für
Hessische H e schichte und Literatur.
Herausgegeben
unter Mitwirkung namhafter hessischer Schriftsteller
von
A. I w e n g e r.
Kaffel, 1887.
Druck von Arieör. Scheel.
Iichalts-Nkykitzniß des Iihrznzs 1887.
GefiKi<Ktli<Ke Aufsätze.
Seite
V. Baumbach, Aug. Beiträge zur Geschichte der
kurh. Artillerie................. 28, 204
— Johann Gehse..............................234
Brunner, Dr. Hugo. Eberhard, Graf von Hessen,
Herzog zu Franken...............(Pr.) 2
v. G. Geschichten aus dem Hessenland, .... 143
v. Hohenhausen, Fr. Ein Besuch in Wilhelmshöhe 123
Iunghans, F. W. Philipp Ludwig II. . . 50, 62
— HieKuystschätze dex MMus. StgdtkiMe 122, 138
Knatz. Nochmals von den Schutzen des alte« Kstr-
füchen .......... ; . 302
v. Pfister. Belagerte Hessen..................238
Preser, Carl. Das Vermögen des letztest'Kurfürsten 322
v. P., G. Das Gefecht im Arronaiser Wald . . 236
Noeschen, Dr. Aug. Ulrichstein im Vogelsberg 332, 348
Rogge-Ludwig, W. Jahresversammlung des Vereins
für hessische Geschichte und Landeskunde 285
— Ein Notizbuch Wilhelm 1...................250
— Schloß Wabern.............................267
Schwank, Josef. Hessische Ehrentafel . . . 269, 319
v. Stamsord. Die Pilgerfahrten Ludwig I. und
Wilhelm I. nach deU heiligen Graste
154, 170, 186; 202, 218
8. Von den Schätzen des alten Kurfürsten ... 110
Woiff, Dr. Georg. Römische Reste bei Hanau . . 52
Zwenger, F. Ein Fürst des Friedens
*66, 282, 314. 330, 346
* * Georg Ferdinand Frhr. v. Lepel. 65, 78, 94
Mittheilungen zur Geschichte des I. Hess.
Lerbhüsarenregiments................81,
98
Seite
-rMrt, A. Der Sängerkrieg auf Spangenberg . 130
— Dr. Gottlieb Kellner und Heinrich Heise
157, 173, 189
Zwenger, F. Philippine Engelhard, geb. Gatterer
17, 30, 43
Novellen.
Grineau, Jos. Krieg im Frieden . . . 85, 102, x115
Herbert, «. Aus dem Leben Dr. Naso's 32, 42, 55
— Aus engem Thal. . . . 271, 289, 304, 324
— Vom Christkind .......... 352
Keller-Jordan, H. Antigone .....................6, 20
— Margarethe................................208
Mohr, L. Kleine Bilder aus Hessen. Der Windisch-
Grätz kömmt............................334
Storck, F. Einer vom alten Schrot und Korn 242, 255
Lretler, F. Wolnoth..........................(Pr.) 6
— Der lange Hermes . . . 147, 161, 175, 193
Vermisste Aufsähe.
* * * Asts dem Berernslebeu in Hessen. . . (Pr.) 14
* * * Astrolog (W. Wolf.) . ...................12
* » * Nekrologe (Aug. W. Eichler, Rudolf Busch,
L. Sigismund Ruhl.)........................72
Löwe, Feodor. Aphorismen..........................106
Braun, Julius, W. Schiller in Bauerbach, historisches
Lustspiel (1 Akt).........................221
* » * Nekrolog (Fürstin Auguste Isenburg und
Büdwgen-Wächtersbach).....................273
* » * Nekrolog (Bodo Trott zu Solz). . . - . 293
Literarifetzes, Nukturtzistorifetzes unck Verwaaätes.
A. Was man vor mehr als 150 Jahren über das
Hessenland schrieb . .......................57
Bennecke, W. Die Weber'schen Opern auf dem
Hostheater in Kasiel............(Pr.) 13
Grineau, Jos. Sophie v. Gilsa............... 284, 299
Herbert, M. Sprüche an alten hessischen Bauern-
häusern ..............................................253
Herquet, K. Die Fuldaer Porzellanfabrik . . . 350
v. Hohenhausen, Fr. Die Doktorin Diede « 68, 83
Katzenstein, L. Kasseler Maler in den Jahren
1840-50 ........................... 113, 128
t». Pfister. Zu hessischem BolkSthum .... 26, 37
— Me mein Vater um 1825 die Schwälmer fand 100
Noage-Ludwig, W. Kasseler Zeitungen im vorigen
Jahrhundert.................«... 2, 14
— Ein Brief Karl Sehdelmann's über das
Kasseler Theater aus dem Jahre 1832 . 126
— Mosenthal und Dingelstedt ...... M
— Ein Gang über den alten Kasseler Fried-
hof ................................159, 191
— Aus einem Kasseler Bürgerhastse vor 60
Jahren ........................... . 298, 316
Geäieüte.
v. Amönau, Philipp. De Kerjenprifung (Marburger
Stadtmundart).................... ... 149
Bennecke, Wilhelm. An der Weser..................... 50
Brunner. Der See bei Oberellenbach (hessische Sage) 258
Dingelstedt, Franz. An Heinrich König .... 19
Engelhard, Philippine. Wie ich zur Dichtkunst kam 5
v. Eschstruth, Natalh. Heinz von Lüder .... 9
— Liebesrecht ..................................46
— Frühling am Rhein...................... . . 77
— Meiner Schwester ......... 165
— Erkenntniß...........................227
— Aus der Höhe.........................337
Finck, Karl. Landgraf Philipp der Großmüthige
und die Bäuerin ...............245
Frederking, Hugo. An der Küste ...... 132
— Die Spinnerin................................ 227
F. M. Die Hessensage............................13
Friedrichstein, M. Der Linde Trost.............179
F., Dr. W. Eine Uhland-Nachfeier in Rauschen-
berg .............................................. 132
— Unsere zwei alten Freiheitsbäume .... 358
in
Sette
Gräfe, Julius. Das träge Weib.......................07
Heise, Heinrich. Beim Gewitter.................. . 195
John. Herbstlied.................................281
— Winter.....................................858
Jordan, Ricardo. Dem Hessenland....................121
Kastropp, Gustav. Dem hessischen Volke . . (Pr.) 1
— Tafelrunde..................................34
— Aschenbrödel...............................149
Keäner, Th. Mein Glück..............................25
— Schloß Spangenberg..........................90
— Die Glocke von Harle.......................154
— Die Ruhe................................. 244
— Weihnachtsbild.............................345
Koch, Ernst. Das heimliche Leid.....................93
— Mein Asyl..................................329
Lewalter, Johann. Lenz.............................106
Löwe, Feodor. Herzverschwiegen.............(Pr.) 13
— Der Heimath................................. 1
— Auf Wilhelmshöh!...........................109
— Gnomen.....................................233
Mohr, Ludwig. Der Fahnenschmied.....................70
— Ja, zu Hause!..............................169
— Mein Musenroß............................ 292
Morchult, Toni. Waldeinsamkeit.....................178
Nuhn, Kurt. Zwee Ööje höt ee jhre Mähd (Schwälm.
Mundart)..................................10
— Die fchenste Zeit (Schmälmer Mundart). . 46
—. Die Spennstow ( „ „ ). . 90
— Ihr und mir................................245
Preser, Carl. Aus dem Exil..........................22
— Immer weiter ... *.........................118
— Rheinweindust..............................138
— Unfehlbar . ...............................218
— In Pflichten...............................313
Nodenberg, Julius. Meiner Mutter zum achtzigsten
Geburtstag...............................164
Saul, D. In der Heimath....................(Pr.) 13
— Der Verbannte...............................37
— Erinnerung.................................105
— Mutterliebe................................201
— Ein fallendes Blatt........................276
— Vaterhaus..................................297
Schulte vom Brühl. Die alten Germanen ... 212
Schwank. Das Hessendenkmal zu Frankfurt a. M. 337
Stephan, Paul. Mondesgruß...........................57
— Ein Traum..................................165
Lrabert, A. Sturmi's Sendung........................34
— Zwischen Gräbern............................61
— Klärung....................................118
— Ärntezelt..................................212
— In meiner Vaterstadt.......................266
-- Am Friedhof -steht's zu Amorbach .... 325
Treller, Franz. Der Ehrenplatz.....................276
Trönmer. Richard. Ful-uf...........................186
Weber, Karl. Schneeglöckchen........................90
Wolf, W. Rose und Veilchen..........................57
Aus alter und neuer Zeit.
I. PH. Kuchenbecker. — Heinrich das Kind. —
Heinrich II. — Zum Kapitel der Selbsthilfe. 11
70. Geburtstag des Professors Ludwig. — 50 jähriges
Dienstjubiläum des Prof. Dr. Volckmar. —
fConsbruch, Karl Engel, L. A. Pelisfier,
Emil v. Apell. — f Karl Renouard. —
Hermann der Gelehrte............................22
Bhrgi. — Lohmeher, Brunner.............................35
Aus dem Hanauer Wochenblatt. — Aufzeichnungen
des Lippoldsberger Stadtschultheiße Itter. —
Hessische Schutzgerechtigkeit...................46
Sette
Bernhard Eberhard. — t Marie Ealm. — f K. U.
F. Schorre. — t Dr. G. A. Vogel. —
'200jühriges Jubiläum der „Hanauer Zeitung".
— Custine und Fr. Treusch v. Buttkar. . 60
Lehrprogramm hessischer Anstalten. — Ditfnrth's
„Hessen in den Feldzügen der Champagne."
— „Rachegeister", Drama von Ludwig Wolff.
— Prämiirung eines Hessen. — Grimm-
andenken in Großalmerode. — Gedenktag
Ludwig I.................................... 75
Kaisers Geburtstag. — s Eduard Köhler, Bruno
Berlit. — Hessische Jäger. — Bürgerliches
Schützenkorps in Cassel. — Anekdote von
Frau von Dalwigk.............* . . . . Hl
f A. L. v. Wille. — Kasseler Rathhäuser. - Karl
Weismann. — Dr. Adolf Stölzel. —
Brakteatenfund im Ertzebach...................106
fDr. Nathanael Lueberkühn. — Uhlandfeier in
Tübingen. — Josef II. in Hessen. — Jahn
über die Hessen. — Zu S. Koch's Gedicht:
Das heimliche Leid........................... 118
t Dr. Hermann Weigel. — s E. M. 8. Frhr. von
Schenk zu Schweinsberg. — Regierungs-
präfident A. v. Heppe. — Stammbüchverfe
von Landgraf Wilhelm V. und Amglia
Elisabeth. — Finanzlage unter Wilhelm IX. 133
Schutzbrief für Kloster Frauenberg bei Fulda. —
Hessische Finanzen von Wilhelm IX. . . . 150
Abt Eigil von Fulda. — Hessische Tapferkeit. —
Der blinde Jakob............................ 166
Ein Stückchen Kasseler Stadtchronik. — Etwas von
Järöme...................................179
Wöhlerdenkmal. — Aus .Weine Wanderung in
der Rhein- und Mainaegend im Febr. 1794*.
— Die Ritterkapelle in Haßfurt. — Züge
aus hessischem Bolksthume................198
Johann Adam Rüger. — Brief des Pfarrers Cuntz
zu Kirchditmold..................... 212
Oberforstmeister von Wildunger. — Attentat auf
J^röme. — Zwei hessische Veteranen, . . 227
Friedr. Lange. — Hessisches Kadettenlied. . > . 245
2. kurh. Hus.-Reg. bei Aschaffenburg 1866. ... 258
Bon Landgraf Wilhelm IV. — Drastische Mittel
zur Heilung einer «bösen Sieben". — Heinz
v. Lüders goldne Kette. — Der JustiMnat
der ehemaligen. Regierung zu Marburg. . . 276
Familie Grimm. — Konrad Wiederhold's Familie. 294
Stimme über Hessen aus 1815. — Seltsame Älter-
richtsmethode. —Unsicherheit derPostftraßen
im vorigen Jahrhundert...................306
Inserviendum tempori. — Ludwig Schwarzenherg.
— Hemperle und seine Bande. — HDbe,
laß dich köppe!........................... . 337
Die Kunst der Glasschleiserei in Hessen. — Er-
gänzung zur „Hess. Ehrentafel" in Nr. 22.
— Karl Gerok. — No, Hannes, dann mach's
gaud..................................359
Aus Aeimatk und Fremde.
Vorträge im Verein für hessische Geschichte und
Landeskunde. — t Dr. Moritz Schuppert. —
Der tausendste Student in Marburg. —
13. Generalversammlung von Lehrern höherer
Unterrichtsanstalten Hessen-Nassau's.— Milse-
burg.......................................... .
80. Geburtstag des Prof. Flügel. — 50jähriges
Priesterjubiläum des Generalvikars K. Kalb.
— t Prinzessin Sophie Isenburg und
151
IV
Seite
Büdingen-Birstein. — f Justizrath Karl
Peters. — Marburger Univerfttätsbesuch. —
Erinnerungsfeier in Nenndorf. — Zwei
Hanauer Mufikkünstler......................167
Flügelfeier. — Ausflug des Geschichtsvereins nach
Kaufungen. — 80. Geburtstag der Wittwe
Louis Spohr's. — Abschied Fr. Hesse's vom
Kasseler Theater. — Berufung Prof. Sievers'
nach Halle. — Englische Kirche in Kassel. . 180
t Oberst Friedrich Boedicker. — Jubiläum Friedr.
Scheel's. — Rechtsanwalt Otto. — Frank-
furter Rundschau von Otto Kanngießer. . . 198
An Duncker's Todestag. — Herzogin v. Cambridge.
— f Frhr. v. Hanstein. — Prof. v. Kramer.
— Bilder von Joh. v. Kleinschmidt. —
Berichtigungen. — Feier in Marburg. . 2, 15
Geburtstag des Kurfürsten. — I. Hesfisches Sänger-
fest in Kaflel. — Hesfische Künstler auf der
Akad. Kunstausstellung in Berlin. —
t Dr. theol. Remhold Ebert. — f Frln.
Louise Hefle...............................231
f Karl Kind. — f Prof. Bolckmar. — Krankheit
der Fürstin Auguste Isenburg und Büdingen-
Wüchtersbach. — Hutten-Sickingen-Denkmal.
— Althesfischer Bolkskaleuder für 1888. . . 247
Fulda's katholische Frauenwelt und das Papst-
jubiläum. — Nekrolog des Prof. Bolckmar. 261
f Regierungssekretär Adam Hofmann. — f Elise
Träbert. — t Metropolitan I. A. Bode. —
Monatsversammlung des Vereins für hesfische
Geschichte und Landeskunde. — Ausstellung
des Kunstvereins...........................278
Jubiläum von Oberbürgermeister Rang.— Jubiläum
des Eisenbahndirektionspräfident v. Schmer-
feld. — Dr. Georg Kopp. — t Oberlandes-
gerichtsrath Klingender. — s Landgerichts-
rath Dr. K. Fulda. — t Dr. Heinnch Jde.
— f Geh. Regierungsrath a. D. v. Mytz. —
f-Prof. Dr. Karl Buderus. — Berlit-Denk-
mal in Hersfeld............................309
Monatsversammlung des Vereins für hesfische Ge-
schichte und Landeskunde. — Josef Wehland.
— Landgerichtspräfident Lang, Hanau. —
t Dr. med. Karl Justi. — f Dr. Franz
Meurer. — Vom Hessendenkmal in Frank-
furt am Main. ............................326
Monatsversammlung des Vereins für hesfische Ge-
schichte und Landeskunde. — Allg. Deutscher
Sprachverein. — Jubiläum von H. Siebert.
— Nochmals Dr. Jde und Dr. Buderus.
— .Chattische Stammeskunde.- — »Hesfische
Blätter- in Amerika. ......... 340
t Seminarlehrer Auth. — Marburger Univerfität.
Katalog Nr. 58 von Gustav Klaunig. . . 360
fisufierfrfiau.
Eddergold (L. Mohr). Aus der Gegenwart (H. Keller-
Jordan). Karl Scharnhorst (Armand-Strub-
berg). Potpourri; Katze und Maus (Nataly
v. Eschstruth).........................(Pr.) 15
Schillers Jungfrau von Orleans (Eysell). Aus
Sommerstagen lJohann Lewalter)............... 12
Vor der Schlacht (O. Wachs)..................36
Die Weltausstellung Englands (O. Wachs). Gela
(Franz Treller)..............................48
Hacienda selicidad (H. Keller-Jordan). Die Schwalm
.(Reinhold Schrödter)........................76
Der Born der Liebe (Hugo Freberking). Heimaths-
kunde von Kassel und Umgegend (Gilb). . 108
Sappho (Conrad). Die bleibende Bedeutung der
Brüder Grimm für die Bildung der deutschen
Jugend (Labes)...............................120
Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins für
hesfische Geschichte und Landeskunde. — Ge-
schichten aus dem Hessenland (Münscher).^
Gefängnißwefen in Hessen (K. Neuber).
Touristenführer für Kassel und Umgegend
(Lorenz).....................................135
2. Preuß. Hus.-Regt. Nr. 14 (Kossecki)...............152
ForscherMitteleuropa's (P. E. Richter). Die Familien
der ehemaligen Reichsritterschaft (E. StendeU). 168
Jahrbücher von Hersfeld (Dr. H. Lorenz). Die
Feftungsruinen Hohentwiel (Herm. Frölich). 200
Krone und Kerker (Nannh vom Hof). Bericht der
Wetterauischen Gesellschaft. Militärwochen-
blatt Nr. 3, 4, 6. Kurze Geschichte Hanau's
(Iunghans)......................................295
Beiträge zur Geschichte des Feldzuges von 1806
(Dechend).......................................312
Die Politik des Landgrafen WilhelmVIII.(H. Brunner).
Die Grubers (H. Ketler-Iorban)..................342
Das Kind seines Herzens; Jagd nach dem Glück;
Kinder der Zeit (M. Herbert). — Zur
geologischen Kenntniß der Rhön (H. Lenk).
— Ueber die Grenzbeschreibungen in einigen
thüringischen Urkunden (A. Werneburg). —
Für Feierstunden (A. Gilb)......................361
Briefkasten.
16 (Pr.) 12 24 36 48 60 76 92 108 120 136
152 168 184 200 216 232 248 263 279 296
312 328 343 362.
Probe-Nummer.
22. Itfmbtr 188«.
MM.
Zeitschrift für hessische Geschichte mb Literatur.
Girrladirrrg jwm Avorrnement.
Mit der vorliegenden Probenummer tritt das „Heffe«lR«k, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur"
in die Oefsentlichkeit. Den Zweck unserer Zeitschrift, die Ziele, die sie verfolgt, haben wir bereits in dem von uns
verbreiteten „Aufruf" eingehend dargethan. Unter Hinweis auf den Inhalt des letzteren wiederholen wir hier nur,
daß eS die Hauptaufgabe' unseres Blattes sein wird, den hessischen Sinn wachzuhalten, die Anhänglichkeit an die
engere Heimath zu kräftigen. Das soll allen geistigen Interessen Hessens gewidmet sein.
Eine große Anzahl namhafter hessischer Gelehrten und Schriftsteller hat bekanntlich die Mitwirkung zugesagt» so daß
wir in der Lage sind, unseren Lesern hinsichtlich der Gediegenheit des Inhalts die besten Versicherungen geben zu können.
So möge denn unsere Zeitschrift hinausgehen und sich Freunde erwerben überall wo Hessen leben und sich
ihrer Stammesangehörigkeit bewußt find. Möge sie bald in dem hessischen Volke Wurzel fassen und heimisch werden
in den hessischen Familien. Und dazu geben uns die zahlreichen, freudig zustimmenden Briefe, die wir erhalten, die
Bestellungen, die bereits eingegangen, die beste Hoffnung.
Das „Heffe«la«d" erscheint vom 1. Januar 1887 ab Mtirrtal msuatlich. und zwar am 1. und 15. jeden Monats,
in dem Umfange von lx/2 Arge«, Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig für hier und auswärts
vierteljährlich 1 Mark 50 $fg. Auswärts kann unsere Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, sowie unter Streif-
band oder durch den Buchhandel bezogen werden; hier in Kassel nimmt der unterzeichnete Redakteur, Jordanstraße 15,
und die Expedition, Kölnische Straße 12, Bestellungen an. In der Post-Zeitungs-Preisliste findet sich das „Heffealaad"
eingetragen unter Nr. 2547 1. Nachtrag für 1887. ^ t n_______
Kassel, den 22. December 1886. Die Redaktion: F. AMÜgtk.
M Dem hessischen Doike
ich ruf ich an, du treue» Volk der Chatten!
Du sahst in deinem Land die Legionen
Der stohen Noma, sahst im heil'gen 'Schatten
Der Eichenhaine nnier Niesenkronen
Alts« fremder Götter. Bald auch hatten
Sie Durgen aufgerichtet, dort zu wohnen;
Da scholl der Ruf; die Freiheit ist bedroht!
Den Fremden ward er Untergang und Tod.
’ Und andre Reiche hoben stch empor,
j Das Christenthum eroberte die Welt.
! Aus all' den alten Trümmern wuchs und gohr
Gin frisches, neues Leben. Ruhmerhellt
' Regierten Kaiser, die das Volk erkor;
Doch als dies Reich nun auch im Äampf zerschellt,
Als ew'ger Krieg zerfleischte D entschlanos Gauen,
Da halfst dn rüstig. Neues pt erbauen.
Dann stand der Osten auf und mähte Wogen
Auf Wogen her, es ward ans seinen Dahnen
Gedrängt das müde Rom, die Völker sogen
Aus ihrer Heimath. Dlntgetränlrte Fahnen
Enthüllten sich. Cs donnerten die Wogen
Des Weltkriegs, doch im Stammsitz deiner Ahnen,
Lei deinen liebgeword'nen Hügelketten:
On hieltest Stand, die Heimath dir rn retten.
I Das Joch pt brechen, das mir mutzten tragen
1 Halfst du, da dies Jahrhundert aufgestiegen;
Der uns in Sklavenfesseln wollte schlagen,
Den Erbfeind sahest dn am Hoden liegen.
Und wenn uns heut' ein neues Reich darf tagen.
Du hast es nnt erkämpft in blut'gen Siegen:
, Mein Hestenvolk, nun darfst du dich bereiten,
Für deinen Herd den Geisteskampf pr streiten.
Es ruht in deinen Gauen noch verborgen
So manches Räthsel aus vergangnem Leben,
Der Forschung eme Gaste! Heller Morgen
Drech an! Die Wistenschaft soll freudig heben
Die Schätze der Vergangenheit und sorgen,
Der Nachwelt sie zu übergeben.
Mein Hestenvolk, frisch auf zu diesem Ringen:
Es gilt, dich selber an das Licht pr bringen.
(föixftati Anilroi})}.
Eberhard.
Gras im Keftn. Hrr;og om Franken.
fu den Zeiten der letzten Karolinger herrschte
im Hessengau, im Ober- und Niederlahn-
gau und in der Wetterau, also im alt-
chattischen Gebiete, ein Grafenhaus, das die Ge-
chichte wegen des vom Vater auf den ältesten
Sohn forterbenden Namens „Konrad" die
Konradiner genannt hat. Die Grafschaft im
Hessengau, als dem ältesten Sitze der chattischen
Franken, fiel jedesmal dem erstgeborenen der
Söhne zu; er stand dem Gaugerichte auf der
Mader Haide vor und hatte seinen Wohnsitz
in Fritzlar.
Hier in der Nähe dieser Stadt war es auch,
wo Konrad d. Ä., Graf im Hessen- und Ober-
lahngau, i. I. 905 in der berühmten Fehde
seines Geschlechtes gegen Adalbert von Babenberg
Schlacht und Leben verlor. Denn obgleich ge-
rüstet, da er fortwährend der häufigen Streif-
züge seines Widersachers gewärtig sein mußte,
scheint dennoch Konrad durch dessen plötzliches Er-
scheinen etwas überrascht worden zu sein. Er
zog ihm von Fritzlar aus in drei Heerhaufeu,
davon einer aus Sachsen bestand, der andere
wahrscheinlich im Oberlahngau, der dritte im
Hessengau aufgeboten war, entgegen. Aber beim
ersten Angriff schon wenden sich zwei der Heer-
haufen zur Flucht; vergebens, daß Konrad sie
mit lautem Zuruf beschwört, für Weib und Kind
und den väterlichen Heerd zu streiten; nur der
dritte, auf den die Worte des Grafen mehr Ein-
druck machen, und der also wohl, wie wir an-
nehmen dürfen, aus den unmittelbar betheiligten
Hessen bestand, folgt muthig dem Führer. Die
Schaaren prallen aufeinander. Da gleich beim
ersten Ansturm sinkt Konrad, aus vielen Wunden
blutend, todt vom Rosse. Der Sieg gehört dem
Babenberger, und drei Tage lang durchzieht
derselbe, alles um sich her verheerend, den Gau;
dann kehrt er, reich mit Beute beladen, zum
festen Babenberg heim.
Es war Adalberts letzter Triumph. Denn
der mächtige Einfluß der Konradiner am Königs-
hofe bewirkte bald seinen und seines ganzen
Geschlechtes jähen Sturz und ließ jene um so
höher steigen. Konrad, der älteste Sohn des bei
Fritzlar gefallenen Grafen, war bald der erste
Mann in der Umgebung Ludwig des Kindes; auf
ihn gingen zum großen Theile die Lehen und
Würden der Babenberger über, sodaß er seit
dem Sturze dieses Hauses geradezu als Herzog
der Franken genannt wird. Seine eigentliche
Grafschaft war der Hessengau. Sein Prüder
Eberhard erbte den Oberlahnga«, jmb beider
Vettern, Udo, Hermann und Konrad, mit dem
Beinamen Kurzbold, standen den übrigen Gauen
vor. Allein die höchste Würde war dem hessischen
Grafengeschlechte noch vorbehalten.
Als König Ludwig das Kind ohne Nach-
kommenschaft starb, da war Konrad als Urenkel
der Gerburg, einer Tochter Ludwigs des Deut-
schen, der Mann, welcher die nächsten Ansprüche
auf die Krone des Frankenreiches hatte. Sie
ward ihm zutheil, und sieben schwere Jahre
hindurch hat er sie, wenn auch nicht immer glück-
lich, so doch ruhmreich getragen.
Noch auf dem Todtenbette war er mit der
Sorge um das Reich, das in die einzelnen
Stammesherzogthümer zu zerfallen drohte, be-
schäftigt. Er sah ein, daß um die widerstrebenden
Bestandtheile zu vereinigen, wenigstens zwei der
deutschen Stämme unwandelbar? zusammenstehen
müßten. Aus diesem Grunde bewog er seinen
8
Bruder Eberhard, zu Gunsten des Sachsenherzogs '
Heinrich auf die Krone zu verzichten; und !
Eberhard, nicht minder einsichtig wie Konrad, j
gab den Beweis bewunderungswürdiger Selbst- !
losigkeit, indem er dem Sachsen die Krone an-
bot. Diese That allein sollte uns den Mann
werth machen, der keineswegs der war, als
welcher er oft geschildert wird: ein schwacher,
eitler Charakter, nach des eigenen Bruders An-
sicht unfähig, die Krone zu tragen. Wäre er der
gewesen, er hätte sicherlich nicht entsagt.
Wenn Franken und Sachsen zusammenstanden,
war die Einheit des Reiches gerettet. Immerhin
war es ein verhängnißvoller Schritt, zu welchem
Konrad den Bruder überredete. Gewiß lag beiden
nichts ferner als der Gedanke, die Herrschaft
von den Franken auf die Sachsen zu übertragen,
und keiner der Zeitgenossen hat die Wahl Hein-
richs so aufgefaßt. Auf fränkischer Erde,
zu Fritzlar, dem Sitze der Konradiner, wurde
Heinrich zum Könige der Franken erhoben, —
die eigentliche Wahlhandlung hatte wohl an der
alten Malstätte der Hessen, ans der Mader
Haide, stattgefunden, — und dort sollte er auch
die Krönung empfangen. Doch lehnte er be-
kanntlich die feierliche Salbung von der Hand
des Erzbischofs von Mainz ab, — wie wir an-
nehmen dürfen, aus Rücksicht auf Eberhard, in
dessen Herzen die untergeordnete Rolle, die er
dabei spielen mußte, ein Gefühl der Bitterkeit
sicher erzeugt haben würde?)
Ueberhaupt blieb das Verhältniß zwischen
Heinrich und Eberhard das beste. Kein Mißton
störte ihr gutes Einvernehmen; Eberhard, seit
Konrads Tode Herzog der Franken, leistete wie-
derholt dem Könige, besonders in lothringischen
Angelegenheiten, wichtige Dienste, und Heinrich
seinerseits vergaß des Dienstes gegen die Kon-
radiner nie, was er u. a. dadurch bewies, daß
er das Herzogthum Schwaben an Eberhards
Better, Hermann verlieh, sodaß es fast schien, als
werde König Kourads Voraussetzung, daß bei
der Wahl Heinrichs Sachsen die Ehre, Franken
den Vortheil haben würde, in Erfüllung gehen.
1) So erklärt sich meiner Ansicht nach am einfachsten die sonst
in jeder Hinsicht auffällige Weigerung Heinrichs, die Salbung anzu-
nehmen.
Da mit einein Schlage änderte sich das Ver-
hältniß, als Otto I. den Thron bestieg. Zwar
wurde auch er nach alter Sitte auf fränkischem
Boden, zu Aachen, zum Könige gekrönt; zwar
tauschte auch er dabei das weite sächsische Ge-
wand mit deni enganliegenden fränkischen und
nannte sich König der Franken. Allein er war
Sachse und fühlte sich als solcher, und er wollte
auch, daß die Herrschaft des Reiches bei den
Sachsen sei.
Seine Stammes-Genossen fühlten dies bald
heraus, besonders die, welche den Franken nn-
j mittelbar Unterthan waren. Denn seit alters
j war mit dem fränkischen Hessengau auch der
sächsische, die Gegend zwischen Weser und Diemel
und jenseits dieses Flusses bis Beverungen hinab,
verbunden, und so erklärt sich auch der oben be-
reits bei Gelegenheit der Babenberger Fehde er-
wähnte Umstand, daß in dem Heere des älteren
Konrad einer der drei von ihm aufgebotenen
Heerhaufen aus Sachsen bestand.
, Aus welcher Zeit die Hoheit des fränkischen
! Grafen herrührte, ist schwer zu sagen. Bereits
! Tacitus erzählt, daß ein den Cheruskern ver-
' wandtes Volk, die F o s e n, von den Chatten unter-
worfen wurden und man hat mit gutem Grunde
! die noch heutigen Tages für die Anwohner des
Diemelstromes übliche Bezeichnung „Deimel-
Fosen" (hochdeutsch mißverständlich als Diemel-
Füchse gedeutet) init jener Nachricht in Ver-
bindung gebracht. Die Sachsenkriege Karls des
Großen mochten jene Oberhoheit aufs Neue be-
festigt haben, genug, sie war vorhanden. Jetzt,
nach Heinrichs Tode, meinten nun die hessischen
Sachsen, daß die Reihe zu herrschen an ihnen
sei und weigerten Eberhard den Gehorsam.
Der Erste, der sich offen gegen ihn auflehnte,
war der Sachse B r u n i n g. Er that es zu sei-
nem Schaden, denn Eberhard zog vor sein festes
Schloß Elmeri und zerstörte diesen damals an-
sehnlichen Ort (er wird eine civitas genannt)
so von Grund aus, daß nicht einmal vom Namen
eine Spur sich erhalten zu haben scheint.
Unzweifelhaft war Eberhard als Lehnsherr des
widerspenstigen Vasallen zu dem Schritte befugt.
Doch Otto, dem der Anlaß zur Demüthigung
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des mächtigen Franken-Herzogs und zur Brechung
seines Einflusses willkommen war, verurtheilte
ihn selbst als Landfriedensbrecher zu der enormen
Strafe von 100 Mark Silbers (die ebeusovielen
Rossen gleichwerthig erachtet wurden); seine Ge-
treuen aber wie gemeine Räuber zu der ent-
ehrenden Strafe, Hunde zur königlichen Pfalz
nach Magdeburg zu tragen; indes Brnning, der
tlrheber des Streites, straflos ausging.
Was würde König Heinrich zu einer solchen,
dem ersten Fürsten des Reiches widerfahrenen
Behandlung gesagt haben! Wohl wurde die
Strafe gebüßt. Allein sie öffnete Eberhard mit
einem Male die Augen über den Irrthum, in
welchem er und sein Bruder besangen gewesen
waren, als sie dem Sachsenherzoge die Krone
antragen ließen. Die Rolle der Franken war
ausgespielt; sie hörten auf. das erste Volk des
Reiches zu sein, wenn es nicht gelang, Otto das
Scepter zu entwinden. Und diesen Kampf für
die Vorherrschaft seines Volkes hat Eberhard auf-
genommen. So sehr Otto den Gedemüthigten
wiederholt zu begütigen versuchte, ein dauernder
Friede war der Lage der Dinge nach unmöglich.
In diesem Kampfe hat man Otto gewöhnlich
als den Vertreter der Reichseinheit und der
guten Sache, den an seiner Ehre gekränkten Eber-
hard als den unversöhnlichen Rebellen hingestellt.
Wenn Eberhard rebellirte, so durfte Otto sich
nicht einmal beschweren, hatte er doch selbst die
Rebellion in Schutz genommen. Allein in dem
entstandenen Kampfe handelte es sich um mehr
als die Sühne gekränkter Ehre, wie der Ver-
lauf zeigen wird. Leider ist uns aus fränki-
scher Feder auch nicht eine gleichzeitige Kunde
jener Zeiten und Kämpfe überkommen, und die
sächsischen Geschichtsschreiber verrathen nur ge-
legentlich, um was es sich handelte. Das aber
berichtet einer von ihnen, der Mönch Widukind
von Coroei, daß auch unter den Sachsen Viele
waren, die Ottos ungerechtes, parteiisches Ver-
fahren mißbilligten; und ehe man den Stab
über Eberhard bricht, dessen leutseligen, biederen
Charakter der eben erwähnte Widukind selbst
rühmend hervorhebt, und dessen redliche Bemüh-
ungen nn» die Rettung der Einheit des Reiches
unzweifelhaft sind, sollte »nan sich fragen, was
der für ein Mann gewesen sein muß, gegen den sich der
Reihe nach sein älterer wie sein jüngerer Bruder,
sein Schwager, Sohn unb Eidam und die ersten
Männer des Reiches, geistliche wie weltliche,
auflehnen!
Das Erste, was Eberhard that, um zu beweisen,
wie er über des Königs Gericht denke, war, daß er
den rebellischen Brüning anfs Neue mit Krieg über-
zog und sein Gebiet verheerte. Bald entbrannte
der Krieg aller Orten im hessischen Sachsen und
in Westfalen, und besonders war es Ottos jüng-
erer Bruder Heinrich, gegen de« sich die Er-
bitterung der Franken richtete. Vergebens be-
rief der König einen Tag nach Steele an der
Ruhr, die Franken kamen nicht. Im Gegentheil
schlossen sich viele Sachsen, darunter des Königs
eigener Bruder Thankinar, an Eberhard an.
Ersterem gelang es sogar, seinen Sttefbruder
Heinrich in seine Gewalt zu bringen, und er
lieferte ihn als Unterpfand seines Bundes ge-
fangen an Eberhard aus.
Zum Unglück für diesen aber erlitt im selben
Jahre, bei Erstürmung der B»»rg Beleke in
Westfalen, in welcher Heinrich sich befand, der
junge Sohn seines Vetters Udo aus dem Nieder-,
lahngau, Gebhard mit Namen, einen frühen
Tod, und die Vettern, die bisher treu zu einander
gestanden hatten, zerfielen: Udo und sein Bruder
Hermann von Schwaben, »vie auch beider Better
Konrad K»»rzbold, der Graf der Wetterau, sagten
sich von Eberhard los und traten zürn Könige
über. Thankmar aber wurde bei Erstürmung
der Eresburg durch die Mannen des Königs er-
schlagen.
Welche anderlveiten, geheimen Triebfedern noch
thätig »varen, um den Bruch im fränkischen Grafen-
hause zu vervollständigen, entzieht sich völlig un-
seren Blicken. Denn schwer kann »nan sich ein-
reden, daß zu einer Zeit, >vo das Leben des
Einzelnen so »venig galt, der Tod des jungen
Gebhard allein eine derartig tief einschneidende
Kluft zwischen Männern desselben Stamines und
Blutes geschaffen haben sollte, daß sie sich nach-
her aus den Tod befehden. Da Udo nnd Her-
mann den Hauptvortheil später aus den Kämpfen
5
davontrugen, so liegt es nahe, anzunehmen, daß
Otto in Franken ähnlich wie zuvor in Baiern
verfuhr und den einen Vetter gegen den anderen
ausspielte.
Noch aber gab sich Eberhard nicht verloren.
Scheinbar verlassen, suchte er auf den Rath
seines Freundes, des Erzbischofs Friedrich von
Mainz, einen Ausgleich mit dem Könige. Er
warf sich seinem Bruder Heinrich zu Füßen und
bewog ihn, als Vermittler aufzutreten. Gleich-
zeitig aber fachte er in Heinrichs Brust den
schlummernden Funken an, der später zur lichten
Flamme werden sollte und das Reich an allen
Enden entzündete: er eröffnete ihm die Aussicht
auf den Königsthron, und beide Männer schlossen
einen folgenschweren Bund, von dem Otto
Nichts ahnte.
Auf Heinrichs und des Erzbischofs Verwendung,
und da ein gleichzeitiger Einfall der Ungarn
Täckse» heimsuchte, ließ Otto sich zum Frieden
geneigt finden. Eberhard wurde seiner herzog-
lichen Würde für verlustig erklärt und zu einer
gelinden Verbannung nach Hildesheim verur-
theilt. Und ob er zwar bald vom Könige wieder
zu Gnaden angenommen und in die früheren
Ehren wieder eingesetzt wurde, so kann man doch
leicht denken, daß an der allgemeinen Lage sich
wenig änderte.
Bald brach denn auch der Krieg aufs Neue
aus. Heinrich und sein Schwager Giselbert
von Lothringen erhoben zuerst die Fahne der
Empörung. Aber Otto brachte beide in große
Noth, und nun erst, im Spätsommer d. I. 938,
griff auch Eberhard wieder in den Kampf ein.
In beiden Verbündeten, heißt es, habe er die
Hoffnung auf die Königskrone genährt, während
er selbst doch mit dem Gedanken umgegangen
sei, sie sich aufs Haupt zu setzen. Und zum
Beweise führt man seine eigenen Worte an,
die er scherzend zu seiner Gemahlin gesprochen
habe: Noch kosest Du auf dem Schooße des
Grafen; bald wirst Dn aber in eines Königs
Armen ruhen.
Gewiß ist diese angebliche Aeußerung Eberhards
nichts anderes als damaliger Klatsch, zumal sie uns
ein Italiener, Bischof Lindprant von Cremona,
der sie am Hofe König Ottos hörte, verzeichnet hat.
Niemand wird sie belauscht haben; und ebenso
wenig steht es fest, von welcherlei Art die Ab-
machungen zwischen den Verbündeten waren.
Wenn man sich erinnert, daß im Vorjahre der
Kampf von Seiten der Verbündeten Herzog
Eberhards mit besonderer Erbitterung gegen des
Königs Bruder Heinrich geführt wurde, ein
Kampf, der dem jungen Gebhard das Leben
kostete, so darf man vermuthen, daß gerade das
Festhalten Eberhards an Heinrich ihm die Herzen
seiner Vettern dauernd entfremdete.
Sie bildeten jetzt gerade die wichtigsten und
eifrigsten Bundesgenossen des Königs; mit ihnen
belagerte Otto die festen Burgen Eberhards
am Rhein, Briseg, das heutige Ober- oder Nieder-
breisig in der Nähe von Andernach und anderes,
wogegen Eberhard sich mit Giselbert in dessen
Herzogthum vereinigt hatte und zum Entsätze
heranzog.
Vergebens versuchte Erzbischof Friedrich von
Mainz, der erste Prälat des Frankenlandes, eine
Versöhnung zu Stande zu bringen. Der König
verwarf seine Vorschläge, und so verließ er, und
mit ihm viele andere Bischöfe und Herren, das
Lager, um sich den Feinden anzuschließen; ein
Beweis, daß deren Sache des guten Kernes
nicht entbehrte.
Die Lage Ottos war eine verzweifelte, und
Widukind von Corvei sagt selbst, daß die Herr-
schaft der Sachsen verloren schien?). Da half
Otto sein gutes Glück. Eberhard und Giselbert
waren bei Andernach über den Rhein gegangen,
wohl um des Königs Rückzugslinie zu bedrohen
und ihn zur Aufhebung der Belagerung zu nöthigen.
Otto entsandte dagegen Herzog Hermann von
Schwaben mit Udo und Konrad Kurzbold gegen
sie, doch waren diese zu schwach, um sich in
einen Kamps einlassen zu können, und begnügten
sich damit, jenen in der Ferne zu folgen. Da
1) An Breisach in Schwaben zu denken, ist natürlich unmöglich,
und wenn selbst spätere Quellen diesen Ort bezeichnen, so beruht .
das offenbar auf einem Mißverständniß; denn wie käme Eberhard
an den Oberrhein, und selbst wenn er dort Stützpunkte gehabt hätte,
so waren die von keinem Belang in dem vorliegenden Kampfe.
2) Die Worte: nec ultra apes rcxnrpiltt — Saxones, können
kaum anders gedeutet werden.
6
erfuhren sie von einem des Weges kommenden !
Priester, daß die Hauptmasse des feindlichen
Heeres schon wieder über den Strom zurück sei, ,
die Herzöge selbst aber sich noch auf dem dies- >
seitigen (rechten) Ufer des Rheines befänden.
Unverweilt brachen nun die beiden Grafen
Udo und Konrad mit einer kleinen Schaar auf. ,
Sie überraschten die Herzöge gerade, als sie !
nach gehaltener Mahlzeit sich beim Brettspiel!
unterhielten. Aufgeschreckt durch den unerwarteten
Angriff, entfloh Giselbert nach dem Rhein, sprang '
in ein Boot, das aber von Flüchtlingen über- >
füllt im Strome umschlug, und ertrank. !
Eberhard dagegen setzte sich mannhaft zur >
Wehre, bis er endlich, von vielen Streichen |
getroffen, im ungleichen Kampfe erlag. Er!
starb ungebeugt und unbesiegt. Mit ihm aber !
brach auch die Vorherrschaft der Franken auf
lange Jahre hinaus zusammen.
Einen Herzog ernannte Otto, wenigstens für
den ganzen Umfang des Stammes, nicht mehr.
Den fränkischen Hessengau erhielt Hermann
von Schwaben, den Oberlahngau Udo, der säch-
sische scheint jetzt schon ganz losgetrennt worden
zu sein.
Muß man vom Standpunkte der allgemeinen
Reichsgeschichte aus es natürlich begrüßen, daß
Otto über die Herzöge triumphirte, so muß man
andererseits doch bekennen, daß Eberhard in
seinem Kampfe gegen den König den Boden des
Rechts unter den Füßen hatte; das Eine fehlte
ihm, um in der Geschichte Recht zu behalten:
der Erfolg.
Dr. Hugo Brunner.
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Wolrrolh.
Lin Öilii aus ««seres Kolkes Vorzeit.
Bon
Franz Treffer.
^^Xie Nacht war dunkel, Wolken zogen eilig
Igl über die Sterne hin und in den Bäumen
(So sang der Wind sein eintönig Lied.
Da, beim nackten Hügel, der aus dein Wald
hervorragte, beim schwachen Schimmer kaum er-
kennbar, erhebt sich eine Hütte, rauh aus
Blöcken aufgeführt.
Es ist die Behausung Merwig's des Grenz-
wächters am Chattenlande, denn dicht bei dem
Hügel führt in der Schlucht der Pfad herauf
aus der Tenkterer Land, über den rauhen Wald
in die Thäler der Chatten.
Unruhig wars am Rhein und Main, denn
der Römer war niit Gewalt ins Land der
Tenkterer gefallen, hatte Männer erschlagen
Frauen entehrt, den rothen Brand in manches
Mannes Heim geschleudert, und da wo der Main
in den Rhein fließt, nach seines Volkes Weise
einen Steinwall gezogen, hinter dem geschützt,
er feste Häuser baute und ausfallend von Zeit
zu Zeit das Land schädigte.
Auch chattischen Männern, die am Walde
wohnten wo sich die Länder scheiden, war Uebles
geschehen, und der Chatten gewaltiger Herting
hatte Boten an Roms Legaten gesandt, Sühne
zu heischen für Frevel.
Kluge Männer aber vom Rheine, wohl ge-
sinnt dem Chattenvolke, ließen in Mattium
künden, der Römer sammle die Legionen und
sinne Böses dem Chattenlande.
Wachsam mußten deßhalb die Wächter an der
I Grenze sein, da wo die Pfade ins Land führten,
denn über Nacht konnte der Römer kommen.
7
Wachsam war auch Merwig, Rodwalt's Sohn,
denn Tag und Nacht rdurchspähte er den Wald,
und lugte, von Baum und Fels in's Land hinunter.
Auf dem Hügel an dem seine Hütte stand,
war ein letchtgefügter Holzstoß aufgerichtet, und
mit dürttm Reisig durchsetzt, den wenige Funken
jählings emporlodern lassen konnten, so daß seine
Flamme weithin auf den Bergen sichtbar war,
ein Zeichen, daß der Feind nahe.
Tag und Nacht mußte auch das Herdfeuer
brennen in Merwigs Hütte, denn am Tage sollte der
Rauch des brennenden Holzstoßes das Zeichen sein.
Auf vielen Höhen, die Grenze entlang und
weit in das Land hinein, erhoben sich die hoch
aufgethürmten Holzscheite, um das Warnungs-
zeichen weiter zu tragen, von wo es auch zuerst
gegeben ward.
In der Thüre seiner Hütte erschien Merwig,
der Wächter, hoch und schlank von Gestalt, kraft-
voll an Gliedern.
Er trug das enganliegende landesübliche wollene
Wamms, und Riemen umwanden dicht die untere
Hälfte des Beines.
Das Herdfeuer bestrahlte das gebräunte narbige
Antlitz, eingerahmt von röthlichem Bart, und den
leichten Speer mit der meißelartigen Spitze, der
in der nervigen Hand ruhte. Neben ihm. wie
er, im Scheine des lodernden Feuers, stand sein
Weib Theuda, an hohem Wuchs fast den Mann
erreichend, und wie der entblößte Arm und das
sich um die Glieder schmiegende lange Gewand
aus rauhem Linnen zeigten, von schönen und
starken Formen.
Durch die geöffnete Thür erblickte man an den
Wänden Gehörne des Elenns, des Urs und des
Hirsches nach Jägerart befestigt, daneben Waffen
und Jagdgeräth.
„Gehe nicht, Merwig," sagte die Frau.
„Es thut Noth", entgegnete dieser; „auch flieht
mich der Schlaf, mir ist unruhig zu Sinne.
Dreimal heulte der Wolf in der Nacht, und auf
dem Heimweg berührte mich fast der Flügel des
Nachtvogels — es ist Unheil am Wege."
„Wolken ziehen am Himmel, Merwig, Du
siehst die Pfade nicht."
Der Mann lachte. „Die sind ich ge-
schlossenen Auges. Nur die Schlucht will ich
durchspähen, dann kehre ich zurück. Hüte mir
das Feuer Theuda, sei wachsam und gehe von
Zeit zu Zeit auf den Hügel, Dich umzuschauen
nach Ftämmenzeichen."
Er wandte sich um von dannen zu gehen, als
ein schlankes Knäblein, welches wohl fünfzehn
Sommer gesehen haben mochte, aus der Hütte
huschte, den langen Bogen der Chattenknaben
in der Hand und sich an seine Seite stellte.
„WaS ist's, Wolnoth?
„Mit Dir gehen will ich Vater, und den
Römer spüren."
Zärtlich ruhten die Augen der Eltern auf
dem hochgewachsenen schönen Knaben, dessen
langes Haar goldig um das bräunliche Antlitz fiel.
Merwig streichelte ihm die Wange: „Du
bleibst bei der Mutter, Kind; soll sie allein
hausen, wenn der Feind im Walde schleicht?"
Der Knabe neigte das Haupt gehorsam.
„Süll! Zurück!" fuhr plötzlich Merwig auf,
und drängte Beide in den Schatten, während er
die Thür schloß.
Ein Lichtschimmer dort ini Walde nach dem
Chattenlande hin hatte das scharfe Jägerauge
berührt. Schweigend harrten die Drei im
Dunkel. Der Schein kam näher, und in dem
gleichmäßigen und doch fördernden Trott der
Botenläufer nahete ein Jüngling, der einen langen
brennenden Kienspan in der einen Hand trug,
um durch ihn seinen Pfad zu erleuchten, während
die andere den geschälten Buchenstab, das Zeichen
des Boten hielt. Merwig erkannte ihn alsbald
und rief: „Mathgis! Hier!" Eilig bewegte sich
der Träger des Spahns auf ihn zu.
„Heil Dir, Wächter! Dich suche ich."
„Sprich."
„Die Alten sagen Dir durch mich: der Römer
ist im Felde, sei wachsam."
„Ich bin's!"
„Die Jugunt von der Lahn zieht heran, der
Tausendfach will die Schluchten halten?"
„Wo liegt der Römer?"
„Nicht weiß ich's., Hüte die Flamme!"
„Mein Weib und ich."
„Bewach? auch deq geheimen Pfad."
„Der ist sicher in der Nacht," lachte der
Wächter, „es leben Wenige, die ihn bei Tage
finden, und der Einzige, der ihn außer mir im
Dunkel zurücklegen kann, der vom Volke ausge-
stoßene Schurke Maldra, ist fern.
„Heil Dir, Merwig, ich sagte die Botschaft",
mit diesen Worten wollte der Bote von dannen
eilen, doch der Wächter hielt ihn zurück, deutete
auf die Hütte und sagte: „Ruhe aus, Sohn
Boewolffs".
„Kann nicht, muß zum Wächter am Stein",
und der Bote schickte sich von Neuem an zu
gehen, als ein greller Ausruf Merwigs ihn stehen
machte.
„Bei Hel, der Bleichen!" rief dieser und stierte
die Schlucht hinab, die ins Land der Tenkterer
führte.
Kaum bemerkbar zeigten höhere Aeste weit
unten leichten Schein, das Falkenauge des Wäch-
ters vermochte ihn allein zu erspähen. Den Kopf
vorgeneigt, lauschte er, aber das Rauschen des
Windes in den Blättern verschlang jeden fremden
Laut. Der Bote starrte wie der Wächter, die
nur geübten Jägeraugen bei dem wechselnden
Sternenlicht wahrnehmbare Schlucht hinab.
Frau und Knabe drängten herzu — lautlos
stand die Gruppe.
„Wirf den Spahn fort, Mathgis." flüsterte
Merwig, und der Bote warf ihn fort und löschte
ihn mit dem Fuße.
Gleich einer Wildkatze stand der Wächter
lauschend auf dem Ansprung und suchte mit
seinen Augen die Finsterniß zn durchdringen.
Der Schein, der weit hinab noch die Aeste be-
strahlte, wurde wahrnehmbarer, und den geübten
Sinnen der Männer schien es, als mische sich
dumpfes Waffenklirren in das Rauschen der
Zweige.
Da fiel ein leichter Strahl auf den Fels an
der Biegung des Weges, jetzt erschien ein Licht-
funke und hinter ihm glitzerte es gleich Erz.
„Der Feind! rief der Wächter hastig." „In
den Wald, Theuda, Wolnoth!" Er stürzte in
die Hütte, riß einen Brand aus der Feuers-
gluth, und ihn ums Haupt schwingend, sprang
er mit gewaltigen Sätzen den Hügel hinan
dem Holzstoß zu. Schon nahete er dek Spitze
des Hügels, als hinter dem gethürmte« Holz
hervor drei bewaffnete Männer sprangen, nur
schattenhaft wahrnehmbar beim Lichte des lo-
henden Scheites.
Einen furchtbaren Schrei stieß Merwig aus,
und mit Riesenkraft schleuderte er den Brand
nach dem Hylzstoß.
Doch einer der Männer warf gewandt dett
großen Schild vor, der den Brand auffing, so
daß er ohne sein Ziel zu erreichen, zu Boden
fiel. Aus dem geheimen Wäldpfade eilten römische
Krieger brennende Kienspähue tragend und Waffen
schwingend herzu.
Vorwärts, den Speer hebend, sprang
Merwig: „Maldra! Hundesohn — Du?" rief
er und stürzte auf einen der Männer, die vor
dem Holzstoß standen, zu. Da traf ihn die
Keule, die der Angerufene warf, am Haupte und
streckte ihn nieder. Ueber ihn beugte sich der
Werfer.
Ein langer Pfeil von Wolnoths Bogen, der
an seiner Mutter Seite dem Vorgang mit Ent-
setzen zugesehen, zischte durch die Luft, und fuhr
dem sich über den Vater Neigenden, der, von
Fackelgluth jetzt beleuchtet, ein gutes Ziel bot,
tief in den Hals, sodaß er todesröchelnd nieder-
stürzte.
„In den Wald," rief Mathgis der Läufer
Theuda zu, „rettet Euch! Ich muß weg zum
Wächter am Stein, das Äriegsfeuer muß lodern,"
und eilig verschwand er im Walde.
Theuda stand einen Augenblick wie gebannt,
als so die Ereignisse sich drängten; dann stürzte
sie, die Axt, welche sie in erster Ueberraschung
von der Wand gerissen hatte, schwingend, den
Hügel hinan, zn ihrem Manne. „Merwig!
Merwig!" tönte es verzweiflnngsvoll von ihrem
Munde.
Fackelgluth drang jetzt die Schlucht herauf,
und in eiligem Laufe nahte eine aufgelöste Schaar
römischer Krieger, von denen ein Theil brennende
Hvlzstücke trug.
Theuda nahete sich der Gruppe, welche um
ihren dahingestreckten Mann stand, das Gewand
hoch aufgeschürzt, die Axt erhoben, wild flat-
9
ternden Haupthaares, stürmte sie, einer zornigen
Kriegsjungfrau gleich, heran.
Ein von oben geschleudeter Feucrbrand traf
ihre Füße, und sie fiel nieder aufs Angesicht.
Die Männer sprangen auf sie zu, und ehe sie !
sich wieder erheben konnte, entriß ihr Einer die i
Axt, während ein Anderer mit dem Schwerte ;
zum Schlage ausholte.
„Halt! Tödtet sie nicht" tönte scharfer Be-
fehlsruf aus der Römerschaar unten, und eilig
stieg ein Centurio den Hügel hinan.
„Wolnoth! Wolnoth!" hallte Theuda's Stimme, |
„in den Wald! In den Wald!" Der rathlose j
Knabe, der schon im Begriff war, der Mutter !
nachzueilen — stand einen Augenblick wie un-
entschlossen und verschwand dann mit langem j
Sprung im Dunkel. Ein Römerspeer sauste
ihm nach, ohne ihn zu treffen.
„Wer entfloh?" fragte der Centurio.
„Ein Knabe."
„Laßt ihn, Verfolgung ist fruchtlos."
Der Centurio stand neben Theuda, welche
ihren immer noch bewußtlosen Mann umklammert
hielt, um ihn versammelten sich die Träger der
Brände.
„Tödtet Niemand! Wir brauchen das Volk !
als Wegweiser. Wer ist der Todte?" !
„Es ist der Führer", antwortete einer der- l
jenige», welche mit dem Gefallenen vom Hügel
herabgekommen waren," der uns den geheimen |
Pfad wies. Ein Pfeilschuß hat ihn getödtet."
„Umsomehr müssen diese leben." Er betrachtete ;
Merwig, der regungslos lag, das Haupt, von
dem Blut floß, im Schooße seines Weibes. Eif-
rig war diese bemüht, es zu stillen. Der Cen-
turio untersuchte die Wunde, fühlte nach dem
Herzen, und sagte dann: „Der Mauu lebt, er i
ist nur betäubt, badet ihm das Haupt mit Wasser."
Unter einem Jubelschrei Theuda's holte der
Wächter tief Athem, regte sich und schlug die
Augen auf. Der Centurio hatte sich der Sprache
Latiums bedient, einer seiner Begleiter in Ger-
manentracht rief senw Worte in wohlverständ-
licher Mundart der Tenkterer Theuda zu. ,
Langsam richtete sich Merwig auf, und sein
verstörter Blick fiel von dem Römer auf den
Holzstoß und haftete dann an Theuda.
Er betastete sein Haupt und sagte langsam:
„Es ist Nichts."
Sorgfälrig leiteten Theuda und zwei der
Männer den Verwundeten und seiner Sinne noch
immer nicht ganz Mächtigen zum Quell bei der
Hütte. Dort badete ihm sein Weib das Haupt
im hellen Wasser. Plötzlich schrie Merwig auf:
„Das Feuerzeichen!" und erhob sich mit wilder
Kraft. Die beiden Krieger warfen sich bei der
jähen Bewegung auf ihn, andere eilten herzu,
auch der Centurio: „Bindet ihn, bindet ihn fest.
Es sind Wölfe, diese Germanen." Und mit
langen Riemen banden sie dem nach furchtbarem
Ringen Ueberwältigten die Glieder.
„Bindet das Weib! Die ist gefährlich wie
der Mann," und auch diese wurde gebunden.
„Zerstreuet den Holzstoß! und rasch rissen die
Legionäre die Scheite auseinander und warfen
sie mit dein Reisig in den Abhang hinunter.
Dann sainmelten sich die Krieger um den
Centurio. „Das wäre gelungen, Gefährten
sprach dieser, „hoffentlich sind die Unseren an den
anderen Schluchten eben so glücklich als wir.
Die Legionen sollen ins Chattenland fallen, wie
Wölfe in eine Schafheerde."
„Befiehlst Du, daß wir weiter ziehen, o Cen-
turio?" wandte sich ein alter, narbiger Krieger
an diesen.
„Wir müssen den Primipilar erwarten, Sejus,
er kommt selbst mit der ersten Kohorte. Nimm
Deine Dekurie, stelle einen Mann auf den Hügel
hin, sich nach Feuerzeichen umzuschauen, die
klebrigen vertheile die Schlucht entlang, wir
müssen auf Ueberfall Bedacht nehmen; dem Pri-
mipilar sende einen der germanischen Hunde ent-
gegen, damit er erfahre, daß sein Befehl aus-
geführt ist.
„Wie Du befiehlst." Und der Dckurio ver-
schwand mit seinen Kriegern.
„Zündet Feuer an, es ist kalt." Der Befehl
war bald ausgeführt und die Legionäre lagerten
sich, während ihr Befehlshaber die Hütte des
Wächters aufsuchte,
10
Stieren Blickes lag der gefesselte Merwig an
einem Baum, an seiner Seite sein Weib, die
gramvoll in des Gatten finsteres Antlitz schaute.
„Wo ist Wolnoth ?" entrang es sich dem Munde
Merwigs.
„Im Walde."
„Dank, Heervater!" Er starrte wieder vor
sich hin, stumm und finster. So eng umschnürten
ihn die Riemen, daß er kein Glied rühren konnte.
Die Zeit verrann, Mitternacht mochte es den
Sternen nach sein, und die Römerkrieger hatte«
in ihrer Wachsamkeit nachgelassen, viele schliefen,
selbst den Wachen sank das Haupt ans die Brust.
Die Feuer waren fast nieder gebrannt.
Leise zischte es jetzt hinter dem Baume, an
welchem Merwig und sein Weib lagen. Fun-
kelnden Blickes hob er das Haupt bei dem Laute,
und ein nur in nächster Nähe vernehmbarer Zisch-
laut fuhr auch ihm über die Lippe.
„Atta", flüsterte es leise aus dem Dunkel
hinter ihm, „hörst Du?"
„Ich höre, sprich," klang es nahe leise zurück,
während Merwig's Auge spähend über die
lagernden Römer hinfuhr.
Theuda lauschte, wie er, den leisen Lauten
erregt. „Es ist der Knabe," sprach sie, und Mut-
ter glückstrahlte aus dem Angesicht.
Hinter dein Baume lag im tiefen Schatten,
gleich einer Schlange lautlos heran gekrochen,
Wolnoth. .
„Ich will Dich frei machen, Atta, Dich und
die Mutter."
„Vergeblich ist's Kind. Wir liegen in Banden
unzerreißbar und dort stehen die Wächter."
„Was soll ich thun?"
Eine kurze Weile sah Merwig vor sich hin,
und in seinen rauhen Zügen zuckte es.
Dann neigte er sich zu seines Weibes Ohr
und flüsterte: „Er muß es thun, Theuda!".
Diese fuhr zusammen und stammelte: „Es ist
der Tod, Merwig." -
Der Mann neigte das Haupt und athmete schwer.
Nach einer Weile fuhr er fort: „Soll das
Chattenvolk sagen, der Wächter am kahlen Hügel
schlief als der Feind kam? Soll Merwig's
Name entehrt sein für alle Zeit? Schmach auf
seinem Sohne lasten? Soll ich zu Hel ins
Nebelreich hinab, befleckt mit dem Blute derer,
welche durch meine Schuld dem Römerschwerte
fallen? Willst Du das, Weib? Sprich!"
Die Frau zitterte, wollte sprechen und vermochte
es nicht, endlich flüsterte sie tonlos noch einmal:
„Es ist der Tod, Merwig."
„Und ist's der Tod, so geht er zu Walhall
und erwartet seinen Vater dort unter Einherien.
Er soll nicht lange harren."
Stumm blieb Theuda, ihre Seele rang in
gewaltigem Schmerz. Da sprach Merwig: „Es
muß sein, Theuda, es ist für's Chattenland."
Da nickte die Frau und hob dann die ge-
fesselten Hände vor das Antlitz. „Wolnoth",
flüsterte Merwig, sich langsam nach der Seite
des Baumes neigend, wo der Knabe lag, „höre!"
„Wolnoth hört", flüsterte dieser.
„Dort an der Hütte der Wächter, der beim
Feuer schläft, leise schleiche zu ihm."
„Ja Atta."
„Du kennst die Fichte neben dem großen Stein,
ihre Aeste reichen bis zur Erde. Hörst Du?
„Ich höre."
„Oben im Wipfel liege» Reisig und Kienspahn,
ich und Deine Mutter wissen es allein. Hörst Du?"
„Ich höre.
„Nimm ans dem Feuer dort Gluth, verbirg
sie unter Deinein Gewand, doch so, daß sie nicht
erlischt, schleiche zur Fichte wie der Fuchs, so
lange Dich Niemand bemerkt, entdeckt man Dich,
springe wie der Hirsch, klettere empor und fache
die Flamme an."
Es verging Zeit ehe der Knabe antwortete.
„Nun, Wolnoth?
„Sie werden mich tödten, Vater."
Theuda stöhnte.
„Der Feind ist da. Soll das Chattenvolk
zu Grunde gehen, dein Vater in Schmach sterben,
Sohn Merwigs?"
Ein Windstoß fuhr durch die Bäunie; zwischen
den zerissenen Wolken leuchtete ein glänzender
Stern hernieder.
Leise klang des Knaben Stimme: „Ich will
es thun, Vater."
„Es halte Heervater seinen Speer vor Dir."
11
„Süßer Wolnoth, Herzensliebling," flüsterte
zitternden Lautes die Mutter. —
„Mutter, traute Mutter" uud Woluoth be-
wegte sich nach der Seite des Baumes, wo sie
lag.
„Süßer Liebling — vorsichtig sei — es geht
ums Leben." Es lief ihr ein Schauer über den
Leib — dann fuhr sie fort: „Zur Allmntter -
will ich rufen, Wolnoth — sie wird mich hören." j
„Sie und Heervater werden Wolnoth schützen." !
— „Ich gehe Atta!" !
Mit Dir die Götter, Sohn Merwigs." Ein !
kaum den Ohren der Eltern wahrnehmbares I
Rascheln verkündet, daß sich der Knabe entferne, j
Die Augen Merwig s und Theuda's richteten j
sich auf das Feuer, in dessen Nähe die Wache, !
halb schlafend an der Wand der Hütte lehnte,
während einige Legionäre in tiefem Schlummer
daneben lagen.
Wie eine Schlange kriechend, oft einhaltend !
auf seinem Wege und lauschend, nahte der !
Knabe dem Feuer. Vorsichtig streckte sich die j
Hand aus, langsam der Gluth einen Spahn !
entziehend und vorsichtig, wie er gekommen, trat ;
er dann den Rückweg an — unbemerkt von der
Wache.
So weit die Bande es erlaubten, hatten sich I
Theuda und Merwig vorgelehnt, athemlos, un- !
gestüm pochenden Herzens, weitaufgerissenen
Auges, das Thun des Knaben verfolgend.
Als Wolnoth mit dem Spahn verschwand, ;
steigerte sich die wilde Aufregung des Eltern-
paarcs.
In abgerissenen Lauten rief Theuda ununter-
brochen zur hohen Göttin, den Liebling zu ,
schützen vor Gefahr.
Das Falkenauge des Vaters suchte, nach der
Fichte gerichtet, das Dunkel zu durchdringen,
während sein Ohr jedem verdächtigen Geräusche 1
lauschte.
Jetzt! Sein Blick erhaschte das Leuchten
eines Funkens zwischen dem dichten Gezweig des
hohen Baumes. Wolnoth klettert empor, den Spahn
in der Hand. Langsam steigt er höher — hie '
und da blitzt der Funken — höher — höher —
er nahte dem Gipfel.
Der Centurio tritt aus der Hütte: „Schläfst
Du, o Mann?" herrscht er rauh den an dem
niedergebrannten Feuer Wache haltenden Krieger
an. Dieser fuhr empor und mehrere der nahe
gelagerten Legionäre erhoben sich.
„Feuer!", schrie vom Hügel die Wache.
„Beim Hades, was ist das?"
Aus dem Wipfel der Fichte erhob sich eine
Flamme. Der Centurio riß das Horn von der
Hüfte: ein kurzer scharfer Ton, und Alles erhob
sich, die Waffen in den Händen.
„Fort! Das Feuer dort gelöscht. Fort!
Bei Eurem Leben!"
Alles stürzte, der Centurio voran, nach der
Fichte, einige hatten Brände aus dem Feuer
gerissen, uin Licht zu haben auf dem Wege.
Unnöthig, denn aus dem Baum stieg eine riesen-
hohe Feuersäule, weit umher den Wald erhellend.
Die Römer waren am Fuße des Baumes.
Zwischen den von oben hell erleuchteten Aesten,
zeigt sich Wolnoths schlanke Gestalt, der eilig
und sich zwischen dem verworrenen Geäst gleich
einer Schlange windend, den Boden zu finden sucht.
Gleich einem gefesselten Wolfespaar starrten
Merwig und Theuda nach dem Baume — auch
sie sahen den Knaben.
„Hinauf!" schrie der Centurio außer sich.
„Reißt das Feuer auseinander! Holt den Burschen
mit Euren Speeren herunter." Ein Dutzend der
leichten Wurfwaffen der Hastati flog empor, nach
Wolnoth, aber das Gezweig lenkte sie ab —
keiner traf.
„Mit einer Stimme gleich der des rasenden
Nr's schrie Merwig: „Zur Eiche hinüber Wol-
noth!" Ein heller Ruf des Knaben antwortete.
Einige der leichtfüßigsten der Hastati begannen
rasch die Fichte zu erklimmen. Wolnoth suchte,
immer gewandt zwischen sich den Zweigen hin und
herbiegend, den Ast der alten Eiche zu erreichen,
der sich bis zu der Fichte erstreckte. Schon streckte
er die Hand aus, ihn zu fassen, als der schwan-
kende Fichtenast unter ihm wich, und er her-
abstürzte, zu den Füßen des wüthenden Centurio,
der durch das Flammenzeichen, die Früchte seines
wohlgeluugenen Ueberfalls der Grenzwache sich
entrissen sah. Das Chattenland war gewarnt.
12
Kaum berührte Wolnoth in schwerem Falle |
den Boden, als sich das Schwert des Römers
tief in seine junge Brust bohrte.
Mit dem Todesschrei des Knaben einte sich
der Entsetzensruf des Elternpaares. Merwig
raste in seinen Banden, während Theuda starren
Antlitzes zurücksank.
Die Flamme auf der Fichte erlosch ebenso rasch, als
sie jäh und hoch aufgelodert war, nur die oberen
Aeste des Baumes glimmten noch. Die Römer
kamen zurück, die Leiche des Knaben mit sich
führend und am Feuer niederlegend.
„Wenn sie Alle hier sind wie diese", brummte !
der Centurio, „werden wir harten Stand im j
Chattenland haben" und betrachtete nicht ohne
einige Bewegung die Leiche des schönen, schlanken
Knaben. i
Wer vermag die Qual in den Elternherzen !
zu schildern, als der Liebling todt vor !
ihnen lag. Die Augen hafteten an dem An- '
gesicht des Todten — Laute hatte dieser Schmerz |
nicht. j
Fester Schritt erklang die Schlucht herauf — j
die Kohorten nahten.
„Der Primipilar", rief einer der Legionäre j
und der Centurio ging jenem entegen. Zahl- >
reiche aus Kienholz hergestellte Fackeln beleuch- i
teten rings den Wald und Roma's erzgerüstete '
Krieger.
Die Wachen, welche der Centurio unter Se- !
jus seinem Dekurio vorsorglich ausgestellt hatte, !
waren wie Alle der Fichte zugeeilt, als aus deren !
Wipfel die Flamme emporloderte, die Schlucht !
war nach dem Chattenlante zu unbewacht.
Rasch zogen Rom's Krieger heran. Der Cen- ;
turio begrüßte den Primipilar. j
„Was für ein Feuer, Centurio?" Dieser gab i
die Erklärung.
„Und warum nicht gelöscht ?" fragte der hohe ,
Befehlshaber scharf und deutete auf die Fichte, -
deren glimmende Aeste durch den frischen Luft-
zug in Brand gerathen waren. Niemand hatte
darauf geachtet als die Kohorten nahten. Der
Baum stand in Flammen und drohte schon die
Nachbarn anzuzünden. j
„Vorwärts", befahl der Prmipilar, ohne
weiteren Erörterungen Gehör zu geben, „wir
müssen vor Anbruch des Tages durch die
Wälder sein."
Ein dröhnender, lang hingezogener Ton, wie
er nur dem Horn des Urs entlockt werden kann,
hallte durch den Wald, dem aus tausend Kehlen
der markerschütternde Schlachtschrei der Chatten
folgte. Das furchtbare „Urrahuh!" des Angriffes
ließ die Wälder erbeben und von allen Seiten
drangen die schlanken Gestalten der chattischen
Jugunt unter den Bäumen hervor, sausten ihre
Speere aus die Römer hernieder.
Hie Fackelgluth, dort Finsterniß, die brennen-
den Bäume, die immer mehr Helle verbreiteten
und den Wald anzuzünden drohten, der wilde
Ruf, das Dnrcheinanderwogen der Kämpfer, das
Klirren der Waffen, gellender Todesschrei — ein
grausiges Nachtbild.
Die überraschten Römer hielten dennoch Stand,
und mit Ruhe gebot der Primipilar den Rück-
zug, der in fester, geschloffener, trotziger Ord-
nung, unter dem Klange der Tuba, angetreten
wurde.
Auch der Führer der Chatten gab Befehl,
den nächtlichen Kampf abzubrechen. Der Zweck
war erreicht, das Durchbrechen der Römer ver-
eitelt worden.
Am Feuer nahe der Hütte saß die befreite
Theuda, die Leiche des Lieblings im Arm —
thränenlos. An ihrer Seite stand Merwig, das
Auge bewegungslos auf das noch im Tod schöne,
von den blonden Locken umwallte Antlitz seines
Knaben gerichtet.
Ringsuin hatte sich ein dichter Kreis von
ernsten Chatteukriegern gebildet, sie kannten bereits
den Opfertod Wolnoth's. In den Ring trat
der greise Anführer der Chatten. Lange schaute
er den Knaben mit der Todeswunde in der
Brust an.
Endlich sprach er laut, feierlich: „Hört,
Merwig, und Theuda, hört es Chattenmänner!
Hier liegt Wolnoth, Merwig's Sohn, der Wächter
am Chattenlande. Nimmer soll das Volk seiner
vergessen, der hier ruht, jung und schön, wie
der Liebling der Götter und Menschen, Baldur,
nimmer, wie er ein Kind noch, die Todeswunde
empfing im Dienste des Landes. Rührt die
Waffen zum Todesgruß wie für einen gefallenen
Krieger." Da schlugen Alle schweigend die
Waffen dreimal zusammen, dumpf hallte es im
Walde wieder.
Bei Thenda löste sich der unendliche Schmerz,
Ktriversch«ikHkn.
Vor der Welt, Du meines Lebens Lust,
Berg' ich tief mei« Glück iu meiner Brust,
Wie im Wald sich birgt das scheue Reh
Merkt es, daß der Jäger ihn durchgeh'.
Stillverschwiegne Liebe will allein,
Nur zu Zwein und ohne Lauscher sein.
Braucht es gleich, wenn Herz zum Herzen spricht,
Um sich zu verstehn der Worte nicht.
Hoch in blauen Lüften schwebt der Weih,
Auszuschann wo Beute für ihn sei.
Minder scharf nicht böse Neugier späht
Ob geheime Lieb' sich nicht verräth.
Feodor Löwe.
I« der Heimttz.
Als ich nach manchem Jahr
Zur Heinrath jüngst gekommen war,
Da fand ich, ach! verwandelt nnd zerstört.
Was einst mir angehört.
als der Alte ihren Wolnoth mit dem Götterliebling
verglich, in einenr Strom von Thränen.
Trockenen Auges stand auch jetzt noch Merwig,
nur in seinen Zügen zuckte es seltsam. Dann
faßte er fast rauh den Arm der Frau, nnd wie
tief aus dein Inneren kommendes Schluchzen,
herzbrechend, klang es: „Weine nicht, Weib, er
starb für's Chattenland."
Die Plätze heimlich traut,
Da ich gespielt, die sind verbant
Und Fremde seh' ich gehen ein nnd ans
In meinem Vaterhaus.
Das Dorf durchschreit' ich sacht;
Nicht Einer nimmt des Wand'rers Acht,
Nicht Einer weiß, noch fraget, wer ich sei —
Stumm eilen sie vorbei.
Zum Kirchhof führt mein Weg,
Umbuscht von grünem Dvrngeheg.
Die mich geliebt, die meiner Jugend Hort,
Die Meinen schlafen dort.
An ihren Gräbern bin
Still weinend ich gesunken hin
Und über meinem Haupt der Lebensbanm
Rauscht meiner Jugend Traum.
Es fällt vor meinen Fuß
Ein grüner Zweig gleich liebem Gruß.
Ob unerkannt durch's Heimathsdorf ich schlich —
Die Todten kennen mich.
D. Saul.
DlkWeberschen S-ern nfdmHisttzkalkr nKaffel.
Am 18. Dezember 1886 feierte nicht allein die
deutsche Kunstwelt, sondern auch das deutsche Volk
den hundertjährigen Geburtstag des Komponisten des
„Freischütz", denn kein anderer Tondichter ist mit
seinen Weisen so in das Herz des Volkes gedrungen,
als Karl Maria von Weber. Das König!. Theater
in Kassel brachte zur Feier dieses Gedenktages die
musikalisch-dramatischen Werke Webers in einem Cyclus
zur Darstellung, welcher am Sonntag, den 12. De-
zember, mit „Abu Hassan" und „Preciosa" begonnen
hat und am 18. Dezember, dem Geburtstage des
Komponisten, mit „Oberon" schloß. Bei dieser Ge-
legenheit dürste ein Rückblick auf die Aufführungen
der Weber'schen Werke an der Kasseler Hofbühne
nicht uninteressant sein. Den Reigen derselben er-
öffnet „Preciosa", welche am 19. August 1821
znm ersten Male gegeben wurde. Die Titelrolle
spielte Madame Feige, die Gattin des damaligen
Bühnenleiters, Löwe den „Alonzo", der später dem
Wahnsinn verfallene Wüstenberg de» Schloßvogt.
Am 18. Dezember 1880 wurde „Preciosa" zum
100. Male aufgeführt, die Vorstellung am Sonntag
war die 110. Der „Freischütz", welcher ans
„Preciosa" folgte, kam am 1. März 1822 zur ersten
! Darstellung und war die erste Oper, die von Louis
! Spohr nach Antritt seiner Stelle als Kapellmeister
> des Kasseler Hoftheaters cinstudirt wurde. Spohr
! selbst war übrigens auf Empfehlung Webers nach
Kassel gekommen, da der letztere die ihm nach dein
‘ Abgang Guhrs angebotene Stellung nicht angenommen
hatte, lediglich aus dem Grunde, weil er sich in
Dresden damals vollständig wohl fühlte. Der Brief,
welchen der Generaldirektor Feige über die Annahme
des „Freischütz" an Weber schrieb, ist in der von
Lynker verfaßten Theatergeschichte mitgetheilt und
hat folgenden Wortlaut: „Der eigentliche hohe Werth
- u
eures jeden Meisterwerkes ist unbezahlbar und kann ^
nur durch die Aufnahme desselben ausgewogen werden.
Ich hoffe, im Stande zu sein, durch eine würdevolle
Ausstattung mein Scherflein zu Ihrer Zufriedenheit
beizutragen. Die Proben haben bereits begonnen.
Der wackere Spohr (für dessen Besitz hinsichtlich
Ihrer Empfehlung wir Ihnen noch den besten Dank
abstatten) umfaßt Ihr Werk mit hoher Liebe. De-
moiselle Canzi, eine höchst angenehme, talentvolle
Sängerin, ist von nur für einen Aufenthalt bis Ostern
gewonnen worden, nur namentlich Ihrem „Freischütz"
und Spohr's „Zemire und Azor" eine würdige Re-
präsentantin zu werden. An äußeren: Glanz und
scenischer Präcision soll nichts fehlen und so hoffen
wir Ihr Werk dem hiesigen Theater-Publikum in dem
Geiste vorzuführen, der ihm nicht abgehen darf, wenn
sein hoher Werth empfunden und erkannt werden soll.
Binnen sechs Wochen hoffe ich Ihnen melden zu
können, daß Max auch hier den Königsschuß gethan
und das Herz aus der Gunstscheibe des Publikums
sich herausgeschossen habe." Das Letztere ist aller-
dings keine Phrase geblieben, wogegen die „hohe Liebe"
Spohrs für Weber etwas in Frage gestellt werden
könnte. Für die erste dekorative Ausstattung des
„Freischütz" war der Theatermaler Benther in Braun-
schweig gewonnen worden, welcher m diesem Behufe
nach Kassel kam und die sämmtlichen Dekorationen,
mit Ausnahme der Wolfschlucht, uralte, diese wurde
von einem Berliner Künstler ausgeführt. Bemerkens-
werth ist dabei, daß der Teufelsspnk in der ursprüng-
lichen Wolfschlncht so furchterregend war, daß Spritzen
und Feuerwehr während der ersten „Freischütz"-Abende
auf dem Theaterplatz aufgestellt waren, um bei einem
etwaigen Brand sofort in Thätigkeit treten zu können.
Die Freischütz-Dekorationen wurden im Laufe der Zeit
bis jetzt noch zweimal erneut, zuerst in den fünfziger
Jahren und dann gelegentlich der 150. Aufführung
am 28. Dezember 1868. Diese von Harke gemalten
Dekorationen sind noch heute in Gebrauch. Bei der
ersten Darstellung fang Gerstäcker, der Vater des
Reise- und Roman-Schriftstellers, den „Max", Bert-
hold den „Caspar", Demoiselle Dietrich die „Agathe"
und die bereits in Feige's Brief erwähnte Demoiselle
Canzi das „Aennchen". Tie zweihnndertste Auf-
führung der Oper am 18. Dezember 187!) wird noch
in frischem Gedächtniß sein. Bon den 253 Vor-
stellungen des „Freischütz", die bis jetzt stattgefunden
haben, war eine — 26. September 1824 — nur für
das Militär bestimmt, der Ertrag der Vorstellung
am 18. August 1826 fiel den Hinterbliebenen des
Komponisten zu. Die zweite bedeutende Oper Webers,
„Euryanthe", wurde hier zum ersten Male am
28. Juli 1824 Hionnement suspenän „zur Feier des
höchsterfreulichen Geburtsfestes Seiner ^ königlichen
Hoheit des Kurfürsten" gegeben. Den „König" sang
Berthold, Gerstäcker den „Adolar", Demoiselle Roland
die „Euryanthe", Demoiselle Schopf die „Eglantine"*
Hauser den „Lysiart". Trotz ihrer großen Schön-
heiten erlebte diese Oper bisher nur 27 Aufführungen,
Oberon dagegen hat es bis zu 90 Darstellungen
gebracht. Die Premiere desselben fand ebenfalls zur
Geburtstagsfeier des Kurfürsten Wilhelm It im Hahrü
1827 statt und war der Andrang dazu so groß, daß
die kurfürstliche Hoftheater-Direktion die nachfolgende
„Bekanntmachung" erließ: „Um dem Wunsch mehrerer
Fremden zu entsprechen, welche zu der heutigen Vor-
stellung des „Oberon" keine Billets erhalten konnten,
ist die Veranstaltunb getroffen worden, daß morgen
eine Wiederholung dieser Oper stattfinden wird." Aus
der ersten Besetzung seien die folgenden Namen her-
vorgehoben: „Oberon" Demoiselle Roland, „Puck"
Demoiselle Heinefetter d. ä., „Huon" Herr Wild,
„Rezia" Demoiselle Schweizer, „Fatime" Demoiselle
Heinefetter. Am 18. Dezember 1885 wurde Oberon
mit aufgehobenem Abonnement zum Besten des in
Eutin, dem Geburtsorte des Komponisten, zu errich-
! tenden Denkmals gegeben und waren an diesem Abend
j bekanntlich mehr Personen auf der Bühne beschäftigt,
! als sich im Zuschauerraum eingefunden hatten. Am
! 3. Januar 1886 war dieselbe Oper als Fest-Bor-
I stellung zur Feier des 25 jährigen Regierungs-Jnbi-
! läums Sr. Maj. des Kaisers und Königs ausgewählt
! worden. Nun bleibt noch des „Abu Hassan" zu ge-
l denken, welcher zum ersten Male am 15. Jan. 1877
zur Darstellung gelangte und zwar zum Benefiz für
die Penüons - Anstalt des königlichen Theaters. Der
verstorbene Emil Schmitt sang die Titel-Partie, Frt.
Görtz, die nunmehrige Frau Brandt, die „Fatime".
Die kleine gefällige Oper wurde seither noch 8 Mal
wiederholt. Möge dieser kurze statistische Abriß ern
Bild davon geben, wie sehr die Weber'sche Musik
an dem hiesigen Kunst-Institut gepflegt worden ist
und noch gepflegt wird, als der künstlerische Erguß
einer für das Schöne und Edle in wahrer Begeisterung
entflammt gewesenen Seele.
Wilhelm Bennecke.
A«s dem Ntremslkbkn i« Hesse«.
Der Verein für Naturkunde zu Kassel
gab vor wenigen Tagen den Bericht über die beiden
letzten Vereinsjahre, über sein 49. und 50. Lebens-
jahr heraus. Wir entnehmen demselben einige Mit-
theilnngen von Interesse. Seit Juni 1884 befirrdet
sich nächst den dem K. Museum einverleibten Vereins-
Sammlungen auch die Bibliothek des Vereins in dem iog.
Kunsthans am Steinweg, worin seitdem auch die Sitzungen
abgehalten werden. Die Bestimmung dieses Gebäudes,
ein Heim für die naturhistorischen Sammlungen ab-
zugeben, ist auch äußerlich dargethan dnrch eine Ge-
denktafel an Papin, welcher gerade an dieser Stelle
des Steinwegs, dem früheren Hosraum des Gebäudes,
seine ersten gelungenen Versuche mit einer größeren
Dampfmaschine angestellt hat. Aus der Initiative
des Vereins für Naturkunde und mit Beihilfe von
sieben anderen Vereinen ähnlicher Tendenz in unserer
Stadt ist die genannte Gedenktafel errichtet worden.
— Das bedeutungsvollste Ereigniß in dem verflossenen
Zeitraun: war für den Verein die Feier der 50. Wieder-
kehr des Tages, an welchem er ins Leben trat. Zu
Ehren desselben wurde unter dankenswerther pekuniärer
Beihilfe des Herrn Ministers der geistlichen re
- 15
Angelegenheiten, der Landstände unseres Reg.-Bez.,
wie nicht minder des hiesigen Magistrates, eine statt-
liche Festschrift herausgegeben, zu welcher außer
hiesigen Mitgliedern zahlreiche answärtige nam-
hafte Gelehrte literarische Beiträge lieferten.*)
Der Tag selbst wurde durch eine Festsitzung mit
nachfolgendem Mahle gefeiert. Anläßlich dieses Ju-
biläums erwählte der Verein zu Ehren-Mitgliedern
den Herrn Oberpräsidenten Staats-Minister Gra-
fen zu Eulenburg, den Herrn Landesdirektor von
Hundelshausen, den Herrn Geh. Regieungs-Rath
Wendelstadt und den Herrn Sanitätsrath Dr. med.
et phil. Eisenach (letzterer in Rotenburg a. F.).
Aus der Zahl seiner Mitglieder, welche am Schluffe
des letzten Geschäftsjahres aus 10 Ehren-, 65 korre-
spondirenden und 86 wirklichen Mitgliedern bestand,
riß der Tod die sämmtlich in hohem Alter stehenden
Geh. Med. Rath Dr. 8. Schotten, Verlagsbuchhänd-
ler Th. Fisher, Hofmauermeister Cred6, sämmtlich
in Kassel, kgl. Rath F. C. Ehrlich in Linz und den
Geh. Bergrath Professor D. W. Dunker iu Marburg
— letzterer der geliebte Lehrer vieler Vereinsmit-
glieder, ein hervorragender Kenner unseres Heimat-
landes und ein besonderer Freund des Vereins.
Die Tyätigkeit des Vereins blieb auch in den ver-
flossenen beiden Jahren die seit langer Zeit ge-
wohnte. Durch Besprechung hervorragender Tages-
fragen naturwissenschaftlichen Charakters, durch Mit-
theilungen neuer Beobachtungen und Forschungsresul-
tate sowie orientirende Vorträge einzelner Mit-
glieder über wichtige Spezialgebiete der Forschung,
durch Demonstrationen von interressanten Apparaten
und Naturalien suchte der Verein nach Kräften der
Aufgabe gerecht zu werden, die Verbreitung natur-
wissenschaftlicher Erkenntniß in Kassel zu fördern.
Es wurden 22 Sitzungen abgehalten, 10 in den
beiden Sommersemestern, 6 zn jedem Wintersemester.
Die Gesammtzahl der Besucher derselben betrug 335.
Neunzehn größere Vorträge wurden gehalten, vierzig
zum größten Theil mit Vorzeigungen verbundene
kleinere Mittheilungen gemacht. Von ersteren ge-
hörten an der Astronomie 3, der reinen und tech-
nischen Physik 2, der .einen und technischen Chemie
2, der Medizin 2, der Ornithologie 2, der Entomo-
logie 4, der Botanik 2, der Geographie 1, dazu
kommt rin Bericht über eine wissenschaftliche Ver-
sammlung; von den kleineren Mittheilungen waren
18 aus dem Gebiete der Zoologie, je 8 aus dem
der Botanik und Mineralogie, je 3 aus Physik und
Geographie. —- Was die auswärtigen Beziehungen
anbelangt, so sind dieselben nicht nur fortgesetzt die
freundlichsten geblieben, sondern die Verbindungen
des Vereins mit anderen gelehrten Gesellschaften
haben sich sogar noch erweitert, indem 19 neue
Tauschverbindungeu angeknüpft worden sind, so daß
die Zahl der Gesellschaften, mit welchen der Verein
seine Schriften austauscht, jetzt 329 beträgt. Es
kann darnach der Kreis dieser Wechselbeziehungen zu
den naturforschenden Gesellschaften der gesammten
*) Dieselbe ist bei F. Keßler dahier erschienen und noch in einigen
Exemplaren käuflich zu haben.
eivilisirten Erde als ein nahezu vollständiger und btc
Bereinsbibliothek in Beziehung auf Gesellschaftsschriften
wohl als die reichste des Hessenlandes angesehen
werden.
Von Mitgliedern und Gönnern erhielt außerdem
noch die Bibliothek die bedeutende Zahl von 210 Ge-
schenken. Aber nicht bloß in dem Tauschverkehr äußerten
sich die guten Beziehungen zu den auswärtigen Ge-
sellschaften, sondern auch durch freundliche Einladungen
zu Festlichkeiten n. dgl., welche Einladungen in der
Zahl 21 während der beiden Geschäftsjahre einliefen.
Außer der Einladung zum 50 jährigen Jubiläum
des hiesigen Vereins für hessische Geschichte und Lan-
deskunde war der Verein außer Stande einer der
anderen Folge zu leisten. — Als wissenschaftliche
Beigabe enthält der vorliegende Bericht eine Abhand-
lung von S. Schlitzberger über die Pilzflora in der
Umgegend von Kassel, welche die große Zahl von
572 verschiedenen Arten aufweist. —
Mögen dem Vereine in dem zweiten Semisäknlum
von Jahr zn Jahr neue Mitglieder zugeführt werden,
neue Freunde und Gönner eystehen, damit er immer
erfolgreicher die Zwecke zu verfolgen im Stande sei,
welche seine Begründer im Auge gehabt haben, das
sind einmal Erforschung der natürlichen Produkte des
heimatlichen Bodens uns eres „ H e s s e n l a n d e s"
dann aber auch, und zwar in allen Kreisen des Lebens
und der Gesellschaft, die Weckung und Pflege der
Liebe zu den jetzt unbestreitbar die Welt beherrschenden
Naturwissenschaften, dem Einzelnen zur Freude, Er-
holung und Erhebung, der Gesammtheit zum Vortheil
und Nutzen. A.
Hessische Mcherschim.
Ludwig Mohr hat ein Bändchen Gedichte —
vorwiegend romanzenhaften Charakters — herausge-
geben unter dem Titel: „Eddergold. Poetischer
Sagenschatz aus dem Lande der Hessen. Gedichte von
Ludwig Mohr. Kassel 1886. Verlag von Gustav
Klaunig, Hofbuchhandlung". Der Name des Autors
hat im Hessenlande einen guten Klang und auch die
vorliegende Sammlung von Poesien wird einer freund-
lichen Aufnahme, insbesondere in der engeren Heimath,
sicher sein dürfen. Es sind zumeist alte bekannte
Gestalten, die der Dichter behandelt hat, Gestalten
aus hessischer Sage und Geschichte. In allen Stücken
bleibt sich die liebevolle und kenntnißreiche Behandlung
des Stoffes gleich, während der poetische Werth der
einzelnen Gedichte ein verschiedener ist. Bon beson-
derem Interesse ist der Cyelus der Quintenlieder. —>
Wir benutzen diese Gelegenheit, um hier auf die be-
kannte Erzählung Mohrs „Roth-Weiß", die bei
Ernst Kleimenhagen in Kassel erschien und sich auch
äußerlich vorzüglich zum Weihnachts-Geschenk eignet,
aufmerksam zn machen.
Von Frau H. Keller-Jordan ist ein Bändchen
Novellen (Aus der Gegenwart. Drei Novellen.
Stuttgart. Verlag von W. Kohlhammer. 1887.)
erschienen, welches auf keinem hessischen Weihnachts-
tische fehlen sollte. Die Verfasserin gehört zn jener
„alten" schule, auf welche die „naturalistischen"
Neuerer mit einer gewissen Geringschätzung herabi-
blicken, zu jener Schule, welche die Dichtung noch
als eine Kunst betrachtet und sich nicht in dem Ab-
klatsch der Erscheinungen gefällt. Ihre Novellen sind
mit sicherer Hand aufgebaut, die Charaktere zumeist
scharf umrissen, die Handlung lebensvoll, die Sprache
von Wohllaut und seltener Kraft. Jeder der drei
Novellen gebührt die Bezeichnung „vortrefflich"; ein-
zelne Partien sind geradezu mnstergiltig.
Von Julius W. Braun, unserem in Berlin
lebenden hessischen Landsmann, Herausgeber der be-
kannten Kritikenwerke Le s sing, Göt he, Schi ller
im Urtheile ihrer Zeitgenossen", ist in aller
Kürze die Veröffentlichung eines großen Tendenz-
Romans in vier Bänden „Umsonst gelebt!" zu
erwarten. Der Roman, in den guten Kreisen der
nrodernen Gesellschaft spielend, behandelt den Kampf
des Idealismus mit dem Materialismus und den
Sieg des ersten über den letzlern. Als Motto hat
Braun die Worte unseres Dichters Wilhelm von
Ising benutzt:
Was Du nicht ertr ägst.
Dem Unglück sieh ins Angesicht,
Zu jedem ist Dir Kraft gegeben.
Rur Eines, Mensch, erträgst Du nicht,
Den Blick ans ein verlorenes Leben.
Der Roman spielt zum großen Theil in Kassel und
viele hier stadtbekannte Persönlichkeiten haben dein
Verfasser Modell gestanden. Wir werden auf diese
neueste Arbeit Brauns s. Z. des Ausführlichen
zurückkommen.
Armand-Strubberg, der durch seine Indianer-
Romane der hessischen nnd deutschen Leserwelt be-
kannte Schriftsteller, hat in dritter Auflage die lesens-
werthe Jugendschrift „Karl Schar n h o r st, Aben-
teuer eines deutschen Knaben in Amerika", erscheinen
lassen. (Verlag von Ferd. Keßler, Kassel 1887.)
Das Buch, welches die romantischen Schicksale eines
jugendlichen Hessen schildert, ist ganz besonders werth-
voll, weil die gebotenen Darstellungen und Schil-
derungen aus dem Leben heraus geschöpft sind: be-
kanntlich hat Armand lange Jahre in Amerika ge-
weilt nnd manchen Strauß mit den Rothhäuten be-
standen. Nach Prof. Offterdingers Aquarellen sind
sechs prächtige Farbendruckbilder beigegeben, die im
Verein mit der prächtigen Ausstattung das Buch zu
einem sehr eleganten Weihnachtsgeschenk (für Knaben
von 10—16 Jahren) machen. Preis 4lj.2 M.
Unsere so rasch bekannt gewordene Landsmännin
Rata ly v. Eschstruth bereichert den Weihnachts-
tisch mit einem Bande Novellen. (Potpourri.
Dresden und Leipzig. E. Piersons Verlag 1887.)
Das reiche Talent der Verfasserin zeigt sich in diesen
Verantwortlicher Redakteur F. Zw eng er.
S Geschichten; sie versteht bald humorvoll zu plaudern,
1 bald ernste und ergreifende Töne anzuschlagen, immer
aber zu befriedigen. . Die Sprache zeichnet sich durch
! eine außerordentliche Lebendigkeit nnd Anschaulichkeit
i aus. -r- In Katz' und Maus (Berlin. Verlag
> von Gebr. Pqetel 1886), erzählt dieselbe Verfasserin
' in gebundener Rede die. Schicksale eines rauhen, kern-
! braven hessischen Junkers, Robert von Frankenstein,
^ der nach allerlei. Fährlichkeiten die Dame seines Her-
zens, Petronella von Eschwege — eine bezähmte Wider-
spenstige oder auch Z'widerwuyz'n — heimführt.
Mit außerordentlichem Geschick behandelt die Dichterin
den Vers und nicht wenige Partien des epischen Ge-
dichtes siyd.von großer poetischer Schönheit. — Auch
. auf den im Jahre 1884 bei Bonz & Comp, in Stutt--
. gart erschienenen Roman von Nataly von Eschstruth
? „Wolfsbürg" möchten wir hier verweisen; ex
, spielt ebenfalls auf hessischem Boden und ist spannend
und lebendig geschrieben. , S.
Srieftrastk«.
Vielen Mitarbeitern nnd Freunden in
j Nah und Fern. Wir bitten um Nachsicht, wenn
wir so manchen freundlichen und aufmunternden Brief
bisher noch nicht beantworten konnten. Die Vor-
arbeiten für das „Hessenland" nahmen unsere Zeit
! so sehr in Anspruch, daß wir beim besten Willen
' unserem _ Vorsätze nicht nachzukommen vermochten.
* Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Einstweilen
- besten Dank.
W. M. Hanau. Natürlich wird das „Hessenland"
sein besonderes Augenmerk auf die zeitgenössisch e hessische
Literatur richten. Sie finden schon in der heutigen
Probenummer eine Reihe von Vücher-Besprechnngen
und wir denken diese Rubrik regelmäßig fortzuführen.
K. K. Hanau. Manuskript-Sendungen erbitten
wir unter der Adresse: Redaktion des „Hessenland",
Kassel.
_ B. Marbnrg. An Blättern, politischen und son-
stigen, welche sich mit Tagesfragen beschäftigen, ist
kein Mangel. Aus unserem Programm ersehen Sie,
daß wir kein Parteiblalt sein wollen nnd können.
Di\ E. Hannover. Freundlichsten Dank. Viel-
leicht wandelt Sie doch einmal die Lust an, das
„Hessenland" mit einem Beitrag zu bedenken, dann
- sind Sie herzlich willkommen.
E. v. H. Berlin, J. Gr., Dresden, Prof. A. M.,
Chemnitz. Wir bitten um Zusendung der in Aus-
sicht gestellten Beiträge, ausführliche Antwort nns
vorbehaltend.
K. X. Kessclstadt. Wegen Raummangels für
die nächste Nr. (1. Januar) aufgespart.
und Vertag von F. Zw eng er in Kassel.
M 1
1. Jaumr 1887.
Kesseitlaild.
Zeitschrift für hessische Geschichte «nd Kiteeatrre.
Inhalt der Nr. 1 des „Heffenland": „Der Heimath", Gedicht von Feodor Löwe; „Kasseler Zeitungen im vorigen
Jahrhundert", von Rogge-Ludwig; „Wie ich zur Dichtkunst kam"; „Antigone", von H. Keller-Jordan"; „Heinz von
Lüder", Gedicht von Nataly von Eschstruth; „Zwee Ööje höt ee jehre Mahd". Gedicht in Schwälmer Mundart von Kurt
Nuhn; „Aus alter und neuer Zeit"; Nekrolog; Bücherschau; Briefkasten.
GirlUrdung pxm Avonnement.
Das „Heffenland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint von heute an zweimal
monatlich, am 1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von 11/2 Doge«, Quartformat.
Den Zweck unserer Zeitschrift, die Ziele, die sie verfolgt, haben wir bereits in dem von uns verbreiteten
„Aufrufe" eingehend dargethan. Unter Hinweis auf den Inhalt des letzteren wiederholen wir hier nur, daß es die
Hauptaufgabe unseres Blattes sein wird, den hessischen Sinn wachzuhalten, die Anhänglichkeit an die engere Heimath
zu kräftigen. Das „Heffenland" soll allen geistigen Interessen Hessens gewidmet sein. Eine große Anzahl namhafter
hessischer Gelehrter und Schriftsteller hat unserer Zeitschrift freundliche Unterstützung und Mitwirkung zugesagt. Wir
nennen hier nur:
Dr. K. Ackermann, W. Bennecke, Dr. H. Brunner, A. Gild, Maler L. Katzenstein, Dr. Ludwig Knorz,
Dr. Th. Köhler, I. Lewalter. Dr. Ed. Lohmeyer, Professor Friedrich Müller, Karl Neuber, Dr. Sigmund Paulus
W. Rogge-Ludwig, Major von Stamford, Franz Treller in Kassel; Professor Gegenbaur, Jos. Grau, Bibliothekar
A. von Keitz, Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Strubberg in Gelnhausen; Pfarrer Junghans, Banquier Neu-
müller, Dr. G. Wolff in Hauau; Kurt Nuhn in Kesselstadt; Major von Gironcourt in Marburg; Th. Kellner in
Melsungen; Hofrath Preser in Wächtersbäch; Julius Braun, Nataly von Eschstruth, E. von Hohenhausen, Dr. Julius
Rodenberg in Berlin; Profeffor Dr. Adolf Müller in Chemnitz; Major von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius
Gräfe in Dresden; Dr. Hugo Goldschmidt, Otto Kanngießer, D. Saul zu Frankfurt a. M.; Gymnafialdirektor Dr.
Leimbach in Goßlar; Gustav Kastropp in Hannover; Jul. Bösser in Köln; H. Keller-Jordan in München; Ludwig
Mohr in Nordhausen; Feodor Löwe in Stuttgart; Major August von Baumbach in Wiesbaden. —
Der Abonnementspreis des „Heffenland" beträgt gleichmäßig für hier und auswärts Vierteljährlich 1 Mark 50 Kfß.
Auswärts kann unsere Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, sowie unter Streifband oder durch den
Buchhandel bezogen werden; hier in Kassel nimmt der unterzeichnete Redakteur, Jordanstraße 15, und die Expe-
dition, Kölnische Straße 12, Bestellungen an. In der Post-Zeitungs-Preisliste findet sich das „Heffenland" eingetragen
unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Kassel, den i. Januar 1887. Die Redaktion: F. Zwenger.
Dev Heimath. •+—*--
ouijcI der Jahre auch entstehn,
Seit -ich mein Auge nicht mehr sah, j
' Fühl' ich -och stets mich als -ein Sohn
stnd allzeit auch öir herzensnah! s
O Heffenland, mein Heimathland, j
Mit deiner Serge Wäldergrün, j
Wo aus bebuschter Hügelwand <
Die silberhellen Clnellen sprüh'n;
Mit -einer Thäler weiter Flucht, j
Darüberhin das Auge schweift, \
Mit Luft zu schau'n, wie voll die Frucht j
Dem Sichelschnitt entgegenreist. §
stie hat mir noch ein Fluh gerauscht. \
Wie deiner Flusse Wellengang, ;
Wenn ich ihm wandermü-' gelauscht §
Allem am schatt'gen Aferhang. j
stoch hat mich nie ein Sang bewegt,
So tief bis in -es Herzens Grün-,
AIs was von Lust und Leid erregt
Erklingt aus -eines Volkes Mund.
Gin Volk, -as Fried' un- Treue wahrt,
Doch auch, gilt'« seiner Ehre Hut,
stm's Heerschild sich in Waffen schaart
In altem freien Gattenmuth.
Und war- mir auch, dir fremd un- fern,
Den Her- zu bau'n vom Glück geschenkt,
Doch -enk' ich -einer oft un- gern,
So wie ein Sohn -er Mutter denkt.
O Heffenland, mein Heimathland,
Dem Herzen nah, dem stlicke weit,
Gott halte über -ich die Hand —
strrö sei gesegnet alle Zeit. gs«,*.
2
Kasseler Zeitungen im uarigcn Jahrhundert.
Bon
W. Rogge-Lndmig.
^Wl s ist eine ausfalltnde Erscheinung, daß in
JM der Stadt Kassel erst am Ende des 16. Jahr-
hunderts eine Buchdruckerei gegründet wurde.
Noch unter der Regierung Wilhelm IV., des
großen Kenners und Förderers der Wissenschaften,
des Gründers der Landesbibliothek, wurden die
landesherrlichen Verordnungen im Auslande, in
Erfurt, gedruckt. Sein im Jahre 1592 zur
Regierung gelangter Nachfolger Landgraf Moritz,
von welchem ein Zeitgenosse sagt: „Wen unter
allen jetzt lebenden Fürsten vermag ■ das Aus-
land an Reichthum des Geistes und Vortrefflich-
keit der Kenntniße diesem an die Seite zu setzen ?
er schwelgt in den Wissenschaften und verschlingt
sie", war deshalb alsbald darauf bedacht, diesem
Bedürfniß abzuhelfen. Die Veranlassung dazu
bot ihm die im Jahre 1595 erichtete und vier
Jahre darauf zum Mauritianischen Kolleg er-
weiterte Hofschule. Da er in dem wahrschein-
lich aus Bremen stammenden Buchdrucker und
Formenschneider Wilhelm Wessel die geeignete
Persönlichkeit zur Ausführung seiner Absicht fand,
errichtete er in seinem Lustschlosse in der Aue
eine Ofsicin und übertrug Wessel die Leitung
derselben. Das erste hier gedruckte Werk hatte
den Landgrafen zum Verfasser, es war die
Encyclopedia Principis illustr. I). Mauritii
Hass. Landgr. Cassellis enc. Wilh. Wesselius
1597. 4.
Nach dem im Jahre 1639 erfolgten Tode
Wessels wurden im 17. und 18. Jahrhundert
noch mehrere andere Buchdruckereien in Kassel
errichtet, von denen die Hampe'sche die bedeu-
tendste war und über 150 Jahre iu Blüthe ge-
standen hat. Sie wurde im Jahre 1710 von
Joh. Jnstus Heinrich Hampe gegründet nnd
ist von seinen Nachkommen bis in die 60er Jahre
dieses Jahrhunderts fortgeführt worden.
Dieser Johann Justus Heinrich Hampe hat
sich nun dadurch ein großes Verdienst um bte
Stadt Kassel erworben, daß er sich entschloß, hioc
eine Zeitung zu gründen, an welcher es bis da-
hin noch gänzlich gefehlt hatte. In dem Jahre
1731 ertheilte ihm Landgraf Friedrich 1. von
Hessen, König von Schweden, das Privileg, eine
wöchentlich einmal erscheinende Zeitung heraus-
zugeben. Unter dem Titel „Casselische Zeitung
von Policey- Commercien und andern denr Publico
nützlichen Sachen" erschien die erste Nummer
derselben am 5. Februar 1731.
Ein rechtes Vertrauen auf Erfolg seines Unter-
nehmens scheint Hampe nicht gehabt zu haben,
da er in der erste» Nummer erklärt: „Diese
6ourailt soll zur Beförderuug des Polizey- nnd
Commerzwesens dienen; da der Verleger aber
leicht zum voraus sieht, daß die Nachrichten an-
fänglich sparsam einlaufen werden, ehe und bevor
die Sache im Gange und ein jeder Notiz davon
hat, als wird er bei solchen Umbständen mit
einem halben Bogen anfangen. So auch ein
oder der ander etwas in dieser Zeitung zur
publipuen Notiz will eingerückt haben, der kann
solches franco nebst einer proportionirten
kleinen Erkenntlichkeit an den Verleger adres-
siren."
Als Artieul der Zeitung werden angegeben:
Oitationes publica«! (Vcditoriim, Debitoriuu,
echappirter Arrestanten und Deserteurs, Procla-
mationes, Sachen, die zu kaufen, verkaufen, ver-
pachten, vermiethen, zu verauktioniren und zu
verspielen sind, Kapitalien, so gesucht werden oder
zu verleihen sind, gestohlene und gefundene Sachen,
Personen, welche Dienste suchen oder dazu ge-
sucht werden, sämmtlich ankommende, durchreisende
und abreisende Fremde, durchkommende Schiffer
und Fuhrleute, Kopulirte, Geborene und Ge-
storbene, Brot- und Fleischtaxc, Wechselcours,
allerhand zufällige Nachrichten von Glücks- und
Unglücksfällen und andern Merkwürdigkeiten, und
unter der Rubrik „Nene Sachen" Mittheilungen
von Ereignissen mehr politischen Inhalts, die sich
in Hessen zugetragen haben. Der Abonnements-
Preis betrug für das halbe Jahr 14 albus
(32 albus 1 Thlr.), der Berleger beschwert sich
aber in den ersten Jahrgängen wiederholt darüber,
daß dieses Geld so schlecht eingehe, daß das Fort-
erscheinen der Zeitung gefährdet sei.
Das unter den angegebenen Ärtikuln in den
ersten Jahrgängen Mitgetheilte gewährt nun einen
genauen und sehr vielseitigen Einblick in die da-
maligen Zustände der Stadt Kassel und die
Lebensverhältnisse der Bewohner derselben.
Schon damals bestand die Einrichtung, welche
sich im Wesentlichen bis zum Jahre 1848 er-
halten hat, daß alle ankommenden und abreisen-
den Fremden an der Thorwache Namen, Stand
und Absteigequartier anzugeben hatten.
Die allwöchentliche Bekanntmachung derselben
in der Zeitung nahm aber nicht viel Raum ein,
da sie selten die Zahl vorr 20 bis 30 überstieg.
Die von den Reisenden zu passirenden Thore
waren das Neustädter- (später Leipziger), das
Möller(Holländische), das Ahnaberger (Weser-),
das nur selten benutzte Weinberger (Frankfurter),
sowie das Neue Thor. Letzteres war im Jahre
15>87 von Landgraf Wilhelm IV. zwischen dem
v. Meysenbug'schen Hause, an dessen Stelle 1757
die Garnisonskirche erbaut wurde, und dem jetzt
dieser gegenüberliegenden Hause nach Abbruch
mehrerer dort gestandenen Häuser errichtet worden.
Au dessen Stelle wurde von Landgraf Fried-
rich II. nach Schleifung der Festungswerke um
1780 hinter dem von ihm angelegten Königsplatzt
das Kölnische Thor erbaut. Unter den Gasthöfen,
in welchen die Ankommenden abstiegen, war am
meisten besucht das an der Ecke der Mittel- und
Entengasse gelegene „im Stockholm". Diesen
Namen hatte es angenommen, als im Jahre 1714
König Karl XII. von Schweden auf der Durch-
reise von Bender nach Stralsund in demselben
übernachtet hatte. Ihm am nächsten standen der
goldene Helm hinter dem Rathhause, jetzt das
in den 20er Jahren von dem letzten Besitzer,
Mensing, erbaute Borthmann'sche Haus, der
„schwarze Adler" am Marktplatze (jetzt Avemann'sche
Haus), dann „im Elephanten" (jetzt Cramer'sches
Haus am alten Kadettenplatz), sowie „in der
Canon" (Frankfurterstraße) und der in der späteren
Waisenhausstraße gelegene Gasthof „im weißen
Schwan". Bei Mittheilung der Ankommenden
und Abreisenden ist es für die damaligen Ver-
hältnisse der Juden bemerkenswerth, daß nur
bei den von ihnen in der Stadt übernachtenden
der Name angegeben wird, immer aber mit der
Bezeichnnng „Jud", statt des sonstzüblichen „Herr",
z. B. „Jud Levy aus Paderborn, logirt beim
Hofjuden Goldschmidt", während es bei den blos
durchpassirenden nur heißt „ein Jud", z. B. ein
Jud aus Frankenberg; 6 Juden, kommen ans
Hamburg rc. In der Zeitung vom 13. und 14.
November würde die Angabe der Namen der
ankommenden Juden allerdings einen großen
Raum eingenommen haben, da gemeldet wird,
daß in diesen Tagen das Neue Thor 88, das
Neustädter Thor 98, das Müllerthor 148 Juden
passirt haben.
Die Juden hatten aber auch guten Grund,
nur durchzureisen, da bis zum Jahre 1751 jeder
in der Stadt übernachtende Jude einen Dukaten,
den sogen. Judendukaten, zu zahlen hatte.
Wahrscheinlich befanden sie sich auf der Durch-
reise nach Spangenberg, wo jährlich der sogen.
Judentag zur Berathung ihrer Angelegenheiten,,
namentlich zur Einschätzung ihres Vermögens
unter einem landesherrlichen Kommissar abge-
halten wurde. Es ergibt sich dies auch daraus,
4
daß zur selben Zeit im Jahre l 732 375 und
im folgenden Jahre wieder 250 Inden durch
Kassel kamen.
Bei Angabe des Standes der Reisenden
kommen viele jetzt nicht mehr vorhandenen Be-
zeichnungen vor: „Hausbänder und Weinspeiser,
Bierspeiser, Hofzeltschneider, Feldritterkoch, Hof-
edelsteinschneider rc. Die Apothekergehilfen werden
als Apothekergesellen und die Kaufmannsgehilfen
als Kramdiener oder Kaufmannsdiener aufge-
geführt. Eine Dame, wahrscheinlich sehr hohen
Standes, hat ihr Inkognito streng bewahrt, sie
wird bezeichnet als: „Ein Fräulein ohne Namen, '
will bei Hof logiren." Groß ist die Zahl der !
ankommenden Fuhrleute, deren Ankunft und j
demuächstige Abreise mit der Zahl ihrer Karren !
wöchentlich bekannt gemacht wird. Einer be- !
sonderen Mühewaltung unterzog sich dabei der
Herausgeber der Zeitung, indem am Schluß der
deshalbigen Anzeige gesagt wird: „Wer nun
Lust und Belieben trägt, mit obbegesagten Fuhr-
leuten Güter zu versenden rc., der kann vier
Tage vor jeder Retour sich beim Verleger schrift-
lich angeben und den Cours, wie auch die
Schwere der Ballen beyläuffig melden, alsdann
soll vor fernere Bestellung gesorgt und einem
jeden der Fuhrmann angezeigt werden, welcher |
Ladung mitzunehmen willens ist." j
Hinsichtlich der Kopulirten, Geborenen und
Gestorbenen ist zu bemerken, daß die Garnisons-
gemeinde noch ihren Gottesdienst in der Unte-
rneustädter Kirche hielt, und daß eine israelitische, ,
katholische und lutherische Gemeinde noch nicht !
vorhanden war. Unter Landgraf Karl, welcher
den Lutheranern jede Anstellung bei der Re-
gierung oder den städtischen Behörden versagt
hatte, waren die sehr zahlreichen Mitglieder
dieser Konfession genöthigt, nach Landwehrhagen
zum Abendmahl zu gehen. Im Jahre 1731
gab es 1047, im Jahre 1733 bereits 2922
Lutheraner in Kassel. Bei der Anzeige des Todes
des lutherischen Opfermanns wird dieser als j
Opfermann der evangelisch-lutherischen Ver- j
sammlung bezeichnet.
Die Verhälnisse der Lutheraner änderten sich
mit der Thronbesteigung Friedrich I., welcher
als König von Schweden zur lutherischen Kirche
übergetreten war. Dieser gestattete ihnen schon
im Jahre 1731 den Privatgottesdienst und den
Bau einer eigenen (der jetzigen lutherischen)
Kirche, welcher in den Jahren 1734 begonnen
und im Jahre 1738 vollendet wurde.
Die Katholiken erhielten unter Landgraf Fried-
rich II. seit 1770 ein eigenes Gotteshaus, die
Garnisonskirche wurde 1757 erbaut. Bei den
Kopulirten, Geborenen und Gestorbenen finden
sich nur selten jetzt noch in Kassel vorkommende
Namen, doch aber einige mit dem Betriebe eine
Gewerbes aufgeführt, welches noch jetzt von
Personen mit gleichenNamen, wohl deren Nach-
kommen, betrieben wird, z. B. Seiler Gruneberg,
Bäcker Ostheim, Zahn, Niemann, Landgrebe,
Lohgerber Pinhard, Metzger Franz und Andreas
Sänger, Giedc, Stöhr, Nöse, Hartdegen, Schmoll,
Grebe rc. Die Vornehmen werden Herrn und
deren Gattinnen nicht Ehefrauen, sondern „Ehe-
liebste" genannt, auch wird nur bei solchen die
Todesursache angegeben, z. B. ein Podagricus,
hat einen schweren Fall gethan, starb an einer
Blutstürzung, hitzigen Fieber plötzlich, an Wind-
und Wassersucht rc. Todesanzeigen von den
Hinterbliebenen kommen noch nicht vor. Die
Armen werden bei der Anzeige sehr kurz be-
handelt, z. B. Anna Müllerin, ein armes Mensch
aus Simmmershausen, Carlotta, eine gewesene
Türkin.
Bei den im Jünglingsalter verstorbenen vor-
nehmen Personen ist die Bezeichnung Monsieur,
die sich im Volke als Musjöh bis in die Mitte
dieses Jahrhunderts erhalten hat, allgemein
üblich.
Bei der Anzeige des Verkaufs von Waaren
wird anfangs der Verkäufer noch nicht genannt,
sondern dabei gesagt: „Der Verleger wird von
diesen Posten nähere Nachricht geben." Zuerst
sind es die Verkäufer von Luxusgegenständen,
Parfümerien, Weinen, welche ihre Waaren selbst
zum Kaufen ausbieten. Es sind dies aus-
schließlich Franzosen. Dahin gehören die Kauf-
leute Roux, Telmat, Estienne, Avienny, Ravot,
Monnot, Causid, Bertram, Collin, Plumat, Ca-
rondet, Landro, Kommercienkommissarins de
ß
Quitter, Hofparfümeur und Destillateur Monne-
stier. Letztere zeigt auch den Berkauf von Thee,
Cafe nnd Chocolat mit dem bemerkenswerthen
Hinzufügen an: Bei gemeldetem Monnestier
wird man schriftlich oder mündlich erfahren,
wie diese Waaren zu gebrauchen sind. Die be-
deutendsten Specereihändler waren Italiener,
weshalb ihr Geschäft auch kurzweg beim Ita-
liener genannt wurde, ein Gebrauch, welcher sich
bei dem damals schon hier vorkommenden Kauf-
mann Pedrazino, (wohnhaft in dem Eckhause
am Marställerplatz nnd der Straße nach der
Marktplatz) bis in die Mer Jahre dieses Jahr
Hunderts erhalten hat.
Die zu dieser Zeit hier vorkommende Fisch-
handlung war im Besitze des Holländischen Fak-
tors Wiljemars.
Die Flasche Champagner kostete bei Telmat
24 Albus und bei Avienny waren Ostindische
weiße Bogelnester, das Pfund zu 5 Thaler, zu
haben.
Anzeigen des Verkaufs von Häusern und
Grundstücken und die Bermiethung von Woh-
nungen kommen anfangs nur ganz vereinzelt vor.
Unter letzteren ist bcmcrkenSwerth, daß bei der
Anzeige einer zu vermiethenden Wonung in der
Fleisch- und Weckeschirne, welche sich an Stelle
des 1818 erbauten Sinning'schcu Hauses an
der Ecke des Marktes und der Marktgasse be-
fand dieses Gebäude uoch1731 als das alte Rath-
haus bezeichnet wird, da in späterer Zeit Zweifel
darüber erhoben sind, ob es vor Erbauung des neuen
Rathhauses im Jahre 1408 als solches gedient hat.
(Piderit, Geschichte der Stadt Kassel S. 67.)
Die Miethen waren sehr billig, für ein ganzes
Haus am Walle wurden jährlich 32 Thaler
Miethe verlangt, und ein paar Leute, „die gar
nichts ruinieren", suchen in der Ober-Gemeinde
ein Logis für zehn Thaler
Der Werth der ausgebotenen Häuser variirt
von 500 bis 3000 Thaler.
Für den damaligen Werth großer Landgüter
ist folgende Anzeige bezeichnend: „Es wollen die
Herrn von Spethen ihr Adeliches Frey-Gut im
Dorfe Frühlingen für 7000 Thaler verkaufen.
Es findet sich dabei ein Adeliches Wohnhaus
nebst zwei Scheuern und Stallung, 264 Thaler
25 Alb. 4 Heller ständiger Geldcrbzins, und 23
Stück Gänse, 23 Hühner, 62 Hasen 81l2
Schock Eier, ein Maaß geschmelzte Butter, 24
Biertel Korn, 19^2 Biertel Hafer ständiger
Zins, sowie an unständigem Zins: Triftgelder,
Lehngelder, Siegelgebühr, vom theuersten Haupt
(Besthaupt) praeter propter jährlich 50 Thaler
Fischwasser nnd Forellenbächc, freie Schäferei,
die hohe und niedere Jagd, 107 Acker Land,
900 Acker Waldung, 33 Acker an Gärten und
Wiesen." (Schluß folgt.)
§n-
„Wik ich iur Sichtkim!! kam "
Zur Zeit, als sich in mir Grillen empörten,
die oft, sogar im Schlafe, mich störten;
erst brausend im Gehirne mir gährten, —
dann durch die Feder sich Ansbruch gewährten.
Da präsentirte der ehrliche Damm*)
mir deutlich den heidnischen Götterstamm,
und jetzo — kraft seiner Mythologie —
verwechselt ich Götter und Göttinnen nie.
Auch sammelt' ich, trotz meinem flüchtigen Lauf,
manch' andres gelehrtes Brosamlein auf,
Nun schrieb ich im Kämmerlein — oft tut Stehn
am Fenster — Liederchen, ungesehn. i
*) Christian Elias D a m m , Rektor am kölnischen Gymnasium
zu Berlin, geb. 1699, gest. 1778, ist der Berfasser eines Handbuches
der Mythologie der Griechen nnd Römer, welches irn vorigen !
Jahrhundert sehr verbreitet war und viele Auflagen erlebte.
Ich hielt mir's für keine geringe Schande,
das einzige Mädchen im ganzen Lande
(so dacht' ich damals aus Irrthum) zu sein-
mit welchem Signor Apollo sich hielte,
und das auf der Leyer der Musen spielte,
und sänge bald Trauer, bal Tündelei'n,
bald identische Liebe drein:
drum trug ich jedes beschrieb'ne Papier
als Heiligthum in der Tasche bei mir;
zog manches wohl mit dem Schnupftuch hervor,
weil ich die ersten fast alle verlor. —
so schleicht ein Kätzchen («xus comparaison)
gar listig mit seinen Jungen davon,
legt, sie zu verbergen, aus ehrlichem Sinn,
in glühend heiße Asche hin..—
Ich sagte zu Eltern und Schwestern und Brüdern
zu keinem ein Wörtchen von meinen Liedern,
6
bis Boje*) einst hinters Geheimniß kam
nnd sich von einigen Abschrift nahm.
Als d'rauf ich die Dinger im Almanach sah,
da stand ich halb lachend, halb weinend euch da!
Freund Boje gab auch den Gevattersmann ab,
der mir den Namen Rosalie gab.
Was war zu machen? Es war geschehen!
ich dachte lang in der Verkleidung zu gehn.
Doch Fama (die in jeder Stadt
gar wunderfeine Ohren hat),
ging bald drauf herum von Haus zu Haus,
und rief der Verfasserin Namen aus.
Jetzt, dacht' ich, mußt du's wohl offenbaren,
sonst möchten dir andre die Müh' ersparen:
Nun kam ich mit einem Geburtstagslied,
das man im ersten Bändchen sieht,
und mit gar vielen Gedichten heran. —
Potz tausend! wie sah der Herr Vater mich an!
Ein kleiner Verweis, — doch sanft, nicht voll Hohn,
war meiner zu langen Verschweigens Lohn;
dann floh ich, — so hochroth als blühender Mohn!
Zu der Zeit wollt' er mir gütig erklären,
«aS Daktylus und Spondeen wären,
und alles das. Doch ich muß bekennen,
kaum weiß ich noch die Namen zu nennen.
O, was so schwer ist, begreif' ich nie; —
ich liebe nur Praxis, nicht Theorie.
So mach' ich mir Hauben und Kleider und Hut, —
nie lernt' ich's nach Regeln, — doch stehn sie mir gut.
Wenn mich gleich viele sehr streng kritisiren,
so werd' ich doch zärtliche Herzen stets rühren,
nicht jedes Richters Beifall verlieren, —
wenn laut mich ein sanft Empfindendes liest.
Denn ungezwungnes Deklamiren
kann auch die schlechtesten Verse verzieren.
O, du — dessen Rede melodisch fließt,
wie sich ei» Quell durch Veilchen ergießt, —
wenn du mich einst vorliest, wie will ich mich freu'n !
Du wirst dem Liede Reize leihn. —
Durch dichten geschnitzten Taxus bricht
nie, weder Sonnen- und Mondenlicht:
Da durch den Baum, der kunstlos blüht,
die sinkende Sonne malerisch glüht:
und silbern der Mond durch die Zweige blinkt,
wenn abends die Flur vom Thaue trinkt. —
Wer die Verfasserin dieses leicht hingeworfenen
reizenden Gedichtes ist? Keine Geringere, als
Philippine Engelhard, geb. Gattercr, die
geniale Dichterin, die immer muntere und geschäftigtc
tausfrau, die allgemein beliebte, hochangeschcne
esellschastsdame, deren sich Kasscl's ältere Bürger
noch wohl erinnern werden. Ihr sei mein nächster
Artikel gewidmet. F. -s.
*) Heinrich Christian Boje. Dichter und Kritiker, Mitglied des
Göttinger Hainbundes, geb. 1714, gest. 1806, ist der Herausgeber
des Musenalmanachs (1770—1775) und des deutschen Museums
(1776—1780).
---
Antigour
Bon
H. Äeller-Lordan.
er Regen goß in Strömen; es war eine
dunkele, stürmische Nacht.
Die Gewitter, die am Nachmittage im
Gebirge gewüthet, hatten sich bis hinunter
in das Thal gezogen und die heiße Luft mit
eisigen Zügen getrunken.
In einer Seitenstraße der Residenz, in einem
eleganten Restaurant, das unter den» stolzen
Namen: „Cafe Voltaire" Künstler und Ge-
lehrte bei sich aufnahm, saßen an dem kleinen
Marmortische im Hinterzimmer zwei Herren bei
einer Flasche Wein. Sie schienen offenbar auf
das Aufhören der Regens zu warten. Wenig-
stens erhob sich der Eine zum wiederholten
Male, trat an das Fenster und sah prüfend
hinaus in die Nacht. Die Zweige der Bäume
im Garten bogen sich ächzend bis beinahe zum
Boden und schlugen, vom Winde getrieben, jäh
gegen dje Scheiben, hinter welchen er stand.
„Du wirst heute Abend die Hoffnung auf-
geben müssen, mich Deiner Frau vorzustellen,
Bernhard," sagte der Herr, welcher am Tische
sitzen geblieben war, zu dem Anderen, der kopf-
schüttelnd und ärgerlich seinen alten Platz wieder
eingenommen hatte, „Die Anstandszeit ist längst
> vorüber, und Du wirst am besten thun, meine
Einladung anzunehmen, und heute Abend mein
Gast zu sein."
Bernhard fügte sich offenbar nicht gern in den
i Vorschlag, aber er fügte sich und ließ es ge-
i schehen, daß sein Freund die Speisekarte zur
j Hand nahm und eines kleines Souper serviren
! ließ. Er innerte sich wohl noch mehrere Male
i während der Mahlzeit an sein armes Frauchen,
! das nun warten würde, aber als beim Dessert
Hans Huber sein Glas hob und auf dieselbe
> mit beredten Wo-ten ein Hoch ausbrachte, war
i sein Gleichgewicht vollkommen wieder hergestellt.
7
Sie ließen, durch ihr Wiedersehen und den
Wein angeheitert, alte Jugenderinnerungen an
sich vorübergehen und kamen, trotz ihrer vor-
gerückten Jahre, in jene unvergleichliche Stimmnng,
wie sie nur die finden, die auf der gleichen Schul-
bank über ihren lateinischen Extemporalien ge-
schwitzt und ihren ersten Flammen gemeinschaft-
lich Fensterpromenadc gemacht.
„Ach was, das ist altes Unsinn", lachte
Bernhard, während er seine Weste aufknöpfte
und sein blühendes Gesicht mit dem Tuche kühlte,
„Unsinn, was man da von der Ewigkeit
einer ersten Liebe faselt, ich war gründlich ver-
liebt, ganz gründlich in Lilli Schöne, aber gegen
mein Weibchen kommt sie ja gar nicht auf."
Ueber Hans Hubers schmales, durchgeistigtes
Gesicht ging ein sarkastisches Lächeln. „Du hast
Dich immer leicht zu trösten gewußt, Bernhard",
sagte er, „wie es sich von einem Manne oer
That nicht anders erwarten läßt, denn als sich
die kleine Schöne damals mit dem Gardclieutenant
verlobte, trugst Du Deine Liebe kampflos auf
Charlotte Corday über, wie wir unseres Direktors
einziges Töchterchen zu nennen pflegten."
„Wahrhaftig, die Charlotte Corday, die hatte
ich beinahe vergessen — was ist eigentlich aus
ihr geworden.?"
„Sie ist bei der Alt-Philologie geblieben, wie
es der Tochter ihres Vaters geziemte, und
heirathete, nach langer Brautschaft, einen Syntax-
ritter von selbstbewußtester Auflage. Sie ist
nie mein Geschmack gewesen."
„Nein, das weiß Gott", sagte Bernhard, „auch
keine Andere. Du warst ein so unzweideutiger
Trobadour der Antigone, wie unsere Verbindung
Eva Bosse nannte, daß ich heute noch nicht be-
greife, wie aus dieser Titanenleidenschaft kein
Ernst wurde."
Hans Huber sagte nichts. Er hielt nur die
Augen gesenkt und ließ krampfhaft den Kompaß
seiner llhr durch die schlanken Finger gehen.
„Ja, die Eva Bosse! Sie war ein schönes
Mädchen, das muß man ihr lassen, schön und
klug, eine wirkliche Antigone mit ihrem griechischen j
Antlitz und den ernsten Herrscher-Augen — ich
hätte damals darauf geschworen, sie liebe Dich." |
Hans Hubers Kopf hatte sich noch um ein paar !
Linien tiefer gesenkt. >
„Hochmüthig war sie freilich, wie eine Königin," ;
fuhr Bernhard fort, während er eine Cigarre
vom Teller nahm, sie durch den Mund zog und ,
gemächlich anzündete", „über die Maßen hoch- j
müthig und als sie später an der Seite ihres !
reichen Gemahls so durch die Straßen fuhr, da !
hätte kein Mensch gedacht, daß sie eigentlich doch >
recht künmerlich aufgewachsen sei. Aber es
steckte Rasse in ihr."
„Du hast sie demnach als Frau wiedergesehen?
fragte Huber leise.
„Freilich, freilich, sogar beinahe täglich. Sic
wohnten damals in Berlin, dem physikalischen
Institut gegenüber, in den« ich beschäftigt war
— ein bildhübsches Weib, bei Gott, klassisch —
— aber glücklich und froh schien sie auch das
Geld nicht zu machen."
„Wird wohl in ihrer Art gelegen haben,"
seufzte Huber — „es giebt so Menschen." „Ja
freilich, es giebt solche. Ich war damals froh,
als ich bald nachher Deine Verlobungsanzeige
erhielt — denn um ehrlich zu sein, Hans, ich
dachte, diese Eva säße so fest in Deinem Herzen,
daß es ein Unglück geben könne." „Ein Un-
glück" — wiederholte Hans mechanisch.
„Aber Du bist ja glücklich verheirathet ge-
wesen und somit dieser Leidenschaft Herr ge-
worden. Schade, daß Dein Glück von so kurzer
! Dauer war."
Hans Huber schwieg und sah starr in den
, äußersten Winkel des Zimmers, welches mittler-
weile ganz leer geworden war. Ob er an die
erste Frau dachte, die sich in der kurzen Zeit
in der er sie besessen, vergebens bemüht, ihn
glücklich zu machen — oder an Eva Bosse —
die Antigone, an welche sich alle blühenden
Träume seiner Jugend geknüpft? „Ich war
auch noch in Berlin, fuhr Bernhard, behaglich
seine Cigarre dampfend, fort, als der bekannte
Krach losging. Ihren Mann, ich glaube Müllee
hieß er, fand man in seinem Blute im Bette,
als das Gericht kam und Hab und Gut ver-
siegelte. Die Frau verschwand dann vom Schau-
platz, es wußte Niemand wohin — wird wohl
im Elend verkommen sein."
Hans Huber hatte sich erhoben und war an
das Fenster getreten. Der Regen hatte aufge-
hört und von den Zweigen der Bäume fiele»
große Tropfen wie Thränen, und glänzten in
der matten Beleuchtung der Nacht.
Jur Elend verkommen! War es nicht im
Elende gewesen — :m Elende, vor dem ihr so
gegraut, wo er sie zuletzt gefunden hatte.?
„Du solltest wieder heirathen, Hans, bei Gott,"
sagte Bernhard, der ihm gefolgt war und seine
wuchtige Hand fast zärtlich auf des Freundes
Schulter legte. Du glaubst nicht, wie ein so
liebes Weibchen zufrieden und glücklich macht.
Siehst Du, Du brauchtest auch dann nicht nach
Nachstadt zu reisen und Dein Töchterchen in die
Pension zu geben — ich weiß, Du trennst Dich
schwer von ihm, und . . ,
8
„Und doch muß es sein, Bernhard", unter-
brach ihn Hans Huber, während er sich um-
wandte und sein blasses Gesicht voll auf den
Freund richtete —" es muß sein. Ich weiß
es, ich trenne mich schwer von der kleinen Grille
— sie zirpt so süß — aber wieder heirathen,
das geht nicht. — Mein Herz hat sich dennoch
nie von der Antigone lösen können, so ehrlich
ich es auch versucht habe, nie!"
