aufzugeben und in Urlaub zu
gehen, war er als Direktor der Strafkammer II und auch
zeitweise der Strafkammer I, ferner wiederholt als Vor-
sitzender des Schwurgerichts mit anerkanntem Erfolge als
hervorragender Jurist und energischer Verhandlungs-
leiter tätig. Der Verstorbene bekleidete mehrere Ehren-
stellen, so war er Vorsitzender des Borstehcramtes der
ev.-luth. Kirchengemeinde, Vorsitzender des Verbandes
zum Schutze der gefährdeten Jugend- und zweiter Vor-
sitzender des hessischen Geschichtsvereins. 1911 wurde
ihm der Charakter als Geh. Justizrat verliehen.
Am 30. August verstarb zu Kassel im Alter von 55
Jahren nach kurzem Krankenlager Plötzlich und uner-
wartet infolge Herzschlags der in weiten Bürgerkreisen
geschätzte Arzt Sanitätsrat l)r. Heilbrun.
Als Spezialist für Frauenleiden war der Verstorbene ein
gesuchter Arzt. Neben seiner anstrengenden beruflichen
Tätigkeit hat er seine Kräfte in den Dienst mancher
Wohlfahrtseinrichtungen gestellt, für die er mit großem
Eifer gewirkt hat. Das Vorsteheramt der Israeliten und
der Schulvorstand der hiesigen jüdischen Gemeinde ver-
lieren in dem Verstorbenen ein eifriges Mitglied, dessen
früher Heimgang herzlichste Teilnahme erweckt und dessen
Andenken stets in Ehren gehalten werden wird.
Der ordentliche Professor für bürgerliches Recht und
Zivilprozeß an der Universität Berlin, Geh. Justizrat
K o n r a d H e l l w i g , ist am 7. September in seiner
Villa im Grunewald gestorben. Hellwig ist ein ge-
borener KKrhesse. Er wurde am 27. Oktober 1856
zu Zierenberg geboren. Seinen Ruf als hervorragender
Rechtslehrer begründete er während seiner 14 jährigen
Tätigkeit als ordentlicher Professor an der Universität
Erlangen, die die Zeit von 1888 bis 1902 umfaßte,
während er 1883 Privatdozent in Leipzig geworden war
und von da einem Rufe als außerordentlicher Professor
nach Rostock und sodann als Ordinarius nach Gießen
folgte. Die zahlreichen Schüler Hellwigs, namentlich
aus seiner Erlanger Zeit, wo die kleineren Verhältnisse
die intensive Beschäftigung des Dozenten mit den Stu-
denten ermöglichten, haben die instruktive Lehrtätigkeit
Hellwigs in den praktischen Übungen über Zivilprozeß
und Konkursrecht in bester Erinnerung. Neben anderen
Schriften war es das tiefgründige Werk „Verträge bei
Leistungen an Dritte", 1899, unter Berücksichtigung des
damals neuen bürgerlichen Gesetzbuches, mit dem Hell-
wig die Aufmerksamkeit der Fachkreise in höherem Maße
auf sich lenkte und dem er 1902 die Berufung als
Ordinarius an die Berliner Universität mit gleichzeitiger
Ernennung zum Geh. Justizrat verdankte. Mit der
weiteren Lehrtätigkeit dehnte er auch sein literarisches
Arbeitsfeld aus und schuf das dreibändige Lehrbuch des
Zivilprozeßrechtes, in dem Hellwigs eigenartige theore-
tische Fundierung der prozessualen Grundlagen Beach-
tung fand. Hellivig wandte sich neuerdings auch mit
populären Abhandlungen an weitere Kreise. In seiner
stattlichen Villa, die er sich an der Auerbachstraße beim
Bahnhof Grunewald erbaut hatte, wurde Hellwig am
305
vorgestrigen Sonntage vom Tode ereilt. Wer den rüstigen
Mann die Jahre hindurch bei jedem Wetter den weiten
zur Universität hatte radeln sehen, hätte sicher nicht an
dieses rasche Ende geglaubt. Die Beisetzung des Ver-
storbenen erfolgte in Kassel. Hellwig war übrigens ein
Kasseler Schulkamerad des Kaisers, der sich wiederholt
von ihm Vorträge im Justizministerium halten lies;.
Am 11. September verschied zu Fulda der Justizrat
Rudolf Gegenbaur im Alter von 55 Jahren,
nachdem er wenige Tage zuvor noch in der Stadt-
verordnetensitzung das sogenannte „Verschandlungsgesetz"
durchgedrückt hatte. Er war der Sohn des bekannten
Geschichtsforschers und Professors Joseph Gegenbaur,
studierte nach Besuch des Fuldaer Gymnasiums in Münster
und Berlin und ließ sich später in seiner Vaterstadt als
Rechtsanwalt nieder. 1905
wurde er zum Justizrat er-
nannt. Seit 1889 war er
Mitglied der städtischen Kör-
perschaften, seit 1902 Stadt-
verordnetenvorsteher.
Nach langem Krankenlager
verschied am 23. August der
Kgl. Kommissionsrat, Univer-
sitäts- und Verlagsbuchhändler
Wilhelm Braun, eine der
bekanntesten Persönlichkeiten
Marburgs und weit darüber
hinaus bekannt, geachtet und
geehrt, hatte doch sein Name
und der seiner Firma, der
N. G. Elwertschen Uni-
versitäts-undVerlags-
buchhandlung guten Klang
im ganzep deutschen Buch-
handel. Geboren zu Reutlingen
am 29. Mai 1842, wurde er
1873 nach dem Tode seines
Onkels N. G. Elwert Inhaber
der N. G. Elwertschen Univer-
sitätsbuchhandlung nebst Buch-
druckerei, während der Verlag
von ihm gemeinschaftlich mit
seinem Schwager Carl Theile
übernommen wurde. Am 18.
Januar 1883 wurde er Allein-
inhaber der Firma, nachdem
sein Schwager bereits 1878
gestorben und die Buchdruckerei
verkauft worden war. So sind
es fast 40 Jahre, daß Braun
die bedeutende Firma allein zu leiten hatte. In dieser
Zeit wurde sie von ihm aus einem kleinen Provinzial-
Sortiment zu einer weltbekannten Buchhandlung empor-
entwickelt. Besondere Pflege widmete er dem Verlag, in
dem Werke von weittragender Bedeutung erschienen sind.
Aus dem stattlichen Verlagskatalog seien nur einige
Werke genannt: vor allem Könneckes Bilderatlas zur
Geschichte der deutschen Nationalliteratur, das Lehrbuch
des bürgerlichen Rechts von Enneccerus, Kipp und Wolfs,
Claus-Grobben, Lehrbuch der Zoologie, u. a. Vilmars
Nationalliteratur ist mit dem Namen Elwert eng ver-
knüpft. Neben vielen Werken, die Braun von bedeuten-
den Schriftstellern anvertraut wurden und die ihm zwar
Ehre, aber oft recht wenig Gewinn einbrachten, verlegte
er seit 25 Jahren die vom Geh. Rat Viktor heraus-
gegebene Zeitschrift „Die neuen Sprachen", die auf ihrem
Gebiete grundlegend wurde. Seit 13 Jahren erscheint
ferner die Zeitschrift „Teutsch-Evangelisch im Auslande"
Università- und Verlagsbuchhändler
Kominissionsrat Wilhelm Braun in Marburg f.
in seinem Verlage. Besonders aber widmete er sich dem
hessischen Verlag, in dem die N. G. Elwertsche
Verlagsbuchhandlung heute unbestritten die erste Stelle
einnimmt. Publikationen wie die Bau- und Kunstdenk-
mäler des Regierungsbezirks Kassels, Bickells hessische
Holzbauten, Justis hessisches Trachtenbuch, Veröffent-
lichungen der Historischen Kommission für Hessen und
Waldeck, Hehlers hessische Landes- und Volkskunde, Holt-
meyers Alt-Hessen sind meist vorbildlich für andere
Landesteile Deutschlands geworden. Der zunehmende
Umfang des Geschäfts machte wiederholt eine räumliche
Ausdehnung notwendig, so daß das angrenzende Haus
Reitgasse 9 von Braun hinzuerworben und an Stelle
des alten Druckereigebäudes am Pilgrimstein ein Neubau
mit größeren Lagerräumen für Verlag und Antiquariat
errichtet werden mußte. Seit
langen Jahren stand ihm sein
Sohn, Hofbuchhändler Gottlieb
Braun, in der Leitung des
Geschäftes zur Seite. Wenn
der Verstorbene auch ganz in
seinem Berufe aufging, so fand
er doch Zeit, sich auch städtischen
Angelegenheiten zu widmen.
Als Mitglied des Magistrats
hat er lange Jahre gewirkt
und sich als Armenpfleger und
Mitglied zahlreicher Kommis-
sionen vielfache Verdienste er-
worben. Für den Akademischen
Konzertverein, für den Deut-
schen Schulverein usw. war er
ebenfalls erfolgreich tätig.
Persönlich schlicht und einfach,
von größter Bedürfnislosigkeit,
war er das Bild eines Buch-
händlers vom alten Schlag.
Sich nur selten Erholung und
Ruhe gönnend, lebte er ganz
seinem Berufe. Im April
dieses Jahres wurde er von
einer tückischen Krankheit be-
fallen, die ihn monatelang
an das Krankenbett fesselte.
Fast genesen, suchte er Er-
holung in Bad Soden, wo
er leider einen Rückfall erlitt,
dem seine unverwüstlich er-
scheinende Natur erliegen sollte.
Er ruhe in Frieden!
F.
Der am 3. August im 61. Lebensjahre zu Kassel ver-
schiedene Rentier K. Rudolph ist, so sehr ein Hervortreten
in der Öffentlichkeit seinem Wesen fremd war, doch im Laufe
der Zeit durch sein lebhaftes Interesse für die kurhessische
Vergangenheit und durch die umfangreichen Samm-
lungen, die er aus diesem Interesse heraus angelegt
hatte, über den Kreis seiner persönlichen Freunde hinaus
vielen Verehrern der hessischen Geschichte und Heimats-
kunde bekannt geworden. Für manchen Leser dieser Zeit-
schrift wird es deshalb von Interesse sein, einiges über
die Lebensumstände dieses treuen Sohnes seiner hessischen
Heimat zu erfahren. Konstantin Rudolph entstammte
einer niederhessischen Familie, die in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts nach Kassel übergesiedelt war
und deren in Hessen ansässig gebliebener Zweig mit
dem Verstorbenen erlischt. Er war als Sohn eines kur-
hessischen Juristen, des Oberfinanzkammer-Sekretärs
Theodor Emil Rudolph und dessen Gattin Betty geb.
S*«L- 306 NStL.
Krüger am 12. Juli 1852 zu Kassel geboren. Seine
Großeltern, deren er gern gedachte, waren väterlicherseits
der furfürftl. hessische Geheime Oberbaurat Johann Kon-
rad Rudolph (1784—1844), der sich als Architekt einen
guten Namen gemacht hat, und Katharina Elisabeth geb.
Bachmann aus Merseburg. Der Großvater mütterlicher-
seits, der Apotheker Georg Friedrich Christian Krüger,
war aus Tabarz in Thüringen gebürtig und seit dem
Jahre 1819 in Kassel in der Sternapotheke des Hof-
apothekers Johann Heinrich Gottlob Schwarzkopf als
Provisor tätig. Er heiratete später dessen Nichte, die
Witwe des Apothekers Johann Heinrich Gottlob Hartung,
Elisabeth Christine geb. Humburg, eine Tochter des
Kasseler Stadtrats Valentin Humburg, und führte bis
zum Jahre 1841 für deren Sohn erster Ehe, den späte-
ren Obermedizinalassessor Dr. Heinrich Hartung-Schwarz-
kopf, die Verwaltung der Sternapotheke. Pate des Ver-
storbenen war ein Schwager der Großmutter, der Kom-
mandant der Festung Spangenberg, Major Konstantin
Gimpel, Vater der vor einigen Jahren verstorbenen
dichterisch begabten Frau Eveline v. Sodenstern. Die
Eltern Konstantin Rudolphs bewohnten seit ihrer Ver-
heiratung (1843) ein von Johann Konrad Rudolph er-
bautes, dem Aussehen nach jedem alten Kasseler wohl-
vertrautes Haus an der östlichen Seite des Meßplatzes,
das in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts dem
Rathausneubau hat weichen müssen. In diesem Hause hat
der Verstorbene eine freundliche Kindheit und Jugend
verbracht. Er war dann in der zweiten Hälfte der sieb-
ziger und während der achtziger Jahre als Kaufmann
in mehreren Städten Bayerns tätig, um sodann dauernd
in seine Vaterstadt zurückzukehren. Dort fand der Ver-
storbene, der unvermählt geblieben ist, ein Heim bei seiner
damals schon verwitweten Mutter, deren freundliche Güte
jedem, der je ihr Haus betrat, unvergeßlich bleiben wird.
Die Jahre, die nun folgten, waren wohl seine glücklich-
sten. Das lebendige Interesse für die Vergangenheit
Kassels und der hessischen Heimat, das ihn stets erfüllt
hatte, vermochte er in Unabhängigkeit und Muße nach
allen Richtungen hin zu betätigen. Er erwarb sich be-
deutende Kenntnisse auf dem Gebiete der hessischen Alter-
tumskunde, namentlich des Münz-, Ordens- und Militär-
wesens. Bald begründete er auch schöne Sammlungen
von Antiquitäten auf diesen Gebieten, deren Ausbau und
Ergänzung er mit rastlosem Eifer und feinem Verständ-
nis betrieb. Seine Sammlungen umfaßten nach und nach
äußer zahlreichen hessischen Waffen und Militärbildern
eine hervorragende Kollektion hessischer Orden, eine fast
vollständige Sammlung hessischer Münzen*), eine reich-
haltige hessische Bibliothek und eine sehr erhebliche Zahl
von Stichen, Holzschnitten und Zeichnungen, namentlich
zur Geschichte Kassels. Er fand eine Anzahl ihm ge-
sinnungsverwandter Freunde, namentlich standen ihm
nahe sein Bruder, der damals noch in Limburg a. d. L.
amtierende Oberlehrer Dr. Alfred Rudolph, und sein
Vetter Dr. Karl Schwarzkopf. Nach der Wende des Jahr-
hunderts fielen allerlei Schatten auf das bei aller Stille
und Zurückgezogenheit doch durch diese geistigen Inter-
essen glücklich gestaltete Leben Konstantin Rudolphs. Im
Sommer 1902 starb die Mutter. Bald darauf mußte das
seit mehr als 70 Jahren von der Familie Rudolph
bewohnte Haus, wie schon erwähnt, dem Neubau des
Rathauses weichen; für den Verstorbenen, der allen
Familienerinnerungen eine vorbildliche Pietät bewahrte,
war dies ein schwerer Schlag. Im Oktober 1907 starb
Dr. Karl Schwarzkopf, und ihm folgte nach langem,
schweren Leiden Dr. Alfred Rudolph. Der Verlust dieser
beiden freundlichen und liebenswürdigen, dabei ihm geistig
nahestehenden Männer traf Konstantin Rudolph beson-
ders hart; ihre int Grunde fröhliche Weltaussassung hatte
einen freundlichen Ausgleich seines eigenen mehr ernsten
und zur Versonnenheit neigenden Wesens dargestellt. So
wurde es einsam um den Verstorbenen. Ein Gichtleiden
quälte ihn Jahre lang und fesselte ihn häufig an das
Zimmer; der ernste Grundzug seines Wesens trat schärfer
hervor. Im Dezember 1912 erlag sein einziger Neffe,
esnä. zur. Georg Viktor Rudolph, in der Blüte der
Jugend einem schweren Leiden, kaum ein Jahr später
folgte der letzte Bruder, der Major a. D. Viktor Rudolph
in Berlin, dem Sohne im Tode nach. Alle diese Schick-
salsschläge hatten den Lebensmut und die Lebenskraft
Konstantin Rudolphs erschöpft. Im Juli d. I. trat zu
dem alten Gichtübel ein schweres inneres Leiden hinzu,
das nach kurzem Krankenlager zu einem sanften Tode
führte. Eine wohltätige Stiftung, die nach dem Wunsche
des Verstorbenen in Kassel errichtet werden soll, wird
auch für ferne Zeiten das Andenken dieses treuen Sohnes
und vornehmen Bürgers seiner Vaterstadt erhalten.
Dr. Karl Schwarzkopf.
*) Es wäre sehr zu begrüßen, wenn es gelingen würde,
diese vortrefflich zusammengestellte Sammlung, die sich
jetzt im Besitze des Referendars Hermann Schwarzkopf in
Hofgeismar befindet, einer hessischen Stadt zu erhalten.
Erinnerungsbild.
von der Drücke ein Blick hinab zur Flut:
Einer Linde ummauerte trauliche Hut
Im dichten Hage von Rotdorn, Syringen,
Darunter jauchzend die Wasser springen. —
Kassel.
So prangte herauf der festliche Strauß,
Grüßte, nickte: „Ihr Wandersleut',
Einmal sollt ihr doch lachen heut'
Fahrt wohl, und kommt alle gut nach Haus 1“ —
Heinrich Berielmann.
Hessische Bücherschau.
Vor hundert Jahren in Kassel, Volksschau-
spiel in 5 Aufzügen von RudolfFrancke. Kassel
(Pillardy L Augustin). Gebd. 1 M.
Auf dem historischen Hintergründe der bewegten Sep-
tembertaae von 1813 baut der Verfasser seine Szenen
auf, die sich unter anderem am Marställer Platz und vor
dem Oberneustädter Rathause abspielen. In dem Rat
Völker, seiner Haushälterin Erbsenstroh, dem Geheim-
polizisten Sabbatier begegnen wir typischen Figuren, die
durch ihre unfreiwillige Komik den Ernst der Situation
mildern. Daß die Franzosenwirtschaft der bösen sieben
Jahre ins grelle Licht gerückt wird, versteht sich von
307
selbst. Wenn der Kasseler Dialekt noch unverfälschter zum
Ausdruck gekommen wäre, würde das der Wirkung des
Stückes förderlich sein. Auch hätte der Dialog hin und
wieder etwas knapper gefaßt werden können. Seite 49
und 50 stört das sich viermal hintereinander wieder-
holende „kam". Sonst ist das Stück für die Jahrhundert-
feier des 18. Oktober zu begrüßen und sei hiermit zur
Aufführung bestens empfohlen. B.
DieBerwaltungderResidenz st adt Kassel
in den Jahren 1908 bis 19 11. Im Auf-
träge des Magistrats herausgegeben vom Statistischen
Amte der Residenzstadt. Kassel. 1913. 478 Seiten.
Druck von Weber & Weidemeyer. Preis 2 M.
Das Erscheinen des vorliegenden, einen vierjährigen
Zeitraum umfassenden Berichtes über die Ergebnisse der
städtischen Verwaltung trifft zeitlich zusammen mit dem
tausendjährigen Jubiläumsjahr der Stadt. Das gab An-
laß, den Berichtsstoff auf eine weitere Vergangenheit aus-
zudehnen und damit einen höchst schätzenswerten Beitrag
zur Verwaltungsgeschichte der Stadt zu schaffen. So
bieten die auf die einzelnen Abschnitte verstreuten geschicht-
lichen Rückblicke in ihrer Gesamtheit ein zusammenfassendes
Bild von der Entstehung der städtischen Einrichtungen.
In 57 Abschnitten sind alle Zweige der städtischen Ver-
waltung eingehend behandelt. Das mit einer reichen Fülle
trefflicher Illustrationen bedachte Werk wird für jeden,
der wissenschaftliches Interesse an der Entwickelung seiner
Vaterstadt nimmt, eine der wertvollsten Gaben dieses Jahres
bilden und auch über die festlichen Septembertage hinaus
einen bleibenden Wert behalten. Hbach.
H e ß l e r, Karl. Zur Tausendjahrfeier der Haupt- und
Residenzstadt Kassel. Die Residenzstadt K assel
in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Mit
39 Abbildungen. 54 Seiten. Marburg (N. G. Elwert)
1913. Preis 60 Pf.
Das Emporkeimen, Wachsen und Blühen Kassels in
einer knappen populären Darstellung zusammenzufassen ist
in eben diesen Tagen, wo weiteste Kreise das löbliche
Streben beherrscht, sich geschichtliche Kenntnisse über Kassel
anzueigen, ein Verdienst. Diesem Streben ist Karl Hehler
in dem vorliegenden Werkchen entgegengekommen, in dem er
aus der vorhandenen Literatur das Wissenswerteste geschickt
zusammengestellt hat. Das vom Verlag mit schönem Bilder-
schmuck ausgestattete Büchlein eignet sich besonders auch
zum Massenvertrieb. Hbach.
Die im Verlag von Klinkhardt & Biermann-Leipzig
als 30. Band der „Stätten der Kultur" erscheinende Mono-
graphie über „K asse l" von P a u l H e i d e l b a ch erscheint
noch in diesen Tagen.
Personalien.
Verliehen: aus Anlaß der Einweihung des Lan-
desmuseums: der Stern zum Königl. Kronenorden 2. Kl.
dem Kammerherrn v. P a p p e n h e i m; der rote Ad-
lerorden 3. Kl. dem Pros. vr. Fischer (München),
der Rote Adlerorten 4. Kl. dem Bankier F i o r i n o,
dem Regierungsrat Krause und dem Stadtrat R u e tz;
der Kronenorden 3. Kl. dem Museumsdirektor vr. B o e h -
l a u und dem Kommerzienrat P l a u t; der Kronenorden
4. Kl. dem Baumeister H a n e und dem Amtsgerichts-
sekretär W e s s e l (Marburg), das Allg. Ehrenzeichen
in Silber dem Hilfs-Restaurator Rudloff;
dem Oberstleutnant a. D. von S e e l zu Marburg
der Kronenorden 3. Kl.; dem Oberpostsekretär a. D.
Söffker zu Rinteln der Rote Adlerorden 4. Kl., dem
Prokuristen Mülhause zu Hanau, dem Regie-
rungssekretär Paulus und dem Landeskreditkassen-
sekretär Schrader zu Kassel der Kronenorden 4. Kl.,
den Oberlehrern Krüdener in Kassel, vr. Küchen-
t h a l in Gelnhausen, vr. R ö m h e l d in Eschwege,
vr. S a f t i e n in Kassel der Charakter als Professor.
Grnanntr Erster Staatsanwalt Ganslandt zu
Kassel zum Oberstaatsanwalt; Erster Staatsanwalt vr.
K ö l l e zu Königsberg zum Ersten Staatsanwalt bei dem
Landgericht in Kassel; Gerichtsassessor N e u ß in Nieder-
lahnstein zum Amtsrichter in Langenselbold; zu Johan-
nitter-Rittern Regierungsrat a. D. vr. zur. Bruno
von Waldthausen zu Gersfeld; Professor an der
Königl. Kunstakademie Freiherr Wilhelm von Tettau
zu Kassel.
Geboren r ein Sohn: Kaufmann Arthur T r o st
und Frau Tina, geb. Chartier (Kassel, 26. August);
eine Tochter: Oberforstmeister vr. zur. von E s ch st r u t h
und Frau Hildegard, geb. Freiin von dem Bussche-
Hünnefeld (Osnabrück, 18. August); Kaufmann Gustav
Berneburg und Frau Frieda, geb. Fennel (Kassel,
4. September); H. Herzog und Frau Martha, geb.
Keller (Kassel, 11. September).
Gestorben: Landgerichtsdirektor Geh. Justizrat
WilhelmSchroeder, 61 Jahre alt (Kassel,21.August);
Kaufmann Paul Seyd, 34 Jahre alt (Kassel, 21. Au-
gust); Verlagsbuchhändler Kommissionsrat Wilhelm
Braun, 71 Jahre alt (Marburg, 23. August) ; Pfarrer-
Wilhelm W e ck e s s e r, 61 Jahre alt (Metze, 24. Augusts;
Frau Jeanette L a t t e m a n n, geb. Franke, 63 Jahre
alt (Kassel, 24. August), Kaiserlicher Oberpostdirektor,
Geh. Oberpostrat Emil H o f f m a n n , 64 Jahre alt
(Kassel, 26. August) ; Fräulein Berta B a u r m e i st e r,
49 Jahre alt (Hedemünden, 25. August), Richard G r ri-
tt e b e r g, 48 Jahre alt (Kapstadt, 27. August), Sani-
tätsrat vr. Bernhard H e i l b r u n, 55 Jahre alt (Kassel,
30. August) ; Geh. Regieruugsrat Hermann B e r n d t,
(Kassel, 30. August), Eisenbahnobersekretär a. D. Rech-
nungsrat Simon, 66 Jahre alt (Kassel, 2. Septbr.) ;
Leutnant Otto P r i n s, 28 Jahre alt (Brieg, 4. Sep-
tember) ; Lehrer Friedrich Kraft (Kassel, 6. Septbr.) ;
Geh. Justizrat Professor Äonrad H e l w i g, 56 Jahre
alt (Berlin, 7. Sept.), Justizrat Rudolf Gegenbau r,
55 Jahre alt (Fulda, 11. September), Frau Katharine
B r a u n h o f, geb. Böckler, 81 Jahre alt (Kassel,
15. September).
Hragekasten.
Mehrfachen Wünschen entsprechend, werden wir unter dieser Rubrik
sortlausend die auS unserem Leserkreis eingehenden kurzen Anfragen
veröffentlichen. Die etwa einlaufenden Antworten werden unter der-
selben Nummer beantwortet.)
Antworten.
3. Schwänke vom alten Förster Grau in Kirchditmold
(Oberförster war er wohl nicht?) erzählen Hoffmeister
„Aus den Tagen eines erloschenen Regentenhauses S. 6
und Ruhl in den Hess. Blättern Nr. 1159 vom Jahre
1885. Man vergl. ferner über ihn; Chronik von Kirch-
ditmold (1892) S. 80 f. und Leonh. Müller, Aus meinem
Leben S. 7 ff. PH. Losch.
Ferner verweisen wir Sie auf den Aufsatz: „Ein Original
in kurhessischen Zeiten" in Nr. 10 der Sonntagspost
(Wochenbeilage der „Hess. Post") von 1910.
Die Redaktion.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel.— Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
-III,„I,III,.................................................................................................................................
Tausendjahrfeier
der Residenzstadt Cassel
Hessisches Heimatfest
vom 26. bis 30. September 1913.
Festfolge:
Am Vorabend, Freitag, den 26. September
7 Uhr> Uraufführung des preisgekrönten Festspiels „1385" von Benno von Francken
in der neuen Sladihalle (Hohenzollernsiraße).
Sonnabend, den 27. September
Festakt im Stadtverordnetensaal des Rathauses. — Hierzu ergehen besondere Einladungen.
10—1 Uhr- Sportliche Veranstaltungen in der Karlsaue (Höhere Lehranstalten).
12—1 „ Promenadenkonzerte auf verschiedenen öffentlichen Plätzen.
3— 4 „ Vortrag von Schüler-Massenchören — 2400 Mitwirkende — auf dem Fried-
richsplah.
4— 472,, Radfahrerreigen auf dem Friedrichsplatz.
5 V2 „ Zweite Aufführung des Festspiels in der E1 a d t h a l l e.
6 „ Festvorstellung im Königlichen Hostheater: „Chaffala" von Emil Jacob!.
0 „ Huldigung vor dem Chaffala-Standbild auf dem Friedrichsplatz.
Sonntag, den 28. September
9 Uhr' Festgottesdienst in allen Kirchen Cassels.
11 „ Kulturhistorischer Festzug. _ Der Zug wird sich durch die westlichen Stadt-
teile nach der Gberneustadt, dem Bahnhofsviertel, dem Holländischen Tor,
der Altstadt, Unterneustadt, dem Friedrichsplatz, der Schönen Aussicht nach
dem Wilhelmsplah bewegen.
3—7 „ Sportliche Veranstaltungen (Vereine) und Trachtenfest in der Karlsaue.
7 „ Vorstellung im Königlichen Hostheater: „Lohengrin".
8 „ Festkommers in der neuen Stadlhalle und in verschiedenen Sälen der Stadt.
Montag, den 29. September
10—7 Uhr- Turnerische und allgemeine sportliche Veranstaltungen nebst Volksfest in
der Karlsaue. (Vereine, Mittel- und Bürgerschulen.) Schaurudern auf
der Fulda, oberhalb der Drahtbrücke.
8'/4,. Dritte AuMhrung des Festspiels in der Stadt Halle.
Dienstag, den 30. September
10—7 Uhr- Zugendfpiele, Volksfest in der Karlsaue. Auepark-Deleuchtung.
8*/4,, Vierte Aufführung des Festspiels in der Stadthalle.
SiiiiininHiiiinimiHiiiiiiiinmiiiiiiniiiiiiimiiiniimmsHiumTiTHiiniiiiiiiiiiimiiiiiimiiimiiiiiiiiiiiiiiminiiiimitiimimiiiiiiiiiiiiinimiMiiiiiiiiiiiiiiiimmiifSg
Heffenlanö
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift sür hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. IS. 27. Jahrgang. Erstes Gkiober Heft 1913.
Die Berufung des Philosophen Wolfs nach Hessen.
Von vr. A. Fuckel.
In dem Jubiläumsjahre der Stadt Kassel
sind IW Jahre verflossen, seitdem sich ein be-
sonderes Ruhmesblatt in die Geschichte des
hessischen Herrscherhauses und ihrer Residenz
flocht; die Gedenktafeln der deutschen Kultur-
geschichte wissen davon zu erzählen! Im Jahre
1723 nahm unsere Heimatstadt einen deutschen
Gelehrten, wenn auch nur für kurze Zeit, in
ihre schützenden Mauern auf, dessen Schicksal
nicht minder berühmt wurde, als seine Lehre,
die zu jener Zeit die herrschende Philosophie
war. Der aus Halle verjagte Professor Chri-
stian Wolfs fand damals im Hessenlande, wo
man seine Verdienste besser bewertete, von
einem hochsinnigen und freier denkenden Für-
sten dorthin berufen, eine willkommene Zu-
flucht. Einer so rühmenswerten Tat, die wohl
an sich, aber nicht in ihren Einzelheiten all-
gemein bekannt ist, sei in den der Erinnerung
geweihten Tagen mit wenigen Worten gedacht.
Wenn wir auch heute vielleicht über die Be-
deutung dieses Mannes in mancher Bezie-
hung anders denken als seine Zeitgenossen
und einen großen Teil seines außerordentlichen
Ruhmes gerade seinem Märtyrergeschick mit
zuschreiben, so ist doch sein Einfluß auf die
geistige Bildung seiner Zeit ebenso wie seine
Nachwirkung bis zu Kants Erscheinen gar nicht
hoch genug einzuschätzen. Er war für sein
Jahrhundert geradezu das Idealbild eines
Philosophen, und seine Metaphysik kam in der
Schätzung seiner Anhänger gleich nach der
Bibel. Sein auf der Lehre seines größeren
Vorgängers Leibnitz aufgebautes System fand
die weiteste Verbreitung, manche Zweige der
Wissenschaft wurden in seinem Geiste bearbeitet,
seine Methode war auf den verschiedensten Ge-
bieten vorbildlich, sein Denken beherrschte die
gebildeten Kreise. Der Spinozist Edelmann,
der um 1740 über ihn schrieb, versichert sogar,
seine Weltweisheit sei „auch unter dem weib-
lichen Geschlecht dergestalt beliebt geworden,
daß man fast glaubte, es sei eine wirkliche
Lykanthropie unter diesen schwachen Werkzeu-
gen eingerissen" Ein nicht übler Witz, wenn
man weiß, daß Lykanthropos der Werwolf
oder Mannwolf bedeutet! Das Wort wäre
also ungefähr mit Wolfmannssucht oder Wolfs-
manie zu vergleichen. Wir heutigen Deutsche
wollen es ihm aber vor allen Dingen nicht ver-
gessen, daß er zu den ersten Gelehrten gehörte,
der auch in deutscher Sprache schrieb und, wie
der wackere Thomasius, in dieser verachteten
Sprache, die er hoch zu Ehren brachte, auch
tmiL, 310 v-E.
seine Vorlesungen abzuhalten wagte. Frei und
natürlich, aus den Prunk des Gelehrtenlateins
verzichtend, redete er zu seinen Hörern, die
ihm auch aus diesem Grunde ihr Herz ent-
gegenbrachten. Außerdem wandte er die größte
Mühe an, um klar und verständlich zu lehren
und zu schreiben, und die zünftige Philosophie
warf ihm wohl gerade deshalb mitunter eine
„Verflachung der Metaphysik zum gemeinen
Menschenverstände" vor Tatsächlich lesen sich
seine Schriften trotz ihrer altertümlichen Sprache
sehr leicht im Vergleich zu denen mancher
modernen Neukantianer, bei deren Lektüre man
gleichsam durch die Nacht tappt und überall
anstößt. Nur durch die deutsche Begriffsbil-
dung, die Wolfs schuf, drang seine Lehre auch
in einem bis dahin unerhörten Maße in das
Volk ein, viel stärker, als dies heute der Fall
ist, wo mancher mit Recht schon vor der Ter-
minologie einer mit „ismussen" gespickten Wis-
senschaft wie vor einem schlangenhäuptigen
Ungeheuer zurückschaudert. Durch ihn ange-
regt gründete man an verschiedenen Orten
unseres Vaterlandes Gesellschaften, deren Be-
stimmung es war, ihre Mitglieder tiefer in die
Philosophie einzuführen, Jahrzehntelang ha-
ben diese sogenannten Alethophilen, die Wahr-
heitsfreunde, in seinem Sinne gewirkt. So
hat dieser eine Gelehrte einen hervorragenden
Anteil an der Verstandesbildung seiner Lands-
leute und der Erweckung wissenschaftlichen
Sinnes im Volke gehabt und kann, wie einst
Melanchthon, verdientermaßen ein praeeeptor
Gennaniae genannt werden.
Eine solche Persönlichkeit von weittragend-
ster Bedeutung haben wir also in dem Manne
zu erblicken, den im Jahre 1723 ein Macht-
spruch des damaligen Absolutismus wie ein
Blitzstrahl traf und jählings aus seinem Wir-
kungskreis herausschleuderte. Um diese erstaun-
liche Tatsache verständlich zu machen, müssen
wir etwas weiter zurückgreifen und den Gegen-
satz zweier Richtungen, deren Anschauungen
damals einander entgegenwirkten, im Zusam-
menhang mit der ganzen Zeitlage uns ver-
gegenwärtigen es war in mancher Beziehung
ein ähnlicher Kamps wie die allbekannte Fehde,
in der später Lessing mit Götze, dem Haupt-
vertreter der Rechtgläubigkeit, die Waffen
kreuzte. Wolfs, ein geborener Schlesier, der
(Schluß
zunächst in seinem Heimatlande gewirkt hatte,
war im Jahre 1707 zunächst nur als Mathe-
matiker und Physiker an die junge preußische
Universität Halle berufen worden, wandte sich
aber an der neuen Stätte seiner Tätigkeit seit
1709 mit wachsender Hingabe der Philosophie
zu und behandelte unter starkem Beifalle ihre
Hauptzweige in seinen Vorlesungen. Was er
da vortrug, entfernte sich weit voll den her-
kömmlichen Bahnen auf diesem Gebiete und
erregte ungewöhnliches Aufsehen. Halle war
damals die Pflanzstätte und der Wohnsitz des
Pietismus, und die Vertreter dieser Richtung,
so achtungsvoll sie auch als Menschen und
Christen waren, nahmen bald, in viel engeren
Vorftellungskreisen befangen, trotz ihrem Wi-
derstand gegen die Orthodoxie, an Wolffs phi-
losophischer Tätigkeit in stärkstem Maße An-
stoß und setzten alle Hebel in Bewegung, um
diesen gefährlichen Freidenker und Jrrlehrer
wenigstens auf das neutrale Gebiet der Mathe-
matik zurückzudrängen, wo er keinen Schaden
anrichten konnte. Insbesondere erschien diesen
ängstlichen Gemütern, zu denen auch der sonst
so vortreffliche Aug. Hermann Francke gehörte,
die Annahme der „prästabilierten Harmonie",
die'Wolfs im Anschluß an Leibnitz vortrug, als
eine wahre Wurzel greulicher Verderbnis' die
Beweise für das Dasein Gottes und den Unter-
gang der Welt glaubten sie unter anderem
hierdurch in Frage gestellt, und vor allem der
Dekan der theologischen Fakultät, Herr Jo-
achim Lange, meinte die zukünftigen Geist-
lichen des Landes vor solchen Versuchungen
ihrer dogmatischen Fertigkeit bewahren zu
müssen, zumal da in der Tat ein Rückgang des
theologischen Eifers unter der studierenden
Jugend offenkundig zu Tage trat und die Ein-
wirkung Wolffs deutlich genug ihre Spuren
zeigte. Selbst Francke, der am eigenen Leibe
die Folgen des Gegensatzes zur Orthodoxie
kennen gelernt hatte, dachte doch über Wolfs
nicht anders und berichtet in einem Briefe über
diese Angelegenheit, „er habe die realen Be-
weise von seinen gottlosen Lehren aus dem Be-
kenntnis seiner Discipul in Händen gehabt und
eine greuliche Korruption der Gemüter" an
diesen gefunden, mit inbrünstigen Gebeten soll
er kniefällig um Beseitigung dieser Finsternis
zu Gott gefleht haben!
folgt.)
—
««•«£> 311 t«tfb
Aus Kassels Festtagen.
Fast wehmütig haben wir die Fahnen und Wim-
pel wieder hereingeholt, indes Nadel um Nadel aus
dem Fichtengrün der Girlanden zu Boden rieselte.
Die Residenzstadt Kassel mag unter ihren Land-
grafen und Kurfürsten und vor allem unter dein
Usurpator JSrüme zu unterschiedlichen Zeiten zahl-
reiche und festlich gestimmte Menschenmassen durch
ihre Straßen haben wogen sehen — derartige
Massen aus nah und fern, wie sie in den Tagen
vom 26. bis 30. September die Fuldastadt füllten,
hat sie noch niemals geschaut. Man hat die Schar
der Gäste auf rund 100 000 geschätzt, eine Ziffer, die
man aus verschiedenen Erwägungen als zu niedrig
bemessen bezeichnen muß. Es ist nicht leicht, aus
all den Eindrücken dieser festlichen Tage nun ein
knappes Bild zu entwerfen. Erwähne ich zunächst
den wichtigsten Faktor, den goldenen Herbstsonnen-
schein, der mit wohlwollendem, gleichsam mit-
feierndem Lächeln von Anfang bis zu Ellde die
geschmückten Häuser und Menschen in seine satten
Gluten tauchte, so hätte ich damit schon die Staf-
fage gegeben, von der sich das bunte frohe Treiben
inmitten der jubilierenden Stadt abhob,.über die
hoch von den Türmen eherne Glockengrüße dahin-
schwebten. Die Ausschmückung der Stadt übertraf
die kühnsten Erwartungen. Da war auch in den
verstecktesten Gäßchen kein Haus, das der all-
gemeinen Freude nicht festlichen Ausdruck geliehen
hätte, es schien, als ob die weiten Wälder um
Kassel all ihr Grün zu diesem einen Zweck her-
gegeben hätten. Waren es in der Altstadt vor-
nehmlich die stattlichen Patrizierhäuser, die dein
Festschmuck eine wirkungsvolle Folie liehen, so
suchten vollends die Straßen im Zentrum und
Westen sich gegenseitig zu überbieten. Von Baum
zu Baum, von Laternenpfahl zu Laternenpfahl
und von diesen wieder zu den Häusern hinüber
schlangen sich bänderumwundene Fichtengirlanden,
wie durch endlose, von Harzduft erfüllte Lauben-
hallen schritt man dahin. Gewaltige Ehrenpforten
bezeichneten die Straßenkreuzungen, an mächtigen
Flaggenmasten flatterten die Wimpel, jede Straße
trug, dank dem einheitlichen, nach wohldurchdachtem
Plan der Künstler geschaffenen Zusammenarbeiten,
ihr besonderes Gepräge, das Altbewährte mit manch
neuen künstlerischen Ideen verknüpfend. Der
Brunnen am Altmarkt, das alte Königstor am
Wilhelmshöher Platz und das alte Wachthäuschen
am einstigen Holländischen Tor suchten die Gegen-
wart mit der Vergangenheit glücklich zu verbinden.
Seinen offiziellen Anfang nahm das Fest, nach-
dem die städtischen Beamten sowie die Kasseler
Lehrerschaft bereits eigene Feiern veranstaltet
hatten, am Abend des 26. September durch die
Ausführung des preisgekrönten Festspieles „1385"
von Benno v. Francken in der neuerbauten Stadt-
halle, das eine der dramatischsten Episoden aus
der reichen Geschichte der Stadt verkörperte, von
Kasseler Bürgern und Bürgerinnen unter des Hof-
schauspieler Jürgensens Leitung prächtig gespielt
wurde und, gleich dem Fcstmarsch Lenialters und
dem Prolog Bertelmanns, starken Beifall fand.
Feierliche Choräle von den Türmen der Stadt
leiteten den nächsten Tag ein. Um 11 Uhr vor-
mittags spielte sich der Festakt im großen Saale
des Rathauses naturgemäß im engeren Kreise ab.
Als Vertreter des Kaisers war dessen Sohn Prinz
August Wilhelm erschienen. Der Begrüßungsan-
sprache des Oberbürgermeisters Dr. Scholz folgte
die eindrucksvolle Festrede des Direktors der Stadt-
bibliothek Professor Dr. Steinhaufen; es war fast
ein Ereignis, den hervorragenden Kulturhistoriker
sich zum ersten Male über die '.Geschichte der Stadt
in neuer und kritischer Beleuchtung äußern zu
hören. Während des sich anschließenden, von der
Stadt gegebenen Frühstückes entwickelte sich in der
Stadt selbst ein festliches Treiben, das durch Pro-
menadenkonzerte an den verschiedenen Plätzen noch
besonders belebt wurde. Am Nachmittag brachten
Massenchöre von 2500 Knaben und Mädchen und
malerische Radfahrerreig'en auf "dem Friedrichs-
platz eine imposante Kundgebung, und am Abend
ging di« Uraufführung von Emil Jacobis Fest-
spiel „Chassalla" im Hoftheater in Szene und
brachte bei glänzender Inszenierung Verfasser wie
Darstellern reiche Ehrungen. Nach Schluß des
Theaters brachten über 2000 Sänger des Kur-
hessischen Sängerbundes vor dein Standbild der
Chassalla auf dem Friedrichsplatz, wo sich
auch die Turner mit Lampions geschlossen einge-
funden hatten, eine Serenade dar. Der Fest-
sonntag erreichte in dem mit Spannung erwarteten
kulturhistorischen Festzug den Höhepunkt der Ver-
anstaltungen; er übertraf in der Tat die höchsten
Erwartungen und lohnte reichlich die Mühen, die
monatelang auf ihn verwandt >varen. Hier hatten
Kassels Künstler gemeinsam mit den etwa 3200
kostümierten Festzugsteilnehmern Szenen von histo-
rischer Treue und einer lebensvollen Unmittelbarkeit
geschaffen, die jedem Zuschauer unvergeßlich bleiben
werden. Erst nach 3 Uhr löste sich der Zug, der
um 11 Uhr begonnen hatte, wieder auf. Was von
Kassels Festgästen am Nachmittag nicht zu den
Wilhelmshöher Wassern ging, fand sich auf dem
zum Festplatz umgeschaffenen Bowlinggreen in der
Karlsaue ein, wo sich ein Heimatfest entwickelte,
das nur unter einem Fehler litt der Riesenplatz
vermochte die sonntäglichen Gäste kaum zu fassen,
so daß der Verkehr vorübergehend beängstigende
Formen erhielt. Am Abend nahmen verschiedene
Festkommerse, vor allem derjenige in der Stadt-
halle, einen glänzenden Verlauf. Einen nicht ge-
ringen Raum unter den festlichen Veranstaltungen
nahmen auch die mannigfachen sportlichen Dar-
bietungen auf dem Bowlinggreen ein, die sich
auf alle vier Tage verteilten. Turn-, Fuß-
ball-, Radfahrer- und Athletenvereine wetteiferten
hier in heißem Mühen um den Eichenkranz. Am
Gruppe aus dem kulturhistorischen 5estzug. Aufzug der Zünfte um 1413 mit dem Modell des Altstädter Rathauses.
«Die von Architekt Hölk stammende Rekonstruktion wurde von der Stadt angekauft.»
VML. 313 «AML,
Montag früh boten 864 Knaben und ebenso viele,
in den Kasseler Farben einheitlich gekleidete Mäd-
chen in Freiübungen, Gruppenturnen und Wett-
kämpfen prachtvolle Leistungen und damit gleich-
zeitig einen herzerquickenden frohen Ausblick auf
die Zukunft. Ihre Darbietungen gehörten neben
der Huldigungsfahrt der Kasseler Rudervereine auf
der Fulda zu den schönsten Bildern, die sich dem
festlichen Rahmen dieser Tage einfügten. Ein frohes
Kinderfest am Dienstag und eine inmitten der
einzigartigen Szenerie der Karlsaue doppelt wirk-
same Illumination, die immer noch hervorragend
blieb, wenn auch die feuchten Abendnebel einiges
wirkungslos verpuffen ließen, bildeten den Schluß
dieses einzigen Festes.
Tausend Faktoren mußten zusammenarbeiten,
um ein glückliches Gelingen zu sichern; altein zwölf
große Ausschüsse hatten fast ein Jahr hindurch
unermüdlich gearbeitet, und das städtische Ver-
kehrsamt, in dem alle großen und kleinen Fäden
des Vorbereitungsapparates zusammenliefen, hat
sich seiner Riesenaufgabe in der glücklichsten Weise
entledigt; die Stadt hat diese Leistung auch dadurch
anerkannt, daß sie den Leiter des Verkehrsamtes
zum Verkehrsdirektor ernannte.
Das Fest ist vorüber. Es hat den Namen Kassels,
diesmal nur in restlos lobendem Sinne, in alle
Winde getragen. Es hat aber auch eine sonst so
seltene Einigkeit der Bürgerschaft, ein starkes Ge-
fühl der bürgerlichen Zusammengehörigkeit gezei-
tigt, die als gutes Omen hoffentlich auch für die
folgende Zeit ihre Nachwirkung verspüren lassen
wird. Nie zuvor auch hat man mit so einmütiger
Betonung die Verdienste der hessischen Fürsten um
ihre Residenz zum Ausdruck gebracht, und auch das
kann, zugleich mit einer, hoffentlich gleichfalls nach-
wirkenden Förderung des geschichtlichen Sinnes, als
Gewinn dieser so prächtig verlaufenen Tage bezeichnet
werden.
Paul Heidelbach.
Westfälische Erinnerungen.
Bon Stabsarzt H
In diesen Tagen kommt in Leipzig bei K, W
Hiersemann eine Sammlung zur Versteigerung, die
unter zahlreichen Erinnerungszeichen aus der gro-
ßen Zeit vor hundert Jahren auch wertvolle westt-
fälische Gegenstände enthält, die es verdienten, in
den Besitz des neuen hessischen Landesmuseums
oder wenigstens in die Hände heimischer Sammler
zu gelangen. Es handelt sich um die Sammlung
eines Leipzigers, Hermann Buhrig, der in mül^
samer Sammlerarbeit im Laufe von 25 Jahren fast
800 z. T. eminent wertvoller und einzigartiger Er-
innerungsgegenstände an die napoleomsche Epoche
und die Zeit der Befreiungskriege zusammenbrin-
gen konnte, wie sie wohl nirgends wieder gefunden
werden. Sie waren bisher in Leipzig am Johan-
nisplatz als „historisches Museum der Völkerschlacht
bei Leipzig" auch der weiteren Öffentlichkeit be-
kannt.
Unter den zahlreichen Autographen aus jener
Epoche finden sich solche des Freischarenführers
Majors Friedrich von Hellwig, des Befreiers von
Wanfried, dessen lebensgroßes Bild das dortige
Rathaus ziert *), sowie eigenhändige Briefe des
Landgrafen Friedrich V von Hessen-Homburg und
zweier seiner Söhne (des Erbprinzen, österreichi-
schen Feldmarschalleutnants, der in der Schlacht bei
Leipzig schwer verwundet wurde, und dessen Bruders,
des späteren österreichischen Feldmarschalls, Phi-
lipp, der bei Aspern und Dresden verwundet wurde).
Bekannt ist ja, daß alle sechs Söhne des Land-
grafen (vier unter Österreichs, zwei unter Preußens
Fahnen) gegen Frankreich kämpften, sodaß Napo-
leon mit Recht sagen konnte „Je trouve partout
*) Siehe den Pippart'schen Aufsatz über Hellwig auf
Seite 90 dieses Jahrganges.
as, Oranienstein.
un Lombourg" Ferner interessiert ein herzlicher
Brief der Königin Katharina, des leichtsinnigen
Jérômes getreuen Gemahlin, (d. d. Hamburg, 31.
l2. 1816) an ihre Schwägerin Elise Prinzessin Ba-
ciocchi, in dem sie für die Teilnahme beim Tode
ihres Vaters dankt. Am wertvollsten unter diesen
Stücken ist für uns aber wohl das Stammbuch des
Dr. Lazarus Mombert, des ersten Leibarztes der
Königin, das 46 Eintragungen (aus den Jahren
1806—1813) von Studiengenossen, Freunden und
Freundinnen aus Göttingen, Großschneen und
Kassel enthält. Unter den Kasseler Eintragungen
findet sich auch eine solche des bekannten, 1788 in
Kassel geborenen Dr. Jakob Pinhas, der sich ur-
sprünglich wie sein Vater, der Hofminiaturmaler
Salomon P. in Kassel, der Malerei zugewandt
hatte, in der westfälischen Zeit aber zur politischen
Schriftstellerei überging und als langjähriger Lei-
ter der „Kasselschen Allgemeinen Zeitung" einen
bedeutenden Namen hinterlassen hat.
Unter den Büchern, die genannt zu werden ver-
dienen, sei folgendes aufgeführt Appel du juge-
ment de la première Cnambre du Tribunal de
première instance de la Seine du 15. févr. 1861
Jérôme-Napoleon Bonaparte et Elisabeth Patter-
son contre le Prince Napoleon. Baltimore (1861).
Es betrifft dies 139 Seiten starke Stück den Erb-
schaftsstreit, den Jérômes verlassene erste Gemahlin,
Elisabeth Patterson aus Baltimore, und deren
Sohn Jérôme-Napoleon Bonaparte Patterson
gegen den ältesten Sohn Jérômes aus seiner
zweiten Ehe mit Katharina von Württemberg,
Jérôme Napoleon Charles, Grafen von Mont-
fort anstrengten.
In der Porträtsammlung, die auch zahlreiche
z. T. bedeutende Porträts von Napoleon enthält,
rmtL^ 314
findet sich ein wir-
kungsvolles Reiter-
bildnis des Mar-
schalls FürstenBlü-
cher v. Wahlstatt*),
dessen Maler ein
kurhessischer Offi-
zier, Georg Fried-
rich Steinmüller,
ist. Dieser, 1789
in Hannover ge-
boren, war (19jäh-
rig) in die englisch-
deutsche Legion in
Spanien eingetre-
ten, hatte hier bis
1812 gegen Frank-
reich gekämpft und
war dann in das
Wallmodensche
Korps an der Elbe
übergetreten. In
diesem hatte er den
Feldzug inMecklen-
burg mitgemacht
und war Ende
1813, wegen Zu-
rücksetzung im
Avancement, aus-
geschieden und im
Beginn des folgen-
den Jahres in das
3.kurhessische Land-
wehrregiment ein-
getreten, in dem er
den Feldzug 1814
mitmachte. Später
hatte er dem Garde-
Grenadier - Regi-
ment, der Leibgarde
und dem Regiment
Landgraf Karl an-
gehört und starb,
1839 als Major
ausgeschieden, im
Jahre 1864 in Ha-
nau. Von ihm er-
schien 1827 auch
das bekannte Uni-
formwerk ; „Die
Uniformen der Kur-
hessischen Armee
(1813—21)",hand-
kolorierte Stiche,
die wennauch künst-
lerisch nicht bedeu-
tend, doch für das
*) Eine Abbildung des Gemäldes, das den Fürsten Blücher in ganzer Figur zu Pferde zeigt, bringen wir auf
Seite 321.
Studium des De-
tails der Unifor-
men aus jener
Zeit von großer
Bedeutung sind.
Auch ein sehr sel-
tenes Porträt von
Jérôme ist be-
merkenswert, ein
Kupferstich in
Großfolio von
Louis Rados, nach
einer Zeichnung
von I. B. Bosio,
Professor am Pa-
riser Polytechni-
kum. Das Mai-
land 1810 datierte
Bildnis stellt Jé-
rôme in ganzer
Figur und großer
Uniform dar und
bringt im Hinter-
grund eine gute
Ansicht von Kassel.
Aus den zahl-
reichen Medaillen
und Münzen sei
eine Medaille (von
Andrieu und Bre-
net) auf die Er-
richtung des Kö-
nigsreichs West-
falen und eine
weitere (von An-
drieu) aus die
Vermählung Je-
romes mit Katha-
rina von Würt-
temberg heraus-
gegriffen. West-
fälische Silber-
münzen werden
27 aufgeführt,
darunter einzelne
besonders seltene
Stücke, wie der
2/3 Taler aus 1811
mit der Aufschrift
auf dem Revers
„Glück auf Claus-
thal im August
1811" Zur Er-
innerung geprägt
an den Besuch des
Königs und der
Königin in Klaus-
thal, wo die Bergleute diesen einen festlichen Empfang
bereitet hatten. Roch befindet sich in der Kasseler
Landesbibliothek eine Gedichtsammlung auf dies
Ereignis mit dem Titel „Seinem Hieronymus
Napoleon, dem besten der Könige, weihet in Unter-
thänigkeit und Liebe diese Zeilen das treue Volk
des Harzes. Clausthal 1811 "
Folgende seltenen Dokumente zur Geschichte West-
««üb 316 çmtL,
falens birgt die Abteilung „Kuriositäten und Er-
innerungsgegenstände": 1. Erlaß an die Super-
intendenten pp. betr. die kirchliche Feier des Ge-
burtstages des Königs d. d. 5. 8. 1811. Einblatt-
druck; 2. Obligation der kgl. westfäl. Amortisations-
kasse über 200 Franken, ausgestellt am 8. 3.1809
auf die Gemeinde Dorla, 3. Paß ausgestellt von der
General-Polizei Westfalens für den Schlosserge-
sellen Tiefenbach aus Hanau, d. d. Kassel 7, 3.
1811; 4. Patent auf das Jahr 1809 ausgestellt von
der Direktion der direkten Steuern im Fulda-De-
partement für die Witwe Friederike Hörlein betr.
den Betrieb einer Schankwirtschaft. Kassel 30. 12.
1808 ; 5. Proklamation an die Einwohner trotz des
Eindringens der Russen in das Königreich die
Ruhe aufrecht zu erhalten und die Amtsgeschäfte
fortzuführen, d. d. Kassel 8. 10. 1813 u. a. m.
Unter den „Plastischen Darstellungen", die nur
Unica enthalten, befindet sich eine Sammlung von
85 Militärfiguren (französische Infanterie), die
aus dem Vorbesihe einer Kasseler Familie stammt.
Diese Figuren sind aus Pappe angefertigt, auf
Holzfüße gestellt, ca. 110 mm hoch und original-
getreu in Farben ausgemalt und von einem fraw-
zösischen Offizier-Invaliden, I. B. Dupont aus
Straßburg hergestellt. Dieser war als Kapitain
bei Waterloo so schwer verwundet, daß ihm beide
Beine abgenommen werden mußten. Um sich zu
beschäftigen fertigte er diese Figuren an, z. T.
in Kassel, wo er 1861 bei Verwandten, einer Fa-
milie Flemming, starb.
Ganz besonders reich besetzt ist die eigentliche
In der Reihe der zur Tausendjahrfeier geschaffenen
Veranstaltungen durften auch die Festspiele nicht fehlen.
Es ist hergebracht, bei solchen Gelegenheiten dem Pub-
likum die Vergangenheit in dramatisch bewegten Bildern
vorzuführen. Mit Recht. Denn stärker als Wort und
Schrift prägen sich die Vorgänge auf den Brettern den
Sinnen ein, mehr als jene sind sie im Stande, Be-
geisterung auszulösen und zu erhöhen. Um ein geeignetes
Festspiel zu erhalten, standen der Stadt Kassel zwei
Wege offen: sie konnte einen namhaften Dichter mit der
Schaffung beauftragen, oder ein Preisausschreiben er-
lassen. Sie hat — mit vollem Recht — den zweiten ge-
wählt. Sie wollte sich nicht blindlings binden und war
durch mehrfache Vorgänge aus der letzten Zeit gewitzigt
worden. Achtunddreißig Stücke wurden eingereicht und
die Jury hatte schwere Arbeit. Sie teilte keinem Dichter
den Preis zu. Dieser wurde zwischen Benno v. Francken
und dem heimischen Poeten Bertelmann geteilt. Da
Franckens Stück vom bühnentechnischen Standpunkt aus
geeigneter schien, wurde dessen Schauspiel „1385" zur
Aufführung bestimmt. Der Schreiber dieser Zeilen hat
der Jury angehört. Ihm ziemt daher bei Beurteilung
des Werkes Zurückhaltung. Aber das darf auch einer, der
für die Wahl des Stückes mit verantwortlich ist, hervor-
heben, daß es den Ausschnitt aus der Vergangenheit der
Stadt, den es zeigt, in charakteristisch bewegten Szenen
bietet, daß es hübsche Kinder- und Volksszenen enthält, daß
es sich müht, ein getreues Bild der Zeit zu geben und daß es
auch nicht ohne dramatische Kraft ist. V o r der Aufführung
Waffensammlung, die sogar einen Säbel und einen
Hut Napoleons enthält. An westfälischen Uniform-
stücken finden sich darin vier Tschakos, einer (siehe
Nr. 578) mit weißen Borten und rotem Pompon,
ein zweiter mit weißer, doppelter sparrenförmiger
Borte, rotem Pompon und weißem Behang (Tram-
bezw. Trainsergeant), ferner (siehe Nr. 580) einer
mit silbernen Borten und weißem Pompon (Train-
kapitain) und ein vierter mit rotem Stutz und
rotem Behang, eines Kanoniers der 2. Linien-
Artillerie-Kompagnie. Neben einer Sammlung
jetzt seltener Uniformknöpfe der westfälischen Ar-
mee und einem Offiziersäbel der westfälischen Li-
nieninfanterie führt der Auktionskatalog noch ein
seltenes, ganz besonderes Wertstück in einem Ehren-
degen auf, wie ihn König Jérôme als Zeichen be-
sonderer Gunst an seine Offiziere verschenkte, (siehe
Nr. 707) Das Gefäß mit ornamentiertem Gold-
beschlag versehen, der Griff aus Ebenholz ge-
schnitzt; auf der vergoldeten Stichplatte in einem
Lorbeer- und Eichenkranz das Monogramm J. N.,
die Stahlklinge an der Wurzel blau angelassen
und mit graviertem und vergoldetem Ornament-
werk geschmückt. Lederscheide mit vergoldetem Be-
schlag. Goldgewirktes Porteepêe.
Auch ein Offiziers-Tschako der kurhessischen In-
fanterie und ein Grenadier-Tschako (beide aus der
Zeit um 1832) kommen zur Versteigerung.
Möchten diese Zeilen dazu beitragen, daß ein
oder der andere dieser so leicht nicht wieder zu
erlangenden Gegenstände in unser neues Landes-
museum übergeht!
des Stückes ist es - gegen alle hergebrachte Übung — stark in
der Tagespresse angegriffen worden, weil der Verrat Kasseler
Bürger an ihrem Landesherrn im Mittelpunkt des
Schauspiels stehe. Es mag zugegeben werden, daß dieser
Punkt sich bei der Lektüre störend geltend machte.
Bei der Aufführung trat er zurück. Es ist kein Fest-
spiel im eigentlichen Sinne. Dazu umfaßt das Schau-
spiel eine zu geringe und, trotz allem, zu wenig be-
deutungsreiche Spanne Zeit. Aber (auch das Bertel-
mannsche Festspiel behandelte seltsamerweise den gleichen
Vorgang) es war das relativ Beste und — es hat ja
auch lebhaften Beifall gefunden, über die Schwächen
sah das Publikum hinweg, es beachtete den ein wenig
gewaltsamen Schluß und einige verfehlten Szenen des
letzten Aktes so wenig wie häufigere Verstiegenheiten
der Sprache und ließ die treffliche Darstellung auf sich
wirken. Diese ging weit über das Maß dessen hinaus,
was Dilettanten sonst zu bieten pflegen, — dank der
hingebenden, unermüdlichen und erfolggekrönten Tätig-
keit, die Herr Jürgensen entfaltete, der seine Kraft
und seine reiche Bühnenerfahrung seit Monaten in den
Dienst der Sache gestellt hatte. Die Darsteller ver-
dienen, daß man mit Anerkennung ihre Namen ver-
zeichnet. Sie alle zu nennen, verbietet ihre große Zahl.
Darum seien nur die trefflichen Vertreter der Hauptrollen
erwähnt: die Herren Fr. Junghenn und H. Iöckel
(Landgraf), O. Schönemann und H. S ch u l z (Narr),
die Damen E. Wilhelm und E. S i e b e r t (Land-
gräfin), Grete Junghenn und Margarete
Festspiele.
tmu 317
Hassenpflug (Linde) und die Herren E. Halden
und K. Sellnick (Otto v. Braunschweig). Die Bühnen-
einrichtung hatte Herr Oberinspektor W a ß m u t h über-
wacht. Die für Kassel neuartigen „stilisierten" Deko-
rationen fanden geteilte Beurteilung, und man wird die
Frage auswerfen und verneinen dürfen, ob eine Tausend-
jahrfeier, ein Volksfest, die passende Gelegenheit ist,
ein solches Experiment zu machen. Ausgezeichnet wirkten
die von Herrn Sierra entworfenen, farbenprächtigen
und historisch treuen Kostüme. Zu dem Stücke hatte
Heinrich Bertelmann einen Prolog geschrieben, der in
gehobener Sprache die wechselvolle Geschichte Kassels
begeistert kündet. Johannes Lewalters „Schurr i" er-
öffnete die Vorstellungen. Er hatte auch die vorkommen-
den Lieder charakteristisch in Musik gesetzt.
Dichterisch weit höher als dieses Festspiel, steht das
dreiaktige Schauspiel „C h a s s a l l a" von Emil Jacobi,
das das Hoftheater als Festgabe herausbrachte. Werden
die Bilder am Schluß gestrichen, die als eine Konzession
an die üblichen Festspielanforderungen aufzufassen sind,
so bleibt immer noch eine literarisch wertvolle Gabe
übrig, die es verdient, auch außerhalb der Festzeit sich
auf dem Spielplan zu erhalten. Zwar der Liebeshandel
zwischen Brunico und Irma hat etwas Konventionelles
und Hergebrachtes, und allzu sicher wird das Gute be-
lohnt, das Böse gestraft. Aber der scharfe Blick des
Autors für das Bühnengerechte und Wirksame, seine
Gabe, die Sprache zu meistern, seine dichterische Phan-
tasie und seine starke Gestaltungskraft reißen uns mit.
In schönen klangreichen Versen ist das Stück geschrieben,
in straffem Zuge ist es aufgebaut. Um 912 beginnt es.
Brunico und Irma haben zwar einen Grenzsteit mit
einander, lieben sich aber innig. Der Intrigant des
Stückes, Graf Eggo, sucht Irma um ihren Besitz zu
bringen, nachdem er als Freier abgewiesen ist, der
Abt Gozbert bedroht ihre Freiheit, will sie in ein
Kloster sperren und ihren Hof der Kirche sichern. Graf
Eggo hat ihren Bruder geraubt und die Hungarn ins
Land gerufen. Vor König Konrads Richterstuhl ent-
larvt ihn Brunico, rettet damit die Geliebte, befreit
deren Bruder, wird zum Edeling geschlagen und zum
Gaugrafen ernannt. König Konrad befiehlt, daß Irmas
Hof Chassalla befestigt und ausgebaut werde, und mit
einem Ausblick auf Chassallas Zukunft schließt das
Stück. In einem Nachspiel zeigt die Fuldahexe dem
König Konrad Bilder aus Kassels künftigen Geschicken
und bietet damit dem Theater Gelegenheit zu wirksamer
Vorführung. —
Jacobi hat der Handlung ein eigenes, sehr wirksames
Kolorit gegeben, er hat die uns fast sagenhafte Ver-
ganaenhert glaubhaft wieder aufleben lassen und mit
hübschen Episoden des Dramas ernsten Lauf umrankt.
Des Publikums rauschender Beifall lohnte ihm. Ernst
Hoebel hat einige sehr hübsche Musiknummern zu dem
Festspiel geschrieben. Herr H e r tz e r führte die Regie,
schuf sehr hübsche Szenenbilder, ordnete die Massenszenen
malerisch und wirksam und hat um das Gelingen der
Aufführung keine geringen Verdienste. Frl. G ö r l i n g
war eine prächtige Irma voll Herzlichkeit, Tapferkeit,
Offenheit und Leidenschaft, Herr Hahn ein ritterlicher
Brunico voll Feuer und sympathischem Freimut, Herr
Z s ch o k k e gab den schurkischen Gaugrafen mit eindring-
licher Schärfe und scharfer Charakteristik, Frl. S t o r m
war ein lieblicher frühmittelalterlicher Backfisch, schel-
misch, neckisch, verliebt, Herr Jürgensen lieh dem
Abt wirksame, lebenswahre Züge, Herr Bohnße war
ein König voll Hoheit, Herrscherwürde und Rechtssinn.
Den Part der Fuldahexe sprach Frl. Scholz mit
prächtigem Pathos und in schöner Gliederung der Verse.
Kurz, eine Vorstellung, auf die das Hoftheatcr mit be-
rechtigtem Stolze blicken kann.
H. B l u m e n t h a l.
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Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Das Win-
tersemester des Kasseler Vereins wurde am
6. Oktober durch einen Herrenabend eingeleitet, an
dem zunächst Bibliothekar vr. Hopf einen dankens-
werten anschaulichen Überblick über die mit der
Wiedereröffnung der Landesbibliothek ver-
bundene dreifache Ausstellung gab. Die erste
Abteilung, eine Jahrhundertaus st ellung,
begrenzt durch die Jahre 1798—1820, enthält Bil-
der der Fürsten, Heerführer, Darstellung historischer
Ereignisse, Bücher aus der Zeit vor, während und
nach der westfälischen Zeit, Proklamationen, Proben
von Huldigungsgedichten bei der Rückkehr des
Kurfürsten, Spottgedichte über die westfälische Herr-
schaft, Briefe der verschiedensten Persönlichkeiten,
so der Königin Luise an den Kurfürsten, Johannes
von Müllers, den letzten Brief v. Hasserodts, den
eine Stunde vor seinem Tode geschriebenen Ab-
schiedsbrief Sternbergs an seine Gattin usw.,
ferner amtliche Dokumente, Orden, Ehrenzeichen,
Denkmünzen, Berichte über die Siege Napoleons.
Die Gegenstände stammen zum großen Teil aus
dem Besitz der Landesbibliothek und wurden in
erster Linie ergänzt aus der reichhaltigen Samm-
lung des Bankiers Fiorino, weiter durch das Staats-
archiv zu Marburg, den Magistrat der Stadt Kassel,
den hessischen Geschichtsverein, das Gläßnerschc
Museum, vr. Altmüller, Hoflieferant Cramer,
Kammerherrn v. Dörnberg, Antiquar v. Dolsperg,
Rentner Falkenberg, Kaufmann Grüner, Frau
v. Heathcote, Archivar vr. Knetsch, Baron von
der Malsburg - Escheberg, Friseur Otterbein,
Leutnant v. Riedesel, Assessor Rosenstock, Professor
Schneider, Professor Wagner, Freiherrn Waitz
von Eschen, Kunsthistoriker Wenzel und Rechnungs-
direktor Woringer. - Die zweite Abteilung
bildet die Grimm-Ausstellung, auch zeit-
lich veranlaßt durch den 50 jährigen Todestag
Jacob Grimms, des Begründers der germanischen
thilologie und der wissenschaftlichen Volkskunde.
ie bietet in erster Linie handschriftliches Material
aus dem Besitz der Kasseler Grimmgesellschaft
und aus Privatbesitz. Wir sehen hier den Paß der
Brüder von ihrer Reise von Hanau nach Kassel,
Schulzeugnisse aus der Kasseler Gymnasiastenzeit,
ein Mathematikheft Jacobs, seine lateinische Abi-
turientenrede, Stammbuchblätter der Brüder, Ja-
cobs Marburger Matrikel, Kolleghefte, einen Paß
für die Reise nach Paris, die Bestallung als Kriegs-
sekretariatsaccessist (1806), das Bewerbungsschrei-
318
den um die zweite Bibliothekarstclle iu Kassel
(1815), baö Verlangen des Oberhofmarschallamtes,
dem die Landesbibliothek 1824 unterstellt wurde,
nach einer Katalogabschrift (80 Foliobände!), der
sich die Brüder resigniert unterzogen, den Rechen-
schaftsbericht beim Ausscheiden der Brüder (1820),
die Schrift über ihre Entlassung aus der Göt-
tinger Stellung, (1838) wie überhaupt zahlreiche
Dokumente aus der Göttinger und Berliner
Zeit, weiter die zu Lebzeiten der Brüder er-
schienenen verschiedenen Märchenausgaben, das
dem Kurfürsten gewidmete Exemplar der „deut-
schen Grammatik" (1810), des ersten großen
Wurfes, der Jacobs wissenschaftliches Renommee
begründete, ein Handexemplar der zweiten Aus-
gabe (1822), seine „Geschichte der deutschen Sprache"
mit der Widmung an E. M Arndt zur Erinnerung
an die gemeinsame Tätigkeit in der Paulskirche
und mit dem starken Bekenntnis der Heimatliebe
im zweiten Band. Überhaupt sind hier die wich-
tigsten Werke aus dem Gebiete der Rechtswissen-
schaft, Geschichte ltttb deutschen Philologie ausge-
legt, die verschiedenen Werke Jacobs und Wil-
helms und die gemeinsam herausgegebenen Werke.
Außerordentlich reichhaltig ist sodann die Aus-
stellung von Radierungen des jüngsten Bruders Lud-
wig Emil Grimm, zu der in erster Linie die Tochter
des Malers, Frau v. Eschwege in Kassel, auch Prof.
Stoll, beisteuerte. Wir finden hier religiöse Motive,
z. T auch in Aquarell ausgeführt, Familienbilder,
die Porträts der Göttinger Professoren, Charakter-
köpfe, Darstellungen aus Bayern, Westfalen und
Hessen, deutsche und italienische Landschaften, ganz
entzückende Tierköpfe und Tierstudien und vieles
andere. — Die dritte Abteilung schließlich ist der
B u ch k u n st gewidmet und zeigt die reichen Schätze
der Landesbibliothek auf dem Gebiete der Buch-
ausstattung. Diese Ausstellung bietet einen histo-
rischen Rückblick über die Entwickelung der Buch-
ausstattung durch alle Stilrichtungeu hindurch bis
zur Neuzeit, sie stellt die Grundzüge der Buch-
bindertechnik dar, zeigt Abbildungen von Buch-
binderwerkstätten ans verschiedenen Jahrhunderten,
eine Anzahl mittelalterlicher Bände von der ein-
fachen Technik an, z. B. Holzdeckel mit metallnen
Eckbeschlägeu und Überzügen aus weißem Schweins-
oder braunem Kalbsleber, reichen Pressungen oder
Lederschnitt, den durch die Deckel gezogenen, auf
dem Rücken wulstig aufliegenden Bünden, festauf-
geklebten Lederrücken, die leichtere Art, Bücher zu
binden, überkam uns erst aus dem Orient, der auch
die Kunst des Vergoldens übermittelt hat, was
durch prachtvolle orientalische Einbände gezeigt
wird. Aus dem deutschen Mittelalter werden wun-
dervolle Proben klösterlicher Arbeit vorgeführt.
Reiche Schätze bot auch die Reformationszeit dar-
unter die schön gemalte Lutherbibel von Hans
Lusft in Wittenberg, Golddruckbände, darunter auch
viel hessische Arbeit. Ein neues Moment in die
Bucheinbindungskunft brachten um die Mitte des
16. Jahrhunderts italienische Einflüsse mit ihrer
reichen Ausstattung des Buchdeckels, die auf die
Pfälzer Hosbuchbinderei in Heidelberg gewirkt hatte,
sodah auch die Landesbibliothek reiche Proben
bieten kann dank der ihr 1686 durch Erbschaft
zugefallene Bibliothek des letzten Kurfürsten Karl
von Pfalz-Simmern. Die Buchkunst Frankreichs
ist vertreten durch Proben aus der Zeit Lud-
wigs XIII.—XV., aus der Bibliothek des Kardi-
nals Mazarin, desgl. einen im sog. „Fanfarenstil"
gehaltenen Band aus 1633, über dessen Deckel sich
feines Filigrangewebe aus stilisierten Blütenranken
zieht, daneben reizende kleine Sachen aus Frank-
reich, gestickte und seidene bemalte Kalender, ga-
lante Neujahrswünsche u. ä. Ganz andersartig
sind die englischen Einbände, von denen eine Aus-
wahl vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart
gezeigt wird, namentlich reich bestickte Bände aus
dem 17 Jahrhundert, alles in schwererer und
kräftigerer Linienführung als die französische Ar-
beit. In besonderen Abteilungen ist die Buch-
binderkunst Hessens, besonders Kassels, zu-
sammengestellt. Wir finden hier gestickte Adressen,
meist an die hessischen Landgrafen, den Pracht-
band der Verfassung von 1831 mit dem großen
Staatssiegel, eine glanze Fülle schöner Brokat-
papiere, prächtige Bände der Wilhelmshöher Hof-
bibliothek, die in reichem Golddruck das fürstliche
Wappen zeigen, auch einige Urkunden aus der
Geschichte der Kasseler Buchbinderinnung sowie
deren Lade. Den Beschluß bildet eine Übersicht
über moderne Kasseler Erzeugnisse, Verleger- wie
Buchbinderbände, die in präzisen und geschmack-
vollen Einbänden den Kasseler Buchbindern hohe
Ehre machen. Die innere Ausstattung wird durch
eine Reihe von Handschriften vorgeführt. Hier
stand natürlich an erster Stelle das um 800 von
zwei Fuldaer Mönchen auf die erste und letzte
Seite eines liber eapientiae geschriebene Hilde-
brandslied, der kostbarste Schatz der Bibliothek,
der wohl 1632 bei der Besetzung Fuldas durch Wil-
helm V von Hessen mit der Jesuitenbibliothek
nach Kassel gelangte, gleichfalls noch aus dem
8. Jahrhundert die Ausgabe des Beda in angel-
sächsischer Schrift, ein Gradúale der Kaiserin Kuni-
gunde (um 1020), Handschriften aus der Fuldaer
Laudesbibliothek, darunter die bis 1162 reichende
Welfenchronik aus dem Kloster Weingarten mit
Miniaturen des 12. Jahrhunderts, dem Welfen-
stannnbaum und einem zeitgenössischen Bild Kaiser
Friedrichs I. und seiner Söhne, ein Evangeliar
des 11. Jahrhunderts mit z. T auf echtem Pur-
purgrund gemalten Miniaturen, eine Thukydides-
handschrift, 1252 auf Baumwollenpapier geschrie-
ben mit zahlreichen Ligaturen, zwei Missale aus
dem 14. und 15. Jahrhundert aus Fritzlar mit
deutscher Malerei auf Goldgrund, die 1334 auf
Veranlassung des Landgrafen Heinrich II. des
Eisernen geschriebene Handschrift des „Willehalm
von Oranje" Wolframs v. Eschenbach, von Ulrich
von Türheim vollendet, besonders interessant auch
durch die Miniaturen zweier deutlich zu unter-
scheidender Maler, weiter die Weltchronik des Ru-
dolf von Ems aus dem Ende des 13. Jahrhunderts,
S««L> 319 SML.
die Frankenbergcr Chronik aus dem Ende des
16. Jahrhunderts, Gebetbücher aus dem 14. bis
16. Jahrhundert usw. Unter den Frühdrucken be-
findet sich die lateinische, sog. 48 zeilige Bibel,
von Fust und Schösser in Mainz 1462 gedruckt,
die deutsche Bibel von Eggerstein in Straßburg,
um 1470, das von den Kugelherren zu Marienthal
1475 gedruckte Lroviarium Moguntiacum und der
durch Peter Schösser zu Mainz 1471 gedruckte
Codex Justinianeus. An zahlreichen Proben wird
schließlich die Entwickelung der Illustration gezeigt.
Hier sieht man Holzschnitte der Resormations-
schriften, Dillichs Ritterspiele, Abraham a Santa
Claras „Judas der Erzschelm" usw., Kupfer-
stiche von Chodowiecki, französische und deutsche
Kupfer, Stahlstiche und nicht zuletzt naturwissen-
schaftliche Illustrationen (darunter Konrad Gcß-
ners Naturgeschichte mit Holzschnitten, Zürich 1560
und Leonhard Baldners Vogel- und Fischbuch,
Straßburg 1646). — Der Vorsitzende General
E i s e n t r a u t dankte dem Redner im Namen des
Vereins für diese ungemein fesselnde Übersicht und
warf dann einen Rückblick auf die letzten Monate
mit ihrer großen Zahl von Erinnerungstagen.
Namentlich die Jahrtausendfeier Kassels habe in
weiten Kreisen den geschichtlichen Sinn gefördert.