Bernhards Hand, die noch auf des Freundes
Schulter gelegen, fiel jäh herunter, und er sah,
als traue er sich selbst nicht, verständnißtos in
das Gesicht des Freundes, auf dem jetzt ein
nagender Schmerz lag. Also doch, Eva Bosse,
das hschaufgeschossene Mädchen mit den dunklen
räthselhaften Augen! Gewiß, er und seine
Freunde hatten das immer gefürchtet, wenn
Hans Huber mit Homer und Cicero unter
dem Arme, und später mit der Studentenmappe
keine anderen Wege kannte, als die ihren.
Also doch!
Und als er jetzt wieder dem Freunde stumm
gegenüber am Tische saß, da spannen seine Ge-
danken weiter an den verschwommenen Bildern
der Bergangenheit und immer lichter und lichter
erhoben sie sich aus dem Nebel der Zeit. Eva
Bosse! Wie sie den Kopf hoch hielt und vor-
nehm zu gehen pflegte, als sei das schlichte ärm-
liche Kleidchen, welches sie trug, aus lauter
Sammt und Seide!
Und als der erste Burschenschaftler der Ver-
bindung Borussia in seinem besten Ornate bei
ihr Besuch gemacht, um sie zum Balle einzu-
laden, da hatte sie die Augen mit souveräner
Ruhe zu ihm aufgeschlagen, als wollte sie mit
Antigone sagen:
„Du rührst an meine tiefe Herzenswunde."
Er mußte lächeln.
Das war ja freilich nur die Erfindung von
Haller gewesen, mit welcher er seinem Aerger
gerecht wurde, aber wahr blieb es doch, daß sie
die Bälle ablehnte, weil ihre Kleider zu ärmlich
waren.
„Hast Du Eva Bosse niemals wieder gesehen,
Hans?" fragte er, au diese Gedanken anknüpfend,
über den Tisch herüber.
Hans fuhr aus tiefen Träumen in die Höhe.
„Sagtest Du etwas, Bernhard?"
„Ich meine nur so, ich dachte an Eva Bosse
-- sie wnrde doch schon nach einigen Jahren
Wittwe, hast Du sie später nicht wieder ge-
sehen?"
Hans Huber fuhr mit der Hand durch sein
kurzes dunkles Haar — eine Gewohnheit, die
Bernhard schon aus der Studentenzeit an ihm
kannte, — rückte seinen Stuhl näher zum Tische,
und während er mechanisch des Freundes Glas
füllte, sagte er langsam:
„Ihr habt Alle Eva Bosse nicht gekannt und
daher unterschätzt, Bernhard, glaube es mir,
Freund Haller gab ihr aus lauter Hohn den
Namen Antigone, aber sie hatte wirklich ver-
wandte Züge mit ihrer griechischen Schwester.
Vor allen Dingen konnte sie nichts Erniedrigen-
des ertragen. Und wenn sich das auch anfäng-
lich nur in Kleinigkeiten äußerte, — du lieber
> Gott, was träumt sich so ein phantastisches Kind
in darbenden Verhältnissen nicht Alles zurecht!
Es haben schon ganz andere Leute geglaubt, daß
Glanz und Reichthum Glück seien." —
„Ich habe durch sie viel gelitten, Gott weiß
es," fuhr er nach einer Weile fort, während er
mit den zuckenden Fingern sein Glas drehte und
die Augen in das Gold des Marsala grub —
„habe sie auch eine Zeit laug gründlich zu hassen
gemeint, wie das so geht — aber ihre Armuth,
ihre tiefe Armuth und die stolze Art, wie sie
dieselbe trug, haben mich ausgesöhnt mit Allem.
Ich war fünf Jahre lang ihr Verlobter,
Bernhard."
„Um Gottes Willen, das habe ich nicht
gewußt, Hans" — und Bernhard nahm theil-
nehmend die Hand des Freundes, die zitternd
auf dem Tische lag. „Du kannst Dir vor-
stellen", fuhr Hans erregt fort, „was das bei
einem Charakter, wie der Eva's, sagen wollte!
ES sollte kein Mensch eine Ahnung von unserem
Verhältnisse haben, weder meine Familie, noch
meine intimsten Freunde. Hätte ich sie nicht
so unbeschreiblich geliebt und so tiefe, große
Stunden mit ihr verlebt, ich hätte es nicht
ertragen."
„Aber was um des Himmels Willen konnte sie
bewegen. Dich aufzugeben, Hans?" „Ja, das
ist eine Frage, deren Antwort sich nur aus der
genauesten Kenntniß ihres Charakters und ihrer
Verhältnisse errathen läßt. Ihrer Natur waren
Armuth und Einschränkung unsäglich zuwider,
sie litt darunter, wie Andere unter physischen
Schmerzen. Das ewige Sorgen um die noth-
wendigsten Dinge, wie oft hat sie mir gesagt,
daß ihr davor mehr graue, als vor allen
Schrecken der Welt."
„Aber sie ist anscheinend nicht davor bewahr^
geblieben?", fragte Bernhard. „Nein, si^
heirathete in thörichtem, eitlem Wahne den
reichen Mann, um kargen Leben aus dem Wege
zu gehen — und kam in die bitterste Noth. —
Als ob der Mensch das Elend, das auf seinem
Wege liegt, vorahnend im Herzen trüge.
9
Um kurz zu sei», ich erhielt eines Tages
einen Brief von ihr — ich saß gerade mitten
im Examen — in welchem sie mir, weise, wie
sie zuweilen sein konnte, auseinandersetzte, daß
es für uns Beide, da ans keiner Seite nennens-
werthes Vermögen sei, besser wäre, das Ver-
hältniß zu lösen, und daß sie im Begriffe stehe,
sich mit dem Banquier Müller zu verloben.
Die Stunden, die sie mit mir verlebt, seien so
schön gewesen, wie sie nie wiederkehren würden,
das wisse sie, aber ihr grane vor der Misöre
des Lebens. Ihr letztes Wort war ein heißer
Dank für alles Gute, was ich ihrer Seele
gethan habe." „Welch' ein bodenloser Egoismus",
ging es verächtlich über die Lippen Bernhard's.
„Bei Gott, sie verdiente eine exemplarische
Züchtigung."
Hans schwieg. Die Zeit, die er eben herauf-
beschworen, war längst verblaßt in seiner Er-
innerung, auch die seiner kurzen, in fahrender
Zerissenheit geschlossenen Ehe. Es war nicht
die Eva Bosse, die sich damals in egoistischem
Wahne von ihm abgewandt, die heute seine Seele
umfaßt hielt — es war das bleiche, abgehärmte
Weib, welches das Leben später auf seinen Weg
geworfen.
Er griff unwillkürlich mit der Hand nach
seinem Herzen. Ach, das Bild, das selbst ernste
Studien und Probleme nicht bannen konnten,
hatte sein Bestes in ihm vernichtet............
----SH
Kein; vo« Liidrr. (1547)
Nun Gnade Gott, dir mein Ziegenhaiu!
Der Speerwald der Feinde schließet dich ein.
Des Kaisers zahlloses Heer;
Laut brüllt vor den Thoren das Sturmgeschrei,
Wie brandende Meerfluth wogt es herbei,
Der stehest du nimmermehr!
Als Alte- wankte, — du hieltest fest, —
Wer bringt dir nun Rettung, trutziglich Nest,
Todesmuthige, hessische Braut?
WaS half dir wildkühne, männliche Wehr?
Gefangen der Fürst und zerbrochen der Speer;
In Banden, dem du vertraut!
Mein Hessenland, — verlorenes Land!
Wer hat deinen zornigen Leuen gebannt,
Getreten in den Staub?
Mein Hessenbanner, das nie besiegt
In tausend Schlachten sich hat gewiegt,
Sag' an, wem fielst du zum Raub? —
Gefangen ist Philipp! — Der anstrische Aar,
Stürzt würgend herab auf die hessische Schaar,
! „Und wann sahst Du sie wieder?", fragte
! Bernhard, mit beinahe andächtiger Scheu vor
! dem Schmerze, der so ausgeprägt auf dem
Gesichte Hubers lag.
„Wann?" Vor Jahren, als mich der Zufall
hier durch Eure Stadt führte. Es war ein
Regentag, wie heute — kalt, stürmisch — trotz
der Sommerzeit — und sie, — sie kam aus
dem Pfandhause.---------------------------
Er war aufgestanden und ging mit hastigen
Schritten hin und her.
„Ich glaube, es ist Zeit nach Hause zu gehen,
Bernhard", sagte er endlich mit klangloser
Stimme, „der Regen hat aufgehört."
Bernhard antwortete ihm nicht, ihm graute
vor der fahlen Blässe in seines Freundes Gesicht.
Draußen angekommen, ergriff er dessen Hand,
mit feinem Takte fühlend, daß keine Unterhaltung
mehr möglich sei.
„Bis morgen, Hans", sagte er „ich werde
Dich in Deinem Hotel abholen."
Hans blieb einen Augenblick stehen und sah
gegen den sternhellen Himmel. „Komm morgen
lieber nicht, Bernhard, ich will doch erst nach
Nachstadt fahren und die Angelegenheit mit
meiner Kleinen in Ordnung bringen. So Gott
will, bin ich bis übermorgen wieder zurück,
gute Nacht!"
(Schluß folgt.,
Erbarme sich Gott der Noth! —
Er rüttelt gewaltig an Ziegenhaiu's Thor:
„Hei Lüder! du kecker Geselle, hervor!
Ergieb Dich auf Leben und Tod!"
Der Heinze von Lüder tritt auf den Wall,
Und ruft hinab in der Feinde Schwall,
Seinen Spruch, voll Treu und voll Muth: —
„Herr Kaiser! der Fürst hat mich ernannt
Zü der Festung Ziegenhain Kommandant,
Ihm dien' ich mit Leben und Blut! —
— Kann Euch drum offnen die Thore nit, —
Ohn' des Fürsten Verlaub! (wär' närrische Sitt'!) —
Und ergeben mich nimmermehr! —
Wollt Ihr berennen das Nest auf gut Glück,
Ich jag' Euch mit blutigen Köpfen zurück —
— Das merk' dir, du kaiserlich Heer!'■' —
Und der Feind drängt an in schäumender Wuth;
Die Hessen um Lüder stehn fest und gut
Und trotzen dem Stürmen und Dräun;
Es klirrt das Schwert, es kracht das Geschoß
Und sterbend zusammen sinkt Mann nnd Roß:
i So ringet der Aar mit dem Leu'n.
10
Der Kaiser vernimmt's und grollend er spricht:
„Gefangener Fürst, das leid' ich nicht,
Mein werden muß Ziegenhain!
Und hängen der Luder in seiner Pfort';
Wohlan, gieb drauf dein fürstliches Wort,
Sonst nehm' ich dein Hessenland ein."
In dumpfem Schmerz hat der Landgraf gehört,—
Er sinnet. . er seufzet, . . er lächelt . . er schwört.
Weh dir nun, mein Ziegenhain!"
Dem Lüder kam Ordre vom eigenen Herrn:
„Sollst Dich nicht wehren fürder noch sperr'n,
Des Kaiser- Mannen laß ein.
* *
Was wallt durch die Gassen ein Trauergeleit?
Zum Tod, Heinz von Lüder, mach' dich bereit,
Dumpf läuten die Glocken vom Thurm:
Es klaget und jammert manch' tapferes Herz,
Zuckt blutend in bitter ohnmächtigem Schmerz;
Es rührt sich die Trommel im Sturm. —
Hinaus zum Thore geht dort der Zug.
Doch stolz der Lüder das Antlitz trug,
Bon güldenen Locken umwallt. —
Der Landgraf von Hessen geht ihm zur Seit',
Am Stadtthor machen sie Halt.
Und Kopf an Kopf in blanker Wehr,
Steht dicht gedrängt des Kaisers Heer.
Unmuthig blickt mancher darein: —
Für solche Treue und edlen Muth
Nimmt der eigne Fürst ihm Leben und Blut —
O edler Landgraf, halt ein!
Der aber hebt stolz sein Angesicht:
„Was ich geschworen, ich brech' es nicht,
Ihr Zeugen, Euch rufe ich auf!
An Ziegenh ain s Thor soll sein Kom-
mandant
Sein aufgeknüpft!— 's gilt mein Hessen-
land —
Drum nehme das Urtel den Laus."
Und er löst eine Kette von schwerem Gold,
Die er sechsfach trug um den Nacken gerollt,
Und dem Henker hielt er sie dar, —
Der behend sie faßt' und zu Lüder gewandt,
Dem Treuen um Brust und Arme sie band,
Daß gülden gefesselt er war;
Zum eisernen Haken oben am Thor
Zieht man geschäftig den Ritter empor;
Ein dumpfes Gemurmel sich hebt;
Doch droben, minutenlang unterm Gestein,
Fein sicher gebunden, ohn' Sorgen und Pein —
Der Lüder, der wackere, schwebt. —
„Schaut hin, ruft der Landgraf in's Kaiserheer,
Ich hielt Euch mein Wort, was wollet Ihr mehr?
I Ich knüpfte den Lüder Euch auf!"
> Es rollt ihm die Thräne herab in den Bart:
„Steig nieder. Du treuer, von luftiger Fahrt, —
Mit den Armen fang ich Dich auf!" —
Und gleich wie derSturmwind aufwühlet das Meer,
Braust tönendes Jauchzen durchs Kaiserheer,
' Sie preisen solch' fürstliche Art.
Und der Jubel hallet durch Ziegenhain:
Sie stimmen in's Lob des Fürsten ein.
Der also die Treue gewahrt.
Der Landgraf drückt den Lüder an's Herz:
„Zum Angedenken an diesen Scherz
Und an Ziegenhains Kommandant,
Und daß man von Dir, Du trefflicher Mann,
Nach Jahren noch singen und sagen kann.
Sei Dir dies Zeichen erkannt.
Dir weih' ich diese Kette von Gold,
Soll ewig gelten als schönster Sold,
Dem Manne, den ich gehenkt!"
Die Kette möcht ihr noch heute schau'n
Und der hessischen Treue gedenken — traun!
Um welcher sie willen geschenkt.
Ilrttahr Gjrtfftvrrtv.
3iwf Hejt 0 höt ff ifljrf Mahd.
, Meng Görrel (2) kohm i inner Hatz:
! „Sche, Jong, ich weß der jö in Schatz.
Die Annmareileis (*), eij, die höt
Ee Öej uff dich, beim liebe Gött!"
Ö grodso säht die Annekin 0)
£ ment: „Na Jong, do zieh mol hin.
Dü kreijst kin Käs — nee Eier, frcsch
£ Wascht ö Bodder uff de Desch i51
1 Ich hons geglööwt, seng hingegieh.
Die Annmareileis wor jo schie.
£ Eierküche krecht ich dvr,
j Äs bann ich schoIhr Brätjäm wer. -
j Noch fenf, sächs Doh — i inner Hatz
j Meng Görrel kohm: „Sche, Jong, deng Schatz
! Die Annemareileis, eij die höt
j In ahnern i*) noch, beim liewe Gött!
! Ö grodso säht die Annekin.
j Ich gong zü mengem Mäje hin,
! Dos lacht mich äwwer (7) äus ö säht:
> „Zwce Oöjc, höt er jehre Mähd."
! Kurt Mul»».
i) Austen. 2» Palhe, 3) Anna Maria Elisabeth. 4) Anna
Kunigunde. 5) (an manchen Orten setzt man dem unwillkommenen
Braul werbet Ktise, dem willkommenen dagegen Eierkuchen, Wurst
und Butter vor. ♦>) anderen. 7) aber.
11
Aus alter und «euer Jett.
Ein verdienstvoller hessischer Geschichtsforscher war
<s, der am 1. Januar 1746 sein Auge für immer
schloß. Johann Philipp Kuchenbecker war
am 10. April 1703 zu Kassel geboren. Seine aka-
demischen Studien machte er in Marburg, wo er sich
ganz besonders mit der vaterländischen Geschichte be-
schäftigte. Als Hofmeister begleitete er 1730 eineu j
Grafen von Seibelsdorf nach Gießen, dann machte ‘
er eine Reise nach Stockholm. Nach Kassel zurück- j
gekehrt, wurde er 1735 zum wirklichen Regierungs- ,
Archivarus ernannt. Nach dem am 18. Juli 1743 !
erfolgten Tode des Bibliothekars Johann Hermann j
Schminke erhielt er dessen Stelle als Bibliothekar, j
zugleich wurde er zum wirklichen Rathe und zum !
Inspektor über die mathematischen Instrumente und
die Kunstkammer ernant. Sein Hauptwerk sind die '
Analeeta Hassiaca, die von 1728—1742 in zwölf ;
Kollektionen erschienen. K. Z. '
Heinrich I., das Kind. Unaufhörliche Kämpfe
hatte der erste Landgraf zu bestehen, sowohl an den
Grenzen seines Landes, wie in dessen Innern. Die
mächtigsten Feinde Hessens waren die Erzbischöfe von
Mainz, welche von dem aufstrebenden Lande eine
Schmälerung ihrer Kirchengewalt, wie ihrer Ein-
nahmen besorgten. Der kräftige und kriegerische Erz-
bischof Werner, ein Graf von Eppenstein, bedrängte
besonders stark den Landgraf Heinrich, hatte auch den
Kaiser Rudolf I. von Habsburg durch sein Zeugniß
bewogen, des Reiches Acht über den Landgrafeu aus-
zusprechen, 1274. Als der Kaiser die Acht wieder
von Heinrich nahm, 1277, ließ dennoch der unver-
söhnliche Erzbischof nicht von seiner Feindschaft ab.
Gr gewann Bundesgenossen und drang verheerend
1282 bis in die die Gegend von Fritzlar vor. ^ In
höchster Noch suchte der Landgraf Hilfe bei seinem
Volke, er erließ einen Aufruf an das Land „alle
hejsichen Männer, die nur im Stande seien, ein Schwert
oder einen Stecken zu führen, sollten sich zu ihrem
Fürsten finden, ihm beizustehen!" Da eilten von
überall her die Getreuen herzu und bald war der
Landgraf von einer Menge Bewaffneter umgeben.
Der Erzbischof wollte sich zurückziehen, als er das
überlegene hessische Volksheer anrücken sah, seine
Stadt Fritzlar ließ ihn aus Furcht vor den Schrecken
einer Bestürmung nicht herein und er mußte sich
schleunig zu einem dem Landgrafen günstigen Friedens-
schlüsse bequemen.
So hatte vor 600 Jnhren das Vertrauen, welches
der Landesherr in sein Volk legte, ihn gerettet. Es
war das erste Mal, daß die gesammte Kraft auf-
gerufen wurde, der Landsturm; auch in der ganzen
langen Folgezeit hat das hessische Volk stets treu zu
seinen Fürsten gehalten.
Heinrich war zugegen, als Kaiser Rudolf im
im Jahre 1292 die müden Augen schloß, er selbst
Hing nach einem mühseligem Leben im Jahre 1308 zur
ewigen Ruhe ein. *>. Kr.
Unter den hessischen Landgrafeu ragt
Heinrich II., der Enkel Heinrich des Kindes, als
ein Mann von herkulischer Leibeskraft und als stets
siegreicher Kämpfer hervor. Er regierte von 1328
bis 1376 und führte den Beinamen der „Eiserne".
Diese Bezeichnung wird von einigen mit seiner
eisernen Rüstung, die er stets trug, von anderen von
seiner Stärke hergeleitet, die ihm innewohnte; soll
er doch mit bloßer Hand ein Hufersen z« zerbrechen
und eiserne Rüstungen durchzuhauen im Stande ge-
wesen sein. Auch sagt man von ihm, daß er am
Hofe Eduards III. von England einen aus dem Käfig
entkommenen Löwen erfaßt und festgehalten habe.
Seine Feinde waren hauptsächlich die Bischöfe von
Mainz, die Grafen von Nassau-Dillenburg, Ziegen-
hain, Wittgenstein und Solms. Auch mit Braun-
schweig, Paderborn und Münster war er in Fehde
verwickelt. Aber aus allen Kämpfen ging er als
Sieger hervor. Namentlich waren es die Mainzer,
denen er zweimal entschiedene Niederlagen bereitete,
in Folge deren die Besiegten die in Hessen von ihnen
erworbenen Gerechtsame und Gebietstheile heraus-
geben mußten. Heinrich war außerdem ein guter
Wirthschafte und kluger Regent. Er erwarb u. A.
Spangenberg, Itter, Bilstein, die Hälfte von Schmal-
kalden. Hätte ihn nicht die Uneinigkeit mit seinen
Brüdern, welche die versprochenen Jahresgelder nicht
erhalten hatten, und die damals (von 1350—52^
arsgebrochene Pest in seinen wiiteren Unternehmungen
gelähmt oder gehindert, so hätte er noch Größeres
geleistet. Niemand wagte gegen ihn die Waffen zu
ergreifen und so gefürchtet war er, daß die Chronisten
sagten: „Hüte drch vor dem Landgrafen zu Hessen,
willst du nicht werden gefressen."
Zum Kapitel der Selbsthilfe. Daß die
Selbsthilfe ehemals, im Gegensatze zu heute, doch unter
Umständen privilegirt war, bekunden folgende Erlasse
der hessischen Landgrafen.
In dem von Ludwig I. 1456 den Schustern und
Löwern ertheilten Zunstbriefe heißt es:
„Vortmehr, wer den gemeldeten Schuewardten ihre
Schue dieblich entrüge, dem möchten sie die Schue
wieder nehmen inwendig ihren Bänken und möchten
ihn schlagen mit Fäusten und mit Schuen unter
den Bänken, daß er kaum genesen mag."
Der von Landgraf Hermann (1376—1413) den
Bäckern zu Homburg in Hessen im Jahre 1398 ge-
gebene Zunftbrief besagt:
„Ob Ihn Ihr Brod eines vder mehr gestohlen
würde, das möchten sie wieder nehmen und schlagen
den mit Fäusten und raufen ihn mit seinen Haaren
und züchtigen ihn, und sollen uns oder niemand
davon geben oder schuldig seyn."
Ein Gleiches steht in dem Metzger-Zunftbrief zu
Homberg von demselben Landgraf im folgenden Jahr-
hundert ertheilt.
In dem Zierenberger Bäcker-Zunftbrief heißt es:
„Entwendete auch einer aus Vermessenheit einem
Bäcker sein Brod oder Wecke in diebischer Weise,
demselben mögen sie es wieder nehmen und dem
Thädter eine gute Haarsusche oder Backenstreich
zum Tranckgeld geben, sw*«*.
12
Uekvo^og.
Heute schon, in der ersten Nummer unseres Blattes,
müssen wir eines Hingeschiedenen gedenken, der dem
„Hessenland" seine warme Theilnahme gewidmet hatte,
des am 21. October verstorbenen Lehrers Wilhelm
Wolf in Kassel. Geboren in Balhorn (Kreis Wolfi
Hagen), im Jahre 1856 wandte er sich dem Lehrer-
berufe zu, in welchem er seine volle Befriedigung fand.
Wenn er aber in der treuen und begeisterten Er-
füllung seiner Pflichten seine Lebensaufgabe erblickte,
so suchte er anderseits Erholung in der beständigen
Fortbildung seiner geistigen Anlagen. Schon frühe
warf die Poesie ein verklärendes Licht auf sein Da-
sein und vor einem Jahre veröffentlichte er ein Bänd-
chen „Gedichte", das trotz mancher ungereifter Ver-
suche von poetischer Begabung zeugte. Und bei dem eif-
rigen Drang, vorwärts zu kommen, der Wolf be-
seelte, ist nicht zu bezweifeln, daß sein poetisches
Streben noch schönere Drückte gezeitigt haben würde.
Das „Hessenland" zählt ihn mit zu seinen ersten
Freunden; er wohnte den Besprechungen, die zu der
Gründung des Blattes führten, bei und wandte ihm
seine volle Theilnahme zu. In unseren Händen be-
findet sich eine Anzahl seiner letzten Gedichte, die er
uns zur Verwendung übersandte; wir werden einige
derselben gelegentlich mittheilen. — Wolf starb nach
nur dreitägigem Krankenlager am Scharlach und
hinterläßt eine Ehefrau und zwei unmündige Kinder.
Er war ein treuer Vater und Gatte, ein guter Ka-
merad! R. i. p! 's.
Hessische Mcherschau.
Eine sehr bemerkenswerthes literarhistorisches Werk
ist „Schillers Jungfrau von Orleans, neu
erklärt von vr. G. F. Eysell, k. Gymnassaldirektor
a. D., Hannover. Verlag von Carl Meyer (Gustav
Prior 1886." Es dürfte wohl kaum — schreibt der
fachkundige Kritiker der „Fuld. Ztg." — eine dra-
matische Dichtung in der deutschen Literatur geben,
welche sich zur Lektüre an höheren Lehranstalten in
so hohem Grade eignet, als Schillers Jungfrau von
Orleans. Bezüglich der Auffassung und Erklärung
sowohl im Ganzen wie im Einzelnen sind bekanntlich
von der Kritik mancherlei Fragen aufgeworfen, Be-
denken erhoben und wirkliche oder vermeintliche Schwie-
rigkeiten aufgefunden; aber der Verfasser weiß sie
alle in befriedigendster Weise gründlich zu beant-
worten und zu lösen. Wir begrüßen seine Arbeit
als die reife Frucht liebevollster Hingabe an den
Dichter, gründlichen Nachdenkens und fleißigen
Studiums, und sind überzeugt, daß das warm und
sorgfältig geschriebene Werk in betheiligten Kreisen
wohlverdiente Anerkennung finden wird. — Wir fügen
hinzu, daß der Verfasser, einst Gymnasialdirektor in
tersdeld, dem Studium der Jeanne dÄre ei» ganzes
cken gewidmet hat. K.
Johann Lewalter veröffentlichtiu dem Verlag
von Paul Voigt, Kassel und Leipzig, wie-
der mehrere Tonschöpfungen, welche wir unserem Leser-
kreis empfehlen. In erster Linie wollen wir eines
Gegenstückes zu den vor einiger Zeit erschienenen
Klavierstücken „Aus Wintertagen" Erwähnung
thun. Die neue Komposition, welche den Titel „Aus
Sommer tagen" führt, bringt eine Reihe die
Sommerzeit in gedankenreicher Weise schildernder, den
kindlichen Sinn belebender Melodien. Die einzelnen
Stücke betiteln sich: „Mairegen", „Unter der Dorf-
Linde", „Leiermann", „Glühwürmchen am Johannis-
tage", „Vöglein im Walde" u. s. w. — Die neuen
Lieder „Böglein im liefen Wald" (op. 10 für Sopran,
„O, lieb so lang du lieben kannst" (op. 13 Nr. 1
für Sopran und Alt und „So laß mich sitzen ohne
Ende" für Sopran oder Tenor, lassen erkennen, daß
der Komponist sich voll und ganz in den Text der
Dichtungen versenkt hat. „Vöglein im tiefen Walde"
von Oskar von Redwitz spricht nicht nur in seinem
musikalischen Gewände sehr zu Herzen, sondern ist
auch, was Begleitung und Stimmlage anlangt, für
jede Sopranstimme ein leicht zu singendes Lied. Die
letzten beiden Lieder, Gedichte von Freiligrath, zeich-
nen «q, ebenfalls durch gefühlvolle Melodien und
klare Harmonisirung aus. Wir sind der Ueberzeugung,
daß sich die genannten Gesangs-Kompositionen schnell
einen großen Keeis von Freunden erwerben und
sich wohl bald Eingang in den Konzertsaal verschaffen
werden. — Außerdem wollen wir noch erwähnen,
daß in demselben Verlage . ein Tonstück Lewalters:
Präludium und Fuge (dreistimmig für Klavier, op. 8)
erschienen ist, welches den durchgebildeten Musiker in
hervorragender Weise erkennen läßt H.
Krlkstllstk«.
A. Kassel. Wie aus unserer Abonnements-
Einladung zu ersehen, erscheint das „Heffenland" in
der Stärke von lll2 Bogen. Wir mußten eine Probe-
Nummer von 2 Bogen ausgeben, weil in dieser eine
Theilung der Aufsätze nicht thunlich war.
Herrn 8. H. Kassel. Besten Dank für Ihre
freundliche Zusendung.
N. in B. bei Marburg. Gern nehmen wir
mundartliche Beiträge entgegen, da die Pflege der
Dialektdichtung nicht znnr letzten in den Kreis unserer
Bestrebungen gezogen ist.
8. 8. in Marburg. Sehr erwünscht.
Dr. 8. iu F. Sehen baldgefälliger Mittheilung mit
Spannung entgegen. Gruß.
8. Sch. Wanfried. Wir haben Ihr Büchlein
mit Interesse gelesen nnd werden darauf zurückkommen.
Abonnent, Hanau. Wir sind Ihnen wie
allen Freunden selbstverständlich dankbar, wenn Sie
das „Hessenland" in Ihren Kreisen empfehlen wollen.
Einzelnummern stehen in der gewünschten Zahl zu
diesem Zwecke zur Verfügung.
K. Z. Eichen. Die gewünschten Probenummern
werden Sie erhalten habev. Ihren freundlichen Brief
werden wir in den nächsten Tagen beantworten. Für
den zugesandten Artikel besten Dank.
O. , Berlin. Ihr Wunsch wird schon in einet
der nächsten Nummern erfüllt werden.
Verantwortlicher Redakteur F. Zw enger. Druck und Verlag von F. Zw eng er in Kassel.
KaW.
M *♦
15. Januar 1887.
Kefseiltan-.
Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur.
Inhalt der Nr. 2 des „Hessenland": „Die Hessensage", Gedicht von M. F.; „Kasseler Zeitungen im vorigen Jahr-
hundert" (Schluß) von Rogge-Ludwig; „Philippine Engelhard, geb. Gatterer" von F. Z; „An Heinrich Koenig",
Gedicht von Franz Dingelstedt; „Antigone" (Schluß) von H. Keller-Jordan; „Lieder aus dem Exil" v n Karl Preser;
„Aus alter und neuer Zeit"; Bücherschau; Briefkasten.
Einladung pxm Abonnement.
Das „Aejsenlan-", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatliche
am 1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von lx/2 Kegen Quartformat.
Den Zweck unserer Zeitschrift, die Ziele, die sie verfolgt, haben wir bereits in dem von uns verbreiteten
„Aufrufe" eingehend dargethan. Unter Hinweis auf den Inhalt des letzteren wiederholen wir hier nur, daß es die
Hauptaufgabe unseres Blattes sein wird, den hessischen Sinn wachzuhalten, die Anhänglichkeit an die engere Heimath
zu kräftigen. Das „Heffrrüaild" soll allen geistigen Interessen Hessens gewidmet sein. Eine große Anzahl namhafter
hessischer Gelehrter und Schriftsteller hat unserer Zeitschrift freundliche Unterstützung und Mitwirkung zugesagt.
Der Abonnementspreis des „Heffenland" beträgt gleichmäßig für hier und auswärts vierteljährlich
1 Mark 50 Kfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Kfg. Auswärts kann unsere Zeitschrift durch direkte Bestellung
bei der Post, sowie unter Streifband oder durch den Buchhandel bezogen werden; hier in Kassel nimmt der
unterzeichnete Redakteur, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Bestellungen an. In der Post-
Zeitungs-Preisliste findet sich das „Hesienland* eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Die Redaktion: F. Vwenger.
»ch» Die HeNenfirge. -O-
er Hessenwald Hetzt kahl «ui» herbstgelichtet,
Im Zturme sank ihm seine grüne Pracht;
Den Gipset starr in's Wolkengran gerichtet.
So harrt er schweigend aus dir Mintrrnacht.
SM kin ich dnrch's verwelkte taub geschritten,
int Klöttermeer «manschte meinen Faß;
Dem Kebel trotzend ward der Pfad erstritten: —
„Zchlat wohl, mein Wald!" rief ich rum Scheidrgrnß.
And horch! kaum ist da» Abschiedswort verklungen,
Da knistert'» im Gebüsche, dicht am Teich,
And vor mir steht, vom Mantel grau umschlungen,
An ernste» Weib, da» Antlitz faltenreich.
„Was klagst du, armes Wese« stücht'grr Tage?"
S, sprach da» Weib. „erscheint der Wald dir kahl?
Ich bleibe ihm; ich bi« die Hessensage!
Doch nnvrrstaude« schweif' ich durch da» Thal.
Du trauerst am de» welke« ssanbes Kauschen,
Mich aber könnt ihr ruhig welken seh'n;
O durst' ich rede«, ha! Ihr solltet lauschen!
Wie manchen Helden ließ' ich aufersteh'».
Weh mir! im eig'nen Land bi« ich vergessen.
Erblinden sah ich meiner Perle« Zier;
Kein Weckruf bricht mir Kahn in meinem Hesse«,
And Niemand trögt begeistert mein Panier."
Da rief ich jauchzend: „Sei von Leid genese«!
Ob an» mit Krcht dein herber Tadel trisst, —
Wir wolle« fürder deine Worte lesen
And suche« deiner Hönde Runenschrift!"
Au frohes Keuchten klärt des Weibes Inge,
Sie reckt den Arm hin über'« Hrssenland,
Daß es de« Zauber ihres Segens trüge;
Sie sah mch freundlich an nnd str entschwand.
Wohlan! der Hessen Sage ist gewonnen;
Sie wist erschließe« ihren reichen Hort.
An frischer Säest entspringet ihre« Kronur«,
Im „Hrssenland" da wirkt ihr Zander fort.
M. K.
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Kasseler Zeituuzea im «otigr« Iahrhaadert.
Von
W. RoWL-Lndwiy.
lSchüiß).
ei dem Ausspielen von Gegenständen war eine
Einrichtung üblich, welche die Sache ge-
müthlicher machte, als es jetzt der Fall ist.
So wird u. A. angezeigt:
„Den 15. Im jus soll aüf der Ober-NeUstadt
bei Herrn Weinhändler Müller eine gantz neue
sehr schöne tabatiere, so inwendig verguldet, mit
einem schönen Portrait verspielt werden. Der
Einsatz ist 16 albus. Der Einsetzer giebt jedem
Spieler ein Viertel Maß guten Rheinwein, der
Gewinner aber giebt einen Thaler für Wecken
und Butterbretzeln." Ferner: „Es soll Mittwochen
den 22. Juli bei dem Caffetier Herrn Roeder am
Neuen Thore N. M. 4 Uhr ein sauberes schwarzes
aus dem Duisberger Wald gefangenes wildes,
nun mehr zahm gemachtes kleines Pferdchen
ausgespielt werden. Der Einsatz ist 7* Thlr.
Es soll dabei mit Casfee, Thve, Pfeifen und
Taback ohne jEntgeld aufgewartet werden." —
Bei den Personen, welche Diener suchen, oder sich
als solche anbieten, wird immer besonders her-
vorgehoben, daß der betreffende Diener Perüquen
und Haare wohl akkomodiren kann. Zu den
Stellen eines Kammerdieners oder Laquaien
melden sich Leute, die sich auch noch auf andere
Kenntnisse berufen. Johannes Hunoldt osferirt
seine Dienste als Laquai mit dem Bemerken,
daß er gut schreiben könne und sein Latein ver-
stehe. „Ein Student suchet bei einer Fürst-
oder Gräflichen Herrschaft Kammerdiener, Laquai
oder Schreiber zu werden." „Ein sluäiosus
theologiae suchet Condition zu Jnformiren oder
als Kammerdiener, welcher in Humamoribus,
Arithmeticis und Musicis exereiret."
Von dem damaligen Zustande der Wege giebt
uns die Mittheilung folgenden Unglücksfalls
einige Andeutung:
„Am 26. Delember (1731) ist eine sehr
hagere, schwächliche, unbekannte Weibspersön,
mit lauter elenden Lumpen bedecket, nahe bei
dein Dorfe Maden in einem sehr bösen Wege
todtgefunden worden, wobei man deutlich wahr-
nehmen können, daß sie sich eine ziemliche Zeit
lang in dem kothigen Wege muße gewehrt
haben."
Ueber die Preise der Lebensmittel in Kassel
vor 150 Jahren geben die wöchentlich ver-
öffentlichten Brot-, Fleisch- und Wildprcttaxen
amtliche Auskunft. Danach bekam man durch-
schnittlich für vier Heller 15 bis 17 Loth Wecke,
für 1 albus 2 Pfd. 10 Loth Brot. Das Pfund
Fettochsenfleisch kostete 20 Heller, Stierenfleisch
16 Heller, Kalbfleisch 12, Schweinefleisch 19,
Hammelfleisch 12 bis 16 Heller. Ein Auerhahn
kostete nach der Wildpretstaxe 1 Thlr., ein
Phasan 21 albus 4 Heller, eine Schnepfe 2 albus
8 Heller, ein Dutzend Lerchen 4 albus, ein
Hase 10 albus 8 Heller, ein Reh 1 Thlr.
10 albus 8 Heller, ein Frischling 1 THU-, bis
1 Thlr. 8 albus. Im Einzelnen kostete das
Pfund Roth- oder Damwild 1 albus.
Kartoffeln erschienen als große Seltenheit nur
bei festlichen Gastereien.
Aus einer Anzeige der Madame Mary geht
hervor, daß der Unterricht damals noch sehr-
billig war. Dieselbe macht jedermann zu wissen,
daß sie künftigen Montag eine Schule will an-
fangen , worin sie die Kinder perfect lesen,
schreiben und französisch sprechen, auch die
Psalmen-Melodie nebst etlichen Sorten Arbeiten
lernen will- Wöchentlich giebt jedes Kind 2 albus,
In Beziehung auf die Kunst findet sich in
den ersten Jahrgängen der Zeitung nur eine
das Theater betreffende Anzeige vom 3. Sep-
tember 1731 folgenden Inhalts:
„Es werden die Sächsischen Comoedianten
heute N. M. praecise um 4 Uhr auf dem Neuen
Bau (Stadtbau) den Anfang machen, und können
sich Liebhaber da eiufiuden."
Von den Leistungen dieser Künstler ist nichts
bekannt, ebensowenig von dem Auftreten anderer
Schauspielergesellschaften während der Regierungs-
zeit Friedrich I., wenn auch wohl anzunehmen
ist, daß in dieser Zeit Wandertruppen eines
Förster, Ludovici u. A. in Bretterbuden in
Kassel Vorstellungen gegeben haben. Ein Schau-
spielhaus war noch nicht vorhanden. Es war
nach der glänzenden italienischen Oper unter
Landgraf Karl und vor dem Glanze des theätre
franyais eine sehr trübe Zeit für das Theater.
Unter dem Articul „Neue Sachen" enthält
die Zeitung nur die Beschreibung der Festlichkeiten,
namentlich der Illuminationen, welche die Städte
Kassel, Hofgeismar, Rinteln, Marburg- ver-
anstaltet hatten, als der neue Landesherr,
Friedrich I., im Jahre 1731 zum ersten Male
als solcher in seinem Stammlande eingetroffen
war.
Im folgenden Jahre wird wieder nur eine
Ausnahme gemacht mit:
„Kurtze Beschreibung des Ein- und Aus-
zugs der Salzburgischen Emigranten."
Der Articul beginnt:
„Demnach der Verleger wahrgenommen, daß
bishero die Ausländische Nachrichten dein Publieo
nicht mißfallen, wie die um die Lehre des
Evangelii vertriebene Salzburger hin und wieder
unter denen Protestanten aufgenommen worden;
als hat er nicht ermangeln wollen, dem geneigten
Leser durch einen Anhang eine zuverlässige Notiz
von allem demjenigen, so allhier bei dieser Leute
Ein- und Auszug passiret ist, zu comnranieiren."
Es heißt dann weiter: „Kaum liess die sichere
Nachricht ein, daß »hnfern Cassel den 16. hujus
l (Mai) Vormittags 238 Emigranten an Männer,
i Weiber und Kinder angekommen seien, gingen
j die Gemeinde-Bürgermeister ihnen bis an die
> Stadt-Grentze entgegen, empfingen dieselbe in
j Christlicher Liebe und führten sie Paar-Weiße
j durch die Stadt auf den Neuen Bau, in welcher
! Prozession sie allerhand gottseelige Lieder an-
; stimmten, um dem Allerhöchsten für die ihnen
j aufs ihrer Reyse bishero erzeigte vhnverdiente
Gnade hertzinniglich zu danken. - Inzwischen
. hatte Bürgermeister und Raht die löbliche Ver-
j anstaltung gemacht, daß die um der Evangelischen
' Religion halber vertriebene Gäste durch Gilden,
! Zünffte und Gemeine Bürgerschaft daselbst zu
. Mittag mit allerhand convenablen Speysen und
Tranck versorgt wurden, wozu eine milde Hand
den nöthigen Wein verehrte." Nach der weiteren
, Erzählung wurden dann die nach dem Worte
Gottes seufzenden Christen in voriger Ordnung
auf die Rennbahn geführt, wo der lutherische
Prediger Magister Schlosser bei einer volkreichen
Versammlung hohen und niederen Standes über
; Lucas XI, v. 38 „Fürchte dich nicht du kleine
' Heerde, dann cs ist eures Vaters Wohlgefallen,
euch das Reich zu geben" eine erbauliche Predigt
hielt. Die Emigranten marschirten dann ans
den Neuen Bau zurück, wo sie abermals mit
Speise und Trank, auch dem Nachtlager ver-
sehen wurden.
Es wurden dann ansehnliche Liebesgaben an
Geld, Linnen, Geräthe und anderen nöthigen
Sachen rühmlicher Weise unter diese bedrängten
Christen ausgetheilt. „Selbst die hiesige Juden-
schaft wurde zum Mitleyden bewegt und steuerte
reichlich an diese arme Exulanten, sich hierbey
erinnernd des ehemaligen Auszugs der Kinder
Israels aus Egypten."
Einige führten Bibeln, andere Joh. Arndt's
u. dgl. geistliche Schriften bei sich und schon
Erwachsene hatten ABC-Bücher und schämten
sich nicht, selbst in ihrem Alter das Lesen zu
lernen, zu täglicher Förderung ihrer Erkenntniß
in Göttlichen Geheimnissen. Gegen ihre harte
Verfolger hörte man nicht das geringste Schmäh-
wort ausgießen, fonbcrn sie gaben eine innerliche
Vergnügung und Zufriedenheit an den Tag,
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daß sie nunmehro völlige Gewissens-Freiheit er-
halten, wogegen sie den Verlust ihrer Verwandten,
Freunde und zeitlicher Habseligkeiten nichts achteten.
Nachdem nun diese Emigranten ein ansehnlich
viaticum von der gnädigsten Herrschaft erhalten,
(nach Piderit, Geschichte von Cassel, l000 Thaler)
brachen sie den 17. liujus nach eingenommenem
Frühstück auf nach dem Hannöverschen, wohin
ihnen für Bagage, Kranke und Kinder Dienst-
wagen geliefert wurden.
Im Auszuge begleiteten sie die Bürgermeister
und Magister Schlosser bis zum Siechenhof.
Hier wurden ihnen die Liebesgaben ausgetheilt,
worüber sie dergestalt gerührt wurden, daß sie
nicht wußten, wie ihnen geschah; sie sagte», es
ginge ihnen sehr nahe, daß sie so viel Gutes
von uns empfingen, sie wollten für uns beten.
Nachdem Magister Schlosser noch eine Anrede
an sie gehalten über „Sey getreu bis in den
Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens
geben" setzten sie den Weeg nach Münden fort.
Am 5.' Juni 1733 sind durch das Neue Thor
wieder 860 Emigranten mit dem Komissarius
de Haas hier durchgekommen. —
Diese Policey- und Commercienzeituug, welche
in dem von 1821 bis 1866 erscheinenden
Wochenblatt ihre Fortsetzung fand, ist bis zum
Jahre 1769 die einzige in Kassel erscheinende
Zeitung geblieben. In diesem Jahre wurde
hier die erste Zeitung politischen Inhalts „die
Fürstlich Hessen - Casselsche Staats- und Ge-
lehrten-Zeitung", in den ersten 3 Jahren unter
dem Namen „Hessen-Casselsche Zeitung", mit
Unterstützung des Staats - Ministers Freihern
Waitz von Eschen von dem Professor Joh.
Rudolph Anton Piderit herausgegeben. Bon
1792 bis 1806 führte sie den Namen Hessische
Zeitung. Die letzte Nummer erschien am
28. Oktober 1806 und brachte die Anzeige des
Gouverneurs von Berlin vom 8. Oktober: „Der
König hat eine Bataille verloren. Die erste
Bürgerpflicht ist Ruhe. Ich fordere hierzu alle
Einwohner Berlins auf. Der König und seine
Brüder leben." Von 1813 bis 1866 erschien
die Zeitung als „Casselsche Allgemeine Zeitung".
Gedruckt wurde sie während der ganzen Dauer
j ihres Bestehens mit geringer Unterbrechung in
, der „Hampe'schen Druckerei.
Das Bedürfniß nach politischen Neuigkeiten
war im vorigen Jahrhundert noch nicht groß,
' da die Zeitung wöchentlich nnr viermal aus
j einem halben, zuweilen sogar nur auf einem
j Viertelbogen erschien. Es war dies selbst in
! den neunziger Jahren der Fall, zu einer
Zeit, in der es an wichtigen Nachrichten
j gewiß nicht fehlte. Die Mittheilungen aus
anderen Orten gelangten allerdings oft erst zur
Kenntniß des Publikums, als die Sachlage sich
schon wieder vollständig verändert hatte. Im
Jahre 1771 theilt die Zeitung eine wichtige
Nachricht aus Konstantinopel vom 17. April
am 6. Juni, und eine solche aus Cairo vom
13. März am 31. Mai mit. Nachrichten aus
Berlin erschienen nach 8 Tagen, aus Venedig
nach 3 Wochen, ans Petersburg nach 4, aus
Lissabon nach 5 Wochen, aus Paris nach 10
bis 14 Tagen. Von der am 21. Januar 1793
erfolgten Hinrichtung Ludwig XVI. erhielten die
Leser der Zeitung die erste Kunde am 2. Februar.
Die Nachrichten von der Theilnahme der
Hessischen Truppen an dem Feldzuge in der
Champagne beschränkten sich auf die von deren
Ankunft auf französischem Boden und deren
Wiedereintreffen in Koblenz, sowie auf die Abreise
des Landgrafen zu seinen Truppen und dessen
Wiederankunft in Kassel. Nachdem die Zeitung
am 19. Oktober letztere gemeldet, brachte sie
beinahe 14 Tage später die Nachricht, daß er
die Armee verlassen habe. Die Mittheilungen
aus Hessen beschränkten sich überhaupt durch-
gängig auf Ankunft und Abreise fürstlicher Personen.
Bon Interesse dürfte wohl eine Mittheilung
sein über die Verhältnisse des Bades Hofgeismar
nnter Landgraf Friedrich II. In der Nummer
vom 10. und 11. Juni 1771 wird nämlich
geschrieben:
„Se. Hochfürstliche Durchlaucht, Landgraf
Friedrich wird sich am 8. Juli nach Hofgeismar
begeben. Dem Verlaut nach werden sich in
diesem Jahre bei demselben viele fremde Kurgäste
einfinden, welche sich an diesem Orte auf einen
vorzüglich vergnüglichen Aufenthalt sichere
s
Rechnung machen können. Seine Hochfürstliche
Durchlaucht werden nicht unterlassen, den sich
daselbst aufhaltenden Kurgästen alle nur möglichen
Arten von Vergnügen und Belustigungen zu
zu verschaffen; wie dann zu diesem Ende die
französische Truppe bereits befehligt worden ist,
Höchstdenselben zu dieser Zeit nach Hofgeismar
zu folgen. Außer denen sonst daselbst gewöhnlichen
und vorzüglichen Recreationen werden die Fremden
durch aufzuführende Schauspiele, von der Fürst-
lichen Kapelle gegebene Concerts und mehr andere
Belustigungen, solche zu ihrer Erholung diensame
Arten sich zu vergnügen finden, die sie anderwärts
vergeblich suchen dürften. Diejenigen, denen es
hierum weniger, als um ihre Gesundheit zu
thun sein möchte, finden hier ebenwohl alles,
was sie in solcher Absicht nur wünschen mögen.
Wir berufen uns in diesem Stücke auf das
Schreiben eines auswärtigen fränkischen Arztes,
welcher ebenso berühmt, als in seinem Urtheil
über die Brunnen und Bäder in Deutschland zu
unseren Zeiten für klassisch gehalten wird. Dieser
rechtfertigt durch seine Erfahrung, Geschick- und
llnparteilichkeit völlig unser Angeben."
Dieser Arzt schreibt:
„Ich habe schon vorhin sehr beträchtliche Er-
fahrungen von den herrlichen Wirkungen des
Bades zu Hofgeismar gehabt, bin daher nach-
gehends durch die mit demselben angestellte sehr
genaue Untersuchung überführt worden, daß
Hessen an diesem Bade einen wahren Schatz
besitzt, welcher gewiß mit allen andern um den
- - —h|
Wj-pi«e Engelhard, geb. Katterer.
Magdalene Philippine Gatterer erblickte am
21. Oktober 1756 zu Nürnberg das Acht der Welt.
Sie war die dritte Tochter des berühmten Historikers
Johann Christoph Gatterer, damaligen Lehrers am
Gymnasium zu Nürnberg und Professors der Reichs-
historie und der Diplomatik an dem dortigen Audi-
torium Aegidianum, einer Arr Lyceum. Ihr Vater
Gatterer war der Sohn eines Dragonerunteroffiziers,
welcher in der kleinen Festung Lichten«» bei Nürn-
berg in Garnison stand. Der Wiffenstrieb des jungen,
Vorzug streitet. Es würde zu weitläufig fallen,
wenn ich in einem Schreiben alle die Beschwer-
lichkeiten und Krankheiten mit Namen anführen
wollte, wider welche dasselbe ein sicheres Mittel
an die Hand giebt. Soviel kann ich aber über-
hccpt versichern, daß kein andres Bad,
welches mir bekannt ist, ein mehreres
als dieses und in manchen! Zufall
dieses ein mehreres, als j e n e s l e i st e n
wird. Durch Landesvätcrliche Vorsorge ist
dieser Schatz Hessens nicht nur erhalten, sondern
auch dergestalt verschönert und ausgezieret worden,
daß er bereits jetzt alle andern Orte
wo man dergleichen Hülfsmittel sucht,
weit hinter sich läßt."
Wie besucht damals das Bad Hofgeismar
war, ergiebt die Kurliste vom 22. August 1771,
nach welcher bis dahin 438 Kurgäste sich dort
eingefunden hatten. —
Eine bedeutende Aenderung in dem Kasseler
Zeitungswesen riefen in diesem Jahrhundert zu-
nächst die Ereignisse in den Jahren 1806, 1830,
1848 und 1866 hervor. Eine größere Anzahl
Zeitungen entstand und verschwand wieder mit
Aenderung der politischen Zeituinstände. In der
gegenwärtigen Zeit, wo jede politische Partei ein
Organ zur Vertretung ihrer Parieiinteressen für
nöthig hält, ist dem deshalbigen Bedürfniß mehr
als Genüge geschehen. Der gewaltige Fortschritt
der Neuzeit hat auch hier, wie in so vielen
andern Dingen, der früheren Anspruchs- und
Bedürfnißlosigkeit ein Ende gemacht.
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am 13. Juli 1727 geborenen Johann Christoph
Gatterer wollte dem in dürftigen Verhältnissen leben-
den und von den Wissenschaften geringschätzig denken-
den Vater nicht behagen; er hatte fernen Sohn für
ein Handwerk bestimmt und suchte der Lernbegierde
des eifrigen talentvollen Knaben auf jegliche Weise
Einhalt zu thun. Hinter dem Rücken fernes Vaters
trieb jedoch der junge Gatterer seine Studien weiter,
er zog sich zu diesem Zwecke auf den Boden zurück,
hob aus dem Dache Ziegel aus, um sich das nöthige
Licht zu verschaffen, und als er die Stadtschule in
Nürnberg besuchte, übernahm er das Einheizen der
Klaffenzimmer, um Gelegenheit zu haben, jeden
Morgen einige Stunden vor dem Unterrichte «nge-
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stört bei Licht und Wärme studiren zu können. End-
lich gelang es den vereinten Bemühungen der Mutter
und der Lehrer, welche letzteren die eminenten Fort-
schritte des jungen Gatterer nicht genug loben konnten,
den Vater zu bewegen, daß er der Wahl seines
Sohnes, sich der Gelehrsamkeit zu widmen, zustimmte.
Der junge Gatterer bezog die Universität Altdorf,
habilitirte sich dort nach absolvirtem Studium, als
Privatdozent und wurde 1752 als Lehrer desGymnasiums
zn Nürnberg angestellt. 1759 erhielt er durch den
hannoverschen Minister von Münchhausen den ehren-
vollen Ruf, an des verstorbenen Professors Köhler-
Stelle, in Göttingen den Lehrstuhl für Geschichte
und die verwandten Disciplinen zu übernehmen.
Gatterer leistete diesem Rufe Folge und zählte bald
zu den hervorragendsten akademischen Lehrern der
Georgia Augusta.
Kaum drei Jahre alt war Philippine, als ihr
Vater von Nürnberg nach Göttingen übersiedelte. Nach
ihren Kinderjahren wurde sie von dein Vater wissen-
schaftlich und von der Mutter, Helene Barbara, geb.
Schubert aus Nürnberg, zu strenger Häuslichkeit
erzogen. Das außerordentlich glückliche Gedächtniß
ihrer Eltern, der lebhafte Verstand des Vaters, der
Witz und die frohe Laune der Mutter waren ihr
Erbtheil und wachten es ihr leicht, ihre poetischen
Empfindungen in Verse zu kleiden. Niemand aber
machte sie zürn Vertrauten ihrer dichterischen Ver-
suche, selbst ihre ältere Schwester nicht, mit der sie
Zimmer und Lager theilte. Ein Zufall verrieth es
endlich, und es nahm der Herausgeber des Göttinger-
Musenalmanachs , Heinrich Christian Boje einige
ihrer Gedichte unter dem Namen „Rosalia" auf, wie
sie uns selbst in dem, in der ersten Nummer unserer
Zeitschrift mitgetheilten anmuthenden Gedichte, „Wie
ich zur Dichtkunst kam", erzählt. Der Hang, uur
verstohlen zu schreiben, begleitete sie dnrch's Leben,
und nie hat ihre Umgebung sie eigentliche Aufsätze
verfertigen gesehen. Zwischen jeder Art von Ge-
schäften, — so schreibt ihr Biograph A. von
Schindelin seinem Buche „die deutschenSchriftstellerinnen
des neunzehnten Jahrhunderts" — und als sie nachher
ihre Kinder am Busen nährte, sie trug und pflegte,
uud in der Nacht vorzüglick, arbeitete sie selbst weit-
läufige Gedichte ans und schrieb sie endlich, sobald
ihr ein wenig Einsamkeit gegönnt war, nieder. Der
Lärm kleiner spielender Kinder störte sie nicht, nur
die Gegenwart Erwachsener beängstigte sie.
Ueber die Aufgabe, welche sich Philippine Gatterer
als Dichterin gestellt, gibt dieselbe in dem Gedichte
„Mein poetischer Lebenslauf" Auskunft. Ist dieses
Poem aus ihrer Jugend auch nichts weniger als
formvollendet, so ist es doch immerhin charakteristisch.
Wir lassen daher nachstehend einige Verse desselben
folgen:
In Kinderjahren schon fühlt' ich Beruf zum Dichten
Und hohe Gluth in meiner Brust:
.Kein Spiel, kein Puppentand konnt' ihn in mir pernickten,
Den Trieb zu edler, bess'rer Lust \
Las ich dann Dichter — Wie, dacht' ich, in lauter Reimen ?
Und doch bemerkt man keinen Zwang! —
Und schon versucht' ich's selbst, am besten ging's in
Träumen;
Denn wachend — dacht' ich nur Gesang.
Kaum wuchs ich auf und sah in mannigfachen Bildern
Die immer wechselnde Natur,
So seufzt' ich: Könnt' ich sie, wie meine Dichter schildern!
Doch noch blieb es beim Wunsche nur.
Schon wagt' ichs! — Unschuldsvoll sang ich geheime Lieder
Dem silbertöncnden Klavier;
Sang edler Freundschaft Glück, und, kam der Frühling
wieder,
Der Blumen sanft erneute Zier.
Jetzt ganz erwachsen — zwar mit wenig Reiz beglückte
Das Schicksal mich und mein Gesicht;
Unschuld'ges Lächeln war's, das Wang uud Lippen
schmückte,
Und zu gefallen sucht' ich nicht.
Doch fand ich, daß allein nicht Schöne nur gefallen,
Sah Männerherzen mir sich weih'n,
Ich hörte um mich her der Liebe Töne schallen,
Da stimmte sich die Leyer drein.
Nur werd' in süßes Gift ich nie den Pinsel tauchen,
Nie frischen Reiz der Wollust leih'n,
Nie heimlich glühend Feuer in junge Seelen hauchen:
Mein Lied sei, wie mein Leben, rein.
Der Edlen Beifall nur such' ich mir zu erwerben,
In denen Geist und Tugend wohnt;
Und wär's der Lieder Loos mit mir zugleich zu sterben,
Bin ich durch ihn genug belohnt. —
Im Sommer 1779 reiste Philippine Gatterer nach
Kassel, um sich von dem berühmten Künstler Johann
Heinrich Tischbein malen zn lassen. Es sollte nem-
lich dem Göttinger Musenalmanach das Brustbild
der Dichterin als Schmuck beigegeben werden, so be-
scheiden auch Philippine selbst von ihrer Person dachte.
Das Bild war sehr ähnlich, sie dankte dafür dem
Künstler in einem sinnigen Gedichte. Anders ver-
hielt es sich mit dem Kupferstiche; dieser, von der
Hand eines Anfängers angefertigt, fiel grob, alt und
verzerrt aus. Die Eltern der Dichterin wollten ihn
unterdrückt wissen, doch das wollte die gutmüthige
Philippine dem Kupferstecher nicht zu Leide thun,
und lachend ließ sie das Bild in die Welt gehen.
Bei Tischbein lernte sie den drei Jahre älteren Kriegs-
sekretär Philipp Engelhard kennen, beide fühlten sich
von inniger Zuneigung zu einander beseelt, der
Philipp hatte seine Philippine gefunden und bald
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wurden sie ein Brautpaar." Am 24. September 1780 ?
fand die Verlobung statt, welche die Braut durch ein Ge-
dicht feierte, und am 23. November wurde die Trauung
in der Kirche zu Roßdorf bei Göttingeu vollzogen.
Wie glücklich die Ehe war. beweist Philippinens eigenes
Geständniß: „sie habe in derselben ganz das Ideal,
welches man ihr oft als übertrieben auszureden ge-
sucht, wo Freundschaft und Liebe, Hochachtung und
Vertraulichkeit sich vermengen, gefunden, sodaß sie
ihre. Ehe als das Vorzüglichste betrachte, was sie
ihrer Dichtkunst zu danken habe." Und ihr Gatte, eine
wegen seines Charakters, seiner Kenntnisse und seiner
Berufstreue in Kassel hochangesehene Persönlichkeit,
der Sohn jenes Regnerus Engelhard, der als Muster-
bild eines hessischen Beamten der damaligen Zeit an-
gesehen wird, äußerte sich in ganz ähnlicher Weise
über das Heil, das ihm seine Ehe gebracht. Phi-
lippine Engelhard wurde hier in Kassel bald eine der
Unsrigen; wiederholt hat sie sich in ihren Gedichten
dahin ausgesprochen, daß sie sich glücklich fühle durch
ihre Berheirathung eine Hessin geworden zu sein, und
daß sie ihre neue Heimath über alles liebe. Die
zweite Sammlung ihrer Gedichte, welche 1782 er-
schien, widmete sie dem Landgrafen Friedrich II. mit
folgendem schwungvollen Gedichte:
O daß an meiner Leser Spitze
Auch meines Fürsten Name glänzt!
Daß Friedrich, von dem Fürstensitze,
Die Dichterin mit Beifall kränzt!
Ihr wäret schüchtern, meine Lieder,
Faßt Muth! Ihr seid geehrt genug.
Werft euch zu seinen Füßen nieder;
Gesammelt in dies kleine Buch.
Ja Fürst! an Deines Hessens Grenzen
Wuchs ich zur Sängerin empor.
Nur singen wollt ich, niemals glänzen,
Doch hörte mich manch lauschend Ohr.
Anch hört's ein Mann aus Deinem Lande,
Der Dienst und Herz geweiht Dir hat,
Und zog mich, durch der Liebe Bande,
In diese stolze Fürsten-Stadt!
Dein Kassel — cs ist Deutschlands Ehre,
Durch Anmuth, Seltenhett und Pracht!
Du schätzest hoch der Musen Chöre
So kriegerisch Du stets gedacht.
Voll Hoffnung seh' ich es und schweige —
Und les' in Deinem Vaterblick,
Bor dem ich erfurchtsvoll mich neige,
Mein und der Meinen künft'ges Glück!
(Schluß folgt.)
Arr Keirrrirh Koenig.
Gedicht von Fr««? Dinzelßett.
Der bekannte Romanschriftsteller Heinrich Koenig, unser
hessischer Landsmann, war im Frühjahr 1840 als
sog. „Zobelfänger" von Hanau nach seiner Vaterstadt
Fulda versetzt worden. Dein bisher an der Finanz-
kammer beschäftigten Beamte» und Nichtjnristen war
die Stellung eines Secretärs am Fuldaer Obergericht
übertrage». In Fulda traf er mit Franz Dingelstedt,
welcher damals Lehrer am dortigen Gymnasium war,
zusammen. Trotz der Verschiedenheit des Charakters
und der Lebensauffassung herrschten doch zwischen beiden
die freundschaftlichsten Beziehungen, welche in einem
Gedichte von tiefer Empfindung wiederklangen, das
Franz Dingelstedt an Heinrich Koenig richtete, als
diesen der schmerzliche Verlust seines einzigen Söhnchens
betroffen hatte. Man hat oft Dingelstedt den Vorwurf
gemacht, daß ihm das Gefühlsleben fremd wäre, daß
ihm die edleren Regungen des Gemüthes abgingen.
Dieses Gedicht beweist das Gegentheil. Dasselbe findet
sich nicht in der bei Gebrüder Paetel in Berlin er-
schienenen Sammlung von Dingclstcdt's Dichtungen,
ist überhaupt nur sehr wenig bekannt geworden und da
empfiehlt es sich denn, daß es der Vergessenheit cnt-
riffen werde. Hier ist es:
. . . Xe forte ereclti*
lnteriturum! . . .
Gib Sie zurück, die früh geknickte Blüte,
Ach! in des Lebens Kranz die liebste dir,
Daß sie der Erde Mutterschooß behüte
Besser, als du's im Stande warst und wir!
Sie schien zu zart, drum ward sie abgeschüttelt,
Der Märzwind griff sie kalt und tödlich an;
Doch wenn er auch an dir, dem Stamme rüttelt,
Steh' fest, mein Freund, bewähre dich als Mann!
Ich fühle mit, glaub' mir, was du verloren.
Ob gleiches Leid mich nie betroffen hat:
Das letzte Kind, so Liebe dir geboren.
Den Erben deines Namens, deiner That;
Er war dein Trost in ungeliebten Räumen,
Ein Glied der Welt, die deine Kraft gebar,
Und Dämmerstunden ließen herrlich träumen
! Von seiner Zukunft, die auch deine war.
i Ja, schäme dich der seltnen Zähre nimmer,
Sie rinnt aus Quellen tief und übervoll.
Ein Vaterherz bricht sich in ihrem Schimmer,
Und die Natur heischt lindernd ihren Zoll.
Ja, wein' ihnsnach, wie aus des Himmels Schleiern
Ein leiser Thau wohlthätig niederfällt,
; Und beug' das Knie, das Hochamt mitzufeiern,
! Das Mond- und Lenznacht deinem Engel hält.
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Doch dann, sowie verhüllt in ihrem Bauer
Die Nachtigall nur mehr und holder singt,
So sorge, daß aus. deiner Frühlingstrauer
Sich siegreich auf die starke Seele schwingt.
Du bist Poet, ein Schöpfer unter Schmerzen,
Und hat der Tod dir eine Welt zerstört,
Ruf' eine neue auf in deinem Herzen,
Die dir und deiner Vaterlust gehört.
Der Dichter, weißt du, soll der Muschel gleichen,
Die, hart erkrankt, uns edle Perlen schenkt;
Und in die Stunden, just die thränenreichen,
Ist seiner besten Früchte Keim gesenkt;
Fulda, 30. März 1841.
j Dir aber wandelt sich des Grams Meduse
j Ja doppelt in ein mildes Leidensbild:
1 Ein treues Weib und eine treue Muse —
Welch' tröstend Paar, welch'zauberkräst'ger Schild!
So leg' denn auf das Särglein deines Knaben
I Aus deinem Lorbeer ein geweihtes Blatt,
Und haben sie ihn draußen erst begraben
1 Bei Fremden und in fremder Lagerstatt,
, Dann überziehe des Geliebten Bette
! Der Mai und deine Dichtung immergrün,
! Und aus des Kindes Staub laß um die Wette
. Der Muse schönste Kinder um uns blühn!
Frarr? Mrrgetstedl.
Autigorre.
Bon
Ä. Leller-Ior-an.
«Schluß).
crnhard blieb stehen und sah dem Freunde
nach, bis er an der nächsten Straße ver- !
schwand. Die Erzählung hatte ihn seltsam !
«bewegt. Hans Huber war eine Leuchte
der Wissenschaft geworden, ein berühmter Mann
— sonderbar und konnte Eva Bosse nicht ver-
gessen! . . . Hans Huber war indessen weiter
gegangen, den Regenschirm unter dem Arme. (
Die Sterne leuchteten hell über den Straßen '
und die kühle Luft trug auf ihren Schwingen
balsamische Düfte. Hier auf diesem selben Wege |
hatte er vor Jahren die Spuren der blassen !
Frau verfolgt, bis er sie gefunden.
Eva Bosse! Für ihn trug sie >lur diesen !
Namen! Ob er sie wohl noch einmal finden !
würde im Leben — oder ob das Elend sie ;
dennoch in seinen Abgrund gezogen .... Er ,
blieb unwillkürlich stehen und stöhnte laut. War ;
es nicht doch nur Ihretwegen, daß er diese ,
Stadt aufgesucht? Wie waren ihre Züge stolz
und erhaben — trotz des Grames — als sie |
ihm auf dem einzigen Tische, den sie besaß, die !
Banknoten zurückschob, die er sie flehte von ihm
anzunehmen— nachdem sie es abermals abgelehnt,
sein Weib zu werden. — — — — —
Und als sie dann die Thräne bemerkte, die
in seinem Auge zitterte — was sagte sie da?
„Laß mich Hans — ich habe mir das Glück
Deiner Liebe in eitlem Wahne verscherzt — ich
bin Deiner nicht werth-------------ich — ich
muß meine Menschenwürde wieder finden-----------
oder vergehen.
Und als er sich ihr dann nahen — ihre Knie
umklammern wollte — wie hatte sie sich da
stolz und gebietend von ihm abgewandt.
„Du warst der Einzige, der mich immer
verstanden hat, Hans — verstehe mich auch jetzt."
Weiter hatte sie kein Wort, aber ihre Lippen
waren bleich und bebten.
Ich ließ sie in der kahlen Stube, mit dem
siechen Kinde — allein mit dem Elende — dem
sie einst entfliehen wollte. — —
Hans Huber hatte sich einen Augenblick, als
bedürfe er des Haltes, an die Mauer des nächsteu
Hauses gelehnt. Ihm gegenüber hoben sich die
Umrisse der gothischen Kirche in edeln Linien
gegen den Sternenhimmel. Ein gekreuzigter
Heiland in der Nische schien beinahe lebendig
in der flackernden Beleuchtung der Laterne, deren
Licht über der Dornenkrone flimmerte.
Hatte sie Kraft, Arbeit und Friede gefunden —
Glück in unvergänglichen Dingen? Oder?
Es war ihm plötzlich, als habe er das müde
Dulderangesicht da in der Mauer schon einmal
— tz
gesehen — schon einmal in schwerer L-bens-
stunde . . .
Er riß die Augen weit auf und richtete sie
die Straße entlang bis wo sich die Däuser enger
und enger aneinander drängten und die Menschen
noch in so spä'er Stunde hastiger, von Arbeit
getrieben, aneinander vorüber eilten.
Die großen Schornsteine der Fabriken dort
erschienen ihm Gespenster, die seinen Schritten
folgten und seine Qual erhöhten. ,
Er zählte an den Fingern die Jahre ab, die !
ihr seitdem verstrichen waren — lange, einsame j
Menschenjahre — vielleicht in der engen Gasse
dort, über deren düstere Dächer kaum ein er-
wärmender Sonnenstrahl drang.
Was war aus ihr und dem elenden Kinde
geworden, das damals ihre Arme in verzweifelter
Liebe umklammert hielten?
Während er in bequemem Wohlleben im Reiche
der Geister geforscht und segensreiche Stunden
durchlebt — hatte sie vielleicht gedarbt?
Er beflügelte seine Schritte, es drängte ihn
vorwärts bis in die enge Straße hinein, in
welcher der schwarze Rauch der Schornsteine
seinen verpesteten Athem ergoß.
Er achtete nicht der Menschen, die an ihm
vorübergingen, er wußte jetzt, daß dort an der
Ecke, ganz am Ende, das Haus sein mußte, aus
.welchem er damals so schweren Herzens ge-
schritten war — —
Da, gerade da, wo jetzt die große, schlanke
Gestalt vor der verschlossenen Thüre stand, um
zu öffnen.
Er trat näher; sein Herz jagte wild in der
Brust.
Aus einem blassen, unvergessenen Gesicht sahen
zwei Augen starr in die seinen.
„Hans, Du?"
Er vermochte nichts zu sagen, das Wort starb
aus seinen Lippen. Seine Hand deutete nur auf
das Riesengebäude da, in dem in dumpfem
Brausen sich die Räder wälzten.
„Ja, dort, Hans", sagte Eva, die ihn ver-
stand, „dort".
„Und Dein Kind?"
„Todt!"
„Und dort hast Du gearbeitet, Eva, alle die
Jahre, und hast es ertragen?"
„Ich mußte wohl, es war mein Schicksal.
Abe. ich dachte dabei an Dich, Hans, daß Du
eines Tages kommen würdest und daß ich Dir
dann sagen könne, daß ich es jetzt wisse, wie
das Glück keine Gemeinschaft habe mit Glanz
und Reichthum, — wie es auch hier in der
Gasse liegen könne, — dort zwischen den Schorn-
steinen, wenn ei» schmaler Sonnenstrahl über
das Pflaster huscht und die Steine vergoldet —
in einer Erinnerung — einem Traume —
einer Thräne. — — — — — — —
„Eva, liebe Eva." —
Sie wich zurück, schüttelte den Kopf und sah
mit ihren tiefen Augen ernst und lange in sein
Gesicht.
War es nicht doch vielleicht nur eine verblaßte
Erinnerung — Mitleid, was ihn zu ihr getrieben?
Ihre Lippen zuckten und in ihren Augen
loderte ein seltsamer Glanz.
Almosen? Die konnte sie auch heute nicht
yehmen — heute noch weniger als damals.
Hans Huber sah in ihr edles, durchgeistigtes
Gesicht und wußte nicht, was in ihr vorging.
Wenn sie ihn noch einmal von sich stieß?
Er wandte sich ab.'
Eva bemerkte, wie sich seine Brust hob und
die Schultern bebten. Ein jäher Sonnenstrahl
zuckte dnrch ihr Herz, licht und golden, als könne
er allen erstickten Blüthen wieder Duft und
Leben geben — — „Das Bewußtsein seiner
Liebe."
Sie trat an ihn heran, legte ihre Hand sanft
— so wie es ihre Art in glücklicher Zeit ge-
wesen — auf seine Schulter und sagte weich,
mit einer Stimme, wie er sie niemals gehört:
„Hans".
„Eva!"
„Hans laß mich Dein Weib sein!"
Hans Huber hielt sie an seinem Herzen.
Ueber ihren Häuptern zuckte kein flimmerndes
Licht, wie über der Dornenkrone des Erlösers,
aber durch die feinen Wolken hatte sich jetzt der
Mond gedrängt und übergoß sie mit stillem
Glanze. —
Hans Huber blieb den nächsten Tag und auch
noch die folgenden. Dann übergab er seine
Braut dem Schutze Bernhard's und dessen Frau,
um sie sich bald für immer in sein Haus zu
holen.
— 10
Kieder aus dem G«i1.
Bon Krrvl Mvesev.
i.
Zwar hab' ich hier noch nichts, mein Weib,
Nach kalter Reise dich zu pflegen,
Nichts, — wo du deinen müden Lcib
Zur Ruhe könntest niederlegen.
Vier kahle Wände sonder Zier,
Ein Tisch, ein Stuhl und — stiller Frieden,
Ist Alles, was ich liebend hier
In fremdem Land vermag zu bieten.
Laß auf den Holzstuhl nieder dich
Und stütze auf den Tisch die Arme,
Und weil es kalt und winterlich:
Komm an mein Herz, an ihm erwärme!
Zwar schlummert sich's auf hartem Holz
Nicht wie daheim auf weichem Kissen,
Doch sei im Unglück groß und stolz.
Vergiß es gern, was mir vermissen.
Es sind ja noch die Kinder dein,
Für deren Ruh ich besser sorgte.
Sieh dort den umgelegten Schrein,
Den ich als Bett für sie erborgte.
So seid willkommen, Weib und Kind,
Auch im Exil lacht euch der Frieden.
Schreckt nicht vor Winters Sturm und Wind,
Mein Herz wird ew'gen Lenz euch bieten.
II.
Ich kenne ein Land, so reich und so schön,
Voll goldener Achren die Felder;
Dort grünen vom Thal bis zu sonnigen Höh'n
Viel dunkele, duftige Wälder,
Dort hab' ich als Kind an der Mutter Hand
In Blüthen und Blumen gesessen.
Grüß Gott dich, du Heimath, du herrliches Land,
Herz Deutschlands, mein blühendes Hessen!
Vom Main bis zur Weser, zur Werra und Lahn,
Ein Land voll duftender Matten,
Dort glänzen die Städte in lenzigem Plan,
Heimstätte tapferer Kalten.
Dort stand meine Wiege am Fuldastrand,
Dort habe die Welt ich vergessen,
Wenn an der Berge fernzcigendem Rand
Ich trunkenen Blickes gesessen.
Den Burgen und Schlössern mein sehnlicher Gruß
Den Höhen im Morgenstrahle,
Den Städten und Dörfern dicht vor meinem Fuß,
Den silbernen Flüssen im Thäte!
Grüß Gott, wo ich einst an der Mutter Hand
In Blüthen und Blumen gesessen,
Grüß Gott dich, du Heimath, du herrliches Land,
Herz Deutschlands, mein blühendes Hessen!
III.
Ich hab' um meiner Seele höchstes Weh
In keinem Lied dem Herzen Luft gemacht,
Doch ist es mir seitdem, als ob ich steh'
In einem Dom von Engeln überdacht.
Gedanken um Gedanken ranken sich
Wie goth'scher Zierrath himmelhoch empor,
i Wie Gottes Segen überströmt es mich.
Wie Harfenklang erklingts vom hohen Chor.
Da knie' ich dann allein im stolzen Ban
Und meine Seele fliegt dem Himmel zu,
! Wohin ich lausche und wohin ich schau:
! Winkt heil'ge Tröstung mir und stolze Ruh'.
Und diese Ruhe — sie ist ungetheilt
Mein Eigen wie mein unaussprechlich Weh;
O frage Niemand mich, wo ich geweilt,
! Wenn ernst und stumm von ihrem Grab ich geh'.
-------------
Aus alter und neuer Zeit.
An der Jahreswende beging seinen 70. Ge-
I bnrtstag ein berühmter Sohn unseres Hessen-
! landes, der Nestor der deutschen Physiologen,
* Professor Karl Friedrich Wilhelm Ludwig in Leipzig.
Unseres Landsmallr.es auch hier zu gedenken, erscheint
uns als Ehrenpflicht. Ludwig ist geboren den 29. De-
zember 1816 zu Witzenhansen. Er studirte Medizin
in Marburg und Erlangen. Als Student hat Ludwig
das seltene Büspiel gegeben, daß man als Corps-
bnrsche die Freuden des Studentenlebens vollständig
genießen und dabei sein Studium eifrig und erfolgreich
betreiben kann. Während er in seinen ersten Semestern
| hervorragendes Mitglied des angesehenen Corps Guest-
j phalia gewesen war, hatte er es sich noch gegen Ende
j seiner Studienzeit zur Aufgabe gestellt, den bei den
damals bestehenden Verbindungen etwas ausgearteten
! Ton durch Stiftung eines neuen Corps mit feinerer
1 Richtung zu heben. Durch Stiftung des jetzt noch
l blühenden Corps Hasso-Nassovia im Jahre 1839,
dessen Ehrenmitglied er ist, hat er seinen Zweck erreicht
und sich dadurch um das Marburger Studentenleben
sehr verdient gemacht. In seinem 26. Lebensjahre
hadilitirte er sich als Privatdozent an der heimath-
lichen Universität Marburg, die ihn 1846 zum Professor
der vergleichenden Anatomie beförderte. 1849 folgte er
! einem Rufe nach Zürich, wo er 4 Jahre thätig blieb.
1855 bestieg er den Lehrstuhl der Physiologie am
Josesinum in Wien, 10 Jahre später nahm er eine
Berufung an die Universität zu Leipzig an, wo er-
setzt noch wirkt. Ludwig ist wie Virchow, du Bois,
Traube, Brücke. I. Meyer, Lieberkühn ein Schüler
von Johannes Miller. Ein Hauptverdienst Ludwigs ist
das Heranziehen der Physik und Chemie in den Dienst
j der Physiologie, der Erforschung des Lebens und die
Znraiheziehnng des Experimentes. Wenn es über-
11
Haupt kein Gebiet giebt, auf welchem sich an Ludwigs
Namen nicht wichtige Entdeckungen und Forschungen
knüpfen, so ist sein Hauptschaffensfeld doch die Lehre
jwm Blute und dessen Kreislauf, auf welchem Ge-
biete seine Entdeckungen von fundamentaler Bedeutung
gewesen sind. Wir nennen seine Arbeiten über die
Druckschwankungen in dem Gefäßsystem, über die
Resorption und die Anfänge der Lymphgefäße, über
den Gasaustausch und die Bestimmung der Span-
nung der Blutgase rc. Die Wege und Mittel, hier
Neues zu ergründen, sind zumerst von L. erfunden
UNd erdacht, so die Quecksilberluftpumpe, das Ky- >
rNvgraphion, die Stromuhr u. A. Von seinen übrigen
Forschungen sind weiter als hervorragende zu nennen
die Theorie der Harnbildung in der Niere, die
Untersuchungen über die Speichelausscheidung (die
Entdeckung des direkten Nerveneinflusses auf die
Drüsenzellen der Sekretionsorgane). Sein Haupt-
werk ist das große zweibändige Lehrbuch der Physio-
logie; die zahlreichen anderen wissenschaftlichen Ver-
öffentlichungen finden sich in Fachzeitschriften zerstreut.
Als besonderes Verdienst rechnen wir es dem be-
rühmten Gelehrten an, daß er nicht verschmäht hat,
seine für jeden Gebildeten hochinteressante und für jeden
Menschen so überaus wichtige Wissenschaft auch den
Laien in mehreren Beitrügen in der „Gartenlaube"
u. a. Zeitschriften zugänglich zu machen. — Möge
betn greisen Gelehrten noch lange vergönnt sein, m
ungetrübter Kraft des Körpers und Geistes zu
wirken zum Segen der Wissenschaft. A.
Am 6. Januar 1887 feierte der weit über das
essenland hinaus bekannte, in Homberg lebende
rgel-Komponist Dr. Wilhelm Volckmar seine
goldene Hochzeit, nachdem er vor nicht langer Zeit
sein 50 jähriges Dienstjubiläum festlich begangen hatte.
Volckmar wurde am 26. December 1812 zu Hers-
feld geboren. Sein Vater, der in Rinteln Gymna-
siallehrer war, unterrichtete den begabten Knaben vom
achten Jahre an im Orge^- und Klavierspiel, sowie
im Kontrapunkt, sodaß Volckmar, nachdem er das
Gymnasium zu Rinteln mit Erfolg besucht hatte, be-
reits 1835 als Seminar-Musiklehrer in Homberg
angestellt werden konnte. Hier entstanden die meisten
seiner Tonschöpfungen. Trotz einer angestrengten
Thätigkeit studirte Volckmar mit großem Fleiße
immerwährend die Tonkunst, beschäftigte sich viel
mit Geschichte und Philosophie der Musik und drang
Dor Allem in die Tiefen der Kirchenmusik ein. Dieses
außerordentliche Streben sollte der Quell einer großen
Anzahl herrlicher Kompositionen werden, welche zum
Theil weit über Deutschland bekannt geworden sind.
Am beliebtesten sind wohl seine Choral-Bearbeit-
ungen, während sein bedeutendstes Werk, eine bei
Breitkopf & Härtel in Leipzig erschienene Orgel-
schule dafür Sorge trägt, daß Bolckmars Name
noch in späten Zeilen genannt werden wird. An
Auszeichnungen konnte es bei einem Künstler, wie
Volckmar, natürlich nicht fehlen; die Universität
Marburg übersandte ihm das Diplom als Ehren-
doctor der Philosophie, bedeutende Künstlergenossen-
chaften erwählten ihn zum Ehrenmitglied, auch be-
schenkten ihn der König von Württemberg, sowie der
Herzog Ernst zu Coburg mit -er goldenen Medaille
für Kunst und Wissenschaft. Möchte es dem greisen
Tonküuftler vergönnt sein, üvch lange in seinem
Homberg fröhliche Tage -erleben zu können. — I*.
Wie alljährlich seit dem Hinscheidet des letzten
Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Hessen, so wär
auch in diesem Jahre, ack Sterbetage, dem 6. Januar,
das Grabmal desselben auf dem alten Friedhofe hier in
Kassel reichlich mir Lörbeerkränzen und Bändern in
den hessischen Farben, roth und weiß, geschmückt. —
Todesfä lle. Am 3. Jaüüar starb in Kassel
in Folge eines Herzschlags der Oberlandesgerichts-
Präsident, Geheimer Oberjustizrath Ludwig Friedrich
Wilhelm Consbruch ivr Älter von 66 Jahren. In
H ünfeld verschied am 3. d. M., nach längeren Leiden
der Dechant und Stadtpfarrer Karl Engel, im 71.
Lebensjahre und im 48. Jahre seines priesterlichen
Wirkens. In Hanau starb än demselben Tage im
Alter von 89 Jahren Kanfrüann Louis Antön P e li s s i e r,
ein alter Achtundvierziger und Begründer der bekannten
Manufakturwaaren-Firma. In Fulda verschied am
6. Januar im 80. Lebensjahre der Oberst z. D. Karl
Emil von Apell, zuletzt Bataillons-Kommandeur im
3. kurhessischen Infanterieregiment. —
Am 14. Januar starb vor nunmehr 12 Jahren
einer der hervorragendsten Militärschriftsteller Kur-
hessens, der Hauptmann a. D. Karl Renouard.
Geboren am 2. Marz 1809 zu Kassel, Sohn eines
hessischen Offiziers, damals Premierlieutenants im
1. westfälischen Linienregiment, machtz der junge
Renouard seine Gymnasialstudien in Fulda, wohin
sein Vater 1821 versetzt worden war. Dort waren
der berühmte Pandektist Karl von Vangerow, der
Dichter des Studentenliedes „O alte Burschenherr-
lichkeit" Dr. Eugen Höfling, sowie der langjährige
kurhessische Landtagsabgeordnete Dr. Joseph Wein-
zirl seine Mitschüler. Im Jahre 1825 trat Karl
Renouard als Musketier in das dritte kurhessische
Infanterieregiment ein, wurde 1829 zum Sekonde-
lieutenant im 1. Infanterieregiment ernannt und
1837 in das 3. Infanterieregiment versetzt.
1840 erfolgte seine Beförderung znm Premier-
lieutenant und am 15. Juli 1849 wurde
Renouard zum Hauptmann im Generalstabe ernannt,
nachdem er vorher schon zur Dienstleistung als Lehrer
an die Kadettenschule kommandirt worden war. Als
verfassungstreuer Offizier kam er zur Zeit des Ber-
fassungskampfes im Jahre 1850 um seinen Abschied
ein, der ihm auch am 27. Februar 1851 gewährt wurde.
Er verwandte nun seine Muße zur schriftstellerischen
Arbeiten auf dem Gebiete der Militärwissenschaften,
die er bereits im Jahre 1848 begonnen hatte. Früchte
dieser Thätigkeit sind u. a. die trefflichen Schriften:
„Die Kurhessen in dem Feldzuge von 1814", „das
Norddeutsche Bundeskorps in dem Feldzuge von 1815",
„Geschichte des französischen Revolutionskrieges im
Jahre 1792" und das im Jahre 1864 in 3 Bänden
erschienene größere Werk „Geschichte des Krieges in
Hannover, Hessen und Westfalen von 1757 bis 1763",
12
welches allein schon genügt haben würde, den Ruf
Renouard's als ausgezeichneter Militäcschriftsteller
dauernd zu begründen. Z.
Eine Wahrnehmung, welche wir vor einigen Jahren
machten, mag als Beleg dafür dienen, wie zäh unser
hessisches Landvolk an den ihm von seinen Vorfahren
überkommenen Gebräuchen und Gewohnheiten festhält.
In der Gewarkung-des Dorfes Balhorn gewahrten
wir einen Landmann, welcher mit Abernten seines
Ackers beschäftigt war. Wir gaben ihm unser Ver-
wundern darüber zu erkennen, daß er die Frucht an
den Enden des Ackerlandes stehen gelassen hatte, so
daß ein schmaler Streifen des Ackers in dessen ganzer
Ausdehnung mit der reifen Frucht noch bestellt blieb.
Der Landmann entgegnete uns, dies Verfahren hätten
seine Eltern und Großeltern so beobachtet und er setze
es auch fort, denn das sei rathsam, damit das Land
auch das kommende Jahr eine reiche Ernte biete. S
Hermann der Gelehrte. Der Urenkel
Heinnch I. hatte eine von Unruhen und Kriegen fast
S ausgefüllte Regierungszeit, 1377—1413. Die
rrbündnisse der Sterner, später die Bengler oder
Schlegler, die Erzbischöfe von Mainz, Herzog Otto
der Böse von Braunschweig, Landgraf Balthasar
von Thüringen, mehrere Grafen und Herren, hatten
es auf die Vernichtung Hermanns abgesehen. Schon
sein Oheim, L. Heinrich II., der Eiserne, war so bedrängt
worden, daß er in seinen alten Tagen L. Hermann, der
ursprünglich zum Geistlichen bestimmt war, zum Mit-
regenten annahm. Da ereignete es sich, daß die Mehrheit
der adeligen Vasallen demLandesherrn feindselig gegen-
über stand. In dieser Bedrängniß berief Hermann
1372 die Abgeordneten der Städte Hessens nach
Marburg. Hier redete er auf dem Marktplatze die
Erschienenen an, stellte rhnen thränenden Auges die
hohe Gefahr vor und daß er mit einem Hellerbrode
alle seine treugebliebenen Ritter speisen möge. Wie
ein Mann erhoben sich da alle Abgeordneten, riefen
ihm Muth zu und verhießen, mit Leib und Gut zu
ihm zu stehen. Und die Hilfe der treuen Städte
stärkte die beiden Landgrafen, daß sie den Sieg er-
langten. Doch gab es auch unter den Rittern
Getreue, die zum Fürsten hielten. Solch einer war
Eckebrecht von Grifte, Befehlshaber der Burgen über
Gudensberg. Die Stadt war von dem Feinde ge-
nommen und erlitt schreckliche Drangsale, auch die
tiefer liegende Wenigenburg war erstürmt. Da suchte
8. Hermann's Gemahlin, Margarethe von Hohen-
zollern, weiterem Blutvergießen Einhalt zu thun und
forderte Eckebrecht auf, die Obernburg zu übergeben.
Doch dieser rief ihr von der Höhe der Burgmauer
zu: „Gnädige Frau, hebet Euch hinweg" u. s. w.
Treu und muthig stand die hochherzige Margarethe
ihrem Gemahl in seinen fast ununterbrochenen Kämpfen
zur Seite, bis endlich seine Herrschaft befestigt war.
Wie Hermann selbst der einzige männliche Sproß
des hessischen Hauses zu seiner Zeit war, so überlebte
ihn nur einer seiner 4 Söhne, Ludwig I., der
Friedfertige, sodaß also das Bestehen des Fürsten-
geschlechtes wiederholt gefährdet war. Kt.
Hessische Kücherschau.
Die „d e u t s ch e R c v u e über das gesammte Leben der
Gegenwart" von Rich. Fleischer bringt in dem letzt
erschienenen Hefte (December 1886) Pag. 353—36&
vom Dr. Dechend ^in Marburg einen bisher noch
nicht veröffentlichten Briefwechsel König Friedrichs II.
mit dem Erbprinzen Friedrich von Hessen-
Kassel. Dieser Briefwechsel behandelt die folgenden
Ereignisse (1756—1760) :^1). die Uebernahme eines
preußischen Kommandos Lurch 'den Erbprinzen. 2)
Operationsplan für den Westen; erste Aufgabe des
Prinzen. 3) Operationen bis zum Abschluß der
Konvention von Zewen: der Erbprinz in Wesel,
Lippstadt und bei der Alliirten Armen. 4) Ereig-
nisse in Sachsen und Theilnahme des Erbprinzen
daran bis zu seinem 1760 erfolgten Dienstaus-
tritt. - ^
Briefkasten.
P. M. Kassel. Sie fragen an, ob wir nur Bei-
träge von den Mitarbeitern annehmen, welche in der
von uns veröffentlichten Liste genannt sind. Dies
ist nicht der Fall; wir hoffen vielmehr, daß auch
viele unserer Leser zugleich unsere Mitarbeiter werden^
Natürlich behalten wir uns Prüfung jeder Einsendung
und Entscheidung über deren Aufnahtne vor, wie das
für jegliche Redaktion geboten ist; je sorgfältiger und
strenger diese Prüfung ist, desto mehr erfüllen wir
unsere Pflicht dem Publikmu gegenüber, desto eher
darf das „Hessenland" Anspruch erheben, in unserem
engeren Vaterland sich einzubürgern.
A. Tr. Wien Besten Dank. Das erste Gedicht wird
gelegentlich verwandt, das zweite in einer der nächsten
Nummern gebracht werden. Freundlichen Gruß.
O O. Marburg. In dem Gedichte F. Löwe's
in Nr. 1 hat sich Strophe 6 ein Druckfehler ein-
geschlichen; es muß heißen: „Doch auch gilt's seiner
Ehre Hut" (nicht Gut). Durch diese Feststellung
dürfte Ihre Frage erledigt sein.
G. K. Hannover. Brief mit zwei Einlagen er-
halten; deren Verwendung erfolgt in der gewünschten
Weise.
.1. (Ir. Dresden. Wir werden Ihnen in aller
Kürze schreiben.
A. y. B. Wiesbaden. Sendung erhalten,
findet in einer der nächsten Nummern Verwendung.
Besten Dank und freundlichsten Gruß.
.1. F. D. Fulda. Besten Dank. Sie erhallen
in den nächsten Tagen brieflich Antwort.
4. W. Kassel. Man abonnirt hier inK assel
auf das „Hessenland" entweder drrekt bei dem
Redakteur und Verleger F. Zw eng er,
Jordanstraße 15, oder in der Expedition, Kölnische
Straße 12, Part. Auch die hiesigen Buch-
handlungen nehmen Bestellungen ' an. Die
Zeitschrift wird den Abonnenten, sei es durch die
Post, sei es durch Kolportage frei in's Haus ge-
liefert. Die Abonnementsbetrag wird, soweit noch
nicht direkte Einzahlung erfolgt ist, in den nächsten
Tagen durch den Einkassierer erhoben.
Verantwortlicher Redakteur F. Zwenger. Druck und Verlag von F. Zwenger in
M 3.
1. Februar 1887.
•eflVit lauft.
Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur.
Das „Htssttüand"- Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von l1/* Oogrn Quartformat.
Den Zweck unserer Zeitschrift, die Ziele, die sie verfolgt, haben wir bereits in dem von uns verbreiteten
„Aufrufe" eingehend dargethan. Unter Hinweis auf den Inhalt des letzteren wiederholen wir hier nur, daß es die
Hauptaufgabe unseres Blattes sein wird, den hessischen Sinn wachzuhalten, die Anhänglichkeit an die engere Heimath
zu kräftigen. Das „Heffenland" soll allen geistigen Interessen Hessens gewidmet sein. Eine große Anzahl namhafter
hessischer Gelehrter und Schriftsteller hat unserer Zeitschrift freundliche Unterstützung und Mitwirkung zugesagt.
Der Abonnementspreis des „Hejseuland" beträgt gleichmäßig für hier und auswärts Vierteljährlich 1 Mark 50 Mfg.
Einzelne Nummern kosten je 30 Pfß. Auswärts kann unsere Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, sowie
unter Streifband oder durch den Buchhandel bezogen werden; hier in Kassel nimmt der unterzeichnete Redakteur,
Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Bestellungen an. In der Post-Zeitungs-Preisliste findet
sich das „Htflenlaud" eingetragen unter Nr. 2574a, 1. Nachtrag für 1887. ^ ^daktion: £\ ZwLNger.
Inhalt der Nummer 3 des „Hessenland": „Zu hessischem Bolkstume" von H. von Pfister; „Die hessische Artillerie
unter Landgraf Philipp dem Großmüthigen" von August von Baumbach; „Philippine Engelhard, geb. Gatterer",
(Fortsetzung) von F. Z.; „Aus dem Leben Doktor Naso's" von M. Herbert; „Sturmi's Sendung" (744 n. Chr.),
Gedicht von A. Trabert; „Ans alter und neuer Zeit"; „Hessische Bücherschan"; „Briefkasten".
<■-v; 11tein Glückt.
(Vrl) will nicht mehr, als Gott mir gab —
h| Du theure Heimath, bist die meine;
& And ob mich's in die Ferne rieht:
Du bleibst mir doch die ewig eine.
Gab' mir die Welt ein glanzend' Glück —
Ich wollt' cs nnr in deinen Ärmen,
Die niich, als klein ich >var nnd schwach,
Getragen mild nnd voll Erbarmen.
Die meine Schmerzen fromm gestillt,
Die mich die ersten Lieder lehrte —
('!) meine Heimath, die mir reich
Erseht, was schmerzlich ich entbehrte.
*
I
Die mir alljährlich Frühling bot
And ''ölen in des S'omnrers Tagen
And Herbstesnächte zauberlicht
And wnndcrbare Wintersagen.
Die mich der heil'gen Einsamkeit
Süß schauerlich vertrant im Walde
And mich dem Stnrnre freund gemacht
Änf hohem Derg und freier Halde.
And führt das Leben mich hinaus,
Die Sehnsucht wird an dich mich bürden.
And einst kehr' ich zurück zu dir,
An deinem Herzerr Anh' zu finden.
TO. Keltriev.
4 4 ^4j-‘h<^M MAw !bö «\<k& •& i DE-L^ i ±M
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mr<>
}?'■$ -HV '^'Sf/- ^r'^'nVvA|>~^xhV ch^ \t/ -V/ '-s, ->'- '<*?' it, i,v -3/ ^'-\H i*/ >p- ,*r -*♦/ \V
In hessischem Kolkstnme.
Von
H. von Pfistev.
„LLic Menscheu denken und leben, so bauen
und wohnen sie" — ist ein Ausspruch Herders. ,
Welch reicher Stoff, diesem nach einen Blick auf
Wohnungen wilder und geschliffener Böller zu
werfe»! Doch bleiben wir in Deutschland und >
schauen uns insonders um, was im Hesscnlande
bestund und hie und da auch noch bestehet.
Altheimische Hütten der Chatten waren schlicht
im Holze gleich Blockhäusern erbauet, mit Strohe,
Zweigen oder starkem Rohre gedeckt, und nur
an einigen Stellen mit reiner glänzender, ans
einem Tohne gewonnener Farbe bestrichen. Naa)
Stämmen abweichend, war deutscher Wohnbau
nachbarlich enger oder zerstreneter. Öfters wol
bestund solche Dorfschast, wie zumal bei den
Niederdeutschen, nur aus räumlich eigen gelegenen
Gehöften, je nach dem ihren Erbauern eine
Quelle, Waide, ein Gehölze behagt hatte. So
läßt sich noch, bis in verhältnismäßig jüngere
Jahrhunderte, auch bei uns urkundlich die Ge-
schiedenheit eines Ortes erweisen: das heutige
Besse z. B. bestund ans drei bis vier Dorf-
schafts-Teilen, als Gruppen seiner Gehöfte: Alt-, ,
Ober-, Mittel-, Nieder-Besse; sie dürften Weiler ;
heißen (vom Zeitworte „weilen"). — Wol gab j
es auch Städte, und zwar schon zu römischer !
Zeit. Dieser Begriff und Name beruhete jedoch i
wesentlich im Umstande einer Befestigung und
entsprechender Verteidigungs-Fähigkeit. Man ,
denke sich den Bezirk eines verschanzten Lagers,
darin die Gehöfte der Stadt gelegen waren, l
Solcher Schutz mochte dann immerhin dem Ge-
werbe, der Entfaltung einiger Betriebsamkeit, so
wie Handels und Wandels günstig werden. Ge- j
schüft erwuchs hier auch durch den Verkehr, den
größere gottesdienstliche Feste, sowie Tagungen j
(Madungen) des ganzen Stammes, der Abgc- |
ordneten naher und ferner Gaue mit sich brach- ;
len. Der Bezirk unserer alten chattischen Stammes- J
Hauptstadt Metze, die in einer Urkunde des >
achten Jahrhundertes Matziachi heißt, — der 1
Form Mattiaknm bei Ptolomäus entsprechend — j
schloß sicherlich vor allem die Befestigungen des !
Odenberges ein. '
Engeres Zusammenschließen der Gehöfte des
platten Landes in unserem Verstände zu mehr
und mehr geschlvßenen Dörfern ist in erkenn-
baren Fristen fortschreitend erfolgt. Ersten stär-
keren, vielleicht stärksten Anstoß gab darzn die
Erbauung christlicher Kirchen, deren Friedhofs-
Mauern zum Teile die alten Ringwälle vertreten
mochten, in deren Schutz zuvor ans den verein-
zelten Gehöften einer Dorfschaft sich Hab und
Gut flüchten ließ.
Von der alten Art jener zerstreikteren Anlage
des gesamten Wohnbaues gibt nicht nur hier
und da die Gegenwart uns sichtbar Zeugnis noch,
— und zwar für unser chattisches Gebiet zumal
im Buchcngaue sowie an mitteler Lahn im
Diezischcn, um Limburg, u. s. w. — vor allem
doch tritt es geschichtlich in Orts-Namen und in
Sagen hervor.
Die Erde ist auch heute noch weit genug um
anders denn gepfercht darauf zu wohnen. Be-
quem für jedes einzelne Haus — und dieses
Wort meinte ursprünglich mit Nichten das tote
Gebäude, sondern dessen Jnsaßen, und war unser
echter alter Ausdruck für familia, wie noch das
Beiwort häuslich als familiaris gilt — geeignet
für den Einzelnen als Heim, gesund für Alle,
so taten's unsere Ahnen. Seinem Einzeltume
gab der Freie den Rang eines besonderen Ganzen,
sein häuslich Recht verteidigte und bewahrte er
nnbiegsam; wo aber im Verhältnisse zum Stamme
er dann stund, gab dennoch er nur scheu Freiheit
eigener Rechte auf. Der Mann wollte nicht
untergehen im Volke und State; Gemeinschaft
und Gesetz waren nicht um ihrer selbst, sondern
um der einzelnen Häuser willen da. Alle dachten
und lebten frei und unabhängig, Haus für Haus
Aus solcher Sinnes-Art entsprang eben so
wol die Anlage der einzelnen Hütte als das
ganze unverkittete Steinich des deutschen stat-
lichen Wesens. Am Heime mußte bürgerliche
Freiheit haften, während Heiligkeit alter Sitte
doch Abschweifungen zu tausendfacher Manig-
faltigkeit in einzelnem Leben aufhielt.
— 27
Gerade entgegen gesetzt war es bei griechischen
Bölkern. Da war Jedem vergönnt, seine cinzel-
tümliche Sitte und Lebens-Weise nach seiner
Einbildung einzurichten; aber dem State war
alles aufs innigste einverleibt. Beide verschiedene
Gangarten der Selc waren eine freie Lebens-
Wanderung; aber der Grieche sank leichter unter
Tyrannen. Berlvr hinwidcr der Deutsche seine
bürgerliche Freiheit, so konnte er, gehalten im
Banne der Sitte, sich nicht mehr an ciuzeltüm
lichcr Ungebniidenheit erhole», womit der Grieche
sich zu entschädigen bedacht war.
Folget man dem Laufe der Zeit, so erstehet
man ferner des Volkes Geschichte in der Art
seines Beisanimenwohnens. Burgen erhuben sich
als Gebieterinnen auf Bergen. Sie, Zeugnisse
doch erhöheter steigender Freiheit einzelner Ge-
schlechter, weisen zugleich als trübe Kehrseite gar
mancherwärts auf Abhängigkeit des platten
Landes hin, aus Schädigung alter Gemein-Frei-
hcit; glücklicher Weise jedoch nicht überall, nnd
mindest durch Deutschland auch in Hessen. —
So lange Jene krönten, gab es viele Herren
im Lande, Viele die um Anbau und Silrigung
sich verdient gemacht, Viele die kleine Vergewal-
tiger waren. — Alle aber in ihrem Bereiche,
und im Hadern mit einander, doch zugleich Eis-
brecher wider allumfaßcnde Zwiugherschaft eines
Einzelnen. Sie sanken, und die Verfaßung des
Landes war verändert.
Wie einst die Gehöfte zu Weilern, diese zu
Dörfern sich schloßen, so waren jetzo viele Ort-
schaften noch fester und enger zusammen gerückt
zum Schutze nnd Trutze, nnd hatte» darfür ver-
loren die einzeltümlick^ Freiheit ihrer zerstreueten
Hütten. Dem Drucke größerer Grnndherren,
auch wol größerer früherer Städte, hatten sich
manche Dörfer allmählich entzogen, mit Mauren
und Türmen umgeben, hießen selbst nun Städte,
che doch ihre Bürger aufgehört hatten, Bauern
zn sei». So hatte sich des Landes äußere Ge-
stalt geändert; mit ihr und durch sie der äußere
Mensch, dann der innere. Doch wenden wir
uns zurück noch zur Bildung unserer meisten
großen Dörfer, die solches geblieben auch sind.
Nicht nur um den Mittelpunkt einer Kirche,
auch in Anlehnung an Klöster war solche öfters
geschehen. Diese, in fruchtbarsten Landes Gegen-
den, hatten nicht wenig zur Ausnahme des Acker-
baues beigetragen: sie wurden aber auch Besitzer
ganzer Dorfschasten und Herscher ihrer Be-
wohner. Auch sie wicheil endlich der Macht des
Landes-Fürstcii, die über kleine Herren, geistliche
Siijter, sowie große Reichs- unmittelbare Städte
hinweg, sich an die breiten Schichten der Be-
völkerung zu wenden wußte: und so ward altes
allmählich mit Einein Hute bedeckt. —
Jetzo finden wir Dörfer meistens Hof bei Hos
zusammen hangend, ohne Ordnung; oder wo
Heerstraßen hindurch ziehen, auch wol zugleich
mehr Gewerbe denn Landbau betrieben wird,
dort näher nnd m geregelten Reihen vielmehr
Gebäude bei Gebäude. Sie sind in unseren»
hessischen Hügellande gerne au Abhängen ge
bauet, entweder wegen der Kirche, die gewöhn
lich aus der Höhe stehet — denn auch hierin
ist sich fromme Ahnung des Germanen ebenwvt
beim Übergänge zum Christentume treu geblieben
— oder aber weil die Niederung in unserer
belgischen Heimat diescrhalb öfters feucht, und
mancher Überschwemmung ausgesetzt ist. Die
übele verkehrte Lage eines ganzen Dorfes auf
wirklich unfruchtbarer, Waßers-armer Höhe, findet
man doch selten. Täler bieten ja um des Be-
dürfnisses und leichterer Gemeinschast willen
immer das günstigste Gelände, was nicht darmit
streitet, daß man die Ortschaft an den nächsten
TaleS-Hang dann lehnt.
Die Gestaltung dcS hessischen Bodens bringet
es mit sich, daß in meisten Dörfern eine Bach
hindurch fließt, die gewöhnlich nur Stege für
Fußgänger hat; öfters auch diese nicht. Für
Ross und Wagen aber ist das flache kieselichte
Bette zugleich Verkehrs-Bahn. Mindestens eine
hauptsächliche Straße — auch falls es keine
Landstraße ist — bietet doch jedes Dorf. Die
Hofraiteu, nach Maßgabe des bäuerlichen Wol-
ftandeS mehr oder minder mit Miste bedeckt,
find gegen die Gaßen hin offen, bisweilen nur
durch Gemäuer geschieden. An die incistcu
Häuser lehnt sich ein Gemüse-Fleck, anch so. ge-
nannter Würzegarte, sowie hinterm Hause ein
Grasgarte mit Obstbäumen, der mit Hecke um-
zäunt oder sonst eingefriediget ist. Andere Gär-
ten umschließen das Dorf. Äcker werden nur
am Walde bisweilen gehegt.
Die Kirche uniriiigte früher allgeinein der
Toten-Hof dessen neuzeitliche Verweisung nach
Außen teils aus Asterweisheit, teils aus ander-
weidiger Beschönigung entsprang. Der kernige
Gesnndheits-Zustand unserer Altvordern lehrte
sie nicht solche Scheu; und des Menschen Ge-
müt ist sicherlich nicht zu tadeln, wenn ihm nicht
jede Stätte seiner Leichen gleichgültig ist. Der
Gerinane ehrte seine Gräber gar hoch, am Ende
mit abergläubischer Meinung. Die Stellen
waren gcheiligct, wo die Aschen-Krüge der Vor-
fahren ruheten; und lange noch ließ der christ-
liche Enkel seinen Leichnam im Totcn-Hügel des
eignen Hauses bestatten. ■—
28
Als Kirchen sich auf Plätzen ehemaliger Hei-
ligtümer erhuben, endete das Verlangen darum
nicht, in geweiheter Erde zu ruhen, indem die
Kirche zugleich übersinnlichen, und in kriegerisch
bewegter Zeit ebenwol leiblichen Schutz ver-
sprach. Was manche Eindrücke betrifft und
höhere Ansicht göttliches Sinnes, die sich etwa
von Verehrung Gottes in Mitten irdischer Ver-
wesung abkehrt, so hat doch solche Erwägung
auch ihre zwei Seiten. Ein versöhnender Aus-
gleich auch für gesundheitlich bange Gemüter
möchte aber darin gefunden werden, daß man
alle neue Kirchen an ein Ende des Dorfes er-
baue, wie schon Landgraf Wilhelm IX. empfahl
und zu Kirchditmold z. B. tat, sie jedoch wieder-
um auch zum Horte ihrer toten Gemeine
mache. Diß läßt jeder Bauer sich lieber ge-
fallen denn eine Verlegung des Toten-Hofes
alleine.
Die hessischen Kirchen sind zu größestem Teile
sehr alt; der Tnrm erhebt sich an vorderer
Seite herauf, oder ist ein bloßes hölzernes
Glocken-Haus auf dem Dache. Manches uralte
Gemäuer bestehet aus unbehauenen Steinen,
meistens aus Wacken; diß ist aber besonders bei
Kirchhofs-Mauren der Fall, die in vielen Dörfern
nur ehrwürdige Trümmer noch sind, und doch
einst zur Verteidigung eingerichtet waren. An
Glocke und llhre fehlt es höchst selten den Dörfern:
doch sind Uhren von geringem Nutzen, zumal
viele die Zeit nur so in Pausch und Bogen be-
stimmen, wie man es auf den, Lande anch nach
der Sonne kann. Man findet in zweien, unferne
von einander liegenden Dörfern wol einen Unter-
schied von leichtlich einer halben Stunde; also
daß Karls V. Wahrzeichen für einen geregelten
Stat hier doch nicht passen will. Alter Scherz
war, daß der Schulmeister die llhre vorstelle,
wann er Kartoffeln austue.
Die ältesten und geringsten Hütten lehnen sich
gewöhnlich an die Kirchhofs-Mauer, oder stehen
ihr doch zunächst. Diß deshalb zum Teile, weil
ihre frühesten Jnsaßen noch Zinsleute der Kirche,
vielleicht eines Klosters oder geistlicher Stiftung
waren. Aus gleichem Grunde ursprünglicher
Zugehörigkeit stunden bisweilen auch die Schul-
gebäude in solcher Umfaßung, und der Toten-
Hof war für den Lehrer zugleich Hünkel-Höf
und Platz des Loftholzes.
An derlei stieß sich jedoch die unfeierliche,
gleichwol gediegene Fröinmigkeit der Menschen
nicht. Schule, Pfarre, Schenke stunden über-
haupt vielerwärts, und so auch heute noch, alle
drei der Kirche nahe, und somit selbst traulich
beisammen. —
(Schluß folgt.)
Beiträge zur Geschichte der trurtzesstfcheu Artillerie.
Bon
August uolu Bcruurduch.
1. Sie Artillerie unter de« Zaudgrafe« Philipp dem Krußmuthize».
1509—1567.
f andgraf Philipp, der bis zum Jahre 1519
unter der Vormundschaft seiner Mutter,
Anna von Mecklenburg stand, ver-
fügte, im Verhältniß zur Größe seines
Landes, über eine ganz bedeutende Zahl von
Geschützen aller Ast, die auf die Zeughäuser der
Festungen und festen Schlösser vertheilt waren,
wo sie unter Zengwarten standen, denen die
erforderlichen Ge schütz- oder Büchsenmeister
und Constabler beigegeben waren. Den Ober-
befehl über die gesqmmte landesherrliche Artillerie
führte ein Ober-Zeugmeister.
Die hessischen Städte, die ihre eigene Artillerie,
damals Gezeug oder Arckoley genannt, be-
saßen, und deren Büchsenmeister und Con-
stabler eine Zunft bildeten, mußten mit ihren
kleineren Stücken, den „Feldstücken", den hessischen
Landgrafen Heeresfolge leisten, wie dies auch im
Jahre 1460, in der „Pfälzer Fehde", von
Schmalkalden und anderen Städten geschehen war.
Die landesherrliche Artillerie, die in Hessen
zuerst unter dem Landgrafen Philipp vorkommt,
bestand aus Stücken aller Kaliber, von der 60-
pfündigen „scharfen Metze" bis zu dem '/zpfün-
digen „scharfen Tintlein".*) Die großen Stücke,
außer „scharfen Metzen" auch „Doppelkarthaunen"
genannt, bedurften zu ihrer Fortbewegung 24
und mehr Pferde. Unter ihnen befand sich der
„Teufel" und seine „Großmutter", die beide vom
Landgrafen Philipp im Jahre 1534 dem Bischof
*) Zeitschrift für hessische Geschichte und Landeskunde. Neue Folge.
Band 1.
29
von Münster zur Hülse gegen die Wiedertäufer
gesendet wurden, so wie die 70 Centner schwere
„Nachtigall" und der 11 Fuß lange „Hahn".
Die beiden letzteren stammten aus der Feste des
Ritters Franz von Sickingen „Landstuhl"
in der Pfalz, und waren dem Landgrafen
Philipp, nebst mehreren kleineren 'Stücken,
als Beutetheil zugefallen: nachdem die Feste am
30. April 1023 eingenommen worden, und
Sickingen, einer der bedeutendsten Männer
Deutschland's, seinen Wunden erlegen war.
Besonders stark war die Artillerie, welche der
Landgraf im Jahre 1034, zur Wiedereinsetzung
des Herzogs Ulrich von Württemberg in sein
Land, mitnahm, denn er soll mit 60 großen
Büchsen an Frankfurt am Main vorübergezogen
sein.*) Unter Hans von Bellersheim,
als Ober-Zeugmeister, dem Lieutenant Veit
Krautpeter und dem Schanzmeister Hans
Keim, that sie sich in der Schlacht bei Lauffen,
sowie bei der Beschießung von Hohen-Urach und
Hohen-Asberg ganz besonders hervor, wodurch
die Schlacht gewonnen und beide Festen zur
Uebergabe gezwungen wurden. Gegen Hohen-
Urach gaben die hessischen Stücke 032 Schüsse
an einem Tage ab.
Durch ihre vorzüglichen Leistungen in diesem
Kriege gelaugte die hessische Artillerie zu einem
so hohen Ansehen, daß zwei Jahre darauf der
Kaiser Kart V., durch den Erzherzog Ferdinand,
den Landgrafen um Ueberlassung von Büchsen-
meistern bitten ließ, der jedoch diese Bitte, vor-
schützend, daß er selbst Mangel an guten Büchsen-
meistern habe, ablehnte.
In Folge des „Schmalkalder Bundes" war
zu Koburg eine Kriegsverfassung für dessen Mit-
glieder aufgestellt worden, nach welcher ein jeder
der beiden Bundes-Hauptmänner, der Kurfürst
von Sachsen und der Landgraf von Hessen, auf
Kosten des Bundes 28 Geschütze gießen lassen
sollte, und zwar: 12 vierzigpfündige Karthaunen,
10 achtzehnpfündige Feldschlangen und 6 sechzehn-
pfündige Nothschlangen. Der Landgraf hielt sich
jedoch nicht an diese Kaliber, sondern ließ
statt ihrer, durch den Frankfurter Geschützgießer,
Meister Martin Bete, 4 fünfzigpfündige
Karthaunen und 24 Schlangen verschiedenen
Kalibers gießen. Diese 28 Geschütze trugen die
Inschrift: V. I). M. I. A. (vox 4ei manet
in aetermim).
Zn dem Kriege, welchen Sachsen und Hessen
im Jahre 1042gegen den „Liguenobersten", Herzog
Heinrich d. j. von Braunschweig führten, nahm
der Landgraf 24 Geschütze und 61 Munitions-
wagen mit, und zwar: 3 sechszehnpfündige Noth-
schlangen, 4 achtpfündige Falkonen, 3 sechs-
pfündige Falkonett, 6 dreipfündige Apostel, 4
zweipfündige Falkonete, 2 Singerinnen und 2
Steinbüchsen.
Ueber diesen Geschützpark führte B e i t Kraut-
peter als Ober-Zeugwart den Befehl Hans
Keim war Schanzmeister dabei. Beide, nebst
60 Mann, wurden in den Laufgräben bei einem
Ausfalle getödtet, den die Braunschweiger, als
Hessen verkleidet, aus dem belagerten Wolfen-
büttel machten. Durch eine hierauf folgende sehr
energische Beschießung der Stadt seitens der
hessischen Artillerie, wurde dieselbe zur Ueber-
gabe gezwungen. Ein Thurm, von dessen Zinnen
der Thürmer ein Spottlied auf die Hessen ge-
sungen hatte, wurde durch das concentrirte Feuer
der hessischen Stücke gänzlich zusammengeschossen.
Als im Jahre 1046 der „Schmalkaldische
Krieg" begann, der Landgraf Philipp nach
Süddeutschland zog und gegen Ingolstadt vor-
rückte, hatte er viel schweres Geschütz bei sich;
darunter „scharfe Metzen", die 72 Centner Rohr-
gewicht hatten, 60 Pfnnd Eisen schossen und von
32 Pferden gezogen wurden, sowie 40pfündige
„Doppelkarthaunen", welche ein Rohrgewicht von
62 Centner erreichten, und zu ihrer Fortbeweg-
ung 28 Pferde bedurften. Die Verbündeten:
Sachsen, Hessen und Schwaben, diese unter
SebastianSchärtlinvon Burtenbach, welche
dem Kaiser Karl V. an Geschützen überlegen
waren, feuerten aus 100 großen Geschützen 2000
Schüsse auf das kaiserliche Lager bei Ingolstadt
ab. Die hessische Artillerie, zu der auch die
Städte einige Feldstücke gestellt hatten, komman-
dirte Hans Rommel, als Ober-Zeugwart.
Die größten Stücke davon hatten zwei Büchsen-
meister.
Nachdem dieser Krieg durch die Schlacht be^
Mühlberg, 24. April 1047, in welcher der Kurfürst
Johann Friedrich von Sachsen gefangen wnrde,
zum Nachtheil der Verbündeten ausgeschlagen
war, wurde auch der Landgraf Philipp be-
wogen, sich dem Kaiser zu stellen. In Folge
der am 2. Juni 1047 zu Kassel verabredeten
Kapitulation stellte sich der Landgraf am 19.
Juli in Halle. Im Koncept der Kapitulation
war ausdrücklich gesagt, daß der Landgraf nicht
mit einiger Gefängnißstrafe belegt werden
solle; nachdem sich der Landgraf aber gestellt
hatte, um dem Kaiser Abbitte zu leisten, veo
wandelte man von kaiserlicher Seite, in der Rein-
schrift der Kapitulation, das Wort einiger in
*) Von -ersener's Zranlfurler Chronik.
ewiger, und zwang den Landgraf zur Unter-
schrift der so abgeänderten Kapitulation, brachte
ihn nach Mecheln und hielt ihn hier in strenger
Haft bis zum IN. Juli 1551, wo er, durch den
an diesem Tage vom Kurfürst Moritz von
Sachsen erzwungenen Bertrag von Passan, seine
Freiheit wieder erhielt.
In Folge der zu Halle abgeschlossenen Kapi-
tulation sollten alle hessischen Festungen und Ge-
schütze dem Kaiser überliefert werden, der die
Bollzichung derselben dem Herzog von Alba
übertrug. Er soll 170 Stück hessische Geschütze
weggeführt haben. Weil ihm diese Beute aber
noch zu gering erschien, soll er noch 12 Stück,
mit dem Wappen des Landgrafen versehen, habe»
gieße« lassen.*) Nur die Festung Zicgenhaiu,
mit ihren Geschützen, blieb dem Landgrafen er-
halten, weil ihr Kommandant, der Oberst Heinz
von Lüder, dem Herzog von Alba ihre Uebcr-
gabe mit den Worten verweigerte: „Der freie
Landgraf hat mir befohlen die Festung zu hal-
ten, der gefangene Landgraf, der seinen eignen
Willen nicht hat, weil er in der Gewalt anderer
Rommet. Geschichte von Hessen.
Philippme Engelhard, ged. Kälterer.
(Fortsetzung statt Schluß).
Eine interessante Schilderung des Charakters und
der Lebensweise der Dichterin Philippine Engelhard
gibt uns die Schrift „Ans den Tagen eines er-
loschenen Regentenbauses", als deren Verfasser wohl
mit Recht unser rühmlichst bekannter hessischer Schrift-
steller Jakob Hoffmeister gelten kann, welcher, nebenbei
bemerkt, ein naher ^'.'verwandter der Dichterin ist
und in seiner Jugend täglich in ihrer Wohnung ver-
kehrte. In dieser Schrift ward n. a. erzählt, daß es
in Kassel großes Aufsehen erregt habe, als Philippine
Engelhard in den ersten Jahren nach der Verhei-
rathung ihren Manu veranlaßte, vor dem neuen
Wilhelmshöher Thore das Anwesen eines Gärtners
anzukaufen und dorr ein bescheidenes Wohnhaus zu
erbauen, wodurch wohl die erste Anregung zu der erst
unter Landgraf Wilhelm IX. angelegten neuen Wil-
helmshöher Allee g geben wurde. Zu jener Zeit
wohnte die vornehme Welt blos innerhalb der Stadt
und beschränkte ihre Promenaden fast nur ans den
.Friedrichsplatz und den Aucgarlen. Größere Aus-
flüge als uach Wilhelmshöhe, damals noch Weißen-
stein genannt, wurden selten unternommen. Frau
Philippine Engelhard wollte als sorgsame Mutter
ihren kleinen Kudern eine gesunde Wohnung mit
frischer kräftigender Lust bieten und wählte zu diesem
Zwecke jenen Garten, worin sie sich ländlich einrichtete,
zwei Ziegen für ihre Familie hielt, Gemüse zog
Leute ist, hat nicht die Macht, diesen Beseht zu-
rückzunehmen."
Der Ober-Zeugwart Hans Rommel, der
einen Versuch gemacht hatte, den Landgrafen
aus seinem Gefängniß in Mecheln zu befreien,
wurde durch einen Brief des Landgrafen, den
derselbe im Jahre 1550 aus Mecheln an seinen
Sohn, den nachmaligen Landgrafen Wilhelm IV.,
geschrieben hatte, zum Zeugmeister auf Lebens
zert ernannt, und erhielt daneben eine Extrabe-
lohnung voll 100 Gulden.
Bon den durch Alba aus Hessen weggeschleppt
ten Geschützen fielen im Jahre 1552 viele Stücke
dem nachmaligen Landgrafen Wilhelm IV. als
Beute zu, darunter auch einige von denen, die
Alba hatte gießen lassen.
Nachdem der Landgraf Philipp wieder irr sein
Land zurückgekehrt war, bestrebte er sich aus
das Elfrigste dasselbe wieder wehrhaft zu machen,
und ließ zu diesem Zwecke auch Geschütze, und
zwar sechspfündrge Falkonen, in Kassel gießen,
was bisher nicht stattgefunden hatte. Bis zu
seinem Tode, den 31. März 1567, hielt er sich
doch so viel als möglich von allen Kriegen fern.
n. s. w. Dieses kühne Unternehmen, außerhalb der
Residenz eilten ländlichen Wohnsitz zu errichten
heißt es werter in der angezogenen Schrift — brachte
in der Kasseler Gesellschaft ein wahres Aufsehen
hrvor; die vornehmen Verwandten ihres Mannes
hielten einen Familienrat!) und protcstirten feierlich
gegen den etwaigen Verdacht, btc auffällige Handlungs-
weise öd* Dichterin zu billigen, setzten jedoch in
der Sache selbst nichts durch und nlußtcn schließ-
lich gute Miene zum bösen Spiele machen. — Wer
kann heutigen Tages solche Verhältnisse begreifen,
wenn er jetzt zwischen den schönen Villen dieser Allee
einherwaudelt! So ändern sich die Zeiten.
In vielen Beziehungen war Philippine Engelhard
ein Original und ihre Eigenheiten riefen oft kölnische
Scenen hervor. Ihre Absonderlichkeiten, durch welche
sie aber Niemand verletzte und die man als etwas
Selbstverständliches hinnahm, waren ein Ausfluß
ihrer genialen Natur. Niemals vergaß sie darüber
die Pflichten der sorgsamen Hausfrau und gerade in
dieser Hinsicht kann sie als Muster hingestellt werden.
Sie war eine beglückte und beglückende Gattin nnd
Mutter. Und wie sie über die Aufgaben der Frauen
schon in ihrer Jugend dachte, das gehr aus bcnt Ge-
dichte „An Deutschlands Mädchen" hervor, welches
sie als zwanzigjährige Jungfrau verfaßte. Mag in
formaler Beziehung dieses Gedicht auch manche
Schwächen ausweisen, so viel ist doch gewiß, daß die
in demselben niedergelegten Anschauungen auch heute
noch ihre volle Berechtigung haben. Wir lassen es
deshalb hier folgen:
31
Hat sie Verstand bei gutem Herzen?
Denkt manche, fragt ein Freier nicht.
Ist nur zum Küssen und zunl scherzen
Noch ganz erträglich ihr Gesicht.
Doch die's empfindet, es beseele
Sie Geist, der sich zum Denken schickt,
Das liebe Mädchen, das erwähle
Nur solches Wissen, das beglückt.
Sich mit der Grnndtcxt-Sprache quälen
Unübersctzt Homer versteh'»
Das ziemt sich nicht für Weiberstelen!
Valein — steht aber auch nicht schön.
Lernt — habt zn Sprachen ihr Talente —
Der Franz' und Briten Sprachenklang
lind die sanft schmelzende Accente,
In denen einst Petrarca sang.
In tiefgelehrten Schriften lesen
Die man für ernste Männer schrieb —
'su'etii Trieb ist mind'stens nie gewesen,
Weil ich in meiner Sphäre blieb.
Fühlt eine Feuer in sich glühen
Das sich zum Dienst der Musen schickt,
So denk' ihr Geist an Melodien,
Indeß die Hand näht oder strickt.
Apelles' Kunst mögt ihr euch Mihen;
Schön ist's, wenn unter einer Hand
Bald Flur-, bald Blumen-Schildereien,
Bald täuschendes Gesicht entstand.
Lernt schwerverschlnngene Reihen führen,
Das schafft cud) angenehmen Gang —
Und süße Silbersaiten rühren,
Zn einem zärtlichen Gesang. —
Doch laßt dergleichen euch nicht g'nügen,
Das nur als Nebensache schmückt;
Könnt ihr in H ä n s l i ch feit euch schmiegen,
Dann ist einst euer Mann beglückt.
Kurz! die, die nicht blos Scherz und Lachen
Und Eitelkeit und Kleidung liebt,
Wlrd ihren Gatten glücklich machen,
Und Kinder, welche Gott ihr gibt.
Sie wird bei wenig Reiz gefallen —
Ist selbst im Alter noch geschmückt,
llnd froh wird der dnrch's Leben wallen,
Den sie durch ihre Hand beglückt! —
. ^ltsam, bei all' der Vorliebe der Dichterin für
die Häuslichkeit und das Familienleben wußte sic
doch auch als Dame der Welt in den vornehmen ge-
sellschaftlichen^ Kreisen Kassels eine glänzende Rolle
zu spielen. In ihren jüngeren Fahren galt sie ge-
radezu für die Tonangebende. Ihr Talent warf
eben nach den verschiedenartigsten Richtungen seine
Strahlen aus. Wie der Verfasser des wiederholt er-
wähnten Artikels in der Schrift „Aus bcn Tagen
eines erloschenen Regcntenhauses", berichtet, entzückte
Philippine Engelhard gleich anfänglich, als sie nach
ihrer Verheiratung nach Kassel kam, durch ihre ge-
sellschaftlichen Talente, durch ihr heiteres Tempera-
ment, durch ihr gewandtes und feines Benehmen die
gebildeten Kreise in der damals noch sehr ceremoni-
ösen Residenzstadt und brachte sogar einen ganz
neuen Ton in die Verhältnisse der Kasseler Societät,
indem man sic als gefeierte Dichterin bewunderte und
sich von ihrem ungebundenem genialen Wesen hin-
reißen ließ. „So glänzte sie durch naives Spiel in
einem damals errichteten Gesellschaftstheater, in
welchem deutsche Schauspiele zur Aufführung kamen,
während das Hoftheater nur französische Komödie
und italienische Oper mit Ballet kultivirte." Rasch
hatte sie sich die Herzeit der Kasselaner erobert und
sie wußte sie fest zu halten. Bis an ihr Lebensende
erfreute sie sich der allgemeine,» Beliebtheit und Hoch-
achtung, und konnte dies auch anders möglich sein
bei ihrer hohen geistigen Begabung, bei ihren vor-
trefflichen Charaktereigenschaften, bei ihrer Sanftmuth
und Herzensgute?
Heinrich Koenig hat in seinen Roman „König
Jerümes Karneval" aus den: Leben der Philippine
Engelhard eine Episode verwoben, welche die Ber-
heirathung ihrer dritten Tochter Louise im Jahre 1808
mit dein' damals 48 Jahre zählenden berühmten
Industriellen Gottlob Nathasius, dem Abgeordneten
der Stadt Magdeburg hii westfälischen Reichstage,
zum Gegenstand hatte. So gut die Schilderung H.
Koenig's auch gemeint sc in mag, so soll sie doch in
vielen Einzelheiten der Wahrheit entbehren. Der
Verfasser erklärt zwar in seinem Buche „Seltsame
Geschichten", in dem ebenfalls ein Kapitel unserer
Dichterin gewidmet ist, daß er dabei den Mittheilungen
eines damaligen Zeitgenossen gefolgt sei, bemerkt aber
auch zugleich', daß er freilich nicht sowohl der ge-
schichtlichen Wirklichkeit, als der inneren poetischen
Wahrheit jcn.m Verhältnisse gerecht werden wollte.
Mag auch bei Koenig's Darstellung der licentm
poetiea ein großer Spielraum eingerämt worden sein,
interessant bleibt sie immerhin, namentlich die
Schilderung eines Besuches bei der Frau Räthin,
ihr Gatte bekleidete in westfälischer Zeit die Rolle
eines Oberappellationraths —; hier tritt uns Philippine
Engelhard mit ihren sieben Töchtern in ihrer schlichten
ansprechenden Häuslichkeit entgegen und Koenig läßt
sie in Bezug aus die seltene Zahl von sieben Töchtern
eine anziehende Probe ihres erstaunlichen Gedächtnisses
ablegen. „Mein seliger Vater",läßt er sie sagen, „hatmir,
als ich noch ein junges Mädchen war, von Michel Anton
Lanius erzählt, welcher Baßsänger des Kurfürsten Cle-
mens Wenccstans in Koblenz gewesen und 7 Töchter ge-
habt hat. Ich kann sie sogar beim Namen nennen: Klara,
Judith, Therese. Dorothea, Margaretha, Jda Katharina,
Anna Maria — eine immer schöner als die andere, und
alle vom Vater mit der Gabe des Gesangs ausgestattet!
Am 27. Januar 1819 starb plötzlich am Schlag-
fluß im 66. Lebensjahre ihr Gatte, der nach der
Rückkehr des Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen zum
Geheimen Rath und Direktor des General-Kriegs-
kollegiums ernannt worden war. Groß und aufrichtig
war ihr Schmerz über diesen schweren Verlust, den
sie kaum verwinden konnte. Sie suchte und fand endlich
Trost in der Dichtkunst, welche ihren Lebensabend
verschöneren half. Ihren Leistungen als Dichterin
soll unser Schlußartikel gewidmet sein. (Schluß folgt.)
32 —
Aus dem Leben Doktor Uujo s.
Kleinstädtisches Ccbcns
^Vetnc Praxis war eine sehr ausgedehnte, in
Anbetracht der Entfernung der kleinen
Dörfer von einander. Freilich, wenn er
des Morgens auf seinem baufällige»,
regenverwaschenen Berner Wägelchen die
Chaussee entlang gerumpelt kam, sah man ihm
nicht an, daß seine Minuten einen besonderen
Werth für die Mitwelt hatten. Uebrigens hätte
sein altes „Heupferd" auf keinen Fall einer
schnelleren Art der Fortbewegung sich anbequemt.
Nichts destoweniger setzte Dr. Balthasar
Kroll vulgo Dr. Naso — (manche Leute werden
ihre „Studentennamen" durch ein Leben nicht
losi — großen Stolz ans seine „Equipage."
Irgend ein Fußgänger, elegant oder schäbig,
männlichen oder weiblichen Geschlechtes brauchte
ihm auf seinem Wege in eines der Dörfer nur
zu begegnen, dann hielt er an und rief in seiner
breiten, näselnden Manier: „Hören Sie, wollen
Sie hinten aufsitzen? Ich hab' noch eine Pferde-
decke. M'r fährt drauf wie en Kurfürscht."
Manches Kind moderner Kultur, daran gewöhnt,
allzu herzliche Einladungen als Zudringlichkeiten
zu ignoriren, hatte ihn schon erstaunt angesehen und >
war achselzuckend weitergegangen, damit den
besten Theil erwählend, denn mit dem „Fahren
wie ein Kurfürscht" hatte es seine eigene Be-
wandtniß. Dr. Naso's Wagen wiegte sich nicht
in Federn, der stolperte schlecht und recht über
Stock und Stein und an der Pferdedecke war
im Laufe der Jahre nur noch wenig Wolle ge-
blieben, so daß sie das rohe Tannenbrett nicht
mit schwellenden Polstern versah. Wenn der
von Dr. Naso so liebenswürdig eingeladene
Fahrgast auf seinem Sitze hoch emporschnellte
und ebenso rücksichtslos wieder niedergeschlendert
ward, dann sagte er, sein rothes Gesicht vom
Kutschersitz nach dem Wagen hinwendend: „Das z
stärkt die Rückenmarksnerve»! „Dabei legte er
den Peitschenstiel an denjenigen Theil seines
Gesichtes, welcher ihm seinen Spitznamen zu-
gezogen hatte, eine Pantomine, die, mehr noch
mit dem Zeigefinger ausgeführt, eigentlich »och
an Ausdruck gewinnt und vdn Alters her ge-
eignet schien, den Philosophen und Denkern zu
dienen.