Er begrüßte dann besonders die beiden in be-
kannter Rüstigkeit erschienenen 92 jährigen Mit-
glieder des Vereins, Geheimrat Fritsch und
Hauptagent Iber. Zur Ehrung des leider so
früh dem Verein durch den Tod entrissenen Ge-
heimen Juftizrat Schroeder erhoben sich die
Anwesenden von den Sitzen. Es kam sodann durch
Rechnungsdirektor W o r i n g e r ein neuerdings
aufgefundenes volkstümliches Gedicht auf die
Schlacht bei Hanau zur Verlesung, sowie ein
von Rentner Rudolph hergeliehenes Schriftstück
vom 10. Oktober 1808, in dem die westfälische Re-
gierung eine Untersuchung wegen eines bei der
Einnahme Kassels durch die Russen entstandenen
Kassendefekts von 8300 Franken anordnete. Ein
von Privatmann Wentzell in Umlauf gesetztes
Schriftstück war von Interesse für die ersten Jahre
des Bestehens des Geschichtsvereins. Der Biblio-
thekar des Vereins, Geheimrat Grimm, be-
richtete über den Stand der Vereinsbibliothek, die
eines erheblichen Zuschusses zu ihrer Einrichtung
in den neuen, im Landesbibliotheksgebäude ihr
zur Verfügung gestellten Räumen bedürfen wird.
Rechtsanwalt D e l l e v i e gab eine interessante
aktenmäßige Darstellung über die Zwistigkeiten
zwischen den kurhessischen und österreichischen Sol-
daten der Kasseler Garnison im Jahre 1851, wozu
aus dem Kreise der Anwesenden weitere Mit-
teilungen gemacht wurden. Schließlich berichtete
der Schriftführer, Rechnungsdirektor W o r i n g e r,
über Vorgänge und Festlichkeiten bei der Für'sten-
versammlung in Frankfurt a. M am 17. August
1863.
An dem Ausflug des Hers selber Vereins am
31. August beteiligte sich eine stattliche Anzahl von
Damen und Herren. Vom Schenklengsfelder Bahnhof
zog man hinauf auf den Landecker, von wo das Hessen-
land im hellen Sonnenschein seine ganze Schönheit
zeigte. In den Gemäuern der alten Feste hielt sodann
Pfarrer Sch eff er über die Geschichte der Burg und
des Amtes Landeck und deren Beziehungen zu Ziegen-
hain, HerSfeld und Kursachsen aus Grund eigener
Archivsorschungen einen Dortrag, der viel Neues
bot und in das Dunkel Licht brachte, das bisher
die Geschichte des Landeckers umfing. Hoffentlich
werden weitere Quellenstudien auch das jetzige Zwie-
licht beseitigen. Denn es bleibt doch noch manche
Frage unbeantwortet, z. B. die nach dem Jahre der
Zerstörung. (Übrigens verzeichnet Merians hessische
Topographie von 1665 mit unklaren Worten nur
„ein alt Schloß. Landeck genannt", bietet aber kein
Bild davon und vermerkt es auf der Karte nicht,
die z. B. Fürsteneck ausweist). In Schenklengsfeld
besichtigte man noch unter Führung des Lehrers
Hetze! die mit Schießscharten befestigte Kirche, in
der ein Fensterbild im Ostchor noch an die wenigen
Jahre der kursächsischen Zeit erinnert (ca. 1740),
sowie den Amtsgerichtshof.
Marburger Hochschulnachrichten. Dem
Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Zincke wurde der
Kgl. Kronenorden 2. Klasse, dem Inspektor der
Medizinischen Klinik Bauersachs der Charakter
als Rechnungsrat verliehen, Prof. Dr. Kalbfleisch
die erbetene Entlastung aus dem Staatsdienst erteilt.
— Prof. Dr. Albert Brackmann wurde als
ordentlicher Profeffor für mittlere und neuere
Geschichte nach Königsberg berufen. — Privatdozent
Prof.Dr.Franz Bock hat einen Ruf als Professor
der Kunstgeschichte an die Königliche Akademie in
Posen als Nachfolger von Pros. N. Hamann an-
genommen. — Dem Rittergutsbesitzer Dr. Noderich
Freiherrn Waitz von Eschen zu Kaffel und dem
Profeffor Dr. Brenning in Weener (OstsrieSland)
wurde anläßlich ihres 50jährigen Doktorjubiläums
von der philosophischen Fakultät das Diplom er-
neuert. ___________
150jähriges Besteheu bor Engel-
bardischen Blaudruckfabrik. In dem
Jahre der Zentenarfeiern durfte die Blaudruck-
fabrik und Leinenfärberei von Friedrich Engel-
hardt in Kassel-Bettenhausen das seltene Fest des
150 jährigen GeschäftsjubiläumS am 28. August be-
gehen. Fünf Generationen hindurch, von der Be-
gründung an, ist das Geschäft in derselben Familie
geblieben, die in den Kasseler Bürgerkreisen stets
eine sehr geachtete Stellung genießen durfte. Der
erste Inhaber Johann Justus ist 1727 geboren
worden. Sein Unternehmen erfreute sich, wie auch
aus Forrers Werk, „Tie Geschichte des Zeug-
druckes vom Mittelalter bis zum Empire" hervor-
320 s«rL>
fleht, vortrefflichen Rufes. Bemerkt sei noch, daß
in der historischen Erzählung von H. Brand, „Unter
König Jöröme", „der alte würdige Zeugdruckerei-
besitzer Engelhardt vom Altmarkt" genannt wird,
da wo Gruppen der aufgeregten Bevölkerung unse-
rer Residenz am 15. Oktober 1806 über die neuesten
weltgeschichtlichen Ereignisse debattieren. Dann
haben Vater und Großvater von Friedrich Engel-
hardt, dem jetzigen Inhaber, dem Kasseler Magi-
strat als Stadträte angehört. Wenn die Gründung
des Geschäftes auch ins Jahr 1763 verlegt wurde,
so reichen seine Anfänge doch fast 200 Jahre zu-
rück. Es ist wahrscheinlich, daß sie mit der inten-
siven Handels- und Gewerbepolitik zusammen-
hängen, die sich aus dem Merkantilsystem des
Landgrafen Karl ergibt. Technisch und kommer-
ziell hat das Unternehmen im Laufe der anderthalb
Jahrhunderte natürlich eine reiche Entwickelung
durchwandelt. In der Zeit des handwerklich-zünf-
tigen Betriebes geschah der Druck mit der Hand-
form, die anfangs nur aus Holz geschnitzt war.
So wurden die primitiven Figuren und Gruppen
hergestellt, die wir heute noch auf alten Stücken
sehen können, während die Pflanzenornamente in
diesem Verfahren bereits so schön wurden, daß
man heute wieder auf die alten Muster zurück-
kommt. Dieser umständliche Handdruck wurde im
vorigen Jahrhundert durch einen vereinfachten,
mechanischen Betrieb ersetzt. Es kamen die soge-
nannten Perotinen auf, das sind selbsttätige Druck-
maschinen, die nur eingestellt zu werden brauchen.
In dieser fortgeschrittenen Technik sind die Muster
viel komplizierter wie reichhaltiger in den Farben
geworden. Das kommerzielle Wachstum des Ge-
schäftes entspricht dieser technischen Entwickelung.
Als rein handwerklicher Betrieb war man vor
allen Dingen auf den Absatz am Platz angewiesen.
Aber bereits der dritte Inhaber, Friedrich Engel-
hardt, der zuerst fabrikationsmäßig arbeitete, ent-
sandte seine Geschäftsvertreter nach Hessen, Thürin-
gen, Süddeutschland, auch besonders nach Franken.
Für die Güte der Geschäftsartikel ist auch bezeich-
nend, daß unter diesem dritten Inhaber schon zwei
Medaillen auf der Kasseler Gewerbeausstellung er-
worben wurden 1829 die silberne Ehrenmünze,
1840 die silberne Gewerbemedaille des Kurfürst-
lichen Handels- und Gewerbe-Vereins. Auf der
Leipziger Industrie-Ausstellung erhielt die Firma
im Jahre 1850 durch die Bronzene Medaille des
Königs von Sachsen eine Auszeichnung, 1870 auf
der Kasseler Industrie-Ausstellung wurde eine An-
erkennung für vortreffliche Leistungen erworben.
Heute hat sich das Äigclhardtsche Geschäft den
Forderungen des Großbetriebes völlig angepaßt.
Besonders werden Stoffe für die Schürzenfabri-
kation angefertigt, deren Absatzgebiet sich haupt-
sächlich aus Ostpreußen, Schlesien und das König-
reich Sachsen erstreckt. Dabei wird jedoch immer an
der alten soliden Blaudruckfabrikation für Kleider
durchaus festgehalten. Hierfür kommen besonders
die beiden Hessen, Bayern, Baden und Württem-
berg in Frage. Es bleibt noch zu sagen, daß sich
das Geschäft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
derartig entwickelt hatte, daß seine Zerlegung aus
der alten Leipziger Straße in Kassel nach Betten-
hausen zur Notwendigkeit wurde. Friedrich Engel-
hardt, der jetzige Inhaber und Leiter, hat sich
zuerst unter seinem Vater gebildet, um dann die
technischen Großbetriebe, hauptsächlich in Österreich-
Ungarn, Westdeutschland und der Schweiz kennen
zu lernen. —r.
Musste Hungen der Kasseler Bibliotheken.
Es war ein dankenswerter Entschluß des Direktors der
Murhardschen Bibliothek Professor vr. Stein-
haufen. aus Anlaß der Jahrtausendfeier einmal die in
diesem Umfang nirgends anzutreffende Sammlung der
Bibliothek von Plänen und Gefamtanfichten der Stadt
Kassel wie einzelner Stadtteile und Gebäude im Saale
der Bibliothek auszustellen. Und so hatte man denn in
der Woche nach dem großen Fest Gelegenheit, neben mehr
oder weniger bekannten bildlichen Darstellungen die seltensten
Stücke bequem und übersichtlich beisammen zu sehen. Nur
einiges kann aus der großen Fülle dieser einzigartigen
Ausstellung hier hervorgehoben werden. Da fanden wir
unter den Ansichten die Gesamtansicht Kassels in dem lauch
farbig vertretenen) Kupferstich aus Hogenberg und BruiereS
0rbi8 terrarum in der Ausgabe von 1574, weitere Gesamt-
anfichten aus 1591 und 1598 lDilich), 1593, 1595,1596,
um 1600 nach 1604. 1605. ca. 1620 (Meißner). 1632
(Bertius). 1638 und 1640 (Merian). 1720, 1761, 1790
(Weife). 1800 1830 (Stieh), 1836, vom Mergardschen
Garten vor dem Leipziger Tor aus gesehen, höchst seltenes
Blatt ca. 1840, von Wolfsanger auS gesehen, nach der
Zeichnung von G. Engelhard, und aus neuerer Zeit noch
eine ganze Anzahl z. T. außerordentlich seltener Blätter.
Von den Einzeldarstellungen heben wir besonders I. H.
Tischbeins Gemälde des alten LandgrafenfchlosseS hervor,
nach dem für die Ausstellung der LandeSbibiiothek jetzt
eine Kopie hergestellt wurde, und weiter als höchste Selten-
heit ein die Aue als Insel darstellendes Gemälde. In dieser
Reichhaltigkeit nirgends wieder anzutreffen ist sodann die
Sammlung von Einzeldarstellungen, die uns manchen ver-
schwundenen Bau wenigstens im Bilde festhalten, so daS
1891 niedergerissene Dechaneigebäude am MartinSplah,
die verschwundenen Häuser am Meßplatz, das 1888 ab-
gebrochene Haus vor dem Kloster Nr. 3, in dem General
Allix 1807 wohnte, die Fuldabrücke (1795, C. Sieber),
Grundriffe und Ansichten der Kattenburg. ein entzückendes
Aquarell von I. Krauskopf: Blick von den Kolonnaden
auf Kattenburg und Aue, den Hanauischen Park. die
Gnadengasse, ein Gemälde von Emilie von der Embde: Blick
vom Hotel Prinz Friedrich Wilhelm auf die Gärten der
Wolfsschlucht und KönigSstraße. Pläne von Privatumbauten
mit der eigenhändigen Genehmigung des letzten Kurfürsten,
eine ganze Anzahl von Stichen Kobolds und MayrS und
anderer, darunter eine Reihe Urnen. Auch die Sammlung
der Pläne ist reichhaltig vertreten von dem recht zweifel-
haften Plan von 1311 an; aus diesen Plänen, z T.
Originalen, seien diejenigen von 1540.1564,1642, 1697,
1720 (Oberneustadt. J.G. Krug!). 1742, 1757, 1758 und
1766 hervorgehoben. Den Beschluß bildet eine in dieser
Vollständigkeit wohl auch unerreichte Sammlung von etwa
130 verschiedenen Ansichten WilhelmShöhes auS allen Zeiten.
Allgemein bedauert wurde, daß die Ausstellung wegen der
in diesem Saale beginnenden Vorlesungen der Gesellschaft
für Kunst und Wissenschaft so früh wieder geschloffen
werden mußte. Sie gehörte zu den wertvollsten Dar-
bietungen der verflossenen Jubiläumstage.
vmL> 321 vmn>
Außerordentlich viel de- Inter-
essanten bot auch die bei der Wieder-
eröffnung der Lende-bibliothek
veranstaltete Ausstellung, um deren
drei Gruppen sich namentlich Biblio-
thekar vr. Lange IJahrhundert-
auSstellung). Bibliothekar vr. Hopf
(Grimmausstrllung) und vr. Butte
lBuchkunst) verdient gemacht haben.
Über die Einzelheiten dieser Aus-
stellung berichten wir an anderer Stelle
l S. 317). Besonders überraschend war
die Zusammenstellung der Grimm-
schen Radierungen, die hier zum
ersten Male vereinigt, einen Überblick
über das Schaffen diese- Künstlers
ermöglichten. Es wäre außerordent-
lich wünschenswert, die Grimmaus-
stellung. soweit deren Gegenstände
der Kaffeler Grimmgesellschaft an-
gehören. in den erweiterten Räumen
der Landesbibliothek zu einer stän-
digen zu wachen und so Kaffel einen
neuen und einzigartigen Anziehungs-
punkt zu schaffen.
Die Einweihung der neuen
Räume der Landesbibliothek
im ehemaligen Museum Frideri»
cianum. das zu diesem Zweck mit
einem Kostenaufwand von über
140 000 M. umgebaut wurde, er-
folgte am 23. September. Bereits
1907 hatte der Bezirksverband das
Museum für 200 000 M. erworben,
um in ihm nach Eröffnung des neuen
Landesmuseums die Bibliothek mit
ihren 325000 Bänden und über
4000 Handschriften unterzubringen.
Da wir bei der Einladung der Kaffeler
Redaktionen zu diesem Akt geschnitten
wurden, find wir nicht in der Lage,
über die bei der Einweihung gehaltenen
Reden zu berichten. Wir möchten hierzu noch bemerken,
daß wir un- nicht bewußt find, jemals der ständischen
Landesbibliothek zu Kaffel zu nahe getreten zu fein; es
müssen also schon private Gründe bei diesem Verhalten
obgewaltet haben.
Die Deutsche Jubiläums-KunstauSstellung
Kassel 1913 ist nach zweieinhalbmonatiger Dauer am
1. September geschloffen worden. Von den 850 ausgestellten
Werken find 300 für insgesamt 152000 Mark verkauft
worden. U. a. wurde für die Düfleldorfer Sammlungen
ein Frauenporträt von Max Klinger erworben. Die Stadt
Kaffel kaufte für ihre geplante moderne Galerie Bilder
von Karl Bantzer-DreSden. Otto Ubbelohde-Marburg, E.
R. Weiß-Berlin, Burmester-Kaffel.
Personalchronik. In aller Stille beging General-
major z. D. Eisentraut, der in den weitesten Kreisen
de- Heffenlande- angesehene Geschichtsforscher, am 1. Oktober
sein 50 jährige- Dienstjubiläum. Seit seiner Pensionierung
wohnt General Eisentraut in Kaffel. wo er als Vorsitzender
des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde und
als Mitglied verschiedener wiffenschaftlicher Vereine ver-
dienstvoll wirkt. ______________
Todesfall. Am 30. August verstarb zu Büdingen der
Großh. Gymnasiallehrer i. P. vr. K a rl Oßwald. Der
«tncralselvmarfcha« Kürst Blücher v. Wahlstatt.
Nach einem »rmUde von F. ®. SteinmNller. (Vgl. S. 311.)
Verstorbene war ein Mann von seltener Pflichttreue, ge-
diegenem Wissen und treuer vaterländischer Gesinnung.
Daneben war er von einer guten Begabung in künst-
lerisch-dichterischem Sinne. Er hatte hierin ein Stück des
Dichters R. Oeser-Glaubrecht, dessen Großvater mütter-
licher Seite sein Urgroßvater war. — Geboren zu Würz-
burg den 22. September 1834, besuchte Karl Oßwald
die Realschule und das Gymnasium zu Mainz. 1854
bezog er die Universität Gießen. Er lieferte hier zwei
Preisarbeiten, wofür er die goldene Medaille erhielt.
Im August 1858 bestand er mit bestem Erfolg die
Prüfung für das höhere Lehrfach. Nachdem er von
Herbst 1858 bis Herbst 1859 seinen Akzeß am Gymna-
sium zu Gießen absolviert hatte, war er als Hilfslehrer
an den Gymnasien zu Gießen, Darmstadt, Worms, und
als Dirigent der Realschule zu Oppenheim tätig. Am
1. Dezember 1866 wurde er als Gymnasiallehrer zu
Büdingen, am 4. Oktober 1876 als solcher zu Darm-
stadt, am 6. September 1882 als solcher zu Büdingen
ernannt. Am 30. März 1893 wurde er unter Anerken-
nung seiner treu geleisteten Dienste in den Ruhestand
versetzt. — Ehre dem Andenken von vr. Karl Oßwald!
R. i. p. vr. A u g u st R o e s ch e n.
Vermächtnis. Der verstorbene Privatmann Kon-
stantin Rudolph vermachte zur Errichtung einer
322
Blindcnanstalt in Kassel der Stadt 269 355 Mark und
bestimmte weiter, daß seine reiche Orden-, Armaturen- und
Bildersammlung dem Hessischen Landesmuseum überwiesen
werden soll. Durch dieses reiche Vermächtnis wird es er-
möglicht, daß diejenigen Kinder au« Kassel, die bisher in
Frankfurt a. M. der Blindenanstalt überwiesen wurden,
entweder in Kassel in der neu zu errichtenden Blinden-
anstalt verbleiben oder aber, daß den Eltern namhafte Zu-
Wendungen aus dieser neuen Stiftung gemacht werden können.
Jacob Grimm. Am 20. September waren fünfzig
Jahre seit dem Tode Jacob Grimms, des Begründers der
deutschen Philologie und eines der größten Söhne deS
Hessenlandes, verflosien. Er liegt auf dem Mathäikirchhof
zu Berlin an der Seite seines Bruders Wilhelm begraben.
Sein Nachlaß wurde durch seinen Neffen Herman Grimm
der Berliner Bibliothek anvertraut. Es sei daran erinnert,
daß die von den Brüdern besorgte erste Ausgabe deS
„Armen Heinrich" vor hundert Jahren erschien und im
Vorwort auch ein politisches Bekenntnis der Brüder ent-
hält. ES heißt darin: „In der glücklichen Zeit, wo jeder
dem Vaterlande Opfer bringt, wollen wir daS altdeutsche,
tiefsinnige und herzliche Buch vom armen Heinrich, worin
dargestellt ist: die kindliche Treue und Liebe, die Blut
und Leben ihrem Herrn hergibt und dafür herrlich von
Gott belohnt wird, neu herausgeben." Nicht ohne Rührung
— sagt Wilhelm Scherer dazu — kann man den Sah lesen,
mit dem die Ankündigung schließt: „Der Ertrag ist zur
Ausrüstung der Freiwilligen bestimmt." Und Scherer fährt
fort: „Wenn heute unser Volk weit fester geeinigt dasteht,
als vor 60 Jahren, so hat auch die Wissenschaft der deutschen
Philologie ihren bescheidenen Anteil. Diese Wiffenschaft
ist gebaut auf daS reinste, edelste, heiligste Gefühl. daS
einen Menschen erfüllen kann, aus die Liebe zur geistigen
Gemeinschaft, der er entstammt, auf die Liebe zu feiner
Nation. Nie war das Gefühl in einem Deutschen mächtiger
als in Jacob Grimm. Sein innerstes Wesen ist Liebe."
Erinnerungsdaten. Am 30. September waren
hundert Jahre seit der Beschießung Kassels durch den
russischen General Tschernitscheff verflosien. dessen Kosaken
man in Kassel mit Begeisterung begegnete. Am 24. Ok-
tober hielt Jsröme feine letzte Revue über dir Truppen
auf dem Bowlinggreen in der Karlsaue ab und in der
Frühe de8 26. Oktober verließ er Kassel für immer.
Aus Hanau. Hier wurde am 18. August die deutsche
Fachschule für Diamantrnfchleiferei. deren Kosten für die
ersten fünf Jahre die Diamantenregie und die deutsch-süd-
westafrikanische Schürfgesellschaft bereitgestellt haben, eröffnet.
-------------------
Hessische Bücherschau.
Jubiläumsliteratur.
Ein Teil der durch das Fest der Stadt gezeitigten
Literatur wurde bereits in unserem letzten Doppelheft
besprochen, so namentlich die im Auftrag des Magistrats
vom Statistischen Amt der Residenz herausgegebene wert-
volle Publikation über „Die Verwaltung der Residenzstadt
Kassel in den Jahren 1!X)8 bis 1911" Die als eigentliche
offizielle Gabe gleichfalls im Aufträge des Magistrats von
dem Direktor der Landesbibliothek Herrn Professor
Dr. Brunner verfaßte „Geschichte der Residenzstadt Cassel"
wurde vom Verlag (Pillardy und Augustin, Kassel) aus-
gerechnet unserer Redaktion nicht zur Besprechung über-
sandt. Wir haben daher keinen Anlaß, darauf einzu-
gchn, sind aber nicht kleinlich genug, unseren Lesern den
Hinweis auf das, dank der Munifizenz des Kasseler
Magistrats prächtig ausgestattete Werk vorzuenthalten.
Eine ganz hervorragende Jubiläumsgabe bildet Band II
der von der Historischen Kommission für Hessen und
Waldeck veröffentlichten Klosterarchive, der, von Dr. Jo-
hn n n e s S ch u l tz e bearbeitet, unter dem Titel
„Klöster, Stifter und Hospitäler der
Stadt Kassel und K l o st e r W e i ß e n st e i n.
Regesten und Urkunden" in der N. G. Elwert'schen Ver-
lagsbuchhandlung in Marburg erschien. (XXIV und
788 Seiten, Preis 30.— M., gebunden 32.— M.)
Er enthält die Archivbestände aller ehemaligen Klöster,
Stifter und Hospitäler der Stadt Kassel und des Klosters
Weißenstein und erschöpft in erster Linie den Inhalt der
Archive, die die einzelnen geistlichen Institute bei ihrer
Aufhebung besaßen. Zur Ergänzung wurden alle erreich-
baren Urkunden fremder Herkunft, in denen die betref-
fenden Institute als Aussteller oder Empfänger erscheinen,
mit aufgenommen. Die Regesten geben den Inhalt der
einzelnen Urkunden erschöpfend wieder; nur da, wo eine
Erschöpfung des Inhaltes durch ein Regest nicht mög-
lich war, wurde im Anhang der vollständige Abdruck ge-
geben. Die Grenze bildet das Jahr 152?, in dem die
hessischen Klöster aufgehoben wurden. Einleitend erör-
tert der Verfasser die Verwahrung und Ordnung der Ur-
kundenarchive bei den ehemaligen geistlichen Korpora-
tionen zu Kassel und Weißenstein und untersucht dabei
namentlich die Frage nach etwaigen Verlusten von Archi-
valien nach der Säkularisierung. Zum ersten Male er-
halten wir sodann einen lückenlosen Überblick über die
Urkunden des Klosters Ahnaberg, des Karmeliterklosters,
des St. Martinsstiftes auf der Freiheit, des St. Ge-
orgenstistes der Kugelherren im Weißenhofe, der Schloß-
kapelle zu Kassel, des Elisabethhospitals, des Siechen-
hofes und der Schwesternhäuser auf der Freiheit und in
der (Unter-) Neustadt sowie schließlich des Klosters Wei-
ßenstein. Es handelt sich in erster Linie um Schen-
kungen, Verkäufe oder Umtausche von Klostergütern, die
meist gegen einen jährlichen Zins verpachtet wurden.
Von besonderem Interesse sind auch die Verzeichnisse
von Kleinodien, die bei der von Landgraf Philipp 1527
verordneten Inventarisation der Klostergüter vorgefunden
wurden. Der voluminöse Band bringt insgesamt 1663
Regesten und im Anhang 34 vollständige Urkundentexte,
während ein 250 Spalten umfassendes Orts- und Per-
sonenregister die Benutzung der Regesten und Urkunden
erleichtert. Jede auch nur einigermaßen eingehende Beschäf-
tigung mit der Geschichte Kassels kann fortab an dieser neu-
en bedeutsamen Gabe der Historischen Kommission nicht mehr
vorübergehen. — Eine höchst erfreuliche Festgabe brachte
auch der Kasseler Lehrerverein der Stadt dar, in dessen
Auftrag Heinrich T h e o d o r K i m p e l, der ver-
dienstvolle Verfasser des dreibändigen Werkes über die
hessischen Volksschulen, und Wilhelm Kreitz eine
umfassende Arbeit über „Das Casseler Volks-
schulwesen in Vergangenheit und Gegen-
>v a r t" verfaßten. (Kommissionsverlag der Hessischen
Schulbuchhandlung, R. Röttger. 695 Seiten. Preis
in Leinen gebunden 5 Mark.) Es sind mehr als zwei
Menschenalter verflossen, seit der damalige Gvmnasial-
direktor C. F. Weber seine treffliche „Geschichte der
städtischen Gelehrtenschule zu Kassel" erscheinen ließ.
Hier erhalten wir nun zum ersten Mal eine quellen-
mäßige Darstellung des Kasseler Volksschulwesens, wobei
Kimpel die Vergangenheit, Kreitz die Gegenwart bear-
beitete. Nach allgemeinen Betrachtungen über den Ur-
çm*L> 323 9«ub
sprung der Volksschule in vorreformatorischer Zeit geht
Kimpcl zu der Geschichte der ersten öffentlichen Volks'
schulen Kassels über. Es könnte irre führen, wenn es
hier heißt, der erste „teutsche Schulmeister" als Leiter
der ersten Kasseler Volksschule, die unter Landgraf Philipp
durch Abzweigung von der Partikularschule im Martin-
stift entstand, habe Wohnung und Schulstube in einem
der Stadt Kassel gehörigen, als Tor gebauten Hause
auf der ö st l i ch e n Seite der Fuldabrücke erhalten.
Dieses einzige Brückentor, der langjährige Sitz der
„teutschen Schule", lag vielmehr am nordwestlichen Ende
der Fuldabrücke nach der Altstadt zu. Gleichfalls zu
den Volksschulen sind auch die zahlreichen Neben- und
Winkelschulen zu zählen, über die nähere Nachrichten
fehlen. Unter Moritz entstand im Anschluß an die alte
Lateinschule eine Art Bürgerschule, die zu praktischen
Berufen vorbereitete. Bei der Umwandlung der Latein-
oder Stadtschule zum Lyceum Fridericianum wurde dann
die ihr angegliederte Partimschule, der die Kurrenden-
knaben angehörten, zur zweiten selbständigen öffentlichen
Volksschule der Stadt. Nachdem der Verfasser eingehend
die Geschichte der Partimschule verfolgt, wendet er sich
der Garnisonschule zu, die im ersten Drittel des acht-
zehnten Jahrhunderts begründet wurde und erst 1870
aufgelöst wurde. Ein umfangreicher Abschnitt widmet
sich den Kasseler Freischulen, die zuerst, sechs an der
Zahl, 1791 ins Leben traten und in einem Nebengebäude
des reformierten Waisenhauses in der Unterneustadt so-
wie im Hallengebäude Unterkunft fanden. Reiches ur-
kundliches Material ermöglicht einen genauen Einblick
in die weitere Entwicklung der Freischulen, die 181«,
mit den Partimschulen vereinigt wurden, bis sich ihr Rest
1889 der Reihe der Kasseler Bürgerschulen eingliederte.
Zum ersten Mal hören wir dann Ausführliches über die
von 1831 bis 1874 bestehende Freischule des Fräulein
Halberstadt *) und diejenige des Kasseler Armenvercins.
Der sechste Abschnitt behandelt die 1812 begründeten
Kasseler Bürgerschulen mit ihren mannigfachen Schick-
salen, der siebente die nach langjährigen Verschleppungen
1850 eröffnete erste öffentliche Mädchenschule Kassels,
der achte die katholische Parochialschule (1810 f.), der
neunte die seit 1868 bestehende höhere Mädchenschule, der
zehnte die Kasseler Privatschulen, der elfte die israeli-
tische Volksschule mit Seminar und Waisenhaus, der
zwölfte die Schulen des reformierten und lutherischen
Waisenhauses, der dreizehnte die städtische Erziehungs-
anstalt, der vierzehnte die seit 1882 bestehende städtische
Vorschule, der fünfzehnte gibt die Geschichte der Volks-
schulen der Vorortgemeinden. In den beiden Schluß-
kapiteln behandelt Kimpel sodann die Verwaltung des
Kasseler Volksschulwesens in der Vergangenheit und die
Lehrerbesoldung und äußere Lage der Kasseler Bolksschul-
lehrer. Fast von gleichem Umfang ist der zweite, von Rektor
Kreitz bearbeitete Teil, der sich in eingehender, stellen-
weise vielleicht allzu eingehender Weise dem Kasseler
Volksschulwesen der Gegenwart widmet. Er datiert den
Aufschwung des Kasseler Volksschulwesens seit der 1869
erfolgten Auflösung der Königlichen Stadt-Schulkommis-
sion, die seitdem durch die Stadtschuldeputation ersetzt
wurde, und weist eingehend nach, in wie reichem Maße
die Stadt Kassel in den letzten Jahrzehnten ihre Ehren-
pflicht gegenüber Schule und Lehrerschaft erfüllt hat.
Das zeigte sich schon in der Gründung neuer Schul-
gebäude. Bis dahin hatten die vier städtischen Schulen
nur ein einziges Haus gehabt, das als Schulhaus an-
gesprocheu werden konnte, das Schulgebäude in der
Hedwigstraße, und namentlich die Freischulen hatten sich
*) Vgl. „Hessenland" 1913, Seite 123.
mit ungeeigneten Klassenzimmern, noch dazu teilweise
in Hinterhäusern, begnügen müssen. Schon 1869 konnte
der neue Schulbau der höheren Mädchenschule bezogen
und allein aus den letzten 25 Jahren können 21 Volksschul-
neubauten registriert werden. Bemerkensivert ist noch,
daß der Haushaltungsunterricht für die Mädchen der
obersten Klasse von Kassel aus seinen Siegeszug durck,
die pädagogische Welt angetreten hat. Besondere Kapitel
dieses zweiten Teiles sind den Lehrenden und Lernenden,
dem Unterricht, der Schulgesundheitspflcge, der Wohl-
fahrtspflege in den Kasseler Volksschulen, dem vorschul-
pflichtigen Alter, den Fortbildungsschulen und selbst den
Schuldienern gewidmet. In all diesen Abschnitten wird
der Beweis erbracht, daß unsere Residenz auf dem
Schulgebiet hervorragendes geleistet und sich mit Recht
den Ehrennamen einer Stadt der Schulen erworben hat.
Der fortschrittliche Geist, von dem die Entwiàng des
Kasseler Volksschulwesens der letzten Jahrzehnte ge-
tragen wurde, weht auch aus diesem fleißigen, übrigens
auch mit einschlägigen Abbildungen durchsetzten Werk,
das als erster Versuch einer Entwicklungsgeschichte der
Kasseler Volksschulen mehr ist als eine „bescheidene
Festgabe", als die es sich darbietet. — Die Darstellung
der kommunalen Entwicklung unserer Residenz hat
sich ein Sammelwerk „Cassel" zur Aufgabe gemacht,
das Erwin Stein, der Generalsekretär des Vereins
für Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik, bei Stal-
ling in Oldenburg als vierten Band der „Monographien
deutscher Städte" herausgab. (199 Seiten mit 34 Ab-
bildungen im Text und 4 Plänen. Preis 5.— M.,
gebunden 6.75 M.). Nicht weniger als 31 Leiter öffent-
licher Institute und sonstige Sachverständige haben be-
reitwillig zu dem Text beigesteuert, und wenn wir unter
den Aufsätzen auch einigen alten Bekannten begegnen, so
treffen wir andererseits auch viel des Neuen an und
erhalten vor allem einmal einen umfassenden Überblick
über die gegenwärtige Arbeit auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens in Kassel, der dadurch noch an In-
teresse gewinnt, daß die jeweiligen Abschnitte aus be-
rufener Feder stammen. Tie bauliche Entwicklung Kassels,
seine Finanzen, seine Bevölkerung, die Entwicklung seines
Verkehrs, seine industriellen und handelsge.verblichen B.r-
hältnisse erfahren in knappen, prägnanten Aufsätzen die
gleiche Beleuchtung, wie das Kasseler Bildungswesen, die
soziale und hygienische Fürsorge, die öffentlichen Parkan-
lagen, Kunst und Wissenschaft und — nur räumlich zuletzt—
die wirtschaftlichen Unternehmungen der Stadt. Kassels
letzter Oberbürgermeister vr. Scholz gab dem Buche ein
Geleitwort mit auf den Weg. - Es genügt auf die
Buchausgabe der beiden Festspiele hinzuweisen, deren
Aufführung an anderer Stelle dieser Nummer gewürdigt
wird. Das dramatische Festspiel Emil Jacobis
„Chassalla" (78 Seiten, Preis 1,20 Mark) ist im
Freyschmidtschen Verlag zu Kassel erschienen, Benno
von Franckens Festspiel „1385" (45 Seiten, Preis
50 Pfg.) im Verlag der Residenzstadt Kassel. — Auch das
lustige Puppenspiel von „vr. Fausts Leben und
Höllenfahrt", das sich während des Heimatfestes
eines so gewaltigen Andranges erfreute, ist von unserm
Johann Lewalter aus echten Bruchstücken ver-
schiedener alter Faustspiele (Simrock 1846, Volte und
Lewalter 1913) in drei Aufzügen zusamMengezogen, in
der Vietorschen Hofbuchbuchhandlung im Druck erschienen
und wird manchem eine willkommene Erinnerungsgabe
sein (19 Seiten, Preis 25 Pfg.). (Schluß folgt.)
Musikalischer.
Die hessische Schulbuchhandlung (Rudolf Röttger) ver-
legte zur Tausendjahrfeier Kassel« einen Marsch, der
324
allabendlich als Einleitung des Festspiels in der neuen
Stadthalle von mittelalterlichen Feldtrompeten, Rühr-
trommeln und MilitLrorchester zum Vortrag gebracht
worden ist. „Schurri!" nennt der Kasseler Komponist
JohannLewalter diese im alten Stile gehaltene Kom-
position, in der der Kampf der wackeren blinden Hessen
mit dem Feinde geschildert wird. Den Schluß des Ton-
stückes bildet der glänzende Sieg der Chattensöhne mit
Personalien.
Verliehen r aus Anlaß der Tausendjahrfeier der Stadt
Kassel: der Charakter als Geheimer Kommerzienrat dem
Kommerzienrat, Stadtrat und Mühlenbesitzer Vogt zu
Kassel; — der Kronenorden 2. Klasse dem Geheimen Kom-
merzienrat Bankier Asch rot t zu Berlin; — der Kronen-
orden 3. Klasse dem Bürgermeister Jochmus zu Kassel;
- der Rote Adlerorden 4. Klasse dem Stadrat, Fabrikanten
Hoffa dem Stadtverordnetenvorsteher Justizrat Dr.
Schier, dem Stadtrat Dr. H ü t t e r o t t, dem Bibliothrks-
direktor Professor Dr. Brunn er, dem Direktor der städ-
tischen höheren Mädchenschule Pros. Steher und dem
Oberlehrer an der Oberrealschule 1 Pros. Merkelbach.
sämtlich zu Kassel; — der Kronenorden 4. Klasse dem
Stadtverordneten. Hofpianofortefabrikanten Fritz Scheel,
dem Stadtrat Kaufmann Schoppach. dem Rentner
Schüßler den Stadtobersekrrtären Matthieu und
W e i m a n n den Rektoren Bach und S i m m e n r o t h und
dem GesaugSlehrer an Mädchenschule und Lyzeum Klein,
sämtlich zu Kassel; — der Adler der Inhaber des König-
lichen Hausordens von Hohenzollern den Volksschullehrern
Rohrbach Dippel und Wörner zu Kassel; — das
Königlich Preußische Verdienstkreuz in Gold dem städtischen
Steuerbuchhalter Vogt zu Kassel.
Ferner verliehen: dem Forstmeister Rohnert zu Alt-
morschen und dem Metropolitan W i t t e k i n d t in Wachen-
buchen der Kronenorden 3.Klasse; dem Pfarrer Hufnagel
zu Langenselbold. dem Metropolitan a. D. Manger dem
Universitäts-Zeichenlehrer Schürmann zu Marburg, dem
Oberamtmann Wilhelm Ehrbeck zu Wendershausen und
dem früheren Beigeordneten Schimpf zu Marburg der Rote
Adlerorden 4. Klasse; dem Fabrikanten Engelhardt zu
Kassel und dem Oberamtmann Heinrich Ehrbeck zu Wen-
dershausen der Kronenorden 4. Klasse; den Ärzten vr. Beck-
mann zu Ka ssel. Dr. B ü g e zu Schmalkalden und Dr. H ü t e r
zu Gelnhausen der Charatter als Sanitätsrat; dem Direktor
des Wilhelms-Gymnasiums zu Kassel Dr. Goldscheider
und dem Direktor des Gymnasiums zu Hersfeld Dr. Steiger
bei ihrer Versetzung in den Ruhestand der Charakter als
Geheimer Studienrat; dem Oberzollsekretär Mangold
zu Kassel bei seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst
und dem Amtsgerichtssekretär Wolfs zu Wächtersbach
der Charakter als Rechnungsrat.
Geboren: ein Sohn: Landrat von Grunelius
und Frau geb. von Hahnke (Hersfeld. 19. August);
Pfarrer Brehm und Frau Lina, geb. v. Eiff (Gottsbüren,
20. August); Dr Martin Schenck und Frau Marie,
geb. Moser (Marburg 22. August); Katasterkontrolleur
Sauer und Frau Dora, geb. Berdux IMelle i.H.. 23. Au-
gust); Apotheker Paul Lürmann und Frau Elsa. geb.
Brauer (Greußen, 10. September); Willi Seelig und
Frau Netti, geb. Ankers-Moor (London SW., 10 Sep-
tember) ; Professor Dr. P. Esch und Frau Erika. geb.
von Enckevort (Marburg. 19.September); Engelhard Leuk-
r o t h und Frau Luise. geb. Luft (Marburg. 19. September);
— eine Tochter: Oberarzt Weidenmüller und Frau
Sophie, geb. Wintzer (Jerichow a. Elbe, II. September);
Oberlehrer S ch n ä d t e r und Frau Greta. geb. Hollmann
(Fulda, 22. September); Landkrankenhaus - Direktor Dr.
Trommelschlag und Fanfarenklängen. Die Orchesteraus-
gabe (in der eigenen Instrumentation des Komponisten)
wird erst später erscheinen, vorläufig ist die Klavieraus.
gäbe herausgekommen, die. nicht zu schwer spielbar, zum
Preise von Mk. 1.25 durch alle Musikalienhandlungen zu
beziehen ist. Das Titelbatt ist in »Blau-Weiß, den
Kasseler Stadtfarben, nebst dem Stadtwappen geschmackvoll
ausgeführt. M. H.
-------------
Gunkel und Frau Maria, geb. Engelhardt (Fulda.
27. September).
Gestorben: Witwe des Pastors Julie Grote, geb.
Philippi. 71 Jahre alt (Göttingen, 13. August); Bürger-
meister a. D. M e n g e l s, einer der letzten kurhessischen
Bürgermeister 87 Jahre alt (Roßberg. 17. August);
Referendar H. Heuser (Marburg. 18. August); Guts-
besitzer Peter Herben er. 79 Jahre alt (Großseelheim,
19. August) ; Frau Auguste A l b i e z, geb. Seelig. 61 Jahre
alt (Hersfeld, 19. August); Frau Vrrmessungsinspektor
Sophie Schwalm, geb. Rehn (Duisburg. 21.August);
Rentner Friedrich Bi rn kämm er, 73 Jahre alt (Fulda,
22. August); Kgl. Hegemeister Heinrich Kurz, 72 Jahre
alt (Marburg. 23. August); Rentner Konrad Wähler,
80 Jahre alt (Fulda, 27. August); Frau Klara Stroh,
geb. Zetzmann, Gattin des Pfarrers (Höringhausen, 28. Au-
gust); Geh. Negierungsrat Professor Dr. Kaiser, lang-
jähriger Leiter der ambulatorischen Klinik der tierärztlichen
Hochschule (Hannover) ; Zahnarzt Dr. William Rausch
aus Karlshafen. 82 Jahre alt (Newyork); Pastor Hahn
aus Kirchhasel (Chicago, 3. September); Kgl. Musik-
direktor Wilhelm Freund 64 Jahre alt (Marburg.
3. September); Fräulein Amalie von Schutzbar gen.
Milchling (Treis, 9. September) ; Frau Elisabeth
Bader, 74 Jahre alt (Hersfeld, 12. September); Rektor
Johannes Schanze 66 Jahre alt (Eschwege, 12. Sep-
tember); Major Wilhelm Osterwald. Schwager des
Dichters Friedrich von Bodenstedt (Wiesbaden, 12. Sep-
tember); Stadtkämmerer a. D. Valentin Liebermann
73 Jahre alt (Schwarzenborn. 14. September); Franz le
G o u l l o n. 66 Jahre alt (Kassel, 14. September) ; Major
a. D. August Hermann Hattenbach, entstammte der
hessischen Juristenfamilie aus Rotenburg. 81 Jahre alt
(Wiesbaden. 16.September); Rentner Ferdinand Duck«.
84 Jahre alt (Fulda, 16. September) ; Portier der Gemälde-
galerie Heinrich M ü ß l e r (ehemals kursürstl. Leibkutscher).
71 Jahre alt (Kassel. 19. September); Bürgermeister Karl
Friedrich Spielmann 57 Jahre alt (Groß-Steinheim,
21. September); Kaufmann Ernst Hermann Rehn,61Jahre
alt (Buenos Aires); Großkaufmann Albert Schübler,
57 Jahre alt (Kassel. 22. September); Fürstin Anna
zu Isenburg-Büdingen 62 Jahre alt (Bad Nau-
heim, 22. September); Fräulein Klötilde Ruppersberg.
64 Jahre alt (Kassel. 22. September) ; Generalleutnant z. D.
Georg v. Schlabrendorff (Goslar 22. September);
Gutsbesitzer Karl Werner Hocke (Zennern. 23. September) ;
Frau Elisabeth H e i n e m a nn, geb. Dänzel(Kasiel. 24. Sep-
tember); verw. Frau Dorelle von Bardeleben (Kassel.
24. September) ; Frau Gertrude K r ü d e n e r. verw. Henkel.
55 Jahre alt (Kasiel. 25. September) ; Pfarrer Wilhelm
Gonnermann(Wichmannshausen,25.September); Kgl.
Kammermusiker a. D. Paul Mörtzsch (Kasiel. 29. Sep-
tembrr); Rentner Wilhelm Hartmann 6t Jahre alt
(Fulda, 1. Oktober); Kais Oberpostkassenrendant a. D.
Rechnungsrat Bernhard Beth ge. 84 Jahre alt (Kasiel,
2. Oktober); Frau Amtsgerichtsrat Emmh Gaebler aus
Wächtersbach (Köln. 2. Oktober); Frau Elisabeth« Manns,
geb. Berlet. 79 Jahre alt (Fulda. 2. Oktober); Fräulein
Emma Spohr Nichte des Altmeisters Louis Epohr,
82 Jahre alt (Kassel).
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. - Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
Hefsenlan-
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 20. 27. Jahrgang. Zweites Oktober-Heft 1913.
Die Berufung des Philosophen Wolfs nach Hessen.
Von vr. A. Fuckel.
(Schluß.)
Einen entscheidenden Schritt in dem jahrelang
währenden Kampfe dieser so verschieden gearteten
Geister brachte endlich das Jahr 1721, als Wolfs
das Protektorat an seinen schlimmsten Gegner
Lange abgab und in seiner Abschiedsrede über
die chinesische Philosophie unvorsichtiger Weise
eine große Übereinstimmung seiner Sittenlehre
mit der des Konfucius feststellte. Diese öffentliche
Anerkennung und Lobpreisung einer rein heid-
nischen Lehre schlug dem Faß den Boden aus.
Gleich am nächsten Tage wurde dieser Frevel
von einem empörten Theologen auf die Kanzel
gebracht, und die theologische Fakultät bat sich
das Manuskript seiner Rede aus, was Wolfs
in schroffer Weise ablehnte. Wie bei jedem
echten Universitätsskandal griffen natürlich
auch die Studiosen sofort in den Gang der Er-
eignisse ein und nahmen für den angegriffenen,
geschätzten Lehrer Partei, während Lange, der
als früherer Gymnasiallehrer dazu neigte, die
Studenten wie Schüler zu behandeln, schon
aus diesem Grunde angefeindet und als „alter
Schulmajor" bezeichnet wurde. Infolgedessen
brachten sie an dem bewußten Tage der Amts-
übergabe die bisherige Magnificenz in feier-
lichem Zuge nach Hause und ehrten Wolfs durch
ein Hoch vor seiner Wohnung, an der Woh-
nung Langes dagegen, der sich bereits im Hin-
blick aus das zu erwartende Ständchen mit
Wein und Konfekt versehen hatte, gingen sie
lautlos vorüber, ja es kam sogar in der Folge-
zeit zu Tumulten, bei denen man dem neuen
Rektor ein Pereat ausbrachte und ihn mit einem
Liede schmähte, dessen Kehrreim war Lacht
ihn aus, lacht ihn aus, den alten Pauker
So ging der Streit weiter, und es wurde schließ-
lich auf Betreiben Langes eine königliche Kom-
mission eingesetzt, die die Berechtigung der An-
klagen gegen Wolfs untersuchen sollte. Eine
tragische Fügung war es für diesen, daß er
selbst zuerst in einer anderen Angelegenheit die
Regierung gegen die Universität angerufen
hatte, als er bei dem Berliner Hofe die An-
stellung seines Freundes und Schülers Thüm-
mig zu Stande brachte und der widerstrebenden
Fakultät eine Rüge verschaffte. Ebenso hatte
er versucht, einen lästigen wissenschaftlichen
Gegner, den Privatdozenten Strähler, auf die-
selbe Weise zum Schweigen zu bringen. Nun
kehrte sich diese Waffe in verhängnisvoller
Weise gegen ihn selbst, und man versäumte
kein Mittel, um Wolffs ganzes Wirken bei
beirr König in seiner ganzen, vermeintlichen
Gefährlichkeit erscheinen zu lassen. Zwei Gene-
rale, die dem Pietismus nahe standen, schlugen
schließlich den richtigen Weg ein, um den Sol-
datenkönig, dem eine schlichte Frömmigkeit über
alles ging, zu einem jähen Eingreifen zu ver-
anlassen, indem sie ihm vorstellten, daß nach
Wolffs Lehre jeder Soldat, der der Vorherbe-
stimmurrg zufolge fahnenflüchtig würde, straf-
frei sein müsse Daraufhin erfolgte sofort die
unerwartete Entscheidung des ganzen Streit-
falles durch die bekannte Kabinettsordre vom
H. November 1723, durch die Wolfs „seiner
Profession gänzlich entsetzet" und angewiesen
wurde „da er in öffentlichen Schriften und
Lektionen Lehren vortrage, welche der geoffen-
barten Religion entgegenstehen, binnen acht-
undvierzig Stunden die Stadt Halle und alle
Königl. Lande beiStrafedesStranges
zu räumen" So war denn der Stein des An-
stoßes plötzlich beseitigt, die Gegner konnten
triumphieren und aufatmen. Lange verehrte
in diesem Ausgange ein Werk der göttlichen
Vorsehung, obwohl er später versicherte, er
habe vor Schrecken drei Tage nichts essen und
trinken können, und Francke war ehrlich genug,
um Gott offen für diesen Abschluß zu danken.
Der vernichtende Schlag griff übrigens noch
weiter, auch Wolffs vorher genannter Schüler
Thümmig wurde seines Amtes enthoben und
teilte das Geschick seines Lehrers, sogar ihre
Schriften zu verbreiten, war noch lange in
Preußen bei lebenslänglicher Karrenstrafe ver-
boten.
Beiden Vertriebenen öffneten sich nun so-
fort die Tore des Hessenlandes, obwohl es auch
an anderen Versuchen, Wolfs zu gewinnen, und
glänzenden Anerbietungen nicht fehlte Aller-
dings hatte Landgraf Karl sich schon vorher
bemüht, den berühmten Mann, den man in
Halle zu verdrängen strebte, in sein Land zu
ziehen, aber es gereicht ihm zur besonderen
Ehre, daß er jetzt nach Wolffs Ausweisung
keinen Augenblick schwankte, seiner Absicht treu
zu bleiben. Für diesen hochgebildeten, kunst-
sinnigen und für die Wissenschaft lebhaft inter-
essierten Fürsten, der seine Hauptstadt mit un-
vergänglichen Kunstwerken und Bauten schmück-
te, der in Italien die Schätze der Antike und
Renaissance studiert hatte und im Gegensatze
zu seinem engherzigen, wenn auch politisch
bedeutenderen Nachbar Freiheit der Forschung
im weitesten Maße gelten ließ, gab es in
diesem Falle kein Besinnen und keinen Sinnes-
wechsel. Er hielt das verhältnismäßig hohe
Angebot, das er dem großen Gelehrten ge-
macht hatte und das dessen Hallenser Ein-
kommen verdoppelte, vollkommen aufrecht und
nahm den Verbannten mit solcher Freude und
Herzlichkeit bei seiner Ankunft in Kassel auf,
daß dieser bis zu des Landgrafen Tode und
noch lange darüber hinaus jede andere Stel-
lung ablehnte, „wenn die Conditiones auch noch.
so vorteilhaft waren." Übrigens war die Mär-
tyrerkrone, die der preußische König auf das
Haupt Wolffs gedrückt hatte, für ihn eine
Wiege unermeßlichen, neuen Ruhmes, ähnlich
wie heutzutage oft die Beschlagnahme oder
das Verbot eines Werkes eine Riesenreklame
für einen Schriftsteller bedeutet. So weit sich
Wolffs Werke verbreitet hatten, drang auch
die Kunde von seiner Maßregelung, viele wur-
den jetzt erst auf ihn aufmerksam, ausländische
Gelehrte näherten sich ihm, zahlreiche Zuschrif-
ten ergingen in das Hessenland, dessen hoch-
sinnigen Herrscher man pries wie einst den
Schützer evangelischer Freiheit, Philipp den
Großmütigen. Aber auch Wolfs selbst setzt in
seiner Selbstbiographie dem „gottseeligen H.
Landgraffen" ein monumentum aere peren-
nius, weiß sein Entgegenkommen nicht genug
zu rühmen und bewies ihm allezeit große Dank-
barkeit und Anhänglichkeit. Der Fürst ließ
ihm reichliche Umzugsgelder sowie das Gehalt
vom ersten Tage seiner Übersiedelung nach
Hessen anszahlen und überhäufte ihn während
seiner Anwesenheit in Kassel, ehe Wolfs die
ihm zugedachte Professur in Marburg antrat,
mit mannigfachen Beweisen gnädiger Gewo-
genheit, ebenso wie seine Minister und höheren
Beamten. Ganz besonders nahm sich seiner,
auch in der Folgezeit, der Kammerpräsident
Reinhard von Dalwigk an, der seinem Namen,
und althessischen Geschlechte mehr Ehre machte
als der gleichnamige Darmstädtische Minister
mit seiner Freiheits- und Preußenfeindschaft
der Reaktionszeit. Von ihm berichtet Wolfs,
Dalwigk „hätte ihn recht außerordentlich ge-
liebet, als ein Vater sein Kind lieben kann,
und alle Vorsorge für ihn gehabt, wie er nur
wünschen konnte" Noch im Jahre 1727 ge-
denkt Wolfs seiner in einem von Halle aus ge-
schriebenen Briefe mit großer Erkenntlichkeit
und erwähnt ein Schreiben Dalwigks, in dem
er ihn aufgefordert hätte, sich in keiner Weise
daran zu kehren, wenn wirklich, wie damals
ausgesprengt wurde, Wolffs Schriften vom
Henker verbrannt werden sollten, wie es Lange
und seine Gesinnungsgenossen in ihrer uner-
müdlichen Hetzarbeit gewiß gern gesehen hätten.
Die zahlreichen Briefe Dalwigks an Wolfs
sind leider noch nicht veröffentlicht, sie würden
gewiß über diese Zeit manchen wertvollen Auf-
schluß geben. Auch sonst war er ein hochver-
dienter und tüchtiger Mann, der u. a. Hessen
bei den Friedensverhandlungen zu Utrecht ver-
trat. Ihm ist es wohl auch in erster Linie zu
verdanken, daß Wolfs, der die Tage in Kassel
hauptsächlich mit Dalwigk verbrachte, mehr-
fachen verlockenden Anerbieten unbeirrt wider-
stand. Besonders lebhaft bemühte sich damals
der kursächsische Hof durch zwei in Kassel be-
findliche Vermittler um den berühmten Gelehr-
ten, der schon bei seiner Durchreise durch Leip-
zig füp Sachsen gewonnen werden sollte, aber
von dem damit Beauftragten verfehlt worden
war. Auch der Zar Peter der Große und später
seine Nachfolgerin machten verschiedene ver-
gebliche Versuche, ihn an die Petersburger
Akademie der Wissenschaft zu ziehen „Die
große Gnade, die er in Hessen genoß, ließen
ihn zu dieser Resolution nicht schreiten." Übri-
gens traten die Nachfolger des Landgrafen
Karl, der König von Schweden und der hessische
Statthalter Wilhelm VIII., mit der Betäti-
gung dieser „Gnade" durchaus in die Fuß-
tapfen ihres trefflichen Vaters. Als König
Friedrich bei dem Besuche seiner Erblande
1732 nach Marburg kam und von der Pro-
fessorenschaft begrüßt wurde, fragte er sofort
nach Wolfs und zeichnete ihn in jeder Weise
aus, ließ ihn auch durch schwedische Adlige,
die Deutschland bereisten, stets aufsuchen und
grüßen. Ebenso erwies ihm der Statthalter
jederzeit größte Gunst, erfüllte alle seine
Wünsche und lud ihn zur Tafel, so oft er nach
Marburg kam. Freilich hatten sie zu einem
solchen Verhalten, auch abgesehen von aller
Wertschätzung seiner Person, allen Grund. Die
kleine, abgelegene Universität ihres Landes
hob sich durch Wolfss Lehrtätigkeit in jeder
Weise. Die Studentenzahl stieg (nach einer
Schätzung Prof. Cäsars in einer Marburger
Rektoratsrede) von 300 aus ungefähr 500,
und zwar weisen die Listen jener Zeit eine
erstaunliche Menge von Ausländern auf, die
diese Leuchte anzog, meist aus den germanischen
Ländern des Nordens, aber auch aus dem
slavischen Osten, aus Polen, Rußland und Un-
garn, ja sogar ein Mohammedaner aus Ost-
indien kam, um Wolfs zu hören. Meist waren
es Jünglinge aus vornehmen Kreisen, die jetzt
die stille Lahnstadt aufsuchten und zur Ver-
feinerung der Sitten nicht wenig beitrugen.
So wurde aus mannigfachen Gründen Wolfss
Bleiben in Marburg zu einer Art Lebensfrage
der Universität, und doch konnte ihr dieser
Mann, über dessen Lehre und Zwist mit der
Gottesgelahrtheit allein bis zum Jahre 1737
gegen 200 Streitschriften erschienen, nicht dau-
ernd erhalten bleiben. Immerhin hatte er
17 Jahre, noch 10 Jahre nach dem Tode
seines ersten Gönners, nämlich bis 1740 in
Hessen gewirkt und einen großen Teil seines
gewaltigen Lebenswerkes hier geschaffen, wenn
auch seine schöpferische Tätigkeit, sein eigent-
liches System schon vorher abgeschlossen war
Seinen Schüler Thümmig, der als Professor
am Collegium Carolinum zu Kassel seine
fruchtbare, wissenschaftliche Schriftstellerei fort-
setzte, hatte er schon früh verloren, er starb
1728 zu Kassel, nachdem er, ganz im Sinne
Wolfss und mit dessen voller Anerkennung, in
zwei Bänden die Grundzüge der Philosophie
seines Meisters dargestellt hatte
Zu Ehren des preußischen Königs, dessen
hervorragende Bedeutung auf anderem Ge-
biete neuerdings hinreichend gewürdigt wird,
sei noch darauf hingewiesen, daß er später über
den verketzerten Mann anders denken lernte
und mit der ihm eigenen Zähigkeit bestrebt
war, seinen Fehler wieder gut zu machen, be-
rief er doch sogar Wolfs wieder nach Halle,
nachdem er das Bedenken überwunden hatte,
„da würden sich die Kerls gleich wieder bei
die Köpfe kriegen" Diese bezeichnende Äuße-
rung sprudelte ihm in einer sonst französisch
geführten Unterredung heraus, die er mit
einem der eifrigsten Verehrer Wolfss, dem säch-
sischen Minister von Manteufsel, hatte. Der
Briefwechsel des Philosophen mit diesem ein-
flußreichen, aber ganz verwelschten Diplo-
maten, der Wolfs bestürmte, seine Lehre auch
in eine Ausgabe für Damen zu kleiden, um
sie dann in elegantes Französisch zu übersetzen,
lehrt uns unter anderem auch, daß Wolfs sich
später in Marburg nicht mehr wohl fühlte und
nicht gesonnen war, „sich auf den hessischen
Bergen zu Tode zu steigen" Vor allen Dingen
fürchtete er für die Zukunft seines Sohnes, der
seiner Meinung nach als Lutheraner in dem
streng reformierten Lande auf eine gute Be-
amtenlaufbahn nicht rechnen könne Trotz alle-
dem wies er alle „Vocationen" nach Preußen
beharrlich ab, bis ihn Friedrich Wilhelms
großer Nachfolger mit einem vielsagenden
„nunmehr" nach Halle «n ehrenvollster Weise
zurückrief und ihm eine gnädige Entlassung
aus dem hessischen Staatsdienste selbst erwirkte.
In den Annalen unserer Landesgeschichte
aber wird es mit ehernen Lettern für alle
Zeiten verzeichnet sein, daß dieser hochbedeu-
tende und kerndeutsche Mann, als ein unver-
dientes, hartes Geschick ihn zu vernichten drohte,
in Kassels Mauern zuerst sicheren Schutz vor
dem Unwetter und im Hessenlande eine neue
Stätte erfolgreichster und weitreichendster Wirk-
samkeit fand.
Kleine Kasseler Erinnerungen an die Leipziger Schlacht.
Von Otto Gerland.
Die erste Nachricht von der verlorenen Schlacht
dürfte ans eine Art telegraphischen Weges nach
Rassel gelangt sein. Oberhalb der Königstraße am
Wilhelmshöher Tore stand damals eine Alarmkanone.
Nicht weit davon, in dem früheren du Ry'schen Hause
in der oberen Karlstraße, das dem neuen Rat-
hanse hat weichen müssen, wohnte mein Großvater,
der damalige .Hofrat, spätere Medizinaldirektor
Grandidier Am 18. Oktober abends saßen dessen
Kinder, darunter meine damals 10 Jahre alte Mutter,
in dein nach dem Wilhelmshöher Tore zu gerichteten
Hinterzimmer bei ihnen am Tisch saß die Ein-
quartierung, ein französischer Kaisergardist, während
die Eltern ausgegangen waren. Plötzlich ertönte
ein Schilf; ans der erwähnten Kanone, so daß meine
Mutter und deren Geschwister sehr erschraken. Der
Gardist suchte sie zu beruhigen, indem er sagte
Ne craignez pas, mes enfants. Man vermutete,
daß der Schilf; ein von Leipzig her durch eine Reihe
von Zwischenstationen vermitteltes Zeichen von dem
kaiserlichen Bruder an den König in Kassel ge-
wesen sei. Letzterer verschwand ja auch nach wenigen
Tagen, die inzwischen von ihm inszenierten Paraden
und dergl. dürften nur als eine Maskierung des
Aufbruchs und des Fortschleppens der zu rettenden
Habe anzusehen gewesen sein.
Man wollte ferner am 18. Oktober 1813 beob-
achtet haben, daß die in der damaligen Fasanerie in
der Karlsaue untergebrachten Goldfasanen während
des ganzen Tages eine große Aufregung an den
Tag gelegt hätten, die man sich nicht erklären konnte.
Man brachte dies nachher damit in Verbindung, daß
durch den furchtbaren Kanonendonner der Völker-
schlacht eine nicht für die Menschen, wohl aber für
die sehr feinfühligen Goldfasanen noch wahrnehm-
bare Erderschütterung hervorgerufen worden sei.
Die Explosion des Mainzer Pnlverturms 1857 wurde
auch bis in die Nähe von Kassel verspürt.
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Hessische Folterbänke, Nichtschwerter und Nichtstühle.
Von E Wenzel, Magdeburg. Mit einer Zeichnung vom Verfasser.
Die Anwendung der Folter als Mittel des pein-
lichen Halsgerichts war germanischem Volksempfin-
den fremd, man kannte in Deutschland nur die
Feuer- und Wasserprobe, während das römische
Recht die Anlvendnng der Folter gegen Sklaven
und bei Majestätsbeleidigungen auch gegen Freie
gestattete Mit dem römischen Recht kam die in
ihren Resultaten recht zweifelhafte Folter im 14.
Jahrh, nach Deutschland, nachdem sie in Italien
schon lange bestanden hatte Die peinliche Halsge-
richtsordnung Kaiser Karls V suchte zwar die An-
lvendnng der Folter zu beschränken, ließ sie aber
doch zu, und so sehen wir im ganzen 16. und 17.
Jahrh, überall in deutschen Landen die Folter aus-
gedehnte Verwendung finden. Lange genug hat es
gedauert, bis man die Folter als höchst fragwür-
diges Mittel erkannte, einen Sünder zum Geständ-
nis zu bringen. Im Anfang des 18. Jahrh, be-
stand schon eine ganze Literatur für und wider die
Tortur Preußen schaffte die Tortur 1740 und
1754, Hessen 1785 durch Edikt vom 29. November,
Gotha gar erst 1822 ab.
So zahlreich nun die Nachrichten über peinliche
Prozesse und vorausgegangene Folterungen sind,
so gering an Zahl sind die uns überkommenen
Werkzeuge. Das noch vorhaitdene wenige Material
habe ich auf nebenstehender Abbildung zusammen-
gestellt.
Da sehen wir im Hintergrund eine eiserne Streck-
bank, die jetzt im Museum zu Fulda steht. Sie
stammt aus dem 1568 errichteten Fuldaer Stock-
haus, an dessen Stelle jetzt das Judenbad steht.
Außer dieser Folterbank besitzt das Museum vom
Stockhaus noch einen Türbogen mit der Zahl 1568
sowie eine eiserne Zellentür mit einer Speiseklappe.
Während im Keller eine Reihe zu je zwei heiz-
baren Zellen längs eines Korridors lagen, befand
sich im Erdgeschoß die Folterkammer. Die Folter-
bank ist so eingerichtet, daß der Unglückliche an
Händen und Füßen an den Ringen am Ende der
Holme gefesselt werden konnte, um dann die Tortur
über sich ergehen zu lassen.
Im allgemeinen unterschied man fünf Grade der
tortura oder guas8tio criminalis: 1 Dem der
Schuld Verdächtigen wird mit der Folter gedroht,
2. die nicht zum Geständnis zu bewegende Person
wird in die Folterkammer geführt, 3. sie wird ge-
bunden; 4. sie wird erhöht, d. h. an den Armen
aufgehängt, 5. sie wird geschlagen oder durch an
den Füßen befestigte Gewichte gestreckt oder der
Strick zum Aufhängen wurde stark geschüttelt.
Andre Formen der Tortur als das Strecken mit
der Winde oder Streckleiter waren der trockene Zug,
wobei dem Delinquenten die Füße am Boden fest-
gemacht und die Arme rückwärts hochgezogen wur-
den, was meist Lähmungen zur Folge hatte, weiter
das Brennen der Fingernägel oder der Seiten mit
Fackeln oder in Schwefel getauchten und angesteck-
ten Federn, das Betropfen mit brennendem Schwe-
fel, das Schnüren und Fitscheln mit dünnen Seilen
an den Gelenken, bis die Haut abfiel, das Geißeln,
Pressen an einzelnen Gliedmaßen und der Salz-
trunk, der den Untersuchungsgefangenen in ge-
heizter Zelle dem Verschmachten oder Wahnsinn
nahe brachte. Von allen damals gebräuchlichen
Foltergeräten bewahren hessische Museen so gut
loie nichts auf. Auswärtige Museen, Burgen- und
Stadtsammlungen enthalten noch genug solcher Ge-
genstände wie Winden, spanische Böcke, spanische
Galgen, spanische Stiefel zum Pressen der Schien-
beine mit Keilen oder Schrauben, Daumenstöcke,
durch deren Anwendung Nägel und ganze Finger-
glieder abfielen, Birnen zuin Auseinanderpressen
der Kiefer, Beile zum Abhacken einzelner Glied-
lieferung nach soll auch in dieser Folterkammer
die eiserne Jungfrau gestanden haben, mit der das
Verschwinden eines Adligen in Verbindung ge-
bracht wird. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß
tatsächlich im Zwehrenturme eine solche Marter-
maschine wie die eiserne Jungfrau, die luir in einem
Exemplar auf der Burg Nürnberg kennen, gestan-
den hat. Es ist bezeichnend, daß sich die alten
Kasselaner ihre eiserne Jungfrau nicht nehmen
lassen »vollen, man hat nur den Platz ge>vechselt.
Nach dem Neubau des Zwehrenturms zum Obser-
vatorium hatte der Turin nichts Mittelalterliches
mehr an sich, man verlegte deshalb den Standort
der Jungfrau und die Folterkammer in das lange
verschlossen gewesene Fuldarondel „die Fehme"
Das Rondel hat aber nie zum Abhalten von Ge-
richt gedient oder als Gefängnis, es war der Was-
serturm des Schlosses. In dem hoher» Kuppelraum
—V
maßen, Beinschellen mit Zwischenbalken, Stachel-
ringe, Armschrauben, Folterkragen und Geißeln.
An Grausamkeit steht allen diesen furchtbaren
und raffiniert erdachten Werkzeugen die Kasse-
ler Folterbank nicht nach, die auf der Abbil-
dung vorn steht. Bis auf diesen Tag steht sie auf
dem Boden des Museums am Friedrichsplatz.
Hoffentlich kann sie im neuen Landesmuseum einein
größeren Interessentenkreis zugänglich gemacht
werden.*) Es ist anzunehmen, daß die Bank vordem
im Zwehrenturm stand, der ja bis zu seiner Um-
wandlung zu einer Sternwarte mehrere Gefäng-
nisse enthielt. Nach einem wahrscheinlich von Du
Ry stammenden Essai d’une description du Musée
Fridericien enthält der Turm auch einen Raum,
in dem die Tortur angewandt wurde. Der Über-
*) Es wäre in der Tat wünschenswert, wenn die
Kasseler Folterbank mitsamt dem Kasseler Richtstuhl dem
staubigen Dachboden des alten Museums entrissen und
im neuen Landesmuseum als letzter Rest dieser grau-
samen Zeit aufbewahrt würde. Die Redaktion.
befand sich ein Brunnenschacht für Sickerwasser aus
der Fulda. Wenn man also das Rondel seines
Geheimnisses entkleidet hat, bleibt es trotzdem noch
hochinteressant. Doch das nur nebenbei. Der
Zwehrenturm war als stinkendes und unflätiges
Gefängnis übel berüchtigt und gefürchtet. Gar
mancher, der hinein gebracht werden sollte, zog es
vor, sich auf dem Transport nach dort aus dem
Staube zu machen. Betrachten wir nur: die Folter-
bank näher, so sehen wir, wie gut erdacht sie in
allen einzelnen Teilen ist. War der Untersuchungs-
gefangene daraus gelegt, so wurden über seinen
Hals, über die Oberbeine und die Kniekehlen ent-
sprechend geformte hölzerne Bögen geklappt und
mit Pflöcken festgemacht. Für die Füße und den
Kopf sind besondere Ausbuchtungen vorgesehen.
Die Arme wurden durch zrvei uach unten gehende
Blechröhren festgehalten. Auf diese Weise konnte
sich der Unglückliche kaum bewegen, um seine
Schmerzen kundzutun. Als Zubehörteil der Fol-
terbank liegt dabei eine hölzerne, innen hohle
Welle, dicht mit kurzen eisernen Stacheln besetzt,
ähnlich einer mit starken Borsten besetzten Walze,
wie sie die Friseure nach dein .Haarschneiden ge-
brauchten , nur natürlich größer Eine andere
massive Welle trägt weniger Stacheln und zeigt
an der Seite einen metallenen Teller mit Zahn-
kranz und Verstellvorrichtnng mit Zahnstange und
.Klemmfeder Auch an der ersteren Welle sitzt
außen ein Zahnkranz, es gehörte also wohl zu
beiden Wellen ein Zahnradvorgelege, das zur Seite
der Bank ausgestellt tverden konnte Nach der
Lage der beiden Löcher für die Achsenstützen muß
die Welle unmittelbar über dem Rücken gelegen
haben und bei der Umdrehung dem Unglücklichen
den Rücken aufgerissen haben. Man bezeichnet
solche Wellen mit dem treffenden Flamen „ge-
spickter Hase" Auch in Preußen war der gespickte
Hase bekannt, 1760 führte Preußen ihn im Her-
zogtum Magdeburg ein.
Weiter sehen wir ans der Abbildung zwei mit
Letten verbundene Steingetvichte, wie sie in Span-
genberg am Rathaus hangen und auch im Hanauer
Mnsenin zu sehen sind und dem Übeltäter bei
geringeren Vergehen um den Hals am Pranger
gehängt wurden, oder von ihm unter Vorantritt
des Henkerknechts, der mit Topfdeckeln den nötigen
Spektakel machte, und Führung des Scharfrichters
um den Markt getragen werden mußten. Rechts
sehen nur Haiidschellen hängen, wie ich solche im
Rathanse zu Hochstadt bei Hanau sah, weiter hinten
einen Fnßblock znm Einlegen der Füße von Ge-
fangenen, tvie sich ein solcher im Kirchturm zu
Herleshausen erhalten hat.
Fm Vordergrund sehen tvir den Kasseler Richt-
stuhl stehen, der gleichfalls noch erhalten ist und
auf dem Boden des Museums am Friedrichsplatz
steht. Es fällt durch feine wuchtige Form aus und
durch seineu roteu Anstrich. Anschnallvorrichtungcn
befinden sich an den Stollen der Lehne Ihm gegen-
über ist der Hanauer Richterstuhl, der in Zinuner-
»tnn», Hanau Stadt und Land, abgebildet ist, viel
leichter, er gleicht mehr einem Bauernstnhl. Das
Richtschwert, das auf dem Bild an dem Kasseler
Richtstnhl lehnt, ist das .Hanauer Richtschwert, das
wie der Richtstuhl ans dem Nachlaß des Wasen-
meisters Nord zu Hanau stammt. Es ist in dem
Fahre 162!) angefertigt lvordell.
Das Museum zu Fulda besitzt zwei Richtschwerter,
die ich in den Fnldaer Geschichtsblättern ein-
gehender besprochen habe Das eine trägt das
Zeichen der Fehme S.SS, gleichbedeutend mit sacri-
iicium sanctum, den Namen des Verfertigers Fo-
hannes Wundes 162!) sowie einen Galgen. Das
andere stammt nach der Fnfchrift von einem So-
linger SchN'ertfeger namens Johann .Happe 1(>41),
von dem auch an anderen Orten, wie z. B. in
Paris, Richtschwerter vorkommen.
TaS Schwert ist reich geätzt und mit Gold
ausgelegt. Die .KriegSfignren tragen lateinische
Unterschriften. Unter einem Galgen steht die Un-
terschrift „Soli deo gloria“
Ein drittes Richtschwert von Fulda besitzt der
Antiguar Lemke in Schlitz, mit einer ''Narrenkappe
als Schwertmarke und der Inschrift „kationtia et
irmtitia."
Von Richtschwertern anderer hessischer Städte ist
mir noch bekannt, daß Antiquar Tannenbaum in
Wanfried die beiden Eschweger Schwerter kaufte
und daß die beiden Marburger Richtschwerter zu
Schächtrnessern umgearbeitet wurden, nachdem so-
wohl diese als auch das schöne HauS des Scharf-
richters Hoffmann zu Weidenhausen ttiemand halte
kaufen wollen, bis es ein Jude namens Freund
erwarb. Noch weniger als Richtschwerter und Richt-
stühle haben sich Galgen oder Räder im Hessenland
erhalten.
Die Hinrichtungen fanden ursprünglich in beit
Städten und Gerichtsorten statt, meistens ans dem
Markt, so in Fulda auf dem Dienstagsmarkt, in
Hanau auf dem Markt, in Kassel auf dem Alt-
ntarkt und Marställerplatz, in Schmalkalden auf
dem alten Markt auf einem Stein. Zum Zwecke
der Urteilsvollstreckung wurde auf dem Markt ein
weithin sichtbares Gerüst errichtet, auf dem in blut-
rotenl Mantel der Ratntann sein Opfer erwartete.
Später verlegte man die Richtplätze vor die
Städte, wo sie bis vor zwei Menschenaltern noch
benutzt wurden. Der Ort des Hochgerichts war
meist einer der schönsten Aussichtspunkte der nähe-
ren Umgebung der Stadt, wo es dem Verurteilten
doppelt schwer werden mußte, vom Leben Abschied
zu nehmen. Der Galgen bei Eschwege auf einer
bedeutenden Anhöhe vor der Stadt ist jetzt noch
kenntlich durch eine Baumgruppe mit einem um-
laufenden Graben. Bei Schmalkalden war mit dem
Hochgericht ein Galgen, ein Rad zum Auflegen des
Leichnams und ein Verbrennungspfahl verbunden.
Das Hanauer Hochgericht lag zwischen Kesselstadt
und Dörnigheim, das Melsunger mit dem Galgen
am Melgershäuser Wege. Das Fnldaer Hochgericht,
der Rabenstein, lag am Fuße des Rauschenbergs
und bestand bis vor einem Jahrzehnt noch aus
einem runden Quaderbau, der aber dann ab-
gebrochen wurde. Die Steine wurden zum Neubau
einer Villa am Frauenberg verwendet, die seitdem
einen bezeichnenden Namen führt. Herr Kunst-
maler Iller zu Fulda hat uns glücklicherweise noch
eine Skizze davon machen können.
Neben der Hinrichtung durch das Schwert be-
stand das Hängen an einem Baum oder Galgen,
das Hinrichten durch das Rad und das Verbrennen.
So wurden. 1476 und 1600 in Schmalkalden Falsch-
münzer, Hexen und Selbstmörder verbrannt, 1606
eine Kindsmörderin im Sack ersäuft, der Leichnam
unter dem Galgen begraben und ein Pfahl hindurch-
getrieben. Wanfried erneuerte noch 1726 seinen
Galgen und schasste 1728 eine neue Leiter dazu an.
Znm Schlüsse noch einige Worte über einen ge-
radezu kannibalischen Brauch, der sich in ver-
schiedenen Städten, wie Kassel und Eschwege ein-
gebürgert hatte. Alis ärztlichen Rat begaben sich
Schwindsüchtige zur Richtstätte und fingen mit
Biergläsern oder aufgebrochenen Wasserwecken das
reichlich fließende Blut des Gerichteten auf, um > geklärten 19. Jahrhunderts, wo die medizinische
es durch einen kräftigen Dauerlauf mit ihrem Blut Wissenschaft u. a. die Menschheit auch mit dem
zu vermischen. So geschehen in der Mitte des auf- | sogenannten Haarseil beglückt hat.
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Der Iranzosenbaum.
Karl Ferdinand zu Pferde stieg,
Erfocht im siebenjähr'gen Krieg
Mit braven Hessen manchen Sieg
Dem großen Friedrich von Preußen.
Da kam mit unsres Feindes Heer
Von Frankreichs sonn'gem Süden her
9n unser Hessenland auch er,
Der junge, braune Franzose.
So lustig war er immerdar,
Kaum war er alt die zwamig Fahr,
Wußt kaum, was Hessen, Preußen war,
Sollt' kämpfen gegen sie beide.
Der Krieg, der Krieg ist blut'ger Ernst,
Ach, daß du das beizeiten lernst
Und dich vom Übermut entfernst,
Du lust'ger, junger Franzose!
Doch nein, ein froher Kamerad
Blieb er den Seinen früh und spat,
Zog singend mit, die gold'ne Saat
9m Felde zu fouragieren.
So lieblich lag das Hessenland.
Ein jeder Baum voll Früchte stand,
Rasch erntet er mit kecker Hand
Die reife Gabe des Herbstes.
Da pfeift die Kugel aus dem Wald,
Geflüchtet sind die andern bald,
Nur ihm gebot sie ew'gen Halt,
Dem armen jungen Franzosen.