Die kleine hessische Kreisstadt, in welcher
Dr. Naso praktizirte, besaß außer ihm noch zwei
Aerzte, welche einer neuen Aera angehörten und
durch ihre Ansiedelung den alten auf längst verjährtem
Standpunkt fußenden Amtsgenossen in den
bild von M. Herbert.
aufgeklärteil Regionen des Ortes gänzlich un-
möglich geiiiacht hatten.
„Seine Mittel", so sagte man, „sind im besten
Falle unschädlich." Dr. Naso jedoch bewies sich
selbst ans der Statistik, daß die Sterblichkeit
seit dem Aufgang der neuen Lichter weder ab-
uoch zugenommen. Er gab zu, daß man Wege
gefunden, einzelne Operationen mit geringeren
Schmerzen für den Patienten abzumachen; aber
er sah die Nützlichkeit dieser Erfindungen nicht
ein. Mit souverainer Verachtung blickte er nieder
aus ein Geschlecht, das nicht mehr stark genug
war, feine eigenen natürlichen oder über es
verhängten Schmerzen ganz nnd gar auszukosten,
welches sein Vergessen in Chloroform suchte, den
Schlaf seiner Nächte von Morphium erbettelte
und den Frieden seiner Tage mit Brom-Kali
erkaufte. Der Doktor hatte kein Opium gebraucht,
die überflüssige Wissenschaft zu vergessen, welche
man ihm auf der Universität eingetrichtert.
„Naturgemäß" war seine Parole; was er nicht
mit kalten oder heißen Umschlägen, mit Kamillen-
thee oder den traditionellen „gewärmten Küchen
schürzen" heilen konnte, stand ihm fremd und
unheimlich gegenüber. Mit den Apothekern lebte
er seit frühester Jugend auf gespanntem Fuße,
aber wen» er jemals Arzeneien verordnete, dann
zeigten die Medicinflaschen jenen ungeheueren
Umfang, der dem Bedürfniß des gewöhnlichen
Mannes, der mehr auf Quantität als auf Qua-
lität vertraut, angepaßt ist. Man erzählte sich
Wunderdinge von der Ursprünglichkeit, mit welcher
er seine Kuren ausführte. Man sprach davon,
daß er einem Bauern einen Finger mit der
Rosenscheere amputirt habe und das Küchenge-
räth seiner Iunggesellenwirthschafl zu den un-
glaublichsten Dingen verwende. Leider war
Fama hier vollständig in ihrem Rechte.
Dr. N.iso's äußere Erscheinung schien keines-
wegs geeignet, diesen philisterhaft in's Einzelne
gehenden Gerüchten die Spitze abzubrechen. Er
war klein, mit entschiedener Anlage zur Korpu-
lenz, die nicht gerade mit gerechtem Maße über
den ganzen Körper vertheilt worden war. Mutter
Natur hatte offenbar andere Absichten mit ihm
gehabt; denn sein starker, wohl entwickelter Ober-
körper saß auf kurzen, dünnen Beinen, deren
Richtung auch noch in sofern auseinander ging,
als das eine sich bemühte, ein „O" zu bilden,
während das andere der Hälfte eines „X" zu-
ZZ
strebte. Sie konnten nur ans Versehen an ihre
Stelle gelangt sein.
Wenn Dr. Naso irgend einer mit zu langen
Beinen versehenen Pcisönlichkcil begegnete, ver-
fehlte er selten, seinen Lieblingswitz anzubringen,
„Heda, Sie Dieb, Sie sind ja mit nieinen Unter-
thanen durchgegangen."
Das berühmteste an dem Manne aber war
seine Nase. Sie war lang, dick, „Kladeradatsch"-
ühnlich gebogen und von einer Röche, welche an
den weit geöffneten Nasenflügeln eine Färbung
des intensivsten Violetts annahm. Fügen wir
hinzu, daß seine runden, wässerigen Augen durch
eine Hornbrille ältester Herkunft geschützt wurden,
daß seine mächtige Glatze ohne Unterschied der
Saison von einer tief über die Ohren nieder-
gehenden Pelzmütze verhüllt ward, daß sein
Körper seit mehr als zwölf Jahren in demselben
Habit steckte, dessen Farbe aus begreiflichen
Gründen unbestimmt geworden, und daß ein auf
dem Rücken geknoteter, blau und grün gestreifter
Shawl die Toillcte vervollständigte, — so haben
wir ein ungefähres Bild des Mannes, dessen
Namen an der Spitze unserer Erzählung steht.
Doch wir dürfen bei seiner Charakterisirung ein
besonderes Merkmal unmöglich vergessen, sein
Verhältniß zu seinem kleinen Wachtelhunde und
zu seiner Stummelpfeife. Wir glauben nicht, daß
Dr. Naso sich zur Zeit, da wir seine Bekannt-
schaft machten, schon jemals darüber Rechenschaft
abgelegt, welcher von beiden Gegenständen ihm
der unentbehrlichste sei, seine „Alte" oder sein
„Ami".
Dr. Naso's Wohnung war im Grunde ge-
nommen die einzige Umgebung, welche geeignet
schien, die Eigenthümlichkeiten seiner Erscheinung
in's rechte Licht zu setzen; wenn er auf der
Straße ging, war er nur ein aus seinem Nahmen
getretenes Bild.
Was der „Kleinen Stadt" ihre besondere Phy-
siognomie verleiht, ist der Umstand, daß sie
keine fashionabelu Theile hat. Die Kastenabstuf-
ung, wie llnangenehm sie sich auch in den engen
Verhältnissen kleinstädtischer Gesellschaftskreise >
geltend macht, hat Nichts zu schaffen mit der
Vertheilung des Raumes; die Lebenslust bleibt
Allen gleich zugemessen. Da gibt es nicht
Straßen, in welchen nur die elegante Welt sich
bewegt; alle Schichten sind gleichmäßig vertheilt,
überall finden sich ebenjoviele und mehr Gestal-
ten aus den mittleren und untersten Klassen wie
Schablonen-Figuren der „guten Gesellschaft."
Man hat gesagt, daß unser Jahrhundert das
des Charakters sei, und doch scheint es, als
ginge eine gleichmachende, verflachende Walze
über unser Geschlecht. Eine mächtige Stimme,
welche man „guten Ton" nennt, ruft uns
warnend zu: „Charakter-Eigenschaften gehören zu
den unberechtigten Eigenthümlichkeiten." Diese
mächtig hallende, das Geräusch des Lebens in
der guten Gesellschaft zum Geflüster herabdrückende
Stimme aber dringt nicht in die bergumschlossene
Einsamkeit der Kleinstadt. Dort gedeihen noch
die Menschen in ihrer Eigenart, unveredelt,
knorrig, mit starrer Zähigkeit an der Scholle
haftend, eigensinnig das Nene als verderblich be-
trachtend, alle Verbesserungen mißtrauisch ab-
weisend.
Die Wände der Häuser in der kleinen Stadt
haben eine gewisse Durchsichtigkeit und ob auch
hier wie überall sonst die Menschenherzen Ab-
gründe und unentdeckte Strecken bieten, liegt doch
das äußere Schicksal klar vor Jedermanns Auge.
Wenn der Kleinstädter neugierig ist und scharf
im Urtheil, wenn er sich mit Vorliebe anmaßt,
über Dinge zu richten, von denen er nichts ver-
steht, so treibt doch auch wieder bei ihm die
thätige Barmherzigkeit, welche persöhnlich ihre,
schönsten Blüthen, die helfende Hand ausstreckt.
Die Noth seiner Nachbarn ist ihm nahegerückt;
die Häuser hocken enge aufeinander, haben selten
mehr als drei Stockwerke; der Schrei des Elendes
aus dem dritten kann nicht ungehört bleiben
Auch schleppt der Mittelstock seinen Jammer nicht
auf den Hintertreppen empor; dieselbe Stufe
dient oft ihm und dem gesegneteren Bruder.
Die Hütten der Aermsten sind nicht meilenweit
von den Häusern der Wohlhabenden entfernt.
Nur freiwillig Blinde können von seiner Noth
kein Bild in sich aufnehmen. Aus den Häusern
drängt das Familienleben sich auf die Straße ;
inan sieht den Schneider, den Schuster, den
Sattler in der offenen Thüre seinem Handwerk
obliege», inan erblickt die Waschfrauen am Becken
des großen altinodischen Stadtbrunnens, und die
Töchter der Bürger sitzen auf dein steinernen
Brückengeländer oder auf den Stufeii vor der
väterlichen Hausthür und stricken, sticke», flicken.
Die Tagesneuigkeiten fliegen von Hans zu Haus
über die enge Gasse hin; kein Fremder kommt
znm Thor herein, ohne bemerkt und besprochen
zu werden. Man sieht die Tugenden und Laster
der Leute in nächster Nähe und wird ihre Sonder
lichkeiten gewahr, fast ohne daß man sie beobachtet.
Dieses mag als Entschuldigung dienen, wenn
Jemand behaupten wollte, wir Hütten uns in das
prosaische Dasein eines plebejischen und nicht
ganz nach der Etiquette gekleideten Mannes, wie
es Dr. Naso nun einmal war, allzusehr vertieft.
(Fortsetzung folgt.)
Klurrni's Kendtrng
(74-1 ». i!hr.)
Pir Sturmi 744 die Stätte tut Gründ»»- Lxtda's gesucht.
„Ich will im Buchenland ein Kloster gründe»,
„Du aber, Sturmi, sollst die Stätte wählen;
„Der Herr geleitet Dich, Du wirst sic finden.
„Wo noch die Male Wodans Ruhm erzählen,
„Soll dann erblühn des Christenglaubens Rose
„Und deutscher Kraft die Milde sich vermählen."
Der Mann aus Kirtou spricht dies Wort, der große,
Dort, wo die Donnereiche steht so mächtig,
Daß Odins Sturmgewölk den Wipfel kose.
lind Sturmi nimmt sein hartes Brod bedächtig,
Auch sein Brevier, um reisend drin zu beten.
Und jubelt bald: „Wie grünt der Wald so prächtig!"
Auf engen Pfaden, nur vom Wild betreten,
Trügt ihn sein Gramhier, jenem Füllen gleich,
Drauf Jesus zog zur Stätte der Propheten.
Und immer tiefer in des Waldes Reich
Schritt Sturmi's Thier, als gäb' es kein Ermüden,
Umwogt vom West, wie Frühlings Kuß so weich.
Und immer süßer wird der Duft der Blüten
Und immer kühler lädt der Quell zum Trinken,
Das Moos wird weicher, sanfte Rast zu bieten.
Dort prangen Beeren, die zum Kosten winken:
O pflück' uns, Freund, daß wir das Brot Dir würzen
Und lausche froh dem hellen Schlag der Finken.
Und, Sturmi, horch, wie, Dir den Weg zu kürzen.
Hier auch die Drossel singt, von deren Flügeln
Des Thaues Perlen in den Schooß Dir stürzen.
Da kann der Mönch die Lust nicht länger zügeln,
Er selbst muß singen, seinen Gott zn loben.
Wie noch kein Reiter sang in Eisenbügeln:
„Die Himmel rühmen Dich, den Herrn da droben;
„Der Tag erzählt dem Tag des Schöpfers Werke,
„Rächt sagt zur Rächt: O sieh der Allmacht Proben!
„Du bist, mein Gott, nur Du, die Kruft, die Stärke,
„Du schufst den Mond mit eines Wortes Schallen,
„Du lehrst den Stern, daß seinen Platz er merke.
„Der Sonne bautest Du die goldnen Halle»,
„Die wie ein Bräut'gam schreitet aus den Pforten,
„DenPfad, den Du ihr zeigst, als Held zn wallen."
So sang der Mönch und zu des Liedes Worten
Klingt jeder Baum, es klingt aus jedem Strauche,
Juni Lauscher ist das scheue Reh geworden.
Es blickt zum Mönch empor mit klugem Auge,
Als wollt' es sagen: Gottesmann, willkommen!
Dir bist es nicht, den ich zu fürchten brauche. - -
Ein Thal ging auf. Fm Sonnenglanze glommen
Die Wellen der Fuldaha silberhell.
Als käm' ein Meer von Sternen miigeschwomiuen.
Und Sturmi spricht zum Grauthier: „Steh' Gesell!
„Hier laß uns Hütten bau'», darin zu wohnen:
„Gott selber war's, der uns geführt znr Stell'.
„Wie wird mir's Winfrieds Lob,dem Finder, lohnen!
„Hier wird das Kreuz er richten den Germanen,
„Und hast Du, Herr mein Gott,noch Märtyrkronen—
„Herr, wie Du willst; wir tragen Deine Fahnen;
„Herr, wie Du willst; wir sind des Kreuzes Streiter,
„Doch Lieb' und Gnade sind Dein erstes Mahnen
„lind sind die Sprossen Deiner Himmelsleiter."
(f vaiH-vt.
Tafelrunde.
Inder .Kaiserpfalzzu Aachen entstand ein großes Dürsten,
AlsKönigKarolnsdort tagte mitvielenHerr'n nndFürsren
„Herr Mundschenk! den größten Becher! unb Rüdes
hcimer alten!
Der Wein zersprengt die Fässer, ihr Herren, ihr braucht
nicht Maß zu halten!"
Da nahm den Pokal Llivier, der wunderkühne Degen,
Er trank ihn aus zur Neige und lächelte verlegen:
„Weit lieber wollt' ich kämpfen mit hnnderttansen Heiden,
Als hier in der Pfalz zu Aachen so übergroßen Durst
zn leiden!"
Nun winkteDurpin derBischof, daß man den Becher bringe.
„Mein Durst wird immer größer, je mehr ich Rüdes-
heimer verschlinge.
Ich denke dabei an die Meersluth, die ohne Ende bvanbct
Und wie wir einst bei Joppe, vor Durst verschmachtet,
sind gelandet!"
Roland, den He!dvonEisen,1rünkzweimalinvolleuZügen.
„Es ist ein Ding, das mir leid ist, das andere kann
mä)t genügen:
Daß mir ein Mund zum Trinken und Küssen ist gewachsen
Und daß üb zwei Arme nur habe im Kamps und
Ringen mit den Sachsen!"
Es schien durch das Bogenfenster voll Mittagsglnt
die Sonne,
Da spro ch der große König: „ich blicke ans euch mit Wonne!
Solange Deutschlands Helden an Durst und Muth
euch gleichen,
Müssen alle Feinde zitternd von unsern Marken weichen!"
Oüuftixxt tutjtvopp.
Aus alter imö neuer Zeit.
Der 31. Januar 1632 gilt für den Todestag des
berühmten Mathematikers und Mechanikers Justus
Byr.qi, auch Jobst Burgi genannt, der eine Reihe
von Jahren hier in Kassel gewirkt und eine Anzahl
merkwürdiger astronomischer Instrumente hinterlassen
hat, die heute noch in dem Museum aufbewahrt
werden. (Geboren am 28. Februar 1552 zu Lichten-
steig im Kanton Zürich, wurde er von dem gelehrten
Landgrafen Wilhelm IV., dem Weisen, 1579 nach
Kassel berufen und hier als Hofnhrmachcr beschäf-
tigt. Auch bediente sich der Landgraf seiner Hilfe
bei seinen astronomischen Arbeiten. Unter den von
Byrgi angefertigten astronomischen Instrumenten be-
finden siel) eine große kupferne Himmelskngel, eine
nach dem ptolemäischcn System eingerichtete astrono-
mische Uhr und andere künstliche Apparate, welche
er nach den Angaben des gelehrten Landgrafen her-
stellte. Er stand in großem Ansehen bei dem landgräf-
lichen Hofe, einem Hofe, an welchem die Wissenschaf-
ten, insbesondere Mechanik und Astronomie, in einer
Weise gepflegt wurden, wie die Geschichte es nur
noch einmal von dem Hofe des Königs Alfons X.
von Castilien (regierte von 1252—1284) berichtet.
Landgraf Wilhelm der Weise schrieb über Byrgi an
Tycho de Brahe «qui quasi iudagine alter Arclii-
medes esf (bei* gleichsam an Spürkraft ein zweiter
Archimedes ist.'» Im Auftrage des Landgrafen
hatte Byrgi 1592 kurz vor dessen Tode eine
ans Silber verfertigte Himmelskugel, welche durch
einen künstlichen Mechanismus die Bewegungen der
Gestirne versinnlichte, dem Kaiser Rudolf II. als
Geschenk des Landgrafen zu überbringen. Bon
1603 an lebte Byrgi als kaiserlicher Kannneruhrmacher
in Prag und Wien, kehrte bann im letztgenannten
Jahre nach Kaffel zurück und verblieb daselbst
bis zu seinem Tode. Sehr bedeutende Erfindungen
werden ihm zugeschrieben, u. a. diejenige des Pro-
portionalzirkels, des Triangularinstrnmentes u. s. w.,
auch soll er zuerst den Pendel zur Bestimmuug
de- Zeitmaßes benutzt haben. Durch die Berech-
nung der von ihm selbst so genannten Progreß-
tabelle gilt er für den deutschen Erfinder der
Logarithmen, während bekanntlich diese Erfindung
anderseits dem Schotten Neper (Nopier von
Merchiston > zugeschrieben wird. Mit vorzüglichen
Kenntnissen verband Byrgi eine allzugroße Be-
scheidenheit und legte in Folge dessen wenig Werth
auf das Bekanntwerden seiner Entdeckungen. Der
Franzose Pittet hat ihm viele Erfindungen abge-
stritten; derselbe wurde jedoch schließlich von dem
Schwager und Schüler Byrgi's, dem gleichfalls be-
rühmten hessischen Mathematiker und Architekten l
Benjamin Barmer aus Felsberg, der 164# als
hessischer Rent- und Baumeister in Ziegenhain ge- |
storben ist, widerlegt. !
* i
* *
Die Lücke, welche in Folge des am 27. Juli v. I.
erfolgten Hinscheidens des hochverdienten Ober-
bibliothekars D. Albert Duncker in der Leitung und i
Verwaltung der hiesigen ständischen Land es -
bibliothek entstanden war, ist jetzt in glücklichster
Weise wieder ausgefüllt. Seitens des ständischen Landes-
ausschusses ist an Duncker's Stelle am 17. Novbr.
v. I. der zweite Bibliothekar Herr Dr. Eduard
Lohmeyer zum ersten, und an dessen Stelle am
18. Januar d. I. Herr Reallehrer Dr. H u g o
Brunner zum zweiten Bibliothekar ernannt worden.
Diese Wahlen verdienen nach jeder Richtung hin als
ganz vortreffliche bezeichnet zu werden. Es dürfte
für die Leser unserer Zeitschrift von Interesse sein,
über den Lebensgang jener beiden Herren, welche als
Mitarbeiter verzeichnen zu können unser „Hessenland"
die Ehre hat, einige kurze Angaben zu vernehmen.
Eduard Ludwig Wilhelm Lohmeyer ist
an 2. April ^Charsreitag) 1847 zu Rinteln geboren.
Er besuchte von 1856 bis 1865 das Gymnasium
seiner Vaterstadt, studirte zunächst in Heidelberg und
Leipzig Rechtswissenschaft, dann vom Herbst 1866»
ab in Leipzig, Marburg und Berlin Philologie und
vergleichende Sprachwissenschaft. Im Sommer 1871
beftanb er in Marburg die Prüfung pro facultate
doeendi. Als Probekandidat trat er im Januar 1872
bei der Louisenstädter Gewerbeschule in Berlin einund
absolvirte die vorgeschriebene Zeit als solcher bei der
höheren Bürgerschule zu Uelzen. Nachdem er zum
wissenschaftlichen Hilfslehrer befördert worden war,
wurde er im August 1873 dortselbst zum ordentlichen
Lehrer ernannt. Um sich dem bibliothekarischen Berufe
zu uubuicn und dazu sich durch weitere Ausbildung in
den neueren Sprachen noch eingehender vorzubereiten,
gab er seine Lehrerstellnng auf und verweilte zunächst
l1.. Ja re in der französischen Schweiz. Am
16. Jrnul876 trat er als Praktikant bei der hiesigen
stündlichen Landesbibliothek ein. Zu Ende des Jahres
1881 wnrde er in Halle zum Doetor pliilosophiae pro-
movirt. Im Anfang 1882 wurde er zum 2. Bibliothekar
ernannt, in welcher Stellung er bis zu seiner am
17. November 1886 erfolgten Beförderung zum ersten
Bibliothekar verblieb. Bon seinen wissenschaftlichen
Arbeiten nennen wir „die Handschriften des Willehalm
Ulrichs von Türheim", Halle 1882, Kassel 1883;
mehrere Jahre hindurch gab er die orthographische Zeit-
schrit „Reform" heraus. Orthographische und sprach-
wissenschaftliche Abhandlungen veröffentlichte er in ver-
schiedenen Zeitschriften, ebenso Aufsätze bibliographischen
und phonetischen Inhalts, sowie über den deutschen
Echulverein, den allgemeinen deutschen Sprachverein
n. s. w. —
Hugo Brunner ist am 24. September 1853 als
der jüngste Sohn des Metropolitans Karl Brunner zu
Gudensberg geboren. Er besuchte das Gymnasium
zu Kassel von 1865 bis 1872, studirte sodann in
Marburg, Leipzig und Münster Phrlologie und
Geschichte. Nachdem er im Jahre 1877 die Prüfung
pro 1s.eu1t8.ts äoeenäi bestanden, und hiernach bei«
hessischen Feldartillcrie-Regiment Nr. 11 seiner Dienst-
pflicht Genüge geleistet hatte, trat er im Herbst 1878
bei der hiesigen Realschule als Hilfslehrer ein. Im
Sommer 1880 erlangte er in Halle die philosophische
Doktorwürde auf Grund einer Abhandlung über
36
Aueas,sin und Sicolete. Pom September 1883 bis
April 1884 hielt er sich in Paris auf. Vorher und
nachher war er auf dem Gebiete der hessischen Geschichte
thätig. Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten führen
wir an: „Kassel im siebenjährigen Kriege"; er ver-
faßte ferner verschiedene Abhandlungen aus der Zeit
des Landgrafen Wilhelm VIII., von denen eine über
die Polisik des Landgrafen Wilhelm's VIII., vor und
nach dem Ausbruche des siebenjährigen Krieges, in
Kurzemerscheinen wird. — Er sowohl, wie sein Kollege
Dr. Lohmeyer haben sich hier durch zahlreiche wissen-
schaftliche Borträge den Ruf tüchtiger Redner er-
worben. — '
Hesßsche Kjjchkrschiul.
Bor der Schlacht. Entgegnung aus dem
deutschen Lager, Von O. W a ch s', St. Preuß. Major
a. D. Separatabdruck aus der „Internationale Revue
der gesammten Armeen und Flotten. Leipzig. Truck
von Hesse und Becker 1886."
Die Schrift ist gegen das französische „Avant hi
Imtaille“ gerichtet, welches der bekannte Führer der
Patriotenliga, Paul Deronläde, durch eine Vorrede
einleitete. Wachs wählt für seine Besprechung die
Vorrede, die Widmung, das erste und das letzte Kapitel;
er hält den französischen Hetzern gegenüber, was schon
so oft ihnen vorgehalten wurde — das Unrecht Frank-
reichs, als es Deutschland 1870 den Krieg aufdrängte,
die Thorheit, nachdem der Gott der Schlachten den
Deutschen Recht gegeben hatte, immer und immer
wieder Rache an uns für das selbstverschuldete Unglück,
eine eigentlich für Jahrhunderte hindurch geübte
freche Angriffe nnd Mißhandlungen unseres Volkes
und Landes wohlverdiente Züchtigung, zu predigen.
Der Franzose stellt grundsätzlich den französischen
Soldaten als den ersten der Welt hin; sein deutscher
Gegner hat es nicht schwer, darauf hinzuweisen, daß
1870/71 iu allen Schlachten, in dem wechselreichen
Terrain, auf dem Blachfelde, wie hinter Wall und
Graben der erste Soldat der Welt von dem Deut-
schen geschlagen wurde. Dem französischen Offiziers-
korps ertheilt der französische Verfasser das Lob: zu
keiner Zeit war es so solid, geschlossen, gleichartig,
für seine Rolle geschickt wie heute; der Deutsche be- !
Leuchtet dieses selbstgefällige llrtheil durch Stimmen
aus dem französischen Lager selbst, welche etwas
anders lauten. Als ein höchstwichtiger Punkt, welcher
in der französischen Armee eine Schwäche bedeutet,
wird das Fehlen eines obersten Kriegsherrn hinge-
stellt ; es ist auch wirklich ein Mangel für einheit-
liche, denselben Geist der Ehre und Pflicht athmende
Ausbildung und Grundanschauung in der Armee, wie
anderseits darin eine gewaltige Gefahr lauert — das
Emporkommen ehrgeiziger Generale auf Kosten des ,
eigenen Vaterlandes wie zum Unheile anderer Staa-
ten, letztere aber besonders bedrohend. Der Franzose
beantwortet die Frage „haben wir heute Führer, ,
welche fähig sind, die Massen zu befehligen und sie
zum Siege zu führen? dahin: „ich bejahe sie ohne
Zaudern;'" der Deutsche erlaubt sich Zweifel daran. Man
muß dem Deutschen darin beipflichten, wenn er die Frage
auswirft „ob die französische Armee dem Verfasser
des Buches dankbar dafür sein werde, daß er dem
Feinde fast intimen Einblick in das große französische
Triebwerk gestatte," deren Verneinung in der Frage-
stellung angedeutet liegt. Das französische Werk war
nur durch Einsicht in offizielle O.nellen herzustellen,
' soll außerdem auf Kosten geheimer Fonds des Kriegs-
ministeriums gedruckt sein; wir Deutschen verstehen
nicht, wie Vaterlandsliebe solche Blüthen treiben kann.
Das Stärkste, was der Franzose leistet, ist die
Ausführung, wie im bevorstehenden Kriege seine Lands-
leute siegen werden, nämlich durch Ueberwaschnng!
Recht erheiternd ist die Betrachtung, welche Wachs
über den in dem Buche aufgestellten Satz' durchfiihrt,
„daß die Deutschen nur nach einem ins Einzelne vor-
bereiteten Kriegsplane verfahren hätten und verfahren
könnten, daß ihnen aber jede Befähigung, in andere
Verhältnisse als die vorausgesetzten sich zu finden,
abgehe." Es ist eine dem Franzosen untergelanfene
Satire, welche jeder Zeitungsleser von 1870/71 zu
würdigen wissen wird.
Die deutsche Schrift ist in der immer noch von
dunkelem Gewölle am politischen Horizonte ver-
finsterten Periode lesenswert!). xn
Arikflmjte».
K. A. .Staffel. Ihre uns gütigst zugesandten Artikel
hadert wir wegen Mangels an Raum zurückstellen müssen.
W. B. M a r b u r g. Der Redakteur des „Hessen-
landes" beabsichtigt die von Ihnen angeregte Frage bei
seiner demnächftigen Anwesenheit in Marburg persönlich,
mit Ihnen zu sprechen.
L. X. H a n au. Besten Dank für Ihre interessanten
Notizen. Dieselben werden Aufnahme in der nächsten
Nummer finden, weiche überhaupt von besonderem Inter-
esse für Hanau sein wird, weil für dtesetbe eine Reihe
, von Beiträgen Hanauer Mitarbeiter bestnnmt ist.
Nach Wiesbaden. Der Abdruck größerer Artikel
aus dem „Hessenland" ist überhaupt n u r gestattet, wenn
der Verfasser und die Redaktion ihre (Genehmignng dazu
ertheilt haben. Der besondere Vermerk „Nachdruck ver-
boten" wird dadurch überflüssig. Freundlichsten Gruß.
8. L. Trier. Gedicht vorbehaltlich einer kleinen ledig-
lich die Form berührenden Aenderung zum Abdruck an-
genommen. Wir bitten Sie aber uns mitzutheilen, wie
Sie das Gedicht zu unterzeichnen wünschen.
MF Trotz verhältnismäßig großer
Auflage ist die Nummer 1 des „Hessen-
land" vollständig vergriffen. — Um
übrigens de« zahlreichen Reklamationen
dieser Nummer z« genüge«, werden
wir dieselbe in «ener Anflage erscheine«
lasse« und mit der nächsten Nummer
versenden. —
Die Redaktion.
Verantwortlicher Redakteur F. Zw eng er. Td'uek und Verlag »on F. Zwenger in Kassel.
M 4.
15. Februar 1887.
Kesseukaud.
Zeitschrift für hessische Geschichte «nd Literatur.
Inhalt: „Der Verbannte", Gedicht von D. Saul; „Zu hessischem BolkStume" (Schluß) von H. von Pfister; „Die
Zerstörung der Stiftskirche zu Hersfeld" von Professor Dr. Adolf Müller; „Philippine Engelhard, geb. Gatterer"
l Schluß» von F. Zwenger; „Aus dem Leben Dr. Naso's" (Fortsetzung) von M. Herbert; „Liebesrecht", Gedicht von
Nataly von Eschstruth; „Das träge Weib", Gedicht von Julius Gräfe: „Die schenste Zeit", Gedicht in Schwälmer
Mundart von Kurt Nutzn; Aus alter und neuer Zeit; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
H Dev Uevvannte. H
Du halt verfolgt mich und verbannt,
Doch blieb iih dir treu, mein Vaterland.
Dn nahmst mir Ehre, Glück und Drot
And stichelt mich ans in bitt're Aot.
Keine Schmach, die dn nicht gehäuft auf nrich
And dennoch liebt meine Seele dich;
Mein Her; mit Füßen tratest du schier,
Doch es jauch;te mit dir und meinte mit dir.
And Jahr auf Jahr verging, versank,
Ann bin ich elend und heimwehkrank.
Gebeugt ist mein Nacken, mein Haar erblich,
Zur letzten Reise rüst' ich mich.
Doch ehe ste in den fremden Sand
Min; betten, höre mich Vaterland!
Von -einen Dergen, -einen Ätt’n
Girren Hauch laß meine Stirn bethan'n.
Send' einen Gruß mir, einen nur,
Arid wär' es ein armer Halm -er Flur;
And wär' es nur ein verwelktes Matt,
Das eirrst daheim gegrünet hat.
So will ich vergessen, was du mir gethan —
Mein Vaterland, ich sterbe -ran. p.
In hessischem Uolkstnme.
Bon
H. Pfister.
(Schluß).
§angbarkeit der Wege in Dörfern war ehemals
genau auf's Bedürfnis der Einwohner be-
rechnet, d. h. beschränkt. Allerdings gaben
sie in solcher Verfaßung, bei schöner trockener
Witterung, des Ortes Innerem ein angenehmeres
Aussehen denn gepflasterte Gaßen. An Kot bei
naher Witterung war man seit Jahrtausenden
gewöhnt; er belästigte den Landmann nicht, der
nur zu Sonntagen und bei festlichem Anläße sein
Schuhwerk schwärzt, und für den vielleicht die
Bach im Orte die beste Straße war.
Ob zwar Ungeneigtheit hessischer Bauern und
Ortsbürger — doch ebenso anderwärts in
Deutschland — zu längerer Bequemlichkeit auch
nur kurze Mühe zu übernehmen, geschliffenem Groß-
städter tadelhaft erscheine, weil diese Nachläßig-
keit gerade für den Verwöhnten empfindlich wird.
so verdienen die Landleute doch aus niehreren
U fachen billige Entschuldigung: wegen bergiger
Beschaffenheit unseres Landes, wegen gerechter
Scheue vor Kosten, die ihrer bedingten Armut
nicht unbeschwerlich fallen, sowie wegen geringes
Bedürfnisses bei minderem Verkehre. —
Unsere meisten Dörfer sind mit Brunnen
reichlich ausgestattet, die entweder zu Tage stehen
und nur mit Gemäuer ausgefüttert sind, oder
die bei größerer Tiefe mit einer Radkurbel, etwa
auch einem Schnellbalken versehen sind. In
ersterem Falle haben sie dann eine bretterne Be-
dachung über sich. — Früher mochte jeder Bauer
seinen eigenen Backofen beptzen; man findet sie
noch als Halbkugeln von Laimen gestaltet; oben
mit Ziegeln belegt. Vor Jahrzehenden schon führte
jedoch unbefugter Eingriff befangener Beamter
an grünem Tische, wie in so vielen, unser Volks-
tum schwer schädigenden Fällen, zu zwangsweiser,
Anlage der Gemeinde-Backhäuser. Die alten
Backöfen, ebenwol die Koben, stehen in den Gras- !
gärten. —
In jedem echt hessischen Dorfe fand man zn
guter alter Zeit die Linde. Sie bestund aus
einem oder einigen Stämmen, oder war zu
laubigem Schirme künstlich gezogen, hatte unter
sich steinerne Sitze und Tische, und stund als
Regel unferne der Kirche. Wo die Linde brach
und heute fehlt, gieng ein bestes Stück unseres
Bolkstumes, alter germanischer Eigenart, insonders
unserer chattischen Wesenheit, in schalem Treiben
unsteter Gegenwart unter.
Noch bleibt uns vom Äußeren und Inneren
der einzelnen Wohnungen hier zu reden.
Dem Stoffe uach sind die dürftiger aufge-
führten Gebäude noch eben so als die chattischen
Hütten waren; wol öfters auch ihrer Gestalt
nach. In vorigem Jahrhunderte war das ganze
platte Land, von Kirchen n. s. w. abgesehen,
nahezu noch e i n Strohdach, was gesundheitlich
von woltätigem Einflüße war, und solchen sogar
auf Regelung der Niederschläge übte. Heute
ist leider — wiederum durch Maßregeln der
Behörden — das warme, trauliche Strohdach
äußerst selten geworden. — Ein ärmliches Haus
hat spärliches Holzwerk, ungeweißte Lchmwände,
recht fragwürdige Fenster, ans denen bisweilen
auch der Rauch anstatt durch den Schornstein
seinen Abzug findet. Beßcre Gebäude sind ge-
weißt, doch immer überwiegend noch aus Holze
und Laimen; bei ihnen machen aber die alter-
tümlichen, Rauten genannte, Scheiben der Fenster >
allmählich größeren rechteckigen nun Platz. Das
Gebälke der Wände wird nicht überstrichen, 1
allenfalls verschnitzt. Wohnhaus, Scheuer sowie
niedere schmale Stallung bilden oft je eine Seite
der viereckigen Hofraite, deren vierte Seite offen
sein darf. Sc.ten ist die Raste — d. h. der ,
Raum von wo zu Wagen oder zu Rosse „ab-
geritten" wird — jedoch so breit, daß Fuhrwerk >
im Fahren umwenden möchte. — Manches Haus >
hat ein vorspringendes llberdach an der Wand,
zu trockener Aufbewahrung gewisser Gerätschaften.
Diese Dächer sind ein einfaches Zelt. Bei neueren (
Wohnungen hat der mittlereTeil noch ein Zimmers- !
Stockwerk. Steinerne Bänke finden sich neben
allen Haustüren. Treppen vor den Türen sind
häufig, wegen der Erhebung des untersten Wohn-
stockes; da im eigentlichen Erdgeschoße in der >
Regel nur die Küche doch befindlich. Gleichwol '
führt fast immer noch eine Treppe voin „Eren"
zum ersten Ziinmers-Gestocke.
Echtem bäuerlichem Hause gebührt endlich
ein Wappen, Mahlerci, Geschrift. Ein heran
wachsendes Geschlecht sollte seine Ehre darin suchen,
die treuen kernigen Sprüche biederer wackerer
Vorfahren bei Neubauten wieder herzustellen.
Anziehen etwelcher Bäume oder Sträuche an
einer oder mehreren Wänden wird selten gefunden;
es sei dann in begünstigten Gegenden der Wein-
stock. Wo im Norden aber doch die Sitte herscht,
da gibt man Vorzug dem Hiefeu-Strauche —
in niederer Grafschaft Katzeu-Elnbogen noch mit
altfränkischer Lautung „Kiepe" oder „Käipe" ge-
nannt.
So schlicht nun etwa auch manche althessische
Dörfer — von den reichsten Landes-Strichen
abgesehen — vielleicht gebaut seien, so schmücken
sie doch durch Lage und äußeres Aussehen oft
unsere lieblichen kleiuen Landschafts-Bilder, und
bieten meistens im Inneren eigenartigen, bis-
weilen mahlerischen Reiz; wie solcher durch bergige
Lage, eine rauschende Bach, durch bunte Un-
regelmäßigkeit der Gehöfte, durch eingemischtes
Grün der Gürten, Einfachheit der Gebäude selbst,
durch offene Auslage ländlicher Gerätschaften
auf der vom Geflügel und anderem Viehe be-
lebten Hofraste hervor gebracht wird, womit aber
auch die ungepflasterten Gaßeu in vollem Ein-
klänge stunden.
So als hier geschehen, wünschte ich wol, daß
alle vaterländische Schriftsteller und volkstümliche
Schreiberinnen doch im Rahmen ihrer Erzählungen
unsere hessisch:» Dörfer verwöben. Selbst ob
und wo dos Bild kein gegenwärtiges sei, es ist
ein streng geschichtliches, war vor einem Menschen-
Alter noch zutreffend, und möchte es auch wieder-
um werden. Da wir ansiengen, in der Kunst
altdeutschem Geschmacke nachzuspüren, ward er
auch von neuem geboren. —
Älteste Örter sind diejenige», die ohne Zu-
sammensetzung einfach benannt, gleichsam als mit
persönlichem Eigennamen heißen:
Aula, Bogel, Dissen, Ems, Göns, Helsa. Iba,
Jossa, Kemel, Lohra, Messel, Orb, Pfiefe,
Quentel, Ritte, Senge, Traisa, Usseln, Vach,
Wohra, Zwesten.
Die große Anzahl solch kurzer Namen, die
hier oben nur angedeutet ward, beweiset zugleich,
wie uralt der Wohnbau im Hessenlande sei; ich
schöpfte aus allen sechs Gauen.
Die jüngsten sind die Örter auf — rode
(roth), die an Stelle späterer Rötung (Reutung)
zuletzt noch erwuchsen. Der weiche Zahnlaut in
— rode ist hochdeutsch unrichtig, aber alt-
fränkischer Stufe gemäß.
39
Noch darf eine besondere Gattung Namen
unsere Aufmerksamkeit beschäftigen; es sind die
auf — ingshausen und — ingerode. Wenn die
Nachkommen eines Ello vaternamisch die Ellinge
hießen, so nannte der fränkische Stamm die An-
siedelung solcher Leute Ellingishusun, der sächsische
Hinwider Ellingahusun. Jenes meint: zu den
Häusern des Ellings; das andere: zu den Häusern
der Ellinge. Diß trifft so genau mit sprachlicher
Scheide zusammen, daß man auch darnach die
stammheitliche ermitteln möchte. Warum fügen
die Chatten solche Orts-Namen mit dem Wes-
fälle der Einzahl, die Niedersachsen mit dem der
Mehrzahl? —
Hertingshausen bei uns, Mengeringhausen
dort! Wäre diß nur sprachlicher Zufall? läge
nicht vielmehr bewußtes Tuen zu Grunde? hätte
etwa bei den Chatten das Haupt einer Sippe
— wie das eines schottischen Klanes — doch
größeres Ansehens genoßen? Vor solch Einem
traten die Übrigen zurück. Auch die im Bnchen-
gaue und in dessen Umgegend vorkommenden
Namen: Bellings, Breunings, Wallings, u. s. w.
fallen hierher; ihnen fehlt nach dort beliebter
Weise nur der zweite Teil, sie sind bloß gelegte
Wesfälle der Einzahl. Ein Bewohner darf also !
nicht etwa Breuningser heißen; er ist ein Breu- j
niuger. ;
Nun aber von Ellingshausen zu Ellingerode, i
Hier erscheint auch bei fränkischem Stamme jene >
sächsische Namens-Form. Die Verfaßung solcher j
Reutungen muß also bereits wohl eine andere ‘
gewesen sein; der Schluß uralter Sippe lag ,
nicht vor. Leute aus unterschiedlichen Dörfern
hatten sich zusammen gefunden, und nach dem ■
Namen Fürnehmster ober Reichster unter ihnen
ward nun das neue Ort benannt. —
—
Ältester, und unseren chattischen Volks-Stamm
geradezu kennzeichnender Würden-Name für das
Oberhaupt eines Dorfes war Grebe (richtig
gesprochen mit breitem gebrochenem ä, wie in
„lebe"). Dieser Name galt ursprünglich durch,
vom Reinhartswalde zum Odenwalde, von Sankt
Goar bis zur Rhönc. Schultheiße galt für den
Greben, und darneben, in so ferne er zugleich
Orts-Richter war. Der Grebe — das meint
„Bruern-Graf" — war die weitere Würde, worin
des Schultheißen Amt mit begriffen ward.
Die althessische Greben-Ordnung war meister-
haft, und der Ausdruck nie gänzlich verlorener
Gemeinfreiheit unseres edlen Stammes. Ob der
Name heute auch leider keine amtliche Geltung
mehr habe, so sollten volkstümliche Schriften ihn
doch lebendig erhalten, gegenüber dem verwäßerten,
ausDörfern ungehörigen Ausdrucke„Bürgemeister".
Am Zähesten hatte Niederhessen am Namen
„Grebe" gehalten. —
Man ist heute so leicht geneigt, „freiheitlich"
und „bewahrsam" etwa gar als Gegensätze zu
faßen. Wo es sich um innere Gliederung des
gesamten volkstümlichen Lebens handelt, um
Wahrung alter Ordnungen, woltätiger Schranken
der Stände und Verbände, da gelte es sich zu
stemmen wider neuzeitliche Zersetzung, wider
Auflösung alles Volkes in eine Herde unterschieds-
loser Einzelinge! Wo hinwider Schutz und
Schirm höchster, freiheitlicher Güter, Abwehr
jeglicher Vergewaltigung in Frage kömt, da
müßen gerade die Ersten und Vornehmsten im
Lande Wächter sein der Gemeinfreiheit ihrer
Blutes-Genoßen. So faßte das germanische
Altertum den mannhaften, nicht liebedienerischen
Beruf des Adels.
----- '
Die Zerstörung der Stiftsirreclfe nt Heesfeld.
Äe mehr neuerdings der drohende Krieg mit Nach manchen Wechselfällen neigte sich zu
A Frankreich das Tagesgespräch bildet, um so näher Anfang des Jahres 1761 das Kriegsglück wieder
liegt es, sich zu vergegenwärtigen, was uns de- einmal dem Herzog Ferdinand von Braunschweig
vorstünde, wenn es — was Gott verhüte! — zu, welcher als Feldherr Friedrichs des Großen
den Franzosen je wieder gelänge, siegreich über * mit den verbündeten Truppen von Hessen, Han-
den Rhein vorzudringen und deutsches Land zu nover und Braunschweig den Krieg auf dem
besetzen. Wie das ganze westliche Deutschland, 1 westlichen Schauplatz gegen die Franzosen führte,
so hat es auch Hessen hinlänglich erfahren, wie . Siegreich drang er in Westfalen und Hessen vor,
jene erobertes Gebiet zu behandeln pflegen, nahm am 12. Februar 1761 die Stadt Fritzlar,
Dies haben sie namentlich auch im siebenjähri- welche die Franzosen stark befestigt hatten und
gen Kriege bewiesen, in welchem das Hessenland aufs hartnäckigste vertheidigten, im Sturm
durch Einquartierungen, Lieferungen aller Art und gelangte, die Franzosen immer vor sich her-
und fast unerschwingliche Brandschatzungen seitens treibend, bis in die Nähe von Hersfeld.
der Franzosen ganz entsetzlich gelitten hat. i Hier befand sich das Hauptmagazin für die
40
in Hessen lagernde französische Armee, in wel-
chem 80,000 Säcke Mehl, 50,000 Säcke Korn
und Hafer, eine Million Rationen Heu, und
eine große Masse Stroh aufgehäuft waren.
Mit Ausnahme des Heues und des Strohes,
welches in den Stiftsgärten im Freien aufge-
schichtet war, lagerten die übrigen Vorräthe in
der geräumigen Stiftskirche — jener großartigen
und schönen Pfeiler-Basilika, die aus der Blüthe-
zeit des romanischen Banstils herstammt. Die-
selbe ist 358 Fuß lang und im Querschiff 196
breit; unter dem lang gestreckten, runden Chor ,
befindet sich eine Säulen-Krypta, in welcher vor- ;
mals die Gebeine dreier Heiligen, des Wigbert, i
Witta und Lullus, ruhten. Der vordere Theil ,
der Kirche hatte drei Schiffe, wovon die beiden
Seitenschiffe niedriger als das Mittelschiff waren.
Die beiden Kreuzesarme und das Chor hatten j
gleiche Höhe mit dem Mittelschiff. Die Kirche !
nebst Chor war nicht gewölbt, sondern hatte !
flache Holzdecken. In der Mitte der Kreuzarme
erhob sich über dem Dache ein sechseckiger hoher
Thurm mit Kuppel, und auf der Giebelspitze
des hohen Chors im Osten war eine mächtige
von Kupfer gefertigte und vergoldete Hand an-
gebracht, welche die Finger zum Schwur empor-
streckte, als Zeichen des kaiserlichen Schutzes, den ;
einst Karl der Große dem Stifte Hersfeld zu-
gesichert hatte. Nach Westen befand sich eine !
gewölbte großartige Vorhalle, über dieser eine 1
große Halbrotunde in welcher eine der größten
und schönsten Orgeln stand, bei deren Spiel ein
über ihr angebrachter großer silberner Stern —
ein Geschenk der Gemahlin Kaiser Heinrich IV.
— sich bewegte. Neben dieser Vorhalle standen 1
zwei Thürme, von denen der eine noch erhalten
ist. Im Inneren der Kirche sah man zahlreiche }
prachtvolle Monumente, und die Wände waren ;
mit schönen Fresko-Gemälden geschmückt, deren !
Spuren noch sichtbar sind. Und dieser schöne,
durch sein Alter ehrwürdige Dom sollte in
Staub und Asche sinken, wie das Folgende er-
geben wird. !
Die in und bei Kassel lagernden Franzosen !
zogen sich nach dem Verlust von Fritzlar, nach- !
dem sie in Kassel eine starke Besatzung zurück- I
gelassen hatten, auf Hersfeld zurück, verschanzten j
in aller Eile die Höhen um die Stadt und !
trafen alle erforderlichen Anstalten, um das er- ,
wähnte Nagazin nicht in die Hände der Ver- *
bündeten fallen zu lassen. Schon am 19. Febr. .
langte der Herzog von Braunschweig, von Fritz- j
lar kommend, in Schwarzenborn an, und seine !
Vorposten gelangten ungehindert bis Oberngeis,
zwei Stunden von Hersfeld, während preußische ,
Husaren unter General Luckner bereits bis
Vacha, sechs Stunden von Hetsfeld, vorgerückt
waren. Es drohte also den Franzosen inHers-
fcld ein Angriff, sowohl von Osten als von
Westen, und der Rückzug auf Fulda wäre ihnen
leicht möglich ganz abgeschnitten worden. An-
fangs gedachten sie zur Vertheidigung ihres
Magazins das Aeußerste zu wagen, selbst auf
die Gefahr hin, daß die Stadt Hersfeld dabei
iu Brand geschossen werde.
Auf dringendes Bitten des Magistrnts von
Hersfeld wurde dieser unheilvolle Plan endlich
aufgegeben, aber die Vernichtung de- Magazins
durch Brandlegung beschlossen. Hier half kein
weiteres Bitten und Flehen: Am 19. Februar
1761 wurde die Brandfackel in die herrliche
Stiftskirche geschleudert und die massenhaften
im Freien lagernden Stroh- und Heuvorräthe
angezündet. Im Nu stand in dem alt-ehrwür-
digen Stifte alles in lichten Flnmmen. Riesige
Fcuersäulen stiegen hoch gen Himmel empor und
drohten die dicht angrenzende Stadt mit ins
Verderben zu ziehen. Die Angst und Noth der
unglücklichen Bewohner wuchs von Minute zu
Minute. Durch eine Plünderung der Stadt,
seitens der Franzosen wurde das Elend und der
Jammer der unglücklichen Hersfelder noch ge-
steigert. und wären nicht die Verbündeten in
Eilmärschen herangekommen, so wäre wohl ganz
Hersfeld ein Schutt- und Trümmerhaufen ge-
r-orden.
Nachdem die Franzosen die Stadt verlassen
hatten und die Verbündeten in dieselbe einge-
rückt waren, athmete die schwer bedrängte Bürger-
schaft wieder auf und traf sofort die erforder-
lichen Anstalten, um dem riesigen Brand im
Stifte, wenigstens nach der Stadt hin, Schranken
zu setzen. Die Verbündeten konnten sich mit der
Rettung der Stadt von Feuersgefahr nicht be-
fassen, sondern überließen dieses der Bürger-
schaft und setzten die Verfolgung der Franzosen
auf der Straße nach Fulda unaufhaltsam fort.
Dem großen Brande gegenüber waren die Hers-
felder machtlos. Mit Thränen in den Augen
standen sie viele Tage vor dem Stifte und
sahen ein Gebäude nach dem anderen eine Beute
des Feuers werden. Am schmerzlichsten wurden
sie berührt, als der schöne Thurm auf der Stifts-
kirche mit seiner Kuppel und seinem herrlichen
Geläute in den Feuerschlund prasselnd hinabsank.
Der damalige Oberschultheis von Hersfeld,
Rath Hartert, erstattete unter dem 25. Februar
1761 an den Landgrafen Friedrich II. über
das große Unglück, welches die Stadt HerSfeld
41 —
betroffen hatte, einen ausführlichen Bericht, in
welchem es am Schluffe heißt:
„Die Stadt war bei dem großen Feuer um-
„fomehr in größter Gefahr und Aengsten, indem
„der dazumal wehende gar starke Wind die
„Funken über die ganze Stadt trieb und aus-
streute. Gott der Allmächtige hat aber das
„Unglück abgewendet und die Stadt behütet, daß
„es darin! cn nicht gebrannt ; es ist aber in der
„Stadt und auf den Dörfern vieles geplündert
„und hinweggenommen worden, daß also der
„Schade allermaßen groß. Das Fener unter
„den Rui ien glimmt noch stets und dürfte so-
„bald noch nicht völlig gelöscht werden können.
Im Jahre 1830 ließ der damalige Landbau-
mcister zu Hersfeld, Leonhard Müller das
Innere der Kirche — welche als städtisches
Holzmagazin benutzt wurde, aber auf seine Ver-
anlassung geräumt werden mußte — herrichten
und den 2 bis 3 Fuß hohen Schutt fortschaffen.
Bei dieser Gelegenheit fand man stellenweis
fußhoch verkohltes Korn, von dem noch jetzt hie ,
und da Ueberreste sich zeigen.
Nach der Aufräumung kamen die Grabsteine
mehrerer berühmter Männer zum Vorschein,
welche in Hersfeld gestorben und in der Stifts- !
kirche begraben sind, darunter auch der Denk- I
stein des im Jahre 1606 gestorbenen Abtes Jo- *
achim Roll, des letzten einer langen Reihe von
Aebten, welche über 800 Jahre dem Stifte i
vorgestanden hatten. Als man die Ruine der !
Stiftskirche noch als städtisches Holzmagazin be- !
nutzte, wurde auf dem schönen und großen Grab- i
steine des Gelehrten Friedrich Risner, gebürtig
aus Hersfeld, gestorben daselbst 1580, Holz ge-
spalten. Risner lebte größteutheils in Paris
als Professor der Mathematik und Gehilfe des i
berühmten Petrus Ramus. Als letzterer 1572 !
ein Opfer der Pariser Bluthochzeit geworden
war, zog sich Risner in seine Vaterstadt Hers-
feld zurück und als er daselbst starb, widmete .
ihm der Abt Ludwig jenen Denkstein. Im
Mittelsckiff befindet sich das Grabmal des Dr. Mel, j
geboren zu Gudensberg 1666, gestorben zu Hers- >
feld 1733. Dieser erhielt seine erste Bildung
auf dem Gymnasium zu Hersfeld und wurde
später Rektor desselben, zugleich geistlicher In-
spektor der Kirchen und Schulen des Fürsten-
thums Hersfeld.
Er war ein hochgebildeter Mann, ein tiefer
Kenner der alten Sprachen. Unter seinen hinter-
lassenen Schriften verdienen sein Gebetbuch und
„die Posaunen der Ewigkeit" besonders erwähnt
zu werden."
Bei dem Brande waren die Gewölbe der
Krypta durch den Einsturz des Dachwerks durch-
geschlagen und die Krypta selbst ganz verschüttet
worden. Man reinigte dieselbe bei Aufräumung
der Kirche gleichfalls vorn Schutt, fand aber
nirgends eine Spur von einem Grabe oder Ge-
denkstein.
Schon im Jahre 1828 war mit geringen
Mitteln die Rundung des Chores, welche sehr
schadhaft geworden war, so ausgebessert worden,
daß ihr drohender Einsturz verhütet wurde.
Dagegen waren damals weitere Mittel zur Aus-
besserung der übrigen schadhaften Theile nicht
zu beschaffen. Späterhin veranlaßte der ge-
nannte Landbaumeister Leonhard Müller die da-
malige Kurfürstin Auguste, Schwester des Königs
Friedrich Wilhelm III. von Preußen, auf einer
Durchreise durch Hersfeld, die aufgeräumte
Stiftskirche in Augenschein zu nehmen. Dieselbe
wurde von dem Anblick der großartigen Ruine
so ergriffen, daß sie deren Erhaltung lebhaft
wünschte, und da sie erfuhr, daß Geldmittel
nicht zur Verfügung stünden, so ließ sie kurz
nachher aus ihrer Schatull-Kasse zu diesem Be-
hufe 600 Thaler anweisen. Diese Summe
wurde so verwendet, daß die Erhaltung des
Mauerwerkes auf längere Zeit gesichert er-
scheinen konnte. Und so bleibt unter den zahl-
reichen Ruinen, welche französische Zerstörungs-
wuth im westlichen Deutschland hinterlassen hat,
neben dem Heidelberger Schloß die Stiftskirche
zu Hersfeld eine der denkwürdigsten.
Prof. vr. Adolf Müller.
Mi-piae Engelhard, ged. Gatterer.
(Schluß).
Die erste Sammlung von Gedichten, welche Philippine
Engelhard noch vor ihrer Berheiralhung mit dem
Kriegsseeretär Johann Philipp Engelhard unter ihrem
Mädchennamen Philippine Gatterer herausgegeben
hat, erschien mit 4 Kupferstichen von Chodowiecki ge-
schmückt, 1778 in Göttingen, die zweite Sammlung
unter dem Titel „Gedichte von Philippine Engelhard,
geb. Gatterer", gleichfalls mit 4 Kupferstichen geziert,
1782 zu Güttingen. Im Jahre 1787 gab sie „Neujahrs-
geschenk für liebe Kinder", ein Erziehungsbuch für
Kinder, wie sie diese Gedichte selbst nannte und zuerst
für ihre eigenen Kinder bestimmte, 1789 „Neujahrs-
wünsche" heraus. Die dritte Sammlung ihrer Ge-
dichte erschien 1821 zu Nürnberg unter dem Titel
„Neue Gedichte", mit dem Bildniß der Verfasserin
und einem Kupferstiche versehen. Eine große Anzahl
von Gedichten veröffentlichte sie in dem von Voß und
42
Goeckingk herausgegebenen Musenalmanach, in dem
Göttinger Musenalmanach und vielen anderen Zeit-
schriften und Taschenbüchern. In den beiden erstge-
nannten Almanachen bediente sie sich nach Redlich's Ver- •
such eines Chiffernlexikons der Pseudonyme „Tuliane -
S.", „Karoline" und „Rosalia".
Zeigt Philippine Engelhard in ihren Gedichten auch
weniger einen hohen Schwung der Phantasie und j
feurige Empfindung, so sprechen dieselben doch durch
das kindliche Gefühl, welches in ihnen zum Ausdrucke !
gelangt, ungemein an. Es ist die Sprache unge- ,
gezwungener Offenheit und yeiterer Laune, welche i
uns hier eutgegentritt. Sie selbst machte in ihrer j
Bescheidenheit nicht einmal Anspruch auf Kunst, sie
wollte durch einfache, zwanglose Natur rühren, wie '
sie es bildlich in den bereits in Nr. 1 unserer Zeit-
schrift mitgetheilten Gedichte „Wie ich zur Dichtkunst *
kam" mit den Worten ausdrückt: »
Durch dichten geschnitzten Taxus bricht
Nie weder Sonnen-, noch Mondenlicht:
Da durch den Baum, der kunstlos blüht
Die sinkende Sonne malerisch glüht
Und silbern der Mond durch die Zweige blinkt,
Wenn Abends die Flur vom Thaue trinkt.
Daß Philippine Engelhard eine hessische, eine deutsche
Patriotin war, wie sie denn auch niemals, selbst während
der französischen Usurpation unter König Jerome,
nicht, wie dies soviel andere thaten, ihre deutsche Ge-
sinnung verleugnete, das geht auch aus dem Gedichte
„An Kurfürst Wilhelm zu Hessen, am Tage der
angenommenen Kurwürde, am 15. Mai 1803", und
aus der Schrift „Ueber den Einzug in Paris und
Napoleons Flucht und Entthronung, zum Besten der
Angehörigen armer hessischer Soldaten, hervor. —
Nach dem am 27. Januar 1819 erfolgten Tode ,
ihres Gatten, suchte und fand sie, wie bereits er- i
wähnt, Trost in der Dichtkunst. Manches schöne .
Gedicht entfloß in jener Zeit noch ihrer Feder, von
ganz besonderer Bedeutung ist aber ihre Uebersetzung
der „Chansons de Berangev“, die 1830 hier in
Kassel bei P. I. Bohne erschienen ist. Es war dies .
eine der ersten deutschen Uebersetznngen des gefeiertsten
Bolksdichters Frankreichs, dessen Lieder im Munde der
Hohen wie der Niederen seiner Nation lebten, die
gesungen wurden in Palästen wie in Hütten. Goethe*)
sagte von ihm: „Er ist der Sohn armer Eltern, der
Abkömmling eines armen Schneiders, dann armer
Buchdruckerlehrling, dann mit kleinem Gehalt angestellt
in irgend einem Büreau, er hat nie eine gelehrte *
Schule, nie eine Universität besucht, und doch sind
seine Lieder so voll reifer Bildung, so voll Grazie,
so voll Geist und feinster Ironie und von einer solchen *
Kunstvollendung und meisterhaften Behandlung der
Sprache, daß er nicht blos die Bewunderung von !
Frankreich, sondern des ganzen gebildeten Europa ist!"
Und bei einer anderen Gelegenheit äußerte sich Goethe
nach Eckermann über den größten der Chansonniers .
Frankreichs: „Beranger ist eine durchaus glücklich
begabte Natur, fest in sich selber begründet, rein aus
*) S. Gespräche mit Goethe in den letzten Iabren seines Lebens.
Bon I. P. Eckermann. i
sich selber entwickelt und durchaus mit sich selber in
Harmonie. Er hat nie gefragt: Was ist au der Zeit?
was wirkt? was gefällt? und was machen die anderen?
damit er es ihnen nachmache. Er hat immer nur
aus dem Kern seiner eigenenen Persönlichkeit heraus
gewirkt, ohne sich zu bekümmern, was das Publikum,
oder was diese oder jene Partei erwarte." In
diesem Sinne mag denn wohl auch eine geistige Wahl-
verwandtschaft zwischen Philippine Engelhard und
Beranger bestehen und es ist erklärlich, daß unsere Dichterin
sich von den Liedern Wranger's ganz besonders angezogen
fühlte. Sie selbst schreibt in dem Vorwort zu ihrer
Uebersetzung: Einzelne Lieder von Beranger erschienen
kürzlich in Zeitschriften, frei übersetzt. Auch eines
von Müllner und ein Vers aus den „Zigeunern."
Er spöttelte selbst über die Fehler derselben und er-
klärte: dies Lied sei zu schwer, es zu übersetzen.
Dies lockte mich, es zu wagen, und so kam ich auf
den Einfall, mehrere zu übersetzen. Aber wie einem
schönen talentvollen Knaben, den ein feiner Zirkel kennen
lernen will, den sein Muthwille aber eben in Pfützen und
Dornbüschen herumtrieb, die Mutier erst Haare und Kleid
ordnen, Hände und Gesicht säubern muß, und wie sie die
schmutzigen Spielzeuge und die Armbrust mit dem unheil-
bringenden spitzigen Bolzen ihm entreißt — und ihn dann
einführt, und er alles entzückt durch seinen Geist und Witz
(ein wenig Schelmerei muß ihm bleiben, sonst wäre
er nicht er selbst), so mußte ich alte Dichterin mit
Herrn von Beranger verfahren. Und so erlaubten
Änstand und Rücksicht, ihn der gesitteten deutschen
Lesewelt darzustellen." Und Philippine Engelhard
hat Wort gehalten. Verfängliche Lieder wie Na
grau dauere, la Baccliante n. s. w. haben keine Auf-
nahme in ihrer Sammlung gefunden. Ueber die
Uebersetzung selbst sagt sie in der Vorrede: „Man
wird finden, daß wo es nur möglich war, alles fast
wörtlich und doch leicht übersetzt ist." Auch das ist
zutreffend, wie sich die Leser leicht aus dem Gedichte
„Ma voeation“, welches wir nachstehend im französischen
Texte und in der Uebersetzung der Philippine Engel-
hard folgen lassen, überzeugen kann:
lila voeation.
j'etais stur cette boule
Laid, ehetif et souffrant;
Etouffe dans ]a foule,
Faute d’§tre assez grand;
Une plainte touchante
De ma boucbe sortit:
Le bon Dieu me dit: Cliante,
Chante, pauvre petit!
Le cliar de Topulenee
M^clabousse en passant;
J’6prouve l’insolence
Du riebe et du puissant;
De leur morguc tranehante
Rien ne nous garantit.
Le bon Dieu me dit: Chante
Chante, pauvre petit!
D’une vie incertaine
Ayant eu de l’effroi
Je rampe sous la chaine
Du plus modique emploi
43
La libcrte m’enchänte,
Mais j’ai grand ap petit
Le bon Dieu me dit: Chante,
Chante, pauvre petit!
L’amouv daus ma detresse
Daigna me consoler;
Mais avec la jeunesse
Je le vois s'envoler.
Pres de beaut6 touchante
Mon eoeur en vain pälit.
Le bon Dieu me dit: Chante,
Chante, pauvre petit!
Chanter, ou je m’abuse,
Est ma täclie ici-bas.
Tons ceux qu’ainsi j'amuse.
Ne m’aimeront-ils pas?
Quand un cerele m’enchante,
Quand le vin divertit,
Le bon Dieu me dit: Chante
Chante, pauvre petit!
Mein Kerns.
Ich tret' auf diese Erde
Arm, schwach und leidend hin,
Wo fast erdrückt ich werde,
Weil ich nicht größer bin.
Und rührend leise Klagen
Stimmt' ich mit Thränen an.
Da hört' ich Gott mir sagen:
Singe, du armer Mann!
Des Uebermüth'gen Wagen
Bespritzt mich unverhofft.
Grobheit muß ich ertragen
Von Macht und Reichthum oft.
Es will mich niederschlagen
Manch stolzer Blick — doch dann,
Dann hör' ich Gott mir sagen:
Singe, du armer Mann!
Der Mangel schmerzt wie Nesseln,
Und Müssiggang verdammt:
Drum schmiegt' ich mich in Fesseln
Bon einem kleinen Amt.
Nicht frei sein kann ich wagen,
Sonst ficht mich Hunger an.
Doch hör' ich Gott noch sagen:
Singe, du armer Mann!
Trotz Unglück sah' die Liebe
Einst tröstend auf mich hin.
Doch nach dem ersten Triebe
Sah ich auch sie entfliehn.
Und sieht bei Liebesklagen
Die Schönheit stolz mich an,
Dann hör ich Gott mir sagen:
Singe, du armer Mann!
Ja singen, Lieder singen
Ist wahrlich mein Beruf!
Und Liebe wird erringen
Der, der Vergnügen schuf.
An festlich schönen Tagen
In Freundeskreisen, dann
Hör' ich Gott mir sagen:
Singe, du armer Mann!
Die Uebersetzung der Lieder BärangePs ist nach
? der Angabe in * den „Hessischen Erinnerungen"
(Kassel 1882 bei G. Klaunig) größtentheils auf der
- Veranda dtr Seelig'schen Färberei an der Fulda enP
standen. Mit der Familie Seelig eng befreundet,
verbrachte Philippine Engelhard dort an warmen Früh-
lingstagen einige Stunden, um bei dem Dufte der
Blumen und dent Gesänge der Nachtigallen zu denken
und zu dichten. — Philippine Engelhard pflegte fast
alljährlich ihre Kinder und Enkel, die auswärts
lebten, zu besuchen. Auf einem solchen Besuche bei
ihrer ältesten, unter dem Namen Julie durch mehrere
didaktische Dichtungen rühmlichst bekannten Tochter
Karoline, ereilte sie nach kurzem Krankenlager in
ihrem fast vollendeten 75. Lebensjahre zu Blanken-
burg mn Harz der Tod. Zehn Kinder nnd zwei-
unddreißig Enkel beweinten ihr Hinscheiden, nnd all-
gemeine aufrichtige Trauer herrschte tn der literari-
schen Welt Deutschlands, als sich die Kunde von
ihrem Tode verbreitete.
! Die Erinnerung an diese durch die vortrefflichsten
Gaben des Geistes und des Herzens ausgezeichneten
Frau, die gleich groß dasteht als Dichterin, Haus-
frau, Gesellschaftsdame und Patriotin, die in jeglicher
Beziehung als das Musterbild eines deutscher! Weibes
gelten kann, aufzufrischen, ist der Zweck vorstehender
nach den vorhandenen Quellen entworfenen Lebens-
skizze. Auch das darf nimmer vergessen werden,
daß Philippine Engelhard im vorigen Jahrhundert,
zur Zeit, als. wälsche Kunst nnd Literatur hier
blühten, neben Casparson und Tobias Dick allein die
deutsche Poesie vertrat. Ehre ihrem Andenken.
4?*trMtmnfcr Zrr,errgev.
Aus dem Leben Doktor Uaso's.
Ülemstädtisches Lebensbild von M. Herbert.
«Fortsetzung.)
enn die kleine Stadt wirklich ein fashionables Naso von de» Gewohnheiten eines „Kursiirschteu"
Viertel besessen Hütte, würde der Doktor sonderbare Begriffe hatte.
" doch nicht darin gewohnt haben. Seine Devise Die Wohnung unseres Freundes war hoch
war: „Ich will ungenirt leben, wie ein Kurfürscht." gelegen. Sein quadratfvrmiges, blindes Fenster
Wenn man diese Art der Ungenirlheit in hr . blinzelte vereinsamt zwischen den Giebelwänden
Rühe betrachtete, mußte man gestehen, daß Dr j des schmalen Hauses. Die Augen der Per-
44
schönerungskomlnission drangen nicht bis in jene
Regionen, sonst würde sie gegen die „permanente
Trockenanstalt", welche der Doktor ans einer
Leine vor dem Fensterbrett eingerichtet hatte,
wohl Widerspruch erhoben haben. Dort baumelte
für gewöhnlich des Doktors Schwamm, sein
Nachtkamisol, ein Handtuch und noch verschiedene
andere, der Beschreibung sich entziehende Be-
kleidungsstücke. Die Ausstellung gab dem gegen-
über wohnenden alten Flickfräulein Grund, das
Rouleau des nach dieser Seite gelegenen Fensters
niemals aufzuziehen, durch welche schweigende
aber markirte Kritik der Doktor sich nicht im
Mindesten gekränkt fühlte.
Dringen wir nun endlich in das Innere vor.
In dem Hause befindet sich eine Bäckerei. Der
Backofen stößt an die Hausflur. Das Geschäft
geht gut, demgemäß wird viel gefeuert, — wo
kein Feuer ist, ist kein Rauch, demnach viel
Rauch. Der Rauch aber ist in langen Jahren
errscher gewesen in den alten, lehmbeworfenen
äugen; er hat das Recht gehabt, in Ecken und
Fugen zu dringen, zu bräunen und zu schwärzen
nach Herzenslust. Er ist von den offenen Feuer
stellen im zweiten und dritten Stock zuweilen
lustig und unverzagt, wie von Abels Opfer, durch
den Rauchfang zum Himmel aufgestiegen; öfters
jedoch noch wurde er durch feuchten Niederschlag
und konträren Wind herabgcdrückt, an den
Wänden emporgeblasen, durch Riefen, Ritze und
Schlüssellöcher in die Gemächer getrieben. So
bekleidete er die gelben Wände mit einer glän-
zenden, rußigen Tapete von vornehmem Schwarz
und kletterte hinauf die enge Stiege in Dr.
Naso's bescheidenes Heim, um dort die deutsche
Bruderhand zu bieten den kurzen blauen Wolken
aus Dr. Naso's mmotivirter Weise mit einer
schönen Türkin geziertem Pfeifenkopf. Jene
blauen Wolken thaten auch durchaus nicht vor-
nehm ; aufdringlich gestanden sie so dem Geruchs-
nerv ein, daß sie ihre Abkunft echtem, rechtem
„hessischen Knaster" verdankten. Denn dem
Doktor war nichts so verhaßt, als ausländischer
Kram und eingeschleppte Waäre, aus Patriotis-
mus schon rauchte er weder Cuba noch Portorico.
„Wenn man Junggeselle ist, will man auch
etwas davon haben!" hatte Dr. Naso oft ge
sagt, und im triumphirenden Gefühle seiner Un-
abhängigkeit ließ er nie eine weibliche Hand in
das heilige Chaos seiner Wohnung dringen.
„Durch das Weib kam das Elend in die Welt",
pflegte er fortzusetzen, während sein Blick ver-
gnüglich umherschweifte. Er hatte eine dumpfe
Ahnung, daß Weibe rhünde im Stande sein
könnten, das urgemüthliche und „handliche
Kanapee", welches zwar durchlöchert und auf
der einen Seite durchgesessen, mit abgedankten
Strümpfen, einem alten Sack und etwas Maku-
latur wieder aufgepolstert war, einer Renovirung
zu unterziehen. Deshalb hielt er sich einen
„Bedienten", der seine Stiefeln wichsen,
seine Pfeife ausklopfen und seine Lagerstätte
(hier erlaubte sich der Doktor einen Luxus)
welche mit Rehhäuten bespannt war, in Ord-
nung zu halten hatte.
Der Bediente war, beiläufig gesagt, ein kleiner
pfiffig aussehender Bursche von sechszehn Jahren,
welcher sich Nichts daraus machte, die bis zur
höchsten Formlosigkeit abgenutzten Kleider seines
Herrn noch mehr abzutragen. Von einem Ver-
ändern derselben bei diesem Uebergang vom
Herrn auf den Diener war natürlich keine Rede.
Daß nun bei der Verschiedenheit der Figuren
komische Konsequenzen entstanden, kann sich der
gütige Leser schon denken.
Dr. Naso hatte zu Konrad — so hieß der
Bursche, — eine Art väterlicher Zuneigung gefaßt.
Zum Troste derjenigen, welchen es Kummer
macht, irgend einer Menschennatur die schönen
Gefühle ganz absprechen zu müssen, wollen wir
der Wahrheit gemäß berichten, daß es die Er-
holung des Doktors war, dem kleinen Konrad
noch spät Abends Unterricht im Blasen des Wald-
horns zu ertheilen. Ja wohl, Dr. Naso blies
das Waldhorn; er blies es mit der Beharrlich-
keit des Amateurs allabendlich, stets dieselben
Jägerstücklein, dasselbe tra—tra, tra—tra, das-
selbe Halli—hallo. Der kleine Konrad blies
beinahe schon ebenso, nur nicht so sicher, so
mächtig und mit so gewaltiger Lunge.
Wir sehen, daß Dr. Naso trotz seiner mannig-
fachen „unberechtigten Eigenthümlichkeiten" im
Ganzen für eine harmlose Natur gelten konnte.
Seine gutmüthige Jovialität, seine breiten, nie-
mals eine Kreatur verletzenden Witze hatten ihn
früher sogar zu einer beliebten Persönlichkeit in
der guten Gesellschaft des Städtchens gemacht.
An der Wirthstafel des ersten Hotels, wo er
seit undenklichen Zeiten Stammgast gewesen,
fühlte man sich nicht behaglich, wenn er fehlte,
und obgleich über seinen enorm entwickelten
Appetit, seine höchst unsalonfähigen Manieren,
manche Spötterei fiel, so sah man ihn doch gern.
Urplötzlich aber hatte das Blatt sich gewendet.
Dr. Naso war zu einem von der Gesellschaft
Geächteten geworden. Der Wirth hatte sich ge-
zwungen gesehen, ihm zu kündigen, weil keiner
der Herrn mehr in seiner Gesellschaft speisen
mochte. Kanin, daß ihn dieser tmd jener noch
auf der Straße grüßte.
45
Dr. Naso trug leicht an der allgemeinen Per- '
achtung. „Wenn die Herren nicht mit mir
sprechen wollen, so sind mir die Männer gut
genug", pflegte er zn sagen »nd besuchte ein
Gasthaus niederen Ranges, wo seine Witze viel- !
leicht noch mehr gewürdigt wurden.
Der Grund des plötzlichen Umschlages war
folgender:
Das just eine Treppe tiefer der Wohnung des
Doktors gegenüber befindliche Logis bewohnte ,
der Rentmeister des Ortes, der ebenfalls ein Jung-
geselle in den höheren Semestern war, außerdem aber !
in jeder Beziehung das gerade Gegentheil des
Doktors. Huldigte letzterer entschieden plebejischen
Neigungen, so war der Rentmeister eine durch-
aus aristokratisch angelegte Natur. Man hatte
ihn nie in Gesellschaft eines unter ihm Stehen- !
den.gesehen, sein Rock war musterhaft zugeknöpft,
sein weißes Faltenhemd — der Doktor trug j
eins von grauem Hausmacher-Leinen mit einem s
riesigen Porzellanknopf als Schluß — war von
blendendem Weiß und was vor allem den Mann kenn-
zeichnete : er giug stets im Cylinderhut, wobei
eben Glacs's unerläßlich sind. Seine Zimmer
wurden von einer Haushälterin in peinlicher
Sauberkeit erhalten, seine Gewohnheiten waren
von der pünktlichsten Regelmäßigkeit, in seiner
Art und Weise zu reden, lag etwas Geziertes,
Pedantisches.
Mit dem' Doktor hatte er trotzdem stets auf
gutem Fuße gestanden. Er war überhaupt einer
jener Menschen, die mit allen hinkommen, weil
sie nie eine eigene Meinung vertreten und in
der Unterhaltung selten über das: „Wie stehts?
und „Wie gehts" hinauskommen. Eine gewisse
innere Feigheit hält solche Menschen ab ihr >
wirkliches „Jch",^von dem sich übrigens so viel j
als möglich verflüchtigt zu habe» pflegt, darzu- '
legen. Deshalb war der Rentmeister bei denen,
welche in der kleinen Stadt als erste Sterne
glänzten, natürlich beliebt. Der Landrath enga-
girte ihn gern zu einer Partie Schach, weil er
dann stets die Genugthung hatte, zu gewinnen,
und der KreiS-richter, welcher den Widerspruch
haßte, politisirte mit Vorliebe mit ihm, weil er
sicher war, beidem Rentmeister auf keinen Gegner
zu stoßen; er war eben einer jener ausgezeichnet
höflichen Menschen, die es besonders Höher-
stehenden gegenüber für unfein finden, eine eigene !
Ansicht der Dinge zu haben oder doch festzuhalten.
Der Rentmeister verkehrte in den besten Familien,
er fehlte in keinem Abendzirkel. Wenn auch !
seine Unterhaltung nicht gerade glänzend war,
so dienten doch sein tadelloser Frack, seine weiße
Atlasbinde und seine fortwährenden verbindlichen
Verbeugungen jedem Feste als willkommene
Staffage.
Einige nicht mehr in erster Jugendblüthe
stehenden Jungfrauen hatten ihr Herz an ihn
verloren und würden die Hc.nd gern mit in den
Kauf gegeben haben, — allein der Rentmeister,
obwohl seinem Benehmen nach kein Damenfeind,
besaß eine merkwürdige Gewandtheit darin, den
Kopf im geeigneten Augenblicke wieder aus den
Schlingen zu zu ziehen, welche man durch häu-
fige Einladungen zu Gänsebraten und zu den
höchsten Familienfesten der kleinen Stadt, welche
man mit dem sinnigen Namen „Wurstesuppen"
bezeichnet, ihm zu legen pflegte. Wußte er doch
wohl, daß die Sorge Frau und Kinder zu er-
nähren, ihm nicht mehr erlauben würde, ganz
nach seinem „Gusto", wie Dr. Naso sagte zu
leben. Das erwähnte geschickte Manövriren
hatte übrigens dem Rentmeister bei der jüngeren
Generation des Städtchens den Namen „Familien-
täuschcr" eingetragen.
Ueber einen Punkt war der Rentmeister be-
sonders schweigsam: er berührte niemals seine
Familienverhältnisse. Man wußte, daß seine
Wiege in irgend einem Dorfe des hessischen
Vaterlandes gestanden; alleill Vater, Mutter,
Brüder, Schwestern schien er auf der Welt nicht
mehr zu haben, — auch keine Tanten und Cou-
sinen, was jedenfalls noch auffälliger n>ar.
Die Kleinstädter hatten eigentlich über diese
Verschlossenheit des Rentmeisters noch nie nach-
gedacht. Er war eben da, uud schon io lange
dagewesen, daß man vergaß, daß er auch ein-
mal geboren worden war und einer Mutter als
kleiner Bube in den Armen gelegen hatte — man
nahin ihn als ein Fertiges, immer Bestanden-
habendes. Man sah ihn alle Tage und er be-
zahlte seinen Schuster, seinen Schneider. Sein
Schritt und sein Leben blieben stets in demselben
Tempo. Die Phantasiereichsten hätten hinter seiner
Physiognomie keine „Vergangenheit" ocsucht.
Eines Abends stieg der Doktor, welcher eben
von seiner Landpraxis heimgekehrt war, die Treppe
hinaus, um dem alten Flickfräulein in der Man-
sarde, das plötzlich erkrankt war, noch einen Be-
such abzustatten. Die Küchenthüre des Rent-
meisters war halb geöffnet und beim Scheine des
Herdfeuers sah er eine alte Bäuerin sitzen, welche
den Kopf in ihrer Schürze verborgen hielt und leise
schluchzte. (Schluß folgt.)
46
Ktebesredjt.
Die Sonne lockt das Grün heraus
Mit ihren Gluthenblicken,
Die Blumenglvcklein wachen auf
Und schaun empor und nicken.
Mit meiner Lieder heißem Drang
Rief ich hervor zum Lichte
Ein wundersüßes Liebesblüh'n
Auf Deinem Angesichte!
Und schwirrt der Falter durch die Au,
Aus duftgem Kelch zu zehren —
Wer dürfte Deiner Lippe Kuß
Mir Schmetterling verwehren?
litivhtUj v.
- -------------------
Die sd)eultc Zeiht.
(Schwälmer Mundart.)
Bann die Schlesselblämne blieh
£) met retzerohre (‘) Backe
Se die Mäje sichche gieh,
Stolz i Mirrer (-), ohne Jacke,
O da es, ehr licwe Leiht,
I demm Johr die schenste Zeiht!
Bann de Nowed (*) bei der Leng (4)
Bosch (S) ö Mäje sich verzähle.
All ee Hürz, ee Seel nü seng
Ö vergniegt Gesellche speele,
O da höt, ehr liewe Leiht,
Jonges Bolk die schenste Zeiht!
Bann i Lost wüll emm die Beem
Bräijäm (6) ö die Braut sich kreije,
£ ee jongcS Poor derheem
Läßt doS äschlc Kleene wcije </),
O da cs, ei,r liewe Leiht,
Doch fer die die schenste Zeiht!
O da wedd de Ällerhäd (*)
Härzefroh zü allem schmonzeln (")
D die Aller ('») ö die Mähd,
Bann se könn, das Kleene monzelu, (n)
fö da dänke ahle Leiht
Reckwerts o die schenste Zeiht.
Krrvt Mrvn.
(1) rosenrot. (2) Mieder. Ol) Abend. (4) Linde. ^5) Burschen.
(6) Bräutigam. (7) wiegen. (8) lÄrosrvater. <i)> -lächeln. (.10) Groß
mutter. (11) küssen.
! Das tätige Meid.
Es schleicht ein träges Weib einher.
Als trüg's in seiner Brust den Tod;
Nie wogt 's in ihm wie wildes Meer,
Kaum fühlt es je des Lebens Not.
Die Sorgen sind ihm ewig fremd.
Nicht fühlt es wahrhaft Schmerz und Lust.
Nichts gicbt's, das seine Schritte hemmt.
Sich selber ist es kaum bewußt.
Es schleicht ein träges Weib einher
In jedem Land, zu jeder Zeit;
! Nie wogt 's in ihm wie wildes Meer,
Es wird genannt Gleichgültigkeit.
! Anlins GrKfe.
Aus alter and neuer Zeit.
Aus dem Hanauer W o ch e n b l a 1 t. Vom
4. Februar 1802. Den Söhnen des Kasseler Hof-
saktor Rothschild Zn Frankfurt, Amschel Meyer
Rothschild und Salomon Meyer Rothschild daselbst,
ist der Charakter als Kriegszahlamts-Agenten gnädigst
ertheilt worden.
Vom 27. Mai 1602. Fm Gasthof Zum goldenen
Löwen werden mehrere Experimente mit einem ver-
besserten deutschen Telegraphen, welcher an
Beutzen nnd Geschwindigkeit alle Luftballons übertrifft,
gezeigt und erklärt, wie man mit diesem Telegraphen
bei Tage und bei Nacht, sowohl gegen als mit dem
Winde, 100 Meilen Wegs in 5 Stunden sprechen
kann. Entrse 24 Kreuzer.
Vom 25. Oktober 1610. Ich suche alte d e u t s ch e
geschriebene Bücher, besonders solche, die in Versen
sind, zu kaufen, nnd die Besitzer derselben, welche sie
an mich ablassen wollen, können mir in nnfrankirten
Briefen den Titel, oder die Anfangs- und Schluß-
worte, nebst Bemerkung des Preises, auch ob die
Handschrift ans Pergament oder Papier ist, vorläufig
einsenden. Alte deutsche Drucke vom 15. Jahr-
hundert bis ins 17. hinein, kann ich auch brauchen.
G r i m m,
königt. westphälischer Slaatsrathsauditor
und Bibliothekar zu Kassel. F. U.
* *
*
A n s den Auszeichnungen des 8 i p p o l d s -
b erg er Stadts chuttheißen Itter v. I. 1722.
Anno 1699 haben Ihre Hochfürstliche Durchlaucht
Landgraf Carl Zn Etablirung der sehr zuträglichen
und nützlichen Handlung, in Betracht, daß die Hand-
lung das Hertze eines wohlstehenden Landes feie,
auch zur Erholung derer am Diemelstrow liegenden
Städte, deren Bürger die Handlung verlassen und
ihre Nahrung nnd Wohlfahrt am Ackerban gesucht,
47
eine bürgerliche Nahrung und Handlung zu bringen,
eine neue Stadt an dem Einflüsse der Diemel in die
Weser zu bauen und derselben den Namen Carls-
hasen gegeben. Gestalten dann Höchstgedachte Jhro
HochfürstÜche Durchlaucht den jetzt (1722) noch daselbst-
wohnenden Ingenieur Major Friedrich Conradi zum '
Baudirektor besagter neuen Stadt gesetzt und aus !
landesväterlicher hohen Vorsorge herrliche Gebäude !
Don Steinen und insbesondere das kostbare Lazareth j
Dor die in Kriegsdiensten verdient grmachten und |
blessirten Invaliden aufbauen lassen und mit genug- !
samen revemie^ begnadigt, damit die Invaliden reich-
liche Verpflegung darin haben können. Auch hat er,
damit Jedermann heilsame Justiz widerfahre, einen
Oberamtmann und drei evangelische Prediger in be-
sagte neue Stadt gesetzt und dieselben mit reichlichen !
Besoldungen versehen. Der erste Oberamtmann ist !
Nathanael von Stoff gewesen, wie dann anjetzo Carl
von Mannsbach als Oberamimann und Wolrad
ReichhMdt, Ueentiatim juris, als Oberschulrheiß das !
Oberamt heilsamlich administriren. ,
Anno 1722. Da in diesem Jahre 30 Familien, !
welche wegen der wahren evangelischen Religion aus j
Piermont vertrieben worden, bei unserem regierenden *
lieben Landesfürsten um Schutz und Aufnahme unter- *
thänigste Ansuchung gehan; so haben Ihre Hoch- ,
fürstliche Durchlaucht aus geborener Hochfürstlichen .
Gnade und Clemcnz diesen vertriebenen aus Piemon-
tesischem Lande väterlichen Schutz geaebeben und
15 Familien zwischen die Weilehütte und Gieselwerder
bei die Spiegelglashütten und 15 Familien zwischen
das hiesige Fsrsterhaus gegen Wahnbecke zu bauen •
angewiesen, darneben mit Baumaterialien und Saat- !
fruchten in Gnaden versehen lassen, zugleich dem ersten -
Orte den Namen Gottestreu und dem zweiten Ort '
den Namen Gewissensruhe geben lassen.
Itter schließt seine Aufzeichnungen am 24. Novbr. ,
1722 mit dem Wunsche:
„Der große Gott, welcher aller Fürsten Hertze in j
Händen hat, wolle unseren regierenden theueren Landes- j
fürsten und Herrn ferner in seinem gnädigen Schutz j
erhalten, denselben leiten und führen, daß er wie bis-
her in der wahren Religion und Gottesfurcht seinen
Unterthanen vorstehe und dieselben so lange glücklich
regiere, bis er lebenssatt und altersmüde sein Leben
beschließe. — R.-L.
*
* *
Als die Landgrafen Ludwig und Heinrich !
am 2. März 1460 die hessischen Länder unter sich !
theilten, wurde rühmend hervorgehoben, daß Hessen j
die Schutzgerechtigkeit über Fulda, Hersfeld und !
Corvey habe. Im hessischen Archiv zu Ziegenhain ,
fanden sich mehrere hierher gehörige Urkunden/ welche !
in dem nach dem Ableben Philipp des Großmüthigen
angefertigten Repertorium wie folgt zusammengestellt
sind:
Reversalia Derjenigen, welche die Fürsten zu Hessen !
in Berspruch (Schutz) genommen. !
Es haben die Fürsten zu Hessen etliche Städte, j
Klöster und Gemeinden in Ihren Berspruch genommen j
gegen einen gewissen Versprach — oder Schutzgeld,
wie hiernach folgt:
Barchfeld.
Landgraf Wilhelm der Mittlere zu Hessen re. Und
haben die Inwohner dagegen 16 Gulden jährlich zu
liefern bewilligt anno 1494.
Bredelar.
Das Kloster Breydeler Landhofmeister und Re-
genten des Fürstenthums zu Hessen (während der
Minderjährigkeit Philipp d. G.) anno 1511.
Erfurt.
Landgraf Ludwig zu Hessen gegen 300 Gulden
jährliches Schutzgeld auf 20 Jahre, anno 1446.
Frankfurt.
anno 1450. Graf Philipp von Catzenelenbogen
gegen 100 Gulden Verspruchsgeld jährlich.
Flechdorf (Kloster).
Landgraf Wilhelm zu Hessen gegen eine jährliche
Summe anno 1507.
Goßlar.
anno 1501 Landgraf Wilhelm aus 8 Jahre gegen
200 Guldeu jährlich.
Göttingen.
anno 1493 Landgraf Wilhelm auf 8 Jähre uud
anno 1500 auf 12'Jahre gegen 200 Gulden jährlich.
Heina.
Landgraf Wilhelm „Gegen Ihr Gebett und Gottes-
dienst" anno 15(8 Freytags post Martini.
Es folgen nun noch weiter: Hildesheim —
Marsbergk — Mühlhausen — Nürnberg
— Ober-Möllerich — Höxter — die rittet-
schaftlichen Orte Mellbach und Florstadt —
Notdhansen — Oberwes el — Waldeck —
Wetzlar — theils unter Festsetzung einer jährlichen
Geldzahlung, theils als Gegenleistung: Gebet und
Gottesdienst, auch unter Zusicherung gegenseitigen
Beistandes.
Man ersieht hieraus, welches Zutrauens und An-
sehens, welcher Macht und Gewalt unsere hessischen
Fürsten sich damals erfreuten. *£4***.
Hessische Mcherschan.
Das neueste (Februar-)Heft der Rodenberg'schen
„Deutschen Rundschau" enthält S. 303—306
einen kleinen Aussatz von A. Duncker: „das erste
Schreibbuch Friedrichs d. Gr. und einige Briefe des-
selben aus seiner Knabenzeit."
Unter den Merkwürdigkeiten der Kasseler Landes-
bibliothek wird bekanntlich auch das erste Schreibbuch
des großen Königs aufbewahrt, welches von dem
Kronprinzen Friedrich 1717, als dieser 5 Jahre alt
war, begonnen wurde. Auf welche Weise das Heft
in die Landesbibliothek gekommen ist, steht nicht fest.
Sicher ist, daß es derselben schon vor dem I. 1794
angehört hat. 1885 war das Heft auf Ersuchen des
Direktors des Hohenzollcrnmuseums im Schlosse
Monbijou bei den Erinnerungen an König Friedrich II.
ausgestellt. In dem erwähnten Aufs atz giebt der Verfasser
eine Beschreibung des Heftes, sowie weitere Angaben
über dessen Schicksale. Am Schluffe gelangen Priese
48
zum Ausdruck, welche der junge Prinz von Branden- '
bürg aus an seine Mutter, die Königin Sophie
Dorothea geschrieben hat. Zwei davon sind deutscher,
einer in französischer Sprache geschrieben und trageil .
das Datum 1. Oktober 1721, bezw. 18. Mai H22
und 10. Mai 1723. Auch diese befinden sich in der
hiesigen Landesbibliothek. Die Redaktion der „deutschen
Rundschau" bemerkt zu den: Aufsätze, daß er ihr
aus dem Nachlasse des verstorbenen Dr. Duncker mit- !
getheilt worden sei und fügt weiter hinzu: „Es war '
das Letzte, was unser früh geschiedener, bis zu seinem
Tode rastlos thätiger Mitarbeiter geschrieben hat. ,
Was bestimmt war, ein Erinnerungsblatt an des
großen Königs 100jähr. Sterbetag 311 werden, den
Duncker nicht mehr erlebte, das geben wir nun hier-
mit dem wehmüthigen Gefühl, daß es zum Er-
innerungsblatt an ihn selber geworden."" A. !
^ * *
Im Drucke befindet sich eine G e d i ch t s a m m l u n g
unserer Mitarbeiterin N a 1 a l y von E s ch st r n t h. 1
Das Buch wird unter dem Titel „Wegekraut" !
im Verlage von Pierson (Dresden) erscheinen.
Die Verfasserin hat die Freundlichkeit gehabt, uns
eine Anzahl der im Erscheinen begriffenen Gedichte .
zur Einsicht zn übergeben; wir werden uns gestatten *
einige derselben zu veröffentlichen und theilen schon
heute eine kleine Probe mit. Auf „Wegekrant" !
kommen wir natürlich noch zn sprechen, sobald es
erschienen ist. * * it.
*
„Die Weltstellung England s, namentlich ,
mit Bezug auf Rußland, militärisch-politisch beleuchtet -
von Otto Wachs, königl. preuß. Major a. D. Mit j
7 Karten. Kassel, Verlag von Theodor Fischer 1886." i
Schon längst droht der Zusammenstoß der zwei <
Weltmächte in Asien um den Kampfpreis des Wunder-
landes Indien. Schritt für Schritt sieht man das
Czarenreich seine Vorposten gegen die trennende
Schranke in Centralasien vorschieben und die Frage
ist gerechtfertigt, welcher der beiden Gewaltigen die
größere Aussicht habe auf Sieg und Behauptung des
Preises. Der Verfasser vorliegender Schrift hat >
nach eingehenden Studien die gegenwärtige Stellung
der beiden Mächte gezeichnet und durch die Darlegung
ihrer Kampfesmittel dem Leser die Grundlage und
Anhalte gewährt, um sich ein eigenes llrtheil zu bil-
den. Wir sehen, wie die kolossale Ländermasse des
russischen Reiches dennoch in Hinsicht auf die Oceane, .
das Gebiet des Wettbewerbes im Handel und dadurch
blühender Stärke der Staaten, sich in eingeschnürter ,
und abgeschlossener Lage befindet, während England
e einem Polypen mit Riesenarmen, von seiner
im Meere aus das Beste sich zugeeignet hat,
was der Erdball trägt. Ein Naturgesetz treibt also ,
das Ruffenthum an, die Mängel seiner kontinentalen j
Machtlage auszugleichen; seine Expansionskraft ist
noch nicht erschöpft und das Mittel, sich geltend zu !
machen, dre Armee, in der Verfassung, nach Asien j
hinein Alles unternehmen zu können. Dagegen zeigt
Englands Heer seit Jahrzehnten sich tief unter der
Verantwortlicher Redakteur F. Zw eng er.
Bedeutung, welche die ungemesscmn Ansprüche des>
Staates von demselben fordern müßten und in nicht
ferner Zukunft wohl arrh im höchsten Maße fordern
werden. Auch in der Flotte des einst meerbeherrschen-
den Reiches zeigt sich der Niedergang und so vermag,
der Freund Englands, für welches die vorliegende
Schrift ein ernster Mahnruf ist, nichts Trostreiches
für künftige Zeiten zu erblicken.
Im Interesse des gebotenen vielen Guten wäre
eine einfachere Schreibart zu wünschen gewesen; das
Bestreben, Kraftausdrücke anzuwenden, trägt nicht zu
größerer Klarheit bei, führt auch leicht ans Abwege..
* :j; V. St.
Gerade hier in diesem Blatte, das der Pflege hes-
sischer Literatur und Geschichte gewidmet ist,' dürfte
es angebracht sein, ans ein bei Heinrich Minden
(Dresden und Leipzig) erschienenes Werk unseres
heimischen Dichters und Schriftstellers Franz
Tre l t e r, — „G e la" , ein Bild aus deutscher Vor-
zeit — hinzuweisen, um so mehr, als der Haupt-
schauplatz des darin entwickelten Romans das Land
unserer Urväter, der Chatten, ist und der Held des-
selben diesem Stamme angehört. Bewnndernswerth»
ist es, wie der Verfasser das Zeitkolorit in der Art
seiner Darstellung zu wahren verstanden hat, das
von den eingehendsten Studien beredtes Zeugniß-
ablegt. Die Schilderungen sind ungemein lebendig
und fesselnd, ja der Schluß: die Schlacht im Teuto-
burger Walde, in der die römischen Legionen von
dem Chernskerfürsten Arminius unter hervorragender
Mitwirkung der Chatten vernichtet werden, erhebt
sich zu förmlich dramatischer Kraft. Man glaubt
den Gang der Kampfentwickelung vor sich zu sehen.
Das merkt man dem vortrefflichen Buch unbedingt
an. daß ein echt hessisches nud echt deutsches Herz in
der Brust seines Verfassers schlägt.
Srikstasteu.
11. X. M a r b u r g. Politik wird bei uns nicht ge-
trieben; aus diesem Grunde ist Ihre Einsendung unver-
wendbar. Behufs Rücksendung bitten wir um nähree Adresse.
1. 2. 3. in 8. Das Gedicht „Dem Hessen land" würden
wir verwenden; doch müssen wir noch nähere Rücksprache
wegen einiger ganz nothwendiger Abänderungen nehmen.
Weitere Einsendungen sehen nur gern entgegen.
AI. H. Melsungen. Darum keine Feindschaft nicht!
Wer werden rms künftig streng an Ihren Wunsch halten.
L. M No rdh ansen. In Nr. h und 6. Brieflich
erhalten Sie noch nähere Nachricht.
K. X. Kesselstadt. Verbindlichsten Dank für Ihre
gütige Bemühung im Interesse unserer Zeitschrift und
freundlichsten Gruß
L. X. Hanau. Die bereits erwähnten Beitrüge von
Hanauer Mitarbeitern werden ans technischen Gründen
erst in der nächsten Nummer zimr Abdrucke gelangen.
JD0- Die Nummer 1 des „Hessenland" ist jetzt in neuer
Austage erschienen. Wir versenden dieselbe mit der heutigen
Nummer an diejenigen Abonnenten, welchen sie noch nicht
zugegangen ist. Sollte dabei, wie dies leicht möglich ist, eitt
Versehen unterlaufen, so bitten wir, sich deshalb an den
unterzeichneten Redakteur zn wenden. Zwenger.
Druck und Verlag von F. Zwenger in Kassel.
M 5.
1. JMtJ 1887.
KW.
Kesseulait-.
Zeitschrift für hessische Geschichte nnb Literatur.
Das „Heffeulauk^, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von 1*/, Kv-e« Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts Vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Df-, Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, sowie unter Streifband oder durch den Buchhandel bezogen werden;
hier in Kassel nimmt der unterzeichnete Redakteur, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Heffe«1and" eingetragen unter Nr. 2574a, 1. Nachtrag für 1887.
' Die Redaktion: F. Zwenger.
Inhalt: „Au der Weser", Gedicht von W. Bennecke; „Philipp Ludwig II., ein Lebensbild aus der Hanauer Grafen-
geschichte", von F. W. Junghans; „Römische Reste bei Hanau", von Dr. Georg Wolff; „Mondesgruß", Gedicht von
Paul Stephan; „Rose und Veilchen", Gedicht von W. Wolf (-j-); „Was man vor mehr als 150 Jahren über das
Hessenland schrieb" von A.; Aus alter und neuer Zeit; Briefkasten.
-M An dev Mesev.
Von hochgethürmter Klippe schmalem Land,
Die ob der Weser sich ;nm Himmel streckt,
Seh ich hinaus in's alt romanische Land,
Das Kaiser Karls Gezelte einst bedeckt,
Denn Heristal, nach seinem Ahn genannt,
Liegt mirzur Zeit' in Waldesgrün versteckt
And jenseits stehen des Sollings mächtige Eichen,
Den alten Paladinen zu vergleichen.
Ln Heristal der Kaiser einst empfing
Des Morgenlandes bunte Gotenschaar,
Denn von deni West zum fernsten Osten ging
Sein Ruhm, gleich einem Sternbild licht nnd klar,
Gr selber aber achtet sich gering,
Dem Herren folgend, dessen Knecht er war,
Dem er mit seinen Rittern, Streitern allen,
Sich demuthsvoll bekannte zum Vasallen.
Ich kenn' den Sch, den halbverborg'nen Stein,
Drauf einst der erste deutsche Kaiser saß
And schaute in das weite Land hinein
And mit dem Schwerte wohl die Gauen maß —
And seines Auges hellen Glihesschein
Verdunke
Gr mnß
te wohl einer Thräne Naß,
te beugen all die Kuhnen Helden,
Denn so befahl es ihm der Herr der Welten.
j And wieder nach vielhundertfähr'ger Frist
! Tobt an der Weser eine billige Schlacht,
! „HieWelf!"— „HieWaiblingen!" derFeldruf ist,
! Mit Garbarosta kämpft des Löwen Macht,
i Der Deutsche wieder sich mit Deutschem mißt
j And den Gesiegten trifft des Reiches Acht.
1 In Trümmern sinken des Vasallen Heere
j Vor seines Richters kaiserlicher Wehre.
Die Weser, die dort nnten ruhig glänzt,
Lanm eine Welle schlägt im Sonuengold,
Von Wäldern rings, dem schönsten Schmuck
umkränzt,
Sie sah es, wie ein Kaiser einst gegrollt,
Sie sah, als einst so fröhlich es gelenzt,
Wie manches Sachsenhanpt zum Staub gerollt.
Würggalfen heißt bis heute noch die Stätte,
Wo Sachsenfreiheit fand ihr Ruhebette.
! So haft du, Weser, seit sein Roß getränkt
Der stolze Römer einst in deiner Fluth,
Gar manchen Mann zu deinem Grund versenkt,
Indeß dn selber färbtest dich mit Glut —
Lein andrer Strom imHerzen Deutschlands denkt
Wie du der Deutschen Herrlichkeit und Muth,
Die einst durch böse Zwietracht arg zer-
spalten
Vereinet jetzt des Reiches Ganner halten.
MiUielnr f$*nn#4te.
50
Philipp Ludwig II.
Ein Lebensbild ans -er Hanauer Grafen-Gel'chichte.
Von
F. M. Aurrttvirrrs.
Hinter den Regenten des 1736 mit Johann
M Reinhard ausgestorbenen Geschlechts der
Grafen von Hanau ragt eine Gestalt um
eines Hauptes Länge über alle anderen hervor:
Philipp Ludwig IL, der Gründer Neu Hanaus.
Von der Natur ausgestattet mit trefflichen An-
lagen des Geistes, welche nach einer sorgfältigen
Jugenderziehung auf den hohen Schulen zu
Herborn und Heidelberg weiter ausgebildet wurden,
und im Besitz eines hohen Verständnisses für
Kunst und Wissenschaft, ein geborener Regent
und Staatsmann, verstand er es die kleine Stadt
Hanau zu einer hohen Blüthe zu bringen und
würde vielleicht an der Spitze eines größeren
Staats eine Rolle auf der Bühne der Weltge-
schichte gespielt haben. Ohne seine staatsmännische
Weisheit würde jedenfalls Hanau nicht das ge-
worden sein, was es jetzt ist, und würde vielleicht
noch heute wie Windecken, die frühere Residenz
der Grafen oder das alt-hanauische Städchen
Steinau den Rang einer unbedeutenden Landstadt
einnehmen.
Philipp Ludwig wurde geboren im Schloß zu
Hanau den 18. November 1576. Die Grafschaft
Hanau-Münzenberg hatte das Unglück, daß fast
alle ihre Regenten schon in frühem Alter starben.
Als Philipp Ludwigs Vater, Philipp Ludwig 1. >
dessen schönes Marmordenkmal im edelsten Styl
der deutschen Renaissance, den Chor der Marien-
kirche ziert, das Zeitliche segnete, war unser Graf
erst 4 Jahre alt. Da seine Mutter Magdalene,
eine geborene Prinzeß von Waldeck, sich bald
nach dem Tode ihres Mannes in zweiter Ehe
mit dem Grafen Johann von Nassau-Siegen
verheirathcte, so kam der junge Graf an den 1
Hof zu Dittenburg, wo er im Geist des reformirten
Bekenntnisses erzogen wurde. Sehr früh schon >
bezog er die hohe Schule zu Herborn, welche !
eben errichtet war, und widmete sich dort neben '
den humanistischen Studien dem Studium der
Rechtswissenschaften und der Theologie, welche
damals ebenwohl zur Ausbildung eines künftigen
Regenten für nöthig gehalten wurde. Bon hier
begab er sich auf die Universität Heidelberg, wo
er nach damaliger Sitte honoris causa zum
Rektor magnificns ernannt wurde. Bei seiner
Rückkehr nach Hanau im Jahre 1596 zeigte er
seine Vorliebe für die Einrichtungen der reformirten
Kirche schon dadurch, daß er die Einführung der
Lobwasserschen Psalmen, einer gereimten Be-
arbeitung des Psalmbuchs mit den in der reformirten
Kirche üblichen Melodien des Claude Gondimel,
in der Hanauer Kirche veranlaßte. Zugleich be-
trieb er die Errichtung einer Druckerei in seiner
künftigen Haupt und Residenzstadt. Man war
früher der allgemeinen Ansicht, daß die Wechelschen
Erben Ktaudius Maruius und Johann Aubry
die ersten Hanauer Drucker gewesen seien, die
von 1594 an eine ganze Reihe von schönen
Drucken unter dem Druckzeichen des fliegenden
Pferdes von Hanau haben ausgehen lassen. Allein
neuere Forschungen haben nachgewiesen, daß vor
ihnen schon ein anderer Drucker, Wilhelm An-
tonius, in Hanau thätig war. Der erste Druck
dieser bis 1614 bestandenen Officin, ein Plc.kat
vom Jahre 15)96, befindet sich im Staatsarchiv
zu Marburg. Mithin wird es dieser Wilhelm
Anton oder Guillauine Antoine gewesen sein,
welchen der junge Graf nach Hanau berief. Nach
kurzem Aufenthalt in der Vaterstadt begab sich
Philipp Ludwig nochmals zu seiner weitern Aus-
bildung auf längere Meisen. Die große Tour
führte ihn erst über Breinen nach den Niederländer,
wo er ein halbes Jahr in Leyden weilte, d'em
niederländischen Sitz der Gelehrsamkeit. Von
hier kehrte er durch Braunschweig und Hessen
nach Hanau zurück. Kurz darauf trat er eine
zweite größere Reise an. Zuerst nach Rege-':-
bürg, wo er dem Kaiser Rudolf II. vorgestellt
wurde und sich eines ihm von dem Wetterauer
Grafenkollegium gegebenen Auftrags entledigte,
dann durch Oesterreich, Ungarn, Böhmen, Po'en
und Schlesien nach Italien, dem Land der Künste,
dessen berühmte Universitäten noch immer Ae
5 1
studierende Jugend Deutschlands anzogen und
dessen Wnndcrstadt Venedig damals ans dem
Gipfel ihrer Macht und ihres Glanzes stand.
Rom, Neapel und Venedig wurden besucht. In
Bologna und Padua lies; sich der junge Graf
unter die Zahl der Studierenden aufnehmen. Wir
besitzen noch einen von ihm von Padua datirten
Brief, worin er sich die Schlichtung von Streitig'
leiten, welche in seiner Abwesenheit unter den
Geistlichen der Hanauer Stadtkirche entstanden
waren, für seine Rückkehr vorbehielt. Nach drei-
jähriger Abwesenheit kehrte er zum Manne gereift,
mit einem reichen Schatz von Kenntnissen und
Erfahrungen, die er auf seinen Reisen gesammelt
hatte, über Genf nach Hause zurück.
Erst zwanzigjährig trat er alsbald die bisher
von einer Vormundschaft geführte Regierung an
und vermählte sich noch in demselben Jahr, am
22. Oktober 1596, mit Katharina Belgika, der
Tochter des großen Oraniers Wilhelin 1. von
Nassau, einer ihm an Geist und Thatkraft voll-
kommen ebenbürtigen Lebensgefährtin, der es
nach dein frühen Tode ihres Mannes beschieden
war, unter den furchtbaren Stürmen des dreißig-
jährigen Krieges das Schiff des kleinen Staats
durch gefährliche Klippen hindurch zu lenken.
Das erste Werk des jungen Regenten war
die Einführung der rcformirten Lehre in den
ihm untergebenen Landen durch die Berufung
der Superintendenten Jodokus Raum von Siegen.
Mögen wir über diesen Schritt urtheilen, wie
wir wollen, mögen wir die zweite Reformation
Hanaus für berechtigt oder unberechtigt ansehen,
je nachdem wir die erste Einführung der evangelischen
Lehre in den Hanauer Landen als eine mehr
reformirte oder lutherische bezeichnen, so können
und müssen wir doch das zur Rechtfertigung
Philipp Ludwigs sagen, daß er cs seinem Gewissen
gegenüber wie Landgraf Moriz von Hessen für
seine Pflicht hielt, die Lehre, der er selbst an-
gehörte und die er für die richtige hielt, auch in
seinem Lande einzuführen.
Philipp Ludwig wollte, wie er erklärte, die
Kirche der Grafschaft „von den Ucberbleibseln
des Papstthums" reinigen. Deßhalb ließ er
aus allen Kirchen die noch vorhandenen Bilder,
Kruzifixe und Altäre entfernen und letztere durch
mit einem schwarzen Tuch behangene Tische er-
setzen. Am Mittwoch vor Psalmsonntag 1596
wurde in Hochstadt der Anfang damit gemacht.
Mit den Pfarrern wurde in aller Sanftmuth
verhandelt. Die Folge davon war die, daß nur
Wenige sich der Einführung der rcformirten Ge- i
bräuche widersetzten. Unter diesen waren der
Pfarrer Piftorius von Marköbel und der Pfarrer
Korvinus von Windccken. Philipp verhandelte
mit ihnen persönlich auf der Kanzlei ant 27. Januar
1596 und zwar so, daß sie sich bedankten, daß
sie so gnädig behandelt und mit ihnen in diesen
Sachen so freundlich und bescheidentlich ver-
fahren worden sei. Pistorins ging nach Augs-
burg, Korvinus wandte sich nach Frankfurt a. M.
wo er eine Pfarrstelle fand.
Jedoch ging es bei dem Volke nicht ganz ohne
Widerstand ab. I» Windecken gab es gelegent-
lich der Abschiedspredigt des Korvinus Unruhen.
In Kesselstadt und Eschersheim wurden die zur
rcformirten Lehre übergetretenen Pfarrer insultirt.
Es läßt sich denken, daß viele Gemeindeglieder
sich durch die Entfernung der Bilder, durch die
Abschaffung der Hostien u. s. w. in ihren religiösen
j Gefühlen verletzt fühlten, zumal die auf den
Kanzeln damals übliche Polemik gegen Anders'
gläubige sich nicht der feinsten Ausdrücke be-
diente. Und so kamen den auch von reformirter
Seite Rohheiten vor, für die wir natürlich Philipp
Ludwig nicht verantwortlich machen können. Zu
einem Schullehrer, der in einem Bäckerhaus in
der Metzgergasse in die Kost ging, sagten seine
Tischgenossen, als er einmal zu spät kam mit
Bezug auf die bisher üblichen Hostien: Wenn
Du eher gekommen wärst, so hättest Dn einen
gebackenen Herrgott essen können. Und der Rektor
der Schlüchterner Klostcrschule schob rille von den
ans der Kirche entfernten hölzernen Apostelfiguren
mit den Worten in den Ofen: Komm her Jüdchen,
wärm dich!
Doch gehn wir von diesem unerquicklichen
Thema zu einem zweiten Stück der Thätigkeit
unseres Philipp Ludwig über, nämlich zur
Gründung der Neustadt Hanau.
Ilm ihres Glaubens willen aus dem Vaterlande
vertriebene Wallonen und Niederländer hatten
im Jahre 1555 nach längerem Umherirren endlich
in Frankfurt ein Asyl gefunden. Sie waren
vom Rath bereitwillig aufgenommen worden und
durften auch in der ihnen zu diesem Zweck ein-
geräumten Weißfrauenkirche ihren Gottesdienst
abhalten, bis die lutherische Geistlichkeit merkte,
daß die Fremdlinge nicht in allen Stücken mit
ihrem Glauben übereinstiinmten und bis die
Bürgerschaft gewahr wurde, daß die mit Geld
und kaufmännischer Intelligenz wohl ausgerüsteten
Einwanderer den erbgesessenen Altbürgern in jeder
Art von Geschäften eine empfindliche Konkurrenz
machten. In einer zur Vertheidigung des Senats
gegen den Vorwurf der religiösen Unduldsamkeit
abgefaßten Schrift aus dein vorigen Jahrhundert
wird ausdrücklich gesagt: „Wem ist nicht unbe-
kannt, daß die bestgelegenen Häuser, Läden und
Waarenlager in ihren Händen und daß ihre
Glaubensgenossen fast in alle Handwerke einge-
drungen sind? Wir wissen Gottlob waS die
Liebe des Nächsten erfordert, aber auch daß die
wahre Liebe von sich selbst anfängt." Von diesem
Augenblicke an begann eine Reihe van Chikanen,
wodurch den Fremden der Aufenthalt in Frankfurt
verleidet wurde. 1593 wurde ihr Prediger, der
berühmte Franz Gomarus, seines Amtes entsetzt
und aus der Stadt verwiesen; 1594 wurde
ihnen die Abhaltung ihres Gottesdienstes unter-
sagt und ihr Vetsaal geschlossen, so daß sie sich
nach einem anderen Zufluchtsort umsahen. Daß
ihr Blick gerade auf Hanau siel, dazu gab der
Umstand Veranlassung, daß ein junger Mann,
Antoine de Ligne, sich gegen das Verbot des
Raths mit einer Aachnerin verheirathet hatte. Mit
harter Strafe bedroht, entwich er nach Hanau,
wohin ihm mehrere andere folgten, unter diesen
die beiden Varlut, Vater und Sohn, deren Bruder
beziehungsweise Oheim unter Herzog Alba den
Märtyrertod erlitten hatte. Philipp Ludwig gab
ihnen, da er in ihnen Glaubensgenossen sah, mit
Freuden die Erlaubniß, zuerst in einem Privat-
haus, in der goldnen Hand, Metzgergasse Nr. 9,
dann in der Hospitalkirche ihren Gottesdienst zu
halten, denn es reifte in ihm der Plan, die
Fremden in größerer Anzahl nach Hanau zu
ziehen, um die Kräfte derselben für den Flor
seines Landes nutzbar zu machen. Er knüpfte
deshalb mit den noch in Frankfurt wohnenden
Unterhandlungen an und verpflichtete sich im
Fall sie nach Hanau käme», für sie neben seiner
Haupt- und Residenzstadt Hanau eine neue
Stadt zu erbauen. Die letzteren waren um so
bereitwilliger auf dies Anerbieten einzugehen, da
der Frankfurter Senat ihre erneuerte Bitte um
freie Religionsübung »nt der Drohung beant-
wortet hatte, er werde die Querulanten auf den
Katharinenthorthurm setzen lassen. Am 27. Januar
1597 erklärten sich 58 Hausväter durch Namens-
unterschrist für bereit in der neu anzulegen-
den Stadt nach dem ihnen vorgelegten Plan des
Ingenieurs Nikolaus Gillet ein oder mehrere
Häuser zu bauen, andere wollten deren erkaufen,
144 waren bereit in die neue Stadt überzu-
ziehen. Alle verpflichteten sich zu einer Konven-
tionalstrafe für den Fall, daß sie ihr Wort nicht
hielten. Die Summe der versprochenen Straf-
gelder betrug 23210 Gulden. Diese vorläufige
Vereinbarung wurde von beiden Seiten bestätigt
durch die am 1. Juni 1597 abgeschlossenen
Kapitulation, ein Statut, welches den Kolonisten
die ausgedehntesten Freiheiten verlieh und welches
zum Theil erst durch die 1834 eingeführte Kur-
hessische Gemeindcordnung aufgehoben worden ist.
Dasselbe war unterschrieben von dem Grafen
einer- und von nachfolgenden Personen anderer-
seits, welche wir als die Gründer Neu-Hanau's
betrachten dürfen:
Nikolaus Heldevier, Daniel de Hase.
Peter t' Kindt, Michiel de Behaigne,
Paulus Chombart, Essaie de Lattre,
Hektar Schelkens, Gerhard Fauque,
Francois Varlut, Salomon Mostart,
Daniel de Neufville,
Noch bewahrt das Archiv der Stadt Hanau
die Originalurkunde als eines der ehrwürdigsten
und kostbarsten Denkmäler ihrer Vergangenheit.
(Schluß folgt).
Römische Reste bei Härmn.
Bo»
Dr. M-ora Molff.
*Mie Aufdeckung der im Bereiche des Regie-
Rf rungsbezirks Kassel noch vorhandenen Reste
~ des römischen Grenzwalls, welche der
Hanauer Geschichtsverein seit einer Reihe von
Jahren als seine vornehmste Aufgabe betrachtet,
ist mit den Marköbeler Ausgrabungen im Herbst
1884 zu einem vorläufigen Abschluß gebracht
worden. Die Strecke Großkrotzenburg - Mar-
köbel mit ihren drei großen Kastellen an den ge-
nannten Orten und bei Rückingen, ihren Thür-
men und Durchgängen, ihrem, den Wall be-
gleitenden Patrouillenweg und ihren bürgerlichen
Niederlassungen, ist durch eine Reihe von Publi-
kationen den Füchgenossen so bekannt, wie kaum
eine andere Strecke des Grenzwatts, während
gerade bei diesem Theile noch bis vor fünf Jahren
sogar die Lage und Richtung des Walles selbst
bestritten war. Nachdem so für alle weiteren
Nachforschungen eine sichere Grundlage, so zu
sagen die Operationsbasis geschaffen war, galt
es, abgesehen von weiteren Ausgrabungen im
Bereiche der Kastelle, vor allem auch das Hinter-
land einer genauen Durchforschung zu unter-
werfen, um einerseits über die Verbindung der
Grenzplätze mit den bekannten Mittelpunkten
römischen Lebens am Rhein und am Taunus,
andererseits über die Besiedelung des durch jene
Grenzwehr vertheidigten Landes, über Verkehr
und Leben in diesen Gegenden Aufschluß zu
finden. Manche vorbereitende Schritte waren
auch in dieser Richtung bereits gethan. Straßen-
vcrbindungen, Wasserleitungen, Niederlassungen
und Begräbnißplätze waren in den letzten Jahren
theils durch Zufall, theils in Folge gelegentlicher
Nachforschungen aufgefunden. Um alle diese
Einzelfnnde unter einander und mit der Grenz-
wehr in Zusammenhang zu bringen, war ein
ebenso planmäßiges Vorgehen geboten, wie es
an der Grenze selbst zu schönen Resultaten ge-
führt hatte.
Schon vor drei Jahren hatte ich die Ver-
nmthnng ausgesprochen, der inzwischen namhafte
Vertreter der Alterthumswissenschaft beigetreten
sind, daß vor Anlegung des wetterauischen Grenz-
walls, den ich als eins der jüngsten Glieder
des Gesanimtwerkes ansehe, der Main bis Hanau
die Grenze des Römerreichs gebildet habe, die
von da an sich nördlich ziemlich geradlinig bis
zu der alten und bedeutenden Stätte römischer
Kultur auf dem Boden des heutigen Friedberg
zog. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe zu
wiederholen, die mich zu dieser Ansicht gebracht
hatten. Ihre Richtigkeit zu beweisen, war der
Hauptzweck der Ausgrabungen und Nachforsch-
ungen, die ich im Herbste v. I. in Gemeinschaft
mit meinem Freunde, Architekt von Rößler aus
Nienburg, unternahm. Zur Bestreitung der
Kosten stellte mir der Vorstand des Hanauer
Bczirksvereins, von dessen Mitgliedern sich auch
Herr Eduard Roesler eifrig an den Arbeiten be-
theiligte, einen Theil der Summe zur Verfüg-
ung, welche auch in diesem Jahre der Herr
Kultusminister von Goßler dein Verein für
Fortsetzung seiner Ausgrabungen bewilligt hatte.
Die Resultate der Nachforschungen bestätigten
nicht nur die erwähnte Vermuthung, sondern
gaben auch alle Erwartung übertreffende Auf-
schlüsse über die Topographie der Umgebung
Hanau's in der Römerzeit.
In einer von der bekannten „Hochstraße" bei
Kilianstetten auf eine Entfernung von 1 Meile bis
zum „Salisberge", gegenüber dem Mainknie
bei Hanau und der Kinzigmündung geradlinig
verlaufenden alten Straße, von der nicht nur
auf der ganzen Strecke noch deutliche Spuren in
Feld- und Waldwegen, sowie in alten Grenz-
linien erhalten sind, sondern deren wohlerhaltener
9 Meter breiter Körper von uns an verschie-
denen Stellen aufgedeckt werden konnte, fanden
wir die gesuchte Grenzstraße, deren römischer
Ursprung theils durch den Umstand, daß sie
Fundstätten römischer Reste geradlinig verbindet,
theils durch ihre Struktur und die bei ihrer
Aufdeckung gefundenen Reste bewiesen wird.
Dieselbe gabelt sich südlich von Wilhelmsbad so,
daß der östliche Arm die Hauptrichtung nach dem
Mainknie beibehält und auf dein Salisberge,
östlich von Kesselstadt endigt, wo wir bereits vor
mehreren Jahren sehr ansehnliche Reste römischer
Villen aufdeckten, während der andere Zweig
westlich von Kesselstadt auf Schloß Philippsruhe
und die dort befindliche alte Muinfurt führt.
Zwischen beiden Straßen fanden wir mitten im
Dorfe Kesselstadt unter dem Boden eines Ge-
höftes ein wohlerhaltenes Stück der zwei Meter
starken Fundamentmauer eines Kastells und da-
init den erwünschten Beweis für die Richtigkeit
der oben angedeuteten Annahme einer älteren
Maingrenze. Auch Spuren der unter seinem
Schutz entstandenen bürgerlichen Niederlassung
und das dazu gehörige Gräberfeld wurden auf
den Aeckern nördlich und westlich des Dorfes
gefunden und damit die vor 50 Jahren zuerst
aufgeworfene Frage, ob Kesselstadt römischen
Ursprungs sei oder nicht, gelöst.
Der westliche Straßenarm ist der ältere, wie
auch die Furt bei Philippsruhe zweifellos zuerst
von den Römern als Uebergangsstelle benutzt
wurde. Dafür spricht auch der Umstand, daß
die alte Straße, die am linken Mainufer von
Seligenstadt bei Kleinkrotzenburg vorbei über
Steinheim zum Mainknie führt, nördlich vom
letztgenannten Orte nach der Furt abbiegt. Die
Abweichungen von der Hauptrichtung auf beiden
Ufern waren bedingt durch die Nothwendigkeit,
die Straßen hinter dem Kastell zum Strome zu
führen. Für das letztere aber konnte keine
bessere Stelle gewählt werden, als die den Main-
und Kinziglauf beherrschende Anhöhe zwischen
beiden Flüssen. Daß die im Jahre 1875 auf-
gedeckten römischen Fundamente aus der alten
Maininsel, gegenüber Kesselstadt von inilitärischen
Anlagen herrührten, was schon damals Duncker
vermuthete, gewinnt nunmehr größere Wahr-
scheinlichkeit. Nur darin irrte mein leider zu
frühe, auch für die Limesforschung, geschiedener
Freund, daß er jene Anlagen als eine mit
dem Salisberge korrespondirende Uebergangs-
befestigung ansah. Wie sehr würde er sich ge-
freut haben, wenn er die Widerlegung seiner
Hypothese durch die Auffindung unserer, jene
Salisberger und Steinheimer Funde, wie an Aus-
dehnung, so an Bedeutung so weit überragenden
Kesselstädter Reste erlebt hätte!
Die Villen auf dem Salisberge wie alle die
zahlreichen Ansiedelungen, von welchen wir rings
um Alt-Hanau, aber nicht auf dem Boden der
Stadt selbst, Spuren gefunden haben, können erst
54
nach der Vorschiebung der Reichsgrenzc bis
Rückingen und der Anlage des wetterauischen
Grenzwalls entstanden sein, als mit der alten
Grenzlinie auch das Kastell Kesselstadt seine Be-
deutung verloren hatte. Da war auch für die bei
Hanau-Kesfelstadt den Strom überschreitende Straße
die Rücksicht ans das Kastell nicht mehr nöthig;
man konnte sie von beiden Seiten bis zur Main-
spitze in der Hauptrichtung fortsetzen, wenn sich
dort eine geeignete Uebergangsstelle fand, und
man die Nothwendigkeit nicht scheute, außer dem
Main auch die Kinzig nahe ihrer Mündung zu
überschreiten.
Daß aber die Römer in ihrer Neigung zu i
möglichst geradliniger Anlage ihrer Heerstraßen j
— und eine solche blieb ja auch nach Herstell- !
ung des Grenzwalls unsere ehemalige Grenz-
straße — solche Schwierigkeiten nicht scheuten, j
dafür sollte uns ein glücklicher Zufall den Be-
weis liefern, der zugleich unmittelbar nach Be-
endigung unserer Ausgrabungen die letzte große !
Lücke in unserer Kenntniß der Vcrtheidigungs-
anlagen an der Kinzigmüudung ausfüllte.
Am 2. November v. I. wurde mir von dem
Kgl. Bauaufseher Blumentritt, welcher die Land-
nngsstelle am Main, wo dicht an der Stadt der
Mainkanal in den Strom mündet, durch einen
Dampfbagger vertiefen ließ, gemeldet, daß inan
bei dieser Arbeit auf eingerammte Pfähle ge-
stoßen sei. Die in meiner Gegenwart fortge-
setzten Arbeiten bestätigten die Angaben. Der
Bagger durchschnitt die Reste eines Brücken-
pfeilers, welcher ganz analog den im vorigen
Jahre bei Großkrotzenburg gefundencu Pfeilern
einer römischen Brücke konstruirt war. Mächtige
Eichenpfähle, die unten mit 50 Centimeter langen
4 lappigen Eisenschuheu verstärkt waren, steckten
noch über 2 Meter tief im Boden des Fluß-
bettes. Sie waren durch lange horizontalgelegte
Eichenbalken verbunden, über deren Befestigung,
da sie nur in Bruchstücken gehoben wurden,
noch kein bestimmter Aufschluß gefunden werden
konnte. Die Zwischenräume zwischen den Pfählen
waren mit reinem Thon und Basaltsteinen aus-
gefüllt, eine Packung aus demselben Material
nmgab auch den Kern des Pfeilers. Leider
nöthigte zuerst der geringe Wasserstand und der
eintretende Frost, die Arbeit für dieses Jahr
auszugeben. Sie soll im Frühjahr wieder auf-
genommen werden. Doch gestatten die ge-
wonnenen Resultate schon jetzt sichere Schlüsse
auf die Beschaffenheit nnd den Ursprung der
Brücke zu ziehen. Eine Besichtiguug des Fluß-
bettes ließ weitere Pfcilerreste erkennen und da-
durch die Richtung der Brückeuaxe feststellen. ,
Die zu Tage geförderten Pfühle, Balken und
Pfahlschuhe entsprechen den in Großkrotzenburg
und auch bei der Mainzer Römerbrücke ge-
l wonnenen gleichartigen Fundstücken. Das bis
; in den Kern tiefschwarz gefärbte Eichenholz macht
den Eindruck noch höheren Alters als das dort
gefundene. Machte schon die Beschaffenheit der
Reste und die Fundstätte — nie ist Hanau an
dieser Stelle mit dem südlichen Mainüfer durch
1 eine Brücke verbunden gewesen — den römischen
Ursprung des Pfeilers wahrscheinlich, so wurde er
durch die noch kurz vor Abbruch der Arbeiten
durch den Bagger zu Tage geförderten römischen
Gefäßstücke aus der bekannten Dorrn sigillata
geradezu bewiesen.
Nachgrabungen auf beiden Ufern führten auf
der Hanauer Seile, wo durch die Kanal- und
Hafenbauten seit dem sechszehnten Jahrhundert
der Boden vielfach durchwühlt und aufgefüllt ist,
zu keinem bestimmten Resultat, auf dem südlichen
Ufer bestätigten sie die Annahme, daß der Zn-
fuhrweg in der Verlängerung der links-maiui«
schen Römerstraße, von dem im Jahre 1883
entdeckten römischen Grübcrfelde ans an den
1875 blosgelegten Fundamenten vorüber genarl
auf die Mainspitze und das südliche Ende der
Brücke führt.
Die Lage der Brücke könnte auf den ersten
Blick dafür zu sprechen scheinen, daß die nörd-
liche Zufuhrstraße durch das heutige Hanau
führte, und daß die alte Sage begründet sei,
wonach das Hanauer Schloß auf einem Römer-
kastell erbaut wäre. Die Thatsache aber, daß
auf dem Boden von Hanau niemals ein Rest
aus römischer Zeit gefunden ist, nnd daß das
Terrain auf dem die Stadt entstanden ist, ehe-
dem ein von Kinzigarmen durchschnittenes Sumpf-
land war, welches die Römer, wie zahlreiche
Funde beweisen, mit ihre» Wegen umgingen, der
Umstand endlich, daß die von uns bei Kesselstadt
nachgewiesene Straße in ihrer Verlängerung ge-
nau auf das Hanauer Ende der Brücke führt,
lassen uns mit Sicherheit annehmen, daß die
oben aufgestellte Ansicht die richtige ist, zumal
da auch der früher von uns aufgefundene Ver-
bindungsweg vom Kastell Rückingen nach Kessel-
stadt, Hanau nördlich umgeht und in seiner west-
lichen Verlängerung zu unserer Hauptstraße
führt.
Es sind nur Andeutungen, die ich mit diesen
Zeilen den Lesern des „Hessenland" über diese
neuesten Funde auf nnd unter dem Boden eines
Stücks hessischen Landes geben kannte. Viele-
ist noch zu thun, um vollständige Klarheit in
55
unsere Vorstellung von der Besiedelung und
Vertheidigung des Kinziggebiets in der Römer-
zeit zu bringen. Das aber wird auch der diesen
llntersuchungen ferner stehende Leser erkennen,
daß wir auf dein Wege zur Erforschung der
Vorgeschichte des heimathlichen Bodens einen
großen Schritt weiter gekommen sind, daß wir
gleichsam einen Rahmen gewonnen haben, in
welchen sich alle älteren und die noch zu er-
wartenden Einzelfunde einfügen, so daß jeder
seinen Theil zur Herstellung eines genauen und
treuen Gesammtbildes beiträgt. Möge das Glück,
welches stets den planmäßig und fleißig Suchen-
den finden läßt, uns auch bei unseren ferneren
Arbeiten begleiten, wie es uns diesmal so recht-
zeitig für die Lösung mancher bei den Aus-
grabungen uns aufstoßender Fragen nachträglich
und unerwartet den Brückenpfeiler finden ließ
---------&•*«---------
Ans dem Leben Doktor Uojo's.
kleinstädtisches Lebensbild von M. Herbert.
(Schlich).
fit dem Glauben, daß die Frau eine seiner ! den ungerathenen Burschen laufen: der wird
Patientinnen sei, welche bei ihm vor ver- j schon noch einmal zu Kreuze kriechen. Schlugen
schlossene Thür gekommen und ihn hier er- Sie ihn sieh aus dem Sinn. Im besten Zieste
warte, trat der Doktor auf die Schwelle der Küche ! kriecht manchmal ein Kukuk aus."
und rief: j Weitere Tröstungsversuche machte Dr. Naso
Holla, Frau, was gibt's? Kopf in die Höhe!
Wollen 'mal sehen, was sich thun läßt."
Die Frau hob wirklich das verweinte Gesicht
für einen Augenblick aus der Schürze, um es
beim Anblick des Fremden sogleich wieder zu
verbergen. Der Doktor aber, der an dergleichen
„Gethue" gewöhnt war, trat näher und sagte
barsch: „Nun komm' Sie endlich zur Raison!
Will Sie wohl augenblicklich sagen, was Sie
hat?
Die Frau war ein altes, gebrechliches Mütterchen,
offenbar eine schüchterne, an's Gehorchen gewöhnte
Natur. Sie ließ die Schürze sinken und sagte,
immer von Schluchzen unterbrochen:
„He is jo min Sühn — min egener, üblicher
Suh»; im he Hot geflucht und gedonnerwettert,
daß ich in mitte Burskleder kommen bin, und
ich Han doch min Sonntagswerke an, mine
Abendmalskledunge. lln He es weggegangen
nn hot gesät, ich full machen, daß ich yemen
käme: in der Stadt wär' ich zu nix tut nutze.
Wenn he mich sehn muss, wull he zu me kummen
— aber he is in zehn lange Iohren nimmer zu
me kummen, tut ich wull'n blos noch 'mol sehn,
eh's zu Enge ging."
„Bon wem redet Ihr denn, Frau?"
„Von min Sühn, von min Sühn, dem Rent-
meister. He is gar vele stolz; aber ich bin
doch die weite Reise um ett kommen, nn nu
läßt he mich hier allene. So was kann Einem
's Herze abdrücken — drum muß ich flennen."
„Na, stille, Mütterchen", sagte Dr. Naso,
sein Taschentuch mit der Abbildnng der Schlacht
bei Sedan, auf gelbem Grund mit Vehemenz
gebrauchend. „Stille, Mütterchen; lassen Sie
nicht; er überließ die alte Bäuerin ihrem ein-
samen Herzweh und stieg dröhnenden Schrittes
die knarrende Treppe hinan.
Am folgenden Mittag bei Tisch, als eben der
Rentmeister mit gewohnter Sorgfalt die Hand-
schuh von den Fingern streifte, erhob sich plötz-
lich die breite Stimme des Doktor's über alten
Uebrigen.