9n fremde Erde man ihn scharrt,
Doch, ob ihm auch kein Denkmal ward,
9m nächsten Jahr sproßt jung und zart
Ein Birnbaumreis aus dem Grabe.
Draus wuchs ein Baum mit Ästen breit,
Der trägt im Lenz so lust'ges Kleid,
Rauscht noch hinein in uns're Zeit
Den Sang vom jungen Franzosen.
Kassel. Ella Gonnermann.
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9m Kastell und Zeughaus.
Wie sehr der Vorstand des Hessischen Geschichts-
vereins durch das Programm des 30. August den
Wünschen seiner Mitglieder entsprochen hatte, be-
wies die außerordentlich große Anzahl von Damen
und Herren, die sich zur festgesetzten Zeit vor dem
Tor des Kastells in der Mühlengasse versammelt
hatte. Kaum vermochte der geräumige Hos alle
zu fassen, als der bekannte treffliche Kenner Alt-
Kassels,Rechnungsdirektor Woringer, in fesselnden
Bildern die wechselnden Geschicke dieses Baues
schilderte.
Wer mit der Geschichte des Kastells nicht ver-
traut ist, könnte es für einen alten Teil der frühe-
ren Stadtbefestigung halten. Dem ist aber nicht
so. Das Gebäude diente ursprünglich friedlichen
Zwecken und erhielt seine kriegerische Gestalt erst
lange nach seiner Erbauung. Schon unter Philipp
dem Großmütigen diente es als Jagdzeughaus
und Wohnung des fürstlichen Oberjägermeisters
und hatte eben darum den Namen „Jägerhaus"
Ein Stadtplan von 1640 zeigt es uns als einen
mit vier Flügeln einen stattlichen Hof einschließen-
den Bau. 1686 wurde der Flügel an der Fulda
abgerissen und neu aufgebaut. Aber schon 1766
diente das Jägerhaus nicht mehr den Zwecken der
Jagd, nachdem das Jagdzeughaus nach Waldau
verlegt worden war. Im siebenjährigen Kriege
benutzten es die Franzosen während ihrer drei-
maligen Besetzung Kassels als Fouragemagazin,
1763 wurde es als Lazarett für die Kasseler Gar-
nison eingerichtet, aber wenige Jahre später lies;
Landgraf Friedrich II., der in seinem durch den
siebenjährigen Krieg verarmten Lande das Hand-
werk wieder zur Blüte zu bringen suchte und na-
mentlich dem Tuchmachergewerbe seine Unter-
stützung lieh, im Jägerhaus eine Tuchfabrik an-
legen, weshalb es eine Zeitlang den Namen
„Fabrikhaus" führte. Bald darauf wurde es da-
neben als MontierungSmagazin für die hessischen
Truppen verwandt und enthielt auch die Laza-
rette des 1. Bataillons Garde und des Gardekorvs.
Eine völlige Umgestaltung erfuhr der Bau unter
Wilhelm IX., der einen Teil des „Fabrikhanses"
abreißen ließ, den Rest mit Wall und Graben be-
festigte, mit einer Zugbrücke versah und unter
dein Namen „Kastell" zum StaatSgefängniS be-
stimmte. Während der verschiedenen Aufstände
gegen die französische Fremdherrschaft in den
Jahren 1806/07 und 1809 füllten sich die Zellen
des Kastells mit politischen Gefangenen, von denen
sechs, der Fähnrich von .Hasserodt, der Wacht-
meister Hohnemann, Oberst Emmerich, Professor
Sternberg und die althessischen Soldaten Günther
und Muth aus dem Forst, dort, wo jetzt die Forst-
eiche steht, erschossen wurden. Auch von den im
Kastell gefangen gehaltenen Deserteuren wurden
viele auf dem Forst und Kratzenberg erschossen.
Manchmal gelang es auch einem der Gefangenen
zu entfliehen. So schilderte Redner die aben-
teuerliche Flucht der Leutnants von Giesewald,
Berner und Schmalhans, die sich am Dörnberg-
schen Aufstand beteiligt hatten. Die 1813 in Kassel
einrückenden Russen befreiten alle im Kastell be-
findlichen Gefangenen, doch nach der Rückkehr der
Franzosen füllten sich die Räume bald wieder von
neuem, um sich nach der Vertreibung Jsromes
am 25. Oktober 1813 abermals zu leeren. Eine
Rolle spielte dann das Kastell wieder unter Kur-
Besitz diente das Kastell weiter als Militärarrest-
haus, ivozu es auch heute noch verwandt wird.
Nach den mit dankbarem Beifall aufgenommenen
Ausführungen Direktor Woringers besichtigte man
das Innere des Kastells, das auf langen Korri-
doren die Arrestzellen enthält. An einzelnen Zel-
lentüren findet man noch die Jahreszahlen 1806,
1807, 1814 eingeschnitten.
Nach einer kurzen Wanderung zum Zeughaus,
wo man sich im sogenannten „Gewölbe" versam-
melte, gab der Vorsitzende des Vereins, General
Eisentraut, in knappen Zügen einen Rückblick auch
Der Eingang zur Grimm-Ausstellung in der Ständischen Landesbibliothek zu Kassel.
«Siehe „Hessenland" Seite 317 f. und 321.)
Rechts und links vom Eingang Marmorbüsten von Jacob und Wilhelm Grimm, im Hintergründe das Modell zu dem Hauauer Denkmal.
Aufgenommen von vr. Hans Braun-Berlin.
fürst Wilhelm II. zur Zeit der bekannten Droh-
briefe, die manche Verdächtigen in den dunklen
Räumen Aufnahme finden sah, ohne das; eine Auf-
klärung der Angelegenheit erfolgte. Die revolu-
tionären Bewegungen der 1830 er Jahre brachten
u. a. auch den Marburger Dr. Eichelberg ins
Kastell. Großes Aufsehen erregte dann 1852 die
Flucht Dr. Kellners aus dem Kastell. Außer als
Staatsgefängnis diente das Kastell auch als Militär-
arresthaus. Zur Bewachung lag ein Infanterie-
kommando in ihm, auch hatte es einen militärischen
Kommandanten. 1866 war dies Hauptmann von
Griesheim, der am 19. Juni vor den Preußen
kapitulierte. Nach dem Übergang in preußischen
über die Geschichte dieses denkwürdigen und trutzi-
gen Baues, in dessen unmittelbarer Nähe der
Festungswall der Stadt vorüberführte. Erbaut
wurde das Zeughaus in den Jahren 1573—1583
von Landgraf Wilhelm IV., der als Sohn Phi-
lipps des Großmütigen genau wußte, wie not-
wendig es sei, große Vorräte an Waffen und
Frucht für Zeiten der Bedrängnis bereit zu halten.
In seinem Testament hatte er 1586 verfügt, daß
das Zeughaus mit den Geschützen und Munition
für alle Zeiten erhalten werden solle. Das un-
mittelbar neben dem Zeughaus gelegene frühere
Ahnaberger Kloster richtete er als ein großes
Fruchtmagazin ein. Das Zeughaus enthält in
§«L> 333
seinem untersten Teile das Gewölbe für die schwe-
ren Geschütze und in den sechs Stockwerken noch
verschiedene Säle, die mit der Zeit verändert
wurden. Im März 1758 erlitt das Zeughaus eine
Plünderung, als die französische Besatzung Kassel
verließ und den Inhalt des Zeughauses auf
300 Wagen nach Frankfurt und Düsseldorf ab-
führten. Nach der Schlacht bei Sandershausen wurden
die Franzosen abermals Herren von Kassel und plün-
derten von neuem.
Im Jahre 1767 befanden sich im Zeughaus noch
u. a. Geschütze aus 1536, 1537, 1538 und 1539, auch
verkauft worden sein. Der fünfte Boden enthielt
ansehnliche Vorräte an Salpeter, der sechste eine
große Menge von Lunten. Die Aufschriften an
der Hauptfassade und Rückseite stammen von Land-
graf Moritz, während Friedrich II. die beiden Por-
tale brechen ließ. In westfälischer Zeit enthielt
das Gewölbe zahlreiche mit Munition geladene
Wagen, zwischen denen die Soldaten sorglos mit
brennenden Pfeifen umhergingen, wie uns Ger-
land aus seiner Erinnerung berichtet. Als 1848
auch in Kassel die Revolution losbrach, brach in
der vielgenannten Gardednkorpsnacht die erbitterte
Die Gräber von Herman, Rudolf. Wilhelm, Jacob Grimm
aus dem Malihüi-Kirchhof zu Berlin.
£ Ausgenommen am 50. Todestage Jacob GriinmS von vr. Hans Braun-Berlin.
vier im spanischen Erbfolgekrieg eroberte Zehn-
pfünder, eine vom Kurfürsten August von Sachsen
1585 an Landgraf Wilhelm IV geschenkte Schnell-
wage, und der berühmte „große Hund", eine Kar-
thaune von fast 100 Zentnern Gewicht und manches
andere. Das Blei für die Geschosse bedeckte in
Form von Pflaster den Boden. Im ersten Saal
über dem Gewölbe war die Harnischkammer, der
zweite war der Gewehrsaal, im dritten befand sich
der Fruchtboden, im vierten der Lederboden. Frü-
her waren diese Böden mit Früchten angefüllt, um
bei Hungersnot Vorrat zu haben, und einiges Korn
soll hundert Jahre alt gewesen und später noch
Menge in das Zeughaus ein und plünderte es
aus, trotzdem aus dem Kasernenhof die gesamte
Artillerie ausgerückt stand und auch die zur Be-
schützung des Zeughauses bestimmte Kompagnie
untätig blieb. Seit 1866 wurde das Zeughaus
mehr und mehr ein reines Verwaltungsgebäude;
es enthält im Gewölbe das Fahrzeug, in den
Stockwerken die für den Kriegsfall bereitgehaltenen
Waffen usw. und wird vom Artilleriedepot ver-
waltet. — Im Hofe der Artilleriekaserne gab General
Eisentraut noch eine anschauliche Schilderung der
einst hier vorhanden gewesenen alten Befestigungs-
werke der Stadt.
334
Aus Heimat und fremde.
M arbnrger H o ch f ch u l n a ch r ich t e u. In
feierlicher Weife wurde am li). Oktober der neu-
gewählte Rektor, Geh. Justizrat Prof. Dr. Träger,
in sein Amt eingeführt, Rach einem Vortrage des
akademischen Konzertvereins erschienen in dem von
einem zahlreichen Publikum besetzten Saale die
Chargierten der studentischen Verbindungen im
Schmuck ihrer Waffen und Fahnen. Dann er-
stattete der letztjährige Rektor Prof. vr.Trö lisch
den Bericht über sein Amtsjahr, aus dem zu ent-
nehmen ist, daß das neue physikalische Institut und
die psychiatrische Klinik in diesem Jahre noch fertig
gestellt, sowie daß im nächstjährigen Landesetat die
Mittel für ein neues VerwaltungS- und Hörsaal-
gebäude gefordert wurden. Alsdann überreichte der
Redner dem neuen Rektor die Insignien seiner
Würde Szepter, Purpurmantel, Hut und Schlüssel.
Geheimrat Träger ergriff nun das Wort zu seiner
Antrittsrede, in der er, anknüpfend an die Jubiläums-
feier der Schlacht bei Leipzig, über den Freiheits-
begrifs sprach. Mit einem abermaligen Vortrag des
akademischen Gesangvereins fand der Festakt sodann
sein Ende. Professor vr. Karl Kalbfleisch
wurde vom Großherzog von Hessen zum ordent-
lichen Professor in der philosophischen Fakultät der
Universität Gießen ernannt. - Der frühere lang-
jährige Direktor der Marburger Frauenklinik Geh.
Medizinalrat Professor vr. Friedrich Ahlfeld be-
ging am 16. Oktober seinen 70. Geburtstag.
Aus K affe l. Anläßlich der Tausendjahrfeier st i f -
tote n u. a.. Geheimrat vr. Hcnschel weitere 250 (XX)
M. zur Errichtung eines Schwimmbades, der Große
Kasseler Bürgerverein 31000 50?. zur Unterstützung armer,
pflegebedürftiger Kinder, daS Bankgeschäft L. Pfeiffer
10 (XX) M. zur Verschönerung der Altstadt, der Kasseler
VerschönerungSverein einen Wandbrunnen an der Stadt-
balle von den weiteren Stiftungen seien noch eine
Anzahl Gemälde und Handzeichnungen für die neu zu
begründende städtische Gemäldegalerie sowie 2000 Bände
und eine Handschriftcnsammlung für die Murhardsche
Bibliothek erwähnt. — Die Stadtverordneten bewillig-
ten 20 (XX) M. für einen botanischen Schulgarten in
Schönfeld. - Schon wieder konnte Kassel, „die Stadt
der Schulen", ein neues Schulgebäude eimveihen, und
zwar die in der Psenburgstraße zwischen Möncheberg
und Weserstraße gelegene Oberrealschnle II. Der dem
Barock entlehnte stattliche und zweckmäßige Bau ivurde
am 14. Oktober feierlich seiner Bestimmung übergeben.
- Tie weltbekannte Schmidtsche Heißdamvsgeiellschaft
konnte in diesen Tagen die 25 000. Bestellung eurer
Heißdampflokoinotive begehen.
Die Jahrhundertfeier der B ö l k e r -
s ch l a ch t bei Leipzig ivurde, tvie vor 50 Jahren,
auch diesmal in ganz Hessen feierlich begangen. Am
Abend des IN. Oktober flammten auf allen Höben
Frrudenfeuer auf - vom Herkules sah man allein in
westlicher Richtung 18 Feuer zu gleicher Zeit. Festzüge,
Festgottesdienste und andere Veranstaltungen fanden selbst
in den kleinsten Orten statt. Wir müssen uns deshalb
daraus beschränken, nur die Hauptveranstaltungen in
der Residenz Kassel kurz aufzuzählen. Schon in der Frühe
des 10. Oktober hatte der Verband vaterländischer Ver-
eine eine erhebende Feier am Hessendenkmal auf dem
Forst veranstaltet, ivo u. a. Generalleutnant Fritsch, Exz.,
Eisenbahnsekretär Henning, Redakteur Schwarz und Oberst
Hellwig sprachen. Eine ähnliche Feier fand am Hessen-
löwen in der Karlsaue statt. Im Mittelpunkt der Ver-
anstaltungen stand neben den Festgottesdiensten und der
ParoleauSgabe auf dem Friedrichsplatz die Feier auf dem
Bowlinggreen, wohin sich nachmittags drei Festzüge
bewegten, die sich auS fast allen Kasseler Vereinen,
den Schulen und Innungen zusammen setzten und wohl
15 000 Teilnehmer umfaßt haben mögen. Redner waren
hier General z. D. von der Boeck, Pfarrer Stein und
General Berndt, während der Kurhessische Sängerbund
die imvosante Feier durch weihevolle Liedervorträge er-
gänzte. Der Abend brachte neben patriotischen Veran-
staltungen in den Kirchen zwei stark besuchte Kommerse
im Stadtpark und der Stadt Stockholm. Erwähnt sei noch,
daß der so glänzend verlaufene Eilbotenlauf zum Völker-
schlachtdenkmal mit der Etappe IX (Waterloo — Leipzig)
auch Hessen (am 17. Oktober 6 Uhr 34 nachmittags
Kassel) berührte.
Auszeichnungen. Es erhielten: auf der Inter-
nationalen Baufach-Ausstellung in Leipzig die Stadt
Kassel sowie das Institut für geodätische Instrumente
von W. Stiegel, Kassel die goldene Medaille, die
Farbenfabrik Rosenzweig & Baumann, Kassel
als einzige Farbenfabrik die höchste Auszeichnung, den
Königlich Sächsischen Staatspreis, die R. G. E l w e r t -
sche Verlagsbuchhandlung in Marburg für ihre Aus-
stellung, besonders von Werken über hessische Baukunst,
die silberne Medaille, ferner auf der Wiener inter-
nationalen Ausstellung anläßlich des Naturforscher-
und Ärztekongresses die Firma W. Braun, Melsungen
für ihre pharmazeutischen Präparate und chirurgischen
Nähmaterialien die höchste Auszeichnung für Ausländer,
die goldene Medaille und das Ehrenkreuz zur goldenen
Medaille.
P e r s o n a l ch r o n i k. Zahnarzt Scheele in Kassel
wurde zum Vorsitzenden der preußischen Zahnärztekammer
gewählt.
Todesfall. Am 9. Oktober verschied plötzlich im
64. Lebensjahr am Herzschlag der Stadtrat und Rech-
nungsrat Nikolaus S tippich zu Kassel, dessen
Tod einen schmerzlichen Verlust für das Kasseler Ge-
meinwesen bedeutet. Seit 1894 gehörte er dem früheren
Bürgerausschuß an, seit 1898 war er Mitglied der
Stadtverordnetenversammlung, wo er zehn Jahre als
stellvertretender Schriftführer dem Büro angehörte, dann
wurde er in den Magistrat gewählt. Er war Mitglied
zahlreicher Kommissionen und hat sich namentlich in der
Verkehrskommission mit größter Hingabe betätigt, wie
er sich denn auch um die Hebung des Kasseler Verkehrs-
wesens wirkliche Verdienste erworben hat. Die Kasseler
Bürgerschaft hat durch das Hinscheiden dieses Magistrats-
mitgliedes viel verloren.
Der 100. G e b u r t s t a g W eorg B ü ch n e r s,
des mit 24 Jahren jäh dahin gerafften Dichters von
„DantonS Tod", fiel auf den 17. Oktober. Eben dieses
geniale, aber unfertige Erstlingsdrama war längst all-
gemein bekannt, während seine viel bedeutenderen Dich-
tungen nur von wenigen in ihren hohen dichterischen
Schönheiten genossen wurden. Die letzte, von Karl Emil
s-sE, 335 s«tL>
Franzos vor über 30 Jahren veranstaltete Sammlung
seiner Schriften wurde 1009 durch eine von Paul Landau
besorgte, namentlich die rein ästhetischen Werke be-
tonende zweibändige Ausgabe (P. Cassirer, Berlin) über-
holt. Georg Büchner, ein Bruder des 1875 verstorbenen
Verfassers von „Kraft und Stoff", wurde am Vor-
abend der Leipziger Völkerschlacht zu Goddelau, einem
Dorfe bei Darmstadt, als Sohn eines hessischen
Distriktsarztes geboren. Sein Name bedeutete neben
demjenigen Niebergalls einen Höhepunkt im geistigen
Schaffen des Großherzogtums. Über die Daten seines
kurzen, aber schaffensreichen Lebens verweisen wir auf
Alexander Burgers Aufsatz im Hessenland 1902, S. 116f.
Die Trachtensammlung im Hessischen
Landesmuseum wurde bekanntlich von Amtsge-
richtssekretär Wessel in Marburg zusammengestellt.
Hierzu schreibt die „Oberhess. Zeitung": Herr Wessel
ist der größte und vielleicht einzige Kenner unserer hessi-
schen Volkstrachten. Die ganze Trachtensammlung im
Kasseler Landesmuseum mit einem Kostenaufwande von
etwa 22 000 M. hat er im Aufträge des Kultusmini-
steriums zusammengestellt. Die Einrichtung und Aus-
malung der Schwälmer Stuben im neuen Landesmuseum
hat er geleitet und dem Landesmuseum über 100 hervor-
ragende Stücke bäuerlicher Kleinkunst zugeführt. Auch
für die Marburger Sammlung sind von ihm aus der
Boppstiftung mehrere Trachtengruppen, besonders das
Schwälmer Brautpaar, zusammengestellt. Es wäre über-
haupt zu wünschen, wenn gerade in Marburg, einer Zen-
trale der verschiedensten Bauerntrachten, auf die Samm-
lung von Trachtenstücken der größte Wert gelegt würde.
Entzückt doch in Straßburg das Museum elsässischer
Trachten das Auge jedes Kenners und Laien. Eine
ausgedehnte Trachtensammlung wäre eine Sammlung,
die gerade hier bodenständig und damit auch zugkräftig
für das Publikum sein würde, zusammengenommen
natürlich mit den Schätzen, die bereits für die Zwecke
des zu erbauenden Altertumsmuseum vorhanden sind.
Vielleicht ließen sich auch Regierung und Provinz be-
ivegen, Beiträge für Marburg zu leisten, erstens in bar
als Ergänzung unseres Museumsfonds von 30000 M.
und zweitens in naturalibus durch Abgeben von Dub-
letten und Stücken Marburger Ursprungs. Uns scheint,
als ob der Gedanke ein solches Spezialmuseum in Mar-
burg einzurichten, zumal wir zurzeit in Herrn Wessel
einen Kenner dieser Dinge hier haben, recht bald von
den zuständigen Stellen aufgegriffen werden möchte.
Auf dem Meißner fand am 11. Oktober nach
einer Vorversammlung im Burghof des Hanstein der
erste „freideutsche Jugendtag" statt, zu dem
sich aus allen Teilen Deutschlands und Österreichs
etwa 2000 Teilnehmer eingefunden hatten. Vertreten
waren außer dem „Wandervogel" u. a. der Bund
Deutscher Wanderer, der Deutsche Bund abstinenter
Studenten, die Deutsche akademische Freischaar und die
akademischen Vereinigungen Marburgs und Jenas. Unter
den Rednern befanden sich auch Or. Avenarius, der Her-
ausgeber des „Kunstwart", und Pfarrer Lic. Traub. Das
Ergebnis der Verhandlungen wurde in zwei Anträgen
zusammengefaßt. 1. die freideutsche Jugend will aus
eigener Bestimmung vor eigener Verantwortlichkeit mit
innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. 2. für die
innere Freiheit tritt die freideutsche Jugend unter allen
Umständen geschlossen ein. — Altdeutsche Tänze, bei
denen junge Mädchen in leichten Gewändern und bar-
füßig trotz dem naßkalten Wetter mitwirkten, Wett-
kämpfe, Spiele und eine Freilichtaufführung von Goethes
„Iphigenie" gaben der imposanten Versammlung einen
weihevollen Abschluß.
Die L a n d k r a n k e n h ä u s e r in K u r h e s s e n.
Im Jahre 1912 sind in den Landkrankenhäusern bezw.
Jrrenheil- und Pflegeanstalten Kurhessens insgesamt
14167 Personen verpflegt worden. Die Gcsamtkostcn
der Verpflegung ausschließlich der Verwaltungskosteu be-
trugen 1347791,04 M., ersetzt sind hiervon 1436700 M.
Gestorben sind hiervon 570 Personen. Die Pfleglinge
verteilen sich auf die einzelnen Städte wie folgt : 1. Land-
krankenhäuser: Kassel 4187, Eschwege 622, Fulda 2780,
Hanau 2091, Hersfeld 1186, Rinteln 406, Schmalkalden
651. 2. Jrrenheil- und Pflegeanstaltcn. Landeshvspital
Marburg 663, Landeshospital Haina 884, LandcShospital
Merxhausen 897.
Fischzucht in K u r h e s s e n. Der Besetzung
kleiner Dorfteiche mit Fischen wendet der Kasseler
Fischereiverein besondere Aufmerksamkeit zu, um solche
Teiche oder sumpfige Wiescnflächen ertragreicher zu
machen. Die Erfolge des Vereins spornen zur Nach-
eiferung an. So wurde im April 1908 ein der Gemeinde
Mariendorf gehöriger 0,7 Hektar großer Teich, der bis
dahin als Wiese für 45 M. verpachtet war, mit 70 Kilo-
gramm Fischen besetzt, im Oktober 1912 wurde er mit
einem Ertrage von 270 Kilogramm abgefischt. Das er-
gab einen Reingewinn von über 300 M. pro Jahr und
Hektar! Im Herbst 1912 wurden sogar 350 bis 400
Kilogramm auf den Hektar erzielt.
DerObstbauimRegierungsbezirkKas-
s e l. Den Gemeindekassen des Regierungsbezirks Kassel
sind durch den Verkauf des im Jahre 1913 geernteten
Obstes zugeflossen: Kassel-Land 19 610,50 M., Eschwege
19 (162,70 M., Frankenberg 12 613,40 M., Fritzlar
17 986,60 M., Fulda 2388,05 M., Gelnhausen 15 568,91
M., Gersfeld 272,60 M., Hanau-Land 3426,98 M.,
Hersfeld 5080,80 M., Hofgeismar 37 604,88 M., Hom-
berg 12 706,20 M., Hünfeld 1773,83 M., Kirchhain
17 190,10 M., Marburg 20 694,05 M., Melsungen
14 755,20 M., Grafschaft Schaumburg 7380 M., Roten-
burg 7452,40 M., Schlüchtern 4851,82 M., Herrschaft
Schmalkalden 4827,87 M., Witzenhauscn 15 714,20 M.,
Wolfhagen 18 512,55 M., Ziegenhain 11860,90 M.,
zusammen 271 843,54 M.
Meteorologisches aus dem Bezirk Kas-
s e l. Das Königreich Preußen zählt insgesamt 251 l
meteorologische Stationen, davon sind 153 solche höherer
Ordnung. Die größte Dichte zeigt das Beobachtungs-
netz in Hessen-Nassau mit 231 Beobachtungsstellen ldar-
unter 16 höherer Ordnung), von denen wieder 126 auf
den Regierungsbezirk Kassel entfallen. Auf die ein-
zelnen Kreise verteilen sich diese Gelnhausen 14, Fulda
10, Frankenberg 9, Hofgeismar und Schlüchtern je 8,
Kassel, Witzenhausen, Eschwege, Rotenburg und Ziegen-
hain je 7, Melsungen 6, Wolshagen, Marburg, Gersfeld
und Grafschaft Schaumburg je 4, Homberg, Kirchhain,
Hersfeld, Hünfeld und Herrschaft Schmalkalden je 3,
Fritzlar und Hanau nur je 2 Beobachtungsstellen.
Aus Marburg. Der historische Elisabeth-
brunnen am Wehrdaer Weg wird jetzt nach einem
auf Anregung des Berschönerungsvereins erfolgten Be-
schluß der Stadtverordneten ein Schutzhaus erhalten.
Im Brunnengebäude soll die Inschrift „St. Elisabeth-
Brunnen" angebracht werden, außerdem soll die dem
Eintretenden zugewandte Rückseite des Brunnens über
dem Brunnenbecken eine Marmortafel mit dem land-
¡liiijlici) thüringischen Wappen und der Inschrift er-
halten. „Aus diesem ältesten Brunnen der Stadt schöpfte
einst Erquickung, die edelste Frau Marburgs, die Wohl-
täterin ihrer Mitmenschen, die Ahnfrau des Hessischen
Fürstenhauses Elisabeth, Landgräfin von Thüringen in
den Jahren 1229—1231." An der der Stadtseite gegen-
überliegenden inneren Scitenivand soll eine kleinere
Marmortasel mit dem von Brcitenbach'schen Familien-
ivappen und der folgenden Inschrift angebracht werden i
„Im Kampfe um unser Marburg, das in der Franzosen
Hand >var, starb am 14. Februar 1731 an der Spitze
der hessischen Regimenter, bei diesem Brunnen den
Heldentod, der Generalleutnant der alliierten Armee,
Ludwig Johann Karl Reichsfreiherr von Breitenbach zu
Breitenstein. Ehre seinem Andenken!" Diese Inschriften
sind nach Anhörung des Sachverständigen, Archivars
vr. Knetsch, abgefaßt worden. Als (Gegenstück zu der
Teitcnwandtasel könnte nach ihm eine dritte Tafel an-
gebracht werden, mit einer kurzen Inschrift, die das
Jahr und die Urheber der Erneuerung des Brunnens
angibt.
Aus W e r l e s h a u s e n. Die der Königlichen Re-
gierung zu .(lasset unterbreitete Petition, die Burgruine
Ludwig st e i n bei Werleshausen den deutschen Wan-
dervögeln zu überlassen, hat bei dieser Shmpathie ge-
funden. Iwar hat sich die Regierung veranlaßt gesehen,
sie vorläufig ivegen Baufälligkeit zu schließen, äber
nach einer Audienz des Vorstandes des Alt-Wander-
vogels im Kultusministerium steht zu erwarten, daß die
Burg aus der Verwaltung des Landwirtschaftsministe-
riums in die des Kultusministeriums übergeht, und es
sich dann erreichen lassen wird, daß die Burg mit Hilfe
von Staatsmitteln weiter ausgebaut wird, um sie der
Nachwelt zu erhalten und sie den deutschen Wander-
vögeln und ähnlichen Iugendpflegevereinigungen zu über-
lassen.
A u S S ch l ü ch t e r n. Der hiesige Heimatbnnd hat
die Herausgabe eines für die Hand der Schüler und
Fortbildungsschüler bestimmten „ H e i m a t b u ch es"
beschlossen, das sich über Landschaft und Volkstum, Sitte
und Svrnche, Sage und Geschichte, Natur und Wirt-
schaft des Kreises verbreiten, die Heimatkenntnis fördern
und dadurch Heimatliebe und Heimatsinn der Jugend
ivecken soll.
E i n v e r l a s s e n e S Do r f. Im (kreise Witzen-
hausen, ein Stündchen östlich von Reichenbach, lag das
Dorf Wollstein, das Anfang der achtziger Jahre zwölf
Häuser, ein (lirchlein, ein SchulhauS und 70 Einwohner
hatte, im letzten Winter jedoch nur von einer (tuhmagd
bewohnt ivurde. Heute stehen die Häuser leer. Einige
zeigen noch die Spuren ehemaliger Wohnlichkeit Ofen,
Herde, alte Bettstellen und dergl. mehr. Am Hause des
früheren Bürgermeisters hängt noch der (lasten für die
öffentlichen Bekanntmachungen. In einer Ecke beim
ersten Hause am Wege stand das Schild mit der Auf-
schrift Dorf Wollstein, (lreis Witzenhausen es hat
einem anderen weichen müssen, auf dem zu lesen steht
Gut Wollstein usw. Die ehemaligen Bewohner des armen
Törfleins, dessen Boden nur geringen Ertrag lieferte,
haben ihre Äcker und Wiesen nach und nach an das
Rittergut Harmuthsachsen verkauft und sind teils nach
Westfalen, teils nach Amerika ausgewandert. In der
Nähe liegen noch die Gemarkungen (Wüstungen) der
früher untergegangenen Ortschaften Bibrichsdorf, Hinter-
und Niederwollstein.
W e m gehört der A l t k ö n i g ? Es sind recht
verzwickte Verhältnisse, die dort oben auf dem grauen
Taunushüter obwalten, so eigenartig, wie sie glücklicher-
weise nur noch selten in deutschen Landen zu treffen
sind. Der Altkönig ist nicht preußisch und doch preußisch,
nicht hessisch und doch hessisch. Auf den Höhen des
Berges besitzt die jetzt hessische Gemeinde Steinbach ein
223 Morgen großes Waldgebiet. Steinbach hat bis
1810 recht oft seinen Herrn wechseln müssen, es war
nacheinander Besitz von Münzenberg, Falkenstein, Epp-
stein, Stolberg, Hanau, Hessen-dassel, Frankreich (1806
bis 1810), seitdem liegt es als hessische Exklave inmitten
preußischen (bezw. bis 1866 nassauischen) Besitzes. Das
Altkönigsgebiet war ehedem (Ironberger Markwald, in
dessen Besitz sich viele Orte teilten. 1809 wurde der
uralte Waldvertrag aufgelöst und 10 Gemeinden teilten
sich in die 3370 Morgen Wald, hiervon bekam die hes-
sische Gemeinde Steinbach 223 Morgen. Der Herzog
von Nassau behielt sich im Vertrag zahlreiche Rechte und
Nutzungen über das Steinbacher Gebiet vor, ein Recht,
das 1866 von Preußen übernommen wurde. Daraus
haben sich nun ganz merkwürdige Verhältnisse entwickelt,
und zwar. Das Gebiet, Wald und Wild gehören Stein-
bach, die staatlichen Rechte übt aber Preußen aus, die
lommunalrechtlichen Befugnisse liegen in (Ironberg. Die
Fvrstverwaltung bewirkt die hessische Oberförsterei Ober-
eschbach, den Wildschütz aber übt die preußische Polizei
in (Ironberg aus. Die Iagdverpachtung steht Steinbach
zu, aber der Jagdschein muß in Preußen gekauft werden.
Iagdpächter sind diesmal Kronberger Herren. (Ironberg
heimst natürlich die Grundsteuer ein, wie auch die Wies-
badener Landwirtschaftskammer die üblichen Kammer-
beitrügc von Steinbach heischt. Den Förster darf natür-
lich Steinbach wieder besolden usw. 11m diesen eigen-
artigen Verhältnissen ein Ende zu machen, bemühen
sich jetzt die Steinbacher, die infolge ihrer Politisch ex-
ponierten Lage wirtschaftlich nicht vorankommen, gegen
einen entsprechenden Gebietsaustausch an Hessen preu-
ßisch zu werden.
Aus Frankfurt a. M. Das historische Museum
hat eine überaus kostbare Erwerbung gemacht, die für
unsere alte (lrönungsstadt von ganz besonderer Bedeu-
tung ist und bis jetzt einzig in der Welt dasteht. Es
handelt sich um eine peinlich genaue Nachbildung der
Krone, des Reichsavfels und des Szevters nach den
Originalen in der kaiserlichen Schatzkammer zu Wien.
Professor Louis Bescher, Hanau hat die Arbeit
unter Benutzung der Originale eigenhändig in vergol-
detem Silber ausgeführt. Nur die Gravierungen des
Emails sind vom Emailleur H. Dasbachs in Hanau
gemacht. Besondere Verdienste um das Studium der
Originale erwarb sich ferner Akademiedirektor Leven in
Hanau. Die Nachbildung der Steine geschah aus Grund
von Gipsmodellen, im ganzen wurden verwendet 142
größere und 70 kleinere Rubine, Smaragde, Saphire,
Topase, Granate, Amethyste und Perlen alles ist ä
jour gefaßt, einzelne Fassungen sehen sich aus 50 Teilen
zusammen. Außerdem verarbeitete der Künstler 85 Meter
Silberdraht und fast 3000 kleinere Silberperlen. Die
Defekte der sehr zerbrechlichen teilweise schon durch
Draht zusammengehaltenen Krone sind nicht nachgebildet.
Die kostbaren und kulturgeschichtlich hochinteressanten
Schaustücke ruhen unter einem Baldachin von der Kaiser-
krönung 1790.
Literarisches. Karl E n g e l h a r d s drama-
tische Idylle „Pestalozzis Liebe" fand anläßlich der 36.
Hauptversammlung des Hessischen Volksschullehrervereins
zu Hanau am dortigen Stadttheater einen starken Erfolg.
s««", 337
Schntz der Landschaft. Aus Bad Orb wird be-
richtet: Ein Landwirt in Aufenau hatte auf seinem an der
Frankfurt-Bebraer Eisenbahnstrecke belegenen Grundstücke
eine Reklametafel der JaSmatzi-Zigaretten stehen. Weil
diese Tafel das Landschaftsbild verunstalte, wurde er von
der Kreisbehörde wiederholt zur Entfernung der Tafel
aufgefordert, allerdings, vergeblich. Schließlich wurde An-
klage gegen ihn wegen Übertretung der über Verunstaltung
von Landschaftsbildern ergangenen Polizeivorschriften er-
hoben. Der angeklagte Landwirt erklärte, daß er sich nicht
für berechtigt halte, die Tafel zu entiernen. da er sein
Grundstück an eine Reklamefirma verpachtet habe und die
Tafel deren Eigentum sei. Das Schöffengericht verurteilte
den Landwirt zu 3 Mark Geldstrafe und hob hervor, daß
mit allen Mitteln gegen die Aufstellung von Reklame-
tafeln längs der Eisenbahn eingeschritten werden müsse, da
man sonst nach einer Reihe von Jahren zwischen Bretter-
zäunen hindurch fahren würde.
Hessische Bücherschau.
Jubiläumsliteratur (Schluß): 25 Jubiläums-
postkarten zur Erinnerung an die Jahr-
tau s e n d f e i e r gab die Kunstverlagsanstalt von Bruno
Hansmann in Kassel heraus (Preis 1.25 M.). Diese
nach alten Kupferstichen, Lithographien und Photos auf
antikem Karton mit Bütteneffekt sauber hergestellten An-
sichten geben Gesamt- und Einzelansichten der Stadt
und ihrer historischen Gebäude, sie werden an Wert noch
getvinnen, wenn der Verlag bei einer etwaigen Neuauf-
lage jedem Bild die genaue Bezeichnung des Originals
und der Entstehungszeit noch hinzufügen wollte. Der
gleiche Verlag brachte neben einer Reihe verschiedener
Festpostkarten nach Entwürfen Kasseler Maler und einer
humoristischen Karte „der Festzug kommt" auch 25 Post-
karten zur Erinnerung an den kulturhistorischen
F e st z u g nach Originalaufnahmen heraus (Preis 1.50
Mark), die sämtliche Gruppen des schönen Zuges gut
festgehalten haben. — Großer Beliebtheit erfreuten sich
auch die im Autrag des Magistrats von Professor
Adolf Wagner geschaffenen farbenprächtigen zehn
offiziellen Fe st po st karten (Verlag W. Schlem-
ming, Kassel, Preis 1 M.), die bedeutungsvolle, z. T
auch im Festzug verwandte Szenen aus den Jahren 913,
1017, 1163, 1300, 1413, 1552 (das Zwehrentor war
notabene damals noch 150 Fuß lang!), 1626, 1763,
1809 und 1863 wiedergeben. Von diesen Karten wird
nicht allzuviel mehr vorhanden sein, doch hat derselbe
Verlag mit ihnen auch ein „Offizielles Gedenk-
buch zur Tausendjahrfeier Kassel" ausge-
stattet (Preis 1,50 M.), das gleichfalls viel Liebhaber
finden wird. — Es ist unmöglich, auf die in den größeren
auswärtigen Zeitungen und illustrierten Zeitschriften
über Kassel enthaltenen Aufsätze einzugehen. Ich be-
schränke mich darauf, wenigstens zum Schluß noch eine
Inhaltsangabe der drei vom Magistrat herausgegebenen
und im Verlag der Gotthelftschen Hofbuchdruckerei er-
schienenen reichillustrierten Fe st nummern (40 und
50 Pfg.) zu geben sowie auch derjenigen, die die Kasseler
Zeitungen herausgaben. Ausgabe 1 der Festnummer
(Export- und Handels-Nummer), Dr. Scholz, Geleitwort
R. Sp., das tausendjährige Kassel, Thn., Kasseler In-
dustrie und Handel, Dr. H. Warlich, Einfamilienhaus-
Siedelungen in und um Kassel, P. Heidelbach, das
Hessenland und die Hessen, R. Spangenberg, Kassels
Textil-Jndustrie; Mosaik. Ausgabe 2 (Kunst-Num-
m e r mit einer farbigen Zeichnung von H- Meyer-Kassel):
R. Spangenberg, die Kasseler Jubiläums - Kunstaus-
stellung, G. Gronau, die Königl. Gemäldegalerie: Boeh-
lau, das Königl. Museum; H. Knackfuß, die Kasseler
Kunstakademie im Wandel der Zeiten, H. Blumenthal,
das Königl. Hoftheater in Kassel, * Kunst und Natur
in Kassel-Wilhelmshöhe, I. Wäscher, was in Kassel zur
Ausbildung für die weibliche Jugend geschieht , * Tau-
sendjahrfeier-Medaille , Mosaik. Ausgabe 3 (Festnummer
mit vier farbigen Bildern aus dem Festzug von Fennel,
Oreans, Zimmer und Matthei) V. Traudt, Chassalla-
Weihelied mit Komposition von I. Lewalter, Verzeich-
nis der Ausschüsse, R. Spangenberg, das Kasseler Rat-
haus ; die Kasseler Stadtkellerei, Stadtsyndikus Brunner,
die Stiftungen der Residenzstadt Kassel, P. Heidelbach,
Schwälmer Tänze; I. Lewalter, über das Volkslied in
Hessen, H. Knackfuß, der kulturhistorische Festzug, Mosaik.
— Festnummer des „Kasseler Tageblatt und
Anzeiger" g. Kasseler JubiläumS-Spazicrgänge
Dr. Scholz, die Residenzstadt Kassel, A. Jöckel, Erinne-
rung E. Quadt, das Kassel von heute, R. Spangew-
berg, aus der Geschichte Kassels, B. Dlabal, Kassels
kommunale Entwickelung. A. Köhler, Goethe und Kassel,
E. Zöllner, die Kunst in Kassel, C. Eisenbart, Tausend
Jahre Kasseler Musikleben. — Festschrift der „K a s s e -
ler Allgemeinen Zeitung" M. Müller,
Chassalla Heil!, Dr. W. Lange, aus Kassels vergange-
nen Tagen K. Stuhl, Herkunft und Bedeutung des
Namens der Stadt Kassel, G. Eskuche, Hessische Elegien
vom Jahre 1890; A. Heußner, die Anlage der Oberneu-
stadt unter Landgraf Karl Thn., die Bedeutung von
Kassels Industrie und Handel, Wor., eine fürstliche
Hochzeit in Kassel. — Die 5 Nummern der Festzeitung
der „Hessischen P o st " (Kasseler Stadtanzeiger)'
P. S., Gruß an Chassalla, P. Heidelbach, das tausend-
jährige Kassel Professor Fr. Wiegand, die Stadt Kassel
in der Kircyengeschichte, R. Spangenberg, Handel und
Wandel in Kassel, —tw.—, Dichtung und Dichter in
Kassel; H. Jonas f. Vor hunnerd Johren R. Svangen-
berg, Kassel und die Kunst A. Rohrbach, Heil dir,
Chassalla!; H. K., Chassalla im Festgewande Festrede
von Professor Dr. Steinhaufen, P. H. Festtagsbetrack)-
tungen. — Festschrift der „Kasseler N e u e st e n
Nachrichten". F. Steinheim, Jahrlausendwende
H. Freimuth, Tausend Jahre Kassel, W. Speck, Erinne-
rungen an Kassel, Festgrüße an Chassalla (Geleitworte)
Dr. Saran, die Stadtverwaltung, Dr. PH. Losch, die
Oberbürgermeister, H. Velsbach, Kassel und die Politik
V. Traudt, die Literatur in Kassel B. Jacob, Wirt-
schaftliches Leben. Dr. H. Brückemüller, kritische Momente,
Dr. H. Haarmann, die Wohlfahrtspflege, Ch. Burger,
Kassels Hoftheater. E. Francke, die Bibliotheken, Di-
rektor Engeln, die Gartenstadt Kassel Dr. F. Nadolni,
aus westfälischer Zeit, M. Matthies, Kassels Frauen-
welt, H. Wechmar, die Kasseler Karlsaue; R. Moebius,
der Sport in Kassel. — „Kasseler Volksblatt";
R. H., das tausendjährige Kassel, wie sah Alt - Kassel
aus?; die Flucht des Hornisse-Redakteurs Dr. Kellner,
aus der Zeit des kurhessischen Zunftzwanges.
Hbach.
Berndt, K. Friggedellen. Gedichte in Kasseler
Mundart. 104 Seiten. Kassel (Vietor'sche Hofbuch-
handlung) 1913. Preis IM., geb. 1,50 M.
Auch dieses lustige Büchlein begründet sein Erscheinen
mit dem seltenen Stadtfeste und hebt mit einer Reim-
chronik an, die das tausendjährige Geschehen am Fulda-
VWL, 338 vmtL,
strand in Kasseler Dialekt gebannt hat. Unter den ande-
ren Stücken treffen wir manchen guten Bekannten, aber
in so drolligem Gewand, daß wir uns des Wiedersehens
freuen. Der Berfasser hat einen wirklich guten Humor
im Leibe, und wenn er allzuleichte Ware, wie etwa das
„Kasseler Drullala" künftig ausscheidet, so gereicht das
c>em Bändchen nur zum Nutzen. Es ist schwer, „den"
Kasseler Dialekt stabilieren zu wollen, meines Be-
dnnkens geht aber der Berfasser zu weit, wenn er sich
müht, nun allem und jedem dialektische Färbung zu
leihen, und so lange Niederzwehren noch nicht einverleibt
ist, hat auch dessen heimisches Idiom noch kein Platz-
recht in der Kasseler Mundart. Ebenso müßte der Ber-
sasser auf die vom Hochdeutschen doch erheblich abweichen-
de Syntax mehr Rücksicht nehmen. Wenn Berndt bei
seiner späteren Produktion auch auf diese Dinge mehr
Wert legt, wird diese entschieden gewinnen. Er hat bei
seiner geschickten Reimtechnik und der Fülle seiner lau-
nigen Einfälle das Zeug dazu, der Kasseler Mundart
neue Freunde zu werben. Hbach.
Arbeiten der Historischen Kommission für das Groß-
herzogtum Hessen. Hessische Biographien,
in Verbindung mit Karl Esselborn und Georg Lehnert,
herausgeg. von Hermann Haupt. Bd. I, Liefe-
rung l. Darmstadt (Großh. Hess. Staatsverlag) 1912.
128 S. 8» Preis M. 3,-
Die Historische Kommission für das Großherzogtum
Hessen (gegründet 1907) hat sich u. a. die Aufgabe ge-
stellt, Lebensbilder aller im 19. Jahrhundert verstorbenen
Personen zu veröffentlichen, die dem Großherzogtum an-
gehört und in Kunst, Wissenschaft, Industrie, im Staats-
dienst, im öffentlichen Leben oder sonstwie sich aus-
gezeichnet haben. Im Interesse einer gleichmäßigen
Publikation (alljährlich soll eine Lieferung erscheinen,
von denen 5 einen Band bilden sollen) wurde von einer
alphabetischen Anordnung der Biographien abgesehen.
Die Benutzung wird durch ein alphabetisches Register der
einzelnen Artikel und durch ein solches der Mitarbeiter
--------------»■
Personalien.
Verliehe«: dem ord. Professor an der Kaiser Wilhelms»
Universität zu Straßburg vr. Braun die Königliche
Krone zum Roten Adlerorden 3. Kl. mit der Schleife;
dem Hofapotheker Na gell und dem Gutsbesitzer Seidl er
zu Kassel, sowie dem Pfarrer Müller zu Barchfeld der
Rote Adlerorden 4. Kl.; dem Lehrer an der Kunstakademie
zu Kassel Architekten Prof. v. Tettau die Goldene Me»
daille für Kunst; dem Korpsstabsveterinär a. D. Buß.
dem Geheimen Rechnungsrevisor beim Rechnungshöfe deS
Deutschen Reichs Geh. RechnungSrat Bartsch, dem Ober-
zollinspektor a. D. Zollrat Peine zu Kassel, dem Forst-
meister H e y m a ch zu Grebenstein und dem Lehrer an der
Königlichen Kunstakademie zu Kaste! Maler Prof. Koch
der Kronenorden 3. Kl.; dem Lehrer Drusche! zu Geln-
hausen der Krvnenorden 4. Kl.; dem Wirkl. Geh. Rat
Oberpräsident H e n g st e n b e r g zu Kassel die Rote Kreuz-
Medaille 2. Kl.; dem Ghmnasialdirektor Dr.phil. Held-
mann zu Rinteln. dem prakt. Arzt vr. Marsch zu
Herleshausen, dem Oberstleutnant a. D. Hock. der Frau
Landeshauptmann Freifrau Riedesel zu Eisenbach
und dem Fräulein Moye zu Kaste! die Rote Kreuz-
Medaille 3. Kl.; den Lehrern K a l e t s ch zu Uchtdorf. Graf-
schaft Schaumburg, und Pflüger zu Barchfeld der Adler
der Inhaber des Königlichen Hausordens von Hohenzollern;
erleichtert. Die gesamte Anordnung ist sehr zweckmäßig
und übersichtlich. Der Stoff und seine Bearbeuung bietet
nach jeder Seite Befriedigung. — Man erkennt, daß die
Verfasser sich bemüht haben, strenge Objektivität zu
wahren. Hin und wieder allerdings vernimmt man einen
leisen Panegyrikus. Seite 81 bis 83 macht sich die
Phrase breit. Zu wünschen wäre für die Folge eine
Feststellung der Ahnentafel der behandelten Persönlich-
keiten, etwa bis zu den dritten Aszendenten. Im In-
teresse der Familienforschung und des Studiums der
Heredität wären solche Angaben sehr zu begrüßen. Auf
S. 1 wird mitgeteilt, daß F. B. Ch. Gr. z. Solms-
Laubach „von seinen französischen Sympathien durch
seinen wiederholten Aufenthalt in Paris geheilt worden
sei", ohne daß das Wesen dieser „Sympathie" erklärt
ist. Das Wesen dieser Sympathie beschränkte sich in der
Hauptsache auf die Persönlichkeit des „?remier 6onsuI",
dessen faszinierende Erscheinung ihm auf dem Kongresse
zu Rastatt begegnet war. Gr erblickte in ihm, wie so viele
andere, und mit Recht, den Bändiger der Revolution.
Die Bedeutung von G. K. Backes (Seite 44) liegt doch
wohl in seiner erfolgreichen Agitation für die materielle
und geistige Hebung des Volksschullehrerstandes (die un-
erwähnt ist), weniger in seiner literarischen und pädago-
gischen Tätigkeit. Im Verzeichnis der Schriften von
O. Büchner (Seite 124) fehlt dessen Abhandlung: „Die
großherzoglich hessischen Truppen in den Kriegen der
Rheinbundszeit und die amtliche Presse des Landes"
(Hessenland, Jahrgang 1896, Seite 270, 284, 300.)
Dr. August Roeschen.
Eingegangen■
Verhandlungen der 23. Jahresversammlung des hessi-
schen Städtetags zu Rotenburg. (30. und 31. Mai
1913.) Herausgegeben vom Vorstand des hessischen
Städtetages. Kassel 1913.
Professor vr. Arthur Fuckel. Schmalkaller
Quieler-Born. Gedichte und Geschichten in Schmal-
- kalder Mundart. 48 Seiten. Schmalkalden (F. Wilisch's
Buchhandlung).
--------------
dem Zolleinnehmer a. D. Müller zu Eschwege und dem
Bausekretär Linz zu Marburg das Verdienstkreuz in Gold;
dem Oberförster D r e ß l e r zu Bad Orb der Titel Forst-
meister mit dem Range der Räte 4. Kl.; dem Sanitätsrat
vr. Weber. Chefarzt des Krankenhauses vom Roten
Kreuz zu Kassel, der Charakter als Geheimer Sanitätsrat;
dem Fabrikanten Gottschalk zu Kassel der Charakter
als Kommerzienrat; dem Oberlandesgerichtsfekretär Eichen-
a u er zu Kaffel, dem Rechnungsrevisor Griesel zu Hanau,
den Landgerichtssekretären Hoffmeyer und v. Elster-
mann zu Kassel den Amtsgerichtssekretären Gelhaar
zu Marburg. Roux zu Tre^a. AlthauS zu Hanau,
Mackenroth zu Kassel und Marks zuKirchhain, sowie
dem Eisenbahnverkehrskontrolleur Schneider zu Kastei
bei seinem Übertritt in den Ruhestand der Charakter als
Rechnungsrat; dem Regierungsrat vr. v. Zitzewitz, dem
Regierungsbaumeister des Eisenbahnbaufachs Rosien und
dem Regierungsbaumeister des Maschinenbaufachrs Wisch-
mann zu Kaffel etatSmäßige Stellen für Mitglieder des
Eisenbahnzentralamts und der Eifenbahndirektionen; dem
Regierungsaffeffor vr. Kauder die Stelle eines Vor-
standes bei dem Stempel- und Erbschaftssteueramt in Kaffel.
Ernanntr Polizeipräsident Freiherr von Dalwigk
zu Lichtenfels zu Kassel durch Allerhöchste Order zum
landesherrlichen Kommissar bei dem Stifte Kaufungen mit
Wetter an Stelle des auf feinen Wunsch ausscheidenden
S««L- 339 S^L,
Oberpräsidialrats a. D. Frciherrn von Poten; Pfarrer
Fuchs zu Hanau zum Generalsuperintendenten für die
unierte Kirchengemeinschaft des Konsistorialbezirks Kassel;
der Direktor des FnedrichSgymnasiums zu Kassel Dr. Baltzer
zum Provinzialschulrat in Münster; Direktor Professor
G log au zu Königsberg zum Direktor des Friedrichs-
gym ña si ums in Kassel; Oberlehrer Pro f. Marxhausen zu
Hanau zum Direktor des Gymnasiums in Weilburg; Prof.
Dr. Bonhoff in Marburg zum Generalarzt der Land-
wehr 2. Aufg.; Dr. med. Bode zum Abteilungsarzt am
Landkrankenhaus zu Kaffel; Pfarrer Hecht zu Hattendorf
zum Pfarrer in Beckedorf; Pfarrer Hoffmann zu
Nentershausen zum Pfarrer in Niedermöllrich; Pfarrer
Vogt zu Tann zum Pfarrer in Niederasphe; Pfarrer-
Paulus zu Kassel-Rothenditmold zum III. Pfarrer in
Kassel-Wehlheiden; Hilfspfarrer Ritter zu Melsungen
zum Pfarrer in Willershausen; Hilfspfarrer Schmidt
zu Niederzwehren zum Pfarrer in Rambach; Oberförster
o.R Kaboth zum Oberförster in Roßberg; Gerichts-
assessor Fenn er zum Amtsrichter in Ariern; Gerichts-
assessor Dr. S ch e l l m a n n zu Kassel zum Landesassessor;
Rechtsanwalt Meyer zu Volkmarsen zum Notar;
Assistenzarzt Dr. med. Manuel am Landkrankenhause
zu Fulda zum Abteilungsarzt; Assistenzarzt Anhalt am
Landeshospital zu Merxhausen zum Abteilungsarzt; erster
Assistent an der Königlich chirurgischen Universitätsklinik
zu Göttingen Dr. med. Bode zum Abteilungsarzt am
Landkrankenhause in Kassel; die Referendare Dr. Hart-
mann Hauptfleisch Hebel Kreitz und Mar-
dorf zu Gerichtsassessoren; Oberbuchhalter Dörge seit-
her in Kassel, zum Landesrentmeister in Köln; Landes-
hauptkassenbuchhalter Lohrmann zu Kassel zum Kas-
sierer der Landeshauptkasse.
Beigelegt: dem Verkehrsinspektor Weber zu Kassel
die Amtsbezeichnung „städtischer Verkehrsdirektor"
Versetztr Staatsanwaltschaftsrat Bauer als Amts-
gerichtsrat nach Halle a.S.; Staatsanwalt Dr. Beyer von
Allenstein nach Kaffel; Landrichter Dr. Eisenmann zu
Dortmund an das Landgericht in Hanau; Oberförster
Demme zu Großenlüder auf die OberförsterstelleGnewau;
Oberförster Kühn in Hildesheim auf die Oberförsterstelle
Reichensachsen; Oberförster Wagenhoff in Königsthal
auf die Oberförsterstelle Grebenstein; Oberförster Freiherr
von der Recke in Rosenthal auf die Oberförsterstelle
Morschen; Oberförster Schiller in Treten auf die Ober-
försterstelle Großenlüder; Baurat H e u s ch von Fulda als
Regierungs- und Baurat nach Allenstein; Regierungs-
baumeister Hermann von Krotoschin als Vorstand des
Hochbauamtes nach Fulda; die Posträte Albrecht von
Berlin nach Kassel und Groß von Kassel nach Berlin;
Hospitalsrentmeister Baetz von Haina nach Breitenau
zur Versetzung der Geschäfte des Direktors der Korrektions-
und Landarmenanstalt.
In den Ruhestand versetzt: der ordentl. Lehrer an
der Kunstakademie Professor Koch zu Kassel; die Forst-
meister H e y m a ch zu Grebenstein und R o h n e r t zu Alt-
morschen ; der Kreistierarzt Veterinärrat Schnepel zu
Rinteln; Hauptkassierer Quentin bei der Landeshaupt-
kasse zu Kaffel unter Verleihung des Kronenordens 4. Kl.
Beauftragt: Tierarzt Dr. Opalka in Berlin-Wil-
mersdorf mit der kommissarischen Verwaltung der Kreis-
tierarztstelle in Rinteln; Pfarrer extr. Hecker mit der
Versetzung der Hilfspfarrstelle in Gersfeld.
Bestätigt: Steuersupernumerar Waßmann aus
Aachen als Bürgermeister der Stadt Waldkappel; Referendar
Lenz aus Kolberg als Bürgermeister der Stadt Wetter.
Gelöscht: in der Rechtsanwaltsliste der Justizrat W o lff
in Marburg.
übertragen: dem Regierungs- und Forstrat He nckel
die Geschäfte des Forstinspektionsbezirks Kassel - Hablchts-
wald; dem Postinspektor Klingelhöffer aus Darm-
stadt die Verwaltung der Vize-Postdirektorstelle beim Post-
amt I in Kassel; dem bisherigen Hilfsarbeiter an der
Universitäts-Bibliothek zu Marburg Herrmann die
Stelle eines Sekretärs an dieser Bibliothek; dem praktischen
Arzte Sanitätsrat Dr med. Köhler zu Kassel die Wahr-
nehmung der Geschäfte des Theaterarztes; dem Regierungs-
hauptkassenkasfierer Meyneken die Oberbuchhalterstelle
bei der König!. Regierungshauptkasse in Kassel.
Zugelasten zur Rechtsanwaltschaft: die Gerichts-
assessoren K o e p n i ck bei dem Landgericht in Kassel. Tenge
bei dem Amtsgericht in Melsungen und Boette bei dem
Amtsgericht in Ziegenhain.
Geboren: eine Tochter: Rittergutspächter Adolf
Baden Hausen und Frau Elly. geb. Apcl (Freudenthal
bei Wihenhausen. 29. September); Pfarrer Bi er schenk
und Frau Helene, geb. Richter (Calden, 19. Oktober).
Gestorben: Frederick Christian Lothar Strubberg
aus Hanau, 65 Jahre alt (Brooklyn); verw. Frau Erna
(Zöllner geb. Herpel. 79 Jahre alt (Kassel-Wilhelmshöhe.
2. Oktober): früh. kurf. Leibkutscher Rudolf Ludewig
(Kassel, 2. Oktober); Schuhmachermeister Albert Feyll,
58 Jahre alt (Kassel. 3. Oktober); verw. Frau Philippine
Wenderoth. geb. Zahn. 74 Jahre alt (Kaffel, 5. Oktober);
Georg August Pfaff 69 Jahre alt (Hersfeld. 5. Oktober);
verw. Frau Metropolitan Wilhelmine Rothfuchs, geb.
Kelch. 61 Jahre alt (Wolfhagen. 9. Oktober); Stadtrat
Rechnungsrat Nikolaus Stipp ich 63 Jahre alt (Kassel,
9. Oktober); Fabrikant Simon Oppenheim 75 Jahre
alt (Kaffel, 10. Oktober); Kaufmann Karl Hermann
Braun 49 Jahre alt (Kassel. 10. Oktober); Lehrer
Heinrich L>chunck. 53 Jahre alt (Kassel, 11. Oktober);
verw. Frau Apotheker Marie Knipp, geb. Abel (Melsungen,
II. Oktober); Frau Dr. Marianne Tritschler geb.
Baumann (Hovedissen, Post Leopoldshöhe i. L., 11. Oktober);
Dr. phil. Georg Spieß 24 Jahre alt (Marburg. 12. Ok-
tober); verw. Frau Margarete Schoenhei nz. geb. Haber-
mann. 91 Jahre alt (Kaffel. 13. Oktober); General der
Infanterie z. D. Viktor von Lignitz 72 Jahre alt
(Kassel, 15. Oktober); Frau Eleonore von Hundels-
hausen. geb. Wiederhold. Witwe des Landesdirektors
(Kassel-Wilhelmshöhe. 17. Oktober); verw. Frau Pfarrer
Elise Schaub (Kaffel. 17. Oktober); Professor Albert
Wenzel (Marburg. 17. Oktober); Martha Freifrau
Röder von Diersburg. Gattin des Oberlandmessers
(Marburg. 17. Oktober); Pfarrer em. Theodor Wester-
burg, 78 Jahre alt (Marburg. 18. Oktober); Privat-
mann Louis H o ch a p f e l 73 Jahre alt (Kassel, 19. Oktober).
Sprechsaal.
August Vilmar und die heilige Elisabeth.
Irgend ein Abgeordneter soll einmal gesagt haben
Ich kenne die Gründe der Regierung nicht/ aber ich miß-
billige sie. An diesen Ausspruch wurde ich erinnert, als
ich K. Wencks Ausführungen über das obige Thema
las. W. „weiß nicht", wie ich zu meinen Zweifeln
über Vilmars Autorschaft gekommen bin, wartet aber
die Veröffentlichung meiner Gründe nicht ab, sondern
sagt einfach es liegt gar kein Grund vor, die Schrift
Vilmar abzusprechen.
340 S««L-
Ich kann verstehn, daß Wenck Vilmar für den Ver-
fasser der „Heiligen Elisabeth" hält, aber die Stich-z
haltigkeit seiner Gründe für diesen Glauben kany
ich nicht ganz einsehn. W. beruft sich 1. auf die Vor-
rede des Herausgebers Dr. Willens, 2. auf eine An-
nonce der Verlagsbuchhandlung, 3. auf den Umstand,
daß die Schrift die bekannten Vorzüge der Erzählungs-
weise Vilmars zeige, weshalb auch Ad. Jülicher Vil-
mars Autorschaft nicht angezweifelt habe.
Prüfen wir diese Gründe!
In der Vorrede, die ich übrigens gelesen habe, wie
W. mir ruhig glauben darf, sagt der Herausgeber,
daß die Schrift der Neudruck einer 1842 in der Hengsten-
bergischen Kirchenzeitung erschienenen anonymen,
unbekannt gewordenen Arbeit Vilmars sei.
Er sagt aber nicht, wie er den Schleier der Anonymität
gelüftet hat und woher er weiß, daß die „unbekannt
gewordene" Arbeit von Vilmar herrührt. Daß Vilmar
verschiedene Aufsätze für die Kirchenzeitung verfaßt hat,
ist doch noch kein Beweis dafür, daß auch dieser Auf-
satz von ihm stammt. Auch für Wageners Staats- und
Gesellschaftslexikon hat Vilmar zahlreiche Beiträge ge-
liefert. Ist darum der Artikel „Heilige Elisabeth" in
Band 6, 789 auch von ihm? Wer so etwas behauptet,
hat es zu beweisen, und so lange das nicht geschehn ist,
hat die Behauptung nur den Wert einer Hypothese.
Daß diese Hypothese durch die nach wie vor er-
scheinende buch händlerische Anzeige des Ver-
lags der Schrift irgend wie gestützt werde, wird im
Ernst wohl niemand glauben, umsomehr als der Verlag
ja ein gewisses Interesse daran hat, an der Autorschaft
V's. festzuhalten, ohne die die Absatzfähigkeit der Schrift
vermindert wird.
Der dritte Punkt ist der einzige, den ich gelten
lassen kann. Wer in der „Heiligen Elisabeth" die
Schreibweise und Denkungsart Vilmars wieder-
zuerkennen glaubt, wie der Herausgeber, Wenck, Jü-
licher und vielleicht noch mancher andere, den kann ich
nicht widerlegen, da es sich um subjektive Auffassung
handelt. Damit könnte man aber höchstens einen Wahr-
scheinlichkeitsbeweis führen. Es fragt sich auch sehr,
ob Wenck und Jülicher den Stil Vilmars so bestimmt
erkannt hätten, wenn auf dem Titelblatt nicht sein
Name gestanden hätte. Ich selbst erhebe nicht den An-
spruch darauf, hier ein maßgebendes Urteil zu fällen.
Deshalb habe ich mich an den in erster Linie dazu be-
rufenen Biographen Vilmars, Wilhelm Hopf, gewandt,
der mich freundlichst ermächtigt hat, folgende Erklärung
von ihm zu veröffentlichen
„Der im Jahrgange 1842 der Hengstenbergischen
Ev. Kirchenzeitung anonym erschienene Aufsatz über die
heilige Elisabeth ist auf dem Titelblatt und im Vorwort
seines im Jahre 1895 bei C. Bertelsmann, Gütersloh,
erschienenen Neudrucks von Dr. C. A. Wilkens als
eine Arbeit August Vilmars bezeichnet worden.
Diese Bezeichnung beruht nach meiner Überzeugung
auf einem Irrtum, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Es gibt drei von Vilmar selbst zu verschiedenen
Zeiten seines Lebens aufgestellte Verzeichnisse seiner
sämtlichen Werke, Aufsätze usw. (eines davon abgedruckt
bei Strieder XX, 136 ff.), die mir sämtlich in Vilmars
Handschrift vorliegen. In keinem derselben ist der frag-
liche Aufsatz aufgeführt.
2. Da ich Vilmar persönlich gekannt und während eines
langen Lebens mich immer wieder mit seinen Schriften
beschäftigt habe, glaube ich die Merkmale seiner mit der
mündlichen in ungewöhnlichem Maße übereinstimmenden
Schriftsprache gut genug zu kennen, um mit aller Sicher-
heit behaupten zu dürfen, daß Ausdrucksweise und Stil
des fraglichen Aufsatzes nicht die seinigen sind.
3. Als der Neudruck des Aufsatzes im Jahre 1895 er-
schien, fragte ich bei Dr. C. A. Wilkens an, worauf er
seine Annahme, derselbe rühre von Vilmar her, stütze.
Die Antwort lautete, daß Prof. Dr. Albert Freybe zu
Parchim ihm den Aufsatz als eine Arbeit Vilmars be-
zeichnet habe. Aber auch Prof. Freybe konnte für diese
Angabe nur seine freilich für ganz zweifellos gehaltene
Vermutung anführen, die ich aus den unter 1 und 2
angeführten Gründen für ebenso irrig halten muß.
Ich habe mich deshalb nicht veranlaßt gesehen, des
Aufsatzes und seines Neudruckes in meiner Biographie
Vilmars zu erwähnen, was allerdings hätte geschehen
müssen, wenn ihr ein vollständiges Schriftenverzeichnis
Vilmars beigegeben worden wäre. Dagegen ist die von
Professor Dr. Wenck (Hessenland 1913 S. 258) vermißte
„Lutherskizze" mit Angabe ihrer Entstehung und ersten
Buchausgabe in der Biographie (II, 357 und 358) auf-
geführt worden.
Melsungen, 29. August 1913. W. Hopf."
Zu dieser Erklärung möchte ich noch ausdrücklich be-
merken, daß Vilmar in seiner Selbstbiographie bei Strieder
gerade seine in der Ev. Kirchenzeitung erschienenen Auf-
sätze einzeln namhaft macht, auch die von W. erwähnte
Lutherskizze in Wageners Staats- und Gesellschaftslexikon.
Daß er eine so umfangreiche Arbeit, wie die „Heil. Eli-
sabeth" ist, aufzuführen vergessen hätte, klingt wenig wahr-
scheinlich. Auch wird in den erhaltenen Briefen Hengsten-
bergs an Vilmar dieser Aufsatz nirgends erwähnt. Schließ-
lich darf ich wohl noch einen Satz aus einem Briefe Wilh.
Hopfs anführen, der mir schrieb: „Wenn der Aufsatz
von Vilmar herrührte, so hätte ich dies sicher einmal er-
wähnen hören, wenn nicht von Vilmar selbst, so doch
von meinem Vater oder seinen Brüdern, Schwägern oder
andern seiner Freunde, die bis in die 60 er Jahre sämt-
lich Leser der Ev. Kz. waren, und in deren Kreis oft
genug von der heil. Elisabeth die Rede war." In der
Tat wurden auch alle Kenner Vilmarscher Schriften durch
das Erscheinen des Neudrucks im Jahre 1895 völlig
überrascht.
Trotz aller dieser sehr triftigen Gründe bin ich sofort
bereit, meine Zweifel an der Autorschaft Vilmars fallen
zu lassen, wenn W. oder irgend ein anderer mir einen
wirklichen, sicheren Beweis dafür liefert, daß der Auf-
satz aus Vilmars Feder stammt. Dafür verlange ich
aber einstweilen das Zugeständnis, daß es übereilt war
zu sagena es liege gar kein Grund vor, die Schrift Vil-
mar abzusprechen.
Steglitz. Ph. Losch.
Fragekasten.
Fragen.
4. Zum 75jährigen Bestehen der Mozart-Stiftung in
Frankfurt a. M. wollen die noch lebenden Stipendiaten
eine Tafel mit den Bildern sämtlicher Stipendiaten über-
reichen. Nun fehlt das Bild von Jean Bott. Da
Bott Kasselaner war, ist vielleicht irgendwo ein Bild zu
haben, das vervielfältigt werden könnte. Für einen Hin-
weis wäre dankbar
Kassel. Joh. Lewalter.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. — Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
HessenlanO
Hessisches Heimatsdlatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Rr. 21. 27. Jahrgang. Erstes November-Heft 1913.
Der urdeutsche Name des Taunus.
Von Professor Dr. K
Der vielfache Widerhall, den meine im Laufe
des Jahres 1912 über verschiedene hessische Namen-
rätsel *) veröffentlichten Aufsätze hervorgerufen
haben, veranlaßt mich, wenigstens zu einer dieser
von mir behandelten Fragen, der Herkunft des
uns durch die Römer überlieferten Bergnamens
Taunus, in diesen Blättern nochmals das Wort
zu nehmen und meine Ansicht, daß dieser Name
sich von der volkstümlichen und noch heute ge-
brauchten Benennung Höhe herleite, tiefer zu be-
gründen. Ist es doch für die Urgeschichte des
HefsenlandeS nicht gleichgültig, aus welcher Quelle
die älteste, auf dessen erste Besiedelung zurück-
reichende Namengebung geflossen ist.
Der Name Taunus für das zwischen Main,
Rhein und Lahn streichende Gebirge ist erst im
Laufe des vorigen Jahrhundertes durch den Ein-
*) Vgl. .Hessrnland" 1912 Nr. 1: Hessische Bergnamen.
1 Taunus und HunSrück; .Gießen» Anzeiger" Nr. 108:
Die blinden Hessen, abgedruckt in verschiedenen Tages-
zeitungen und zuletzt im .Hefsenland" Nr. 12. A. a. O.
Nr. 125: Die Hunsrückberge der blinden Hunde-Hessen;
Wochenbeilaae der .DarmstLdter Zeitung" Nr. 26: Der
Name der Hessen; .Gießen» FamilienblStter" (Blg. z.
,®. Anzeiger") Nr. 110: Die Herkunft des Wortes Hanfe
und feine Beziehungen zu dem Namen der Hessen.
. Stuhl (Würzburg).
fluß der Gelehrten und der Schule mehr und mehr
gebräuchlich geworden. Noch bis zu Ende des
18. Jahrhunderts war der fast ausschließlich ge-
brauchte Name des Gebirges „Die Höhe". Daher
führen drei vor dem südöstlichen Anstieg gelegene
Orte Homburg, Holzhausen und Rodheim den
Beinamen „vor der Höhe" und die Gegend jen-
seits des Gebirgskammes heißt daselbst „über der
Höhe" und deren Bewohner „die Überhöchster".
Der letzte Fürst aus dem Hause Hessen-Homburg,
Landgraf Ferdinand (gest. 1866) hielt an der
Benennung „Höhe" fest, so daß er, als die Stadt-
behörde von Homburg vor der Höhe eine neue
Straße „Taunusstraße" nennen wollte, dies ver-
hinderte und die Beilegung des Namens „Höhe-
straße" veranlaßte. Vgl. F. Wiesenbach, Die
blinden Hessen, S. 14.
Die herrschende Ansicht geht nun dahin, daß
Taunus und Höhe sprachlich voneinander zu
scheiden seien, wenn sie auch in Hinsicht auf die
Bedeutung übereinstimmten, da nämlich Taunus
das „keltische" Wort Dm, oder Daun „die Höhe"
sei, dem man auch in so vielen auf ...äunum
ausgehenden keltischen Städtenamen begegne. Vgl.
Pauly, Realencyclopädie der klassischen Altertumsw.
unter Taunus mons, 6. Bd. S. 1635.
Entgegen dieser Anschauung habe ich in dem
Aufsatze „Keltisch oder Deutsch?" (Vgl. Nr. 19 der
Münchener Zeitschrift „Die Propyläen" vom 9.Febr.
1912) nachgewiesen, daß das als Grundwort in
so vielen Städtenamen auftretende .. dun(unr)
zusammentrifft mit dem niederdeutschen Tun,
dem im Oberdeutschen Zün, Zaun entspricht,
daß es also dasselbe Wort ist wie das englische
town, oder, wie man früher im Englischen schrieb,
tim, tonn, das zur Bezeichnung einer befestigten,
umhegten Niederlassung oder Stadt dient, und
daß von diesem Worte das niederländische Du in.
nordfriesische Dün, altenglische Dun, englische
Down, schriftdeutsche Düne, dessen ursprüngliche
Bedeutung gleichfalls Gehege oder Zaun war, sich
nur durch die der Begriffsscheidung dienende
Schreibung unterscheidet, daß also sonach das
keltische Dun offenbar aus dem germanischen
Sprachgute entlehnt ist, wie das französische dune
auf das niederländische Duin zurückgeht. Ein
ganz anderes Wort hingegen ist das angeblich
gleichfalls keltisch-römische Taunus oder. ohne
die lateinische Endung, Taun. Auf Grund der
zu beiden Seiten des Gebirgszuges verbreiteten
und in dem Sprachgebrauch des Volkes so fest-
gewurzelten Benennung „die Höhe" habe ich Taun
auf D'Haun oder nach römischer Sprechweise
T' A u n zurückgeführt, also angenommen, daß das
Gebirge von den ältesten Zeiten bis aus de«
heutigen Tag den gleichen Namen bewahrt hat.
Die Aussprache hauch oder hau statt hoch,
die schon aus der ältesten Zeit des germanischen
Schrifttums durch das gotische baub(s) und alt-
deutsche haoh, altnordische haug(r) bezeugt ist,
ist auch in Hessen volkstümlich, wie zahlreiche
Bergnamen (vgl. Donnershauk, Eierhauk, Eisen-
Hank, Ellenhauk u. a.) und von solchen sich her-
leitende Siedelungsnamen wie Hauenstein be-
weisen. Der letztere, der eine Stadt in Baden
hoch über dem Rheine und in Hessen einen Felsen
unweit der Mündung der Biber in die Haune
bezeichnet, kann uns zugleich lehren, woher das
n in Taun stammt. Wie Hauenstein — Hohen-
stein aus der Verbindung „vom hohen Stein"
hervorgegangen ist und der Name der hessischen
Stadt Homburg und anderer Städte dieses Namens
aus der älteren Form Hohenburg, d. i. „bei
oder auf der hohen Burg" sich erklärt, so sagte
man auch ehedem im Bereich des hessischen Höhen-
zugs „an oder vor der Hau'n" — an oder vor
der Höhe". Vgl. wegen der Endung des weib-
lichen Hauptwortes, das jetzt in der Beugung
unverändert bleibt, Bildungen wie Erdenglück,
Sonnenschein, Freudentag usw. So gewöhnte man
sich daran die beherrschende Höhe als „Haun"
oder mit dem Artikel als „T'Haun" zu be-
zeichnen, woraus dann im römischen Munde die
Form Taunus erwuchs. Gegen dieses von mir
angenommene Festwachsen oder Ankleben des Ar-
tikels wendet sich Haas in den „Fuldaer Ge-
schichtsblättern" 1911, S. 8, und Schoos stimmt
seinem Widersprüche in dem Aufsatze „Der Name
Hunsrück" (Hessenland 1912, Nr. 22) bei. Beiden
Forschern ist es entgangen,' daß das Anwachsen
des Geschlechtswortes an Eigennamen eine durch
ganz Deutschland zu beobachtende lautliche Er-
scheinung ist. wie die überaus zahlreichen von
anderen festgestellten Beispiele klar und unwider-
legbar beweisen. Vgl. die Abhandlungen in der
„Zeitschrift für den deutschen Unterricht" Bd. 17,
S. 728, 19, 380; 20, 657; 24. 249; 24,534.
Nur einige von Beck und Keiper beigebrachte
(vgl. 24, S. 249 und 534) mögen namhaft ge-
macht werden.
Mundartlich Denzenreuth (Enzenreuth bei
Hersbruck) — die Neut eines gewissen Enzo (Ein-
hard); Dobenreuth (bei Pinzberg), urkundlich
Obernreuth. Toberureuth, also — die obere Reut.
Auch bei französischen Wörtern, die sich
in Deutschland eingebürgert haben, ist mitunter
der französische Artikel vorn zugeschlagen worden,
so in der Pfalz bei „die Lawaudée — la Vendée,
die Ladrett — la retraite (Zapfenstreich). Ferner
elsässisch „s’Latütl", Diminutiv von frz. la tête.
Ebenso schriftdeutsch „die Laf(f)ette — l’affût
(Geschützgestelle) ; elsässisch „der Labbee — l’Abbé
und pfälzisch „Dutree" in der Ausdrucksweise
„Er iß bei de Dutree" — il est du train
(Keiper).
Diese Beispiele stellen sich den aus dem Ara-
bischen stammenden die Alchimie (vgl. Chemie),
Alkali, Algebra, Alkoran usw. zur Seite. Will
man, was im Deutschen so oft der Fall gewesen
ist und sogar bei deutschen Wörtern, bei der Über-
tragung fremder „barbarischer" Eigennamen in
die römische Sprache nicht für möglich halten,
etwa weil den Römern eine besonders scharfe,
grammatische Erfassung der einzelnen Redeteile
der deutschen Mundarten eigen gewesen?
Nun könnte man einwenden, wenn auch dieses
Vorschlagen und Anschweißen des Geschlechts-
wortes in den deutschen Volksmundarten durch
noch so zahlreiche Fälle aus dem Mittelalter und
der neueren Zeit sich belegen lasse, so folge daraus
noch nicht, daß diese sprachliche Erscheinung auch
schon vor achtzehnhundert Jahren, in der Zeit
des Tacitus und Ptolemäus möglich gewesen sei.