„Herr Rentmeister, wer war denn die alte
Bauersfrau, die gestern in Ihrer Küche saß und
weinte?"
Der Rentmeister gerieth in die peinlichste Ver-
legenheit; er rückte auf seinem Stuhle hin und
her, räusperte sich und sagte gar "Nichts. „Sie
wissen wohl nicht mehr, Herr Rentmeister, wer
die Frau war? Sie sind ihr aber wie aus
dem Gesichte geschnitten."
„Wird wohl bei der Haushälterin gewesen
sein" — stammelte der Rentmeister duckmäuserig
und feuerroth.
Da sprang Dr. Naso mit einer wahren Ber-
serkerwuth von seinem Platze empor — und wir
wollen nicht verschweigen, daß seine ganze Un-
feinheit und Häßlichkeit sich bei diesem Anfalle
in's Zehnfache verstärkte — er sprang mit einer
wahren Berserkerwuth empor und schrie: „Mit
einem Kerl, wie Sie sind, Herr Rentmeister,
speise ich nicht länger an einem Tisch, und wenn
Sie gleich der Kurfürscht wären! Sie müssen
'naus.
„Doktor!" schrie es durcheinander, sind Sie
toll geworden? Wollen Sie augenblicklich den
Mund halten!" Der Doktor aber hätte sicher-
lich noch weiter geredet, wenn nicht der Hotelier
zn ihm hingetreten wäre, sagend:
„Bitte, Herr Doktor cs thut mir leid —
allem ich ersuche Sie, mein Lokal augenblicklich
zu verlassen."
Der Doktor fuhr auf, schnitt eine fürchterliche
Grimasse, sah sich den Rentmeister abschied-
uehmend noch einmal voller Bcrachtnng von
oben bis unten an »nd verliest dann das Zimmer,
um es nie wieder zu betreten.
Wohl erhoben sich spater Stimmen, welche
von dem herzlosen Wesen des Rentmeisters gegen
die Mutter erziiblten itnd des Doktors Betragen
zu rechtfertigen suchten. Allein man konnte das
Gewöhnliche jener Scene nicht überwinden, und
der Rentmeister war zu sehr |»<-r*<>»<> «'rat», als
daß man ihn um seiner intimsten Privatan-
gelegenheiten willen fallen gelassen hätte.
Selbst bis in diese kleinen Kreise hinein,
macht sich die Erfahrung geltend, daß die „öffent-
liche Meinung" einen Berstvst gegen die äußere
Form weit strenger ahndet, als ein wirkliches
Bergehen gegen Gesetze der Religion nnd des
Herzens. Ein Mann, der ein vertrauendes
Mädchen ruinirte, ist vor wie nach ein gern ge-
sehener Gesellschafter: ein Bruder, der mit
seinem Bruder in tödtlicher Feindschaft lebt, ist
deshalb doch vollständig salonfähig; eine Frau,
welche als schlechte Gattin und Mutter bekannt
ist, wird gefeiert — aber cm Mensch, welcher
die Wahrheit sagt, macht sim unmöglich, streicht
von unten herauf über das Gesicht der Leute! —
Reden ist nicht, wie Schiller naiv behauptet,
Silber, — nein, es ist Dynamit.
Der Doktor trug leicht an der Bcrachtnug
seiner früheren Tischgeuosscn. Fm Grunde that
ihm der Berlust des guten Tisches mehr leid, als
der der Tischgenossen, denn er war gastronomischen
Genüssen durchaus nicht abhold. Aber es ist
für einen Menschen niemals gut, wenn er auf
irgend eine Weise Einlaß verliert zu den Kreisen,
in welche er nach Geburt und Lebensstellung
eigentlich gehört. Wäre er auch der llnbc-
küminertste: eine leise Bitterkeit schleicht sich bei
ihm ein, eine wenn auch unbewußte Empfindung
des Berlassenseins.
Bei dem Doktor freilich fand dieses Gefühl,
wenn cs sich auch regte, wenig Zeit zur Aus-
bildung. Denn seine Landpraxis war in der
That eine ausgebreitete; und wenn er Abends
heim kam, blies er das Waldhorn.
Der Rentmeister war einige Wochen nach dem
oben beschriebenen Borfalle ausgezogen: sonder-
bar, selbst das stumme Fenster des Doktors
gegenüber war ihm unangenehm, selbst der kleine
Ami, der gewöhnlich auf dem Blumenbrettc saß,
schien höhnisch zu fragen: „Wer war doch die
alte Bauersfrau?" Man hatte im Anfang davon
geredet, daß er sich nothwendig mit dein Doktor
dnelliren müsse; allein dieser Skandal blieb den
Bewohnern des Städtchens vorenthalten. Der
Rentmeister sagte mit wichtiger, überlcgsamer
Miene: „Ein Duell läuft meinen Grundsätzen
zuwider, nnd daun, meine Herren, würde cs ent-
schieden ein ungleicher Kampf sein. Ich hätte
der Ratnr der Sache gemäß den ersten Schuß
und würde den armen, dicken Doktor iu>I<>n8
volejis niederstrecken."
Es ist seltsain, wie wenig die Welt an die
Möglichkeit glaubt, daß gewisse Leute sterben
könnten. Besonders Figuren, welche gewisser-
maßen Wahrzeichen der Stadt sind, deren Karrikatnr
jeder Schuljunge auf die Tafel zeichnet, traut
man eine derartige Extravaganz nicht zu ; man
erwartet unwillkürlich, daß sie schon bei Lebzeiten
die Unvergänglichkeit des Driginelten erweisen.
So kümmerte man sich auch wenig daruin,
als es nach Fahr und Tag hieß, Doktor Naso
liege schwer krank. Das Erstaunen war nicht
gering, als die Nachricht von seinem Tode sich
verbreitete. Es trauerte Niemand um ihn, als
der gehätschelte „Ami" und der „kleine Kourad",
welcher inzwischen zu einer ganz ansehnlichen
Länge emporgeschossen war und soviel von de»
„schönen Gefühlen" besaß, daß er eine ganze
Stunde lang heulend neben der leblosen Hülle
des Doktors blieb.
Wenn Dr. Nasv's Leben reich gewesen an
beabsichtigter und iinfreiwilligcr Komik, so war
sein letzter Willen ein passender Abschluß des
Stückes. Das gerichtlich beglaubigte Testament
lautete wie folgt:
„lieber mein Berniögcn kann ich frei ver-
fügen wie ein Kurfürscht; denn meine Anver-
wandten sind alle reiche Leute nnd wollen Nichts
von mir. Ich vermache Alles dem Ami, den
Ami aber dem Kvnrad und für das Geld soll
der Konrad ein ordentliches Handwerk lernen
nnd den Ami in Ehren hallen, als wenn er ein
Kurfürscht wär', und übrigens soll der Kvnrad das
Blasen auf dem Waldhorn nicht liegen lassen.
Denn ein Bißchen Musik gehört zn einem
ordentlichen Kerl. Für meine Seele wird er
schon von selbst beten. Der Rentiiicistcr soll zn
meinem Begräbnis; nicht zugelassen werden.
Amen. Dr. Balthasar Kroll."
UlorrdesgvnH.
„Guter Mond, schaust du mein Lieb
Bon der Hiinmclswachr,
Sag' ihm, was hinaus mich trieb.
Einsam in die Nacht.
Sag' ihm meiner Liede Schmerzen,
Meine Herzenspein,
Aber sag' von treuem Herzen
Sollt' gegrünt es sein."
Lächelnd sah der Mond den Knaben an
Lächeld zog er weiter seine Bah».
Doch als jenen Schlummer längst nmfangen,
Zu der stillen Geisterstunde,
Da auf blnm'gem Wiesengrunde
Elfen ihr.n Reigen schwangen,
Schlich er in ein Schlnfgemach sich ein,
Wo da ruht ein holdes Mägdelein.
Und er küstt die Lilienwangen,
Küsit den Mund, de» rosenrothcn
Und es lächelt traumbefange»,
Ahnt es wohl den Liebesboten?
fiUtitl Htepynrr.
|U*fV irnd Ueilihen.
Ein keckes Röschen sprach zn mir:
„Komm her, du darfst mich brechen;
Bertrau' mir, ich verspreche Dir:
Reicht soll mein Dorn Dich stechen."
Wer leicht verspricht, der hält nicht Wort,
Dacht' ich für mich und ich ging fort.
Das Veilchen, das war nicht so keck.
Es senkte scheu die Lider,
Als ich zn seinem Grasversteck
Mich beugte froh hernieder.
Hier griff mit Herz und Hand ich zn —
Und das, mein Lieb, das wärest Du!
1U. iUotf.
U)öf. ma« war mehr als 150 Jahre« über
das Heffenland schrieb.
Jtn Jahre 171* wurde zu „Augspurg" gedruckt
und „war zn finden bei Joy. Christ. Wagner" da-
selbst ein „Wercklein", welches jetzt recht selten ge-
worden ist. Sein erstes Bändchen enthält eine „Com-
pendiöse Cosmographia oder - Geographisch-Historische
Beschreibung allerhand auserlesener Merkwürdigkeiten,
so in Europa zn finden. Insonderheit von den
größesten Städten, prächtigsten Residentzen, Schlössern,
Palästen und Luft-Häusern, fürtrefflichen Kirchen,
Klöstern nnd Capellen, verwunderlichen Bergen,
Thälern nnd Höhlen; wnnderbahrlichen Seen, Flüssen,
Brunnen, Teichen und anders mehr." Das „enriense"
! Büchlein ist der Borrede gemäß zunächst bestimmt
J für alle „Prüceptores nnd Jnformatores der Jugend",
dann „können davon Profitiren die Passagiers; sie
finden alle nützlichen und merkwürdigen Sachen kürtz-
lich beisammen." Endlich ist es bestimmt „für viele
Lenthe, die in ihrem Zimmer ans dem Wagen ihrer
Gedanken bisweilen zürn Zeitvertreib eine Tour in
die Welt thun, und in diesem, oder jenem Lande
remarqnable Dinge zn betrachten Lust haben."
Von Hessen schreibt unser „Wercklcin" nun
Folgendes:
„Hessen liegt fast mitten in Deutschland,.... hat aller-
i ley Bergwercke, gute Steinbrüche, fruchtbare Mast-
Wälder, herrliche Vieh-Zucht, Wein-Wachs nnd dergl.
Gütigkeit der Natur.
Cassel, die Residentz- ^ und _ Haupt-Stadt des
Land-Grafen von Hessen-Cassel, ist schön und ziem-
lich groß, auch sehr wohl bevestiget. Diese Stadt
hat rings herum viel schöne Gärten; die Gassen sind
lang, und wegen der dnrchfließenden Druffel sehr
sauber. Das Schloß ist ein sehr prächtiges Gebäu.
sehr erhoben und regulär erbauet, und sieht man auf
allen Seiten schöne Felder. Der Fluß fließt unten
vorbey, nnd macht eine liebliche Insul, m welche
man über eine schöne Brücke geht. Man siehet in
der Insul die Fürstlichen Gärten, einen großen Teich
nnd einen Entengraben. Das Mühlspiel ist gegen
j Mittag der Insul über. Die Reitschul, welche an das
j Schloß stößet, ist herrlich, nnd mit zwey Gallerien,
I eine über die andere nmfangen, so in Form eines
j halben Monds gemacht, und vergüldet, davon man
' das Ringel-Rennen nnd Pserd-Tnrnieren sehen kan.
Um dieselbe herum seynd allerhand schöne Brunnen,
wie auch der Saal fijr die Comödianten nnd Balletten,
mit einem Amphitheater......Es sind in dem Schloß
viel schöne Gemächer nnd große Säle. Der soge-
nannte güldene Saal ist eines von den schönsten Ge-
mächern, so man sehen mag, in welchem alle Fürsten,
so in Hessen regieret haben, gemahlet sind, sammt
den Bildnissen etlicher Monarchen in der Christen-
heit. Nahe bey dem Schloß ist ein sehr schönes Hans,
daselbst die Kantzley." Das Zenghanß ist ein großes
Gebäu nnd wohl werth zu sehen, weil es über alle
Massen wohl ausgerüstet ist. In dieser Residentz-
Ttadt sind auch zu sehen der Dohm zn St. Martin
ans der Freyheit, die Pfarr-Kirche, das Kaufs- und
Rathhanß, nnd anders mehr.
Z i e g e n h e i m, eine Stadt und considerable Bestnng
hat vor diesenl seinen eigenen Grafen gehabt,
davon der letzte Anno 145/» Graf Johann der Grolle,
so stark gewesen, daß er einesmals zn Frankenberg
ein Fuder Wein. so ihm im Wege gestanden, beyseits
gehoben: nnd als ihn seine Mutter hierum gestraft,
daß er seine Lcibes-Stürke nicht so liederlich miß-
branchen solle, seye er als obalb hingegangen, nnd
habe es wieder an seine vorige Stelle gesetzet.
H i r s ch f e l d, die Haupt-Stadt dieses Fürftenthums,
daselbst ist die Dohm-Kirche remarqnable, welche sehr-
hoch nnd groß, ruhet auf 1t» Pfeilern, und hat die
Fenster gantz zn oberst, ist dennoch so Helle, daß man
j nicht leicht ihres gleichen antreffe;! soll."
Nachdem aus der „Grafschaft Katzeuelleu- j
bogen" ein Apffel-Banm, der jährlich in der Christ- I
Nacht in einer Stunde blühet und Aepfel trägt, der
Rhein-Fall bey Stadt G o a r, welcher das bey Bingen
unter die Erde versenckete Wasser wieder empor wirft,
beschrieben worden ist, wird weiter genannt:
„Schwalbach, ein Flecken, hat berühmte Saner-
brnnnen, deren ein jeder seinen besonderen Namen
hat, als der Linde-Brunn, der Wein-Brunn, der
Stock-Brunn, der Koch-Brunn, der Grind-Brunn, der
Katzen-Brnnn rc. und eine Stund davon das be-
rühmte warme Bad, oder sogenannte Schlangen-Bad.
Unter denen Sauerbrunnen übertrifft der Wein-
Brunn die andern alle, denn er ist am Geschmack
wie ein neuer Wein, und so er des Morgens in
seiner natürlichen Hitze getrunken wird, ss empfindet
man solches alsobald im Kopfs, und macht gantz
trunken."
Bey dem Flecken Berstadt ist eine Milch-warme
Quelle, deren Ablaufs sich mit dem vorbeyrinnenden
Bach vereiniget, in welchem Krebse gefangen werden
von sonderbarer Eigenschaft, sintemahl die, so ob der
Quelle gefangen werden, roth, die aber, so man unter
derselben bekommt, im Sieden gelb werden.
Homberg, eine Stadt mit einem Schloß, welches
auf einem hohen freyen Berg ligt, im Nieder-Hessi-
schen, von welchem man über 100 Städte und
Dörfer zehlen kan. Daselbst ist auch ein Brunn,
der 80 Klassier tief ist.
Spangenberg, eine Stadt mit einem Vesten ,
Berg-Schloß. Bey der Stadt ein Berg auf welchem '
eine große Menge kleiner runder Steine gefunden wor-
den, die alle von Natur das Zeichen wie eine Spange auf
sich haben. *)
Trefurt, eine Stadt und Amt, welche drey Grund- ,
Herren hat. Ein Theil gehört nach Hessen-Cassel,
der andere dem Chur.-Fttrsten zn Mayntz, das dritte
dem Chur.-Fürsten zn Sachsen. Jeder hat daselbst
seinen besonderen Amtmann, auch seine besondere
Bürgerschaft und Gassen.
In Hessen ist der hohe Berg, W e i s n e r genannt,
welcher oben einen Raum und Ebene hat, fast drey
viertel Meilen lang, darauf etliche tausend Aecker
Wiesen, auf welchem das schönste Graß wächst, so
fast einen Menschen bedecket; auch sind allda schöne
Brunnen und Quellen, die mit großem Geräusch
zwischen den Steiullippen herunter fallen.
Fnlda, die Haupt- und Resideutz-Stadt der ge-
fürsteten Abiey gleichen Namens, allwo eine vortreff-
liche Bibliothek aus lauter auf Pergament geschrie-
benen Büchern, dergleichen an Alter und Menge in
gantz Tentschland nicht zn finden. Der Abbt ist ein
Fürst des Reichs, und der Römischen Kayserin Ertz-
Cantzler, auch hat er den Vorzug über alle Aebbre
in Teutschland und Frankreich, trügt auch die Würde
eines Cardinals. Allhier ist Carolus Magnus ge-
boren isu*!). Die Kirch zu St. Michael soll mit dem
Tempel zu Jerusalem übereinkommen.
*) (£$ sind damit die Encr ini ten gemeint, die
fossilen Säulenglieder der Seelilie. t
Von der Wetteraü.
D i e tz, hat ein doppeltes hohes Schloß, in der'
Grafschaft gleichen Namens, welche wegen ihres Reich-
thums die güldene Grafschaft genannt worden. Zwey
Meilen vor der Stadt ist das bekannte warme Bad
an der Lohne, das Emser-Bad genannt, gehöret zum
Theil dem Landgrafen zu Hessen, anderen Theils
aber dem Grafen von Nassan-Katzenellenbogen zn,
welche beyders. Vögte und Pfleger dabey gesetzet und
bestellet.
Han an, eine schöne, lustige und wohl-bevestigte
auch Residentz-Stadt des Grafen von Hanau, am Fluß
Kintz, nahe am Main, wird in die alte und neue
Stadt abgetheilt; hat schöne und prächtige Kirchen.
Es ist sonderlich die neue Stadt wohl werth zu be-
sichtigen, nicht allein wegen der schön angelegten Forti-
fication, als auch nach der Architectnr-Knnst aufge-
führten herrlichen Gebäuen. Das Schloß in der
Stadt ist zwar schön, aber eine halbe Stunde von der
Stadt siehet man ein vortreffliches ohnlängst nach der
Italiänischen Manier gebautes Schloß, Philipps-Ruhe
genannt, welches mit schönen Zimmern und einem lusti-
gen Garten versehen. Nicht weit von dieser Stadt ist
ein Eichen-Wald, dessen Bäume aber niemals Eicheln
tragen, deßwegen er auch der verfluchte Wald genannt
wird. Es wird auch kein Holtz zn Gebäuen darinn ge-
fället.
Bei Büdingen, eineul Flecken ist ein Acker, darinn
viele Kröten-Steine,*) die so wol äußer- als innerlich das
Gisst abtreiben; sie haben eine schöne Bezeichnung einer
Kröten.
Wetzl ar, eine Freye Reichs-Stadt, ist jetzt wegen
des Cammer-Gerichts bekannt, das Anno 168?) von
Speyer dahin verleget worden." A.
Aus alter und neuer Zeit.
Der 29. Februar ist der Todestag eines knrhcssischen
Staatsmannes, dessen Name heute noch, fast ein
Menschenaller nach dem Hinscheiden desselben, den besten
Klang hat. Am 29. Februar 1860 starb zu Hanan
der Staatsrath Bernhard Eberhard, der lang-
jährige Oberbürgermeister von Hanan, später Vorstand
des Ministeriums des Innern im Märznnnisterium,
das nach ihm seinen Namen führte. Geboren am
C». April 1795 zn Schlüchtern, als der Sohn des dortigen
Pfarrers Andreas Ludwig Eberhard, besuchte er das
damals in seiner Vaterstadt blühende Gymnasium, die
alte Klosterschule, aus welcher s. Z. so viele bedeutende
Männer hervorgegangen sind, studierte hiernach zu
Marburg, Wetzlar und Gießen Rechtswissenschaft,
wurde l 817 in Hanan Obcrgerichtsadvokat, 1821
Staatsanwalt oulvocatus fisei) und 1829 Bürger-
meister von Hanau. Er war Mitbegründer der
knrhcssischen Verfassung vom 5. Januar 1831 und
hervorragendes Mitglied der kurhessisch m Stände-
kammer ununterbrochen bis zum Jahre 1848. Am
19. März des letztgenannten Jahres wurde er zum
*) Ebenfalls Muschelkalkversteinernngen, (Terebrntula
vulgaris, gem. 9ochmuschel).
provisorischen Vorstand des Ministeriums des Innern !
ernannt, in welcher Stellung er bis zum 23. Februar
1850 verblieb. Treffliche Gesetze entstammen be- j
kanntlich jener Zeit. Die Reinheit seines Charakters ,
verschaffte ihm die allgemeine Hochachtung, und auch '
seine politischen Gegner stimmten in sein Lob ein. 1
Die Residenzstadt Kassel verlieh ihm am 10. Juni 1850 '
das Ehrenbürgerrecht. Seit 1851 lebte Staatsrath Eber- 1
hard wieder in seinem lieben Hanau, dessen Oberbürger-
meister er fast zwanzig Jahre gewesen war und um
dessen städtische Verwaltung er sich hochverdient ge-
macht hatte. Was Oberbürgermeister Schomburg der
Residenzstadt Kassel gewesen ist, das war Bernhard
Eberhard der Stadt Hanau. Sein Andenken wird
stets ein gesegnetes bleiben.
* *
Todesfälle. Am 22. Februar d. I. starb hier-
in Kassel plötzlich an einem Herzschläge Fräulein
Marie Calm, (geboren am 3. April 1832 zu
Arolsen), eine reichbegabte Dichterin und Schrift-
stellerin, die sich namentlich auch mit der „Frauen-
frage" beschäftigt hat. Sie war Mitbegründerin und
Förderin der hervorragendsten WohlthätigkeitSanstalten
unserer Stadt, von denen wir nur den Franenverein,
die damit verbundene Fachschnle, den Volkskinder-
garten, die Volksküche nennen wollen. Von ihren
Schriften führen wir an: „Die Stellung der deut-
schen Lehrerinnen", „Bilder und Klänge", „Weib-
liches Wirken", „Leo", „Ein Blick in's Leben",
„Wilde Blumen", „Bella's Blaubnch", „Echter Adel",
„Daheim nud Draußen", „Die Sitten der guten
Gesellschaft". Die Verblichene verband mit hervor-
ragenden Gaben des Geistes ein außergewöhnliches
Organisaftonstalent, welches sie im Interesse der
Allgemeinheit zu verwerthen stets bestrebt war. Ihr
Hinscheiden wird hier tief empfunden und allgemein
beklagt. — An dem gleichen Tage verschied hier nach
längerem Leiden im 66. Lebensjahre der Professor-
Karl Äugn st F r i e d r i ch S ch o r r e, Gymnasial-
oberlehrer a. D, der sich in einer lange Reihe von
Jahren als Lehrer der Mathematik und Naturwissen-
schaften wesentliche Verdienste um das hiesige Gym-
nasium (Lyceum Friderieiamini) erworben hat.
Geboren am 23. Oktbr. 1821 zu Rrnteln, besuchte er
das dortige Gymnasium, studirte hiernach in Mar-
burg Mathematik und Raturwissenschaften, wo er-
eilter der eifrigsten Schüler Gerling's, Hcssel's,
Stegmann's war. Nachdem er von Ostern 1846 ab
am Gymnasium zu Rinteln Praktikant gewesen war,
wurde ^er im August 1846 mit Vcrsehung einer
Lehrerstelle am Gymnasium zu Kassel beauftragt.
1850 wurde er als Lehrer an das Schullehrer semi-
narinm zu Homberg versetzt, kehrte aber im Herbste
1851 in seine frühere Stellung am Kasseler Gym-
nasiunl zurück. Seit dieser Zeit wirkte er hier ununter-
brochen bis zn seiner Ostern 1884 erfolgten Pensio-
nirnng. Im Dczernber 1853 war er zum ordent-
lichen Gymnasiallehrer ernannt und am 14. Juli
1869 zum Gyuinasialoberlehrer befördert worden.
Am 27. Dezember 1881 hatte er den Titte! „Professor"
erhalten. Die Lehrerkollegien des Friedrichs- und
des Wilhelntsgymnasiums dahier haben dem Ver-
blichenen einen warmen Nachruf gewidmet, in welchen:
namentlich' die unermüdliche Treue und die selbstlose
Hingabe in Erfüllung der Pflichten seines Amtes
hervorgehoben werden.
Wie uns aus Frankfurt a. M. mitgetheilt wird,
ist dort am Sonntag der als Schriftsteller rühmlichst be-
kannte Publieist Dr. Gustav Adolf Vogel im
Alter von 75 Jahren gestorben. Der Verblichene, aus
Schmalkalden gebürtig, besuchte das Gymnasium zn
Rinteln, wo er mit seinem Mitschüler Franz Dingel-
stedt in die freundschaftlichsten Beziehungen trat. Beide
waren auf der Universität Marburg Mitglieder desselben
Corps: Schaumburgia, und blieben auch später noch
eng mit einander verbanden. Eine lange Reihe von
! Jahren war Dr. Vogel Redakteur des „Frankfurter-
Journals", aus welcher Stellung er vor etwa 10 Jahren
ausschied. Er zeichnete sich durch reiche geistige Be-
gabung und nimmer versiegenden Humor aus.'
❖ ❖
E in Z eitu ng sj u bi l äu nt. Die älteste Zeitung
in unserem Hessenlande ist die „H a n a ue r Z e i t u n g".
Sie kann ans eine Vergangenheit von zweiJahrhunderten
zurückblicken. Fehlenzwar auch über ihr erstes Entstehen
genauere Nachrichten, so ist doch sicher, daß die von
den Erben des Hofraths Handel der Hanauer Stadt-
bibliothek geschenkte Reihenfolge älterer Jahrgänge
mit dem Jahre 1687 beginnt. Robert Prntz gibt
in seiner „Geschichte des deutschen Journalismus"
als Zeit ihrer Gründung sogar das Jahr 1678 an.
Sie erschien zuerst mit kaiserlichem Privilegium unter
dem 9c amen „Enropäische Zeitung" wöchentlich in
zwei Nummern, 1750 wurde sie wöchentlich in vier
Nummern herausgegeben, und vom Jahre 1814 an
erscheint sie täglich. Im Jahre 1775 nahm sie den
Namen „Neue europäische Zeitung" an, im Jahre
1784 änderte sie denselben in „Hanauer neue euro-
päische Zeitung" um und seit 1814 erscheint sie als
„Hanauer Zeitung". Im Jahre 1825 ging sie aus -
dem Eigenthume des Hofraths Handel in dasjenige
der Familie Kittsteiner über, in deren Besitze sie sich
heute noch befindet. Sie erfreute sich schon in der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einer großen
Verbreitung und wetteiferte damals nicht unrühmlich
mit den benachbarten Frankfurter Zeitungen. In
den 40er Jahren unseres Jahrhunderts war sie wohl
das verbreitetste Blatt in Kurhessen, und wenn sie
auch unter der Ungunst der Zeitverhältnisse in den
50er und den folgenden Jahren einen Rückgang er-
litt, so nahm sie doch unter der Redaktion des leider
zn früh verstorbenen, durch Intelligenz, Talent, Kennt-
nisse und die trefflichsten Eigenschaften des Charakters
ausgezeichneten Herrn Karl Friedrich Kittsteiner
(1874—1884) einen erneuten Aufschwung, wie sie
denn auch heute noch zn den angesehensten Zeitungen
unseres engeren Vaterlandes zählt. F. Z.
Hi ^ *
Die Befehlshaber der französischen
R e v o l u t i o n s a r m e e überboten sich bei ihrem Bor-"
dringen in das holländische und deutsche Gebiet in
60
Schilderungen der Wohlthaten, welche die von der
Knechtschaft befreiten Völker von ihnen zu erwarten
hätten. General C u st i n e eröffnete u. a. am-18. Oktbr.
1792 den Bewohnern von Mainz nach Einnahme der
Festung: „Eine Nation, welche zuerst allen Völkern
das Beispiel gegeben hat, zu ihren Rechten zurück
zu kehren, bietet Verbrüderung, bietet Freiheit Euch
an. Krieg den Palästen, Schutz den Hütten." Nach
Besetzung der Stadt Frankfurt sollte diese freie Reichs-
stadt bald die ihr durch Custine gebrachten Wohl-
thaten kennen lernen. Unter dem Vorgeben, daß sie
die Armee der Emigranten unterstützt habe, legte er
ihr eine sofort zu zahlende Kontribution von zwei
Millionen Gulden auf. Als der Landgraf von Hessen
leine Truppen bei Hanan versammelte, um in Ver-
bindung mit einem preußischen Korps gegen die
Franzosen vorzugehen, erließ Custine am 28. Oktbr.
folgenden Aufruf:
An die hessen-kasselschen Soldaten.
Der Landgraf von Hessen hat zahlreiche Schaaren '
streitbarer Männer um sich in der Nähe versammelt.
Denkt er nicht, daß der jüngste Tag für alle un-
gerechten Fürsten und der Tag der Erlösung für die
von ihnen verblendeten Völker erschienen ist?
Er lagert diejenigen um sich her, durch welche er-
hofft, seinen wankenden Thron zu befestigen, diesen
reinsten Theil eines Volkes, dessen Blut er verkaufte
um seine Schatzkammer zu füllen. Schon dieser einzige
Umstand wird über das Schicksal dieses Tyrannen
entscheiden. Ungeheuer! über das sich schon Längst
der Fluch der deutschen Nation, die Thränen der
Wittwen, die Du brodlos und das Jammergeschrei
der Waisen, die Du elend gemacht hast, gleich schwarzen
Gewitterwolken zusammenthürmten. Deine gemiß-
brauchten Soldaten werden Dich der gerechten Rache
der Franken überantworten. Die Flucht wird Dich
nicht derselben entziehen. Wie wäre es auch nur
möglich, daß das Volk in der That einem Tiger, wie
Dn bist, Znflucht gewähren könnte.
Und ihr, Soldaten der Hessen! die ihr nicht Feinde
wäret des fränkischen Volkes, die Nation bietet euch
ein glückliches Schicksal an, täglich fünfzehn Kreuzer-
wenn ihr dienen wollt, fünfundvierzig Gulden Pension
und wenr ihr keine Dienste nehmen wollt, das Bürger-
recht, brüderliche Liebe und Freiheit.
Ich als General der fränkischen Republik mache -
euch dreses bekannt.
Adam Philipp Custine,
Fränkischer Bürger, General der Armeen der Republik."
Hessens Krieger hab.en dem Bürger-
General am 2. Dezbr. bei der Erstürmung
Frankfurts die gebührende Antwort er-«
theilt. Eine eigenthühmliche Antwort wurde ihm
dann noch von einer anderen Seite zu Theil. Das
„Frankfurter Journal" vom 17. Novbr. 1792 ver-
öffentlichte folgenden Briefwechsel:
Herr General!
Die Erklärung, die Sie als ein unverschämter
sranzösischer Bürger in die Frankfurter Zeitung gegen
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng
den Herrn Landgraf von Hcfsen-Kassct haben ein-
rücken lassen, ist unter aller Bemerkung. Ich kann
aber als Vasall von diesem meinen Landesfürsten solche
Ausdrücke von Ihnen, Herr General, nicht unge-
ahndet lassen. Wollen Sie an der Spitze znsammen-
getaufener Völker als General dienen, so verlange
ich auch, daß Sie mir eine mündliche Unterredung
i gestatten werden, welche den Beschluß mit ein paar
Pistolen machen wird, bestimmen Sie einen Ort, ich.
komme und fürchte nichts.
Eisenach, den 9. November 1792.
Friedrich Treusch von Buttlar.
Königl. Preuß. Kammerherr.
Antwort auf vorhergehenden Brief:
Im Hauptquartier zu Hessen-Homburg den
16. Novbr. 1792 im ersten Jahre der Republik.
Der General Custine hat Ihren Brief gelesen, der
ihm viel Spaß gemacht hat. Schade, dag er Ihren
Wunsch, (so sehr ihm sonst der Herrn Kammerherrerr
Wünsche Befehle sind), nicht ein Genüge leisten kann..
Seitdem aber die Preußen und Oesterreicher bei ihrem
Kreuz- und Jammerzug nach Frankreich sich die
Finger verbrannten, da sie Kastanien ans dem Feuer
holen wollten, hat er sich entschlossen, sich nicht anders»,
als mit Kanonen zu duelliren. Steht Ihnen eine
solche Parthie an, so belieben Sie nur Zeit, Stand-
und Tag anzuzeigen, der General wird nicht der
letzte auf den Platz kommen. Vergessen Sie aber
Jhren Kammerherrnschlüssel nicht, vielleicht wirkt
er, wie bei St. Hubertus, seine Wunder, auch bei Ihnen,
wenigstens kann er Ihnen gegen die stille Wuth.
Hülfe verschaffen.
Der Bürger Daniel S t a m m.
Aide de Camp des Generals.
U.-U.
Briefkasten.
W. H. Berlin. Wir empfehlen Ihnen die „dienen,
poetischen Blätter"; dieselben erscheinen in Mainz halb-
jährlich zum Preise von Mk. 1.60 und berücksichtigen auch
insbesondere talentvolle Anfänger.
S. L. Tri er. Es ist uns lieb, wenn Sie gelegentlich
einmal eine größere Auswahl schicken.
H. L. Fulda, G. G. K a s s e l, u. A. Interessante
Mittheilungen geschichtlichen oder kulturgeschichtlichen In-
halts sind uns immer willkommen.
X. Y. F r a n k f u r t. Ungeeignet.
11. B. in W. bei Marburg. Manuskripte pflezerr
wir im Falle der Nichtverwendnug immer zurückzusenden.
R. S. Wanfri e d. Der betreffende Artikel über die
„Schwälmcr" urußte wegen Mangels an Raum für eine
spätere Nummer zurückgestellt lverden.
Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Zustellung
der einzelnen Nummern des „Heffenlaud" bitten
wir der Redakt., Jordanstr. 15, bekannt zu gebe«,
damit alsbald Abhilfe geschaffen werden kann.
er in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
M «
15. Mikr; 188).
m
Kessenland.
Zeitschrift für hessische Geschichte und Kiteratnr.
DaS „HejsiUls«^', Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von ll/2 Ko-e« Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts riertrWrÜjh 1 Ward 50 Kfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellungen der Post, sowie unter Streifband oder durch den Buchhandel bezogen werden;
hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Heffenlaab" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Ginlcrdung zürn Abonnement.
Unsere Zeitschrift „Heffeillairb" kann sich rühmen, gleich bei ihrem, ersten Erscheinen die günstigste Aufnahme
gefunden zu haben.Dies bexechtigt uns zu der Hoffnung, daß unsere Zeitschrift, die eS sich zur Hauptaufgabe ge-
stellt hat, den hessischen Sinn wachzuhalten und die Anhänglichkeit an die engere Heimath zu kräftigen, die, kurz ge-
sögt, die Vertreterin aller geistigen Interessen Hessens sein will, immer mehr Wurzel faßt' im hessischen Volke und
hermisch wird in jeder hessischen Familie. Namhafte hessische Gelehrte und Schriftsteller zählen zu den Mitarbeitern
unserer Zeitschrift. Wir nennen hier nur:
Dr. K. Ackermann, W. Bennecke, Dr. H. Brunner, A. Gilb, S. Hahndors, Maler L. Katzenstein, Dr. Lud-
wig Knorz, Dr. Th. Köhler, I. Lewalter, Dr. Ed. Lohmeyer, Professor Friedrich Müller, Karl Neuber, Dr. Sigrmmd
Paulus, W. Rogge-^udwig, Major, von Stamford, Franz Treller, Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur,
Jos. Grau, Bibliothekar A. von Keitz, Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Strubberg in Gelnhausen; Pfarrer
Junghans, Banquier" Neumüller, Dr. G. Wolfs in Hanau; Kurt Nutzn in Kesselstadl; Major von Gironcourt in
Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath Preser in Wächtersbach; Julius Braun, Nataly von Eschstruth, E.
von Hohenhausen, Dr. Julius Rodenberg in Berlin; Professor Dr. Adolf Müller in Chemnitz; Major H. von Pfister
in Darmstadt; Direktor Ir lius Grase in Dresden; Tr. Hmo Goldschmidt, Otto Kanngicßer, D. Saul zu Frankfurt
a. M.; Gymnasialdirektor Dr. Leimbach in Goßlar; Hans Paulus in Halle a. d S.; Gustav Kastropp in Hannover;
Jul. Böffer in Köln; H. Keller-Jordan in München; Ludwig Mohr in Nordhausen; Feodor Löwe in Stuttgart;
A. Trabert in Wien; Major August von Baumbach in Wiesbaden. —
Ihnen allen, die uns mit Rath und That unterstützt, find nur zu größtem Danke verpflichtet, nicht minder
dem Publikum, das uns mit so freundlichem Wohlwollen entgegen gekommen ist. Möge uns dasselbe auch ferner e»-
halten bleiben. Und so laden wir denn zum Abonnement auf das II. Quartal des „Hessenland" ergebenst ein.
Kassel, int März 1887.
Die Redaktion: F. Zweuger.
«1^ Zwischen
Seit einst -er Sonne goldner Strahl
Mich hat geküßt zum erstenmal,
Wie weit ist meines Lebens Gang!
Doch wurde kaum der Weg mir lang.
Nur still und einsam wird der Pfad,
Der mählich sich dem Ende naht.
Grabsteine, vielberedte Schweiger,
Steh'« rechts und links als Meilenzeiger.
Hier ruht ein Freund, mir zuckt das Herz,
Gedenk' ich fein int Trennungssihmerz.
Gin Hasser dort, einst gistgesihwellt,
Den fetzt der Tod zufrieden stellt.
Dort And're noch, in deren Grab
Gin Theil des eignen Seins ich gab.
Lein Alter schützt, kein Jügendschimmer,
Der düst're Sichrer sichelt immer.
Grovern.
Vorüber denn von Mal zu Mal!
Doch frage Deiner nach der Zahl.
Ihr seht der Sterne lichten Schein,
Doch zählen kann sie Gott allein.
» Er ist's, der auch die Todten zählt
. And dem ttodj keiner je gefehlt.
j Er ist's, der auch die Gräber kennt,
Die weoer Stein noch Zeichen nennt.
Auch Dich, o Lreuz, das fern der Welt
Ich mir im Herzen aufgestellt;
Dich kleines Mal, darauf zu lesen,
Was ineine Mutter mir gewesen.
Nehmt all »rein Eigen und zerstreut'«,
j Inr Herzen bleibt mir doch mein Lreuz.
i Und — ja, ich hoff's — zu guter Letzt
. Wird solch ein Grenz auch mir gesetzt.
j A. Dvttvevt.
62
Philipp Ludwig II.
Gin Lebensbild ans der Hanauer Krafen-Gefchichte.
Bon
F. W.
(Schluß).
*MhilipP Ludwig wurde» indeß bei der Aus-
M führung seines Planes verschiedene Hindernisse
*' in den Weg gelegt, einestheils von dem Rath
der Stadt Frankfurt, welcher seinen Burgern
bei Strafe verbot, in Hanau zu bauen, anderen-
theils von dem Kurfürsten von Mainz, welcher
die Behauptung aufstellte, daß das Bauterrain
in dem ihm zustehenden Wildbann der Bulau
läge. Was den letzten Einwand anging, so war
es dem Grafen leicht nachzuweisen, daß hier
noch nie Wald oder anderer Unterschlupf für
das Wild gewesen sei, sondern daß das Baufeld
nur aus Gärten und Aeckern bestehe. Nächstdem
beschwerten sich die Bürger der Altstadt, daß
durch de« Neubau ihre besten Grundstücke der
Kultur entzogen würden, und sprachen die Be-
fürchtung aus, daß sie durch die zahlreichen An-
siedler in ihrem Erwerb geschädigt werden würden.
Philipp Ludwig brachte sie dadurch zum Schweigen, ,
daß er ihnen für die verlorenen Grundstücke !
andere gab, zu welchem Ende er auch einen den j
Herrn von Dorfelden gehörigen im Bauplan
liegenden Güterkomplex von 30 Morgen erlauschte, j
Das Bauterrain wurde an die Anbaner gegen I
feste Taxen abgegeben. !
Mit dem Frühjahr 1597 erhob sich nun in !
dem Feld zwischen den Wällen Alt-Hanau's und i
der Kirche des Kinzdorfes ein reges Leben.
Der Wall und Graben, der die neue Stadt !
schützend umgeben sollte, wurde markirt, die
Straßen nach den vier Himmelsgegenden abge-
steckt, die Bauplätze vertheilt. Hier wurde ge-
graben, dort gemauert oder gezimmert. Unter
den Bau- und Werkleuten sehen wir den Grafen
und die Bauherrn umhergehen, hier den Fortschritt
der Arbeit prüfend, dort Neues anordnend.
Bald stand das erste von Georg Behaigne er-
baute Haus unter Dach, das Eckhaus am Markt,
in welchem sich jetzt die hessische Diakonissen- ’
station befindet. Es erhielt den Namen: dar ,
Paradies und führte die Inschrift:
Das erstgebaute Haus bin ich.
Zum Paradieß heißt man mich.
Für Brand und Noth mich Gott bewahr,
Gleichwie auch meinen nächsten Nachbar.
Bis zum Jahre 1600 waren bereits achtzehn
Häuser fertig. In dem Zeitraum von da bis
zum Beginn des dreißigjährigen Kriegs war die
Bauthätigkeit am stärksten, so daß das Jahr
1618 bereits 364 Häuser vorfand.
Die Kapitulation sicherte den Ansiedlern nicht
nur vollkommen Religionsfreiheit, sondern auch
eine fast ganz selbstständige Verwaltung ihrer
Angelegenheiten, große Freiheiten, geringe Ab-
gaben, und vor Altem vollkommene Handels- und
Gewerbefreiheit, eine in den deutschen Städten
damals noch unbekannte Sache. Hierdurch war
den Ansiedlern Gelegenheit gegeben, ihre Kräfte
ungehindert zu entfallen, denn sie brachten nicht
nur Geld mit, sondern auch ein reiches Kapital
von industrieller Geschicklichkeit, mit de.» sie nun
durch keinen reichsstädtischen Zunftzwang mehr
gehemmt wuchern durften. Unter den Zugezogenen
waren zahlreiche Posamentirer d. h. Bandweber,
Tuchmacher und Gerber, welche die heimische
Textil- und Lederindustrie aus den Niederlanden
nach Hanau verpflanzten, dir bis zum Anfang
dieses Jahrhunderts daselbst geblüht, von da an
aber anderen Industriezweigen Platz gemacht hat.
Ebenso findet sich unter den ersten Bewohnern
der Neustadt ein namhafter Juwelier, Jsak
Meusenhol, der als der Vater der noch jetzt so
blühenden Edelmetallbearbeitung zu betrachten ist.
Zur Beförderung des Handels halte der Graf
in der Kapitulation die Anlage eines Schiff-
fahrtkanals, der sich vom Main bis in das
Innere der Stadt erstreckte, sowie die Erbauung
eines Marktschisfes versprochen, welches den täg-
lichen Verkehr mit Frankfurt bis zur Eröffnung
der Frankfurt-Hanauer Eisenbahn vermittelt hat.
Auch diese Einrichtung suchte Kurmainz zu stören,
indem es im Jahre 1607 daS Marktschiff durch
bewaffnete Mannschaft wegnehmen, zerstören und
den Schiffer gefänglich nach Groß-Steiuheim
abführen ließ. Philipp Ludwig wußte sich aber
für diesen Gewaltakt die gebührende Genug-
thuung zu verschaffen.
Ain 9. April 1600 legten die Fremdlinge in
Gegenwart von vielen gräflichen und fürstlichen
Personen, darunter Friedrich, Pfalzgraf bei
Rhein,. Johann von Nassau, sowie den Grafen
-- 63 —
von Solms, Isenburg, Erbach und Hohenlohe,
den Grund zu ihrem Gotteshause, welches noch
heute jedem Fremden durch seine übermäßig
hohes Dach auffällt. Es sollte die durch die
Sprache getrennte, aber durch gemeinsamen Glauben
und gemeinsame Leiden mit einander engver-
bundenen Gemeinden, die der holländischen und
der wallonischen Zunge, unter einem Dach ver-
einigen, wie es in einer alten Urkunde in vlämischer
Mundart heißt:
op dat bey <le sprakeii onder eene eappe
mögen geoppnet werden, also parc endrachtig-
keit ende glychheit en de religio te bewisen
tot grot maebinge des naems godes.
Am 24. Juni 1608 konnte der Thurm aufgestellt
werden. Am 29. Oktober desselben Jahres wurde
die Kirche durch einen in der wallonischen Ab-
theilung, welche damals die kleinere war, ge-
haltenen Gottesdienst eingeweiht, wobei über
tausend Menschen an der gemeinsamen Abend-
mahlsfeier theilnahmen.
s Philipp Ludwig halte endlich versprochen auf
»eine Kosten die neue Stadt mit Wall und Graben
Amgeben zu lassen. Schon 1597 wurde mit
laushebung des Grabens an verschiedenen Stellen
^r Anfang gemacht. Der Graf ließ dazu von
tz chlüchtern Teichgräber toiuiue». Nachdem mau
i»rch den sogenannten Transsix vom 1 August
601, einer Ergänzung und Erläuterung der
Kapitulation, darüber einig geworden war, daß
die Hälfte der städtischen Einnahme auf drei
Jahre zum Festungsbau verwendet werdet, sollte,
wofür der Graf den Bürgern andere Erleichterungen
gewährte, wurde der Bau der Umwallung eifriger
betrieben, so daß dieselbe sammt Thoren und
Zugbrücken beim Tode des Fürsten fast ganz
vollendet war.
So sah Philipp Ludwig schon während seines
Lebens das große Werk vollendet, dem er seine
besten Kräfte gewidmet hatte und mit hoher Be-
friedigung durfte er die Früchte einer Arbeit
genießen, die ihm trotz aller sich entgegenstellenden
Hindernisse gelungen war. Tausend fleißige
Hände regten sich in allerlei Gewerbe und Hand-
thiernng vor den Thoren seines alten Hanau in
der neuen Stadt, deren schnurgerade Straßen,
hochgegiebelte Häuser und mit Linden bepflanzten
Plätze die neuen Bewohner lebhaft an die ver-
lassene Heimath erinnertet,, in der auch Philipp
Ludwig seiner Zeit zur Ausbildung seines Geistes
längere Zeit geweilt hatte.
^ Ein drittes Werk Philipp Ludwigs war die
Stiftung des Gymnasiums oder der hohen Landes-
schule. Bisher mußten diejenigen, welche eine
höhere Bildung begehrten, die von dem Abt Petrus
Loiichins im Jahre 1543 gegründete Kloster-
schilc zu Schlüchtern besuchen Hanau besaß
nur eine sogenannte deutsche Schule, in deren
öderen Klassen auch die Anfänge der lateinischen
Sprache unterrichtet wurden. Philipp Ludwig
faßte nun den Plan diese Schule zu einer höheren
Lehranstalt auszubauen. Dieselbe sollte nicht
blos eine höhere lateinische Schule, sondern ein
gvmnasium illustre sein, auf dessen höchster
Stufe akademische Vorlesungen über Theologie,
Rechtswissenschaft und Medizin gehalten werden
sollten. Zn dem Ende erließ er 1607 ein Edikt,
wodurch dieser Anstalt gewisse nicht unbeträchtliche
Einkünfte im Bereich der Grafschaft zugewiesen
wurden. Dieses Edikt ist als die Stistungsur-
künde des noch jetzt blühenden Gymnasiums zu
betrachten. In dieser Urkunde ist ein Fluch aus-
gesprochen über die, welche die Stiftung ihres
ev mgelisch-reformirtenCharakters berauben würden.
Man hat diese Worte in neuerer Zeit so ge-
deutet, als gingen sie nur auf die, welche der
Anstalt die ihr zugesicherten Einkünfte vorenthalten
würden, allein eine genauere Betrachtung des
Textes zeigt deutlich, daß sie dazu bestimmt war,
der Anstalt den konfessionell reformirten Charakter
zu wahren. Dies erschien aber Philipp Ludwig
„in so nöthiger als zu befürchten stand, daß die
lutherisch gebliebenen Hanau-Lichtenberger Linie,
welcher schon durch einen Vertrag vom Jahre 1581
die Nachfolge für den Fall des Aussterbens der
Linie Hanau - Münzenberg zugesichert war, den
Bekennt,,ißstand des Landes verändern würde.
Philipp Ludwig legte auch schon den Grundstein
zu dem jetzigen Gymnasialgebiiudc, es war ihm
aber nicht beschieden, das begonnene Werk vollendet
zu sehen. Erst seine Wittwe Katharina Belgika
konnte die Anstalt, nachdem sich ein genügender
Fond angesammelt hatte, durch die Berufung
dreier bedeutender Gelehrten, der Heidelberger
Professoren Paräus und Tossanus und des aus
Nauheim gebürtigen Mediziners, Dichters und
Historiographen Petrus Lotichius III. eröffnen.
Und Graf Friedrich Kasimir vollendete erst 1665
den in dem Sturm des dreißigjährigen Kriegs
liegen gebliebenen Bau. Allein dennoch hat man
von je in Philipp Ludwig den eigentlichen Gründer
des Gymnasiums gesehen, demso manches Geschlecht
seine klassische Bildung verdankt hat. Darum
hangt auch seit alten Zeiten sein Bild über dem
oberen Katheder der alten Aula. Es zeigt uns
unter einer hohen Denkerstirn die feinen aber
, blassen Züge eines von angestrengter Geistes-
arbeit früh gealterten Angesichts.
Weitere Werke des Grafen waren die Anlage
der Judengassc auf einem zugeschütteten Festungs-
64
graben. Diese toteg er 1603ben zahlreichzugezogene«
Juden zur Wohnung an, nachdem er auch ihnen
ein Statut, die sogenannte „Judenstätigkeit" ge-
geben hatte. Ferner die Erbauung eines neuen j
Schloßthurms im Jahre 1605 und die 1610 er- !
folgte Grundsteinlegung zu dem vorderen Erker- j
gebäude sowie mehrere andere bauliche Veränder- i
üngen im Schloß. Der neue Schloßthurm, bis !
zum Jabre 1829, wo er auf Befehl des Kur- j
fürsten Wilhelm II. abgebrochen wurde, eine j
Zierde der Stadt Hanau, kam an die Stelle eines ;
älteren Thurms zu stehen, des sogenannten Heiden- '
thurms, dessen Ursprung man wiewohl mit Un- ;
recht auf die Zeit der Römer zurückführt. Bei
der Grundsteinlegung des vorerwähnten Erker-
baus am 19. April 1610 waren eine Menge ;
vornehmer Standespersonen zugegen. Außer ,
einer Urkunde, welche die Namen derselben ent- !
hielt, wurden verschiedene Münzen in de» Grund- !
stein gelegt, welche man im Jahr 1713, als
Graf Reinhard den Eingang verändern und zu !
dem Ende das Werk Philipp Ludwigs bis auf
den Grund abbrechen ließ, noch vorfand.
Im Jahre 1610 erneuerte der Graf mit
Johann Reinhard von Hanau-Lichtenberg den
bereits 1581 abgeschlossenen Erbvertrag. Mit
seinem Bruder Graf Albrecht hatte er viel Ver-
druß, da dieser im Gegensatz zu den alten Haus-
verträgen einen Theil des Landes beanspruchte. 1
Graf Philipp Ludwig hatte sich schon 1604 mit >
ihm dahin geeinigt, daß er ihm die Einkünfte
der Aemter Schwarzenfels, Naumburg, Orten-
berg und Afsenheim jedoch unter Vorbehalt der
Landeshoheit überließ. Aber auch bei dem Ab-
schluß des Erbvertrags machte Albrecht neue
Schwierigkeiten. Albrecht stiftete durch seine >
Verheirathung mit Ehrengard von Isenburg die
Hanau-Schwarzenfelsische Nebenlinie, welche nach ,
dem Tode des Grafen Philipp Moritz und dessen
unmündigen Sohns Philipp Ludwig III. im Jahre
1641 mit Albrechts Sohn Johann Ernst auf
nur einen Monat und etliche Wochen zur Regierung ;
kam, da Johann Ernst bereits am 12. Januar
1642 an den Kinderblattern verstarb.
Philipp Ludwigs hervorragende staatsmännische
Begabung war die Ursache, daß ihn Kaiser -
Rudolf II. im Jahre 1608 zu seinem kaiserlichen '
Rath ernannte, ihn in wichtigen Angelegenheiten
an seinen Hof nach Prag berief und ihnt ein hohes <
Amt in seinen böhmischen Erdlanden anbot.
Allein unser Graf zog es vor, seine ganzen Kräfte
der Wohlfahrt seines eignen Landes zu widmen.
1612 übernahm er jedoch im Interesse eines ;
ihm durch Blutsverwandschaft und gleiches Be- ;
kenntniß verbundenen Hauses eine divlomatische
Mission an den Hof des König Jakob I. von
England, indem er dort als Freiwerber um
die Hand der schöne» Elisabeth für Friedrich
von der Pfalz, den später so unglücklichen Winter-
könig, auftrat. Die spanische Diplomatie legte
dieser Verbindung allerlei Hindernisse in den
Weg, welche der Graf aber alle zu beseitigen
wußte.
Von England kehrte er über Holland und
Frankreich zurück, wo er den König Ludwig XIII.
und dessen Mutter, die Regenttn Marie, begrüßte.
Diese ersuchten ihn. dem neugewählten Kaiser
Matthias ihre Glückwünsche zu überbringen.
Philipp Ludwig traf ihn m Frankfurt, wo er
gekrönt worden war, nicht mehr an und reiste
ihm deßhalb nach Nürnberg nach. wo er sich
seines Auftrags entledigte.
Kurz nach seiner Rückkehr erkrankte er ' und
beschloß nach knrzciit aber schwerem Leiden am
9. August 1612 erst 36jährig seine glanzvolle
und für Hanau so gesegnete Laufbahn, indem
er von seiner Gemahlin Katharina Belgika nach-
folgende Kinder hinterließ:
1. Charlotte Louise, starb ledig 1649.
2. Amalie Elisabeth, die spätere Gemahlin
Landgraf Wilhelm V. von Hesse«.
3. Katharine Juliane, vermählt mit Graf
Albrecht Otto von Solms.
4. Philipp Moritz, sein Nachfolger.
5. Wilhelm Reinhard, gestorben 1630.
6. Heinrich Ludwig, geblieben 1632 bei der
Belagerung von Mastrich.
7. Friedrich Ludwig, gestorben 1628 zu Paris.
8. Jakob Johann, gefallen 1636 bei der Be-
lagerung von Elsaß-Zabern.
Philipp Ludwig starb zu früh für sein Land
und seine Familie, für seine Familie, denn sein
früher Tod machte abermals eine Vormundschaft
nöthig, und es war nur gut, daß er sterbend die
Sorge für sein Land und seine Kinder i» eine
fo starke Hand legen konnte, wie es die seiner
Gattin, der staatsklugen Oranieriu war, und
für die Grafschaft, denn wieviel Gutes hätte
dieser seiner Zeit weit vorsusgeeilte Fürst noch
zuin Wohl seiner Unterthanen stiften können!
Seine letzten Lebenstage hat sein Lieblings-
prediger und Beichtvater, der Pfarrer Appelius
von Altenhaßlau ausführlich beschrieben. Philipp
Ludwig war ein frommer evangelischer Christa
Voll Glaubenszuverstcht sah er dem Tode ent-
gegen. Am 7. August, als er sein Ende nähe
glaubte, rief er: „Macht alle Thüren auf, lasset
alle meine Leute kommen, damit sie sehen, wie
ich so fröhlich sterbe. Er hatte'indeß noch schwer
65
zu kämpfest. Am 9. August endlich kan« die
Stunde seiner Erlösung. Als er, es war an
einem Sonntag, in der' Altstadt zur Kirche läuten
hörte, sagte er zu Appelius: Die Glocke hat
mir in meinem Leben nicht so geläutet, wie jetzt.
Als ihm darauf der Pfarrer erwiderte: Diese
Glocke ruft jetzt Euer Gnaden zum himmlischen
Engelsgesang. Jetzt werden Euer Gnaden mit
den Engeln zu Chore gehen, so fing er mit Heller
Stimme das Lied: Allein Gott in der Höh' sei
Ehr an zu singen, in welches die Umstehenden
mit einstimniten. Darauf forderte er dieselben
auf, nieder zu knieen und zu beten. Leise zwar
aber verständlich betete er die Worte mit. be-
sonders das Unser Vater und den christlichen
Glauben. Bald darauf entschlief er gerade, als
inan in der Altstadt nach beendeter Predigt das
gewöhnliche Kanzelgebet für den Grafen sprach.
Vor seinem Ende vertheilte er seine Gebet- und
Erbauungsbücher an seine Kinder. Seinem ältesten
Sohn Philipp Moritz schrieb er in seine kleine j
Bibel, die ihn auf allen seinen Reisen begleitet
hatte: Fürchte Gott und halte seine Gebote. —
Halte Dich in Deinem ganzen Leben an Gott;
seine Hülfe und sein Beistand fiub Dir nöthig, i
Seinem Sohn Wilhelm Reinhard schrieb er in
sein Gebetbuch: Gehorche und diene Deiner i
frommen Mutter, der Du unter dem Herzen
gelegen. Seine Leiche wurde am 23. September
iu der Gruft der Marienkirche beigesetzt. Die
Leichenrede hielt der Inspektor Georg Fabricius
von Windecke» über Offenbarung Johannis 14,
Vers 12 und 13: Hier ist Geduld der Heiligen;
hier sind die da haltest die Gebote Gottes und
Georg Ferdinand
(1779-
f m Jahre 1760 kam der erste Lepel aus
Pommern, der Wiege dieses alten Geschlechts,
nach Hessen.
Der damals 14 Jahre alte Knabe Gottlieb
Christoph Gustav von Lepel' trat als Page in
den Dienst des Landgrafen Wilhelm VIII. Er
wllrde bald Offizier und war bei Hereinbruch
der Katastrophe von 1806 General-Major beim
Dragoner-Regiment Landgraf Friedrich.
Dem kinderreichen und pekuniär wenig be-
mittelten Mann blieb beim Untergang des Kur-
staates keine andere Wahl, wie die: den Ver-
hältnissen Rechnung tragend, weiterzudienen.
Erst westphälischer Brigade-, dann Divisions-
General, Gouverneur von Braunschweig, zuletzt
; den Glauben an Jesum. Und ich hörte eine
> Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe:
! Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben,
von nun an. Ja der Geist spricht, daß sie ruhen
! von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen
nach. An dem Tag der Beisetzung wurde in
allen Kirchen des Landes über denselben Text
gepredigt und neunmal geläutet. Der in der
Gruft der Marienkirche stehende Zinnsarg des
Grafen enthält der Sitte der Zeit gemäß eine
lange und pomphafte Inschrift. Ein Grabdenkmal
von ihm ist nicht vorhanden. Das schöne Epitaph,
welches man für das seine hielt und dessen wir
oben gedachten, hat er selbst seinem Vater Philipp
Ludwig I. setzen lassen. Daß es diesem ange-
hört, beweisen die rechts und links angebrachten
Wappen der Ahnen. Eine Inschrift dagegen be-
sitzt es nicht, woraus denn sehr leicht der lang-
jährige Irrthum entstehen konnte.
Als Gründer der Neustadt hat es Philipp
Ludwig verdient, daß ihm auf einem der öffent-
lichen Plätze ein dieses großen Mannes würdiges
Denkmal gesetzt wird. Dian ging schon einmal
lebhaft mit dem Gedanken um, ihm ein solches
zu setzen, um dadurch eine Pflicht der Dankbar-
keit zu erfüllen: Der Akademielehrer und Bild-
hauer Leuchtweiß entwarf bereits das Modell
zu einem Standbild Philipp Ludwigs, welches
in dem Sitzungssaal des Neustädter Rathhauses
aufgestellt ist. Die Ausführung desselben kam
1 jedoch nicht zn Stande. Hoffentlich ist im Jahre
' 1897, am 300 jährigen Jahrestag der Gründung
j der Neustadt Hanau, die Zeit gekommen, wo ihin
Hanau diese Schuld der Dankbarkeit abträgt.
Freiherr v Lepel.
-1873.)
Chef der Militärsektion des Staatsrathes, erhielt
er durch Königliches Diplom vom 26. März 1812
die Freiherrnwürde und starb im August 1813.
Von den zehn Kindern- welche seine Gattin,
Marie Karoline von Stiernberg, ihm geschenkt
1 hatte, wuchsen nur 6 empor. Mit dem ältesten,
| Georg Ferdinand, werden sich diese Blätter be-
! schäftigen. Bier seiner Brüder wurden west-
phälische Offiziere; drei derselben kämpften gegen
- Rußland. Nur einer davon kehrte von dort zu-
; rück, folgte wieder den hessischen Fahnen, avan-
cirte zum General-Lieutenant und General-Adju-
tanten des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, war
Kommandant der Residenz und starb, nachdem
i er den Wandel fürstlicher Gunst reichlich er-
! fahren hatte, 1855 zu Kassel.
63
Auf den Wunsch dieser vaterländischen Zeit«
schrift soll nun versucht werden, das lauge frucht-
bringende Leben Georg Ferdinands an der Hand
der von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen, von
denen einige im Original als Anhang") folgen
werden, zu schildern.
Es handelt sich darum, das Bild eines her- !
vorragend begabten und unterrichteten, streng '
rechtlichen und echt patriotischen Mannes, der
unerschütterlich fest bei dem verharrte, was er
einmal für recht erkannt hatte — zu zeichnen,
und zu berichten, wie es diesein Manne beschicken
war, bei wichtigen und hochinteressanten Ereig-
nissen seines Zeitalters Augenzeuge und Mit-
arbeiter zu sein. !
Georg Ferdinand von Lepel wurde am 27. 1
November 1779 zu Spangenberg, dem damaligen ,
Garnisonsort seines Vaters, geboren. Er war j
ein so wenig kräftiges Kind, daß der Gedanke, !
ihn dereinst dem Militärdienste zuzuführen, früh- !
zeitig aufgegeben wurde und die Eltern beschlossen '
den geistig begabten Knaben dem Studium zu ;
widmen. Die Versetzung des Vaters nach Kassel <
gestattete den Besuch des dortigen Lyceums, in '
welches Georg Ferdinand im Herbst 1788 ein-
trat. und welches er zu Ostern 1796 verließ, »m
an den Universitäten Marburg und Göttingen
Jura und Staatswissenschaft zu studiren.
Selten mögen die Räume der Kasseler Schule
einen fleißigeren Besucher gehabt haben, der mit
größerer Leichtigkeit das Vorgetragene erfaßt ,
und behalten hätte. Hand in Hand mit der Er-
ziehung durch die Lehrer ging die des Eltern-
hauses.
Vor allem pflanzte die vortreffliche Mutter
den Keim eines ernst religiösen Sinnes in das
jugendliche Herz und stählte es dadurch gegen
manchen Angriff der Verführung. Der Vater
verstand es den schwächlichen Körper durch Ab-
härtungen zu kräftigen und allmählich die Be-
fürchtungen der gefährdeten Widerstandsfähigkeit ,
desselben zu vermindern.
Im Jahre 1798 bat der hessische Legations-
sekretär am Reichstage zu Regensburg, von
Starkloff um Abberufung und ganz unerwartet !
wurde der noch nicht 19 Jahre alte Jüngling •
Georg Ferdinand zu seinem Nachfolger ernannt.
Er mußte seine Studien in Göttiugen in raschester
Weise zum Abschluß bringen und schon am 6.
Oktober seinen Dienst antreten.
Die ziemlich geringen Geschäfte am Reichstage
gestatteten ihm indessen sich wissenschaftlich weiter
*1 Der hochinteressante Inhalt des Anhanqs betrifft „Tic !
Unterzeichnung der deutschen Bund-satt- vom I«. Juni I«l5 zu Wien, I
totme die Bekanntschaft und die B-rhandlnnqe« G. FchcPel's «jt !
dem Minister Freiherrn von und znm Stein." Anm. d. Red.
jetzt erst sein Wachs-
thum volle' . in reichen! Maße zu gute.
Sechs un halbes Jahr dauerte diese Ver-
wendung in ,,-tgensburg. Gerade als sich gegen
Ende der Zeit erhebliche Verbesserungen des
sehr mäßigen Gehaltes, welcher dem auf jede
Zulage aus dem Elternhause verzichtenden jungen
Manne gar inanchc Entbehrung auferlegte, durch
Uebernahme der Vertretung neu hinzutretender
kleiner Fürsten darboten, erfolgte seine Ernennung
zum Geschäftsträger in Wien, wo sich der inzwischen
Kurfürst gewordene Landgraf durch eine Ge-
sandtschaft vertreten lassen wollte. An der Spitze
derselben stand der Rcichstaxsgesandtc Freiherr
von Günderode. Derselbe kehrte jedoch bald
nach Regensburg zurück und Lepel blieb allein
in Wien.
Als im Spätherbste des Jahres 1805 der
österreichische Hof bei Annäherung der französt-
scheir Arinee die Hauptstadt verließ, folgten die
Vertreter der befreundeten und präsumtiv alliirten
Staaten demselben nach Ollmütz und von da
nach Troppa». Nach dem Preßburger Frieden
konnte dann im Januar 1806 die Rückreise nach
Wien stattfinden. Nach Vernichtung des preußi-
schen Heeres bei Jena und Auerstädt im Herbste
dieses Unglücksjahres wurde das kurfürstliche
Haus Hessen durch Napoleon von der Liste der
Regierenden. gestrichen und der Friede von Tilsit
zerstörte jede Hoffnung auf Wiedereinsetzung des-
selben.
Lepel, der glänzende Anerbietungen, in den
höheren diplomatischen Dienst des neuen König-
reichs Westphalen einzutreten, abgelehnt hatte,
verblieb seinein angestammte» Herrn treu >md
beharrte in seinem Dienste zunächst als Privat-
Geschäftsträger. Er selbst sagt als „Geschäfts-
mann des Kurfürsten" bei der österreichischen Re-
gierung.
Als der Kurfürst Wilhelm I. im Frühjahr
1809 bei der Erhebung des Kaiserstaates gegen
seinen Bedränger ein kleines Truppenkorps ver-
schiedener Waffen in Prag zu errichten begann,
begab sich Lepel dorthin und wurde zu mehreren
Missivllen in das österreichische Hauptquartier
verwendet. Nach Abschluß des Wiener Friedens
»ahm er seine Thätigkeit als Privat-Geschäfts-
träger wieder auf.
Er vermählte sich jetzt mit einer Wittwe
Christiane Hille, geb. von Stubenrauch, die ihm
aber nach kurzer Frist durch den Tod wieder ent-
rissen wurde.
67
Nach dem Ableben seiner Gattin brachte er
die Kinder aus deren erster Ehe im Sommer
1812 zu Verwandten in Hessen. König Jerömc
hatte aus eigener großmüthiger Initiative dem
General von Lepel , ein Wiedersehen mit dem
Sohne angeboten und dem letzteren dazu den
Besuch der Heimath gestattet.
Im Winter 1812/13 wurde Lepel zu seinem
Herrn nach Prag berufen und begleitete den-
selben nach Breslau zur Begrüßung der durch
den Vertrag von Kalisch verbündeten Monarchen
von Rußland und Preußen. Er verblieb dann
im Gefolge des Kurfürsten und wurde ver-
schiedenlich in das Hauptquartier der Alliirten,
deren Einzug in Dresden er beiwohnte, ent-
sendet.
Da der Kurfürst, ehe Oesterreich, in dessen
Territorium er wohnte, dem russisch-preußischen
Bündniß beigetreten war, keine kriegerischen Rüst-
ungen vornehmen konnte, versprach er dem Mi-
uister Freiherrn von Stein, zumeist auf Zurathen .
Lepels, eine pekuniäre Beihülfe zu den Feldzugs-
kosten von monatlich 50000 Thlr., deren erste
zweimonatliche Rathe letzterer, nicht ohne Gefahr,
in die Hände der französischen Armee zu fallen,
an Minister Hardenberg überbrachte. Ueber die '
Beziehungen Lepels zu Stein, die damals be- 1
gönnen, liegen, wie wir aus der Beilage ersehen '
werden, interessante Aufzeichnungen, zum Theil
mit wörtlicher Wiedergabe der wichtigeren Unter-
redungen, vor. 'Auf die 'Rachricht von der Ein-
nahme Kassels durch Czernitscheff wurde Lepel
mit dem Obersten von Müller sofort vom Kur-
fürsten dorthin entsendet, um Besitz von Hessen
zu nehmen.' Sie erfuhren aber rechtzeitig den
Wiederabzug der Russen und schlossen sich nun
dem großen Hauptquartier an, in welchem sie
der Leipziger Schlacht beiwohnten und in dessen
Gefolge sie nach Frankfurt a. M. kamen. Dort
unterzeichnete Lepel am 3. December 1813 in Voll-
macht seines kurfürstlichen Herrn den Zutritts-
vertrag zur großen Allianz, durch welchen dieser ;
wieder in seine Staaten eingesetzt wurde. Die >
Auswechselung der Ratifikationsurkunden fand in '
Basel und Freiburg statt. !
Im Sommer 1813 war Lepel dienstthuender !
Kammerherr und am letzten Tage des Jahres j
Geheimer Regierungsrath, geworden.
Nach der ersten Einnahme von Paris reiste j
er in höherem Aufträge dorthin, um die Kunst- 1
und literarischen Schätze zu reklamiren, welche !
die französischen und wcstphälischen Behörden !
aus den Kasseler Museen und der Bibliothek j
halten wegführen lassen. Diese Mission scheiterte, >
weil durch die Kapitulation von Paris die Be- j
! stände des Musee Napoleon garantirt waren.
1 In den Jahren 1814—15 wirkte Lepel als
! zweiter Bevollmächtigter des Kurfürsten, der in-
zwischen Besitz seines Erbes ergriffen und eine
I Armee von 21000 Mann aufgestellt hatte, auf
dem Wiener Kongresse. Er nahm thätigen An-
theil au ben Verhandlungen über die deutschen
Angelegenheiten. Einzelne Noten sind im ersten
Entwurf seiner Feder entflossen und auch bei
1 der Redaktion der Bundesakte wirkte er eifrig
> mit. Auch hierüber sind detaillirte Angaben im
I Nachlasse vorhanden, von denen die erste Anlage
handeln wird.
. Auch die Verhandlungen zwischen Preußen
und dem Kurfürsten, in welchen von diesem
gegen Abtretung der Niedergrafschaft Katzenellen-
bogen und der Grafschaft Plesse ein Theil des
Bisthums Fulda, einschließlich der Stadt, als
Grvßherzogthum Fulda erworben wurde, waren
Lepel anvertraut, ebenso die Auseinandersetzung
mit Hessen-Darnfftadt wegen Retrocession resp.
Ersatz von vier . Hanau'schen Aemtern, welche
Napoleon dem Großherzoge überwiesen hatte.
Im Jahre 1816 erhielt Lepel statt der in seinen
Wünschen liegenden und ihm anfangs zugesagten
Stelle des Gesandten am neu errichtetcn Bunde,
den diplomatischen Posten am Wiener Hofe.
Er traf dort zur vierten Vermählung des Kaisers
Franz ein und begab sich im Februar nach
München, wo er.ebenfalls beglaubigt war, zur
Ueberreichung seiner Kreditive. Dort traf ihn
die Weisung: sich unverzüglich nach Frankfurt
zu verfügen und die Stelle des Bundestags-
■ gesandten, erst provisorisch, dann definitiv, zu
übernehmen.
Seine Vorgänger hatten einem, den Kurfürsten
gravirenden Beschlusse der Versammlung gegen-
über keine Verwahrung eingelegt. Es handelte
sich nut die Herausgabe der ehemaligen Güter
des deutschen Ordens, dessen Aufhebung Napoleon
im Jahre 1808 dekretirt und dessen Besitzungen
er dem Landesherrn geschenkt hatte. Von der
westphälischen Regierung waren die Güter zum
Theile verkauft worden. Der Kurfürst nahm
nach seiner Rückkehr von dem Nichtveräußcrten
Besitz und erließ, da die Käufer der bereits
veräußerten Güter durch die Gerichte in ihrem
Besitze geschützt wurden, eine Verordnung, wo-
nach dieselben, gegen den Kaufpreis und den
Ersatz nachweislicher Meliorationen zurückzuer-
statten seien. Hierdurch mußte namentlich ein
Domänenkäufer Hofmann, der die bereits in die
Katasterrolle eingetragenen Güter in größeren
Parcellen anderweit veräußert hatte, empfindliche
Verluste erleiden.
68 —
Gegen diese Verordnung hatte sich der Bundes
tag erklärt. Lepel, der seinem Herrn nicht ver
hehlte, daß er sie selbst für ungesetzlich erkenne, !
hielt dennoch die Versammlung, deren Mitglieder j
ohne vorherige Jnstruktionseinhaltung votirt
hatten, nicht für kompetent, gegen den Kurfürsten
als Souverain so wie es geschehen war, vor-
zugehen. ,
Es entspannen sich nun, da er sich tn den j
Verhandlungen in Widerspruch mit seinen !
Kollegen setzte, von welchen namentlich der Bor- !
sitzende, Graf Buol, von seiner Regierung, mit 1
der der Kurfürst direkte Verbindungen ange- j
knüpft hätte, im Stiche gelassen wurde, durch
Uebertragung in das private Leben sehr uner- j
glückliche Zustände. Die Gediegenheit und Offen-
heit von Lepels Charakter und seine Geschäfts-
tüchtigkeit überwanden dieselben aber bald und
erwarben ihm in kurzer Zeit Anerkennung und
Achtung.
Im Februar 1821 starb Kurfürst Wilhelm 1.
Die Geschichte hat manches harte Urtheil über
diesen vielgeprüften Monarchen, der sich nie vor
Napoleon gebeugt hat, gefällt — für Lepel, dessen
treuen Dienste im Unglück er nicht vergaß, war
er immer ein gerechter und gütiger Herr ge-
wesen, deffen Heimgang jener aufrichtig betrauerte.
Seinen Genoffen im Exil hatte der Kurfürst
eine Pension von jt 1200 Thlv> testamentarisch
bestimmt, sie mochten seinem "Rachfolger dienen
oder nicht.
Bald sollte Lepel in den Genuß dieser Pension
treten, denn sein Verhältniß zum neuen Landes-
herr» war oder wurde wenig günstig. Es
machten sich in den. Kreisen, die dem Kurfürsten
persönlich nahe standen, Einflüsse geltend, welch«
dem nicht gegen jedermann gefügigen Manne,
allmählich die Stellung so verleiden sollten, daß
er um seine Entlassung bat. Zudem war LepelS
Stellung auch dadurch bei der fortschreitenden
Reaktion unhaltbar. geworden, daß er zu der sehr
kleinen Minorität gehörte, welche eine liberale
Meinung vertrat, die Oesterreichs damalige
Staatsleitung um keinen Preis duldete. Als
ein allerhöchster Erlaß des Kurfürsten seinem
Bundestagsgesandten verbot, während der drei-
monatlichen Ferien Frankfurt zu verlassen, trat
er zurück. (Fortsetzung folgt.)
Die Doktorin Dirke.
Eine biographische Skijje von Fr. von Hohenhausen.
m 16. Juli 1846 starb eine einsame alte
Frau in einem ärmlichen Hause der alten
Wilhelmshöher Allee zu Kassel; sie ahnte
es nicht, daß sie nach kurzer Zeit eine literarische
Berühmtheit werden würde! „Das Hessenland"
hat gewiß ein Recht, sie als eine seiner berühm-
ten Frauen zu feiern. Es war Charlotte
Die de, die Brieffreundin von Humboldt. Als
Greisin fristete sie ihr Leben mit ihrer Hände
Arbeit, und zwar mit einer Arbeit, die eigentlich
nur für die Jugend paßt; zarte künstliche Blumen
hatten ihre altersschwachen zitternden Hände zu
schaffen! Aus der Werkstätte des trauernden
Alters ging der Blumenschmuck hervor, den die
lachende Jugend beim Tanze trug. Wie mancher
Seufzer, wie manche Thräne mag die mühsame
Arbeit begleitet haben!
Die arme alte Frau, die Blumen und Kränze
wand, um das tägliche Brod zu gewinnen, war
auch einst jung und schön gewesen, wie die Träge-
rinnen ihrer Arbeiten; sie war auch einst glück-
lich gewesen — aber freilich nur kurze Zeit!
Sie war eine Pfarrerstochter, anmuthiger und
liebenswürdiger wie jemals eine solche von den
Dichtern damaliger Zeit erfunden und gefeiert
worden ist. Durch Goldsmiths Viaar of Wake-
field, durch „Louise" von Voß und Bürgers
„Pfarrerstochtcr von Taubenheim", hatten die
Pfarrerstöchtcr einen poetischen Nimbus erhalten,
den auch Goethe bei seiner Friederike von
Sesenheim als Zauber empfand.
Die arme Blumenmacherin war aus einem
reichen Hause; ihr Vater, Pfarrer Hildebrand
im Hannoverschen, hatte keine Kosten gescheut,
um ihr'eine sorgfältige Erziehung, ja eine fast
gelehrte Bildung zu verschaffen. Sie las schon
mit neunzehn Jahren philosophische Schriften,
dichtete und sehnte sich nach idealen Freund-
schaften. Sie schwärmte für „das Wahre, Gute
und Schöne", wie man damals die Sehnsucht
nach der Liebe nannte.
Charlotte Hildebrand lebte auf dem schönen
Stückchen Erde, welches durch da- Wesergebirge
hervorgebracht ist. Namentlich verweilte sie oft
in dem kurhessischen Städtchen Riyteln, das eine
wahre Perle landschaftlicher Schönheit genannt
werden kann, auch das reizende Rehburg mit
seinen köstlich duftenden Tannenwäldern und das
69
liebliche Eilsen, das in dem tiefen Thalkessel mit
seinen rothen Dächern wie eine Schale frischer
Aepfel in grünen Blättern liegt, besuchte Char-
lotte alljährlich mit ihren wohlhabenden Eltern.
Das beliebteste Sommervergnügen war aber eine
Reise nach dem damaligen stolzen Modebad Pyr-
mont. Unter dem Lindendom der berühmten
Pyrmontcr Allee sollte das junge Mädchen den
Mann kennen lernen, durch den es eine berühmte
Frau wurde.
Auf einer der Bänke, welche durch die Nähe
der schönen kühlenden Fontaine besonders beliebt
sind, saß Charlotte eines Morgens mit ihrem
Bater. Beide knüpften alsbald ein Gespräch an
mit einem jungen Mann, der sich zutraulich neben
sie gesetzt hatte. Man wurde damals leichter
bekannt in Badeorten, weil man nicht mißtrauisch
war, wie man es jetzt leider sein muß; binnen
wenige» Minuten hatte das schöne junge Mäd-
chen den unscheinbaren Nachbar in ein philoso-
phisches Gespräch verwickelt. Sie bemerkte wohl,
daß er einen schlechten Rock hatte, aber seine
guten Manieren fiele» ihr dadurch nur noch
mehr auf, auch fand sie ihn häßlich, aber er sah
geistvoll aus, sie erkannte seine innere Schönheit
und lauschte auf seine Worte, als kämen sie aus
einer besseren, bisher nur von ihr geahnten
Welt. Auch der junge Mann empfand eine
sichtbare Freude, daß er ein so liebliches Ohr
und einen so holden Mund gefunden hatte, die ver-
ständnißvoll hören und anregend reden konnten.
Der Pfarrherr fand ebenfalls viel Gefallen an
dem jungen Manu, den er für einen Studenten
aus Göttingen hielt, er lud ihn mit herablassen-
der Miene zum Mittagessen ein, und man ging
gemeinschaftlich in den Speisesaal. Dort ent-
hüllte es sich denn bald, daß der interessante
Sprecher allerdings ein Student aus Göttingen
war, aber den vornehmen Namen Wilhelm von
Humboldt trug.
Es ist bekannt, daß er dainals und auch
später ein sehr unschönes Aeußere besaß, im
besten Frack sah er aus wie ein Schneiderlcin,
grau, klein, dünn und linkisch, wie mußte er erst
im schlechten Reiseanzug sich ausnehmen! Aber
er machte doch einen schönen Eindruck auf das
junge Mädchen durch die klare Ruhe seines
Wesens und die geistige Wirkung seiner Worte.
Nach einem halben Jahrhundert erinnerte sie
sich noch an die „geheiligten Empfindungen", die
er in ihr erregt hatte.
Drei glückliche Tage eines freien, unbeschäf-
tigten Badelebens, in dem man stets die drei-
doppelte Stundenzahl anderer Tage besitzt,
flössen den beiden jungen Leuten wie ein ange-
nehmer Traum dahin. Humboldt schrieb nach
damaliger Sitt- eine pathetisch-sentimentale Sen-
tenz in Charlottens Stammbuch, reiste aber ab,
ohne eine Wort von Liebe zu sagen, obwohl sein
ganzes Wesen durchglüht schien von ihrem seeli-
schen Liebreiz. Sie selbst fühlte sich unendlich
bereichert und hing noch mehr als früher ihren
schwärmerischen Empfindungen nach; sie war zu
bescheiden, zu demüthig und ächt weiblich zurück-
haltend, um Hoffnung auf eine nähere Verbind-
ung mit dem vornehmen, geistig bedeutenden
Jüngling zu hegen, in welchem ihr liebevoller
Scharfblick schon den einst berühmten Mann er-
kannt hatte. - Sie verschloß „die vorüber ge-
gangene schöne Erscheinung in das Allerheiligste
ihres Innern und sprach nie darüber, sicherte
dieselbe auf diese Weise vor Entweihung durch
fremde Berührung", wie sie später geschrieben hat.
Diese Begegnung fand am 16. Juli 1788
statt. Humboldt hatte versprochen, im Herbst
das Heimathsdors von Charlotte Hildebrand zu
besuchen. Er kam aber nicht, sondern verweilte
länger, als er beabsichtigt hatte, in Pempelfort
bei Düsseldorf, wo Jacobi damals alle großen
Geister so gern festhielt.
Wie mag das junge Mädchen sehnsüchtig ans
den verheißenen Besuch geharrt habin: cinjni»
wandelte sie bei Mondenschein im Garten des
Pfarrhauses, wo Rosen und Kartoffeln idyllisch
zusammen blühten, dann las sie beim Schlafen-
gehen wie ein Gebet ihr geliebtes Stammbuch-
blättchen durch, auf welches Wilhelm von Hum
boldt schrieb:
„Gefühl fürs Wahre, Gute und Schöne adelt
die Seele und beseligt das Herz, aber was ist
es selbst dieses Gefühl, ohne eine mitempfindende
Seele, mit der man es theilen kann!"
Aber diese „mitempfindende Seele" blieb aus;
statt dessen kam ein unwillkommener Freier.
Wie mancher Mädchentraum wird durch einen
solchen zerstört!
Sie hatte in Rinteln im Hause ihrer Jugend-
freundin einen Doktor Diede aus Kassel kennen
gelernt und sich mit ihm verlobt, ohne die Zu-
stimmung ihrer Eltern zu haben. Welche Be-
weggründe sie, obwohl auch sie den Doctor nicht
liebte, zu der Heirath veranlaßt haben, ist nicht
zu ermitteln gewesen. Sie selbst spricht in
ihren Briefen an Humboldt in folgender melan-
cholischer Weise von diesem Ereigniß:
„Ich wurde verheirathet im Frühling 1789,
lebte nur fünf Jahre in dieser kinderlosen Ehe
und ging keine zweite ein." Daß sie verheirachet
wurde, spricht doch nicht für ihren freien Ent-
70
schluß! Wer aber konnte sie zwingen, wenn '
nicht einmal die Eltern es wünschten'? Ein an-
geblicher Berwandter von ihr hat unlängst etwas
über diese Heirath drucken lassen, jedoch ohne
eine wirkliche Klarlegung zu geben.
Als beglaubigt kann das Gerücht angesehen
werden, daß der Doktor Diede seine junge schöne
Frau sehr imglücklich gemacht hat, aber nachdem !
die Scheidung stattfand, sich mit einer andern j
Dame verheiratete und eine sehr zufriedene Ehe j
mit ihr führte. i
Charlotte wünschte so dringend von ihm ge- ■
schieden zu werden, daß sie sich freiwillig als
schuldigen Theile erklären ließ. Damit hatte sie
ihren Ruf unwiederherstellbar vernichtet. Dazu
war es bekannt geworden, daß ein sehr schöner
adliger Offizier mit ihr in einem Liebesverhült-
niß stand. Dasselbe dauerte mehrere Jahre und
Charlotte hoffte immer, daß eine Heirath daraus ,
entstehen würde. Aber sic hatte sich in dem
Dev imhnenfd)nried.
Sieben Jahre saß und spann
An dem Fenster Marie-Ann'
Schweigend von dem schlanken Wocken
Ab des Flachses seid'ne Flocken.
Sieben Jahre sind es heut',
Kam ein Reiter nm die Zeit
Der ersehnten Vesper munter
In dem Dorf den Weg herunter.
Eben trat der Nachbar Klans
Aus der Schmiedenthür heraus,
Blasend blaue Ringelreifchen
Aus dem Almer Maserpfeifchen.
Grüßte nach dem Fenster hin
Die geliebte Nachbarin,
Die erröthend tief sich neigte,
Als er in der Thür sich zeigte.
Ritt der fremde Reitersmann
Zu dem Feiernden heran:
„Nehmet Hammer, Zang' und Feile,
Meister, und folgt mir in Eile!
Nägel, werther Meister mein,
Biel' der neuen steck't auch ein;
Denn manch' Rößlein, laßt's Euch sagen!
Giebt es heut noch zu beschlagen." '
Flugs nahm Meister Klaus darauf
Hammer, Zang' und Feile auf,
Und mit Nägeln füllt die rasche
Hand schnell seine Schurzfells-Tasche.
.,Nun, mein Meister, schwinget Euch
fitster mich auf's Roß in's Zeug!
önnt Ihr, Meister, denn auch traben
Ueber Stock und Stein und Graben?"
Charakter des Geliebten getäuscht, er- löste das
Verhältniß und schloß eine Ehe mit. einer Dame
seines Ranges. Wie niederschmetternd dies Ver-
fahren auf Charlotte wirkte, läßt sich nicht be-
schreiben, sie hatte durch ihre Ehescheidung zudem
alle Mittel einer gesicherten Lebensstellung ver-
loren und wurde in Kassel von- allen Bekannten
gemieden. Sie zog nach Rraunschweig, wo sie
billiger leben konnte und auch noch einige Hülfs-
quellen besaß, weil ihr väterliches Erbtheil in
Braunschweigischen Papieren bestand. Durch den
Tod des Herzogs und die Siege Napoleons ver-
lor sie ihr ganzes Vermögen. Ganz hilflos,
alternd und kränklich wußte sie nirgend unterzu
kommen. In ihrer Verzweiflung fiel ihr ein
Zeitnugsblatt in die Hand, in welchem sie den
Namen Wilhelm von Humboldt lobend erwähnt
fand. Derselbe war damals Bevollmächtigter
des Königs von Preußen beim Kongreß in Wien.
(Schluß folgt).
-»-s:— •••
„„Traben ich, — der Fahneuschmicd,
Wie er leibt und lebt im Lied, —-
Der in zwanzig tust'gen Jahren
’ Diente bei den Leib-Husaren?! . .
Jener d'rauf mit Gertenhieb
An das edle Rößlein trieb,
Daß es stolz die Glieder reckte
Und zu raschem Trab sich streckte.
Auf zum Odenbergsgeheg
Bog es in den hohlen Weg
Und hinein die weite Spalte
An der steilen Bergeshalde.
„Fürchtet, werther Meister, Ihr
Richt im wilden Felsrcvier
Euer Leben zu verlieren,
Wann d'rauf tos wir galoppieren?"
..„Fürchten ich — der Fahnenschmied,
Wie er leibt und lebt im Lied —
Ein Galöppchen? . . . Braucht die Sporen!
Schaut, der Gaul spitzt schon die Ohren!. .
Wie das schnob den Berg hinein!
Funken sprühte das Gestein!
„Meister, kennt Ihr auch den Quinten?"
„„Ammen Märchen! Narren-Finten! . . .""
Hellung zeigte bald der Schacht,
Ward zum lichten Tag die Nacht,
Wehte frisch herein vom Thale
Es ganz nah mit einem Male.
Und da — vor der Felsschlucht sah'n
Sie sich auf dem schönsten Plan
Und durch's Hüngegrüu von Birken,
, Plane Höh'n ein Thal umzirken.
71
Sah n inmitten dem Gefild
Reiten blank mit Schwert und Schild
Ein Geschwader Panzerreiter,
Lauter echte Quiutenstreiter.
Und voran dem reis'gen Troß
Karle Quint auf weißem Roß,
Der sie überragte Alle,
Wie ein Thurm die Kirchcnhallc. —
Trug auf goldig-gelbem Haar
Einen Hut, der wunderbar
Prangte in der Purpurfarbe
Wilden Mohnes einer Garbe.
„Wer mag, werther Meister mein,
Wohl des Hutes Träger sein?"
„„Wer's auch sein mag; ohne Zweifel,
Gott sei bei uns! nicht der f f f Teufel!..
Und das Roß in raschem Flug
Zu ihm hin die beiden trug:
„Das ist Euch zu Nutz und Frommen,
Daß Ihr ungesäumt gekommen!
Abgesessen!! Und sodann
Zeigt Euch als der rechte Mann!
Denn, mein Meister, laßt's Euch sagen,
Jedes Roß ist zu beschlagen. —"
Wie der aus beut Sattel flink
Rüstig au's Hanthieren ging;
Hier die Hufe zierlich stutzend,
Dort mit neuen Eisen putzend.
Stolz und in erhab'ner Ruh
Sah indeß der Führer zu,
Tadelnd hjer und lobend dorten
Sachgemäß mit kurzen Worten.
Und als jener nun behend
War gekoinmen bis an's End',
Thät er seinem Mundschenk winken:
„Gebt dem Meister Eins zu trinken!"
Sprach's und spornte rasch das Roß,
Stob davon mit seinem Troß;
Nur der Mundschenk blieb, der alte,
Daß er seines Amtes walte.
„Nun, mein Meister, schwinget Euch
Hinter mich auf's Roß m's Zeug;
Denn je flinker, um so schneller '
Sind wir vor dem Spund im Keller!"
Klaus hob noch in raschem Lauf
Ein paar alte Eisen auf,
Schob sie in die Schurzfells-Tasche,
Daß er aus dem Berg sie pasche.
D'rauf zum dunklen Felsgestein
Hurri schurri ging's hinein *
Bis zum Keller in der Ecke
Mit der Ampel an der Decke.
Fässer — hundert — riesengroß,
Lagen da im Erdenschooß,
Tausendjähriges Getränke,
Nur gewärtig, daß man's schwenke.
„„Wisset, werther Schenke mein,
Habet da ein Trinkhorn fein,
Laßt das Rößleiu seiner Straßen
Und uns fest das Hörnlein blasen!...""
Und das Hörnlein bliesen sie,
Bis die Hähne krähten früh,
Bis sie alle beide trunken
Vor den Faßhahn hingesunken.-------------
Indeß aber saß und spann —
Seiner harrend — Marie-Ann';
Spann vom glatten, gold'nen Wockeu
Ab des Flachses seid'ne Flocken.
Saß bis zu der Nacht hinein,
Bis der Mond durch's Fensterlein
Halben Auges lächelnd blickte,
Wann sie sich zur Spule bückte.
Spann, bis daß im Ost der Tag
Wie in Rosen-Dannen lag,^
Doch verschlossen blieb die Schmiede,
Die doch früh sonst Funken sprühte.
Blieb verschlossen — Tag für Tag —
Das ertrage, wer's vermag!
Marie-Ann' hat nichts gesprochen,
Doch ihr Herzchen frug mit Pochen:
„Schätzte er mich so gering,
Daß er ohne Abschied ging? —
Draußen giebt es reich're Mädcheu ;
Wenn er-------" ach! da riß das Fädchen —
Das ertrage, wer's vermag!
Armes Herz, was soll Dein Schlag?!
Marie-Ann' hat nichts gesprochen,
Doch ihr Herz ist schier gebrochen.
Freud-' und wortlos saß sie daun
Sieben Jahre lang und spann
Zwischen Hangen, zwischen Bangen,
Bleiches Grämen auf den Wangen.
Sieben Jahre sind es heul
Wieder um die Vesperzeit,
Kömmt mit einem Male munter
Klaus im Dorf den Weg herunter.
Lenkt zur Schmiede seinen Lauf,
Stößt die ruß'ge Schalter auf,
Legt ab seine Siebensachen,
Frisch die Esse anzufachen.
Da — von drüben — welch' ein Schrei
Stürzet Marie-Ann' herbei:
„Wo hast, Böser, Du die sieben
Jahre Dich umher getrieben? ..."
„„Sieben Jahre? . . Bist wohl nicht —
Mädchen, sieh mir in's Gesicht! . . .
Antwort nimm auf Deine Frage:
Bei dem Quint' zum Hufbeschlage. —
Lächelst, Mädchen? . . . Na, merk' auf!
Greift zur Schurzfells-Tasche drauf,
Mit den jüngst gepaschten Eisen,
Was er sprach, schnell zn beweisen.
72
Doch wie staunte er und sie,
Goldgedieg'ne waren die
Und an Werth, matt könnte Haufen
Eiserne wohl dafür kaufen.
Das jagt Zweifel ihm durch's Hirn,
Falten furchen seine Stirn:
„„Sieben Jahre bei dem Quinten?""
Frägt er sich, ,,„im Berg dahinten?""
Doch als echter Fahnenschmied,
Wie er leibt und lebt im Lied —
Jauchzt alsbald er lautester Weise,
Schwenkend sie dabei im Kreise:
„„Marie-Ann', wie dem auch sei, -
Hielt Dir Liebe, Schwur und Treu!
Sieh, dies reicht zu Haus und Scheuern,
Juchhei! nun geht es an's Heu'ren!
Backe, brat' und lade ein!
Rüst' Dein Hochzeitskämmerlein;
Als Frau Fahnenschmied des Quinten
Soll der nächste Tag Dich finden!. .
Kirdnris Motiv.
Uetrvotoge.
August Wilhelm Eichler.
Schon wieder haben diese Blätter den Tod eines
bedeutenden Sohnes unseres engeren Vaterlandes zu
melden. Nicht an der Grenze, welche dem rnenschlichen
Leben gesetzt ist, oder zu einem Zeitpunkt, wo des
Lebens Schatten länger geworden, nein, im kräftigsten
Mannesalter, im Zenith des Lebens, beschloß am
1. März, Morgens 6*/** Uhr, zu Berlin nach schwerem
Leiden sein irdisches Dasein Dr. August Wilhelm
Eichler, Professor der Botanik, Direktor des k. bo-
tanischen Gartens und des botauischen Museums in
Berlin. Noch lag ein weites Feld segensreicher Thätig-
keit vor ihm offen, noch schien ihm vor etlichen
Monaten, wenigstens nach menschlicher Berechnung,
ein reiches Wirken beschieden zu sein — und nun
deckt ihn der Schooß der märkischen Erde.
Der Verblichene war geboren am 22. April 1839
zu Neukirchen als Sohn des jetzigen ersten Ober-
lehrers an der Realschule zu Eschwege Eichler. Nach
Absolvirung des Gymnasiums widmete er sich dem
Studium der Mathematik und Naturwissenschaften,
pflegte jedoch von Anfang an mit besonderer Vorliebe
die letzteren, namentlich unter Leitung des vor Kurzem
verstorbenen Professors Wigand die scientia amabilfe.
die später sein Spezialstndrum werden sollte, und in
deren Elemente ihn sein Vater, selbst ein tüchtiger
Pflanzenkenner, eingeführt hatte. Im Jahre 1860
legte er in Marburg das Gymnasiallehrerexamen ab
und am 7. Oktober desselben Jahres wurde er als
Praktikant des Gymnasiallehreramtes in den Vor-
bereitungsdienst am Marburger Gymnasium einge-
führt. Hier blieb er nur kurze Zeit. In dem
folgenden Jahre berief ihn der Geheime Rath von
Martins, der berühmte Münchener Botaniker, zu
sich als Assistenten. Der damals beinahe 70 Jahre
alte, aber geistig wie körperlich ungemein rüstige Ge-
lehrte lebte nur seinen Privatstndien. und den Interessen
i der bayerischen Akademie der Wissenschaften. Sein
j Universitätsamt, sowie die Direktion des botanischen
j Gartens hatte er niedergelegt, weil man ihm trotz
l seinen Gegenvorstellungen den letzteren, der unter
seiner Leitung ein Musterinstitut von europäischem
Rufe geworden war, durch Einbau des Glaspalastes
in Plan und Anlage vollständig verdorben hatte.
Unter seinen Arbeiten nahm ihn hauptsächlich in An-
spruch die Herausgabe der „Flora brasiliensis“. Für
dieses großartig angelegte botanische Prachtwerk hoffte
er in Eichler einen tüchtigen Mitarbeiter zu be-
kommen. Daß er keine beffere Wahl hätte treffen
können als durch Heranziehung des jungen kurhessischen
Gymnasiatpraktikanten, hat er selbst wiederholt aus-
gesprochen. hat die Zukunft bewiesen.
Der Mitarbeiterschaft an" diesem Werke,*) dein
großartigsten botauischen Werke, welches bis jetzt
existirt, verdankte Eichler seine eminente Pflanzen-
j kenutniß und nicht minder seine verdiente Carriere.
Wir können es nicht unterlassen, mit einigen Zeilen
! näher darauf einzugehen, wenn es auch schwer ist,
, dem Nichtbotaniker namentlich nur in kurzen An-
deutungen einen Begriff von. der Größe und Be-
. deutnng des Werkes in Rede zu geben. Sie gründen
sich zum Theil auf Eichler's eigene Mittheilungen,
mit welchem der Schreiber dieser Zeilen während seines
Studiums in München in freundschaftlichem Verkehr
! stand und Gelegenheit hatte, den hingebenden und er-
! folggekrönten Antheil des dittevcn Freundes an dem
Unternehmen zu verfolgen.
Von der großen wissenschaftlichen Reise, welche
Martins mit dem Zoologen Spix nach Brasilien
unternommen und welche sich ttch über den Zeitraum
vorn April 1817 bis Dezember 1820 ausdehnte, hatte
ersterer als Ausbeute nahezu 7000 Pflanzenarten
- mitgebracht. Erst im Jahre 1839 faßte Martins
mit dem berühmten Wiener Botaniker Endlicher den
Plan (und zwar auf Anregung des Fürsten Metternich),
auf Grundlage der Riesenausbeute jener Reise sowie
überhaupt des aus Brasilien zusammengetragenen
Materials die gesammte Flora dieses Landes einer
! wissenschaftlichen Bearbeitung zu unterziehen und be-
i gleitet von zahlreichen ikonographischen Darstellungen
in Gestalt eines Prachtwerkes zu einem systematischen
■ Ganzen zu vereinigen. Die Potentaten Kaiser
! Ferdinand I. von Oesterreich, Don Pedro II. von
! Brasilien, König Ludwig I. von Bayern, bezw. ihre
( Nachfolger, nahmen das Werk unter ihre Aegide und
' sicherten damit dessen finanzielle Grundlage. Natur-
gemäß konnte ein solches Unternehmen nur langsam
j vorwärts schreiten und, wenn wir uns recht entsinnen,
' war im Jahre 1861, als Eichler in die Reihe der
Mitarbeiter eintrat, ungefähr Fase. 30 in der Be-
arbeitung. Wenn wir anführen, daß Brasiliens
> *) Sein vollständiger Titel lautet: M a r 11 u s e t E i c h l e r, Flora
, brasiliensis. Emimeratio plantarum iu Brasilia hactenus
detectamm, quas suis aliorumque. botanicorum ? studMs
i deseriptas et methode naturali digrestas, partim ieone illustra-
tas edd. Bis jetzt sind 94 Fase., mit ca. 9000 ftoliotafchi illustrier,
i erschienen. Der Preis eines Fase. beträgt 7-' Mark.
Pflanzenwelt fast sechsmal soviel Arten enthält als
die ganze mitteleuropäische Flora zusammengenommen,
daß unter der Martius'schen Ausbeute eine große
Zahl bis dahin noch ganz unbekannter, nie beschriebener
Spezies sich befand, kann sich auch ein Nichtfachmanu
eine Vorstellung von der Größe der zu bewältigenden
Aufgabe machen. Dazu kommt noch, daß die Mehr-
zahl der Haupttypen des ganzen Gewächsreichcs in
dieser brasilischen Flora repräsentirt ist, und viele der
natürlichen Pflanzenfamilen in ihr den Schwerpunkt
haben. Der Bearbeiter muß also auch jene Typen
in ihren außerbrasilischen Formen studiren, muß
ferner die Gruppen monographisch untersuchen. Durch
überaus fleißige Betheiligung an der großartigen Arbeit
und zwar in dem eben angedeutenden Sinne wurde
Sichler sowohl zur Ausbreitung als zur Vertiefung
seines Wissens geführt und gelangte so allmählich
zu der umfassenden Formenkenntniß und der großen
Anschauungsweise des Pflanzenreiches, welche ihn eine
der ersten Stellen in der Reche der lebenden Botaniker
einnehmen ließ. Freilich heißt jetzt eine andere Art
der Forschung, die mikroskopische, wissenschaftlicher und
wird höher gestellt; ob mit Recht, ist eine andere Frage.
Nachdem Martins (am 13. December 1868) ge-
storben war, siel Sichler die Leitung des großen
Unternehmens zu, welche er bis zuletzt m seiner Hand
behielt. Nur kurze Zeit noch blieb er in München, wo
er sich bald nach Antritt seiner Assistentenstelle auch als
Privatdozent habilitirt hatte. Er wurde 1871 als
Professor der Botanik und Direktor des botanischen
Gartens nach Graz berufen. Zwei Jahre später
leistete er einem Rufe nach Kiel Folge, um dort in
den gleichen Aemtern zu wirken. Fünf Jahre gehörte
er der holsteinschen Universität an. Im Jahre 1878
wurde er Nachfolger Alexander Braun's auf dem Lehr-
stuhl der systematischen Botanik und in der Direktion
des botanischen Gartens der Universität Berlin.
Hier entfaltete Sichler eine überaus segensreiche
nnd fruchtbare Thätigkeit als akademischer Lehrer,
Organisator, wie Forscher. Unter seiner Leitung er-
reichte der botanische Garten seine jetzige Vollendung,
unter ihm wurde das botanische Museum gebaut und
eingerichtet. Von seiner literarischen Thätigkeit geben
Zeugniß das zweibändige epochemachende Werk
„Blüthendiagramme, konstruirt und erläutert" (Lpz.,
Engelmann. 23 M.), sein in 4 Ausl, erschienener
„Syllabus derVorlesungen über spezielle und medizinisch-
pharmazeutische Botanik", sein „Jahrbuch des k. bo-
tanischen Gartens und Museums zu Berlin", welches
neben fachwissenschaftlichen Abhandlungen, Bericht
über die Arbeiten und Veränderungen im botanischen
Garten in der Zeit 1878—81 und eine Beschreibung
des neuen botanischen Museums enthält; ferner zahl-
lose Abhandlungen in fachwissenschaftlichen Zeitschriften,
in den Abhandlungen der preußischen Akademie der
Wissenschaften, zu deren wirklichem Mitgliede er schon
in verhältnißmäßig jugendlichem Alter gewählt worden
war,- in den Schriften der Gesellschaft naturforschender
Freunde- den Sitzungsberichten des botanischen Vereins
der Provinz Brandenburg, der Monatsschrift des
Vereins zur Beförderung des Gartenbaus in den
Preuß. Staaten rc. rc. Zu dem großen Handbuch
der systematischen Botanik „Engler nnd Praetl,
die natürlichen Pflanzenfamilien" (Lpz., Engelmaun),
dessen Erscheinen bervorsteht, hatte der Verewigte die
Bearbeitung zahlreicher, von ihm ganz besonders ein-
gehend studirter Familien übernommen, und, soviel
uns bekannt ist, u. A. die der Soniferen auch bereits
fertiggestellt.
Trotz der kolossalen Arbeitslast, welche in Berlin
auf seinen Schultern lag, nnd der er sicherlich so früh
um Opfer gefallen ist, war er doch stets der hülfs-
ereite Freund, der gern aus dem reichen Schatze
seines Wissens mittheilte.
Alle, welche ihm näher getreten, werden ihm ein
freundliches Andenken der Liebe und der Hochachtung
bewahren. Und wenn sich auch so früh des Vaters
Homer botanischer Spruch an ihm erfüllt hat: „Wie
der Blätter Geschlecht, so sind die Geschlechter
der Menschen", so wird doch sein Leben in der Geschichte
der Wissenschaft große und nachhaltige Spuren zurück-
lassen. ^ # A.
Rudolf Busch.
Am 6. März starb hier in Kassel der Inspektor
der Mädchenfreischnle Pfarrer R u b o l f Bu s di.
Derselbe ist geboren zu Haina im Kreise Franken-
berg am 11. Oktober 1821. Sein Vater war
der dortige Metropolitan Dr. thcol. Karl Fried-
rich August Busch. Vom Herbst 1835 bis Ostern
1844 besuchte Rudolf Busch das Gymnasium in
Hersfeld. Herauf bezog er die Universität Marburg,
die er im September 1847 nach wohlbestandenem
theologischen Examen verließ. Nachdem er an ver-
schiedenen Orten Kurhessens als Privatlehrer und
als Pfarrgehilfe thätig gewesen war, bestand er im
August 1852 in Marburg die Prüfung pro rectoratu
nnd übernahm im Jahre 1854 auftragsweise das In-
spektors über die 6 stiftungsmäßigen und 5 städti-,
schen Freischulklassen in Kassel. Seine definitive Be-
stellung als Inspektor und erster Lehrer der städtischen
Freischule erfolgte im Jahre 1857. Als diese An-
stalt im Jahre 1883 eine Ausdehnung gewonnen
hatte, die eine Theilung nothwendig erscheinen ließ.
behielt Busch die Lenung der 'Mädchenfreischule
Busch erfreute sich bis wenige Wochen vor seinem
Tode des besten Wohlseins, ein Bronchial-Katarrh
führte sein Ende herbei. Er hat es in seltenem
Maße verstanden, sich nach allen Seiten hin Liebe
zu erwerben. Den Schülern war er ein liebevoller
Lehrer, den Eltern derselben ein freundlicher Berather,
den Lehrern ein humaner Vorgesetzter nnd Freund.
An seinem Leichenbegängniß am 9. März betheiligten
sich außer den Lehrern aller Schulgaltnngen, Geist-
lichen und Bürgern die Vetreter Königlicher Regier-
ung nnd der städtischen Behörden, und viele theil-
nehmende Menschen bildeten Spalier vom Trauer-
hause bis zum Todtenhofe. Unter den zahlreichen
Kranz- und Blnmenspenden heben wir hervor einen
Palmenzweig und Blumenstrauß mit der Widmung:
„Dem Pfarrer mtb Schulinspekror Rudolf Busch ge-
widmet von der Residenzstadt Kassel" und einen
u
Palmenzweig mit Lorbeerblättern und schwarz-weiß-
goldener Schleife von der christlichen Studentenver-
bindung Wingolf in Marburg, die der Verstorbene
vor 40 Jahren mitbegründet hatte und der er bis^zn
seinem Tode mit Liebe und Treue 'anhing. Litera-
risch hat sich Busch durch Herausgabe einer biblischen
Geschichte und einer Katechismuserklcu nng bethätigt.
In Gemeinschaft mit dem verstorbenen Schulinspektor
Dr. Chr. Röth und dem Weisenhausinspektor Hebel
hat er auch ein Volksschullehrbuch herausgegeben.
Seine Verdienste wurden schon vor Jahren aller-
höchsten Ortes durch Verleihung des Kronenordens
anerkannt. * * A. onib*
Ludwig Sigismund Ruht.
Am 8. März starb dahier der vorhinnige Direktor
des Museums und der Akademie der bildenden Künste,
Geheimer Hofrath 8. S. R u h l, im 93. Lebensjahre.
Unsere älteren Leser werden sich gewiß noch des
Mannes erinnern, den man vor erwa dreißig Jahren,
auf einem kleinem Schimmel, gefolgt von einem
reitenden Bedienten, gewöhnlich in der Wilhelmshöher
Allee spazieren reiten sehen konnte. Es kannte ihn
Jeder von Ansehen den Geheimen Hofrath Ru' 1, aber
gewiß war die Zahl derer, denen es vergönnt war,
ihm persönlich näher zu treten, eine sehr geringe, und
so kam es, daß er, als er sich im rcifeveu Alter
immer mehr vom Leben und von der Kunst zurück-
zog, bald ganz aus dem Gedächtniß der Lebenden
verschwand. Ruhl war ein Mann von unleugbar be-
deutenden Anlagen, geist- und talentvoll in hohem Grade.
Zu seinen frühesten Arbeiten gehören eine Anzahl
kleiner mit miniatnrartiger Feinheit ausgeführte Ge-
mälde, religiöse nnd romantische Scenen darstellend,
wobei es ihm freilich weniger um ein frisches Erfassen der
Natur zu thun war als um die Nachahmung alt-
deutscher und niederländischer Künstler. Auch in
späteren größeren Gemälden „Tod der Bianca Capello",
„Jakob II. in Versailles" u. A. ist das Bemühen,
die Figuren nach bestimmten Regeln aufzubauen und
die Gewänder akademisch richtig zu legen vor-
herrschend. Bedeutenderes leistete Ruhl als Zeichner,
wie seine Umrisse zu Shakespeares Dramen und seine
allegorische Geschichte Roms beweisen. Früh schon
gab der Künstler das Malen auf; er zog sich immer
mehr, fast bis zur Umnahbarkeit, zurück, urn sich ganz
und gar auf die literarische Thätigkeit zu legen. Ruht
schrieb unter dem Namen „Cardenio" und veröffentlichte
mehrere Bände Erzählt ngen. Sein langes Leben, er war
am 10. Dezember 1794 geboren, umfaßt eine so hoch
interessante, ereignisreiche Geschichtsepoche, daß man
wohl mit Sicherheit annehmen darf, er habe als geist-
voller Beobachter und vielen bedeutenden Menschen
persönlich Nahestehender, Aufzeichnungen hinterlassen,
deren Veröffentlichung früher oder später zu er-
warten sein dürfte. A. K.
Ferner ist uns von befreundeter Seite folgende
interessante Mittheilung über den Geh. Hofrath L. S.
Ruhl zugegangen:
Der Geheime Hofrath Ludwig Sigismund
Ruhl neigte sich in seinem Jdeengang den Anschau-
ungen des Grafen August von Platen zlt und trat
aus diesem Grunde zn dem Letzteren in ein freund-
schaftliches Verhältniß. Die Stellen aus dem Tage-
buch Ptaten's, soweit dasselbe veröffentlicht ist, lauten
bezüglich Rnhl's folgendermaßen: „19. November
1823. Ein Brief von Ludwig Sigismund Ruhl aus
Kassel. Der dunkle Zusammenhang der Wesen, den
man Sympathie nenne, sey ihm etwas Unerklärbares,
dem er nicht länger nachgrübeln wolle. Er selbst
habe, von dem Augenblick an, da er mich in meinen
„Lyrischen Blättern" kennen gelernt, etwas für mich
empfunden, wa nur wenige für wer ige fühlten.
Schon lange, ehe ich es ahnen konnte, sey er meinem
vergeistigten Selbst verbunden gewesen, und scheue
sich nicht dieser Stimme Worte zu geben. Vielleicht
würde künftig ein persönliches Zusammen treffen mich
überzeugen, daß sein Geist und Leben dem meinigem
verwandt seyen. Er bitte mich ihn mit einem Blatte
zu beglücken, das Nichts enthalten solle, als die Ge-
nehmigung seiner Gefühle."
1824. 1. Februar. Ruhl hat mir mit einem Brief
voll Dank und Freunde sein Bild geschickt, das ich
verlangt hatte. Ruhl und Grimm urtheilen sehr
günstig über den „gläsernen Pantoffel."
„25. Jnli. Einen kurzen Spruch aus Hafis für
Ruhl gesucht, den sich derselbe aus ein Petschaft
stechen lassen will."
„1825. 21. Mai. Ruhl schreibt mir, daß man
auf dem Königsstädter Theater in Berlin durch
Verluittelung eines Baron Minutoli den „gläsernen
Pantoffel" und den „Berengar" wahrscheinlich aus-
führen werde, den ersten mit Auslassung der Stelle
gegen Friedrich 11., der „Rhampsinit" dagegen habe
weder bei den Theatern, noch bei anderen Personen
in Berlin Glück gemacht."
Anknüpfend an diese Auszüge aus dem Platen
scheu Tagebuche dürfte die Mittheilung eines Briefes
von Interesse sein, den Ruhl vor sieben Jahren schrieb,
als Schreiber dieses ihn um eine Auskunft über
Platen bat. Die Handschrift ist fest und deutlich,
für die völlige geistige Frische des damals 86jährigen
Mannes zeugt der Jmhalt. Derselbe lautet: „Kassel,
6. Oktober 1880. Euer Wohlgeboren geehrtes
Schreiben hatte ich die Ehre zu erhalten nnd bedauere
nur daß ich jetzt nach so langer Zeit außer Stande
bin dem mir ausgedrückten Wunsch entsprechen zu
können. Bald uach dem Tode des Grasen Platen
bat mich Professor Wilhelm Grimm um dessen an
mich gerichteten Briefe. Ich konnte ihm dieses Er-
suchen nicht abschlagen, namentlich nicht zu dem mir
angegebenen Zweck. Somit ist denn nichts mehr von
diesen! Besitz in meinen Händen und ich kann auch nicht
angeben, ob Herr Hermann Grimm als Milerbe, diese
Briefe der Aufbewahrung werth gehalten. Doch dies
bedürfte ja nur einer Anfrage von Ihrer Seite. Berlin
sah ich bald ein, war nicht der Ort wo Platen, der mir
mehrere Seiner Arbeiten im Ms. zusandte, auf Aner-
kennung rechnen konnte; das von Savigny'sche Haus
nnd ein kleiner Kreis anderer Personen ausgenommen,
wo ich diese Sachen vorgelesen, verhielt sich das Publi-
kum sehr theiluahmlos dagegen, woran denn auch der
Versuch der Aufführung des gläsernen Pantofel
scheiterte. Indem ich Jhneu zu Ihrem Unternehmen ein
besseres Glück wünsche n. s. w. Der Ihre Rnhl." -e.
Aus altrr und nruer M.
Die diesjährigen O st e r -Programme de r
höheren Lehranstalten unseres Gebietes werden
folgende Abhandlungen bringen:
Kassel, Friedrrchsgymnasium: Lehrplan für den
Deutschen Unterricht.
Kassel, Wilhelmsgymnasium: H e n ß n er, das neue
Wilhelms-Gymnasiium und die Eröffnungsfeier.
Kassel, Realschule: W a l t e r, zur neuen Methode
des neüsprachlichen Unterrichts.
Hanau, Gymnasium: Endemann, die Erzieh-
nngsgrundsätze der Hohenzollern.
Eschwege, Realschule: Stendell, die reichs-
ritterschaftlichen Familien.
Hersfeld, Gymnasium: Schotten, über Fuß-
punktkurven.
Fulda, Realprogymnasium: H e n g e s b a ch,
eine literarhistorische Studie.
Die Programme der nicht anfgeführleu Schulen
werden lediglich Schulnachrichten enthalten. «.
*
Ein von R.—L. unterzeichneter Rückblick in Nr. 5
des „Hessenlandes" weckte das Gedächtnis an den
Einbruch französischer Aufruhrs-Scharen im Spät-
herbste des Jahres 1792, sowie au die wahrhaft
großartige, echt volksthümliche Erhebung unseres
Stammes: eines Volkes in Waffen, wie es auch die
Befreiungs-Kriege nicht frischer, stolzer, kräftiger ge-
zeigt haben.
Wer sein hessisches Herze einmal so recht an
Bildern ferner Tage laben, und seinen Sinn in
vaterländische Erinnerungen tauchen will, dem ist über
jene Zeit und ihre Weihe ein hinterlaßenes Werk
Ditfnrth's freundlich und angelegentlich zu em-
pfehlen, das in 1881 bei Elwert zu Marburg er-
schien.
„Die Hessen in den Feldzügen in der Champagne,
am Maine und Rheine während der Jahre 1792,
1793 und 1794."
Ein alter Herr, gebürtiger Marburger: Ober-
Amts-Richter Hille, äußerte sich einst: Das Buch
wirke pathologisch auf ein heimathlich treues Ge-
müthe. In der Tat weiß Berfaßer den Leser zu
packen, und von manchem Abschnitte möchte man
kühnlich behaupten, die Schilderung ergreife die Seele
gleich als ein Zauberlied. x».
H ;js
H
Vom „Berliner dramatischen Verein" wurde in
dieser Saison neben Stücken von Fitger, Boß u. A.
ein Werk unseres Landsmannes Ludwig Wolff-
Kassel zur Aufführung gebracht. Des Genannten
Originaldrama in 3 Akten „Rache g eister" oder
„Dämon uns'rer Zeit" gelangte am 28. Februar zur
Darstellung und erzielte guten Erfolg, der im drei-
maligen Hervorruf der Darsteller am Schluffe gipfelte.
Für nächsten Winter wurde desselben Verfassers
„Pietro Aretino" in Aussicht genommen.
$ #
$
Die praktischen und materiellen Amerikaner geben
zu idealen Zwecken Summen her. wie die Angehörigen
keiner anderen Nation. Wir nennen aus der großen
Zahl solcher Stifter nur Smithson, den Gründer der
unermeßlich reichen Kmitsoräav Institution zu Washing-
ton, James Lick, den am 1. Oct. 1876 verstorbenen
Bürger von San Francisco, der für Errichtung und
Ausrüstung einer Sternwarte ein Jahr vor seinem
Tode die Summe von 700000 Dollars aussetzte und
zur würdigen Unterhaltung dieses Instituts dem
Staate Californien dann noch die Kleinigkeit von
gegen 3 Millionen Dollars vermachte, ferner aus
der jüngsten Zeit H. H. Warner, der in Rochester
ebenfalls eine Sternwarte gegründet und dieselbe auf's
Opulenteste ausgestattet hat. Der Letztere hat vor
ca. Jahresfrist ernen Preis von 200 Dollars sowie
einige goldene Medaillen von je 60 Dollars Metall-
werth ausgesetzt für die beste Erklärung der rothen
Dämlnerungserscheinungen, die im Jahre' 1883—1884.
so gerechtfertigtes Aufsehen erregten. Unter den 36
Bewerbern, von denen nur einige wenige prämiirt
wurden, hat auch ein Hesse den Preis davon ge-
tragen, der Astronom Dr. Karl Braun zu Mar ra-
sch ein „kor tbo oxeoUonov of yom* essay~. Braun
ist zu Neustadt (an der Main-Weser-Bahn) geboren,
besuchte von 1843 bis Herbst 1849 das Fuldaer
Gymnasium und widmete sich dann dem Studium der
Theologie. Er ist dabei ein ausgezeichneter Mathe-
matiker und Astronom und war längere Zeit Direktor
der Sternwarte zu Kalocza. — n.
* $
Großalmer ode, dre altberühmte Töpferstadt
am Meißner, erhält nunmehr auch ein Grimm-
Andenken. In dem dortigen Kirchenbuch hat man
nämlich gefunden, daß Wilhelm Grimm an: 13. April
1800 in Großalmerode vom Pfarrer Martin Wil-
hem Koppen konfirmirt worden ist; es soll nunmehr
im Orte eine auf diesen Vorgang bezügliche Gedenk-
tafel angebracht werden. ' K.
Der 15. März ist in der hessischen Geschichte in
so fern ein Erinnernngstag, als an demselben im
Jahre 1450 denl in Rom zur Feier des vom heiligen
Vater ausgeschriebenen Jubeljahres anwesenden Land^
grafen Ludwig I., dem Friedsamen, einem der
hervorragendsten in der langen Reihe der durch Regenten-
tugenden ausgezeichneten hessischen Fürsten, von dem
Papste Nicolaus V. dem Stifter der vatikanischen Biblio-
thek, von dem man sagte, daß er Griechenland nach
Italien verpflanzt habe, am vierten Fasten-Sonntage
Lätare, dem sog. Rosen-Sonntage, nach der alten
Stiftung des Papstes Jnnoeenz III. die feier-
lichst geweihte „goldene Rose" verliehen wurde.
Es hielt den Abgesandten des Papstes schwer, den in
frommer Bescheidenheit und demüthiger Eingezogen-
heit in Rom weilenden hessischen Landgrafen, dessen
Ruhm als Feldherr, Gesetzgeber und Staatsmann
die Welt erfüllte, aufzufinden. In feierlicher Ver-
sammlung der Fürsten der Kirche wurde ihm die
„goldene Rose" verliehen und der Papst Nicolaus V.
gab ihm zugleich den beneidenswerthesten Titel, den
weltliche Fürsten erwerben können, eines „Fürsten
d es Fr i e d e n s" (Princeps pacis), daher der Name
„Ludwig der Friedsame". Z.
Hesfische Mcherscha«.
Im Berlage von W. Kohlhammer (Stuttgart) ist im
vorigen Jahre aus der Feder der Schriftstellerin
H. Keller-Jordan ein Roman unter dem Titel
„Hacienda Fe l i c i d a d" erschienen, in welchem
das schöne, eigenartige Talent der Verfasserin zu
voller Geltung kommt. Es werden uns die Erleb-
nisse eines jungen deutschen Gelehrten in Mexiko er-
zählt, der mit einer edeln mexikanischen Familie in
Berührung kommt und schließlich btc Tochter des
Hauses als Gattin nach Deutschland führt. So
findet die Erzählung, in deren Vordergrund das
tragische Geschick der mexikanischen Familie steht,
einen befriedigenden Abschluß. Die Nerjasserin, die
Jahre lang in Mexiko gelebt hat, versteht sich ans
lebenswahre und farbenwarme Schilderung; aber der
Hauptvorzug des Werkes liegt u. E. in der meister-
haften Charakterisiruug der Hauptpers oneu, insbes ondere
Consuelo's, der Mexikanerin mit dem deutschfühlendcn
Herzen.
# *
*
In Nr. 206 und 207 bringt die in Wien erschei-
nende „Oesterreichische Alpenzeitung" ans der Feder
W. Kellners „Bilder aus der hohen Rhön".
Besonders muthet uns darin an die Beschreibung des
Klosters Kreuzberg. In dessen gastlichen Mauern
hat gewiß mancher Leser dieses Blattes genußreiche
Abende verbracht und erinnert sich gern der unerschöpf-
lichen Gastfreundschaft, welche von den Klosterherren
stetig geübt wird. Aus den interessanten, dem Frem-
denbuche entlehnten Aufzeichnungen mag hier Er-
wähnung finden, daß auch Victor v. Scheffel wieder-
holt den Kreuzberg besucht hat. Seine erste Kreuz-
bergfahrt hat er am 19. Juni 1877 im Klosterbuche
markirt durch den Spruch „stat crux dum volvitur
orlm“ und bei einem späteren Besuche im Juni 1883
rühmt er die oben gedachte Tugend der Klosterbrüder
mit den treffenden Worten „Gastfreundschaft — Freunde
schafft." A.
* *
*
Soeben ist der „Dritte Bericht über die Thätigkeit
des Vereins „Rhönclub" in den Jahren 1883 bis
1886, in Fulda bei 8. llth, erschienen. Der über-
sichtlichen, auf die Verhältnisse des dnrch seine Leist-
ungen ausgezeichneten, von Jahr zu Jahr mehr ge-
deihenden und zunehmenden Vereins, speciell eingehen-
den Schrift ist eine „Beschreibung der Milsebuxg",
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenc
- des interessantesten unter den Rhönbergen, von dem
- Präsidenten des Rhönclubs. Herrn Dr. Justus
* Schneider, beigefügt, auf welche wir hier ganz be-
- sonders aufmerksam machen wollen.
Wie uns mitgetheilt wird, soll die Broschüre .Dir
' Schwalm", historisch-romantisch beschrieben von Rtin-
: hold Schrödter, Lehrer in Wanfried, demnächst
' in zweiter Auflage erscheinen. Das ist ein günstiges
Zeichen für die Aufnahme, welche dies interessante
Büchlein, dessen erste Auflage ans dein Jahre 1886
datirt, gefunden hat. Z.
Kriefkafiru.
, 8. L. Nr. 1, 2, und 5 gefallen uns am besten. Nr. 3
j und 4 leiden zu sehr an unreinen Reimen. Näheres in
Kürze, vorläufig besten Dank.
Tr. Wien. Reiche Sendung mir Vergnügen empfangen;
war sehr willkommen, wie schon aus heutiger Nummer
zu ersehen ist.
Dr. F. L. Stuttgart. M.. H. Melsungen. L. M. Nord-
hausen. Di» freundlichst gesandten Beiträge werden als-
bald Verwendung finden.
L. M. Marburg. Wir wiederholen, daß uns Mitthei-
lungen aus unserem Leserkreise stets willkommen find. Es
ist wünschenswerth, daß unsere Leser mehr liub mehr
unsere Mitarbeiter werden.
W. H. Berlin/ Nicht halbjährlich, sondern halbmonat-
lich erscheinen die „Neuen poetischen Blätter" in Mainz
ztt dem Abonnements-Preise von 1 Mk. 60Pfg. für das
Vieteljahr.
C. L. in Wi esbaden. Bon fachmännischer Seite ist
uns folgende Antwort auf Ihre Aufrage zugegangen:
Von dern berühmten Mathematiker ltnd Mechaniker Justu s
B y r g i oder Jobst B y r g, dessen in Nummer 3 des
„Heffenland" Erwähnung gethan ist, befinden sich in den
Satnmlnngen des Kasseler „Museums" mehrere sehr
werthvolle astronomische Apparate, z. B. die große-
astronomische Kunstuhr; eine andere Uhr, welche Stunden.
Viertel und Minuten, beit Monatstauf, Ab- u. Zunahme
der Tage re. zeigt; ein großer kupferner Himmelsglobus:
eine kupferne Planisphäre; der Originalproportwnalzirket
! Byrgi's; ein vergoldeter Kaliberstab; ein großes Triangulär
i instrument u. a. m.
Pfr. H. in H. bei Friedewald. Warum so schweigsam ?
Inhalt der Nummer 6 des „Hessenland": „Zwischen
Gräbern", Gedicht von A. Trabert; „Philipp Ludwig II.",
ein Lebensbild aus der Hanatter Grafen-Geschichte, (Schluß)
von F. W. Innghans; Georg Ferdinand Freiherr von
Lepel (1779—1873.)"; „Die Doktorin Diede", eine bio-
graphische Skizze von Fr. von Hohenhausen; „Der
Fahnenschmied". Gedicht von Ludwig Mohr; Nekrologe:
August Wilhelm Sichler f, Rudolf Busch f, Ludwig
Sigismund Ruht f; Aus alter und neuer Zeit: Hesfische
Bücherschau; Briefkasten.
Anläßlich des bevorstehenden Qnar-
»MV tal-Wechsels bitten wir die verehrten
Post-Abonnenten des „Heffenland", das Abonne-
ment rechtzeitig zu erneuern, damit keine Unter-
brechung in der Zustellung der einzelnen Nummern
unserer Zeitschrift eintritt. Ein BestellungS-
Formntar für die Post liegt der heutigen Nummer
bei. Die Red.
er in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
1. Jptil 1887.
M 7.
ÄcnViilaitc».
Zeitschrift für hessische Geschichte mrü Meratnr.
Das „Heffeulknd^ Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am.
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von 1% stoßen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig;
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark SV Ksg. Einzelne Nummern kosten je 30 Kfß. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „HessenIM" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887..
<Mnlatmn0 ?itm Abonnement.
Unsere Zeitschrift „Htffenland" kann fich rühmen, gleich bei ihrem ersten Erscheinen die günstigste Aufnahme
gefunden zu haben. Dies berechtigt uns zu dcr Hoffnung, daß unsere Zeitschrift, die es sich zur Hauptaufgabe ge-
stellt hat, den hessischen Sinn wachzuhalten und die Anhänglichkeit an die engere Heimarh zu kräftigen, die, kurz ge-
sagt, die Vertreterin aller geistigen Interessen Hessens sein will, immer mehr Wurzel faßt im hessischen Volke und
heimisch wird in jeder hessischen Familie. Namhafte hessische Gelehrte und Schriftsteller zählen zu den Mitarbeitern
unserer Zeitschrift. Wir nennen hier nur:
Dr. K. Ackermann, W. Bennecke, Dr. H. Brunner, A. Gild, S. Hahndorf, Maler L Katzenstein, Dr. Lud-
wig Knorz, Dr. Th. Köhler, I. Lewalter, Dr. Ed. Lohmeyer, Professor Friedrich Müller, Karl Neuber, Dr. Sigmund
Paulus, W. Rogge-Ludwig, Major von Stamford, Franz Treller, Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur,
Jos. Grau, Bibliothekar A. von Keitz, Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Strubberg in Gelnhausen; Pfarrer
Junghans, Banquier Neumüller, Landgerichtsrath I. Reul, Dr. G. Wolfs in Hanau; Kurt Nutzn in Kesselstadt;
Major von Gironcourt m Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath Preser in Wächtersbach; Julius Braun,
Nataly von Eschstruth, E. von Hohenhausen, Dr. Julius Rodenberg in Berlin; Professor Dr. Adolf Müller in Chemnitz;
Major H. von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius Gräfe in Dresden; E. von Goeddaeus, Dr. Hugo Goldschmidt,
Otto Kanngießer, D. Saul zu Frankfurt a. Nt.; Gymnasialdirektor Dr. Leimbach in Goßlar; Hans Paulus in Halle
a. d S.; Gustav Kastropp in Hannover; Jul. Bösser in Köln; H. Keller-Jordan in München; Ludwig Mohr in
Nordhausen; Feodor Löwe in Stuttgart; A. Trabert in Wien; Major August von Baumbach in Wiesbaden. —
Ihnen allen, die uns mit Rath und That unterstützt, sind wir zu größtem Danke verpflichtet, nicht minder
dem Publikum, das uns mit so freundlichem Wohlwollen entgegen gekommen ist. Möge uns dasselbe auch ferner e*
halten bleiben. Und so laden wir denn zum Abonnement auf das II. Quartal des „Hessenland" ergebenst ein.
Kassel, im März 1887.
Die Redaktion: F. Zwenger.
4M Frühling
iefbtau ist der Himmel! es woget der Rhein,
Erglänzend im funkelnden Sonnenschein.
In knospende« Gen« steh'« die Kerze am Rand,
G» dnstet der Frühling so wonnig dnrch's Fand,
Am Rhein!
Die Kargen rings stehen mit Zoster nnd Thurm,
Sergejs»« Iahrhnndertk, Winter and Stnr«,
Rad schlinge« «m's Haupt fich den blShendr« Kran;
So« Zweige« and Ranken, al» ging' es rum Tan;.
Am Rhein!
am Rhein. W>
> Der Knabe «immt's ständige Korn non der Wand
! Rad steigt auf die Hohe und schwingt's in der Hand,
Fant schmettert den Gruß er aus schwestender Krust,
Den Gruß der glückseligsten Frühlingslust,
Am Rhein!
„Willkommen hier oben, o Maienzeit du
Jauchzt leuchtenden Slicks ihm die Winzerin zu.
Schnell List fie da» Fiirtuch und weht'« durch die Fnst»
Durch güldene Strahle« «nd Drilchrndust,
Am Rhein!
Dahin zog rin Rache« zur Mittagsstnnd',
Drin küßtest d« leise »nd tränt «einen Mund.
D» sagtest kein Wort mir, doch hat dir gelacht
Im Auge die sonnigstr, wonmgste Pracht,
Am Rhein!
Ugrterly Gfthstrrrth
78
Georg Ferdinand Freiherr n. Fepel.
(1779—1873.)
(Fortsetzung.)
fnt Jahre 1818 hatte sich Lcpel zum zweiten
Male vermählt, mit der Freun Elise von
Günderode. Die Verbindung mit der Frank-
furter Patriciertochter brachte ihm das Recht der
Aufnahme in die Ganerbschaft Alt-Limpurg. Er
behielt nach seiner Verabschiedung seinen Wohn-
sitz in der freien Stadt, deren Bürger er ge-
worden war.
In die gesetzgebende Versammlung Frankfurts
gewählt, führte er zeitweise den Vorsitz, wurde
Senior des evangelischen Kirchenvvrstaudes und
mit der Verwaltung bedeutender Vermögen von
Korporationen und Privaten betraut.