Damals habe es wohl das uns heute so geläufige
unbetonte Geschlechtswort der, die, das noch
gar nicht gegeben, das habe sich erst später aus
«xe, 343 «XL,
dem hinweisenden Fürworte entwickelt. Die fol-
genden Darlegungen werden zeigen, daß diese
AHchauung irrig ist, daß vielmehr schon in der
altgriechischen Sprache dieses Vorklingen und An-
wachsen des Artikels stattgehabt hat.
(Schluß folgt.)
Die Gründung und Jugendzeit des Kasseler Ärztevereins.
Vortrag, gehalten im Ärzteverein zu Kassel am 1 Oktober 1913.
Von Dr. Adolf Alsberg.
Wir leben im Zeichen der Erinnerungsfeste.
Zu den Gedenktagen an die große Zeit von
1813 gesellte sich für uns Kasselaner soeben
noch die Feier des 1000 jährigen Bestehens
unserer Vaterstadt. Da schien mir der Zeit-
punkt nicht ungeeignet, auch einmal an dieser
Stelle lokalhistorischen Betrachtungen nachzu-
gehen, zu denen sich mir ein freilich nicht
allzu reichliches Material bot, als ich ver-
suchte an der Hand unseres Vereinsarchivs
die ersten Anfänge der ärztlichen Gesellschaften
in Kassel festzustellen.
Versetzen wir uns zurück in den Anfang der
zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Kurfürst Wilhelm I. war gestorben, und mit
dem Regierungsantritt Wilhelms II. glaubte
man nach der automatischen Regierung des
Vaters eine neue Zeit freiheitlicher Entwicke-
lung auf allen Gebieten kommen zu sehen.
Die Hoffnung wurde arg enttäuscht. Beson-
ders auf dem Gebiet der geistigen Wissen-
schaften war von den erfreulichen Fortschritten,
die doch immerhin unter der früheren Regie-
rung zu verzeichnen waren, unter Wilhelm II.
nicht viel mehr zu bemerken. Mußten ja selbst
die Brüder Grimm, die das Kasseler Adreß-
buch von 1828 als Männer bezeichnet, denen
„die Litteratur von Amtswegen obliegt und
die darin ausgezeichnete Kenntnisse besitzen"
schon wenige Jahre später einem reichlich un-
bedeutenden Manne weichen.
In dem kleinen Kreis der Kasseler Ärzte
jener Zeit war aber trotzdem das Bedürfnis
nach geistiger Fortbildung rege, denn gerade
im Anfang der zwanziger Jahre entstand in
erster Linie auf Anregung des damals 27 jäh-
rigen Dr. Karl Mangold der Plan zur Grün-
dung eines „ärztlichen Vereins" Man muß
sich einmal klar machen, was das für diese Zeit
bedeutete. Die Stadt zählte etwa 24000 Ein-
wohner, die das oben erwähnte Adreßbuch
charakteristischer Weise einteilt in solche männ-
lichen Geschlechts, weiblichen Geschlechts und
in Juden, und von denen es sagt, sie seien im
Kriege folgsam und tapfer, im Frieden uner-
müdlich in ihrem Berufe, arbeitssam und tätig,
gefällig und höflich, besonders gegen Fremde.
Die Stadtgrenzen gingen vom Wesertor nörd-
lich bis zum holländischen Tor, dann etwa
parallel der unteren Königsstraße bis zur
heutigen Mauerstraße. Von dem zwischen
Mauerstraße und Wolfschlucht gelegenen Köl-
nischen Tor ging die Grenze im Zuge der
Wolfschlucht bis zum Wilhelmshöher Tor und
zur Bellevue, um von da zur Altstadt zurück-
zukehren. Von der Unterneustadt war nur der
kleine Bezirk bis zum Kirchplatz vorhanden.
An Krankenanstalten bestand das Landkranken-
haus vor dem Leipziger Tor, dasi ja den meisten
von uns noch gut bekannt ist, und zwei Ab-
teilungen in der neuen städtischen Kaserne, die
damals noch weit vor den Toren der Stadt
lag. Von den beiden Abteilungen war die eine
wie auch noch heute als Entbindungsanstalt, die
andere für unheilbar Kranke und Geistes-
schwache bestimmt. Vom Landkrankenhaus wird
gesagt: „In diesem langen und großen Ge-
bäude können eine ziemliche Anzahl Kranke
gepflegt werden. Von den darin Aufgenom-
mene^ erlangen mehr als zwei Drittel ihre
Gesundheit wieder Im Laufe des Jahres
1827 sind 652 Kranke darin aufgenommen und
davon nur 36 gestorben, 27 als unheilbar ent-
lassen und 526 wieder hergestellt worden."
19 approbierte Ärzte, die sich zu einem nicht
geringen Teil in beamteten Stellungen be-
fanden und von denen einige noch gleichzeitig
im Sommer das Amt eines Brunnenarztes in
Bad Nenndorf oder in Pyrmont ausübten,
teilten sich in die ärztliche Praxis.
Dazu kamen eine Anzahl Militärärzte und
die medizinisch halb gebildeten Wundärzte 1.
und 2. Klasse. Zu ihrer Fortbildung hatten
die Ärzte bereits seit Jahren eine medizinische
Lesegesellschaft begründet, über deren Ent-
stehungszeit mir leider kein aktenmäßiges Ma-
terial zugänglich gewesen ist. Ich fand nur
Notizen über Zeitschriften, die in den Jahren
1810 und 1811 von dieser Vereinigung ge-
halten und nach erfolgter Zirkulation von eini-
gen Mitgliedern zum halben Ladenpreis über-
nommen worden waren. Übrigens muß, wie
344 9^6
aus diesen Notizen hervorgeht, die Beteiligung
auch Wundärzten möglich gewesen sein, da
unter den Mitgliedern gerade die Namen des
Oberchirurgen Breidenbach und des Chirur-
gus Altmüller erwähnt werden. Einige Jahre
später hat Dr. Karl Neu der bald nach seiner
Niederlassung in Kassel sich der Lesegesellschaft
tatkräftig angenommen, wie die späteren Ver-
handlungen bei der Gründung der ärztlichen
Gesellschaft unzweideutig beweisen. Ich habe
versucht, mir gerade über die beiden Kollegen
Mangold und Neuber, die ohne Zweifel die
treibenden Kräfte bei der Gründung und Lei-
tung der Ärzte-Gesellschaft gewesen sind, einige
biographische Notizen zu verschaffen, um durch
ihre Festlegung auch für spätere Zeiten dem
Andenken dieser beiden ver-
dienteu Männer gerecht zu
werden. Die Nachrichten über
Karl Mangold verdanke ich
seiner noch jetzt in Kassel leben-
den Tochter, die Nachrichten
über Karl Neuber seinem in-
zwischen verstorbenen Sohn,
dem hessischen Geschichtsfor-
scher Kanzleirat Neuber. Karl
Mangold wurde am 28. Juni
1796 als Sohn des Militär-
arztes Julius Mangold zu
Kassel geboren. Er studierte
in Marburg und wurde bereits
mit 19 Jahren zum Doktor
promoviert. Er hat zeit seines
Lebens hier in Kassel prakti-
ziert und sich im Kreise seiner
großen Klientel hohen Ansehens
erfreut. Er wurde Ende der 20 er Jahre
Medizinalrat und bereits im Jahre 1832
Obermedizinalrat. Im Jahre 1865 feierte er
in voller Rüstigkeit sein 50jähriges Doktor-
jubiläum, und noch mit 70 Jahren war er so
auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit, daß
er auch nachts jedem Rufe folgte, der an ihn
erging. Erst im Jahre 1881 starb er hoch-
betagt. Seine Persönlichkeit wird einzelnen
unserer älteren Kollegen noch deutlich in Er-
innerung sein.
Karl Neuber wurde am 3. September 1793
zu Kassel geboren und ging nach entsprechen-
der Schulbildung zunächst bei einem hiesigen
praktischen Wundarzt in die Lehre. Dann
studierte er zu Göttingen Medizin, wurde 1812
Lousaiäo edirurAien beim westfälischen Regi-
ment der Königin und machte 1813 den Feldzug
in Sachsen mit. Er wurde am 31. Oktober
Dr. Karl Mangold.
1813 von den Preußen gefangen und proviso-
risch am Militärhospital zu Halle angestellt.
In Halle wurde er im April 1814 mit einer
Dissertation „Do vulneribus sclopetariis“junt
Doktor promoviert, kehrte dann nach Kassel
zurück und übte hier die ärztliche Praxis aus.
Im Jahre 1819 wurde er zum zweiten
Brunnenarzt in Bad Nenndorf ernannt und
im Jahre 1832 zum Arzt des Landkranken-
hauses, der alten Charitee. Im Jahre 1838
wurde er Mitglied des Obermedizinalkollegi-
ums und starb nach halbjährigem Kranksein
am 28. Oktober 1839.
Am 31 März 1823 erließ Mangold folgen-
des Rundschreiben:
„Der große Nutzen, welchen ärztliche Gesellschaften teils
durch die Bereicherung an Kenntnissen,
teils durch die Begründung eines mehr
kollegialischen Verhältnisses unter den
Ärzten selbst haben, ist wohl längst
anerkannt und wird durch die in an-
deren Städten bestehenden ähnlichen
Institute bestätigt. Auch bei uns ist
das Bedürfnis eines solchen Vereins
schon von vielen Ärzten gefühlt und
ausgesprochen worden, weshalb ich den
Wünschen der Mehrzahl zuvorzu-
kommen glaube, wenn ich meine ge-
ehrten Herren Mitärzte einlade, zu
einer solchen Vereinigung zusammen
zu treten. Je nach der Zahl der Teil-
nehmer könnte eine solche Gesellschaft
entweder in einem besonders dazu
gemieteten Lokal zusammen kommen,
oder nach einer bestimmten Reihen-
folge in den Wohnungen der einzelnen
Mitglieder. Mit Rücksicht auf diese
Verschiedenheit bitte ich meine Herren
Mitärzte, sich gefälligst darüber zu
erklären, ob sie an einer solchen Gesell-
schaft Anteil nehmen wollen und, sollte
die Zahl der Teilnehmer nicht hinreichend sein, die Kosten
eines Lokals zu decken, ob sie alsdann einer solchen, in den
Wohnungen der einzelnen Mitglieder zu haltenden Ver-
einigung beizutreten geneigt sind.
Das Resultat dieser Abstimmung werde ich demnächst
die Ehre haben zur Kenntnis der Herren Interessenten
zu bringen und alsdann einen Ort zu einer allgemeinen
Versammlung vorschlagen, wo das Nötige die allgemeine
Einrichtung eine solche Gesellschaft betreffend verab-
redet werden kann.
(gez.) Mangold, Dr."
Dieses Schreiben ging an die 18 damals
außer Mangold in Kassel praktizierenden Ärzte.
Es waren dies die Herren Doctores Grandi-
dier sen und jun., Waitz, Cramer, Döring,
Harnier sen und jun., Heräus, Becker, Wehr,
Wagner, Valentin, Schuchardt, Bauer,
Schilde, Speyer, WaldmannundNeuber.
Die meisten erklärten sich ohne weiteres damit
einverstanden. Dr. C. Grandidier schlägt die
„Ausmittlung" eines besonderen Lokals vor,
s«L> 345
wo zugleich die Bibliothek der Lesegesellschaft
aufzustellen wäre. vr. Waldmann stellt an-
heim auch die Herrin Pharmazeuten und Wund-
ärzte zum Beitritt einzuladen. - Die Bemer-
kung des vr. Grandidier über die Bibliothek
der Lesegesellschaft ruft vr. Neuber auf den
Plan, der nach einer kurzen Bemerkung über
sein allgemeines Einverständnis — die Teil-
nahme nur der in Kassel gesetzlich praktizie-
renden Ärzte vorausgesetzt — folgendes aus-
führt:
„Wenn indessen von Aufstellung einer Bibliothek der
Lesegesellschaft die Rede sein sollte, so würde ich fragen,
wer über das von mir seit 6 Jahren nicht ohne Mühe
gestiftete Privatinstitut so willkürlich verfügen könnte,
wenigstens, würde ich doch erst darüber zu vernehmen
sein, da erstere auf meine Kosten komplettiert, gebunden
und doch nur ein Bibliothekchen — durch mich — ist."
Der hier angeschlagene Ton zeigt, daß auch
die ärztlichen Bibliothekare vor 90 Jahren be-
reits Haare auf den Zähnen hatten. Damit
übrigens auch das Outsidertum zu seinem
Recht kommen sollte, schreibt als einziger der
Armenarzt, vr. Döring: „Bevor mir die Ein-
richtung dieses Instituts nicht bekannt ist, kann
ich nicht beitreten."
Es folgt nun ein weiteres Schreiben, in dem
Mangold die zustimmenden Kollegen auf den
Die Eroberung Kassels durch di
Im neuen Vortragssaal der Landesbibliothek
veranstaltete der Hessische Geschichtsverein am 20.
Oktober die erste, außerordentlich stark besuchte
Monatsversammlung dieses Winters. Der Vor-
sitzende des Vereins, General Eisentraut, wies
darauf hin, daß von den vier Gründern des Ver-
eins, der jetzt in sein 80. Lebensjahr getreten sei,
drei als Beamte der Landesbibliothek angehört
hätten, und aus diesem Umstand hätten sich die
vielfachen Beziehungen ergeben, die zwischen dem
Verein und der Landesbibliothek beständen. Die
Veränderungen der Bibliothek seien auch dem Ver-
ein zugute gekommen, einmal dadurch, daß die
Vereinsbibliothek bessere Räume erhalten habe, und
weiter dadurch, daß die Vereinsversammlungen
fortab in dem schönen neuen Vortragssaal statt-
fänden. Er betrachte etz als ein gutes Vorzeichen,
daß sich zum ersten Male eine so stattliche Anzahl
von Mitgliedern und Gästen eingefunden habe, die
er herzlich willkommen heiße. Sodann erhielt das
Wort Rechnungsdirektor W o r i n g e r, dessen vor-
trefflichen Vortrag wir nachfolgend im Auszug
wiedergeben.
Eins der schönsten Bilder in dem prächtigen
Jubiläumsfestzuge, den wir vor wenigen Wochen
die Straßen unserer tausendjährigen Stadt durch-
ziehen sahen, war der Erinnerung an die Befrei-
26. April abends 5 Uhr zu einer vorläufigen
Zusammenkunft in das Lokal des Obermedi-
zinalkollegiums einlud, das sich im Renthof
befand. Dieser 26. April 1823 ist als der
Gründungstag der Gesellschaft der Ärzte an-
zusehen, denn das über die Versammlung auf-
genommene Protokoll hat folgenden Wortlaut
„Geschehen Kassel, den 26. April in der „Gesellschaft
der Ärzte"
Gegenwärtig sämtliche Mitglieder mit Ausnahme der
Herren pr. t. W a i tz, H a r n i e r sen., Wehr,
Cramer, Waldmann.
Wurde als allgemeiner Grundsatz aufgestellt, daß nur
Ärzte als wirkliche Mitglieder, Wundärzte, Veterinärärzte
und Pharmazeuten aber als außerordentliche Mitglieder
der Gesellschaft aufgenommen werden sollten, und zwar
letztere nicht auf dem Weg der Bewerbung, sondern auf
den angenommenen Vorschlag eines ordentlichen Mit-
gliedes.
Wurde ferner beschlossen, daß die bisherige Lesege-
sellschaft mit der zu stiftenden Gesellschaft vereinigt
werden sollte, jedoch ohne die früheren Mitglieder der
Lesegesellschaft, welche nicht Mitglieder der neuen Ge-
sellschaft sind, in ihren Rechten zu beeinflussen.
Drei Mitglieder wurden zur Entwerfung von vor-
läufigen Statuten gewählt und zwar nach Stimmen-
mehrheit die Herren pr. t. Heräus, Harnier
und Mangold.
in kiäsm
M a n g o l d."
folgt.)
Russen am 30. September 1813.
ung unserer Stadt und damit des ganzen Hessen-
landes von französischer Fremdherrschaft gewidmet.
Und der Zufall wollte es, daß, als diese Gruppe,
die Tschernitscheff und seine Kosaken darstellte, vom
Kaiserplatz aus zum Zuge durch die Straßen der
Stadt aufbrach, fast auf die Minute genau hundert
Jahre verflossen waren, seit die Urbilder der
Gruppe wirklich, freilich vom Leipziger Tore aus,
in die Stadt einritten, ebenso vom Jubel der zu-
schauenden Kasselaner empfangen, wie die Fest-
zugsgruppe, aber nicht zu fröhlicher Feier, sondern
in heftigem Kampfe mit der Besatzung der Stadt.
Wie es dazu gekommen war, bildet den Inhalt
des Vortrages.
Die stolze westfälische Armee hatte 1812 in
Rußland ihr Ende gefunden. Von 25 000 Mann
waren nur wenige hundert zurückgekehrt, viele
mit dem Keim einer todbringenden Krankheit im
Körper. Die Blüte der jungen Mannschaft Kur-
hessens, Braunschweigs und Hannovers war ver-
nichtet. Aber noch sollten es der Opfer nicht genug
sein. Napoleon konnte Armeen aus der Erde
stampfen. Kaum war die Nachricht von der Ver-
nichtung der großen Armee, und mit ihr der west-
fälischen Truppen, nach Kassel gelangt, als man
schon daran ging, ein neues Armeekorps zu
schaffen, das sich freilich mit der alten Armee nicht
S-SLL. 346
mehr messen konnte. Der größte Teil dieses Heeres
war im Frühjahr 1813 nach Osten gezogen, um
gegen die Verbündeten zu kämpfen, nur wenige
schwache Truppenteile blieben im Lande. Die Ver-
bündeten aber errangen nicht nur auf dem Schlacht-
feld Erfolge. Sie besaßen ein Mittel, die Ein-
wohner zur Abwehr des fremden Joches aufzu-
rütteln, das waren die Streifzüge der vielen Frei-
korps und leichten Reiterscharen, die hinter dem
Rücken des französischen Heeres herzogen, die waf-
ständen gegen die französisch-westfälische Herrschaft'
erprobten kurhessischen Volkes einen Zuzug von
Mannschaften erhalten würden. Tschernitscheffs
Korps bestand nur aus Reiterei mit ganz wenig
Artillerie. Es umfaßte nach aktenmäßigen Mittei-
lungen aus dem russischen Generalstabe, die dem
Redner zur Verfügung standen, 3 Schwadronen
Rigaischer Dragoner, 3 Schwadronen Husaren, zwei
Schwadronen Finnländischer Dragoner und fünf
Kosakenregimenter, sodann etwa 100 Mann Ar-
Brand des Neuhofs am Lamboywald in der Nacht des 30. Oktobers.
Nach betn Original-ölgemälde von Konrad Westermayr. «Original, verkäuflich, im Besitz von Fr. Königs Hofbuchhandlung in Hanau.)
fenfähigen Männer des Landes an sich zogen, Ge-
fangene befreiten usw. Einer der glänzendsten
Züge dieser Streifkorps war der Vorstoß des russi-
schen Generalmajors Grafen Alexander Jwano-
witsch Tschernitscheff gegen Kassel. Gelang es, die
Hauptstadt des Königreichs Westfalen, weit hinter
dem Rücken der französischen Armee gelegen, in
die Hände der Verbündeten zu bringen, so mußte
dies nicht nur einen ganz gewaltigen moralischen
Erfolg haben, sondern es war auch zu erwarten,
daß das Königreich Westfalen zusammenbrechen und
Napoleon dadurch eine wichtige Rückendeckung ver-
lieren würde, andererseits aber die Verbündeten
durch die Erhebung des in seinen verschiedenen Auf-
tillerie mit 4 sechspfündigen Kanonen und zwei
sog. „Einhörnern", eine Art langer glatter Hau-
bitzen.
Kassel war zu jener Zeit keine Festung mehr,
indes von einer hohen Mauer eingeschlossen, zu
deren Angriff die Reiter Tschernitscheffs also wenig
geeignet waren. Dieser brach am 23. September
von Bernburg auf und traf am 28. September,
morgens 5 Uhr, ztvischen Ober- und Niederkau-
fungen ein, von dichtem Nebel begünstigt. Er
hatte in dreimal 24 Stunden 26 Meilen, z. T. auf
sehr schlechten Nebenwegen, zurückgelegt. Einen
Kurier, den der bei Heiligenstadt stehende west-
fälische General v. Bastineller nach Kassel entsandte,
fing er bei Helsa ab, doch gelang es einem Gen-
darmen in Zivilkleidung Kassel zu erreichen. Hier
war nur ein geringer Teil des westfälischen
Heeres zurückgeblieben, 4302 Mann mit 6 be-
spannten Geschützen, zu weiteren 34 Geschützen
fehlten Bespannung und Bedienungsmannschaften;
6 davon, 4 Kanonen und 2 Haubitzen, standen aus
dem Forst in einer zu Übungszwecken aufgeworfe-
nen Schanze unter einer Bedeckung von 6 Mann.
Die Garnison war also an Zahl der Mannschaften
chen'entsandt war, ging mit diesen zu den Russen
über. Der König, der sich mit den Truppen auf
der Rennbahn, dem jetzigen Kriegsschulgelände,
versammelt hatte, schickte nun v. Altenbockum mit
einer weiteren Kompagnie zum Forst, aber auch
dieser mußte sich vor dem Feuer der Russen zur
Wahlebachbrücke zurückziehen, wohin inzwischen wei-
tere westfälische Truppen vorgerückt waren. Auch
die Stellung an der Wahlebach war auf die Dauer
nicht zu halten. Die Russen gingen nun unter
Schlacht an der Kinzigbrücke. Nach dem Gemälde von Konrad Westerm'a'yr.
(Aus „Geschichtliche Darstellung der Schlacht bei Hanau" von K. E. Leonhard. Verlags Fr. Königs Hofbuchh., Hanau. Bgl. S. 355.)
und Geschütze dein Korps Tschernitscheffs bedeutend
überlegen, keineswegs aber an innerem Wert. Der
einzige Truppenteil außerdem, aus den sich der
König noch durchaus verlassen konnte, waren die
Garde- oder Jérôme Napoleon-Husaren, sie be-
standen nur aus Franzosen, die aber Rekruten
waren. Der König bewahrte auf die Kunde vom
Heranrücken der Russen große Ruhe und befahl die
zur Verteidigung der Stadt notwendigen Maß-
regeln. Die zur Besetzung der Leipzigerstraße vor-
geschickte 6. Kompagnie der Jägergarde unter dem
Kapitän v. Hugo konnte dem Ansturm der Kosaken
nicht standhalten und zog sich wieder zurück; ein
Leutnant Koch, der mit 20 Mann zum Eichwäld-
Trommelschlag auf der Leipziger Straße vor und
griffen die Kompagnien an, die sich hinter den
Siechenhof und die Leisterschen Wiesen zurückge-
zogen hatten und nun zum großen Teile „ziemlich
bereitwillig" die Waffen streckten, der Rest zog
sich in eiliger Flucht zum Leipziger Tor zurück. Die
Öffnung des Tores benutzten eine Anzahl Kasseler
Bürger, die vor dem Tor zu tun gehabt hatten
und ausgesperrt waren, um mit den Soldaten
wieder in die Stadt zu gelangen. Auch des Red-
ners Großvater, der Tuchmachermeister Johannes
Woringer, war am frühen Morgen nach dem
Siecheyhof gewandert. Als er, von den Wiesen
hinter dem Siechenhof kommend, das Tor ge-
348 SE,
schlossen sah, kroch er unter die Bettelbrücke, von
wo aus er dann mit den fliehenden Westfalen in
die Stadt kam. Auf der Bettelbrücke und sogar
darunter lagen viele Waffen, die von westfälischen
Truppen fortgeworfen waren, und er nahm sich
zum Andenken eine russische Kanonenkugel und
einen westfälischen Ladestock mit. (Beide Stücke
lagen während des Vortrages aus.)
Nunmehr wurde die Fuldabrücke mit Mistwagen
verrammelt und hinter diesen sowie auf dem Alt-
markt Militär aufgestellt, das auch den Stadtbau
und die gegenüberliegenden Häuser besetzte. Die
Russen beschossen nun das Leipziger Tor und
die Stadtmauer und konnten schon nach wenigen
Augenblicken eindringen. Es war gegen 10 Uhr
vormittags. Sie besetzten das Kastell, ließen die
Gefangenen frei und beschossen nun die Brücke,
indes die Bürger der Altstadt anfingen, für sie
Partei zu ergreifen und das Militär hinter der
Wagenburg zu entwaffnen. Plötzlich stellten die
Russen ihr Feuer ein und räumten die Unterneu-
stadt. Inzwischen hatten Kosaken bei der neuen
Mühle die Fulda durchschritten und waren mit
vorgeschickten Garde-Husaren zusammen gestoßen,
von denen sie wieder zurückgetrieben wurden.
Nunmehr rückte der König mit einem Teil der
Truppen bis Niederzwehren vor, um hier am Warte-
küppel den Anmarsch des Korps des Generals von
Bastineller zu erwarten, der Tschernitscheff gefolgt
war. Als die Kosaken von neuem vordrangen,
ging er bis zur Knallhütte zurück, wo sein Gefolge
— darunter auch französische Handwerker, Kauf-
leute und Künstler, die sich ein Reitpferd verschafft
hatten — fortwährend wuchs. Da traf die Mel-
dung vom Abzug der Russen nach Waldau und
der Söhre ein, und nunmehr trat man nach wieder-
holtem Schwanken den Abzug nach Süden an. J6-
rvme ritt mit der Gardedukorps voraus, ließ auch
diese in Herborn zurück und floh weiter bis Koblenz.
Der Rest seiner ihm folgenden Truppen löste sich
auf, sodaß am 2. Oktober nur noch etwa 100 Mann,
fast nur Offiziere und Unteroffiziere, in Wetzlar
ankamen.
Mittlerweile hatte v. Bastineller, als er von
der Besetzung des Engpasses bei Kaufungen erfuhr,
seinen Marsch auf Kassel aufgegeben und war
mit seinen zusehends desertierenden Leuten über
Spangenberg und Altmorschen nach Wetzlar ge-'
zogen, während Tschernitscheff, der diesen auf Kassel
vorrückend wähnte, nach Melsungen abzog. In
Kassel hatte nach dem Abzug des Königs der tüch-
tige General Alix den Befehl übernommen und die
Garnison verstärkt, doch standen ihm nur noch
geringe Truppenkräfte zur Verfügung. Er be-
schränkte sich deshalb auch darauf, die Tore zu
verrammeln, am Auetor und auf dem Weinberge
einige Geschütze auffahren zu lassen und eine Kom-
pagnie der Jägergarde zur Verhinderung eines
Fuldaüberganges durch die Russen in die Karls-
aue zu schicken.
Nachdem Tschernitscheff in Melsungen seinen
ermüdeten Leuten einige Ruhe gegönnt hatte, brach
er am 30. September früh morgens wieder gegen
Kassel auf. Alix lehnte, als die Russen bereits in
der Söhre standen, die Aufforderung der Bürger-
schaft zur Kapitulation ab. Die Tore wurden mit
Militär besetzt, die Fuldabrücke mit Trainwagen
verrammelt, die Kavallerie zum größten Teil in
der Lindenallee an der Längsseite des Friedrichs-
platzes und, als sie hier unter dem feindlichen Ar-
tilleriefeuer litt, in der Karlsstraße aufgestellt.
In der Zwischenzeit waren! die Russen über Waldau
zum kleinen Forst vorgerückt, von wo aus sie mit
ihren 13 Geschützen das Feuer gegen das Auetor
eröffneten. Ihre Kugeln töteten mehrere Personen,
beschädigten das Marmorbad, einen der Orange-
bäume in der Orangerie sowie das Nahlsche und
Ludovicische Haus. Redner schildert nun eingehend,
wie die von der Menge bedrohten Truppen die
Stadt nicht mehr halten konnten und es zum
Waffenstillstand kam, wonach die westfälischen und
französischen Soldaten freien Abzug mit Waffen
und Gepäck, aber ohne Geschütze erhielten. Das
gesamte königliche Eigentum mußte zurückgelassen
werden. In der Kölnischen Straße, vor d«r dor-
tigen Torwache, etwa zwischen der Mauer- und
Spohrstraße, unterschrieb Alix die Kapitulations-
urkunde. Die westfälischen Soldaten liefen voll-
ständig auseinander. In den Straßen Kassels
aber herrschte am Abend des 30. September lauter
Jubel. Überall wurden die Wappen und Hoheits-
zeichen der westfälischen Regierung heruntergerissen,
vor allem aber wandte sich die Wut des Volkes!
gegen den sog. Marktherrn, wie man die Bild-
säule Napoleons auf dem Königsplatz nannte.
Die Russen biwakierten die Nacht hindurch auf
dem großen Forst, wo am anderen Morgen großer
Feldgottesdienst stattfand. Dann hielt Tschernitscheff
unter dem unendlichen Jubel der Bevölkerung
seinen Einzug in die Stadt und gelangte, in steter
Gefahr, von der begeisterten Menge vom Pferde
gerissen zu werden, zur Bellevue, wo er im v. Ber«-
lepschen Hause abstieg, während der zum Komman-
danten der Stadt ernannte Oberstleutnant Rascha-
nowitsch im „roten Hause" (Steinweg 4) Wohnung
nahm. In einer Proklamation erklärte Tscherni-
tscheff das Königreich für aufgelöst.
Die Russen, namentlich die Kosaken, wurden auch
von der Bevölkerung gut aufgenommen. Sie ver-
langten vor allem Sauerkraut, Brot und „Wuttki"
Da sie von diesem ungeheure Mengen vertilgen
konnten, setzten die Kasselaner ihnen schließlich ein
Getränk vor, das beim Trinken genügend kratzte
und doch billig war ein Eimer wurde zur Hälfte
mit Wasser, zur Hälfte mit Spiritus gefüllt und
eine tüchtige Menge Pfeffer hineingeworfen. Eine
Anzahl bei dem Korps befindliche, noch mit Pfeil
und Bogen bewaffnete Baschkiren verdienten sich
manches Trinkgeld, indem sie auf dem Königsplatz
ihre Kunst im Bogenschießen zeigten. Alle Russen
waren sehr freundlich gegen die Kinder und hoben
sie gern vor sich auf das Pferd, worauf diese frei-
NSSL> 349 SAtL.
lich oft genug mit allerlei Ungeziefer wieder nach
Hause kamen. Die öffentlichen Kassen wurden mit
Beschlag belegt und davon 180000 Mark in die
russische Kriegskasse abgeliefert.
Aber Tschernitschefs konnte mit seinem kleinen
Korps nicht auf die Dauer weit hinter dem Rücken
des französischen Heeres stehen bleiben. Der Zweck
seines Streifzuas war erreicht und er mußte nun
suchen, den Anschluß an die Nordarmee wieder zu
gewinnen. Außer den erbeuteten Geschützen und
Waffen nahm er sämtliche Wagen und Pferde aus
dem Königlichen Marstall mit und auch die sechs
zahmen Hirsche des Königs, die bei feierlichen
Gelegenheiten dessen Wagen gezogen hatten.
Nach dem Abzug der Russen übernahm der Stadt-
rat von Kassel, der sich durch Zuwahl von 13 an-
gesehenen Bürgern und Beamten verstärkt hatte,
die Leitung der Regierung in Kassel, bis am 7. Ok-
tober General Alix mit französischen Truppen
von Marburg her wieder in Kassel einrückte und
nun ein strenges Regiment begann. Am 15. Ok-
tober kam auch Jsröme nach Kassel zurück; als
er jedoch am 25. Oktober endlich den Ausgang
der Völkerschlacht bei Leipzig erfuhr, verließ er
am 26. Oktober früh 7 Uhr seine Hauptstadt, um
sie nie wieder zu sehen. Am 30. Oktober aber zog
der Kurprinz von Hessen ein und am 21. No-
vember 1813 endlich sollten die Kasselaner ihren
Landesherrn, den Kurfürsten Wilhelm I., nach
siebenjähriger Trennung wiedersehen. Wie sie ihn
im festlichen Zug und in ungeheurem Jubel ein-
holten, wie sie ihm die Pferde ausspannten und
seinen Wagen selbst durch die Straßen der Stadt
zum Bellevueschloß zogen, auch das ist uns ja in
unserem prächtigen Jubiläumsfestzug vor wenigen
Wochen vorgeführt worden.
Dem Dank der außerordentlich zahlreichen Ver-
sammlung für den spannenden, ausführlichen und
zeitgemäßen Vortrag, der hier nur in den Haupt-
zügen skizziert werden konnte, gab der Vorsitzende
einen beifällig aufgenommenen Ausdruck, wobei
er noch betonte, daß der vorausgegangene Tag und
auch dieser Vortrag einen schönen Abschluß der
Feiern bilde, die der Erinnerung an die denkwür-
digen Ereignisse vor hundert Jahren geweiht waren.
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„Und bas sott Sterben sein ...
Und das soll Sterben fetti, dies Kupferglühen,
Dies Rauschgold, das am Berghang aufwärts jauchzt
Der Sonne zu, die mild wie Mutter strahlt,
Als gelt es Drautglück einer lieben Tochter!
Und das soll Sterben sein, wenn herber Dust
Von Lebensüberkraft und Mannheit redet
Und Schaffenslust die Adem schwellen macht.
Und überall ist Märchenglanz und Schönheit.
Und das soll Sterben sein!
Ja — das ist Sterben; das ist großes Sterben
In Schönheit und in Klarheit und in Jauchzen.
So stirbt Natur, die wissende, die reine.
Sie hält die Brust dem Sturmgebraus entgegen
Und beugt sich stolz. Sie stirbt und weiß: ich werde
Denn ständiger Wechsel führt durch Sturm zum Frieden,
Durchs Tal der Schatten neuem Lenz entgegen.
Ja — das ist Sterben!
Cmmy Luise Grotefend.
Marburg.
»... Zum Rosenfest."
Ein kleines Zwischenspiel aus großer Zeit. 'Von Theodore von Rommel.
Personen:
Katharina von Horst.
Hans Viktor von Tettenborn, Leutnant bei den
Ikwme-Husaren.
Grt derHandlung: Ein Seitenweg von der großen
Straße nach Napoleonshöhe bei Kassel.
Zeit: Gegen Ende des Königreichs Westfalen
(Sommer 1813).
Hans Viktor (führt Katharina höflich vor.
Sie ist in Ballioilette, hat Zeinen Rosenkranz in den
Haaren, Rosen an Brust und Kleid und einen leichten
Mantel umgeworfen. Er trägt einen großen Hut
ziemlich tief ins Gesicht gerückt und einen langen
schwarzen Mantel, der die ganze Kleidung verhüllt).
Mademoiselle! Ich schätze mich glücklich, im rechten
Augenblick vorbei gekommen zu sein, um Ihnen
mà — leider nur geringe — Hilfe haben an-
bieten zu können.
Katharina (betrachtet ihn schelmisch, ist ein
wenig erregt, aber immer munter und kokett). Ja,
vor Arm- und Beinbruch haben Sie mich wenigstens
bewahrt und mir »iwablswsnt aus der umgestürzten
Kutsche herausgeholfen. Doch was nun? Warten,
bis dieser Tölpel von Kutscher das gesprengte Rad
repariert hat? Gder zu Fuß nach dem Schlosse
promenieren? Mit diesen Schuhen? (Sie setzt
sich auf die Rasenbank und betrachtet zweifelnd ihre
weißen seidenen Schuhe.)
Hans Viktor (betrachtet diese ebenfalls —
ironisch). Die scheinen allerdings nicht für einen
«ML, 350 SE,
festen Schritt auf dem Heimalboden gemacht! Sie
eignen sich wohl eher zum — Ausgleiten auf dem
Parkett
Katharina (hochmütig). Nur, wer nicht
heimisch ist auf dem Parkett, fürchtet das Aus-
gleiten !
Hans Viktor (achselzuckend). Man sagt, daß
gar manche „Einheimischen" es nicht bloß nicht
fürchten, sondern — ersehnen!
Katharina. Man sagt vieles, was ftir den,
der es sagt, gefährlicher ist, als für den, von dem
es gesagt wird!
Hans Viktor (macht eine leichte Verbeugung).
Mademoiselle weiß darüber gewiß genau Bescheid!
Katharina. Warum glauben Sie das? Es
ist dies mein erstes Jahr bei Hofe.
HansViktor. Aber Mademoiselle hat gewiß
schon manches dort gelernt ! Unsere deutschen Schönen
zeichnen sich durch große Gelehrigkeit dem Aus-
ländischen gegenüber aus!
Katharina. O'est évitant! Was amüsant,
lernt sich rasch! Unsere deutschen Kavaliere sollten
sich ein Beispiel daran nehmen!
Hans Viktor. Man gibt sich die größte
Mühe. Aber jede Nachahmung streift ein wenig
an die Karikatur, finden Sie nicht, Mademoiselle?
Unsere breiten Schultern und marschfesten Beine
passen schlecht zu den zierlichen Compliments.
Katharina. Bah — mit ein wenig gutem
Willen läßt sich viel erreichen, doch daran manquiert
es meist (sieht nach dem Hintergrund). Gb dieser
fripon mit dem Rad zurecht kommt?
Hans Viktor. Befiehlt Mademoiselle, daß
ich nachschaue?
Katharina. Lai88ez, laissez! Er wird es
wohl annoncieren, wenn er endlich fertig ist! Wenn
nur meine Rosen bis dahin nicht sanieren! Wir
haben ein Rosen fest heute in Napoleonshöhe!
Hans Viktor. Ah ein Rosenfest! Da darf
freilich keine unserer lieblichen Blüten ausbleiben!
Seine Majestät liebt die Rosen gar sehr!
Katharina. Freilich! Ist es nicht ein sublimer
Gedanke, gerade jetzt, wo tout le monta von
diesen russischen Terreurs, von Bataillen und Deser-
tionen spricht, da läßt ein königlicher Wink tausende
von Rosen sprießen — und sie duften und lächeln
alle 668 misères hinweg .
Hans Viktor. Magnifique — en effet ' Ich
bewundere diesen sublimen Gedanken, wie ich diesen
Rosenstrauch bewundere (er deutet auf den Rosen-
busch am Weggraben). Sehen Sie, Mademoiselle:
Alle die Felder liegen brach und wüste, doch er
blüht und duftet und schmückt sich. (Katharina nickt
und lächelt und macht einige Tanzschritte.) Made-
moiselle sind gewiß empressiert, ihren Tänzer zu
begrüßen? Wer ist der Glückliche, der Made-
moiselle zum Rosentanz führt? Le baron de Marin-
ville? Oder monsieur Pichon? Mademoiselle zieht
doch gewiß die französischen Hofherrn vor, nicht
wahr?
Katharina. Certainement ! Sie sind solche
exzellente Tänzer und brillante Causeurs! Es ist
nun einmal der Geschmack des weiblichen Ge-
schlechtes, auch bei dem wertvollsten Edelstein auf —
Schliff und Fassung zu sehen!
Hans Viktor. Ach, Mademoiselle — auch
hierin wechselt die Mode! Wer bürgt dafür, daß
unsere Damen nach einigen Jahren noch denselben
Schliff, dieselben Fassung wie heute goutieren. Alles
Neue reizt — umsomehr als es aus dem Lande
der Mode kommt! Aber wenn das Neue alt
geworden, erkennt man plötzlich feine Fehler und
wendet sich ab . dem wieder neu Gewordenen
zu! Und das deutsche Hirn denkt ein wenig lang-
sam, Mademoiselle - deshalb bringt die deuffche
Zunge eben nicht jene gleitenden, gleißenden
Redensarten zustande, die — kaum gesprochen —
schon vergessen sind Wie nun, wenn sie sich
mühsam die galante Causerie angequält hätte, bloß
um zu erfahren, daß plötzlich die alte Schwerfälligkeit
wieder Mode sei?
Katharina (spöttisch lachend). Ah, Monsieur,
Sie glauben wohl gar — — ?
Hans Viktor . . que les femmes sont
variables — rien de plus!
Katharina (achselzuckend). Soit ! Aber es könnte
keinem unserer Landsleute schaden, die Kunst der
aimablen petits mots zu lernen — sie sind so
amüsant, verpflichten zu nichts — und man kommt
recht weit damit, wie man sieht Während
668 grands mots-là,, in denen langatmiger Wille
vor lauter Reden nicht zur Tat kommt, enttäuschen
und ennuyieren!
Hans Viktor. Mademoiselle hat nicht das
Aussehen, als ob sie viel Ennuyantes im Leben
erfahren habe — es sei denn dieser aecident mit
dem Wagen, der sie zwingt, mit einem ungewandten
Landsmann de grands mots zu wechseln!
Katharina (lächelnd). Vraiment! Un français
aurait librement profité de la situation ! und würde
mich haben vergessen lassen, daß meine Rosen und
meine Füße den Tanz ersehnen! (Sie steht auf.
reicht ihm die Fingerspitzen.) Tenez! Sie kennen
den Rosentanz?
Hans Viktor (verwirrt, abwehrend). Den
Rosentanz? Ich? Tan — zen — : jetzt — hier — ?
Katharina. Warum nicht? Die Melodie soll
ja wohl das Erblühen der Rosen auf der Heide
ausdrücken: voiei les roses — hier die Heide. —
Eine kleine Probe, venez, venez! (Sie beginnt
s«tL> 351 rML.
das Menuett, er sekundiert widerwillig, steif, ohne
Mantel und Hut abzunehmen — als sie sich schließlich
tief neigt, ihm die Rose zu bieten, nimmt er sie
nicht, sondern bleibt unwillig stehen, sie lacht laut
und lustig auf.) Ah, Monsieur — und Sie wundern
sich, daß Ihre Landsmänninnen die französischen
Tänzer preferieren? Je vois bien, moi, warum
jene auf allen Linien Sieger bleiben! Den Augen-
blick ergreifen, das ist der Zauber! Deshalb haben
jene Keine Niederlagen!
Hans Viktor (sieht sie steif an — ruhig).
Mademoiselle irrt sich Auf Rußlands grausamen
Steppen legte der eisige Tod seine Hand auch auf
die fröhlichen Herzen derer, die den Augenblick
zu nützen suchten in verzweifelter Flucht. — Hat
Mademoiselle nicht die elenden Trümmer der grande
armee in Kassels Straßen gesehen?
Katharina (macht eine abwehrende Handbe-
wegung.) Taiaez-vona! Reden Sie nicht von diesem
odiösen Gesindel! Man konnte wochenlang nicht
in die Luft gehen, aus Angst vor Ansteckung!
Ah — das waren natürlich meist Deutsche
denen ist das Bestegtwerden nichts Ungewöhntes.
Hans Viktor (fährt auf, beherrscht sich aber
sofort.) Dies „Gesindel",Mademoiselle, hatwährend
des russischen Feldzuges Wunder an Tapferkeit
und Selbstverleugnung vollbracht. — Dies „Ge-
sindel" hat den russischen Oberbefehlshaber, den
General Kutufow, von der Moskwa verjagt. —
Dies „Gesindel" war die Blüte und das Mark
Ihres Vaterlandes. — Aber Gott litt nicht, daß
es für einen fremden Herrscher siegte
Katharina. Ob — 1a, 1a — — Les grands
mots .
Hans Viktor. Die meisten der Flüchtlinge
übrigens, die Sie sahen, waren Franzosen.
Katharina (trotzig). Tant mieux, die erheben
sich schon wieder, die bleiben nicht am Boden liegen!
Was ist ein verlorener Feldzug für den Kaiser?
Ein Wink — und eine neue Armee schart sich
um ihn!
HansViktor (ironisch). Gerade wie ein Wink
seines Bruders die Rosen aus dem darbenden Land
sprießen läßt — o ja! Es könnte aber sein, daß
die Zeit der Rosen zur Rüste ginge!
Katharina (achselzuckend). Es „könnte fein!"
Es hätte fo manches „sein können." Aber es ist
nie etwas gewesen, und es wird nie etwas fein!
Ich rate Ihnen, Herr von Tettenborn, die Kunst
der Rosentänze und der petita mota zu betreiben —
die werden noch recht, rechj lange von dem weib-
lichen Geschlecht goutiert werden . . .
Hans Viktor (zieht unwillkürlich den Hut
tiefer ins Gesicht — unangenehm überrascht). Made-
moisell keennt mich — — ?
Katharina (lacht, halb ärgerlich). Wie sollte
ich meinen einstigen treuesten Tänzer nicht kennen?
Sie haben recht viel vergessen, Herr Leutnant von
Tettenborn — nicht nur den Rosentanz! Mon
amour-propre en aouffre bien. — Vergaßen Sie
wohl auch, wo Sie tanzen gelernt haben?
Hans Viktor (betrachtet sie erstaunt näher).
Tanzen? Im Hause des Regierungsdirektors von
Horst, auf dessen Landsitz ich stets meine Ferien
verlebte. — Da war ein süßes blondes Kind —
das ich lieble wie ein Bruder ... Ist es möglich?
Katharina?
Katharina (fröhlich, streckt ihm beide Hände
entgegen). Nun endlich ! Aus Kindern werden Leute,
Hans Viktor!
Hans Viktor (sie entzückt anschauend). Aus
Knospen werden Rosen.
Katharina. Nun ja — wie aus Knaben
Offiziere für König Jérômes Leibregiment
HansViktor (läßt ihre Hände fallen). Rosen
für König Jérômes Rosenfeste!
Katharina (munter). Das nenne ich doch
ein scharmantes Abenteuer! Ich erkannte Dich
gleich, Hans Viktor! Aber früher warst Du liebens-
würdiger — hattest keine Réprimandé» für mich!
Ich hatte mich so darauf gefreut, Dich bei Hofe
zu treffen — doch sah ich Dich nie — wie kommt
das?
Hans Viktor (ausweichend). Der Dienst
Katharina. G — die andern tun denselben
Dienst! Ich glaubte Dich schon fort mit den Regi-
mentern des Gbriften von Hämmerstein, und war
recht fâchée därüber!
Hans Viktor (bestürzt). Fort — ? Wie meinst
Du das?
Katharina. Nun fort — auf dem Wege
nach Schlesien, in des Kaisers Armee.
"HansViktor (sich zusammenraffend, gezwungen
lachend) Du siehst mich ja hier!
Katharina (ebenfalls lachend). Das ist freilich
richtig! Und so vermummt. — Ich wette, Dein
Weg führt auch nach Napoleonshöhe und Du
cachierst unter dem Manteau das Rosenkostüm!
HansViktor (düster — für sich). Das Rosen-
Kostüm! (Laut.) Nein, ma obère — diesmal tanze
ich nicht mit! (Mit Bedeutung.) Später wohl —
bald! (Ablenkend.) Laß Dich anschauen, Katharina:
Du bist es wirklich! Das süße Kind, das mir
Schwester war! Dessen Mutter den früh Ver-
waisten an ihr Herz nahm wie ein eigen Kind-----
G Katharina! Wie lieblich war der Aufenthalt
auf Eurem Gut! Wie grüßten die Felder im
Erntesegen — wie dufteten die Rosen in Eurem
Garten — wie lachte das Auge Deiner Mutter!
Sie lehrte uns tanzen und sang dazu . . . Ach,
352 ver-
nie werde ich ihre liebe Stimme vergessen! An
ihrem Geburtstag — weißt Du noch? Wir tanzten
ihr den Rosentanz vor . . . (er reicht ihr die Hand,
die sie lächelnd nimmt — sie tanzen-----------dann)
Ha.ns Viktor (während der letzten Tour, träu-
merisch).' Es war Sommer — die Rosen blühten —
wie heute. — Deine Hand ruhte in der meinen —
wie heute. — Und Deine Mutter sang . (er
bleibt stehen). Wo ist der Duft? Wo ist der Klang?
Katharina (leise). Meine Mutter starb vor
vier Jahren
Hans Viktor (schmerzlich). Sie starb! Ja —
alles Gute und Schöne floh aus dem Land ! Nein —
nicht alles: Du bist noch hier! (Sieht sie prüfend
an). Und Du gehst zu Hofe? Wo ist Dein Vater?
Katharina. Weißt du nicht, daß er su moment
Stellvertreter des Iustizministers ist, dessen Stellung
er in Bälde einnehmen wird?
HansViktor. Unmöglich! (Besinntsich.) Man
nennt den Baron von Greifenhorst dafür.
Katharina. Mais c'est lui! 6^est mon père.
Der König verlieh ihm diesen Namen! (Aus eine
Bewegung HanS Viktors, achselzuckend.) Was willst
Du? Sollte er auf die Rückkehr des Kurfürsten
warten, der sein Land ohne einen Schwertstreich
den Franzosen überließ? Sollte er grollend in
Preußen bleiben, wohin er sogleich geflohen, in
der Hoffnung, daß das Heil von hier käme? Das
Heil kam von anderer Seite! Um feine Güter
nicht zu verlieren, mußte mou père hierher zurück-
kehren, mußte in den Dienst des neuen Herrschers
treten — et le voilà: baron et ministre.
Hans Viktor (bitter). Und feine Tochter
schmückt die Rosenfeste Seiner Majestät zu Na-
poleonshöhe! Wie sagte der Kaiser in Dresden
zu seinem Bruder Jérôme? „Vos nobles sont de
la canaille —“
Katharina (geringschätzig). Encore les grands
mots ! Mon ami — — gedenkst Du des blonden
Jünglings, der beim Eintreffen der Nachricht von
der Niederlage bei Jena die letzten spärlichen
Gktoberblumen unseres Gartens ausriß und mit
bitteren Tränen in den Boden stampfte? (Pathetisch
parodierend.) „Kleine Blume sprieße mehr in
Deutschlands Gauen, bis diese Schmach gerächt
ist!" Te soQviens-tu? Wie manches mal blühten
die Blumen seitdem! Und der Jüngling trägt
die Uniform der Ierüme-Husaren — — !
Hans Viktor (reißt den Mantel ab — er ist
in ein schwarzes glattes Gewand gekleidet — ähnlich
dem der Lützowsoldaten). Er trägt sie nicht mehr----
(erschrocken für sich). G Gott! Ich verriet mich!
Katharina (Atemlos). Hans Viktor ?
Hans Viktor. Cathèrine — ich bin auf dem
Wege zur — — Freiheit!
Katharina (schreit auf). Deserteur! 0 mon
Dien, Hans Viktor! Sie werden Dich erschießen!
Sie werden Dich und jeden, der Deinen Namen
trägt, für ehrlos erklären!
HansViktor. Mögen sie! Meine Ehre richtet
das Vaterland! Ehrlos wäre ich, wmn ich seinen
Hilfsschrei nicht hören wollte — wenn ich seine
bittere Not auf Rosenfesten vergäße! Ma baronesse
Catherine de Greifenhorst: wollen Sie den Deserteur
verraten? Sie brauchen bloß den Kutscher zu
rufen — —
Katharina. Ciel! Wenn er jetzt käme! Tu
den Mantel um! In welche Gefahr begibst Du
Dich! Hier zu stehen! Menuett zu tanzen! Fort
doch, fort! (Sie versucht, ihn fortzudrängen, er saßt
ihre Hände und zieht diese an seine Brust.)
Hans Viktor. So lebt also doch noch so
viel deutsches Empfinden in Dir, Mädchen, daß
Du den Freund nicht seinen Häschern auslieferst?
Ruht in Deiner Seele doch noch ein Funke, der
zur heiligen Flamme auf dem Altar des Vater-
landes angefacht werden kann? Wenn sie mich
heute oder morgen ergreifen und an die Mauer
stellen, an der sie die Deserteure erschießen — wirst
Du eine Träne für einen von diesem „Gesindel"
haben?
Katharina. Wie Du grausam bist, Hans
Viktor! Wie Du mir die Dornen dieser harm-
losen Rosen ins Herz drückst! Kannst Du Dich
nicht in die Seele des Mädchens versetzen, das
verwundert zusieht, wie sein Vaterland zerstückelt,
verteilt wird, ohne daß seine natürlichen Schützer
Miene machen, es zu verteidigen? Kannst Du mir
einen Vorwurf daraus machen, wenn meine acht-
zehn Jahre mehr Gefallen an Siegern als an Be-
siegten finden? Dazu, wenn diese Besiegten sich
selbst an den Triumphen, an den Festen der Sieger
berauschen? Jugend will anbeten — will sich be-
geistern. — Zeige mir, was der Anbetung, der
Begeisterung wert ist, und ich will jauchzend an
diesem Altar niederknien! Wo ist der Sturm,
der durch die Lande, durch die Herzen braust?
Wo die allgemeine Erhebung, von der immer die
Rede ist? Von Zeit zu Zeit hören wir von einzelnen
Schwärmern, die des Aufruhrs Fahne entrollen
— — eine Fahne, die bald darauf ihr Leichen-
tuch wird . . . Und ich soll jubeln, wenn mein
Freund — mein Bruder — diese Fahne aus den
Grüften Holm will — — ?
Hans Viktor (steht stumm, bewegt — dann
gepreßt) Verzeih, wenn ich Dir weh tat, Katha-
rina — Du hast recht! Meine Vorwürfe warm
unangebracht. Nein, noch kann ich Dir nicht dm
Lenzsturm der allgemeinm Erhebung zeigm —
noch kann ich Dich nicht zu dem Altar sührm, da
tmsh 353 9W&
Deine Hand mein Schwert weihen darf! Heimlich
muß ich von hinnen schleichen — heimlich die
Schar der Gleichgesinnten aussuchen, der ich heute
heimlich die Nachricht brachte, daß es unserem
Gbristen von Hammerstein gelungen ist, mit seinen
lausend Husaren zu den Verbündeten zu stoßen ..
daß er den Weg schon gefunden, den wir nun
durch Nacht und Schauer suchen. — G der König
wird rasen, wenn er es erfährt! Aber er kann
es nicht vor morgen erfahren — seine Rosen
werden heute Abend noch dornenlos blühen! Uns
lausenden alchn, Katharina, wird der Makel der
Desertton anhasten . . Aber, glaube mir: wir
werden ihn abwaschen mit unserem Blute! Gb
wir siegen, oder fallen — — wir werden die
Geschichte unseres Vaterlandes mit purpurnen Rosen
durchweben, die unverwelklich sind. Das soll der
Rosentanz sein, der unserer würdig ist in dieser
ernsten Zeit ... Leb wohl!
Katharina (nimmt die Rose von der Brust).
Bring sie mir zurück, wenn Kassel wieder hes.
sisch ist!
Hans Viktor. Nur der Tod soll mich davon
abhalten!
Katharina (drängt ihn fort). Der Kusscher!
Fort! Er braucht Dich nicht noch einmal zu sehen.
(Hans Viktor, die Rose an die Lippen drückend, mit
letztem Blick ab).
Katharina (allein — Sie steht ihm nach, preßt
die gefalteten Hände vor die Brust und sieht zum
Himmel. Dann gefaßt:)
Nun zum Rosenfest.
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. Am
30. Oktober fand ein Familien-Abend der
Pflegschaft Hersfeld statt, der sich eines leid-
lichen Besuches zu erfreuen hatte. Lehrer Neu-
haus, der für den Abend einen Vortrag über
das Thema „Vor hundert Jahren. Hers-
felder Erinnerungen an die Zeit der Fremdherr-
schaft und Erhebung" übernommen hatte, wurde
seiner Aufgabe in hervorragender Weise gerecht.
Der mit vielem Fleiß ausgearbeitete Vortrag be-
handelte die Zeit von der Okkupation Hessens im
Jahre 1806 bis zu der Auflösung des Königreichs
Westfalen im Jahre 1813 unter Berücksichtigung
der Verhältnisse in Hersfeld und seiner näheren
Umgebung. Die Ausführungen wurden von allen
Anwesenden mit größtem Interesse aufgenommen
und dem Vortragenden am Schlüsse fernes Vor-
trages lebhafter Dank gespendet, dem auch der
Pfleger der Hersfelder Ortsgruppe, Tierarzt Fried-
rich, noch besonderen Ausdruck verlieh.
Marburger Hochschulnachrichten. Es
habilitierten sich in der philosophischen Fakultät
Professor Dr. Wilhelm Strecker mit einer
Vorlesung über „Das Wesen der Elemente" und
in der juristischen Fakultät Dr. jur. Friedrich
Kl au sing mit einer Vorlesung über „Die geld-
sparenden Zahlungsmethoden" — Die medizinische
Fakultät verlieh dem Bürgermeister der freien
Stadt Hamburg Dr. jur. Karl August Schrö-
der wegen seiner hervorragenden Verdienste um
das Kranken- und Krankenhauswesen des Staates
Hamburg den Titel eines Ehrendoktors.
Personalchronik. Professor Karl B r ü n n e r
an der Kgl. Kunstgewerbeschule und Kammermusiker
Wilhelm Horn am Kgl. Hostheater begingen ihr fünf-
undzwanzigjähriges Dienstjubiläum.
Der neue Bezirkskonservator. Die be-
reits früher mitgeteilte Wahl des Regierungsbaumeisters
Dr. phil. und Dr. ing. Holtmeyer zum Bezirks-
konservator unseres Regierungsbezirks hat die ministe-
rielle Bestätigung gefunden. Baurat Holtmeyer ist der
Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Geh. Re-
gierungsrates Professors Dr. v. Drach. Anzeigen, An-
träge und Ansuchen auf dem Gebiet der Denkmalspflege
sind also fortab an Dr. Holtmeyer zu richten.
Die Ausgrabungen am Fuldaer Dom-
platz. Die von Professor Vonderau veranstalteten archä-
ologischen Ausgrabungen am Domplatz legten nicht nur
die Apsis der Johanniskapelle, sondern auch in östlicher
Richtung eine ganze Anzahl Fundamentmauern aus ver-
schiedenen Zeiten frei. Östlich der Königskapelle wurde
ein schräg gerichteter Mauerzug festgestellt, der als Um-
wehrung des ehemaligen Klosterbezirks der Benediktiner
anzusprechen ist, die hier schon im 9. Jahrhundert einen
Sitz hatten. Teils auf diesem Mauerzug, teils auf der
Erde, aber genau in der Achse der Kirche und außerhalb
der Königskapelle stand ein Steinsarg, der in seiner
Form dem schlichten Schema der frühromanischen Sarko-
phage entspricht und in der Bearbeitung keine besonderen
Feinheiten aufweist. Im Sarge lag ein Skelett, das
außer einem stark vermoderten Stoffring oberhalb des
rechten Knies keine Gewandspuren aufwies. Ferner fanden
sich am Fußende der Sarghöhlung auf geringem Raum
zusammengedrängt die Knochen eines zweiten, wohl älte-
ren Gerippes, dem jegliche Beigaben fehlten. Unter dem
Kopfe des guterhaltenen ersten Skeletts wurde eine
Bleiplatte gesunden, auf deren zersetzter und verkrusteter
Oberfläche sich diese Inschrift entziffern ließ: OTTO
XPI AN DE PAGANO 0 NO OCT Ein Fach-
mann hat die Inschrift folgendermaßen gedeutet und
übersetzt: „Otto, christlich geworden aus einem Heiden,
starb an den Nonen des Oktober." Der Wunsch, die Per-
sönlichkeit des im Steinsarge bestatteten Mannes fest-
zustellen, hat zu der Vermutung geführt, daß man das
Skelett Ottos, des Bruders König Konrads I., gefunden
habe, der als Graf Otto vom Lohngau in einer Urkunde
vom 1. Juli. 912 genannt wird. Die Überreste der zweiten
Leiche hat man der Mutter des Otto und des Königs
*mtL, 354 9«H(L
Konrad zuweisen wollen, und aus einer Falschmeldung
über die Auffindung eines weiteren Sarkophags mit den
Gebeinen des Königs die Folgerung gezogen, daß man
hier das Erbbegräbnis des Königs und seiner Ange-
hörigen vor sich habe. Für alle diese Annahmen aber
fehlen nicht nur die Beweise, es spricht auch gegen sie,
daß der Standort des Steinsarges außerhalb der Königs-
kapelle war. Überdies weiß man aus Urkunden, daß
Konrad, der erste deutsche Wahlkönig, mitten in der alten
Stiftskirche der Benediktiner beigesetzt worden ist. Die bei
den neuen Ausgrabungen gemachten Funde sollen dem
bischöflichen Diözesanmuseum in Fulda überwiesen werden.
Ein preußisches Hauptgestüt im Kreise
E s ch w e g e. Die preußische Gestütsverwaltung beabsich-
tigte, das dem Landgrafen Chlodwig von Hessen-Philipps-
tal zu Herleshausen gehörige Gut Altefeld bei Netra im
Kreise Eschwege zu erwerben, um dort ein ©taat^eftül
zu errichten. Mitte September weilte eine Kommission
dort, um das Gelände zu besichtigen. Inzwischen sollen
die Verhandlungen zwischen der Gestütsverwaltung und
Seiner Hoheit dem Landgrafen von Hessen-Philippstal
zu Herleshausen nunmehr zu einem, beide Teile be-
friedigenden Abschlüsse gekommen sein. Außer diesen
Ländereien hat die Gestütsverwaltung noch bäuerlichen
Besitz in der Nähe der Ringgaudörfer Archfeld, Markers-
hausen, Lüderbach und Netra erworben. Die angekaufte
Gesamtfläche beträgt etwa 2500 Morgen und gehört in
der Hauptsache — etwa drei Viertel — zu den Lände-
reien des Gutes Altefeld. Als Kaufpreis zahlt die Ge-
stütsverwaltung IV2 Millionen Mark. Sie beabsichtigt,
das Hauptgestüt Graditz hierher zu verlegen und wird
bei den demnächstigen Landtagsverhandlungen eine ent-
sprechende Vorlage einbringen. Die Verlegung des Ge-
stüts wird allerdings wohl erst in 1—2 Jahren erfolgen
können, da zu seiner Einrichtung umfangreiche Gebäude-
und Wegeneubauten, Anlegung von Weideflächen usw.
notwendig sind.
Aus dem Werratal. Angeregt durch die im
Jahre 1905 in der Nähe des Dorfes Aue bei Eschwege
gemachten prähistorischen Funde hat Gymnasialoberlehrer
vr. Römheld auch das Werratal durchforscht. Es ist
ihm bekanntlich gelungen, in der flachen Ebene nördlich
der Werra zwischen Eschwege und dem Dorfe Schwebda
Reste von Psahlbauten-Ansiedlungen zu finden. Hinsicht-
lich des Alters der erwähnten Psahlbauten-Ansiedlungen ist
man der „Deutschen Rundschau für Geographie" zufolge
in maßgebenden Kreisen noch im Zweifel darüber, ob
es sich um eine slawische Siedelung aus der Zeit um
500 v. Chr. oder um eine germanische Siedelung aus
der Zeit 900 n. Chr. handelt.
Aus Melsungen. Am Grabe des vor hundert
Jahren bei Kassel tätlich verwundeten und auf dem
hiesigen Totenhofe beerdigten russischen Obersten Be-
driaga veranstaltete am 30. Oktober eine Deputation
russischer Offiziere in Begleitung eines russischen Prop-
stes eine Gedenkfeier.
Aus Felsberg. Hier fand die wiederholte Auf-
führung eines die Felsberger Begebenheiten im Jahre
1809 und 1813 behandelnden Volksstückes „Unsere Helden"
von Georg Mohr großen Beifall.
Aus Biedenkopf. Im Juli d. I. hatte Baron
Kurt von Biedenfeld - Berlin bei dem Landwirtschafts-
minister den Antrag gestellt, ihm das hiesige fiskalische
Schloß zu verkaufen. Der Herr Minister hat, laut
„Hinter!. Anz.", aber diesen Antrag abgelehnt, weil kein
Anlaß vorliege, das gut erhaltene und (als Heimat-
museum) würdig benutzte Schloß dem Staatsbesitze zu
entziehen. Dieser abweisende Bescheid wird in den
weitesten Kreisen unserer Bevölkerung mit lebhafter
Freude begrüßt werden.
Aus Schmalkalden. Aus Anlaß der Hundert-
jahrfeier veranstaltete der Henneberger Verein im Schloß
Wilhelmsburg eine A u s st e l l u n g 1813, zu der dem
Verein von Bewohnern hiesiger Stadt wertvolle Ge-
genstände aus damaliger Zeit zur Verfügung gestellt
wurden, besonders Bilder, Schriftstücke, Uniformen, Mün-
zen, Porzellan. Den Grundstock für die Ausstellung
lieferten die Bibliothek und Sammlungen des Henne-
berger Vereins. Eine große Anzahl Druckschriften, Ur-
kunden, Briefe, Bücher, Bilder usw. aus der Zeit um
1813 und früher haben Regierungsrat Spannagel und
Fachschullehrer Pistor zusammengetragen. Biele der aus-
gestellten Sachen stehen in enger Beziehung zu Schmal-
kalden, wodurch die Ausstellung einen gewissen lokalen
Charakter trug. — Im Audienzsaale unseres Rathauses
sind jetzt die drei ersten von Professor Piderit gemalten
Bilder in die Wandflächen eingefügt worden. Besonders
wirkungsvoll nimmt sich das dem Eingang gegenüber
angebrachte Gemälde „Abschied des Landgrafen Lud-
wig" aus. — Für die Gedächtnishalle sind bis jetzt
10 Gemälde eingegangen.
Vom Hangar st ein. Das hiesige Basaltwerk macht
gute Fortschritte — also lautet eine Zeitungsnotiz aus
Fürstenwald. Somit kann die Hoffnung, diese in Deutsch-
land einzig dastehende fiederförmige Basaltbildung zu
retten, endgiltig als aufgegeben betrachtet werden.
Nachahmenswerter Schutz der Dorfblumen.
Der Landrat Bückling in Lüneburg hat den Gemeinde-
vertretungen feines Kreise« einen Erlaß zum Schutz der
Dorfblumen zugehen lassen, der allgemeine Beachtung ver-
dient. ES heißt darin u. a. „Nur ab und zu steht man
einige kümmerliche Rosen oder eine Staude, während die
prächtigen Sommerblumen und die alten, alljährlich wieder-
kommenden Pflanzen, die Stauden mit ihren oft weithin
leuchtenden Blüten zur Seltenheit geworden find. Ich denke
dabei besonders an Fuchsschwanz. Strohblumen, Malven,
Astern, Löwenmaul. Ringelblume. Goldlack. Phlox. Bart-
nelken, Feuerlilien, Sturm- oder Eisenhut, Glockenblumen.
Christrosen, Pfingstrosen, tränendes Herz. Schwertlilien,
weiße Lilien und die schöne Centifolie lMooSrose). Wenn
wir die Liebe zum eigenen Heim und dadurch zur Heimat
wieder stärken wollen, müffen wir die Anpflanzung der schon
von unseren Vorfahren mit Liebe und Sorgfalt gepflegten
schbnblühenden alten Gartenblumen, in jeder möglichen
Weise betreiben. Ihr Schönheitswert wird dann bald nicht
nur vom Eigentümer, sondern auch von den Vorüber-
gehenden wieder geschätzt und der trauliche Eindruck unserer
Dörfer erhöht werden. Zur Erfüllung dieser Aufgabe
durch Rat und Tat beizutragen, bin ich gern bereit. Ich
bitte daher alle diejenigen Dorfbewohner, die ein noch so
kleines Fleckchen Gartenland zur Anpflanzung von Blumen
frei haben und helfen wollen, die alten, schönen, farben-
prächtigen Blumen in den HauSgärten unseres Kreises
wieder heimisch werden zu lassen, mir dies auf einer Post-
karte recht bald mitzuteilen. Wenn mir dabei angegeben
wird, welche Blumen in ihrem Heimatsdorf früher besonders
beliebt waren und gewünscht werden, bin ich auf Verlangen
NML- 355 S«tMb
gern bereit, den Bedarf an Samen für Sommerblumen
oder auch an jungen mehrjährigen Pflanzen, an Stauden.
Blumen. Knollen oder Zwiebeln, direkt oder durch Angabe
zuverlässiger Bezugsquellen zu ermittelii. Selbstverständlich
möchte ich aber nur da eintreten, wo zuverlässige Gärtnerein
oder Samenhandlungen nicht bereit« zur Verfügung stehen.
Auch Ratschläge für den Anbau der einzelnen Blumen
lasse ich gern in den Zeitungen des Kreise« veröffentlichen."
Hessische Bücherschau.
Geschichtliche Darstellung der Schlacht
bei Hanau am 30. Oktober 1813. Von Karl
Caesar Leonhard. Dritte Auflage. Mit Plan
und Bildern von F. C. Reinermann, K. Westermayr
und I. Rugendas. 8 ° VI, 89 S. Hanau (Fr. Königs
Buchhandlung sA. Zippeliusj) 1913.
Geh. 1,25 M., geb. 2 M.
Der nicht nur durch seine wissenschaftlichen Leistungen,
sondern auch durch seine freundschaftlichen Beziehungen
zu Goethe bekannte Mineralog K. C. Leonhard, der seit
1807 als Domäneninspektor in Hanau seinen Wohnsitz
hatte und einer der Gründer der seit 1808 bestehenden Wet-
terauischen Gesellschaft für Naturkunde war, hat alsbald
nach der Schlacht bei Hanau seine Erinnerungen an
diesen leider mißlungenen Versuch Wredes, Napoleon
und seinen Heerschaaren den Weg zum Rhein zu ver-
legen, niedergeschrieben. Diese Aufzeichnungen erschienen
damals ohne Angabe des Namens des Verfassers, zuerst
in den Jahren 1813 und 1814. Aus Anlaß der hundert-
sten Wiederkehr des Tages der Schlacht bringt die Königsche
Buchhandlung in Hanau nunmehr deren dritte Auflage.
Die unter dem unmittelbaren Eindruck der Vorgänge
verfaßte Schilderung gibt natürlich keine Darstellung vom
militärischen Standpunkt aus, hat aber besonderen Wert
durch die Lebhaftigkeit des auf eigenen Erlebnissen
fußenden Berichts und durch die völliges Vertrauen ver-
dienende Person ihres Verfassers, der seinen Aufzeich-
nungen die Worte Schillers: „Wahrheit gegen Freund
und Feind" vorangestellt hat und dessen Angaben über
die von ihm beobachteten Kämpfe und Truppenbewegun-
gen doch einen guten Überblick über den Gang der
Schlacht bieten. Ergänzt wird Leonhards Darstellung
durch die amtlichen Berichte Wredes und des österreichi-
schen Feldmarschalleutnants Grafen v. Fresnel über die
Schlacht, eine Schilderung der Schlacht von französischer
Seite und eine Darstellung der Ereignisse in Frankfurt
a. M. während der Schlacht bei Hanau. Schließlich ist
eine kurze Lebensbeschreibung Wredes und die öster-
reichische und bayrische Verlustliste beigegeben. Ein gleich-
zeitiger Plan gibt Aufschluß über die Stellungen der
einzelnen Truppenteile, zwei Bilder nach Gemälden
Westermayrs und Rugendas dienen dem Buche zur Zierde,
das wir als einen willkommenen Beitrag zur Geschichte
einerseits der Befreiungskriege, andererseits der Stadt
Hanau unsern Lesern warm empfehlen können. W,
©in Wille — ein Weg. Drei Erzählungen von
R. F r a n ck e. 192 S. Kassel (Pillardy L Augustin)
1913. Preis 2 Mark.
Die gemeinsame Überschrift, die den drei Pastoren-
geschichten: Ein Charakter — Der neue Pastor — In
Gottesaue vorgesetzt ist, deutet schon an, daß hier eine
bestimmte Tendenz zu Grunde liegt. Dem Verfasser
kommt es darauf an, dem Leser die soziale Bedeutung
des Pfarramts vor Augen zu führen. Es wird gezeigt,
wie der Pfarrer unter Überwindung mancher Schwierig-
keiten in seiner Gemeinde Krankenschwester, Kleinkinder-
schule, Kochschule und ähnliche Einrichtungen der inneren
Mission durchsetzt. Daneben spielen christliche Gewerk-
schaften, Raiffeisengenossenschaften, Reichstagswahl, Zeu-
genreden, Sektenwesen hinein. Es liegt in der Art
solcher Erzählungen, daß hier und da die Farben allzu-
dick ausgetragen werden, daß die Charaktere nicht von
innen heraus, sondern nach den Zwecken des Verfassers
handeln. Man höre z. B. auf Seite 143 den Birken-
bauer: „Ich bin der stolze, selbstgerechte Birkenbauer
nicht mehr, der ich früher gewesen. Seitdem ich Euch
damals auf dem Feldwege auf den Knien gesehen, nach-
dem ich Euch durch meine Worte bis ins Herz getroffen,
da habe ich auch gelernt, als ein armer Sünder vor
Gott zu knien und auf die Gnade meines Heilandes
allein mein ganzes Vertrauen zu setzen und nicht mehr
auf meine eigenen Werke usw." Solche frommen Rede-
ergüsse, die öfters wiederkehren, sind nicht Bauernart.
Die erste Erzählung, die übrigens an Krügers Gottfried
Kämper erinnert, entrollt im Auftakt das Studenten-
leben unserer Marburger Universität und erhält so in
ihrem Milieu einen hessischen Einschlag. Bei der zweiten
ist man versucht, an einen Ort im sächsischen Hessen zu
denken. Aber im Fortgang wird das Heimatliche durch
das starke Hervorkehren der Tendenz verwischt. Der
Pastorale Ton, in den auch die Laien hin und wieder
verfallen, ist in einer Volkserzählung nicht angebracht.
Bei einer weiteren Auflage dürfte der Text eine sorg-
fältigere Behandlung erfahren. Wie hart liest sich z. B.
Seite 110, Zeile 3: „In ihrem elterlichen Hause war
dem kindlichen Gemüte vielleicht zu viel religiöser Ernst
zugemutet worden, war den unschuldigen Freuden
des Lebens zu wenig Eingang gestattet worden. Dann
war, nach dem Tode ihrer Mutter" usw.
n.
B. Moriton - von Mellenthin, Das Weib,
das man nicht hat. Ein Schauspiel von der
Liebe Narretei. Kassel (Selbstverlag).
Preis brosch. 2 Mark, geb. 3 Mark.
Die Dichterin der leidenschaftlichen Tragödie „Araspas"
(Uraufführung im Kasseler Hoftheater) und des uner-
bittlichen Dramas „Klater äolorooa", das mit wachsen-
dem Erfolg über die deutschen Bühnen geht, hat in
diesem Schauspiel ein neues Werk geschaffen, das auf
haarscharfer Grenze zwischen Tragik und echter Komis
balanziert und damit eine Wirkung zustande bringt, zu
der man halb j a, halb nein sagen möchte; es geht
ein Unterton hindurch, der dem Leben selber abgelauscht
ist; wie man sich zu diesem zu stellen hat, das wird
ja auch ein Problem bleiben, an dem sich Philosophen
und Künstler immer wieder die Köpfe zerbrechen werden.
Des Lebens Leben: die Liebe; in ihr auch alle Wider-
sprüche des Lebens — und so wird das Problem des
Lebens zum Problem der Liebe. Dieses ist in dem
Moritonschen Schauspiel in einer Betrachtungsweise an-
gepackt, der das Gesetz der Polarität zugrunde liegt.
Es wird gezeigt, wie im Manne sowohl wie im Weibe
immer beide Pole, der bejahende und der verneinende,
der liebende und der hassende, liegen, und wie infolge-
dessen bald ein Anziehen, bald ein Abstoßen eintritt,
je nachdem gleiche oder ungleiche Pole gegenüberstehen:
nichts andres also — als der Kampf, der notwendig
ist zur Selbstbehauptung wie zur Hingabe, wodurch dann
eigentlich erst Leben möglich ist. Ein junger Herzogs-
sohn und ein hellkundiges Mädchen aus dem Volke, das
smtb 356 NAL
dem alten Herzog das Leben gerettet hat, sind hier die
beiden sich suchenden und doch auch sich fliehenden
Lebenskräfte, deren Mit- und Widereinanderschwingen
eine überaus fesselnde Dramatik ermöglicht. Beide oft
in sich verwirrt und — weil sie eben mitten in diesem
Spiele stehen und das Spiel selber bewirken — dieses
zu lenken glauben, ob sie gleich von ihm gelenkt werden.
Keiner kann von sich selber loskommen, das ist der
Sinn des Dramas — und nur durch ein rsservatum
stdiouin — man nennt's in unsrer Zeit auch „Kom-
promiß" — kommt schließlich doch eine „Einigung" zu-
stande. Im Grunde ein Mysterium der Erlösung aus
dem ewigen Widerstreite zwischen dem unbewußten Selbst
(dem Wesen in uns) und dem bewußten Selbst (dem
Ich des Menschen), beide gegeneinander sich zu behaupten
suchend, beide doch auch sich zu durchdringen strebend:
ein zweifaches Muß. Eine letzte, reale Erlösung ist dabei
unmöglich — man denkt an Mörikes ergreifendes Ge-
dicht: „Kann auch ein Mensch des andern aus der Erde
ganz, wie er möchte, sein? In banger Nacht bedacht'
uh's mir, und mußte sagen: nein!" — aber eine vor-
läufige, ideale Erlösung ist, damit sich beide in diesem
Kampfe nicht aufreiben (wodurch ja das Leben als solches
aufgehoben würde) geboten! Der Narr des Stückes hat
dieses Wissen und steht lächelnd über dem ganzen Spiel
zweier Narren, die größere sind als er — eine köstliche
Figur. Nicht nur gedanklich — auch szenisch ist dieses
Schauspiel ein meisterliches Werk, uno bei der auch
äußerlich dramatisch lebendigen Handlung reißt es mächtig
mit sich fort. Eine baldige Aufführung ist ihm dringlichst
zu wünschen, über all der modernen Theaterware steht
es himmelhoch; es lebt Shakespeare-Geist in ihm, dieser
aber mit neuzeitlicher Lebensanschauung, Pie im Menschen
selbst die Weltkräfte wirksam sieht, vertieft — was frei-
lich im wesentlichen schon die germanische Mystik ahnend
erleben durfte. K. Engelhard.
Personalien.
Verliehen: der verw. Freifrau von Stumm, aeb.
von Rauch, zu Schloß Ramholz die 2. Klasse der zweiten
Abteilung des Luisenordens mit der Jahreszahl 1865;
dem Realprogymnafialdirektor a. D. Efau zu Biedenkopf,
dem Direktor der Oberrealschule II vr. Dewitz und dem
Oberlehrer a. D. Professor vr. Richter zu Kassel der
Kronenorden 3. Kl; dem Pfarrer und KreiSschulinspektor
a. D. Hufnaael zu Gelnhausen, dem Pfarrer a. D.
Kor ff zu Beckedorf, dem Metropolitana D. BiSkamp
zu Kassel, dem Pfarrer am Siechenhause zu Hofgeismar
Möhl und dem Oberlehrer Professor vr. Wetzel zu
Kassel der Rote Adlerorden 4. Klasse; dem Zeichenlehrer
A l lw o h l zu Kassel der Kronenorden4.Klasse; dem Lehrer
a. D. Völker zu Allendorf (Kr. Witzenhausen) und dem
Hauptlehrer und Kantor Bambeh zu Simmershausen
(Landkr. Kassel) der Adler der Inhaber deS Königlichen
HauSordenS von Hohenzollern; dem Hegemeister Bode
zu Hönebach und dem Bürgermeister Gebauer zu He-
ringen das Königlich Preußische Berdienstkreuz in Gold;
dem Regierungslandmesser Hellwig zu Dillenburg der
Charakter als Königlicher Oberlandmesser; den Regierungs-
landmessern Hupbach zu Schmalkalden und Dorn zu
Fulda je eine etatSmäßige VermeffungSbeamtenstelle; dem
Oberintrndantursrkretär Paul zu Kassel und dem Rent-
meister Mieters zu Efchwege der Charakter als Rech-
nungSrat.
Ernannt r Landrichter vr. H e i n r i c i zu Kassel zum
Geheimen Regierun^Srat und Vortragenden Rat im Reichs-
justizamt; LandgenchtSrat vr. Frey tag zu Hanau zum
Landgerichtsdirektor in Torgau; Rechtsanwalt Schultheis
zu Fulda zum Notar; Amtsrichter Gonnermann zu
Wolfhagen zum AmtSgerichtSrat; die RegierungSassefsoren
vr. Bömke zu Kassel und vr. PeterS zu Fulda zu
Regierungsräten; Pfarrer Sommerlath zu Geismar
zum Pfarrer in Hattendorf; die Hilfslehrer an der König-
lichen Baugewerkfchule zu Kassel Keller und Rützel
zu etatsmäßigen Oberlehrern; die Referendare Dalberg
und Richter zu GerichtSaffefforen.
Versetzt: Landgerichtsdirektor Rospatt von Torgau
nach Kassel; AmtSgerichtSrat vr. C l a m a n n von Schwerin
a. W. nach Biedenkopf; Gewerbeinfpektor Gewerberat Wedel
von Kaffel nach Koblenz und Gewerberat L a u r i s ch von
Berlin nach Kassel zum I. Januar 1914.
rmerhschst bestätigt r der zum Oberbürgermeister
der Residenzstadt Kaffel gewählte Stadtdirektor Koch zu
Bremerhaven.
überwiesen: Regierungsrat von Hanstein zu
Lüneburg der Regierung in Kaffel zur weiteren dienstlichen
Verwendung.
Beanftragt: Pfarrer Lucke zu Zierenberg mit der
Versetzung der MetropolitanatSgeschäfte der Pfarreiklaffe
Zierenberg.
Zugelaffe« zur Rechtsanwaltschaft: bei dem
Amtsgericht in Neuhof der GerichtSafleffor Cramer aus
Geseke.
Entlaste«: aus dem Justizdienst der Referendar Frei-
herr Rirdesel zu Cisenbach infolge Übertritts in die
allgemeine Staatsverwaltung.
Vermählt: Bergassessor a. D. Eduard Siebert,
BergwerkSdirektor zu MörS am Niederrhein, mit Fräulein
Katharina Mejer aus Zellerfeld im Harz.
Geboren: ein Sohn: Diplom-Ingenieur Claus
Bauer und Frau (Marburg, 22. Oktober): — eine
Tochter: vr. Hans Kleinschmidt und Frau Marie,
geb. Nebelthau (Berlin, 31. Oktober).
Gestorben: Buchbindermeister Ludwig Ohle,67 Jahre
alt (Kaffel, 22. Oktober); BeleuchtungSinfpektor Otto
Nielsen, 92 Jahre alt (Kaffel, 22. Oktober); Fräulein
Thekla von Heister (Meiningen. 23. Oktober); Ritt-
meister a.D. Prinz Ludwig zu SolmS-Hohen-
s o l m S - L i ch, ein jüngerer Bruder des regierenden Fürsten
von Solms-Lich und somit Oheim der vroßherzogin
Eleonore von Heffen (Lich, 24. Oktober); Frau Agnes
Dippel, geb. Thaler. 85 Jahre alt (Frankfurt a. M.,
25. Oktober); Kgl. Kammermusiker a. D. Friedrich P ö f f e l
(Kaffel, 25. Oktober); Seilermeister Heinrich G o l d, 72 Jahre
alt (Marburg, 27. Oktober); Freiin Marie Riedesel zu
Eisenbach, 76 Jahre alt (Lauterbach); Frau Pfarrer
Maria Ewald, geb. EverS, 74 Jahre alt (Marburg);
Frau Elisabeth Frese, geb. Tegethof. Gattin deS Geh.
Reg.-RatS, 62 Jahre alt (Meran. 29. Oktober); Landgräfl.
heff. Forst- und SutSinspektor a. D., Oberinspektor Karl
Stübing, 65 Jahre alt (Kaffel, 1. November); Privat-
mann Wilhelm Eberhardt, 71 Jahre alt (Kaffel,
I. November); RegierungSbausekretär Rudolf Ascher-
mann, 57 Jahre alt (Kaffel. 2. November).
Briefkasten.
8. in Berlin. Eine Geschichte der Stadt Bolkmarsen
gibt es unseres Wissens noch nicht. Seit Jahren arbeitet
Professor vr. Adolf Gottlob in Münster an einer
solchen auf Grund des vorhandenen urkundlichen
Materials.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. — Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 22. 27. Jahrgang. Zweites November-Heft 1913.
Kassels neuer Oberbürgermeister.
Nachdem vr. Scholz nach kaum llmonatlicher Amts-
führung den Oberbürgermeisterposten in Charlottenburg
übernommen hatte, wählten die städtischen Körperschaften
am 12. September den am
26. Februar 1875 in Bremer-
haven als Sohn eines Schul-
direktors geborenen dortigen
Stadtdirektor Erich Koch
zu dessen Nachfolger. Nach
Abschluß feiner juristischen
und volkswirtschaftlichen
Studien 1900 zum Bürger-
meister von Delmenhorst
gewählt, wurde er 1909
Stadtdirektor von Bremer-
haven , das unter seiner
Leitung einen außergewöhn-
lichen Aufschwung nahm;
gleichzeitig war er Mitglied
der Bremischen Bürgerschaft
und nahm als solches, da
die Kommunalverwaltung
der Stadt Bremen nicht von
der des bremischen Staates
getrennt ist, auch an der
Verwaltung der Stadt Bre-
men teil, er war in der
Bürgerschaft Mitglied der
Finanz - Deputation, der
Steuer - Deputation, derje-
nigen für die Häfen und
Eisenbahnen und des Ber-
trauensausschusses. Koch
gehörte als freisinniger Ab-
geordneter auch sieben Jahre
lang dem oldenburgischen
Landtag an; hier war er als
Berichterstatter des Gesetzes
über die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Gemeinde-
steuerreform, das Thronsolgegesetz und das Landtags-
wahlgesetz tätig und hat die Verstaatlichung des Kunst-
gewerbemuseums, die Reform
der staatlichen Brandkasse
und die Bereitstellung staat-
licher Mittel zurUnterstützung
der bildenden Künste erfolg-
reich angeregt; auch die olden-
burgischen Gesetze gegen die
Verunstaltung des Stadt-
bildes und zur Erhaltung
der Naturdenkmäler — sie
gehören bekanntlich zu den
besten Deutschlands — sind
auf Kochs selbständigen An-
trag im oldenburgischen
Landtag zurückzuführen. Es
ist also Gewähr gegeben,
daß bei ihm alle Bestre-
bungen zur Erhaltung alter
völkischer Kultur und weiter
auch die Bestrebungen zum
Schutze des Ortsbildes Unter-
stützung erwarten dürfen.
Das hat Oberbürgermeister
Koch auch bei seiner am 12.
November durch den Re-
gierungspräsidenten Grafen
von Bernstorff erfolgten
feierlichen Amtseinführung
zum Ausdruck gebracht. Koch
hat dabei noch kein Pro-
gramm entwickelt, aber be-
sonders hervorgehoben, daß
sich zivilisatorische und kul-
turelle Aufgaben recht gut
vereinbaren ließen, daß
Erich Koch, Oberbürgermeister der Stadl Kassel.
358
gerade eine Stadt von der kulturellen Vergangenheit
Dassels Anspruch daraus habe, nicht der Schablone zuliebe
durch die Heckenschere der Bürokratie ihrer Eigenart beraubt
und zu einer Dutzendgroßstadt gemacht zu werden, und
daß wir unsere Kinder in einer Umgebung groß werden
lassen müßten, in der sie sich Heimatsinn und Vaterlands-
liebe erhalten können.
H-
Ausländer als Offiziere im hessischen Heere.
Von A. Wo ringer.
Dänen.
Auch das kleine Dänemark sandte einige seiner
Söhne als Offiziere nach Hessen. 1644 stand ein
Kapitän Juel im gelben Regiment zu Fuß. Ein
natürlicher Sohn König Christians IV. von Däne-
mark, Waldemar, Graf von Dänemark,
zeichnete sich 1648 im hessischen Dienste am Rhein
aus und besetzte im September desselben Jahres das
Stift Minden. Brostrup Jakobson von
Schürt kam in den 1640er Jahren aus dänischen
Diensten in hessische, nahm im Januar 1648 als
Hauptmann durch List Friedewald. Nach der in-
folge des westfälischen Friedens eingetretenen Ver-
minderung des Heeres wurde er Kapitän und Chef
der 2. Schloßkompagnie in Kassel und 1659 in
diesem Verhältnis zum Oberstleutnant befördert.
Am 1. August 1664 trat er als „Oberst über die
Artillerie" in brandenburgische Dienste, wurde 1674
Kommandant der Festung Peitz, aber 1677 wieder
verabschiedet. Er ging nun wieder in hessische
Dienste, wurde 1689 Generalleutnant und Chef
der Artillerie, 1697 auch Chef des Landausnahms-
bataillons. Er starb im April 1703 als Kom-
mandant von Kassel, 81 Jahre alt. Johann
Heinrich von Schürt war ebenfalls zuerst in
dänischen Diensten, war 1691 Major und 1694
Oberstleutnant in der hessischen Artillerie, zugleich
Inspektor über die Bergwerke. 1696 wurde er
Kommandeurder sämtlichen Artillerie und ging 1697
in Pension. Graf Larvig wurde 21, Februar
1707 Oberstleutnant ohne Gage im Regiment zu
Fuß Prinz Friedrich. Johann Georg von
Munk war 1703 Leutnant und 1704 Kapitän
im Grenadierregiment, wurde 7. November 1706
Major und später Oberstleutnant darin, 1. April
1717 Oberst und Kommandeur des Regiments
Prinz Georg, 30. September 1723 Kommandant
von Ziegenhain. 16. Mai 1727 Brigadier. Er
starb 16. Mai 1748. Friedrich Wilhelm von
Munk wurde 23. März 1709 Fähnrich im Gre-
nadierregiment zu Fuß. WilhelmvonAnder-
son war 1774 Fähnrich im Regiment Erbprinz,
1781 Sekond-, 1784 Premierleutnant darin, er-
hielt 1784 den Orden pour 1a vsrtu Militärs,
wohl für Auszeichnung im amerikanischen Krieg.
Wilhelm vonRosenkranz war 1794 Sekond-
leutnant im Jägerbataillon, zeichnete sich am 10.Juni
1794 im Gefecht bei Bachy aus, war 1800 Pre-
mierleutnant im Jägerbataillon, 1804 Stabs-
kapitän im FüsilieiEataillon von Schlotheim, seit
1805 von Todenwarth. Am 29. Oktober 1806 hielt
er mit einem Pikett Füsiliere die hessische Grenze
bei Buchenau besetzt und protestierte feierlich beim
Einrücken Mortiers in das Kurfürstentum. Er
wurde dann 1. Februar 1808 Kapitän im königl.
westfälischen 1. Chevaulegersregiment, erhielt aber
noch in demselben Jahre den erbetenen Abschied
als Eskadronschef und kehrte nach Dänemark zurück.
Skandinavier.
Auch mit Schweden stand Hessen mehrfach in
näheren Beziehungen, namentlich während des
30 jährigen Kriegs und in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, als Hessens Erbprinz und nach-
heriger Landgraf Friedrich als König in Schweden
herrschte. Schwedische Offiziere finden wir deshalb
in dem erwähnten großen Kriege und dann während
des ganzen 18. Jahrhunderts stets in Hesiens Heer.
Der Fähnrich Manches Applegard wurde am
24. Juni 1636 beim Sturm auf die Hauptschanze
vor Hanau verwundet; der schwedische Oberstwacht-
meister Klaus Oexel trat 1631 als Hauptmann
in das hessische blaue Regiment und wurde 1633
in den Laufgräben vor Hameln erschossen. M agnus
vonBlixencron trat nach längerer Dienstzeit im
schwedischen Heere am 14. Oktober 1695 in hessische
Dienste als Oberst und Generaladjutant, wurde
am 1. Januar 1697 in das Erbprinzdragoner-
regiment einrangiert und wurde am 23. desselben
Monats Kommandeur dieses Regiments, in dem-
selben Jahre des Infanterie-Regiments Swildens.
Am 28. März 1703 verließ er den hessischen Dienst
wieder. Johann Friedrich von Kaggen
war 1706 und 1707 Generalquartiermeifter der
hessischen Truppen in Oberitalien, wo begründete
Klagen der Bevölkerung über ihn einliefen, wurde
7 März 1708 Oberst der Infanterie, stand dann
bei den Auerochs-Dragonern, dann Boyneburg-
Kavallerie, wurde 1717 Kommandeur des Re-
giments Erbprinz-Dragoner, dann Generalmajor,
7./18. August 1739 Generalleutnant und Gouver-
neur von Ziegenhain, wo er in dieser Eigenschaft
am 29. Januar 1750 starb. Swen Rebbing
kämpfte 1706 und 1707 als Fähnrich im Regiment
SML. 359 S«L>
von Wartensleben in Oberitalien. Konrad,
Baron von Rank, der Bertraute König Frie-
drichs von Schweden, wurde 25. November 1713
als Generalleutnant Chef des bisherigen Regiments
Motz und Gouverneur von Rheinsels. 1723 ging
er nach Hamburg, wo er 6. September 1739 starb.
König Friedrich stand bekanntlich in nahen Be-
ziehungen zu der Gräfin Hedwig Taube, von der
die ältere Linie der Grafen Hessenstein stammt.
Verwandte dieser Gräfin waren HansHenrich
von Taube, der 1717 oder 1718 als Super-
numerar-Fähnrich im Regiment Prinz Maximilian
gegen die Türken kämpfte und fiel, und Fried-
rich Ernst Ludwig von Taube aus Stral-
sund, der zuerst in schwedischen Diensten stand, am
Iv.August 1735 Fähnrich im Regiment Element und
4./15. März Leutnant, am 13. Juni 1741 Kapitän
darin wurde. Karl Friedrich von Bocken-
strom war 1720 Fähnrich im Regiment Prinz
Maximilian. von Burenskjold rückte 1717 als
Fähnrich im letzteren Regiment zum Türkenkrieg
aus, kehrte aber bald verabschiedet nach Hessen
zurück. Als er dann 1720 auf dem Rückmarsch
des Regiments als Kapitän wieder in dasselbe
eingereiht wurde, führten die dadurch in der Be-
förderung übergangenen Offiziere Beschwerde, was
zur Folge hatte, daß Burenskjolds Versetzung in
das Regiment wieder zurückgenommen wurde. Der
Generaladjutant König Friedrichs, Sicre, er-
hielt am 7 April 1723 auf Bitten des Königs
von dessen Vater, dem Landgrafen Karl, den
Charakter als hessischer Oberst verliehen und 1728
ein Gnadengeschenk von 1000 Talern. S t e l l a n 1
Karl von Mörner wurde 19. März 1729
Kapitän und stand 1732 als solcher ohne Kompagnie
im Regiment Korff. Gustav von Pieper aus
Stockholm war 1742 Fähnrich im Regiment
v. Waldenheim. Friedrich Ludwig von Lilien-
ström wurde 20. Dezember 1746 Fähnrich und
kämpfte 23. Juli 1758 als Leutnant im Regiment
Isenburg bei Sandershausen. Der Kadett im
Husarenkorps Suenson fiel am 10. April 1746
bei Dunkelt) in Schottland in die Gefangenschaft
der Anhänger des Prätendenten Karl Eduard,
wurde aber bald wieder freigelassen. Friedrich
Wilhelm von Löwenhaupt war 1766 Fähnrich
im Regiment v. Wutginau. Der letzte Schwede
in hessischen Truppenkorps stammte aus einer
deutschen Familie. Friedrich Karl Stirn
von Stiernberg war am 15. Januar 1750
in Stockholm als Sohn des Kabinettsekretärs
Wolrad Stirn und seiner Ehefrau Margarethe
Christine Schwiedring aus Kassel geboren. Am
13. Januar 1769 wurde er als hessischer Fähnrich
von Kaiser Joseph II. in den Reichsadelstand er-
hoben, war 1774 Sekondleutnant in der 1. Garde,
Premierleutnant im Korps, wurde 1775 Leutnant
im Husarenregiment, 30. September 1779 Stabs-
rittmeister darin. 26. Februar 1785 als Major
verabschiedet, wurde er später 28. Oktober 1789
als Major im 2. Depotbataillon wieder angestellt,
1800 Major im Landregiment Geismar, 1804
Oberstleutnant im Garnisonregiment Colson (1806
Dommerich). Er starb 24. April 1814 als Oberst-
leutnant a. D. in Veckerhagen. Er war verheiratet
mit Wilhelmine Köhler.
Ein einziger Norweger hat in Hessen gedient:
Lorenz Hals aus Osterdal. Er hatte bereits
16 Jahre in d.änisch-norwegischen Diensten ge-
standen und 11 Feldzüge mitgemacht, als er am
10. Juli 1726 hessischer Fähnrich wurde. Nachdem
er am 24. Januar 1728 zum Leutnant, am
17 Oktober 1735 zum Kapitän im Regiment
Prinz Friedrich befördert war, bekleid te er diese
Stelle noch 1743 und hatte mittlerweile noch
zwei Feldzüge am Rhein mitgemacht.
Ungarn.
Als man zu Anfang des 18. Jahrhunderts in
Deutschland dazu schritt, nach dem Muster der
ungarischen leichten Reiter Husarenkorps zu er.
richten, besetzte man die Offiziersstellen der neuen
Truppenbildungen vielfach mit Ungarn. So
auch in Hessen. Der Ungar Paul de Bamfy
errichtete im August 1706 in Kassel die erste
hessische Husarenkompagnie, die Stammtruppe des
jetzigen Husarenregiments Landgraf Friedrich II.
von Hessen-Homburg (2. Kurhess.) Nr. 14. Er
wurde 16. September 1708 Major im Husaren-
korps und 30. Dezember 1710 als solcher in das
Dragonerregiment Erbprinz versetzt. Er machte
1708 und 1709 die Feldzüge in den Niederlanden
mit und fiel um 1712 im Duell. Gleichzeitig
mit ihm trat Adam de Kisfaludy als erster
Leutnant in die neuerrichtete Husarenkompagnie
ein, wurde 30. November 1708 Kapitän bei den
Husaren, kämpfte 1708/9 in den Niederlanden,
wurde 29. März 1711 in das Dragonerregiment
v. Spiegel versetzt und starb 1737 als Oberstleut-
nant im Regiment Prinz Maximilian-Kavallerie.
Georg Cosary wurde 1709 Kornett in der
Husarenkompagnie, aber 1711 wegen „vacance“ der
Kompagnie versetzt. Antonius von Czarnovitz
trat 1744 aus österreichischem Dienst in die hessische
Husarenkompagnie, wurde 1745 Kornett darin
und kämpfte 1745/49 in den Niederlanden und
in Schottland. 1750 erhielt er einen sechsmonat-
lichen Urlaub. Im folgenden Jahre bat er. wohl
von Heimweh getrieben, um dieselbe Vergünstigung;
als sie ihm nicht gewährt wurde, desertierte er
SAtttL, 360
mit voller Ausrüstung. Jstok Jgnazi wurde
10. Dezember 1759 Kornett im Husarenkorps,
wurde 23. Juli 1762 bei Lutterberg schwer ver-
wundet, war 1764 Leutnant im Husarenregiment
und wurde 1771 als solcher verabschiedet. In
anderen Truppenteilen als den Husaren dienten nur
zwei Ungarn, di > Brüder Kämetzky von Estihors,
von denen der eine 1706 Kapitän im Regiment zu
Fuß Graf Reuß war und in demselben Jahre abging,
während der andere, Johann Georg Wilhelm,
1706/7 Kapitän im Regiment v. Wartensleben
war.
Der urdeulsche Name des Taunus.
Von Professor Dr, K. Stuhl (Würzburg).
(Schluß.)
Ein altfränkisches Wort, das uns durch einige
Zusammensetzungen wie saldunt ---- Seehund, Sal-
frankeil — Meerfranken, Salach oder Saalach,
Saale — Salzache, d. i. Salzwasser, erhalten ist,
war Sal — „Salz und See, Meer" Ihm ent-
spricht das lat. sal, Salz, und salum, das offene,
hohe Meer, die weite, hohe See. Im Griechischen
lautet das Wort Hal. Daß das Wort in der
Urzeit auch auf deutschem Boden da und dort
mit H statt mit S gesprochen wurde, beweisen
die zahlreichen Hallorte, wie Hall, Halle,
Hall ein, die, wie jüngst v. Riezler in den
Sitzungsberichten der bayerischen Akademie d. W.
mit Recht bemerkt hat, zweifellos nach dem
Salze benannt sind (Jhg. 1909, S. 5 ff.). Nach
der Wortform Hal — Salz nannten aber auch
die Vorfahren der Makedonier und Griechen das
Salzwasser Halacha. Durch Anwachsen des
Artikels entstand daraus die uns durch Hesychius
bezeugte makedonische Form Dalagcha — D'Alagha,
urspr. D'Halacha, und die griechische Thalassa
oder Thalatta mit dem sehr gewöhnlichen Über-
gang des Kehllautes in einen Ouetschlaut. Im
Gotischen entspricht saiivs, wofür auch inarisaivvs
— ahd. mareoseo vorkommt (zur genaueren Unter-
scheidung des Meersalzwassers von den binnen-
ländischen Sal- oder Salzachen gebildet), im Alt-
hochdeutschen 860, „See". Als Grundform ist
Salahva (vgl. got. ahva Wasser, lat. aqua,
deutsch Ache und Aue) anzusetzen, aus der sich
durch Zusammenziehung bezw. Verkürzung das
got. saiw(s), ahd. seu usw. entwickelt hat.
Zwei weitere Beispiele für das Ankleben des
weiblichen Artikels sind das schon bei Homer be-
gegnende Wort Tholos und das lautlich nur
durch die Endbetonung hiervon sich unterscheidende
Tholos mit der attischen Nebenform Holos. Das
erstere Wort, das ein auf Pfeilern ruhendes rundes
Häuschen, also eine Halle bedeutet, ist genau das
deutsche die Halle, in den Mundarten des
Südens auch d'Hol, und ist weiblichen Ge-
schechtes wie dieses urdeutsche Wort. Tholos, Nbf.
Holos aber ist die Sole — Salzbrühe oder Kot-
lache, der Schlamm, in dem sich das Wild zur
Abkühlung wälzt, „solt", nach dem soviele deutsche
Ortsnamen wie Suhl. Sulz usw. benannt sind.
Wie Tholos neben Holos — ahd. sol, so steht
das homerische Wort Theilopedon neben der
gleichfalls bezeugten Form Heilopedon. Es ist
also Theilopedon aus T'Heilopedon entstanden.
Der Ausdruck, der den Trockenplatz für Wein-
trauben, die Korinthendarre, bezeichnet, enthält als
Bestimmungswort das griechische Heile (Hele),
„die Sonnenwärme", welches Wort zu dem hessischen
h e l l i g, h e l ch oder h e l k (Vilmar) „ dürr, trocken"
gehört. Endlich erklärt sich auf diese Weise der
Name des lakedämonischen Gebirgszugs Taygeta
(Taygetos, Taygete) aus T'Augeta, urspr.
T'Haugeta — die Höhe. Vgl. got. hauhitha,
ahd. höhida, bahr. die Höchde, wozu auch wohl
die Benennung „Überhöchster" (s. oben!) gehört,
wenn sie, wie es scheint, aus „überhöchder" ent-
stellt ist. Es führen also der hessische Taunus
oder „die Höhe" und der spartanische Taygetos
denselben Namen. Ohne den Vorschlag des Artikels
begegnet Ochthos neben Ochthe (vgl. Taygetos
neben Taygete) bei Homer im Sinne von „Höhe".
Ocha ----- Höhe heißt ferner der Haupthöhenzug
der Insel Euböa. Im Latein aber heißt augustus,
welches Wort seit 27 v. Chr. als Eigenname und
Titel den Kaiser über die übrigen Menschen
hinaushob und als ein höheres, ja als das höchste
Wesen auf Erden bezeichnete, offenbar nichts
anderes als „höchster" (— got. hauhista), ist also
ein alter Superlativ zu dem verschollenen Bei-
worte augus „hoch", wie lat. angustus, eigentlich
„engster", zu augus „eng", das ebenfalls der
lateinischen Sprache abhanden gekommen ist.
Wie dem Urgriechischen. so war auch dem
ältesten Latein unser deutscher Artikel wohl-
bekannt. Da er ihm im Laufe der Zeit verloren
ging, mußten die Tochtersprachen des Lateins aus
dem hinweisenden Fürworte ille ein neues Ge-
schlechtswort entwickeln. Nur einige Beispiele, in
denen er an das Hauptwort versteinert festgewachsen
sich erhalten hat, sollen hier aufgezählt werden:
361
Lat. tussis „Husten" aus t’ustis angeglichen.
Vgl. ahd. thiu liuosta neben ther huosta, schweiz.
Wusste, terra aus t’erta angeglichen. In den
althochdeutschen Spruchdenkmälern (z.B. im „Meri-
garto" u. a.) entspricht: Derda. d. i. die Erde
(d'Erda). Die Form Ero, Ere kennt auch das
Altdeutsche. Im Griechischen entspricht dem alt-
deutschen Ero, Ere, „Erde" era, ere in der formel-
haften Verbindung era-re „zur Erde" unb in
der Zusammensetzung erebos „Erdboden", Unter-
welt. Das einfache Wort Boden, ahd. podam,
ist im Griechischen zu pedon umgestellt (vgl. das
oben angeführte Theilopedon) und so in die
Reihe der neutralen auf cm auslautenden
Stämme übergetreten. In erebos liegt es ver-
kürzt vor.
Veline die Erdgöttin aus 1"ell-u8 — T'Hell-
Hüs ist das Haus (ahd. hüs) der Göttin Hel,
ahd. Kella, got. halja, nhd. Hölle. Ihr Gatte ist
der dem bahr. „Heller" oder „Höller" (— Teufel)
entsprechende Tellusmo (aus T’ell-us-mo) d. i.
„der Mann" (Dial. Mo, vgl. lat. mo in
ne-mo niemand, ahd. nieman) des weiblich, als
Göttin gefaßten Erdenhauses. Bei Homer heißt
dieses „A(w)idos Domos", der später sog. Hades.
Dieser Form entspricht das ags. hellewite, altnord,
helviti, dän. helvede „die Hölle". Es ist also
für das Urgriechische eine Form Halvides voraus-
zusetzen. Auch die Skythen verehrten eine Göttin
Tabiti, d. i. T'Abiti (T'Avidi aus T'Halvidi,
vgl. altnord, helviti); nach Herodot war es die
Herdgöttin. Herd und Erde aber, wofür im
Ahd. auch öfters herda steht, waren anfänglich
nicht von einander verschieden. Wegen . ns —
ahd. hüs (in T-ell-üs) vgl. dom-us, eine tauto-
logifche Zusammensetzung, deren erstes mit ahd.
hüs, ags. hos — got. hansa, „Schar" gleichbe-
deutendes Glied dom — nd. Tüm, Tom „Zucht.
Nachkommenschaft, Familie" ist; daher dom-inus
eig. der Sippenälteste, der Familienvater.
Endlich erklärt sich durch Vorschlag des Artikels
der griechisch-lateinische Ausdruck Tartaros, ältere
Nebenform Tartara, aus T’art-ara, d. i. das
Erdenhaus, die Erdenhalle. Das Be-
stimmungswort ist das schriftdeutsche Erde, in
den Mundarten auch Art- in Zusammensetzungen,
vgl. fränk. Artapfel — Erdapfel. Das Grund-
wort aber ist das in Schwaben, Franken, Thü-
ringen und Hesien noch heute wohlbekannte, in
der Schriftsprache verschollene E r e n, Arn, Ärn,
dän. arne, altnordisch arin, ar Hausflur, Haus,
Halle. Herdstätte. Für Haus bezw. Halle wird
es in der angelsächsischen Dichtersprache gebraucht;
vgl. slaepern Schlafsaal, gästern Gasthaus u. a.
und das griechische Megaron. Nebenform Me-
ga ra, d. i. eig. der große Saal, die große Halle
des griechischen Fürstenhauses. Es ist also tartara
gleichbedeutend mit Tellus, dem Hause der Todes-
göttin Hel, und dem homerischen Ausdrucke
A(w)idos Domos, dem Hause des Hades.
Als einen Hauptzeugen gegen meine Deutung
des Bergnamens Taunus führt endlich Dr. Haas
den uns durch den griechischen Geographen Ptole-
mäus überlieferten Ortsnamen Artaunum ins
Feld. Früher bezog man ihn auf eines der Grenz-
kaftelle, welche die Römer auf dem Taunus an-
legten. Gegenwärtig neigt man der Ansicht zu,
daß es das durch bedeutende römische Funde und
römische Inschriften, auf denen cives Taunenses
erscheinen, wohlbekannte Heddernheim sei. Für
diese Ansicht spricht deutlich der Name selbst;
denn mit der so gewöhnlichen Umstellung der Laute
t und r ist er aus Harthöhnheim oder Hart-
haunheim entstanden. Hart ist ja, wie Haas
selbst bemerkt, ein überaus verbreiteter Ausdruck
für Wald, insbesondere Gemeindewald, in dem
man die Herde auf die gemeine Weide trieb.
Sinngleiche Benennungen sind die vielgedeuteten
Namen- Haßberg, im Volksmunde „Hos-
berg". Hundsrück und Katzenberg.*) Sie
dienten als „Menweide", wie sich das z. B. für
den Katzenberg bei Alsfeld, der nicht weniger als
vier Ortschaften (nämlich Fackenrode, Seipelsdorf,
Ohmes und Ruhlkirchen) umfaßt bestimmt nach-
weisen läßt. Sie gehörten als Allmendbesitz der
„Ganz" oder Gesamtheit, der Hanse oder „Hos"
und den danach benannten Chatten, Katzen, Hassen
oder Hessen, den eine Hundschaft bildenden Hunde-
hessen. Zu dieser Erkenntnis habe ich mich bereits
vor einem halben Jahre durchgerungen, wie meine
Aussätze in Nr. 110 der „Gießener Familienblätter"
vom 17 Juli d. I. mit dem Titel: „Die Herkunft
des Wortes Hanse und seine Beziehung zu dem
Namen der Hessen" und in Nr. 26 der Wochen-
beilage der „Darmstädter Zeitung" vom 29. Juni
1912: „Der Name der Hessen", endlich in Nr. 47
der Münchener „Propyläen": „Die altbayerische
Sitte des Hoßausläutens" vom 25. August beweisen.
Ich stelle das hier fest, da Dr. Schoos in dem
erwähnten Aufsatze (vgl. „Hessenland" Nr. 22,
zweites Novemberheft 1912), offenbar ohne meine
Ausführungen zu kennen, sich zu der gleichen An-
schauung bekennt, freilich ohne den Zusammen-
hang mit dem Namen der Hessen, Hunde-Hessen.
Chattwaren oder Attwaren, die in den ältesten
Zeiten Kant- oder Kentwaren hießen, zu ahnen.
*) Über einen weiteren gleichbedeutenden Ausdruck s. des
Verfassers Schrift „Das altrömifche Arvallied ein ur-
deutsches Bittganggrbet". Würzburg 1908, unter „Alten-
berg" grirch. AltiS, AlfoS, S. 70.
SE. 362
Mit diesen Hinweisen und Andeutungen muß ich
es hier bewenden lassen.
So spricht auch der vermeintlich „keltische", in
Wirklichkeit urdeutsche Name Artaun, der in
römischem Munde und nach echtrömischer und noch
heute geltender italienischer Sprechweise den Hauch-
laut im An- uud Inlaute eingebüßt hat, also
aus Harthaun — Harthöhe. d. i. Wald-
höhe, Waldgebirge, hervorgegangen ist, somit trefflich
zu der Benennung der benachbarten Waldgebirge,
des Spessartes (Spechtshartes) und der pfäl-
zischen Haardt stimmt, nicht gegen, sondern
für meine Deutung des Namens Taun — die
Höhe.
Die Gründung und Jugendzeit des Kasseler Ärztevereins.
Bortrag, gehalten im Ärzteverein zu Kassel am 1 Oktober 1913.
Bon Dr Adolf Alsberg.
(Schluß.)
Darauf wurde am 11 Mai von der Kom-
mission ein ausführlicher Satzungsentwurf
sämtlichetl Kasseler Ärzten zugesandt, der auch
einen Boranschlag über die zu erwartenden
Ausgaben enthielt. Der Boranschlag, bei dem
ausdrücklich ein hoher Maßstab angelegt wurde,
dürfte auch heute noch von Interesse sein.
Es wurde angesetzt die Lokalmiete mit 60
Talern, die Heizung mit 20, Beleuchtung mit
10 und Aufwartung mit 12, im ganzen also
102 Taler Man rechnete auf eine Teilnahme
von 16 Mitgliedern, von denen jedes einen
monatlichen Beitrag von 17 Albus zu be-
zahlen haben würde. Es sei aber zweckmäßig,
diese Summe um einige Albus zu erhöhen,
damit man im Laufe der Zeit einige Inventar-
stücke (Bücherschränke) anschaffen könne. Die
Satzungs-Beratung sollte am 2. Juni im
Sitzungszimmer des Obermedizinalkollegiums
stattfinden. Nach Durchlesung des Satzungs-
entwurfs stellten sich bei Dr. I. Grandidier
sen. mit Rücksicht auf seine Jahre und seinen
Gesundheitszustand allerlei Bedenklichkeiten ein,
die ihn vom Beitritt abhielten, während Dr.
Döring erklärt, daß er vorderhand Zeitmangels
wegen nicht beitreten könne. In der Sitzung
vom 2. Juni wurde dann der Satzungsentwurf
mit einigen nicht unwesentlichen Änderungen
angenommen. Die hauptsächlichste Änderung
bestand darin, daß der ursprünglich sechs-
gliederig gedachte Vorstand (Vorsteher, Sekre-
tär und Bibliothekar mit je einem Stellver-
treter) dahin vereinfacht tvurde, daß der Sekre-
tär und Bibliothekar die gesamten Vereins-
geschäfte leiten sollen. Im übrigen möchte
ich aus den Satzungen nur einige Punkte
herausgreifen. Hauptzweck der Gesellschaft ist
die Befestigung des kollegialischen Verhält-
nisses, Austausch der gegenseitigen Erfahrungen
und Ansichten, sotvie deren Benutzung für das
Beste der Heilkunde. Atlßer den als ordentliche
Mitglieder aufgenoinmenen graduierten Ärzten
konnten Wundärzte, Beterinärärzte und Phar-
mazeuten als außerordentliche Mitglieder auf-
genommen werden. Am 1 Donnerstag eines
jeden Monats sollte von 6—8 Uhr abends
eine allgemeine Versammlung stattfinden, in
der die Angelegenheiten der Gesellschaft be-
sprochen, von den Mitgliedern Originalauf-
sätze, passende Auszüge oder Kritiken neuerer
Schriften usw. vorgetragen werden konnten.
Ferner sollte über den herrschenden stationären,
epidemischen und endemischen Krankheitscha-
rakter und über wichtige Krankheitsfälle Be-
ratung gehalten werden. Außer diesen Ver-
sammlungen war aber das Gefellschaftslokal
jeden Abend von 6—8 Uhr zu zwanglosen Zu-
sammenkünften geöffnet, die nur einer freund-
schaftlichen Besprechung über wissenschaftliche
und praktische Gegenstände sowie der Ansicht
der vorhandenen literarischen Neuigkeiten ge-
widmet sein sollten.
Sehr schön sagt der § 9: Es würde über-
flüssig sein, für einen Verein von gebildeten
Männern Gesellschaftsregeln über das zu be-
obachtende Benehmen hinzuzufügen. Sollte
indes unglücklicherweise ein Mitglied durch Ver-
letzung des gebührenden Anstandes der Gesell-
schaft wesentlich Anstoß geben, so behält sich
dieselbe hiermit die Ausschließung vor, für
welche jedoch in solchen Fällen mindestens 3/i
der absoluten Stimmenzahl sich erklären müßte.
Zum Sekretär wurde Mangold, zum Bib-
liothekar Neuber gewählt.
Bis dahin war also die Organisation der
Gesellschaft ziemlich flott gediehen. Dann aber
stellte sich ein Hindernis entgegen, da man
Schwierigkeiten hatte ein passendes Lokal zu
finden. Unter dem 12. Juli stellt Mangold
zwei Lokale zur Wahl. Das erste im „Hof
von England" in der damaligen Elisabether-
straßc, jetzigem Steinweg gelegen, gehörte dem
363 SE-
Gasthalter Scheffer. Es bestand aus einer
Stube im ersten Stock, an der weiter nichts
auszusetzen gewesen sei, als der übel gelegene
von der Hofseite kommende Eingang. Der
Preis des Zimmers betrug einschließlich der
Möbel, Reinigen des Zimmers, Einheizen und
Lichtanzünden 60 Taler. Das zweite Lokal
befand sich im ehemaligen Roux'schen Haus
am Opernplatz und bestand aus einer geräu-
migen parterre gelegenen Stube. Der Preis
betrug 70 Taler. Mangold schlug vor die Er-
öffnungssitzung erst im September abzuhalten,
da bis dahin beinahe ein Drittel der Mitglieder
abwesend sei. Man sieht, daß auch damals der
Hochsommer von vielen Ärzten zu einer Reise
benutzt wurde. Obwohl sich die in Kassel an-
wesenden Ärzte sämtlich für das zweite Lokal
entschieden, geht aus den Akten hervor, daß
man nachher das Lokal im Hof von Eng-
land gemietet hat. Die Sitzungen, über die
Protokolle nicht vorliegen, scheinen aber im
Anfang doch nicht gleich allzu gut besucht ge-
wesen zu sein, denn am 8. November bringt
Mangold eine ökonomische Angelegenheit durch
Rundschreiben zur Abstimmung, „da es sich
bis jetzt noch nicht habe fügen wollen, daß an
einem Abend eine solche Anzahl Gesellschafts-
mitglieder gegenwärtig war, daß bei einem
über die ökonomischen Angelegenheiten von
der Gesellschaft zu ergreifenden Beschluß dieser
als im Sinn der Majorität gefaßt betrachtet
werden könnte" Es handelte sich dabei wieder
um die Beitragsfrage. Er wollte vorschlagen,
daß von jedem Mitglied ein Taler Eintritts-
geld erhoben würde, um mit dem hierdurch
gesammelten Betrag einen Teil der Bibliotheks-
schuld an Dr. Neuber abzutragen. Der Rest
der Schuld sollte dann später in kleineren
monatlichen Summen beglichen werden. Er
schreibt darüber mit etwas eigenartiger Logik
„Wenn es auch auf diese Art etwas lange
dauern könnte, bis die ganze Schuld abgetragen
wäre, so wird doch Herr Dr. Neuber diese Art
der Abtragung umso weniger unbillig finden,
als er selbst die Auslage ebenso in abgebroche-
nen Zeiträumen zu machen hatte."
Aus dem Schreiben geht dann weiter her-
vor, daß eine Anzahl Mitglieder der Lesege-
sellschaft der Ärztegesellschaft nicht angehörte,
denn es wird vorgeschlagen, die Kosten für
Einbände usw. auch auf sämtliche Mitglieder
der Lesegesellschaft gleichmäßig zu verteilen.
In einer Nachschrift macht dann Mangold einen
neuen Kostenvoranschlag, wonach die Einnah-
men mit 120 Talern eingestellt waren, während
die Ausgaben auf 92 Taler festgestellt wurden.
Mit dem Überschuß sollten dann die Kosten
für Inventar usw. gedeckt werden, sodaß man
auf das Eintrittsgeld verzichten konnte.
In Wirklichkeit kam es nachher darauf
hinaus, daß vierteljährlich von jedem Mitglied
2 Taler bezahlt wurden, ein für damalige
Zeiten gewiß außerordentlich hoher Betrag.
Aus einer Notiz vom 11 März 1824 geht
hervor, daß sich inzwischen eine kleine Mei-
nungsverschiedenheit zwischen den Mitglie
dern herausgebildet hatte. Die einen legten
mehr Wert auf wissenschaftliche Lektüre, wäh-
rend die anderen sich lieber Unterhalter:
wollten. Man einigte sich dahin, daß der Mon-
tag, Donnerstag und Sonnabend der Unter-
haltung, Dienstag, Mittwoch und Freitag der
Lektüre gewidmet werden sollte. Aber schon
nach einjährigem Bestehen der Gesellschaft muß
sich der anfängliche Eifer etwas gelebt haben,
denn in der Versammlung vom 30. September
1824 wurde beschlossen, nur mehr an 3 Abenden
in der Woche zusammen zu kommen, und
zwar sollte der Dienstag der Lektüre, der
Donnerstag und Sonnabend der allgemeinen
Unterhaltung vorbehalten sein. Mit dem Ende
des Jahres 1824 hören nun die aktenmäßigen
Notizen von der Hand Mangolds fast ganz
auf, und man ist genötigt, sich Aufschluß über
das weitere Vereinsleben aus den Rechnungs-
belegen zu holen. Da ergibt sich beispielsweise,
daß man es im Herbst 1829 für zweckmäßig
hielt ein gemeinschaftliches Abendessen zu ver-
anstalten, denn unter den Ausgaben findet sich
ein Posten von einem Taler und 17 guten
Groschen, der dem Kellner bei dem Abendessen
für Aufwartung, Tabak und irdene Pfeifen
bezahlt wurde. Die Sitte der gemeinschaft-
lichen Abendessen scheint auch in den nächsten
Jahren weiter bestanden zu haben. Am 16.
September 1832 lesen wir in einem Rund-
schreiben des Medizinalrats Stracke, der in-
zwischen das Amt des Sekretärs übernommen
hatte
„Im vergangenen Jahr unterblieb das gemeinschaft-
liche Mahl der Mitglieder der ärztlichen Gesellschaft
hauptsächlich wohl deshalb, weil bei dem letzten Essen
die allgemeine Stimmung nicht so heiter schien, als cs
in früheren Jahren der Fall gewesen war. Unterzeich-
neter ladet deshalb die verehrten Mitglieder der Ge-
sellschaft nach dem Wunsch mehrerer derselben zu einem
vom Gastwirt Scheffer wie die früheren zu veranstal-
tenden Abendessen auf Sonnabend, den 22. d. M. ein,
um nach mancher ernsten der Kunst gewidmeten Unter-
haltung der jüngsten Zeit in dem geschlossenen Vereine
der Mitglieder einen blos der freundlichen Seite des
Lebens gewidmeten Abend hinzubringen."
364
Die Anspielung auf die ernsten Unter-
haltungen der jüngsten Zeit scheint mir eben-
falls aus den Rechnungsbelegen eine Auf-
klärung zu finden. Ende des Jahres 1832
herrschte in Kassel die Cholera und während
dieser Zeit hat man sich offenbar, wie aus
einer Extrarechnung des Gastwirts hervorgeht,
wieder wie in der ersten Zeit allabendlich
in den Räumen der Gesellschaft versammelt,
wohl um die Erfahrungen über den Stand
der Epidemie auszutauschen. Ob das Paket
Tabak und die Pfeifen, die am 29. und 31 Ok-
tober mit 6 guten Groschen in Rechnung gestellt
sind, nur der geistigen Anregung gedient haben,
oder ob man damals noch geglaubt hat, im
Tabaksrauch ein Präservativ gegen die Cholera
zu sehen, wage ich nicht zu entscheiden.
Auch auf sozialem Gebiete hat sich der Ver-
ein betätigt. Im Jahre 1831 wurde auf An-
regung von Mangold eine Einrichtung ge-
troffen, die als „Speiseanstalt für dürftige
Kranke und Wöchnerinnen" bezeichnet wird.
Wir haben uns darunter aber nicht etwa eine
wirkliche Anstalt, wie die jetzt eingegangene
Krankenküche, vorzustellen, sondern eine Ein-
richtung nach Art der noch heute bestehenden
Wöchnerinnen-Speisung. Es sollte sich eine
Anzahl Hausfrauen bereit erklären, einmal
wöchentlich einen erkrankten Armen mittags
mit Speise zu versehen. Um einen Mißbrauch
zu verhüten, war für die Bedürftigen eine
Bescheinigung des Stadtphysikus oder des Ar-
menarztes nötig.
Die Geschäfte der Gesellschaft waren bis zum
Jahre 1830 von Mangold geleitet worden.
Von 1831 bis 1837 war Dr. Stracke Sekretär
und vom Jahre 1837 an Dr. Grandidier Als
Bibliothekar war der bewährte Neuber bis
zum Jahre 1837 tätig. In den letzten Jahren
seiner Amtsführung müssen sich allerlei Miß-
stände bei der Zirkulation der Zeitschriften
herausgestellt haben, auf deren Abstellung der
im Jahr 1835 in den Verein eingetretene
Dr. Stilling in einem langen Entwurf zu
einer Neuordnung des Lesezirkels drängte. Das
neun Folioseiten lange Schriftstück zeigt uns
Stilling schon als den eifrigen und gründlichen
Mann der Wissenschaft. Im Grunde stimmten
ihm die meisten Mitglieder zu, nur Neuber
ist offenbar gekränkt, pocht auf seine 20jährige
Führung eines nicht ganz unmühsamen Ge-
schäftes und schließt mit den Worten, der
Stillingsche Plan scheine ihm ebenso wenig
allgemein ausführbar, als die noch nirgends
nachgemachte Gefäßdurchschlingung. Das war
eine kleine Bosheit gegen Stilling, der sich
wissenschaftlich mit der Frage der Organisa-
tion der Gefäßthromben beschäftigte und zum
Zweck der Blutstillung bei größeren Gefäßen
statt der in der damaligen Zeit gefährlichen
Benutzung von Unterbindungsfäden seine Ge-
fäßdurchschlingung angegeben hatte.
Vom Jahre 1837 an hat C. Grandidier die
Geschäfte des Sekretärs, Stilling die des Bib-
liothekars wahrgenommen. Damit waren die
beiden eigentlichen Gründer und führenden
Männer der ersten Zeit von ihren Ämtern zu-
rückgetreten. Lassen Sie mich deshalb mit
diesem Zeitpunkt meine 'kleine historische Studie
schließen. Über medizinische Großtaten habe
ich Ihnen nicht viel berichten können, aber
ich hielt es doch für zweckmäßig, uns einmal
die Gründung und Jugendzeit unseres Vereins
ins Gedächtnis zurückzurufen, umsomehr, als
wir nur noch zehn Jahre vom hundertsten
Geburtstag entfernt sind.
------------------
Kasseler Theater.
3u Schillers Geburtstag bescherte uns die Hosbühne
eine Neueinstudierung des „Fi es ko" Es ist das
dankbar anzuerkennen. Denn sicherlich paßt auf dieses
Fugendwerk Tiecks Wort: „Man entdeckt in ihm die
Fülle echten dramatischen Talents, die Fülle jenes thea-
tralischen Instinkts, der vor unsern Augen und unserer
Phantasie alles in Leben und Tätigkeit setzt." Gewiß,
die Einheitlichkeit ist in dem Drama gestört: Verrina
kehrt zu Doria zurück und die Bürgertugenden in Fiesko
wirken paradox. Aber der dramatisch vollendete Aufbau,
die markige — nur ab und zu im Jugendeifcr verstiegene —
Sprache, die Treffsicherheit der Rede unhf — nicht
zuletzt — die Tendenz, die allen Frühdramen Schillers
innewohnt, sichern dem Stück dauernd Leben und tief
greifende Wirkung. Es ist ja modern geworden, SchÄler
abzukanzeln wie den ersten besten Dichterling.
Herman Grimm ihm im Goethefanatismus die dichte»
rische Bedeutung abgesprochen und, ohne auch nur einen
Beweis zu versuchen, seine persönliche Ehre verunglimpft
hat seit Julian Schmidt mit seinen Absprechereien Lo-
thar Buchers Abwehr herausforderte: „Wenn ein Volk
eine solche Versündigung . duldet, ohne den Tätern
in jeder gebildeten Gesellschaft die Tür zu weisen, da
verdient es seinen Verfall," — seitdem fühlt sich jeder,
der das kritische Handbeil führen darf, berechtigt, ihm
das Konzept zu korrigieren. Einer seiner Biographen
durfte sein Werk mit dem Geständnis beginnen, er sei
einer der größten Schillerhasser gewesen, und Fritz Mauth-
ner schrieb bei Besprechung des Verses: „Den schlechten
Mann muß man verachten, der nie bedacht, was er voll-
bringt" die bemerkenswerten Worte: „Der denkende
Dichter, den sein Denken von der dramatischen Pracht
der Räuber bis zu den Maskenreden der Braut von
Messina geführt, findet das Vollbringen nur schön,
9mtn> 365 s«we>
wenn es reichlich bedacht, d. h. beschwatzt und bepredigt
ist." Und schon um den Grimm, Julian Schmidt, Brahm,
Mauthner kongenial zu erscheinen, stimmt der Chor der
Meinen und Kleinsten ein. Rur das Publikum folgt ihnen
nicht. Es läßt sich die Pracht Schillerscher Rede nicht
als bombastisch'verekeln und ist ungebildet genug, an den
Schillerschen Jugendwerken mit Herz und Seele zu hängen.
Es schaut mit rmmer wachsendem Interesse der kunst-
vollen Struktur und dem unaufhaltsam fortschreitenden
Zuge der Handlung, der kristallklaren Charakteristik der
Persönlichkeiten zu und bewundert den genialen Former
historischer Stoffe auch in diesem Erstlingswerk.
Die Aufführung entsprach in allen Stücken der Ver-
ehrung, die der Dichter fordern kann. Herr H e r tz c r
hatte mit Umsicht und feinem Verständnis die Regie
geführt. Herr Hahn gab den Fiesko mit feuriger Ver-
innerlichung, scharf umrissen, prächtig individualisiert,
Frl. Feldhofen war eine rührende weichherzige
Leonore, Frl. G ö r l i n g eine eindrucksvolle, meister-
lich ausgestaltende Julie Jmperiali, der Mohr des Herrn
Jürgensen ist noch immer eine vorbildliche Leistung
auf dem Gebiete künstlerisch-vollendeter Charakterisierungs-
kunst, Herr Zschokke gab den Giannetino mit bestem
Gelingen, tvie Schiller ihn vorschreibt: „rauh und an-
stößig, bäurisch-stolz, die Bildung zerrissen" __ Herr
Bohn 6 e war als Verrina der „ernste und düstre Re-
publikaner", eindrucksvoll und kraftvoll, und nur Frl.
S t o r m, deren große Begabung auf anderm Gebiet
liegt, fand zu deren Betätigung nicht den rechten Platz.
Zwei Talentproben zweier bisher unbekannter, junger
Autoren hat uns sodann die Hofbühne beschert. das
dreiaktige Schauspiel „Mutter" von Ellinor Krossa
und „Die große Stunde", Drama in einem
Aufzuge von Karl Tietsch.
„Mutter" gibt vielfach markante Beweise starker dra-
matischer Begabung, trägt aber die unverkennbaren Merk-
male einer Erstlingsschöpfung. Der junge Offizier von
Werkenthin hat sich in die Frau des Rittmeisters von.
Falkenberg, Sophia, verliebt und findet Gegenliebe. Er
will sie bewegen, sich scheiden zu lassen, um ihm ganz
anzugehören. Nach schweren inneren Kämpfen aber siegt
in ihr die Mutterliebe. Sie kann und will ihre Tochter
nicht verlassen. Hat sie doch selbst die Leiden eines mutter-
losen Kindes erduldet, da ihre eigene Mutter dem Ge-
liebten folgend ihr Heim verließ. Das alles aber ge-
schieht — leider - vor Beginn des Stücks und >vird uns
nur aus Erzählungen kund. Werkenthin erschießt sich.
In dem trefflich aufgebauten ersten Akt, der lebhaft inter-
essiert und mit warmer Anteilnahme erfüllt, erfahren
tvir seinen Tod. Werkenthin hat einen Brief an seine
Mutter hinterlassen. Diese eilt an die Bahre des Ver-
storbenen und nimmt für ihren kurzen Aufenthalt bei
Sophia Wohnung. Aus dem Abschiedsschreiben ihres
Sohnes, der auch einige Zeilen für die Geliebte enthält,
erfährt sie die Gründe zum Selbstmord. In einer präch-
tig gestalteten Szene stehen sich die beiden Mütter gegen-
über: die eine, die in Mutterliebe handelnd, den Tod
des Geliebten herbeigeführt, die andere, die in dem Ver-
zicht Sophias nur die Veranlassung zum Selbstmord des
Sohnes sieht. Feindlich wendet sich die alte Baronin
von Werkenthin ab. Sie will sofort das Haus verlassen.
Auch die Mitteilung, daß die Kleinstadt bereits von
einem Verhältnis zwischen Sophia und ihrem Sohne
munkle und daß ihre zur Schau getragene Feindseligkeit
den Ruf der Frau von Falkenberg vollends vernichten
müsse, rührt die in ihrem Mutterschmerz Unerbittliche
nicht.
Bis hierher ist die Handlung folgerichtig geführt und -
bis auf den verfehlten Aktschluß des ersten Aufzuges —
auch dramatisch wirksam. Jetzt plötzlich, etwa inmitten
des ztveiten Aktes schlägt das um. Jetzt wird das
Drama, das wirklich „Furcht und Mittleid" erregte, zu
einem sentimentalen familienblättlichen Rührstück. Jetzt
müßte das Werk nicht mehr „Mutter", sondern „Tochter"
heißen. Richt die Liebe der Mutter zum Kind, sondern
die des Backfischs zur Mutter führt die Lösung herbei.
Die junge Erna hat von den Gerüchten gehört, die über
ihre heiß geliebte Mutter schwirren. Da diese unzugäng-
lich ist, wendet sie sich seltsamerweise an die alte Baronin
und besiegt durch ihren Liebreiz, durch ihre Verehrung
für die Mutter, durch ihren Schmerz den Haß und den
Zorn. Frau von Werkenthin öffnet Sophia ihre Arme,
veranlaßt sie zu offener Aussprache mit dem Gatten,
stellt das Glück der Falkenbergschen Ehe wieder her und
tritt auch den Gerüchten entgegen, indem sie sich mit
dem Paare öffentlich zeigt
So ist des Stückes Wert nicht einheitlich. Auf eine
vortreffliche Exposition, auf eine straff fortschreitende
Handlung, die den Knoten außerordentlich geschickt schürzt,
folgt eine schwächliche Lösung. Jedenfalls aber zeigt
die Verfasserin eine nicht gewöhnliche Begabung, die
durch die Aufführung ermuntert zu haben, ein Verdienst
der Intendantur ist. Einzelheiten, die den Mangel an
Vertrautheit mit der Technik der Bühne verraten, tvie
Monologe, langes stummes Sviel usw., wird Ellinor
Krossa künftighin leicht vermeiden. Man wird der
Weiterentwicklung dieses Talentes mit Interesse ent-
gegensehen können.
Fräulein G ö r l i n g spielte die Frau von Falkenberg
voll tiefer Innerlichkeit und schmerzlichen Gefühls, lebens-
wahr, eindringlich, wirksam. Frl. S t o r m war ein
prächtiger Backfisch, natürlich, anmutig, sieghaft. Die
alte Baronin des Frl. Scholz war die ergreifende
Verkörperung des Mutterschmerzes, eine wirklichkeitstreue,
innig bewegende Gestalt. Herr B o h n e c spielte einen
aufrichtigen Freund Sophias mit ritterlicher Herzlichkeit,
die etwas stiefmütterlich behandelte Rolle des Gatten
ward von Herrn Hahn vortrefflich wiedergegeben.
In der.zweiten Novität „Die große Stunde" führt
uns Karl Tietsch weniger dramatische Handlung als eine
feinsinnig ausgeführte Studie aus dem Seelenleben
Blinder vor. Zwei junge Menschenkinder, von Geburt an
blind, sind operiert. Im Vorzimmer des Arztes erwarten
sie, daß die große Stunde schlagen wird, da ihnen die
Binde von den Augen genommen und ihnen das Licht
zurückgegeben wird. Sie wissen, entfernen sie den Ver-
band vor der Zeit, bleiben sie unrettbar blind. Sic lieben
sich. Lena fürchtet, daß die Operation mißlingen werde
und sie in der Anstalt zurückbleiben müsse, während
Rudi sehend in die Welt zurückkehren wird. Tausend
widerstrebende Empfindungen durchkreuzen das erregte
Hirn. Rur ein Mal will sie den Geliebten schauen. Sie
reißt die Binde ab und, zuerst ob ihres Tuns entsetzt,
ahmt ihr Rudi nach. Verzückt schauen beide sich in die
Augen, um nach Sekunden höchsten Glücks ewiger Rächt
zu verfallen. Die Glocke läutet zur „Großen Stunde",
die nicht mehr die der Befreiung, sondern die der Ver-
antwortung ist
Das alles erscheint nicht genügend motiviert. Die
folgenschwere Tat gibt sich nicht als Frucht der Not-
wendigkeit, sondern als Folge jugendlicher Unbedacht-
samkeit und leichtfertiger Überschwenglichkeit. Auch der
Autor hat das gefühlt. Er setzt auf den Theaterzettel, daß
Lena 17 und Rudi lil Jahre alt ist. Aber die grausige
Folge der in der Erregung, ohne zwingende seelische
Gründe vorgenommenen Tat, erweckt neben der mit-
fühlenden Anteilnahme in uns Erbitterung und Zorn.
Und das unerbittliche Geschick, das dem Charakter der
9«KL> 366
Handelnden entquellen soll, erscheint mehr ihrer Er-
regung, ihrem jugendlichen Überschwang, ihrer mangeln-
den Überlegung zu entspringen.
Das hindert nicht anzuerkennen, daß Karl Tietsch ohne
Zweifel starke dichterische Qualitäten besitzt. Die über-
zeugende und uns im Innersten sassende Art, mit der
das Seelenleben der Beiden geschildert ist, ihre Sehn-
sucht, ihr Lechzen nach Glück, das keusche Liebesgesühl
und die aufgepeitschte Seele vor der Entscheidung zeigen
einen wirklichen Poeten. Und darum darf man auch von
ihm reife Früchte erwarten. Frl. S t o r m und Herr
U h l i g spielten die beiden jungen Menschen prächtig und
erzielten starken Eindruck. Herr H e r tz e r hatte in beiden
Stücken die Regie mit hingebender Sorgfalt geführt. Frl.
Krossa wie Herr Tietsch wurden mehrfach an die Rampe
gerufen.
Im „ R e s i d e n z t h e a t e r " gab es „ B e l i n d e"
von Herbert Eulenberg. Als der Autor seinen Weg be-
gann, stellte er sich mit seinem „Blaubart" zu der
große» Gruppe der Modernen, die in Perversität
„machten" Man pfiff ihn aus. In „Belinde" ist ja
noch ein Überrest dieser Richtung. der Hyazinth. Aber das
Stück sucht doch mit rein dichterischen Mitteln zu wirken.
Zu diesen sind allerdings die gesucht geistreichelnden Be-
merkungen auf dem Theater z e t t e l (!) nicht zu rechnen:
„Hyazinth, ein Mann vom letzten Adel", „Moritz, ein
schönlicher (sie) Buckel", „die Handlung spielt in Be-
lindes Haus und Herz, gestern, heut und morgen"
Was soll der Kram? Auf der Bühne, nicht auf dem
Programm, soll der dramatische Dichter zeigen, >vas er
kaun. Oder er schreibe Hochzeitscarmina für bürgerliche
Häuser
Belindes Gatte ist, von der Verachtung bedrückt, die
ihm seine Armut eintrug, in die Fremde gegangen und
Belinde hat ihr Herz an „Roger den Jüngling" verloren.
Reich kehrt der Totgeglaubte zu seiner Gattin Entsetzen
heim. In einem amerikanischen Duell mit ihm fällt
Roger. Belinde, die trotz allem den Gatten wieder in
ihr Herz einziehen fühlt, erschießt sich, entsetzt ob der
eigenen Unbeständigkeit. Der Gatte selbst verspricht zu
verhungern. Wir brauchen aber nicht Zeuge der Aus-
führung zu sein
Auf dem Zettel ist nur der Vorname der handelnden
Figuren angegeben. Mit Recht. Denn sie gehören der
allgemeinen Menschheitsfamilie an. Das Besondere ist
ausgelöst äm Allgemeinen, das Individuelle im Gattungs-
charakter. Mehr auf die „Stimmung" kommt es dem
Dichter an, als darauf durch das Handeln der Personen
zu wirken. Und diese Stimmung wird in der Tat durch
die kräftige, eigenartige und formschöne Sprache hervor-
gerufen. Nur schade, daß sie so oft, und zwar auf ihren
Höhepunkten durch Belindens Bruder, ihre groteske Folie,
den närrischen Hyazinth gestört wird. Man hat auf
Shakespeare hingewiesen, der so oft den Fluß des Spiels
in gleicher Weise unterbrechen lasse. Aber von allem ab-
gesehen, das diesen Vergleich ausschließt: ist die häufige
Ablenkung etwa ein Vorzug des britischen Dichters und
wäre es nicht besser, zu versuchen, ihn in dem zu er-
reichen, was ihn vor allen anderen Poeten auszeichnet?
(übrigens ist dieser Hyazinth an sich eine originelle und
wirksame Gestalt.) So machen denn die Figuren, Belinde,
Eugen, Roger, einen unwirklichen schattenhaften Eindruck,
der durch die unzulängliche Art, mit der teilweise gespielt
ward, nicht verbessert wurde. Eulcnberg hält Vorträge,
deren Titel etwa lautet. „Wie ich gespielt werden will."
Soviel ist sicher, wie eine Anzahl der Darsteller ihn
spielten, entspricht seinem Willen nicht. Denn abgesehen
von Frau Lissy Nordau, die eine höchst erfreuliche Leistung
in der Titelrolle bot, die uns zu bewegen und zu fesseln
vermochte, und von Herrn Pick, der aus dem Hyazinth
ein Kabinettsstück humorvoller Eharakteristik machte, ist
der Rest — Schweigen!
H. Blumenthal.
D r Miller.
lAbteröder Mundart.)
Vumm'e' Schwingen des Millrads zäddert" des Huhs,
Mea heart8 drin des dricwcnden* Wassers Gcbruhs.8
Zn d'r Schdoawen8 d'r Miller amm'n' Fenster schdätt,
Beivüget de Libben, als wänn hä bätt' *
„Fest schdätt noch" minn Huhs, un uff echenem" Grund,
De Arwcit doarusf, die healt" mich gesund,
Hart ha ich uff echener Schollen geschafft,
Vumm'e Heimatacker kreag" ich de Kraft.
Ich ha mich vunn freah bis zumm'e Oawed geplackt,
Mänch Foader ha ich dach" uffgesackt,
Ha sälwer immer dän Knächt geschbealt.
Das wiesen de Fieste", vumm'e Schingen verschwealt."
Wie mänchmoal dorchmahlt ich de gähnze Naacht '
Es hät me minn Herz imm'c Liewe gelacht,
Wänn dreawwen imm'e Drichder de Schellen klang
Das gungk so scheene wie Kearchengesang!
Dar Ähle sifszt " sinn
lls där Mchlschdoawcn
Hä schdricht sich äwwer
Wie suer" dach hiede
Rinteln.
Minn Wieb, das hät sich was meat me gequelt!
Me honn de Heller gcschbart un gezehlt
Un München Groschen zerickegelait"
Bärr dän, där unsen Namen trait."
Där äwwer" äß nit meh vum Burenholz,
Värr Knächtesarweit äß hä ze schdolz,
Där Burenkäddel" äß ämme nit rächt,
Un Burenbrot schunn längest ze schlächt.
De Millerarweit äß ämme ze grob.
Minn vearnehmer Sohn hät's heecher" imm'e Kobb.
In Schdäden8' honn se nit Zucht un nit Scham. -
Hä äs; in de Schdaad, das äß unse Gram!
Das did" joa dach noan un nimmer nit goat!
Herrgott, beheat unse Fleisch un Bloat '
Bräng uns dän Jungen wedder zerick,
Derhaime'",derhaimenorwäßt"ämmsinnGlick!"
Herz äß ämm schwer,
klinget de Schällen här.
Gesicht un Hoar,
de Arweit woar!
Helene Drehm.
' Vom. ' zittert. ' man hört. 4 treibenden. 5 Gebraus. * Stube, 1 am, ' betete, * noch. 10 eiftentm, " hielt, " kriegte, " doch, " zeigen die
Fäuste. " verschwielt. " zurückgelegt. '' trägt. '* aber. " BauernkiUel, 80 höher. 81 Städte», 88 tut, “ daheim, “ wächst, ** seufzt. ” sauer.
------------------------------------------------
»ML 367 »ML.
Brandbilder.
Skizze aus dem Werratal
Friedlich liegt das Tal. Vom gleißenden Sommer-
golde ttbersponnen liegt es da, still, feierlich, wie
ein friedlich schlummerndes Kind im schützenden
Mutterarm, das noch nichts ahnt von der Leid
und Sorge tragenden Welt.
Über die falten, prächtigen Ährenfelder streicht
ein erquickender, frischer Wind und läßt die er-
wachsene Saat lustig Hüpfen in nimmerruhenden,
schlängelnden Wogen. Tiefblaue Augen der lieb-
lichen Kornblumen tauchen neugierig auf — ver-
schwinden wieder -
In tiefer Ruhe liegen all die Dörfer inmitten
dieser reichen, sich dehnenden Frühlingspracht, wie
festgeankerte stolze Meeresschiffe, die auf die tändeln-
den, drängenden Saalwellen lächelnd Herabschauen.
Alles atmet Friede — Friede —
Plötzlich quillt dort aus einem der roten Ziegel-
dächer ein armdicker Rauchstrahl hervor. Wie
ein entfesseltes, kleines Gebirgsbächlein aus dem
engen, drückenden Felsenbette, so schießt der Rauch
aus dem Giebel heraus und spielt in der errungenen
Freiheit mit dem behenden Winde.
Stärker wird er, lustiger — quellender. Da —
etwas Gelbes, Blinkendes mischt sich jetzt in den
Rauch, wie ein von kräftiger Faust geschleuderter
blitzender Speer schießt es in die Luft — flammend,
zischend.
Und nun ist kein Halten mehr. Dicker, drohender
wird der wirbelnde Oualm, größer, mächtiger die
Feuerflamme, jetzt teilt sie sich in zwei — drei —
vier Feuerzungen, und schon hat die freie Tochter
der Natur sich ganz der Fessel entrafst. Gierig
lecken die Flammen und Flämmchen an Dach und
Fach, aus allen Ecken und Ritzen schießen sie
zuckend hervor; über das ganze Haus, über das
ganze Dorf legt sich der dicke Gualm wie ein
schwerer grauer Schleier.
Durch die Straßen jagen die aufgeschreckten
Menschen. Feuert — Feuer! dröhnt es in alle
Stuben hinein. Feuer f — Feuer! ruft die Kirchen-
glocke klagend von dem Sandsteinturme herab,
hinein in das aus der liefen Ruhe herausgerissene
Dorf, hinein in all die quellende, schwellende
Frühlingslust.------
Ein Rennen und Jagen, Laufen und Springen,
Rufen und Schreien beginnt. Wagen raffeln,
Ketten klirren. Schon hat eine kühne, Nimmer-
satte Flamme das Nachbarhaus erreicht. Wie ein
blutgieriger Tiger stürzt sie sich auf die frische
Beute.
Aus den brennenden, zusammenbrechenden
Häusern tragen ängstliche, zitternde Menschen
von Wilhelm Pippart.
Stühle, Tische, Betten. Die Angst gräbt in ihre
Gesichter tiefe verzerrte Furchen. In das Schreien
der Unglücklichen mischt sich das Brüllen und
Toben der eingesperrten, bedrohten Tiere. Es
gelingt Waghalsigen, viele von ihnen zu retten.
Ob alle? —
Immer größer wird der Feuerherd.
„Kochend wie aus Ofens Rachen glühn die
Lüste, Balken krachen, Pfosten stürzen» Fenster
klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere
wimmern unter Trümmern."
Fast an jedem brennenden Hause arbeiten drei,
vier Feuerspritzen mit übermenschlicher Kraft daran,
Herr der entfesselten, furchtbaren Gewalt zu werden.
Zischend schießen die hellen Wasserstrahlen in die
Gluten, wie getretene, gisthauchende Nattern zucken
die getroffenen Feuerschlangen auf, milchweiße
Dünste speiend. Mit dem Zusammenbruch einer
jeden Wand, eines jeden Daches steigen die fressen-
den Flammen gierig auf, um sich mit emeuter
Wut auf die gefallene Beute zu stürzen.
Ein Schwarm Neugieriger aus jedem Nachbarort
ist zusammengeströmt, das traurig-wilde Schauspiel
zu betrachten.
Stundenlang überangestrengt arbeitet die Feuer-
wehrmannschast mit erhitzten Gesichtern. Endlich
hat sie der wilden Gewalt gegenüber die Ober-
hand gewonnen; schwächer werden die Feuersäulen,
zu Flämmchen schrumpfen sie wieder zusammen,
klein, kraftlos. Nur in der Mitte des Brand-
platzes lecken sie lustig weiter.
Ein ersticktes Tier, ein Mutterschwein, liegt da,
die beiden Kiefer weit auseinandergerissen, so daß
die Zähne weit hervorstehen. Unter ihm liegt ein
hglbes Dutzend kleiner Ferkel, auch schon benagt
von den Nimmersatten Feuerschlangen. Um die
kohlenden Tierleichen herum häufen sich glühend-
rote Wagenreife, vernichtete Kleidungsstücke, zer-
brochene Pflüge, Eggen, Maschinen, Fenstergitter.
In der Mitte des kochenden Brandherdes schaut
eine halbumgestürzte Wand — grauschwarz —
wie ein Zeichen gefallener Größe aus den siedenden
Dämpfen heraus. Ein Schwalbennest ruht in einer
Mauernische. Es ist unversehrt, nur einige Halme
sind versengt. Ein Schwälbchen sitzt noch wie
nichts ahnend brütend darauf. Das Schnäblein
ist halbgeöffnet, das braune Federkleid geschwärzt,
die sonst klug um sich schauenden Äuglein blicken
starr, mffetzt in die ringelnden, quellenden Rauch-
wolken. Das Schwälblein — es ist tot. Ein
Opfer der Mutterpflicht ist es geworden.
Neben dem Brandplahe liegt der Totenhof.
vm*L 368
Auf die allen und frischen Gräber, auf die knospen-
den Rosenstöcke und auf die vollaufgeblühlen, weil-
duftenden Nelken fliegt die Asche, fallen die halb-
verkohlten Strohhalme. Wie sie so sanft ruhen —
die Toten —, wie sie so hasten und jagen und
sich krtimmen unter den harten Schicksalsschlägen —
die Lebenden.
Zwischen den Gräbern liegen Tische, Stühle und
durcheinander geworfenes Bettzeug. Eine Wiege
steht angelehnt an einem großen weißen Grab-
stein. Sie verdeckt halb die Worte in Goldschrist:
„Hier ruht in Frieden “ Auf einem frischen
Grabhügel, inmitten von Blumen und Sträuchern
sitzt ein junges, blasses Weib, ein Tuch um den
Kopf geschlungen. Die Augen blicken groß und
gläsern auf die rauchende Trümmerstätte. Ein
Säugling ruht süßfchlummernd an ihrer pochenden
Brust.
Nun geht die helleuchtende Sonnenscheibe unter.
Immer mehr und mehr sinkt sie im Westen
in das aufsteigende Nebelmeer hinein, all ihr Gold,
all ihre Pracht nimmt sie mitleidlos mit hinab in
eine andere Welt, zu anderen Menschen. Roter
und glühender wird sie, ganz in Purpur hüllt sie
sich — nun ist sie ganz verschwunden. Aber schon
tritt die Mondsichel geisterhaft aus der Dämmerung
heraus und beleuchtet das Bild des Grausens
und Schreckens. Tiefernst schaut sie hinab.
Die weißen Leichensteine recken sich wie Gestalten
empor, und blitzend durch das Halbdunkel leuchtet
die Goldschrist dicht an der Wiege: „Hier ruht in
Frieden . “
■4SW&-
Aus Heimat und fremde.
G e d e u k t a g.
Am 28. November werden 70 Jahre verflossen sein,
seit der 1805 im besten Mannesalter verstorbene Schrift-
steller Julius W- B r a u n zu Eschtvege geboren wurde.
Julius W. Braun.
Büstc von Heinrich M itzfeldt. dem Schöpser des Klaus Groth.
Denkmals in Kiel.
Bran» ivar, ehe cr fich der Schriftstcllerei zuwandte und
nach Berlin übersiedelte, lange Zeit in .passe! Kaufmann
gewesen. Er Hat sich als Romanschriftsteller und Dramatiker
qetâtigt, bekanntlich wurdc sein Drama „Schiller in Bauer-
bach" 1895 auch ans der passeler Hosbühne aufgeführt.
Sein Lebenswerk aber bildete das von immensem Fleiß
zeugende achtbändige Sammelwerk „Schiller, Goethe und
Lessing im Urteil ihrer Zeitgenossen" (1882—97)., mit
diesem Werke, wie es noch keine andere Nation über ihre
großen Dichter besitzt, hat Braun Wünsche verwirklicht,
wie sie Goethe sowohl als auch Schiller und Lessing
ihrerzeit in Beziehung auf sich aussprachen. Ein weiterer,
etwa 10 Bogen starker Band, „Lessing im Urteil seiner
französischen Zeitgenossen", liegt druckfertig vor, und es
sollte sich doch endlich einmal ein Berleger finden, der
ihn herausbringt. Wir verweisen im übrigen über Julius
W. Braun aus den Jahrgang 1895 des „Hessenland",
Nr. 20.
Hessischer Geschichtsverein. In der
ersten Wintersitzung des Marburger Vereins
am 28. Oktober gedachte der Vorsitzende Archivrat
Rosenfeld zunächst des Verlustes, den der Verein
in den letzten Monaten durch den Tod von vier
Mitgliedern, des Rentners Seippel, des Glaser-
meisters Schippet, des Landgerichtsrats Gleim und
des Buchhändlers Braun, erlitten hat. Insbeson-
dere hob er die Verdienste Brauns als Verleger
von Hassiaca und Gleims als treuen Hessen, der
noch in hohem Alter 1902—1906 als Vorstands-
mitglied dem Verein gedient habe, hervor^ Hier-
aus folgte der Vortrag des Archiv - Assistenten
Dr. Johannes Schultze Landesherr-
liche Teichwirtschaft in Hessen. Der
Vortragende führte aus: Teiche zur Fischzucht sind
in Hessen schon sehr frühzeitig angelegt worden.
1288 wurde von dem ersten hessischen Landgrafen
Heinrich der zirka 100 Morgen große Teich bei
Frankenberg angelegt. Die größte Ausdehnung
erhielt der teichwirtschastliche Betrieb gegen Aus-
gang des 16. Jahrhunderts. Die Söhne des Land-
grafen Philipp, Wilhelm und Ludwig, haben sich
sehr um die Hebung der Fischzucht verdient gemacht.