Bei einem Besuche der alten pommerschen
Stammgüter, den Lepel um jene Zeit unter-
nahm, trat die Frage und Aufforderung an ihn
heran, ob er nicht bei einigen derselben, welche
damals leider Schulden wegen subhastirt wurden,
das agnatische Vorkaufsrecht ausüben solle. Aber
bei allem Familiensinn, den er bis an sein Lebens-
ende für die Geschichte seines Geschlechts und
nicht nur für die direkten Angehörigen allein,
sondern auch für die weit zerstreut lebenden
Träger des Namens warm bethätigte, konnte er
sich doch nicht verhehlen, daß man in vorge-
rückten Jahren das bis jetzt fremd gebliebene
Gebiet der Landwirthschaft nur selten mit Er-
folg betritt. Die Güter blieben in fremder
Hand.
Die Ehe wurde mit Kindern reich gesegnet
und die Sorge um die spätere Existenz der vier
Söhne, für deren Zukunft die Stadt Frankfurt
nur die Aussicht auf die Anwaltscarriere bot,
bestimmte Lepel, aus den lieb gewordenen Ver-
hältnissen mit ihrer Unabhängigkeit zu scheiden.
Der im Jahre 1831 zum Mitregenten seines
Vaters, des Kurfürsten Wilhelm II. ernannte
Kurprinz Friedrich Wilhelm hatte dem treuen
Diener seines Großvaters Vorschläge zum
Wiedereintritt in den Staatsdienst gemacht. Die-
selben betrafen zunächst die Uebernahme der
Ministerien der Justiz und des Innern.
Lepel lehnte diese Anerbietungen ab, weil er
weder irr Justiz noch Verwaltung gedient hatte
und sich deshalb nicht für geeignet hielt. Als
aber im Jahre 1836 das auswärtige Amt frei
wurde und ihm dasselbe und gleichzeitig, um
eine höhere Dotirung der Stelle zu ermöglichen,
die Oberhofcharge des Oberkammcrherrn ange-
tragen wurde, entschloß er sich zur Annahme.
Die nie verleugnete Liebe zur Heimath mag in
seiner Brust das entscheidende Wort gesprochen
haben. Auf keiner Seite und in keiner Weise
wurden indessen die Hoffnungen erfüllt, die sich
an seinen, namentlich in Hessen allseitig mit
Freuden begrüßten Wiedereintritt in den Dienst,
knüpften und auch von den zwei Söhnen, welchen
dadurch die Wege für künftige Saniere auf
heimischem Boden geebnet werden sollten, hat
nachmals jeder einem anderen Herrn in Ehren
gedient.
Nur zwei und ein halbes Jahr konnten die
unter glänzenden Auspicien übernommenen Stellen
von ihm behauptet werden. Die Charaktere des
Regenten und seines Ministers waren zu ver-
schieden. Lepel war kein Verehrer der 1831 ge-
gebenen Verfassung, mußte dieselbe aber
bei Uebernahme seines Amtes beschwören und
konnte und wollte nichts befürworten und aus-
führen, was sein Eid ihm nicht zulässig erscheinen
ließ; er glaubte, die Schranken die durch die
selbstgegebene oder vereinbarte Verfassung gezogen
waren, aufrecht erhalten zu müssen. Durch und
durch Monarchist betrachtete er das Recht des
Fürsten mit dem des Landes identisch, in Fällen
aber, in welchen das persönliche mit dem Staats-
interesse kollidirt, ging seiner Ansicht nach das
letztere voran.
Meinungsverschiedenheiten, ob die heimgefallene
Rotenburger Quart dem Staats- oder Familien-
Fideikommiß gehöre, und ein aus gewichtigen
Gründen nicht ausgeführter Befehl in Betreff
des Anschlusses der Grafschaft Schaumburg an
den Zollverband führten, nachdem andere Frik-
tionen vorangegangen waren, zum Bruch. Ab-
forderung des Oberkammerherrnschlüssels, nöthigen-
79
falls mit polizeilicher Hülfe, nöthigte Lepel im
Januar 1839 auch seine Entlassung als Minister
zu erbitten und ein Portefeuille niederzulegen, zu
dessen Erlangung er selbst keinerlei Schritte ge-
than hatte.
Außer der ihm von seinem ersten Herrn sicher
gestellten Pension von 1200 Thlr. erhielt er
nur 300 Thlr. Staatspension.
Dem in seinen Gefühlen durch solchen Aus-
gang der Dinge wenig gehobenen Mann eröff-
neten sich unerwartet im Herbste 1840 Aussichten
seine Lage zu verbessern und wieder ein Feld
der Thätigkeit zu erlangen.
Der regierende Herzog Ernst I. von Coburg-
Gotha bot ihm die, durch den Tod des Ministers
von Carlowitz erledigte Stelle eines dirigirenden
Geheim-Raths und Staatsministers an. Er
zögerte nicht mit der Annahme des gut dotirten
Vertrauenspostens und nachdem er seine Loslös-
ung aus hessischem Verbände durch Verzicht auf
die Staatspension und Niederlegung der Kammer-
herrnwürde — bei welcher Gelegenheit er jedoch
erklärte, „sich immer noch als Kammerherrn des
Hochseeligen Kurfürsten zu betrachten", erlangt
hatte, siedelte er zu noch 33 Jahre dauerndem
Aufenthalt nach Coburg über.
So lange der damalige Herzog lebte, welcher
die konservativen Grundsätze seines ersten Be-
amten billigte und theilte, ging Alles vortrefflich.
Im Januar 1844 starb aber der Herzog, und sein
Sohn Ernst II. folgte ihm in der Regierung.
Der junge, von liberalen Ideen durchhauchte, zu
Neuerungen neigende Fürst mußte mit seinen
Anschauungen vielfach in Widerspruch treten mit
den Ansichten des peinlich gewissenhaften, von
den Rechten und Pflichten fürstlicher Autorität
im höchsten Grade durchdrungenen und wenig
zu Konzessionen neigenden Vertreters der alten
Schule. Namentlich trat diese Verschiedenheit
der Ansichten bei Abwägung der Rechte hervor, die
der Herzog seinen Ständen gegen den Rath
Lepels einräumte. Dies veranlaßte ihn, zurückzu-
treten. Der erbetene Abschied wurde ihm zu
Anfang 1846 in gnädiger Weise und unter, für
damalige Verhältnisse sehr günstigen Bedingungen
gewährt.
Auf den Wunsch des Prinzen Albert, Gemahls
der Königin Victoria, übernahm • der nun für
immer aus dem Staatsdienst Geschiedene die
Vertretung dieses nächsten Agnaten und präsum-
tiven Thronerben des Hauses, in allen seinen
heimischen Angelegenheiten, namentlich die Fidei-
kommißverwaltungen der Coburgischen Besitzungen.
Eine sehr freigebig angebotene Entschädigung für
seine Mühewaltung lehnte er ab.
Dann kam das Jahr 1848 mit seinen Hoff-
nungen und seinen Alles in Verwirrung bringen-
den Umstürzen und Enttäuschungen. Es brachte
in seinem Gefolge auch für Lepel manchen Kampf.
Im Interesse seines Mandanten und der übrigen
Agnaten: des Königs Leopold der Belgier und
des Herzogs Ferdinand kämpfte er für die Rechte
derselben am Domamen-Vermögen, welches der
Herzog in eine Allodialrente umwandeln wollte.
Es liegt ein umfangreicher Briefwechsel über
diese Fragen mit dem Prinz Gemahl vor, der
sich indessen der Benutzung resp. Veröffentlichung
aus mancherlei Gründen entzieht. Es ist aber
doch daraus zu ersehen, daß der Prinz später in
seinen Ansichten sich dem herzoglichen Bruder
anschloß und daß Lepel, welchen die Erlebnisse in den
Jahren 1848 und 1849 nur noch mehr in seinen
Grundsätzen des Beharrens auf konservativer
Basis bestärkt hatten, deshalb auch dies letzte Amt im
Sommer 1851 niederlegte. Kurz vorher hatte
er den Schmerz erlitten, seine treue Gattin zu
verlieren.
Lepel blickte auf ein ungewöhnlich langes und
erfahrungsreiches Dienstleben, welches ihn in
Beziehungen mit den meisten der für Deutsch-
land maßgebenden Persönlichkeiten gebracht hatte,
zurück. War seinem redlichen Wollen, seiner
rastlosen Thätigkeit, nicht immer Anerkennung
und Erfolg verliehen, so hat er doch genug
Gutes geleistet, um sich für alle Zeiten das
rühmlichste Andenken zu erhalten. An äußeren
Ehren hat es ihm nicht gefehlt, beide Hessen,
Baden, die thüring'schen Staaten, sogar Portugal
hatten ihm ihre höchsten Orden verliehen.
Noch eine lange Reihe von Jahren dauerte
der Lebensabend des Greises. Im 86ten Lebens-
jahre schloß er das dritte Ehebündniß mit Wil-
helmine Freiin von Meyern-Hohenberg. Der
Mann, der dem alten Reiche gedient hatte, der
aufrichtige Anhänger Oesterreichs und des
Staatenbundes sah noch, wenn auch nicht leichten
Herzens die Wandlungen, welche das Jahr 1866
brachte, er sah noch die Entstehung des neuen
Reiches und einer seiner Söhne hat durch seinen
Heldentod mit dazu beigetragen, daß es wieder
einen Kaiser über Deutschland gibt.
Daß die Größe des Vaterlandes erreicht
wurde, obgleich auf anderem Wege wie auf dem
von ihm eingeschlagenen und für richtig gehal-
tenen — mußte dem alten deutschen Patrioten
die letzte Freude bereiten.
Er starb am 10. November 1873 im fast
vollendeten 94. Lebensjahre in Coburg. —
80
Anhang.
Die als Anhang vorstehenden Artikels beigegebenen
Aufzeichnungen G. F. von Lepel's haben folgenden
Inhalt:
Pie P«terreicha»«z der deutschen K«»de»-AKte i« 10. Inni 1815.
So Vieles auch über den Wiener Kongreß
geschrieben und gedruckt worden ist, so habe ich
doch nirgends aufgezeichnet gefunden, auf welch'
wenig würdige, ich möchte sagen unanständige
Weise die Unterfertignng der deutschen Bundes-
Akte vor sich ging und wie sie, zum Theil wenig-
stens in blanco unterfertigt wurde. Da ich vor-
zugsweise dabei thätig war, so fühlte ich mich
auch vor Allen berufen, den Vorgang als ein
Curiosum zu erzählen.
Der Wiener Kongreß nahte seinem Ende, die
Monarchen waren schon sämmtlich abgereist, ihre
ersten Minister sollten ihnen folgen; doch die
vielen Stipulationen, welche noch in die Kongreß-
Akte aufzunehmen waren, verzögerten den Schluß
von einem Tage zum anderen. Nach zehn. z»m
Theil nächtlichen Konferenzen war der definitiv
festgestellte Entwurf der deutschen Bundes-Akte
in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 1815
paraphirt worden. Der Bemerkung des Fürsten
Metternich, daß eine Urkunde von solcher Wich-
tigkeit doch auch in angemessener Form auszu-
fertigen sei, und daß die Kanzlei dazu des
ganzen folgenden Tags bedürfen werde, trat
Niemand entgegen und kam man überein, daß die
feierliche Unterfertigung am 10. Juni um 12
Uhr Mittags geschehen sollte.
Zur bestimmten Stunde versammelten sich auch
die deutschen Bevollmächtigten in der Staats-
tau ;lei und nur die beiden großen Mächte blieben
aus; es hieß, sie seien anderweit beschäftigt.
Nach 1 Uhr fuhren mehrere bepackte Reisewagen,
namentlich die des preußischen Staatskanzlers
Fürsten Hardenberg und des niederländischen
Bevollmächtigten, Freiherrn von Gagern, auf dem
Ballhausplatze an, weil deren Eigenthümer un-
mittelbar nach der Unterzeichuung abreisen
wollten. Endlich nm 2 Uhr traten die Erwar-
teten eiii, Fürst Metternich entschuldigte die
Verzögerung in seiner bekannten verbindlichen
Weise und forderte dann den Königl. hannover-
schen Geheimen Legationsrath von Martins, der
bei den deutschen Konferenzen das Protokoll ge-
führt hatte, auf, die auf Pergamentbogen sehr
sauber geschriebene, mit seidenen Schnüren ge-
heftete Urkunde zu verlesen.
Auf den Eingang, welcher die Namen der 34
Bevollmächtigten sammt deren Titel und Orden
enthält, gaben Wenige Acht, vielleicht war ich
der Einzige. Da fiel mir denn auf, daß Namen
und Titel des königlich sächsischen Bevollmächtig-
ten nicht nach denen des königl. bayerischen
verlesen wurden; ich dachte, er würde später
kommen, als aber die Namen der königlichen
Bevollmächtigten vorüber waren, unterbrach ich
den Lesenden mit der Frage: ob er vielleicht den
königlich sächsischen Bevollmächtigten aus Ver-
sehen übergangen habe? er sah nun genau nach
und fand zu seiner Bestürzung, daß derselbe
gänzlich fehle. Nun war die Verlegenheit groß.
Herr von Globig, obwohl er selbst das Versehen
garnicht bemerkt hatte, bestand mit Eifer darauf,
daß sein allergnädigster König -und Herr unter
den Paciscentcii lind er als Bevollmächtigter
ausdrücklich aufgeführt werde. Zu einer Einschal-
tung am gehörigen Orte fehlte jedoch schlechter-
dings der erforderliche Rauni und zu einer ander-
weiten Mundirung die nöthige Zeit. Gleich-
wohl mußte Rath geschafft werden. Nach langem
Hin- und Herreden wurde auf meinen Vor-
schlag beschlossen, daß der dritte Bogen der Ur-
kunde, auf dessen erster Hälfte die Omission be-
gangen war, sofort herausgenommen und dafür
ein frischer Pergamentbogen eingeheftet- werden
solle, Herr von Martins aber auf Ehrenwort
die Verpflichtung zu übernehmen habe, dafür zn
sorgen, daß auf die zweite Hälfte des einge-
zogenen Bogens, buchstäblich geschrieben werde,
was die zweite Hälfte des herausgenommenen
Bogens, nämlich mehrere Artikel des Kontextes,
enthalten hatte, auf der ersten Hälfte aber die
Titel so zusammengezogen würden, daß der,
glücklicher Weise nur wenige Zeilen erfordernde
Namen und Titel des königlich sächsischen Be-
vollmächtigten an gehöriger Stelle eingeschaltet
werden könne.
Ueber diesen Verhandlungen und der Realisi-
rung des gefaßten Beschlusses verging fast eine
Stunde. Erst um drei Uhr kehrte Herr von Mar-
tins mit der zur Unterfertigung hergerichteten
Urkunde aus der Kanzlei zurück, verlas sie und
gab die feierliche Versicherung, für die Ausfüll-
ung des leeren Bogens auf oben vermerkte Weise
Sorge tragen zu wollen, und nun erst konnte
die Unterfertigung beginnen.
Neben der Bundes-Akte war noch eine Ur-
kunde zu unterfertigen. Die königl. württem-
bergischen Kongreß-Bevollmächtigten waren nicht
autorisirt worden, den Konferenzen beizuwohnen
und die Bundes-Akte zu unterschreiben, hatten
sich aber schriftliche Versicherung ausgebeten, daß,
wenn ihr allergnädigster König und Herr sich
noch entschlösse, dem Bundesvertrage, wie er
vorläge, deizutreten, er als Mitpaciscent he-
81
trachtet werden solle. Diese Versicherung war
aus einem Papierbogen ausgefertigt und die Be-
vollmächtigten der Königlichen Höfe hatten sie,
während der Zurichtung der Bundes-Akte bereits
unterfertigt. Nachdem die österreichischen und
preußischen Bevollmächtigten die Bundes-Akte
unterzeichnet hatten, hielt Fürst Metternich noch
eine kurze Anrede, bat um Entschuldigung, wenn
sie wegen dringender anderweiten Geschäfte dem
Akt der Unterzeichnung nicht weiter beiwohnen
könnten, und sagte der Gesellschaft Lebewohl.
Darauf verließen alle vier gemeinschaftlich d-n Saal.
Von allen Bevollmächtigten hatte keiner seine
Ungeduld lebhafter an den Tag gelegt als der
Freiherr von Gagern; jetzt bat er um die Er-
laubniß, sofort unterschreiben zu dürfen, that
das, für die Unterschriften der königl. dänischen,
bayerischen und sächsischen Bevollmächtigten einen
etwa vier Finger breiten Raum lassend, ver-
traute mir sein Petschaft, um es an gehöriger
Stelle aufzudrücken, und eilte zu seinem, freilich
schon seit mehr als zwei Stunden wartenden
Wagen.
Unglücklicher Weise brauchten die beiden Grafen
von Bernstorff zu ihren Siegeln so viel Platz,
daß sie den ganzen vom Freiherrn von Gagern
freigelassenen Raum einnahmen, wodurch dann
der Mißstand veranlaßt wurde, daß zwar die
Unterschriften der Bevollmächtigten von Bayern
und Sachsen noch über der des Freiherrn von
Gagern angebracht werden konnten, deren Siegel
aber nicht neben, sondern weit unter ihren Namen,
und nun zwischen der Unterschrift des Freiherrn
von Gagern und der des Grafen Münster ein
drei Finger breiter leerer Raum blieb.
Die nicht königl. Bevollmächtigten überließen
nach Maßgabe eines früheren Vorgangs größten-
thcils mir, ihr Siegel aufzudrücken und setzten
dann ihre Namen daneben. Während ich damit
beschäftigt war, ereignete sich am Nebentische,
wo die Versicherung für Württemberg unterfer-
tigt wurde, ein neues Mißgeschick. Auf der
j ersten Seite hatten noch die Namen und Siegel
l der königlichen Bevollmächtigten in zwei Kolumnen
Platz gefunden, auch die erste Kolumne der
zweiten Seite keine Schwierigkeit dargeboten;
die zweite Kolumne gebot Behutsamkeit; da hatte
jedoch einer der fürstlichen Bevollmächtigten, ohne
zu bedenken, daß das auf der Rückseite befind-
liche Siegel durch die Hitze nothwendig erweicht
werden müsse, sein Siegel aufgedrückt und mittelst
des auf der Rückseite befindlichen Siegels des
Grafen von Münster die Urkunde auf den Tisch
oder richtiger gesagt die grüne Tischdecke festge-
siegelt. Ich wurde zu Hülfe gerufen, es gelang
mir mit Hülfe eines spitzen Federmessers die
Urkunde von der Tischdecke abzulösen, freilich nicht
ohne Beschädigung derselben. Man ging nun
behutsamer zu Werke.
Nach dem Beispiele der höheren empfahlen
sich übrigens sämmtliche Bevollmächtigte, sobald
sie unterschrieben hatten; nur die vier städtischen
hielten bei mir aus, es war 4 Uhr vorbei, als
wir den Saal verließen.
Wer es der Mühe werth hält, das Original
der Bundes-Akte sich zeigen zu lassen, der wird
im Vorstehenden die Aufklärung finden, weshalb
die erste Hälfte des dritten Blattes etwas enger
geschrieben ist als der übrige Theil und wodurch
der große leere Raum nach der Unterschrift des
Freiherrn von Gagern veranlaßt worden ist,
sowie auch die vielen grünen Fasern auf dem platt-
gedrückten Siegel des Grasen Münster unter
der ohnfehlbar im Staatsarchiv in Stuttgart
aufbewahrten Versicherungs - Urkunde von der
Wahrhaftigkeit meiner Erzählung zeugen werden.
g^z- G. F- Frhr. von L.
(Schluß folgt).
Mittheilungen
als Antrag rar Geschichte des stSheren karhesßfche« I. lZeibj - Hssare« - Segimeuts,
jetzt tzöagU. preußisches I. hessisches Hasaren-Kegiment Ar. 13.
Von einem früheren Officier dieses Regiments.
Jianter den hessischen Truppen, welche sich auf
M so vielen Schlachtfeldern unvergänglichen
~ Kriegsruhm erworben haben, nimmt das
Regiment, welches zuletzt den Namen 1. (Leib-)
Husaren-Regiment führte, keine der letzten Stellen
ein. Mehr als 40 Jahre hat es in hessischer
Zeit im Felde gestanden und in mehr als 20
Schlachten und Gefechten sich ruhmvoll bewährt.
Die im früheren kurhessischen, jetzt preußischen,
Kriegsarchiv aufbewahrten Rapporte und Berichte
geben uns Kunde, wie oft gerade das Verhalten
dieses Regiments in allen seinen Kämpfen die
größte Anerkennung, auch bei den obersten Hceres-
befehlshabern, gefunden hat.
Dort aufbewahrt ist auch noch die Urkunde
über die Errichtung des Regiments.
In einem Schreiben vom 9. Oktober 1688
theilt Landgraf Carl dem Obersten Alexander
Hermann von Wartensleben Folgendes mit:
„Wir, von Gottes Gnaden, haben beschlossen,
um Unsere auf den Beynen habende Milice
zu verstärken, ein Regiment Dragons von 6
Compagnien, jede von 70 Köpfen, aus Leuten,
welche schon zu Felde gedient haben, zu errichten."
Es wird dann bestimmt, daß die Leute mittel-
mäßigen Alters und Deutsche sein sollen, auch
genau angegeben, worin die Montirung und
Bewaffnung zu bestehen habe. Für letztere wird
die Bemastung von Degen und Bajonetten,
Flinten von Monsquetten und guten Pistolen
angeordnet, „damit durchgehens ein Blei ge-
schossen werden könne." Zum Sammet- und
Lausplatz werden dem Obersten die Aemter an
der Diemel und in der Grafschaft Schaumburg
angewiesen und als Werbegeld dem Obersten für
jeden Dragoner 30 Thaler berechnet. Das als-
bald errichtete Regiment erhielt nach dem da-
maligen Gebrauch den Namen seines Chefs,
hieß anfangs Wartensleben- dann Graeffendors-
und seit 1695 Erbprinz-Dragoner-Regiment.
Nachdem Erbprinz Friedrich den schwedischen Thron
bestiegen hatte, wurde es Köuigs-Dragoner-
Regiment genannt und vertauschte diesen Namen
1751 mit „Leib-Dragoner-Regimcnt," welchen
es bis zum Jahre 1806 geführt hat. Im
Jahre 1788 wurde dem Regiment das aus
2 Schwadrons bestehende, im Jahre 1702 er-
richtete Regiment Miltitz und bei seiner im
Jahre 1813 erfolgten Wiedererrichtung das im
Jahre 1688 errichtete Landgraf Friedrichs-
Dragoner-Regiment einverleibt. Im Jahre 1821
wurde es bei der Neuformirung des kurhessischen
Armeekorps zu einemHusaren-Regiment(2.Husaren-
Regiment) umgeformt. Im Jahre 1832 gab
das Regiment eine Eskadron an die Garde du
Corps ab und wurde mit dem 1. Husaren-
Regiment vereinigt und unter dem alten Namen
wieder als Leib - Dragoner - Regiment dessen
1. Division es bildete, formirt.
1840 wurden beide Divisionen getrennt. Jede
formirte ein Dragoner-Regiment zu 4 Escadrons,
und zwar die 1. Division das 2. Dragoner-
Regiment, welches 1845 in das 1. (Leib-) Husaren-
Regiment umgewandelt wurde und dann 1866
geschlossen in den Verband der preußischen Armee
überging.
Das mitten in der Kriegszeit errichtete Regiment
nahm schon im Jahre nach seiner Errichtung
1689 und in den folgenden Jahren bis zum
Ryswiker Frieden 1695 an allen Kümpfen gegen
Frankreich, am Rhein, an der Maas und in den
Niederlanden theil, namentlich auch am 4. Januar
1693 am Entsätze der Feste Rheinfels, welche
von 4000 Hessen gegen 18000 Franzosen rühm-
lichst vertheidigt wurde.
In dem bald darauf (1702) begonnenen spanischen
Erbfolgekrieg hatte das Regiment vielfach Ge-
legenheit, sich in den blutigen Kämpfen am Rhein,
in den Niederlanden, Bayern und Italien be-
sonders hervorzuthun. In der für die hessischen
Truppen so unglücklichen Schlacht am Speyer-
bach, 15. November 1703, war es wie schon
sein in dieser Schlacht erlittener Verlust erkennen
laßt, au Muth und Standhaftigkeit hinter den
anderen Truppen nicht zurück geblieben. Ans dem
Schlachtfelde fanden den Tod zwei Rittmeister, ein
KornctchreinndzwanzigUnteroffiziere und Dragoner,
verwundet wurden zwei Rittmeister und zweiund-
zwanzig von der Mannschaft, iVerlustlisten in
der Wilhelmshöher Bibliothek.) Den größten
Ruhin aber erwarb sich das Regiment, sowie
überhaupt die hessische Kavallerie am 13. August
des folgenden Jahres in der Schlacht bei Hoch-
staedt.
Lange hatte der Kampf bei Blindheim, welches
von 27 französischen Bataillonen und 4 Dragoner-
Regimentern besetzt war, geschwankt, als der
Erbprinz Friedrich mit der auf dem linken Flügel
der Schlachtlinie gestandenen hessischen Kavallerie
die Schlachtlinie der Franzosen durchbrach und
den Feind gegen Hochstaedt zurücktrieb. An der
Brücke kam es zu einem furchtbaren Handgemenge,
eine große Anzahl Franzosen wurde niedergehauen
und 30 ihrer Schwadronen in die Donau ge-
trieben, in der fast alle ihren Tod fanden. Hier
war es anch, wo 2 Dragoner des Regiments
den französischen Marschall Tallard gefangen
nahmen. Als er dem Erbprinzen Friedrich von
dessen Adjutanten, Oberstlieutenant von Boyne-
burg, vorgeführt wurde, redete dieser ihn mit
den im Regiment sprichwörtlich gewordenen
Worten an: „Ah, bon jour, Monsieur Tallard,
c’est revanche pour Speyerbach.“ Groß war
der Erfolg der Schlacht. 20000 Franzosen blieben
todt oder schwer verwundet ans dem Schlacht-
feld, 16000 wurden gefangen, davon 13000 von
den Hessen, 3000 waren in der Donau ertrunken.
Erbeutet wurden 100 Kanonen, 30 Fahnen und
Standarten, 14 Paar Pauken, sowie die Kriegs-
kasse des Feindes. (Sorgel, Geschichte der
europäischen Kriege, Beck, Kriegsgeschichte der
Hessen.) —
Zahlreich waren die in diesem Kriege und auch
in den früheren und späteren Kämpfen vonr
Regiment erbeuteten Kanonen, Fahnen und
Standarten. Sie wurden im Kasseler Zeughause
aufbewahrt, aber säinmtlich von den Franzosen !
im siebenjährigen Kriege bei ihrer wiederholten !
Besetzung Kassels nach Frankreich hinweggeführt. ,
Nur eine Trophäe des Regiments ist in Kassel
zurückgeblieben. Im Kasseler Museum, (Erd-
geschoß der Bildergallerie) werden noch Hut und
Schwert aufbewahrt, welche Tallard bei seiner
Gefangennahme getragen hat.
Im Jahre 1706 kämpfte das Regiment in
Italien, namentlich in der Schlacht bei Castiglione
und machte dann den Zug gegen Toulon mit. Auch
an den letzten Schlachten des spanischen Erbfolge-
kriegs bei Ondenarde und Malplaquet war das
Regimentbetheiligt, insbesondere in letztererSchlacht
am 11. September 1709 in welcher Erbprinz
Friedrich die hessische Kavallerie zum Siege führte
und mit ihr in erbittertem Kampfe die französische
Infanterie aufrieb.
Im österreichischen Erbfolge-Krieg (1741—48)
kämpfte das Regiment dann wieder in Bayern,
am Rhein und in den Niederlanden. Das Journal
des Regiments, welches hierüber spezielle Aus-
kunft giebt, erwähnt u. A., daß kurz nach dem
Ausmarsch des Regiments eine Abtheilung des-
selben, bestehend aus 1 Rittmeister, 2 Lieutenants
und 120 Dragonern den hauptsächlichsten Antheil
an der Gefangennahme von 4—500 Oesterreichern
in der Stadt Barkhausen gehabt hat. Be-
sonders wird auch in dem Journal der wesent-
liche Antheil des Regiments an der Erstürmung
der Kron-Weißenburgee Linien hervorgehoben.
Aus einer Notiz des Journals ergiebt sich,
daß dem Regiment damals schon als besondere
Auszeichnung das Recht, Pauken zuführen, ver-
liehen war. Es wird darin erwähnt, daß einer
von den 9 alten venerabelen Dragonern „der
Paukenwart" gestorben sei, deren Lebensalter zu-
sammen 554 Jahre betragen habe. Mit ihren
grauen Häuptern und weißen Bärten hätten sie
dem Regiment nicht wenig zur Zierde gereicht.
Den größten Ruhm erwarb sich das seit 1751
„Leib-Dragoner-Regiment" genannte Regiment
im siebenjährigen Kriege, wie aus den noch vor-
handenen Berichten über seine hervorragende
Thätigkeit in den glücklichen und unglücklichen
Schlachten dieses Krieges hervorgeht.
So berichtet General Wutginau über die vor-
treffliche Haltung der Leib-Dragoner und der
andern hessischen Kavallerie-Regimenter in der
Schlacht bei Hastenbeck (26. Juli 1757). „Der
Herzog von Braunschweig hat öffentlich seine
Bewunderung über die von den Hessen im hef-
tigsten Geschützfeuer bewährte Standhaftigkeit
ausgesprochen. Als die Retraite befohlen war,
machte die hessische Kavallerie eine sehr eontenan-
§irte Schwenkung. Die Infanterie, welche be-
reits auf dem Rückzüge war, zog sich zum Theil
durch die Intervallen der haltenden Kavallerie
zurück. Das Schwenken und Stillhalten dieser
imponirte dem Feind und machte ihn stutzen.
Hierdurch gewann Alles Zeit, sich in bester
Ordnung zurückzuziehen, so daß der Feind nicht
die Kühnheit hatte, nur im mindesten nachzusetzen,
wohl aber noch einige Kanonenschüsse auf die
Kavallerie zu thun, wobei auch Lieutenant von
Eschstruth vom Leib-Dragoner-Regiment todtge-
schossen wurde."
(Schluß folgt.)
Die Doktorin Dirke.
Eine biographische Skiye von Fr. von Hohenhausen.
(Schluß).
Erinnerung an die drei glücklichen Tage
in Pyrmont gab ihr den Muth, sich in
f7^' ihrer großen Noth an den jetzt so berühmten,
mächtigen Mann zu wenden. Sie schrieb unter
Herzklopfen und Thränen folgenden Brief:
„Nicht an Eure Excellenz, nicht an den königlich
preußischen Minister — nein an den unver-
gessenen, unvergesslichen Jugendfreund schreibe
ich, dessen Bild ich eine lange Reihe von Jahren
verehrend im Gemüth bewahrt habe, der nie
wieder von dem jungen Mädchen hörte, das ihm
einst begegnete, mit dem er drei glückliche fröhliche
Jugendtage verlebte in jenen schönen Gefühlen,
die uns später in der Erinnerung wohl noch
beide beseligt haben. Der Name, auf den die
Welt mit so großen Erwartungen blickt, der Platz,
auf den Sie so früh durch geistige Begabung ge-
stellt sind, machte es mir nicht schwer von Ihnen
oft zu hören und Sie mit meinen Gedanken zu
begleiten. ... Ich habe das liebe Blättchen
unter den kleinen Heiligthümern der Jugend sorg-
fältig vor allen anderen bewahrt, als das einzige
Pfand und Siegel der reinsten und zugleich der
einzigen Lebensfreude, die mir das Schicksal
zugewogeu. Dies Blättchen, das ich mir zurück-
erbitte, wird Eurer Excellenz an eine Bekanntschaft
84
erinnern, welche vielleicht die großen Bilder und
Ereignisse Ihres Leben längst verwischt und aus-
gelöscht haben werden. Im weiblichen Gemüth
sind solche Eindrücke tiefer und unwandelbar,
um so mehr, wenn es (welche Bedenklichkeit könnte
mich zurückhalten, Ihnen nach sechsundzwanzig
Jahren diesen Beweis von Verehrung zu geben),
die ersten ungekannten Regungen erster erwachender
Liebe waren, so geistiger Art, wie sie wohl bei
der edleren Jugend immer sind. Für die weib-
liche Jugend und die Entwickelung des Charakters
aber ist es von höchster Wichtigkeit, für welchen
Gegenstand die ersten Gefühle erwachen. Die
Gefühle wandelt die Zeit; das tief ins Gemüth
gesenkte Bild aber erbleicht nie. An dies ge-
liebte Bild, das höher und immer höher erschien,
lehnte sich fortan mein Ideal van Männerwerth
und Hoheit. Hier ruhte ich aus, wenn ich unter
dem schweren Leben am Erliegen war, hier
richtete sich mein Muth auf, wenn mein Glaube
an die Menschheit schwankte! Glauben Sie mir,
ewig geliebter Freund, (Sie verzeihen dem Herzen
diese Benennung), ich bin gereift unter großen
Schmerzen, aber nicht entadelt, noch je durch
unwürdige Empfindungen entweiht."
So hatte denn dies arme Wesen doch noch
dis Liebesgefühl sich klar eingestanden, welches
sie damals in den schönen Tagen von Pyrmont
beseligte, und welches sie ein Vierteljahrthundert
verschwiegen hatte. Man kann wohl fragen,
was wäre geschehen, wenn sie sich früher dem
Erwählten ihres Herzens mitgetheilt hätte, anstatt
einem ungeliebten Manne anzuhören. Höchst
wahrscheinlich würde Humboldt dem holden Ge-
sländniß Gehör geschenkt haben und Charlotte
wäre gewiß ,eine Gattin geworden. Er hat sich
erst drei Jahre später als diese vermält mit dem
Fräulein vvL Oacheröden, einer reichen Erbin;
sie ward als geistvolle Schönheit, obwohl etwas
verwachsen, von vielen Männern bewundert,
namentlich yuldigte ihr der Baron von Burgs-
dorf, Tieck's genialer Freund und auch ein Baron
Scnft-Pilsach. Varnhagen schrieb über diese Ehe:
„Niemals war Jemand unmuthiger verheirathet
als Humboldt, jede Freiheit gern gebend und
nehmend." Jedoch ist dies Wort wohl voll-
kommen widerlegt durch Humboldt selbst, denn
er sprach von seiner Frau stets mit der größten
Achtung und Liebe; sie schenkte ihm zwei Söhne
Söhne und drei Töchter und führte ein har-
monisches glückliches Familienleben mit ihm.
Auf den rührenden Brief, den die arme Blumen-
macherin mit ihrem Herzblut geschrieben hatte,
antwortete der vielbeschästige Mann noch am
selben Tage, da er ihn erhielt. Er war tief
i ergriffen von dieser Jugenderinnerung, gewiß
zog wohl auch ein leises Bedauern durch seine
Seele, daß so liebliche Rosen der Müdchenliebe
j ungekannt und ungeahnt von ihm einsam dahin
j welken mußten. Zugleich fühlte er die Ber-
! pflichtung, einem unglücklichen Wesen, das auf
' ihn vertraute wie auf die Vorsehung, wirklich
' ein Erretter zu werden. Er schrieb ihr mit
! herzlicher Theilnahme und edlem Zartgefühl,
i bat sie, sich vorläufig ganz seiner Fürsorge zu
! überlassen und übersendete ihr eine ansehnliche
Summe Geldes, um sie von den peinvollen
Nahrungssorgen zu befreien. Sie ging auf
Humboldts Wunsch nach Göttingen, ivcil sie
dort von den Jngenderinnernngen zehren sollte,
die der geliebte Freund dort hegte. Später zog
sie jedoch nach Kassel zurück und begann ihre
mühsame Blumenarbcit. Nur auf dringendes
Bitten von Humboldt überwand sie ihren Stolz
und nahm eine kleine Pension von ihm an,
welche ihr den Broderwerb wesentlich erleichterte.
Aber eine andere Gabe des Freundes gab ihr
wahres Lebensbrod, unvergängliche Seelenspeise,
nämlich die Briese, die er ununterbrochen mehr
als zwanzig Jahre au sie richtete. Sie sind
jetzt Eigenthum der ganzen gebildeten Welt ge-
worden, ja ein Trostbuch für alle, die in ihr
vereinsamten! Wer kennt nicht Humboldts Briefe
an eine Freundin?
Mit einer rührend liebenswürdigen Ritterlichkeit
und warmer Theilnahme schrieb der Gelehrte an
die einsame alte Frau, der er wahren Trost
spendete, ja noch mehr als das, er gab ihr auch
wirkliche Freude, denn er regte sie zu geistiger
Thätigkeit an, indem er Alles mit ihr besprach,
was in den Kreis seines eigenen Dichtens und
Trachtens kam.
Man hat den edlen Briefschreiber lächerlich zu
machen versucht wegen dieser freundlichen Hin-
gabe an eine einsame arme Frau. Man wollte
den Beweggrund dazu in der Eitelkeit und Selbst-
überschätzung suchen; es ist jedoch ganz unzweifel-
haft, daß Humboldt dar schöne Bewußtsein hatte,
der einzige Lichtpunkt in dem dunklen Leven
seiner vereinsamten Freundin zu sein. Wie wahr
ist der Ausspruch der Gräfin Hahn-Hahn: „Nichts
fesselt den Menschen so innig an einen anderen,
als das Bewußtsein, denselben bis ins Herz zu
beglücken." Zweimal machte Humboldt der Ein-
samen auch die große Freude, ihr von Angesichr
zu Angesicht gegenüber zu treten; die beiden
alten Herzen genossen wehmüthig die verblichenen
Erinnerungen ihrer Jugend zusammen, und der
briefliche Verkehr wurde nach diesem mündlichen
nur noch inniger.
— 85
Niemand ahnte es, daß ein so berühmter j
Mann die ärmliche Wohnung in der Wilhelms- !
höher Allee aufgesucht hatte, um bei der einsamen !
vergessenen, einst so hart getadelten Doktorin
Dicde zu verweile»; selbst die wenigen Bekannten,
die sie noch in Kassel besaß, erfnhren nichts da-
von. Ebenso verborgen hielt sie ihr theures
Briefgeheimniß; erst nach Humboldts Tode ent- ■
hüllte sie es, weil sie es für Pflicht hielt den
reichen Geistesschatz nicht eigennützig für sich
allein zu behalten, sondern ihn der Mit- und
Nachwelt zu überliefern, ,
Mit Elfer ging die Freundin an die Heraus-
gabe von Humboldts Brrefen, beinah zu ängstlich
entfernte sie daraus jedes llrtheil über andere.
Eine damals junge Literatur, Therese von Bacha-
racht, geborene Struve, war ihr bei. der Arbeit
behülflich und erhielt dieselbe als eine Art Schenkung
für ihr früher gewährte llnterstützungen.
Diese liebliche Therese war eine frische Rose
in dem verdorrten Lebenskranz der armen alten
Frau. Den Namen Therese hatte sie als Pathen-
kind von der einst berühmten Schriftstellerin
Therese Huber erhalten, mit welcher ihr Vater
als russischer Gesandte in Stuttgart nah be-
freundet war. Die reizende junge Therese wurde
dadurch gewissermaßen zur Schriftstellerin prä-
destiniert. Sie lernte die Doktorin Diede als
Lehrerin kennen und begeisterte sich für die geist- >
volle Dulderin in wahrhaft liebenswürdiger Weise.
Leider traten später Zwistigkeiten zwischen Beiden
ein, denn der Lebenswandel Theresens erregte
die Mißbilligung der streng moralisch gewordenen
und moralisirenden Doktorin Diede. Bekanntlich j
ließ sich Therese.von ihren Manne scheiden und ;
wurde Gutzkows Geliebte. Aus diesem Ver-
hältniß erlöste sie später ein Herr von Lützow,
der sie heirathete und nach Japan führte, wo
sie bald nachher gestorben ist. *
Es ist zu beklagen, daß die Briefe der Doktorin
Diede an Humboldt, auf ihren eigenen Wunsch,
verbrannt worden sind; einzelne ihrer Aussprüche,
die als Bruchstücke gedruckt wurden, erinnern an
den Geistreichthum von Rahel und Bettina.
Die Doktorin Diede gerieth nach Humboldts
Tode wieder in Nahrungssorgen, weil das Jahr-
gehalt des Freundes aufhörte. Es ist unbe-
greiflich, daß die reiche Familie desselben sie
darben ließ: Alexander von Humboldt soll sich
sogar in sarkastischer Weise über die alte Frau
geäußert haben „die Pfarrerstochter von Tauben-
heim", nannte er sie und meinte, sein Bruder
hätte ihr weniger schreiben und mehr geben sollen.
In ihrer Noth bekam die Doktorin Diede wieder
einen rettenden Einfall; sie sendete das wohl-
geordnete Manuskript der schönen Briefe von
Humboldt au den König Friedrich Wilhelm den
Vierten, den sie mit Recht für den echten Schirm-
herr« des „Wahren, Guten und Schönen" er-
kannt hatte, aber ihr Vertrauen wurde auf eine
harte Probe gestellt; sie erhielt keine Antwort!
Monatelang harrte sie vergebens darauf, sie
mußte fürchten, daß die kostbaren Briefe verloren
seien! Da entschloß sie sich noch einmal zu
schreiben und richtete einen flehenden Brief an die
Königin Elisabeth; diese Wohlthäterin für alle
Leidenden antwortete sogleich und sendete eine
reiche Geldspende, versicherte auch, daß der König
mit wahrhafter Begeisterung Humboldts Briefe
gelesen habe und dieselben umgehend zurücksenden
würde. Ein Jahrgehalt wurde der Dulderin
aus der Königlichen Chatoulle zugesichert und
die bekannte Verlagsbuchhandlung von Brockhaus
übernahm es, Humboldts Briefe heraus zu geben.
So schien das Glück noch ihren Lebensabend zu
verschönern zu wollen, — aber leider sollte sie
es nicht lange genießen, sie starb in Folge eines
Beinbruchs, den sie in ihrem eigenen Stübchen
erlitt, am 16. Juli 1846, dem sechzigsten Jahres-
tage ihrer Begegnung mit Humboldt. —
— - ----ShhS------
Krieg int Frieden.
ffitu Genrebild ans der RococoM von Joseph Grinean.
fm Residenzschlosse zu Fulda liefen die
Lakaien hin und her und raunten einander
scheu in die Ohren: „Seiner hochfürstlichen
Gnaden steht der Busch."
Als der dienstthuende Kammerherr, aus den.
Cabinet des Fürsten kommend, in einem Corri- i
dor dem Hofmarschall begegnete, da blinzelte er j
bedeutungsvoll und strich sich zugleich mit einer-
seltsamen Handbewegung über den Kopf.
„Steht der Busch?" fragte erschrocken der
Hofmarschall. „Aus welcher Veranlassung."
Der Kammerherr flüsterte: „Muß wohl mit
einem Briefe znjammenhängen, der heute früh
von Wien eingetroffen ist."
„Und hat man keine Ahnung von dem Inhalt
dieses Schreibens?" forschte gespannt der Andere.
Der Kammerherr zuckte die Achseln: „Ein
Geheimniß der Diplomatie." Damit eilte er
geschäftig weiter.
Doch war seine Vermuthung richtig gewesen, j
Am Morgen hatte ein Courier einen großen
Staatsbrief abgegeben an den hochwürdigsten
Fürsten und Herrn, Herrn Amandus, Bischof
und Abtcn zu Fulda, des heil. Röm. Reichs
Fürste», Ihrer Majestät der Röm. Kaiserin Erz-
kanzler, durch Germanien und Gallien Primaten;
und als den der hohe Adressat mit erregter
Miene durchgelesen, da war er sich mehrmals
mit einem energischen Strich durch die mächtige
Perrücke gefahren, so daß der Puder m einer
Wolke davon gewirbelt war und die Haare sich
kerzengerade in die Höhe gesträubt hatten. Dieses
Zeichen aber kannte Jeder bei Hofe: es war der
erklärte Ausdruck einer allerhöchsten Mißlaune
und Verstimmung.
Nachdem der Fürst einige Male hastig im
Gemache auf- und abgeschritten, hatte er befoh-
len: „Eine Stasfette eile sogleich auf die Feste
Bieberstein und entbiete den Hauptmann
Lindenau zu Uns."
Der Hauptmann und in Kriegssachen bestellte
Rath — wie sein voller Titel lautete — war
der Mann, der im höchsten Grade das fürstliche
Vertrauen genoß, vorab seitdem ihm die bedeut-
same Aufgabe zugefallen war, das hochgelegene
Jagdschloß Bieberstein kriegerisch zu befesti-
gen, denn Am and von Buseck wollte auch in
seinem Ländchen eine Festung haben. Er hatte
es erlangt, daß die reichsunmittclbare gefürstete
Abtei Fulda von Papst Benedict XIV. zum
Bisthum erhoben worden war, nun galt es
natürlich, die erhöhte Machistellung auch nach
Außen zu repräsentiren; — dazu aber war ein
bischen kriegerische Ausrüstung unerläßlich. Bei
den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten des
18. Jahrhunderts waren ja solche harmlose mili-
tärische Spielereien Mode, sie gehörten zum
Glanze eines Hofes, und wenn der Markgraf
von Bayreuth zu der bizarren Grille sich ver-
stieg, Kriegsschiffe en miniature auf einem
kleinen See, nächst seiner Residenz zu halten,
— warum sollte da der Fürstbischof von Fulda
sich mcht den Luxus einer Festung gestatten?
Ani Mittag sprengte der Hauptmann Linken-
au auf schaumbedecktem Rosse durch das Peters-
thor und ließ sich, nackdem er am Schlosse ab-
gestiegen, sogleich anmelden.
Es war ein Männchen wie ein Nußknacker,
das da in eigenthümlich strammer Haltung in's
Cabinet des Fürsten trat. Die gewaltige, bc-
puderte Perrücke und der lange, pechschwarz ge-
wichste Schnurrbart kontrastirten so auffallend
mit der zierlichen Gestalt in Galauniform, daß
l man sich kauin eine Figur von mehr komisch-
| groteskem Aussehen denken konnte.
„Mein lieber Lindenau, wie steht es mit den
Festungswerken?" fragte der Fürst lebhaft.
„Vortrefflich, hochfürstliche Gnaden", rappor-
tirte der Hauptmann. „Die erbauten Kasse-
matten sind fest wie Ziegenhain und die schweren
Geschütze sind nun aufgestellt. Auch haben wir
bereits mit den Erdarbciten am Kuhlberg be-
gonnen, die Sternschanze soll ein Meisterwerk,
der Glanzpunkt der Fortifikation, werden und
für einen Kriegsfall" —
„Triumphiren Sie nicht zu sehr," unterbrach
ihn der Fürst wehmüthig. „Wir müssen unsere
Feste schleifen."
„Schleifen?" rief der Hauptmann aus, indem
er unwillkürlich an seinen Degen faßte. „Nimmer-
mehr, sie wird in Kriegsgefahr jedem Angriffe
siegreich widerstehen." Und seine kleinen schwarzen
Augen leuchteten ordentlich vor Heldenmuth bei
diesen Worten.
Der Fürst wandte sich jetzt schweigend zu
seinem, auf vergoldeten Löwenklauen ruhenden
Schreibtische und ergriff einen großen Brief, den
er dem Kriegshelden überreichte. „Mein lieber
Lindenau, ich eröffne Ihnen hiermit ein Staats-
geheimniß — Sie müssen schweigen gegen Jeder-
mann.
Der Hauptmann legte feierlich betheuernd die
Hand auf die Brust und verneigte sich tief.
„Vom Reichshofrath zu Wien?" entfuhr es
ihm staunend, als er das große Siegel ange-
blickt, dann entfaltete er das Schreiben, um es
mit hochaufgezogcnen Brauen zu durchlesen.
Ja, es war eine Ordre vom Reichshofrathe,
die den Fürsten von Fulda zwar vertraulich,
aber immerhin sehr nachdrucksvoll bedeutete,
seinen Festungsbau einzustellen, da die angrenzen-
den Reichsfürsten, der Landgraf von Hessen und
der Fürstbischof von Würzburg, entschieden da-
gegen protestirt hätten.
„Unerhört!" stieß der Hauptmann zwischen
den Zähnen hervor, als er den verhängnißvollen
Brief zu Ende gelesen.
„Jawohl, unerhört", wiederholte Amandus in-
dem er sich wieder heftig durch die Perrücke
fuhr.
„Diese anmaßenden Nachbarn, die doch selbst
so stolze Festungen besitzen und stets mit scheelen
Blicken nach Uns sehen, wagen es, gegen die
Ausführung unserer Lieblingsidce Einsprache zu
87
erheben! Ist diese Niederlage nicht schmählicher
als eine Kapitulation? Denn wir sind lächer-
lich gemacht vor unserem ganzen Lande, wenn
Wir den seither mit so großem Eifer betriebenen
Plan nun wieder aufgeben sollen."
„Ach, der herrliche Plan, es wäre ein Jammer",
stöhnte Lindenau.
Der Fürst durchmaß mit raschen Schritten das
Gemach, plötzlich blieb er vor dem Hauptmann
stehen und sagte sehr gnädig: „Mein lieber
Lindenau, wenn auch Ihr Meisterwerk nicht zur
vollen Ausführung kommt, Ihre Verdienste
bleiben ungeschmälert. Sie sind und bleiben
trotz alledem der erste Ingenieur im Lande.
Aber zeigen Sie sich nun auch in diesem Falle
— ingeniös und rathen Sie Uns, wie Wir
einen Vorwand finden, um die weitere Befestig-
nng aufzugeben, ohne daß unser Ansehen und
unsere Würde dabei Einbuße leidet."
„Zu Befehl, hochfürstliche Gnaden", stotterte
der „in Kriegssachen bestellte Rath" und blickte
nachdenklich zu der mit Stuck-Amoretten verzier-
ten Gipsdecke auf.
„Ich hab's", rief er endlich von einem Ge-
danken durchblitzt. „Euer hochfürstlichen Gnaden
müßten sich den Anschein geben, als ob Hochdie-
selben freiwillig von dem glorreichen Vor-
haben abständen, weil die Sache nicht zu dero
hoher Zufriedenheit ausgefallen." —
„Aber dann müßte ich doch motiviren können,
warum ich mit einem Male die Lust verloren
hätte", warf der Fürst ein.
„Mit Verlaub, wenn Eure hochfürstlichen
Gnaden mir gnädigst gestatten wollten, den Bau
nur z u m S ch e i n ein wenig weiter fortzuführen,
dann würde ich noch eine Kassematte anlegen,
die bald von selber wieder — einfallen müßte."
„Ah, ein brillanter Einfall, mein lieber Linde-
nau", witzelte der Fürst, sich vergnügt die Hände
reibend. „Aber wissen Sie auch, daß Sie auf
diese Weise sich cvmpromittiren würden?"
„Zu Befehl, hochfürstliche Gnaden, und ich
weiß, daß ich dieses für meinen gnädigsten
Fürsten und Herrn thue", versetzte der kleine
Kriegsheld, indem er sich stolz auf die Fußspitzen
hob.
„Bravo, mein lieber Lindenau", sagte Amandus
ganz gerührt, und reichte dem Hauptmanne die
feine von einer Spitzenmanschette umwogte Hand,
das will ich Ihnen nicht vergessen, und wenn ich
Sie nun auch leider nicht zum Festungskomman-
danten ernennen kann, so werde ich Ihrer seltenen
strategischen Befähigung doch gerecht werden,
denn Sie sind ein geborener Feldherr, wie der
Prinz Eugenius".
Mit dieser gnädigen Anerkennung war der
Hauptmann auf seinen Posten zurückgekehrt und
hatte dort seine Anordnungen getroffen.
Einige Tage später spähte er aus einem Fenster
des massiven Schloßbaues nach einer nahen An-
höhe hinüber, wo die schwachen Anfänge einer
geschlossenen Schanze sichtbar waren, doch ar-
beitete augenblicklich nur ein einziger Mann dort.
„Bomben und Granaten! Was treibt sich da
drüben am Kuhlberg für ein verdächtiges Indi-
viduum herum?" rief der Hauptmann plötzlich,
und bald darauf knarrte auf seinen Befehl die
Zugbrücke nieder und er eilte hinüber.
„Wer war der Kerl, der eben hier war?"
fragte er scharf den mit großem Phlegma
Schaffenden.
„Der — Herr Hauptmann? Muß wohl so
eine Art Musikant gewesen sein, denn er trug
so ein Blasding auf dem Bnckel", versetzte der
Arbeiter, indem er gleichmüthig die Mütze von
einem Ohr zum anderen schob.
„Ein Musikant — wo war er her?"
„Er hat von der Stadt Würzburg gesprochen,
Herr Hauptmann."
„Bomben und Granaten! das ist verdächtig,
höchst verdächtig", brauste der Hauptmann auf.
„Und was suchte er hier?"
„Das weiß ich auch nicht. Er hat mich nur
gefragt, was das für eine Bergfeste sei, und ob
ich hier ganz allein eine Schanze bauen wollte,
da würde sie wohl so bald noch nicht fertig
werden. Dann hat er ein bischen mit mir ge-
gessen und auch einen Schluck aus meiner Bou-
teille gethan, wofür er mir zum Dank ein Stück-
chen vorgeblasen hat. Nachher hab' ich wieder
fleißig geschafft und mich nicht weiter um ihn
gekümmert, als er dort unter der Buche gesessen
und auf ein Blatt Papier, ich weiß nicht was,
gekritzelt hat" berichtete der Werkgeselle gedehnt.
„Bomben und Granaten! Der hat den Fest-
ungsplan aufgenommen! Warum hast Du den
verfluchten Spion nicht gleich gepackt?"
„So, ein Spioner war das? Ja, das hat er
mir nicht gesagt", versetzte der Andere mit der
größten Seelenruhe.
„Esel! Wo hat er sich hingewendet? der
darf uns um keinen Preis entwischen. Mach'
dich auf die Beine, wir müssen ihm nach", schrie
vor Aufregung bebend der. Kriegsgewaltige, der
schon die Lorbeeren eines glorreichen Erobernngs-
zuges winken sah, und in wilder Hast stürmte
er, dem Bedächtigen voran, den Burghang hinab.
88
II.
Derjenige, dem diese tolle Verfolgung galt,
war unterdessen bergabwärts durch's Waldcs-
dickicht geschritten. Es war ein junger Bursch,
der so frei und fröhlich aus seinen braunen
Augen in die Welt schaute, daß man ihm gar-
nicht zutrauen mochte, er trage sich mit kriegs-
gefährlichen Plänen.
Und in Wahrheit fiel ihm solches auch gar-
nicht ein. Sein frischer, burschikoser Sinn war
mit ganz anderen Dingen beschäftigt, und wenn
er auch wirklich von Würzburg gekommen war,
so wollte er doch nichts Anderes auskundschaften,
als einzig — wo sein herzlieber Schatz sich be-
finde. Ihr Vater hatte sie verbannt zu einem
Onkel, der irgendwo in der Rhön in einem
Jägerhause mitten im Wald wohnen sollte, denn
der Alte wollte nichts von ihrem Liebesvcrhält-
uiß wissen, weil er den Studenten nun einmal
nicht grün war, und sie sammt und sonders für-
lockere Zeisige hielt. Im Allgemeinen hatte er
ja auch Recht, aber mau kann doch nicht gleich
ein Mann von Rang und Würden sein; — die
vorgeschriebenen Semester mußten doch der Alma
mater geopfert werden!
Und es war eigentlich Alles so ganz von selbst
gekommen: Kilian Frank hatte in derselben Gasse
mit dem schönen Nanderl gewohnt — und da
hätte man doch einein flotten Burschen die Augen
verbinden müssen, wenn er ein so reizendes
Gegenüber nicht hätte wahrnehmen sollen. Und
daß er, der so prächtig das Waldhorn blasen
konnte, dann dem schönen Kinde zu Gefallen all-
abendlich seine einschmeichelndsten Weisen über
die enge Gasse hin tönen ließ, — nun, das war
doch auch natürlich, um so mehr, da der feinge-
formte Mädcheukopf dann jedes Mal an's offene
Fenster gebannt blieb. Da mußten freilich die
Klänge immer zarter, immer inniger, immer sehn-
suchtsvoller werden, so daß sie schon längst aus-
gesprochen hatten, was er mit Worten erst zu
gestehen wagte, als er einmal in der Dämmer-
ung ihr begegnet und sie ein Stückchen Weges
begleitet hatte. Von da an hatten sie sich öfters
heimlich gesprochen, aber das junge Glück dauerte
nicht lange, der Vater kam dahinter und machte
ihm, wie gesagt, ein rasches Ende.
Doch Kilian vergaß das Nanderl nicht; als
die Sommerferien anbrachen, da machte er sich
auf, um sein Lieb in der Rhön aufzusuchen.
Das Waldhorn mit sich führend und ein
grünes Reis am Hute, so war er auf gut Glück
hineingewandert in die oft ganz unwegsame Berg-
wildniß, über weite, kahle Hochflächen und wald-
bekrönte Höhen, durch stille Dörfer und einsame
Schluchten. Aber schon wochenlang hatte er
> diese Gebirgswelt durchstöbert, ohne eine Spur
! von der Gesuchten zu entdecken. Da war er
! endlich heute in eine bergumschlossene Waldein-
samkeit gerathen, wo er zwischen hohen, dicht-
stehenden Buchen jeden Pfad verloren hatte. Mit
einem Male sah er durch die alten Stämme eine
Mauer schimmern, mit keckem Wagen kletterte er
hinüber und wurde am jenseitigen Boden von
einem lieblichen Anblicke gefesselt: ein Rudel der
stolzesten Damhirsche graste am Saume einer
Lichtung innerhalb des umschlossenen Bezirkes.
; Ganz vertieft in dieses Bild, hatte er nicht
' wahrgenommen, wie ein ältlicher Mann in grüner
Kleidung aus deu Büschen hervortrat, bis letzterer
mit rauher Stimme fragte:
' „Was will Er hier und wie ist Er hier her-
ein gekommen?"
„Ueber die Mauer", sagte Kilian lakonisch,
, indem er grüßend sein dreieckiges Hütlein zog.
„Was? Ueber die Mauer?" wiederholte der
Andere grimmig. „Wie kann Er sich unterstehen,
hier einzudringen, wo Er gar nicht hingehört?
Hier ist der Thiergarten!"
„Verzeihen Sie, das wußte ich nicht; ich hatte
mich verirrt. Aber ist vielleicht hier in der
Nähe ein Jägerhaus?"
i Das höfliche „Sie" hatte den Grünrock milder
gestimmt. „Was soll's denn mit dem Jäger-
: Haus? fragte er weniger barsch.
„Nun, ich dachte, ich könnte dort ein bischen
' rasten und vielleicht auch einen Imbiß finden,
wenn ich einige Stückchen auf meinem Waldhorn
vortragen würde."
„Was ist Er verrückt?" schnaubte aber jetzt
der Andere im Hellen Zorn. „Geh' Er nach
K l e i n s a s s e n! dort führt der Weg hinaus; bei
nnS ist kein Wirthshaus." Und er zeigte ge-
bieterisch nach einem Gitterthore, das zum Wild-
park hinaus auf einen Fahrweg führte.
Der junge Mann war diesem Wege eine
kleine Strecke gefolgt, als plötzlich, etwas ab-
seits, hinter den hohen Waldbäumen ein ein-
sames Haus auftauchte. Ein mächtiges Hirsch-
geweih über der grünangestrichenen Hausthüre
verrieth dem Ueberraschten, daß es ein Jäger-
haus sei, und erfüllt von freudigster Ahnung,
setzte er jetzt sein Waldhorn an, um die Geliebte,
— wenn wirklich hier ihr Aufenthalt war —
mit frohen Klängen herbei zu locken.
Es war ihr Lieblingstied, das er zu blasen anhub:
! „Und die Würzburger Glöckli
Haben schönes Geläut',
Und die Würzburger Müdli
I- Sein kreuzbrave Leut'".
89
Prächtig schallte es durch die grüne Einsamkeit,
und siehe, da erschien auch wirklich jetzt im dunklen
Fensterrahmen ein liebreizender Mädchenkops,
der erglühend und mit leuchtenden Augen heraus-
spähte.
„Nanderl!" jauchzte Kilian, und mit einem
Satz stand er umer dem niedrigen Fenster, um
sein Lieb zu begrüßen, sie aber machte ihm ein
abwehrendes Zeichen und zog sich blitzschnell
wieder zurück.
Er sollte nicht im Zweifel über ihr sonder-
bares Benehmen bleiben, denn in demselben
Augenblicke hatte ihn eine unsanfte Hand von
hinten am Kragen, und der Alte aus dem Wild-
park schrie ihm in die Ohren: „Treibt sich denn
der unverschämte Landstreicher noch hier herum?
Ich hab's Ihm schon einmal gesagt: hier ist kein
Wirthshaus, und wenn Er sich nicht augenblick-
lich von der Stelle packt, so hetz' ich ihm die
Hunde auf den Balg."
Kilian schüttelte die derbe Faust ab und schlug
einen Fußpfad ein, der von dem Fahrwege ab-
zweigend, durch dichtverschlungenes Gebüsch sich
wand.
Er war glücklich, daß er endlich Nanderl's
Aufenthalt entdeckt hatte; weit aber wollte er
sich nicht davon entfernen, vielleicht konnte sie
ihrem grimmen Hüter heute doch noch einmal
entschlüpfen und war dann ungestört zu sprechen.
„Wenn mich nur der verwünschte Hunger
nicht so quälte in dieser Wildniß!" seufzte
Kilian, und er versuchte das gesunde Verlangen
nach Speise mit Bucheckern, die er unter den
Bäumen auflas, zu befriedigen, aber das war
doch eigentlich nur eine Kost für Eichhörnchen.
Da öffnete sich mit einem Male eine Lichtung,
und von jähem Bergeskegel grüßte ein stolzes
Schloß herab. Dort oben konnte er vielleicht
etwas zu essen finden! Er stieg die steile Höhe
hinan, aber wie er auf dem Plateau angelangt
war, da verwehrte ihm die aufgezogene Zug-
brücke den Eintritt in die befestigte Burg. Ent-
täuscht streifte er um die mit Schießscharten ver-
sehenen Mauern herum, aus denen die Münd-
ungen von schweren Geschützen drohend blickten,
dann wandte er sich seitwärts nach einer kleinen
Anhöhe, wo ein Mann im blauen Kittel am
Boden saß und behaglich sein Vesperbrod ver-
zehrte; für einen Kreuzer überließ ihm dieser
gern die Hälfte desselben. Aber lange rastete
Kilian nicht dort oben, so sehr ihn auch der
Ausblick entzückte in die sonnenbeglänzte Land-
schaft, in der sich so schöngeformte Berge zu-
sammen drängten; nachdem er ein Briestein ge-
schrieben, das er Nanderl heimlich zuzustellen
hoffte, zog es ihn wieder hinab in den kühlen
Waldesgrund, wo sie weilte.
Voll Sehnsucht war er abermals dem vom
Wipfelgrün überrauschten Hause nahe gekommen,
aber — o weh! — da erschien auch schon wieder
der alte Cerberus auf der Bildfläche. Um sich
seinen Blicken zu entziehen, schritt Kilian ge-
schützt vom Dickicht des Unterholzes, rasch auf
der schon früher betretenen breiten Straße fort,
die nach einer kleinen Windung direkt in den
runden Bogen eines überthürmten Thores ein-
führte.
Von dem Thurme mußte man gewiß unbe-
schränkten Ausguck nach dem nahen Jägerhause
halten können, deswegen stürmte er die enge,
dunkle Wendeltreppe hinan und stieß oben eine
Thüre auf, die klirrend hinter ihm in's Schloß
zurück fiel. —
Er schaute sich um in dem kleinen, runden
Gemach; es war ganz leer, nur oben in der
Mauer befand sich eine Fensterluke, durch die
der Tagesschein auf die nackten, blos mit Spinn-
weben bedeckten Wände fiel. Behend schwang
er sich zu dem breiten Simse auf; das Jäger-
haus war nicht sichtbar, aber statt dessen eröff-
nete sich eine märchenschöne Scenerie: Auf einer
duftigen Wiese ruhte im Glanze der Nachmittags-
sonne ein behagliches, weißes Schlößchen und
ein kleiner See blinkte davor, auf dem ein
Schwanenpaar majestätisch stille Kreise zog.
In tiefer, süßer Traumesruhe lag das Bild
in seinem grünen Rahmen. Aber mit einem
Male wurde ein seltsames Leben wach. Aus
dem gegenüberliegenden Thore, — an das sich,
wie am diesseitigen hohe, steile Laubwände gleich
Coulissen anschlossen, — sprengte plötzlich eine
glänzende Cavalcade: ein Häuflein kriegerischer
Gestalten in prächtigen Husarenuuiformen, die
in stolzer Haltung auf wohlgepflegten Pferden
saßen. Ihnen folgte ein sechsspänniger reich-
vergoldeter Galawagen, dem dann noch eine statt-
liche Reihe anderer Wagen über den gepflasterten
Thorweg nachrasselte.
Bor dem Schlößchen machte der Zug halt.
Die in Gold und Sammt starrenden Cavaliere
stiegen aus und verschwanden Einer nach dem
Anderen hinter dem wappengeschmückten Portale,
während die Husaren ihre Thiere in einem gegen-
überliegenden Stallgebäude unterbrachten.
Doch war die frühere Traumversunkenheit
nun verflogen. Lakaien und Heiducken in
farbenbunten Livreen rannten hin und her, und
der abgeschiedene Ort wurde von einer kleinen
Hofwelt belebt, auf die Kilian mit weitgeöffneten
Augen herabschaute. (Fortsetzung folgt).
00
Schloff Sporrgenverg.
Am Thurm empor der Eppich Aeste windet —
Die wilde Rose rankt sich in's Gestein,
Die runden Fenster glotzen halberblindet
Aus andern Zeiten in die Welt hinein.
Des Ringes Mauern bröckeln Tag für Tage,
Im Graben schießt die Erle dunkel vor
Und heimlich zweifelnd, ob den Fuß sie trage,
Schreit' ob der Brücke ich hinauf zum Thor.
Das Wappen Hessens seh' ich drüber schweben,
Schon decket Moos geheimnißvoll den Schild —
Die Löwen trauern! Meines Volkes Leben,
Ist dies dein Zeichen? Ist so grau dein Bild?
Doch nein, mein Volk! Hier lebten deine Helden!
Mit stillem Schauer trat zum Hof ich ein —
Hier zog der Schütz, von dem die Lieder melden,
Mit Margaret von Cleve herrlich ein.
Die Wendeltreppe führt hinauf zum Saale —
Wie hallt mein Schritt in dieser Grabesruh!
Ich öffne ringsum Zimmer, öde, kahle
Und stöhnend fallen schwere Thüren zu!
Durch lange Gänge und durch nackte Räume,
Durch der Gefang'nen Zellen geht mein Fuß.
Vergess'ne Sagen, Spukgeschichten, Träume
Entbieten aus den Ecken staub'gen Gruß.
Wie schaurig ist der Ort, an dem ich weile!
Ein enges Zimmer ohne Licht und Luft!
Nur Moderduft und als ich fröstelnd eile,
Mich zu entziehen dieser feuchten Gruft,
Bleibt an der grauen Wand mein Auge hangen,
Zwei Zeilen stehn dort oben festgebannt:
„Ich bin seit fünfzehn Jahren hier gefangen"
Das schrieb er hin —dann sank ihm stumpf die Hand.
Ein Mensch ist der Verzweiflung hier erlegen —
War vor dem Tode hier lebendig todt!
Horch — wie sich rings die wilden Klagen regen,
Geweckt vom unbegrab'nen Schrei der Noth!
Und hoch aufathmend flieh' ich von der Schwelle
Sala's y Gomez in der Menschen Reich.
O gebt den Tod dem Mörder auf der Stelle,
Denn solche Gnade kommt der Hölle gleich.
Zum Erker trugen mich die Schritte wieder —
Wie groß und freundlich schimmert das Gemach!
Die Fenster gehen in das Thal hernieder —
Hollunderzweige winken licht vom Dach.
Einst schmückten bunte Fresken hier die Wände.
Es sind noch Spuren seltsam rings zu sehn. —
Ein Ritterharnisch; dort erhob'ne Hände —
Ein droh'nder Speer, vor dem sie angstvoll flehn.
Und dort — o Wunder! Aus Zerstörungsmitte —
Ragt unversehrt ein Frauenangesicht,
In großen Augen dringend heiße Bitte:
„O Zeit — verwische meine Schönheit nicht!"
Hat sie gelebt? Ist sie dereinst gewesen
Des Künstlers Lieb, sein süßer Erdentranm?
Hat er in ihren Augen Glück gelesen?
Ward sie sein eigen? Ward die Hoffnung Schaum?
Vorüber längst! . . Sie schauet traumverloren
Herab auf mich aus ihrer Einsamkeit. —
Hast du die holde Schönheit dir erkoren,
Sie zu bewahren, schnelle Frau —‘o Zeit?
Bewahr' sie gut! Und wenn die Mauern fallen
Und Wappen, Schrift und Bildniß untergehn,
Pflanz' Blumen auf die hingesunk'nen Hallen —
Doch ob dem Bild laß eine Ros' erstehn.
Th. Kellner.
Die Spennstorri. x)
(Schwälmer Mundart.)
Bann de Bür höt äusgedräsche,
Ö die Kärmes es verbei,
, Alles Weißzeik fresch gewäsche,
Knächt ö Mähre Werre frei.
Dos Gebäulzig^) weckgeschnerre,
Kemmt die liewe Spennstow werre.
Bann die Glock es äwe sewwe^)
Nemmt die Ann dos Spennrod schweng,
Get zü Nochbersch Elz do drewwe,
Bo die ahnre Mäje seng.
Em dos Licht in Krees fee mache,
Spenn ee Spül voll, senge, lache. —
Höt de Hedd (Hirt) die Ning^) geblose.
Hon die Bosch sich igestahlt,
Ö so mancher kecke lose
Stehlt in Monz") sich met Gewählt,
Froht: „Na, schiene Mäje, wolle
Mer net dahnze mol in Dolle?" —
Em zah Ühr »nütz alles rauwe.")
Jehrer brengt seng Mäje heem.
Da demm Schätzche därfs net grauwe
Weil söst licht ze Schohre kähm.
Heembegleere!?) bei de Menste
Gelt dos noch fers Allerschenste.
Knrt
h Spinnstube; ') kurzes, ährenreiches Futterstroh; 3) sieben;
*) nenn Uhr; 5) einen Kuß: *) ruhen: 7,> Heimbegleiten.
-----------------
Schneeglöckchen.
Ei» reizendes Blümchen an zartem Stiel,
So weiß wie der Schnee, der vom Himmel fiel.
Und zart wie seine Flöckchen:
Das grüßet mich wieder im stillen Hain
Und läutet den lieblichen Frühling ein
Mit allen seinen Glöckchen.
91
Es ruft mir entgegen: „Wachaus, wach auf,"
Es naht der Frühling in eiligem Lauf!
Laß sein dein ewig Träumen:
Laß leben die Liede, laß leben den Wein,
Es könnte dein letzter Frühling sein —
Willst diesen du versäumen?
Htavi Mevev.
Ans alter und neuer Jett.
Der 90. Geburtstag des deutschen Kaisers
Wilhelm, des jetzigen Landesherrn des ehemaligen
Kurstaates Hessen, ist allerorts in unserem engeren
Vaterlande auf das Feierlichste begangen worden.
* ^ *
Nekrolog e. Am 16. März d. I. endete ein
plötzlicher Tod das Leben desOberlaudesgerichts-
RathsEduardKöhler, eines hochbegabten, durch
seine juristischen Kenutniße hervorragenden und durch sein
freundliches, liebenswürdiges Wesen allgemein be-
liebten Mannes, eines echten Sohnes "es Hessen-
landes, welcher vor einigen Jahren eine ihm ange-
botene höhere Dienststellung außerhalb Hessens und
ihm dadurch in Aussicht gestellte weitere Auszeich-
nungen und Beförderungen nicht annahm, sondern es
vorzog, seine Dienste dem von ihm so geliebten
rngeren Baterlande bis an sein, leider so frühes Lebens-
ende zu widmen. Wie schwer von dem Kollegium der
Verlust eines durch unermüdeten Fleiß, scharfen Verstand
und umfassende Kenntnisse ausgezeichneten Mitgliedes,
empfunden wurde, von welchem bei anscheinend voller
Gesundheit und Rüstigkeit sich noch eine lange segens-
reiche Thätigkeit in seinem Beruf erwarten ließ, zeigt
der von jenem dem Andenken des Verstorbenen in
den Blättern gewidmete, warme Nachruf. Groß
ist aber auch die Zahl derer, welche in ihm den
Verlust eines ihnen stets treuen und wahren
Freundes beweinen und ihm in ihren Herzen ein
bleibendes Andenken bewahren werden. R.-K.
Am 25. März starb zu Hers selb nach langen
und schwerem Leiden im 44. Lebensjahre der Gymnasial-
vberlehrer Bruno Berlit, ein ausgezeichneter Ge-
lehrter und anerkannt tüchtiger Schulmann. In den
letzten Jahren seines Lebens ist er für die Errichtung
des Hutten-Sickingen-Denkmals eifrigst bemüht gewesen
und das Zustandekommen desselben dürfte vornehmlich
seiner Thätigkeit zuzuschreiben sein.
* *
Dre Jägertruppe in Hessen zuerst er-
wähnt. Bis zum Jahre 1631 war Hessen-Kassel
nicht am 30 jährigen Kriege betheiligt, hatte aber
'durch die längere Einlagerung des zügellosen Tilly'schen
Heeres alle Schrecken eines Krieges auszuhalten.
Erst als im genannten Jahre Landgraf Wilhelm V.
sich unter schweren Gefahren persönlich zu Gustav
Adolf von Schweden in das Lager von Werben be-
-gab und dort ein folgenschweres Schutz- und Trutz-
bündniß mit ihm abschloß, war es Hessen beschieden,
in dem großen Kriege eine einflußreiche Rolle zu
Ipielen. Bon diesem Zeitpunkt an datirt die Er-
richtung des ersten stehenden Heeres in Hessen, da
sich Landgraf Wilhelm verpflichtet hatte, 12000
später 15000 Mann zu dem Heere des Königs
stoßen zu lassen. Unter den zuerst errichteten Truppen
finden wir auch drei Jäger-Compagnien genannt,
welche mit Büchsen, d. h. gezogenen Gewehren, be-
waffnet waren und zu deren Formation das hessische
Forstpersonal benutzt wurde. Diese Jägertruppe ist
die älteste in Deutschland, fand aber bald Nach-
ahmung; so in Bayern, wo 1645 Kurfürst Maximilian
drei Jäger-Regimenter errichtete, so in Brandenburg,
wo der große Kurfürst im Rheinfeldzug 1674 den
Infanterie-Compagnien einige „Scharfschützen" zu-
theilte. Zu nennenswerthen Formationen der Jäger-
truppe kam es in Preußen erst unter Friedrich demGroßen.
In den Nachrichten über das hessische Heer im
30 jährigen Kriege verschwinden die Jäger bald; das
Theatrum Europaeum erzählt nur im II. Band von
der Theilnahme der Jäger-Compagnien an dem
Sturm auf Fritzlar im August 1631 und an dem
Sturm auf Volkmarsen, wo für den Ueberfall des
hessischen Korps unter General von Uslar am
17. Juni 1632 Rache genommen wurde, ohne sie später
nochmals zu erwähnen. Der Ersatz durch geeignete
Forstleute oder, wie wir heute sagen würden, von
gelernten Jägern scheint bei den starken Verlusten
auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Allem Anscheine
nach wurden dre Jäger-Kompagnien nicht zu den größeren
Feldzügen, wie am Rhein und Main 1631, heran-
gezogen, sondern blieben zum Schutze des Landes
zurück, wo sie bei Aufhebung von Marodeuren oder
kleineren Streifschaaren geeignete Verwendung fanden.
Vielleicht sind die bald darauf in wechselnder Zahl
vorkommenden Frei-Compagnien, auch neue Compagnien
genannt, als eine Fortsetzung der ersten Jäger-
Compagnien zu betrachten, jedenfalls scheinen diese
Compagnien den Dienst der leichten Truppe versehen
zu haben. M.
* *
In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in der
Haupt- und Residenzstadt Kassel ein bürgerliches
Schützen-Korps errichtet, welches unter dem
Gouvernement stand und für das am 1. April 1594
eine besondere Ordnung, ein Exercierreglement er-
lassen wurde, wie die Schützen, namentlich Sonntags,
zum rechten Gebrauch ihrer Wehren abgerichtet werden
sollen. Die Uebungen im Schießen wurden durch
den D r i l l m e i st e r geleitet. Die Schützenkompagnien
bestanden bis zur westfälischen Zeit, wo sie als
Schützenbataitton der Nationalgarde einverleibt wurden.
Durch Kurfürst Wilhelm I. nach seiner Rückkehr in
sein Stammland wieder hergestellt, gingen sie 1830
in der Bürgergarde auf, für welche am 23. Juni 1832
das Bürgergarde-Gesetz erlassen wurde, bis auch die
Bürgergarde durch Verordnung vom 19. Dezember
1854 aufgehoben wurde. Der gegenwärtig hier
blühende „Kasseler Schützenverein" verdankt seine
Gründung dem am 11. Juli 1861 in Gotha unter
dem Präsidium des Herzogs Ernst von Sachsen-
Coburg-Gotha abgehaltenen Schützenlage, auf welchem
der „Deutsche Schützenbund" gegründet wurde.
Von einer Frau von Dal wigk erzählt G. Landau
im zweiten Bande seines bekannten Werkes „Die hessi-
schen Ritterburgen und ihre Besitzer", dieselbe habe
um das Jahr 1604 ihre Kinder und Kindeskinder
bis in den sechsten Grad, noch wohl und gesund, bei
sich geyabt. Es wurde hierauf folgender Vers gemacht:
Nater ait natae: die natae, filia, natam
Ut moneat, natae plangere filiolam.
D. h.: „Die Mutter sprach zur Tochter: Meine
Tochter: sage deiner Tochter, daß sie ihre Tochter
erinnere, daß ihrer Tochter Töchterchen weine."
K.
W. I. A. Frhr von Tettau, Geschichtliche Dar-
stellung des Gebietes der Stadt Erfurt und der Be-
sitzungen der dortigen Stiftungen. 14. Heft der
Jahrbücher der Königl. Akademie gemeinnütziger
Wissenschaften zu Erfurt (265 S. mit Karte). 1886.
Wir erwähnen dieses uns soeben zu Händen ge-
kommene Werk hier deshalb, weil es S. 109—117
eine ausführliche Geschichte der im Gebiete der Stadt
Erfurt gelegenen Fuldaischen und Hersfeldi-
schen Lehen enthält. Unter den bei der Abtei
Fulda zu Lehn gehenden Orten des Erfurter Ge-
bietes befanden sich insbesondere die seitens der Stadt
von den Grafen von Schwarzburg erworbenen Ort-
schaften Sömmerda, Schallenburg und Wenigen-
Sömmern, die gegenwärtig zum Kreise Weißensee
gehören, ferner die Dörfer Ranstedt, Ober- und
Niedermarpach, jetzt Wüstungen. Die Lehnbriefe
Friedrichs, Abts zu Fulda, aus dem Jahre 1388 be-
finden sich in dem Staatsarchiv zu Magdeburg.
H ers f e ldisch e Lehen waren Gebesee (Gebenhausen),
eine gegenwärtig zum Kreise Weißensee gehörige
Stadt, welche sich bereits 786 im Besitze der Abtei
Hersfeld befunden hat. Das dortige Schloß, der
Bärenstein, wurde im Jähre 1353 von der Abtei
Hersfeld dem Rathe zu Erfurt für 800 Mark
käuflich abgetreten, jedoch 1366 mit 787 M. wieder
eingelöst. Bei diesen Verhandlungen überließ der
Abt zu Hersfeld gleichzeitig dem Rathe für 735 M.
alle ihm zu Allendorf, Zimmern, Pferdingsleben und
Ermstedt zustehenden Gerechtigkeiten. Auch das Dorf
Werningshausen, eine jetzt zum Herzogthum Gotha
gehörige, zwischen Sachsen-Weimar und dem Kreise
Weißensee belegene Enklave, gehörte theilweise der
Abtei Hersfeld, theilweise den Grafen von Gleichen,
welch' letztere ihren Antheil bloß als Hersfeldisches
Lehn besessen zu haben scheinen, wenigstens erklären
sie in einer Urkunde aus dem Jahre 1230 „quia iu-
ris erat Hersfeldis ecclesiae, quam pheodi nomine
possideramus in bonis nostris Weringes hu&in.“
Von derselben Abtei gingen auch die Dörfer Jngau
und Willgenau zu Lehen, über welche Erfurt von der
Abtei Hersfeld 1409 (5. Nov.), 1440 (29. Septbr.),
1454 (7. Mai), 1474 (26. April) rc. rc., zuletzt
von dem Landgrafen Wilhelm von Hessen als Admi-
nistrator des säkularifirten Stiftes Hersfeld am
11. Dez. 1617 Lehnvriefe erhallen hat, die sich
sämmtlich im Magdeburger Archiv befinden. Die
genannten Orte sind zunächst 1507 wieder käuflich,
dann in Folge des Leipziger Recesses vom Jahre
1665 definitiv in den Besitz des fürstlichen Hauses
Sachsen gelangt.
Wir hatten bei dieser Gelegenheit die Mittheilung
für angebracht, daß in eben diesen Zeiten auch
zwischen Kassel und Erfurt eine innige Beziehung
bestand, indem viele Jahre lang die Erfurter Uni-
versität (bekanntlich bereits 1378 von Papst
Clemens VII. gestiftet, 1392 von Benedikt IX. ein-
geweiht und 1816 aufgehoben) von Kasselanern mit
besonderer Vorliebe besucht wurde. Auch hatte die
Stadt Kassel dort mehrere Stipendien. A.
KrirstMen.
A. T. in Wien. Den hochinteressanten Artikel erhalten.
Besten Dank und freundlichsten Gruß.
W. F. in Gersfeld. Die angekündigten Artikel sind
uns sehr willkommen.
A. V. in Brückenau. Wird berücksichtigt werden.
X. V. in Bebra. Gestatten Sie uns einige kleine Ab-
änderungen.
E Br. in Nauschenberg. Warum so schweigsam?
(1. H. in Hanau. Nochmccks unseren verbindlichsten
Dank für Ihre gütigen Bemühungen im Interesse unserer
Zeitschrift.
X. V. in Schwarzenfels. Ungeeignet.
G. L. in Kassel. Ihrem Wunsche um nähere Mitthei-
lung über die Verleihung der goldenen Rose an fürstliche
Persönlichkeiten am sog. Rosen-Sonntage durch den Papst
werden wir in einer der nächsten Nummern unserer Zeit-
schrift willfahren. Für diesmal mangelte es uns an Raum.
Inhalt der Nummer 7 des „Hessenland": „Frühling
am Rhein", Gedicht von Nataty von Eschstrnth; „Georg
Ferdinand Freiherr von Level (Forts.); „Mittheilungen
als Beitrag zur Geschichte des früheren kurhessischen I.
(Leib-) Husarenregiments, jetzt königlich preußischen I..
hessischen Husarenregiments Nr. 13", von einem früheren
Offizier dieses Regiments: „Die Doktorin Diede", eine
biographische Skizze von F. von Hohenhausen: „Krieg im
Frieden'", ein Genrebild aus der Roeocozeit von Joseph
Grineau; „Schloß Spangenberg^, Gedicht von Th. Kellner;
„Die Spennstow", Gedicht in Schwälmer Mundart von
Kurt Ruhn; „Schneeglöcklein", Gedicht von Karl Weber;
Aus alter und neuer Zeit: Bücherschau; Briefkasten.
Um doppelte Zusendungen unserer
. Zeitschrift und sonstige Weitläufig-
keiten zu vermeiden, ersuchen wir unsere geehr-
ten auswärtigen Streifband-Abonnenten, ihre
Bestellungen, soweit nicht andere Gründe be-
stimmend sind, bei der Post ihres Wohnortes auf-
zugeben und uns hiervon dnrch Korrespondenz-
karte gefälligst Mittheilung zu machen. Zu-
gleich bitten wie die geehrten auswärtigen
Streifband-Abonnenten, welche noch mit Be-
gleichung des Abonnements auf das 1. Quar-
tal im Rückstände sind, uns den betreffenden
Betrag durch Posteinzahlung gütigst übermitteln
zu wollen. Die Redaktion.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng er in Kassel. Druck von Will). Thiele in Kassel.
Das „HejsenlauL^, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von l1^ Ko-en Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts Vierteljährlich 1 Mark Sv Df-. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der P o st, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Heffeulaud" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Das hsirntirhe Kord
«s giebt geheime Schmeißen,
Sie klaget me der Mund»
Getragen tief im Herren
Sind sie der Welt nicht kund.
Gs giebt ein heimlich Sehnen,
Das scheuet stets das Licht,
Gs giebt oerbor'gne Thränen —
Der Fremde sieht sie nicht.
Gs giebt ein still Vergehen
Ln stummem, ödem Schmer;;
And Niemand darf es sehen,
Das schmerzgepreßte Her;.
Es sagt nicht, was ihm fehlet
And wenn's im Grame bricht,
Verblutend undzerguälet —
Der Fremde sieht es nicht.
Es giebt ein still Versinken
In eine inn're Welt,
Wo Friedensauen winke»,
Von Sternenglanz erhellt.
Wo auf gefallenen Schranken
Die Seele Himmel baut
And jubelnd den Gedanken
Den Lippen anvertraut.
Es ist ein sanfter Schlummer,
Wo süßer Frieden weilt,
Wo stille Vuh' den Lummer
Der müden Seele heilt.
Es giebt ei» schönes Hoffen,
Das Welten überstiegt,
Da wo am Herzen offen
Da« Her; voll Liebe liegt.
itrnfl gtardf»*)
*) Dieses unseres Wissens »»gedruckte Gedicht des uL-ekarmten hessischen Poeten Ernst Koch, des Verfassers vou „Priuz Ross-
Stramin", wurde uns vou freuudlicher Hand zur DeröffeutNchung üdergeden.
94
Georg Ferdinand Freiherr n. Kepel.
(1779—1873.)
(Schluß).
Anhang.
II.
Meine KeKamtschalt und Nkrhandlungru mit dem
Minister Freiherr« non «nd M Stein.
ls nach dem Allianzvertrag von Kalisch
die vereinigte russische und preußische
Heeresmacht nach dem Königreich Sachsen
vorrückte, verfügte sich auch der Freiherr von
Stein, welcher an die Spitze des Verwaltungs-
Departements der besetzten Länder gestellt worden
war, nach Dresden. Von dort ließ er durch den
eben dahin gekommenen nassauischen Minister
Freiherrn v. Gagern, meinem Herrn, dem Kur-
fürsten, schreiben beziehungsweise fragen: ob er
denn ganz unthätig bleiben und abwarten werde,
daß ihm die Alliirten sein verlorenes Land wieder
eroberten?
Dieser hatte kurz zuvor in Breslau den alliir-
ten Monarchen aufgewartet und seine Interesse
empfohlen; der Gagernsche Brief setzte ihn jetzt
in Verlegenheit, denn was konnte er von Prag
aus, wo er seit 1808 unter österreichischem
Schutz lebte, thun? Er schickte mich also am
21. April 1813 nach Dresden, um direkt oder
indirekt zu erfahren, welche Thätigkeit man denn
von ihm begehre? und diese Mission brachte
mich dann in Bekanntschaft mit dem berühmten
Mann. Durch Gagern vom Zweck meiner
Mission unterrichtet, ging er sogleich auf die
Sache ein. Der Kurfürst solle Truppen an-
werben, Waffen anschaffen und vor Allem Geld
zur gemeinschaftlichen Kriegs-Kasse zahlen, das
war sein Begehren. Auf meine Vorstellung von
der Unmöglichkeit der Truppenwerbung, so lange
Oesterreich noch nicht der Allianz beigetreten
sey, abstrahirte er davon, desto mehr aber be-
stand er auf den Geldleistungen, und ohnge-
achtet der Remonstration, daß meinem Herrn,
der seit länger als sechs Jahren von dem Wenigen,
was er gerettet, sich und seine ganze Familie
unterhalten müsse, keine bedeutenden Mittel zu
Gebote ständen, fertigte er mich mit einer Ant-
wort zurück, worin er begehrte, der Kurfürst
solle unter der Hand Gewehre und sonstige Ar-
matur anzukaufen suchen und bis zur Wieder-
besetzung von Hessen monatlich 50,000 Thaler
zu den Kriegskosten beitragen.
Nicht gering war der Schrecken meines Herrn
über diese Anforderung, indessen auf mein dringen-
des Zureden, wobei mich seine Suite unterstützte,
wurde ich schon in den letzten Tagen des Aprils
mit der Erklärung wieder nach Dresden geschickt,
daß er zwar nicht versprechen könne, auf längere
Dauer so ansehnliche Beiträge aufzubringen, daß
er aber innerhalb sechs Wochen 200,000 Thaler
in die Kriegs-Kasse einzahlen wolle. Höchlich
erfreut war Stein über diese Botschaft. Wie
haben Sie es nur angefangen, den geizigen Herrn
so schnell zu einer solchen Verwilligung zu
bringen? rief er; nimmermehr hätte ich das er-
wartet, es ist mehr als ich erwarten konnte,
denn offen gestanden, ich hatte etwas viel be-
gehrt, um nicht zu wenig zu erlangen, denn
Geld ist uns vor Allem nöthig. In 4 Monaten
sind wir hoffentlich in Kassel und dann kann er
mehr thun; danken Sie ihm aber recht sehr in
meinem Namen.
Ich war angewiesen, im Hauptquartier zu
bleiben, als aber nach der Schlacht bei Lützen
die Armee genöthigt wurde, die Elbe zu ver-
lassen, ließ mich Stein rufen. Die Schlacht ist
zwar nicht eigentlich verloren, sprach er, allein
so viel hat sich doch ergeben, daß die französi-
schen Streitkräfte den unsrigen, namentlich an
Infanterie, überlegen sind; die russische Armee
ist viel schwächer, als man vermuthete, freilich
sind bedeutende Verstärkungen unterwegs, sowie
auch die Truppen aus Preußen anrücken, vor
der Hand aber fühlt matt sich nicht stark genug
zu einer zweiten Schlacht und geht zurück, wie
weit? weiß man noch nicht, das hängt von Um-
ständen ab; was wollen Sie im Hauptquartier
machen ? Kehren Sie lieber nach Prag zurück,
trösten und beruhigen Sie Ihren alten Herrn,
und bringen Sie uns bald Geld; wir brauchen
es sehr. Wohl that es Noth, meinen Herrn zu
trösten, indessen cs gelang mir nicht das allein,
sondern ich betrieb so unabläßig den letzten Be-
fehl Steins, daß ich schon am 20. Mai Abends
mit 100,000 Thalern in guten Wechseln von
Prag abfahren konnte. Es war der Tag der
Bautzener Schlacht. Mit großer Noth gelangte
ich am 22. Abends zu Stein in dem von Truppen
überfüllten Lauban. Da in keinem Gasthof
Unterkunft zu finden war, ließ ich mich direkt
vor sein Quartier fahren. Daß er nicht in der
besten Laune war, brachten die Umstände mit
sich- Wo kommen Sie her? was wollen Sie?
fuhr er mich ziemlich unsanft an. Ich bringe
die Hälfte des versprochenen Geldes, Ew. Ex-
cellenz, erwiderte ich. Wirklich? schrie er, und
in diesem Augenblick? das erwartete ich' nicht,
und die Thränen traten ihm in die Augen.
Nun setzen Sie sich und erzählen Sie mir, wie
steht's in Prag? sind die Oesterreicher bald
fertig? Ich stehe zu jeder Auskunft zu Befehl,
entgegnete ich, doch vor Allem muß ich Ew.
Excellenz Verwendung anrufen, damit ich weiß,
wo ich mein Haupt niederlegen kann. O, rief
er. dafür ist bald Rath gefunden, ich habe eine
ganze Etage zur Verfügung; es soll Ihnen so-
gleich ein Zimmer angewiesen werden, lassen
Sie Ihre Sachen hinaufbringen und dann
kommen Sie wieder zu mir. Ich ermangelte
nicht, das zu thun. Später kam noch der Gene-
ral von Carlowitz zum Thee, auch Fürst Anton
Radziwill. Die Unterhaltung war ernst, der
Lage der. Dinge angemessen; es wurde sehnlich
der baldige offene Zutritt Oesterreichs zur
Allianz gehofft, der damals wohl noch sehr
zweifelhaft war. Kurz nach 9 Uhr wünschte
Stein allerseits gute Nacht.
Den andern Morgen sehr früh war schon
großer Lärm im Hause, auf Erkundigung erfuhr
ich, daß der Minister im Begriffe sei abzureisen.
. Ich eilte zu ihm und nun entspann ' sich
folgendes Gespräch:
„Guten- Morgen Ew. Excellenz, warum denn
so früh schon im Geschirr?"
„Es sind -schlechte. Nachrichten eingegangen;
die aüiirte.Armee ist in vollem Rückzüge und
wird-zum Theil diese Straße ziehen, da muß
man Platz machen. Sind Sie reisefertig?"
„Das bin ich jederzeit, nur werde ich Ew.
Excellenz wohl bitten müssen, mir zu Pferden
zu verhelfen."
„Wie so? habm Sie denn keine Pferde bei
sich?"
„Ich bin mit Postpferden von Zittau gekommen."
„Warum haben Sie die nicht behalten?"
„Wie hätte ich das gekonnt?"
„Et was, das thut jetzt Jedermann. Noth
kennt kein Gebot. Ich vermag nicht, Ihnen
Pferde zu schaffen, und wenn erst die Armee
kommt, erhalten Sie gar keine mehr. Doch ich
will Ihnen einen Vorschlag machen, setzen Sie
sich zu mir; viel Gepäck werden Sie wohl nicht
bei sich haben."
„Sehr wenig, aber was wird aus meinem Wagen?"
„Den lassen Sie hier stehen. Nehmen ihn
die Franzosen weg, so mag der Kurfürst Ihnen
den Werth ersetzen."
„Dessen bedarf es nicht, denn der Wagen ist
sein Eigenthum."
„Desto besser. Sie riskiren wirklich mit Ihren»
Gelde den Franzosen in die Hände zu fallen."
„Das verhüte der Himmel; ich will schon
sehen, wie ich nachkomme, denn ich kann mich
nicht entschließen, anvertrautes Gut im Stich zu
lassen. Wohin gehen denn Ew. Excellenz."
„Ueber Bärenberg nach Goldberg, wo wir
hoffentlich bleiben können."
„Ich hoffe Ew. Excellenz dort aufzuwarten,
und mich meiner Wechsel und meiner Briefe an
verschiedene Personen im Hauptquartier zu ent-
ledigen."
„Nun meinetwegen, zwingen kann ich Sie
nicht, doch meine Schuld ist es nicht, wenn Sie
von den Franzosen gefangen, oder von Maro-
deurs geplündert werden, und wie gelangen die
Kriegs-Kassen nachher zu dem Gelde?"
„Erlauben Ew. Excellenz mir eine Bitte,,
nehmen Sie meine Reise-Chatoulle mit, darin
liegen die Wechsel, nach Ihrem Befehle zur
Hälfte auf die russische, zur anderen auf die
preußische Kriegs-Kasse endossirt. Gelingt es,
mir nicht nach Goldberg zu kommen, so autori-
sire ich Ew. Excellenz sie zu öffnen und die
Wechsel abzugeben.
„Es wäre gewiß besser, Sie führen selbst mit;
doch wettn Sie durchaus nicht.-wollen, so bringen
Sie mir die Chatoulle."
Das that ich denn und-er fuhr ab..
Mit welcher Mühe und welchem Aufwand es
mir gelang fortzukommen, gehört nicht hierher,
genug ich traf den andern Morgen unbeschädigt
in Goldberg ein.
Noch war das-Städtchen ziemlich leer, allein
die Hauptquartiere waren angesagt, Stein seit
gestern dort. Er bewillkommnete mich sehr freund-
lich, doch gleich zum Geschäft übergehend fragte
er: Ich kann Ihnen nicht zumuthen in dieser
Verwirrung den Vorstand der russischen Kriegs-
Kasse aufzusuchen und will es übernehmen, die
96
50,000 Thaler an ihn sicher gelangen zu lassen;
allein es liegt mir daran, daß Sie die preußische
Hälfte selbst dem Minister Graf Hardenberg be-
händigen, er wird noch hier sein, ist da und da
einquartiert, verfügen Sie sich also gleich zu ihm
und bitten Sie ihn in meinem Namen, noch auf
einen Augenblick zu mir zu kommen, ich möchte
über Ihren Herrn mit ihm reden, es ist nicht
mehr als billig, daß etwas für ihn geschehe,
da er sich seines Versprechens auf so edle Art
entledigt hat; kommen Sie später ü in tortun«
du pot zu Mittag zu mir, dann wollen wir das
Weitere besprechen.
Dankend eilte ich mit meinen Wechseln in das
angegebene Quartier, doch es hieß: der Minister
sei bereits ausgegangen und werde auch nicht
wieder nach Hause kommen; sein Wagen werde
gerade zurecht gemacht, ihn abzuholen und direkt
auf das Gut eines alten Freundes zu bringen,
wo er die Nacht bleibe, wo? gab man vor nicht
zu wissen.
Mit diesem Bescheid kam ich zu Stein zurück.
Der fuhr auf: ich will Ihnen sagen, wo er ist,
ohnfehlbar bei seiner dermaligen Schönen, der
Staatsräthin X zum Dejeuner; die ist da und
da einquartiert, suchen Sie ihn dort auf und
lassen Sie sich nicht abweisen; er soll und muß
Sie sprechen. Es war wirklich so; Harden-
berg war eingeschlossen, und man wollte mich
abweisen, doch auf mein Drängen ließ er mich
ersuchen, ihn in seiner Wohnung zu erwarten,
wohin er alsbald kommen würde und auch wirklich
kam.
Mittags war Stein ganz aufgeräumt, be-
wunderte meinen Appetit und lachte herzlich, als
ich ihm meine Fata auf der Fahrt bis hierher
und namentlich erzählte, daß ich seit 3 Tagen
weder zu Mittag noch zu Abend gegessen, sondern
bloß von Kaffee, Brod und Obst gelebt hätte.
In Bezug auf die damalige Lage der Dinge,
sagte er: sie ist nicht so schlimm als sie scheint.
Wir sind geschlagen, aber nicht entmuthigt, der
Rückzug geht in größter Ordnung auf Schweidnitz
und Neiße, große Verstärkungen an Truppen
aller Gattungen sind im Anmarsch und zum
Theil schon nahe, an dem Beitritt Oesterreichs
zweifeln wir nicht, und dann werden die Dinge
eine ganz andere Wendung nehmen. Kehren Sie
nach Prag zurück und beruhigen Sie Ihren alte«
Herrn, und wenn Sie uns die anderen 100,000Thlr.
bringen, die wir sehr brauchen, so bringen Sie
Bollmachten mit, dann wollen wir einen Vertrag
mit dem Kurfürsten abschließen, wodurch ihm
auch Entschädigung für die erlittenen Verluste
dnrch Vergrößerung seines Landes zu Theil wird.
Ich habe mit Hardenberg gesprochen und er
ist einverstanden. Das Fürstenthum Fulda,
welches ihm am gelegensten wäre, können
wir ihm nicht zusagen, da es dem Fürsten von
Nassau-Oranien gehört, allein das Fürstenthum
Aschaffenburg darf der undeutsche Erzkanzler nicht
behalten, darin wird er Ersatz finden.
Leider kam es zu diesem Vertrage, wozu ich einen
Entwurf aufgesetzt hatte und den ich mit einiger
Aenderungen von Steins Hand noch besitze,
nicht. Der Rückzug der alliirten Arinee, der
Waffenssillstand von Reichenbach rc. hatten nieinen
Herrn entmuthigt, ich vermochte nicht ihn zur
Bezahlung der weiteren 100 mille Thlr. zu be-
reden, was preußischer Seits übel vermerkt wurde,
das russische Kabinet war ihm niemals sehr ge-
wogen. Als endlich nach dem Abbruch der Prager
Konferenzen, Oesterreich der Allianz beigetreten
war, klopfte ich zwar bei Stein, der sich einige
Wochen in Prag aufhielt, wieder an, wurde aber
mir der Bemerkung abgefertigt, daß nunmehr
nichts ohne Einverständniß mit Oesterreich und
England zu machen sei.
Drei Tage nach der Leipziger Schlacht sah ich
den Minister dort auf wenige Minuten, er hatte
zu viel mit der Organisation der Central-De-
partements, der Verwaltung von Sachsen u. s. w.
zu schaffen, um ein Mehreres zu thun, als
dringend anzuempfehlen, in Hessen soviel
Truppen als nur immer möglich aus die Beine
zu bringen. Hier war es, wo Graf Nesselrode
meiner Einwendung, daß es dem Kurfürsten
sehr schwer fallen würde in dem ausgesogenen,
durch den russischen Feldzug entvölkerten Lande,
eine bedeutende Truppeninaffe aufzustellen, mit.
dem bon-mot begegnete ah: l’Electeur est riche,
et pour de l’argent, ils se trouvent toujours
des gens qui se fönt tuer pourvivre
Ich folgte damals den Hauptquartieren nach
Frankfurt. Mittlerweile war Hessen als er-
worbenes Land in Besitz genommen worden und
wäre nicht der Kurfürst ohne Weiteres und gegen
die ausdrücklichen Vorstellungen des nach Prag
geschickten Gesandte» v. Kosten in sein Stamm-
land zurückgekehrt, so hätte man es ihm wahr-
scheinlich bis zum allgemeinen Frieden vorent-
halten. Als er in den letzten Tagen des November
nach Frankfurt gekommen war, den dort weilenden
Monarchen seinen Dank zu sagen, wollte man
ihn sogar hindern früher nach Hanau zu gehen,
als bis der AccessionSvertrag, worüber damals
unterhandelt wurde, unterzeichnet wäre. Stein
war sehr aufgebracht darüber; sagen Sie ihm,
erwiderte er auf meine Klage, er solle nur hin-
gehen, ich verantwortete er bei den Monarchen.
97
Eben so mißbilligte er auch, daß man begehrte,
der Kurfürst solle 24,000 Alaun ins Feld stellen,
und meinte 15—18000 seien das Richtige, doch
Humboldt beredete den Herrn, mich zu Ersteren
zu autorisiren. Mehr als 21,000 Mann zu-
sammenzubringen, war jedoch unmöglich, obwohl
man eine Anzahl verheiratheter Männer vom
Pfluge und aus der Werkstatt riß.
So oft ich in dieser Zeit dem Minister aufwartete,
war er artig und freundlich gegen mich, dessen
sich nicht Jedermann rühmen konnte.
Späterhin hatte ich jedoch eine heftige Scene
mit ihm, deren günstiger Ausgang den Beweis
gab, welches Rechtsgefühl ihn belebte.
Als im Herbst 1806 alle Rheiu-Bunds-Mit-
glieder über die unmittelbare Reichsritterschaft
herfielen, hatte auch der Kurfürst, obwohl dem
Rheinbünde fremd, vier theils in seinen Staaten
enklavirte, theils angrenzende ritterschaftliche
Orte in Besitz genommen, und als Bestandtheile
von Hessen waren sie erst unter französische
Administration, dann 1807 zum Königreich West-
phalen gekommen.
Weil es fuldaische Lehen waren, hatte das
französische Gouvernement von Fulda sie reklamirt,
indessen nach langem Streit hatte Napoleon schon
im Jahre 1810 entschieden, duß sie zu Westphalen
gehörten. Als daher im Spätherbst 1813 der
Kurfürst zurückkehrte, wurden auch diese Orte
iu Besitz genommen, die waffenfähige Mannschaft
den Linientruppen und der Landwehr einverleibt,
Steuern erhoben u. s. w. Plötzlich im Mai
1814 erschien dort ein Commissarius desCentral-
Berwaltungs - Departements und nahm sie im
Namen der alliirten Mächte in Besitz. Ich that
damals Kammerhrrrndienste und hatte mit inneren
Angelegenheiten nichts zu schaffen, erfuhr also
von obigem Vorgang nichts. Da ließ mich eines
Tags mein Herr eilig rufen. Stellen Sie sich
vor, redete er mich an, der Minister Stein hat
mir vier Dörfer weggenommen, da müssen Sie
gleich zu ihm nach Frankfurt, damit er sie wieder
heraus und mir Satisfaktion giebt. Das ist
ein kitzliger Auftrag, entgegnete ich, denn Stein
thut nichts ohne Gründe.
Erlauben E. K. D., daß ich mich auf dem
Ministerium genau aus den Akten unterrichte,
finde ich darin, daß Höchstdero Recht wirklich
gekränkt ist und ich das aktenmäßig zu erweisen
vermag, so übernehme ich den Auftrag, sonst
nicht, denn der Minister Stein weicht nur Rechts-
gründen.
Die Akten waren wirklich befriedigend und so
reiste ich wohlgemuth ad. In Frankfurt ver-
nahm ich, daß Stein auf etliche Tage nach Naffau
gegangen sei und reiste dahin. Mit sehr grausem
Gesicht empfing er mich, wie kommen Sie hier-
her'? fragte er. In Auftrag des Kurfürsten,
meines Herrn, erwiderte ich. So? das ist mir
gerade recht, was treibt der Kurfürst für Zeug?
setzt wohlverdiente Leute ab, läßt Wittwen und
Waisen verhungern, eignet sich Dinge zu, die
ihm nicht gehören, depossedirt ehrliche Käufer,
nimmt der katholischen Gemeinde iu Hanau ihren
Seelsorger, und so gings in einem fort,
bis ihm der Athem ausging. Exellenz, hub ich nun
an, reden da von Dingen, die mir zum Theil
ganz unbekannt sind, worüber ich also Auskunft
zu geben nicht vermag. Wegen der vier ritter-
schaftlichen Orte bin ich geschickt, und da ist
meinem Herrn Unrecht geschehen. Wie können
Sie das zu behaupten wagen? schrie er, wer
hat ihm das Recht gegeben, sie sich zuzueignen?
meint er, daß die alliirten Mächte sich das
werden gefallen lassen? und so gings wieder
fort. Als er ausgetobt hatte begann ich: Ich
habe Ew. Excellenz ausreden lassen, ohne Sie
zu unterbrechen, nun aber muß ich bitten, inich
auch ruhig anzuhören. Im voraus will ich be-
merken, daß, wenn Sie nach demjenigen, was
ich vortragen und beweisen werde, auf Ihrer
Ansicht beharren, der Kurfürst sich beruhigen
wird, allein, hier erhob ich meine Stimme, das
können und werden Sie nicht. Hoho, erwiderte
er, Sie reden sehr anmaßend; im Gefühle des
guten Rechts, versetzte ich fest. Nun so setzen
Sie sich und erzählen Sie.
Kaum hatte ich den Thatbestand vorzutragen
angefangen, unterbrach er mich: das ist unrichtig;
es ist nicht unrichtig, Ew. Excellenz sehen Sie
hier den Beweis, und damit legte ich ein Akten-
stück vor, hm, hm, murmelte er,-nun fahren Sie
fort, das ist wieder falsch, unterbrach er mich
bald wieder; es ist keineswegs falsch, hier der
Beweis, so gings noch öfters, mit jedem Be-
weise eines angeblichen Irrthums wurde er
ruhiger und freundlicher. Als ich vollendet hatte,
fragte er, können Sie mir den Aktenfascikel da
lassen? Mit Vergnügen. Nun so kominen Sie
zu Mittag wieder zu mir, dann wollen wir
überlegen, wie die Sache beizulegen ist.
Als ich mich wieder einstellte, war er ein ganz
anderer Mann. Hören Sie, sagte er sehr ver-
bindlich, ich habe mich überzeugt, daß ich durch
falsche Berichte des Commissarius in Fulda zu
einer Verfügung verleitet worden bin, die ich
nicht getroffen haben würde, wenn ich die wahre
Sachlage gewußt hätte.
Sie werden einsehen, daß ich mir oder viel-
mehr den alliirten Monarchen kein offenes
98
Dementi geben und die Besitzergreifung zurück-
uehmen kann. Allein ich werde Befehl ertheilen,
daß man die kurfürstlichen Behörden in der
Justiz- und Civil-Verwaltung, Steuererhebung rc.
in jenen Ortschaften in keiner Weise störe, dann
mögen die affigirten Patente hängen bleiben, bis
Regen und Wind sie herabfallen machen. Sind
Sie damit zufrieden? Begreiflich war ich es
und sprach meinen Dank aus. Das verdanken
Sie Ihren Akten, lachte er. Nun von etwas
Anderem.
Beim Mittagsessen war er sehr aufgeräumt,
und ich schmeichle mir, daß es mir gelang noch
einige meinem Herrn nachtheilige Ansichten zu
berichtigen. Wir schieden im besten Vernehmen.
Während des Wiener Kongresses wartete ich ihm
etlichemal auf, ihm das Interesse meines Herrn
zu empfehlen, doch sein Einfluß war damals
schon sehr im Sinken. Für die deutschen An-
gelegenheiten, insbesondere die Herstellung von
Landständen in den einzelnen deutschen Staaten
interessirte er sich vorzüglich. Darum ließ er
mir auch für die Note der nicht königlichen deutschen
Bevollmächtigten vom 16. Oktober 1814, wozu
ich den ersten Entwurf gemacht hatte, Anerkennung
zu Theil werden.
Im Jahre 1819 besuchte ich ihn in Nassau,
er war sehr freundlich, zeigte mir seinen Thurm
und Garten, von Geschäften war aber nicht die
Rede, so wenig als späterhin in Frankfurt, wo
er im Allgemeinen verstimmt und mit dem Gange
der öffentlichen Angelegenheiten wenig zufrieden
war. Vielleicht entfremdete mich auch die Oppo-
sition gegen Preußen, welche ich damals im
Interesse meines speciellen Vaterlands Hessen zu
manuteniren half, dem vormaligen preußischen
Minister, doch glaube ich seine persönliche Achtung
behalten zu haben, und bin stolz daraus.
gez. G. F. Frhr. von Lepel.
-----------— —
Mittheilungen
als Antrag M Geschichte des früheren kurhMchr« I. Eeibj-Hnsaren-Regiments,
jetzt lriiaigl. preußisches I. hesfisches Hasaren-Kegimeat Nr. 13.
Von einem früheren Officier dieses Regiments.
(Schluß).
f erselbe General Wutginau berichtet über die
hessische Cavallerie in der siegreichen Schlacht
bei Crefeld (23. Juni 1758):
„Die hessische Cavallerie hat sich unvergleich-
lich gehalten. Das Leib-Dragoner- und das
Leib-Cavallerie-Regiment haben großen Antheil
an dem errungenen Siege, indem sie die feind-
liche Cavallerie, auf die sie trafen, über den
Haufen warfen und zur Flucht nöthigten. Zu-
letzt noch ritten sie unter wesentlicher Unter-
stützung der von Lieutenant von Ende komman-
dirten Artillerie des Infanterie-Regiments Prinz
Karl zwei französische Cavaüerie-Regimenter nie-
der und eroberten 3 Standarten, eine davon
Oberst von Stein mit eigener Hand."
Nicht minder wird das Verhalten der Leib-
Dragoner- und aller hessischen Truppen in der
Schlacht bei Minden (13. August 1759) gerühmt.
Wutginau berichtet darüber an den Landgrafen:
„Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht treuen Hessen,
vom höchsten bis zum niedrigsten, Cavallerie,
Infanterie, keinen ausgenommen, muß nach
meiner Pflicht das Lob beimessen, daß jeder seine
Schuldigkeit mit ausnehmender Bravour gethan
und mit solchem Muthe und Tapferkeit dem
Feinde unter die Augen und in's Feuer nicht
gegangen, sondern gelaufen ist. Die hes-
sische Cavallerie hat sich sehr distinguirt und aus-
nehmende Proben ihrer Tapferkest erwiesen, wo-
von sie eroberte Kanonen, Fahnen, Standarten
und Pauken aufzuweisen hat."
Das Leib-Dragoner-Regiment selbst hatte eine
Fahne erobert, und kommen auf die ihm später
einverleibten Truppentheile an Trophäen dieses
Tages außerdem noch: 3 Kanonen, 3 Fahnen und
ein Paar Pauken. Nach dem Journal des Regi-
ments haben die Leib-Dragoner und andere
hessische Cavallerie an diesem Tage auch noch
unter dem Kommando des Generals von Urff
bei Verfolgung des Feindes dessen schwere Be-
gage erbeutet und 6 bis 700 Mann der Be-
deckung gefangen genommen. Nach einem Be-
richt des Regiments-Komandeurs General von
Hanstein haben die Leib-Dragoner in dem Ge-
fecht bei Duderstädt am 2. und 3. Februar 1761
mitgefochten und am 15. Februar bei Langen-
salza ein sächsisches Bataillon attaquirt und ge-
fangen genommen, dabei auch 1 Fahne und 3
Kanonen erobert. Der Berichterstatter schließt
mit den Worten:
„Cw. Hochfürstliche Durchlaucht werden mir
also zu Gnaden halten, daß dem löblichen
99
Regiment das Lob beilegen muß, daß cs sich in
der Attaque ganz cxtraordinair gehalten hat. Ich
nehme mir daher die unterthänigste Freiheit Ew.
Hochfürstlichen Durchlaucht dasselbe zu fernerer
hohen Gnade unterthänigst zu rekommandiren."
Nachdem das Leib-Dragoner-Regiment an den
Schlachten bei Vellingshausen am 16. Juli 1761,
bei Wilhelmsthal am 24. Juni 1762, bei
Grueningen am 25. August 1762 rühmlichen
Theil genommen, war ihm noch am Schluß des
blutigen Krieges ein besonderer Ehrentag am
11. September 1762 unter den Augen des Her-
zogs Ferdinand von Braunschweig in der Affaire
bei Atzenheim beschieden.
In dem Journal des kommandirenden hessischen
Generals vom 9. bis 14. September wird da-
rüber gesagt:
„Bei dem Rückzug kam die Arriöregarde ruhig
bis Atzenheim, wurde aber hier von dem Feinde
beunruhigt. Die Affaire wurde je länger, je
serieuser. Der Feind, wenigstens 1000 Pferde
stark, attaquirte unsere zu äußerst marschirenden
Truppen dergestalt, daß sie sämmtlich in Kon-
fusion zurückgingen und dem Leib-Dragoner-
Regiment dergestalt nahe kamen, daß selbiges
fast keine Zeit hatte, sich zu formiren. In-
zwischen that solches alles, was man von braven
Leuten erwarten konnte, es behielt alle conte-
nance, formirte sich in der äußersten Geschwindig-
keit und hieb in die feindlichen Escadrons so
iurioso ein, daß es selbige trennte, eine außer-
ordentliche ma88acre unter denselben anrichtete
und sie dergestalt zurückschlug, daß sie sich nicht
unterstanden, den Marsch unserer Arrisregarde
weiter zu beunruhigen. Gefangene wurden we-
nige gemacht, da die Leib-Dragoner sich mehr
bemühten, die Feinde niederzuhauen, als ge-
fangen zu nehmen.
Da das ganz außerordentlich brave Betragen
dieses Regiments im Angesicht des Herzogs
geschehen, so haben Hochdieselben noch an diesem
Abend im Hauptquartier zu Schweinsberg dem
Prinzen von Anhalt mit ganz besondern Aus-
drücken und Elogen Ihre Zufriedenheit hierüber
bezeigt und befohlen, dem Regiment in Höchst-
derselben Namen Ihre Danksagung abzustatten,
und daß die bezeigte Bravour und Conduite der
ganzen Armee bekannt gemacht und angerübmt
zu werden meritirte."—
In den für die hessischen Truppen so be-
schwerlichen und unglücklichen Feldzügen gegen
das französische Revolutionsheer in den Jahren
1792 bis 1795 in der Champagne, am Rhein,
in Flandern und Westphalen haben Mißgeschicke
aller Art die Manneszucht, den Muth, die Trene
und Ausdauer der braven Dragoner niemals zu
beugen vermocht, wohl aber werden zahlreiche
Beispiele ihrer vortrefflichen Haltung io der Ge-
schichte dieser Kriege erwähnt..
So theilt von Ditfurth in seinen Erzählungen
aus der hessischen Kriegsgeschichte Folgendes mit:
Am Morgen des 19. April 1794 passirte die
hessische Kavallerie (bei Denain) vor sehr über-
legenen Streitkräften einen Engpaß im gestreck-
ten Galopp. Da erscholl plötzlich von hinten dev
Ruf: Hessen Leib-Dragoner Kehrt schwenken, den
Oberst heraushauen, der Oberst ist gefangen.
Wie auf Kommando machte das Regiment Kehrt
und jagte zurück, stieß aber auf eine ebenfalls
im Galopp zurückgehende Escadron der hessischen
Carabiniers, wodurch ein furchtbares Gedränge
entstand. Allein das Regiment ließ seinen ge-
liebten Kommandeur Oberst v. Schenk nicht im
Stich, wenn auch bei dem erfolgten Zusammen-
stoß mit dem Feinde 6 Offiziere und 70 Dra-
goner theils den Tod fanden, theils in Gefangen-
schaft geriethen.
Ein österreichischer Offizier, Rittmeister von
Nasty, erzählt von den Leib-Dragonern in Flan-
dern in seiner Schrift „Züge aus dem Soldaten^
leben". Folgendes:
Ein aus hessischen Leib-Draganern bestehendes
Kommando machte ganze sieben Wochen lang in
dieser Zeit die Arrivregarde, kein Pferd wurde
abgesattelt und jedes den Abend aufgezäumt.
Offiziere und Soldaten legten sich neben ihre
Pferde, um auf den ersten Schuß bereit zu sein.
Das Regiment hat den ganzen Krieg über
mit den österreichischen Regimentern den gleichen
Dienst gethan, während es doch nur die halbe
Stärke hatte, also alles Ungemach, das unglaub-
lich groß war, doppelt getragen. Mit der größ-
ten Munterkeit haben sie allen Elementen, Hunger
und Durst Trotz geboten und es sich nie zu
Schulden kommen lassen, überfallen zu werden."
Wie das gesammte hessische Heer, wurde auch
dieses Regiment im Jahre 1806 beurlaubt.
Seine letzte Garnison war Fritzlar (3 Escadrons)
und Gudensberg (2 Escadrons).
Im Jahre 1809 erichtete Kurfürst Wilhelm
I. in Prag eine Escadron des Regiments, welche
aber noch in demselben Jahre nach Besiegung
der Oesterreicher wieder beurlaubt wurde. Diese
Escadron hatte an den Streifzügen nach Sachsen
und Bayern, an der Einnahme Dresdens und
dem Wilsdruffer Gefecht theilgenommen. Das
nach Wiederherstellung des Kurstaates wieder
einberufene Regiment war in den Freiheitskriegen
im Jahre 1814 bei den Belagerungen von Metz
und Thionville und im Jahre 1815 bei den Be-
100
lagerungen von Mezwres und Montmorency, so-
wie der Einnahme von Sedan und Longwy
thätig gewesen.
Als Standarte führte das Regiment in diesen
Feldzügen und dann bis zum Jahre 1866 die
der Escadron im Jahre 1809 von dem Kur-
fürsten verliehene.
Im Jahre 1866 fand der Uebergang des
alten Leib-Dragoner-Regiments, (zuletzt Ites
(Leib-) Husaren-Regiment) in einer Stärke von
17 Offizieren, 47 Unteroffizieren, 48 Gefreiten,
11 Trompetern und 172 Soldaten mit 42 Offi-
ziers- und 282 Dienstpferden in die preußische
Armee statt. Es wurde als 1. hessisches Husaren-
Regiment Nr. 13 formirt.
Am 10. November 1866 wurde ihm die Leib-
Escadron der aufgelösten knrhessischen Garde du
Corps als fünfte Escadron zugewiesen. Da
aber Mannschaft und Pferde sich alsbald als zu
schwer erwiesen, wurden diese unter andere Re-
gimenter vertheilt und am 1. August 1867 ans
der eigenen Manschaft die fünfte Escadron des
Regiments gebildet.
In ehrender Erinnerung an seine ruhmreiche
Wie wein Vater um 18
Die männliche Tracht.
^Nie filzenen Hüte sind sehr platt. Bon der
JP Einsegnung an tragen solchen Hut die
^ Männer; allgemeine und gewöhnlichste
Kopfbedeckung Erwachsener sind jedoch runde
pelzene Mützen. Die Burschen, d. i. Unver-
heiratete, haben hinwider rote tuchene mit
Seeotters-Verbrämung, oder aber grüne sammetne.
Will ein Verheirateter einmal keine pelzene Mütze
tragen, so wählt er eine grüne tuchene; desgleichen
auch ein älterer Junggeselle. Schnüren und Büschel
find golden und silbern. Dritte Art der Kopfbe-
deckung sind die Fu ch s p e lz e, mit und ohne Rute.
Die Hosen sind kurz; stets von weißem
Leinen oder von Leder. Daran befindet sich das
lange lederne Hosen- (oder Knies-) Band.
Die Strümpfe zumeist von blauer Wolle,
ohne Zwickel.
Ein wichtiges Stück der Schenkels-Bekleidung
sind die Gamaschen, wie durch Jahrhunderte
bei nahezu allen mitteleuropäischen Bevölkerungen.
Als ein Ueberstrumpf bei Kälte und Schmutz,
reichen sie zugleich übers äußerste Theil der
engen Hosen und vermitteln in vorteilhaftester
Weise den gesamten Schluß. Daheim nach
Vergangenheit erhielt das Regiment am 24. No-
vember 1866 die Standarte und die silbernen
Pauken der ehemaligen Garde du Corps von
dem General-Gouverneur Hessens, General der
Infanterie von Werder, zum Geschenk.
Daß die Hessen sich auch unter der neuen ihnen
am 3. Juli 1867 von Sr. Majestät dem König
von Preußen verliehenen Standarte dos Kriegs-
ruhms ihrer Väter würdig gezeigt haben, davon
geben die dem Regiment im Kriege 1870/71
verliehenen 5 eisernen Kreuze 1. und 101 eiserne
Kreuze 2. Klasse Zeugniß.
Es bildete die Divisions-Cavallerie der 22ten
hessischen Division. Unter der bewährten Füh-
rung des gegenwärtig kommandirenden Generals
von Heuduck nahm es an allen Kämpfen dieser
sich unverwelkliche Lorbeeren errungen habenden
Division theil.
Wie bei allen Menschen die Abstammung aus
edlem Geschlechte ein mächtiger Antrieb ist, dem
Beispiele der verdienten Vorfahren zu folgen, so
wird auch dieses Regiment sich stets bewußt
bleiben, daß es eine ruhmreiche Geschichte ererbt
und weiter zu führen hat. Das walte Gott!
23 die Kchniirlmer fand.
kotigem Gange abgezogen, stehet der Mann
l sauber und trocken da.
Die S ch u he mit breiten messingenen Schnallen,
durchstochenen Reihen- (Frist-,Spannen-) Leder
und mit Riemen, die weit heraus gehen.
Schwarze ieidene Halstücher; schmal; zu
vollem State dann mit seidenen gestickten Bän-
dern vorne.
Auf der Brust siehet man das Hemde, mit
eingenäheter schwarzer Krone und dem Namen.
Die Westen sind von blauem Tuche, mit
hellblauen Knopflöchern und Strichen auf den
Taschen. Die Abendmahls-Westen sind
schwarz. Die alltäglichen kommen mit der
Ermeljacke, die darüber gezogen wird, überein.
Keine Krage». Knopf sitzt an Knopfe in zwie-
fachen Reihen. Diese sind von gelbem oder
blauem Glase, oder stahlen mit messingener Ein-
faßung, oder aber messingen mit stahlenen Stern-
chen und kleinen solchen Platten. Hellblaues
Glanzleinen ist der Jacke Unterfutter. Hinten
keine Puffen, nur aufgeschlitzt; hier auch keine
Knöpfe, aber blaue Stickerei. An den Taschen,
die oben ebenwohl bestickt sind, und Kreusel-
klumpen haben, sind unten Zwickel.
101
Die gewöhnlichen 0 beirr öde sind von
weißer Leinewand — daher in niederhessischer
Mundart des Knülles die Schwälmer neben
„Weeßburen" auch „Wighßkirhrel" heißen —
mit einer Reihe großer messingener, einge-
bogener Knöpfe. Sie werden auch in der Kirche
getragen. I
Der tuchene Sonntags-Rock ist dunkel- ;
blau, ausgeziert wie Weste und Jacke; jedoch >
gehen Knöpfe auf einer, Knopflöcher auf anderer !
Seite bis unten hinab. Hinten sind keine !
Knöpfe. l
Der Abendmahls-Rock, als drittes Ge- j
wand, ist schwarz, hat große schwarz besponnene j
Knöpfe und zwar auch hinten zweie, sowie auf- ,
genährte Knopflöcher an beiden Seiten herab.
Die Ermel sind umgeschlagen, mit Knöpfen und
Knopflöchern.
Das nahezu bei Allen gelbe Haar wird auf
der Stirne nicht geschnitten. Gar stattlich sind
die Gestalten, obwohl nicht so gewaltig als in
manchen niederhessischen und buchischen Strichen
(zumal in den Aemtern Wildungen und Großen-
Lüder). Oft sitzt der Weißkittel auf hohem nack-
tem Rosse. —
Hier noch ein älteres Zeugnis. Im Spät-
herbste des Jahres 1794 ward in ganz Hessen
die „Landwehr zweites Standes" aufgeboten. —
Auf den 6. November zur Eides-Leistung nach
dem zwischen Ziegenhain und Traisa gelegenen
Felde — liechte Eiche genannt — hinbeschieden,
erschien sämtliche aufgebotene Mannschaft in
bestem Feiertags-Anzüge; nur einige, aber ge-
hörig Entschuldigte ausgenommen. Namentlich
waren die aus den vierzehen echten Schwäl-
mer Dörfern (mit Riebelsdorf) Ansgehobenen
ganz gleichmäßig in weiße Oberröcke, kurze
Hosen und lange Gamaschen gekleidet, auf dem
Haupte ihre volkstümliche große Pudelmütze,
die sie mit grünen Tannen-Reisern gleichwie
mit Federbüschen geziert hatten. So bemerkte
dann auch der Gouverneur von Ziegenhain:
General-Lieutenant v. Douop, in seinem Berichte,
man wäre versucht worden, die Leute nicht für
einen Haufen Bauern, sondern für eine aus-
erlesene Grenadier-Schar zu halten. Ueber-
nll der Ausdruck einer, des eigenen Werthes -
bewußten Wolanständigkeit. Mit lautem Zu- '
rufe und Jauchzen begrüßte die Mannschaft die
dem Regimente vom Landgrafen verliehenen
Fahnen, u. s. w.
Und heute l ? Gilt in dieser seichten verblaßten
Gegenwart noch ein schwacher Abglanz einstiger
-Gediegenheit und Schöne? Zerstörung altes
hehren Bolkstumes, das heißet Menschen-Fort-
schritt! Angetrunken, liederlich gekleidet, be-
schmutzt, so kömmt „jung-deutsche" Mannschaft
zur Gestellung. Dank aufgeklärter Erziehung
ist solche ja erhaben über Vorurtheile altväteri-
scher Sitte.
Die weibliche Tracht.
Durchgängig eine Art von Mützen, unten
mit sehr breitem seidenem Bande besetzt. Dieses
ist zur Trauer allgemein schwarz; desgleichen
Zeit Lebens bei Müttern, Hinwider bei Jung-
frauen und ungesegneten Gattinnen rot. Grund
der Mütze ist braunes Glanzleinen, das über
mit Zickzacken, Zweigen, Sternen und derlei in
roter, oraniger, grüner Wolle bestickt ist. Ein
Par breite Zubänder zum Schlunge um Hals
befinden sich daran, die aber zur Arbeit über
Rücken hangen. Zum Abeudmahle wird ein
steifes Tuch über die Mütze gewickelt, so daß
der Kopf wie in einer Wolke steckt. Auch grüne
oder blaue Mützen kommen gelegentlich vor.
Ein weißes Müeder mit Ermeln wird zur
Arbeit wie in Niederhessen getragen. Das eigent-
liche Müeder ist von schwarzem Leinen, weit
geöffnet und tief ansgeschnitten mit rothem ver-
kreuztem Schnürbande. Darbei sehen entweder
die Hemds-Ermel hervor, oder es sind hellblaue
geschmaltete leinene Ermel angenähet. Diese
sind aber kurz, oben und unten gepufft, in der
Mitte gesteppt und gleichfarbig bestickt. Ein
Stats-Müeder solcher Art ist von schwarzem
Tuche mit Samte eingefaßt; und hierbei wird
der kostbare Brustlatz getragen, von blauem
rothem, grünem Samte und golden bestickt. Bon
den Müedern unterschieden sie die Leiberchen
— „Knöppdinger" genannt — aus schwarzem
Tuche, mit schwarz - sammetnen gestickten Um-
faßungs-Bändern. Borne sind solche herzförmig
geschnitten, haben auch meistens keine Ermel.
Die Knöpfe sind von blauem Glase, oder wollene
bunte, mit Sternerchen übernähete; die Knopf-
löcher blau. Hinten haben die Leiberchen Zipfel.
Das Abendmahls-Leibchen ist vott schwarzem
Tuche, mit besticktem glattem Besätze Samtes
vorne, in zwiefacher Reihe; übrigens einfach.
Es wird zugehakt. —
Um den Hals werden dicke bernsteinene oder
glasperlene Schnüre getragen. Die Hals-
tücher sind von allen Farben und mancherlei
Gewebe und Stoffe. Borne werden sie einge-
steckt; hinten mit daran befestigten Bändern zu-
sammen gebunden. Diese hangen den Rücken
herab. Die Halstücher sind beinahe Hände
breit, reich bestickt, auch mit Golde und Silber.
Gerne sind sie von weißem Bildwerke oder grün
102
oder oranig; auch kommen schwarz-seidene Hals-
tücher vor, die hinten spitz herab hangen mit
weißen und gelben Elnfaßungs-Strichen. —
Die Röcke, die bei Mäderchen kürzer denn
bei Verheirateten sind, werden meistens von
schwarzem Leinen gemacht. Zur Arbeit werden
auch viel blaue leinene getragen, mit vraniger
Borte. An Sonntagen trägt man acht Röcke
über einander alle mit andersfarbigen Borten,
also daß man solche Anzahl auch gebürend
wahrnehme. Im Reigen erscheint die Tanzende
dann gleichsam als mit einem Regenbogen um-
woben.
Zum Abendmahle schickt sich nur ein schwarz
tuchener Rock mit gleichfarber Borte.
Die Schürzen, zum Abendmahle von
schwarzem Damaste, sind sonst schwarz, weiß,
blau leinene. Weiße gemeiniglich zur Arbeit,
mit breiten oranigen Borten eingerahmt. Die
Schürzen-Bänder sind wie die Rücken-Bänder.
Besondere Auszeichnung aber sind beide vier-
eckige Blätterchen an oberen Enden, bunt gestickt;
hier hat ein Tänzer die Hand ligen.
Die Strümpfe sind weiße leinene, mit ein-
genäheten weißen Zwickeln. —
Schuhe beider Geschlechter sind überein;
zum Tanze gelten bei Mäderchen auch Klötz-
schuhe.
Noch ist wegen der Abendmahls-Tracht einiges
anzuführen. Ueber die kurzen Ermel des Leib-
chens wird ein blauer leinener gezogen, der nur
bis zu halbem Arme reicht; darüber kommen
noch baumwollene, durchbrochen gestrickte Hand-
schuhe. Auch wird alsdann ein blaues leinenes,
viereckiges, gestreiftes Tuch in die Hand ge-
nommen. —
Schwälmerinnen machen all ihren Putz selbst,
und sind namentlich gar geschickt im Sticken. —
So schrieb also mein 87-jährig gewordener
Vater vor nun bald 62 Jahren in sein Reise-
Tagebuch durch unsere Gaue. Unser hessisches
Volkstum, das Jahrtausenden getrotzt hatte, ist
wesentlich der seit dem Jahre 1830 herein-
brechenden neuzeitlichen ungesunden Richtung er-
legen. — Was die Tracht angehet, so dürfte diejenige
des weiblichen Geschlechtes sich .noch einiger
Maßen, gegenüber städtischer Allfanzerei, doch
behauptet haben. Ist ja das weibliche Geschlecht-
in allen Dingen doch zäher und bewahrsamer,
in vielen Stücken gediegener, in mancher Hin-
sicht treuer denn das männliche. Obigen Auf-
satz wünschte ich aber wohl an der Schwalm ver-
breitet, damit er vielleicht erhalten helfe, was noch
vorhanden ist. Die Toten möchten mahnend
heute reden.
V. *»ft|»esv
^54
Krieg im Frieden.
Gin Genrebild ans der Rocorozeit von Joseph Grinean.
(Fortsetzung.)
^Ws war der Lieblingsaufenthalt der Fuldaer
J!f Fürsten des vorigen Jahrhunderts das kleine
Schlößchen, das da wie ein Juwel so
reizend versteckt in grüner Waldeshut, unterhalb
des Jagdschlosses Bieberstein, lag.
Als der Fürstabt Constantin von Butt-
lar den von Adalbert von Schleifras be-
gonnenen imposanten Viereckbau auf dem Berge
vollendet, da hatte er zugleich das weit ausge-
dehnte Waldgebiet darunter, in das er ein aller-
liebstes Bauwerk gestellt, mit einem Plankenzaune
befriedigt, um zahlreiches Edelwild dort zu hegen.
Sein Nachfolger Adolf von Dalberg um-
gab den schönen Wildpark dann mit einer Mauer,
und um diese auf billige Weise aufzuführen,
hatte er die Gepflogenheit, jeglichem Bittsteller,
der sich in immer welcher Angelegenheit an ihn
wandte, nur dann willfährig zu sein, wenn der-
selbe ein Stück Parkmauer errichtet hatte.
Auch Amand von Buseck, wenn er zur Sommer-
zeit einmal der schwülen Residenzluft entrinnen
wollte, kehrte am liebsten im „Schlößchen" ein,,
wohin er sich aber meistens ein ansehnliches Ge-
folge von Prälaten und Hofleuten mitnahm.
Kaum war er heute angekommen, so ließ sich
auch schon der Hauptmann Lindenau melden.
Der Fürst empfing ihn in einem behaglichen
kleinen Cabinet mit schönen Gobelinstapeten, wo
er immer seinen „Kriegsrath" mit ihm pflog.
Ganz aufgeregt berichtete der Hauptmann das
bedeutsame Ereigniß, daß vor. ungefähr einer
Slunde ein sehr verdächtiges Subjekt in die
Außenwerke der Festung geschlichen sei, aller
Wahrscheinlichkeit nach von den Würzburgischen
ausgesandt, um den Plan auszukundschaften, und
daß man deshalb Alles aufbieten müsse, den ge-
fährlichen Spion einzufangen.
„Warum echaufsiren Sie sich so sehr", mein
lieber Lindenau?" staunte der Fürst. „Der
Festungsplan hat ja leider keine Bedentung mehr;
— was liegt daran, wenn sie ihn in Würzburg
kennen.
103
Aber der in Kriegssachen bestellte Rath sah
Loch weiter als sein Fürst und Herr. „Mit
Verlaub, hochfürstliche Gnaden," versetzte er,
„wenn die Würzburgischen, die uns ja stets feind-
lich gesinnt waren, den Stand unserer Opera-
tionen auskundschaften, so werden sie sofort nach
Wien berichten, daß Ew. hochfürstliche Gnaden
Len Weiterbau der Festung trotz der Ordre vom
Reichshofrath nicht eingestellt hätten; um dieses
aber zu vereiteln, darf der Kundschafter nicht
zurückkehren, er muß fest gemacht werden."
„Ja, er muß fest gemacht werden," wieder-
holte der Fürst, der die Kriegserfahrung seines
„lieben Lindenau" sehr zu schätzen wußte. „Er
muß fest gemacht weeden und sei es auch nur,
um unseres Herrn Bruders Liebden in Würz-
burg zu zeigen, daß Wir Uns solche freche Spi-
onage nicht gefallen lassen. Wir wollen ein
Exempel statuiren und damit documentiren, daß
auf unserem Gebiete nur unser souveräner Wille
gilt."
Mit voller Herrscherwürde hatte Amandus
diese Worte gesprochen, dann entließ er gnädig
den Hauptmann, damit dieser Alles zur Ergrei-
fung des würzburgischen Spions aufbiete.
Das aber war eine prächtige Gelegenheit für
Len Hauptmann, sein Feldherrngenie in das
hellste Licht zu stellen. Er zauderte dann auch
nicht, sogleich einen kleinen fröhlichen Feldzug
in Scene zu setzen; die fürstlichen Leibhusaren,
die sich's gerade in der Wachtstube bequem ge-
macht und ihre trockene,» Reiterkehlen mit einem
kühlen Trunk aus dem Hoskeller anfeuchten
wollten, wurden plötzlich alarmirt und erhielten
die Ordre, das ganze Waldgebiet abzustreifen
und den landesgefährlichen Spion gefangen zu
nehmen. Wer ihn ablieferte — todt oder lebendig
— dem sollte eine Belohnung von zehn Gulden
werden!
Und um das Ereigniß noch ganz besonders
effektvoll zu gestalten, wurden sogar die neuen
Kanonen auf der Feste eingeweiht, deren Donner
an den umgebenden Waldbergen ein vielfältig,
dröhnendes Echo weckte. — Auf diese Weise
sollte die Landbevölkerung von der Flucht in
Kenntniß gesetzt werden.
Doch siehe, alle Nachforschnngen blieben ver-
geblich. Und das war kein Wunder, saß doch
der, dem sie galten, bereits in sicherem Gewahr-
sam, in dem er sich selber unfreiwillig festgesetzt
hatte.
Als nämlich Kilian, die schwere Thüre des
Thurmgemaches hinter sich zugeworfen, da war
-er Riegel an dem alten Thürschloß vorgesprungen,
und wie er nun, — nachdem er genugsam Um-
schau von oben gehalten — wieder hinab wollte,
war die Thür verschlossen und widerstand allen
Kraftanstrengungen. Nachdem er lange gewalt-
sam daran gerüttelt und geschüttelt hatte, ergab
er sich schließlich in sein Schicksal, das am Ende
ja auch gar nicht so schlimm war, da es ihm
wenigstens ein freies Nachtquartier gewährte;
— am anderen Morgen wollte er sich schon be-
merkbar machen, da sollte sein Horn erschallen
wie die Posaune von Jericho, damit sie ihn hör-
ten und aus seinem Gefängnisse befreiten.
An Unterhaltung fehlte es ihm indessen nicht,
wenn er sie auch nur aus der Vogelperspektive
genoß. Unten hatte sich die glänzende Hofge-
sellschaft jetzt um eine Kegelbahn versammelt,
die sich längs einer barock verschnittenen Taxus-
wand hinzog. Denn Amand von Buseck betrieb
das Kegelschieben mit Leidenschaft und seine
frohe Laune hob sich mehr und mehr, als er
heute fast alle seine Cavaliere übertraf, und nach-
dem er geworfen, der aufstellende Lakai jedes Mal
„Sieben Gnädige!" oder „Acht Gnädige!"
ausrief.
Aber der Meisterwurf sollte noch koinmen.
Wieder flog die Kugel, geschleudert von der hohen
Hand mit kraftvollem Schwung rappelnd in's
Volle, und „Alle gnädige Neune!" ertönte
es jubelnd und langgezogen vom Ende der Kegel-
bahn her.
Mit tiefen Reverenzen beglückwünschten nun
die Cavaliere den fürstlichen Sieger, aber die
sich gesenkten Köpfe hoben sich verwundert, als
plötzlich eine schmetternde Siegesfanfare geblasen
wurde, die aus den Lüften — man wußte nicht
woher? — zu kommen schien. —
Doch vergaßen die Herren über ihrem Sporte
auch nicht die großen Pokale, welche der Mund-
schenk mit köstlichem Naß gefüllt hatte; denn in
in dieser Beziehung hätte es am Fuldaer Hös-
chen nicht besser bestellt sein können, und selbst
die Würzburger mußten hierin die Segel strei-
chen; — so stolz diese auf ihren „Stein" und
„Leisten" sein konnten, die Krone blieb doch
Fulda: — der edle, edle Johannisberger!
In mächtigen Stückfässern lag er in dem Keller
des Schlößchens aufbewahrt und auch eine andere
Sorte vvn höchster Vortrefflichkeit fand sich da-
neben: der Salecker, der gleichfalls ein
vaterländisches Gewächs war.
Als cs dunkel geworden, zogen sich die Zecher
in's Schlößchen zurück, aus dem noch lange ihre
fröhlichen Stimmen ertönten, nnd die Fenster
hellen Schein warfen.
Dann verlöschten die Lichter und tiefe Ruhe
umfing den kleinen Bau. Nur in den Wipfeln
106
Kenz.
Hast du, wärmende Lenzessonne,
Heißen Abschiedskuß auf das silberhaarige.
Sterbende Haupt
Greisen Winters gedrückt
Und bei Zephyrs Gesang durch helle,
Gold'ne Strahlen Blumen und Gräser, Wiesen und
Auen und Hag
Langem Schlummer erweckt;
Dann entsprießet des Dichters Busen
;>.aanches Lied von minnigem Gruß, und sehnende
Liebe entquillt
Ueberströmend der Brust.
Still! die Nachtigall jubelt. Hörst du,
Wie der Abendwind in den Bäumen lispelt und
Flüstert und raunt?
Hörst du, hörst du es wohl?
Und da drunten im Thäte einsam
Ruht und träumt beim Ton der Schalmei der
fröhliche
Hirte, nur dich,
Dich im Herzen, Natur!
Johann KerrraUev.
Aphorismen.
Wenn wir immer nur dem Verstände folgen
wollten, so würde manche schöne und edle That
ungeschehen bleiben. Auch die Stimme des
Herzens weist uns oft auf den rechten Weg,
räth uns was wir zu thun oder zu lassen haben
und leitet uns als sicherkundiger Führer zum
Ziele.
* *
*
Die Thorheit liebt zu schwatzen, die Weisheit
aber kargt mit Worten, werk ihr diese als Ver-
mittler von Gedanken gelten.
* *
*
Wer Null und Nichts zu verbinden sucht, wird
immer einen glatten Rechnungsabschluß haben,
ein Facit, das an Klarheit nichts zu wünschen
übrig läßt.
* *
*
Drei Dinge sind, die jedem Manne zur Zierde
gereichen. Nur selten von sich selbst, von den
Verdiensten Anderer mit rückhaltloser Anerkennung
und niemals um des Redens selbst willen zu
reden.
Wie auch das klarste Bild in erkrankten Augen
getrübt oder verzerrt erscheint, so gerathen in
konfusen Köpfe» selbst die einfachsten Wahrheiten
in Verwirrung, verwandeln sich in Seltsamkeiten
oder Marotten, die besonders da bedenklich werden,
wo sie Anspruch aus eine ernste Würdigung er-
heben.
* #
* ,
Aller Gesänge mächtigsten nenne ich Dich, ur-
ewiger Dreigesäng der Zeittöchter, deren die
älteste vom Gewesenen, die andere von dem was
ist und mit tiefherabgezogenem Schleier die dritte
vom Zukünftigen fingt; — inhaltlich verschiedene,
aber in gleichen Rhythmus tönende, sich gegen-
seitig ergänzende und erklärende Strophen, wie
die dreigestaltige Mutter sie lehrte, die eud-
und anfanglose. Alles bewältigende, den Willen
der Menschen und Götter zwingende Zeit.
* *
Um den Weg zum wahren Glücke finden zu
können, müssen uns zwei Gefährten zur Seite
gehen, zur linken die Liebe und zur rechten die
Freundschaft.
* *
*
Ein kluger Musiker stimmt erst sein Instrument,
ehe er seine Weisen spielt, und ein Verständiger
bedenkt und prüft zuvor, was er sagen und ge-
hört wissen möchte.
Aus alter und «euer Zeit.
Nekrolog. Wenige Wochen sind verflossen, seil wir
das Hinscheiden eines rühmlichst bekannten hessischen
Künstlers, des Geheimen Hofraths Ludwig Sigismund-
Ruhl, des ehemaligen Direktors der hiesigen Akademie
der bildenden Künste, zu melden hatten, heute liegt
uns die Pflicht ob, einem seiner hervorragendsten
Schüler den Nachruf zu widmen. Am 31. März
starb zu Düsseldorf an Herzlähmung der Land-
schafts- und Genremaler August Lev in von
Wille. Derselbe wur 1829 zu Kassel geboren, wo
sein Vater als Konsistorialdirektor wirkte. Seine
Mutter, eine geborene v. Hachenberg, war vom Land-
graf Friedrich II. über die Taufe gehalten, worden,
nnd seine Großmutter versah die Funktionen einer
Hofdame bei der Landgräfin Philippine. Schon
frühzeitig zeigte A. L. v. Wille Neigung nnd Talent
für die Malerei. Sich für diesen Beruf vorzube-
reiten und auszubilden, hatte er an der kurfürstlichen
Akademie der bildenden Künste die beste Gelegenheit.
Sein specieller Lehrer wurde der noch lebende hoch-
betagte, als Künstler Lehrerund Schriftsteller gleich aus-
gezeichnete Professor Friedrich Müller. Nachdem Wille
seiner — als Künstler einjährigen — Militärpflicht
bei dem hessischen Jäger-Bataillon genügt, wandte
107
er sich nach Düsseldorf, um auf der dortigen Akade-
mie seine künstlerische Ausbildung zu vollenden. Daß
schon das, was er an Arbeiten mit nach Düsseldorf
brachte, höchst beachtenswerth war, beweist der Um-
stand, daß jüngeren Schülern seine Landschaften zum
Kopiren übergeben wurden. Abgesehen von einer
Unterbrechung von wenigen Jahren, die er in Wei-
mar verbrachte, hat Wille bis zu seinem Tode in
Düsseldorf gewirkt und ist selbst als einer der her-
vorragendsten Vertreter der nach dieser Stadt be-
nannten alten Schule anzusehen. Mit reichem tech-
nischen Können verband der Verewigte eine warme
poetische Auffassung. Mit besonderer Vorliebe be-
handelte er romantische Vorwürfe. Zuerst zeichnete
er u. A. phantastische Park-Kompositionen. Zu
prächtigen Mondscheinlandschaften suchte er die Sujets
am Rhein und an der Mosel auf und versah sie oft
mit mittelalterlicher Staffage. Auch in seinen^späte-
ren figürlichen Werken ist er dem ihm von Jugend
auf eigen gewesenen Zug der Romantik treu geblieben.
Kräftige Farbe und musterhaft sorgfältige Zeichnung
sind besondere Vorzüge seiner sehr zahlreichen Arbei-
ten, von denen auch eine sich im Besitz des Kunst-
vereins zu Kassel befindet. Von seinen Werken
wollen wir hier die folgenden besonders hervorheben:
Der Elisabeth-Brunneu auf der Wartburg, das Wart-
burgthor, Hundefütterung, (Genrebild), Waldland-
^chaft mit Jagdstaffage, der innere Hof der Wartburg
mit Luthers Ankunft, Wirthshausleben im 17ten
Jahrhundert, Luther in Haft gebracht, Besuch im
Kloster, Straße in Marburg bei Mondschein und
Brand der Düsseldorfer Akademie. A. L. v. Wille
war auch von Charakter ein edler liebenswürdiger
Mensch. Seine ihm schon längere Zeit im Tod vor-
ausgegangene Gattin — die bekannte Thiermalerin
Clara v. 'Böttcher — beschenkte ihn mit drei Kindern,
zwei Söhnen und einer Tochter. Die letztere starb
in noch sehr jugendlichem Alter und der älteste Sohn,
welcher Offizier war, wurde vor mehreren Jahren im
Pistolen-Duell getödtet, welcher Schicksalsschlag den
Vater auf das Schmerzlichste traf. Der ihn überlebende
Sohn ist ebenfalls Maler und dürfte eine bedeutende
Zukunft haben. Z.
* *
*
Ueber die Rathhäuser der Stadt Kassel.
Die in einer der letzten Sitzungen des Bürger-Aus-
schusses vorgekommene Besprechung der Rathhaus-
Frage giebt Veranlassung, die Geschichte der Rath-
häuser in unserer Stadt zu erörtern. Bekanntlich
hatte jeder der beiden älteren Stadttheile: Altstadt
And Unterneustadt, sein besonderes Rathhaus, und
mit Erhebung des dritten Stadttheils, der sog. Freiheit,
um das Jahr 1330 unter Landgraf Heinrich II., dem
Eisernen, kam noch ein drittes hinzu. In Folge der
-einige Jahrzehnte später ausgebrochenen Unruhen wurde
nach deren Beilegung durch Vertrag der bisherige
-reifüche Rath der Stadt Kassel abgeschafft und be-
stimmt, dciß künftig nur ein Rath sein solle(1378).
Folgeweise bedurfte es nunmehr auch nur eines Rath-
hauses, und dies war denn das Rathhaus der Alt-
stadt auf dem Allmarkt. Dasselbe befand fich an
der Stelle, wo jetzt das Haus des Kaufmanns Lorentz
ist, Nr. 29 Altmarkt am Eingänge der unteren Markt-
gasse. Von diesem ältesten Rathhause der Stadt ist
aus der Geschichte nur bekannt, daß daselbst im
Jahre 1375, also noch zur Zeit der obigen Unruhen
eine Versammlung von Bürgermeistern und Abge-
ordneten der Städte Hessens „diesseits des Spießes",
also der niederhessischen Städte tagte, um über die
vom Landgrafen gestellte Forderung eines allgemeinen
Ungelds auf Lebensbedürfnisse einen Beschluß zu
fassen, welcher natürlich dem Landesherrn nicht zu-
sagte.
Im Jahre 1408 wurde ein neues Rathhaus nicht
weit vom alten in der Fischgasse aufgeführt, welches
bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts bestand,
wo es zur Verbreiterung der Straße abgerissen wurde.
Seitdem wird das ursprünglich nur für die Ober-
neustadt bestimmt gewesene und dazu auch genügende
Rathhaus als solches für die ganze Stadt benutzt.
Die von Vielen gehegte Hoffnung, ein den Verhältnissen
entsprechendes, auch durch seine äußere Schönheit her-
vorragendes Gebäude mitten in der Stadt zu erschauen,
ist leider bis jetzt nicht erfüllt worden, obgleich sich
manche kleine Städte eines derartigen Schmucks er-
freuen.
Der Zweck dieser Zeilen ist:
1, Näheres über das erwähnte älteste Rathhaus
der Altstadt, sowie über die Lage der Rathhäuser
der Unterneustadt und der Freiheit zu erfahren;
2. Die Anlegung eines Rathhauses in der Mitte
der Stadt, etwa durch Benutzung und Ausbau des
derselben für Aufgebung des Einquartierungs-Frei-
heits-Privilegs überlassenen bisherigen Regierungs-
gebäudes anzuregen. K. U.
* . *
*
Am 1. d. M. schied aus dem Amte der Direktor
des Gymnasiums zu Ko bürg, Oberschulrath Dr.
Karl Weismann. Nach einer über 30jährigenreich
gesegneten Wirksamkeit in unserem Hessenlande folgte
derselbe dem ehrenvollen Rufe als Direktor an das
Gymnasium illustre zu Koburg. Am 9. November
1885 feierte er unter allgemeinster Theilnahme seiner
früheren Schüler das fünfzigjährige Dienstjubiläum.
Seine letzten Schüler brachten ihrem hochverdienten
und geliebten Direktor an dem Tage seiner Amts-
niederlegung einen imposanten Fackelzug, welchem sich
ein Kommers anschloß. Möge dem hochverehrten
Manne als Lohn für sein der Erziehung und Bildung
der Jugend geweihtes, arbeitsreiches Leben ein heiteres
Alter in rüstiger Gesundheit und ungetrübter Geistes-
frische beschieden sein. A.
* 4r *
Mit dem 1. April ist der Präsident der Justiz-
prüfungskommission und vortragende Rath im Justiz-
ministerium Dr. Adolf Stölzel zum ordentlichen
Honorarprofessor in der juristischen Fakultät der
Universität Berlin ernannt worden. An der Berliner
Universität ist diese unserem Landsmanne zu Theil
gewordene Auszeichnung eine seltene. Seit Errichtung
der Universität wurden bis jetzt nur 9 Gelehrte zu
108
Honorarprofessoren gewählt': der Philosoph Hartig;
die Theologen Theremin, Frommann, v. d. Goltz,
Brückner; ferner Generalarzt Lauer, Aegidi, Lazarus
und der Chirurg Edm. Rose. A.
* . *
$ >
Gegen Ende März d. I. stieß in Ertzebach;
einem kleinen Waldorte bei Hersfeld, ein Bauer beim
Graben auf einen mit Brakteaten, d. h. blatt-
ärtig dünnen Silbermünzen, gefüllten Topf. Im
Ganzen mögen es gegen 150 Stück gewesen sein,
die aber nicht alle in einer Hand vereinigt werden
konnten. Die meisten gehörten ihrer Umschrift nach
den Aebten Siegfried von Hersfeld 1180—1200 und
J'chann I. von Hersfeld 1201—1213 an. Außer
diesen sind noch einige Dynastenbrakteaten vorhanden.
Die Größe der Stücke beträgt etwa diejenige eines
2 Thalerstücks, nur sind sie natürlich viel dünner; die
Erhaltung und Prägung ist vortrefflich, überhaupt
gehören diese Brakteaten zu den schönsten, welche je-
mals in Hessen gefunden sind. O.
Hessische Kiicherscha«.
„Der Born der Liebe. Eine hessische Sage.
Dichtung in zehn Gesängen von Hugo Freder-
king. Bromberg. Mittler'sche Buchhandlung (E.
Fromm) 1885." Der Inhalt der hessischen Sage,
welche der Verfasser seinem Epos zu Grunde legt,
ist kurz der folgende:
Ein junger Handwerksmeister liebt die einzige
Tochter des Bürgermeisters von Spangenberg. Letzterer
sucht seinen Lebensruhm darin, den Mitbürgern eine
Quellenleitung zu verschaffen; diese Aufgabe
kostet Geld und unsägliche Schwierigkeiten. Der
Alte läßt sich zur Verbindung seiner Tochter mit dem
von ihm gehaßten Neffen unter der Bedingung her-
bei, daß letzterer in einem Jahre das Brunnenkunst-
stück vollbringe. Die Fertigstellung des Brunnens
wird schließlich durch den Tod der beiden Liebenden
erreicht, welche an den Folgen der überanstrengenden
Arbeit sterben. Der halb wahnsinnige Bürgermeister >
sieht sein schwer errungenes Werk Abstehen und endet
dann gleichfalls.
Ort und Zeit, in welcher der Dichter uns versetzt,
sind uns durch Kinkels Dichtung „Otto der Schütz"
nahegerückt. So haben wir einen festen Boden unter
den Füßen und Frederking versteht es, diesen historischen
Hintergrund in geeigneter Weise zu verwerthen.
Gut ist die Charakteristik der einzelnen Personen, die
in lebensvoller Wirklichkeit vor uns treten; die Be-
handlung zeugt von poetischer Begabung und Form-
talent, nicht zum Mindesten in den eingestreuten Lieder,
obwohl diese den epischen Charakter des Ganzen zu
durchbrechen scheinen. In Bezug auf die Behandlung
des Reimes möchten wir wünschen, daß der Verfasser
bei einer zweiten Auflage noch etwas nachfeilen wollte.
Wir glauben, daß das Buch (dessen Preis bei elegantem
Einband 4 M. beträgt), in Hessen viele Freunde ge-
winnen wird, um so mehr, als es ein erfreuliches
Zeichen ist, daß auch in unserer Zeit die strengere
epische Dichtung noch Jünger findet. S.
Heim athskunde von Kassel und Um-
gegend. Bearbeitet von A. Gltd, Kassel. Ver-
lag von Ferdinand Keßler. 1885. Preis 60 Pfg.
Die vorliegende Schrift ist keineswegs nur Schulbuchs
sie biejet vielmehr auch des Interessanten genug für
jeden Bewohner von Kassel und Umgegend, dann aber
auch für jeden Auswärtigen, der Kassel und seine Um-
gegend kennt oder genau kennen lernen will, wie ins-
besondere noch für jeden Lehrer, der seinen Heimathsort
und dessen Umgegend, gemäß den neuesten Forderungen
der Methodik an den hochwichtigen Gegenstand der
speziellen Heimathskunde, bearbeiten will. Dazu ent-
hält das Büchlein eine Beschreibung des Regierungsbe-
zirks Kassel, die für jede Schule in der vorliegenden
Form benutzt werden kann. Der Bewohner von Kassel
findet in demselben den wesentlichen Inhalt der Ge-
schichte von Kassel (man könnte das Büchlein iu
diesem Sinne den „Kleinen Piderit" nennen), der
Auswärtige einen „Führer", der nichts Wesentliches
unerwähnt und unerklärt läßt, der Lehrer ein brauch-
bares Unterrichtsmittel. Wir empfehlen daher
das Büchlein auf das Angelegentlichste. Z.
Knestksie«.
Mehrere Mitarbeiter. In Folge eines Versehens^
das wir zu entschuldigen bitten, erfolgt theilweise erst
heute an dieser Stelle die Beantwortung mehrfacher an
uns gerichteter Briefe u. s. w.
F. T., J. L. in Kassel, C. Pr. Wächters bach^
H. Fr. Bromberg. Wird baldigst benutzt.
R. T. Kassel, E. B. Marburg, J. T. Sontra,
A. 8. Arnstadt. Bereits Gedrucktes können wir nicht
verwenden. Wir bitten Sie daher, uns recht bald durch
Einfeudung von Originalbeiträgen zu erfreuen.
Ehemaliger Hcrsfelder Gymnasiast, Kassel. Würden Sie
uns nicht Ihre Adresse angeben? Wir hätten mit Ihnen
wegen etwaigen Abdruckes Ihrer Einsendung Rücksprache
zu nehmen.
R. Hanau. Wird nach Wunsch besorgt.
Nach Frankfurt a. M. Mit dem Artikel „Die Schätze
des alten Kurfürsten" beginnen wir in der nächsten
Nummer unserer Zeitschrift.
R. J. Colima (Mexiko). Freundlichsten Dank und
hessischen Gruß „Uebels Meer." Die Einsendung wird
demnächst verwendet werden.
Inhalt der Nummer 8 des „Heffenland": „DaS heim-
liche Leid", Gedicht von Ernst Koch; Georg Ferdinand
Freiherr von Lepel (Schluß); „Mittheilungen als Beitrag
zur Geschichte des früheren kurhesfischen Iten (Leib-tz
Husaren-Regiments, jetzt königlich preußisches 1. hessisches
Husaren-Regiments Nr. 13", von einem früheren Offizier
dieses Regiments (Schluß); „Wie mein Vater um 1825 die
Schwälmer fand", von H. von Pfister; „Krieg im Frie-
den", ein Genrebild aus der Rococozeit von Joseph Gri-
neau; (Forts.); „Erinnerung", Gedicht von D. Saul;
„Lenz", Gedicht von I. Lewalter; Aphorismen von
Feodor Löwe; Aus alter und neuer Zeit; hessische
Bücherschau; Briefkasten.
Verantwortlicher Redakteur nud Verleger F. Zwenger iu Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das „Aeffenia«d^, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, am
1. und 15. jeden Monats, in dem Umfange von l*/2 So-en Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmässig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Mg. Einzelne Nummern kosten je 30 Mg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „HeffevlavL" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Auf Mitsietmstzötze
A
uf Wilhelmshöh' beim Sonnenneigen
Da rauscht's in aller Räume Zweigen
Mit tiefgeheimnißvollem Mang
Und hallt's im Wind wie Geistersang:
Doch deinem kecken Frevelmuthe
Erschien mit ehrner Flammenruthe
Der Rächer, der dein Haus mit Schmach
igelnd nnd deinen Schild zerbrach.
Als vor des Todtenrichters Throne
Der Dritte der Rapoleone
Gntkrönten Haupts und in der Hand
Wcht mehr das Laiserscepter stand —
Da sprach zu ihm, der Werk' und Tage
Der Menschen wägt mit strenger Wage:
Auf Wechselvoller Lebensbahn
Hast dn der Uebel viel gethan.
So hoch Lu stiegst, bist du gefallen,
Als eine blut'ge Warnung Allen,
Die auf des Glückes Treue baun
And thöricht ihrem Stern vertraun.
Doch einer deiner Thaten wegen,
Die deinem Willen du entgegen,
Allein nach höher'm Schluß vollbracht,
Sei milder deiner Schuld gedacht.
Gebrochne Schwüre, frevle Spiele
Sie waren Staffeln dir zum Ziele,
Zur Höhe, die dein Stolz begehrt,
Zur Macht, der keine Schranke wehrt.
Viel ward des Rluts durch dich vergoffen,
Das deinem Grgeiz nur gefloffen.
Dir, der vors Auge sich der Welt
Als Fürst des Friedens hingestellt.
Weil da das deutsche Volk geeinigt
Ln Fahr und Roth, soll, nicht gereinigt,
Doch mehr entsühnt von Haß und Fluch
Dein Vame stehn im Schiksalsbnch.
Steig nieder in das Reich der Schatten
Mit jenen, die gefrevelt hatten
Wie du, im ew'gen Dämmerlicht
Zu warten auf das Weltgericht ....
So raustht'L in Zweigen, die vor Jahren
Einst den gefangenen Cäsaren,
Den Schmuck der Herrschaft abgethan,
Ln ihrem Schatten wandeln sahn.
110
Korr den Schützen des alten Kurfürsten.
on den Schätzen des Kurfürsten Wilhelm I.
von Hessen wollen Sie erzählen? Der hatte
ja keine Schätze, überhaupt nichts; war, um
nicht einen andern Ausdruck zu gebrauchen, ein
armer Mann."
„„Wie kommen Sie zu einer solchen absonder-
lichen Meinung?""
„Ja, das ist die Ansicht, Welche in einer in
dem Prozesse gegen die Philippsthaler Agnaten
eingereichten Denkschrift verfochten worden ist, in
welcher es ausdrücklich heißt, es sei nur eine
Phrase, von einem reichen hessischen Fürstenhause
zu sprechen."
„„Darauf habe ich Ihnen zu entgegnen, daß
einzelne Prozeßschriften eine höchst unzuverlässige
Geschichtsquelle sind, daß bekanntlich, wer zuviel
beweist, nichts beweist, nnd daß ich über die
betreffenden thatsächlichen und rechtlichen Ver-
hältnisse besser unterrichtet bin, als der Verfasser
der Denkschrift, mag nun die Abfassung dieses
Opus an der Fulda oder an der Spree entstanden
sein."" —
Der alte Kurfürst besaß, namentlich wenn
man den damaligen Werth des Geldes ver-
anschlagt, vor der französischen Occupation ein
enormes Vermögen, insbesondere auch baare
Mittel. Allerdings war er nicht Eigenthümer
aller dieser Schätze. Ein großer Theil, die sog.
Kriegskaffe, gehörte dem Lande, d. h. der alten
Landgrasschaft Hessen; Schaumburg und Hanau
hatten daran kein Recht, wohl aber die niedere
Grafschaft Katzenellenbogen, Kasseler Antheils.
Der Landesherr konnte über die Revenuen der
Kriegskasse, wenn auch keineswegs nach Willkür,
verfügen. Im Jahr 1806 belief sich der Be-
stand derselben auf rund 52 Millionen jetzigen
Geldes.
Der Kurfürst besaß nun aber weiter ein sehr
bedeutendes Kapitalvermögen, welches er zum bei
weitem größten Theile während seiner zwanzig-
jährigen Regierung erworben hatte, und worüber
er frei unter Lebenden und von Todeswegen ver-
fügen konnte, nur den kleineren von seinem Vater
bereits ererbten Theil war er seinem Rxgierungs-
nachfolger zu hinterlassen schuldig. Ohne Nach-
forschung in den Archiven wird sich der Bestand
dieses Vermögens, des ererbten sowie des er-
worbenen, nicht ermitteln lassen; daß derselbe
sich jedoch auf mehr als 30 Millionen Mark be-
laufen hat, ergiebt sich daraus, daß die Franzosen
einen Kapitalbestand von 30 oder 33 Millionen
Francs erbeuteten.
Bezüglich der Schätze des Kurfürsten hat sich
nun die Mythe gebildet, dieser habe sieim Jahr 1806
dem alten Rothschild, der damals noch in der Juden-
gasse zu Frankfurt wohnte, zur Aufbewahrung über-
geben, und dieser habe sie 1813 dem Kurfürsten
nebst inmittels gelaufener Zinsen ehrlich und
prompt restiluirt. So ist die Sache aber nichk
gewesen. Allerdings bestand schon eine alte Ver-
bindung zwischen, wie die Rothschilds sich auszu-
drücken belieben, den Häusern Hessen und Roth-
schild. Der alte Amschel halte als hessen-
kasselscher Schutzjude vom frankfurter Senat die
Permission erlangt, in Frankfurt zu wohnen.
Er mochte schon mannigfache Geschäfte mit der
Kammerkasse in Hanau gemacht haben, aber ein
so unvorsichtiger Mann war der Kurfürst nicht,
daß er sein ganzes Kapitalvermögen einem zu
jener Zeit noch ziemlich unbedeutendem Geschäfts-
manne in einem so exponirten Ort wie Frankfurt
anvertraut haben sollte. Der wahre Hergang,
war vielmehr folgender. Die Kriegskasse, fast
gänzlich aus englischen Jnhaberpapieren bestehend,
wurde noch rechtzeitig über die Elbe nach Itzehoe
gerettet. Später nahm sie der Kurfürst mit nach
Prag, und benutzte 1813 die durch Verpfändung
der Papiere erhaltenen Summen, wie erzählt
wird, zur Unterstützung Preußens, welchem ein
Darlehn von 13 Millionen Thaler zu geben, er
sich noch in Kalisch anheischig gemacht haben soll.
Die Kriegskasse war also bei Rothschild nicht
hinterlegt. Ebensowenig war dieses mit dem
größten Theile der Kapitalien der Fall, die dem
Kurfürsten auch dem Eigenthume nach zustanden.
Dieser Theil 30 oder 33 Millionen Franken war
zinstragend an deutsche Fürsten, Reichsgrafen,
Reichsstädte und an reichsritterschaftliche Kor-
porationen verliehen. Nun war cs im Jahre
1806 unmöglich, diese Kapitalien flüssig zu machen.
Nach der Occupation mußte man sich damit
trösten, daß diese Schuldverhältnisse den Franzose»
nicht bekannt werden würden, worüber unten noch
einiges gesagt werden soll. Hier genügt die
Darlegung, daß dieser weitere erhebliche Theil
des kurfürstlichen Kapitalvermögens bei Roth-
schild nicht hinterlegt sein kann. Das ganze,
diesem anvertraute Kapital wird sich kaum auf
einige Millionen Mark belaufen haben. Der
Kurfürst Wilhelm I. war ein viel zu guter Haus-
halter, um große Baarbcstände nutzlos liegen
zu lassen. Dessenungeachtet hat sich die Mythe
gebildet und wird hartnäckig festgehalten, der
Kurfürst habe seine Schätze bei Rothschild'
111
niedergelegt. Anch Schlosser drückt sich so aus,
und im Besitze der Rothschilds soll sich ein Bild
befinden, auf welchem der Kurfürst in das Roth-
schild'sche Haus in der Judengasse eintretend dem
Amschel Rothschild eine ganze Anzahl Geldsässer
überweist. Nur soviel ist gewiß, die Judengasse
wäre nicht groß genug gewesen, die Wagen auf-
zunehmen, welche zum Transport der kurfürstlichen
Schätze in Silber nöthig gewesen wären. Nun
ist zwar richtig, daß, was die Beurtheilung von
Rothschild's Handlungsweise betrifft, es ganz
gleichgültig ist, wieviel ihm der Kurfürst anver-
traute; es ist jedoch bezeichnend, daß man Roth-
schild, weil er so handelte, wie man es von jedem
ehrlichen Manne erwarten darf, so gepriesen hat und
noch preist. Die Nachkommen hätten das, richtig an-
gesehen, als Beleidigung aufnehmen müssen. Wir
wollen seinem Andenken als eines ehrlichen Mannes
nicht zu nahe treten, aber er könnte sich die Sache
Loch auch als Kaufmann überlegt haben. Wollte
er die Sache den Franzosen und zwar in der
Hoffnung verrathen, einen erheblichen Theil des
Kapitals nachgelassen zu erhalten, so konnte diese
Hoffnung doch täuschen. Sein guter Ruf als
Geschäftsmann wäre auf immer vernichtet gewesen,
und endlich konnte er mit dem Gelde des Kur-
fürsten, der sicherlich nicht mehr als drei Prozent
erhielt, während er selbst fünzehn damitverdiente, eben
mehr verdienen, als die Franzosen ihm nachgelassen
hätten, was doch noch gar nicht feststand. Napo-
leon konnte auch das Ganze und sofort verlangen.
Wir wollen wie gesagt, das Lob des alten
Rothschild, es war der Vater der fünf Brüder,
das er sich erworben, uicht schmälern, zumal er
ehrlicher und verständiger handelte, als manche
Schuldner des Kurfürsten, denen das Prädikat
Durchlaucht zukam, wir wollten nur darlegen,
daß er die Schätze des Kurfürsten nicht ge-
rettet haben kann. Daß dennoch an der einmal
angenommenen Mythe festgehalten werden wird,
davon sind wir im Voraus überzeugt. —
Wir haben bereits erwähnt, daß der Kurfürst
einen Betrag von 30 oder 33 Millionen Francs
in Deutschland verliehen hatte, und daß es nicht
möglich gewesen, diese Kapitalbestände vor den
französischen Räubern zu retten. Die Hoffnung,
diese würden von den betreffenden Schuldver-
hältnissen nichts erfahren, ging nicht in Erfüll-
ung. Es fand sich in Kassel, die nähere» Um-
stände sind nicht bekannt geworden, ein fast voll-
ständiges Verzeichniß der vom Kurfürsten ausge-
liehenen Kapitalien. Schwerlich ist von den
Franzosen das Kabinetsarchiv durchforscht worden.
Ein Berräther wird das Verzeichniß den Franzosen
ausgehändigt haben.
Von archivalischer Thätigkeit der Fran-
zosen in Kassel ist, nebenbei bemerkt, nichts be-
kannt geworden, als daß die silbernen Siegel-
kapseln an den kaiserlichen Lehnbriefen fehlten,
als 1813 die hessischen Beamten das Archiv
wieder übernahmen. Die Richtigkeit dieser Mit-
theilung wird ja leicht zu konstatiren sein.
Napoleon erklärte die Kapitalien für Bestand-
theile des domaine extraordinaire, d. h. für
Privatvermögen seines kaiserlichen Hauses, wobei
er wenigstens von der richtigen Ansicht ausging,
daß diese Vermögensobjekte mit dem Staate nichts
zu thun hätten. Die Schuldner wurden nun zur
Zahlung aufgefordert, die Mahnungen wurden
namentlich noch dem Rückzug von Moskau immer
dringender, hatten aber wohl in keinem Falle
vollständigen Erfolg. Abgesehen von den Fällen,
in denen nicht einmal Zinsen bezahlt werden
konnten, versuchte ein Theil der Schuldner da-
durch der Schuld ledig zu werden, daß sie einen
Theil derselben bezahlten, sich aber über das
Ganze quittiren ließen. Kurz die ganze Sache
gewährte das unerfreuliche Bild einer Anzahl
theils halb bankerotter, theils schachernder und
mäkelnder Schuldner, welche den rechtmäßigen
Gläubiger, dessen gutes Geld sie erhalten, und
der sie aus Noth und Verlegenheit gerissen, uin
das Seinige bringen wollen. Das wurde nun
mit dem Abzug der Franzosen durchaus nicht
anders. Im Gegentheil, das Gebühren vieler
Schuldner wurde noch auffallender, als nun der
Kurfürst sein Geld forderte. Es entstand eine
Anzahl von Prozessen. In mehrfacher, nament-
lich juristischer Beziehung wäre es nicht uninter-
essant, eine aktenmäßige Darstellung dieser Hän-
del zu besitzen. Hier soll nur von einem
solchen erzählt werden. Der Kurfürst hatte etwa
im Jahre 1802 der badenschen Regierung ein
Kapital von 1,200,000 Fl. in der Weise vorge-
schossen, daß für diesen Betrag Papiere auf den
Inhaber angefertigt, und diese sämmtlich dem
Kurfürsten ausgehändigt wurden. Die badensche
Regierung wird diese Summe gewiß nutzbringend
angelegt haben. Es liegt die Vermuthung nahe,
daß auch dieses Geld zu den Bestechungen in
Paris verwendet worden ist (bekanntlich war
Talleyrand ein Hauptnehmer), von denen der
badensche Minister von Edelsheim sagte, das
Geld zu diesen unsaubern Transaktionen sei
frachtwagenweise nach Paris gesandt worden. Die
Generaldirektion des dömaine extraordinaire
wird nun die badensche Regierung ebenfalls zur
Zahlung aufgefordert haben, wenn nicht auch
hiervon wegen der nahen Verwandtschaft der
Zähringer mit den Bonaparte Abstand genommen
112
worden ist. Jedenfalls war die badensche Regier-
ung, die Sache mochte liegen wie sie wollte, höchlichst
dabei interessirt, die für die Schuld hingegebenen
Jnhaberpapiere zn erlangen, und so erschien denn
im Jahre 1812 in Prag ein Individuum,
Namens Elkan Reutlinger, welches sich als
Agent der -badenschen Regierung auswies, und
mit dem Kurfürsten wegen Aushändigung der
Papiere in Unterhandlung treten wollte. Auf-
fallender Weise ging man darauf ein, sich mit
einem, seiner bürgerlichen Stellung nach unter-
geordneten Menschen einzulassen; rein unbegreif-
lich war es aber, daß die beiden kurfürstlichen
Kommissare, Kabinetsrath Schminke und Kriegs-
rath Knatz, die Behauptung Reutlinger's, das
Geld sei an Napoleon bezahlt, für baare Münze
nahmen. Am 7. September 1812 (Schlacht bei
Borodino), verständigte man sich schließlich da-
hin, daß eine verhältnißmäßig geringe Summe,
irre ich nicht, 150,000 oder 250,000 Gulden
von Baden bezahlt wurde, und dieses dafür die
Papiere erhielt.
Man hielt nun die Sache für abgemacht.
Dem war aber nicht so. Im Jahre 1818 er-
schien Herr Elkan Reutlinger in Kassel und
machte dort die Mittheilung, daß er damals in
Prag gelogen, wenn er gesagt habe, das Geld
sei an Napoleon bezahlt, »' d daß er, diese Un-
wahrheit vorzubringen, in Karlsruhe ausdrück-
lich instruirt worden sei. Baden habe an Napo-
leon keinen Heller bezahlt. Reutlinger war im-
mittels in Konkurs gerathen, er glaubte, einen
Anspruch darauf gehabt zu haben, daß die
badensche Regierung seinen Vermögensverfall ab-
wende, wollte sich an derselben rächen, und rech-
nete wohl auch darauf, in Kassel eine ansehnliche
Belohnung zu erhalten. Kurz er war keines-
wegs ein vollgültiger Zeuge, und es wäre des-
halb unbillig, hier das zu wiederholen, was er
über die Person, welche ihn instruirt haben sollte,
die erwähnte Lüge vorzubringen, aussagte. Die
Sache gewann nun eine andere Gestalt. Selbst-
verständlich verlangte Hessen von Baden das
Darlehn, abzüglich des in Prag gezahlten Be-
trags, zurück. In den deshalbigen Verhand-
lungen beharrte Baden bei "der Behauptung, an
Napoleon Zahlung geleistet zu haben. Die
Richtigkeit dieser Behauptung mußte festgestellt
werden. Auch an die Bundesversammlung war
die Sache durch den Antrag Kurhessens gediehen,
ein Gericht zu bestimmen, welches die Sache
entscheiden solle. So zog sich die Sache jahre-
lang hin, und es war schon Gnizot in Frank-
reich an die Spitze der Geschäfte gelangt, als
der hessische Gesandte um Nachforschung in den
Archiven darüber bat, ob die behauptete Zahlung
stattgefunden. Gnizot schlug das unter der Mo-
tivirung ab, daß er keinen Grund habe, Schritte
zu unterstützen, die gegen Baden gerichtet seien.
Der deshalbige Vorschlag des hessischen Ge-
sandten, sich nun der Hülfe eines zu verschiede-
nen Zeiten oft genannten, Mannes zu bedienen,
wurde gebilligt. Dieser Mann war der von
dem abgesetzten Herzog Karl von Braunschweig
zum Staatsrath ernannte Herr Klindworth.
Derselbe versprach die Herbeilchaffung der er-
forderlichen Nachweisungen Als nun der Ge-
sandte längere Zeit von Klindworth nichts hörte,
und diesen deshalb interpellirte, antwortete der-
selbe das travailler pour le roi de Prusse sei
seine Sache nicht, zunächst müsse bezahlt werden.
Klindworth erhielt nun einige tausend Francs;
es dauerte nun nur kurze Zeit, und er
überbrachte' Dokumente, aus welchen sich die
Unwahrheit der Zahlungseinrede unwiderleglich
ergab. Die Sache wurde nun, jedoch erst, nach-
dem wieder Jahre verstrichen waren, was sich
aus den damaligen Zeitverhältnissen, weuigstens
zum Theil, erklärt, beim Bundestag wieder an-
geregt, oder genau genommen, der badenschen
Regierung wurde erklärt, daß man dies in aller
Kürze thun werde. Es wurden jetzt wieder
Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen
angeknüpft, die insofern zum Ziele führten, als
Baden sich bereit erklärte, noch 200,000 fl. zn
zahlen. Trotz des hier geschilderten Sachver-
halts kostete es dem damaligen Minister von
Meysenbug Mühe, die Genehmigung der 2ten
Kammer der badenschen Landstände zu diesem
Vergleiche zu erlangen. Meysenbug erklärte
bei dieser Gelegenheit in der Kammer, diese höchst
fatale Sache müsse endlich aus der Welt ge-
schafft werden. Die gezahlten 200,000 fl.
wurden zwischen Hans- und Staats-Schatz ge-
theilt.
Auf die Anfrage, ob die Beilegung dieser
Sache nicht Veranlassung zu einem Ordensaus-
tausch biete, welche Anfrage von badischer Seite
erging, antwortete der Kurfürst Friedrich Wil-
helm, er verleihe seine Orden nicht dafür, dasi
Kurhessen betrogen sei. Diese Antwort mag der
hessische Gesandte wohl nicht wörtlich ausge-
richtet haben. —
Ein anderes Bild als das vorstehekd entrollte,
gewährt das Verhalten der freien und Hanse-
Stadt Bremen. Auch diese hatte vom Kurfürsten
Geld geliehen, ich weiß nicht mehr, ob es-
40,000 Thaler Gold, oder 40,000 Louisdor
waren. Die Anleihe muß kurz vor der Kata-
113
strophe im Jahre 1806 gemacht sein. Dieser
Posten war in dem oben erwähnten Kapitalien-
verzeichniß nicht eingetragen. Trotzdem nun, daß
Bremen eine französische Stadt wurde, Weser-
und .Elbmündnng wurden mit Frankreich ver-
einigt, der cs leicht werden mußte, den Nachlaß
der Schuld von Napoleon zu erlangen, zumal
nach Vereinigung des Staats Bremen mit dem
Kaiserreich dieses Schuldner wurde, verlautete
über diese Schuld während der Franzosenzeit
nichts. Unaufgefordert ka>n dagegen der Bürger-
meister Smidt im Jahre 1814 nach Kassel, und
zahlte dem Kurfürsten persönlich das Kapital
und siebenjährige Zinsen. Auf die Frage, was
denn der Kurfürst gesagt habe, erwiderte Smidt:
er sagte zu mir. Sie sind ein Ehrenmann, leider
kann ich das nicht von allen meinen Schuldnern
sagen.
---:----gHHg-------
Kasseler Maler in den Jahren 1840 bis 1850.
Bon
gjdrni* Katzerrste Irr.
enn man zurückblickt auf die stattliche Reihe
MW von Künstlern, talentvolle und zum Theil
* hochbegabte Männer, welche in dem obigen
Decennium theils längere, theils kürzere Zeit in
Kassel thätig waren, so muß man sich wundern,
daß ein eigentliches Kunstteben trotzdem hier
niemals hat zur Blüthe kommen können, daß
wahrhaft Bedeutendes in Bezug auf Malerei
in jener Zeit hier nicht entstand. Und doch war
unsere schöne Stadt mehr wie manche andere
von gleicher Bedeutung dazu angethan, um eine
anregende Heimstätte für die bildenden Künste
zu werden. Die Bedingungen dazu waren vor-
handen, in so fern eine herrliche landschaftliche
Natur und ein Schatz von Meisterwerken der
Malerei aus der Blüthezeit der niederländischen
Kunst, wie ihn kostbarer kein Ort der Welt aus-
zuweisen hat, genügt hätten, um Künstler heran-
zuziehen. Aber freilich, was nicht vorhanden
war und ohne welches ein Gedeihen der Kunst
nicht denkbar ist, das war eine lebendige Theil-
nahme der Bevölkerung an künstlerischen Dingen
und die Gilnst und das Verständniß eines kunst-
sinnigen Fürstenhauses.
Kassel besaß schon seit vielen Jahren eine
Akademie der bildenden Künste, in deren Statu-
ten noch der Geist jenes kunstfreundlicheu Land-
grafen Karl zu leben scheint, der es verstanden
hatte eine bedeutsame Künstlerthätigkeit in Kassel
hervorzurufen.
Ich kann mir es nicht versagen, aus einem
„Regulativ für die Akademie der bildendeu Künste"
vom Jahre 1839 einige Paragraphen anzuführen,
zum Beweise für den Ernst und das Wohlwollen,
mit welchen man die Künste fördern wollte. Es
heißt da:
§. 26. Um ihrem angegebenen Zwecke zu
entsprechen, bildet die Akademie den Mittel-
punkt eines weitern Vereins von in- und aus-
ländischen Künstlern, Kunstfreunden, Gelehrten
und überhaupt von solchen Personen, welche
durch Talent, Geschmack, Wissenschaft und
sonst geeignete Verhältnisse im Stande sind,
der Kunst zu nützen und durch Mittheilung
theoretischer und praktischer Kenntnisse. Kunst
und Kunstindustrie zu befördern.
Das Streben dieses Kunstvereius und jedes
einzelnen Mitgliedes desselben wird dahin ge-
richtet sein, sich von allen Erscheinungen im
Gebiete der bildenden Kunst Kunde zu ver-
schaffen, verborgene Talente aufzufinden und
überhaupt alles sonst vereinzelte Kunststreben,
zunächst im Jnlande um einen festen Mittel-
punkt zu sammeln, damit Kunst und Künstler
vor jedem einseitigen und beschränkten Streben
bewahrt bleiben, n. s. w.
§. 27. Dre Akademie ist verpflichtet, auf
Anordnung des Ministeriums bei allen Gegen-
ständen des Geschmacks, bei Errichtung von
Gebäuden und Denkmälern, namentlich von
öffentlichen, bei Einrichtung größerer öffent-
Feste, bei Verfertigung von Modellen, Münzen,
nicht nur ihren Rath zu ertheilen, sondern auch
eine geeignete Mitwirkung eintreten zu lasten. —
Wie wenig in neuerer und neuester Zeit
im Sinne dieses letzten Paragraphen in unserer
Stadt verfahren wurde, bezeugen die zahlreichen
Geschmacklosigkeiten, die wir in Bezug auf plast-
ischen Schmuck haben entstehen sehen. — Jene
von wahrer Kunstliebe dittirten Bestimmungen
scheinen aber bald in Vergessenheit gerathen zu
sein, oder wurden nur in kümmerlichster Weise
erfüllt. Die Ungunst der Verhältnisse war so
groß, daß man in Kassel kaum Kenntniß von
der Existenz der Akademie hatte. Der kurfürst-
liche Hof verhielt sich gleichgültig, ja ablehnend
gegen alle Kunstbestrebungen, und es kam so weit,
daß unsere herrlichen Sammlungen dem Studium
114
ganz verschlossen wurden. Wie sich diese un-
sinnige Maaßregel gerächt, wie der Münzendieb-
stahl im Museum, der wohl noch in aller Ge-
dächtniß ist, nur dadurch möglich war, bewies
schließlich der immer mehr zu Tage tretende
Verfall der Knnst-Anstalt.
Niemand in der Umgebung des Fürsten scheint
den Muth gehabt zu haben, Vorstellungen zu
machen gegen das Verbot, die Gemäldcgallerie
dem Publikum und dem Studium offen zu halten,
trotzdem es unserer Stadt empfindlich schadete.
Uns Schülern der Akademie war es nur in
langen Pausen gestattet, unter Führung des In-
spektors, einen flüchtigen Blick auf die Meister-
werke zu werfen, ohne den geringsten Nutzen von
diesen Besuchen zu haben. — Ueberdies waren
die Lokalitäten der Akademie (im Hannsch'schen
Hause) durchaus ungenügend und die Lehrkräfte
mochten auch durch die allgemeine Gleichgültig-
keit mürbe gemacht, Lust und Energie verloren
haben, um hier Wandel zu schaffen. Es wurde
wenig gelehrt und noch weniger gelernt.
Die damalige Direktion der Akademie hatte
sicherlich den besten Willen, die Eleven zu bilden
und den Studiengang zu regeln, befand sich aber
in beständiger Meinungsverschiedenheit mit dem
Leiter der Malklasse. Wir Schüler dieser Klaffe
fühlten uns lebhaft angezogen durch das stets
freundliche und geistvolle Wesen unseres Lehrers,
des als Künstler wie als Schriftsteller rühmlichst
bekannten Professors FriedrichMüller,fürden
wir eifrig Partei nahmen, gegenüber dem vornehm
zugeknöpften Auftreten des Direktors, wenn
auch, wie wir nicht verkennen wollen, die Ab-
sichten des Letzteren nur gut gemeint sein mochten.
Es war dies der kürzlich verstorbene Geh. Hofrath
'S. R u h l, ein hervorragender Künstler, der gleich-
falls als Schriftsteller mit Erfolg thätig war.
Sein erstes Schaffen fällt noch in die Zeit der
romantischen Richtung der 30er Jahre, später
wandte er sich der Geschichtsmalerei zu und zeigte
sich besonders in der Wahl seiner Stoffe als geist-
vollen Künstler.
Trotz aller dieser wenig erfreulichen Zustände
war Kassel nahe daran, in den vierziger Jahren
eine Kunststadt zu werden. Schon lange hatte
unsere herrliche Waldlandschaft Künstler in unsere
Nähe gezogen, um Studien zu machen und
Düsseldorfer Maler füllten ihre Mappen und
Skizzenbücher mit Darstellungen hessischen Bauern-
lebens. Unter diesen, und an ihrer Spitze kein
Geringerer als Louis Knaus, entstand der
Gedanke, nach Kassel überzusiedeln und noch
andere namhafte Genossen mitzubringen. Nach
eingehenderen Erkundigungen über hiesige Ver-
hältnisse, nachdem man erfahren, daß in Kassel
kein einziges Maleratelier zu finden sei und
the last not least, nach dem, was von den
höheren Ortes herrschenden Eigenthümlichkeiten
verlautete, beschloß man zu Hause zu bleiben.
Bon Malern, welche um jene Zeit 'in Kassel
thätig waren, erfreute sich keiner größerer Be-
liebtheit, als A u g u st v o n d e r E m b d e. Er
war so recht der Maler, um dem großen Publi-
kum zu gefallen, seine rosigen Kindergesichtchen
mit den lachenden Augen, seine reinlichen Bauern-
mädchen wurden in überschwenglicher Weise ge-
lobt und als Portraitmaler war er lange Zeit
der gesuchteste. Heute freilich würde selbst das
große Publikum sich kühler gegen seine Malerei
verhalten.
Eine künstlerische Persönlichkeit eigener Art
war der vor einigen Jahren verstorbene G l i n z e r.
Er hatte in jüngeren Jahren noch die strenge
französische Schule von Gros genossen und Stu-
dien nach dem Leben von seltener Vortrefflichkeit
gemacht. Er war vielleicht der einzige Kolorist,
den Kassel zu jener Zeit besaß, kam aber nie
zu einer ruhigen Ausnützung seines Talentes
und zersplitterte sich in allen möglichen Versuchen
auf Gebieten, die ihm fern lagen.
Unter allen hiesigen Malern war aber keiner
bekannter, als F r i e d r i ch M ü l l e r, der „rothe
Müller" genannt, ebenso hoch begabt alsLandschafter,
wie gesucht als geistvoller und witziger Gesellschafter.
Er hatte eine Reihe von Jahren in Italien ge-
lebt und sich durch seine meisterhaften Studien
nach der dortigen Natur rühmlichst hervorgethan,
und hatte wohl das Zeug dazu, einer der ersten
Landschaftsmaler unserer Zeit zu werden. Leider
fehlte ihm der Ernst und die Stetigkeit bei der Ar-
beit. In seiner besten Zeit malte er wirkungs-
volle Waldbilder (den heiligen Hubertus) und
seine Studien mochten es wohl erklären, daß er
ein leidenschaftlicher Jäger wurde. Sein scharfer
Witz und sein Sarkasmus zeigten sich in glänzend-
ster Weise in den Karrikaturen fast aller be-
kannten Persönlichkeiten der Stadt, sie sind in ihrer
Art nie erreicht, geschweige denn übertroffen
worden. Müller starb 1859 in München.
Ein glückliches Künstlerdasein wurde L o u is D e s
Coudres zu Theil, der durch eisernen Fleiß
und strenges Studium sich einen geachteten Namen
erwarb. Zu seinen Gemälden historischen In-
halts machte er mit peinlicher Gewissenhaftigkeit
eine Masse von Studien nach der Natur, so daß
dann dem ausgeführten Bilde in der Regel die
ursprüngliche Wärme abging. Er ging, als Pro-
fessor berufen, nach Karlsruhe, wo er 1878 starb.
115
Zur Zeit seines Kasseler Aufenthaltes arbei-
tete er in Gemeinschaft mit seinen Freunden
Fr. Gunkel, dem Historienmaler, und dem Bild-
hauer Gustav Kaupert in einem überaus
bescheidenen Raume am Steinweg.
Gunkel, aus ärmlichen Verhältnissen hervorge-
gangen, war ein tüchtiger Zeichner und hatte
«inen feinen Farbensinn. Er komponirte seine
geschichtlichen Darstellungen mit seltener Noblesse
und galt unter uns für die eigentliche Perle der
Kasseler Maler. Seine weitere Kunstthätigkeit
bewies indeß, daß ihn seine Freunde überschätzt
hatten. Er ging nach Rom und bekam dort
durch Fürsprache einflußreicher Gönner einen Auf-
trag vom König Ludwig von Bayern, für das
Maximilianeum in München, ein Kolossalbild —
die Hermannsschlacht, zu malen. Das Bild
wurde gemalt, entsprach aber den Erwartungen
nicht. Das Können des Künstlers reichte dafür
nicht aus. Vielleicht war es dies Gefühl und
daß man ihn allmälig fallen ließ, was ihn immer
trübsinniger machte und schließlich zum Selbst-
mord trieb.
Der Dritte in diesem Bunde, noch lebend und
rüstig schassend als einer der genialsten deut-
schen Bildhauer, gegenwärtig in Frankfurt, war
Gustav Kaupert, wenn ich mich recht erinnere,
ein Schüler Schwanthalers. Die Gestalten
dieses gemüthvollen Künstlers zeigen bei aller
Kraft eine seltene Grazie und Innigkeit der Em-
pfindung. Kaupert ist der jüngere Bruder des
vor einigen Jahren verstorbenen ausgezeichneten
Goldschmieds, der ein ächter Künstler in seinem
Fache und eine Zierde unserer Stadt war.
Seine sympathische. Allen bekannte Persönlichkeit
erinnerte in ihrer schlichten Einfachheit wohl an
jene unsterblichen Kunsthandwerker, welche das
alte Nürnberg berühmt gemacht, an Adam Krasft
und Peter Bischer.
(Schluß folgt.)
Krieg im Friede«.
Gin Genrebild aus der NococoM von Joseph Grineau.
(Schluß).
rglühend und dann wieder jäh erbleichend schlug
sie die Augen nieder wie eine ertappte Diebin.
„Was treibt denn die Demoiselle für Contre-
bande?" fuhr der Fürst fort, indem sein Blick
den Korb am Boden streifte, aus welchem ver-
rätherisch ein Flaschenhals hervorlugte.
„Ach Gnade, hochfürstliche Gnaden, Gnade!"
Mehr brachten die bebenden Mädchenlippen nicht
hervor.
Da raschelte es mit einem Male hinter der
hohen regelrecht gezogenen Laubwand, und Einer,
der dort schon eine ganze Weile auf der Lauer
gestanden und sich nun den Ruhm einer stolzen
Kriegesthat sowie auch die für die Entdeckung
ausgesetzten zehn Gulden nicht entgehen lassen
wollte, trat hervor und meldete:
„Hochfürstliche Gnaden, der Wachtmeister von
den Leibhusaren macht die allersubmisseste Meldung,
daß er den Spion auf dem Thorthurm entdeckt
hat."
Der Fürst blickte überrascht den Krieger an.
„So nehm' er ihn gefangen," kam es dann
kurz von seinen Lippen. „Doch halt, ein paar
von seinen Leuten sollen ihn begleiten."
„Barmherzigkeit, allergnädigster Herr Fürst-
bischof," schrie Nanderl, jetzt wirklich in die Knie
finkend. „Er ist ja gar kein Spion, er ist bei
meiner Seel' der ehrlichste Mensch von der Welt,
denn sonst wär' er nicht gekommen."
„Und wer ist die Demoiselle?"
„Ich heiße Nanny Buchmann aus Würzburg
und bin die Nichte des Wildmeisters —"
„Auch aus Würzburg!" unterbrach sie der
Fürst mit einem durchbohrenden Blick. „Und
da ist Sie wohl in heimlichem Einverständniß
mit dem Burschen?"
„Ja, gnädigster Herr Fürst, das bin ich,"
schluchzte Nanderl. „Schon seit zwei Jahren
haben wir uns heimlich gern und er ist mir
immer treu gewesen. Und wenn er das Examen
erst gemacht hat, dann wird auch gewiß der Vater
nichts mehr dagegen haben; — er mag nur die
Studenten nicht, — ach, der Kilian ist doch gar
so brav."
„Stehe Sie auf," sagte Amandus, denn der
Wachtmeister nahte jetzt mit vier Leibhusaren,
die alle auf des Letzteren lautes Kommandowort
den Karabiner vor ihrem Fürsten präsentirten.
„Nehme Er dem Gefährlichen gleich alle Schrift-
stücke ab, und bringe Er ihn einstweilen in die
Wachtstube, später soll er denn auf die Festung
transportirt werden, wo wir sichere Verließe
haben," befahl der Fürst und wandte sich, um
rasch dem Schlößchen zuzuschreiten.
Nanderl aber weinte so kläglich aus Herzens-
grund, daß der Herr Wachtmeister nicht umhin
konnte, ihr tut Vorbeimaschieren zuzuflüstern:
„Ja, schönstesJnngfräulein, derMusje Liebste wird
116
jetzt vor ein Kriegsgericht gestellt werden und
das wird ihm den Hals brechen — aber sei Sie
nur ruhig, ich will Sie schon trösten."
Und er leckte sich die Lippen, indem er zugleich
mit der aus dem Korbe blickenden Flasche lieb-
äugelte. —
Eine Stunde später saß der Hauptmann Lindenau
bei dem Fürsten in dem kleinen Kabinet mit den
hübschen Gobelinstapeten, denn wieder wurde
Kriegsrath gehalten.
„Ja mein lieber Lindenau, nun sitzen wir
gründlich in der Patsche," seufzte Amandus, den
lockenumwogten Kopf in die schwellenden Polster
des Fauteuils zurücklegend. „Der Bursche scheint
wahrhaftig ganz unschuldig. Nichts haben sie
bei ihm gefunden als einen harmlosen Liebes-
Brief an die Nichte des Wildmeisters, die auch
eine Würzburgerin ist. Das junge Frauenzimmer
hat mir sogar eine Scene gemacht und betheuert,
daß er nur ihretwegen hergekommen. Wir werden
ihn jetzt wieder auf freien Fuß setzen müssen,
aber in Würzburg werden sie nun erst recht ihren
Spott haben."
„Hochfürstliche Gnaden wollen doch den Ver-
dächtigen nicht ziehen lassen, ohne ihn vor ein
Kriegsgericht gestellt zuhaben?" warf der Haupt-
mann erschrocken ein. „Bei so schwerwiegenden
Verdachtsgründen wird man chn gewiß schuldig
befinden können, um nach allen Formen Rechtens
zu verfahren und ein Exempel —7"
„Was nützt es?" unterbrach ihn der Fürst,
indem er langsam das Haupt schüttelte. „Hätten
wir ihn doch gleich entkommen lassen! — Es
hätte ja einen so herrlichen Vorwand geboten,
um die Befestigung aufzustecken, denn das hätte
Niemand im Lande bezweifelt, daß ich die Freude
verloren an einem Plane, der an Würzburg ver-
rathen sei."
„Aber hochfürstliche Gnaden, dieser Ausweg
bleibt uns ja immer noch; wenn wir den Kriegs-
gefangenen entschlüpfen lassen."
„Ah — Sie meinen, man solle ihn vor den
Augen des Hofes festsetzen und dann heimlich
wieder entschlüpfen lassen? Ein famoser Vor-
schlag, mein lieber Lindenau, denn so bliebe aller-
dings der Schein glänzend gewahrt."
Und Amandus klingelte und befahl, den Ge-
fangenen vorzuführen.
Ueberrascht ruhten seine Augen auf dem wohl-
gewächsenen jungen Mann, der mit Fesseln an
den Händen und etwas vernachlässigt in Kleidung
— der, Aufenthalt in der staubigen Thurmzelle
war nicht,ohne Spuren geblieben — aber mit
fester Haltung und freier unerschrockener Miene
in das luxuriöse Gemach eintrat.
„Lindenau, stellen Sie das Verhör an," sagte
der Fürst, und der kleine Offizier bemühte sich,
eine recht imponireude Stellung anzunehmen.
Nachdem er sich erst wieder ordentlich geräuspert,
begann er in strengem Tone:
„Wie heißt Er?"
„Kilian Frank."
„Woher gebürtig?"
„Aus Hammelburg."
„Was? — Aus Hammelburg — unsrer lieben
und getreuen Stadt?" rief Amandus aus seinem
Fauteuil lebhaft dazwischen. „Ich meine, Er
sei aus Würzburg."
„Also ein Vaterlandsverräther!" betonte schwer
der Hauptmann.
Der Gefangene aber wandte sein lebhaftes
offenes Gesicht nun deut Fürsten zu und antwortete
frisch und ohne Zagen: „Hochfürstliche Gnaden,
in Würzburg studire ich dermalen die Rechte,
doch gebürtig bin ich aus der fuldaischen Stadt
Hammelburg."
„Und da will Er wohl auch in Würzburg eine
Anstellung suchen?" fragte der Fürst aufmerksam
weiter.
„Nein, hochfürstliche Gnaden, meine Dienste
gehören meinem Vaterland," versetzte der junge
Mann, indem er mit Selbstbewußtsein den hübschert
Kopf zurück warf.
„Patriotisch gedacht," nickte der Fürst beifällig.
„Aber meint Er nicht, da er unsere Alma
mater verschmäht, man könne im Fürstenthum
Fulda auch Seiner und seiner Kenntnisse ent-
rathen?"
„Ich vertraue ans den Erfolg meiner Studien
und auf den Gerechtigkeitssinn meines Fürsten
und Herrn," klang es kühn und zuversichtlich
zurück.
„Ah, Er scheint ja seiner Sache sehr sicher —
nous verrons!" lächelte Amandus nicht eben
ungnädig, denn er liebte solche freimüthige Art,
und der junge Bursche, der in allen Wirrsalen
den Kopf so keck oben behielt, gefiel ihm immer-
besser.
„Aber hochfürstliche Gnaden, es sollte ja kon-
statirt werden —" warf der kleine Hauptmanu
bedenklich ein, denn ganz erstaunt hatte er mit
angehört, welche sonderbare Wendung das „Kriegs-
gericht" nahm.
„Ja so, nun so verhören Sie ihn weiter, ob
Sie etwas heraus bringen," sagte der Fürst, sich-
wieder in seinem Fauteuil zurücklehnend.
Der Hauptmann machte die größten An-
strengungen, um ein befriedigendes Geständniß von
Kilian zu erpressen, aber sicher und unbefangen
glitt der Letztere über die verfänglichsten Kreuz- und
117
Querfragen hin, indem er ehrlich und frisch von
der Leber weg die volle Wahrheit erzählte.
„Lassen Sie es gut sein, Lindenau," sagte
endlich der Fürst. „Der Bursche ist kein Ver-
räther, aber er ist ein arger Schelm, sonst hätte
er uns nicht Alle genarrt und nicht gewagt, sich
ohne Permission über dem Thore einzuquartieren;
ja, er hat sogar die Keckheit so weit getrieben,
ohne Permission ein schmetterndes Viktoria zu
meinem Kegelglück zu blasen und das sind doch
schwere Vergehen wider die Schloßordnung.
Lindenau, wir müssen ihm eine strenge Strafe
zudiktiren."
„Zu Befehl, hochfürstliche Guaden," schnarrte
der. Hauptmann im Tone voller Befriedigung.
Amandus hatte sich ein wenig vorgeneigt und
blickte mit einem leisen Lächeln um die Lippen
nach dem Studiosus, der jetzt wie ein armer
Sünder den Kopf auf die Brust hängen ließ,
um stumm sein Urtheil zu erwarten.
„Kilian Frank" hub der Fürst mit scheinbarer
Strenge an, „für seine Ungebührlichkeiten soll
Er die Verließe unserer Festung kennen lernen
und achtundvierzig Stunden bei Wasser und Brod
dort im Arrest bleiben; dann aber hat Er sich
unverzüglich aus dieser Gegend zu entfernen und
nach Würzburg zurück zu begeben, ohne jetzt oder
später je ein Sterbenswörtchen von Allem, was
sich hier zugetragen, zu erzählen. Gelobt Er
dieses?"
„Auf mein Ehrenwort," versetzte Kilian und
athmete auf, wie von einer Centnerlast erleichtert.
„Und weil Ihm unsere Haupt- und Residenz-
stadt Fulda nicht gut genug war, um an der
alma Adolphiana daselbst das corpus juris zu
erlernen, so soll Er sich nicht unterstehen, je einen
Fuß hinein zu setzen oder auch in deren Nähe
sich sehen zu lassen, es sei denn, daß ich selbst
Ihm dieses gestatten würde."
„Hat er aber in Würzburg seine Studio ouw
laude absolvirt, wie Er dieses so prahlerisch er-
klärt," fuhr nach einer kleinen Pause der Fürst
fort, „und hat Er Alles genau beobachtet, was
ich Ihm befohlen habe, dann werde ich nicht an-
stehen — seine Bestellung zum Amtsvogt zu
verfügen."
„Hochfürstliche Gnaden" — stammelte der
junge Mann, seine freudig leuchtenden Augen
voll Dank zu dem etwas schalkhaft dreinsehenden
Fürsten erhebend.
„Halt, noch eine Bedingung;" rief Amandus
rasch, „daß Er mir das junge Frauenzimmer,
das so fest auf Seine Treue baut, nicht — sitzen
läßt!"
„Das Nanderl!" entfuhr es Kilian, der im
glücklichsten Uebermulhe für einen Augenblick so-
gar die hohe Gegenwart des Fürsten vergaß,
aber sogleich stieg ihm die Röthe der Verlegenheit
in sein intelligentes Gesicht. Amandus aber
lächelte: „Mein lieber Lindenau, führen Sie ihn
nun ab auf die Festung."
Nachdem die Hofgesellschaft das ebenso seltene
r e interessante Schauspiel genossen, einen ge-
fährlichen Spion unterer sicherer Bedeckung der
fürstlichen Leibhusaren gefesselt auf die Feste
Bieberstein transportirt zu sehen, kündigte Amandus
plötzlich den Aufbruch an zur Rückkehr in die
Residenz. Keinem aber fiel es auf, daß Seine
hochfürstliche Gnaden heute so sehr froh gelaunt
erschienen; — war doch eine große Gefahr vom
Vaterland glücklich abgewandt.
Aber o Schrecken! — einige Tage später,
nachdem der Hauptmann Lindenau wieder einmal
eine geheime Audienz gehabt, verbreitete sich
plötzlich das Gerücht, der verwegene Gefangene,
der ein Bursche von der schlimmsten Sorte, sei
dennoch entkommen, da der Einsturz einer Kase-
matte ihm die Flucht ermöglicht habe. Kein
Wunder, daß da dem Fürsten die kriegerische
Befestigung total verleidet wurde und er Bieber-
stein nun nichts Anderes mehr sein lassen wollte,
als wozu es dessen Erbauer Adalbert I. bestimmt:
ein behagliches Jagdschloß!
Die Kanonen aber, die Amand in seinem
kriegerischen Eifer hatte aufstellen lassen, blieben
dort, bis sie im Jahre 1807 von den Franzosen
weggeführt wurden; sie hatten durchaus friedlichen
Zwecken gedient, denn nur bei fröhlichen Gelagen
waren sie abgefeuert worden, um der animirten
Stimmung recht lauten Ausdruck zu geben. Ja-
wohl, es wurden frohe Feste dort gefeiert und
nicht umsonst hieß es.damals im Stiftsländchen:
„Wer geht nach Bietzrrstein
Und trinst den fulder Wein,
Kehrt selten Züchtern heim!"
Als Amand von Buseck todt war, fand man
in seinem Schreibtisch den Brief vom Reichs-
hofrath zu Wien, und nun erst erkannten die
Fuldaer den wahren Grund, der den Fürsten
gezwungen, von der Ausführung seines Festungs-
planes abzustehen, wovon Niemand eine Ahnung
gehabt hatte. —
Das stattliche Bergschloß blickt noch heute von
seiner stolzen Höhe weit hinaus über lieblich
grüne Wälder und Auen hin, doch von dem kleinen
Schlößchen unten ist kein Stein mehr übrig; es
wurde im Anfang Dieses Jahrhunderts auf Ab-
bruch verkauft. Nur das lange Stallgebäude In
dem die schmucken Rosse der Leibhusaren einst
118
gescharrt, steht noch jetzt und beherbergt zur
Sommerzeit muntere Fohlen, welche unter staat-
licher Aufsicht im „Thiergarten" auf die Weide
getrieben werden. -
Es ist öde und einsam geworden in jenem
Prächtigen Waldrevier, selbst die Damhirsche
sind daraus verschwunden; der kleine Teich aber
liegt schlummerstille und mag wohl träumen
unter seiner grünen Binsendecke von stolzen,
lebensfreudigen Gestalten, deren farbenheiteres
Bild er einst zurück gestrahlt. — Uns aber
klingen durch's Gemüth die Worte unserer größten
Dichterin:
„Dahin, dahin, die einst so gesund,
So reich und mächtig, so arm und klein.
Und nur ihr flüchtiger Spiegelschein
Liegt zerflossen auf deinem Grund!" —
Klirvrrng.
Gähren muß der Traubensaft,
Soll der Most sich klären;
Laßt nun drum die Jugendkraft
Gleich dem Moste gähren.
Aber tadelt nicht den Wein,
Der nrcht Most geblieben:
Scheltet nicht den Kieselstein,
Der sich glatt gerieben.
Lüstet's euch. nach trübem Gischt?
Geht und sucht, euch einen!
Wo für mich wird aufgetischt,
Fordr' ich asten Reinen.
A. Trnvert.
Immer: meitee.
Immer weiter, immer weiter,
Schifflein, auf des Lebens Fluth,
Ob es trüb ist oder heiter:
Immer weiter, nie geruht.
Glück und Wehe, Leid und Wonne
Lösen ab sich fort und fort
Heute Wolken, morgen Sonne,
Freude hier und Trauer dort..
Schifflein, weiter, immer weiter,
Sei's nun Ebbe oder Fluth,
Leidig, freudig, trübe, heiter:
Weiter, weiter, nie geruht!
Aus altrr «ud ururr Zeit.
Nekrologe. Am 14. April starb zu Marburg der
Geh. Medizinalrath Prof. Dr. N a 1 h a n a e l Lieber-
kühn, Direktor des anatomischen Instituts, plötzlich in
Folge eines Schlaganfalls. Geboren war derselbe am
-8. Juli 1822 zu Barby im Regierungsbezirk Magde-
burg. Seit 20 Jahren war er an der Marburger
Universität thätig und zählte zu den hervorragendsten
Lehrern der medizinischen Fakultät. Vorher war
er Professor und Protektor am anatonischen Institut
zu Berlin. Die „Oberhessische Zeitung" widmet
dem Verblichenen einen warmen Nachruf dem wir
folgende Stelle entnehmen:
„Lieberkühn war akademischer Lehrer in des Wortes
vollster Bedeutung, ihm lag das Interesse seiner Zu-
hörer höher als alles Andere, keine Gelegenheit ließ
er vorübergehen, dieses zu bethätigen. Er genoß da-
für aber auch im höchsten Grade die Anhänglichkeit
und das Vertranen seiner Zuhörer und erfreute sich
darum stets eines aufmerksamen und großen Zuhörer-
kreises. Er verfaßte mehrere hochwissenschaftliche
Schriften und eine Reihe von Abhandlungen für die
Sitzungsberichte der naturwissenschaftlichen Gesell-
schaft, welche letztere in Marburgern und in anderen
wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen. Hohes
wissenschaftliches Ansehen genoß er in seinen fach-
männischen Freundeskreisen, wie er denn auch nach
Bennecke's Todt voy der Marburger „Naturwissen-
schaftlichen Gesellschaft" zum Vorsitzenden derselben
gewählt wurde."
Gleich seinen Vorgängern auf dem Lehrstuhle der
Anatomie, den Professoren Bünger, dem Gründer des
anatomischen Instituts in Marburg, Fick und Claudius
hat er sich einen berühmten Namen in der wissen-
schaftlichen Welt erworben, der fortleben wird in den
Annalen der alma mater Philippina. D,
Wenn auch kein Hesse von Geburt, so doch ein
hessischer Sänger ist am 16. April mit KarlHäs er
aus dem Leben geschieden, denn hier in unserer
Heimath, im Rauschen unserer Wälder entstanden
seine herrlichen Lieder, ferne wundervollen stimmungs-
vollen Gesänge. Ein echtes deutsches Herz wohnte
in seiner Brust, und tiefe Innigkeit des Gemüthes
war ihm eigen, in seinen Kompositionen reden beide
laut zu uns. Wer häte jemals das Lied: „Du
Wald mit deinen duft'gen Zweigen" gehört und wäre
nicht durch seine einfache aber warm empfundene Weise
tief ergriffen wurde! „Seine Frühlingstoaste", „der
Wanderer an das Vaterland", „Du lieber Engel
wein", Ich komme bald", „Drum schau in's Auge
Deinem Kind" und die Männerchöre „In vino veritas"
werden gesungen so weit die deutsche Zunge klingt
und wiederholen selbst fortwährend das Lob ihres
Schöpfers, der im 78. Lebensjahre plötzlich schmerzlos
noch inmitten seiner künstlerischen Thätigkeit abge*
rufen wurde. Wie er als Liedersäuger sich einey
weitberühmten Namen gemacht, so war er speciell
119
für Kassel und alle Hessen, welche jemals ihre Residenz-
stadt und deren Hoftheater besuchten, die beliebteste
Künstlerpersönlichkeit. Seine Darstellungskunst sprach
unmittelbar zum Herzen, weil sie sich nur an die
Narur anlehnte. Sein Humor war liebenswürdig
und herzlich, daher der Schwerpnnkt seines schau-
spielerischen Talentes auch in komischen Rollen lag.
Namentlich waren es Benedix'sche Frguren, in deren
Verkörperung er unübertroffen sein dürfte. Spielte
er ernste Episoden, so war es vor Allen der herzlich
gewinnende Ton, mit dem er außerordentliche Wirkungen
erzielte. Seine weiche sympathische Baßstimme be-
fähigte ihn auch zur Uebernahme kleinerer Baßpartien
in der Oper, in welcher er auch bis 1867 die Regie
führte. Im Ganzen hat Karl Häser dem hiesigen
Hoftheater 54 Jahre als Mitglied angehört. Die
großartigsten Orvanonen wurden ihm gelegentlich seines
50jährigen Bühnen-Jubiläums dargebracht. Damals
war es auch, wo die deutschen Gesang-Vereine zur
Gründung einer Häser-Stistung beitrugen, welche ihm
ernen sorgenfreien Lebensabend sichern sollte. Schon
als Kind kam Karl Häser mit seinen Eltern nach
Kassel. Frühzeitig zeigte der Knabe musikalische Be-
gabung und wurde von Dr. Großheim unterrichtet.
Trotzdem scheint man ihn für einen prosaischen Beruf
berufener gehalten zu haben, indem man ihn bei Meister-
Henkel als Blechschmied in die Lehre gab. Nachdem
er aber ausgelernt, ließ er sich seine Vorliebe für die
Bühne nicht mehr zurückdrängen. Zuerst gehörte er
dem hiesigen Theater-Chor kurze Zeit an und begab sich
sodann nach Stralsund, von wo aus er das Elend des
Wanderbühnenlebcns kennen lernte. 1633 kam er
wieder nach Kaffel, wo seinem Talente endlich die ver-
diente Anerkennung wurde. Wie allgemein die Liebe
und Verehrung für den Künstler und Sänger Häser in
der Bevölkerung Kassels, zu dessen populärsten
Persönlichkeiten er gehörte, Platz gegriffen, zeigte am
Besten die großartige Betheiligung an seinem Leichen-
begängniß. „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine
Kränze", der treue Sänger aber wird mit seinen
Liedern fortleben im Herzen seines Volkes. Molliter
ossa cubeut!. M. M.
$ $
Bei der am 16. April stattgehabten Uhlandfeier
in Tübingen hielt unser Landsmann, Universitäts-
professor Dr.-Sie Vers, die Festrede und feierte den
großen Dichter als Forscher und Gelehrten. Professor
Sievers ist der Sohn unseres Mitbürgers, des Herrn
Münzverwalter a. D. Sievers.
- * sfc
*
Kaiser Joseph II. berührt auf ein er Reise
hessisches Gebiet. Wer in den Dillenburgischen
Intelligenz-Nachrichten, einer Zeitung, welche vom
Jahre 1773 an bis in das zweite Jahrzehnt unseres
Jahrhunderts in Wochennummern zur Ausgabe ge-
langte, wichtige politische Nachrichten sucht, wird sich
enttäuscht finden. Dagegen enthalten diese Blätter,
dem damaligen Zeitungsgeschmack entsprechend, zahl-
reiche Lokal- und Personalnachrichten, die namentlich
für die Geschichte des l.assau-oranischen Lande eine
reiche Fundgrube bilden. Aber auch aus den an-
grenzenden Gebietstheilen enthalten sie manche inter-
essante Mittheilung, so z. B nachstehende, welche
das in der damals hessischen Riedergrafschaft Katzen-
ellnbogen gelegene Stäbchen Nastätten, als Quartier
des Kaisers Joseph II. in der Nacht vom 29/30 Mai
1781 bezeichnet:
Dillenburgische Intelligenz - Nachrichten. XXIV.
Stück. 16. Juni 1781. pag, 382. Dies ist der
Auszug eines Schreibens von Nassau den 1. dieses
Mon. Jun. „Vorgestern halten wir das Glück Jhro
Röm. Kayserl. Majestät bei uns zu sehen, welche
unter dem Namen eines Grafen von Fatkenstein, da-
hier durchreisten und die Post wechselten, nachdem
Höchstdieselbe die Nacht zuvor zu Nastetten bei
dem Herrn Hofkammerrath Recken logiret
hatten.
Jhro Majestät kamen schon früh Morgens vor
7 Uhr in einer 6 spännigen Chaise, welcher noch 2
dergleichen jede mit 2 Herrn besezzet und ein Küchen-
wagen folgeten. Der Kayser stunde in der Chaise und
der' General Graf Tercy säße zur linken Hand neben
ihm, er ließ sich vor und durch Nassau ganz sachte
fahren, er sahe sich überall um, er war mit einem
ganz simplen maußsarben tüchernen Rock und Weste,
gelb ledernen Beinkleidern, gewächsten Stiefeln und
silbernen Sporen, sodann einem rnnden schwarzen
Hüthgen und einem hellgrauen Rockelor begleidet.
In Nassau stieg er nicht' in dem Posthaus, sondern
mitten in der Straße, wo solche über das Brückelchen
nach Dammau zu gehet, aus der Chaise, und sein
Herr Begleiter mit ihm.
' Die Gesichtsbildrng des Kaisers ist länglich, und so
herablassend und huldreich er gegen die geringsten
Leute ist, so zeigt doch die Mine und der Blick die
Größe der Kaiserlich-Menschen-freundlichen Seele.
Sogar haben die Postillons, wo es Berg an gegangen,
ganz sachte fahren müssen, um bei der großen Hitze
der Pferde zu schonen.
Zu Ems ist rhm der Minister Herr Graf von
Metternich entgegen gekommen, mit dem er sich aus
der Chaise kurz unterredet hat. Zu Coblenz ist er
ohne daselbst zu verweilen durchgefahren." M.
* * *
In seiner „Chattischen Stammeskunde" theilt
Hermann von Pfister verschiedene Urtheile und
Aussprüche über die Chatten bezw. Hessen mit, von
Johannes von Müller, Friedrich dem Großen, Ernst
Moritz Arndt, W. H. Riehl. Ich möchte dieselben
durch einen Ausspruch des alten Jahn ergänzen,
der in seiner vorwortlichen „Erklärung" zum „Deut-
schen Volksthum" die Bedeutung der einzelnen deut-
schen Volksstämme erörtert und sagt: „Hessen, schon
gegen Römer das Deutsche Voland, wäre wahr-
scheinlich auch in den Revolutionskriegsjahreu Deutsch-
lands 'Rettungsvolk geworden, hätte es so viele
Millionen gezählt als Hunderttausende; oder nur
zwischen Main und dem Westerwald, am Rhein eine
feste Gränze gehabt." S.
Zu dem in der letzten Nummer des „Hessenland"
gebrachten Gedicht von Ernst Koch „das heimliche
120
Heid" müssen wir uns eine krein.e Berichtigung dahin
gestatten, daß dasselbe nämlich schon im Jahr 1838
öffentlich erschienen ist, und zwar im „Hessischen Album
für Literatur und Kunst" herausgegeben von Franz
Dingelstedt. Es befindet sich hier auf S. 177 unter
der Bezeichnung „Reliquie eines Verschollenen", ohne
daß dessen Namen genannt wäre. Es führt außerdem
noch die Ueberschrtft „Das heimliche Lied", wohl durch
Druckfehler statt „Leid" gesetzt.
Ferner möchten wir die bezügliche Legende nicht un-
erwähnt lassen, daß nicht das ganze Gedicht von E.
Koch herrühren soll, vielmehr nur die drei letzten
Strophen, welcher Zusammenhang folgendermaßen er-
läutert wird. Der Verfasser soll in einer Gesellschaft
die ersteStrophe von einerSängerin haben vortragen hö-
ren, und als diese aufgefordert, das Lied doch zn Ende zu
singen, erklärt habe, daß sie die weiteren Verse nicht
kenne, soll Koch ihr nach einigen Tagen diese von ihm
versuchte Vervollständigung des Gedichts überreicht
haben. Hieraus würde auch hervorgehen, daß ein Gedicht
mit der gleichen Anfangsstrophe von älterem Ursprung
vorhanden sein dürfte. Zngleich besagt auch noch die
Ueberlieferung, daß es im Original in er zweiten
Strophe, Zeile 2 von unten, statt „jubelnd" eigentlich
„nimmer" geheißen habe, was allerdings dem Sinne
nach entsprechender wäre.
Hessische Mcherschau.
Sappho, Drama in 1 Akt von G. Conrad.
Berlin. W. Strikker. Der erlauchte Verfasser ist
wohl mit Recht zu den Autoren von hessischer Ab-
kunft zu zählen, denn er ist ein Urenkel des Kurfürsten
Wilhelm I., nämlich der Prinz Georg von Preußen,
geboren 1826 zu Düsseldorf.
In einer hochpoetischen Widmung an Grillparzer,
»bcr ebenfalls eine Sappho dichtete, sprich: sich die
ideale Tendenz des Autors deutlich aus. In der
reinen Form der Antike — sapphisches Bersmaaß —
wird ein blühender lebensvoller leidenschaftlicher Jn-
chalt dargeboten, gleichsam glühende Rosen in weißem
Marmor! * * *
Die bleibende Bedeutung der Brüder
Grimm für die Bildung der deutschen
Jugend an den Märchen, Sagen, der Heldensage
und Mythologie dargelegt von Dr. R. I. Eugen
Labes. (4°, 32 S.) Wissenschaftliche Programm-
Beilage des Gymnasiums zu Rostock 1887.
Verfasser hat sich die dankenswerthe Aufgabe ge-
stellt, durch genaueres Eingehen auf einzelne Werke
des großen hessischen Brüderpaares, durch Gewinn-
ung eines Einblicks in ihres Geistes Eigenart, ihre
bindende Bedeutung für die Bildung der deutschen
Jugend darzulegen. Er zeigt, was die Bildung
unserer Jugend iynen auf den verschiedenen Gebieten
btx Wissenschaft, der Kunst und Religion verdankt,
mit einem Hinweis darauf, daß manches von dem,
was sie uns erarbeitet haben, erst noch von uns er-
worben und angeeignet werden muß, damit wir es
in Wahrheit unser eigen nennen und für die Bildung
kommender Geschlechter verwerthen können.
Zum Schluss seiner Ausführungen giebt Verfasser
den Anfang von Jacob Grimm's in Göttingen (am
13. XI. 1830) gehaltener Antrittsrede „Be desiderio
patriae“ zum ersten Male in deutscher Uebersetzung.
Das Manuskript zu dieser Rede hat Gust. Hinrichs
im Jahre 1880 entdeckt und in der Steinmeyer'schen
Zeitschrift für deutsches.Alterthum N. F. XIII., 3.1881
veröffentlicht. Bis dahin war nur ein freier Auszug
der Rede veröffentlicht worden. Wir können es uns
nicht versagen, hier einige Stellen aus der Ueber-
setzung mitzutheilen. „Nichts gewährt uns größere
Sicherheit und wehrt mehr den Sorgen, als das Vater-
land. Da heißen wir doch gewiß sicher und geborgen,
wo wir zu Land und Heuten das größte Ver-
trauen haben und nichts von denselben zu fürchten
haben. Zu welchem Lande können wir auf dem ganzen
großen Erdenruude volleres Vertrauen haben, als zu
dem, das uns nährende Mutter gewesen, in dem wir
von Kindesbeinen an jeden Weg und Fußsteig durch-
wandert? In dem wir verlebt der Jugend goldne
Zeit, an deren süße Erinnerung keine andere^ eines
Menschenlebens auch nur von ferne heranreicht. Da
schauen Berge und Hügel so freundlich uns an, da'
reden gleichsam Flüsse und Bächlein so befreundet zu
uns eine Rede, welche Auswärtige und Fremde nicht
verstehen. Welchen Menschen ferner können wir zu-
verlässiger Glauben schenken, als denen, die uns er-
zeugt und erzogen, deren zärtliche Liebe gegen uns
leuchtende Zeugnisse auf das deutlichste bezeugen.
Reden nicht aus dem Grabeshüstel unserer Eltern,
deren Asche ruht in der heimatlichen Erde Mutter-
schooße, Stimmen, deren mächtige Mahnung wir
deutlich zu vernehmen glauben? Etwas Großes ist
es, durch die gleichen Denkmäler sich der Thaten
unserer Vorfuhren zu erinnern, Gotteshaus, Gottes-
dienst und Grabmäler grmeinsam zu haben. U. s. w."
— Wahrlich Jacob Grimm giebt uns den Beleg da-
für, daß die Liebe zur engeren Heimat recht
gut in Einklang steht mit der Liebe zum
großen deutschen Vaterlande. A.
Krirstaste«.
Schw.; N. F., Kasset; N. n., Melsungen. Dankend
angenommen
6. W., Kassel. Von der Jahreszeit bereits überholt.
H. F., Bromberg. Wir werden einige der Gedichte
gern abdrucken.
Ph. v. A., Marburg. Wir sehen weiteren Beiträgen
gern entgegen.
H. O., Hanau. Natürlich stehen Ihnen wie jedem
Leser unserer Zeitschrift, Exemplare derselben in der ge-
wünschten Anzahl, behufs Verbreitung, zur Verfügung.
Inhalt der Nummer 3 des „Hessenland": „Auf
Wilhelmshöhe", Gedicht von Feodor Löwe; „Bon den
Schätzen des alten Kurfürsten"; „Kasseler Maler in den
Jahren 1840—1850", von Louis Katzenstein; „Krieg im
Frieden", ein Genrebild aus der Rococozeit, von Joseph
Grineau (Schluß); „Klärung", Gedicht von A. Trabert;
„Immer weiter", Gedicht von Karl Preser; Aus alter
und neuer Zeit, Briefkasten.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw enger in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Bangn
MSSeillffflM
M 10.
Dem Hessenland.
CV in stillen Weltmeer, mo die Welle
il An das Gestade schäumend rauscht,
/•sX Und wo am Strand die schlanke Palme
Gleichwie im Traum der Grandung lauscht;
Wo durch des Urwald's ew'ge Schatten
Geheimnißvolles Echo sieht,
And aus der leichten Gambnshütte
So trostlos klingt des Indiers Lied:
Da hab' ich, ach, wie oft gestanden,
Wenn auf die Welt der Äbend sank,
Fremd all' dem Zauber, denn ich fühlte
Mich wanderniüd und heimwehkrank.
So wandermüd, wie fencs Segel,
Das dort am Horizont verschwand,
So heimwehkrank wie jene Wolke,
Die träge hinschwebt über'm Land.
Wenn dann ein Glühen, Duften, Zittern
In dem verschlung'nen Dickicht bebt,
Und von dem Meeresrand sich leuchtend
Des Südens Grenz verheißend hebt,
Wenn im Gebirg ein Urwaldsriese
Mit dumpfem Grach zu Goden schlägt,
Und sich in hohen Cederwipfeln
Ein bunt' Gevögel träumend regt:
Dann hab' ich an -er Sycomore
Gefurchten Stamm die Stirn gelehnt
Uno hab' so recht aus Herzensgründe
Nach meiner Heimath mich gesehnt.
Ach, wie an dir, hängt an der Heimath
Gein Volk der Welt so wunderbar,
Ich glaub' auch nicht, -aß je ein Hesse
In fremdem Lande glücklich war!
Co lim a (Mexico), 1. März 1887.
Kassel. 15. Mai 1887.
Und sanfter, däucht mir, rauscht die Grandung
Und aus dem Walde säuselt's mild,
Und es entrollt vor mir barmherzig
Erinnerung ihr liebstes Gild.
Dich, Lahnstrom, hör' ich wieder rauschen,
Der oft des Gnaben Grust umspült,
Der oft mit seinen Silberwellen
Mein junges Herz hat sanft gekühlt.
Dein Schloß, mein Marburg, seh' ich ragen,
Durch -eine Gassen schreit' ich hin
Und fühl', wie Gram und Jahre schwinden
Und wie ich wieder glücklich bin.
Der Eltern Haus—von ihm hier schweig' ich—
Doch, sag' mein Herz, was hemmt dich hie,
Was fesselt dich an diese Mauern? —
— In diesem Hause wohnte sie! —
Dort steht die Linde noch genüber,
Wo ich so manche lange Nacht
Von Weh geschüttelt und von Sehnen
Und zu ihr betend hingebracht!
In jenem Hause wohnt ein Lieber,
Gin and'rer Freund in dem und dem,
Hier das Geländer, dort der Grannen,
Ach, Alles, Alles, wie vordem!
Was wecket mich der braune Sklave,
Und mahnt mich welsch an meine Pflicht?
Ich war daheim im Hessenlgnde
Und träumte ein wie schön' Gesicht!
122
Die KrmstschiLtze der Geluhauser Sladtkrrche
Bon
F. M. Kirnghrrns.
'MAie Stadtkirche zu Gelnhausen, jenes schöne
J| Denkmal mittelalterlicher Baukunst, an
^ welchem der Uebergang vom romanischen zum
deutschen oder gothischen Baustyl so deutlich zu
sehen ist, enthält im Innern eine Anzahl Kunst-
werke, die viel zu wenig bekannt sind. Es sind
theils Holzschnitzereien, theils Gemälde, die mit
den ersteren in harmonischer Vereinigung die
Altäre zieren, theils Steinmetzarbeiten, womit
Säulen und Wände geziert sind. Sie alle sind
trotz hohen Alters gut erhalten, da merkwürdiger-
weise die Kirche weder in den Stürmen des
dreißigjährigen Kriegs, von denen Gelnhausen so
schwer heimgesucht wurde, noch bei den Durch-
zügen des siebenjährigen, noch endlich bei der
Retirade des Jahres 1813 irgend wie beschädigt
worden ist.
Gelnhausen war bekanntlich bis zu den Zeiten des
dreißigjährigen Kriegs, durch dessen Verwüstungen
cs zu dem Rang eines elenden Landstädtchens
herabsank, ein Ort von viel größerem Umfang,
größerer Einwohnerzahl und größerem Reichthum,
als es jetzt ist. Noch findet man in dem äußern
Mauerring, den jetzt Gärten einnehmen, die
Fundamente zahlreicher Gebäude, die damals in
Asche sanken und nicht wieder aufgebaut wurden.
Im 13. und 14. Jahrhundert war Gelnhansen
eiu nicht unbedeutendes Glied der Bündnisse,
welche die Städte der Wetterau und des Rhein-
landes mit einander abschlössen, um sich und
ihren Handel in den Zeiten der Fehden und
des Faustrechts gegen die Vergewaltigungen der
benachbarten Ritter und Dynasten zu schützen.
Seine Bewohner nährten sich theils von dem
damals noch schwunghafter als jetzt be-
triebenen Weinbau, theils von dem Handel, dem
anch die damals noch schiffbare Kinzig dienen
mußte. Hieran erinnert das noch jetzt stehende
Schiffthor, sowie die Thatsache, daß König Ruprecht
von der Pfalz im Jahre 1404 bei der Belagerung
der Burg Rückingen die dazu nöthigen Schiffe
von Gelnhausen kommen ließ.
Der durch Weinbau und Handel gewonnene
Wohlstand seiner Bürger, der Reichthum der
zahlreichen Adelgeschlechter, welche als kaiserliche
Burgmannen zum Schutz der Kaiserburg in
Gelnhausen wohnten, der fromme Sinn des Mittel-
alters, der um der Seelen Seligkeit willen stets
bereit war Kirchen und Klöster mit den reichsten
Schenkungen zu bedenken, sowie die reichen
Opfer, welche die zu der bei der Kirche befind-
lichen Nachbildung des heiligen Grabes wall-
fahrenden Pilger dem Heiligthum darbrachten,
setzten die Geistlichkeit der 1170 begonnenen und
um 1260 vollendeten Kirche in den Stand, das
Innere derselben mit allem Aufwand mittelalter-
licher Kunst auszuschmücken.
Wer die Meister gewesen sind, welche die
unser Auge entzückenden Kunstwerke der Malerei
und Skulptur schufen, ist uns leider nicht be-
kannt. Nur die Gemälde auf den Flügelthüren
des Hochaltars werden als das Werk des um
1500 lebenden Meisters Nikolaus Schit bezeichnet.
'Was die Skulpturen anbetrifft, so läßt die Aehn-
lichkeit, welche dieselben mit den gleichen Bild-
werken in den Kirchen des alten Nürnberg haben,
darauf schließen, daß sie wohl dort oder wenigstens
von Meistern der Nürnberger Künstlerschulen, viel-
leicht von Schülern und Gehülfen des Michael
Wohlgemuth (1434—1519) gefertigt worden sind,
Professor Lübke hat daraus hingewiesen, daß in
den Werkstätten dieses Meisters die Anfertigung
von heiligen Bildern auf Bestellung in fabrik-
mäßiger Weise geschah und daß sich in denselben
für die einzelnen Heiligen ein gewisser feststehender
Typus bildete, welcher, wenn auch modificirt, immer
wiederkehrt.
Der Zweck dieser Zeilen ist der, die geehrten
Leser und Leserinnen des „Hesscnlandes" auf
die Kleinodien aufmerksam zu machen, welche die
vor einigen Jahren so herrlich restaurirte „Frauen-
kirche" Gelnhausens birgt. Vielleicht daß da-
durch Einer oder der Andere bei rascher Fahrt
durch das lachende Kinzigthal sich veranlaßt fühlt,
auf ein Stündchen den Bahnzug zu verlassen,
um sie einer liebevollen Betrachtung zu unter-
werfen. Wenn Sie es gestatten, so will ich den
Führer machen.
Wir beginne» mit dem in dem wundervollen
Chor stehenden Haupt- oder Hochaltar. Derselbe
bildet einen durch doppelte Flügelthüren geschlosse-
nen Schrein, über dem sich die Laterne für. das
ewige Licht in Form eines gothischen Thürm-
chens erhebt. Nach geöffneten Thüren zeigt uns
derselbe die lebensgroße, vergoldete Statue Marias
mit dem Kinde, zur Rechten der Evangelist Jo-
hannes, kenntlich an dem Schlangenkelch, sowie
der Apostel Paulus, zur Linken Johannes der
Täufer mit der Taufmuschel und Petrus, aus-
gezeichnet durch den Schlüssel, den er in der
123
Hand führt. Auf der inneren Seite der geöff-
neten Flügelthüren sehen wir vier Heilige, zwei
männliche und zwei weibliche, nämlich rechts St.
Valentinus, dem Krankenheiler, zu seinen Füßen
einen siechen Mann, unverhältnißmäßig klein
dargestellt, vermuthlich um auch bildlich den
großen Abstand zwischen dem heiligen Mann und
einem gewöhnlichen Menschenkind anzudeuten,
und St. Margarethe, zur Linken St. Sebastian
von vielen Pfeilen dur vbohrt und St. Katha-
rina. Katharina wird gewöhnlich mit einem
anderen Marterwerkzeug, dem mit Messer» ver-
sehenen Rade dargestellt. Hier trägt sie das
Schwert, mit dem sie zuletzt hingerichtet wurde.
Schließen wir sodann die Flügel, so erblicken
Mir auf der Außenseite die Verkündigung Marias
mit zwei Heiligengestalten, rechts St. Georg mit
dem Drachen, links St. Nikolaus, den Kinder-
freund. Sämmtliche Figuren sind auf Goldgrund
gemalt, um die himmlische Glorie anzudeuten,
welche die Heiligen durch ihr Leben und Leiden
errungen haben.
Der Namen des schon oben erwähnten Meisters
sowie die Zahl der Jahre, welche er zur Voll-
endung dieser Bilder brauchte, verkünden zwei
Distichen, welche wir hier in möglichst wortge-
treuer Uebersetzung folgen lassen:
Ban der Jungfrau Geburt verflossen fünfzehn der Jahre
Ms zum heutigen Tage, Jubel war damals im Land
Ws der Maler dies Werk vollendete. Nikolaus hieß er,
Schil benamet dabei, Meister der löblichen Kunst.
Das Bild des hl. Sebastian führt folgende
Umschrift:
Heiliger Sebastian, du einzige Hoffnung der Kranken,
Tapferer Streiter des Herrn, Märchrerherrlich an Ruhm,
Der dein 'Erycius gleich die schrecklichen Pfeile der Seuche
Blick uns Elende an, wir flehens, mit freundliche» Augen
Steh' als mächtiger Schutz uns den Sterblichen bei.
Treibe die Pest hinweg und wende schädliche Krankheit
Und in jener Welt spende uns Hülfe und Trost.
Um das der hl. Katharina heißt es so :
Jungfrau aus Königs Stamm, Katharina leuchtend vor
Allen
Durch der Tugenden Zahl, keusche Verlobte des Herr«,
Die du nach manchem Triumph als Siegerin, früge
Jungfrau,
Jetzt ohne Ende und Ziel himmlische Chöre bewohnst.
Siehe wir flehen dich an bei deinen Martern und Strasen»
Die dn für Christum erlittst, schaffe uns Friede mit Gatt.
Lenk uns und hilf uns, o laß uns leben reichliche Jahre,
Selige Jungfrau, und gib einst uns dem Himmel zurück.
Das Gebet an St. Valentinus tarnet:
Valentinus, dy Held des Höchsten und mächtiger
Schutzherr.
Dem der allmächtige Gott reichliche Aemter verliehe
Dem er besonders vergönnt zu vertreiben die schrecklich,
Fallsucht,
Der mit seinem Verdienst bringet die Seuche zur Flucht,
Deine mächtige Wacht, sic schütze und helfe, wir Äpmcn
Rasen dich flehend an, uns io gefährlicher Seit,
Daß die scheußliche Pest nicht vecherbe die Männer des
Volkes, ,
Gieß, o Seiger, vor Gott, "gieß deine Bitten uns aus.
Das Bild der hl. Margaretha endlich umgarn
folgende Verse:
O im hciligeMagd, durch Verdienste glänzend, die größten,
Margaretha, des Lammes herrkrch gezierete Graut,
Die als Siegerin nun nach den eitlen Kämpfen des Lebens
Änd als Märtyrin dort himmlische Freude» genießt,
Christusträgerin du, die geeint mit andcrenZmHfrauen
Leuchtende Kränze trägt, rosengeflochtene auch,
Gib, o Jungfran, auch Ms den Drachen, welchen du
bändigst,
Daß wir ihn zwingen, und einst steigen zumHimmel empor.
(Schluß folgt).
Mn Kesnch irr Michelrnshöhe.
*Ms war ein lachend schöner Herbsttag iu dem
Jfl denkwürdigen Jahr 1870, die Blätterfülle
" in der Aue leuchtete schau im rothgoldenen
Farbevspiel, und die Wilhelmshöher Allee wurde
durch welke Aesle uud staubige» Rasen entstellt.
Eis Getümmel von Wagen und Fußgängern
drängte sich darin zu einem wirren, wilden
Knäuel zusammen. Man konnte es als eine
Befreiung ansehen, wen» man am Fuß des
Berges anlangte, wo ei» kundiger Wanderer sehr
bald einen der vielen Fußpfade zu beuatzev ver-
stand, die in einigen Minuten in die kühle staub-
lofe Waldeinsamkeit führe«. Das Rauschen der
Bäume und das Girren der wilden Tauben
unterbrachen allein die köstliche Stille. Die bal-
samische Waldluft einathmevd, stieg ich nur sehr
langsam zur Höhe hinaus. Mt Ueberraschung
vnd Bewunderung erblickte ich auf derselben end-
lich das herrliche Schloß, welches auf der sam-
metgrünev Rasenfläche sich erhebt und pon schön-
stem Mumenparterre umgeben ist.
Dort oben hatten sich neugierige Zuschauer in
großer Menge eingefuoden, wie Ameisenschwärme
bedeckten sie alle Zuginge des Parkes, den» sie
wollten das historische Wunder ansehen, den
Kaiser der Franzosen als Kriegsgefangenen auf
124
einem deutschen Schlosse. Es gab damals Leute
genug, die ihn, der aus allen Himmeln gefallen
war, noch zu glücklich fanden, sie mißgönnten
ihm das allerdings wunderschöne Gefangenhaus
und hätten ihn lieber auf einer düstern Festung
eingesperrt. Aber es bedurfte keiner solchen,
denn zur Flucht hatte der entthronte Kaiser ja
keine Veranlassung, wohin sollte er sich wenden?
Daß sein großherziger Besieger ihn mit so viel
Schonung und Edelsinn behandelte, ihm ein
wahres Dorado zum Gefängniß anzuweisen, war
sehr großmüthig. Zugleich bildete der Aufent-
halt in Wilhelmshöhe für den dritten Napoleon
die wunderbarste Ironie, die jemals in der Ge-
schichte vorgekommen ist. Jedoch hatte der gut-
herzige Kaiser Wilhelm dieselbe gewiß ganz un-
bewußt ausgeübt, er dachte im Drange des
Augenblicks von Sedan sicherlich nicht an die fran-
zösische Vergangenheit von Wilhelmshöhe, sondern
nur an dessen Annehmlichkeit und Schönheit.
Dieselben prangten gerade im Herbst von 1870
in vollster Entfaltung, schöner hatten die Blume»
dort noch nie geblüht. Ganz besonders ragten
die rothen und blauen Hortensien hervor, dieses
Symbol des dritten Napoleon, dessen Mutter,
Hortense, die Erbschaft der französischen Krone
einst so heiß gewünscht und es doch nicht erlebt
hatte, daß diese ihrem jüngsten Sohne zufiel —
der älteste war noch offiziell vom ersten Napo-
leon als Erbe anerkannt worden, ehe dieser einen
eigenen Sohn besaß.
In der herrlichen Hortensienlaube, welche einst
rin Lieblingstheeplatz der kurfürstlichen Besitzer
war, fand ich eine leere Bank und beschloß den
Spaziergang Napoleons zu beobachten, er mußte
bald vorüber kommen — im Publikum bemerkte
man schon die gesteigerte Unruhe der Erwartung.
Es war bekannt worden, daß Graf Monts so
eben die Nachricht von der Uebergabe Straß-
burgs dem Gefangenen mitgetheilt habe; zu be-
obachten, wie er dieselbe ausgenommen hatte,
-achten sich die Leute ganz besonders interessant.
Es entstand ein wildes Gedränge, als der Ex-
kaiser sich dem Schlosse näherte, die Blumenbeete
und der gepflegte Rasen wurden zerstampft, ver-
gebens versuchten die uniformirteu Parkwächter,
die Ordnung aufrecht zu halten. Da änderte
; Graf Monts plötzlich die Richtung und schlug
einen Seitenweg ein, um das Schloß zu er-
reichen und dem Menschenstrom zu entgehen.
Dicht hinter der Hortensien-Laube wandelte nun
das Häuflein der interessanten Gefangenen vor-
bei; es war mir als hörte ich die ehernen
Schritte der Geschichte. Wie viele Blätter ihres
Weltbuches sind blutig gezeichnet durch die Na-
poleoniden! Der dritte und voraussichtlich letzte,
hat sogar noch mehr Geschichte gemacht als der
erste, schon weil er viel länger das Scepter
Frankreichs führte und den großartigen Um-
schwung der Neuzeit, wenn auch nur durch
seinen Fall, veranlaßte.
Da sah ich ihn nun vor mir den kleinen gro-
ßen Mann, der so oft beschrieben wurde und
nun doch so ganz anders mir erschien. Er ging
am Arm des General Castelnau, neben dessen
hoher Gestalt er noch kleiner als sonst aussehen
mußte — er ließ sich bekanntlich fast immer von
einem seiner Adjutanten führen. Sein Gang
war jedoch sicher, seine Füße schleiften keines-
wegs den Erdboden, wie so oft behauptet worden
ist, er trat fest auf und trug zierliche Stiefeln.
Der Rücken war etwas gerundet und hochschult-
rig, dennoch hatte seine Haltung etwas Würde-
volles. Seine auffallend kleinen Hände steckten
in eleganten hellgrauen Handschuhen, die man
nämlich in Kassel fast noch besser als in Paris
haben kann. Sein Gesicht war durchaus nicht
häßlich, die Farbe spielte zwar etwas in's Gelb-
liche, doch sah er nicht kränklich aus. Es ist
auch unzweifelhaft, daß er in der herrlichen Luft
von Wilhelmshöhe sich rasch erholte, hätte er
dort länger bleiben können, lebte er vielleicht
noch. Jedenfalls waren die Tage seines Aufent-
haltes in der Gefangenschaft die letzten glücklichen
seines wechselvollen Daseins. Er vermochte damals
noch zu hoffen, daß Frankreich ihn zurückrufen
würde. Die furchtbaren Erschütterungen und
Erniedrigungen, welche die Communards über
das unglückliche Land brachten, wären für ein
vernünftiges Volk Gründe genug gewesen, um
dem Herrscher sich wieder unterzuordnen, der
länger als zwanzig Jahre mit starker Hand den
Deckel der Pandorabüchse verschließen konnte.
Die Höllengeister, die daraus hervorstürzten, so
bald Napoleon fortging, gaben ihm eine volle
Rechtfertigung für seine Handlungsweise. Er
konnte mit einer Art Satisfaktion auf die Ver-
wüstung Frankreichs sehen, das unter seiner Lei-
tung zu Wohlstand und Macht gelangt war.
Den Krieg hatte er allerdings heraufbeschworen
aber er gehorchte dabei doch nur dem ungestümen
Drängen der Nationaleitelkeit.*)
Was das sogenannte Wohllebeu des Gefang-
enen betraf, von dem die Zeitungsschreiber in
Ermangelung anderen Stoffes, so viel gefabelt
haben, so beschränkte sich dies nur auf eine
etikettenmäßige Bewirthung, wie sie von einem
so hohen Gastgeber wie König Wilhelm es war,
*) Obige Ansichten über Napoleon III. dürften denn doch bei einem
großen Theile der Leser unserer Zeitschrift auf Widerspruch stoßen. D. R.
125
wohl nicht geringer dargeboten werden konnte.
In dem schönen Gefühl der Achtung vor dem
Unglück hatte man von Berlinden Küchenchef
der eigenen Hofhaltung nach Wilhelmshöhe gesendet.
Auch die Berichte von dem Schlittschuhlaufen
Napoleons stellten sich als unwahr heraus.
Er benahm sich stets zurückhaltend und scheute
jede Art von Belustigung, nie war er in Kassel
im Theater, obwohl ihm eine Hofloge zu Gebote
stand. Nur eine feierlich steife Whistpartie machte
er zuweilen des Abends mit seinen Generalen,
die sich tödtlich dabei langweilen mochten. Un-
heimlich brausten die Winterstürme um das Berg-
schloß auf der einsamen Höhe und übertönten
die spärliche Unterhaltung, weckten auch gewiß me-
lancholische Reminiscenzen bei den Gefangenen, die
sämmtlich bis dahin inLebensgenuß geschwelgt hatten.
In einer stürmischen dunklen Winternacht fuhr
einst eine Miethskutsche aus Kassel langsam die
Anhöhe hinauf und hielt vor dem Hotel Schom-
bardt. Eine schwarzverschleierte Dame stieg aus
und bestellte sich ein Zimmer, dann ließ sie deu
wachthabenden Offizier zu sich entbieten, zeigte
ihm ihre Legimation, vom Grafen Monts unter-
zeichnet , und wurde ehrfurchtsvoll nach dem
Schlosse geleitet. Es war die stolze Kaiserin
Eugenie, die so tief gedemüthigt und trostlos
diese Wallfahrt zu ihrem gefangenen Gemahl
unternahm. Das Wiedersehen der beiden Gatten
war gewiß herzzerreißend, eine Scene für einen
Trauerspieldichter der Zukunft. Und doch sollte
das Maaß des Unglücks für die einst so glücks-
verwöhnte Frau noch viel voller werden! Kaum
zehn Jahre später wurde ihr Sohn auf die
furchtbarste Art ermordet! Die Kaiserin Eugenie
und die Königin von Bayern sind gewiß die be-
klagenswerthesten Mütter!................
Ich verweilte damals noch länger in Wilhelms-
höhe und traf auf meinen Spaziergängen oft mit
dem General Castelnau zusammen; er besaß in
hervorragender Weise das französische Talent der
„Causerie."
Sein schönes ernstes Gesicht, gewöhnlich von
Melancholie umwölkt, heiterte sich stets auf,
wenn unsere Unterhaltung auf das neutrale Ge-
biet der Kunst und der Bewunderung von Natur-
schönheiten überging. Man hat den Franzosen
so oft Unwissenheit vorgeworfen, aber dieser
napoleonische General konnte es wahrlich mit
einem deutschen Gelehrten aufnehmen. Er las
den Plato und schwärmte für Uoungs Nachtge-
danken, ein Dichterwerk, welches in Frankreich
überhaupt mehr Geltung hat wie in unserm
poetischen Deutschland! Mirabeau nannte es
mit Recht ein Trostbuch für Unglückliche.
General Castelnau's Lieblingsschriftsteller waren
Bernardin de St. Pierre, der Dichter von Paul
und Virginie und Lemaistre, der christlichePhilosoph;
aus die Aehnlichleit des Letzteren mit unserm
viel zu schnell vergessenen Radowitz machte ich
ihn erst aufmerksam. General Nadawitz lebte
bekanntlich einst in Kassel und hat auf die geistige
Strömung daselbst nachhaltig eingewirkt.
Die Schönheit vom Wilhelmshöhe hat kaum
einen wärmeren Bewunderer gefunden, als den
General Castelnau, er kannte jeden Aussichts-
punkt in die blauen Fernen und konnte sich nicht
satt sehen an den Prachtbäumen der immergrünen
Wildniß bei Moulang und am Lac. Auch die
Löwenburg, dieses Phantasiegebilde eines ritter-
lichen Herrschers, besuchte er mit besonderer Vor-
liebe.........
Als endlich Metz gefallen war, kamen noch
mehrere Kriegsgefangene nach Kassel, u. a. derMar-
schall Bazaine, der ein Freund war von Castelnau;
sie hatten einst in Mexiko sich gefunden. Ba-
zaine konnte als Beweis dienen, daß nur die
größte Noth und Entbehrung die Uebergabe von
Metz veranlaßt hatten, er sah fast verhungert
aus und vermochte an Napoleons reicher Tafel
nichts zu essen, weil sich sein Magen der Speise
fast ganz entwöhnt hatte. Niemand würde da-
mals die späteren Beschuldigungen gegen den
unglücklichen Marschall für möglich gehalten
haben. Er hätte doch gern den Ruhm sich er-
rungen, die Festung zu halten, wenn es nur
irgend möglich gewesen wäre. Er schwärmte für
sein Vaterland nnd ließ sich große Kisten voll
Erde nach Kassel kommen, damit sein Kind auf
französischem Boden geboren werden konnte. Die
deutschen Befehlshaber, welche damals noch in
Frankreich standen, gestatteten ihm willfährig
diese rührende Spielerei. Seine schöne junge
Frau, eine reiche Spanierin liebte ihn leiden-
schaftlich, obwohl er schon dem Greisenalter nahe
stand. Einmal war sie in Kassel im Theater,
als „Fidelio" gegeben wurde, sie zerfloß in
Thränen bei den Scenen im Gefängniß, wo-
Leonore als Befreierin ihres Gatten auftritt.
Die wüthige Marschallin hat später in ganz
ähnlicher Weise aus Liebe zu ihrem Manne ge-
bandelt und mochte damals wohl schon die Ge-
fahren ahnen, die ihm drohten.
Nur ungern beendete ich meinen Besuch in
Wilhelmshöhe; ich setzte meinen Verkehr mit dem
General Castelnau jedoch brieflich fort, wodurch
ich ihn noch höher schätzen lernte, denn er schrieb
wie ein Schriftsteller und gewährte mir viel
geistige Anregung.
126
Im März 1871 überraschte er mich mit
einem Besuch in Berlin; er war auf Wunsch
des Fürsten Bismarck gekommen, um aus dessen
Händen den Degen Napoleons zurück zu empfangen.
Castelnau wohnte im Hotel royal unter einem
angenommenen Namen, damit Niemand seine
Anwesenheit erfuhr. Später erst brachte die
Kreuzzeitung eine Notiz darüber.
4h?» tum Hotzerrhernserr.
gm Kries K«l Zr,dk!m»»'s übn bss Mein Theoter
aus dem Jahre 1832.
as von Kurfürst Wilhelm II. gleich nach
seinem Regierungsantritte im Jahre 1821
errichtete und zu einer der ersten Bühnen
Deutschlands erhobene Kasseler Hoftheater hatte
«tuen ebenso kurzen Bestand, als die Regierung
dieses kunstsinnigen Fürsten. Wenige Tage,
nachdem er am 10. März 1831 seine Residenz
auf immer verlassen hatte, erging von Wilhelms-
bad die Verfügung, das Hoftheater in ein Natio-
naltheater umzuwandeln. Ueber diese, in der
Zeit der großen politischen Aufregung getroffene
Maßregel hatte sich der allgemeine Unwillen so
laut kund gegeben, daß man eine Beruhigung
-er Gemüther für uöthig hielt. Das Ministerium
machte bekannt, daß das Hofthcater, zu welchem
die Landstände einen jährlichen Zuschuß von
21,000 Thaler bewilligten, nicht aufhören, sondern
nur reducirt werden solle.
Diese Lage der Sache änderte sich aber wieder
vollständig, nachdem Wilhelm II. am 30. Sep-
tember 1831 seinem Sohne die Regierung des
Landes übertragen hatte. Der Kurprinz war
ein großer Freund des Theaters und forderte
den Generaldirektor Feige und den Kapellmeister
Spohr zunächst zu Vorschlägen auf. wie das
Theater erhalten werden könne, da die seinem
Vater zur Unterhaltung desselben zu Gebot ge-
standenen Mittel jetzt gänzlich fehlten. Spohr
und Feige erklärten einen jährlichen Zuschuß des
Hofes von 15 bis 18,000 Thaler für erforder-
lich, und damit war das Schicksal des Theaters
entschieden. Der Kurprinz erließ die Verfügung,
daß das Hoftheater mit dem 15. April 1832 zu
schließen und das Theater von da an zur Ver-
pachtung auszuschreiben sei.
Das war ein harter Schlag für die Kasseler,
welche jetzt schon die reiche Hofhaltung Wilhelm
II. schwer vermißten und zu allen Zeiten beson-
dere Vorliebe für das Theater gezeigt haben.
Zunächst zeigte sich große Theilnahme an dem
traurigen Schicksal der Vielen, welche durch die
Aufhebung des Theaters brodlos geworden waren.
Das besonders schwer betroffene Chorpersonal
veranstaltete im Stadtbausaale eine Reihe von
Vorstellungen, in welchen sie kleine Lustspiele
zur Darstellung brachten. Diese wurden anfangs
zahlreich besucht, konnten aber im Laufe des
Sommers keinen langen Bestand haben.
Den bedeutenderen Mitgliedern des früheren
Hoftheaters fiel es nicht schwer, an anderen
Bühnen vortheilhafte Engagements zu finden,
erfolglos blieben aber alle Bemühungen anderer,
früher angesehener und beliebter, jetzt aber zu
alt gewordener Künstler. Zu ihnen gehörte ein
Schauspieler aus der alten Jffland'schen Schule,
Carl Schmidt, welcher im Anfang der 20er
Jahre noch die ersten Rollen in den Jffland-
schen Stücken mit Erfolg dargestellt, zuletzt aber
nur in kleineren Rollen als Bösewicht zweiten
Grades Verwendung gefunden hatte. —
In seiner Noth wendete er sich an seinen
früheren Kollegen Carl Seydelmann mit der
Bitte, ihm ein Engagement zu verschaffen. Dieser
war von dem Generaldirektor des Hoftheaters
Feige, im Jahre 1822 mit lebenslänglichem En-
gagement für die Kasseler Bühne gewonnen
worden, hatte aber im Jahre 1828 seinen Kon-
trakt gebrochen und hat dann nach kurzem En-
gagement in Darmstadt und später in Stuttgart
das Ziel seines Strebens in Berlin erreicht.
Seine frühere Kasseler Kollegin, Henriette
Schmidt, läßt ihm als Künstler in ihren hinter-
lassenen Aufzeichnungen über das Kasseler Theater
alle Gerechtigkeit widerfahren, entwirft aber sonst
von ihm ein weniger günstiges Bild. Sie
schreibt:
„Noch glaube ich ihn zu sehen, als er das
erste Mal unser Versammlungszimmer im Theater
betrat. In einer damals modernen erbsengelben
Chenille, die goldblonden, etwas röthlichen Haare
künstlich zu einem Lockenkopf geordnet, lenkte er
seine großen blauen Augen, welche Schüchtern-
heit und Mißtrauen zeigten, prüfend bald rechts,
bald links auf die versammelten Kollegen, um
zu prüfen, welchen Eindruck er machtz. Miß-
trauen war überhaupt drr hervorstechende Zug
seines Charakters. In steter Unruhe, unzugäng-
lich, ungenügsain, unzufrieden, und dabei im
127
hohen Grade ehrsüchtig, stand er stets isolirt
und hat sich in Kassel nie glücklich gefühlt. Nur
daraus erklärt sich auch das gewiß allzu herbe
Urtheil, welches er über das dortige Publikum
nach der Schrift Rötschers „das Leben Seydel-
manns" mit den Worten gefällt hat: „Neubegter
und nichts als Neubegier ist es, welche hier die
Verbindnng zwischen Publikum und Künstler
knüpft. Gaffen, hör.n, Stoff zu Klatschereien
will man, sonst auch gar nichts. Sonst ist ihnen
Kunst ein leerer Namen und die Künstler sind
ein müßiges fatales Volk, das frevelhafter Weise
Geld wie Heu kriegt."
In der Antwort auf Schmidts Brief zeigt
sich Seydelmann von einer weit vortheilhafteren
Seite. Er theilt ihm mit, wie er sich um ein
Engagement für ihn bemüht, bis jetzt aber noch
vergeblich, und schreibt dann weiter:
„Ich will Euch (die damals beliebte Anrede
unter Schauspielern) aber nicht länger auf Ant'
wort warten lassen. Glaubt mir, daß ich nichts
unversucht lassen werde, was Euch irgend wie
frommen könnte. Schreibt mir bald, lieber Alter,
was Ihr denn eigentlich in Beziehung auf
fernere Beschäftigung vorhabt uud welche Be-
schränkungen Ihr Euch würdet gefallen lassen.
Seid aufrichtig und vertraut dem redlichen
Willen Eures alten Freundes."
Seydelmann theilt dann seine Ansichten über
die Auflösung des Kasseler Hoftheaters mit. Er
schreibt darüber:
„Man wird schwerlich unrecht thun, wenn man
die Gräfin Reichenbach als die Schöpferin der
Kasseler Prachtanstalt, wie man dieses Theater
seit dem Regierungsantritt des Kurfürsten nennen
kann, betrachtet. Daß ein allem Anschein nach
so festbegründetes Institut so bald absterben
würde, ließ sich wohl Niemand träumen. Ferge
hat offenbar große Schuld dabei, Konsequenz ist
eine herrliche Tugend, nur darf sie nicht in
knabenhaften Eigensinn ausarten, mit der Knute
in der Hand kann man wohl eine Viehheerde,
aber nicht eine Kunstanstalt dirigiren. Das
Schicksal hat den Feige gleich dem Hugo Graf
von Oerindur (in Müllners „Schuld") auf
einen falschen Weg geführt, wäre er Zuchthaus-
inspektor geworden, so hätten sich gewiß Manche
gefürchtet, Spitzbuben zu werden."
Diese gewiß grundlosen Angriffe Seydelmanns
auf den als vortrefflichen Leiter der Bühne all-
gemein anerkannten Generaldirektor Feige lassen
erkeuneu, daß ihm die wahren Gründe der
Schließung der Bühne unbekannt geblieben, zu-
gleich aber auch, daß das üble Verhältniß zu
Feige ihn hauptsächlich zum Kontraktbruch ver-
anlaßt habe.
Die große Vorliebe des Kurprinzen für daS
Theater führte es indessen herbei, daß schon im
folgenden Jahre, am 10. November 1833, das
Hoftheater, wenn auch mit weit beschränkteren
Mitteln, als sie Wilhelm II. zu Gebot standen,
wieder eröffnet wurde. Bei dem Engagement
der Mitglieder für die neue Bühne zeigte man
sich nun pietätsvoll gegen verdiente alte Mitglie-
der des früheren Hoftheaters; Madame Häser,
die Mutter unseres Karl Häser, der alte Gerlach und
auch L. Schmidt wurden wieder engagirt, letztere
mit geringerer Gage für kleinere Rollen.
Weniger Glück hatten andere ihrer früheren
Kollegen, deren wiederholtes Gesuch um Wieder-
annahme abgelehnt wurde. Es waren dieses
namentlich die früher sehr beliebt gewesenen und
sehr tüchtigen Schauspieler Gerber und Schmale.
Als Grund der Ablehnung wurde damals allge-
inein angenommen, daß beide bei der im Jahre
1830 errichteten Bmgergarde eingetreten waren,
und sich bei den Unruhen in Kassel besonders
bemerklich gemacht hatten.
Es gab dies Seydelmann, welcher -davon ge-
hört und der die für seine früheren Kollegen da-
raus entstehenden nachtheiligen Folgen voraus-
sah, Gelegenheit, sich sehr schar, über die Theil-
nahme der Schauspieler an politischen Bestreb-
ungen in seinem Briefe auszusprechen. Er schreibt:
„Ob neben der Schuld Feige's nicht auch von
Seiten cinjger Mitglieder Manches geschehen ist,
das füglich hätte unterbleiben können, ist eine
Frage, die ich von vielen Seiten mit „ja" be-
antworten höre. Der Künstler soll sich meiner
Meinung nach so lange von allen politischen
Händeln fern halten, als er es mit seiner Ehre
irgend thun kann. Tritt der höchste Moment
ein, dann zeige auch er seine Farbe, die ersten
Kämpfe lasse er aber um so mehr außeracht,
als man ihm ohnehin nicht viel Vertrauen ent-
gegenbringt, wenn er eher nach dem Schieß-
prügel greift, als nach der Rolle. Mißtrauen
liegt, gar zu nahe. Der ernstere Bürger, wie
der rohe Haufen sind noch lange nicht geneigt,
unsere Theilnahme an Bolksinteressen für voll
anzusehen. Weshalb sich früher vom Burgunder
erheben und die Posaune blasen!*) Ich meine,
die Kasseler Kunsthelden hätten ihre Lorbeern
auf den Brettern oder im Orchester suchen können,
*) Diese Bemerkung bezieht sich auf den ausgezeichneten ersten
Violoncellisten der Hostheater-Kapelle, Hasemann, welcher als Posaunen-
bläser bei dem Mufikcorps der Kasseler Bürgergarde eingetreten war
und als solcher schon im Jahre 1812 in dem Regiment eines Fürsten
des Rheinbundes in dem Kriege gegen Rußland gedient hatte.
128
nicht auf dem Friedrichsplatz. Was hat der
Künstler mit der Politik zu schaffen!
Ich weiß auch, wie liebevoll mir einige Freuude
unter den Kasseler Kollegen nachgesungen haben,
als ich nicht wiederkam. Arme Mäuse! Nur
Thoren können es als einen Grund mit für das
schnelle Ende des Theaters ansehen, daß ich nicht
wieder kam und die Heinefetter wegblieb. Das
ist dummes, albernes Geschwätz, wenn es auch
meiner Eitelkeit schmeichelt."
Die beiden Bürgergardisten Gerber und
Schmale fanden alsbald auswärts Engagement,
ersterer übernahm die Direktion des Stadt-
theaters in Bremen und Schmale wurde Mit-
glied des Hoftheaters in Schwerin, iu welcher
Stellung er, von allen Seiten anerkannt und
geschätzt, bis zu seinem vor etwa 2 Jahren er-
folgten Tod geblieben ist. Das Engagement
des alten Schmidt war nur von kurzer Dauer,
schon nach 2 Jahren wurde er mit einer Gnaden-
pension von 5 Thalern monatlich entlassen. Da
er damit sich, Frau und Tochter nicht ernähren
konnte, war er auf die Unterstützung alter Freunde
und Bekannten angewiesen, die ihm dann auch zu
theil wurde. Mancher erinnert sich wohl noch
der originellen Erscheinung des alten Künstlers,
wenn er in Kniehosen, hohen Stiefeln, grünem
Bieberrock und Pelzmütze Bekannte begrüßte und
Loose zu einer, von ihm veranstaltelen Ausspiel-
ung eines Papagei, einer Kiste Cigarren, eines
von Napoleon getragenen Hosenträgers und
dergl. anbot. Man beruhigte sich gern, wenn
man nachher ans Befragen von ihm hörte, daß
seine Tochter Carolina oder ein Göttinger Student
den Gegenstand gewonnen habe.
Auf das Theater war er noch seinem Abgang
schlecht zu sprechen, es sei jetzt dramatischer
Kloak, früher das wäre eine Bühne gewesen,
Scydelmann und er, und was hätte er Geld
gehabt, manchmal für 1000 Thaler Silber auf
dem Leihhaus.