Niederhessen besaß Ende des 16. Jahrhunderts
zirka 90 landesherrliche Fischteiche mit einem Um-
sange von zirka RA) Ackern. Der Umfang der
tmL 369 vmtb
Teiche des Oberfürstentums Marburg betrug da-
mals zirka 300 Acker. Die Fangergebnisse waren
bisweilen recht beträchtlich, so lieferten die Teiche
des Oberfürstentums z. B. 1557. 426 Zentner
(zu 108 Pfund) Karpfen (30515 Stück) und zehn
Zentner Hechte. Der größte Teil dieser Fänge
wurde von der Hofhaltung konsumiert, die da-
mals einen sehr starken Fischbedarf zeigt. Die
Hofhaltung des Landgrafen Wilhelm in Kassel
berechnet 1585 ihren jährlichen Durchschnittsbedarf
an frischen Fischen auf 700 Hechte, 9000 Karpfen,
1000 Forellen, je 1500 Pfund Barben und Speise-
fische und 150 Pfund Aale. Der dreißigjährige
Krieg brachte auch eine starke Verwüstung der
Fischteiche, deren Spuren erst allmählich in der
Folge wieder beseitigt wurden. Landgraf Karl
befaßte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts
wieder energisch mit der Hebung des Teich- und
Fischereiwesens, aber bei diesen Bestrebungen ist
nicht mehr das Interesse der Hoftafel das leitende
Motiv, sondern das Verlangen, mehr Gewinn zu
erzielen. Und dieses Verlangen nach Gewinn-
steigerung führt nun allmählich bei dem herr-
schenden unrationellen System, bei den mangel-
haften Verkehrsverhältnissen und infolge der im
18. Jahrhundert mehr und mehr eintretenden Ab-
neigung gegen Fischspeise zum völligen Eingehen
der Teiche. Zuerst versuchte man es mit Ver-
pachtung, dann aber schritt man, zumal auch die
Untertanen zur Hebung ihres Viehstandes darum
petitionierten, zur Austrocknung der Anlagen, zur
Wiesenkultur. Den Ansang machten die Schmal-
kaldener Teiche, dann kamen die großen Teiche bei
Heskem und Frankenberg dran, letzterer genau
500 Jahre nach seiner ersten Erbauung. Diese
Entwicklung setzte sich im 19. Jahrhundert fort.
Interessant ist es, daß es bei Wolfhagen und
anderswo um 1748 zu kleinen Rebellionen führte,
als man dem Wunsche der Bewohner, die Teiche
zu Weideland umzugestalten, zunächst Widerstand
entgegensetzte. 1852 gingen auch die großen Teiche
in Niederhessen ein. Die Zentrale war dort der
vom Teichmeister verwaltete Fischhof bei Betten-
hausen. Als dieser 1874 verpachtet wurde und
damit auch die Stellung des Teichmeisters einging,
hatte die alte landesherrliche Teichwirtschaft ihr
vollständiges Ende gefunden. — Dem Vortragenden
dankte hierauf Archivrat Rosenseld im Namen
der Versammlung, die durch ihn auf ein nur
wenig angebautes Gebiet geführt worden sei, für
seinen interessanten Vortrag. - Den zweiten Teil
des Abends füllten Verhandlungen über die
Politik Kurhessens im Jahre 1850,
einerseits die programmäßigen „M i t t e i l u n -
gen" die Professor vr. Busch darüber gab, an-
drerseits die ausgiebigen bezüglichen Erörterungen
aus dem Kreise der Anwesenden. Prof. Busch wandte
sich gegen den Angriff, den wider seinen Vortrag
über Bismarck und Kurhessen und den Ursprung
des Annexionsgedankens (Skizze in den „Mit-
teilungen des Hess. G.-V.", Jahrgang 1911/12,
S. 45 f.) I. M. in den „Hessischen Blättern" (Nr.
3955 vom 19. März 1913) gerichtet hat, dann
knüpfte er an eine Würdigung des Buches von
W. Hopf, Kurhessens deutsche Politik im Jahre
1850 (Marburg 1912), eine Besprechung des Kamp-
fes. den der Kurfürst und Hassenpflug gegen die
unter Preußens Leitung geschlossene „Union"
deutscher Staaten führte, wie der gleichzeitigen
Anfänge des hessischen Verfassungsstreites. Eine
Wiedergabe seiner Ausführungen zur Abwehr und
zur Kritik kaun hier unterbleiben, da sie den In-
halt eines Aufsatzes in Band 47 (1913) der Zeit-
schrift des Vereins für Hess. Gesch. bilden werden,
der in einigen Wochen ausgegeben werden wird.
Hervorgehoben sei nur, daß der Vortragende das
ungewöhnliche Interesse des Hopfschen Buches an-
erkannte. Es bringe neue wertvolle Materialien
aus Hassenpflugs Nachlaß (vermittelt durch Vil-
mar) in vollständiger Wiedergabe, aber, wenn man
nicht in der Anschauungswelt Hopfs befangen sei,
dem seine Auffassung als Glaubenssatz gelte, komme
man zu entgegengesetzten Ergebnissen, insbeson-
dere werde die herrschende Beurteilung der aus
Beseitigung der Union gerichteten Politik Hassen-
pflugs bestätigt, für die Haltung Preußens gegen-
über Kurhessen gebe das Buch neue Nachrichten.
Ohne Verständnis für die großen Zusammenhänge
werde Hopf der Persönlichkeit Hassenpflugs nicht
gerecht, indem er sie in Rosafarbe male; ohne
Erfolg suche er, noch ganz in der Gedankenwelt
des deutschen Bundes festgebannt, am Schluß die
Haltung des Kurfürsten in der deutschen Frage
zu verherrlichen. Für die Stellung Preußens zum
hessischen Versassungsstreit brachte Prof. Busch
manches aus gedrucktem Material zu dem von
Hopf gebrauchten hinzu, das Bild Friedrich Wil-
helms IV., die Zerfahrenheit der Berliner Regie-
rung erscheine noch trüber als früher, ihr gegen-
über Hassenpflug ausgerüstet mit aller Klarheit
und àast, er wußte, dies Preußen bellte, aber
biß nicht. — Dem Vortragenden dankte Archivrat
Rosenfeld für seine auch den Lesern des Hopfschen
Buches wertvollen Ausführungen. — Weiter er-
griff Geh. Oberregiernngsrat Hassenpflug,
ein Sohn des Ministers, das Wort, um „ohne
Animosität" einiges auf Grund der Papiere seines
Vaters mitzuteilen. Schon 1849 habe ihn, den
damals preußischen Oberappellationsgerichtspräsi-
denten, der Kurfürst durch Herrn von Eschwege
brieflich sondieren lassen, ob er grundsätzlich ge-
neigt sei, wieder einen hessischen Ministerposten
anzunehmen. Hassenpflug habe abgelehnt in Er-
innerung der 1837 bei seiner Entlassung erfah-
renen Behandlung. Anfang 1850 war der Kurfürst
zur Entlassung des Ministers Eberhard entschlossen
und wünschte nur vorher des rechten Ersatzmannes
sicher zu sein. Durch den Major von Haynau rich-
tete er einen Appell an den hessischen Patriotis-
mus Hassenpflugs, indem er ihm die schwierige
Aufgabe, die seiner wartete, darlegen ließ. Es
habe sich, so führt Redner aus, in den verfahrenen
VWL- 370 ««wöj
unteren Verhältnissen darum gehandelt, wer hier
Herr sein solle, der Monarch oder die Stände-
kammer? Dem Kurfürsten sollte das Recht der
Wahl seiner Minister genommen werden, in diesen
Kamps sei Hassenpflug eingetreten. Der Redner
verwahrte sich dagegen, daß er in der kurzen Zeit
seit Empfang der Einladung sich vielleicht nicht völlig
habe orientieren können. Bon Geheimrat H a r t -
w i g wurde später daran erinnert, daß sofort nach
der Berufung des Ministeriums Hassenpflug die
Ständekammer erklärt habe, dieses Ministerium
sei im Widerspruch mit einer landesherrlichen Ver-
kündigung (vom 11. März 1848) bestellt, wonach
der Kurfürst darauf Bedacht nehmen wolle, bei der
Besetzung aller Ministerien Männer dazu zu be-
rufen, die das Vertrauen des Volkes genössen.
Bezüglich der Steuerverweigerung, die die Stände
beschlossen, weil ihnen kein Budget vorgelegt wurde,
vertrat der Redner die Meinung, der Minister
habe nicht dazu reizen wollen, sondern die Stände
hätten selbst daraus hingedrängt. Er ergänzte es
später dahin, der Finanzminister Lometsch sei nicht
fähig gewesen ein Budget auszustellen, Hassenpslug,
in Frankfurt abwesend, habe nicht in die Lücke
treten können, deshalb nur die Forterhebung der
Steuern für September erbeten. Als die Steuer-
verweigerung erfolgt sei, als das Urteil des Ober-
appellationsgerichtes gegen die Regierung entschie-
den habe, hätte nach Ansicht des Ministeriums,
daS andernfalls seine Entlassung forderte, die Ver-
legung der Regierung erfolgen müssen. Für ihren
Sitz sei Anfangs Bockenheim, später Wilhelmsbad
bei Hanau in Aussicht genommen worden, der
Weg über Hannover sei gewählt worden, weil König
Ernst August Hilfe zugesagt hatte, die er dann
doch nicht gewährte, als er hörte, daß es sich nur
um einen Streit mit Beamten („Bcamtenrevo-
lution") handle. Dafür wollte er seine Soldaten
nicht hergeben. — Gegen diese Auffassung wurde
später von Prof. Busch bzw. Geh. Rat H a r t -
w i g eingewandt, daß bei dem begreiflichen Miß-
trauen der Kammer die Vorenthaltung eines Bud-
gets den Anlaß zur Steuerverweigerung gab, und
nicht bloß in Hessen wurde darin eine Anreizung
dazu gesehen. Wenn Geh. Rat Hassenpslug den
Weggang des Kurfürsten von Kassel nicht als Flucht
bezeichnet wissen wollte, sondern darin eine not-
wendige Maßregel gegenüber der Gehorsamsver-
weigerung sah, wollte Prof. Busch zwar die Dar-
stellung von Sybels preisgeben, er erkannte an,
daß ein wohlerwogener Plan zum Gehen vom
Redner dargelegt sei (über Hopfs Darstellung
hinaus), aber er stellte in Zweifel, ob nicht ein
Verbleiben des Kurfürsten in Kassel besser ge-
wesen wäre. Geh. Rat Hartwig wies darauf hin,
daß der ganz geheime Aufbruch tief in der Nacht
unter der herrschenden Spannung natürlich als
Flucht bezeichnet worden sei, betonte, daß die
Fahrt nicht nach einem Platz im Lande, sondern
nach Hannover gerichtet gewesen, dort der Gedanke
an die Fahrt nach Berlin beim Kurfürsten aufge-
taucht und allein von Vilmar abgewendet worden
sei, daß nach feiner Kenntnis alles unvorbereitet
geschehen ist. — Von großem Interesse war die
Mitteilung des bisher unbekannten Programms
Hassenpflugs für die äußere Politik vom 11. Janu-
ar 1850 durch Geheimrat Hassenpslug. Es ging
auf Beseitigung der Union, auf Erhaltung der
Selbständigkeit Kurhessens und auf eine Verlänge-
rung des provisorischen Zustandes in Frankfurt,
der die Wiederbelebung des Bundestags vorbe-
reiten sollte. Der Minister habe, so führte der
Redner aus, nicht das Verhältnis zwischen Preußen
und Österreich stören, sondern unter ihrem Zu-
sammenwirken ein einiges Deutschland herstellen
wollen. Sein Eifer gegen die Union beruhe daraus,
daß er gefürchtet habe, Preußen werde durch Ver-
steifung auf einen Sonderbund, eben die „Union",
die Einigung Deutschlands verhindern. Demgegen-
über sprach dann Pros. Busch aus, daß Programm
und Politik ganz den Gedanken der mittelstaatlichen
Politik entsprochen habe, wie sie sonst am besten
durch den bayrischen Minister von der Pfordten
vertreten worden sei. Danach sollte keine der
beiden Großmächte zur Vorherrschaft gelangen.
Prof. Busch betonte in seiner Erwiderung das hohe
Interesse der verlesenen Denkschrift vom 11. Ja-
nuar 1850, ferner der Mitteilung, daß der Mi-
nister Willens gewesen sei, auf dem Boden der
Verfassung zu bleiben. Im weiteren Verlauf er-
gänzte er noch, aus Grund von v. Gerlachs Tage-
büchern, daß Friedrich Wilhelm IV danach selbst-
verständlich dem Kurfürsten habe Unterstützung ge-
währen sollen, nicht um Hessen Preußen enger zu
verbinden, sondern aus doktrinärem Gegensatz
wider die konstitutionellen Gedanken. In einer
kurzen Bemerkung betonte Vizebürgermeister a. D.
S i e b e r t die starke gegen Hassenpslug sofort her-
vortretende Abneigung und den entschiedenen Wi-
derstand weiter Kreise im Geleise der Kammerbe-
schlüsse. Er selbst als Apothekergehilfe habe damals
die 21/2 Groschen monatlicher Steuer, die aus ihn
gefallen seien, verweigert. — Am Schluß dankte
der Vorsitzende allen, die zu den interessanten Er-
örterungen beigetragen hatten, und teilte mit, daß
die nächste Sitzung des 19. November der Jahr-
hundertfeier gewidmet sein solle. Professor
Busch werde einen auch für weitere Kreise be-
stimmten allgemein gehaltenen Bortrag über
dasJahr1813 halten. Endlich erinnerte Ober-
regierungsrat a. D. Firnhaber daran, daß am
28. Oktober 1863, also vor gerade fünfzig Jahren,
die kurhessische Gerichtsverfassung eingeführt wor-
den sei.
Am 31. Oktober, dem 128. Todestag Landgraf
Friedrichs II., ermöglichte der Kasseler
Verein seinen Mitgliedern den Besuch der Gruft
des bekanntlich unter dem Hochaltar der Elisabeth-
kirche bestatteten Fürsten. Nachdem der Vorsitzende
General E i s e n t r a u t einige erklärende Erläute-
rungen vorausgeschickt, stieg man truppweise in die
nur vom Garten aus zugängliche schmucklose Gruft,
871 smb
deren von schwarzem Sammet überzogener, auf
Steinunterlagen ruhender Sarg die Gebeine Fried-
richs birgt, während ein daneben befindlicher, von
Holz umkleideter Zinnkasten das Herz des Land-
grafen enthält. Der weißgetünchte Raum wurde
durch eine Anzahl Kerzen erhellt, die an den Wänden
hingen und auf hohen Leuchtern den Sarg umgaben.
Sodann machte man von der Erlaubnis Gebrauch,
das eindrucksvoll wirkende Innere der 1776 voll-
endeten Kirche zu besichtigen, die Simon Louis
Du Ry selbst für sein bestes Werk erklärte und die
u. a. wertvolle Schöpfungen des älteren Tischbein
und Nahls enthält. Von der Kirche aus begab man
sich zum nahen Vortragssaal in der Landesbiblio-
thek, der sich rasch bis auf den letzten Platz füllte'
Hier entwarf General E i s e n t r a u t in mehr als
einstündiger Rede ein tiefdurchdachtes, Licht und
Schatten objektiv verteilendes Lebensbild Fried-
richs II., das bei aller oberflächlichen Genußsucht
im Stile des Rokoko
doch auch wieder I
durch die tiefe Tra- *
gif des jäh zerrisse-
nenFamilienlebens
unsere Sympathie
weckt. Zwanzig-
jährig mit der Toch-
ter des englischen
Königs vermählt,
hatte der Prinz
wenig Gelegenheit,
sich die Achtung
seiner Gemahlin zu
gewinnen. Schon ,
das nächste Jahr Tafel zur Erinnerung an den Überfall von
rief ihn in den österreichischen Erbfolgekrieg. Und
auch, als er 1747 nach mancherlei Kämpfen auf dem
Kontinent und in Schottland zurückkehrte, waren
seine ehelichen Verhältnisse keine erfreulichen. Trotz-
dem erwuchsen der Ehe drei Prinzen. Als dann
1754 sein längst vollzogener, in seinen Gründen noch
ziemlich rätselhafter Übertritt zur katholischen Reli-
gion bekannt wurde, war der schwer bekümmerte
Vater vor allem bestrebt, das Land vor den mut-
maßlichen Folgen zu schützen und den Sohn zu
verhindern, irgend welchen späteren Einflüssen in
Bezug auf die Religionsverfassung des Landes zu
erliegen. Frau und Kinder wurden vollständig von
ihm getrennt und diesen in den Assekurationsakten
die vorläufig von der Mutter verwaltete Graf-
schaft Hanau-Münzenberg angewiesen. Friedrich
selbst ging nach Hamburg, wo er wieder den öster-
reichischen Einflüssen preisgegeben war. Auch in
Hersfeld, wohin ihn der Vater deshalb schickte,
suchte die feindliche Partei den schwankenden Charak-
ter des Prinzen für sich zu gewinnen. Schließlich
erklärte sich Friedrich der Große bereit, auf den
jungen Prinzen, den er zunächst zum Gouverneur
von Wesel machte und dann während des sieben-
jährigen Krieges in seinem schlesischen Hauptquar-
tier bei sich behielt, einzuwirken. Das geschah mit
solchem Erfolg, daß Friedrich bei seinem 1760 er-
solgten Regicrulmsantritt alle weiteren Versuche
der katholischen Mächte abwies. Er zeigte sich als
milder und in Bezug auf die Religionsausübung
durchaus toleranter Herrscher. Sein einziger gegen-
teiliger Versuch, die Hanauer Klausel der Asseknra-
tionsakte zu bekämpfen, mißlang. Redner schilderte
dann eingehend die glänzende, schon von der Mitwelt
bewunderte Gestaltung, die Friedrich II. seiner Resi-
denz durch architektonisch wertvolle Bauten und
durch die hervorragende Förderung der Künste und
Wissenschaften gab, um sodann den 1776 geschlos-
senen Subsidienvertrag mit England einer ein-
gehenden Kritik zu unterziehen, die zugleich eine
Kritik der keinestvegs einwandfreien Berichte Seu-
mes bildete und diese Handlungsweise des Fürsten,
der weit davon entfernt gewesen sei, seine Truppen
als Kaufobjekt zu betrachten, nach Kräften zu ent-
lasten suchte. Kurz vor seinem Tode hatte der Fürst
noch die Freude, sich
mit seinen Söhnen
auszusöhnen. Die
Gattin war in-
zwischenverstorben,
und seine zweite Ehe
mit einer Tochter
des Markgrafen
von Brandenburg-
Schwedt blieb kin-
derlos. Er selbst
starb am 81 Okto-
ber 1785 kurz nach
dem Mittagsmahl
an Schlagfluß im
Wanfried am 1».April 1818 ts. e. 372). Schlosse zuWeißen-
stein. Seine meist von Tischbein gemalten Bilder
zeigen ihn als einen bildschönen, kräftigen Mann
von milden Gesichtszügen. Und so wird er, so schloß
der Redner seine außerordentlich beifällig aufge-
nommenen Darlegungen, bei allen Fehlern, die
sein Charakter zeigte, fortleben, und sein Volk wird
sich nicht durch die von fremder Seite kommenden
Schmähungen beirren lassen.
'Am Herrenabend des Kasseler Vereins am
3. November berichtete Bibliothekar vr. Lange
über das 50 jährige Jubelfest der Oberlausitzer Ge-
sellschaft für Altertumskunde in Görlitz, dem er
als Vertreter des hiesigen Geschichtsvereins beige-
wohnt hatte, und über die dabei vorgenommene
Aufdeckung einer Anzahl Urnengräber, hieran
knüpfte der Vorsitzende General E i s e n t r a u t
Mitteilungen über Urnenfelder in Hessen. Rech-
nungsdirektor W o r i n g e r schilderte hierauf die
Vorgänge in Kassel vom Abzüge der Russen unter
Tschernitscheff bis zum Einzug des Kurfürsten Wil-
helm I. (3. 10.—21 11. 1813). Kaufmann K l e e -
mann hatte ein äußerst seltenes Flugblatt aus
dem Ende des Jahres 1813 dargeliehen, das zur
Verlesung kam. Rechtsanwalt D e l l e v i e machte
Angaben über Marschall Bernadotte, worauf der
Vorsitzende über die Anwesenheit des Prinzen Na-
372 rM«L-
poleou, Sohn des Königs Jérôme, in Berlin (1305)
berichtete. Anknüpfend an einen im Zweigverein
Marburg gehaltenen Vortrag über die Teichwirt-
schaft in Hessen wies der Vorsitzende sodann aus die'
an der Jgelsburg im Ahnatal belegenen alten
Teiche und deren wahrscheinlichen Zusammenhang
mit den Befestigungen der Jgelsburg hin. Schließ-
lich schilderte Rechnungsdirektor W o r i n g e r den
Verlauf der 50 jährigen Jubelfeier der Schlacht bei
Leipzig in Kassel am 18. 10. 1863, was den älteren
Mitgliedern zu einem lebbhasten Austausch von
Erinnerungen Anlaß gab.
MarburgerHoch schul Nachrichten. Am
15. November fand die endgiltige Immatrikulation
für das diesmalige Wintersemester durch den der-
zeitigen Rektor Geh. Justizrat Prof. Dr. T r a e g e r
patt. Die Gesamtsumme der Studierenden beträgt
ohne Hörer 2176 einschließlich 159 Frauen. Im
letzten Winter waren es rund 2080 und im letzten
Sommer 2404. Es studieren Theologie 208, Juris-
prudenz 330, Medizin 516 Männer rmd 23 Frauen,
Philologie 963 Männer und 136 Frauen. —Dem
ord. Professor der philos. Fakultät vr. T r o e l t s ch
wurde der Rote Adlerorden 4. Klasse verliehen, dem
deutschen Teilnehmer der Kochschen Grönland-Expe-
dition Privatdozent vr. AlfredWegener vom
König von Schweden das Ritterkreuz des Danebrog-
Ordens persönlich überreicht. — vr. Paul R oh -
m e r habilitierte sich mit einer Vorlesung über
„Ziele und Wege der Säuglingsfürsorge" — Der
Inspektor des Botanischen Gartens S i b e r tritt
am 1. Januar in den Ruhestand.
Ans Wanfried schreibt man uns: Wanfried ehrt
seine toten Helden aus der Zeit vor hundert Jahren gut.
So kam am 18. Oktober in der schönen Kirche gotischen
Stils eine wappengeschmückte Steintafel zur Enthüllung,
die die Namen der hessischen Kämpfer unserer Stadt aus
den Jahren 1813—15 der Nachwelt für alle Zeiten ver-
künden soll. Auch am 9. November gedachte man der
Männer, die an dem Stadtüberfall am 18. April 1813
hervorragend beteiligt waren; es sind der Parteigänger
Major Friedrich Hellwig, Führer der tapferen
Freischar, und die erschossenen Bürger Hohmann und
Gottsleben. Zum Gedächtnis des kühnen Reiter-
stückleins kam eine über den runden Torbogen des Rat-
hauses eingelassene massige zirka 25 Zentner schwere
Sandsteintafel, die einen schreitenden Löwen, das Bild
von Mut und Kraft, zeigt, zur feierlichen Enthüllung.
Zu beiden Seiten des Löwen stehen die Worte: „Am
18. April 1813 überfiel der Freischarenführer Major
Hellwig mit seinen Husaren die feindliche Besatzung
Wanfrieds und nahm sie gefangen. Für diesen kühnen
Reiterstreich zeichnete sein König den Helden als ersten
mit dem eisernen Kreuz erster Klasse aus." Die prächtige
Tafel, die Schöpfung einer Schülerin des Bildhauers
Sautter-Kassel, ist eine hervorragende Zierde unseres
Werrastädtchens, ein wohlgelungenes Werk der hessischen
Heimatkunst und schmiegt sich in Form und Farbe innig
an ihre Umgebung an. vr. Gebhard hielt die Weihe-
rede. Oberst z. D. Hellwig-Kassel, der als Ehrengast er-
schienen war, übergab mit trefflichen Worten die Tafel
jedem einzelnen Bürger als Eigentum. Bürgermeister
Keßler übernahm das Geschenk im Namen der Stadt.
Während des Festessens kamen Gedichte zur Deklamation,
die die Geschichte vor hundert Jahren behandelten. (Ver-
fasser Lehrer Pippart). Auch legte Germania vor dem
blumenumrahmten Bilde des Freiheitshelden einen Lor-
beerkranz nieder. An den moosüberwucherten Gräbern
der ermordeten Bürger Hohmann und Gottsleben hielt
Pfarrer Siebert den beiden Opfern eine ergreifende Ge-
dächtnisrede voller Wehmut und Schmerz, aber auch
voller Hoffnung. So gab der Feiertag am 9. November
unserer hessischen Werrastadt eine besondere Bedeutung.
Personalien.
Verliehen: dem Kreistierarzt. Veterinärrat Schnepel
zu Rinteln der Kronenorden 3. Klaffe; dem Medizinalrat
vr. Cauer zu Schlüchtern und dem Steuerfekretär. Rech.
nungSrat Steiner zu Marburg der Rote Adlerorden
4. Klasse; dem Kreisrentmeistrr Pfalz graf zu Schlüchtern
und dem Hüttendirektor Herbst zu Laasphe der Kronen-
orden 4. Klasse; dem Erfinder der Heißdampflokomotive
vr.ing.Schmidt zu Kassel der Charakter als Geh. Baurat.
Geborenr ein Sohn: vr. ineä. Fritz und Frau
Emily Vogt lKaffel. 7. November); Direktor Prof. Vie.
H. Vollmer und Frau geb.Ahlefeld (Hamburg. 11. No-
vember) ; Leutnant Braun und Frau Marie geb. Spring-
mann (Kassel, 13. November); Karl Scheller und Frau
(Ziegenhain, 15. November); - eine Tochter: Erwin
Schindler und Frau Margarethe, geb. Armbrüster
(DeutschordenSgut. Marburg. 1. Nov.); Pfarrer Schmidt
und Frau Theodolinde, geb. Clarner (Oberweimar. 3. No-
vember) ; Gustav P i n g e l und Frau Amalie, geb. Göbel
(Bitterfeld, 10.November); Oberleutnant d. R. des Husaren-
Regiments Hessen-Homburg Lothar v. Hake und Frau
Emma, geb. Freiin v. Doernberg-Herzberg (Schloß Beiroda
bei Liebenstein. 12. November); Professor vr. N e u m a n n
und Frau Johanna, geb. Kautsch (Marburg. 13. November).
Gestorben r Hotelbesitzer Joseph Witze! aus Fulda.
78 Jahre alt (College Point. N. ?).); Leutnant im 2. Garde-
Ulanen-Regiment Hans-Rudolf Wild ». Hohenborn.
25 Jahre alt (Schierke. I. November); Ferdinand HaS.
40 Jahre alt (Hamburg. 3. November); Fräulein Emmh
K n i l l e. 82 Jahre alt (Kassel. 3. November); Journalist
Friedrich Herrmann. 66 Jahre alt (Kassel, 3. November);
Forstmeister Julius R u p p e r t. 85 Jahre alt (Marburg.
4. November); Frau Hedwig HaS, geb. Bintz. 32 Jahre
alt (Hamburg. 9. November); Frau Marie E i f e n t r a u t.
geb. Plate. Gattin des Generalmajors z. D. (Kassel. 10. No-
vember); Frau Minna Steinbach, geb. Teichmann.
54 Jahre alt (Kafiel. 12. Novbr.); Lehrerin a. D. Auguste
Schütte. 71 Jahre alt (Kassel. 12. November); verw.
Frau Sophie v. Gilsa, geb. d'Orville, 83 Jahre alt
(Kafiel. 13. November); RechnungSrat a. D. Ernst Scheele.
84 Jahre alt (Kassel. 14. November); Kaufmann Konrad
Röhle. 57 Jahre alt (Kafiel. 14. November); Frau Mag-
dalrne G i e d e. geb. Wagner, 76 Jahre alt (Giedenhof bei
Grebenstein. 15. November); Oberamtsrichter Nispel.
erster Vorsitzender deS VogelSberger HöhenklubS. 30 Jahre
alt (Schotten. 16. November); Frau Hella Schöneweiß,
geb. Rocholl (Asuncion, 16. November); Frau Bertha Rabe,
geb. Pötter. Witwe deS MittrlschullrhrerS, 68 Jahre alt
(Kafiel. 17. November).
Tragekaften.
Fragen.
5. Gibt es eine Rekonstruktion der ehemaligen Kloster-
kirche zu Breiten au und wo ist sie zu finden?
Hildesheim. vr. Gerland
Antworten.
4. Ist erledigt. — 5. In einem Beitrag A. Holtmeyers
zu Chr. Rauchs „Hessen-Kunst" 1907. Die Redaktion.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. — Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
Hefsenland
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 23. 27. Jahrgang. Erstes Dezember-Heft 1913.
Zur Solksstimmung bei der Verleihung der Kurwürde.
Mitgeteilt von Landesbibliothekar Dr. W. Hopf.
Landgraf Wilhelm IX. hat sich lange Zeit
um die Kurwürde bewerben müssen und nur
seiner zähen Ausdauer ist es zu verdanken, daß
er dies heiß ersehnte Ziel wirklich erreicht hat
Dem entsprechen denn auch die Feiern, die auf
den Befehl des Kurfürsten im ganzen Land,
von Kassel bis zum kleinsten Dorf, am 15. und
22. Mai, teilweise auch noch am Geburtstag
Wilhelms, am 3. Juni, gehalten wurden und
für die allgemeine Bestimmungen erlassen wor-
den waren. Darnach sollte der festliche Tag
überall durch Glockengeläute, Gottesdienst, wo
möglich Festmahl und Ball, sowie Bewirtung
der Armen begangen werden.
Der für den Gottesdienst vorgeschriebene
Text steht im Psalm 118, 24: ,Hies ist der
Tag, den der Herr macht, laßt uns freuen
und fröhlich drinnen sein" Die Auslegung
dieser Worte war noch dahin umschrieben, daß
auseinandergesetzt werden sollte, worin die
Pflichten und Tugenden eines Regenten be-
stehen und „wie sehr wir Hessen Ursache haben,
Gott für das Glück zu danken, der uns einen
mit all diesen Tugenden glänzenden Fürsten
zum Regenten geaeben hat, dessen große Eigen-
schaften durch Mitteilung der Kurwürde all-
gemein anerkannt worden sind"
Es wäre hochinteressant, wenn im einzelnen
festgestellt werden könnte, in welcher Stimmung
eigentlich die Bevölkerung diesem Ereignis und
den angeordneten Festlichkeiten gegenüberstand.
Leider fehlt aber dafür fast alles Material,
da die Zeitungen jener Zeit keine den regieren-
den Kreisen unerwünschten Nachrichten und
Bemerkungen bringen durften und sich fast
durchweg auf die Mitteilung der tatsächlichen
Vorgänge beschränken. Eine zweite in Be-
tracht kommende Quelle sind Tagebücher, von
denen mir aber nur ein einziges aus dieser
Zeit bekannt geworden ist, nämlich das Tage-
buch <des Kasseler Kaufmanns Gottlieb Sattler
Ich verdanke die Auszüge daraus freundlichen
Mitteilungen des Herrn Direktor Woringer
Sattler hat die wichtigsten, unsere Stadt
und das Land berührenden Vorgänge aufge-
zeichnet und an mehr als einer Stelle auch
eigne Bemerkungen hinzugefügt Und wenn
man diese als Widerhall der allgemeinen Auf-
fassung ansprechen darf, dann ist die Freude
und Befriedigung im Volk nicht minder groß
gewesen als am Hofe — denn er bezeugt aus-
drücklich, daß jedermann froh und vergnügt
gewesen sei. Seine Mitteilungen erstrecken sich
natürlich nur auf die Festlichkeiten in der
374
Residenz, für deren Verlauf er auf das in den
Archiven Niedergelegte verweist ; sie sind heute
durch die verschiedenen Darstellungen genugsam
bekannt. Interessant sind die Aufzeichnungen
Sattlers über die Illumination, die von abends
Vs9 bis morgens Vs3Uhr gedauert hat und einen
Rückschluß auf die Dauer der übrigen Festlich-
keiten in der Stadt zuläßt. Daß alles ohne
Unglück abgelaufen ist, findet besondere Er-
wähnung. Wie groß die Anstrengungen waren,
die für die Illumination gemacht wurden,
geht daraus hervor, daß er gemeinsam mit
seinem Nachbar Heinrich Ludwig 864 Lampen
mit je 3 Liter Baumöl am Hause brannte;
den Mittelpunkt der Beleuchtung ihres Hauses
bildete ein Sinnbild, das Hermann II. darstellt,
wie er von der Jagd kommt und die Göttin
Minerva und den Ruhm vor einem Opferaltar
erblickt. Diese Veranstaltung verursachte ihnen
im ganzen 129 Rtlr 4 Alb. 6 Gr- Kosten,
so daß auf jeden 64 Rtlr 18 Alb. 3 Gr.
entfielen. Als gewissenhafter Hausvater ver-
zeichnet er auch die Kosten, die ihm durch Be-
such vom 14.—18. Mai an Essen, Wein, Kaf-
fee und allem übrigen entstanden sind, mit
20 Rtlr 13 Alb. 9 Gr., so daß er insgesamt
85 Rtlr. für diese Feierlichkeiten aufgewendet
hat, ein Betrag, der gewiß als recht hoch be-
zeichnet werden darf.
Im einzelnen war freie Hand gelassen,
die Feier nach den örtlichen und sonstigen
Verhältnissen zu gestalten. Aus dem Rahmen
der natürlich meist ähnlich verlaufenden Feiern
hebt sich die zu Obersuhl heraus, wo der
Kandidat Raßmann dem Ganzen das Gepräge
gab und, nachdem er sich in feierlichem Zug
aus seiner Wohnung hatte abholen lassen, in
großem geschlossenen Kreis feierlich folgendes
Lied vortrug, das von ihm nach dem Muster
des studentischen Landesvaters, der auch die
Weise hergab, verfertigt worden war und dessen
3 letzte Zeilen jeweils vom Chor - ganz nach
dem Vorbild - wiederholt wurden
Ernste Stille!
Jeder fülle
Voll den Becher bis zum Rand!
Hoch erklinge, deutsche Söhne,
Hoch in vollem Chor ertöne
Jetzt ein Lied dem Vaterland!
Wilhelm lebe!
Ihn erhebe
Brüder unser Rundgesang!
Fürsten, die in ihren Staaten
Erste sind an edlen Thaten,
Solche Fürsten leben lang!
Wilhelm lebe!
Ihn erhebe
Brüder euer Rundgesang!
Er, der ehret gute Thaten,
Treu regieret seine Staaten,
Der gerecht und gütig ist.
Wilhelm lebe!
Ihn erhebe
Brüder euer Rundgesang!
Der am Ruder seiner Staaten
Steht und der durch gute Thaten
Liebe zeigt dem Vaterland'
Reicht zum Bunde
Dieser Stunde
Euch die biedre deutsche Hand!
Schwört vor Gottes Angesichte,
Schwört's bei diesem Sonnenlichte,
Treu zu seyn dem Vaterland!
Besonderes Interesse verdient wohl die Tat-
sache, daß bei diesem Fest die uns heute ge-
läufige Nationalhymne wenigstens mit ihrer
Weise ihren Einzug ins Hessenland gehalten
hat. Sie stammt bekanntlich aus England,
wo sie 1745 zum erstenmal öffentlich gesungen
worden ist. Tie Weise hat dann gegen Ende
des 18. Jahrhunderts ihren Weg nach dem
Festland, nach Frankreich, Holland und Deutsch-
land gefunden. Der Text wurde ursprünglich
in weitgehender Übereinstimmung mit dem eng-
lischen übertragen, dann aber je nach Bedarf
veränderten Verhältnissen entsprechend umge-
arbeitet. Die älteste dieser Nachdichtungen ist
die preußische, die in engem Anschluß an eine
in Flensburg zum Geburtstag König Chri-
stians VII von Dänemark 1790 von Heinrich
Harries vorgenommene Umdichtung von Bal-
thasar Gerhard Schumacher für preußische Ver-
hältnisse zurecht gemacht wurde; sie übernimmt
von den acht Strophen der Harries'schen Dich-
tung nur fünf und beschränkt sich im übrigen
von den 8 Strophen der Harries'schen Dich-
tung nur 5 und beschränkt sich im übrigen
darauf einige sprachliche Verbesserungen an-
zubringen und den Namen des damaligen
Preußenkönigs Friedrich Wilhelm II einzu-
setzen. Gedruckt ist die Hymne in dieser Form
zum erstenmal in der Spenerschen Zeitung vom
17 Dezember 1793 mit der Bezeichnung. „Ber-
liner Volksgesang. God save the king." Un-
terzeichnet ist das Lied mit „Sr" wie Schu-
macher — der sonst dichterisch nicht hervor-
getreten ist — seinen Namen gern abkürzte.
Gesungen wurde das Lied zum erstenmal am
25. September 1795, dem Geburtstag Fried-
rich Wilhelms II., im Berliner Nationaltheater.
Bei den engen Beziehungen, die zwischen
Hessen und Preußen bestanden, kann es nicht
§sas<6 375
überraschen, daß das Lied — das seine große
Verbreitung erst nach den Befreiungskriegen
gefunden hat — schon bald in unser Land
übertragen worden ist. Es ist — so viel ich
bisher habe feststellen können — bei den Feier-
lichkeiten im Mai 1803 zum erstenmal hier
aufgetaucht, natürlich war es auch hier zu-
nächst die leichtfaßliche Weise, die aufgenom-
men wurde, und mehrfach — z. B. in Mel-
sungen — wissen die Festberichte davon zu er-
zählen, daß die Weise dieses englischen Volks-
liedes, wie es noch immer bezeichnet wurde,
gespielt worden ist. Es hat aber auch nicht an
Versuchen gefehlt, das Lied mit einem passen-
den Text hier einzuführen.
So wurde in Wanfried am 22. Mai in der
Kirche nach der Predigt nachstehendes die Emp-
findungen der treuen Wanfrieder ausdrücken-
des Volkslied gesungen.
Segne Gott! unsern Herrn,
Wilhelm den guten Herrn,
Heil unserm Herrn!
Der uns den Frieden gab,
Wenn Krieg und Tod und Grab
So manches Land umgab,
Heil Hessens Herrn!
Laß lange, lange noch
Kurhessens Vater doch
Sein Volk regier'»,
Weil er den Frieden liebt,
Uns Ruh' im Lande giebt,
Und wir durch Ihn beglückt
Uns seiner freun.
Daß dieses Volkslied — wir verbinden ja
mit diesem Begriff heute eine etwas andere
Vorstellung — eben erst für diesen Zweck ver-
fertigt worden ist, zeigt die Bezeichnung „Kur-
hessen" und die wiederholte deutliche Bezug-
nahme auf die kaum überwundenen kriegerischen
Zeiten. Im übrigen verrät das Lied, dessen
„Dichter" wohl in Wanfried selbst zu suchen
ist, mehr Treue und Anhänglichkeit an den
Kurfürsten als dichterische Begabung.
Dasselbe gilt von einer zweiten Fassung,
die uns aus Eschwege überliefert ist, wo das
Lied ebenfalls in der Kirche von den um den
Altar stehenden Kindern nach der Melodie des
englischen Volksliedes: Gott erhalte den König
gesungen wurde
Gott, unserm Kurfürst Heil!
Dem Landesvater Heil!
Dem Kurfürst Heil!
Von Sorgen ungetrübt,
Von seinem Volk geliebt.
Herrsch' Er noch lang beglückt!
Dem Kurfürst Heil!
O Herr, dich bitten wir,
Gesegnet stets von dir:
Erhalt' uns Ihn.
Der Bürger, der Ihn ehrt,
Die Freyheit sey Ihm werth,
So singt ein jeder froh:
Dem Kurfürst Heil!
Fern sey, o Gott, sein Ziel,
Daß noch des Guten viel
Durch Ihn gescheh!
So herrsch' er froh und frey,
Ihr Brüder bleibt Ihm treu,
Und singt vereint Ihm Heil!
sDem Kurfürst Heil!j
So geringfügig das Material auch sein mag,
und so vorsichtig das Fehlen abweichender
Stimmen im Hinblick auf die gesamten Zeit-
verhältnisse auch bewertet werden darf, so mag
doch die Annahme zutreffen, daß die Verlei-
hung der Kurwürde von der Bevölkerung eben-
so mit Freude und Befriedigung aufgenommen
wurde, wie das natürlich bei Wilhelm und
seinem Hofe der Fall war Und so wird es
wohl auch den tatsächlichen Verhältnissen und
der wirklich vorhandenen Stimmung ent-
sprechen, was die in Gotha erscheinende „Na-
tional-Zeitung der Teutschen" am 9. Juni
1803 berichtet, daß nämlich die Feierlichkeiten
in Kassel und Hessen „mit anständiger Würde
und teilnehmenden Herzen" begangen worden
seien.
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Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde II.
Kuhleiche, Leuchlberg, Lifcheid, Leihgestern.
Von vr. W i l h e l m S ch o o f, Hersfeld.
Wenn man von Biedenkopf nach Breitenbach
durch den Altenberg wandert, kommt man unter-
halb des Himmelborns auf eine Höhenfläche mit
Schutzhütte, die den seltsamen Namen Kuhleiche
führt. Der Laie ist unwillkürlich versucht, an eine
Itud-Isiolie, d. h. üne etwa hier verendete Kuh,
vielleicht auch an eine Kuhl-eiche, d. h. eine «kühle
Eiche" zu denken. In der Tat findet sich der
Ort in den Führern als „Kühle Eiche" erklärt.
Für den Eingeweihten, der die Prinzipien der
Namengebung kennt, ist eS jedoch von vornherein
unwahrscheinlich, daß ein Waldort, sofern er der
älteren Zeit angehört, nach solchen zufälligen oder
nebensächlichen Ursachen benannt sein soll, ihm ist
trnttL 376 smE,
eS bewußt, daß der Sinn, den unser naives Sprach-
empfinden damit verbindet, erst einer neueren volks-
etymologischen Umdeutung zuzuschreiben ist.
Da es mir an urkundlichen Belegen für diesen
Waldort fehlt, muß die ortsübliche Aussprache
zur Deutung des Namens herhalten. Diese lautet
Külaich neben Kuläiche mit Betonung der ersten
oder zweiten Silbe. Durch den in der Nähe ge-
legenen Hirnrnelborn und üirnrnelbach werden
wir auf die Vermutung gebracht, daß, da die mit
Himmel gebildeten Namen in der Regel gute Weide-
plätze bezeichnen '), in dem Wort Kuhleich eine Be-
nennung enthalten sein muß, die mit dem be-
nachbarten üimrnelhorn, also mit der alten Weide-
wirtschaft, in Beziehung stehen muß. Es ergibt
sich demnach die Trennung Kuh-leich als wahr-
scheinlich. Flurnamen mit Lud als Bestimmungs-
wort finden wir häufig, nicht nur in Hessen der
Kuhberg (bei Kassel, Lauterbach, Hassenhausen,
Amöneburg, in der Rhön usw.), der Kuhrain
(bei Rüdigheim), der Kuhgraben (bei Oberaula),
die Kuhmark (Wald und Feld bei Hachborn), der
Kuhwald (bei Ebsdorf und bei Himmelsberg),
die Kuhute (bei Roda), die Kuhalte (Wald bei
Ruhlkirchen), der Kuhbrunnen (bei Erfurtshausen)
die Kuhbachswiese (bei Ruhlkirchen), der Kuh-
rainsacker (bei Himmelsberg), der Kuhteich (bei
Emsdorf und bei Todenhausen, Kr. Ziegenhain),
die Kuhmannsheide (jetzt Hof bei Melsungen),
auf der Kuhohl und auf dem Kuhschwarz* 2 *)
(bei Langenstein), in dem Kuhwanst0) (bei Treis-
bach) usw. Sehr häufig findet sich der Kuhweg
als Triebgasse zur Weide.
Hierzu kommen noch zahlreiche Umdeutungen
und dialektisch gefärbte Bildungen wie Köhberg (bei
Ebsdorf), der Kuchweg (bei Hermershausen), der
tolle Kuchsweg (bei Dodenhausen, Kr. Franken-
berg), die Kochwiesen (bei Anzefahr), in den
Küchenäckern (bei Halsdorf). Küchenberg4 * *) (bei
Kirchhosbach und bei Stadt Brückenau). Kochs-
berg (bei Burghofen), Kuchenberg (bei Laubach,
in der Nähe Ziegenkopf, "Gaulskopf, Winter-
berg, Seesenkopf, sämtlich nach der Weidezucht
benannt), sogar kalte Küche (in Thüringen),
Pfannkuchen (bei Sarnau und im Nassauischen)
und Eierkuchen (in Thüringen*), Küchenge-
') Vgl. dazu meine Abhandlung über Himmel und
Hölle in deutschen Flurnamen (Fuld. Gesch.-Bl. 1913.
Nr. 8 ff-.
*) Vgl. dazu den nasi. Flurnamen auf der Schwarz.
*) Wahrscheinlich umgedeutet auS die (auch das) Wann —
Grenze. Flur oder aus ahd. wanc campus, Feld. Ebene.
4) So auch Küchenhai (= Kuhgrhege) Forstort im
Reg.-Bez. Stade.
‘) Gerbig. Die Flurnamen des Herzogtums Gotha
(Jena 1910), S. 278. 404 u. ö.
hege*) (desgl.) usw. Beliebt ist die Umdeutung zu
Kugel (z. B. bei Rosental, Willersdorf, WolkerS-
dorf), meist zusammengesetzt: der Kugelzipfen
(Wald bei Holzhausen, Kr. Kirchhain), der Kugel-
rain (bei Haina), der Kugelberg (z. B. in der
Rhön, mit der Hessenliede), die Kugelburg bei
Volkmarsen (1196 Kogelberg, ,auf dem Hagen‘
errichtet), in Schwaben*): Kugelberg (724 Kuo-
bergus), Kugelmahd (steile Bergwiese). Kugel-
wiese, Kugelmark7), Kugelfang8), in Nassau2):
Kugelberg10) Kugelstück10), in Thüringen11)-
Kugelacker, mundartlich Kuelacker, auf dem
Kugelacker, 1504 der Kulagker („dorffland“), das
Kugelleich, ma Külech, Küleich, Käulech (Flur
Cumbach, Ballstädt, Werningshausen, Wölfis), auch
als Straßenname vorkommend (z. B. in Crawinkel
und Tüttleben). 1506 findet sich für diese Gegend
(Flur Ernstroda) auch in der Kegell, und die
volkstümliche Auslegung für das Kugelleich in
der thüringischen Flur Werningshausen lautet, daß
zur Zeit der Torfgräberei die Arbeiter dort ge-
kegelt haben sollen.12)
Daß die Flurteile, die mit Kugelleich bezeichnet
werden, wirtschaftlichen Verhältnissen ihren Namen
verdanken, geht u. a. daraus hervor, daß sie im
16. Jahrhundert teils noch Gemeindeland waren,
teils, wie in der thüringischen Flur Aschara, an
der Grenze der Dorsteile lagen, daß also höchst-
wahrscheinlich Weidegenossenschast mit benachbarten
Dorfsippen bestand.
Wie ist nun die Umdeutung zu Kugel- und
Kegelleich zu erklären? Zu dem Zweck ist es
nötig, erst die Bedeutung des Grundwortes Leich
zu ergründen. Wie die mundartlichen Benennungen
Külech, Küleich, Kaülech beweisen, geht die
Umbildung zu Kugelleich von offizieller Seite
aus, denn die Kugel heißt in thüringischer Mund-
art Kul. Küle, Kaule, Gaule, und Kugelleich,
gesprochen Külaich, Külech, bedeutet s. v. a „Kegel-
bahn"
*) Buck. Oberd. Flurnamenbuch. S. 148.
') Von Buck „als Grenze, die durch den Lauf einer
rollenden Kugel ermittelt wird', erklärt. Vgl. dagegen
Vilmar Idiotikon. 263: ursprünglich Grenze, dann
Wald. Gemeinweide.
") DaS Grundwort ist wahrscheinlich verstümmelt aus
ahd. wanc campn».
*) Kehrein. Volkssprache und Volksfitte in Nasiau.
3. 354.
'") Nach Kehrein früher .Eigentum der Kugelherrn'
(vgl. Kugelga»8e in Marburg).
") Gerbig a. a. O.. S. 64. 174. 183 u. ö.
") Vgl ähnlich die volkstümliche Auffaffnng des Ge-
birgnamenS Kegelspiel in der Vorderrhön (auch sieden
Brüder genannt). Der zweite Teil ist auS bühel um-
gedeutet, fo daß sich als Grundbedeutung ergibt „Berg
mit einem befestigten Kuhlager'
r*«L, 377
Hertel, Thüringischer Sprachschatz, S. 156/57,
verzeichnet der (und dos) Leich (mhd. leich) in
der Bedeutung «Spiel". „Kegelpartie" (in Kugel-
leich), „Spielplatz", „Kegelbahn" (in Kugelleich),
„Spielgerät", insbesondere die kleinen Steine oder
Tonkugeln. mit denen die Kinder spielen. Vgl.
dazu Vilmar, Idiotikon von Kurhessen, S. 243,
und Schmeller, Bahr. Wörterb. 2, 421: das
Laich setzen: „das Kegelspiel aufsetzen". Vgl.
auch Grimm, Deutsches Wörterb. VI, 61 l und in
der englischen Mundart laik „Spiel, Getändel",
schweb, lek, dän. leg „Spiel, Unterhaltung".
Luther gebraucht leich, leiche „Kegelbahn" weiblich
(vgl. dazu in Biedenköpfer Mundart: die Külaich).
Grimm a. a. O. vergleicht auch mhd. weterleich
„Blitz, Wetterleuchten" von der spielenden Be-
wegung des Wetterschlages. Es scheint, daß aus
der Bedeutung „Spielbahn", „Spielplatz" (vgl.
thür. Spielleich, das Leich abstecken, o. h. die
Bahn beim Ballschlagspiel abstecken) sich der all-
gemeine Sinn „Platz ohne Bezug auf Spiel", „freier
Platz", „Anger", „Bahn", „Weg" entwickelt hat.
So erklären sich die Ohrdrufer Straßennamen")
langes Leich, das kurze Leich, Querleich, Enten-
leich (Platz, wo sich die Enten tummeln, falls
nicht Umdeutung vorliegt), Leichschule (Schule
auf einem freien Platz?), ferner die Flurnamen
das Leichleid, mundartlich Lichfeld, am Leich-
berge, Schindleich (Schindanger) usw.
Ja, die Bedeutungsentwicklung von Leich muß
noch weiter gegangen sein. In einer Reihe von
Flurnamen nimmt das Wort die Bedeutung „be-
'*) Gerbig a. a. O., 236.
festigter Platz, Ruhestatt, Lager, feste Niederlassung
vorwiegend zum Zweck der Viehzucht" an.") Als
dann mit dem Schwinden der Weidekultur das
Wort nicht mehr verstanden wurde, begann es
umgedeutet zu werden, während Leich im Sinne
von „Kegelspiel". ..Spielkugel" unumgedeutet blieb,
weil diese Spiele sich noch bis Heute im Volke
erhalten haben.
So wurde es in den unverstandenen Flurnamen
teils an ,Leiche* corpus mortuum, und da dieses
dialektisch vielfach Leichet, Leicht, Licht, Lieh
lautet, an nhd. „leicht" und „Licht" angeschlossen,
z. B. die Leichte bei Ottrau, sodann vielfach
an ,leuchten* (vgl. ähnlich „Wetterleuchten"
aus mhd. weterleich), weil die mundartliche Aus-
sprache Lieh, Lech und die Anlehnung an nhd.
„Licht" dazu verleitete. Vgl. hierzu z. B. der
Leuchter, Feld bei Neustadt. So dürfte die in
Thüringen und Hessen verbreitete Redensart aus der
Lichte gehn: „aus dem Wege gehn" entstanden sein,
nicht, wie Hertel a. a. £>., 158 annimmt, aus
einer Nebenform von Licht. Doch vgl. auch
Grimm, Deutsches Wörterb. VI, 860, 879 und
Heyne, Deutsches Wörterb. II, 675. Dazu
kam, daß die Lagerstätten für das Vieh sich in
der Regel auf dem Kamme eines Berges in einem
abgetriebenen Teil des Waldes an einer hellen,
gelichteten Stelle befanden, und so ergab sich
die Umdeutung zu Leuchtberg sowohl wie zu
Lichtberg sehr leicht.
") Es scheint, als ob das alte hessische Wort leger
lahd. I8gar, mhd. leger — Lager) zuweilen mit hinein-
spielt. Vgl. Vilmar-Pfister, Idiotikon, Nachtr., 158,
Buck a. a. O.. 152.
folgt.)
(Schluß
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Herrenhausen und Wilhelmshöhe.
Von Marie Luise Gothein.
Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags (Eugen Diederichs in Jena) entnehmen wir den folgenden Abschnitt dem
soeben erschienenen Werk von M. L. Gothein „Geschichte der Gartenkunst" (Mit Unterstützung der Kgl. Akademie
des Bauwesens in Berlin. 2 Bände. Mit 640 Tafeln und Illustrationen. Preis broschiert 40 M., geb. 48 M.)
Wir werden auf dieses lange erwartete Standardwerk über die Geschichte des Gartens, die zugleich ein Gesamtbild
der Kunst und Kultur von den alten Ägyptern bis zur Neuzeit bietet, noch zurückkommen.
Deutschland mußte von der Mitte des 17. Jahr-
hunderts an, nach dem Ende des dreißigjährigen
Krieges, fast überall von neuem anfangen. Die
Gartenkunst ist die Kunst des Friedens, und nur
als seltene Ausnahme sahen wir Männer wie
Wallenstein oder Moritz von Nassau im Kriege
selbst, die Waffen in der Hand, das Land als
gute Hausväter zu tiefer Friedensarbeit anhalten.
Meistens hatte der Krieg nicht nur wüste, volks-
arme Landstriche gelassen, sondern auch die in
Deutschland in der Gartenkunst nie sehr starke
Tradition vollends zerschnitten. Doch gerade dieser
Umstand ließ eine junge friedenshungrige Genera-
tion sich nach Lehrern umschauen, deren Einflüssen
sie sich mit aller Freude hingeben konnte. Ein
wichtiger Faktor aber für das Aufblühen der Garten-
kunst in Deutschland war das Erstarken der vielen
großen und kleinen Fürstenhöfe. Mit dem wach-
senden Wohlstände, der in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts überall einsetzt, fordert ihr
Souveränitätsgefühl seinen sichtbaren Ausdruck in
der Schöpfung glänzender Residenzen. Den meisten
dieser Fürsten, besonders im Norden und Westen,
schwebte als leuchtendes Vorbild Versailles vor
»ML- 378 »ML.
Augen. Nur einzelne, deren Interessen Italien zu-
geneigt sind, lassen sich auch noch in dieser Zeit
von der alten Kunst jenseits der Alpen inspirieren.
Le Nötre aber war der große Name, und als sein
Ruhm erst einmal den Rhein überschritten hatte,
da galt es als ein höchstes Glück, einen Garten-
künstler zu gewinnen, der irgendwie seine Aus-
bildung im lebendigen Anschauen der Werke, die
Le Nötre schuf, erhalten hatte.
Zu diesen Glücklichen rechnete sich vor allem
der Herzog Ernst Johann Friedrich von Hannover,
als er Charbonnier aus der Schule von Le Nötre
für die Anlage seines Gartens in Herrenhausen
gewann. Der Baumeister des Hauses war Quirini,
ein Benetianer, der diesem durch zwei einstöckige
vorspringende Flügel, deren gerade Dächer mit
Balustraden versehen sind, auch ein italienisches
Aussehen verlieh. Häufig, noch bis in die Mitte
des 18. Jahrhunderts, findet sich an den kleinen
deutschen Höfen die Verbindung des italienischen
Baumeisters und des französischen Gartenkünstlers,
wie sich denn auch die französische Bauweise in
Deutschland später als der Garten und nie dauernd
einbürgerte. Der Herzog war ein äußerst pracht-
liebender Herr und freute sich des regen künst-
lerischen Treibens, das eine Schar von Ausländern,
Franzosen und Italiener, an seinen .Hof brachte.
Doch obgleich die Unterhaltungskosten des Lust-
gartens im Jahre seines Todes 1679 nahezu sechs-
tausend Taler betrugen, und obgleich sein Nach-
folger, der erste Kurfürst Ernst August, die Ver-
schwendung seines Vorgängers lebhaft rügte, war
es doch erst dieser, der den Garten um das Doppelte
ausdehnte und ihm seine noch heute ziemlich treu
bewahrte Gestalt gab. Auch Herrenhausen gehört
zu den Gärten, deren Plan Le Nötre geschaffen
haben soll, wenn auch hierfür kein Beweis vorliegt,
so darf man wohl an die nahen Beziehungen des
hannoveranischen Hofes zum französischen erinnern,
die damals sehr lebhaft durch die Korrespondenz
der Gemahlin des Kurfürsten, der geistvollen
Sophie, mit ihrer Nichte Lieselotte, der Herzogin
von Orleans, unterhalten wurden, bei dem Inter-
esse, das beide Frauen an den Gärten nahmen,
wäre die Vermittlung eines unmittelbaren Rates,
wenn auch nicht Planes, begreiflich. Der Garten
zeigt eine der regelmäßigsten Anlagen, die wir
kennen. Er macht den -Eindruck, wie eines der
Musterbeispiele in den Schulbüchern. Man merkt
ihm eine gewisse Ängstlichkeit an, ja nichts von
den Regeln und Vorschriften zu vergessen zuerst
die reichen Parterres mit dem Zentralbrunnen, da-
hinter vier fast quadratische Wasserspiegel, dann
ein zweites einfacheres Parterre mit zwei kleinen
Pavillons, die heute verschwunden sind. Sie bil-
deten die Überleitung zu den Bosketts, die je zwei
von ganz regelmäßigen, sternförmigen Alleen, von
hohen Buchshecken eingesäumt, durchzogen werden
und im Zentrum je ein Bassin haben. Ein ganz
großer, runder Wasserspiegel liegt am Ende der
Mittelallee, während die beiden Seitenalleen zu
zwei tempelartigen Gartenhäusern führen. Herr-
liche Lindenalleen umrahmen den ganzen Garten
und begleiten den ringsum fließenden Kanal, der
in der Mittelachse hinter dem runden Bassin eine
halbrunde Ausbuchtung macht. Die erste, dem
Schloß zunächst liegende Hälfte des Gartens trägt
deutlich die Spuren des Einflusses der ersten Periode
des Versailler Gartens. Genau an gleicher Stelle
wie dort ist die Grotte angebracht, aber die Regel-
mäßigkeit verlangte eine entsprechende Anlage auf
der entgegengesetzten Seite, die sogenannten Kas-
kaden, auch eine Grotten- und Äuschelwand mit
Wasserfällen und Springwassern belebt. Auch hier
liegt rechts neben dem Schlosse die reizende Oran-
gerie, der auf der andern Seite ein Blumen-
oder Gemüsegarten entspricht. Die einzige Unregel-
mäßigkeit des Gartens ist die Anlage des reizvollen
Theaters östlich von den großen Parterres. Es
liegt auf einer künstlichen Terrasse, wodurch die
sonst völlig einförmige Ebene belebt wird. Der
hintere Teil wird von der Bühne eingenommen,
von der nach dem Garten Rampentreppen um einen
schönen Brunnen an der Stützmauer führen. Die
Kulissen sind trapezförmig, nach hinten zusammen-
gehend, als kleine, grüne Ankleidekabinetts ge-
schnitten, davor stehen Statuen. Die Bühne ist
vom amphitheatralischen Zuschauerraum durch einen
tiefen, aus gleicher Ebene mit dem Garten liegenden,
breiten Gang getrennt, zu dem Treppen von der
Bühne herabführen, dieser wird als eine Art
Orchestra das Bühnenbild bei Aufführungen sehr
belebt haben. Der Garten ist im Jahre 1700 schon
ganz vollendet gewesen, dies Theater aber so in
den Garten hineinkomponiert, daß man wohl an-
nehmen darf, daß es gleich in den Grundplan
aufgenommen ist, es gehörte also zu einer der
ersten dieser Anlagen. Ein eigentlicher Park fehlt
dem Garten von Herrenhausen, das bedingte auch
die Behandlung des Kanals, der den ganzen Garten
umrahmt. Hierin könnte sich auch holländischer
Einfluß geltend machen, da holländische Gärtner
später dort gearbeitet haben.
Dieser erste Versuch einer Nachahmung des fran-
zösischen Gartenstils war noch zu schematisch, zu
akademisch ausgefallen. Glücklicherweise waren die
künstlerischen Interessen der deutschen Fürsten da-
mals so vielseitig, ihre Bauleidenschaft so groß
und reich, daß die Gefahr einer Erstarrung des
Stiles nicht vorhanden war. Noch war auch im
Norden Frankreich nicht zur Alleinherrschaft ge-
langt. Gleich in dem nahen Kassel >var, um die-
selbe Zeit, als der Herrenhäuser Bau seiner Voll-
endung zuschritt, der junge Landgraf Karl mit
einem Projekt von seiner italienischen Reise zurück-
gekehrt, das, obwohl nur teilweise ausgeführt, das
heutige Geschlecht mit Verwunderung und Staunen
über das mächtige Wollen, das sich darin aus-
spricht, erfüllt es ist die Anlage der Wilhelmshöhe
auf dem Weißenstein bei Kassel. Karl berief gleich
nach seiner Rückkehr einen römischen Künstler,
Guernieri, als seinen Baumeister. Dieser wurde
379
der Schöpfer der großen, den Park beherrschenden
Kaskadenanlage. Der französische Einfluß ist hier
völlig ausgeschieden, alles, was das Vorbild von
Versailles und die französischen Theoretiker mit
sicheren Linien als ihren Stil festgelegt hatten, ist
hier in den Wind geschlagen. Der Landgraf war so
ganz erfüllt von den italienischen Eindrücken, daß
er den Römer vollkommen nach seinen heimischen
Traditionen schalten ließ. Hier zum ersten Male
wurde auf nordischem Boden ein Werk geschaffen,
in dem die gemauerte Architektur im Verein mit
Italiener, wie einst Salomon de Caus den Heidel-
berger Schloßgarten, in einem großen Kupferwerke
im Jahre 1706 verbildlichte, ist zur Ausführung
gekommen. Man begann mit der Spitze, dem Bau
eines Lusthauses, das zugleich als großes Reservoir
und Brunnenhaus diente. Es ist ein dreistöckiges
Oktogon, dessen zwei Unterstockwerke wie aus dem
Felsen herauszuwachsen scheinen, sie sind als Grotten
mit Nischen und Statuen gedacht; jedes Stockwerk
flieht hinter das andere etwas zurück, das oberste
ist ein luftiger Hallenumgang, oben mit einer
Der englische Park mit Bekrönung durch das Gktogon. Teufelsbrücke.
Nach einem Stich von F. Schröder.
dem Wasser die unbedingte Herrschaft behielt. Und
wäre der Plan Guernieris ganz zur Ausführung
gekommen, so wäre hier ein Werk entstanden, dessen
gewaltige Größe und imponierende Geschlossenheit
in Europa wohl nicht viel seinesgleichen gehabt
hätte. Schon Karls Vorfahren hatten an der Stelle,
wo heute auf einem Hügel das erst am Ende des
18. Jahrhunderts erbaute Schloß Wilhelmshöhe
liegt, ein Jagdschlößchen gehabt, über dem der steile
Habichtswald emporstieg. Dieser ganze mächtige
Waldberg sollte nach Landgraf Karls und Guer-
nieris Plan in eine ungeheuere Terrassenanlage
umgewandelt werden, deren alles beherrschende
Hauptachse eine riesige Kaskadenanlage bildete.
Nur der oberste Teil des ganzen Werkes, das der
Balustrade, die um das flache Dach läuft, geschützt.
Auf diesem erhebt sich eine über 30 Meter hohe
Pyramide, auf deren Spitze die aus Kupfer ge-
triebene Kolossalfigur des Farnesischen Herkules
steht. Der ruhende Held schaut herab auf die dritte
Terrasse unter sich, wo unter einem Felsblock ein
Riesenhaupt einen mehr als 12 Meter hohen Strahl
speit, dazwischen liegt eine Terrasse mit einer Pans-
grotte mit allerlei Vexierwassern und Wasserkünsten.
Der Hauptstrom fällt in der Mitte zur Terrasse des
Riesenhauptes und gleitet auf beiden Seiten auf
dem Stufengeländer über Grottenwerk nieder. Von
hier stürzt er weiter in einer 250 Meter langen
und II1/2 Meter breiten Kaskade über Stufen her-
ab, dreimal von breiten Absätzen unterbrochen.
smiL> 880 tmtb
Zuletzt fällt es in hohem Msturz über die Peptuns-
grotte mit der Statue des Gottes so herab, daß
man von der Grotte unter dem Wasserschleier durch-
schaut, und endet in einem großen Bassin. Das ist
das einzige, was von Guernieris Plan zur Aus-
führung kam, etwa ein Drittel der ganzen Länge.
Er beabsichtigte die Kaskade in zwei weiteren Ab-
sätzen bis zu dem Schloß herabzuführen. Am
Fuße des ersten Absatzes sollte ein großes rundes
Wasserparterre mit einem Brunnenpavillon in der
Mitte angelegt werden, der zweite Absatz endet in
einem mächtigen Theaterhalbrund auf einer Ter-
rasse, die als ein breites Band den ganzen Park
durchquert und noch mit verschiedenen anderen
Brunnenbassins geschmückt ist. Das Schloß am
Fuße der dritten Kaskade ist in völlig italienischem
Stil gedacht, mit ^iaräini Ztzorsti nach hinten
heraus, während nach vorne aus einer offenen
Säulenhalle florentinische, halbrunde Rampen-
treppen in ein reiches Schmuckparterre herabführen.
Der Park selbst sollte außer durch die Terrassen
nur durch regelmäßige Avenuen unterbrochen wer-
den. Aber während der 18 Jahre der Ausführung
hatte sich dieser Plan stark verändert und erweitert.
Ganz konnte sich der Landgraf dem französischen
Einfluß doch nicht entziehen. Seit dem Jahre 1715
hatte er von einem Harlemer Maler, Johannes
van Nichole, acht große Prospekte des Weißen-
steines und Karlsberges, wie die Anlagen damals
noch hießen, aufnehmen lassen, die die beabsich-
tigten Pläne jener Zeit festhalten. Danach sollten
unterhalb der Kaskade sich breite Terrassen mit
Parterres, Brunnen, kleinen Wasserfällen um ein
großes, Versailles nacheiferndes Schloß herum-
legen, so daß die italienische Kaskade nur wie eine
Hintergrundkulisse in den Park eingeschnitten hätte.
Aber von allen diesen gigantischen Plänen ist nichts
zur Ausführung gekommen. Karls Tod 1730 unter-
brach die Arbeit, und als seine Nachfolger wieder
seiner Schöpfung ihr Interesse zuwandten, war der
englische Einfluß so stark geworden, daß die Kas-
kadenanlage als für sich abgeschlossenes Werk den
so vielfach veränderten Park krönt. Der Gedanke
einer Gigantomachie liegt diesem Werk zugrunde,
und wie der Überwinder-Herkules ruhend auf den
zerschmetterten, ohnmächtig sich aufbäumenden
Feind herabschaut, so schaut diese ganze Anlage
nieder auf die vielen kleinlichen Neuschöpfungen,
die in dem weiten Park zerstreut sind, und die
einer sentimentalen Zeit in verschiedenen Bau-
perioden ihre Entstehung verdanken. Die Wil-
helmshöhe, die ihren Namen erst unter Kurfürst
Wilhelm I., dem Erbauer des heutigen Schlosses,
erhielt, steht für sich in dieser Zeit, nicht allein
durch Größe und Geschlossenheit der Anlage, son-
dern als ein Wahrzeichen, was italienischer Geist
in der Gartengestaltung des nördlichen Deutsch-
lands noch damals hervorbringen konnte.
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Feldmarschall Fürst Wrede und die Schlacht bei Hanau.
In der letzten Monatsversammlung des K a s se l e r
Geschichtsvereins sprach Bibliothekar vr. H o p f über
„F e l d m a r s ch a l l Wrede und die Schlacht
bei Han au" Wir geben in knappen Zügen den
Inhalt des klaren und gediegenen, mit starkem
Beifall aufgenommenen Vortrags wieder. Hundert
Jahre waren am 30. Oktober vergangen, seit vor
den Toren von Hanau jene Schlacht geschlagen
wurde, in der die letzte Möglichkeit gegeben war,
dem von Leipzig nach dem Rhein zurückflutenden
französischen Heer in deutschen Landen ein Massen-
grab zu bereiten. Dieses Ziel ist bekanntlich nicht
nur uicht erreicht worden, sondern der Verlauf der
z>veitägigen Schlacht, durch die der französische
Rückzug nicht aufgehalten wurde, gab sogar den
Franzosen ein gewisses Recht, ihrerseits von einem
Erfolg zu reden und damit die Wiederaufnahme
des Kampfes auf französischem Boden durch ein
wertvolles moralisches Moment wirksam vorzu-
bereiten.
Es wäre müßig, sich in Vermutungen darüber
ergehen zu wollen, welchen Verlauf wohl die Welt-
geschichte genommen hätte, wenn hier tatsächlich
Napoleons Truppen der Rückzug verlegt und der
Korse vielleicht zum zweiten Mal innerhalb Jahres-
frist ohne Heer hätte über den Rhein nach Frank-
reich zurückkehren müssen. Es muß genügen, fest-
zustellen, daß ein anderer Ausgang nicht wohl
möglich war, nachdem der bayrische Oberbefehls-
haber Feldmarschall Fürst Wrede eine Aufstellung
gewählt hatte, die allen taktischen Regeln wider-
sprach. Die Straße von Gelnhausen, auf der das
Anrücken der Franzosen erfolgen mußte, führte bis
auf 11/2—2 Kilometer an die Stadt heran durch
einen dichten Wald; zwischen dem Waldrand und
der Stadt floß die damals stark angeschwollene
Kinzig, über die nur zwei im Osten und im Nord-
osten der Stadt liegende, ungefähr 3 bis 31/2 Kilo-
meter von einander entfernte Brücken hinüber-
führten. Hier hatte Wrede seine Truppen derart
aufgestellt, daß sie durch den Lauf der Kinzig in
zwei Teile zerrissen wurden, die nicht einmal in
der Lage waren, einander nötigenfalls Hilfe zu
bringen, denn dazu mußten sie unter allen Urw-
ständen die enge Lamboi-Brücke überschreiten, wo
ein energisches Vorgehen des Gegners leicht die
ernstesten Schwierigkeiten bereiten konnte. Außer-
dem gestattete der dichte Lamboi-Wald das un-
bemerkte Heranrücken der französischen Truppen
bis hart an die bayrische Stellung und vergrößerte
die gefährliche Lage durch die Möglichkeit über-
raschender Angriffe auf den einen oder den andern
Flügel. Dazu waren Wredes Truppen durch den
anstrengenden Anmarsch ermüdet, während auf
französischer Seite die erprobtesten Truppen, die
sich der Bedeutung des Kampfes wohl bewußt
fWL, 381 *e*íb
waren, die Kaiserliche Garde unter Napoleons
eigener Führung focht. So ist es begreiflich, daß
der Ausgang der Erwartung nicht entsprach und
daß Wrede, um einen modernen Ausdruck zu ge-
brauchen, nicht mehr als einen „Achtungserfolg"
zu erringen vermochte.
Es konnte nicht ausbleiben, daß ihm daraufhin
von der späteren Kritik die schärfste Verurteilung
uteil wurde. Daß andrerseits bald Schriften er-
chienen, die der Verherrlichung Wredes dienten,
konnte die unbefangene Beurteilung nicht wesentlich
fördern. Erst in neuerer Zeit hat man angefangen,
Gründe und Gegengründe sorgsam abzuwägen und
damit zu einer sachlichen Auffassung zu gelangen.
Die Unhaltbarkeit der Behaup-
tung, Wrede seien die eigent-
lichen militärischen Führer-
eigenschaften abgegangen, zu-
mal er doch auch von Haus
aus nicht zum Soldaten be-
stimmt war, widerlegt Redner
durch ein ausführliches Ein-
gehen auf die bisherigen durch-
aus bemerkenswerten Leistun-
gen des Fürsten auf verschie-
denen Kriegsschauplätzen der
letzten vierzehn Jahre. Nach
der Schlacht bei Wagram
machte ihn Napoleon zum
Zeichen seiner Anerkennung
zum Reichsgrafen. Auch beim
Vertrag von Ried, durch den
Bayern sich von Napoleon
lossagte und den Verbündeten
anschloß, hatte Wrede erheblich
mitgewirkt. Alsbald wurde
ihm das Kommando nicht nur
über seine Bayern, sondern
auch über die ihm am Inn
gegenüberstehenden Öster-
reicher übertragen, so daß er
rund 52000 Mann unter
seinem Oberbefehl vereinigte.
Am 13. Oktober erhielt er den
Befehl, sein Korps in Eilmärschen auf Bamberg
zu dirigieren, alles anzuwenden, um sich zum
Meister von Würzburg zu machen und die Main-
linie zu befestigen. Diesen eigenartigen Befehl
führte er allerdings nicht auf dem kürzesten Wege
aus, in der Absicht, den König von Württemberg
einzuschüchtern und ihn so vom Rheinbünde los-
zusprengen, was ihm auch gelungen ist. Unterwegs
erhielt er am 21. Oktober die Nachricht von der
Leipziger Schlacht. Am nächsten Tage erhielt er
den Befehl, die Rückzugslinie des Feindes gänzlich
zu unterbrechen. In Würzburg angelangt, mußte
er den Soldaten eine mehrtägige Ruhe gönnen,
während deren er Würzburg einnahm, wodurch
drei kostbare Tage verloren gingen. Das Haupt-
quartier ließ ihn immer noch im Unklaren. Erst
durch ein von ihm selbst ausgesandtes Streifkorps
'erhielt er die erste Nachricht vom Rückzug Napo-
leons und dessen bevorstehendem Durchzug durch
Fulda. Am 27. Oktober erfuhr er durch Vermitt-
lung bayrischer Patrouillen, daß Napoleon mit dem
Hauptteil seiner Truppen. in der Richtung gegen
Wetzlar marschiere, wahrend sich auf der Straße
nach Hanau höchstens 20 000 Mann befänden. Am
28. erreichte ihn ein Schreiben Schwarzenbergs, in
dem es hieß, der Feind sei wahrscheinlich außer
Stande, den Weg nach Kassel einzuschlagen und
werde möglicherweise seine Richtung gegen Wetzlar
nehmen, um den Rhein bei Bonn oder Koblenz
zu überschreiten. Für Wrede gab es nun kein
Schwanken mehr; er ließ sich durch nichts in seiner
Absicht mehr irre machen, dem
Feindden Rückzug bei Wetzlar
zu verlegen. So schlug er auch
zwei weitere Nachrichten, die
ihm in der Nacht zum 30. Ok-
tober zugingen, in den Wind,
die zweifellos dartaten, daß
Napoleon auf der Straße nach
Frankfurt marschiere. Zudem
glaubte Wrede der Versiche-
rung Schwarzenbergs, daß er
dem Feinde hart auf dem
Nacken bleiben werde, und
konnte nicht ahnen, daß dieser
tatsächlich vier Tagemärsche
hinter Napoleon zurück war.
Der Kampf hatte bereits be-
gonnen, als man erst merkte,
daß man Napoleon selbst und
damit dem Kern seines Heeres
gegenüberstand. „Jetzt ist
nichts mehr zu ändern, wir
müssen als brave Soldaten
unser Möglichstes tun", waren
Wredes Worte. Der bösen
Lage, in die ihn seine Ver-
trauensseligkeit gebracht hatte,
suchte er mit der ihm eigenen
Entschlossenheit die Stirn zu
bieten. Noch ein weiteres
Moment verhinderte ihn, seine unmögliche Stel-
lung aufzugeben, der Gedanke, daß er als' Bayer
den Verbündeten und der Welt selbst auch unter
Opfern zeigen müsset daß der Übertritt Ernst ge-
wesen und sie entschlossen seien, ihre volle Schuldig-
keit zu tun. Er hat auch in dieser schwierigen
Lage, in die ihn eine unglückliche Verkettung von
Umständen und gewiß auch sein übergroßes Selbst-
bewußtsein gebracht hatte, seinen Ruf als tapferer
Soldat und entschlossener Heerführer gewahrt.
Diesen Ruf hat der in dieser Lage leider unver-
meidliche Mißerfolg erheblich vermindert. Ihn aber
allein für die fehlerhafte Anordnung der Aus-
stellung verantwortlich zu machen, entspricht nicht
der tatsächlichen, geschichtlichen Entwicklung, die
seine gewiß vorhandene Schuld doch in erheblich
gemildertem Licht erscheinen läßt.
Karl 5ürst von Wrede.
Aus „Geschichtl. Darstellung der Schlacht hei Hanau" von
Ä. C. Leonhard lHanau, Fr. Köitlgs Hosbuchh.). Bgl. S. 385.
«*ttL 382 smttL
frühes Grab.
Leis schluchzt der Herbstwind um die Friedhofmauern,
Wie bang verzagt ;
Ein Regen rinnt in winddurchweinten Schauern;
Horch, wie es klagt. —
Tin frisches Grab am Rand von stummen Hügeln. —
Dumpf niederwärts
Sank heule früh mit todesmatten Flügeln
Ein junges Herz.
Es sah den Himmel noch so sonnenoffen:
Der Regen rinnt;
Roch war's so voll von frohem Zukunfishoffen
Leis weint der Wind.
Gottfried Buchmann.
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Wie das Christkind kam.
Von Heinrich Berlelmann.
Spätsommernachmittag. Das Dorf lag still.
Nur hin und wieder kündete Peitschenknallen das
Nahen des vollen Erntewagens. Der rauschte
dann dicht an der Kirchhofsmauer unter der Linde
hin. Dahinter faßen wir, Mergards Lorenz und ich.
Mit Scherben hatten wir eine eingesunkene
Gruft verliest. Das war unsere Stube. In den
Spalten des verfallenen Mauerwerks stand reich-
licher Vorrat an Brot und Kuchen, frisches Gebäck
aus feinstem Lehm mit rotem Zucker, zu Mehl
geschlagenem Ziegelgestein, bestreut. Eben wurde
das Dach vollendet, das lustige, grüne, aus Holunder
und Hainbuche der nahen Hecke.