Glücklicherweise sind die Zeiten vorüber, wo
einst verdiente Hofschauspieler ein unverschuldet
trauriges Ende nehmen, jetzt, wo Pensionsanstalten
und die Bühnengenossenschaften so segensreich
wirken. R.-s.
Kasseler Maler iu den Jahren 1840 dis 1850
Bon
g 0 ui & Kertzerrsteirr.
(Schluß).
Ickur kurze Zeit der Kasseler Akademie ange-
M, hörend, waren damals noch einige Maler,
^ welche später zu Ruf und Ansehen gelangten,
August von Wille, vor wenigen Wochen in
Düsseldorf gestorben, ebenso tüchtig alsLandschafts-
wie als Genremaler, Carl Arnold seit vielen
Jahren in Berlin, ein vielseitiger Künstler, her-
vorragend besonders in der Darstellung von
Hunden und endlich Gustav Süß, der sich
ein bescheidenes Genre erwählt hatte, in diesem
aber wahrhaft Geniales leistete. Seine Hühner-
bilder sind der ganzen Welt bekannt geworden;
wen hätte nicht schon jenes kleines Bild gefesselt,
welches ein eben aus dem Ei gekrochenes Küch-
lein darstellt und wer hätte sich nicht ergötzt an
dem „Wettlopen tüschen dem Hasen und dem
Swinegel auf der Lüneburger Haide." Süß
zählte zu den namhaftesten Düsseldorfer Künstlern.
Er starb im Jahr 1882.
Auf der Gemäldeausstellung in 1842 machte
das lebensgroße Bildniß einer Italienerin, in
dem malerischen Kostüm von Procida, das Werk
eines kasseler Malers, Eduard Jhlee. be-
rechtigtes Aufsehen und hatte das seltene Glück,
in den landesherrlichen Besitz überzugehen. Jhlee
war ein talentvoller, ernster und fleißiger Künstler
und wandte sich, nicht ohne Erfolg, der Geschichts-
malerei zu. Aber auch er gehörte zu Denen,
die in Kassel weder Anerkennung noch Anregung
fanden. Er lebte längere Zeit in Frankfurt,
geschätzt als Portraitmaler und ging dann nach
Italien, wo er sich fast ausschließlich dem Kopiren
der alten Meister hingab. Zum Professor an
der hiesigen Akademie ernannt, kehrte er zurück
und wirkte noch einige Jahre als solcher. Die
Gemälde-Gallerie hat die zahlreichen Kopien der
Verstorbenen erworben und in einem eigenen
Saale aufgestellt; Jhl4e ist aber in diesen Ge-
mälden nur unvollkommen repräsentirt, es sind
nur kühle Erinnerungen an die Originale, deren
Farbenzauber nicht erreicht ist.
Ganz abseits von allem Verkehr mit anderen
kasseler Malern lebte und arbeitete KarlNahl,
aus einer, an bedeutendenKünstlern reichen Familiie
hervorgegangen. Mir ist es nicht bekannt, wem er
seine Ausbildung verdankt, ich vermuthe nur, daß
er wesentlich Autodidakt war. Bei der Wahl
des Stoffes zu seinen Gemälden, hatte er iu
erster Linie solche im Auge, die ihm Gelegenheit
gaben, seine Geschicklichkeit in der Malerei von
prächtigen Gewändern, blitzenden Geschmeiden
und vor Allem in wirksamer Lampen- nnd Mond-
129
Icheinbeleuchtung zur Geltung zu bringen. Das
sogenannte historische Genre, welches er kultivirte,
bot ihm hierzu reichlichen Stoff, wie „der Cid",
„Wallensleinu. Sem". „Kunz v. Kaufungen" ä. re.
Das erste dieser Bilder, „Der Cid", dem die
überwundenen Mauren Geschenke bringen, erregte
auf der Ausstellung einen wahren Enthusiasmus,
es wurde in den Himmel gehoben. Man wurde
nicht müde immer wieder von den köstlich ge-
malten goldenen Gefäßen, von dem zum Greifen
natürlichen Perlmutterkästchen rc. zu sprechen und
übersah darüber den gänzlichen Mangel an
Charakteristik und die ganze komödienhafte Dar-
stellung. Allem aber wurde die Krone aufgesetzt
durch den Beschluß des Vorstands des Kunst-
vereins, dieses Meisterwerk durch den Kupferstich
zu verewigen. Was das Originalgemälde noch
einigermaßen bestechend gemacht hatte, die Pracht
der Farbe und die Lichtwirkung, ging selbstver-
ständlich in dem Stiche verloren, der ohnehin
säst- und kraftlos ausfiel, eine bleibende Erinnerung
an die Weisheit des damaligen KunstvereinS-
Vorstandes. Naht starb in S. Franzisko (Kali-
fornien.)
Von Malern, welche in jener Zeit hier thätig
waren, sind besonders noch zu erwähnen, der
vor einigen Jahren gestorbene E. Stiegel,
welcher sich anfangs der Genremalerei zuge-
wandt, später aber mit mehr Erfolg Land-
schafsbilder malte und besonders in der Aquarell-
malerei Treffliches leistete. H. Ely verließ die
Akademie im Jahr 1845 und ging nach Paris,
wo er die Glasmalerei erlernte, vornehmlich in
ihrer Anwendung auf kirchliche Dekoration. Sein
Fleiß und seine Energie machten ihn bald zum
Meister in diesem Fach und verschafften ihm
zahlreiche Aufträge. Nach dem Kriege ward ihm
ber Aufenthalt in Frankreich verleidet, er kehrte
zurück in die Vaterstadt, gründete mit seinen
zwei begabten Söhnen, ein Atelier für Glas-
malerei, welches bald aufblühte. Leider starb
er schon im vorigen Jahre, zu früh entriß ihn
der Tod seinem regen Schaffen. Schließlich sei
noch genannt K. Fink, der nach einem längern
Aufenthalt in Italien, mit vielversprechenden
Architekturbildern auf der Ausstellung erschien.
Er wandte sich später mit Erfolg der Darstellung
von Katzen zu, die ihm den Ehrennahmen „Katzen-
flnk" eintrugen.
Wenn hier im Ganzen von der Wirksamkeit
der kasseler Akademie ein keineswegs sehr er-
freuliches Bild gegeben wird, so ist es nur gerecht,
zu sagen, daß die übrigen deutschen Akademien
auch einem gewissen Schlendrian anheim gefallen
.waren, der wenig Hervorragendes zu schaffen
vermochte. — Da trat ein Ereigniß ein, welches
einen so mächtigen Eindruck auf die deutsche
Malerwelt machte, daß es wie mit einem Schlage
anders wurde und die trübe akademische Luft
wie von einem Gewitter gereinigt wurde. Es
war die Ausstellung der zwei belgischen Kolossal-
gemälde, „Der Kompromiß der niederländischen
Edelleute" von deBiefve und „DieAbdankung
Karls V." von Gallait. So etwas hatte
man in neuerer Zeit nicht gesehen, es fiel uns
wie Schuppen von den Augen.
Da konnte man sehen, was eine Kunst hervor-
bringen mochte, die von wahrhaft nationalem
Geiste getragen und sich ihrer großen Vergangen-
heit bewußt war. Angenehme Erinnerungen au
Rubens und Van Dyk wurden wach, die großen
Flamänder lebten fort in ihren Epigonen, mau
verstand in Belgien noch zu malen.
Wie in Folge des Eindrucks, den diese Bilder
in Deutschland gemacht, sich die Meisterateliers
von Antwerpen, Brüssel und Paris mit jungen
deutschen Künstlern füllten, wie sie den Nachbarn
das Geheimniß ihrer Technik absahen und mit
welchem Erfolg mit in die Heimath nahmen, das
hat die neuere Zeit in erfreulicher Weise gezeigt.
Ich kann dieses kurze Stückchen kasseler Kunst-
geschichte nicht abschließen, ohne noch eines freund-
lichen Zuges in unserem damaligen Leben zu
gedenken. Mit wenigen Ausnahmen sind sie aus
dem Leben geschieden, die alten Genossen, und weh-
müthig gedenke ich der Zeit, die uns in kollegialer
Freundschaft einte. In fröhlicher Geselligkeit
wußten wir uns mit allerlei lustigen Scherzen
zu unterhalten und wenn wir mit künstlerischen
Aufführungen und Lustbarkeiten vor ein größeres
Publikum traten, waren wir des freundlichsten
Entgegenkommens sicher, und gewiß erinnert sich
Einer oder der Andere meiner Leser unserer
Leistungen. Es war ein harmloses, harmonisches
Zusammenwirken aller Künstler, ungetrübt durch
büreaukratische Steifheit und vornehme Abge-
schlossenheit. —
130
Der Sängerkrieg auf Kpnngenkerg.
Bon
A. Gvnvert.
ls ich einst mit Friedrich Hornfeck, dem Ver-
fasser des „Schenkenbuchs", das aber damals
erst werden sollte, meine Residenz auf der Berg-
feste Spangenberg aufgeschlagen hatten *), kamen
wir auf den Gedanken, wieder ganz ebenso, „zu
halten", wie wir das schon am Fuldaer Gym-
nasium gemeinsam mit unserem Freunde, dem
sinnigen Johannes Abel gethan hatten, der als
katholischer Pfarrer zu Neuhof gestorben ist und
ein geborener Poet war. Unser „Halten" be-
stand nämlich darin, daß wir Sonntags nach
dem Gottesdienste in Hornfecks Wohnung zu-
sammenkamen, die Verslei« vortrugen, die wir
im Laufe der Woche geschmiedet hatten und so
der Eine dem Anderen Gelegenheit gab, den
kritischen Scharfsinn zu üben.
Hornfeck war, als unser Halten von Neuem
beginnen sollte, mit seinem Schenkenbuchplan
schon im Reinen und wenn er nun ein Liedchen
kaum halb fertig hatte, brannte er, meine Mein-
ung darüber zu hören, obschon ihm diese nicht
selten schweren Kummer bereitete. „Dummes
Zeug!" mußte er öfter von mir hören, als ihm
lieb war, denn höflich sind wir als Kritiker nie
gewesen. Aber das „Dumme Zeug" hatte sein
Gutes; denn wenn Hornfeck auch anfänglich immer
wüthend war und mich einen Menschen schalt, der von
Poesie „auch gar Nichts, ich sage Dir auch gar
Nichts" verstehe, so ging er dann doch immer in
sich und machte seine Verse enschieden besser.
Ich selbst hatte damals verteufelt wenig Lust
zum Dichten, wurde schließlich aber doch wieder
veranlaßt, auch meinen Hippogryph zu satteln.
Einmal ließ ich mich sogar zu einem förmlichen
Wettgesang bereden, der darin bestehen sollte,
daß Jeder von uns in der nächsten Nacht, in
der wir mittelst der von meiner Braut uns be-
sorgten Nachschlüssel heimlich auf meiner Zelle
Nr. 5 zusammenkommen wollten, ein beliebiges
Trinklied zu liefern hatte.
Die verabredete Nacht brach an, mein Zellen-
fensterchen war dicht verhängt und meine Schlüssel
walteten ihres Amtes.
Bei einem Glase ächten Rüdesheimer, den mir
ein Frankfurter Patricier, der Vater des Sozial-
demokraten v. Schweitzer, gespendet hatte, hub
Hornfeck zu singen, oder vielmehr zu deklamiren an:
Wir bemerken, daß Trabert und Hornfeck im Jahre 1851 kriegs-
gerichtlich zu 3Vs bezw. 2 Jahren Festungshaft wegen Preßvergehens
verurtheilt wurden, die sie auf Schloß Spangenberg verbüßten. Im
Jahre 1862 erklärten die Stände einstimmig nachträglich die Berur-
theilung für rechtswidrig und nichtig.
* Wärst Mädchen eine Perle Du,
So möcht' das Meer ich sein;
Dann rauscht' und stürmt ich immerzu:
Auf ewig bist Du mein!
Und wärest Du der Thau im Thal,
<&o möcht' die Sonn' ich sein;
Wie küßt' ich Dich mit heißem Strahl
Und ewig wärst Du mein!
Und wärest Du ein lichter Stern,
Die Nacht dann möcht' ich sein.
Und ewig wärst, ob nah, ob fern,
Du mir, nur mir allein!
Und wärst die junge Erde Du
Im holden Maienschein,
In Dir dann fänd' ich Glück und Ruh'
Und möcht' begraben sein.
Das wünscht' ich mir wohl tausendmal
Und wünscht' es ewig neu
Und werd' auch wieder tausendmal
Mir selber ungetreu.
Denn flösse von Sankt Gotthard's Höh'
Als Rheinweinstrom der Rhein,
Dann möcht' ich nur der Bodensee,
Doch ohne Boden sein.
„Prächtig!" sagte ich, „ich streiche die Segel;
aber ich will auch mein Trinklied doch vorlesen.
So höre denn!
Schlechte Zeiten! Schlechte Zeiten!
Immer knapper wird das Geld
Und die letzten Kreuzer läuten
Bald ins Grab der ganzen Welt.
Morgen müßt' ich wahrlich borgen;
Bring ein Letztes, Wirth! und morgen
Wird das Trinken eingestellt.
Schlechte Zeiten! Schlechte Zeiten!
Doch der Wein ist wahrlich gut;
Seine goldnen Tropfen gleiten
Zündend in mein altes Blut.
Lodernd schlägt's im Kopf zusammen,
Wirth, noch Eines in die Flammen l
Oder mich verzehrt die Glut.
131
Schlechte Zeiten! — Hei ein Drittes
Und zum Teufel schlechte Zeit!
Geh'n die Füße schwanken Sckrittes,
Schwebt der Kopf in Seligkeit.
Wenn ich stolp're, wenn ich wanke,
Ha, wer sagt, mein Weibchen zanke?
Lügner, platzt in eurem Neid!
Heben mich des Weines Flügel,
Glaub' ich fast, ein Gott zu sein.
Seid gesegnet, Rebenhügel!
Wirth, noch Eins, sie einzuweih'n!
Aber Liebster, laß Dir sagen:
Kommt mein Weibchen morgen fragen,
Sprich ihr nicht von mehr als Zwei'«.
Beide Lieder wurden hernach noch ein wenig
^kritisch benörgelt und als wir damit fertig waren,
faßten wir den Beschluß, daß das nächste mal
der Eine von uns ein Lied zu bringen habe mit
dem Anfangsverse: „Ein Schifslein ist das
Menschenherz": das des Anderen aber solle be-
ginnen, „Ein G l ö ck l e i n ist das Menschenherz."
Es wurden Hölzchen gezogen; Hornfeck griff das
Schiffleinshölzchen und mir blieb also das Glöcklein.
Die Nacht des Vortrags kam und diesmal
chatte ich zu beginnen. Mein Lied aber lautete so:
Ein Glöcklein ist das Menschenherz,
Ein Meister hat's gegossen
Und in die Form ist mit dem Erz
Die heitere Lust geflossen.
Wie lieblich tönt das Glöcklein dann
In goldnen Maientagen,
Wenn es mit einem andern kann
In Lieb' zusammenschlagen.
Doch will zum hellen Glockenklang
Ihr Lied die Sorge singen,
Da hallt das Glöcklein schmerzlich-bang,
Als sollt' es gar zerspringen.
So wechseln allzeit Lust und Leid
In dieses Glöckleins Schlägen,
Wie Frühlingsglanz und Winterzeit,
Wie Sonnenschein und Regen.
Zu bald nur hält's zu läuten ein;
Dann tritt in schwarzer Hülle
Der Tod ins Glockenkämmerlein
Und bringt Charfreitagstille.
„Die Schlußstrvphe ist famos", sagte Hornfeck;
„die zweite freilich könnte besser sein; aber nun
höre mich!
Ein Schifflein ist das Menschenherz,
Fährt ohne Rast und Ruh
Mit seiner Lust und seinem Schmerz
Dem Land der Hoffnung zu.
Das Leben ist das weite Meer,
Das Schicksal ist der Wind,
Der treibt die finstren Wolken her
Darin die Thränen sind.
Das Segel ist die Phantasie,
Die Ehre heißt der Mast;
Wohl Schifflein dir, wenn du ihn nie
Im Sturm verloren hast.
Das Ruder führen Wunsch und Wahn,
Die Lieb' ist der Magnet;
Windrose Freundschaft zeigt dir an,
Wenn sich der Wind gedreht.
Und der Gedanke führt und lenkt
Vorbei an Fels und Riff,
Das Aug' auf den Magnet gesenkt.
Als Steuermann das Schiff.
Fahr zu, mein Schifflein, immer zu.
Getrost und wohlgemuth;
Den sichern Hafen findest du
Trotz Ebbe, Sturm und Fluth.
Ich rief mit Vergnügen Bravo und der Welt-
kampf gefiel uns so sehr, daß wir sofort einen
dritten Gang beschlösse». Nur machten wir uns
die Sache für diesmal schwerer. Es wurde
nämlich genau das Metrum, die Strophenbildung
und die Reimverschlingung festgesetzt und weiter
zum Gesetz gemacht, daß das Gedicht, das Jeder
liefern habe, ein Liebeslied von nur zwei Strophen
sein müsse. „So ein kleine Probe", wie es
Hornfeck nannte.
Als die Nacht der Proben kam, sollte ich be-
ginnen, protestirte aber, indem ich sagte: Die
Reihe ist an Dir! Und Hornfeck recitirte nun,
wie folgt:
Der Königin von Wald und Flur,
Der stolzen Rose gleichst Du nicht;
Du bist das stille Veilchen nur,
Aus dem die Anmuth der Natur
In Duft und Farbe lieblich spricht.
Und fiel ihm nicht das schönste Loos,
Dem ersten Kind der Wonnezeit?
Es ist so klein und doch so groß.
Drum wirft der Lenz ihm in den Schooß
Die Krone der Bescheidenheit.
132
Als Hornfeck sein schönes Liedlein vorgetragen
hatte, sah er mich mit stolzer Siegeszuversicht
an und rief: „Mach' auch so Eins, wenn Du kannst."
„„Warum nicht?"" entgegnete ich; „es kommt
nur auf's Probiren an. Sei nur so freundlich,
recht artigzuzuhören."" Und nun las ich mein
Liedchen, das so lautete:
An meiner Brust als Blume nur
Und doch, wie herrlich ruhst Du hier!
Vergessen könnt' ich der Natur,
Denn schöner als in Wald und Flur
Wird's grün im eig'nen Innern mir.
Du mußt ein Schlüsselblümlein sein.
Das heimlich mir das Herz erschloß.
Wie käm' der Frühling sonst hinein,
Daß auch so ganz von Sonnenschein
Und Blüthenduft es überfloß?
Diesmal wurde nicht kritisch genörgelt, obschon
Hornfeck stark in der Versuchung war, denn
eigentlich ärgerte er sich ein wenig, weil sein
Sieg nicht so zweifellos war, wie er sich's ge-
dacht hatte. Schließlich aber beschlossen wir,
da wir auf der Bergfeste Spangenberg einen
Richter doch nicht gut finden konnten, alle sechs
Gedichte heimlich, auf verbotenen Wegen, meiner
Braut zu schicken. Diese aber schrieb auf dem-
selben Wege dem Zellenbewohner Nr. 6: „Ich
finde Ihre drei Gedichte ganz ausgezeichnet schön;"
und mir auf Nr. 5 schrieb sie noch viel heimlicher,
nur für mich allein: „Die Deinigen aber ge-
fallen mir doch noch viel besser!" Was konnten
wir noch mehr wollen? Das Urtheil dieser
Richterin machte uns alle beide glücklich.
An dev Küste.
Von schroffer Felsenküste blick ich hinab auf's Meer,
Der Brandung lautes Tosen schallt machtvoll um mich her!
Und weiterhin, da schimmert's so ruhig hoheitsvoll,
Mein Herz, o Meer, fragt stürmisch, ob es dich lieben soll! ?
Doch hinter mir, da rauschet der Buchenwald mir zu:
„Dort drunten haust Verderben, hier findest Leben Du!"
Da gellet aus der Brandung ein wilder Todesschrei,
Doch eh' ich kam zu retten, war alles längst vorbei!
Und wie ich von dem Felsen nun trauernd niederschau',
Da glänzt es nicht mehr ruhi?. 's ist alles leichengrau,
Und schwefelhafte Wolken, die hängen schwer herab,
Und Blitze sausen zuckend in's wüste Wcllengrab!
Die Hölle scheint entfesselt, der Sturm braust über's Meer
Und zerrt und peitscht die Wogen allmächtig vor sich her t
Gespenstisch jagt ein Schiff dort wild schwankend durch
die Fluth:
„Gott schütze euch, ihr Armen und stähle euren Muth!"
NanbrichtderMast! Entsetzlich! „Herr, lenke ihrGeschick!"
Jst's Regenfluth, — find's Thränen, was mir getrübt
den «lick?
„Zurück! Zurück zum Walde!" mein Herz nun schaudernd
„Das ^kett, ich kann's bewundern, doch lieben kann
ich's nicht!"
Ä«S» Lrsderking.
Girre Uhtands-Uachfeiev
in Rauschenberg (Är. Mrchhain).
(27. April 1887).
Droben, wo die Tannen rauschen auf des Rauschen-
berges Höhen,
Seh' im Geist ich einmal wieder alle Herrlichkeit erstehen:
Jenes Schloß mit soviel Fenstern, als das Jahr an
Tatzen zählt,
Wo für keinen Tag an neuem Luginsland es hat gefehlt.
Doch „wo blieben nun die Fenster Rauschenbergs?",,
fragt man in Hessen,
Wenn versunkne Pracht so bald schon, ach so bald
schon wird vergessen,
Wenn der Großen Trotz und Hochmuth kommt zu
solchem jähen Fall,
Wie uns Uhland singt von eitlem Gluck und'Glas
von Edenhall. *
Unser Uhland! Also tönt's herüber aus dem Festessaale
Wo bei seiner Jubelfeier gestern noch in Silberschale
Gold'ne Früchte hell erglänzten, wo des „Schäfer's
Sonntagslied",
Wo das Glöcklein der „Kapelle" wiegten uns in
Himmelsfried!
Aber horch! Regt sich's nicht dorten in den alters-
arauen Mauern?
Hörst Du da nicht Schwerter klirren, fühlst Du nicht
geheimes Schauern?
Ja, der Rauschebart, der Greiner, steigt dort aus
des Grabes Bann,
Sammt dem Heldenwort: „Mein Sohn, der fiel, .ist
wie ein and'rer Manu!"
133
Reben ihm der junge Siegfried, Roland und die
Helden alle,
Schwabens, Bayerns Ritterblüthe, ziehen nun mit
Waffenschalle
Hier vorüber; hoch zu Rosse schau' ich Dich, o Taillefer,
Dich auch, wackrer Schenk von Limburg, der so
wuchtig schwingt den Speer!
Doch wie dort der Friedensbogen jetzt nach kurzem
Regenschauer
O)b der Kirche bunt sich wölbet und in Freude
wandelt Trauer:
So steigt aus den Kampfeswettern mild das Friedens-
ued empor,
And statt dumpfen Schwerterschlages hört man hellen
Jubelchor!
Da, wo wilde Stürme brausten, wehen nun die
linden Lüfte,
Herchenwirbel statt Drommeten, Minnesang und
Veilchendüfte,
«Es erblüht das fernste Thal, die Blumen sprießen
sonder Zahl,
„Alles, alles muß sich wenden, banges Herz vergiß
der Qual!"
Uhland I Wo in Volkesweise Dein Kam'radenlied er-
klungen,
Hast Du selbst als Kamerad Dich in das deutsche
Herz gesungen,
Und wo deutsche Jugend wandert in dem lichten
Maienschein,
Tönt das Lied von den drei Burschen, die gezogen
über'n Rhein!
Das ist unser treuer Eckhardt, der Poet „von Lenz
und Liebe,
„Und von sel'ger goldner Zeit, von Männerwürd
und Freiheitstriebe"
So, wie du, hat kaum ein Andrer deutscher
Herzen Glut geschürt,
Dank Dir, „Deines Geistes hab' ich droben „einen
Hauch verspürt."
Dv. M. F. (Kassel).
Aus alter «ad «eaer M.
Nekrologe. Am 30. April verschied dahier nach
'langem Leiden einer der angesehensten Bürger Kassel's,
dessen Namen weit hinaus über die Grenzen unseres
Heimathlandes bekannt ist und mit Achtung genannt
wird, der Justizrath Dr. Hermann Weigel in
seinem 59ten Lebensjahre. Von Jugend auf erfreute sich
der Verblichene vermöge seiner persönlichen Liebens-
würdigkeit der allgemeinen Beliebtheit. Er war aus-
gestattet mit den vorzüglichsten Gaben des Geistes
und des Herzens, reich an Kenntnissen, wohlwollend
gegen Jedermann, ein treuer Freund und angenehmer
"Gesellschafter, und so konnte es denn auch nicht fehlen,
-daß sein Hinscheiden tief empfunden und allgemein
beklagt wird. Ueber seinen äußeren Lebensgang
mögen uns folgende Notizen gestaltet sein. Hermann
Weigel war am 20. December 1828 hier in Kassel
geboren, er genoß in seiner Jugend die sorgfältigste
Erziehung, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt,
studirte von 1847 bis 1851 in Bonn, Marburg und
Berlin Rechtswissenschaft, war von 1852—1856
Referendar am hiesigen Obergerichte, trat dann aus
dem juristischen Vorbereitungsdienste aus, um sich
volkswirthschaftlichen Studien zu widmen. Von 1858
bis 1862 war er Sekretär der Handelskammer und
Syndikus der Börse in Breslau, verfaßte in jener
Zeit mehrere nationalökonomische Schriften, über welche
sich die Kritik sehr günstig aussprach. Er nahm her-
vorragenden Antheil an den Verhandlungen des Volks"
wirthschaftlichen Kongresses, dessen ständigem Aus-
schüsse er angehörte. Im Herbst 1862 ließ er sich
als Advokat rn seiner Vaterstadt nieder, Bon 1863
bis 1866 war er Mitglied der kurhessischen Stände-
kammer, im Jahre 1867 war er Vertreter des Wahl-
kreises Kassel-Melsungen in konstituirenden Reichstag.
Zum ersten Reichstag gleichzeitig in den Kreisen
Kassel-Melsungen und Hanau-Gelnhausen als Pbge-
ordveter gewählt, nahm er die Wahl im letztgenann-
ten Kreise an und vertrat denselben ununterbrochen
bis zum Jahre 1878. Er war Mitglied der Depu-
tation, welche im December 1870 vom Reichstage
nach Versailles entsendet wurde, um dem König von
Preußen die „Kaiseradresse" zu überbringen. Am
1. April 1876 wurde Weigel an des verstorbenen
Oberbürgermeisters Nebelthau Stelle auf Präsentation
der Stadt Kassel als Mitglied auf Lebenszeit in das
§errenhaus berufen, in das er am 18. Mai desselben
ahres eintrat. Seit 1863 bis an sein Lebensende
war er Mitglied der Kasseler Gemeindeverwaltung,
von 1870 bis 1873 bekleidete er die Stelle des zweiten
Bürgermeisters. Eine lange Reihe von Jahren war
er auch Vertreter der Stadt Kassel im hessischen
Kommunallandtage. — Weigel hat sich vielfach um
seine Vaterstadt verdient gemacht, die in ihm einen
ihrer besten Söhne verloren hat. Ehre seinem Andenken.
Gleichfalls am 30. April starb im Kapuzinerkloster
zu Eichstädt der Pater Bruno Freiherr von
Korff, der frühere Präfekt des Priesterseminars
und Direktor des Knabenseminars zu Fulda. Einem
altadeligen Geschlechte Westfalens angehörend, — er
war ein naher Verwandter des Bischofs v. Ketteler von
Mainz —, widmete er sich zunächst der militärischen
Laufbahn. Er war Offizier im brandenburgischen
(Zieten'schen) Husaren-Regiment Nr. 3 und machte u. W.
als solcher 1849 den badischen Feldzug mit.
Als Premierlieutenant nahm er hiernach seinen Ab-
schied, um sich dem geistlichen Stande zu widmen.
Am 23. Januar 1852 wurde er in Fulda zum Priester
geweiht, und verblieb in dieser Diözese, bis er zu Anfang
des Kulturkampfes int vorigen Jahrzehnt zu Würzburg
in den Kapuzinerorden trat. Als Präfekt des fuldaer
Knabenseminars hatte er sich die Liebe und die An-
hänglichkeit seiner Zöglinge iu seltenem Grade erworben,
als Kapuzinerpater wirkte er namentlich als Beicht-
vater und Volksmissionar. Er war ein frommer,
134
sittenstrenger Priester, wohlwollend und mildthätig,
und stets des Spruches eingedenk: „noblease oblige“.
K. i. p.
Am 2. Mai verschied plötzlich in Folge eines Kchlag-
flufses KU Buchenau der Rittmeister a. D. Guts-
und Patronatsherr Ernst Moritz Ludwig Freiherr
Scheut zu Schw eins b erg im Alter von 49
Jahren. Seit dem 27. März 1857 Offizier im kur-
fürstlich hessischen Leib-Husaren-Regiment, nachmals
kvuigl. preußische;! ersten hessischen Husaren-Regiment
Nr. 13, nahm er 1871 als Rittmeister den Abschied,
um sich der Betwaltung seiner Güter und ausgedehn-
ten Forsten zu widmen- Zugleich beschäftigte ex sich
seit dieser Zeit eifrigst mit Kommunalangelegenheiten.
Er war Mitglied des Kreistages des Landrathsamtes
Hüpfeld. des Eisenbahnrathes, der hessischen Landes-
synode u. s. w. and erfreute sich weit und breit der
Step Hochachtung und Beliebtheit. Um 5. Mai
die Beisetzung der irdischen Reste des Dahin-
geschiedene» in der neu angelegten Familiengruft zu
Buch epa.u unter großer Betheiligung von Leid-
tragenden statt. Pfarrer Bode vollzog das kirchliche
Rituale und hielt eine exgreisem>e- Rede» .in
. welcher die Verdienste deß, edlen Verblichenen volle
Würdigung sachen.
* *
*
Der in dielen Dagen zum Regierungs-Präsidenten
von Danzig ernannte Hx. A. v. Heppe ist der Sahn
des in den 50er Jahren verstorbenen Regierungs-
Direktors v. Heppe zu Fulda und hat Ostern 1856
daselbst sein Maturitätsexamen abgelegt. A. von
Heswe hat eine außergewöhnlich rasche CarriLrc ge-
macht, 187H war er noch Kreissekxetär in Schmal-
kalde«, wurde dann Landrath in Schleysinge«, und von
da zum StMvertxeter dO erkrankten Polizei-Prän-
dentexl von WM»! »ach Berlin berufen; hierauf wurde
er zum Lauddrosten in Aumch ernannt, um jetzt zmu
Regierungs-PrM>e»ten «i Danzig befördert zu werden.
* chr *
In her Schloßbibliothek zu Birstein Ge-
sinden sich die StaMmdücher von Miedern des fürst-
lichen Hauses aus dem Anfang des 17. Jahrhundert,
in die sich auch das damals noch jugendliche Ehe-
payr, der ritterliche Landgraf Wilhelm V. von
Hef se y-Hassel und feine nachmals so schwer ge-
prüfte GattinHlyrelja Elisabeth, eine geborene
Gräfin von Hanau, eingetragen haben. Wir
theilen hier diese Slammbuchemträge mit, weil wir
überzeugt find, daß sie für unsere hessischen Leser von
Jntereffe feiy werden^ Landgraf Wilhelm schreibt in
einem Stammbuch unter der Jahreszahl 1624:
Sant6 et longue vie
Boa cbevail et bell amie
Ceut eseyis quand je vpudray
Et EaraMs quand je mouray
Vostre tres affectionne
pour yous servir
Guillaume L. de Hessen.
fiel einem anderen hrrttet sein Eintrag:
I>jeu eoMplaire — jemals mal faire — A touts
servir — pour une seule mourir — cest mon
plaisir.
Monsieur mon fröre eest petit tesmoynage de
mon affection servira pour vous monstre que je
meurs v. tres affectionn6 seryiteur et frere
Guillaume Landgrave de Hessen.
Der Spruch, den Amelie Elisabeth beidomale zum.
Eintrag gewählt hat, ist die Devise:
Eure et loyale,
unterzeichnet: Amelie Elisabeth Princesse de Hessen
nöe Comtesse de Hanau.
Die alterthümliche von der jetzigen verschiedene
Schreibweise des Französischen haben wir mit Absicht
beibehalten. * * M. A.
Landgraf Wilhelm IX. hatte durch Sparsamkeit
und sorgfältige, umsichtige Verwaltung den hessischen
Staatsschatz schon in den ersten Jahren seiner Regie-
rung bedeutend vermehrt. Im Jahre 1794 wurde
der jährliche Zinsertrag deffelben auf etwa 900,000
Thaler geschätzt. Nach dem für dieses Jahr MW-«
stellten Kriegsetat betrugen für den Monat die Aus-
gaben 43,735 Thlr. 12 Alb. 1 Hlr., die Einnahmen
116,727 Thlr. 18 Alb. 3 Hlr:, so daß monatlich-
rin Ueberschuß von 72,992 Thlr. 6 Alb. 2 Heller
verblieb. Bei diesen Ausgaben kommt wesentlich irr
Betracht, daß für dqs der Krone England in Sold
überlassene Hülfskorps, bestehend aus
dem Lerb-Dragoner-Regiment
Dragoner-Regiment Prinz Friedrich,
Regiment Gensdarmes,
„ Karabiniers,
3 Grenadierbataillone von Germann, von Eschwege,
von Wurmb,
Garde-Grenadier- und Leib-Jnfauterie-Bcgimen:,
Die Regimenter Erbprinz, Prinz Carl, von
Loßberg, von Kospoth,
Jäger- und Füsilier-Bataillon,
Artillerie Detachement, in Summa 12000 Wan«,
Ausgaben nicht zu berechnen waren, wogegen der
Ueberschuß der Einnahmen von dem von England zu
zahlenden Subsidiengelder monatlich 39,477 Thl.
17 Alb. 3 Hlr. betrug. Für das hessische Heer
werden nur berechnet:
1, für die im Lande verbliebenen Truppen Garde
du Corps. Regiment Garde, Regiment Haustein,
Kadettencorps, Artillerie- und die Depot-Bataillone
monatlich 12,695 Thl. 30 Alb. 9 Hlr.
2, für die zum Kreiskontingent gestellten Truppen,
Husaren-Regiment, Feldjäger-Eorps und das leichte
Jnfanteriebataillon monatlich 14,418 Thl. 26 Alb.
3 Hl r.
Eine Haupteinnahme bestand ans dm Zinsen der
auSgeliehcne« Kapitalien. Unter den Schuldnern be-
findet sich eine große Anzahl regierender Herren, da-
runter des römischen Kaisers Majestät mit 39,333 Thl.
(1784) und 116,000 Thl. (1793). Die Zinsenem-
nahme von diesen verborgten Kapitalien -betrug
monatlich 30,816 Thl. 19 Alb. 8 Hlr. Die Potentaten
Kelten sich zu Besorgung ihrer Geschäfte in Kasiel
Agenten, und auch der Landgraf hatte solch:. §s
gab deren an 29, sämmtlich Inden» Mt dem Tstel
Hofogent, Oberhosazmt, Kriegsagent u. s. w., da-
runter bekannte Namen wie Büdinger, Feidel, Gold-
135
Schmidt rc. Große Summen waren an Gutsbesitzer
und Bauern zu 4°/, zur Verbesserung ihrer Güter
und zn Neubauten ausgeliehen. Dem Kriegskollegium
fiel bei der Verwaltung dieses Vermögens eine große
Verantwortung und Arbeitslast zu. Daß es dabei
zuweilen seine Schwierigkeit hatte» größere Baarsummen
vortheilhaft zu verwerthen, zeigt ein uns im Original
vorliegender Bericht dieses Kollegiums vom 8 Juni 1789,
welcher zugleich den damaligen Werth des Geldes
erkennen läßt.
Danach hatte das Kollegium den Auftrag, 10000Stück
neue Louisdor zu verwechseln,in folgender Weise erledigt.
Je 1000 Louisdor waren den jüdischen Agenten
Abraham Isaak, Herz Meyer, Moses Joseph, Feidel,
löevi und Jonas Meyer, 2000 Louisdor den Ge-
brüder» Abraham zu je 4'/,«/, (5 Thl. 7 Sgr.) und
1000 Louisdor dem Michael Simon zu 4'/,°/,
(5 Thl. 61/» Sgr.) zugestanden. Die Gebrüder
Abraham hatten außerdem 1000 Louisdor und eben-
soviel Jakob Simon auf Wechsel zu 4°/, gegen
■6 monatliche Kündigung als Darlehen erhalten. Da
der Louisdor im gewöhnlichen Verkehr «eit höher
bezahlt wurde, haben die Käufer offenbar dabei kein
schlechtes Geschäft gemacht. U-z.
Hessische Kucherschau.
Soeben ist das neueste Heft „der Mittheilungen
die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte
And Landeskunde", Jahrgang 1886, zur Verkeilung
gelangt. Dasselbe enthält außer dem Berichte über
die Jahresversammlung des Vereins a.n 19., 20. und
21. Juli 1886 zn Homberg und geschäftlichen Nachrichten,
einen in schöner Sprache geschriebenen warmen, tief-
empfundenen Nachruf des unvergeßlichen, am 27. Juli
1886 im 43. Lebensjahre verstorbenen ersten Biblio-
thekars der hiesigen ständischen Landesbibliothek, Ober-
bibliothekars Dr. Albert Duncker, aus der Feder
seines Kollegen und Nachfolgers Dr. Eduard Loh-
meyer, worauf wir die zahlreichen Freunde und Ver-
ehrer des leider zu früh Verblichenen ganz besonders
aufmerksam machen wollen. Diesem Nachruf ist ein
wohlgetroffenes Bild Duncker's beigegeben. Außer-
dem bringt das uns vorliegende Heft noch eine Ab-
handlung über die juristischen Jnkunabelen der ständ-
ischen Landesbibliothek zu Kassel, von vr. jur.G.Mollat,
den Bericht des zur Generalversammlung des deut-
schen Geschichts- und Alterthumsvereins zu Hildes-
Heim Delegirten von L. Bickell, und das Verzeichniß
neuer hesMchen Literatur, begonnen von Albert Tuncker,
nach dessen Tode fortgesetzt in Verbindung mit Dr.
Karl Scherer von Dr. Eduard Lohmeyer.
^ *
Das dritte und vierte Heft (Beiheft) des in Berlin
erscheinenden Militär-Wochenblatts von diesem
Jahre enthält ausführliche Mittheilungen aus dem
Kriegsleben des durch ausgezeichnete tapfere Thaten
bekannten, am 30. Juni 1851 verstorbenen kurhes-
sischen G en eral Lieutenants Joh. Philipp
Bauer von der Hand eines Sohnes desselben, des
Generalmajors z. D. Georg Bauer.
Die Darstellung, welche besonders die Theilnahme
Bauer's als westphälischen Offiziers an der Belagerung
von Gerona im Jahre 1809 und der Vertheidigung
Danzigs in den Jahren 1812 und 1813 zum Gegen-
stand hat, gewinnt dadurch ein ganz besonderes Inter-
esse, daß sie im Wesentlichen in Briefen besteht, welche
unmittelbar nach den Kriegsvorfällen von Bauer au
seinen Bruder Georg in Kassel, in die Heimath ge-
schrieben sind. Wir erhalten dadurch ein sehr ge-
treues Bild von der vortrefflichen Haltung der west-
phälischen Truppen und den furchtbaren Lewen, welche
diese bei beiden Belagerungen zu erdulden hatten.
Dafür hatte es ihnen an Anerkennung nicht gefehlt,
und namentlich zeigen die Berichte des ruhmvollen
Vertheidigers Danzigs, des Generals Rapp, wie sehr
er die Verdienste des Iten westphälischen Regiments,
in welchem etwa ein Dutzend aus Kurhesseu gebürtige
Offiziere dienten, zu schätzen wußte. In wre hoher
Achtung namentlich Bauer, welcher während der Be-
lagerung das Kommando des Regiments führte, bei
ihm stand, zeigt ein Brief Bauer's, in welchem er den
Abschied von diesem auch von ihm so hochgeachteten
Offizier schildert, welcher Alles aufbot, ihn zum
Weiterdienen im französischen Heere zu bewegen.
Besonders bekannt geworden ist die ruhmvolle Ver-
theidigung Bauer's von einem Blockhause in der Vor-
stadt Danzigs, Langfuhr, aus welchem er sich, nach-
dem es in Brand geschossen war, mit dem kleinen
Rest der Besatzung, von allen Seiten von Feinden
umgeben, wenn auch mit großem Verluste noch durch-
schlug. Das Gedächtniß an diese heroische That
wurde im Jahre 1845 dadurch wieder aufgefrischt,
daß König Louis Philipp, als er bei Besichtigung
eines die Belagerung von Danzig darstellenden Bildes
erfuhr, daß der Vertheidiger des abgebildeten Block-
hauses noch als kurhessischer General lebe, diesem,
welcher bereits von Napoleon für seine Verdienste im
Kriege das Ritter- und Offizierskreuz der Ehren-
legion erhalten hatte, das Großoffizierkreuz dieses
Ordens verlieh. U,K.
* * *
Vor Kurzem erschien in dem Verlage von N. G.
Elwert in Marburg ein interessantes Büchlein: „Ge-
schichten aus dem He ssen land von Friedrich
Münsch er" (Preis 1 M. 20 Pfg.), das sich würdig
an das hessische Historienbüchlein von Vilmar und an
das fuldaer Historienbüchlein von Malkmus anschließt.
Der Verfasser bemerkt in dem Vorworte, daß er wünsche,
durch die Erzählungen, welche er seinen Landsleuten
zur freundlichen Aufnahme übergebe, die Erinnerung
an wichtige Begebenheiten und merkwürdige Menschen
aus früheren Zeilen des Hessenlands zu erneuern und
zu beleben, und das ist ihm in rühmenswerther Weise
gelungen. Ergänzungen zu den Erzählungen Münscher's
sind uns von kompetenter Seite zugegangen und werden
wir mit denselben in einer der nächsten Nummern
unserer Zeitschrift beginnen.
qr ^ »
Franken st ein, Dr. Kuno, Bevölkerung und
Hausindustrie im Kreise Schmalkalden seit An-
fang dieses Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Soeial-
stanstik und zur Wirthschaftsgeschichte Thüringens.
136
Mit mehreren in den Text gedr. Abbild. (284 S.)
Tübingen, Lauppe. 6,60 M. (Bildet Bd. II. der
Beiträge,zur Geschichte der Bevölkerung in Deutschland
seit Anfang dieses Jahrhunderts von Professor Dr.
Neumann-Tübingen.)
Statistische Untersuchungen über die Lage der Haus-
industrie, namentlich über die Lohnverhältnisse, sind
bis jetzt nur in sehr beschränktem Maße angestellt
worden. Außer den Sax'schen Forschungen über die
einschlagenden Verhältnisse beider Spielwaarenbranche
ist uns wenigstens ^von derartigen Erhebungen nichts
bekannt geworden. Das vorliegende Werk giebt eine
sehr eingehende Darstellung über die gegenwärtige
Lage der Kleineisenindustrie in unserem hessischen
Kreise Schmakalden, dessen hausindustrielle Bevölkerung
nicht viel weniger als die Hälfte der gesammten Ein-
wohnerzahl ausmacht. Das Resultat, zu welchem
Verfasser gelangt, ist kein erfreuliches. Im Großen
und Ganzen ist die Lage der Kleineisenindustrie eine
sehr ungünstige, einmal in Folge der erdrückenden
Konkurrenz der Fabrikindustrie, dann wegen der un-
genügenden technischen Ausbildung der Kleinfeuer-
arbeiter, ferner durch irrationelle Produktionsweise
(Arbeiten mit zu hohen Kosten) und ungünstige Pro-
duktionsbedingungen, welche für einzelne Bezirke mit
höchst mangelhaften Verkehrsverhältnissen in Zu-
sammenhang stehen. Den durch Konkurrenz der
Fabriken bedrohten Zweigen Hülse zu bringen, hält
Vers, für unmöglich; für die anderen Zweige empfiehlt
er Errichtung von Fachschulen und Lehrwerkstätten in
Verbindung mit permanenten Musterausstellungen,
dann Bildung von Genossenschaften einerseits zum
Zweck gemeinsamen, billigeren Bezugs der Rohstoffe
und andererseits zum Vertrieb der Erzeugnisse im
Größen. * * * A.
„Geschichtliche Entwickelung desG efäng-
nißwesens, besonders in Hessen" ist der
Titel einer Broschüre des Amtsgerichtssekretärs K.
Neuber,die soeben dahier erschienen ist. Dieselbe
beruht auf eingehenden Studien und ist allen, die sich
für den Gegenstand interessiren, auf das Beste zu em-
pfehlen. * * * §.
Touristenführer für Kassel und Umgegend von H.
F. Lorentz. Kassel, Theod. Kay (16°,64©.) 0,40.
Das handliche Büchelchen giebt neben einem Weg-
weiser durch die Stadt Kassel und deren Sehenswür-
digkeiten in genügender Vollständigkeit eine Reihe
skizzirter Touren in dem landschaftlich schönsten Theile
von Niederhessen. Die knappe Darstellung, das Weg-
lassen aller sentimentalen Betrachtungen geben dem
vorliegenden Jtinerarium einen Vorzug vor anderen
zu gleichen Zwecken verfaßten und herausgegebenen
Führern. Warum der Titel die richtige Schreibweise
Kassel trägt, in dem Texte aber das durch nichts ge-
rechtfertigte C gebraucht wird, ist uns unverständlich.
Hat der Verfasser auch die hierorts allerdings amt-
liche Schreibweise Cassel in die Erscheinung treten
lassen wollen? Ist Cassel amtlich, dann ist Kassel
amtlicher, denn der „K. Preuß. Staatsanzeiger
und Deutsche Reichsanzeiger" bringt in den amtlichen
Mittheilungen über Ordensverleihungen, Versetzungen,
und dergl. stets K. Desgleichen das „Centralblatt
für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen,,
herausgegeben vom Minister der Unterr. rc. Angel."
und andere hochamtliche Blätter. A.
Kriestasten.
Unser heutiges Leitgedicht stammt aus der Feder eines
im fernen Westen weilenden Landsmannes, Ricardo Jordan
in Colima (Mexiko). Derselbe bekleidet trotz seiner Jugend
die angesehene Stellung eines Chefs der Finanzen der
mexikanischen Provinz Colima. Jordan, dessen Vater-
namen eigentlich Keller ist, hat den Familiennamen seines
in der hessischen Berfassungsgeschichte verewigten Groß-
vaters Sylvester Jordan angenommen. Seine Mutter
ist die unseren Lesern wohlbekannte Romanschriftstellerin
H. Keller-Jordan in München.
R. T., F. T, Dr. W. F. in Kassel. Dankend an-
genommen.
B. in N. bei N. (B.) Wir antworten brieflich.
6. W. in Kassel. Senden Sie Einiges zur Auswahl.
F. 8. in Kassel. Sofort nach Prüfung wird Ihnen
die Entscheidung der Redaktion zugehen. Einstweilen Dank.
P. P. in P. Den neuen Beitrag bringen wir; über
die Fassung des zuerst eingesandten Gedichtes werden wir
uns schon verständigen.
F. R. in Hanau. Gelangt in einer der nächsten Nummern
zum Abdrucke.
K. Z. in Eichen. Wir mußten Ihren Artikel wegen
Raummangels für die nächste Nummer zurückstellen.
Freundlichen Gruß.
Abonnent, Marburg. Wird in nicht allzulanger
Zeit zu Ihrer Zufriedenheit abgeändert werden.
Berichtigung. In dem Leitgedicht der vorigen
Nummer, „Auf Wilhelmshöhe" von Feodor Löwe, sind
mehrere Druckfehler unkorrigirt geblieben. So muß es
Strophe 1, Zeile 2 „alter" statt aller, Strophe 5, Zeile 2
Ehrgeiz" statt Ergeiz und Strophe 6, Zeile 3 „Haupt"
statt Haus heißen.
Inhalt der Nummer 10 des „Hessenland": „Dem
Heffenland", Gedicht von Ricardo Jordan; „Die Kunst-
schätze der Gelnhänser Stadtkirche" von F. W. Junghans;
„Ein Besuch in Wilhelmshöhe" von Fr. von Hohenhausen;
„Ein Brief Karl Seydelmann's über das Kasseler Theater
aus dem Jahre 1832" von W. Rogge-Ludwig; „Kasseler
Maler in den Jahren 1840—18o0" (Schluß) von Louis
Katzenstein; „Der Sängerkrieg auf Spangenberg" von A.
Trabert; „An der Küste", Gedicht von Hugo Frederking;
„Eine Uhlands-Nachfeierin Rauschenberg (27. April 1887)",
Gedicht von Dr. W. F.>(Kassel); Aus alter und neuer Zert;
Hessische Bücherschau; Briefkasten.
Nummer 6 des „Heffenland" vom
m&mr 18. März ist vollständig vergriffen.
Für gefällige Zusendung dieser Nummer
würden wir uns zu grösstem Danke ver-
pflichtet hätten.
Die Redaktion.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das „Heffrnlimd", Zeitschrift für hessische GeWchte und Literatur, 'erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l'/2 Kögen Quartformat. Der Abonüementspreis beträgt, gleichmäßig
für hier und auswärts Vierteljährlich 1 Mark' 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je Z0 Kfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung .bei der Post, ober durch den Buchhandel, auf Wunsch auch-unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-ZeitungsListe findet sich das „Heffenland" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 11 des „Hessenland": „Rheinweinduft", Gedicht von KarlPreser; „Die Kunstschätze der Gelu-
häuser Stvdtkirche", (Schluß) vop F. W. Junghans; „MosenthaL und Dingelstedt," ein Erinnerungsblatt von W.
Rogge-Ludwig; „Geschichten aus dem Hessenland" pon v. G^; „Der lange Hermes", eine hessische Erzählung voü Franz
Treller; „Aschenbrödel," Gedicht von. Gustav Kastropp; „De Kerjenprifung," Gedicht in Marburger Stadtmyttdart von
Philipp v. Amönau; Aus alter und ueuer Zeit; Aus Hejmarh und Fremde; Hessische Bücherschau; Nachtrag; Briefkasten.
Rsierrrwernduft
?
nd wenn auch nicht der grüne Rhein
§instiestt als gold'ner Rheinwein-Strom,
o schließt er doch im Schooße ein
Des Rheinweins Düstarom.
Denn unsrer Lieder frischer Geist,
Der Deutschland über ÄUee preist,
Der steigt mm Alpen-Glau,
Wo Gott ihn medertropfen heißt
Äls süßen Wür?ethau.
Und weit hinab wo Reben blühn,
Trägt vom Zt. Gotthard dann der Rhein
Den Liederthau in's Thales Grün
Und würst den goldnen Wein^
Den Wein, der uns beim Gecher-Äang
Gegeistert stets px neuem Sang,
Wie süßer Maiendust,
And der uns selbst kn Sturm und Drang
Erfüllt wie Frühlingslust.
Und also stürst aus Gletscher-Schnee,
Durch Schlucht und Alpenrosen-Au,
Herab der Rhein zum Godensee
Voll würrereichem Thau.
D'rum wer entlang des Rheinstroms rieht
Und nicht des Rheinweins Feuer stiegt,
Der trinkt und fauchst uud fingt,
Weil deutscher Wein und deutsches Lied
Ihm durch die Seele dringt.
&avl prüfet?.
138
Dir Kimstschähe der Geiuha«ser Stadtkirche.
Bon
F. M.
(Schluß).
^ einahe noch besser erhalten sind die Bildwerke
4i eines zweiten Altars in der Seitenkapelle
AZ rechts vom südlichen Eingang der Kirche.
Auch er bildet einen Schrein von kleineren
Dimensionen, dessen Hauptfiguren in Holz ge-
schnitzt und reich vergoldet, dessen eintheilige
Thüren mit zwei Gemälden aus der heiligen
Geschichte geschmückt sind. Die Hauptfigur bildet
das Jesuskind, aber nicht- auf dem Schooß
Marias, sonder« auf dem Anna's, der Groß-
mutter Jesu. Maria selbst kniet in fast noch
kindlicher Gestalt anbetend vor dem Kinde. Mit
Unrecht bezeichnet Ruht in seinem schönen Werk:
,,Die Gebäude des Mittelalters in Gelnhausen",
die sitzende Figur, welche das Jesuskind auf
dem Schooße hält, als die Mutter Gottes. Nie
wird die heilige Jungfrau, zumal als Mutter
mit dem Kinde, in so matronenhafter Art dar-
gestellt. Daß dieselbe vielmehr Anna vorstellen
soll, geht aus einem kleinen Peigament hervor,
welches bei der Restauration der Kirche in einer
Bertiefnng des Altarsteins geftmden wurde und
welches so lautet: Oonsecratum sst altare is-
tud in honore beate Anne matris marie vir-
gis, sti augusti, confessoria atqne pontifici
et sti georgy miris nec non sti alexy con-
fessoria, zu deutsch: Dieser Altar wurde ge-
weiht in die Ehre Annas, der Mutter Maria'S,
der Jungfrau, deS Bekenners und Bischofs
Augustinus, des Märtyrers St. Georg und des
Bekenners St. Alexius. Das linke Flügelbild
stellt die Geburt des Heilandes, das rechte die
Anbetung der Weisen aus dem Morgenlayde dar.
Dieß Bild ist besonders schön und ansprechend
und erinnert lebhaft an einen ähnlichen Holz-
schnitt Albrecht Dürers. Einer der Könige kniet
vor dem von Diaria gehaltenen Kinde und bringt
ihm ein mit Goldmünzen gefülltes Prachtgeschirr
zum Geschenke dar, die Krone liegt zu seinen
Füßen am Boden. Im Hintergrund« in der
naiven Weise der Alten,- Ochs und Eselein, in
der Thür die Hirten knieend, die auch gekommen
sind, dem Neugeborenen ihre Huldigungen dar-
zubringen. Noch muß eines gewiß nicht zu-
fälligen Zuges in dem tief sinnigen Gemälde ge-
dacht werden, da es die alten Künstler verstan-
den, oft mit einer Kleinigkeit einen tiefen Ge-
danken auszudrücken. In der linken Ecke unten
am Boden befindet sich zwischen Steinen ein mit
besonderer Sorgfalt ausgeführter Erdbeerstrauch,
mit Blüthen und Früchten. Wir glauben nicht
zu irren, wenn wir darin eine Anspielung auf
das Wort des Propheten finden: Es wird ein
Reis aufgehen aus dem Stamme Jsai und ein
Zweig aus seiner Wurzel wird blühen und Frucht
tragen, verbunden mit dem anderen Spruch: ES
schießt auf ein Reis und wie eine Wurzel gus
dürrem Erdreich.
Mit dem Altar in der südlichen korrespondirt
ein gleicher in der nördlichen Thurmkapelle. 1418
stiftete Katharina von Münnerstadt eine Messe
auf diesem Altar, zum Seelenheil ihres Bruders,
Hermann von Stockheim. Er war geweiht in
die Ehre der heiligen Dreifaltigkeit. Die Figuren,
welche auf demselben standen, befinde« sich jetzt
in der Sakristei, wo bei der Restauration der Kirche
die minder schönen und werthvolleu Denkmäler
reponiert wurden. Cs sind Maria mit dem Kinde,
welcher St. Martin, den Mantel theilend,- zur
Rechtes» und St. Nikolaus, ein Kind segnend,
zur Linken stehen. Eigenthümlich ist eS, daß St.
Martin hier nicht, wie gewöhnlich geschieht, als
Reiter oder Ritter, sondern als Bischof dargestellt
ist, wozu er ja später gewählt wurde. Ueber
der ganzen Gruppe wölbt sich ein Baldachin von
schönem Stabgeflecht. Außer diesem Bildwerke
findet sich in der Sakristei noch der Aufsatz eines
zweiten Altars, der bis vor der Restauration am
Eingang der nördlichen Seitenkapelle stand, von
geringerem Kunstwerth. Seine Figuren stellen
den gekreuzigten Christus dar, umgeben von Jo-
hannes dem Evangelisten und Johannes dem
139
Täufer, der eine kenntlich durch den Schlangen-
kelch, der andere mit der Taufmuschel in der
Hand.
Wenden wir uns nun von den Altären zu
einem zweiten Kunstwerk der ehrwürdigen Kirche,
nämlich zu dem das Chor von dem Schiff trennen-
den Lettner. Es ist mit reichen Steinskulpturen
geschmückt, welche die Auferstehung und das End-
gericht in naiver, aber ernster und erschütternder
Weise darstellen. Polygonal nach dem Schiffe
zu vorspringend, bildet er eine, von vier Säulen-
bündeln getragene Halle, unter welcher sich der
«och jetzt gebrauchte, mit den kleinen Statuen
Christi und der Apostelgeschmückte Laienaltar be-
findete In den Eckender dadurch gebildeten drei
Bogen befinden sich die bildlichen Darstellungen
des Endgerichtes, eine lebendige Illustration, zu
dem ernsten dies irae dies illa. Links beginnen
sie mit der Auferstehung der Todten. Die Gräber
thun sich auf und jedem Grabe entsteigt ein
Todter, am Himmel eine Wolke: Wen» ihr den
Menschen-Sohn kommen seht in den Wolken.
Auf dem zweiten Bogenselhe sehen wir die Seelen
der Gerechten mit emporgehobenen Händen gen
Himmel steigen, in der Mitte den Heiland, mit
den Engeln auf dem Richterstuhle, rechts endlich,
auf- dem dritten Bogenfeld die Gottlosen mit
einer gewaltigen Kette an einander gebunden von
dem, nicht sichtbaren, Satan in den Abgrund der
Hölle gezogen. '
Nach Betrachtung dieser ernsten Darstellung
des Endgerichts versäume es der Besucher nicht,
die Kapitäle der vorerwähnten Säulenbündel ge-
nauer zu betrachten. Es sind wahre Meisterstücke
der Steinhauer-Ar-beit, besonders das eine, auf
dem zierliche Bögel zwischen Blättern hängende
Trauben picken.
Es würde zu weit führen, der zahlreichen köst-
liche» Ornamente, wMit Säulen und Wände
geschmückt find, her schön geschnitzte» Schränkt
und Chorstühle, von denen einer die Jahreszahl
1-489 trägt, der schönen Schmiedearbeit, die uns
an den Beschlägen der hinter dem Altar befind-
lichen, ehedem zur Aufbewahrung der heiligen
Gesäße dienenden Schränke, an dem links vom
Hauptaltar stehenden Sakramenthäusche« und
an dem an der Hinteren Seite des Lettners be-
findlichen Lesepult entgegentritt, sowie der, durch
holländische Künstler in ihrer tiefen Farbenpracht
wiederhergestellten Glasfenster drS hohen Chores
zu gedenken.
Wir wollen nur noch zwei alte Teppiche er-
wähnen, welche wohl einst zum Schmuck der
Altäre verwendet wurden und jetzt zur besseren
Erhaltung unter Glas und Rahmen in der Tauf-
kapelle aufgehängt find. Sie sind ein Erzeugniß
des frommen und kunstsinnigen Fleißes edler
Ritter- und Klosterfrauen, vielleicht der Bewohne-
rinnen des 1305 von dem Bischof Siegfried von
Chur gestifteten und vor dem Häitzer Thor ge-
legenem CisterzienserklosterS Himmelawe, die mit
eigener Hand solche Dinge webten und sie dem
Heiligthum zum Geschenke machten.
Der erste und der Steifheit seiner Figuren
nach zu urtheilen,, ältere Teppich stellt die ganze
Passion dar, deren verschiedene Theile in zwei
Reihen übereinander abgebildet sind: oben das
Abendmahl, unten nebeneinander der Verrath des
Judas, Petrus und Malchus, die Geiselung, die
Dornenkrönung, Christus das Kreuz tragend,
dann der Herr am Kreuz mit Maria und Jo-
hannes zur Seite und endlich die Kreuzabnahme.
Die verschiedenen Tableaux folgen in der ersten
Reihe von rechts nach links, in der zweiten von
links nach rechts, nach Art der ältesten Schreib-
weise.
Der zweite Teppich stellt in drei Abtheilungen
nebeneinander, nach der Erklärung des Küsters,
die Empfängniß, die Gehurt und die Anbetung
des Heilandes durch die heiligen drei Könige
dar. Ueber der ersten Abtheilung steht aus cineyi
Bande eingewebt die Inschrift: ave Matiai,
gratia plena, dominus tecum. Räthselhaft ist
nur die erste bildliche Darstellung nnd geht un-
bedingt nicht auf das vom Küster angezeigte Er-
eigniß. Hätte sie nicht die angeführte Inschrift
und stände sie nicht in unmittelbarer Verbindung
mit der Geburt und Anbetung des Heilandes,
so möchte man sich versucht fühlen, darin eine
Darstellung der in Frankreich entstandenen Legende
von der heiligen Genovefa, zu erblicken, denn
sie zeigt eine von Hunden, welche ein Jäger am
Bande hält, verfolgte Hindin, welche in den
Schooß einer Fran flieht. Wir können uns aber
nicht ayders denken- als daß das Bild Maria
als die barmherzige Mutter der Gnade darstellen
soll, welche die von dem höllischen Jäger bezüg-
lich von der Angst der Sündennotb gejagte Seele,
die ja in der Bibel nicht selten unter dem Bilde
eines Hirsches oder einer Hindin dargestellt wird,
bei sich auf und in ihren Schutz nimmt.
Von den in der Kirche noch befindlichen Grab-
denkmälern, sind außer dem hinter dem Hoch-
altar stehendem Grabsteine des Schultheißen Jo-
hannes Koch, der in Gelnhausen vom Jahre
1588—1599 22 Hexen verbrennen ließ, nur
noch zwei bemerkenswerth: neben dem südlichen
Eingang das in edlen Renaifsanceformen ausge-
führte Epitaph des Ritters Johannes von Lauter
und seiner Gemahlin Wilhelm« von Colmar und
140
rechts vom nördlichen Ausgang, ein einfacher, vom
Zahn der Zeit zerfressener Stein, der die Ruhe-
stätte eines Selbolder Abtes mit Namen Konrad
bezeichnet, welcher im Jahre 1372 am 9. August
dys Zeitliche segnete' und hier begraben ward,
denn die Gelnhäuser Frauenkirche war eine Filiale
des im Jahre 1108 gestifteten Prämonstratenser-
klosters zu Selbold. Ein weiteres Epitaph be-
findet sich endlich, noch in der Sakristei, welches,
zwar keinen großen Kunstwerth besitzt, aber in
kulturhistorischer Hinsicht zur Kenntniß der Trachten
des 16ten Jahrhunderts nicht ohne Interesse ist.
Es ist ein auf Holz gemaltes Bild, welches das
evangelische .Predigtamt nach den verschiedenen
Seiten seiner Thätigkeit hin darstellen soll und
welches die Kinder, des ersten evangelisch lutheri-
schen Pfarrers Peter Strupfius, zum Andenken
an ihren verstorbenen Vater im Jahre 1571 an-
fertigen ließen. In der Mitte des,Bildes steht
der Verstorbene selbst im weißen Chorhemd auf
der Kanzel, unter der Kanzel steht der Kantor
mit - zwei Sängern, einem älteren und einem
jüngeren; vor dem Singepult und unter der
Kanzel sitzen die drei Söhne des Vollendeten,
auf der Bühne rechts die Schöffen und, Senatoren
der Stadt, links die vier Schwiegersöhne;
-unter diesen die Frauen der drei Brüder, mit
ihren Kindern, diesen gegenüber die Mutter mit
ihren Töchtern, alle sicherlich im Porträt, im
Vorder- und Mittelgrund aber drängt sich das
Volk, Männer und Frauen, theils dem Beschauer
den Rücken zukehrend, theils im Profil, theils
stehend und theils sitzend, die Männer theils im
Barrett und in der Schaube, theils im kurzen
Mantel, mit spitzem schmalkrempigen Hut/ die
Frauen mst weißem Kopftuch. Die, überaus
kurzen Mäntel uud zerschlitzten Beinkleider der
jungen Elegants int Gegensatz zu der ernsten,
uud würdigen Tracht der Alten zeigt uns noch
heute deutlich, daß der Gelnhäuser Rath in
seiner Stadt- und Pvlizeiordnung vom Jahre
1575 alle Ursache hatte,' um dem allzusehr um
sich greifenden Luxus zu, steuern, „die leichtfertige
Kleidung mit den neuen Bluder- und anderen
zerhackten und zersudelten Hosen/ wie auch, die
gar kurze gestumpte Röcke und Mäntel, dadurch
dasjenige, so von Ehre und Zucht wegen billig
bedeckt werden sollte, entblöset wird," den Bürgern,
Beisaßen und Handwerksgesellen zu verbieten,
desgleichen den Schneidern die Anfertigung solcher
Kleider bei einem Gulden Strafe. Auf zwei
seitlichen Tableaux sind Taufe und Abeydmahl
bildlich dargestellt, unter der Taufe die Aufer-
stehung, unter dem Abendmahl in sehr' realistischer
Weise die Hölle, über dem Ganzen thront der
Weltenrichter mit Engeln und Seeligen. Eine
längere lateinische Inschrift beschreibt den Lebens-
lauf des Vollendeten und neNNt uns die Namen
der Kinder, die das Denkmal errichten ließen, so
wie die der im Jah^ 1571 regierenden Stadt-
väter, des Bürgermeisters Konrad Kremer, des
Syndikus Melchior Weißenburger und der Raths-
herrn Georg Gundermann, Markus Baumänn
und Kaspar Regius. —
Gelnhausen hatte sich durch den Fleiß seiner
Bewohner rasch von den Verwüstungen des
dreißigjähxigen Krieges erholt und ist jetzt so-
wohl durch seine landschaftliche Schönheit, als
auch durch den Biedersinn, die Gastfreundlichkeit
und den Wohlstand seiner Bürger eine Perle
unter den hessischen Städten, wovon sich Jeder,
der die alte Reichsstadt besucht, überzeugen wird.
Moferrthal und Dingelstedt.
Gin GLlnnerungsblatt von W. Nogge-Ludwig.
gdür uns Schüler der oberen Klassen des Kasseler
j) Lyceums war es eine gar schlimme Zeit, als
® Minister Haßenpflug im Jahre 1835 das
Lyceum aufhob und ein neues Gymnasium er-
richtete, da bei den viel höher gestellten An-
forderungen an die Leistungen die Schüler durch-
gängig zwei Jahre in ihrem Kursus zurück-
gesetzt wurden. Wenn es uns nun auch schwer wurde,
-uns außerdem noch in die von der früheren so
sehr verschiedene Behandlung der neuen Lehrer
zu finden, so erkannten wir doch bald, daß in
den meisten Unterrichtsfächern Line Aenderung
durchaus nothwendig gewesen war, namentlich
in dem französischen Unterricht. Als Lehrer der
französischen Spräche in den drei oberen Klassen
und der englischen in Prima trat Ostern 1836
der 22jährige, mehreren Primanern fast gleich-
alterige Frayz Dingelstedt ein. Seine äußere Er-
scheinung und seine Lehrweise unterschieden sich sehr
erheblich von der unserer früheren und der jetzigen
andern Lehrer, durch seinen stets anregenden Unter-
richt Und die rücksichtsvollere Behandlung der ältere«
Schüler gehörte er aber bald zu den beliebtesten
unserer Lehrer. In dem im Jahre 1878 von
ihm erschienenen literarischem Bilderbuch hat er
in dem Artikel „Mosenthal. Ein Stammbuchblatt"
141
in humoristischer Weise seinen Eintritt in die
Kasseler Lehrerstelle geschildert. Mit Wieder-
streben war er dem Rufe gefolgt und aus der
ihm so lieb gewordenen Stellung eine- Lehrers
an der Pnvatanstalt in Ricklingen bei Hannover
auf den Wunsch-seines Vaters geschieden.
Bon seinem Eintreffen in Kassel und der ersten
Zeit seiner dortigen Lehrtätigkeit erzählt er u. a.
„An einem schönen Maimorgen traf ich in
Kassel ein. Um recht pünktlich zu sein, meldete
ich mich sofort, noch im Reiseanzuge, bei meinem
neuen Direktor, dem braven tüchtigen Weber,
der mir aus einem strengen Chef bald ein nach-
sichtiger Freund geworden, Er maß mit be-
denklichem Micke zuerst meine hochaufgewachsene
schmale Gestalt, dann den allerdings verwegenen
Morgenrock aus schottischem gewürfelten Stoff,
ächt englischen Schnitts. Trauen Sie sich auch,
fragte er, den nöthigen Ernst zu, um Disziplin
zu halten, und die körperliche Kraft, die der
schwere Lehramtsdienst erfordert? Sie finden
in Prima und Sekunda Schüler, die älter sind,
als Sie." Ich erwiderte, daß ich mich bemühen
werde, baldmöglichst zu altern. Er duplizirte
lachend: „Nur dergleichen Späße nicht auf dem
Katheder. Ueberhaupt man weiß hier, daß Sie
für ein schöngeistiges Blatt in Hannover ge-
arbeitet haben." Für die Posaune, Herr Direktor!
— „Unser Herr Minister läßt Ihnen sagen, daß
man dergleichen Allotria bei uns nicht liebt,
weder höheren, noch höchsten Orts. Sapienti
sät." Ich empfahl mich, ebenfalls schon satt,
noch ehe ich angefangen zu geuießen.
Mit den Schülern, die älter als der Lehrer,
hatte es übrigens seine Richtigkeit.
„Unser Herr Minister" hatte in seinen Gym-
nasien zwangsweise das vertrauliche „Du" einge-
führt. So oft ich mich den bemoosten Häuptern
gegenüber schüchtern und halblaut darin versuchte
— „Kolbe *) übersetze Du mir dle nächste Periode",
oder: „In Deinem th&ne sind sieben Fehler",
Harnier" — besorgte ich ein gleich vertrauliches
Echo „Mach's bester, Dingelstedt". Meine Be-
sorgniß ist niemals erfüllt worden. Die Schüler,
ältere und jüngere^ haben mich in kurzer Zeit
liebgewonnen, lange Zeit lieb behalten. Einer
von ihnen besonders: der Mosenthal.
Er saß in Tertia auf dee vierte« Bank von
oben. Er fiel mir bald auf durch, durch eine
*) Der verstorbene Sanitürsrath Dr. Kolbe und der gleichfalls ver-
storbene Landeskreditkassen-Direktor Dr. Harnier gehörten keineswegs
zn den bemoosten Häuptern, sie waren 6 Jahre junger, als. Dingel-
stedt und mit die jüngsten Schüler der damaligen Prima; als Her-
vorragende Schüler mag dieser sie wohl besonders im Gedächtniß be-
halten haben.
überraschend gute Aussprache des Franzbsischen
und durch bemerkenswerthe Gewandtheit im deut-
schen Ausdruck; er zählte damals 16 Jahre,
war in Kassel 1821 vott armen, wenngleich jüdi-
schen Eltern, gehören. Mehr Knabe als Jüng-
ling, eher klein, als groß, weniger schlank, als
untersetzt, von Heller, ungewöhnlich frischer Ge-
sichtsfarbe, mit rothem Haar, welches letztere da-
mals noch nicht, wie heutzutage für schön galt.
Seine Aufmerksamkeit beim Unterricht war ge-
spannt bis 'zur Unruhe; er lachte am längsten
und lautesten, wenn ich einmal — die Untugend
aller jungen Lehrer — einen schlechten Witz riß.
So hatten wir uns denn bald stillschweigend ge-
fundeü und es währte nicht lange, bis er sich
mir vertraulich näherte. Als ihn die Reihe traf,
die französischen Exercitien der Klasse, die ich
korrigiren mußte, mir ins Haus zu bringen, blieb
er, nachdem er seine schwere Bürde auf meinem
Schreibtisch abgelegt, an der Thüre verlegen stehen.
„Wünschen Sie noch etwas?" fragte ich freund-
lich, das osficielle „Du" wie immer außerhalb
der Schule ablegend. Nach einigem Stammeln :
Ja, ich hätte wohl —: wenn ich so frei sein
dürfte", zog er aus seiner Tasche ein paar mit
seiner fließenden Handschrift dicht bedeckte Blätter
hervor: „Gedichte." Ich hieß ihn sitzen, lesen,
während ich zuhörte, ermuthigend mit deM Kopse
nickte, hier und da besserte. ES waren, soviel
ich mich erinnere, ächte Schülergedichte, Lese-
früchte, Schnabelstudien eines noch nicht flüggen
Singvogels. Aber sie mußten etwas versprochen
haben, denn als ich ein Jahr später in Kassel
eine Wochenschrift „Der Salon" herausgab, ver-
säumte ich nicht, lyrische Beiträge von Mosenthal
heranzuziehen. Er hatte — auch er schon —
mit seinen mir dargebrachten Erstlingen eine
schlimme Erfahrung gemacht. Mit überfließen-
dem Herzen sprach er einem Mitschüler davon,
daß er mir seine Verse gebracht, daß Ich sie ge-
lobt. Der erzählte es sofort weiter, die Kunde
drang bis zum Klassenlehrer. Der wiederum
ließ sich den vorlauten Dichter kommen, ver-
mahnte ihn, daß man dergleichen bei uns nicht
liebe, weder hohen, noch höheren, noch höchsten
Orts und schloß mit dem Befehle: Uebrigevs,
wenn Du Verse machst, hast Du sie nicht dem
Herrn Dingelstedt zu bringen, der nur französi-
scher Lehrer ist, sondern mir' dem Ordinarius,
der ich ja auch Deine deutschen Aufsätze korrigire.
Spracht und entließ ungnädig den begoffenen
Poeten, der'stracks zu mir eilte, beschämt und
betrübt den Ausgang seiner literarischen Versuche
berichtete und mich um Rückgabe der kleinen
Blätter bat. Ich glaube^ er hat dabei geweint.
142
der arme Mosenthal, und ich — nun. ich lachte
gewiß auch nicht." —
Ordinarius der Tertia war damals der hochge-
schätzte, noch unter uns lebende Prof. Dr. Ftuegel.
Dieser hat, wie er mir mitgetheilt, damals nicht
in Tertia den deutschen Unterricht gehabt und weiß
überhaupt nichts von dem, was Dingelstedt von
ihm in Beziehung auf Mosentyal erzählt; letzterer
habe ihm nur zu der Zeit ein von ihm verfaßtes
Gedicht überreicht, welches er bis jetzt aufbewahrt
habe.
Wenn nun dieses mir gütigst zurVerfügurlg gestellte
bisher ungedruckte Gedicht Moscnthals auch nur als
„Schnahelstudie eines noch nicht flüggen Sing-
vogels" zu betrachten ist, so möchte die hier
folgende Veröffentlichung desselben bei der Be-
deutung, welche dieser vaterländische Dichter später
erlangt hat, doch wohl von Interesse sein.
KaUrenstein.*)
Wenn du auf den Taunus wanderst, über Thal und Berg
und Höh'n,
Wird dein Auge, aufwärts blickend, eine alte Feste seh'n.
Bon dem Morgenroth bestrahlet, glänzte ehmals sie so hehr,
Aber jetzt ist sie verfallen und sie glänzt, sie glänzt nicht
mehr.
Ehmals Feste, jetzt Ruine und ein grau bemoost Gestein
Und ein Horst der wilden Vögel steht dort oben Falkenstein.
Seine Thürme sind zerfallen und dahin ist seine Pracht,
Seine Zimmer sind zertrümmert und der Erde gleichgemacht.
Bon dem ganzen Werke raget nur ein Thurm noch riesen-
groß,
Zeuget von gefallener Größe, zeugt von allem irdischen Loos.
Ach! so sinket alles Große, einem dunkeln Loos geweiht,
Bon dem Zahn der Zeit benaget, in den Schooß der
Ewigkeit,
Und von allem unserem Ruhme bleibt uns nichts auf
dieser Welt
Als des Angedenkens Blume, die der Nachwelt sich erhält.
Hohe Burg, Du liegst zertrümmert, Deines Landes Schutz
und Zier!
Schaurig ist mir Deine Nähe, aber heilig ist sie mir.
Wenn auch einsam Deine Mauern, dennoch sind sie sonder
Graus,
Und des Staubgebornen Schicksal, offen breitet sichs mir au-.
Sieh' den Fels, in dem derMeisel eine Stiege sich erbaut,
Al- der Herzog sein geliebtes Nassau jüngstens überschaut!
Ach! auch dieser Fels zersplittert liegt er bald in einem Nu,
Und auch Du, v Herzog, eilest Deinem Grabe zu!
Hat vielleicht der Feste Gründer auch von hier hinaus geschaut.
Auf das Werk, das er so herrlich uns dem Felsen sich erbaut?
Ach! der Herr und seine Ahnen, schlummern im tiefen Grab.
Und da sinkst auch Du, o Herzog, sinket jeder Mensch hinab.
Rühe aus, mein treuer Führer, lagere Dich ins schöne Grün
Und der greise Führer ruhte, und ich ruhte neben ihm.
Als ich .nach der Feste Ursprung, ihn zu fragen nun begann,
Wie die hohe Burg entstanden? hub der Führer also an:
Graf Philibert, der Getreue, ist's, der diese Feste hier
Aufgebaut des Landes Wehre und der Gegend Schmnck
__________ und Zier;
*) Die Burg Falkeuftein liegt im Taunus auf einem Hügel am
Fuße des Feldbergs. Die Eytstehungsgeschichte ist völlig erdichtet,
ich weiß nicht, ob eine andere Sage von der Burg eristirt.
Kassel, 3. August 1837.
Denn der Köniasteiner drüben, dessen Burg am Berge lag,
War an Höh' ihm überlegen und besiegt ihn jeden Tag.
„Eine Burg will ich mir bauen, sprach Philibert groß
und frei,
Die die andern überstrahle und der Schmuck der Gegend sei."
Ritt hinaus zum höchster Gipfel, ließ drei große Stämme
hau'n.
„Droben, wo die Bäume liegen, will ich meine Feste bau'n."
Aus den Schlünden ließ er graben Sand- und Kalkstein
roth und weiß,
Fensterscheiben ließ er blasen, hell, wie damals Winterreis,
Und schon wölbte sich die Kuppel aufmärtS zu des Himmel-
Blau,
Und schon grenzt die hohe Säule nahe an der Wolken Grau,
Eine Mauer ließ er ziehen, fest, wie sie noch immer steht,
Und es hoben sich die Thürme auf in prächtiger Majestät.
Aber — eh' die Burg vollendet, eh' das Werk noch- ganz
vollbracht —
Da ertönt wilder Kriegsruf und das Banner winkt zur
Schlacht.
„Leb denn wohl, Du traute Feste, ach ich muß von hinnen
geh'n,
Aber, wenn ich wiederkehre, werd' ich Dich vollendet seh'«."
Und es fühlt das Roß die Sporen und es zieht Philiberts
Macht,
Und es schmettern die Trompeten und das Banner winkt
zur Schlacht.
Sieh! Philiberts treuer Falke seinen Käfig schnell verläßt,
An den Arm des theuren Herren klammert er sich fest und fest,
Klatschet freudig mit den Schwingen', hält sich fest mit
aller Macht,
„Geh, Du bist zum Jagen tauglich, doch Du taugest nicht
zur.Schlacht."
Doch der-Vogel hält sich mächtig, seinen Herrn er nicht
verläßt,
Freudig klascht er mit den Schwingen, klammert fester sich
und fest.
„Nun so komm, Du treuer Vogel, zieh' dann mit mir
Hirt zum Krieg,
„Theile mit mir Müh' und Sorge, theile mit mir Ruhm
und Sieg!"
Jetzt nun donnert das Geschütze und die blanke Lanze klirrt
Und es fallen viele Schüsse und der scharfe Schwerthieb
schwirrt.
Furchtbar knallt die Donnerbüchse, blitzend haut des
Schwertes Stahl
Und das Echo wild erdröhnet und voll Schreckens ist da-
That
Und es sieget Graf Philibert uud es siegt sein Heldenmuth. —
Doch — er selber stürzt getroffen und der Boden trinkt
sein Blut.
So nun lag er — eine Leiche — starr und kalt am Boden da,,
Doch das Auge, halbgebrochen, auf den theuern Vogel sah.'
Schwarzes Dunkel deckt die Erde, grauserfüllet wir- die
Nacht, .
Aber fest bei seinem Herren der getreue Vogel' wacht,
Und er krächzt aus tiefer Kehle, schlägt die Flügel mit Geschrei
Und man hört die Klagetöne; „eilet hilfreich schnell herbei"
Und nun finden sie den Falken, er bewacht des Helden Blick
Und Philibert ruht, wie schlafend, neben ihm in treuer Hut.
Eilig nehmen sie den Grafen, hüllen ihn in Tücher ein,
Bringen ihn mit wilden Flüchen zu der Feste Königstein.
Sorgsam heilt man seine Wunden, denn nicht frommt
brochenes Herz,
Leben soll er, sehen soll er, fühlen soll er seinen Schmerz
Und was hilft dem Grafen Hilfe, die er bei dem Feircke
fand?
Sterben konnte er als Freier, nun lebt er in Feinde- Haüd,
143
Muß im dunklem Kerker schmachten, tragen schwerer Ketten
Last.
Und das Leben däucht ihm Elend und die Welt ist ihm
verhaßt.
Fern von seiner trauten Feste muß er dienen fremdem Herrn,
Fern von seinen Lieben, allen seinen Treuen fern.
Nicht von allen seinen Treuen, denn sein treuer Vogel wacht,
Liebend steht er ihm zur Seite, schützet ihn bei Tag und
Nacht.
Heldenmüthig trug Philibert seine Schmerzen, seine Noth,
Doch die in dem Kampf gefallen, neidet er um ihren Tod.
Als er einst so saß im Sinnen, auf die Hand das Haupt
gesenkt
Und zurück an seine Heimath, an die lieben Seinen denkt,
Dip durchzuckt ihn ein Gedanke, er ergreift das treue Thier
Zrchet aus dem schwarzen Flügel eine Feder schnell Herfür,
Nimmt ein Stückchen von dem Linnen, das um seine
Wunde, ruht,/
Ritzet sich an scharfen Steinen, schreibt mit seinem eigenen
Blut:
.„Rüstet Euch, Ihr treuen Lieben, Gott mög' Euer Führer
sein,
Euer Feldherr ist gefangen auf der Feste Königstein."
Und er knüpft'- mit starken Fäden an des Falken Flügel
fest
Und der Vogel mit der Botschaft schnell den hohen Thurm
verläßt.
Und so rudert er im Fluge seiner lieben Heimath zu.
Ha, Philibert- treuer Falke, welche Botschaft bringest Du!
Ha, gefangen, edler Führer! Sieggekrönt war Deine Schlacht,
Und Du selbst hist nun gefangen in des frechen Feindes
Macht!
Schwer hat ihn der Herr geprüfet, doch, nun wird er
gnädig sein,
Unsere Schwerter wird er führen, -auf nun auf nach Kömg-
stein!
Hell nun glänzen Schild und Lanze und es kämpft der
tapfere Schwarm
Und Philibert sinkt befreiet in der treuen Seinen Arm.
In der Milte seiner Treuen reitet er in stiller Ruh',
Innige Gebete flüsternd, seiner treuen Heimath zu.
Sieh! da lacht die Burg vollendet ihren lieben Gründer au,
Herrlich ist sie aufgebauet, auch kein Thürmchen fehlt daran,
„Dank Dir heil'ger Gott, Du hast mir diesen Anblick auf-
gespart,"
Ruft Philibert, Thränen rollen überfeinen dunk'lenBart.
Aber Du, Du vielgetreuer, lieber, theurer Vogel mein,
Der Du Retter mir gewesen, wie soll ich Dir dankbar sein,
Du hast mich vom Tod gerettet, fast im Elend mich erfreut,
Du hast menschlich mitgefühlet, aus der Knechtschaft mich
befreit.
Nimmer sollst Du von mir weichen, dieses däucht Dir
schöner Lohn,
Pflegen will ich Dich, wie 'nen theuren vielgeliebten Sohn,
Sollst in meinem Wckppen glänzen; sollst mir stets zur
Seite sein
Und nach Deinem Namen heiße diese Feste. Falkenstein,
ttnh fr tfent nacfi seinem Worte. Ralkenstein ward sie ae-
nannt,
Lang war sie des Landes Wehre, lange Zier und Schmuck
dem Land.
Wohl nun ist die Burg zerfallen; und ein graubemoost
Gestein,
Doch es hieß auf erv'ge, Zeiten die Rume Falkensteiu.
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„Geschichten aus dem Hessenland."
|1| snter diesem Titel hat bekanntlich Friedrich
4 I Münscher (wohl der frühere Gymnasial-
direktor zu Marburg) ein Büchlein heraus
^ gegeben, welches dreiundzwanzig, unser
engeres Vaterland betreffende Erzählungen enthält. .
Es ist eine erfreuliche Erscheinung, daß in jüngster
Zeit die Hessen ihrer Geschichte lebhafteres
Interesse zuwenden, als dies vordem geschah.
Hoffen wir, daß die. bezüglichen Erzeugnisse der
Presse nicht als ' Testamente einer dahin- •
schwindenden Generation anzusehen sind, sondern
erwachendem Stammesbewußtsein ihr Dasein rer.
danken.
Münschers Wünsch, daß sein Büchlein seinen
Landsleuten willkommen sein möge, wird in Er-
füllung gegangen sein. Ich habe es mit vielem
Interesse gelesen, obgleich mir Manches schon
bekannt war. Dies Interesse sollen die nach-
stehenden Zusätze weiter bekunden.
In der letzten Erzählung schildert uns Münscher
das Wanderleben eines Marburger Proseffors,
nämlich des Proseffors der Mathematik, Hauff,
von dem Ernst Moritz Arndt in seinen Erinner-
ungen u. s. w. erzählt, er habe im Jahre 1813
den Verbündeten den Plan zu einem vor der
Armee herzuführenden Magnetbcrg eingesandt,
bestimmt, die feindlichen Geschosse (auch die von
Blei?) aufzufangen, habe aber die Angabe ver-
gessen, durch welche Kraft dieser Koloß bewegt
werden solle. Danach müßte man annehmen,
Hauff sei, wenn nicht ein Narr, doch ein ganz
unpraktischer Mensch gewesen. Dem muß aber
doch nicht so gewesen sein. Bekanntlich entführ-
ten die Franzosen von Berlin die Siegesgöttin, mit
ihrem Viergespann, welche dir Preußen, sich dann
wieder holten, und die nun seit 1814 wieder aufihrem
alten Platze aus dem Brandenburger Thore steht.
Der Transport nach Paris ging durch Marburg.
Die Landstraße über den Kämpfrasen bestand
noch nicht, und so mußte der Wagen, wie alles
Lastfuhrwerk, den Steinweg hinauf durch die
Wettergaffe gelenkt werden. Zwischen den beiden
letztgenannten, mit ihren Vorderseiten am Markt
stehenden, Häusern der Marktgaffe blieb der
Wagen stecken. Er war nicht vor-, nicht rück-
wärts zu bringen. Allerlei Vorschläge tauchten
auf, man sprach schon von Niederreißen des
einen Hauses. Schließlich entschied man sich da-
für, das Denkmal durch Zersägen frei und Irans-
144
portfähiger zu machen. Das war aber für Hauff,
den deutschen Patrioten, wenn er auch kein Preuße
war, ein Stich ins Herz. Er verlangte und er-
hielt Aufschub. Er ersann und konstruirte binnen
wenigen Stunden ein Hebewerk, mit welchem die
Freimachung ohne Beschädigung gelang.
Ich entnehme das Vorstehende Aufzeichnungen,
die ein damals in Marburg studireNder Augen-
zeuge in seinen alten Tagen niederschrieb und
mir hinterließ.
In der 15ten Erzählung gibt Münscher
nähere Nachrichten über den bekannten, wenn
auch abenteuerlichen, doch als tapferen und ver-
wegenen Soldaten des Andenken werthen Obersten
Emmerich und den von ihm im Jahre 1809 ge-'
leiteten Aufstand. Bei der Departementalgarde,
einem kleinen, ans Halb- und Ganz-Invaliden
bestehenden Corps, welches polizeilichen Zwecken
diente, und zur Disposition des Präfekten stand,
befand sich nur ein Offizier, ebenfalls Invalide.
Dieser soll nun, als Emmerich Marburg über-
fiel, und es trotz des darin liegenden Bergischen
Militärs mit seinem Bauernhaufen nahm, sich
vor das Elisabethenthor zurückgezogen haben, und
von da, nachdem er von seinem, ihm den Mantel
nachbringenden Diener die geringe Zahl der
Aufständischen erfahren hatte, wieder in die Stadt
marschirt sein, und die Bauern nach kurzem Ge-
fecht auf dem Marktplatz aus derselben verjagt
haben. Das habe ich nun anders erzählen hören.
Als die Departementalgarde, den Kommandeur
an der Spitze, über die Elisabethenbrücke nach
Kölbe zu marschirte, trat der schließende Feld-
webel, Lauer, von Wittelsberg gebürtig, mit den
Worten an feindn Vorgesetzten heran: „Herr
Oberst darf ich fragen, wohin wir marschiren?"
„Nun nach Kassel!" „Was sollen wir denn dort
sagen, weshalb wir unsere Garnison verlassen
hätten? Wir können doch nicht sagen, daß wir
vor dem Haufen Bauern ausgerissen sind." „Halt
er's —. Geh' er an seinen Platz!" „Zu Befehl
Herr Oberst." Es wurde weiter marschirt. An
der Knutzbach, wo die vier Linden an der kleinen
Brücke stehen, ries der Oberst den Feldwebel
herbei und fragte: „Lauer, was sollen wir thun?"
„Herr Oberst kommandiren Sie Halt! Kehrt!
Marschiren Sie wieder in die Stadt. Wir feuern
ein- zweimal und die Aufständischen laufen auf-
und davon!" So geschah's. Am Steinweg, am
Hause, welches vormals dem Landgerichtsrath
Hille gehörte, hatte sich ein Haufen Bauern fest-
gesetzt, der als die Departementalgarde feuerte,
davon lief. Dasselbe wiederholte sich an der
Ecke der Wetter- und Marktgasse bei der vor-
mals Lückschen Apotheke. Die Aufständischen
liefen zur Stadt hinaus. — Man wird mich nun
fragen, woher ist Ihnen das Vorstehende bekannt
gewdrden? Der ehemalige Feldwebel hat bis
zum Jahre 1849 in Marburg ein zwar unter-
geordnetes, aber doch sehr verantwortliches Amt
bekleidet.. Er hat den erzählten Hergang, viel-
leicht nur ein einzigesmal, seinem Freunde, dem
Gastwirth Philipp Weiß, mitgetheilt, der mir
ihn wieder erzählte. Die ansehnliche Körpergröße
Lauer's, seine intelligenten Gesichtszüge, der
offene Blick heischten Achtung, welche Forderung
durch Rühe und Schweigsanikest unterstützt wurde.
Ich fürchte zu ermüde», sonst könnte ich noch
einiges von Lauer, dem Franzosenschneider von
Roth u. s. w. erzählen. Einiges auf den Aufstand
Bezügliches mag noch folgen:
Der, wenigstens bei den Jägern, als Schrift-
steller noch in gutem Andenken stehende Ober-
forstmeister von Wildungen, wohnte zu jener Zeit
als Königlich Westfälischer conservateur des
eaux et forets in dem Hause am Heumarkt zu
Marburg, in dessen unterem Stock später Falk
Erlanger und danach Konrad Klappert ein Laden-
geschäft betrieb. Aus den Eckfenstern des Hauses
sieht man die Barfüßerstraße hinab. Als nun
die Bauern diese Straße herauf nach dem Markte
zogen, schoß Wildungen aus einem seiner Fenster,
so wurde behauptet, unter sie. Schwerlich ent-
spricht dies der Wahrheit. Wildunyen wird nicht
unter die Bauern geschossen, sondern nur über
sie weg gefeuert haben, um sie zu schrecken. Die
von ihm abgeschossene Kugel schlug in die Fenster-
bekleidung eines damals und noch länge Jahre
nachher zum Gasthaus zum König von Preußen
gehörenden Nebenhauses, das später der Eisen-
händler Arcularius erwarb. Die Kugel steckte
da noch nach mehr als dreißig Jahren. Wil-
dungen muß demnach schräg über die Bürfüßer-
gasse geschossen haben. Ein Jäger wie er würde
sein Ziel nicht verfehlt haben, wenn er in den
Haufen hätte schießen wollen. Es war zwar
Nacht, aber, wie sich aus dem Späteren ergibt,
eine mondhelle. Aber warum scharf geladen,
wenn er nur schrecken wollte? Ein Jäger wie
Wildungen hat keine mit bloßen Platzpatronen
geladenen Gewehre. Wollte er seinen Zweck er-
reichen, so hatte er keine Zeit, die Kugel aus
dem Laus zu ziehen, oder ein ungeladenes Ge-
wehr nur mit Pulver und einem Papierpfropsen
zu laden. Das Laden nahm damals mehr Zeit
in Anspruch als heute. Die Bauern waren schon
bis zum Bärenbrunnen gelangt, also keine Zeit
zu verlieren, wenn Wildungen sie schrecken wollte.
Die Volksmeinung stand aber einmal fest: Wil-
dungen hatte unter die Bauern geschossen, und
145 —
riese Meinung konnte 1813 für ihn gefährlich
-werden. Sobald,die Franzosen abgezogen waren,
versammelte sich im Marburger Rathhaus unter
dem Präsidium eines Bäckers Schott, der der
Schwanapotheke etwa gegenüber wohnte, ein Volks-
gericht, vor das Mildungen geholt werden sollte.
Er erhielt jedoch davon noch zeitig Nachricht,
And entfernte sich für einige Zeit von Marburg.
Mittlerweile hatten sich die Gemüther beruhigt.
Münscher erzählt nun weiter, daß Emmerich,
der Professor Stervberg und zwei althessische Sol-
daten Muth aus Ockershausen und Günther aus
Sterzhansen zum Tode verurtheilt worden seien,
welche Strafe durch Erschießen vollzogen wnrde.
Münscher gibt dem Günther den Vornamen
Mentel, Lyncker itt seiner Schrift über die In-
surrektionen im Königreich Westfalen nennt ihn
Mendel, der Mann hieß Wendel (nach dem heil.
Wendelin, dessen Tag der 20. Oktober). Mit
diesem Günther, der seine Theilnahme mit dem
Leben bezahlen mußte, kommen wir ans die Be-
theiligung der Sterzhäuser überhaupt. Durch
Sterzhausen, nordwestlich von Marburg, geht
jetzt die Eisenbahn von Marburg nach Bieden-
kopf und Laasphe. Fast alles, was ich über
diese Betheiligung erzählen werde, habe ich aus
dem Munde eines ganz unverwerflichen Autors,
der zum' Theil Augen- und Ohrenzeuge war,
grämlich des damaligen Pfarrers zu Goßfelden,
Heinrich Christian Ludwig Bang, dem der jetzt
in Darmstadt lebende vorhinnige Oberamtsrichter
zu Bergen, Karl Hille, in den konservativen
Monatsheften von Nathusius, jetzt von Oertzen
redigirt, unter der Ueberschrift „die letzte huma-
nistische Lehranstalt" ein ebenso pietätsvolles wie
unmuthendes Denkmal gesetzt hat.
Die Sterzhäuser zogen also in der Johannis-
nacht 1809 heran, angeführt von ihrem Ge-
meindeforstlauser Moog.. Zuzug aus anderen
Orten scheinen sie nach dem, was sich in Goß-
felden ereignete, kaum gehabt zu haben. Emme-
rich, der Leiter des Ganzen, scheint nur an
einzelne Vertraute die Aufforderung, sich an der
Wegnahme Marburg's zu betheiligen, gesandt und
darauf gerechnet zu haben, daß, wenn diese ge-
lungen, der Zuzug nicht ausbleiben werde. Die
Goßfelder lagen, als die Sterzhäuser gegen
Mitternacht heranzogen, in tiefem Schlaf. Moog
ließ seinen Haufen an der Goßfelder Brücke Halt
machen, eilte von Einigen begleitet, zum Schul-
haus, ließ sich den Schlüssel- zur Kirche geben
und läutete. Die Goßfelder eilten auf den hoch-
gelegenen Kirchhof, und hier forderte sie Moog
Lur Betheiligung aus. Sie bezeigten dazu keine
besondere Lust, auch Moog's Drohung, wer nicht
mitziehe, werde sofort in seiner eigenen Haus-
thüre aufgehängt, wollte nicht verfangen. Als
Moog wiederholte, sie müßten dem Kurfürst zu
Hülfe eilen, und die Goßfelder einwandten,
sie wüßten ja garnicht, wo der Kurfürst sei, rief
Moog: Was? da unten der an der Brücke auf
dem Schimmel, das ist er. Ja! sagten bie Goß-
felder, wenn er selber da ist, dann ziehen wir
mit, und so geschah es. Der auf dem Schimmel
war ein ehemaliger Hessischer Leibdragoner, der
geglaubt hatte, die Sache nur zu Pferd mit-
machen zu.dürfen.
.Der vergrößerte Haufe zog nun über den
Weißenstein Marburg zu. Als es den steilen
Weg an dem westlichen Abhang des Berges hinab
ging, sah einer auf dem rechtsgelegenen Wehrdaer
Felde einen Menschey laufen. Er. wurde als
eiy Exekutor aus Wetter erkannt, der sich durch
seine Härte, zu der er noch, Hohn gesellte, ver-
haßt gemacht. Möglich, daß er nach Marburg
die Nachricht von dem bevorstehenden Ausstand
gebracht hatte. Einer aus dem Haufen erschoß
ihn. Dies hab ich nicht vom Pfarrer Bang,
wohl aber von Theilnehmern am Zuge gehört.
Sollte damit Günthers Verurtheilung zusammen
hängen? Die Bauern waren noch nicht bis an die
Deutschhausmühle gelangt, als sie Nachricht von
dem Mißlingen des Unternehmens erhielten, wo-
rauf sie sich auf Moogs Befehl zerstreuten; und
durch den Wehrdaer und Michelbacher Wald nach
Haus eilten. Daß darauf zahlreiche Verhaft, ngen
erfolgten, versteht sich von selbst. Moog ließ
sich aber nicht so leicht fangen. Er trieb sich in
den Wäldern umher. Da es jedoch schwierig
war, ihm Nahrungsmittel zukommen zu lassen,
so verbarg er sich, als das Korn in Hügeln
stand, in einem dieser, und so mochte Ende August
oder Septemper herangekommen sein. Das Äora
bleibt dort, wenn die Witterung es gestattet,
ziemlich lange im Felde. Da geschah es denn,
daß eines Nachts ein Mann von Großfclden,
Namens Roth, bei dem auf der Großfelder
Pfingstweide zum Bleichen aufgelegte« Leinen
Wache hielt. Es gesellten sich ihm zwei west-
fälische Gendarmen zu, und Roth verrieth diesen,
in welchem Kornhanfen Moog sich diese Nacht
aufhielt. Die Gendarmen schlichen sich heran
und fesselten den schlafenden Mann.' Ob Roth
den Verrath um Judaslohn verübt, oder als
einfältiger Schwätzer von den Gendarmen über-
listet wurde, ist nicht ausgemacht. Die allgemeine
Meinung entschied für das-erstere. Moog wurde
nach Marburg geführt und hier vor das ordentliche
Gericht gestellt. Der Generalprokurator de»
Werradepartements, der spätere kurhessische Minister
146
des Innern, von Hanstein, vertrat die Anklage.
Moog wurde zu lebenslänglicher Zwangsarbeit
verurtheilt, und zur Verbüßung der Strafe nach
Magdeburg gebracht, dessen Uebergabe an die
Preußen ihn befreite.
Dem Verräther Roth, das ganze Dorf nannte
ihn den Judas, ging es nach Verdienst. Kein
Goßfelder erwiderte seinen Gruß. Die Kinder
schimpften hinter ihm her. Die Hausthüren
schlossen sich vor ihm. Jn'S Wirthshaus zu
gehen, wäre der eignen Aufforderung, ihn mindestens
halb todt zu schlagen, gleichgekommen. Die
Plätze auf der Kirchenbank, auf der er auch den
seinigen hatte, blieben leer. Schließlich konnte
er es nicht mehr ertragen, er zog von Goßfelden
weg in das am Wollenberg, Caldern gegenüber,
liegende einzelne Haus, das Eichhaus genannt.
Im Frühjahr hausirte er mit Rechen, die er im
Winter geschnitzt. An der Lahn kaufte von ihm
Niemand, er mußte nach Niederhessev wandern,
wo man ihn nicht kannte, und so hielt er denn
auch jedes Frühjahr seine Rechen auf der Kasseler
Fuldabrücke feil.
Wir müssen uns noch einmal nach Moog um-
sehen. Er hatte Eigenschaften, die ihn zum Führer
qualificirteu Er hatte Muth und Geistes«
gegenwart und war in der Wahl der Mittel
nicht verlegen. Irgend welche Verlegenheit kannte
er überhaupt um so weniger, als eine die Wahr-
heit verschleiernde Höflichkeit ihm selbst der Be-
zeichnung nach fremd war. Im Jahre 1817
oder 18 wurde für die Lahn zwischen Sterz-
hausen und Goßfelden ein neues Bett gegraben,
ein für damalige Zeiten bedeutendes Unternehmen.
Witdungen, der nun wieder kurfürstlich hessicher
Oberforstmeister, und Hanstein, der kurfürstlich
hessischer Regierungsrath, beide in Marburg ge-
worden waren, besuchten eines TagS. die Arbeits-
stelle und stießen hier aus unsere» Moog, der
dort auch als Taglöhner beschäftigt war. Hanstein,
dem eine gewisse Leutseligkeit nicht abzusprechen,
klopfte Moog mit den Worten auf die Schulter:
„Ei, da ist ja auch der brave alte Hesse! Moog
wies jedoch dies Lob mit den an beide Herren
gerichteten Worten zurück: „So, sei mer alle-
weil oach werrer gaud hessisch? Ehr zwö wart
verdammt franzesch!"
Durch diese Worte entstand nicht,' wie es irr
Theatersprache heißt, ein tableau, sie wirkten
wie eine Versenkung.
In der 17. Erzählung theilt, uns- Münscher
einen Vorfall mit, der sich 1812 iy Marburg
ereignete. Die Landsmannschaft der Hessen hatte,
die Anwesenheit böhmischer Musikanten benutzend,
einen Kommers oder dergleichen arrangirt. Im
Verlauf dieser geselligen Vereinigung läßt ein
Student den Erzherzog Karl, ein -anderer den
Kurfürsten Wilhelm leben, es fehlt auch nicht
an einem Hoch auf Deutschland, an einem Pereat
auf die Franzosen. Tags daraus, beziehungs-
weise einige Tage später werden wegen dieses
Vorfalls sieben Studenden gefänglich eingezogen,
und von diesen vier nach Dassel transportirt.
Unter den letzteren befand sich der 1885 ver-
storbene Superintendent Schüler zu Aflcndorf
und der Geheime Regierungsrath Schröder zu
Kassel. Während nun bei Schüler besonders
erwähnt ist, daß er in den Befteiungskriegen
mit Auszeichnung gedient, er war freiwilliger
hessischer Jäger, ist von Schröders Theilnahme
an diesen Kämpfen nichts ausdrücklich bemerkt.
Als sich 1815 der Ausmarsch der Hessen ver-
zögerte, trat Schröder in ein preußisches Regiment,'
in welchem er den Feldzug mitmachte und dann
in sein Vaterland zurückkehrte. Aehnlich verfuhr
Bach, später Obergerichtsanwalt in Kassel, der
in das Füsilierbataillon des fünfzehnten Regiments
trat, welches bekanntlich die Spitze der die Franzosen
nach. der Schlacht bei Waterloo verfolgenden
Preußen bildete, und dessen kühnem und rast-
losen Draufgehen hauptsächlich die Auflösung der
französischen Armee z« danken war.
Nachstehendes habe ich ans Schröder's Muud:
Als die nach Kaffel transportirten Studenten
dort anlangten, wurden sie in eins der Büreaux
der hohen Polizei geführt. Sie fanden da einen
jungen Schreiber, der sie selbstverständlich ohne
dazu das geringste Recht zu haben, mit Vor-
würfen über ihr illoyales Betragen empfing ^
und wissen Sie,-sagte Schröder zu mir, wo ich'
diesen Burschen wieder sah ? an der kurfürstlichen
Mittagstafel, er' war immittrlst geadelt, war Ge«.
heiMrath «. s. w. geworden. Ich überlasse es
dem Leser, Vergleiche zwischen den verschiedenen
Personen anzustellen, die ich hier vorführte.
«f fi
147 *
Der Lange Hermes.
Eine Geschichte ans -em vorigem
er Johannes Krug aus Besse war im Jahre
des Herrn Eintausend siebenhundertvierzig
und sechs der schönste und' längste Grena-
dier in unseres gnädigen - Herren Landgrafen
Friderici I. Regiment „Maximilian", welches
früher „von Haustein" hieß. Sechs Fuß und vier
Zoll rheinländisch Maaß stand er in Strümpfen
da, und sein Zopf war wohl armesdick.
Der Krug war gleichzeitig der stärkste Mann,
nicht nur im Regiments, sondern in alle« hessi-
schen Truppen, die dazumül in den Niederlanden
mit Engländern und Holländern zusammen gegen
die Franzosen fochten, und fand auch, was Körper-
kraft aypetraf, weit und breit seines Gleichen
nicht in deutschen Landen; einen wüthenden Stier
mit seiner Arme Kraft zu bändigen, war ihm
rin Leichtes. Dabei war er gewandt und thats
auch im Laufen Und Springen Allen zuvor.
Sie kannten ihn auch All« bei der Armee de»
hübschen, baumlangen Burschen, und allgemein
hieß er bei Engländern und Holländern: der
„lange Hesse", beim Regimente aber nannte mau
ihn nur den „langen Hennes".
Aber auch beliebt war der Johannes bei all
dem wilden Kricgsvolk, denn seiner Stärke und
seiner Courage vor dem Feinde, kam eine fast
kindliche Gutmüthigkeit gleich; auch unseres gnä-
digen Herrn Landgrafen Sohn, Prinz Friedrich,
der die Hessen kommandirte, war dem Burschen
wohlgesinnt.
Nicht zum mindesten waren dem hübschen,
reckenhaften Grenadier die Weibsen zugethan
und liefen wie toll hinter ihm her. Aber der
Hennes. schielte nicht nach den Mäderchen, denn
«r hatte seine« Schatz in Kasfel>das Kathrinließ,
auch aus Besse, und dem wär er treu wie Gold,
gar nicht nach sonstiger Soldatenart, welche heißt:
„Ein ander Städtchen, ein ander Mädchen". Das
Kathriyließ aber diente beim Geheimen Rath von
Schimmelpfennig, auf der Schloßfreiheit iw der
Residenz und war ein ächtes, treuherzig, Hessen-
dlut, und dem Hennes unmenschlich gut.
Wenn die Kathrinließ Ursache hatte eifersüchtig
zu sein, so war es auf einen Menschen in. der
Welt, und zwar auf des Hennes Bruder, den
Barthel, Ich glaube, den hatte der HenneS
noch lieber, als das Kathrinließ, und das ging
so zu.
^ DeS Hennes Vater war Forstlaufer gewesen,
wie dessen Vater und Großvater auch, und hattm
am Langenberge gehaust; die-Krugs unweit, des
Jahrhundert von Franz- Treller.
Bilsteins waren redliche Männer gewesen, die den
Wald und das Wild kannten und beides vor
Schaden behüteten. In der Hütte um Bilstein
war auch der.Hennes geboren, und später sein
Bruder- Barthel.
Der Aeltere war gerade zehn Jahre alt, als
ein großes Sterben in's Land kam, und den
Forstlaufer und sein Weib ergriff's auch und
nahm sie mit weg von dieser Erde.
Die beiden Knaben blieben allein auf der
Welt. Der Barthel aber war erst drei Jahre
alt und ein kränklich Kind, blaß und mager und
schwach aus den Beinen.
Der- kräftige Hennes,.- der einer jungen Tanne
gleich emporschoß, hatte das Brüderlein von
Jugend auf fleißig umherschleppeg müssen, und
stand nun da als sein einziger Beschützer und
Freund.
Die klugen Leute in Besse überlegten, als es
die Forstlaufersleute so plötzlich fortriß, daß man
die Kinder nicht verhungern lassen könnte, und
wollten sie austhun, bei Bauern, hie nnd da.
Da aber zeigte der Hennes, daß ihm auch
der Kamm schwellen konnte, gleich einem Kampf-
hahn, und er erklärte in heller Wuth: ehe er
sich vom Barthel trennen ließe, oder diesen von
ihm, eher wolle er mit dem Kinde in den Wald
laufen und sich vom Wolfe fressen lasten oder
sich vom Bilstein herunterstürzen, der Barthel
komme nimmer von seiner Seite. Das verdutzte
die Bauern maßlos, denn dem gereizten Jungen,
der im Wald aufgewachsen war, konnte man's
zutrauen. Schließlich wollte« sie Gewalt an-
wenden, aber da kam der Oberjägermeister, der
Herr v. Eschwrge, dazwischen, und als der er-
fuhr, um was es sich handelte, streichelte er oem
HenNes den buschigen Kopf und ordnete an:
Die Kinder sollten beieinander bleiben, die Forst-
kaste würde etwas Kostgeld zahlen, und der
Hennes könne sich nützlich machen als Hirte und
Treiber zur Jagdzeit. Und so geschah's.
Der Bauer Ehler nahm die Beiden zu sich,
steckte, ein, was die Forstkasse zahlte, und die
Gemeinde ließ den Hennes die Gänse hüten.
Der aber war seelenfroh, daß der Barthel bei
ihm blieb. Er versah treulich seinen Dienst als
Hirte, aber den Barthel schleppte er mit sich in
Feld und Wald, Tag für Tag. Von den kärg-
lichen Mahlzeiten erhielt der kränkliche, launische
Junge die besten Bissen und im mit Stroh ge-
Mten Bettkasten den wärmsten Platz.
148
Am Abend, wenn die Kinder am Heerdfeuer
sitzen durften, schnitzte ihm der Hennes aus Holz
Mensch und Thier, so gut er's vermochte, baute ihm
Häuschen und ließ sich recht quälen von dem
kleinen Kerl. Für ihn existirte auf der Welt
nur dieser eine kleine Mensch.
Gutmüthig wie ein junges Lamm, konnte den
Hennes aber Berserkerwuth ergreifen, wenn man
das kränkliche Kind verspottete oder gar schlug.
Nachdem der emporschießende Riese mehrmals
seine Körperkräfte gezeigt hatte, hütete sich auch
Jedermann dem Klemm zu nahe zu treten.
So vergingen die Jahre und aus dem schwachen
Barthel wurde ein gesunder starker Bursche, der
dem Bruder bald in seinen Beschäftigungen zu
helfen vermochte. Die Jagd »or die Leiden-
schaft Beider und. glücklich waren sie, wenn'S
zum Treiben ging, wenn Einer oder der Andere
einen vornehjnen Herrn auf einem Pirschgang
führen durfte.
Der Herr v. Eschwege aber hatte die Forst-
laufersjungen im Auge behalten und freute sich,
daß sie so kräftig emporwuchsen und so gute
Jagdbursche waren. Hatten sich auch sonst noch
Gönner erworben. Da war der Lieutenant von
Donop vom Regimente Maximilian, der gar oft
am Langcnberg und Burgberg jagte — der wußte
die Jungen zu schätzen, denn Keiner kannte Wild,
Standort und Wechsel besser.
Auch unser junger Prinz Friedrich war oft
draußen zur Jagd, und wurde,auf das unzer-
trennliche Brüderpaar aufmerksam und besonders
auf den jungen Riesen, den Hennes. Fand auch
Gefallen an ihm, seiner Geschicklichkeit, seinem
ehrlichen offenen Wesen. Fast immer sah man
die Brüder zusammen, d. h. wo der Barthel war,
weilte, wenn'S nUr irgend anging, auch der
Hennes, eine Mutter konnte über einen ver-
zogenen Liebling nicht sorgfältiger wachen, als
der lange Bursche über den Bruder. Der Barthel
aber, wenn auch im Ganzen ein guter Junge,
war verzogen und eigenwillig worden durch die
große Nachsicht und Anhänglichkeit des Bruders.
Auf Anordnung des Herrn v. Eschwege waren
die Brüder zum Förster gethan, der am Burg-
berge wohnte und sollten da richtige Jäger wer-
den. Waren auch bald weit und breit bekannt
als gar geschickte Weidmänner und treffliche
Schützen, besonders der Hennes.
So waren die Jahre hingegangen und die
Knaben waren unter Mühsal und Entbehrung
emporgewachsen zu stattlichen jungen Männern,
der Hennes wär nun 26 Jahr alt und der
Barthel 19. Der Aeltere hatte auch seinen
Schatz, die Kathrinließ, aber als die nach Kassel
zog, um dort zu dienen, 's war auch nur armer
Leute Kind, ging der Hennes doch gewöhnlich
nur nach der Stadt, wenn der Barthel ging.
Weit und breit war das Brüderpaar bekannt,
und besonders die riesenhafte Kraft des Hennes,
von der er vor hohen Herren oft Proben ab-
legen mußte, wie seine unversiegbare Zärtlichkeit
gegen den Bruder. .
Eines Tages war der Barthel nach Kassel ge-
gangen, und der Bruder hatte ihn sehr ungern
allein ziehen lassen; doch konnte er nicht an
seiner Seite sein, was nebenher bemerkt dem
Barthel oft sehr lieb war, weil sein Dienst ihn
fesselte.
Spät in der Nacht kam der Jüngere von der
Landgrafenstädt zurück und zwar stark berauscht.
Voll Unruhe hatte der Bruder seiner gewartet..
„'S ist aus, Hermes", lallte ihm der entgegen,
„sie haben mich — Schürn! Unser gnädiger
Herr soll leben!" Und dann sang er aus einem
alten Soldatenliede:
„Wisch ab liebe Liese, wisch ab Dein Gesicht,
Eine jede Kugel die trifft ja nicht". Den
Aelteren beschlich eine furchtbare Ahnung. „Was
hat's gegeben, Barthel?"
„Nichts hat's gegeben — Handgeld hab ich,
Donnerstag muß ich schwören — das hat's ge-
geben."
Der Hennes wurde so blaß wir die Wand,
sagte aber kein Wort, sondern brachte den trunkenen
Burschen sorgsam zu Bette. -
Am anderen Morgen, nach einer schlaflosen
Nacht, erfuhr er denn von dem ganz kleinlauten
Barthel, daß er gestern in einem Wirthshause
in Kassel, in einem Streit mit einem Diener der
Gerechtigkeit, sich an diesem thätlich vergriffen
habe. Nachdem er diese Thatsache, welche er
möglichst beschönigte, gebeichtet hatte, fuhr er
fort: Während der nun Hülfe holte, denn allein
traute er sich nicht an mich, sprach der Sergeant
zu mir, der Weiland, weißt Du, aus Großen-
ritte, der dabei war: Nimm Handgeld Junge,
• sonst legen sie dich auf ein Jahr in Eisen; als
Soldat können sie dir nichts anhaben." In
meiner Angst hab ich's genommen.- Als sie
kamen, mich in's Prison zu führen, lachte der
Sergeant sie aus, und sagte: ich sei Soldat Im
Regimente Maximilian und stände unter Mili-
tärgesetz — ich hätte Handgeld!" Da mußten
sie mit langer Nase abziehe», der Sergeant hat
mich hergehen kaffen, weil er weiß, ich bin ein
redlicher Bursche, und morgen muß ich schwören-
Das ist es, und nun weißt Du Alles, Hennes."
Der Letztere hörte schweigend zu und schaute
nur mit den ehrlichen Augen den Barthel traurig.
— 149
an. Dann seufzte er und sagte nur: „Bleibe
hier, ich will nach Kassel", damit ging er. Vom
Förster, bei dem er zuerst vorsprach, eilte er mit
langen Schritten nach der Residenz. In Kassel
suchte er den, Lieutenant v. Donop aus.
„So traurig Hennes? Was giebt'S?"
„Ich will in's Regiment Maximilian, Herr
Baron."
„ÄiUs tonUerrss! Brav Bursche!" und. deS
Lieutenants Augen strahlten vor Vergnügen über
diesen seltenen Grenadier.
„Aber.unter einer Bedingung, Herr Baron."
„Nun?'*
„Ich muß es schriftlich haben, daß ich von
meinem Bruder nicht getrennt iverde."
Richtig, Ihr seid ja Insexurablss, und der
Junge hat ja gestern Handgeld genommen, kann
von Glück sagen, hätten ihn sonst eingelocht.
Werdet schon zusammen bleiben, nur getrost."
„Schriftlich muß ich's haben, sonst geh' ich
nicht" sägte Hennes fest. Und richtig, um den
reckenhaften Grenadier' zu gewinnen, der außer-
dem eine Schütze wie Wenige war, mußte die
schriftliche Zusage des KriegskomnnssariatS ge-
schafft werden.
Aschenbrödel.
• Ich sitze mit der Kunkel
Einsam und allein,
Allmählig bricht das Dunkel
Ueber das Thal herein.
Die Andern ruh'n und rasten
Von des Tages Lasten,
Allen in der Runde
Schlug die Feierstunde,
Nur mir nicht !
ch wollte gerne spintien
tä in die dunkle. Nacht,
Wenn droben über den Zinnen
Das bleiche Mondlicht wacht;
Die andern dürfen säumen.
Geliebt und selig, träumen,
Jedem ärmsten Kinde
Lächelt Liebe linde,
Nur mir nicht! G»n»v »«str-w.
De Kerjenprrfung.
(Marburger St»dtmrmdart).
Gs es m'r gar net lange her,
As inse Millersch Juste
"Mel unner'm Komfermanteheer
Zur Kerjeprifung mußte.
Am andern Tage schwuren die Beiden auf die
Fahne, und als Prinz Friedrich die Rekruten
später musterte, freute er sich, den lange» Bursche»
. darunter zu sehen, und rief ihm leutselig wie er
war, ein freundlich Wort zu.
jSo waren die Brüder, gemeinsam Grenadiere
im Regimente „Maximilian". Eine schwere
Stunde stand dem 'Hennes noch bevor — sein
Kathrinließ mußte wissen, daß er unter den
Soldaten war. Am dritten Tage, nachdem er
die Montur anhatte, machte er sich beklemmten,
Herzens auf den Weg nach der Schloßfreiheit
und klingelte an des Herrn Geheimraths Thüre.
Da machte das Mädchen selbst' auf und erkannte
ihn anfangs nicht in der Montur und der mili-
tärischen Haarfrisur, wär' aber dann vor Schreck
gleich in Ohnmacht gefallen, wenn's nicht ein
hessisch Bauernblut gewesen wäre, als sie ihren
Hennes im Soldatenrock erkannte. Denn da-
mals hieß Soldat sein, für alle Zeit Abschied
vom bürgerlichen Leben, und bei den unaufhör-
lichen Kriegen der Zeit, auch Abschied von der
Heimath nehmen, von den Gefahren deS Kriegs-
lebens zu schweigen.
(Fortsetzung folgt).
------
De Jungens spräche'- allsammt laut:
„Der Jüste waaß der Wingste*)
„Un rechtig. wisse thut'e Rauht**) —
„Das gibt m'r beese Pingste!"
Der Pfarr,met Wird' sich an 'n wendt.
Spricht vor 'n: „Sohn, bekenne,
„An wen Du festen, Glaubens bist,
„Den Herr des Heiles nenne."
Der Juste kratzt sich hinner'M Ohr,
Da wertlich net de Frage,
Wie in d'r Stund' gestellt wor
Un waaß m'r Rauht ze sage.
Da sprach d'r Pfarr met zorn'ge Sinn:
„Entweich dem Gotteshaüse,
„Und bis Du weißt der Frage Siu»,
„So lange bleibst Du drauße!"
Betriibt schlich Justus vor de Thir,
Met komwullsihwschem Beewe
Setzt er sich för de Kerje fir
Un drillt grad wie so'n Leewe.
Da kommt der Wege justament
Der Herr SchaNdar in Eile,
Der, heert, worum der Juste flennt,
Es dauert '» sei Heile:
*)'£>«» Wenigste. **) Nichts.
150
„Ei, Blasekopp! Sprech vor der Pfarr:
„Ech sein e Christ! — Das es ja wahr —
„So kommst'e dorch's Exame -
„Un bräüchst Dich net ze schäme."
Wie weggeblase hatte sich
De letzte, Thräncspure
Bon insr Justus Aangesicht
Sellaageblicks verlure.
Flugs zieht 'e. in de Kerje rin,
Postirt sich vor der Past'r hm.
Der spricht : „Mein Sohn, sag was Dü bist!" —
Un Justus sonner Zage:
„Herr Pfarr! Ech sein, waaß Gott« e Christ!" —
„Die Antwort auf die Frage
„War gut," spricht fir 'n der Herr Pfarr,
„Ich frag', wie üblich, weiter:
„Und woher, mein Sohn, weißt Du das?" —
Justus der würd' bal roth bal blaß,
Un heilend platzt' e raus: ,,S' es wahr!
„Gesprüche hat mer'sch der Schandar!"
Philipp pptt 31tnBnaxx.
Aus alter und nrver M.
Ein Schutzbrief für das Kloster Frauen-
berg bei Fulda. Schon in alten Zeiten war es
üblich zur Sicherstellung von Personen, einzelnen
Gebäuden oder ganzen Ortschaften in Feindesland
Schutzwachen zu stellen, um dieselben vor Erpressung,
Plünderung, wie überhaupt vor allen Belästigungen
durch Truppen zu schützen. Denselben Zweck hatten
die Schutzbriefe und Schutzanschläge. Erstere,-vom
kommandirenden General unterzeichnet, letztere, meistens
mit dem Wappen des Kriegsherr« geschmückt, be-
drohten alle diejenigen mit harter Strafe, selbst mit
dem Tode, welche sich eine Verletzung der befohlenen
Schutzmaßregel zu Schulden kommen ließe«.
Zu keiner Zeit wurde wohl ein so ausgiebiger Ge-
brauch von Schutzwachen, Schutzbriefen (gewöhnlich
sauye garde oder salva guardia genannt) re. ge-
macht, als während des dreißigjährige« Krieges. Die
zunehmende Verwilderung der Heere, die immer lockerer
werdende Bande der Disziplin, hielten mit der fort-
schreitenden Verwüstung des deutschen Vaterlandes
und der dadurch bedingten Schwierigkeit der Ver-
pfiegung der Truppen gleichen Schritt, so daß jeder,
der überhaupt noch etwas im Besitz hatte, bemüht
war, sich vor dem Raubweseu der Soldaten auf best-
mögliche Weise sicher zu stellen. Fürsten zahlten
große Geldsummen an die höheren Befehlshaber, um
sie zu veranlassen dem anmaschirenden Heere eine
andere Richtung zu geben und die drohende KriegS-
geisel von ihrem Lande abzulenken; Städte und Dörfer,
Schlösser und Klöster machten de» Offiziere« „eine
Verehrung" in Geld, Schmuck, Pferden, Wein, Kleidern
u. s. w. um sich vor Plünderung zu bewahre» und
einen Schutzbrief von freilich immerhin zweifelhaftem
Werth zu erkaufen. Für die Schutzwachen erhöhten
sich außerdem die Kosten noch bedeutend dadurch, daß:
Geld- und Naturalverpflegung für Offiziere und
Mannschaften derselben, demjcmgen zur Last fiel, der
nm dieselbe gebeten hatte.
Das Original- eines solche» Briefes wurde mir
von befteundeter Seite zur Verfügung gestellt und
lautet dasselbe folgendermaßen:
„Ich Thilo Albrecht vom Usslar Erbsass Zu denn
Alttenn gleichen» vundt Wackerm, Königl. Maytt.
inn Schweden« bestalter Obrister über Ein» Regiment
Zu Roß vundt Fuß, fürst!/ Heßischer Geuerall Wacht-
meister, fnege hiermtt menniglich Zu wißen», demnach,
die Herrn patres Bahrfüßrr ordenns des Closters
Frauenbergk, Sie sampte ihrem Closter wundt deße»
Zugehörunge in meineqn Schutz Zurnehmen mich er-
suchett, vundt ihnen» deßwegen ein schriftliche Salv an»
guardiam Zur ertheilen« freundtlich erbeten«, da ich dann
ihrem suchen» auß erheblichen Uhrsachen raum vundt
stadt -gegeben, Alß ist hiermit ann alle vundt jede
hohe vundt Niedere Kriegsosficier vundt insgemein
ann alle Soldaten« Zur Roß vundt Fuß meine ernster
Befehlig, das wie obbemeltes Closter Frauenbergk,
sampt deßen pfertinentien vundt Zugehörunge« wir
die genandt werden muege«, mit außplündern, Brandt-
schatzen oder welcherley eß auch begehehenn möchte,
im geringsten« Keinen« schaden« Zur fingen, sonder«
Sie vundt alle das Ihrige »nangefochtenn vundt
Salvagnardiret verpleiben laßen sollen, sich auch dießer-
wegen vor «nsaußpleidlicher ernster straffe huetenn,
Uhrkundlich habe Ich dießes mit eigenen»'Handen«
unterschrieben vundt mit meinem Adelichen Ange-
borneun pittschast «nterstegeldt. Geben im quartier
Vulda am 31. Octobrie Anno 1631."
„Tilo Albrecht von Usler
K. M. S. O."
Das links von dem Name» stehende noch sehr gut
erhaltene Lacksiegel zeigt das von Uslar'sche Wappen
und ist offenbar der Abdruck eines zierlichen Siegel»
ringes. Zu-beiden Seiten des Helms/sind die Buch»
staben T. A.-V. V» die Anfangsbuchstaben des Namens
des Unterzeichners.
Der Schutzbrief ist anf die eine Hälfte eines Groß-
foliobogens von nicht all zu starkem Papier schön
und deutlich geschrieben: der Bogen hat als Wasser-
zeichen den zweiköpfigen Reichsadler. Das zusammen-
gefaltete Blatt trägt die Aufschrift: Originale Salue
Guardae F. Franciscanis de Observantia in Monte
Mariano dat. 1631. 31. Octobris. Darunter ist von
. anderer Hand, ebenfalls lateinisch, in der Uebersetzung
ungefähr so lautend, geschrieben: „9. November 163t
neuen Stils betraten zum ersten male unser Gebiet
von Fulda mehrere Fähnlein hessischer, Reiter, von
welchem ich Bruder Michael Stang anderen Tages
diesen Schutzbrief erhalten habe."
Es geht hieraus hervor, daß der Schutzbrief nach
dem alte« Kalender ausgestellt ist, während Bruder
Michael Stang bereits «ach dem neuen verbesserten
Gregorianischen Kalender rechnet. Leide« fehlen alle
weiteren Angaben/ ob uud wann dieser Schutzbrief
löl
Jemals wirksam vorgezeigt wurde, und welchen Preis
die Herrn Franziskaner etwa dafür zahlten.
Für die hessische Kriegsgeschichte ist dieier Schutz-
brief noch besonders dadurch interessant, daß sich
T. A. v. Uslar darin selbst als schwedischm Oberst
und hessische» General bezeichnet; auch Rommel weist
in dem 8. Band seiner Geschichte von Hessen darauf
hin, wenn er von demselben sagt: er hatte seine Be-
stallung vom König Gustav Adolf und Landgrafen
Wilhelm V. T. A. v. Uslar wird in den kurzen
historischen Nachrichten der Stamm- und Rangliste
l»es Kurfürstlich hessische» Armee-CorpS, sowohl als
Oberst des blauen Regiments.zu Pferd als auch des
Weißen Regiments zu Fuß von 1631—1633 erwähnt,
mar jedenfalls damals der älteste hessische Offizier und
in Abwesenheit deS Landgrafe» Höchstkommandirender.
M»
Daß auch die Landgrafen vor Wilhelm IX.
über nicht unbedeutende Mittel zu verfügen
hatten, dafür liefert eine eigenhändige Aufzeichnung
LandgrafWilhelm's IV. (des Weisen) vollgiltigen
Beweis. Sie lautet:
Ovnvral - Inventarium Nostri pegulij ad finem
Anni 1589,
Gasten A. 58663 Dalcr. nota hierüber saind 33333
Daler so wir der kön. wird (Königswür-
den) zu Frankraich vorgetz laut recognitiou.
item 1000 Daler Herzog Philips«» (von
Braunschweig) vorgesetzt laut seiner Ver-
schreibung.
Gasten B. 80390 Daler. Hierunter ist Herzog Casimir
(von Polen) mit 12000 fl. batzen. Herzog
carle von Schweden mit 787 Daler und das
Nassauische silbengeschirr mit 4625 Daler.
Gaste« 6. 2629 Daler. Dero sum ist unser Keller von
toenstein schuldig 1936 Daler, seind 2383 fl.
. . 1791 Daler waren 2204 fl. 12 alby.
Gasten notad. 2935 Daler 13 Alby waren 3612 fl.
21 Alby.
im allentags Gasten 1270 Daler.
Summ in allen Gasten uff den letzten ani pteriti funden
157,332 .ll/j Daler. dan zu gülden 193,626 gülden
12 Alby.
ex testamento paterno
im schranck 40631 ft.) )
im gewelb 59835 fl. 1186791 p. Kesta 380417 fl.
in Ziegenhain 86325 fl.) 193626 fl.jpeeulio 309089 fl.
Einen weiteren Beleg für den Reichthum unserer
Fürsten liefert das „Verzeichniß der Jubelen und Pre-
tiosen von 1706".nach welchem die dem Landgr^afe»
Karl zugehörige Werthgegenstände ans 224275 Thlr.
geschätzt sind. ___
Aus Heirrrath und Fremde.
Kassel. In dem Verein für hessische Ge-
schichte und Landeskunde, dessen Bestrebungen
immer größere und allgemeinere Anerkennung finden,
wir' schon daraus hervorgeht, daß in den letzten 10
Jahren sich die Zahl der Mitglieder von 730 nahezu
verdoppelt hat, wurden im vergangenen Winter in
den stets sehr zahlreich "besuchten Monatsversamm-
lungen in Kassel folgende Borträge gehalten:
1 u. 2, am 27. September «nd 25. Oktober von
Herrn Bibliochekar Dr. Brunner Über „Regierung
und Geistlichkeit, (Schule nnd Kirche) nach dem
30jährigen Krieg."
3, am 29. November von Herrn Major a. D.
von Stamford über das Thema: Ernst, Landgraf
zu Heffen-Rheinfels, eine Fürstengestalt des 17. Jahr-
hunderts."
4, am 31. Januar von Herrn Professor Knack -
fuß über „die Kunstschätze der Elisabethkirche zu
Marburg."
5, am 8. Februar von Herrn Hauptmann von
Lestocq „über Heraldik als Hülfswiffenschaft der
Geschichte."
6, am 28. März von Herrn Major z. D. von
Roques über „Geschichte des Klosters Kaufungen",
in Fortsetzung seines am 25. Jannar 1885 gehaltenm
Vortrags „Kaiserin Kunigunde die Heilige im Kloster
Kanfungen."
7 u. 8, am 26. und 27. April von Herrn Oberst-
lieutenant z. D. v. Stamford über: „Die Oert-
lichkeit der Varusschlacht."
Die diesjährige Jahres-Bersammlung des
Vereins wird am 18., 19. »nd 20. Juli d. I. iu
Schlüchtern stattfinden, und ist bei der Wahl des
durch die Geschichte seines Klosters historisch so be-
deutsamen Ortes und dem großen Interesse, welches
das demnächst veröffentlicht «erdende Programm
bietet, eine große Theilnahme zu erwarten. Am
19. Juli wird in der Hauptversammlung der durch
seine Forschungen über de« Aufenthalt der Römer in
der Maingegend bekannte Gymnastal-Oberlehrer Dr.
Wolfs von Hanau einen darauf bezügliche» Bor-
traa halten und am folgenden Tag wird bei eine«
in Ausficht genommenen Besuch der Ruine Steckel-
berg, Major a. D. von Stamford Über Ulrich
von Hutten reden. zg.«.