Wir saßen still aneinandergeschmiegt wie Ge-
schwister und sahen andächtig nach oben.
Aus der hohen Lindenkrone fiel ab und zu ein
welkes Blatt hernieder. Wir lauschten darauf
und zählten. „Das muß unser Geld fein“, sagte
Lorenz, und seine mageren Hände haschten nach
dem Goldlaube.
„Auf Christtag", fuhr er fort, „wünsche ich mir
Bretter, lauter Breiter, daraus baue ich uns ein
Häuschen, so ein richtiges, weißt du, das ein Dach
hat."
Cr strich sich bei den Worten die langen, gelben
Strähne aus der Stirn und sah mich mit seinen
tiefliegenden blauen Augen ernsthast an.
Bauen lag dem Lorenz im Blute. Sein Groß-
vater war ein Zimmermann gewesen. Gb er
nun Stein oder Stock, Laub oder Erde in die
Finger bekam, er mußte daraus etwas bauen.
Und hatte er nichts als einen Kiesel, dann malte
er ein Haus in den Sand.
„Dann wünsche ich mir einen Farbekasten",
enviderte ich. „Wir können dann die Wände
hübsch tümt malen." — Das schien ihm zu ge-
fallen, Venn er schlug in die Hände und lachte,
lachte so laut, daß er ins Husten kam und lange
Zeit gebrauchte, bis er wieder zu sich selber kam.
„Wenn ich einmal Zimmermann bin und du
Bauer, baue ich dir ein neues Haus, ein ganz
großes, schöner wie euer altes. Und ein Erker
kommt oben darauf mit einem Taubenschlag."
Ich war damit nicht einverstanden, denn schöner
als unser liebes Haus konnte doch keins im
Dorfe sein.
Es wäre jetzt zwischen den beiden Höhlenbe-
wohnern sicherlich zu einem Streit gekommen,
dessen Ende unbedingt in plötzlicher Aufhebung
der Gütergemeinschaft bestanden haben würde,
wenn dies nicht eine Stimme von oben verhindert
hätte. Und diese Stimme rief: „Das Christkind,
das Christkind!" —
Wie schnell konnten wir durch das mühsam
gerichtete Dach emporsteigen! Und durch die Hecke
ging's wie der Blitz den Kirchberg hinunter, als
trügen wir Feuer unter den Sohlen. Erst auf
der Brücke machten wir halt und wagten zurück-
zublicken. Der Kirchenjunge war's gewesen, der
uns den Schrecken eingejagt. Da oben stand er
nun und lachte uns aus. Ja, der hatte gut lachen.
Alle Tage ging er am Stübchen des Christkinds
droben unter den Glocken vorbei. Der mochte
wohl gut Freund mit ihm sein. Aber wir Kleinen,
wir bangten immer, so oft sein Name genannt
wurde, bangten und freuten uns doch zugleich.
Einmal nahm mich der Kirchenjunge mit hin-
auf. Als ich aber auf der zweiten Treppe die
große Uhr ticken hörte, riß ich entsetzt mich los
von seiner Hand und kehrte um.
Nun lugten wir hinauf. Aus dem zweiten
Schalloch stieg blauer Dunst. Also war das Christ-
kind am Backen. Du lieber Gott, was für eine
Menge das auch nötig hatte! Da war es höchste
Zeit, daß es anfing. Wie hätte es sollst mögen
fertig werden!
Wir setzten uns auf den Brückenrand und
stritten über den Geschmack gebackener Hasen,
**»«_ 383
Hähne, Pferde und Soldaten und kamen überein,
daß die Rosinen das beste am ganzen Gebäck
feien. Und beide fanden wir es höchst sonderbar,
daß das Christkind mit dieser begehrenswerten
Süßigkeit so überaus kargte, im Himmel mußte
es doch Berge von Rosinen geben.
Der Lorenz hatte die Hände in die Hofe ver-
graben, sah mich mit seinem schmalen, weißen
Gesicht an und sagte: „Du, ich friere so!" Dabei
durchrieselte es ihn, und er zitterte am ganzen Leibe.
„Geh lieber heim zu deiner Mutter", riet ich,
„die kocht dir Tee."
Er nickte, und jeder lief feines Weges.
Der Lorenz aber wurde krank, sehr krank.--------
Als das Christkind in den Wochen vor Weih-
nachten sich anschickte, seine Abendgänge durchs
Dorf zu machen, lag er noch immer.
Ich sollte ihn nicht besuchen. Meine Mutter
aber kochte ihm manchmal eine Suppe, die durste
ich schmecken, dann nahm sie ihm sein Vater, der
lange Hannes, der bei meinem Vater als Knecht
diente, mit.
Und das Christkind kam. -
Eigentlich war es gar kein Kind, sondern eine
Jungfrau in weißem Gewand. Und weiße Schuh
hatte es an. Wer trug denn im Erdendreck weiße
Schuhe! Dafür kam es eben vom Himmel. Von
seinem Gesicht war nicht viel mehr als der rote
Mund zu sehen. Das übrige hüllte ein dichter
weißer Schleier. Das Sümmchen klang so fein,
so silberhell, ganz anders wie Menschenstimmen.
Wer alle Tage mit den Engeln singt, muß ja
am Ende wohl auch eine helle Stimme bekommen.
Wie der Wind war es da. Und wollte man ihm
durchs Fenster nachsehen, man kam immer zu
spät. Flügel mußte es haben. Ich habe sie zwar
nie an ihm wahrgenommen. Aber wie hatte es
ohne sie sich zum Himmel erheben können! Draußen
auf freiem Felde legte es sie jedesmal ab, damit
sie ihm nicht hinderlich wären in den niederen
Hütten der armen Leute. Ein andere Engel säße
da draußen auf einem Schneehügel und hüte sie
in seinem Schoße. Sonntagskinder hätten ihn
sitzen sehen. Auf seinem Platze wüchse übers
Jahr Mariendorn, der so lieblich düstet. So er-
zählte mir's die ältere Schwester.
Run stand das Christkind wieder mitten in
der Stube. Sein Kleid streifte meine bebenden
Knie. Ich spürte den warmen Hauch seines Mundes.
Ich sagte mein Gebet. Es fragte die Mutter nach
meinem Verhalten. Sie lächelte, schwieg von
meinen Untaten und wußte nur Gutes, wofür
ich sie heut noch einmal umarmen möchte. So
sprang der kühne Wunsch nach einem Farbekasten
keck und freudig von meinen Lippen.
Aber wie sonderbar. Die Tage nach dem hohen
Besuche mußte ich unwillkürlich unserer Magd,
dem Trinchen, nachschauen. Ein sündhafter Ge-
danke stieg auf: wenn das Trinchen das Christ-
kind gewesen wäre! Die Größe, die Stimme —
das konnte schon passen. Aber nein — ich wies
bey quälenden Zweifel weit weg, wagte auch
niemanden einzuweihen. Ich wollte mir meine
süßeste Hoffnung doch nicht selbst zerstören.
Dem Lorenz hätte ich es gern offenbart. Aber
das Christkind ging diesmal gar nicht zu ihm,
wie ich vom Trinchen erfuhr. Was kranke Kinder
sich wünschten, wisse es ohnehin, sie hätten nür
den einen Wunsch, gesund zu werden.
Je näher das heilige Fest rückte, je mehr
schwanden denn auch meine Zweifel, und wo
das Trinchen stille stand bei der Arbeit, begehrte
ich ein Weihnachtslied oder eine Mär aus seinem
Munde.
Am schönsten sang es sich während der Dämmerung
in das flackernde Herdfeuer der Küche hinein,
wenn an dunkler Wand der Widerschein der
Christkindflügel vorüberhuschte. —
Am Tage vor dem Feste wollte es gar nicht
Nacht werden. So lange war schon die Sonne
hinter den Dächern und immer noch strahlte der
Horizont hell. Hinter der Kirche durch das Linden-
geäst glühte der Himmel so rot. Da gingen nun
wieder droben im Himmelsgarten zur Nacht die
Rosen auf, wie die Mutter erzählte. Die pflückten
die Engel ab, eh' sie erblühten, und streuten sie
hinab in das Menfchental. Kinder wurden daraus.
Die allerschönste Knospe aber, die je in den Gärten
Gottes aufwuchs» habe der Herr selber mit eigener
Hand gepflückt und in Mariens Schoß geworfen.
Daraus fei der Schönste unter den Menschen-
Kindern, der Heiland, geworden.
Weil ich in meiner Einfall glaubte, das gött-
liche^ind würde an jedem Christfest immer wieder
von neuem geboren, um sich von den Engeln be-
singen und von den Hirten anbeten zu lassen, sah
ich vom Fenster aus den Herrgott wirklich durch
die Flammenglut des scheidenden Tages schreiten
und seine Rose suchen.
Die einsetzenden Festtagsglocken weckten mich
aus meinen Träumen. Ich sah mich um, in den
Ecken webte die Dunkelheit, und die Eisblumen
wuchsen höher und höher.
„Jetzt wird's Nacht", wandte ich mich überzeugt
an meine Mutter, die Festtagswäsche zurechtlegte.
Sie trat zu mir und fuhr mir lächelnd durchs Haar:
„Nicht wahr, dir wird die Zeit zu lange!"
„Gb es mir wohl den Farbenkasten bringt?
Wenn der Lorenz sein Häuschen baut, muß ich
ihn haben."
9mL 384 vmL>
Die Mutter schüttelte traurig den Kopf: „Der
Lorenz baut sich kein Häuschen, mein Junge."
Sie neigte sich zu mir und lttlßte mich.
„Doch, Mutter, doch, er will ja Zimmermann
werden. Einen Farbenkasten muß es mir bringen."
„Das wird es wohl schon", tröstete sie und
ging hinaus.
Ich folgte ihr auf dem Fuße in die Küche.
Das Trinchen war in einem Eifer beim Spülen
der Steinplatten. Hoch vom Zinnbrett lachten in
langer Reihe blitzblank gescheuerte Näpfe und
Schüsseln mit strahlenden Festtagsgesichtern. Ich
ging der Mutter nicht vom Rock. „Mutter, Mutter,
sieh nur, es wird richtig finster!" —
„Trinchen, reich ihm nur den großen Napf da
herunter."
Damit zog ich nun davon so stolz und froh, als
sollte ich ein Königreich in Besitz nehmen. Durch
Gang und Stube jubelte ich in die Kammer, wo
die Ettern schliefen.
Auf den Tisch in der Ecke stülpte ich feierlich
den Napf, lief hinaus, um auf den Zehen sogleich
noch einmal umzukehren. Ich war nicht mehr
ganz sicher, ob ich dm Napf auch wirklich um-
gestülpt hatte, dmn nur in die gestülptm Näpfe
legte das Christkind über Nacht feine Gaben.
(Schluß folgt.)
Aus Heimat und fremde.
Hessischer 'G e s ch i ch t s v e r e i n. In der
Kasseler Monatsversammlung am 17. Novem-
ber fand zunächst die Neuwahl eines Mitgliedes
des Redaktionsausschusses an Stelle des ausschei-
denden Bibliotheksdirektors Pros. vr. Stein-
haufen statt. Auf Vorschlag des stellvertretenden
Vorsitzenden, Rechnungsdirektor W o r i n g e r ,
wurde Landesbibliothekar vr. Hopf einstimmig
gewählt. Herr vr. Hopf hielt sodann einen glän-
zenden Vortrag über „Feldmarschall Fürst Wrede
und die Schlacht bei Hanau", über den wir an
anderer Stelle dieses Heftes berichten.
Die Jahrhundertfeier des Marburger Ver-
eins am 19. November war von Mitgliedern und
Gästen außerordentlich zahlreich besucht. Nachdem
der Vorsitzende Archivrat vr. R o s e n f e l d daran
erinnert, daß am 21. November 1813 Kurfürst
Wilhelm 1. nach siebenjährigen: Exil wieder in
Kassel eingezogen sei, stellte Professor vr. Busch
in einem mit starkem Beifall aufgenommenen Vor-
trag den Verlauf des Befreiungskrieges des Jahres
1813 in großen Zügen dar. — Zur Erinnerung
an die Zeit der Fremdherrschaft, des Westfälischen
Königreichs, war eine kleine Ausstellung im Saale
veranstaltet, von vielfältigen geschriebenen und ge-
druckten Schriftstücken, Erinnerungsblättern an her-
vorragende Persönlichkeiten und sonstigen Andenken
an die b^oße Zeit, dargeboten teils durch Güte
der Archivleitung, teils durch das Entgegenkommen
Privater. Diese Ausstellung zog noch lange viele
Beschauer an.
Am 1 Dezember fand in Kassel ein wissen-
schaftlicher Unterhaltungsabend statt.
Rechnungsdirektor W o r i n g e r berichtete über das
Ende der Truppen des Königreichs Westfalen und
über den Auszug der Marburger Studentenschaft
nach Gladenbach im Februar 1815, General Eisen-
traut über das neueröffnete Eschweger Heimat-
museum und über die Römheldschen Ausgrabungen
im Eschweger Talbecken. Im weiteren Verlauf des
Abends wies er noch auf die Neuerscheinungen des
Elwertschen Verlags, namentlich auf das Urkunden-
buch der Kasseler Klöster, die Jubiläumsgabe der
Historischen Kommission zur Tausendjahrfeier, hin.
Rechtsanwalt D e l l e v i e sprach über eine Episode
aus der Zeit des Belagerungszustandes in Kassel
im Herbst 1850. An der anschließenden Diskussion
beteiligte sich namentlich der Senior des Vereins,
Geheimrat Fritsch. Der Vorsitzende konnte schließ-
lich noch die erfreuliche Mitteilung machen, daß
die Mitgliederzahl jetzt annähernd 2000 betrage,
und ankündigen, daß beabsichtigt werde, die „Zeit-
schrift" künftig jährlich zweimal erscheinen zu lassen.
Der Eschweger Verein konnte am 21. No-
vember sein jetzt in der Schloßkapelle des Land-
grafenschlosses untergebrachtes reichhaltiges Heimat-
museum einweihen. Nach einer Ansprache des
Vorsitzenden, Rechnungsrat Hartdegen, sprach
Professor vr. R ö m h e l d über „vorgeschichtliche
Funde in der Eschweger Gogend"in diesem Sommer.
Bei dem Baggern in der Holzapfelschen Kiesgrube
sind eine Reihe wertvoller Funde gemacht worden
ein Frauenkamm, Hirsch- und Rehgehörnstücke,
Topfscherben und der Teil eines menschlichen
Schädels. Auf dem Acker „Vor den Steinritschen"
bei Aue wurde eine zweite slavische Dorfstelle und
in der Nähe „An der Teichwiese" eine Wohn-
stätte aus der la Töne-Zeit festgestellt. An diesen
Arbeiten beteiligte sich auch Lehrer Frölich zu
Aue. Im Parke des Schlosses Wolfsbrunn hat
man eine Herdgrube aufgedeckt. Die Abdrücke des
Geflechtes der Hüttenwände in dem gebrannten
Lehmverputz waren noch gut erhalten. Förster
Strott zu Schmelzhütte hat im Höllental einen
Leistenkeil aus der frühen Bronzezeit gefunden.
Er gehört mit zu den ältesten Stücken der Samm-
lung. Die germanischen Wohngruben bei Nieder-
hone lieferten Schleifsteine, Tierschädel, Schlitt-
schuhe aus Knochen, Scherben, Feuersteine usw.
Eine germanische Begräbnisstätte befindet sich auf
dem Brückeberg an der Straße von Niederhone
nach Oberhone. In zweitägiger Arbeit wurden drei
Gräber freigelegt und zwei Urnen, die Knochen-
reste und geschmolzene Bronzestücke enthielten, ge-
*mt&> 385 «AM,
funden. Auch in der neuen Georgsstraße in Esch-
wege sind Funde gemacht worden. Noch sind wich-
tige Punkte unserer engeren Heimat noch gar nicht
untersucht. So der „Hauk" bei Niederhone, die
„alte Stadt" bei Frankershausen, die Erdwälle
auf der Auschen Kugel, die „Burg" über dem
Wichtelsbrunnen bei Reichensachsen, die „alte Burg"
im Schlierbach bei Völkershausen und der „Ebers-
berg" bei Albunaen. Eine wichtige Kultstätte in
der heidnischen Vorzeit war der Frau Hollenteich
auf dem Meißner, dessen Stein- und Erdwälle
noch zu untersuchen sind. Professor Römheld ern-
tete lebhaften Beifall für seine interessanten Aus-
führungen. Nach beglückwünschenden Ansprachen
des Landrats Kammerherrn v. K e u d e l l und
General Eisentrauts fand eine Besichtigung
des neuen Museums statt, dessen Reichhaltigkeit
allgemein Verwunderung hervorrief.
Marburger Hochschuln ach richten. Der
Botaniker Prof. vr. Ludwig Diels wurde zum
Unterdirektor des Kgl. botanischen Gartens und
Museums in Berlin-Dahlem als Nachfolger Ge-
heimrat Diels berufen. — Der a. o. Professor
Paul Römer, ein geborener Kirchhainer, hat
einen Ruf als Nachfolger Geheimrat Loefflers,
des Direktors des Hygienischen Instituts in Kiel,
angenommen. — vr. zur. Friedrich Klau-
sing erhielt die venia legendi für deutsche
Rechtsgeschichte. Seine Habilitationsschrift handelt
über „Die Zahlung durch Wechsel und Scheck" —
Anstelle des auf seinen Antrag entlassenen Ober-
lehrers a. D. Friedrich Schürmann wurde
der Kunstmaler Heinrich Giebel mit den Ob-
liegenheiten des akademischen Zeichenlehrers be-
traut. — Die Zahl der immatrikulierten Studie-
renden beträgt, wie wir berichtigend bemerken,
2168 einschließlich 168 Frauen, zum Hören sind
außerdem noch 49 Studierende, darunter 16 Frauen,
zugelassen. Diese Frequenz ist noch in keinem Win-
tersemester erreicht worden.
Alte Strafwerkzeuge. In Anknüpfung an
den interessanten Aufsatz des Herrn E. Wenzel
über hessische Folterbänke usw. in Nr. 20 ^„Hessen-
land" S. 328 ff. mag folgendes mitgeteilt werden
In dem von mir 1873 gegründeten, von meinem
Nachfolger umsichtig und erfolgreich weiter geför-
derten Museum des Vereins für Hennebergische
Geschichte und Landeskunde zu Schmalkalden be-
finden sich folgende Strafwerkzeuge: Eine Fuß-
und eine Daumenschraube, mit denen bei der Ver-
nehmung der Angeschuldigten die betreffenden Glieder
zusammengepreßt wurden. Zwei bemalte und mit
entsprechenden Inschriften versehene Schilder mit
der Aufschrift „Bienendieb" (über einem Bienen-
korb) und „Obstdieb", die den abgefaßten Dieben
beim Prangerstehen vor dem Rathaus um den Hals
gehängt wurden. Endlich eine Keule zum Zer-
schlagen der Glieder eines zum Rädern verurteilten
Verbrechers. Das früher vorhandene Richtschwert
soll, wie mir seinerzeit mitgeteilt wurde, in die
Sammlungen des Germanischen Museums zu Nürn-
berg gelangt sein. Otto Gerland.
Personalchronik. Der Kommandierende Gene-
ral des XI. Armeekorps Reinhard Freiherr von
Scheffer-Boyadel, bekanntlich ein Nachkomme
der hessischen Kanzler Scheffer und 1851 zu Hanau ge-
boren, wird aus Gesundheitsrücksichten seinen Abschied
nehmen. — Professor August Thiersch, der hervor-
ragende Münchener Architekt, beging am 28. November
seinen 70. Geburtstag. Thiersch, ein Sohn des Theologen
Heinrich Thiersch und Enkel des Phllologen Friedrich
Thiersch, ist der ältere Bruder des Erbauers des Münche-
ner Justizpalastes. In Marburg geboren, in München
Assistent Neureuthers, wirkt er dort seit 1877 als Pro-
fessor an der Technischen Hochschule für Bauformlehre,
hauptsächlich der antiken Stile. Von seinen Bauten sind
Kirchen in Augsburg, Zürich und Eichstädt, die schlichte
und eindrucksvolle, aus frühchristlichen Motiven gestaltete
Ursula-Kirche in München-Schwabing zu nennen. Seine
bedeutendsten Arbeiten aber hat er auf dem Gebiete der
Architekturwissenschaft geschaffen.
Der Landesausschuß des Regierungsbezirks
Kassel hat zu den Kosten der Instandsetzung der Burg-
ruine Kruckenburg bei Helmarshausen eine Beihilfe
von 1000 M. bewilligt. — Zu Mitgliedern der Bezirks-
kommission zur Erforschung und Erhaltung der Denk-
mäler innerhalb des Regierungsbezirks Kassel für die
Zeit vom 1. April 1913 bis 1914 wurden gewählt
bezw. wiedergewählt Professor Schick, Kassel, Geh. Ar-
chivrat vr. Könnecke, Marburg und General Eisen-
traut, Kassel, und zu deren Stellvertretern Professor
vr. Richter, Fulda, Kgl. Baurat vr. H o l t m e y e r,
Kassel und Professor K n a ck f u ß, Kassel.
Über den am 1. Oktober in Hannover verstorbenen
Geheimen Regierungsrat Professor vr. Kaiser, einen
treuen Sohn seiner hessischen Heimat, wird uns noch
nachträglich geschrieben: Geboren am 13. September
1838 zu Ziegenhain, .besuchte er die Schule seiner Heimat-
stadt und studierte dann in Berlin Tierheilkunde. 1857
ließ er sich nach erlangter Approbation als Tierarzt in
Neustadt, später in Ebsdorf nieder. 1871 wurde ihm
die Kreistierarztstelle in Marburg übertragen. 1883
wurde er als Lehrer für Tierzucht, Operationslehre,
Exterieur, Geburtshilfe und ambulatorische Klinik an
die Tierärztliche Hochschule in Hannover berufen, wo er,
mit reichen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestattet,
29 Jahre segensreich gewirkt hat. Seinen Schülern war
er nicht nur Lehrer, sondern auch väterlicher Freund und
Berater. Er war Mitbegründer und- Ehrenmitglied des
Vereins Kurhessischer Tierärzte. Aufs engste vertraut
mit den Verhältnissen seiner alten Heimat, hat er ihr
auch in der neuen Heimat eine treue Anhänglichkeit be-
wahrt. Alle, die ihn gekannt haben, werden sich seiner
gern und dankbar erinnern. R. i. p.
Eine noch nicht beschriebene hessen-
schauenburgische Kupsermarke. Im Numis-
matisch-sphragistischen Anzeiger Nr. 7 vom 31. Juli
1898 habe ich einen auf der Fuldainsel Finkenherd zu
Kassel gehobenen Fund eigenartiger Kupfermarken be-
sprochen, die sämtlich das Gepräge von Nr. 1369 in
Hoffmeisters bekanntem hessischen Münzwerke haben (ab-
gebildet daselbst auf Tafel II). Das einseitige Gepräge
zeigt einen „fast herzförmigen" unten zugespitzten Schild
mit der schauenburgischen Nessel, oben W — auf der
4ML. 386 SS8L.
rechten Seite des Schildes 4 — Buchstabe, Zahl und
Schild vertieft, nur die Nessel erhaben, Durchmesser
27 mm. Hoffmeister hält das Gepräge für ein Geld-
stück zu 4 Pfennig, von Hessen für seinenAnteil an der
Grafschaft Schauenburg geschlagen. Ich habe damals
auseinandergesetzt, weshalb man es nicht gut für' eine
regelrechte Münze halten könne, die Einseitigkeit des
etwa in die Zeit 1648—56 zu verlegenden Stückes
und vor allem das vertiefte Gepräge sprechen dafür,
dast es nur eine Kontrollmarke ist. Man kann etwa an-
nehmen, beim Verkehre zu Wasser zwischey Rinteln und
Kassel hätten die aus dem Schauenburgischen kommenden
Schiffe eine Kontrollmarke bei der Ankunft am Finken-
herd abzugeben gehabt, man habe die Marken dort in
Beutelchen gesammelt, um sie gelegentlich nach Rinteln
zurückzusenden, und ein solches Beutelchen sei an der
Fundstelle verloren gegangen, wo es dann im Juli 1898
wieder zu Tage gefördert worden ist. Diese Darstellung
ist sehr einleuchtend und erklärt alles bis auf die 4.
Daß cs bei Kontrollmarken nicht ohne Nummern ab-
geht, sieht man ein, „aber alle", so sagte ich damals,
„bis. jetzt bekannten Stücke tragen dieselbe Nummer
4" Dieser Satz erfährt jetzt eine Einschränkung. Im
Juli 1913 ist mir nämlich ein Stück vor Augen ge-
kommen, das keine 4, sondern eine 3 trägt. Es weicht
auch im übrigen bei aller Ähnlichkeit von dem andern
Stück etwas ab. Zunächst ist der Buchstabe W nicht ver-
tieft, sondern steht erhaben in einem vertieften Schilde
von dreieckiger Form mit abgerundeten Ecken. Bon der
Zahl 3 ist nur der Umriß vertief, sie steht also ge-
wissermaßen erhaben in einer (ein wenig größeren) ver-
tieften 3, Endlich hat die Nessel rechts 6 statt 4 Zacken.
Das Stück ist dünner als das bisher bekannte, hat auch
nur 241/2 mm Durchmesser. Ich habe es bisher noch in
keiner anderen Sammlung oder Beschreibung gefunden.
(P. Weinmeister-Leipzig in Nr. 11 der „Blätter für
Münzkunde".)
Aus Kassel. Am 22. November fand die feierliche
Eimveihung und Verkehrsübergabe der in Verbindung
mit dem neuen Walzenwehr für den Großschiffahrts-
betrieb erbauten Schleusenanlage statt. — Nachdem das
König!. Konsistorium in der Krematoriumfrage seinen
ablehnenden Standpunkt gegenüber den Wünschen der
städtischen Körperschaften aufgegeben hat, stehen dem Bau
einer großen Leichenhalle sowie eines Krematoriums auf
dem Kasseler Friedhof Schwierigkeiten nicht mehr im
Wege. _____________
Aus Fulda. Im Anschluß an die Ausgrabungen
am Domplatz gab Professor Vonderau in der letzten
Versammlung des Geschichtsvereins über die im spitzen
Winkel die Fundamente der ehemaligen Stiftskirche
schneidende Mauer die Auffassung kund, daß es sich
wohl.um Überreste einer ehemaligen Befestigungsmauer
des alten Klosters handeln werde. Diese Auffassung
dürfte zutreffend sein, und es steht ja auch geschichtlich
fest, daß Abt Helmfried zur besseren Sicherung von
Kirche und Kloster im Jahre 916 diese mit einer
starken Mauer umziehen ließ. Diese Mauer führte u. a.
auch über den jetzigen Domplatz nach dem Abtstor zu.
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn es glücken sollte, den
Zug dieser Mauer in ihren Überresten festzustellen. Mit
ziemlicher Sicherheit ließe sich hiernach wohl die Lage
der ursprünglichen Kloster- und Kirchengebäude (erste
Hauptkirche) feststellen, abgesehen von sonstigen wert-
vollen Ergebnissen, die eine solche Nachgrabung zeitigen
müßte. Daß diese ehemalige Mauer ein starkes Boll-
werk gewesen sein muß, geht daraus hervor, daß sie
Abt Helmfried hauptsächlich der wilden Ungarn halber,
die 915 bis Fulda vorgedrungen waren und hier furcht-
bar gehaust hatten, errichten ließ. — Daß der aufge-
deckte Sarkophag in späterer Zeit, vielleicht bei einem
Neuaufbau der Hauptkirche (Königskapelle), an dieser
Stelle aufgestellt worden ist, darf wohl ohne weiteres
angenommen werden.
Aus Eschwege schreibt man uns über ein wertvolles
Museumsstück: Unser jetzt eröffnetes Heimatmuse-
um, das in der ehemaligen katholischen Schloßkapelle
eine wütige und sehr geeignete Heimstätte gefunden hat,
besitzt eine seltene und wertvolle Sehenswürdigkeit, die
Uniform eines freiwilligen Lützowscheu Jä-
gers zu Pferde. Weder das Königliche Zeughaus
in Berlin, noch die Jahrhundert-Ausstellung in Breslau,
in der doch Uniformen aller deutschen Freiheitskämpfer
in reichster Auswahl zu sehen waren, haben eine solche
Seltenheit aufzuweisen. Die Eschweger Uniform ist ein
ein Geschenk der Familie Heinemann. Der Großvater
des Stifters, Christoph Heinemann, machte die Freiheits-
kriege als Lützower mit. Er war ein guter Freund des
Dichters Theodor Körner, an den noch mehrere Andenken
sich in der Familie Heinemann befinden.
Aus Friedberg. Die städtischen Sammlungen
erfuhren eine Bereicherung durch 30 photographische
Kollodiumplatten mit Aufnahmen der spätromanischen
Fresken im Chor und Querhaus der um 1260 erbauten
Friedberger Liebfrauenkirche. Es ist erfreulich, daß die
seither unbekannten, bis in die 1870er Jahre zurück-
reichenden, ganz vorzüglichen Aufnahmen des 1899 ver-
storbenen Hofphotographen Ludwig Schmidt nun aufge-
funden wurden und einen fast vollwertigen Ersatz für
die kunstgeschichtlich höchst bedeutsamen Originale bieten.
Die photographischen Abbildungen der Fresken gelangen
demnächst im Friedberger Stadtarchiv zur Ausstellung.
Die Eröffnung der reichhaltigen und kostbaren städti-
schen Sammlungen (Museum, Stadtarchiv, Stadtbiblio-
thek) erfolgt im Frühjahr 1914 zugleich mit der Feier
des 7M jährigen Bestehens der einst freien Reichsstadt
Friedberg in der Wetterau.
Aus Biedenkopf. Der Minister hat unserem
Geschichtsverein die erbetenen Mittel für den Ausbau
der Museumsräume im Schloß bewilligt. — Das aus
dem 15. Jahrhundert stammende Hospitalsgebäude soll
aus Anlaß seines 500 jährigen Bestehens, das im Jahre
1917 gefeiert wird, durch einen Umbau ersetzt werden.
(Auch eine Ehrung! Die Redaktion.)
Vom Vogelsberg. Da Gefahr besteht, daß der
Gipfel des Taufsteins abgeholzt werden soll, um den
dort errichteten Bismarckturm freizulegen, hat der Vor-
stand des Vogelsbertzer Höhenklubs beschlossen, beim
Großherzogl. Ministerium zu beantragen, daß die schönen
alten Bestände in unmittelbarer Nähe des Turmes unter
Denkmalschutz gestellt werden.
Aus Schmalkalden. Am 10. November weilte
hier eine Kommission aus Vertretern des Ministeriums
des Innern usw., mehrere Dezernenten der Königl.
Regierung zu Kassel, darunter der Regierungspräsident
Graf v. Bernstorff, zur Besichtigung des Schlosses Wil-
helmsburg zum Zwecke der Unterbringung des Landrats-
amtes. D»as Ergebnis der Besichtigung war, daß das
Projekt zum Ausbau des Schlosses für den erwähnten
Zweck aufgegeben wurde und das bisherige landrätliche
Dienstgebäude, der 1225 erbaute Hessenhof, durch einen
387 &m>
Anbau vergrößert werden wird. Diese Arbeiten sollen
im nächsten Frühjahr begonnen werden. Die Kosten
werden von Staat und Kreis gemeinsam getragen. —
Damit dürste diese die Altertumsfreunde seit Jahren be-
unruhigende Frage eines Umbaues der Wilhelmsburg
eine erfreuliche Lösung gefunden haben.
Hessische Bücherschau.
Des Deutschen Vaterland. Deutschland in
landschaftlicher, geschichtlicher, industrieller und kultur-
geschichtlicher Hinsicht unter besonderer Berücksichti-
gung des Volkstums. Herausgegeben von Hermann
Müller-Bohn. 2 Bände. 1336 Seiten. Stutt-
gart (Chr. Belser) 1913. Preis 40 M. (auch in
Lieferungen).
Herausgeber dieses Monumentalwerks über Deutsch-
land ist der bekannte Biograph und historische Schrift-
steller Hermann Müller-Bohn, der einen Stab hervor-
ragender Schriftsteller und Gelehrter als Mitarbeiter
um sich gesammelt hat. Darunter folgende Namen : Lud-
wig Ganghofer (Bayrische Volksfttten), Hansjakob
(Schwarzwälder Hochzeitsbräuche), Hofrat Trinius und
Emil Herold (Thüringen), Peter Rosegger (Deutsche
Schutzstiftung in Österreich), Prof. Dr. Weise (Die deut-
schen Stämme), Hofrat Dr. Spielmann (Deutsche Ge-
schichte), R. Reichardt (Deutsche Volkssitten und Fest-
bräuche), Professor Dr. Hoeniger (Deutschtum im Aus-
lande), Fritz Lienhard und W. Scheuermann (Elsaß),
F. Hupfer (Lothringen), Dr. Marx Möller (Mecklenburg),
Hermann Berdrow (Pommern), Josef Buchhorn und
Arthur Rehbein (Die Rheinlande), Dr. Arthur Obst
(Die Hansestädte und Schleswig-Holstein), Fritz Droop
(Schlesien und Hannover), Paul Schaumburg (Provinz
Sachsen), Professor Dr. Sturmhoefel (Königreich Sachsen),
Hermann Müller-Bohn (Mark Brandenburg und Berlin),
Paul Heidelbach (Hessen-Nassau und Waldeck),
Professor Dr. Gradmann (Württemberg), Professor Dr.
Pfaff und Otto Ernst Sutter (Baden), Dr. Alois Dreyer
(Bayern), Arthur Fürst (Die deutschen Kanäle), Professor
Heinrich Sohnrey (Ländliche Wohlfahrtspflege), Reichs-
tagsabgeordneter Dr. Hugo Böttger (Deutsches Wirt-
schaftsleben), Ottomar Beta (Die deutschen Kolonien),
Franz Como (Großherzogtum Hessen), Walter
Heymann (Ostpreußen), Ewald Müller (Spreewald), Karl
Wehrhan (Die Lippeschen Lande), Franz Poppe (Olden-
burg), Dr. Wiese (Westfalen), Mela Escherich (Braun-
schweia), Professor Dr. Kremmer (Posen), Universitäts-
professor Dr. Siebs (Helgoland) u. a. Geschmückt ist das
Werk mit Originalzerchnungen von Franz Stassen, Georg
Eichbaum, R. Hellgrewe, F. F e n n e l, zahlreichen
sarbenphotographischen Aufnahmen von Hans Hilden-
brand und nahezu tausend Illustrationen. X.
Hormel, Frida. Kinderreime. Mit Federzeich-
nungen von B. Martin. Kassel (Verlag von Pil-
lardy und Augustin). Preis 1,50 M.
Wenn man die große Schar der für die Kinder be-
stimmter Bilderbücher durchmustert, ist man immer wieder
erstaunt, wie so viele Autoren die Welt, vom Stand-
punkt des Erwachsenen gesehen, dem Kindergemüt nahe
bringen wollen und dadurch in ihrem Bemühen, den
Kleinen Freude und Belehrung zu bringen kläglich
scheitern. Hier ist ein Buch, dessen Verfasserin sich fein-
fühlig mit liebevollem Verständnis in die Seele des
Kindes versetzt und die Dinge der Umwelt in leicht
faßlicher, ergötzlicher und doch belehrender Weise schildert.
Nirgends stößt die lehrhafte Tendenz ab. Sie fließt,
wie ungewollt, aus den Dingen selbst, sie gibt sich natür-
lich und selbstverständlich. Haus und Hof, Blumen und
Pflanzen beleben sich, Frösch und Hase, Spatz und Nach-
tigall, Katze und Maus, Hahn und Henne werden ge-
sprächig, die Ereignisse aus der Kinderwelt erhalten ein
anderes, bedeutsames, schalkhaftes oder ernstes Gesicht.
Auch Menschenliebe, Mitgefühl an fremdem Leid wird
dem keinen Leser oder Hörer eingeprägt, ohne viel
Moralpaukerei und mit fröhlicher Miene. Frida Hormel
weiß offenbar, wie man mit Ändern sprechen muß, um
ihre volle Anteilnahme zu erregen, und ihr hübsches
Berstalent kommt ihr sehr statten. Bertha Martin
hat außerordentlich nette Bilder und Vignetten beige-
steuert, die den Versen sich liebevoll anpassen. Kurz,
eine Weihnachtsgabe, von der man wünschen kann, daß
sie sich unter zahlreichen Tannenbäumen finden werde.
Der billige Preis leistet der Erfüllung dieses Wunsches
Vorschub. _______________ H. B.
Handbuch der Kun st Wissenschaft. Heraus-
gegeben von Dr. F. Burger, München, in Ver-
bindung mit den Universitäts-Professoren Curtius-
Erlangen, Egger-Graz, Hartmann-Straßburg, Herzfeld
und Wulff-Berlin, Neuivirth-Wien, Pinder-Darm-
stadt, Singer-Dresden, Graf Vitzthum-Kiel, Wacker-
nagel-Leipzig, Weese-Bern, Willich und Oberbiblio-
thekar Leidinger-München. Mit ca. 3000 Abbildun-
gen. Lieferung 9: Wulff, Altchristliche und byzan-
tinische Kunst. Heft 5. Berlin-Neubabelsberg (Aka-
demische Verlagsgesellschaft Athenaion).
Lieferung M. 1.50.
Die neue Lieferung dieser unvergleichlichen und be-
deutendsten Kunstgeschichte der Jetztzeit reiht sich den
bisher erschienenen würdig an, und man kann mit Recht
sagen,daß diese Kunstgeschichte an glücklicher Anordnung,
musterhafter Darstellung, glänzender Ausstattung, FüUe
und technisch höchster Vollendung der Mbildunhen über-
haupt keine ebenbürtigen Vorgänger hat und einzig da-
steht. Die Verfasser sind durchweg erste Kapazitäten auf
ihrem Gebiet, die es ausgezeichnet verstehen, die Kunst
aller Zeiten dem modernen Empfinden viel intensiver
näher zu bringen als in ähnlichen früheren Werken.
Burgers Handbuch der Kunstwissenschaft übertrifft schon
dadurch alles bisher Dagewesene, daß es dem Leser
nicht lediglich totes Wissen bringen will, sondern in
lebendigster Darstellung wirkliches Kunstverständnis ver-
mittelt, indem es die neue Methode des Bergleichens
heranzieht und die interessanten kulturellen und histo-
rischen Zusammenhänge zeigt, aus denen das Kunstwerk
herausgewachsen ist. Auch die vorliegende Lieferung, in
der Professor Wulff-Berlin, der anerkannt beste Kenner
der altchristlichen und byzantinischen Kunst, seine Schil-
derung dieser hochwichtigen Kunstperiode in einzigartiger
und vorbildlicher Weise weiterführt und besonders Die
altchristliche und byzantinische Plastik behandelt, zeigt
glänzend alle diese Vorzüge. Nicht weniger als 41 bril-
lante Abbildungen, sämtlich in Doppeltondruck, und drei
ganzseitige Tafelbeigaben geben dem Text eine pracht-
volle Erläuterung. X.
Napoleons Briefe. Ausgewählt und herausge-
geben von Friedrich Schulze. 405 S. Insel-
Verlag. Leipzig. Preis: Pappband 4 M., Leder 10 M.
„Ich will den Privatmenschen nicht mehr zur Geltung
bringen, als er Geltung beanspruchen darf. Das Werk
swfeb 388 ««N&
ist es, das in eigenen Dokumenten des Kaisers erstehen
soll. Und ich möchte den leidenschaftlichen Rhythmus be-
wußt werden lassen, der in diesem Leben und in diesen
Ereignissen liegt, und der jeden mit sich fortreißt, dem
der Sinn für menschliche Größe nicht fehlt." Mit diesen
Worten begründet der Herausgeber die Auswahl seiner
328 Briefe, die alle Lebensetappen des Korsen umschlie-
ßen. Ein knapper, klarer Text verbindet die einzelnen,
von Hedwig Lachmann trefflich übersetzten Briefe mit-
einander. Dem vornehm ausgestatteten Werk gab der
Verlag 19 Napoleonbilder bei, deren geschichtlichem Wert
im einzelnen ein besonderes Kapitel gewidmet ist. Außer
dem Spezialforscher wird heute schwerlich jemand die
große Zahl der gedruckten Korrespondenz Napoleons lesen
— Hintersassen hat er an die 100 000 Briefe; die vor-
liegende sorgfältige und die Charakteristik des Kaisers
erschöpfende Auswahl wird darum vielen willkommen sein.
____________ Hbach.
Eingegangen -
KasselerDichterbuch. Herausgegeben von Karl
Waldemar Nolte. Mit Buchschmuck von C.
Deymann. 268 Seiten. Kassel (A. Freyschmidt) 1913.
Preis in Leinen gebunden M. 3,50.
Personalien.
Verliehen: dem bish Bezirkskonservator Geh Regie-
rungSrat Prof. vr. v Drach der Kronenordm 3. Kl.;
dem Amtsgerichtsrat v. Boltog zu Bergen der Rote
Adlerorden 4. Kl.; dem cand. phil. Hermann Lins zu
Halle die Rettungsmedaille am Bande; der Frau Dr. Lizzi
Ambrosius, dem Fräulein Hedwig H o f m e i st e r und
der Frau Stabsarzt Maria G o e r tz sämtlich zu Hanau,
die Rote Kreuz-Medaille 3 Kl.; dem bisherigen Posthalter
Schmidtmannzu Frankenberg das Verdienstkrcuz in Gold.
Ernannt: Regierungs- und Schulrat Tie. Albers
zum Provinzialschulrat in Kassel; die Regierungsassessoren
Kleine und Wallach zu Kassel zu Regierungsräten;
Telegraphen - Inspektor Meyer zu Kassel zum Ober»
Postmspektor; Pfarrer und Metropolitan Martin zu
Sontra zum ersten Pfarrer in Grebenstein; Pfarrer
Itter zu Sterbfritz zum Pfarrer in Langenselbold;
Pfarrer extr. Wiegand zu Kassel zum Pfarrer in Nieder-
elsungen; Hilfspfarrer Petschar zu Marburg zum Pfarrer
in Ebsdorf; Pfarramtskandidat Frank zu Schmalkalden
zum Pfarrer in Springstille; Seminardirektor Lbwer
zum Direktor des Lehrerseminars in Frankenberg; Professor
H e u n vom Gymnasium zu Fulda zum Kgl. Gymnasial-
direktor in Hadamar; Katasterkontrolleur Patzelt zu GerS-
feld zum Steuerinspektor; Apothekenbefitzer K ü h n zu Kassel
zum pharmazeutischen Bevollmächtigten für die amtliche Be-
sichtigung von Apotheken im Regierungsbezirk Kassel; Tier-
arzt vr. Hartnack zu Homberg zum wissenschaftlichen
Hilfsarbeiter am Königlichen Institut für Landwirtschaft
in Bromberg; Militär - Jntendantnr - Referendar Held-
m a n n in Koblenz zum Militär-Jntendantnr-Asseffor beim
7. Armee-Korps in Münster; Regierungsreferendar Hans
Kurt von Ditfurth zum Regierungsassessor und dem
Landratsamt zu Winsen überwiesen.
Versetzt: Amtsrichter vr. Rote als Landrichter an das
Landgericht in Kaffel; die Regierungsbaumeister Schin-
dowski von Marburg nach Münster und Steche! von
Königsberg als Vorstand deS Hochbauamts I nach Marburg.
AlttSgeschieden: als pharmazeutischer Bevollmächtigte
für die amtliche Besichtigung von Apotheken sowie als
Mitglieder der Prüfungskommission für die pharmazeutische
Vorprüfung im Regierungsbezirk Kasiel; die Apotheken-
er Hokapothrker Nagel! und vr. DomboiS zu Kasiel.
estellt: Pfarrer extr. Linz zum Hilfspfarrer in
Melsungen; Pfarrer extr. Wiegand zum Gehilfen des
Pfarrers Neumeister in Kasiel; Pfarrer extr. Paulus
zum Gehilfen des Pfarrers Hellwig in Grebenstein
übertrage« r dem Oberförster Meyer zu Pforta bei
Naumburg a.S. die Verwaltung des Forstreviers Rosenthal.
Z«getasfe« zur Rechtsanwaltschaft: bei dem Amts-
gericht in Bad Orb der Gerichtsasiesior vr. S ch o t t l a e n d e r
aus Frankfurt a. M.» in Wilstrr der Gerichtsasiesior
vr. Hartmann aus Homberg; Gerichtsassessor Dahl-
berg beim Landgericht in Kasiel.
Gebore« : ein S o h n: Hofapothekrr Fahr und Frau
(Fulda. 16. November); Regierungsrat Adamek und
Frau Sophie, geb. Vogt lKassel. 19. November); Regie-
rungsrat Max Kühnemann und Frau Elisabeth, geb.
Teschemacher «Kasiel 22. November) ; Apotheker Otto
Oehring und Frau Else. geb. Klee (Friedberg i. H.,
80. November); Hauptmann Streit und Frau Ilse, geb.
Rocholl (Arolsen z. Z. Kassel. 1. Dezember); — eine
Tochter: Zahnarzt P. Köbrich und Frau Röschen,
geb. Virchow lKasiel. 19. November); Hauptmann v Har-
n i e r und Frau Marline. geb. v. Eichel Marburg. 22. No-
vember); Regierungsbaumeister Landsberg und Frau
(Kassel. 4. Dezember).
Gestorben : Landgräfl. Parkaufseher Johann Georg
Wingenfeld. 83 Jahre alt (Adolkseck, 15.November);
Frau Christine Grünewald. geb. Bücking. 78 Jahre
alt (Alsfeld. 18.November); Rentier Karl Grebe. 68Jahre
alt(HerSfeld,22.November); Gutsbesitzer HeinrichRoever.
67 Jahre alt (Udenborn bei Wabern 23. November);
verw. Frau Sophie Heidt geb. Fette, 71 Jahre alt
(Kassel. 24. November); verw. Frau Karoline Wiske-
m a n n geb. Eckhard. 79 Jahre alt (Kasiel. 24. November) ;
Bürgermeister Heinrich Damm. 65 Jahre alt (Heckers-
hausen. 25. November); Fürstlich Schwarzburg - Rudol-
städtischer Staatsminister a. D. Wirkt. Geh. RegirrungSrat
Wilhelm v. S t a r ck (Laar bei Zierenberg. 25. November) ;
Frau Ella Scheyhin g. geb. Abel. 34 Jahre alt (Kaffel.
26 November) ; Hotelbesitzer Karl Meyer 58 Jahre alt
(Elberfeld 26 November); Landwirt Peter Ullrich.
56 Jahre alt (Friedewald. 27. November); Privatmann
Hermann A r n t h a l. 8 i Jahre alt (Kasiel. 28. November) ;
verw. Frau Superintendent M. Heck, geb. Bode,69Jahre
alt (Frankfurt a. M.. 29. November); Frau Anna Bopp.
geb. Römer. 63 Jahre alt (Marburg. 1. Dezember); Privat-
mann Wilhelm Endlich. 84 Jahre alt (Niederkaufungm.
3. Dezember); Gastwirt Adolf Keilberg, 57 Jahre alt
(Wilhelmshöhe. 4. Dezember) ; Kreisausschußsekretär Georg
Barthelmes 49 Jahre alt (Gersfeld. 4. Dezember);
Städt. Kanzleivorstand Paul Prinzel. 65 Jahre alt
(Kassel.7. Dezember); Privatmann Albert Jörns. 68Jahre
alt (Kasiel. 8. Dezember).
Hragekaslen.
6. 3. Juli 1770 starb der Leibmedicus vr. Joh. Ephraim
M u t i l l e t in Kassel. Seine Frau war Susanne Salome
geb. Haust. Wer waren die Eltern beider?
7. Wer war der Vater des 19. Juli 1765 verstorbenen
Leibchirurgus Joh. Conrad Möller in Kassel? Möller
war erster Chirurgus im Rat. Garde du Corps gewesen.
8. Wo findet man ein Bild des Hof-Kupferschmiede-
meisters Otto Philipp Küper, der die Kupferarbeiten
am Herkules auf Wilhelmshöhe ausführte?
vr. Hans Brg^n, Berlin-Schöneberg.
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. — Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.
DM" Hierzu eine Beilage der Verlagsbuchhandlung von Kliakhardl & Bierraaa», Leipzig, betr. »Kasiel"
von Paal Heidelbach und eine solche betr. Haas Reyerkaffels hessische» Kaastkaleaber 1914".
Hefsenland
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 24. 27. Jahrgang. Zweites Dezember-Heft 1913.
Weihnachtssegen.
Ich steh' auf dunkler Höh', es streicht die Nacht
Mit schwarzen Schwingen über die Gefilde,
Rings ruht der Wald in stummer Winterpracht,
Und unterm Eise schläft der Dach, der wilde.
Tief unten ruht das Dorf, ich seh' es kaum,
Die Dämmrung deckte es mit dunkler Hülle ..
Und durch die Nacht zieht leis der Weihnachtstraum:
Wie Harfenion bebt's durch die heil'ge Stille;
Und langsam rieseln Flocken schwermutsschwer
Aus schwarzen Wolken, dichter, immer dichter:
Da klingt im Tal ein Lied so hoch und hehr,
Und mählich wird das Dämmerdunkel lichter;
Rings läuten süße Glockenmelodien,
Durch graue Nacht gleißt schimmernd Silberweben,
Und liebe, blonde Weihnachtsengel zieh'n
Hinab ins Tal, dort, wo die Menschen leben.
Ein feligheitz, unfaßbar hell'ges Glück
Durchklingt in süßen Harmonien die Welten:
„Der Gottsohn führte Luch zum Ltcht zurück —
Und Liebe soll den Todhaß Euch vergelten!"
Marburg. Alfred Hahn.
----------------------------------
Das vorleben der Seele.
Ein Stück germanisch-hessischen Volksglaubens.
Die Seele war dem Urgermanen nicht das Un-
sichtbare, Unfaßbare, Unwägbare, als das sie uns
modernen Menschen erscheint. Sie war ihm etwas
Körperliches, ein wenn auch sehr verfeinertes Ma-
terielles — ein Hauch, ein Dunst, ein Wölkchen,
ein Rauch, ein Flämmchen. Huldigten sonach
unsre Urahnen und mit ihnen ihre naiven Nach-
fuhren einer Art Materialismus, so war bzw. ist
Von Heinrich Franz.
ihnen doch die Seele nicht wie den modernen
Anhängern der bezeichneten Weltanschauung ein
von dem Körper durchaus abhängiges Etwas, ein
von biefent erst erzeugtes Verbrennungs- oder
Schwingungsprodukt. Sie war ihnen vielmehr et-
was Selbständiges, das auch während seiner Ver-
bindung mit dem Menschenleibe diese seine ur-
eigene Selbständigkeit in verhältnismäßig hohem
&WL 390
Grade behauptete. Sie gingen in dieser Hinsicht
sogar noch über unsere Antimaterialisten hinaus,
insofern sie der Seele nicht nur sür die Dauer
ihrer Verbindung mit dem Leibe ein selbständiges
Sein zuschrieben, sondern sogar eine Art Vorleben
bei ihr annahmen. Die Seele fährt, bevor sie
in geheimnisvoller Weise in den Menschenleib ein-
tritt, nach gemeingermanischem Glauben in Ge-
stalt von Motten, Vögeln und anderen Fliegern
durch die Lust 4), vor allem aber haust sie in
den Quellen. Wenn also die Ammenrede unsrer
Tage will, daß die Kinderseelen aus den Brunnen
und Teichen kommen, so ist das doch wohl mehr
als Gerede, es ist ein Nachhall altheiligen Glaubens
unsrer germanisch-hessischen Ahnen* 2). Ich bin so-
nach schon aus allgemeinen Gründen geneigt, Ge-
org Landau3 4 *) recht zu geben, wenn er für jeden
hessischen Ort einen Kinder spendenden Brunnen
oder Teich annimmt. Derselben Ansicht wie Landau
ist offenbar Karl Lynker, wenn er schreibt „daß
die neugeborenen Kinder aus einem Brunnen oder
Teiche hervorgehen, hört man überall in Hessen."4)
Ebenso schreibt Pfarrer Wilhelm Oeser zu Lind-
heim i. Wetterau (als hessischer Volksschriftsteller
unter dem Decknamen W. O. Glaubrecht weit be-
kannt und mit Recht hochgeschätzt) an den Sagen-
sorscher I. W. Wolf „In allen Dörfern meiner
Umgebung ist der Ort, woher die Kinder kommen,
ein Brünulein. In vielen heißt er kurzweg der
Kindsbrunnen und wird unter den vorhandenen
Quellen in dem Ort oder um denselben nament-
lich gezeigt."3)
Für die Annahme, daß in ältester Zeit jeder
hessische Ort einen „Kinderbrunnen" besaß, spricht
aber außer Gründen allgemeiner Auffassung und
allgemeiner Angaben noch ein besonderer Grund,
nämlich der, daß sür Hessen, vom weiteren deut-
schen Vaterland hier absehend, eine verhältnismäßig
stattliche Zahl bestimmter Orte mit bestimmten
„Kinderbrunnen" namhaft gemacht werden können.
Bei einigen werden bemerkenswerte nähere An-
gaben hinzugefügt. So fließt der Milchborn unter-
1) Eugen Mogk, (Germanische Mythologie2, S. 29
2) So Mannhardt in Germanische Mythen S. 255 sf.
Dagegen läßt es der so überaus vorsichtige Mogk dahin-
gestellt, „ob die über das ganze germanische Gebiet
verbreitete Ammenrede, daß die kleinen Kinder aus
Brunnen oder Teichen geholt werden, auf altem Glauben
beruht oder erst späteren Ursprungs ist" (Germanische
Mythologie S. 29 u.)
3) „Gebräuche, Aberglauben und Sagen aus Hes-
sen" in Zeitschr. f. Hess. Geschichte und Landeskunde
II, 272, neu abgedruckt in den Tourist. Mitteilungen
l900, S. 107,
4) Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen2,
Nr. 117.
3) I. W. Wolf, Hessische Sagen Nr. 217 Anmerkung.
halb des Birsteiner Schloßberges, lvo der Weg nach
Sotzbach führt, aus drei Röhren. Aus der dicken
kommen die Buben, aus den beiden dünneren die
Mädchen. „Wenn man das Ohr aus den Boden
legt, hört man die Kinder im Wasser patscheln."3)
Ebenso soll man, wenn es in der Nacht recht
still ist, im Hirzborn zu Betzenrod und im Herr-
gottsborn bei Großendorf „die noch nicht geborenen
Kinder ganz deutlich im Born schreien hören"4),
und im Pfingstborn zu Landenhausen kann man
tvenigstens, „wenn oben das Wasser sich kräuselt
und man genau darauf acht hat", sehen, „wie die
kleinen Kinder aus dem Grunde des Borns herum-
krabbeln."3)
Im Nachstehenden soll der Versuch unternommen
sein, die bis jetzt als „Kinderbrunnen" namhaft
gemachten Quellen planmäßig zusammenzustellen.
Selbstredend würde es zu Dank vermerkt werden,
wenn kundige Leser des „Hessenlandes" sich dazu
herbeilassen wollten, das gegebene Verzeichnis zu
vermehren?!
Hessische „Kinderbrunnen-.
I. In Rheinhessen
Das Brunnenstübchen bei Westhofen, Kreis
Worms4"), das Brünnchen im Balkhäuser Tal
ber Jugenheim, Kreis Bingen44); zwischen Nier-
stein und Schwabsburg, Kreis Oppenheim.42)
II. In Starkenburg
Das Brunnenkellerchen in Eberstadt, Kreis
Darmstadt43); der Ziehbrunnen in der Hasengasse
zu Bensheim a. Bergstraße44); die drei Brunnen,
auch Milchbrunnen oder Kinderbrunnen genannt,
bei Darmstadt nach Reinheim zu.43)
III. In Oberhessen
Der Hirzborn in Betzenrod, Kreis Schotten43);
der Pfingstborn bei Landenhausen, Kreis Lauter-
3) Theodor Bindewald, Oberhessisches Sagenbuch S. 28.
4) Bindewald S. 28/29.
8) Bindewald S. 29.
9) Anschrift des Verfassers. Kassel-W. Geysostr. 181.
4") W. Hoffmann, „Beiträge zur Volkskunde Rhein-
hessens" in Hessische Blätter für Volkskunde X, 39.
44) Wolf Nr. 17,
42) „Zwischen Nierstein und Schwabsburg steht am
Wege eine große schöne Linde, bei der ehemals ein
Kapellchen gestanden haben soll. Da holen die Frauen
aus der ganzen Gegend die Kinder. Wenn man das
Ohr an die àde legt, hört man, wie die Kleinen
unter der Erde jubeln und schreien. Andere sagen, man
höre einen Brunnen in der Erde rauschen." (Wolf
Nr. 15.)
r») Wolf Nr. 211,
44) Wolf Nr. 17, womit zu vergl. Nr. 15 und 16.
43) Wolf Nr. 17.
43) Bindewald S. 28.
V*ÉL» 391 VAL
bach7?); der Herrgottsborn bei Großendorf, Kreis
Büdingen iS); das Ziegelbörnchen bei Merlau, Kreis
Alsfeld"); der Liebchesborn auf der Rabenau
zwischen Kesselbach und Odenhausen, Kreis Gießen") ;
der Schwarzenborn zwischen Gelnhaar und Berg-
heim, Kreis Büdingen27); der Kästenborn nahe
dem vorigen* 19 * 21 22 *); der Ratzenbrunnen bei Reichels-
heim, Kreis Friedberg 2»); der Herrnbrunnen in
Lindheim, Kreis Büdingen24 *), der Riedbrunnen
in Glauberg bei Lindheim"); der Goldbrunnen
auf der Pfingstweide in Hainchen bei Lindheim 26 27 * * * 31 * * 34 * * 37 * *);
die „Kinderbrunnen" in den anderen Dörfern um
Lindheim27); das Klingelbörnchen in Bondorf,
Kreis Gießen") ; das Stichelbörnchen in Berns-
burg, Kreis Alsfeld"); Treis a. Lumda, Kreis
Gießen"); Frau-Rombach, Kreis Lauterbach?7)
IV In der ehemaligen kurfürstlichen Provinz
Oberhessen
Der Elisabethbrunnen bei Schröck, Kreis Mar-
burg92), der Hässelborn bei Holzhausen, Kreis
Marburg"); der Klingelborn in Kirchhain24); der
Neue Born bei Oberwalgern, Kreis Marburg ");
das Bärbörnchen in Treysa, Kreis Ziegenhain "),
der Milchborn bei Ottrau, Kreis Ziegenhain?'')
V In der ehemaligen Provinz Hanau
Der Kinderbrunnen auf der Pfingstwiese bei
Steinau, Kreis Schlüchtern38); der Milchborn bei
Birstein, Kreis Gelnhausen?9)
77) Bindewald S. 28/29.
78) Bindewald S. 29.
19) Bindewald S. 30/31.
20) Bindewald S. 68.
21) Wolf Nr. 17 (aus ihm kommen die Knaben!)
22) Wolf Nr. 17 (aus ihm kommen die Mädchen!)
23) Wolf Nr. 17.
24) Wolf Nr. 211, Gewährsmann Pfarrer Oeser —
W. O. Glaubrecht.
23) wie 24.
26) wie 24.
27) Wolfs Nr. 211 Anmerkung. (Sie führen nach
Oeser, dem Gewährsmann, nur die allgemeinen Namen
Feld-, Wald- und Rainbrunnen.)
26) wie 27; auch derselbe Gewährsmann.
20) wie 27 bzw. 28.
30) Lynker Nr. 117 (hier immer der dem Haus der
Wöchnerin Nächstliegende Brunnen, auch in anderen
Orten wäre das Lynker zufolge ebenso).
31) Horn, „Das Wasser im Leben des hessischen
Volkes" in Blätter für hessische Volkskunde III, Nr. 1.
32) Lynker Nr. 117.
s») Mündlich.
34) Lynker Nr. 117.
33) Mündlich.
36) Lynker Nr. 117.
37) Lynker Nr. 117 (Lynker fügt aber hinzu: „ohne
daß unter Milchborn ein bestimmter Brunnen gemeint ist"
33) Lynker Nr. 329, Horn, Das Wasser usw. (in
Blätter f. Hess. Volksk. HI, Nr. 1), Hanauisches Maga-
zin 1780, S. 27.
33) Bindewald S. 28.
VI. In der ehemaligen Provinz Fulda'
Das Stättebrünnchen in Fulda"); der Boni-
fatiusbrunnen zu Horas bei Fulda?7 *)
VII. In der ehemaligen Provinz Nieder-
hessen")
Der Assemannsborn in Ermschwerd, Kreis Witzen-
hausen; der Frauhollenteich auf dem Meißner,
Kreis Eschwege49); der Schnellersborn in Ober-
rieden, Kreis Witzenhausen; der Buchborn in Frie-
men, Kreis Eschwege; der Taubenborn in Witzen-
hausen; der Weiberborn in Wolfershausen, Kreis
Melsungen; das Kinderbörnchen in der Katzbach
bei Felsberg, Kreis Melsungen, der Buchborn in
Gudensberg, Kreis Fritzlar; der Druselteich in
Kassel; der Fackelteich in Waldau, Kreis Kassel.;
der Osterborn in Wolfsanger, Kreis Kassel; der
Butzborn in der Flur von Großenritte, Kreis
Kassel44 * 46); der heilige Born ebenda"); der Glocken-
born bei Wolfhagen, der Neuborn in Wettesingen,
Kreis Wolfhagen, ein Teich bei Rhöda, Kreis
Wolfhagen, der Kressenborn bei Grebenstein, Kreis
Hofgeismar.
VIII. Im Kreis Grafschaft Schaumburg
Der kleine Born oder Stahlbrunnen in Roden-
berg.")
An die eigentlichen „Kinderbrunnen" dürften
dann noch ohne erheblichen Fehlgriff diejenigen
Quellen zu reihen sein, deren Wasser, getrunken
oder zum Baden benutzt, unfruchtbaren Frauen den
ersehnten Kindersegen verleiht. Der hessische Volks-
glaube schreibt diese Wirkung, soweit ich bisher
zu ermitteln vermochte, den nachstehenden Teichen
und Brunnen zu
Dem heiligen Born in der Feldmark der Stadt
Zierenberg47 *); dem Frauhollenteich auf dem Meiß-
ner"), der Quelle des heiligen Gangolf an der
Milseburg49); der jetzt — angeblich wegen an ihr
verübten Frevels — versiegten Quelle bei Bim-
bach in dem Grunde"), dem Marienborn in
") Lynker Nr. 117.
47) Lynker Nr. 117 und 267.
42) Belege, wo nicht anders angegeben, bei Lynker
Nr. 117.
") Lynker Nr. 117 und Nr. 19.
44) Lynker Nr 118 („Knaben").
**) Lynker Nr. 118 („Mädchen").
46) Lynker Nr. 117.
47) Lynker Nr. 119.
48) wie 47.
49) wie 47.
30) Wolf Nr. 16 (einen Ort „Bimbach" habe ich
weder in Meyers Ortslexikon des D. R. noch in dem
Kurf.-Hess. Hof- und Staatshandbuch für 1854 aufzu-
finden vermocht).
9mb 392 SML,
Marienborn, Kreis Mainz 51 52 * * 55 * 59 *), wo jetzt ein wunder-
tätiges Marienbild diese Wirkung hervorbringt,
vielleicht auch dem alten wundertätigen Brunnen
am ehemaligen Cyriakusstifte zu Neuhausen, einem
Stadtteil von Worms^) und dem St. Juliansborn
zu Guntersblum, Kreis Oppenheim.33)
Wenn nach dem Bisherigen die „Kinderseelen"
in der Luft und im Wasser eine Art Vorleben
führen, so müssen sie hier in Beziehung treten zu
den „Totenseelen", denen ja der Volksglaube eben-
da eine Art Nachleben zuweist. Und gehen wir,
was hier zulässig, auf die nordischen Quellen zu-
rück und finden, daß diese von einer ganzen Reihe
wiedergeborener Totenseelen zu künden wissen34),
so mögen wir füglich zweifeln, ob nicht im Glauben
unsrer Vorfahren letztlich Toten- und Kinderseelen
dasselbe waren, d. h. ob nicht alle Totenseelen
im Luft- und Wasserreich ihrer etwaigen Wieder-
geburt harrten. Lassen doch die Sagen zur Zeit
des großen Seelenfestes in den Zwölfnächten neben
den Totenseelen auch die Seelen der ungeborenen
Kinder im Sturm durch die Lüfte fahren. Beide
Seelengruppen sind dabei anfangs führerlos. Die
schaffende Phantasie empfindet aber begreiflicher-
maßen bald das Bedürfnis, diesem Mangel ab-
zuhelfen, ihnen einen Führer zu setzen. Unter
den Führern bzw. Führerinnen des „wütenden
Heeres" erscheint im deutschen Volksglauben des
späten Mittelalters und der Gegenwart, im be-
sonderen in Mitteldeutschland, eine „Frau Holda
oder Holle" Als Herrin des Seelenvolkes, mit
dem sie im Hörselberg bei Eisenach, im Kyfshäuser,
in» Unterberg bei Hasloch am Main, vor allem
aber im König der hessischen Berge, im Meißner,
haust, verwahrt sie auch die Kinderseelen, die von
ihr den gebärenden Menschenweibern zukommen.33)
Sie verleiht ferner Eheglück und macht die Frauen
gesund und fruchtbar3«), sie steht Wöchnerinnen
bei und trocknet ihnen die Windeln.3?)
Wer ist letztlich diese „Kindermutter", die sich
„Frau Holle" nennt? Die älteren Forscher und,
ihnen folgend, auch die Bearbeiter der „Hessischen
Volkskunde" (Band II der Hessischen Landes- und
51) W. Hoffmann, „Beiträge zur Volkskunde Rhein-
hessens" in Hessische Blätter f. Volkskunde XI, S. 7.
52) wie 51 (daß N. ein Teil von W. ist, ent-
nehme ich Meyers Ortslexikon des D. R. II).
50) wie 51.
54) s. die interessanten Belege bei Mogk S. 29.
55) Lynker S. 17 und 18.
5s>) Lynker S. 47.
5?) Kühn, Sagen aus Westfalen II, 4.
Volkskunde, herausgegeben von C. Heßler), soweit
letztere überhaupt die Frage berühren5»), sehen in
ihr die Personifikation alter germanischer Gott-
heiten (der Freia, Fria, „Hulda" u. a.). Diese
Auffassung, obgleich durch die gewaltige Autorität
eines Jacob Grimm geschirmt, läßt sich nicht
mehr halten. Die für sie angeführten Belege sind
jetzt zum Teil als unverläßlich, zum Teil sogar
als falsch erwiesen.3«) Was zunächst den Namen
Holda oder Holle angeht, so weist dieser hin auf
hold, Mehrzahl holden, das schon frühzeitig —
neben dem älteren unhold — die elbischen Wesen,
aber auch««) die Seelen Verstorbener bezeichnet.
Hold, lveibliche Form holda (bei Bischof Burchard
von Worms, Dekrete als Akk. holdam61 62 *) gehört
etymologisch zum ahd. helan, „verbergen" «2) und
berührt sich so mit dem an. hei, unsrem „Hölle"
Die Holden wären danach die im Verborgenen
ihr Wesen Treibenden, die Unterirdischen. Aus
der Schar dieser Holden, der Gesamtheit der Seelen
und Elben, hat dann die schaffende Volksphantasie,
zum Teil unter dem Einfluß fremden Volks-
glaubens, mindestens aber erst in später, vielleicht
sogar erst in christlicher Zeit, eine Führerin heraus-
gestaltet und ihr den Namen der Gesamtgattung
als Eigennamen beigelegt. Einmal so weit ent-
wickelt, konnte diese dann im Bewußtsein des
Volkes mählich die von ihr geführten Artgenossen
zurückdrängen und sich zur Frau Holda oder Holle
unsrer Märchen und Sagen fortbilden.«3.)
Waldeckische Kinderbrunnen.
Der Lindenborn bei Sengefelb64 65 66); der Kamer-
born am Widdehagen bei Rhena«3); der Glocken-
born zu Twiste.««)
5«) z. B. S. 608, 616, 619.
59) Man vergl. Mannhardt, Antike Wald- und Feld-
kulte. Vorwort S. XIII und Fr. Kauffmann in Paul
und Braune, Beiträge zur Gesch. d. deutschen Sprache
und Literatur XVIII, 145 ff.
GO) so bei Kuhn, Westfälische Sagen II, 124 und in
nordischen Sagen s. Mogk S. 49.
Gi) s. Grimm, Myth. 4 III, 404 ff. und Paul und
Braune, Beiträge usw. XVIII, 150.
62) bedeutet also nicht, wie Adolf Wuttke, der deutsche
Bolksaberglaube der Gegenwart 3 S. 26 meint, „die
Freundliche".
«3) vgl. Mogk. S. 49/50.
64) L. Curtze, Bolksüberlieferungen aus dem Fürstent.
Waldeck 1860 S. 196.
65) Curtze S. 197.
66) Curtze S. 197.
S««L, 393 N»«L»
Schutz unseren Bäumen.
Ein Beitrag zum Kapitel „Heimatschutz" von Wilhelm Pieper
Das deutsche Gemüt. Wie ein goldenes warmes
Sonnenflimmern seh ich's durch die Lande ziehen.
Und das Erdenfleckchen ist gesegnet, das sein
Himmelslicht im Vorüberhuschen flüchtig küßt.
Gedichte und Lieder sprießen blutfarbigen Blumen
gleich und alle Schönheit wird groß und alles
Gute. Wie ein Rätsel steht es vor der Forschung.
Geht man indes seinem Ursprung nach, dann wird
offenbar, daß dieses Edelweiß nur im Rahmen der
heimischen Flur, des heimischen Stadtbildes ge-
deihen konnte. In den spitzen Giebel- und Turm-
nischen der deutschen Stadt, in der dämmervollen
Stille uralter Gotteshäuser, in den efeuüberwucher-
ten Sagenschätzen altersgrauer Burgen klammern
seine Wurzeln. Sein Duft atmet in den knor-
rigen Linden am Brunnen, in den sturmzerzausten
Buchen und Ulmen der Kreuze am Wege und es
webt und glitzert in den sprühenden Wasserstäub-
chen des rauschenden Mühlbachs. Und dann schreitet
es, selbst ein Märchen, auf goldenen Schuhen
durch märchendunkle und märchenstille deutsche
Wälder, durch versonnen träumendes Heideland.
Und dann rauschen die Wipfel das ewig alte
und ewig neue Lied von deutscher Waldesherrlich-
keit, und die Blumen leuchten heller und duften
schöner, und ein Singen und Klingen zieht mit
ihm.
So ist das deutsche Stadtbild, die deutsche Land-
schaft eine Trägerin des deutschen Gemütes. In
unserer Jetztzeit der nüchternen Erwägungen, die
rücksichtslos über ideelle Werte hinwegschreitet, muß
diese Tatsache unserm Volk immer nachdrücklicher,
immer eindringlicher in Erinnerung zurückgerufen
werden. Eine Volksparole muß das „Schutz der
Heimat" werden, jeder Einzelne soll ein Apostel
der Heimatschutzmission sein. Darum haben die
Heimatschutzfreunde ihre Wünsche zu einem duf-
tigen Blumenstrauß vereint und stellen ihn als
Morgengabe auf den Tisch eines jeden deutschen
Hauses. Lichtblau, wie ein Himmelsauge, steht
bescheiden versteckt unter jener Blumenfülle ein
zartes Vergißmeinnicht. „Vergesset die Bäume
unserer Heimat nicht" bittet es. Ich sehe Euch
ungläubig lächeln' „Wozu denn Baumschutz, wo
doch Nachwuchs in Fülle vorhanden ist." Begleitet
mich ein Weilchen durchs sonnige Land und Ihr
werdet Euch von der Berechtigung des Rufes nach
Baumschutz überzeugt haben. Seht die Felder dort.
Wo blieben die Ahornbäume, die Eschen und Buchen,
die als Landmarken den Rain begrenzen müßten'
Sie gaben Euch Hoffnung und Kraft, wenn der
Frühlingssturm über die Felder brauste, sie
gaben Euch Schatten im Sommer, brachten Leben
und Poesie in das Landschaftsbild, und ihr Rauschen
kündete in des Spätsommers schwerem Fruchtsegen
die Allmacht des Schöpfers. Und kam dann der
Herbst, dann zog es wie ein Jauchzen und Leuchten
durch die Flur, und wie auf vollen starken Armen
trugen Äste und Zweige seiner Farbenglut satte
Schönheit. Die Ahornbäume, die Eschen und
Buchen sind verschwunden, und öde und tot ist
jetzt die Landschaft. Schaut hier die Wegekreuzung'
Wo blieben die prächtigen Ulmen? Und dort das
Bächlein im Wiesengrund, was geschah mit den
Pappeln, die das Ufer säumten? Ich höre es noch
im Geiste, ihr immerwährendes Raunen und Flü-
stern, das Hohelied der Gottesnatur. — Nun ist
es verstummt. Krämergeist und engherzige Ge-
winnsucht rissen mit roher Hand nieder, was herr-
lich und edel in Eurer Flur war, und mit den
niederbrechenden Stämmen ging ein gut Teil
Heimatliebe. Da drüben, links ab von der Land-
straße liegt behäbig und breit ein geräumiger
Bauernhof. Die wetten Dächer und langen Stall-
gebäude künden von Wohlhabenheit, aber ver-
gebens sucht das Auge nach den trutzigen Wächtern
an des Hofes Saum. Was deutsche Großväter
und ihre Vorfahren weit zurück, getreu einer
schönen deutschen Sitte, schufen, den grünen Kranz
von Eichen und Linden rings um das Gehöft, das
haben ihre Enkel mit Axt und Säge vernichtet.
Das Wiegenlied der Generationen, das der nächtliche.
Wind in ihren gewaltigen Kronen saug, ist verklun-
gen. Die wetterharten grünen Riesen breiten nicht
mehr ihre schützenden Arme über die tiefen Dächer,
und über die Giebel hinweg schaut mit starrem
Auge die Ode. Raub am Heimatgut, schweren
Frevel an deutscher Art beging die Hand, die die
Axt an die Wurzel der Stämme legte. Die Nach-
kommenschaft wird ihr dafür keinen Dank wissen.
Aber diese darf nicht die Hände in den Schoß legen
und beklagen, was Unverstand und Einfalt zer-
störte. Forstet die Haine wieder auf, pflanzt wieder
Buchen, Eichen und Ulmen rings um das Haus,
stellt eine Linde vor die Türe, denn dieser Ehren-
platz gebührt ihr. Sie ist der Hort des deutschen
Gemüts, der Schutzgeist germanischer Art. Du
Königin Linde, du Märchenbaum in deutscher Flur'
Deutsche Dichtung und deutsches Lied haben dir
wundersame Blütenkränze gewoben. Mit Blüten-
kränzen behängen ist dein Stamm, mit duftenden
Blüten übersät sind deine Zweige, Blüten, die
nimmer welken. Und wer dein Bild mitnimmt in
die Fremde hinaus, um den ist es geschehen. Die
Sehnsucht zieht mit ihm, das Heimweh nach deutscher
Erde. Keine Freude fesselt ihn und kein Glück.
Bei Tag rufst du ihn und bei Nacht, bis er zurück-
gekehrt ist zu dir.
„Schutz den Bäumen'" Man sollte das schon
der Jugend zu bedenken geben. Jeder Baum ist
ein Lebewesen der Natur. Wird seine Rinde zer-
schnitten, ist seineLebenskraft geschwächt, sein Wachs-
tum unterbunden. Er verblutet. Wie die Tiere,
so haben auch die Bäume ein Anrecht auf Schutz.
Dann aber vor allen Dingen ist ein schön gewach-
sener Baum ein Kunstwerk. Vernichtet man ein
*m> 394
solches ohne weiteres? Hier wende ich wich an
die gereiften Männer. Was in Jahrzehnten, in
Jahrhunderten heranwuchs, was ganze Geschlechter
erfreute, was der Landschaft Charakteristik und
Schönheit gab, das zerstört die Axt in wenigen
Augenblicken. Nicht der Holzwert soll entscheidend
sein, es gibt Werte, die unendlich höher stehen.
Mehr Idealismus und weniger nüchternen Ge-
schäftssinn. Frankreich gibt uns hier ein bezeichnen-
des Beispiel. Man hat dort erkannt, daß Baum-
schutz Heimatliebe fördern heißt, daß im Schatten
der Bäume die Seele des Volkes veredelt >vird.
Kürzlich tagte in Paris ein Kongreß, der sich aus-
schließlich mit dem Thema Baumschutz befaßte.
Die maßgebenden Männer Frankreichs nahmen
an den Beratungen teil. Sollen wir uns durch
Frankreich beschämen lassen? Daruin, deutsche
Frauen und deutsche Männer, schirmt auch Eure
Heimat. „Schutz unsern Bäumen" Baut zerstörte
Werte wieder auf, und Ihr leistet eine vater-
ländische Kulturarbeit, die kein klingendes Gold
wett machen kann. Mit der Jugend laßt die Bäume
heranwachsen, und sie wird draußen in der Welt
die Heimat als ein Heiligtum im Herzen tragen,
die weite stille Flur, mit ihren mächtigen Ulmen
und Buchen am hohen Kreuz, mit ihren Ahorn
und Eichen am Wegesaum, mit ihren ewig plaudern-
den Pappeln am Uferrand, die Scholle mit dem
tiefgiebeligen Haus und dem Wall von knorrigen
Bäumen rundum. Und in schweren Stunden wird
ihr Rauschen herüberklingen wie Glockengeläute,
weit aus fernem glücklichen Land. Die Stätte der
Kindheit liegt wieder da im Sonnenglanz, und
leuchtende große Kinderaugen blicken wieder fragend
und ehrfürchtig zu den trutzigen Eichen, zur ge-
waltigen Linde am Hoftor auf. Und ihr Raunen
wird sein wie eine Mahnung. „Sieh aus uns,
die wir Deine Heimat hüten und sei stark. Auch
wir wurden im Sturm und Wetterbraus groß.
Laß Dich nicht niederzwingen von den Stürmen
des Lebens' Sieh auf uns und bleibe stark?"
Beiträge zur hessischen Ortsnamenkunde II.
Von vr. Wilhelm Schoos, Hersfeld.
(Schluß.)
Der große und kleine Leuchtberg bei Eschwege
sollte daher eigentlich Leichberg heißen. Er kommt
im 13. Jahrhundert als Lichberg, Lychberg vor
und wird von A r n o l d * *) fälschlich zu lih corpus
gestellt. Ferner gehören hierher: die Leuchte bei
Marburg auf dem Gaulskopf mit in Dreiecksform
angelegter Befestigung (ähnlich wie die Schweden-
schanze in der Rhön), der Sage nach altsächsische
Fliehburg mit starkem Wall und Graben, die
Leuchte bei Homberg (@fee2), im Volksmund Lichte
genannt, am Ende eines langen Grabens, mit
alten Buchen und Eichen (darunter fünf mächtige
aus einem Stock kommende Eichen), in der Nähe
der Rückersfelder Hute (nach Hülsa zu), die Leichte
(Waldrevier bei Ottrau), der Lichteküppel3) Wald»
ort bei Marburg, im Lichtloch (loch — loh
„Wald") bei Winterscheid und die Lichteloch,
Wald bei Frohnhausen, Kreis Marburg, die Licht-
eiche 4) bei Kirchhain und Frohnhausen. Kr. Mar-
burg, und bei Ruhlkirchen (mit dem Lichtefeld),
vor der Lichteneiche bei Leidenhofen, die Lichter-
eiche bei Dodenhausen, Kreis Frankenberg, die
Lichteheide bei Rosental, Bottendorf und bei
Willershausen, der Lichtewald bei Bracht und bei
') Ansiedelungen und Wanderungen (Marburg 1881),
S. 336.
*i Vgl. dazu Varrentrapp. Rrchtsgeschichte u. Recht
der gemeinen Marken in Hessen (Marburg 1909). S. 98.
Anm. 7.
'1 Beachtenswert ist. daß es im Bolksmund ,zum Lichte-
küppel*, nicht ,zum LichtenküppeV lautet.
4) liehe hier wir öfters im Sinne von „Eichwald*.
Himmelsberg, in dem Lichtenholz, die Lichten-
holzwiese bei Cappel, Kreis Marburg, das Lichte-
hölzchen bei Nesselbrunn, der Lichtberg bei Eiter-
feld, der Lichtenplatz bei Reddehausen, vielleicht
auch der Lischborn bei Ebsdorf, das Lichte Rod,
Waldort bei Grebendorf, und Licherod bei Roten-
burg (<Lucbtinrode 1353), das Lichte-Tal in
Thüringen (umgedeutet im Gegensatz zum nahen
8 c h wa r z a tal), Lichtscheid, Lichtescheid, wieder-
holt Feldort in Hessen, z. B. bei Betziesdors, die
Lichtscheide bei Wölkersdorf, Lischeid6), Dorf
bei Treysa, < Lichenscheidt ca. 1500, nicht zu
liohti lucidus, wie Arnold annimmt, Lichten-
scheidt, Wüstung bei Kirdorf, < Lichthinscheit
1263, und Wüstung bei Schönstadt, < Leyten-
sceith 1265, Lichtenscheidt 1334, zahlreiche Berg-
und Ortsnamen Lichtenberg, z. B. bei Wollmar
und in Oberhessen, letzterer mit Heunenburg und
einem germanischen Ringwall aus dem Gipfel, ein
Teil davon hat den Namen Lümbach 6), Lichte-
nau bei Kassel, zur lichten owa 13. Jahrhundert,
Lichtenhagen bei Rotenburg, < Luchtinhain 1353,
wohl auch Lichtenhain bei Jena, hoch gelegen,
Lichtenkopf (bei Ottweiler). Lichtenfels, Lichten-
stern, Lichtenstein, Lichtenhof, Lichtensteig,
Lichtental, vielleicht auch Lichterfelde, Leuchten-
berg, Leuchtenburg (in Thüringen), Lichten-
wiesen (in Steiermark), Lichtenwerd usw.
') scheid, ahd. sceit, mhd. sceid — Grenze, Landscheide.
Wegscheide. In der Regel einer Höhe entlang laufend.
*I Sturmfels, Die Ortsnamen Hessens, 2. Aufl.. S. 48
**¥L> 395 NML-
Dagegen ist Lichenrod bei Birstein aus älterem
Libechenrod 1341, Lyebechenrode 1363 ent-
standen und gehört nach Arnold a. a. O. 446
-um Personennamen Libicho. Wohl aber dürfen
siebte (Dorf in Thüringen), Licht und Berg-
licht, zwei hochgelegene Dörfer im Hundsrück, mtb
Lieh bei Gießen hierhergestellt werden. Letzterer
Name, 709 als Leoehe, dann als Leohe, Lioehen,
im 14.Jahrhunderts als Lyche, Liehe, Lyechin,
Lyeche, Lieche, Lyech urkundlich bezeugt, wird
von Sturmfels zu leoh, lioh, loh, Hain, Wald,
Buschwald gestellt. Auch die naffauischen Flur-
namenb) Lieht, Lieh, Lichten, Lichte^* *) Lichter-
bach, Lichterwies, Leuchte, Leichgraben, Leich-
heck, Leichengewann, Leichental, Leichenweg,
die belgischen Warnen10) aufm Licht, lichte Büsche,
Lichtenhagen, Lichtenscheid, Lichtscheid, und
thüringischn) Lichtgebreite oder am Lichten-
rasen, Flur Wechmar, Gemeindeland, gehören
hierher.
Wie neben Lichtenscheidt sich in älterer Zeit
Leytensceith, neben Lichtenberg, Littenberg,
Lithenberg, neben Lichtenowe, Lythinnowe findet,
so findet sich heute Leutenberg neben Leuchten-
berg und sogar Leiterberg statt Lichterberg,
Leichterberg. Es findet sich hier vielfach eine
Vermengung des alten Wortes Leich „Platz, Lager"
mit ahd. hlita clivus, „Leite, Liede, sanftansteigende
Höhe, Abhang" und mit ahd. leiti, leitn, mhd.
leite Weg, Zug (über die Höhe), so daß die Deutung
in einigen Namen wie Leiteberg, Leiteborn,
Leidenmühle, Leiderstädt, Leidhecken sehr er-
schwert wird. Letzteren Namen möchte Arnold (und
Sturmfels, der wie hier öfters kritiklos Arnold folgt)
wegen des schon im Eberhard'schen Kodex auf-
tretenden ei zu leiti ductus statt zu hlita clivus
stellen. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird man
aus den Grundwort hecke und seiner Lage an
einem alten Pfahlgraben folgern können, daß in
dem Bestimmungswort das alte leich enthalten ist,
daß Leitheckin (1348) aus Leich-heckin zu beuten
wäre. Auch bei dem Namen Leihgestern möchte
man das alte leich wittern und es nach Analogie
von Lichtenstern als Leiche-stern12), Leich-
stern deuten, wenn dem nicht die sich schon in den
alten Schenkregistern findenden Schreibungen Leit-
castre, Leitzcastrum, Leucastrum, Leicastrum
') Wytz Hess Urkundenbuch II. 572. 650. 653. 1163,
1292.
Kehrein a a. O., 494 u. 495.
*) wohl aus Lichtenhart entstanden.
'") Leithäuser. Brrgische Ortsnamen. S. 219.
") Gerbig a. a. O.. 250.
’*) stern, älter sterin (g. B. Sterinberg — Sternberg)
findet sich neben stim in zahlreichen Bergnamen: Stern-
berg, Stirnberg, Stirnbelle usw.
widersprächen Immerhin möchte ich die Ableitnng
von lat. castrum nicht als so absolut unzweifel-
haft hinstellen wie es Arnold (und mit ihm Sturm-
fels) tut. Denn die urkundlichen Schreibungen
Leigesteren, Leikestre, Legesteren, Leitgesterin,
Leithgesterin, Leigesterin, Leitgesteren, Leic-
gestrin, Leytgestren, Leugistern, Leckestrin aus
dem 14. Jahrhundert18) lassen die Vermutung auf-
kommen, daß wir es bei Leitcastre, Leizcastrum
mit einer willkürlichen Schreibung eines gelehrten
Schreibers zu tun haben, wie sie im Mittelaller
nicht selten vorkommen (Confugium für Kausungen,
Haucheburc für Hachborn, ^manaburg für Amöne-
burg 14, Haunerspiegel für Hermannspiegel usw.).
Da wohl die Erinnerung an ein castrum vor-
handen war, andererseits das diesen Begriff wieder»
gebende Bestimmungswort nicht mehr verstanden
wurde, suchte man den Sinn castrum infolge des
zufälligen Gleichklangs mit gesteren einzudeuten,
so daß sich ein völlig verändertes Grund- und Be-
stimmungswort ergab, ähnlich wie ich das im
Namen Ungedanken nachzuweisen versucht habe.
Mit Recht sagt Haas ") in Bezug auf solche Um-
deutungen: „Wenn auch nur ein Bestandteil eines
Kompositums wesentliche laittliche Veränderungen
erleidet und außerdem noch dessen bei der Zu-
sammensetzung maßgebend gewesene Bedeutung ver-
altet oder gar ausstirbt, so muß die Verständlich-
keit des Kompositums erlöschen." Die Schreibung
Leitcastre beweist, daß der erste Teil zugleich mit
der Umbildung des zweiten Bestandteils an ahd.
leiti „Höhenzug" angeschlossen wurde, so daß sich
merkwürdigerweise die ursprüngliche Bedeutung
„Lager, Platz auf einer Höhe" erhalten hat.
Die Schreibung Leckestrin, Legesteren läßt
vermuten, daß in den ersten Bestandteil auch ahd.
legar, mhd. leger, hessisch leger „Lager" ein-
gedeutet worden ist, wie wir es in den Flur-
namen Kuhläger18), Lagerfeld (bei Seibelsdorf)
haben. Daß in diese Gruppe auch die Orts-
namen. Lickwegen bei Obernkirchen, von Arnold
zu lila corpus gestellt, Lick (1369 Licke castrum17)
und der Marburger Straßenname Leckergasse am
ehemaligen Leckerberg (Leckirberg, Lekkirberg,
Legkerberg 14. Jh.) gehören, möchte ich hier nur
andeuten. Ich hoffe, darauf demnächst in andrem
Zusammenhang zurückzukommen und Beweisgründe
dafür anzuführen.
So führt uns der Biedenköpfer Waldname Kuh-
") Wyß, Hess. Urkundenbuch. II. 667. 732. 741 usw.
") Einen neuen Deutung-versuch an der Hand von
Flurnamen hoffe ich demnächst zu veröffentlichen.
") Fuld. Gesch.-Bl. 1912. S. 16.
") Dgl. auch Buck a. a. O.. 152 und 159.
") Oesterlry. Historisch - Geographisches Wörterbuch
des deutschen Mittelalters (Gotha 1883). S. 394.
«ML- 396 smn>
leiche in eine kulturgeschichtlich interessante Zeit
zurück, eine Zeit, als unsere Vorfahren noch ein
halb nomadisches Hirtenleben mit ausgedehnten
Weideplätzen und Viehburgen auf dem Kamme der
Berge führten, als der Ackerbau bei weitem noch
nicht die Bedeutung hatte, die er heute in unserer
Kultur einnimmt. Daß es eine Zeit gegeben hat,
in der die Weidewirtschaft die Hauptbetätigung
unserer Vorfahren bildete, davon zeugen in sprechen-
der Weise die alten, vielfach mißverstandenen Wald-
und Flurnamen. Es bleibt eine wichtige, bisher
noch ungelöste Aufgabe, an der Hand dieser alten
Namen einmal eine erschöpfende Geschichte dieser
Knlturperiode zu liefern.
Alle Straßen int Fürstentum Fulda.
Mit dem am 5. März d. I. der Erde übergebenen Dechanten
Julius Wiegand zu Johannesberg starb, wie das ,Ful-
daer Kreisblatt* f. Z. berichtete, auch der Bater des Ge-
dankens zur Wiederherstellung der direkten Straßenverbin-
dung zwischen Fulda und JohanneSberg. Dieser Ort war
einst eine der größten Propsteien deS Fürstentums Fulda
und mittelst einer breiten, gerade und eben dahin führenden
Pappelallee mit der Restdenzstadt verbunden. Heute noch
steht man die großartige Anlage dieser Straße durch den
GraSwuchS hindurchschimmern, aber die wachsenden Forde-
rungen des Verkehr« und das durch die veränderten Befitz-
verhältniste geschwundene Interesse setzten dieses so nahe
und bequeme Verbindungsmittel in den Ruhestand.
CS gibt noch so viele alte historische Straßen und Wege-
Verbindungen im alten Fürstentum Fulda, die dem Wanderer
mitten in der Waldeinsamkeit aufstoßen. daß eS ein lohnendes
und sehr interessantes Unternehmen wäre, diese alten Ver-
hältnisse wieder einmal aufzudecken. In den meisten Fällen
find eS Zustreckewege, die von den Landleutrn, Handwerkern
und Zigeunern heute noch benutzt werden.
So lief der Weg durch die Johannisaue in der Richtung
nach Harmerz über die alte Frankfurt-Leipzigerstraße
weiter, ging unterhalb der Anhöhe bei Bronnzell durch
die Furt, die auS der Geschichte deS hl. Sturmius bekannt
ist. Dort kam der Ritter hindurch, der dem frommen
Manne den Weg nach dem AnfiedelungSplatze für das
Kloster Fulda zeigte. Er war auf dem sog. Rennweg von
Gelnhausen nach der Saalburg (bet Neustadt a. d. fränk.
Saale), also ein MeldungSreiter zwischen dem Kaiser
Barbarossa und seiner Gemahlin Gela, die ihr Schloß zu
Gelnhausen hatte.
Von dieser Furt ging der Weg weiter in der Richtung
nach EngrlhelmS und da, wo hinter dem Brückchen der
Bildstock steht, geradewegs nach dem früher noch kleinen
--------------
Jagdschloß AdolfSeck. Eine direkte Verbindung von AdolfS-
rck nach dem DammrrSfeld, wo im Sommer das fürstliche
Vieh weidete, läßt sich wohl schwieriger erkennen, aber die
Allee zwischen Adolfseck und dem fürstlichen Jagdschloß
im Thiergarten, das auf der jetzigen Fohlenweide übîr
den Teichen stand, wo jetzt noch der mit Ziegeln über-
deckte Keller sich befindet, ist besonders in den Waldungen
noch deutlich erkennbar.
Eine sehr breit angelegte Straße ist die in der Nähe
von Hrubach und an anderen Orten noch gut erhaltene
„Weinstraße" Dies war der geradeste Weg von Hammel-
burg. dem fürstlichen Weinlande, nach Fulda. Es wurde
auf ihr manch schweres Fuder guten Frankenweins nach
den fürstlichen Weinkellern in Fulda verfrachtet.
In der Nähe der Stadt steht man noch, trotz der Ver-
koppelung und neuen Straßenanlagen, den sog. alten
Fuhrmannsweg liegen, der bei der Krähmühle vorüber
nach der Klapperpfütze über den Petersberg nach Stöckels.
Almendorf, Steinhaus, Steinau über den Berg nach
Dammersbach und von da nach Vacha und Leipzig führte.
ES wird sich schon mancher Wanderer über das Quader-
Pflaster auf dem einsamen Waldweg zwischen Steinau und
Dammersbach gewundert haben, aber die schweren Frachten
von damals forderten eine gute Unterlage. Ein in letzter
Zeit vielgenannter Weg ist die sog. Zigrunerstraße von
Kämmerzell Niefig nach der Obrrförsterei Thiergarten und
von da nach Franken und Thüringen. Wahrscheinlich war
dies ein alter Handel«- und Kriegspfad zur Verbindung
von Oberheffen mit den süddeutschen Staaten.
So manches Interessante wird durch ein Studium der
alten VerkehrSverhältniffe gefunden, und auch Bauwerke
und Landstriche, über deren Lage man im Unklaren ist.
können auf diese Weise wieder erkannt werden.
E. K.
-------------
Stegmanns Disputation mit den Benediktinern.
Bon Pfarrer Wilhelm Schuster.
Die Benediktiner trachteten die Privilegien der
Universität Rinteln an sich zu bringen. „In dieser
Absicht suchten sie 1630 bei dem Kaiser ans dem
Konvent zit Regenspurg nach, man möchte den
Lutheranern zu Rinteln die Utliversitätsprivilegien
nehmeil und ihnen geben oder ihnen, ben Benedik-
tinern, ganz neue erteilen, oder doch wenigstens
in der Theologischen und Philosophischen Fakultät
Stellen anweisen. Ob sie nun wohl mit diesem
ihren: Suchen nichts weiter bei dem Kaiser er-
1-jlVh«a»ñL suvH ttoa vunuyrpb tz M fc'ttíi «*
p,unre Bins
397 tmtL>
hielten, als daß sie eine Privatschule in ihrem
collegio halten könnten, um darin ihre jungen
Mönche anzuführen; so unterstanden sie sich gleich-
wohl im Jahre 1632 in dem bisherigen Akade-
mischen Kollegium Theologische und Philosophische
Disputationes anzustellen und sich auf dem ge-
druckten Titel derselben Lanctae Theologiae Doo
tores und Professores in Universitate Rinteliensi
zu schreiben.
Zu einer dieser Theologischen Disputationen,
welche Clemens Reyner, de vocatione ministrorum
Ecclesiae Christi drucken ließ und den 13. Juli
1632 als praeses halten wollte, luden sie auch den
E>. Stegmann zum Opponenten ein Denn den
D. Gisenium hatten sie schon vorhero den 23.
Martii 1632 gefangen genommen und nach Minden
geführt. Nun hatte zwar der damalige Rektor
Magnificentissimus bei der Universität den Bene-
diktinermönchen vorgedachte Disputation zurück-
geschickt, auch den Professoribus nicht dabei zu
erscheinen angeraten allein, D. Stegmann, weil
die Mönche zu ihm geschickt und drohen lassen,
wo er sich nicht freiwillig einfände, so wollten sie
ihn durch Soldaten herbeiholen lassen, schickte sich
in die Zeit und fand sich wirklich bei der Dispu-
tation des? Reyners ein. Anstatt aber, daß man
seinen dagegen gemachten wichtigen Argumenten
gehörig hätte antworten sollen, so suchte man ihn
nur lächerlich zu machen und zu prostituieren.
Man hatte nicht nur gewisse Leute bestellt, welche
jedesmal, wenn v. Stegmann zu reden anfing,
in die Hände klatschten, überlaut lachten und lauter
solche Dinge vornehmen mußten, wodurch er in
Verwirrung gebracht werden konnte; sondern auch
die Mönche selbst gaben aus die vorgelegten Schrift-
stellen zur Anwort, sie müßten jetzt in die Messe
gehen, mithin sei keine Zeit übrig, ihm hierauf
zu antworten. — Mit solchem und andern: der-
gleichen Verfahren mußte der gute v. Stegmann
vorjetzo zufrieden seyn, wenn er anders kein gleiches
Schicksal mit dem v. Gisenio erfahren wollte.
Stegmann betrübte sich aber doch hierüber der-
gestalt, daß er nicht lange hernach in ein hitziges
Fieber verfiel, woran er noch in eben dem Jahre
1632 in der besten Blüte seines Alters seinen
Geist aufgab und dadurch aus der streitenden in
die triumphierende Kirche versetzt wurde."
--------<8^----------
Familienerinnerungen aus der Zeit vor 100 Zähren.
Mitgeteilt von E. Wenzel, Magdeburg.
Das an zwei Hauptstraßen gelegene Dorf Hohen-
eiche war von je her Zeuge großer Truppendurch-
märsche, so 1632 von dem Tillyschen Marsch nach
Norden, und auch in der Folgezeit wurden die
Einquartierungen durchziehenden Kriegsvolks und
die Erhebung von Kontributionen zu einer schlveren
Last und Gefahr. So auch im siebenjährigen Krieg.
Während der Freiheitskriege waren wiederholt
französische Truppen in Hoheneiche einquartiert. Bei
meinem Urgroßvater hatten die hungrigen Sol-
daten alle Hühner vom Hofe geholt und ge-
schlachtet bis auf eins, das er auf dem Haus-
boden beim Getreide verstecken wollte. Ein Sol-
dat hatte seine Absicht bemerkt und stieg ihm
nach dem Boden nach, um auch dieses an sich zu
bringen, erhielt jedoch auf dem obersten Treppen-
absatz einen Stoß vor die Brust, daß er die Treppe
rückwärts hinunterfiel. Die Sache wurde ruch-
bar und dem französischen Befehlshaber vorge-
tragen, der aber merkwürdigerweise das Verhalten
meines Urgroßvaters billigte und dem Soldaten
einen Verweis erteilte. Dagegen wurde ein anderer
Einwohner, der mit einem Soldaten in Streit ge-
riet und mit ihm handgemein wurde, mit einem
Strick um den Hals an ein Pferd gebunden einige
Wegsstunden auf dem Marsch mitgenommen und
erst dann wieder in Freiheit gesetzt.
Ein Einwohner von Hoheneiche hatte sich schon
früher der Erhebung gegen Napoleon angeschlossen.
Es war ein Mann namens Braunschweig, der
sich den Truppen des Herzogs von Braunschweig-
Ols anschloß und den berühmten Zug durch Deutsch-
land bis an die Küste und auf die englischen
Schiffe mitmachte, in Spanien kämpfte und glück-
lich wieder nach Hause zurückkehrte. Seine Worte
beim Abschied mit dem Fingerzeig nach dem Him-
mel „Für den Braunsckpveig ist noch kein Tippen
leer", hatten sich bewahrheitet.
Als sich überall in Hessen Unruhen und Er-
hebungen gegen das westfälische Regiment bemerk-
bar machten, regte sich bei einigen Hoheneichern
auch das Nationalgefühl. „Jeder Franzose, der
ins Dorf kommt, wird totgeschossen." Das war
die Parole. In dem Großkurthschen Hause am
Anger wurde ein Wachtdienst eingerichtet. Ein
Posten mit scharfgeladenem Gewehr ging vor dem
Hause auf und ab. Der Spaßmacher des Dorfes,
ein geschickter Handwerker und Erbauer von Or-
geln und Fruchtreinigungsmaschinen, kam nun auf
den Gedanken, den Posten zn schrecken. Er ver-
kleidete sich als französischer Soldat und ging über
die Brücke auf das Dorf zu. Der Posten bemerkte
ihn, rief seinem Befehlshaber zu, daß ein Franzose
komme und erhielt den Befehl „Schieß drauf"
Ein Schuß krachte und traf den Müller glücklicher-
weise nur in den Tornister, da er, die Gefahr
erkennend, in die Hundegasse scharf nach links
einbog.
Als die ersten Kosaken sich dem Dorfe näherten,
kam eilenden Laufs ein verwundeter Franzose ins
Dorf und bat flehentlich um ein Bersteck im Ziegen-
stall bei einein Dorfbewohner. Doch aus Erbitte-
rung gegen die Franzosen, wohl auch aus Angst
vor den nachsetzenden Kosaken, verweigerte man
ihm die Aufnahme. So mußte er weiter fliehen
und fand hinter dem Dorfe durch einen Lanzen-
stoß sein Ende. Große Reitermassen kamen ins
Quartier, auf dem Hofe meines Urgroßvaters
standen allein 40 Pferde. Mit den Worten „Fran-
zos kriebt alles, Kosak will nur Hafer und Heu"
gaben die Kosaken ihren Wünschen Ausdruck. Auf
der Flachswiese schlachteten sic einen Ochsen,
„Großfleisch" war dafür ihr Ausdruck, und brieten
das Fleisch an den Spießen.
Wilhelmslhal.
Hier wohnte nur das Lacheil und die Lust,
Dis es Frau Einsamkeit so wohlgefiel,
Daß sie des Lebens leuchtend Zauberspiel
Für Ruhe zwingen mutzt'
Nim schläft das Schloh, vom Walde eingestmgen,
Und träumt von seinen Glückserinnerungen.
Die Sonne nur, die hohe Königin,
Streift mit der goldnen Schleppe
Den stillen Hof, hält Umschau auf der Treppe
Und quält den Teich »nit Wann, Warum, Wohin?
Befragt im Park die alten Lindenbäume
Um längst vergess'ne stolze Fürstenlräume. —
Dalttl schlendert sie alleelang, lugt und lacht,
Wenn in verborgner Grotte aufgewacht
Neckischer Strahlen Silberflittertanz.-----
Was kam dem Sommertage in den Sinn,
Zu rufen dllrch den Park: „Die Kaiserin"?
Kassel.
Wahrhaftig — offen steh'« die Jalousien.
Die Helle flutet durch die Galerien.
Und an den Wänden rings die Edeldamen,
Sie werden, scheint's, lebendig in dm Rahmen.
Wie Seide rauscht's, es hallt wie Pagentritte.
Da kommt's schon durch des Saales lichte Mitte.------
Nun stehen sie im Park. —
Hebt an ein Flüstern:
„Das war sie." - Und die hohen Spiegel lüstern.
Vergeblich. Hell ein Lachen ab und zu
Weckt des Rokokos goldne Märchenruh.
Lustwandeln kurz im Park.---------Autosignal. —
Der Kastellan schlieht wieder Tor und Saal.
Das Schloß nickt wieder ein. — —
Die Sonne nur mit ihrer goldnen Schleppe
Steht staunend noch auf der verlass'nen Treppe.------
Heinrich Bertelmann.
Wie das Christkind kam.
Von Heinrich Bertelmann.
(Schluß.)
In dem Gefühle, eine wichtige Tat vollbracht
zu haben, verließ ich das Haus. Der Hannes
kam gerade mit einem Bund Erbsenstroh aus der
Scheune, das trug er d«n Schafstalle zu. Der
Schnee knirschte unter seinem Fuße. Ich sprang
ihm nach. Die hungrigen Tiere drängten sich um
die Raufe, darauf der Hannes mit Mühe das
Futter ausbreiten konnte.
„Die haben nun ihr Festfutter", sagte er und
löste das Strohseil cmf.
„Was hat sich denn der Lorenz gewünscht?"
forschte ich. Erst bekam ich gar keine Antwort
und lauschte eine Weile auf das Knufpem der
fressenden Tiere. Als der Hannes aber das lose
Seilstroh verstreut hatte, kam er auf mich zu in
die Tür und sagte: „Unser Lorenz, Junge, der
wünscht sich nichts mehr!" Er sagte das so un-
gemein traurig, daß ich meine Frage tief bereute.
Verständnislos sah ich zu ihm auf.
„Wenn ihn doch der liebe Gott bald zu sich
nähme!" fuhr er schwer seufzend fort, taumelte zur
Wand und stützte den Kopf in die Hand wie ein
Kranker.
Eine große Angst kam da über mich, als ich
den starken Mann so verzagt sah. Ich fürchtete
um meine Freude zu kommen, sah unter mich
und ließ ihn allein.
Die Sterne waren aufgegangen und glitzerten
in wunderbarer Pracht. Über der Kirche stand
einer von ganz besonderer Helle. Das mußte der
Stern von Bethlehem sein, der in unsere Kirche
hineinschaute.
Da plötzlich - was war das? Ein Stern war
niedergefallen, ich hatte es deutlich gesehen, gerade
über unsere Scheune hinweg in den Garten hin-
ein. Hart am Zaun lag dem Hannes sein Häuschen.
Wenn ein Sternenlicht erlischt, hatte einmal meine
Mutter gesagt, stürbe ein Menschenkind. Ich
dachte an den Lorenz und lief erregt ins Haus.
Die Mutter schnitt den Kuchen für das Gesinde
und die Hirten.
„Darf das der liebe Gott tun und auf Christ-
tag ein Kind sterben lassen, Mutter?"
„Junge, wie kommst du dazu, so zu fragen?"
Ich berichtete meine Wahrnehmung.
„Meinst du nicht, daß der liebe Gott da oben
den Engeln auch einen Christbaum ansteckt?"
„Ist der wohl schöner als der in unserer Kirche?"
„Das glaub ich gewiß."
„Gb wohl der Lorenz eben gestorben ist?"
„Ach, Junge, was quälst du mich! Wir wollen
wünschen, daß er noch lebt und bald wieder ge-
fundet."
„Wenn er aber nun auf Christtag stirbt?"
„Dann hat er seinen Christbaum im Himmel."
„Ja, aber mit wem soll er da Nüsse spielen,
er kennt ja keinen Menschen?"
Das Glockenzeichen zur Christvesper ersparte der
Mutter die Antwort.
„Geh, zieh dich an."-------
Die nahe Kirche erhellte sich. Ihre hohen,
schwarzen Fensterbogen füllten sich allmählich mit
mildem Glanze. Jetzt blitzt es hinter dm blinden
Scheibm auf, als ob eine unsichtbare Hand Sterne
ausstreute. Nun flutet es in Fülle heraus, das
lockende Licht und webt über den Schnee einen
ftrahlmden Heiligenschein um die alte Kirche.
Mein Vater nahm mich an die Hand. Aus
allen Ecken und Enden kamen die Leute. Leise
und feierlich tauchten die schwarzen Gestalten aus
dem Dunkel auf und traten staunend ins Ge-
leucht. Am Kirchhof blieben sie stehen. Wenn
sie miteinander sprachen, flüsterten sie, und jeder
sagte, wie schön das doch fei mit dem Lichterbaum,
davon habe man früher nichts gewußt und lobte
den Pfarrer, der das eingeführt.
Derweilen spähte ich nach all den Plätzen,
dahin wir im Sommer unsere Freude trugen.
Das Weihnachtslicht lächelte hinüber. Auch das
verwitterte Steinkreuz, das letzte, das noch stand,
sogar unser Höhlmhaus an der Mauer bekamm
ihr Teil.
Unter dem Zusammenläuten betratm wir das
Gotteshaus. Wir Kinder saßen auf unserm ge-
wohnten Bänkm um dm Altar. Unsere Augen
tranken Licht. Da fiel mein Blick auf einm leerm
Platz. Ich dachte an Lormz und dm erloschenen
Stern.
Wir sangm vom Kindlein zart, von der Rose
aus Iesse, von der stillen Nacht. Ich mußte
immer nach dem leeren Platze sehen. Es fehlte
eine Helle Stimme.
Der Pfarrer trat unter den Baum. Seine
Stimme klang heute so väterlich freundlich. Wir
könnten uns freum, meinte er. Und der Lorenz
war nicht dabei, sah keinen Schimmer von all
der Herrlichkeit.
Auf einmal gegen Schluß des Gebetes sprach
er von einem lieben Jungen, der schwer krank
damiederliege. Gott möge ihn genesen lassen als
Weihnachtsgabe für seine Eltern, oder aber ihn
lösen von dem Leid seiner Erdmheimat, damit
er droben mitfeiern könne.
Hier und da wurde ein Schluchzen laut. Einige
Frauen fuhren sich über die Augen. Wir Kinder
warteten mit Schmerzen auf die Hauptsache.
Als der Schlußvers verklungen war, kam der
Kantor von der Grgel herunter, und jedes Kind
erhielt aus seiner Hand einen Zuckerkringel und
ein buntes Buch mit Bildern und Versen vom
Heiland. Ich muhte die Gabe für dm kranken
Lorenz in Empfang nehmen.
Nach der Kirche kamen das Trinchen und der
lange Hannes in die Stube, ihre Geschmke zu
holen. Jedes erhielt eine Rolle Leinwand, Wolle
zu Strümpfen, ein großes Stück Kuchen, Äpfel
und Nüsse, die Magd einen Rock und Schuhe,
der Knecht Stiefel.
Die Mutter fragte dm Hannes nach dem
Kranken. Da fing der große Mann mitten in
der Stube laut zu weinen an, daß er kein Wort
hervorbringm konnte. Nie hatte ich einen Mann
weinm sehen, Ich war der Meinung, ein Mann
dürfe gar nicht weinen. Meine Kehle wurde mir
heiß, und weil die Mutter und das Trinchen es
dem Hannes nachmachten, wußte ich vor lauter
Verlegenheit nicht, wohin ich sehen sollte und fiel
auch mit ein.
So gab es dmn am Heiligabend in unserer
Stube ein lautes Klagelied. Was der Hannes
nun erzählte, das war aber auch zum Weinm.
Der Lorenz spräche dm ganzm Abend von
nichts Anderm als von Brettem, die ihm das
Christkind bringen solle. Ein Häuschen wolle er
sich davon bauen, ein ganz kleines, und ich solle
es anstreichen.
Der Hannes und seine Frau hattm natürlich
an dm Sarg gedacht. Ich wußte es besser, was
er meinte, aber ich schwieg und hatte auch nicht
dm Mut, dm Kringel samt dem Büchlein dem
Hannes einzuhändigen.
„Der Hannes ist zehn Jahre älter gewordm",
sagte die Mutter, als er mit seinen sieben Sachen
hinaus war. Es war noch tiefdunkel, als ich
s««rr- 400
mich in der Festlagsfrühe die Treppe hinunter-
tastete meiner Hoffnung entgegen. Der Napf
stand aufrecht und war gefüllt bis zum Rand.
Glücklich trug ich ihn in die warme erleuchtete
Küche, wo das Trinchen schon hantierte. Das
tat einen lauten Schrei, als ich auf einmal hinter
ihm stand.
Auf dem blanken Küchentifche kramte ich meine
Wunder aus. Das weiche Halstuch und die braunen
Handschuhe flogen vorerst einmal über die Seite:
denn darunter leuchtete ein Farbenkasten mit gelbem,
blankpoliertem Deckel, darin man sich wie im
Spiegel besehen konnte. Zitternd zog ich ihn auf.
Ich glaubte, mir gehörte die Welt, als mir das
frohe Farbenspiel entgegenlachte. Und ich nahm
den Pinsel in die Hand und dachte, wenn das
der Lorenz jetzt sehen könnte.
Und das Trinchen stand hinter mir und sagte:
„Gb wohl der Lorenz noch lebt?"
Was ging mich im Augenblick das Sterben an,
ich konnte und mochte daran nicht denken. Das
Leben vor mir war doch so bunt, so schön, so
lustig und voller Erfüllung. Das leckere Zucker-
gebäck, die rotwangigen Äpfel hielten meinen
Sinn gefangen.
Hundertmal nahm ich die Dinge in die Hand,
betrachtete sie von allen Seilen und meinte, sie
seien alle in Himmelsglanz getaucht.
Zuletzt setzte sich das Trinchen zu mir, legte
seinen Arm um meinen Nacken und freute sich
mit mir.
Auf einmal pochte es an die Haustür. Das
Trinchen schloß auf. Ich lauschte, was da wäre.
Unverstandene Worte klangen an mein Ghr,
denen Schluchzen folgte.
Die Mutter trat gerade aus der Kammer, als
der Hannes durch den Gang zur Küche taumelte.
„Gott sei Dank", sagte meine Mutter zu ihm,
„mm hat er's überstanden."
Als mich der Hannes sah und meinen Farben-
Kasten, riß er mich in seine Arme und preßte
mich ungestüm an seine Brust, daß ich einen
großen Schrecket: bekam. Und er weinte wieder
so laut wie gestern Abend. Von den Brettern
und dem Farbekasten hätte der Lorenz in feiner
letzten Stunde immerfort gesprochen. So oft ich
meinen Farbekasten öffnete, meinte ich, der Lorenz
müsse kommen und lachen. Und über das ganze
Fest ging er wie ein trauriger Engel durch unser
Haus.
Die Mutter meinte, einen Kranz müsse doch
der Lorenz von mir haben. Wenn ich es dem
Hannes sagen wolle, daß er Buchsbaum auf dem
Pfarrgarten hole, forge sie dafür. Am zweiten
Festtage gingen wir hin. Unter dem Gfen taute
das eiserstarrte Grün auf, und jedes Sträußchen
reichte ich der Mutter.
Einmal wollte ich doch den Lorenz noch sehen.
Endlich erlaubte es die Mutter. Sie trug den
Kranz und ich den Kringel samt dem Bilderbuche.
Der Hannes hatte uns kommen sehen und
öffnete die Tür. In der Ecke der kalten Diele
stand der Sarg.
Die Frau kam heulend aus der Küche, zwei
kleinere Kinder am Rock und nahm dankend den
Kranz ab.
Schweigend hob Hannes den schwarzen Deckel.
Aus weißem Kissen, das mit roten Schleifen
bedeckt war, schaute ein fremdes, wachsbleiches
Gesicht. Gefaltete Hände hielten einen Rosmarin-
zweig.
War das der Lorenz? -
Ich legte, als verstände es sich von selbst, Kringel
und Buch in die Totenlade, und niemand sagte
etwas. Nur dem Lorenz feine Mutter, die wandte
sich ab und weinte. —
So ost das Christkind kommt, denke ich des
kleinen lieben Weggenossen der Jugendzeit, dessen
Wunsch sich so ganz anders erfüllte, als er es sich
geträumt. Und ich danke Gott, der mir Jahr
für Jahr immer wieder den bunten Farbenkasten,
Leben genannt, beschert. Je länger ich seine Farben
betrachte, finde ich, daß sie um so schöner leuchten,
wenn jenes Licht sie überstrahlt, das in Bethlehem
seinen Aufgang nahm.
Ein Strahl von diesem Lichte fällt dann immer
auch auf den nun längst vergessenen füllen Rasen-
hügel, darunter der Lorenz schläft.
---------------------
Die Liebe hob ihn in ein Wunderland.
Die Liebe hob ihn in ein Wunderland
Ich sah die Augen Dankgebete lächeln
Und eine weiche, weiße Frauenhand
Das Glück in seine harten Stunden fächeln.
Der leere Raum» worin er hauste, stieg
Ins Ungemessene, wie ein fürstlich Zimmer,
Und jeder Wunsch und jede Klage schwieg
In einem ungewohnten Freudenschimmer. —
Ihn hob die Liebe in ein Wunderland, —
Sie strich leis kosend über Sorgenfalten
Doch einmal hat die weiße Frauenhand
Ein letztes Lächeln zitternd festgehalten.
München.
Gustav Adolf Müller.
mit*. 401 tmu
Aus Heimat und fremde.
Fuldaer Geschichtsverein. Auf der
diesjährigen Generalversammlung am 1. Dezem-
ber erstattete der Vorsitzende Oberbürgermeister
vr. A n t o n i den Jahresbericht. Die Mitglieder-
zahl beträgt jetzt 155, gegen das Vorjahr 21 mehr.
Auch die Zahl der mit dem Verein im Schriften-
austausche stehenden wissenschaftlichen Vereine, In-
stitute usw. ist um 4 auf 95 gestiegen. Zwei
wissenschaftliche Arbeiten sind vom Verein heraus-
gegeben worden, vr. Richter, Die Schriften Georg
Witzels bibliographisch bearbeitet. Nebst einigen
bisher ungedruckten Reformationsgutachten und
Briefen Witzels. Ferner vr. Glöckner, Die Mund-
arten in der Rhön. Im Berichtsjahre fanden
mehrere geschichtliche Borträge statt. Nach der
vom Vereinskassierer vorgetragenen Jahresrech-
nung 1912/13 betrugen die Einnahmen 2144,05 M.
und die Ausgaben 1721,08 M. Rüstig vorgeschritten
ist die vom Geschichtsverein vor einigen Jahren
in Angriff genommene Flurnamensammlung des
Kreises Fulda. Bis auf geringe Ausnahmen haben
sich in entgegenkommender Weise die Lehrer in
den Dienst der Sache gestellt und die Sammlung
der Flurnamen übernommen. Hierfür gebührt
ihnen die wärmste Anerkennung. Der seitherige
Vorstand wurde wiederbewählt. Nach Abwickelung
dieses geschäftlichen Teiles hielt der Konservator
des städtischen Museums zu Fulda Professor Van-
der a u einen Vortrag über die von ihm geleite-
ten Ausgrabungen am hiesigen Domplatze. Wie
so viele andere alte Kirchen, hatte auch die alte
Stiftskirche zu Fulda an ihrer Ostseite einen statt-
lichen Vorbau mit Irmenhof, ein sog. Paradies.
Diese Anlage wurde beim Bau des jetzigen Domes
zu Beginn des 18. Jahrhunderts beseitigt. Um
die Lage dieses Paradieses festzustellen wurden
unter Vonderaus Leitung mit finanzieller Unter-
stützung von verschiedenen Seiten, auch des Ful-
daer Geschichtsvereins, im Laufe des Sommers
auf dem Domplatze Ausgrabungen vorgenommen.
Hierbei wurde ein Teil der Grundmauern jener
Anlage und ein auf der Mauer stehender Sarko-
phag freigelegt. Daß der in dem Sarkophag Bei-
gesetzte König Konrad I. war (verschiedene Blätter
meldeten dies), wird als ausgeschlossen bezeichnet,
so sicher es auch ist, daß dieser in Fulda beerdigt
liegt. Die Inschrift der bei dem Skelett gefun-
denen Bronzetafel deute auf einen vom Heiden-
tum zum Christentum übergetretenen Sachsen.
Weiter wurde in der Diskussion die Ansicht aus-
gesprochen, es handle sich bei dem Fund um einen
Sachsen aus der Zeit Karls des Großen oder aus
etwas späterer Zeit. Die Ausgrabungen wurden
in Fulda mit lebhaftem Interesse verfolgt. Auch
Professor Vonderau, der seine hochinteressanten
Ausführungen durch Pläne, Skizzen und Fund-
stücke erläuterte, und die Diskussionsredner fanden
dankbare Zuhörer, die sehr zahlreich erschienen
waren. In einer der nächsten Nummern der Ful-
daer Geschichtsblätter (Zeitschrift des Fuldaer Ge-
schichtsvereins) soll eine Abhandlung über die Aus-
grabungen am Domplatze aus der Feder Professor
Vonderaus erscheinen.
Die Ortsgruppe H ü n f e l d des hessische n
Geschichts Vereins brachte an ihrem zweiten
Geschichtsabend in diesem Winterhalbjahre einen
Vortrag des Vorsitzenden über die Kämpfe der
Verbündeten gegen Napoleon in Frankreich 1814
bis 1815 und den ersten und zweiten Pariser
Frieden. Hierauf sprach k Superior vr.Pietsch
über die Rüc^abe der von Napoleon geraubten
Kunst- und Bibliothekschätze. Im Anschluß an
diesen Vortrag wies der Vorsitzende darauf hin,
daß auch der französische General Thiöbault, 1805
bis 1807 Gouverneur der Provinz Fulda, mancher-
lei von Fulda nach Paris sandte, so z. B. einen
wertvollen Handschriftensatz, etnia 3000 Flaschen
Johannisberger aus 1779, einem der besten Wein-
fahre des 18. Jahrhunderts usw. Landrat v. I e r i n
berichtete einiges von der Breslauer Jahrhundert-
Ausstellung und empfahl eindringlich die Unter-
stützung unseres Heimatmuseums.
P h o t o g r a p h i s ch e r W e t t b e w e r b. Vom Ver-
kehrsverband für Hessen und Waldeck wurde in Ver-
bindung mit dem Bund deutscher Berkehrsvereine ein
Wettbewerb für Photographien veranstaltet. Das Preis-
gericht in Leipzig hat beschlossen, drei gleiche Preise für
die eingereichten photographischen Aufnahmen aus Hessen
und Waldeck zu verteilen, und die Aufnahmen der nach-
folgenden Bewerber preiszukrönen Hofphotoaraph F.
B i n g e l in Hersseld für eine Sammlung hessischer Auf-
nahmen, Hofphotograph ft. E b e r t h - Kassel für Städte-
und Landschaftsbilder, Sport- und Trachtenaufnahmen
aus Hessen, Frau Professor E g e in Arolsen für Auf-
nahmen aus Waldeck.
Aus ft st H e l. Gegenwärtig wird der Fürstenhos
in der ftönigsstraße, der bekanntlich auch dem deutschen
Kaiser und dem Prinzen Heinrich während ihrer Kasseler
Schulzeit zum Aufenthalt diente, einer Herstellung unter-
zogen, da des Kaisers Sohn Prinz Joachim zur Dienst-
leistung in das .Kasseler Husarenregiment kommandiert
wurde. — Bei der vom Magistrat vorgenommenen Prä-
sentationswahl des Vertreters der Stadt Kassel im
Herrenhause wurde Oberbürgermeister ft o ch mit 21
von 22 abgegebenen Stimmen gewählt.
--------»Hfr-------
Hessische Bücherschau.
Hessischer Kunstkalender 1914 von Hans
M e y e r k a s s e l. (12 Steinzeichnungen.)
Preis 2,80 M.
Den Freunden der hessischen Heimatkunst ist der seit
Jahren von Hans Meyerkassel herausgegebene
„Hessische Kunstkalender" ein lieber Bekannter und eine
willkommene Gabe. Auch heuer wiederum bietet das
Werk prächtige Darstellungen hessischer Landschaften und
Ortschaften, die dem reichen künstlerischen Können des
Herausgebers das beste Zeugnis ausstellen. Die Kunst-
402 5**^
blätter behandeln u. a. zwei Kasseler Sujets, den Markt
auf dem Königsplatz und die Messe auf dem Karlsplatz
in besonders reizvoller Weise. Weiter sehen »vir die
alte Veste Spangenberg im Schnee, die Niester Dorf-
straße zur Winterszeit, das schön gelegene Allendors
a. W., das malerische Homberg a. Ohm. Sehr hübsch
sind die Ansichten von Densberg a. Ohm und Felsberg
a. d. Edder, die uns in die Sommerszeit führen. Das
stimmungsvoll erfaßte Fuldatal bei Wilhelmshausen im
Ernteschmuck leitet zum Herbst über. Sehr »virkungs-
volle Wiedergaben von Laubach und Schlüchtern ver-
vollständigen das Kalendarium, das gewiß manchem auf
dem Weihnachtstisch eine große Freude bereiten »vird.
Alt-Hessen. Drittes Heft. W. Strieders,
Wilhelms höhe. Mit einer Einleitung, 64 Tafeln
und 80 Textbildern. Herausgegeben von A. Holt-
meyer. XCI Seiten Text und 64 Seiten Abbil-
dungen. Marburg (N. G. Elwert) 1913.
Preis 2,80, gebunden 4 Mark.
In diesem dritten Heft der verdienstvollen Holt-
meyerschen Serie gelangt zum ersten Mal das für das
Studium der Umgestaltung der Wilhelmshöher Anlagen
unter Wilhelm IX. überaus wichtige Striedersche Manu-
skript zum völligen, Abdruck. Voraus geht eine Aufschluß-
reiche Einleitung des Verfassers, während eine Fülle
prächtiger und hervorragend scharfer Abbildungen nicht
nur den jetzigen Bestand der Wilhelmshöher Schöpfung,
sondern auch das längst Geschwundene oder auch rrur
Geplante vorführt. Hier stand dem Herausgeber das reiche
zum größten Teil bisher unbekannte Jllustrationsmaterial
aus der Wilhelmshöher Schloßbibliothek zur Verfügung,
so daß auch diese neueste Gabe unseres jetzigen Bezirks-
konservators ebenso starke Verbreitung finden dürste,
»vie die früheren. H'bach.
Kasseler D i ch t e r b u ch. Herausgegeben von Karl
Waldemar Noll e. Buchschmuck von C. Dey-
mann. 268 Seiten. Kassel (A. Freyschmidt) 1913.
Preis in Leinen gebunden 3,50 M.
Es »var aus mancherlei Gründen ein mutiges Wagnis,
ein Kasseler -Dichterbuch herauszugeben. Karl Walde-
mar Nolte hat's gewagt, und »vir danken ihm dafür.
Seine Absicht, einen Überblick über die gegenivärtige
literarische Bewegung in Kassel, besonders auf lyrischem
Gebiet, zu geben, ist ihm gelungen. Anzuerkennen ist
auch sein Streben nach Vollständigkeit der Sammlung.
Und so hat er einen Strauß gewunden, in dem zwischen
stolzen Rosen und Orchideen, z»vischen Treibhaus-, Feld-,
Wald- und Wiesenblüten auch manches Pslänzlein Un-
kraut hervorlugt, einen bunten Strauß, aus dem »vir
nun herausholen dürfen, »vas uns gefällt. Mehr als
drei Dutzend Kasseler Dichter stehen hier auf dem Plan,
zum ersten Mal durch ein gemeinsames Band vereint.
Neben guten alten Bekannten wie Traudt, Bcrtelmann,
v. Berlepsch, E. v. Weitra, M. Holmquist — der ein-
zigen Nichtlebenden —, Altmüller, M. v. Eschen machen
wir die Bekanntschaft neuer Talente, die zum Teil
recht viel versprechen, da ist Gottfried Buchmann, ein
feinsinniger Poet, ferner Friedrich Elliot v. Franken-
berg, noch mit souveräner Verachtung der äußeren Form,
der or mehr Sorgfalt zuwenden sollte, aber ein wer-
dender Dichter, und Karl Waldemar Nolte selbst, der
Herausgeber des Bandes. Unter den Damen, deren
Bekanntschaft uns das Dichterbuch zum ersten Mal
vermittelt, fällt besonders Frieda Hupbach angenehm
auf. Aber auch andere bieten Gutes. Es ist nicht mög-
lich, im Einzelnen auf die mannigfachen Leistungen ein-
zugehen. Es mag genügen, noch einmal festzustellen, daß
sich der Herausgeber durch diese Gabe wirkliche Ver-
dienste er»vorben hat. Möge seine mühsame Arbeit nun
auch darin ihren Lohn finden, daß das Kasseler Dichter-
buch auch wirklich dahin seinen Weg findet, wohin es
gehört, in die Häuser der literarisch gebildeten Kasselaner.
H'bach.
Schwalm, Joh. H. Jonker Ho ose. Ee Lied aus
d'm Schwalmdal. Mit Bilderschmuck von Jak. Happ.
167 Seiten. Ziegenhain (Verlag von Wilhelm Korell)
1913. Preis 1,65 Mk.
Der durch seine Gedichtsammlungen „Kreizschwerneng,
Spaß muß seng", durch die Sammlung von Sprich-
wörtern „Schwälmer Wees" und wertvolle Volks- und
landeskundliche Beiträge über die Schwalm bekannte
Dichter I. H. Schwalm hat uns heuer noch rechtzeitig
für den hessischen Weihnachtstisch eine neue Gabe in ge-
bundener Form und Schwälmer Mundart beschert, die
sich von den früheren Gedichtsammlungen in manchen
Punkten unterscheidet. Kein übermütig sprudelnder Humor
und derber Spott über Schwächen seiner biederen Lands-
leute klingt uns aus diesen Versen schelmisch entgegen, son-
dern ruhig und behaglich in epischer Breite gleiten die
Verse dahin. Ein hohes Lied auf Schwälmer Art und
Wesen, auf Schwälmer Liebe und Treue, die so fest „bie
Schwälmer Eeche" gewurzelt ist, kann man dieses Epos in
Schwälmer Mundart nennen.
Es enthält die bekannte Sage von dem Junker Hans
Hoose und dem Landgrafen Karl von Hessen, der, bei
einer Jagd verunglückt, in Hans Hoose seinen Lebens-
retter findet, aus Dankbarkeit als Freiersmann für ihn
mit glücklichem Erfolge auftritt, an seiner Hochzeit teil-
nimmt und von ihm als Schuld für einen der Landgräfin
verabreichten Kuß die „Dukatenmetze" erhält.
Es muß zugegeben »verden, daß dies ein guter Griff
»var und daß der Dichter die nicht leichte Aufgabe, die
er sich hier gestellt hat, in überaus glücklicher Weise ge-
löst hat. Denn der Stoff, der hier dichterisch verivertet
»vird und sich im Schwälmer Volk durch Generationen
hindurch einer großen Volkstümlichkeit erfreut, ist zwar
schon öfters von Dichtern in hochdeutscher Sprache be-
handelt worden, aber meist mit so geringem Erfolg, daß
die Dichtungen bald wieder vergessen wurden. Das mag
zum Teil an der Art der künstlerischen Auffassung und
der äußeren Fom, zum größeren Teil aber daran gelegen
haben, daß die Dichter zu wenig mit der Schwälmer
Wesens- und Denkungsart vertraut »varen. Nun ist dieser
Wurf einem Dichter gelungen, der selbst Schwälmer von
Geburt und mit allen Fasern seines Herzens in Schwälmer
Volksart »vurzelnd, Land und Leute wie kein ztveiter
kennt, dazu ein tiefes Gemüt und künstlerische Reife aufs
glücklichste in sich vereinigt. So ist hier ein eigenartiges,
reizvolles Kunstwerk entstanden, das alle Saiten der
Schwälmer Volksseele erklingen läßt und geeignet ist, eine
Art von Schwälmer Nationalepos zu werden. Schwälmer
Fühlen und Denken, Schwälmer Sitten und Bräuche sind
hier in geschickter Weise in den Gang der Handlung
hineingewoben, ohne diese selbst aufzuhalten oder den
Leser zu langweilen.
Um der Dichtung auch über die Grenzen des Schwäl-
mer Landes hinaus Freunde zu er»verben, hat der Dichter
den Versuch gemacht, neben dem mundartlichen Text eine
hochdeutsche Übersetzung in gebundener Form zu geben,
die jedoch keinen Anspruch darauf macht, ein Kunstwerk
zu sein, sondern lediglich — infolge der mannigfachen
Schwierigkeiten der Schwälmer Mundart — dazu dienen
soll, das Verständnis für Nichtschwälmer zu erleichtern.
Wenn Schwalms „Junker Hans Hoose" eine volkstümliche
Dichtung zu werden verspricht, so werden hierzu zweifel-
?*W4L> 403 vmiL
Der ewige Jude. Zeichnung von Gtto Ubbelohde. «us .Heffen-Kunst isn-. »erlag von «dolf Ebel. Marburg.
*«NCb 404 BML-
los die gleichen Geist atmenden Zeichnungen JakobHapps
das Ihrige beitragen. Beide — Dichter und Zeichner —
offenbaren meines Erachtens hier einen Grad lünstlerischer
Reife und Vollkommenheit, der frühere Leistungen weit
übertrifft und Höhepunkte ihres Schaffens bedeutet.
Hersfeld. Dr. Wilhelm Schoof.
Hestler, Karl. Sagenkranz aus Hessen-
Nassau. Sagen und Erzählungen aus beiden
Hessen und Nassau. Dritte vollständig umgearbeitete,
illustrierte und sehr vermehrte Auflage. 260 Seiten.
Kassel (Vietorsche Hofbuchhandlung) .1913.
Preis 3 Mark, gebunden 4 Mark.
Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß dieses Buch
in neuer Auflage erscheinen konnte. Es wurde gegen
die frühere Auflage von 1894 um 39 Stück vermehrt,
wobei allerdings auch der alte Rahmen gesprengt und
Erzählungen geschichtlichen Inhalts mit aufgenommen
wurden. Weiter sind die Sagen nach Landschaften ge-
ordnet worden. Besondere Hervorhebung verdienen die
wirklich hübschen Zeichnungen, die dem Buche mitge-
geben wurden. So wird denn der „Sagenkranz" auch
im neuen Gewände wieder seine Freunde unter Jung
und Alt finden und mit dazu beitragen, unsre schönen
alten Sagen der Vergessenheit zu entreißen. Der Heraus-
geber hat übrigens die Gelegenheit benutzt, durch ein
vorausgeschicktes Gedicht „Hessenland" den Nachweis zu
führen, daß ihm zum Dichten aber auch wirklich alles
fehlt. Nachdem ihm diese Beweisführung so überaus
glänzend gelungen ist, dürfen wir hoffen, daß er die
schönen hessischen Sagen das nächste Mal ohne diesen
„Poetischen" Vorspann ins Land ziehen läßt. H'bach.
Herre, Paul. Deutsche Kultur des Mittel-
alters in Bild und Wort. Mit 245 schwarzen Ab-
bildungen auf 112 Tafeln und 1 farbigen Titelbild.
82 Seiten Text, 112 Seiten Abbildungen. Leipzig
(Quelle u. Meyer). Preis geh. 2 M., geb. 2,50 M.
Musterhafte Ausstattung, prächtiger Einband und ge-
diegener Text vereinen sich hier mit auffallend billigem
Preis. In erschöpfender Weise bietet dieser Kultur-
atlas in meist unbekannten Bildern die vielseitigen
Äußerungen mittelalterlichen Kulturlebens, und zwar in
der Beschränkung auf deutsche Verhältnisse, die oft auch
Hessisches mit einschließen. Die Abbildungen bilden den
eigentlichen Körper des Buches und werden durch einen
knappen, aber ausreichenden Text erläutert, der »eine
überraschende Fülle von Belehrung bringt. Alles in
allem ein gediegenes Werk. H'bach.
Benzmann, Hans. Die deutsche Ballade.
Eine Auslese aus der gesamten deutschen Balladen-,
Romanzen- und Legenden-Dichtung unter besonderer
Berücksichtigung des Volksliedes. Band I. von den
ältesten Zeiten bis zur Romantik. 408 Seiten.
Band II. von der Romantik bis zur Gegenwart.
494 Seiten. Leipzig (Hesse u. Becker) 1913.
Beide Bände in Leinen gebunden 7 M.
In so umfassender und grundsätzlicher Weise ist die
deutsche Volksballade bisher noch nicht zur Darstellung
gekommen. Die Sammlung geht noch über das hinaus,
was der Titel verspricht, sie bringt auch Beiträge aus
der epischen und rein lyrischen Dichtung des deutschen
Mittelalters, Zaubersprüche, Schwänke, Rätsellieder, selbst
das Volkslied anderer Völker findet Berücksichtigung.
Besonders angenehm ist die übersichtliche Anordnung.
Die vortrefflichsten und lebensvollsten deutschen Bal-
laden werden nicht nur ästhetisch, sondern auch historisch
gewürdigt. Auch sind die der Ballade verwandten und
gegensätzlichen poetischen Kategorien und deren Ent-
wicklung dargestellt. Eine ganz vortreffliche Einleitung
über Wesen, Typen, Stilarten und Entwicklung der
Ballade, Vorbemerkungen zu den einzelnen Teilen, Sach-
und Autorenregister sowie ein alphabetisches Register
der Überschriften sowohl wie der Bersanfänge machen
dieses voluminöse Buch, das die Balladendichtung vom
Hildebrandslied bis zur neuesten Zeit umspannt, nicht
nur zum Nachschlagewerk für den Forscher, sondern lassen
es auch dem Laien zu einer stets neuen Quelle reinen
Genusses werden. Und als Haus- und Familienbuch
möchten wir auch in erster Linie diese reichhaltigste
Sammlung deutscher Balladen gedacht wissen. H'bach.
Verskunst.
Wer den alten Spruch „Frfeia non cantat" auf Hessen
übertragen wollte, und die Vergangenheit würde ihm
nicht ganz Unrecht geben, sähe sich mit jedem Jahr mehr
Lügen gestraft. Zu den neuen Erscheinungen dieses
Jahres gehören die „Gedichte" von Johanna
Weichelt (Marburg, Verlag Adolf Ebel, 126 S.). 1,80 M.
Stimmungsbilder, Kampf, Liebe, Schelmereien sind ihr
Inhalt. Überall eine eigene Note, manche Kleinigkeit
zwischen viel Bedeutsamem, keckes Stürmen neben seliger
Hingabe, wilde, trotzige Verzweiflung und fröhliches
Scherzen, überall aber Gegenständlichkeit, die wir vom
wirUichen Dichter verlangen. Keine Zimperlichkeit auch
dem spröden Stoff gegenüber, die Fähigkeit, altes in
neuer Form zu bieten, prächtig düstre Naturbildchen
zu schaffen und dem innersten seelischen Empfinden künst-
lerischen Ausdruck zu leihen, geben die Gewähr, daß
die Dichterin auf dem von ihr betretenen Feld noch
manche großkörnige Frucht ernten wird. — Mit Rudolf
Friedrichs „Gedichten" (Lenienverlag, Leipzig
1913, geb. 2 Mark) weiß ich nichts anzufangen. Un-
klare, weltschmerzliche Stimmungen haben hier ihren un-
klaren Ausdruck gefunden.- Auch mit der äußern Form
hapert's. Reime wie Frühster»: Flüstern usw. sollten
überhaupt dem Setzerkasten fernbleiben. Vielleicht ist der
Verfasser noch recht jung, und dann bleibt uns die Hoff-
nung auf ein fröhlicheres Wiedersehn. — Nur drei Bogen
füllen die „Losen Blätter" von Hedwig von
B e h r (Härtel & Co., Leipzig, 1 Mark, geb. 1,75),
Blätter der Sehnsucht und des Schmerzes, auf denen es
wie feiner Rosenduft liegt. — Das Wertvollste sehe ich
in Karl Freihern von Berlepsch's Gedichten
„Trinken will ich Dein Gold" (Belhagen &
Klafing, Bielefeld und Leipzig). Diese Sammlung wird
den nicht überraschen, der die dichterische Entwicklung des
auch den Lesern des „Hessenlands" längst bekannten
Dichters seit seiner Mitarbeit am Marburger Dichterbuch
verfolgt hat. Sie bedeutet ein rastloses Aufwärtsschreiten,
das die reichen Früchte des vorliegenden Bandes krönen.
Mag der Dichter an taufrischem Morgen vor der Jagd-
hütte weilen, hoch zu Roß durch die Buchenhallen des
Waldes streifen, zum Schloß seiner Väter emporklimmen
oder auf beschwerlichem Pfade zu den Bergen des En-
gadin, immer weiß er seiner Stimmung formvollendeten
Ausdruck zu leihen. Ein neues Moment bringen eine
Reihe köstlicher Kinderlieber. Am stärksten und auch
hinter einem Börnes von Münchhausen und Lilien-
cron nicht zurückstehend, scheint mir Berlepsch in der
Ballade; ich verweise nur auf die „Deutschen Soldaten"
und auf den „Weichensteller", beides Stücke von grandi-
oser Wucht. Ob des Dichters ureigenes Feld auf dem
Gebiet der Ballade liegt, wird bei seiner starken Bega-
bung auch für das Zart-Lyrische die Zukunft lehren. —
Das tausendjährige Fest Kassels hat vermuüich Gustav
E s k u ch e veranlaßt, „Hessische Elegien aus der
4ML, 405
Mappe eines Marburger „Studenten" herauszugeben
(Kassel, Victor, 0,40 Mark). Seine Distichen gelten vor-
wiegend alten trauten Plätzen und Häusern Kassels und
lassen längst vergessene Bilder aus Kassels Tagen Wieder-
aus der Vergangenheit ausstehen, ein Büchlein, mit dem
man manchem Kasselaner, der historisches Verständnis für
seine Vaterstadt mitbringt, eine Freude machen kann. —
Im „Schmalkaller Qu ie l e r - B o r n" (Schmal-
kalden, Wilisch's Buchhandlung) bietet Professor Dr
Arthur Fuckel, einer der besten Dialektkenner
Hessens, eine ebenso lustige als wertvolle Gabe. Er hat
hier zum ersten Mal alles, was seit Jahrzehnten in
der alten Lutherstadt Schmalkalden in jenem Winkel
zwischen Rhön und Thüringerwald an Schnurren, kleinen
Straßenszenen und Erlebnissen von Mund zu Mund
ging, in Vers und Prosa dargestellt. Wer sich eine hoch-
vergnügliche Stunde verschaffen will, greise zu diesem
heiteren Büchlein. Der Dialekt ist leicht lesbar und nnrd
dem Leser außerdem durch eine kurze sprachliche Studie
und das -angehängte Wörterbuch der Schmalkalder Mund-
art näher gebracht. So gewinnt das kleine Werk auch
über das Unterhaltungsbedürfnis hinaus wissenschaftlichen
Wert.
Hessen-Kunst 1914. Herausgegeben von Christian
Rau ch. Zeichnungen von Otto Ubbelohde. Verlag
von Adolf Ebel, Marburg. Preis 1,50 Mark.
Christ ian Rauchs „Hessen-Kunst" ist uns immer
am willkommensten, wenn Meister Ubbelohdes Hand ihn
schmückte. Das ist nun im 1914 er Jahrgang zum
fünften Male der Fall, und immer wieder holen wir
den Band mit den prächtigen Bildern vom Nagel, an
denelr wir uns nicht satt sehen können. Wie immer,
bietet Otto Ubbelohde wieder bodenständige Kunst. Ter
noch unübertroffene Illustrator der Grimmschen Märchen
ist in seinem ureigensten Element, wenn er, >vie hier,
hessische Sagen und Märchen verkörpert. Da ist Frau
Holle, die ihr Bett schüttelt und sich in ihrem Teiche
badet, da ist Till Eulenspiegel, wie er im Marburger
Schloß dem landgräflichen Hof seine Wandgemälde zeigt,
da schreiten Petrus und Johannes auf „schlechten Wegen"
durch den Bogelsberg, der Teufel spielt mit Vogels-
berger Bauern eine ganze Nacht lang an dem (leider
vor einigen Jahren zertrümmerten) Teufelstein bei Ilbes-
hausen Karten und läßt ein ander Mal das Dorf Sarnau
entstehen, König Grünewald gewährt der Königstochter
auf dem Christenberg freien Abzug, die Lahn laßt ihren
schaurigen Ruf erschallen, der ewige Jude schreitet durch
das Hessenland, Gleiberg, Vetzberg und Wettenberg
werden im edlen Wettstreit um eine Maid erbaut,
Barbarossa verirrt sich im Büdinger Wald, die heilige
Elisabeth rettet sich bei Schröck vor einem dräuenden
Wolf auf einen mächtigen Stein, und am Fuße des
Liebenbachbrunnens sinkt das Liebespaar, das ihn grub,
erschöpft zusammen. Man suche in deutschen Landen
einen Künstler, der mit solcher Gemütstiefe den Geist
der hessischen Märchen und Sagen mit dem Zeichenstift
zu bannen vermöchte. Im kunstgeschichtlichen Teile ist
diesmal auch die thüringische Kunst mit Schmalkalden
vertreten, indem uns Paul Weber die reichen Schätze
des Henneberger Museums auf der Wilhelmsburg ver-
mittelt. Der Herausgeber würdigt in Wort und Bild
den Hochaltar zu Carden an der Mosel mit seiner voll-
endeten mittelrheinischen Tonplastik und widmet einen
weiteren Aufsatz dem Schaffen Hans Backosfens von
Sulzbach, des Meisters der spätestgotischen Plastik am
Mittelrhein. Holtmeyer macht uns mit dem Thron
Jsrümes im westfälischen Ständehaus bekannt, Klingel-
schmitt mit einem Mainzer Madonnenrelief von 1484,
dessen Schöpfer er nachweist, Herman Keil behandelt
die stilbestimmenden Ornamente des Mainzer Rokoko und
Graßmann gibt Aufschluß über den Grafen Philipp den
Älteren zu Solms und dessen Epitaph in der Stadtkirchc
zu Lich. So reiht sich der neunte Jahrgang dieser vor-
nehmen Publikation den früheren würdig an.
Hbach.
Bock, Alfred. Die harte Scholle. Ausgewählte
Romane und Novellen. 438 Seiten. Berlin (Egon
Fleische! & Co.) 1913.
Preis in Leinen gebunden 4 Mark.
Alfred Bock ist unsern Lesern kein Fremder mehr.
Und doch hat sich auch an ihm das für manchen hessischen
Dichter spezifische Geschick erfüllt, daß er im weiten
deutschen Paterlande bekannter ist als in seiner engeren
hessischen Heimat. Selbst in Frankreich gehört dieser
hochbegabte Dichter zu den gelesenen Autoren, und
Reclams Universalbibliothek hat ein übriges getan, den
unübertrefflichen Schilderer hessischer Art den weitesten
Kreisen näher zu bringen. Diesen Zweck verfolgt auch die
vorliegende wohlfeile Ausgabe, die drei seiner besten
Romane (Pflastermeisterin, Kuppclhof und Pariser) und
drei kleinere Geschichten in einem stattlichen Bande ver-
einigt. Er bietet ein abgerundetes Bild von Bocks
reifer künstlerischer Persönlichkeit und nnrd, daran zweifle
ich nicht, dem Dichter eine stets wachsende Gemeinde
und so auch seinen übrigen Werken diejenige Beachtung
schaffen, die sie längst in iveitesten .Kreisen verdienen.
Noch heute ist das „Hessenland" stolz darauf, seine Leser
seinerzeit mit Bocks unvergleichlichem „Flurschützen" be-
kannt gemacht zu haben. Hbach.
F r i e d r i ch s e n , Ai. W a l d m ä r ch e n. Band I
155 Seiten, Band II 15(5 Seiten. Mit Illustrationen
in Farbendruck von Georg Hinke. Charlottenburg
i Jugend-Verlag).
Schlicht erzählt und doch spannend, führen diese Stücke
mit dem ganzen Zauberapparat, über den das Märchen
verfügt, in die Poesie des deutschen Märchenwaldes ein.
Sie erzählen von Rittern und prächtigen Schlössern,
von sprechenden Tieren, Hexen, Nixen und Feen, von
mutiger Befreiung verwunschener Königstöchter und der
Beglückung reicher und armer Menschenkinder. Hin-
gebende Liebe- zu der Kindertvclt hat sie diktiert. Unter
dem Pseudonym verbirgt sich eine bekannte Kasselanerin.
Hbach.
H e s sischer B o l k s k a l e n d e r auf das Jahr
19 14. 31. Jahrgang. 87 Seiten. Kassel (Fr. Lo-
metsch). Preis 40 Pf.
Ter seit einer Reihe von Jahren von Pfarrer Ellen-
berg in Sebbeterode vortrefflich redigierte Kalender be-
währt sich auch im neuen Jahrgang als echt hessische
Gabe. Reich illustriert, wie immer, widmet er wieder
hessischer Geschichte, Literatur und Kunst sein Augen-
merk. Den erzählenden Teil bestreiten diesmal der gemüt-
volle Poet I. H. Schwalm, M. Brehm, Heinrich Rohde
und der Verfasser der „Vergessenen Ecke", H. Völker
plaudert von Türmen und Türmern in Hessen, E. Fuchs
über Vogelsberger Steingut und Tonwaren, Helene
Brehm über Hausbau im Kreis Grafschaft Schaumburg.
Wilhelm Speck steuerte eine Komposition des köstlichsten
deutschen Liebesliedes aller Zeiten bei. Auch die Lektüre
des reichhaltigen übrigen Teiles wird manchen Winter-
abend überdauern. Eine farbige Kunstbeilage veran-
schaulicht die „Fahnenweihe der Kasseler Bürgergardc
am 26. Mai 1831" Der Kalender wird wie immer
weiteste Verbreitung finden. Hbach.
9m(L> 406 s«E>
Das Biedermeier im Spiegel seiner Zeit.
Briefe, Tagebücher, Memoiren, Volksszenen und ähn-
liche Dokumente, gesammelt von Georg Hermann.
416 Seiten. Berlin und Leipzig (Deutsches Verlags-
Haus Bong & Co.).
Preis kart. 2 Mark, geb. 3 Mark.
Der Verfasser von „Jettchen Gebert" bietet hier ein
Buch über die Biedermeierzeit, das ebenso gut auch
eins aus dieser Zeit genannt werden könnte. Als
trefflicher Kenner dieser Epoche läßt er alle möglichen
Zeugnisse aus dieser Zeit überzeugend zu uns reden,
wir lernen die Welt des Theaters, der Literatur und
Kunst so gut kennen wie die sozialen Verhältnisse, die
geistigen Strömungen, wir erleben die Reaktion und
auch die ersten Sturmzeichen der Märzrevolution. Die
Zeit, wo der Großvater die Großmutter nahm, tritt mit
ihren lavendelduftenden Zimmern, den geblümten Tapeten
und steifen soliden Möbeln greifbar vor uns, und so
sind wir Bongs „Schönbücherei" auch für diesen neuen,
mit 5 Reproduktionen zeitgenössischer Bilder ausge-
statteten Band zu wirklichem Dank verpflichtet.
Hbach.
Literarisches. B. M o r i t o n - v. M e l l e n t h i n s
Drama „M aterdoloros a“, die Tragödie einer Mutter,
- - -4*
Personalien.
Ernanntr Pfarrer Hilbert zu Tann zum Pfarrer
in Geismar; Katasterkontrolleur Patzelt zu GerSfeld
zum Steuerinspektor; Lehrer an der Königlichen Kunst-
gewerbeschule zu Kassel Eduard Schick zum Professor.
übertragen r die Leitung der Ober-Pofldirektion zu
Kassel dem Postrat Bergen er in Hannover unter Er-
nennung zum Ober-Postdirektor.
Versetztr Polizeiassessor Wiedemann von Kassel
nach Köln; Polizeirat Hammer von Köln nach Kassel.
Geboren: rin Sohn: Oberingenieur Lehma n n und
Frau Emmi, geb Bach (Kassel 13. Dezember); — eine
Tr chter: Karl Sauerland und Frau Hanna, geb. Stöck-
mann (Kassel, 13. Dezember).
Gestorben: Fräulein Sophia Alster ans Oberkau-
flingen, 74 Jahre alt (Pittsburg, Pa.. 20. November);
Rrv. Dr. Jakob Isidor M ombert aus Kassel (Paterson,
N. I.); Spinnereibesitzer Wilhelm Müller. 53 Jahre alt
(Gladenbach. 5. Dezember); Sattlermeister Karl Wilhelm
Heuser (Marburg. 8. Dezember); verwitwete Frau Rechts-
anwalt Mathilde Burhenne geb. Claus (Marburg.
8. Dezember); Rittmeister Moritz v. Trott zu Solz.
Imshausen (Marburg. 9. Dezember); verwitwete Frau
Forstmeister Wilhelmine G rosch geb. Harnickell (Großen-
ritte. 11. Dezember); Fräulein Anna Kramm 64 Jahre
alt (Fulda, 14. Dezember); Bankvorsteher Wilhelm Her in g,
das bereits in zahlreichen Städten erfolgreich» aufgeführt
wurde, ist für diese Saison bisher von 47 Bühnen ver-
traglich erworben worden. Das Werk ist auch im Buch-
handel käuflich. (Verlag Moriton, Kassel, broschiert 8 M.,
in elegantem Geschenkeinband 3 M.)
Eingegangen:
Schoof, Wilhelm. Die Schwälmer Mundart.
Ein Beitrag zur hessischen Mundartenforschung. 95 S.
Halle (Buchhandlung des Waisenhauses) 1914.
Preis 2.40 M.
Heidelbach, Paul. Im Schatten des Her-
kules. Ernste und heitere Reimereien. 65 Seiten
Kassel (Vietor'sche Hofbuchhandlung) 1914.
Heidelbach, Paul. AllerhandGauden. Karle
Klamberts Kasseläner Verzählungen. Dritter Band.
112 Seiten. Kassel (Vietorsche Hofbuchhandlung) 1914.
Preis 1 Mark, gebunden 1,50 Mark.
W i n t e r st e i n, Dr. Franz. Kämpfe von Heute
und Ge st er n. 1. Gestrauchelt. Eine deutsche
Wahlkomödie in drei Aufzügen. 2. Das Jlsenfest oder
die Herren Primaner. Lustspiel in vier Aufzügen
63 Seiten. Leipzig-Borsdorf (A. Hasert) 1913.
Preis 50 Pf.
-«>-------------
46 Jahre alt (Berlin-Friedenau. 14. Dezember); Hoftanz-
lehrer Wilhelm R i e b e l i n g. 65 Jahre alt (Kassel, 14. De-
zember); verwitwete Frau Wilhelmine Leimbach, geb.
Brennemann. 81 Jahre alt (Kassel, 15. Dezember); Privat-
mann Joh. Martin Meder. 77 Jahre alt (Kassel, 17. De-
zember); Fräulein Friedel Berndt, 29 Jahre alt (West-
uffeln, 18. Dezember).
Fragestasten.
8. Wer . kennt den Text des Volksliedes „Der Dörn-
berg, der war ein tapferer Held?"
Kassel W. R o h d e.
9. a) Gibt es ein Bild vom alten Wanfriedcr Rat-
haus? Das Gebäude stand auf der breiten Marktstraße
und ist ungefähr 1862 abgerissen worden. Trotz eifrigen
Suchens konnte bis jetzt nichts gesunden werden.
d) Merians Stadtbild von Wanfried trägt folgende
Worte
„Mancher vorm Rauch nur fliegt allein
Fält drüber gar in's Feuer hinein.
Doch trifft offt mancher groß Gefahr,
Der itzt darfür wol sicher war."
Ist der Vers willkürlich gewählt oder steht er in irgend
einem Zusammenhange mit der Geschichte der Stadt?
Wansried. Wilhelm Pippart.
An die Leser!
Der 27 Jahrgang des ..Heffenland" schließt mit diesem Heft. Wir wollen ihn nicht beenden,
ohne unseren Mitarbeitern und Lesern für abermalige vielfache Unterstützung zu bansten. Auch im
Jahr 1914 wird das „Hessenland" in der seitherigen Art erscheinen. Um es immer weiter ausbauen
zu können, ist es dringend erforderlich, daß die Freunde des Blattes ihm auch ferner treu zur Seite
stehen und es bei jeder Gelegenheit empfehlen. Darum bitten wir.
Dezember 1913. ^ __ „ . „
Redaktion und Verlag des „Hessenland .
Für die Redaktion verantwortlich: Paul Heidelbach, Kassel. - Druck und Verlag von Friedr. Scheel, Kassel.