* » *
— Nekrolog Wir haben das Hinscheiden eines
nach Amerika zu Anfang der fünfziger Jahre ausge-
wandert«« Hessen zu melden» der noch iu bttn beste«
Andenken bei seine» vielen Freunden «nd ehemalige«
Kommilitonen steht. Zu Anfang Mai starb im sieb-
zigesten Lebensjahre zu New-OrleanS Dr. Moritz
S ch u p p e r t, geboren zu Marburg, ältester Sohn
des vorhinnigen Rentmeisters Schuppert. Zunächst
widmete er sich der Pharmazie und bezog Ostern
1839 die alma Philippina. Er war ein sehr ange-
sehenes Mitglied des Corps „Teutonia", dessen
Senior er 1841 war. Später wandte er sich dem
Studium der MÄizin zu. Amerikanische Zeitungen
widme» dem Verblichenen einen warme« Nachruf.
Sie nenne« ihn «inen der tüchttgsten Aerzte und
Operateure des Südens. „Schon als hochgebildeter
Arzt «nd Wundarzt, schreibe» sie weiter, „kam er
nach den Bereinigte« Staaten, wo er sich im Süden
bald einen bedeutenden Ruf erwarb. Während seines'
152
langjährigen Aufenthaltes in New-Orleans machte
er wiederholt durch gelungene Operationen von sich
reden und. auch als medizinischer Schriftsteller ent-
faltete er eine lebhafte Thätigkeit." Zu dem fünfzig-
jährigen StiftunststaHe des Corps Teutonia im Jahre
1875 war er nnt seinem Sohne, der damals gleich-
falls angehender Arzt war, nach Marburg gekommen,
machte dort die glänzenden Feste des Corps als alter
Herr -mit und kehrte hierauf nach seiner neuen Hei-
math New-Orleans zurück. Seine Freunde und Corps-
brüder in Deutschland, speziell in Hessen, werden
sein Hinscheiden lebhaft beklagen und das Andenken
des wackeren Kommilitonen stets hoch in Ehren halten.
Sit tibi terra levis. Z.
* * .
*
Marburg. Dieser Tage wurde hier der tau-
send steStudent immatrikulirt: Zum ersten Male
hat"die alma mater Philippiria, während ihres drei-
hundertsechzigjährigen Bestehens, (sie wurde als erste
evangelische Universität am 30. Mai 1527 eröffnet)
diese Ziffer erreicht. Vivant Sequentes!
*
* »
Eschwege. Am 18.^ Mai fand unter zahlreicher
Betheiligung hier die 13. General-Versammlung des
Vereins oon Lehrern höherer Unterrichtsanstalt der
Provinz. Hessen-Nassau und des Fürstenthums Waldeck
statt. Tue Zahl der auswärtigen Theilnehmer betrug
60—70; besonders stark war Kassel vertreten. Richt
nur der fachliche Theil der Tagesordnung wurde zu all-
seitiger Befriedigung erledigt, sondern auch der gesellige
durch ein Festessen und einen Tags darauf unternommenen
Ausflug auf die Silberklippe.
i *
Kleinsassen (R^n). Unsere bisher leider ver-
hältnißmäßig wenig gekannte Gebirgsgegend ist in
Folge der Bemühungen des Rhönklubs, und insbe-
sondere des Präsidenten desselben, Dr. Justus
Schneider in Fulda, in den letzten Jahren den
Touristen mehr und mehr erschlössen, worden. Es
steht zu hoffen, daß zumal die Milseburg mit
ihrer unvergleichlichen Aussicht ein allbeliebter Aus-
flugspunkt werde; bietet sie doch nicht nur an Natur-
schönheiten dem Besucher ein reiches MaA sondern
auch dem Naturforscher mancherlei Kennenwerthes.
In Kleinsassen hat sich übrigens seit Jahren eine
kleine Malerkolonie etüblitt, die die. reizenden und
pittoresken Gebirgspartien der Umgebung zum Gegen-
stände ihres künstlerischen Schaffens gemacht hat. K.
Hessische Kjicherschim.
Soeben erschien in prachtvoller Ausstattung „Ge-
schichte des Königlich Preußischen 2ten
tusaren-Regiments Nr. 14 und seiner
essischen Stammtruppen, 1706—1886",
erster Theil: die Hesse« - Kaffcl'schen Husaren von
1706—1806, bearbeitet von Karl von Kossecki,
Rittmeister und Escadrons - Chef im Kömgs-
«saren-Regiment (lies Rheinisches) Nr. 7 (früher
remier-Lieutenant im Regiment); zweiter Theil:
2tes Hessisches Husaren-Regiment. ^.Kurfürstlich
Hessisches 1806—1866, B. Königlich Preußisches
(Nr. 14) 1866—1886, bearbeitet von Robert
Freiherr« v »n W ränget, Rittmeister jmBranden-
burgischen Husaren - Regiment (Zietensche Husaren)
Nr. 3, (früher Rittmeister im Regiment).
Ferner sind uns zugegangen „Bilder aus dem
Berliner Leben" von Julius Rodenberg^
Nene Folge. Berlin, Verlag von Gebrüder Partei,
in Berlin. Dieses neue Buch unseres verehrten Hessi-
schen Landsmannes, des rühmlichst bekannten Dichters
und Schriftstellers Julius Rodenberg, ist eine
Fortsetzung der bereits vor drei Jahren von demselben
herausgegebenen Schrift gleichen Titels, die sich der
günstigsten Aufnahme erfreute und bereits in zweiter
Auflage erschienen ist.
Wegen' Mangels an Raum müssen wir eine ein-
gehendere Besprechung beider Werke: der „Geschichte drs-
Königlich Preußischen 2ten Hessischen Husaren-Regi-
ments Nr. 14" und der „Ander aus dem Berliner
Leben", neue Folge, für die nächste Nümmer ver-
schieben. D. R. ' .
Uarytimg.
Meinem Artikel, „ Kasseler Maler, in den Jahren
1840—50", (Nummer 9 und 10 des „Hessen-
land"), füge ich erklärend noch nachträglich
hinzu, daß nur die Künstler besprochen werden
sollten, welche während dieser Zeit in Kassel selbst
thätig waren, und aus diesem Grunde konnten
zwei hervorragende Landschaftsmaler nicht in die
Besprechung gezogen werden. Es sind dies, I.
H. Dallwig, der in München lebte und 1857
dort starb, seine Landschaften aus dem bayerische»
Hochlande sind hochgeschätzt, und der treffliche A.
B r o m e i s, der namentlich die italienische Natur
in idealer Weise und mit tiefem Verständniß der
linearen Schönheit darzustellen wußte. Er war
zum Professor an die hiesige Akademie berufen
worden und starb 1881. s*»«*
KrikA-e«,
K. N. in Kesselstadt.' Sendung empfangen. Behalten
uns vor, Ihnen ausführlich zu schreiben. Besten Dank.
G. W. Treysa. Wie Sie sehen, ist in heutiger Nummer
Ihr Wunsch erfüllt.
E. B., Rauschenberg. Sie erhalten brieflich Antwort
auf Ihre Anfrage. Freundlichsten Gruß.
H. W. W in B. (Niederhessen). Ihren Beiträgen
sehen wir gern entgegen; ganz besonders auch dem in
Ausficht gestellten. Mundart-Gedichten.
L. M. Berlin. Wir würden gern Ihrem Wunsche ,
nachkommen und über die Thätigkeit hesfisch-landsmann-
schastlicher Vereine zuweilen berichten. Wir ersuchen Sie
und diejenigen unserer Leser, die von der Existenz solcher
oußerhalb Hessens bestehenden Vereine Kenntniß haben,
uns davon Mittheilung zu machen.
G. K. Hannover. Sehr willkommen und sofort benutzt.
J. B , Berlin. Vorläufig besten Dank. Näheres brieflich.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng er in Kaffel. Druck von Wrlh. Thiele in Kassel.
Das «Heffeuland^, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1'/, Kogeu Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der P o st, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet fich das „Hrffeuland" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 12 des „Heffenland": „Die Glocke von Harle," Gedicht von Th. Kellner: „Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. und Wilhelm I. nach dem heiligen Grabe" von C. v. Stamford; „Gottlieb Kellner und
Heinrich Heise," geschildert von A. Trabert: „Ein Gang über den alten Kasseler Friedhof" I. Heinrich Christoph
Jussow, von Rogge-Ludwig; „Der lange Hennes," eine Geschichte aus dem vorigen Jahrhundert (Fortsetzung), von
Franz Treller: „Meiner Mutter zum achtzigsten Geburtstag." Gedicht von Julius Rodenberg: „Meiner Schwester,"
Gedicht von Nataly von Eschstruth; „Ein Traum," Gedicht von Paul Stephan; Aus alter und neuer Zeit; Aus
Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
©üttlufcmng 3 um Atrnuuerneut.
Konnten wir uns am Schluffe des ersten Quartals unserer Zeitschrift „Hessenland" rühmen, daß dieselbe gleich
bei ihrem ersten Erscheinen die günstigste Aufnahme gefnnden habe, so sind wir heute, am Schluß des zweiten Quar-
tals, in der Lage, erklären zu können, daß sie Wurzel gefaßt und begonnen hat sich einzubürgern im hessischen Volke
und heimisch zu werden in den hessischen Familien. Nach wie vor wird es unsere Hauptaufgabe sein, den hessischen
Sinn wachzuhalten und die Anhänglichkeit än die engere Heimath zu kräftigen; unsere Zeitschrift soll, kurz gesagt, die
Vertreterin der geistigen Interessen Hessens sein. Von den politischen Tagesfragen werden wir uns ebenso wie seither
vollständig fernhalten, um so mehr aber unser Augenmerk auf die Geschichte und die Literatur unseres engeren Vater-
landes richten
Namhafte hessische Gelehrte und Schriftsteller zählen zu den Mitarbeitern unserer Zeitschrift. Wir nennen hier nur:
Dr. K. Ackermann, W. Bennecke. Dr. H. Brunner, A. Gild, S. Hahndorf, Maler L Katzenstein, Dr. Ludwig Knorz,
Dr. Th. Köhler, I Lewalter, Dr. Ed. Lohmeyer, Professor Friedrich Müller, Karl Neuber, W. Rogge-Ludwig, Major
von Stamford, Franz Treller, Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur, Jos. Grau, Bibliothekar A. von
Keitz, Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Strubberg in Gelnhausen; Pfarrer Junghans, Banquier Neumüller, Land-
gerichtsrath I. Reul, Dr. G. Wolff in Hanau; Kurt Nuhn in Kesselstadt;. Major von Gironcourt, Dr. Sigmund
Paulus in Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath Preser in Wächtersbach; Julius Braun, Nataly von
Eschstruth, E. von Hohenhausen, Dr. Julius Rodenberg in Berlin; Professor Dr. Adolf Müller in Chemnitz; Major
H. von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius Gräfe in Dresden; E. von Goeddaeus, Dr. Hugo Goldschmidt,
Otto Kanngießer, D. Saul zu Frankfurt a. M.; Gymnasialdirektor Dr. Leimbach in Goßlar; Hans PauluL in
Halle a. d 'S.; Gustav Kastropp in Hannover; Jul. Böffer in Köln; H. Keller-Jordan in München; Ludwig Mohr
in Nordhausen; Feodor Löwe in Stuttgart; A. Trabert in Wien; Major August von Baumbach in Wiesbaden.
Ihnen allen, die uns mit Rath und That unterstützt, sind wir zu größtem Danke verpflichtet, nicht minder
dem Publikum, das uns mit so freundlichen Wohlwollen entgegen gekommen ist. Möge uns daffelbe auch ferner er-
halten bleiben. Und so laden wir dem zum Abonnement auf das III. Quartal des „Hessenland" ergebenst ein.
Kassel, im Juni 1887. Pie Redaktion: F. Zweuger.
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Die Glocke
s tönt die Harter Glocke
Fn's Hessenland hinein —
Die Glocke die lang vergraben
Fm Wald lag, im Gestein.
Zum letzten Male rief ste
Zn bittrer Clual und Noth. —
Die Hand, die ste geläutet,
Verfiel dem schwarzen Tod.
And andre Zeiten zogen
Herauf im Deutschen Land
And viel Geschlechter sanken,
Dis man ste wiederfand.
oon Harle. ^
So tönet keine zweite,
Ringsum im Chattengau —
Wie Stimmen toter Ahnen,
Aus Fernen ernst und grau.
So mächtig und so mistend,
Vergangner Schmerzen voll.
Wie lang verhalt'ne Liebe,
Und langverhalt'ner Groll.
Charfreitagsleid und Ostern —
Den Frieden und die Pein —
Tönt laut die Harter Glocke
Fn's Hessenland hinein.
Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. und Wilhelm I. van Hessen «ach dem heilige« Grube.
Von C. v. Stamford.
online der gewaltigsten Erscheinungen der
Hw» Weltgeschichte sind die Kreuzzüge. Zwei
J&Ä Jahrhunderte hindurch haben sie große
v Heere, in deren Gefolge zahlreiche nicht
streitende Menschenmassen mitzogen, aus dem
Abendlande in das Morgenland geführt, eine
umgekehrte -Völkerwanderung. Es war die erste
Einigung der Christenheit zu einem erhabenen
Gedanken, zu dessen großartiger Verwirklichung.
Das Land, auf dessen Boden der Stifter der
segenbringenden Religion gewandelt hatte, war
in die Gewalt der Anhänger des Islam gefallen,
fanatischer Feinde des Christenthums; die christliche
Welt empfand tief das Unwürdige solchen
Zustandes. Ein kluger scharfblickender Papst,
Urban II., wußte die Klagen über die Entweihung
der heiligen Stätten, die dadurch allerorten her-
vorgerufene Erregung auf das das Beste zu
nützen. In hehrer Begeisterung gelobten unge-
zählte Tausende, hoch und niedrig, sich dem
Kampfe gegen die Ungläubigen, als Sinnbild
dessen das geheiligte Kreuz ihre Brust schmückte.
Viele Millionen, darunter die Blüte der Völker
Europa's, ließen das Leben unter dem Saracenen-
schwerte, oder verloren es durch das ihnen ge-
ä'Hrliche Klima des Orients, letztere die weit
überwiegende Zahl. Aber derjenige Erfolg, für
welchen die ungeheure Anstrengungen gemacht,
die Opfer gebracht wurden, war dauernd nicht
zu erringen, Alles Eroberte ging wieder ver-
loren, die heiligen Stätten sind noch heute im
Besitze eines islamitischen Herrschers, wir sehen
die wunderbare Erscheinung, daß das Christen-
thum das Land, in welchem seine Wiege stand,
sich nicht anzueignen vermochte. Doch hat die lange
energische Berührung der jüngeren europäischen
Völker mit denen der alten Kulturländer des
Orients viele und nachhaltige günstige Folgen
gehabt. Die Kreuzzüge wurden von den Päpsten
als ein sehr geeignetes Mittel zur Stärkung
ihrer ins Ungemessene wachsenden Macht ge-
braucht. Als die gebrachten Opfer den Zu-
sammensturz der christlichen Herrschaft in Syrien
nicht aufzuhalten vermochten und die Erschöpfung
der europäischen Staaten alle Kräfte für die
zunehmenden inneren Aufgaben zusammenzuhalten
nöthigte — blieb doch der tiefinnerliche Zug nach
dem heiligen Wunderlande in den Menschen der
Christenheit zurück. Er wurde von der Kirche
klüglich als ein Mittel der Zucht verwendet;
sie legte Pilgerfahrten nach dem Grabe des Er-
lösers als Sühne, wie als fromme Werke den
155
Gläubigen auf. Viele Tausende unternahmen
ungeachtet der drohenden Schrecken und Gefahren
die unsäglich mühselige Reise, nicht etwa nur
geringere Leute, sondern auch Fürsten und Vor-
nehme. Diese sogar in überwiegender Zahl, da
der weite Weg, welcher größtentheils zur See
zurückgelegt wurde, beträchtliche Mittel erforderte.
Aermere begnügten sich meist mit Wallfahrten,
zu den in allen christlichen Ländern mit Heilig-
keit begabten, dafür bestimmten Orten.
Die Landessürsten von Hessen hatten mehrfach
mit ihren Rittern und Mannen in den Kreuzes-
heeren gestritten. Der Bruder Landgraf Lud-
wigs I. von Thüringen und Hessen, Udo, Bischof
von Naumburg, zog mit König Konrad III.
1147 in das gelobte Land, er wurde ein Opfer
dieses menschenwürgenden Kreuzzuges. Ludwigs
Enkel, Ludwig III., ein ritterlicher Fü'st, dem
Kaiser Friedrich Rothbart, seinem Oheim, treu
ergeben, führte ihm einen Hcerhaufen zu, als
er 1189 zu dem fast das ganze Abendland in
Bewegung setzenden Kreuzzuge die Heimath ver-
ließ. Der tüchtige Landgraf leistete im Heere
große Dienste, vorzüglich bei der Belagerung
von Akkon; allein eine Krankheit raffte ihn 1190
hinweg. Sein Bruder und Nachfolger Hermann
nahm ebenfalls das Kreuz, als er nach Bedräng-
nissen und Kämpfen einige Ruhe in seinem Lande
hergestellt hatte. Er führte seine Thüringer und
Hessen 1197 nach dem Morgenlande, wo Sultan
Saladins Tod der christlichen Herrschaft neuen
Aufschwung zu verheißen schien. Dennoch blieben
die ohne hinlängliche Kräfte und ohne Ueberein-
stimmung unternommenen Angriffe resultatlos.
L- Hermann ging in die Heimath zurück. Als
Kaiser Friedrich II. dem Drängen des Papstes
auf einen Kre.uzzug sich nicht länger entziehen
konnte, bewog er auch den Landgrafen von
Thüringen und Hessen, Ludwig IV., zur Hceres-
folge. Der erst-'27jährige, doch kriegserfahrene,
tapfere und angesehene Fürst, einer der mächtigsten
des Reiches, wurde von seinem kaiserlichen Vetter
dazu ersehen, den Oberbefehl über alle deutschen
Krieger im Kreuzheere zu führen. Im Früh-
jahre 1227 zog er aus, ergreifenden Abschied
von seiner Gemahlin Elisabeth nehmend, welche
einige Tagereisen mit ihm zog und sich gar nicht
von ihm trennen wollte. Ihre schlimme Ahnung
wurde Wahrheit. Noch in Süditalien, zu Otranto,
wo die außergewöhnliche Hitze dieses Sommers
seuchenartige Krankheiten unter den Kreuzfahrern
hervorrief, erkrankte auch Landgraf Ludwig und
starb nach kurzer Krankheit, tiefbektagt — ein
unersetzlicher Verlust für den Kaiser und das
Heer, wie für seine Lande.
So hatten vier der thüringisch-hessischen Fürsten
der Pflicht genügt, welche in jener Zeit frommer
Begeisterung der Glaube auferlegte, drei derselben
hatten ihre Treue mit dem Tode besiegelt. Dabei
fällt ins Gewicht, daß ihr Stamm meist nur auf
vier Auge» stand; in Ludwigs IV. des Heiligen
Bruder starb die männliche Linie aus. Die
immer trauriger sich gestaltenden Dinge im
deutschen Reiche, zugleich die Trennung Hessens
von Thüringen ließen eine Betheiligung hessischer
Fürsten an einer Kreuzfahrt nicht zu. Mit dem
Falle Akkons 1291 ging der letzte Posten ver-
loren, welchen die Christenheit noch inne gehabt
hatte. Die Wiedereroberung überstieg die Kräfte,
welche etwa noch dazu aufzubringen waren, die
Begeisterung war bei der Mehrzahl geschwunden.
An die Stelle mächtiger Heereszüge treten die
Fahrten demüthiger Pilger, über drei Jahr-
hunderte lang, bis in das siebzehnte währten
diese, dem frommen Bedürfnisse genügenden
Wanderungen. Doch war es nicht immer der
religiöse Drang allein, dem die Pilgrime folgten,
auch bloße Reiselust, der Trieb ferne Länder
kennen zu lernen, politische oder Handelsauf-
träge u. A. bewogen jene. Bei vielen war es
der Wunsch, Ritter vom heiligen Grabe zu
werden, was nur in Jerusalem selbst möglich
war.
Sowie den Hessenfürsten in den nach Lüdwigs
des Heiligen Tode bis zum Ende der Kreuzzüge
vergangenen 64 Jahren, die Verhältnisse ihres
Landes nicht gestatteten, es zu verlassen, blieb
es auch fernerhin. Eine lange Zeit verging,
in welcher eine Reihe von Landgrafen aus bra-
bantischem Stamme fast unaufhörlich in Fehden
und Kriege verwickelt waren und mehrfach um
ihre Existenz zu kämpfen hatten. Erst dem Sohne
Hermanns des Gelehrten, Ludwig dem Fried-
fertigen, war eine mehr gesicherte Herrschaft be-
schicken. Er unternahm denn auch eine Fahrt
nach dem gelobten Lande, nachdem er den alten
Erbfeind Hessens, den Erzbischof von Mainz,
so schwer getroffen hatte, daß er Frieden gab
und fernerhin ernste Gefahr Hessen von dem
Mainzer nicht drohte. Der junge Fürst, welcher
bereits so manche Proben seiner Weisheit, Mäßigung
und Kraft abgelegt hatte, war von tiefer Frömmig-
keit. Das Beispiel seiner Vorfahren, der thüringi-
schen Landgrafen, welche gegen die Feinde Christi
gezogen, der Ruhm seiner frommen Aeltermutter
Elisabeth, leuchteten ihm voran, mahnten ihn
zur Nacheiferung. Da zog im Jahre 1429 der
Landgraf als Pilger aus, das heilige Grab zu
besuchen; ein Bericht über diese Reise ist nicht
vorhanden, sodaß nur das Allgemeine derselben
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überliefert ist. Landgraf Ludwig zog mit Ge-
folge von Kassel ab, ihm schloß sich der Graf
Johann der Starke von Zicgenhain an, Venedig
war das nächste Ziel. Graf Johann fiel einem
venet. Kaufmann in die Hände, welcher früher
auf des Grafen Gebiete .von ihm beraubt worden
war; Landgraf Ludwig erlöste Johann durch
eine große Geldsumme und bereitete damit den
Anfall des schönen Ziegenhainer Landes an
Hessen vor. In Venedig erlangten die Pilger
dle zu jeder Pilgerfahrt nach dein heiligen Grabe
erforderliche päpstliche Erlaubniß und bestiegen
ein Schiff. Fromme Weisen singend, knieten
die Pilger auf dem Verdecke, die Messe wurde
gelesen und der Segen Gottes ersteht, als das
Schiff in See ging. Nach einer sechs
Wochen währenden Fahrt mit vielen Aufenthalten
in den von der Route berührten Orten landete
das Schiff an der Küste Palästina's zu Jaffa.
Die Seefahrt brachte Ludwig in höchste Lebens-
gefahr, ein Sturm wühlte das Meer auf, legte
das Schiff auf die Seite, vier Stunden brausten
die Wellen über das erkrachende Fahrzeug. Alle
gaben sich verloren, doch legte sich der Sturm
und die Pilger schrieben ihre Rettung ihrem
frommen Vorhaben zu. Vielleicht besuchte Lud-
wig zunächst Aegypten, welches viele heilige
Stätten einschloß, und den Berg Sinai. Dies
war um jene Zeit eine von Vielen eingeschlagene
Route, welche durch die Niederlassung der
Venetianer in Aegypten begünstigt wurde. In
Jaffa erwarben die Pilger Reitthiere, gewöhn-
lich Esel, und zogen unter dem Schutze der
ägyptischen Befehlshaber von Jaffa, Rainla und
Jerusalem nach der heiligen Stadt. Waffenlos,
überall mit Zöllen, Schutzgeldern, vielerlei kaum
glaublichen Ansprüchen ausgeplündert, auf er-
bärmliche Kost angewiesen, beständig an Gesund-
heit und Leben trotz der Escorte von der fanatischen
muselmännischen Bevölkerung bedroht, erreichte
der Zug das Ziel. Hier warteten allerorten
neue Gefahren der Pilger, denen sie nur durch
höchste Vorsicht, Geduld bei allem Schimpfe und
vieles Geld entgehen konnten. Die sehr große
Anzahl der heiligen Stätten in der Stadt und
Umgegend erforderte zu ihrem Besuche einige
Zeit, in der Regel 14 Tage. Die heiligste war
natürlich das Grab Christi, über welchem sich
ein Tempel erhob. In diesem brachten die Pilger
mindestens eine Nacht im Gebete zu, meist noch
eine. Sehr viele erlangten hier die Aufnahme
als Ritter vom heiligen Grabe; nach der Prüfungs-
nacht ertheilte der in Vollmacht des Papstes
handelnde Geistliche einem der Pilger, gewöhnlich
dem Vornehmsten, den Ritterschlag. Dieser war
damit befähigt, ihn allen Uebrigen zu ertheilen,
wobei adelige Geburt durchaus nicht erforderlich
war. Die Ritter übernahmen hierbei die Ver-
pflichtung, mit allen Kräften für die christliche
Kirche einzutreten, wo es nöthig sei, gegen die
Ungläubigen zu kämpfen. Der Landgraf wird
nicht unterlassen haben, diese Würde zu erlangen.
Von dem Kreuze, welches in derselben Kirche als
das gezeigt wurde, an welchem der Heiland den
Tod erlitt, erwarb Ludwig um eine bedeutende
Geldsumme einen Splitter. Wohlverwahrt be-
festigte er diese hochheilige Reliquie auf seiner
Achsel, daß sie nur mit seinem Leben verloren
werden könne. Die Rückfahrt ging wie die Hin-
fahrt über Cypern und Rhodus, beide unter
christlicher Herrschaft. Ueber Cypern herrschte
noch das Haus Lusignan, nur einen kleinen
Theil im Osten der schönen fruchtbaren Insel,
hatten die Genuesen erobert. Schon streckte das
eifersüchtige Venedig die Nimmersatte Hand nach
dem wertbvollen Besitze aus, welcher ihm etwa
40 Jahre später auch zu Theil wurde. Rhodus
war Hauptsitz des Johannitervrdens, dessen Groß-
meister Fulko von Villaret. im Jahre 1310, die
in schwachem Lehnsverhältnisse zum griechischen
Kaiser stehende Insel erobert hatte. Noch stand
der Orden in hoher Blüthe, glänzende Waffen-
thaten gegen die Sultane der Türken und von
Egypten mehrten seinen Ruhm, erhielten seine
Macht. In Italien angelangt, zog Landgraf
Ludwig nach Rom, stellte sich dem heiligen Vater,
Martin V., vor und empfing von ihm zum
Lohne für die Pilgerung und die Erwerbung des
Splitters vom heiligen Kreuze einen Ablaß seiner
Sünden auf 10 Jahre. Bei einem Fürsten wie
Ludwig mochte eine so ausgedehnte Jndulgenz
nicht bedenklich erscheinen. Nach einer langen
Abwesenheit sah er sein Land wieder, 1.430, auf
das Freudigste empfangen, da seine Klu gheit und
milde Kraft doch recht gefehlt hatten. Ein silberner
Schrein wurde gefertigt, in welchem der Splitter
des Kreuzes, in der Kirche von St. Martin an-
gebracht, zum Troste der Gläubigen wirkte.
Zwanzig Jahre nach dieser Zeit, als schon
der größere Theil einer weisen und glücklichen
Regierung hinter diesem ausgezeichneten Fürsten
lag, als er die höchste Stellung dieser Welt, mit
der deutschen Kaiserkrone, bescheiden abgelehnt
hatte, pilgerte er noch einmal gen Rom, zu dem
großen Gnaden- und Jubeljahre. Papst Nico-
laus V., nach langem Schisma als alle niges
Oberhaupt der Kirche anerkannt, setzte zur Feier
der wieder hergestellten Einheit der Kirche, dieses
Jubeljahr für 1450 an, eine sehr große Zahl
Fürsten, große Mengen des Volkes waren aus
157
der Christenheit zusammengeströmt. Unerwartet
verlieh der Papst die nach altem Gebrauche an
einem Sonntage der Fasten dem Würdigsten zu-
erkannte goldene Rose dem hessischen Landgrafen.
Ludwig machte sich in seinem einfachen Sinne so
wenig geltend, daß die Abgesandten Mühe hatten,
ihn aufzufinden. Ein noch höherer Lohn aber.
als die vielbeneidete goldne Rose, war der zugleich
von dem heiligen Vuter Ludwig beigelegte Titel
eines prinosps pacis. Mit stolzer Freude em-
pfing den Heimkehrenden sein treues Volk, es
nahm gerne den schönen Beinamen seines Fürsten
auf; er ging in die Geschichte über.
(Fortsetzung folgt.)
------------------
Dr. Gottlied Kellner und Heinrich Heise.
Geschildert von A. Trabert.
reünd oder Feind — man muß die Menschen
nehmen, wie sie sind, die Todten gelten
lassen, was sie waren, für alles, was gut
an ihnen gewesen ist, ein offenes Auge behalten
und, wo man tiefe Schatten sieht, nicht allzu
sehr erschrecken, nicht allzu hart verdammen.
Was möchte aus uns selber werden, wenn die
Welt anders verführe? Nur wo der Klotz, der
sich uns in den Weg rollt, gar zu grob ist, da
mag's nach uralter Regel auch der Keil sein.
Indem ich von diesen Grundsätzen ausgehe,
versuche ich es, Ihnen zwei kurhessische Männer
zu schildern, die von den Einen fast vergöttert,
von den Andern in die tiefste Hölle verflucht
wurden und heute — es sind seitdem freilich
vierzig, weniger ein Jahr verflossen! — fast
ganz vergessen sind. Ich hoffe aber doch auf
dankbare Leser rechnen zu dürfen, wenn ich
meinem Schreibpulte die nachstehenden Blätter
entnehme, in denen ich eine, wie ich überzeugt
bin, möglichst objektive Schilderung der beiden
Kasseler Demokraten Gottlieb Kellner und Heinrich
Heise zu geben versucht habe.
Ich habe diese Beiden schon kennen gelernt,
als ich in Marburg unter dem ehrwürdigen
Vicekanzler Löbell, unter dem berühmten Roma-
nisten Konrad Büchel die Rechte studirte. Als
ich aber bei Gottlieb Kellner eingeführt wurde,
stand dieser schon im Begriffe, Marburg zu ver-
lassen, so daß von einem persönlichen Umgänge
zwischen ihm und mir in jenen Ta^en kaum die
Rede sein konnte. Sein Bild aber steht mir
noch von damals vor den Augen. Kellner war
ein großer stattlicher Mann mit schön ge-
schnittenem und lebhaft gefärbtem Gesichte, in
welchem zwei große schwarze Augen leuchteten.
Denke Dir, lieber Leser, noch eine hohe Stirne
unter dichtem schwarzen Haupthaar und einen
Mund, bei dessen Anblick Du unwillkürlich denkst:
Auf diesen Lippen thront die Beredtsamkeit;
so weißt Dn nun schon, wie der Hann ausge-
sehen hat, als er just im Begriffe stand, unter
seine Studentenzeit jenen dicken Strich zu machen,
den man den Eintritt ins Philisterium nennt.
Es war aber damals schon 1848 im Anzuge.
Heinrich Heise war jünger als Kellner und
blieb noch in Marburg, als dieser bereits ge-
schieden war. Er galt bei Allen, die mit ihm
umgingen, als ganz ungewöhnlich geistreich, sehr
radikal und leicht über die Schnur hauend.
Meiner Einnerung nach sah ich ihn zum ersten-
mal von Angesicht zu Angesicht, als er auf dem
Hügel des Grabes stand, in das wir einen
unserer Lieblinge, den Professor Endemann, der
einst über deutsches Privatrecht und Civilprozeß
zu lesen pflegte, mit studentischem Pompe gesenkt
hatten. Die Scene steht mir noch so lebhaft
vor Augen, als wenn ich sie erst heute erlebt
hätte.
Einer der protestantischen Pastöre Marburg's
hielt dem Todten die Grabrede und löste seine
Aufgabe nicht ohne Würde, aber doch auch nicht
zur vollen Zufriedenheit des allem Kirchenthum
feindlich gesinnten Theils seiner studentischen
Zuhörer.
Da trat ein schlanker junger Mann, dessen
scharfe und dabei feinen Gesichtszüge von langen
braunen Locken umflattert waren, auf den Erd-
hügel und begann mit tief einschneidender Stimme:
„Kennt Ihr nun den Mann? Wißt Ihr jetzt,
Kommilitonen, wen Ihr da in die Grube ge-
senkt habt? Noch hat es Euch keiner gesagt,
aber ich will es Euch jetzt zeigen und ich weiß:
mein Schmerz wird mich beredt machen."
Ueberrascht und verblüfft horchte man auf,
und nun entwickelte Heise in der Fortsetzung
dieser so seltsam begonnenen Grabrede in großen
Zügen Endemanns Charakter und Thaten.
Dieser Nachruf steigerte sich zur glühenden Lob-
rede, die nur den einen Fehler hatte, daß der
Todte, der allerdings ein Mann der Freiheit
und des Rechts gewesen war, doch niemals ge-
lös
träumt hatte, so radikal zu sein, wie er hier
geschildert wurde. Heise's Rede schloß dann
ganz so polemisch, wie sie begonnen hatte. Ihr
Ende war nämlich die Aufforderung an die Hörer,
dem verehrten Todten in dem Herzen das An-
denken zu bewahren, das er verdient habe. Sei
doch dies Andenken das Einzige, was noch fort-
daure über das Grab hin.*)
Wie diese ganze Grabrede, so erklärte sich auch
ihr Schluß aus der Zeit, in welcher sie ge-
sprochen wurde. Der Junghegelianismus hatte
damals zu einer Weltanschauung geführt, die
jeden auslachte, der es noch wagte, an einen Gott
zu glauben.
Etwa ein Jahr nach dieser Rede bewarb sich
Heise, — ich weiß nicht, war es um die Zu-
lassung zum juristischen Vorbereitungsdienste oder
um die zur Ablegung des Staatsexamens,**) das
dieser Zulassung vorauszugehen hatte. Justiz-
minister war damals Bickell, der Vater des
katholisch gewordenen Innsbrucker Orientalisten
gleichen Namens, ein Mann von hervorragendem
Geiste, dabei aber entschieden von konservativer
Gesinnung. Der Minister, der von der
Grabrede Heise's Kenntniß erhalten hatte, fand
es angemessen, dem jungen Manne, bevor er
dessen Zulassung gewähre oder ablehne, erst per-
sönlich aus den Zahn zu fühlen. Es entstand
so zwischen dem Minister und dem Kandidaten,
den Ersterer zu sich geladen hatte, ein sehr um-
fassendes Zwiegespräch, das sich eingehend über
alle Fragen der Zeit verbreitete und den be-
sonderen Zweck hatte, zu konstatiren, ob es für
Heise überhaupt noch Autoritäten gebe. Der
Dialog endigte damit, daß der Minister unum-
wunden erklärte, das Resultat der Unterhaltung
liege für ihn, den Minister, in der gewonnenen
Ueberzeugung, daß Heise alles und alles „nur
aus sich heraus entwickele, wie die Spinne ihren
Faden"; daß also Heise ein Mann sei. für den
es eine Autorität irgend welcher Art nicht mehr
gebe und daß er, der Minister, Männer dieses
Schlages im Staatsdienste nicht brauchen könne.
Als dann die Märztage kamen, trat Heise
als Volksredner auf, erst in kleinen, aber dann
in immer mehr wachsenden Kreisen. Zu gleicher
Zeit war auch Gottlieb Kellner nach Kassel ge-
*) Wortgetreu lautete der Schluß von Heises Rede:
„Denn das ist ja die wahre Unsterblichkeit, im Andenken seiner
Mitmenschen fortzuleben." (D. R.)
**) Das Erstere war der Fall. Heinrich Heise bestand im November
1846 das Staatsexamen. (D. R.)
eilt und auch er stürzte sich dort in die allge-
meine Bewegung der Geister.
Wie diese Beiden gesprochen haben? Kellners
Organ war volltönig und unmuthig. Seine
Stimme klang ungemein sympathisch. Es gibt
Männer, die schon durch den Klang des Wortes
den Hörer zu bestricken vermögen und Kellner
gehörte zu diesen Männern. Seine Stimme
war trotz dieser Anmuth so kräftig, daß er auch
die zahlreichste Versammlung, mochte diese in ge-
schlossenem Raume oder im Freien tagen, voll-
kommen beherrschte. Kellner sprach, auch wenn
er improvisirte, in stets wohlgebauten, streng ge-
ordneten, immer klaren, durchsichtigen Perioden
mit bestechender Eleganz. Selbst wenn er in
dem, was er sprach, vernichtend scharf war, be-
wahrte er eine stolze- vornehme Ruhe, steigerte
sich aber, wo es ihm nothwendig schien, zu
donnerndem Pathos. Seine Rede glich dem
breiten und tiefen Strome, der sich nur auf-
bäumt und wie die lärmende Brandung aufbraust
und aufschäumt, wo er auf Hindernisse stößt,
aber mächtiger als der Felsblock, der sich ihm
entgegenstellt, das Hinderniß hinwegreißt und
zertrümmert.
Heise sprach nicht mit der kunstgerechten Ele-
ganz Kellners, aber immer schön, in raschem,
lebendigem Fluß, geistsprühend, hinreißend. Seine
schneidige Stimme glich der von klüftigem Arm
geschwungenen Senke aus einer steyerischen Werk-
stätte, vor welcher die Gräser selbst dann fallen
müßten, wenn sie von Eisen wären. In der
Rede Heises folgte Gedanke auf Gedanke, aber
bei keinem verweilte er länger, als es nöthig war,
um ihn kurz und scharf anzudeuten. Die Ge-
danken wurden nur so herausgeschleudert, wie
ein reicher Verschwender seine Scheidemünze mit
vollen Händen unter das Volk streut. Nehmt,
da habt Ihr alle! Ich habe das Zeug da im
Ueberfluß. Redekünstler war aber auch Heise
insofern, als er es liebte, sich, ehe er schloß, zu
steigern. Da wurde denn seine Rede zur glüh-
enden Wetterwolke, aus der nicht mehr einzelne
Blitze zucken, sondern Feuer strömt; ein Aetna,
der alles, was widerstrebt, mit glühender Lava
überschüttet.
Wer beide Redner, Kellner und Heise, gehört
hat, wird mir gern zugeben, daß ich nicht über-
treibe. Sie waren, wie ich sie hier schildere.
(Fortsetzung folgt.)
-- 159
Äm Gang übn den alten Kasteler Friedhof.
Von W. Vogge-Ludwig.
1. Heinrich Christoph Jussow.
in Gang über den nun seit beinahe 50
Jahren geschlossenen alten Kasseler Fried-
hof ist so recht geeignet, uns die Hinfällig-
keit und Vergänglichkeit aller irdischen Größe
und Herrlichkeit zur Erkenntniß zu bringen.
Die Anzahl der durch künstlerische Ausführung
hervorragenden Denkmäler ist keine große und
die Pracht derselben fleht nicht immer im Ver-
hältniß mit den Verdiensten der Persönlichkeit,
deren Andenken sie gewidmet sind. Das pracht-
vollste und künstlerisch vollendetste Denkmal birgt
die sterbliche Hülle des im ftühen Knabenalter
verstorbenen Sohnes Wilhelm's II. und der Gräfin
Reichenbach. Dagegen suchen wir vergebens die
Ruhestätte einst hervorragender und um ihr
Vaterland hochverdienter Männer. War ihnen
auch als Zeichen der treuen Liebe ihrer Angehö-
rigen oder der Anerkennung ihrer Verdienste bei
ihrem Hinscheiden ein Denkstein zu ihrem An-
denken errichtet, so hat doch jetzt der Zahn der
Zeit gar häufig jede Spur davon verschwinden
lassen. An vielen Stellen des Friedhofs finden
wir große Grabsteine, welche uns vergebens
nach dem Namen des hier Ruhenden fragen
lassen, davon einer Inschrift auf denselben nichts
mehr zu erkennen ist. So liegt unmittelbar vor
dem Begräbnißtempel der Gemahlin des Kurfürsten
Wilhelm's I. ein mächtiger Grabstein, welcher
zwar jetzt noch den Namen des darunter Be-
grabenen, Heinrich Christoph Jussow, erkennen
läßt, dessen weitere Inschrift aber schon beinahe
gänzlich verwittert ist. Sie enthielt die bezeichnenden
Worte:
„Sein Denkmal sind seine Werke,
Drum anspruchslos, wie er im Leben,
Deckt dieser Stein
Was sterblich an ihm war.
Wird auch der Name auf seinem Grabsteine
in wenigen Jahren nicht mehr zu erkennen sein,
so wird er als der des Erbauers des Wilhelmshöher
Schlosses, der Löwenburg und des Aquäduktes
für immer unvergessen bleiben.
Am 30. Juli 1825 war seinem Sarge eine
große Menge seiner Verehrer und Schüler ge-
folgt, und diese waren es auch, welche dem im
Leben ohne Familie und Anverwandte einsam ge-
standenen, hochverdienten Manne den Grabstein
errichtet haben.
Bei der Anzeige seines Todes in einem öffent-
lichen Blatte wurde von ihm gesagt:
„Eine lange Reihe von Jahren hat er dem
Staate mit musterhafter Rechtlichkeit gedient
und als Künstler Denkmäler hinterlassen, welche
von seiner Einsicht, seinem Geschmacke und seiner
Kunstbildung ein unvergängliches Zeugniß ab-
legen."'
Sein Lebenslauf bestätigt die alte Erfahrung,
daß das angeborene Talent und wirkliche Genie
sich durch alle ihm entgegengestellten Hindernisse
endlich glücklich Bahn bricht und zum Ziele ge-
langt.
Heinrich Christoph Jussow, war am 9. Dezember
1754 als einziger Sohn des Ober-Bauinspektors
Jussow in Kassel geboren und hatte schon in
früher Jugend ein großes Talent zum Zeichnen,
Malen und Entwerfen von Baurissen gezeigt,
sein Vater aber, obgleich selbst ein tüchtiger Bau-
meister, bestand hartnäckig darauf, daß der Sohn
sich nicht, wie er wünschte, dem Baufache, sondern
dem juristischen Studium widme. Der gehorch-
same Sohn folgte, wenn auch mit Widerstreben,
dem Wunsche seines Vaters und bezog, nachdem
er seit dem Jahre 1771 das Collegium Carolinum
besucht hatte, im Jahre 1773^ die Universität
Marburg, um dort das Studium der Rechte zu
beginnen. Zwei Jahre hat er sich demselben auch
gewidmet, ohne ihm aber Geschmack abgewinnen
zu können, da seine Neigung ausschließlich auf
das Studium der Mathematik gerichtet war.
Nach Rückkehr in seine Vaterstadt, betrieb er des-
halb ausschließlich dieses Studium bei dem in
diesem Fache hochangesehenen Professor Matsko.
Nach Ablauf eines Jahres wurde er aber von
Vater wieder genöthigt, sein juristisches Studium
in Göttingen fortzusetzen. Da auch die Göttinger
Professoren es nicht vermochten, ihn die Abneigung
gegen dieses Fach überwinden zu lassen, so
widmete er sich auch hier ausschließlich dem
Studium der Mathemathik, und mit um so größeren
Eifer, als er in dem berühmten Kästner, an
welchen ihn Matsko empfehlen hatte, einen großen
Gönner und Förderer keiner Studien gefunden
hatte.
Nach Ablauf eines Jahres kehrte er nach
Kassel zurück und erlangte endlich die Genehmigung
seines Vaters, das Studium der Rechte nicht
weiter fortzusetzen und sich der Architektur zu
widmen. Er wählte dieses Fach, in der richtigen
Erkenntniß, seine mathematische Kenntnisse und
sein Talent zum Zeichnen am besten dabei ver-
werthen zu können. Um zunächst sich praktische
160
Kenntnisse im Baufache zu erwerben- bewarb er
sich um eine Stelle im Baudepartement und er-
hielt vom Landgrafen Friedrich die Stelle eines
Bau-Assistenten mit einem monatlichen Gehalt
von 10 Thlr. Da seine Beschäftigung hierbei,
lediglich im Expediren und Abschreiben bestehend,
ihm nur sehr geringe Gelegenheit zu seiner Aus-
bildung bot, außerdem auch in Kassel die Ge-
legenheit fehlte, erfolgreichen Unterricht im Bau-
fach zu erhalten, so richtete er umsomehr sein
ganzes Streben darauf, im Ausland seine Weiter-
bildung zu suchen, als ihn nach dem im Jahre
1779 erfolgten Tod seiner Eltern nichts mehr an
seine Vaterstadt fesselte. Da er das Glück hatte,
in dem General Gohr, dem einflußreichen Günstling
des Landgrafen Friedrich, einen Fürsprecher zu
finden, so erhielt er schon im Anfang der 80. Jahre
von dem kunstsinnigen Landgrafen die nöthigen
Mittel angewiesen, sich zur Förderung seiner
Studien längere Zeit in Paris und Rom und
in den für sein Fach wichtigsten Städten Italiens
aufzuhalten. Seine späteren Bauwerke gaben
die beste Kunde davon, mit welchem Eifer und
Erfolg er an diesen Orten einige Jahre hindurch
seine Aufgabe erfüllt, und in wie reichem Maße
er die Gnade seines Landesherrn vergolten hat.
Als er sich auf der Rückreise noch einige Zeit
in Wien aufhielt, erhielt er hier von dem in-
zwischen zur Regierung gelangten Landgrafen
Wilhelm IX. die Weisung, nicht nach Kassel
zurückzukehren, sondern alsbald nach England zu
reisen, um auch dort noch die Baulichkeiten,
namentlich die merkwürdigsten Landsitze zu studieren.
Bei seiner im Jahre 1790 erfolgten Rückkehr
nach Kassel wurde ihm alsbald von Wilhelm IX.
eine Stelle im Wilhelmshöher Bau-Departement
verliehen. Dieser große Kenner und Beförderer
der Architektur hatte bald nach seinem Regierungs-
Antritt im Jahre 1787 das alte Weißensteiner
Schloß abbrechen und durch seinen Oberbaudirektor
du Ry ein neues Schloßgebäude an dieser Stelle
aufführen lassen. Es ist dieses das jetzt den
linken, nach dem Weißenstein zu gelegenen Flügel
des Wilhelmshöher Schlosses bildende Gebäude.
Da es aber zu des Landgrafen beabsichtigtem
Zweck einer fürstlichen Wohnung nicht genügte,
ließ er diesem gegenüber noch ein entsprechendes
Gebäude, den jetzigen rechten Flügel des Schlosses
von du Ry erbauen. Der Bau wurde von du
Ry begonnen und von Jussow vollendet. Nach
dessen Vollendung genehmigte Wilhelm IX. den
großartigten Plan Jussow's, die beiden Gebäude
durch ein 220 Fuß langes, 66 Fuß tiefes und
80 Fuß hohes Mittelgebäude zu verbinden. Die
Ausführung dieses Prachtbaues ist das unsterb-
liche Verdienst Jussow's, welches durch seine Er-
nennung zum Oberkammer-Rath und Oberbau-
Direktor von seinem Landesherrn anerkannt wurde.
In dem Nachlaß des im vorigen Jahre ver-
storbenen Baurath Regenbogen hat sich ein vom
31. December 1796 datirter Bericht Jussows,
über die bis dahin entstandenen und noch weiter
entstehenden Kosten dieses Baues, sowie des
gleichzeitig unternommenen Baues der Löwenburg
vorgefunden. Nach diesem bis in das geringste
Detail gehenden Bericht berechnen sich die Ge-
sammtkosten für das Hauptgebäude des Schlosses
auf 418,026 Thaler. Der im Jahre 1793 be-
gonnene Bau der Löwenburg, sollte nach dem
ursprünglichen Plane nur in der Nachahmung
einer kleinen verfallenen Burg, wie des Löwen-
steins im Löwensteiner Grunde bestehen. Die
Ausführung in dem großartigen Maßstabe, wie
sie jetzt die Bewunderung Aller erregt, ist wesent-
lich Jussow zu verdanken. Rach dessen Bericht
stellten sich die Kosten des Baues auf 172,509
Thaler.
Ein Vergleich des Ansatzes der damaligen
Preise für die Bauhandwerker und der Löhne
mit den jetzt üblichen läßt erkennen, in wie
hohem Grade die Kosten beider Bauten sich
steigern würden, wenn diese jetzt unternommen
würden. Wesentlich kommen dabei die damaligen
Frohndienste in Betracht. So wurde der Fuhr-
lohn für ein vierspänniges Fuder Steine mit
zwei und für ein einspänniges Fuder mit einem
Glas Bier vergütet.
Der Bericht Jussows schließt mit den Worten:
In drei Jahren hoffe ich die Löwenburg und
das Hauptgebäude des Schlosses zu vollenden;
Bauten,, welche ein ewiges Denkmal des
großen Geschmacks und der erhabenen
Idee des unsterblichen Fürsten, der
sie anordnete, bei der Nachwelt bleiben
werden.
Außer der Ausführung des Baues des Haupt-
gebäudes des Schlosses und der Löwenburg ver-
danken wir auf Wilhelmshöhe Jussow noch den
nach seinem Plane ausgeführten Aquädukt, so-
wie in Kassel die unter seiner Leitung, von dem
Werkmeister Wolf in den Jahren 1788 bis 1794
erbaute Fuldabrücke.
Einen nicht minder unvergänglichen Ruhm
würde sich Jussow erworben haben, wenn sein
großartiger Plan zur Erbauung der Katlenburg
zur Vollendung gekommen wäre. Sein Verdienst
wurde vom Kurfürst Wilhelm I. dadurch aner-
kannt, daß er ihm am Tage der Grundsteinleg-
ung, am 27. Juni 1820, das Kommandeurkreuz
des Löwenordens verlieh.
Wenn wir nun zum Schluß den berühmten
Baumeister in seinem Privatleben betrachten, so
sind auch hier die Worte seiner Grabschrift
„Drum anspruchslos, wie er im Leben war",
bezeichnend.
Ein Zeitgenosse schreibt von ihm:
„Auch als Mensch war er der höchsten Achtung
werth. Einfach in seinem Leben, bescheiden, offen
und bieder, in seinem ganzen Thun, seine viel-
seitigen, reichen Kenntnisse nie zur Schau tragend,
genoß er die Hochschätzung und Liebe aller derer,
welche Kunst und ächte Humanirät zu schätzen
wußten. Er war nie verheirathet und mit ihm
ist sein Name ausgestorben."
Der lange Keanes.
Gme Geschichte aus dem vorigem Jahrhundert von Franz Trelter.
(Fortsehnn«.)
ennes, Hennes", stotterte 's Kathrinliß, „was eß
dann das?"
„Ich bin Grenadier, Kathrinliß, bih
Maximilian."
„Ach Du allemächtiger Gott! Ach Du alle-
mächtiger Gott!" schrie das Mädchen auf, und
wiederholte nach einer Weile mit demselben Aus-
druck des Entsetzens: „Ach Du allemächtiger Gott!"
„Sig net bese, Kathrinliß, 's ging net angerscht,
ich muß midde." „So, nu eß Alles verbih,"
und das starte Mädchen lehnte sich an den Thür-
pfosten, sonst wäre es umgesunken. Hennes er-
zählte dann, wie es gekommen, daß er Handgeld
genommen habe. Bei dem Mädchen hatte sich
der herbe Schmerz in Thränen Lust gemacht, sie
hielt die Schürze vor die Augen und weinte
leise.
„Io, vun den Barthel, den Taugeniß kemmet
alles Unheil."
„Sprech das net, Kathrinliß, he eß 'n guter
Junge, nurd 'n bischen verzogen."
„Awer wenn he dumme Streiche macht, dann
bruchst Du se jo net midde ße machen."
„Gucke mo, Kathrinliß, wie min Bader starb,
ich saß bih emme ungen am Bedde, de Mudder hadden
me ewen begrawen, sprechen kunnde he net meh,
do gock he so uff den kleinen Barthel, der uff'n
Boddem spehlte, un's Wasse< trat- emme in de
Augen, un dann gock he mich ahn — un ich
verstunn 'n, un sprach:"
„Bader, so lange ich lewe, kimmet he me
pet vun der Side, un so lange ich was honn,
hodd der Barthel au was. Do fach he ganz
sefredden uß, un ging so zun liewen Godd."
„Jo, schluchzte das Mädchen leise, he eß de
jo liewer als Alles uff der Welt, liewer wie ich
un Alles."
„Sprech das net, Kathrinliß — Du weißt,
ich denn de gut, — awer den Jungen alleine in
den Krieg ziehen lan — dann kennd ich min
Badder un min Mudder net vor Augen
kommen, do drowen im Himmel."
„Ach me äß so leihermiedig, Hennes — wann
se dich nu dodschießen un de Greßten schießen
se immer am ersten dod."
Da lachte nun der junge Grenadier und faßte
ihre Hände nnd zog sie an sich: „Sterwen, Liß,
kann ich au hie, un der liewe Godd eß in
Kriege au."
„Nn wann se dich zu 'n Krippet schießen,
was honn ich dann ?"
„Wie's kemmet, muß ich's nehmen. Ich bliewe
de tret min Lewen lang, wenn de mich net
Meh wedd, wann ich heim kumme — na, so
muß ich's au hinnehmen."
„Ne, Hennes, wann ich'dich nidd krigge, dann
well ich Keinen nidd hon— das eß gesprochen."
Sie sprachen nun noch manches und der Hennes
ging nach herzlichem Abschied davon.
Furchtbar wurden die jungen Krieger auf dem
Exerzierplätze gedrillt, aber die anstelligen Jäger-
bursche waren bald die ersten beim Bataillon — die
Freude der Offiziere. Gegen den Herbst ging
das Bataillon nach den Niederlanden, zum Re-
giment, und empfing bei Roermonde die Feuer-
taufe.
Tapfer hielten sich die Burschen im französi-
schen Kugelregen, aber nach jeder Salve des
Feindes guckte der Hennes nur, ob sein Barthel
noch stand, und nickte ihm der zu, so feuerte er
lustig seine Donnerbüchse auf den Franzmann ab.
Nach kurzem Feldzug in den Niederlanden
ward das Regiment im Frühjahr 1746 nach
Schottland eingeschifft, denn die Schotten in den
Bergen waren rebellisch geworden gegen den
König Georg von England, weil sie einen Stuart
auf dem Throne haben wollten, und unser Land-
graf schickte den Engländern 6000 Mann zu
Hülfe. Prinz Friedrich aber befehligte die
Hessen.
162
So finden wir unser Brüderpaar, hoch oben
in Schottland wieder. Nicht gar zu weit von
der Stadt Perth sollten die Hessen die Pässe,
die in's Hochland führten, überwachen, um den
aufrührerischen Bergschotten ein Hervorbrechen
in's Niederland unmöglich zu machen.
Unweit des engen Passes Killikrankie lagen die
vorgeschobenen Truppen der Hessen, des Regiment
Maximilian und einige Compagnien von Mans-
bach, während im Felde zwei englische Compag-
nien den Eingang selbst besetzt hielten.
Es war ein unfreundlicher Abend im April
des Jahres 1746 und um die Beiwachtsfeuer
lagerten die Grenadiere und Musketiere und
unter ihnen, dort, bei den lodernden Scheiten,
der Hermes und der Barthel. Der Letztere lag
ausgestreckt aus einem Bund Haferstroh, neben
ihm saß der lange Bruder und im Kreise die
jungen aus dem fernen Hessenland, zwischen
ihnen der Sergeant, rauchend aus kurzen Kalk-
pfeifen, plaudernd, und eine dickbauchige Kruke
Usquebaugh zwischen sich kreisen lassende
„Morgen giebts was", ließ sich während einer
Pause im Wechselgespräch, der Sergeant, ein narbiger
kriegserfahrener Mann, der sich bisher auffallend
schweigend verhalten hatte, plötzlich vernehmen.
„Und das weiß Er so gewiß Sergeant?"
fragte Barthel, sich von seinem Lager etwas
aufrichtend und ihn anstarrend.
„Wenn ich Alles so gewiß wüßte."
„Aber woher weiß Er's denn? bis jetzt hat
sich vom Feinde nichts spüren lassen."
„Seht Jungen, fuhr der Sergeant mit ge-
dämpfter Stimme fort, wenn man so 21 Jahre
mitläuft wie ich, und in so viel blutigen Affairen
gewesen ist,-so hat man seine Zeichen, die Nie-
mand versteht, als man ganz allein." Die Gre-
nadiere horchten schweigend auf. „Ehe ich's
erste Mal in's Feuer kam, und mir ahnte es so
wenig, wie heute, da knackte mir Abends, leise
der Hahn an der Muskete, Obgleich er in Ruh
war, 's hörte es auch Niemand als ich. Ich
achtete nicht drauf, aber am anderen Tage waren
die Franzosen da. Seitdem, jedes Mal, wenn's
was Ernstliches am anderen Tage gab, hört ich
leise den Hahn knacken, — und heute —"
„Heute?" Die Grenadiere hingen athcmlos an
seinem Munde.
„Heute knackte er dreimal. Morgen gehts heiß
her, das ist so sicher, wie das Amen in der
Kirche. Denkt an mich."
„Na, meinetwegen", rief ein Grenadier, „immer
besser, als vor langer Weile in dem verwünsch-
ten Lande umkommen."
„Das meine ich au!" ließ sich ein Anderer
vernehmen.
,,S' ist richtig," sprach ein alter Grenadier,
„'s hat jeder seine Zeichen, wann's was Ernstliches
giebt. Da war der Weiland aus Ziegenhain,
der Unteroffizier bei Donop, der voriges Jahr
bei Roeremonde in's Gras biß, der sah immer
vor der Schlacht 'n kleines, graues Männchen;
vor Roeremonde hatte er's auch gesehen, und da
winkte es ihm. als ob er zu ihm kommen sollte,
er erzählte es auch Abends am Feuer, und am
anderen Tage war er weg. Ja, ja, Ihr seid
noch jung, aber jeder Alte, der hat so seine
Zeichen."
„Morgen giebts was," wiederholte der Ser-
geant nachdrücklich.
„Loßt se kummen — me wunn's ’n wiesen,
rief der Grenadier Grewe, der aus Kassel stammte,
vom Brinke. „Die Kerle midde ehren nackichden
Beinen, sunn schun laufen lernen."
Hast Du denn schon welche gesehn? fragte
ein Anderer neugierig.
„De Englänner hon jo zwei gefangen Heide
Morgen. — Die hon Uch so Kiddel ahne uß
gewirfelden Zigg — un nackichde Beine —
bloß Strimpe dröhne — un ne Schirze uß Fell.
Godd verbumm mich ich hon mich halb dod gelacht
— ewer de Kerle — un dann hon so se blaue
blaue Betzeln uff mit Federn drahne."
„Wie sind sie denn bewaffnet?"
„Jo was ich do gesehn hon, do hon se so 'en
breiden korzen Säbel — un dann so Ding wie
'n Deckel uff'n isernes Kochdibben, daß äß'n
Schild, un dodermidde wunn se de Bagonettstiche
ufffangen. Hahaha! "und derGrenadier lachte herzlich.
„Wo hast Du sie denn gesehen?"
„Bih den Englännern. ich sprochs jo schun,
Heide Morgen als ich midd n Prinz do ahn den
Bergen war. Se wurden gerahde ingebracht un
de Englänner wullden se glich kapenniren un daß se
noch lewen, honn se nurd den Prinz ß verdanken,
der sprach: Das ging net, das weren Kriegs-
gefangene, un wo he wer, do wirden keine Ge-
fangenen abgemurkst. Der englische Oberst, der
wullde noch was, aber der Prinz drehde emme
den Buckel zu un ging wecken. Do honn se se
dann lewen lassen. Se honn Üch ne hellische Wuth
uff de Schotten, de Rindfleischfresser, unse Prinz
«wer, das sprech ich Uch" und er neigte sich zu
den Anderen „der hodd de Englänner im Magen
— das kunnd de glauwen."
„Kerls was steckt Ihr die Köpfe zusammen?
ließ sich plötzlich eine jugendliche Stimme vernehmen.
— .163
Wie ein Blitz sprangen dir Grenadiere, an
diesem wie den benachbarten Feuern, beim Klange
dieser Stimme empor und standen die Beine aus-
gespreizt, kerzengrade.
„Rührt Euch!" Die Grenadiere nahmen eine
ungezwungene Haltung ein.
Vor ihnen stand die schlanke Gestalt des jugend-
lichen Prinzen aus Hessens altem Fürstcnstamm,
mit dem freundlichen Angesicht und dem blitzenden
blauen Augcnpaar — Prinz Friedrich.
Der war im langen Soldatenmantel durchs
Lager gegangen, daß seine blauen Jungen ihn
nicht auf den ersten Blick erkennen sollten.
„Nun Kerls was giebts hier ? sprech Er Hermes!"
der Prinz nannte ihn auch nur immer so.
„Zu Befehl Fürstliche Gnaden. Der Grewe
sprach, he hedde Schotten gesehn und se hedden
Kiddel ahne und nackichde Beine."
Der Prinz lachte. „Wie, fürchtet Ihr Euch
etwa vor den Ohnehosen?"
Die Grenadiere grinsten bei der komischen
Frage; als ob sie einen Feind fürchteten.
„Ne!" klang es einstimmig von ihren Lippen.
„Me wunn s'n wiesen," setzt der Kasselanerhinzu.
„Ich denke auch," ' lachte der Prinz. „Was
hat er denn für eine visage Sergeant ? Was sieht
er denn so malcoutent drein?"
„Zu Befehl Fürstliche Gnaden — morgen
giebts Bataille."
„Und deshalb macht er ein solches Jammer-
gesicht ?"
„Nicht deswegen, das glauben Fürstliche Gnaden
nicht. Aber morgen muß ich dran glauben."
„Ach schwätz Er kein dummes Zeug. Wir wollen
noch Alle ins Hessenland zurück. Und woher weiß
Er denn, daß es morgen Bataille giebt?"
Der Sergeant zögerte einen Augenblick und
sagte dann langsam:
„Fürstliche Gnaden werden lachen, aber es
hat sich seit 20 Jahren bewährt, wenn mein
Gewehrhahn knackt ohne Veranlassung, so giebts
am andern Tage zu thun. Heute hat er dreimal
sich leise hören lassen und morgen muß ich dran.
„Mach er keine Flausen. Aberglauben. Wenn
ich nicht wüßte, daß er ein kouragirter Kerl mit
guten Meriten wär, glaubt ich er hätte Kanonen-
fieber. Munter Kerls! Und wenn die Nacktbeine
kommen, spießt sie auf."
„Me wuns'n wiesen," brummte der Kasselaner.
Der Prinz ging weiter und ein donnerndes
„vivat Prinz Friedrich!" der Grenadiere folgte
ihm nach und begleitete ihn durchs Lager, als
die Truppen auf ihn aufmerksam wurden.
Die Feuer brannten allgemach niedriger, Ge-
sang und wildes Johlen verstummten und bald
schnarchten des Landgrafen Grenadiere im
fernen Schottland so ruhig, als in ihren Heimath-
lande. Still war's im Lager, nur der Ruf der
Schildwachen oder der Gang einer Ronde klang
durch die rauhe Nacht. Der Hennes schlief an
Bartels Seite, aber der Sergeant saß noch lange
auf und stierte ernsthaft in die Gluth des Nacht-
feuers, bis auch er entschlief.
Grauer Nebel lag ans den Bergen, als die
Sonne ihre ersten Strahlen herniedersandte, grauer
Nebel deckte die hügeligen Gelände, die sich nach
den Bergen hin ausdehnten. Plötzlich horchten
die Wachen hoch auf — von den Bergen her,
da wo der Paß in's Hochland führte, klang, durch
die Entfernung und den Nebel gedämpft, heftiges
Schießen.
Nach rascher Meldung an den Prinzen, der
sein Nachtquartier in einem einsamen Farmhause
genommen hatte, rasselten die Töne der Allarm-
trommel durch das Lager und nach kurzer Frist
standen die Bataillone auf ihren Sammelplätzen,
erschien der Prinz mit seinem Stabe zu Pferde
zwischen ihnen. Augenblicks flogen Ordonnanzen
nach Perth zu, um die weiter rückwärts lagernden
hessischen Truppen,, die Regimenter Donop und
Mansbach herbeizurufen, kleine Piquet's bewegten
sich noch vorn, um die vorgeschobenen Feldwachen
zu verstärken, Adjutanten flogen auf eilenden
Rossen nach dem Passe zu, wo die Engländer
standen.
„Hab ich's nicht gesagt" brummte der Sergeant
halblaut vor sich hin.
Die Truppen standen schweigend und abwartend
unter Gewehr, in den Nebel starrend.
Von der See her aber fuhr jetzt lustig der
Ostwind herbei und jagte die Schwaden in langen
Streifen vor sich her, so daß bald der Ausblick
weit wurde. Jetzt erschienen einige englische
Rvthröcke im Gesichtskreis, die in wilder Flucht
auf die Hessen zustürzten.
(Schluß folgt.)
- i<U
Meiner Mutier pt achtzigsten Geburtstag.
9. Mai 1887.*)
Kommet, kommet all' herbei!
Kommt, heut ist der neunte Mai.
Blumenspender, Kranzeswinder,
Kinder, Kinds- und Kindeskinder,
Kommt in einer großen Schaar,
Heute wird sie achzig Jahr.
Achtzig Jahr, die gute Alte!
Und die Stirn noch ohne Falte,
Braun das Aug' und schwarz das Haar,
Freudig, wie sie immer war.
Froh des Tags, den Gott gegeben,
Keine Müh' noch Arbeit scheuend,
Und mit jedem sich erneuend
Im erneuten Vorwärtsstreben.
Ihrer Seele blieb der Schwung,
Der sie frühe schon erhöhte,
Leuchtend von Begeisterung;
Und ihr Jugenddichter Goethe
Blieb des Alters Morgenröthe,
Und so blieb sie selber jung.
Ihrem Blicke blieb die Klarheit,
Die von Kraft des Willens zeugt.
Eine Mahnung uns zur Wahrheit,
Die sich keinem Götzen beugt;
Uns ein Beispiel der Belehrung,
Einst wohl strenger, heute mild;
Heut der liebenden Verehrung
Schönen Lebens schönes Bild.
Und ein leiser Duft kommt wieder,
Lieblich füllend das Gemüth;
Und ich glaub', es ist der Flieder,
Der am neunten Mai geblüht.
Und mich grüßt — was ist's? — Ich glaube.
Rückwärts schauend manches Jahr,
Daß es die Syringenlaube,
Die in unserm Garten war.
O wie prangt in Frühlingsfrische
Junges Grün und Blüthenschnee;
Und wie dampft schon auf dem Tische
Bei dem Kuchen der Kaffee!
Welche Lust und Augenweide,
Deiner Sechse bunte Reih',
Und Du selbst im weißen Kleide,
Strahlend wie der junge Mai.
*) Da das seltene Fest, welchem obige Berse gelten, von Hessen
und auf Hessischem Boden, in dem alten, lieben Fulda gefeiert worden
ist, habe :ch geglaubt, auch außerhalb des engeren Familienkreises,
dieselben weiterhin guten Freunden und Bekannten im „Hessenland"
mittheilen zu dürfen. Und wenn mein Gedicht auf diesem Weg unsere
Schaumburger Heimath erreicht, dann soll es dort zumal, zwischen
Terster und Weser, den ehemaligen Nachbarn und Jugendgenossen
einen frohen Gruß bringen! Der Berf.
Strahlend wie der junge Morgen,
Und mit stolzem Kindersinn
Blicken wir, von ihr geborgen,
Zu der schönen Mutter hin.
Und der Vater, längst geschieden,
Lächelnd kehrt auch er zurück —
O Du Heimath, voll von Frieden,
O Du Jugend, voll von Glück....
Und der traute Hügel winket,
Und das Bächlein murmelt sacht
Unter Weiden, und es blinket
Am Rondeel der Tulpen Pracht.
Ach, wohl ist es lange, lange.
Doch vergessen werd' ich's nie.
Was auf unserm Erdengange
Du uns gabst an Poesie.
Was in Deiner Lieder Fülle
Meine junge Seele fand,
Als sie zag' noch in der Hülle
Und sich selber nicht verstand.
Als sie, flüchtend vor der Menge,
Dir vertraut ihr erstes Leid,
Und den ersten der Gesänge,
Theure Mutter, Dir geweiht.
Habe Dank! Was tief empfunden
Und auch tief verschwiegen war.
In der heiligsten der Stunden
Werd' es laut und offenbar.
Und wiewohl nach allen vieren
Richtungen der Welt zerstreut,
Kommen wir und gratuliren
Dir, geliebte Mutter, heut.
Die vom Meer, aus Süd und Norden,
Bringen ihren Glückwunsch Dir —
Aelter wohl, nicht alt geworden,
Sind all' Deine Kinder hier.
Und Du selber, gute Alte,
Blühst noch frisch am neunten Mai,
Und der liebe Gott erhalte,
Schütze, segne Dich und walte.
Daß es lang noch, lang so sei!
Viele wurden alt und greiser.
Von der Jahre Last beschwert;
Doch Du machst es wie der Kaiser,
Den Du stets so treu verehrt.
Und nach abermals zehn Jahren,
Kommen in noch größer« Schaaren
Kind und Kindeskind herbei —
O, das wird ein schöner Mai!
Und wie heute beim Beginn
Eines festtäglichen Schmauses,
Feiern wir alsdann des Hauses
Neunzigjähr'ge Kaiserin. K«i.
165
Meiner? SL^rnester?.
Mein guter Engel steht zur Seite mir.
Wenn Deine Hand die meine hält umfangen,
Geführt von Dir muß ich zum Ziel gelangen.
Und seines Preises Krone — dank ich Dir! —
In Dir vollendet sich mein Thun und Sein,
Und gleich dem Schutzgeist, uns gesandt von droben,
Hältst schirmend, hütend Du die Hand erhoben.
Dein Leben meines Glückes Dienst zu weih'n!
Und was mein hitz'gcr Sinn im Eifer fehlt,
Dein mildes Wort bringt's in die rechte Bahn,
Auf Dornen streust Du Rosen allerwegen.
Dein edles Vorbild ist's, das mich beseelt.
Stehst Du am Steuer — sicher treibt der Kahn,
Und immer treibt er mich dem Heil entgegen! —
llcttctltj t><m GfÄljLruttz.
Gin Trnnrn.
Ich wandle im schönsten der Gärten
Mit meinem Liebchen allein,
Rings um die blühenden Büsche
Webt kosender Mondenschein.
Und um uns Rosendüften,
Und über uns Nachtigallsang,
Und in uns im schwellenden Herzen
Der Liebe Jubelklang.
Wir sprechen von öden Zeiten,
Da wir uns noch nicht gekannt,
Und flüstern von seligen Strnden
Da Eins das Andere fand.
Und wir gestehen einander,
Wie wir uns vom ersten Sehn
Herzinnig geliebet und dennoch
Die Liebe nicht mochten gesthen.
Da wacht ich auf aus den Träumen
Bon Lieb und Seligkeit,
Im finsteren Walde schreit' ich
Von Dir, mein Lieb, so weit!
Und um mich Schneegestöber,
Und über mir Sturmeswuth,
Und in mir, im brennenden Herzen
Verzehrender Flammen Gluth.
Stephan.
Ans alter und «euer Jett-
Abt Eigil von Fulda. Der 15. Juni gilt
für den Todestag des hl. Eigil, des vierten Abtes
von Fulda. Nur fünf Jahre war es ihm vergönnt,
dem berühmten Kloster Fulda, dieser Pflanzstätte der
Kultur, vorzustehen, von 817. bis 822, aber in diese
Zeit fällt die Erbauung der dem hl. Michael ge-
weihten Kirche, deren heute noch im wesentlichen er-
haltene Rotunde ein kunstgeschichtliches Denkmal von
unschätzbarem Werthe ist. Eigil entstammte gleich
seinem Anverwandten, dem hl. Sturmius, dem Be-
gründer Fulda's, einer vornehmen bayerischen Familie.
Bekannt ist seine Schrift „Vita Sturmi“, eine für
die Anfänge von Fulda sehr wesentliche Geschichts-
quelle, die Aufnahme in die Monumenta Germaniae
(Script. II. 365—377) gefunden hat. Seine Haupt-
thätigkeit widmete Eigil der Schule und der Baukunst.
Unter der Leitung des baukundigen Mönches Racholf
ließ er die prachtvolle Klosterbasilika vollenden und mit
zw i Krypten versehen, so daß am 1., November 819
der Bau von dem Erzbischof Haistulph eingeweiht
werden konnte. Auch ließ Eigil den Leichnam des
hl. Bonifatius, des Apostels der Deutschen, in ein
neues prächtiges Grab übertragen und begann noch
mit dem Bau eines ausgedehnten Klostergebäudes.
Durch solche Leistungen bekam Fulda den Ruf einer-
hohen Schule der Baukunst, so daß Karl's
des Großen Geheimschreiber und Bauleiter, Einhard,
welcher seine Studien im Kloster Fulda gemacht und
wegen seiner kunstreichen Arbeiten nach dem Werk«
meister der Stiftshütte den Beinamen „Beseleel" er-
halten hatte, einen Vertrauten nach Fulda schickte,
um sich über eine dunkle Stelle des Marcus Vitru-
vius Pollio (lebte unter Augustus und Tiberius),
dessen Schrift „de architectura“ das einzige Werk
über die bürgerliche Bauknnst ist, welches wir aus
dem Alterthume überkommen haben, Aufklärung zu
verschaffen. Unter Eigil war Rhabanus Maurus,
unstreitig einer der geistig bedeutendsten und gelehr-
testen Männer seiner Zeit, welcher in der Geschichte
den Ehrennahmen „Magister Germaniae“ führt, Leiter
der Fuldaer Schule, die durch ihn zu ihrer größten
Blüthe gelangte. Rhabanus Maurns war auch der
Nachfolger Eigil's als Abt von Fulda, bis er im
Jahr 847 auf den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz
erhoben wurde. K. Z.
* . *
*
Hessische Tapferkeit. Ein schönes Beispiel
hessischer Tapferkeit berichtet uns G. B. Kriegk in
seinen „Deutschen Kulturbildern aus dem 18. Jahr-
hundert". „Wie der 2. Dezember 1792". so lesen
wir dort, „einer der militärischen Ehrentage Hessens
ist, so war das Jahr 1474/75 eines seiner Ehren-
jahre und eines der glänzendsten der deutschen Geschichte!
Damals wurde Prinz Hermann von Hessen, seit
einem Jahre Administrator und später Kurfürst des
Erzbisthums Köln, durch Karl den Kühnen von
Burgund bekriegt, und sein Bruder, Landgraf
Heinrich HI. von Hessen schickte ihm nicht bloß 1000
Mann zu Fuß und 500 Reiter zu Hilfe, sondern
166
er selbst erschien auch nachher mit 15000 Mann.
Jene 1500 Vorausgehenden wurden als Besatzung
der Stadt Neuß verwendet, um deren Besitz sich der
Kampf hauptsächlich drehte. Sie wurden durch Karl
den Kühnen belagert, welcher 60000 Mann der besten
Truppen jener Zeit herbeigeführt hatte. Der Land-
graf konnte, als er mit 15000 Mann herankam,
nicht mehr in die Stadt gelangen; er schlug aber
auf einer der nahen Höhe sein Lager auf und leistete
von dort aus nach Möglichkeit Hilfe. Mit den Be-
lagerten korrespendirte er durch Briefe, die in hohlen
Pfeilen abgeschossen wurden. Er konnte jedoch den
Ring, welchen die Burgunder gebildet hatten, nicht
durchbrechen. Die Letzteren boten vergebens alles
auf, um die in Neuß eingeschlossenen 1500 Hessen
zur Uebergabe zu zwingen; doch diese zeigten sich
unüberwindlich. Sie vertheidigten sich, trotz der un-
geheuern Ueberzahl des Feindes, heldenmüthig fast
ein ganzes Jahr lang, vom 29. Juli 1474 bis zum
17. Juni 1475, obgleich sie zuletzt alle Lebensmittel,
sogar ihren ganzen Salzvorrath aufgezehrt und nichts
mehr als Pferdefleisch zu essen hatten. Sie schlugen
während jener 11 Monate nicht weniger als 56 Stürme
ab. Die Belagerung war zuletzt in eine Btokade
verwandelt worden, um die Stadt auszuhungern;
siebenzehn Festungsthürme waren niedergeschossen,
dreihundert Häuser eingeäschert, ein Arm des Rheins
abgedämmt, eine Insel derselben vom Feinde erobert,
die kleineren Flüsse abgeleitet, und dennoch war der
Muth der Hessen nicht gebrochen, ihre ausdauernde
Kraft nicht gelähmt. Karl der Kühne that alles
Mögliche, mit seinen 60000 Mann die 1500 Hessen
zu überwinden. Er selbst war unausgesetzt so thätig,
daß er mehr als 10 Monate lang seine Kleider gar-
nicht gewechselt haben soll. Er hat laut verkündet:
ehe er von Neuß abziehe, müsse von vier Dingen
eins geschehen sein: entweder müsse er die Stadt er-
obert, oder dieselbe sich ihm freiwillig übergeben haben,
oder das erscheinende Reichsheer müsse ihn vertreiben,
oder er selbst den Tod gefunden haben. Erst nachdem
das aus 43000 Mann bestehende Reichsheer ange-
kommen war und Karl von der Blokade wieder zur
Belagerung übergehend, an einem einzigen Tage
neunmal hatte vergebens stürmen lassen, verstand er
sich zum Abzüge. Er hatte vor Neuß nicht weniger
als 15000 Mann verloren."
Es erübrigt noch, die Namen der siegreich aus-
ziehenden hessischen Ritter anzuführen. Es waren
Konrad von Wallenstein, Neidhard von Buchenau,
Johann Hück, Henne von Biedenfeld, Appel von
Griffen, Ludwig Diede, Geise Hund, Konrad und
Heinz von Eschwege Gebrüder, Kurt Noding, Diemar
und Philipp von Wildnngen Gebrüder, Henne Milch-
ling v. Schönstädt, Henne'Windolt, Hermann v. Rom-
rod, Erard Hake, Valentin von Dernbach, Harterad
Eilshausen, Hermann von Hundelshausen. Ebenso
wenig dürfen die zwölf Helden vergessen werden,
„welche Leid mit Landgraf Hermann litten, todt und
lebendig bei ihm haben ausharren wollen und bei
ihrem Herrn zu Neuß mit Ehren todt geblieben sind."
Es waren Thilo von Falkenberg, Friedrich von Urff,
Dietrich von Elben, Claus Trott zu Solz, Dietrich
und Friedrich Scheurnschloß Gevettern, Georg von
Grrfte, Johann Blieber, Johann von Eschwege, Adolf
von Biedenfeld, Strebkatz und Spiegel von Deserberg.
Der blinde Jakob war in der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts in der ganzen Gegend des
Ringgaues in Hessen bekännt. Geboren war er in
Netra, einem Dorfe dieses Bezirks, und hatte
schon im Alter von iy2 Jahr durch die Blattern
das Augenlicht gänzlich verloren. Man ließ den
armen Knaben mit sehr geringer Beachtung her-
anwachsen. Als er das schulpflichtige Alter erreicht
hatte, schickte man ihn nur in die Religionsstunde und
verwendete ihn außer dieser Zeit zum Gänsehüten (?).
Aber gerade der Umstand, daß der kleine Jakob nur
die Religionslehren mitanhören, nicht aber an dem
übrigen Unterrichte theilnehmen durste, erregte seine
Wißbegierde und Lernlust. Er befrug Altersgenossen,
was sie sonst noch lernten, und erfuhr da für ihn
ganz merkwürdige Dinge. Wie gerne mochte er das
Alles lernen und wissen, aber er konnte ja nicht
lesen. Gab es denn keine andere Art und Weise,
um sich diese Kenntnisse anzueignen! Und nnn be-
gann der blinde Gänsehirte über eine solche Möglich-
keit nachzudenken und zu grübeln. Wie lange er
brauchte, ist nicht gesagt, aber er erreichte seinen
Zweck, er fand, was er gesucht. Mit seinem Taschen-
messer schnitt er sich Stäbe und begann in die Seiten
derselben für gewisse Gedanken und Worte bestimmte
Zeichen einzuschneiden. Erst wurde der Versuch ge-
macht, auf diese Weise Theile eines Gespräches fest-
zuhalten und als sich der Versuch bewährte, da bat
der blinde Knabe seine Kameraden, ihm beim Gänse-
hüten aus ihren Unterrichtsbüchern vorzulesen, er
aber war eifrigst bemüht, den Inhalt solcher Vor-
lesungen durch Kerbschnitte der verschiedensten Art in
seinen bereitgehaltenen Stäben zu seinem Eigenthum
zu machen. War erst ein Lesestück oder später ein
ganzes Buch zu Ende, wurden die Stäbe, deren
Reihenfolge durch ein besonderes Zeichen oben am
Kopf vermerkt war, in ein Bündel zusammengebunden,
diesem dann noch ein besonderes Stäbchen mit In-
haltsangabe beigefügt und das Ganze sorgfältig auf-
gehoben. Auf diese Weise seine Studien fortsetzend
und sich bis zum Ende seines Lebens vorlesen lassend,
gelangte der blinde Jakob zu einer großen Sammlung
von solchen Bündeln, aber auch zu einem außerordent-
lichen und umfangreichen Schatze des.Wissens. Wollte
er sich den Inhalt eines Werkes wiederholen, griff er
nach dem betreffenden Bündel und fingerte dann die
einzelnen Stäbe der Reihe nach auf beiden Seiten ab,
so seine eigene Kerbschrift mit staunenswerther Geläu-
figkeit selbstlesend. Im Rechnen wurde Jakob sogar
als Lehrer angestellt. Auch auf das medizinische Ge-
biet erstreckten sich seine Kenntnisse und bezeichnete er
auch die von ihm aufbewahrten Heilmittel durch einge-
kerbte Stäbchen. „Ueberhaupt — jagt der Bericht-
erstatter — haben mir alle Personen, die ihn gekannt,
versichert, es sei zum Erstaunen, welche Menge von
167
verschiedenen Kenntnissen der Mann auf diese Art in
seinem Kopf zusammengebracht hätte." Der blinde
Jakob starb im Jahre 1775.
Als Pendant zu dieser den Münchener „Neuesten
Nachrichten" entnommenen Geschichte vom „blinden
Jakob" können wir eine seltsame Mittheilung über den aus
Kassel gebürtigen, in Hannover am 3. April 1784 ge-
storbenenRoßarzt Kersting hinzufügen. Kersting war
durch den Schlag eines Pferdes blind und taub geworden.
Da soll er nun während dieses mehrere Jahre lang
dauernden Zustandes sich aus folgende Weise der
menschlichen Rede zugänglich gemacht haben: er legte
einen Metallstab an seinen Körper (z. B. an den
Einbogen) und ließ auf diesem sprechen: die Schwan-
kungen desselben sollen ihm die Worte vollständig
zugetragen haben. So zu lesen in Vilmar's „Hessische
Chronik".
Aus Heirnattz und Fremde.
Kassel. Am 11. d. M. wurde dahier der acht-
zigste Geburtstag des seit dem Jahre 1870 in Ruhe-
stand versetzten Gymnasialprofessors Dr. Flügel
von seinen dankbaren Schülern, deren Schulzeit zum
Theil schon mehr als 50 Jahre zurückliegt, in der
festlichsten Weise begangen. Ueber den glänzenden
Verlauf dieses Festes, welches von dem in allen
Kreisen so hochgeschätzten Geburtstagskind in wahr-
haft staunenerregender geistigen und körperlichen Frische
begangen wurde, wird in der nächsten Nummer unseres
Blattes ausführlicher Bericht von einem Festtheil-
nehmer folgen.
— Am 9. Juni, dem Frohnleichnamstage, feierte
zu Fulda der Generalvikar und Domdechant Karl
Kalb das seltene Fest des fünfzigjährigen Priester-
jubiläums. Der hochwürdige Herr steht gegenwärtig
in seinem 75ten Lebensjahre und erfreut sich noch der
vollen Fnsche des Geistes und Rüstigkeit des Körpers.
Geboren zu Fulda, besuchte er das Gymnasium und
Lyceum seiner Vaterstadt, studirte vom Herbst 1832
an an dem Priesterseminare zu Fulda Theologie, be-
kleidete mehrere Jahre die Stelle eines Stadtkaplans
und war als solcher ein sehr beliebter Prediger,
fungirte dann längere Zeit als Dompräbendat und
Secretär des Kapitels, bis er im Jahre 1868 zum
Domkapitular gewählt und als solcher bestätigt wurde.
Nach dem am 3. November 1880 erfolgten Tod des
Bisthumsverwesers Konrad Hahne, war er das einzige
noch vorhandene Glied des Kapitels, welches letztere
in Folge des Kulturkampfes nicht wieder hatte besetzt
werden können. Nach Wiederbesetzung des bischöflichen
Stuhles zu Fulda im December 1881 und nach
Wiedererrichtung des Domkapitels wurde Karl Kalb
zum Generalvikar und Domdechant ernannt. Die
Theilnahme an der Sekuudizfeier war eine allgemeine,
die sich ebenso auf die Laien, wie auf die Priester
erstreckte, und reiche Gaben, welche sich meist auf
seine priesterliche Würde bezogen, wurden ihm verehrt,
multos annos
Todesfälle. Am 5. Juni verschied im fast
vollendeten fünfzigsten Lebensjahre, in Folge eines
Hirnschlags zu Birstein die Prinzessin Sophie
Charlotte Adelheid Victoria Agnese zu Idenburg und
Büdingen-Birstein, Schwester des regierenden Fürsten
Karl.
Am 11. Juni starb dahier in Kassel, 65 Jahre alt,
der Rechtsanwalt Justizrath Karl Peters, nach
langen und schweren Leiden an Rippenfellentzündung.
Der Verblichene ist rasch seinem ihm vor wenigen
Wochen im Tode vorausgegangenen langjährigen
Freunde und Mitarbeiter Justizrath Dr. Weigel ge-
folgt. Karl Peters, geboren zu Kassel, besuchte das
Gymnasium seiner Vaterstadt, studirte von 1844 bis
1847 in Marburg Rechtswissenschaft, war nach abge-
legtem Staatsexamen bis 1853 Referendar bei dem
Obergerichte zu Kassel, in welchem Jahre er zum Ober-
gerichtsanwalt ernannt wurde. Als Rechtsanwalt hat
er bis zu deinem Tode, sonach 34 Jahre, fungirt und
sich den Ruf eines vorzüglichen Juristen erworben.
Nannte man die besten Namen unter den hessischen
Rechtsanwälten, so wurde in erster Linie der seine ge-
nannt. Einfach und schlicht in seinem Leben, zeichnete
er sich noch besonders durch Uneigennützigkeit und wahren
Biedersinn aus. Seine zahlreichen Freunde, sowie alle
die ihn kannten, werden ihm ein treues ehrenvolles An-
denken bewahren. Friede seiner Asche.
4- *
*
Marburg. Die Zahl der in diesem Sommer-
semester in Marburg Studirenden beträgt nach dem
vor einigen Tagen veröffentlichten Verzeichniß 1009,
zu denen noch 42 nicht immatrikulirte Hörer kommen,
denen die Erlaubniß zum Besuche von Vorlesungen
vom Rektor ertheilt ist. Die theologische Facuktät
zählt 256, die juristische 114, die medizinische 303
und die philosophische 336 immatrikulirte Zuhörer.
Der Provinz Hessen-Nassau gehören 372 Studirende,
den anderen preußischen Provinzen 469, den übrigen
Reichsländern 132, europäischen Staaten 28, außer-
europäischen Staaten 8 (Afrika 2, Amerika 5,
Australien einer) an.
* *
4
B a d N e n n d o r f. Am 3. Juni wurde ein hundert-
jähriger Erinnerungstag des hessischen Heilbades
Nenndorf feierlichst begangen. Schon der Arzt
und Naturforscher Georg Agrieola, geb. zu Glauchau
am 24. März 1490 und gest. in Chemnitz am
21. November 1555, muß die Quelle Nenndorf ge-
kannt haben, denn er erwähnt in seinem Werke: de
natura eorum, quae effluunt e terra, Basil 1546
tom. I p. 538 eine Quelle, die südwestlich von Hannover
am Fuße des Deister gelegen sei .und auf deren klarem
Wasser schwarzes Erdharz schwimme. Später scheint
man jedoch dreselbe weniger beachtet zu haben. Erst
zwei Jahrhunderte nachher, im Jahre 1763, machte
ein Arzt des benachbarten Städtchens Sachsenhagen,
Dr. Ernsting, wieder ans die Quelle aufmerksam.
1783 drückte Botaniker Eckhart sein gerechtes Er-
staunen darüber aus, daß für die Benutzung der Quelle
in sanitätlicher Beziehung noch nichts geschehen sei
168
und der berühmte Arzt Geheimer Rath Heim in
Berlin nannte dieselbe einen tr&sor incomm und be-
dauerte ihre Vernachlässigung. Wenn auch Landgraf
Friedrich II. von Hessen manches für die Heilquelle
gethan hatte, so wurde doch erst dessen Sohn Land-
graf Wilhelm IX., der spätere Kurfürst Wilhelm I.
von Hessen der eigentliche Begründer des Bades. Im
Jahre 1787 wurden von ihm die zweckmäßigsten Ein-
richtungen zum Baden getroffen und diesem "menschen-
freundlichen Akte galt bte Erinnerungsfeier am 3. Juni
d. I. Nach dem eigenen Plan des letztgenannten Fürsten
wurde 1789 der umfangreiche und großartige Bau der
Bade- und Logirhäuscr begonnen und so rasch fortge-
führt, daß im Jahre 1793 schon 6000 Bäder verabfolgt
werden konnten. Auch später verloren die hessischen
Regenten diese Lieblingsschöpfung nicht aus den Augen
und gerne verweilten s!e daselbst. Schnell verbreitete sich
der Ruf von Nenndors's Heilquelle, schon in denersten
Jahren fand sich eine große Anzahl von Badegästen ein,
die sich dann von Jahr zu Jahr vermehrte. Die Glanz-
periode Nenndors's fällt in das letzte Jahrzehnt des
vorigen und die beiden ersten Decennien dieses Jahr-
hunderts, wo Pyrmont und Nenndorf den ersten Rang
unter den norddeutschen Bädern einnahmen und der
Sammelplatz der vornehmen Welt waren. Und in
der That, die reizende Gegend in dem schönen Schaum-
burger Lande, die trefflichen Einrichtungen, die in
sanitätlicher wie in komfortabler Beziehung sich immer
mehr vcrvollkommneten, waren und sind heute noch
dazu geeignet, dieses Bad mit seinen heilsamen
Schwefelquellen auf das Beste zu empfehlen. Die
Krankheiten, in denen sich sein Besuch und Gebrauch
ganz besonders bewährt haben, sind: Chronischer
Rheumatismus, chronische Gicht, rheumatische Läh-
mungen, Knochen- und Gelenkkrankheiten, chronischer
Laryngealkatarrh u. s. w. Vorzüglich wirksam sind
Nenndors's Schwefelwasser- und Schlammbäder,
auch nach den letzten Kriegen bei Folgezuständen von
Wunden, namentlich von Schußwunden, gewesen.
Mancher schwer getroffene Krieger aus den Jahren
1866 und 1870/71 fand dort ein heilsames Asyl nnd
segnet das Bad, dem er Genesung von seinen Leiden
und Wunden verdankt.
* *
*
Frankfurt a. M. In dem 4. Prüfungskonzert
des Hoch'scheN Konservatoriums zeichneten sich zwei
junge Hanauer Künstler aus. Herr Franz Limbert, der
den Vortrag eines von ihm komponirten „Präludiums"
in einer ..Fuge" leitete und Herr Ruth, welcher unter
Begleitung von Streichinstrumenten das „Larghetto",
von Mozart auf dem Violoncell vortrug.
Hessische Mcherschau.
Verzeichniß von Forschern in wijsenschaftlicher
Landes- und Völkerkunde Mitteleuropas. Von
P. E. Richter. Dresden 1886 (Y, 207 S.)
Das Buch gibt eine bequeme Uebersicht darüber,
welche Forscher in irgend einem Zweige der Landes-
Berantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng
und Volkskunde der mitteleuropäischen Länder wissen-
schaftlich thätig sind, dabei zugleich den besonderen
fachlichen und räumlichen Bereich bezeichnend, auf
welchen sich die Arbeiten jedes einzelnen von ihnen
erstrecken. Berücksichtiget sind außer dem Deutschen
Reiche, das cisleithanische Oesterreich, die Schweiz,
Luxemburg, Holland, Belgien und die größeren
deutschen Sprachinseln in Siebenbürgen nnd den
russischen Ostseeprovinzen. Die Zusammenstellung
ist veranlaßt worden durch die „Cenrral-Komwission
für wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland",
bearbeitet von P. E. Richter, dem Bibliothekar an
der königl. Bibliothek in Dresden. Das Werk zählt
in seiner ersten Abtheilung (p. 1—99) ca. 3000
Forscher in alphabetischer Reihenfolge auf, mit einer
Notiz über Forschungszweig und Forschungsgebiet.
In einem zweiten Abschnitt folgt ein alphabetisches
Verzeichniß der Land- und Ortschaften, dann (p. 141
bis 149) ein alphabetisches Wohnortsverzeichniß,
S. 149—189 die Forschungsgebiete und S. 190 bis
Schluß die Forschnngszweige. Unser Hessen weist
53 Forscher auf, die' sich ans neun Städte vertheilen
und die verschiedensten Zweige der Landeskunde znm
Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung gewählt
haben. * # * ' A.
Die Familien der ehemaligen Reichsritterschaft.
Bon Edward Stendell. Osterprogramm der
Friedrich-Wilhelms-Realschule zu Eschwege 1887.
(40. 24 S.)
Nach einleitende« Betrachtungen über die freie
Reichsritt^schaft * des ehemaligen römisch-deutschen
Kaiserreiches giebt der Verfasser einen kleinen Brttch-
theil eines alphabetischen Verzeichnisses der reichs-
ritterschastlichen Familien vom 16! Jahrhundert an
und zwar unter Darlegung ihres Ursprungs, ihrer
zeitlichen und räumlichen Ausdehnung (Besitz, Blüthe,
Ausgang, hervorragende Familienglieder und dergl.).
Wegen des beschränkten Raumes, welcher zu Gebote
stand, umfaßt das Verzeichniß bloß die Buchstaben
A. und B. und endet mit der heute noch blühenden
Hessischen Familie b. Buttlar. Von anderen
Hessischen Familien finden wir aufgeführt die von
Baumhoch, v. Bellersheim, v. Berlepsch,
v. Bernstein, v. Bohneburg, Brömser von
Rü>esheim (vorübergehend in Rumpenheim an-
sässigX v. Buchenau u. A. A.
Krikstllste«.
K. 8. in Kassel. Einen ausführlichen Katalog (Nr. 54),
„Hasfiaca" betr., hat Hofbuchhändler Klaunig in Kassel
(obere Königsstraße 19) bereits im Jahre 1884 erscheinen
lassen, wie Sie denn auch in dessen Atiquariatshandlung
die reichhaltigste Sammlung von unser engeres Vaterland be-
treffenden Schriften finden. Eine gleichfalls reichhaltige
Sammlung von Werken über die Provinz Hessen-Nassau
und das Großherzogthum Hessen weist der XL antiquarische
Katalog der N. G. Elwen'schen Universitätsbuchhandlung
in Marburg auf, der kürzlich erschienen ist
A. R. in BreSlau. Wird benutzt werden. Freund-
lichsten Gruß.
er in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das >„Heffeu1and^, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1'/, Köge« Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 80 Kfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfß. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Heffevlavd" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
%
In» ftt Harrse!
o viel' Kör
Nöthen Llee's die Au;
So viel Tröpflein
In dem Wiesenthau;
So viel Sterne
Eine Sommernacht:
Hab' ich in der Ferne
Wehmuthsvoll nach Haus gedacht. —
Wie zur Clnelle
Mit der kühlen Fluth
Die Gazelle
Lechzt in Wüstenglnth,
Uno der Neben
Schoß zum Licht sich dehnt:
So hat sich im Leben
Auch mein Herz nach Haus gesehnt.
Wie zum Horste
Lürt den Fels der Aar,
Stille Forste
Liebt das Turtelpaar;
Wie der Finke
Wählt hoch das Geäst:
Laut' an grünem Drinke
Ich zu Haus zu gern mein Nest.
Wie die Nehe
Nuh'n im Hochwald aus;
An der Höhe
Glüht die Sonne aus:
Möcht' ich gerne
Nach des Lebens Thun
Nicht in kalter Ferne
Sterben, — doch zu Hause ruhn.
Ja, zu Hause!-------
Wie das Zauberwort
Ohne pause
Tönt im Herzen fort!
Wird es klingen
Endlich einmal aus?
O, wer leiht mir Schwingen,
Die mich trügen fort nach Haus!
Arrdrrrls Mohp
170
Die Uilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. «ud Wilhelm I. von Kessen noch dem heilige« Grabe.
Von C. v. Stamford.
(Fortsetzung.)
jeder traten traurige Zeiten für Hessen
ein, als Ludwig die Augen geschlossen
hatte. Erst sein Enkel Wilhelm I. durfte
den Gedanken fassen, seinem Lande für
längere Zeit den Rücken zu kehren. Aber die
60 Jahre, welche seit der Pilgerfahrt des Ahnen
verflossen waren, hatten in der Welt gewaltige
Aenderungen vorbereitet. Ein Flüstern ging dem
nahenden Sturme voran, schon lebten die Männer,
deren kühner Geist vor Allem Mächtiges wirken
sollte, Eolumbus, Eopern cns, Luther, in ihrem
Gefolge zahlreich Solche, welche das Errungene
zu wahren strebten. Das Wichtigste für alle
edleren Geister war die Herstellung der Kirche
in ihrer alten Reinheit, die Abstellung der Miß-
bräuche in derselben. Die hessischen Fürsten
suchten nach Kräften die Schäden zu heilen, wir
lesen, daß sie in den Klöstern vielfach reformirten.
Damals herrschten drei Landgrafen, alle Wilhelm
genannt, im Lande; die Brüder Wilhelm der
Aeltere und Wilhelm der Mittlere regierten in
dem zwischen ihnen getheilten Niederfürstenthum,
dem jetzigen Niederhesscn, ihr Vetter Wilhelm
der Jüngere saß in Marburg, hatte das Ober-
fürstenthum nebst der 1479 heimgefallenen Ober-
und Niedergrafschast Katzenelnbogen unter sich
und war s-inen Bettern von der älteren Linie
an Besitz weit überlegen. Wilhelm I. zu Kassel
war mit 17 Jahren zur selbständigen Regierung
gelangt und bewies von Anfang an milden Ge-
müthes das ernste Streben, die in den Zuständen
seines Volkes noch vorhandenen Härten zu lin-
dern. Von Person wird er schön, schlank, eben-
mäßig gebaut, gewandt in ritterlichen Uebungen
geschildert. Allein der Hang zu geheimen Wissen-
schaften, jenem Zeitalter eigen und noch lange
hin herrschend, zog Wilhelm wohl mehr, als
einem Landesherrn dienlich war, vom Leben ab,
seine Einbildungskraft entführte sein Sinnen und
Trachten den Nächstliegenden Pflichten. Gewiß
war frommer Glaube eine starke Triebfeder zu
seinem Entschlüsse nach dem gelobten Lande zu
pilgern, aber in wie weit auch der Wunsch,
Neues kennen zu lernen, mitwirkte, ist nicht zu
ermessen. Der Landgraf hatte sich im Jahre
1488 zu Münden mit Anna, Tochter Herzog
Heinrichs von Brauuschweig - Wolfcnbüttel. ver-
mält. Dennoch reifte bald darauf sein Plan.
Die Mutter, Mechtildis von Würtemberg,
Schwester Eberhard's im Barte, die Räthe, alle
ihm Nahestehenden, die Bürger Kassels und wer
sich nur aussprechen konnte, suchten dem Fürsten
seine Absicht auszureden. Die junge Gemahlin
wird nicht die Letzte mit ihren Vorstellungen
gewesen sein. Die großen Mühsale der Reise,
ihre ernsten Gefahren, die voraussichtlich lange
Abwesenheit von seinem Lande, auch die für
Letzteres schwer aufzubringenden sehr großen
Kosten wurden eindringlich geltend gemacht.
Der mehr träumerische als thatkräftige Sinn
Wilhelms war nicht von dem Vorhaben ab-
zubringen. Die Vorbereitungen wurden ge-
troffen, die Begleiter ausgewählt und am Sonn-
tage nach Ostern, den 10. April 1491, zog die
kleine Pilgerkarawane zum Zwerenthore Kassels
hinaus, welches noch heute als Durchgang des
Thurmes am Museum erhalten ist. Seit einiger
Zeit bereits hatten die Pilger den Bart wachsen
lassen, in duukelemunscheinbaremPilgergewandemit
Muschelhut und Stab, auf die Brust das rothe
Kreuz, Zeichen ihres Vorhabens, geheftet, zogen
sie dahin, umgeben von einer großen Volksmenge,
Hoch und Niedrig. Das Tagebuch, welches einer
der Begleiter Wilhelms über die Reise führte,
ist erhalten und wird für das Folgende zu Grunde
gelegt. Sein Verfasser ist Dietrich von Schach-
ten, welcher sich im Jahre 1487 als Amtmann
zu Trendelburg und Schonenberg bei Hofgeis-
mar findet und nach seiner Rückkehr Amtmann
zu Grebenstein wurde. Seine Familie blüht
171
noch heute auf ihrem alten, damals schon lange
innegehabten Sitze. Die Beschreibung Schachtens,
im Namen des allmächtigen Gottes begonnen,
zeugt von offenem Sinne, guter Beobachtungs-
gabe, bei herzlichem Glauben an die Lehren der
Kirche, wie an ihre Mysterien. Bei ihrer Aus-
führlichkeit und Vielseitigkeit ist sie zu dem besten
über das Pilgerwesen des Mittelalters Erhaltenen
zu rechnen und muß in erster Stelle berücksich-
tigt werden, wenn man dieses beurtheilen will.
Ein Bild des patriarchalischen Verhältnisses
zwischen einem guten Fürsten seiner Zeit und
seinem Volke geben uns die Worte, in denen der
Abschied Wilhelms beschrieben wird. Die Räthe,
Hofgesinde und Diener des Fürsten, so mit
Namen alle zu schreiben zu viel wären, ritten
mit und gaben das Geleite. „Darnach als S.
G. war iit Meinunge zu scheiden, gesegnett die-
selbe einen Jeden» ihnn sonderheitt mit fröh-
lichem munde, das mich doch wunder nahm, die-
weil Ich Ihrer viel under I. G. Räthenn sahe
weinen», auch war der Rath von» Cassell mitt
der gantzenn Gemeine, Mann undt Frawen, her-
auß vor das thor gangen undt schancktenn S.
G. undt deroselbenn Dienernn Sanct Johannis
segenn undt sangen» das liebt „Ihnn Gottes
Naiyenn fahren wir", das. mancher wie dann
an ihm selbstenn biellich wahr, gar betruebtt undt
leidig war." Nun trennte sich der Fürst von
den Seinen, der Ritt des ersten Tages brachte
die Reisenden bis Borken, wo sie der Amtmann
des oberhessischen Landgrafen, Philipp von Wil-
dungen, wohl empfing und bewirthete. Außer
Schachten selbst waren Hermann von Wertten-
schlehen (Wartensleben) Cerstenn von Hanstein,
dann ein Koch und einige geringere Diener zur
Begleitung auf der Pilgerschaft erwählt, einige
Hofbeamte mit Personal gingen bis Venedig mit,
wegen der unterwegs zu treffenden Anordnungen
und für die Pferde der Herren. Am zweiten
Tage erreichte Wilhelm Marburg, wo er einige
Tage bei seinem Vetter weilte. Auch dieser be-
mühte sich, dem angehenden Pilgrim sei» Vor-
haben auszureden. Am vierten Tage seines
Aufenthaltes geleitete Wilhelm der Jüngere den
Verwandten mit großem Gefolge zwei Meilen
weit, bis dieser ihn bat, heimzukehren. Beide
Herren gesegneten einander mit traurigem Herzen
„dann sie sich, wie ich nichtt anders merckenn
kundte, gantz lieb haben." In Butzbach über-
nachtete Wilhelm I. noch einmal auf des Vetters
Gebiete, wobei Schachten in der Sorge für
seinen Herrn anmerkt „die Küche war wohlbe-
stalt," eine Bemerkung, die er überhaupt nicht
unterläßt, wo sie am Platze war. Frankfurt,
Bensheim, Heidelberg, Maulbrunn waren die
folgenden Etappen, letztere drei dem Pfalzgrafen
gehörig; überall wurde der von Räthen und
Rittern geleitete Landgraf mit Wildbrät und
Fischen in den Herbergen versehen, vorab zu
Maulbrunn „köstlichenn endtfangen." Zu „Stuck-
gardt" waren weder Wilhelms Oheim Eberhard
noch dessen Gemahlin anwesend, doch verweilte
er daselbst drei Tage „von haushoffmeisternn
ehrlichenn endtpfangen." Das schöne feste Schloß
Urach beherbergte Wilhelm, dann rastete er zu
Ulm zwei Nächte, wo der Rath ihm „ */, Fuder
Weins und 1 Fuder Haffers verehrett." Auch
in Augsburg blieb der Fürst zwei Nächte, vom
Rathe mit „viel Wein undt Fischen»" beschenkt.
Ueber Leeder, Ammergau, Mittenwald erreichte
Wilhelm Innsbruck. Bis Leeder betrugen die
täglich zurückgelegten Entfernungen meist etwa
sechs Meilen, von da au kam man im Gebirge
nicht so weit vorwärts. Erzherzog Sigismund
von Tyrol, der einen glänzenden Hof hielt, be-
wog den Landgrafen zu einem achttägigen Aufent-
halte, schenkte ihm auch eine schöne seidene Schaube
(Oberkleid der Männer). Wie das Ritterthum
und alle Verhältnisse im löten Jahrhundert im
Uebergange zu einer anderen Zeit begriffen waren,
so zeigt auch die Kleidung eine Umwälzung.
Die schöne wohlanständige Tracht der mittelalter-
lichen Stände war zum Zerrbilde und zwar mit
dem Bewußtsein der eigenen Narrheit, verwandelt.
Beide Geschlechter hatten die Gewänder in's
Uebermaß verengt, Stutzer vermochten nur mit
Hilfe von Dienern in ihre Beinkleider zu steigen;
der Rock war oben und unten so verkürzt, daß
nur noch eine Jacke übrig blieb, welche Hals,
Brust und Schultern frei ließ, sodaß die Männer
wirklich decolletirt gingen. Und zwar unterwarfen
sich die Höchsten, wie die durch Alter und Stell-
ung Ehrwürdigsten dem unsinnigen Modezwang,
voran der ritterliche Max, des Reiches Ober-
haupt. Diese luftige Gewandung außer dem
Hause zu einer Kleidung zu machen, diente die
Schaube. Das Zusammenschrumpfen der Kleider
führte zur Unterstützung durch den Schnürleib;
der ältere Bruder Wilhelms von Oberheffen,
Ludwig, büste die Eitelkeit zu starken Schnüren-
mit dem Tode im 18ten Jahre. Selbst die
Rüstungen dieser Periode zeigen den Einfluß der
Mode, indem man bei den Brustpanzern auf-
fällig geringe Taillenmaße bemerkt. Durch Tyrol
ging Wilhelms Zug über Trient, wo man das
„von denen» schenndlichen Juden gemarterte ohn-
schuldige Kindlein," gewiß nur eine böswillige
Anschuldigung dieses verfolgten und gehaßten
Volkes, in Augenschein nahm, zur venetianischen
172
Grenze. Schachten begab sich nach Venedig vor-
aus, einen Geleitsbrief zu erwirken, der Land-
graf lag bis zu dessen Rückkehr still. Zu Tre-
viso ließ er die Pferde stehen, Carl von Krumbs-
dorff, Bastian der Harnischmeister und Eberhard
der fürstliche Marschalk hatten mit selbigen nach
Hessen zurückzureiten. In der Regel verkauften
die Pilger ihre Pferde zu Treviso, (Torins) aus
yaheliegenden Gründen. Venedig wurde zu
schiffe erreicht, am 22. Mai. Hier erwartete
Philipp, Graf von Hanau-Lichtenberg, mit einer
großen Anzahl Pilger aus verschiedenen Landen
den hessischen Fürsten, um unter seiner Aegide
sich dem Meere anzuvertrauen. Wilhelm und
alle übrigen Pilger schlossen mit einem Schiffs-
patrone, welches nur ein venetianischer Edelmann
sein durfte, einen Vertrag ab. Demgemäß hatte
er sie von Venedig bis Jaffa zu transportiren,
auf dem Schiffe zu verköstigen und gleicherweise
wieder zurückzuführen, wofür ein Jeder 44
Ducaten oder 60 römische Gulden zu erlegen
hatte. Ausbedungen war, daß an Orten, wo
ein Aufenthalt gewacht wurde, dieser nicht über
2—3 Tage dauern dürfe und daß das Schiff
am 3. Juni absegeln solle. Diese Vertrüge mit
eingehenden genauen Bestimmungen wurden von
der Regierung überwacht und von ihren Proto-
notaren ratificirt. Wie häufig dennoch die Patrone
ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, lehrt auch
unsere Reise; Schachten klagt, daß der Patron
sie gleich Anfangs 14 Tage länger hingehalten
auch an den Orten 4—5 Tage geblieben sei,
„wilchcs denen Bielgeren eine sehr große be-
schwärung ist, dann so sie am landte siendt,
muessenn sie kosten« und zehrunge für ihr geltt
thuen«, deß gleichen« viel andere stücke, so Er
verschriebenn hatt, nicht eines gehalten«." Geld
nahmen die Pilger nur wenig mit, dagegen
Wechselbriefe auf Alexandria, Aleppo u. a. O.
Landgraf Wilhelm nützte den Aufenthalt in
der glänzenden Stadt, welche damals alle übrigen
europäischen Hauptstädte, außer Rom, an Größe
und Reichthum weit übertraf, auf das Beste.
Der Reisebericht gibt in seiner treuherzigen Weise
offen Zeugniß. Staunen und Bewunderung
weckten der Schatz und die Kleinodien, welche die
Regierung allen Pilgern zur Ansicht gestattete.
Die Frohnleichnamsprocession ging in einer Pracht
und Ausdehnung vor sich, wie die Fremden sie
nie gesehen. Der Landgraf wurde zu derselben
eingeladen und ihm „große Ehre angethan."
Manche Merkwürdigkeiten werden beschrieben, da-
runter die Einrichtungen für die Vollstreckung
der Todesurtheile. Auf einem Platze am Meere
stehen „zwei hübsche hohe Säulen, zwischen denen
justitia exequiret wird, als Henckenn, kopfab-
schlagen, brennen, viertheilen, wie das einer ver-
schuldet." Im Dogenpalaste befinden sich zwei
rothe Marmorsäulen, zwischen denen Edelleute
gehängt werden „so sie es verdienen." Und
zwischen dem Dogenpalaste und der Kirche von
St. Marco, stehen zwei weiße Marmorsäulen,
„solches ist der Herzogen galgen, so deroselben
einer wieder seinen standt und der Venediger
thut, als dann einen oder zweien vor Zeitten
geschehen ist." Wohl einzig in der Welt dürfte
diese finstere Warnung an das Staatsoberhaupt
dagestanden haben, Nichts kann eindringlicher
von dem merkwürdigen Staatswesen reden,
welches durch Mißtrauen und Furcht sich hielt.
Der Reichthum der Bewohner Venedigs in Klei-
dung und Schmuck werden bewundernd erwähnt,
von der Tracht heißt es „Frawenn gehen« ihnn
köstlichenn Sammelt undt seidenenn Röcken« mit
Ihrem köstlichen gülden« Brust undt Ermelnn
gestickett undt belegett mit Perlen undt anderen
Evelgestein; auch auf dem köpf fein geschmückett,
seltten findt man Eine, die ihr haar natürlichen«
schönen und lang habe, sie tragen als gemachtte
undt dodten haare, das machen« sie schön gelb
undt krauß undt bindten es aufs dein kopff zu
Hauff, wie man in Deutschen landten einem
pferdte denn Schwantze aüffbiendet und das
krause haar lasten über die ohrenn abhangenn
wie die Männer anzusehen». Vorne sind die
haar schöne, hindten zu kohlschwarz. Auch mag
ich sagen, daß Ich zwar an Weibern keine
schenndlichere kleidunge gesehen habe undt aus-
geschnietten, das man hinten» bis anst halben
Rückenn hinab, deß gleichen forne bis unter die
Brust sehen kann. Tragen dann Holzern schuhe,
die findt hoch, erliche einer, etliche zweier spannen
hoch, daß sie nicht drauf gehen können, findt mit
sammt oder schachlachen Duch überzogen. Hatt
jede ihr magtt daran sie sich haltten, wäre
sonstenn nicht möglichen«, daß sie darauff gehen
könnten undt welcher die höchsten haben' mag, die
dünket sich am bestenn . . . Auch ist ihr Artt,
daß sie sich anstreicheun undt ihre Angesichte
mahlen, doch findt sie viel lieblichere davon ich
nicht ferner sagen» will." Diese Kritik der
Veuetianerinnen legt den Rückschluß nahe, daß
die Deutschen Frauen jener Zeit sich vortheilhaft
dagegen abhoben.
(Fortsetzung folgt).
— m
Dr. GotMell Kellner mb Heinrich Heise.
Geschildert von A. Trabers.
(Fortsetzung.)
•äf^chon früh in 1848 ließ Heise ein kleines
•♦ft' Blatt erscheinen und ich glaube, er nannte
Ay es schon damals die „Hornisse". Als
'w' sich dann Gottlieb Kellner mit ihm. wie
das für Beide so nahe lag, vereinigte, wurde
ein regelmäßig erscheinendes Blatt daraus ge-
macht, daS sich allmälig zu einer täglich er-
scheinenden Zeitung erweiterte. Damit kamen
diese beiden Bolkstribunen an die Spitze der de-
mokratischen Bewegung nicht blos Kassels sondern
ganz Kurhessen-, bis auch für sie da- Verhäng-
niß ka«, das sie wegfegte.
Zunächst aber gab es schwere Stürme. Sie
wurden eingeleitet durch den Sturz der März-
minister, denen das Ministerium Hassenpflug
folgte. Dann jene unselige Steuerverweigerung,
herbeigeführt durch die Liberalen, die im Land-
tage zur Minderheit geworden waren, in der
Stenerverweigerungsfrage aber über die demo-
kratische Mehrheit siegten, indem Gottlieb Kellner
und acht andere Demokraten das Vorgehen der
Liberalen unterstützten. Der größte und ver-
hängnißvollste Fehler, der je im kurhessischen
Landtage gemacht wurde! Wir aber, die Thoren
im Lande, erkannten das so wenig, wie Kellner
selbst, und jubelten. Die unmittelbare Folge
aber waren die bekannten Septemberordonnanzen,
in denen die Forterhebung der Steuern einseitig
verfügt wurde, das permanente Kriegsgericht und
die Bundesexecution.
Der Kampf gegen die Septemberordonnanzen
wurde ein allgemeiner, Niemand aber war mit
solcher Erbitterung, ja man darf sagen: mit solch
rücksichtsloser Waghalsigkeit und Wildheit in den-
selben hineingesprungen, wie die beiden Redac-
teure der Hornisse, die noch fortkämpften, als die
Execution schon gegen Kassel heranrückte.
Und nun, lieber Leser, gestatte mir. Dir ein
anderes Bild zu zeigen. Ich lade Dich ein zu
einem kleinen Abstecher nach Westphalen in's
Kloster Wormeln bei Marburg.
Ein recht düsterer Abend breitet seine Flügel
über das Land; da pochen zwei eilige Wanderer
an der Klosterpforte. Aber nicht Mönche waren's,
die Einlaß verlangen. Drinnen wurden auch
nicht mehr die horae gebetet oder Psalmen ge-
sungen. Anstatt der Nonnen, die einst im Kloster
als Bräute des Himmels gewohnt, hauste darin
jetzt der würdige- Herr Blomeyer als Besitzer
des Klosterguts und durch die langen Kreuz-
gänge eilte geschäftig Fräulein Bertha, des wük-
digen Herrn schöne Tochter. Wenigstens denke
ich mir so, daß sie sehr schön war. Ich habe
sie zwar nie gesehen, aber in meinen Gedanken
leihe ich ihr Gestalt und Aussehen ihrer mir
wohlbekannten Vatersbruderstvchter und wage
es darum, sie zu beschreiben. Sie war groß,
blond, blauäugig. Ein herrliches Modell für
einen Maler, der auf die Leinwand eine bräut-
liche Thusnelde zu zaubern gedächte.
Die späten Gäste waren die aus Kassel ge-
flüchteten Demokratenführer Kellner und Heise.
Hier bei Blomeher wurden sie gut aufgenommen
und Niemand ahnte ihr Versteck.
Nur Eine fürchtete trotzdem: Heise's Braut
nämlich, eine Kasselanerin, die in ihn drängte,
weiter zu flüchten. Nach einigen im Kloster
Wormeln zugebrachten Wochen gehorchte Heise,
setzte seinen Fuß weiter und entkam nach England.
Kellner blieb noch. Für ihn war die weitere
Flucht schwerer, denn er hatte ein junges Weib
in Kassel und sein Kind. Zwei Stunden ent-
fernt von Wormeln, liegt das kurhessische Städt-
chen Volkmarsen. Dorthin kam von Zeit zu
Zeit, allen, die sie sahen, eine vollständig Un-
bekannte, Kellner's Frau. Der Gatte derselben
schlüpfte dann in dunkler Nacht, aus der Pforte
des Klvstergartens und kehrte, ehe der Tag kam,
durch dieselbe Pforte in sein Versteck zurück.
Allmälig aber erregten die Fahrten der Fran
Dr. Kellner doch, wie daS in dem kleinen Städt-
chen begreiflich war, erst Aufsehen, dann Ver-
dacht, der auch hinüber nach Preußen drang,
und eS wurde heimlich nachgeforscht. Bei dem
Gärtner, der das Pförtchen des Klostergartens
zu schließen hatte, wurden Versuche gemacht, ihn
zum Reden zu bringen und gegen gute Bezah-
lung ward er mittheilsam. Ein Gensdarm ver-
kleidete sich dann als Bettler, um im Kloster
selbst zu spioniren. Kein Anderer als Kellner
selbst war es, der dem Bettler im Klosterhvfe
ein Almosen reichte. Ob der Spion bei dieser
Gelegenheit wohl auch das rothe Mal gesehen,
das an der Einen Hand Kellners, auf der inneren
Fläche derselben bemerkbar war? Möglich ist
das schon. Genug, der Bettler ging mit der
Ueberzeugung, daß er den entdeckt habe, den er
suche. Schon am folgenden Tage erschien Land-
rath von Spiegel mit einer Abtheilung diesmal
nicht verkleideter Gensdarmen vor dem Kloster,
um den darin Versteckten auszuheben.
Fräulein Bertha aber gewann noch Zeit, diesen
zu verständigen, der sich beeilte, auf den Kirchen-
boden zu entkommen. Dort war für alle Fälle
ein geheimer Schlupfwinkel hinter der Dachver-
kleidung angebracht und sogar vorsorglich mit
Lebensmitteln versehen. Der Schlupfwinkel war
eng und unbequem, aber sicher.
Als Fräulein Bertha den Gesuchten geborgen
wußte, raffte sie geschwind noch einige Bücher
fort, die Kellner in dem Zimmer der Aebtissin,
das er zu bewohnen pflegte, auf dem Tische zu-
rückgelassen hatte, und beeilte sich, die unge-
betenen Gäste zu begrüßen.
Sie selbst mußte dann die Führerin zur
Durchsuchung aller Räumlichkeiten des weit-
läufigen Klostergebäudes abgeben. Auf der Zelle
der Aebtissin fand man eine verdächtige Kiste
vor und in dieser noch verdächtigere Bücher, die
Fräulein Bertha nicht hatte beseitigen können
und jetzt für ihr persönliches Eigenthum erklärte.
Als der Landrath zweifelte, bot sie ihm die
Bücher zum Geschenk an, um dadurch ihr Ver-
fügungsrecht nachzuweisen; die Häscher aber
suchten sorgsam weiter.
Jetzt mußte Fräulein Bertha mit ihnen auf
den Kirchenboden klettern. Ein paar Minuten
später steht sie mit den Häschern unmittelbar
vor dem Schlupfwinkel Kellner's und ihr Herz
schlägt hörbar, denn dort, dort, durch die schmale
Spalte, nach der jetzt alle Blicke der Gensdarmen
gerichtet sind, sieht sie Eines von den dunklen
Augen Kellner's blitzen.
Die Gensdarmen sind mit Blindheit geschlagen
und wenden sich zur Umkehr. „Gerettet!" jubelt
in ihrem Innern Fräulein Blomeyer.
Die Häscher begaben sich mit ihrer Begleiterin
hinab in die Kirche und durchsuchen auch diese.
Da begeht Kellner die Thorheit, seinen unbe-
haglichen Schlupfwinkel, ehe er ein erlösendes
Zeichen bekommen hatte, zu verlassen. In der
Meinung, daß die Häscher, die bei ihrem gar
zu gründlichen Suchen ungewöhnlich viel Zeit
brauchten, ihre Arbeit längst beendet haben
lU —
müßten und schon wieder abgezogen seien, durch-
schreitet er den langen Klostergang. Noch ein-
mal ist ihm das Glück günstig. Er stößt näm-
lich in dem langen Klostergang auf zwei Gens-
darmen, diese aber verwechseln ihn mit einem
Blomeyerischen Oekonomiebeamten und lassen ihn
ungehindert passtren. Ihre Nähe aber hat ihn
ängstlich gemacht und als er den Klostergarten
erreicht hat, der sich im Innern des Klosters
befindet, fängt er zu laufen an. Diese Eile
wird bemerkt und macht ihn verdächtig und in
dem Augenblicke, da er über die Gartenmauer
klettern will, wird er verhaftet und dann nach
Marburg in preußisches Gefängniß gebracht.
Letzteres liegt auf der äußersten Spitze des
die Stadt überragenden Felsens und von dort
zu entkommen, war schwer. Dennoch sollte,
während zwischen Preußen und Kurhessen über
Kellner's Auslieferung verhandelt wird, der Ver-
such gemacht werden.
Frauenlist geht über Alles. Fräulein Bertha
brachte es fertig, Feilen und eine Strickleiter in
Kellner's Gefängniß zu schaffen. Für das, was
sonst noch nothwendig war, sorgte von Kassel
aus die Partei. Den bis in die kleinsten Einzel-
heiten ausgearbeiteten Plan der Flucht erhielt
der Verhaftete durch die schon erwähnte Cousine
Bertha's, die jetzige Frau E. Walther in Hanau.
Diese hatte sich als „Verwandte des Dr. Kellner"
die Erlaubniß erwirkt, ihm in sein Gefängniß
eine Flasche Wein bringen zu dürfen und steckte
ihm unbemerkt ihr heimliches Schriftstück zu.
Acht Tage lang waren Relais bis über die
Grenze gelegt. Aber Kellner muß doch auf un-
vorhergesehene Schwierigketten gestoßen sei»,
Oder hatte ihn die Haft schon zaghaft gemacht?
Zum Versuche, den Plan der Flucht aus dem
Gefängnisse zu Marburg durchzuführen, kam es
nicht und als endlich die Auslieferuugsverhand-
lungen, die wahrscheinlich auch mit dem Fürsten-
thum Waldeck hatten geführt werden müssen,
ihren Abschluß gefunden, brachten preußische
Gensdarmen den Gefangenen bis an die Grenze.
Dort stand eine hessische Militärescorte, die ihn
in Empfang nahm und in einer Extrapostkutsche
durch sürstlich-waldeckisches Gebiet, über Arolsen,
an die hessische Grenze und bis Kassel brachte.
(Schluß folgt.)
175
Der lange Henne«.
Eine Geschichte ans dem vorigem Jahrhundert von Franz Treffer.
(Fortsetzung statt Schluß.)
ereinzelte Reiter, englische Dragoner, jagten
in rasender Eile in einiger Entfernung
vorbei.
„Die Rothröcke laufen ja" bemerkte der Prinz
gleichmüthig.
„Haben's verdammt eilig!" brummte der alte
Oberst,
„Bringt doch ein Paar von den Kerls her,
damit man erführt was vorging!" ließ Prinz
Friedrich sich vernehmen, und auf diesen Befehl
wurden rasch zwei der flüchtenden englischen
Soldaten vor ihn geführt.
Mit ironischem Lächeln redete der Prinz die
athemlosen erschöpften Leute an:
„Why do you run so?“
„The Highlanders! The Highlanders!“
stammmelte der eine, auf dessen Zügen Entsetzen
lagerte.
In diesem Augenblick nahte auch schon in
wildem Ritt ein hessischer Offizier, der auf den
Prinzen zujagte, sein schnaubendes Roß parirte
und salutirte.
„Was giebts Lieutenant von Schenk?"
„Der Feind, Fürstliche Gnaden."
„Kurz! Wo? Wie? Wann?"
„Mit Tagesanbruch überfielen die Hochländer,
die zum Theil über die Felsen herabgeklettert
sein müssen, die englischen Kompagnien. Diese,
vollständig überrascht, wehrten sich tapfer, sind
aber bis auf Wenige vernichtet. Die Schwerter
der Schotten haben sie im vollen Sinne des
Wortes in Stücke gehauen,"
„Oberst Howard?"
„Fiel im Getümmel, fürstliche Gnaden."
„Wie stark schätzt Ihr die Hochländer?"
„So weit ich im Morgenlichte beurtheilen
konnte, auf fünf- bis sechshundert, doch scheinen
aus dem Passe noch weitere Schaaren hervor
zu dringen."
„Werden sie uns angreifen?"
„Sie sind bereits auf dem Wege hierher."
Ein Adjutant sprengte heran und meldete dem
Prinzen das Herannahen des Feindes.
„So rüsten wir uns Wuttginau," sagte lächelnd
der Prinz zu dem alten Obersten, „wir müssen
den Herrn Schotten einen artigen Empfang be-
reiten."
Er sah sich um, erblickte seine Bataillone in
schöner schlachtbereiter Ordnung, nickte dem Alten
freundlich zu und ritt den nahen Hügel hinan, um
Umblick zu gewinnen.
Der Wind hatte mit dem Nebel so gut auf-
geräumt. daß der Blick zu den Bergen frei war.
In zwei langausgedehnten Gliedern nahten
sich die Hochländer. Die hessischen Feldwachen
und vorgeschobenen Piquets zogen sich langsam,
hier und da einen Schuß abgebend, auf die
Stellung zurück.
Nach kurzer Berathung mit dem alten kriegs-
erfahrenen Wuttginau beorderte der Prinz die
Musketire vom Regiment Maximilian vor, welche
sich alsbald in geschlossener, lang ausgedehnter
Ordnung vorwärts bewegten um den Feind zu
empfangen. Flügel und Rücken deckten die Kom-
pagnien von Mansbach und die Grenadier-
kompagnien aller Bataillone.
In unregelmäßiger Linie aber flinken Schrittes
rückten die Schotten heran. Ihre Pfeifer ließen
den wilden Pibroch, das Schlachtlied hören, über
den Reihen flatterten die bunten Banner im
frischen Morgenwinde, und ihre Häuptlinge
schritten vorher, die breiten Schlachtschwerter in
der Hand.
Einen wilden kriegerischen Anblick boten die
Söhne des Hochlandes, als sie im flatternden
Plaid, theils mit Flinten und Pistolen, theils
nach der Väter Weise nur mit Schwert und
Schild bewaffnet, unter den gellenden Tönen
des Dudelsacks furchtlos heran rückten.
Fest standen die schweigenden hessischen Linien,
wie aus Erz gehauen, Gewehr im Arm, die
alten Fahnen, welche in mancher heißen Schlacht
über den Häuptern der Söhne des Chattenlandes
geweht, entfaltet. Nach ihrem Gebrauch erwarteten
sie schweigend das Feuer des Feindes, um es
dann um so wirkungsvoller zurückzugeben. Er-
wartungsvolle Stille herrschte — das Schweigen
vor dem Sturm.
„Bihn großen Christoffel, se honn nackichde
Beine," brummte mit einem Male eine gedämpfte
Baßstimme inmitten der Grenadiere.
Unterdrücktes Lachen lief durch die Reihen,
so weit die Aeußerung vernommen wurde, auch
der Prinz, der hinter den Reihen hielt, lachte
mit.
„Werdet Jhr's denn mit den Burschen dort
aufnehmen, Kerls?" fragte der Prinz, dem der
bevorstehende Kampf die gute Laune stärkte.
176
„Kie sunn schun laufen lernen" brummte der
Kasselaner.
„Ich denke au!" setzte ein anderer hinzu.
„Me spießen se uff wie Lattichvögel."
Die Grenadiere grinsten vor Vergnügen bei
diesen drastischen Äußerungen, welche die Witz-
bolde der Kompagnien hören ließen.
„Na, Ruhe im Glied, Kerls!" rief der Prinz.
Näher rückten die Schotten und aller Blicke
hingen gespannt an ihren Reihen, die alsbald
mit den Musketieren zusammentreffen mußten.
Piff! Paff! Piff! Paff!
Die ganze Reihe der Hochländer entlang ent-
luden sich in unregelmäßigem Feuern die Flinten
und Pistolen. Hier und da stürzte ein Musketier,
rechts und links tönte der Schmerzensschrei der
Verwundeten oder zum Tode Getroffenen.
Hell klang jetzt der scharfe Kommandornf des
Majors, der die Musketiere führte, herüber:
„Das ganze Bataillon macht Euch fertig!"
„Schlagt an!"
„Gebt Feuer!"
Krach! Krach! hüllte sich die Linie der Musketiere
in Feuer und Dampf.
Regelmäßig wie auf dem Exerzierplatz rollte
unter dem Schlagen der Tambours die Salve dahin.
Die Reihen der Schotten zeigten Lücken, als
der Pulvcrdampf von frischem Wind hinweg-
geführt war.
„Claymore! Claymore!*) klang jetzt der gellende
Ruf aus ihren Reihen. Die bunten Plaids flogen
in die Luft, die Flinten wurden weggeworfen,
und die breiten glänzenden Schwerter in der Faust,
stürzten sich die Söhne der Berge wie eine
Heerde Wölfe auf die Hessen.
„Feuer!" und krachend entluden sich dieMus-
keten des zweiten Gliedes.
„Fällt das Gewehr! Marsch!" die Tambours
schlugen nun „den Hessenmarsch trom trom"
„Schürn!" da prallten auch schon die Hochländer
ans die vordringende Reihe der Musketiere
Die Zuschauer des wilden Zusammentreffens
bebten in Aufregung, nur der alte Wuttginau
saß wie aus Erz gehauen auf seinem Rosse,
Mann und Pferd regten nicht eine Muskel, nur
die scharfen grauen Augen lebten in dem Ange-
sicht des erprobten Kriegers, das Schlachtfei-
überschauend.
Der Prinz rückte unruhig auf seinem Pferde
hin und her, die Augen blitzten, und die Hand
griff wiederholt nach dem Degen, er schien nicht
übel Lust zu haben in die Gefechtslinie zu
sprengen.
*) Claymore, das Schwert der Schotten. Hier soviel als: Zu
den Schwertern!
Hart unter wildem Rufen, prallten jetzt die
Schotten auf die tarnbour battant vorrückenden
Musketiere.
Claymore! King Charles! klang eS gellend
und dazwischen ununterbrochen die wilden Weisen
der hochländischen Pfeiffer, welche sich mit im
Getümmel bewegten. Die Muskete mit dem
spitzen Bayonnet, von starken und geübten
Händen geführt, suchte den Anprall zu brechen,
aber wenig that sie Wirkung, denn geschickt
fingen die Hochländer die Stöße mit den Schil-
den auf. Die hessischen Männer, welche hier
im Kampfe standen, hatten mehr als einmal mit
tapferen und geübten Feinden, Brust an Brust
gerungen, nie gegen einen, der wie dieser Gegner
die Wildheit des Tigers mit seiner Gewandtheit
verband.
Ein riesenhafter Hochländerhäuptling, dem
das lange graue Haar wild um das Haupt
skalierte. brach in jähem Ansturm die Linie der
Musketiere, rechts und links mit dem breiten
Schwerte ensetzliche Wunden austheilend. Ihm
folgten Andere. Es war ein schreckenvoller An-
blick, als so die Ordnung der tapferen Bursche
gesprengt wurde.
„Rechts und links aufschließen!" donnerte der
Major.
„Aufschließen !" wiederholten die Offiziere, die
Spontons schwingend und unerschüttert, stramm,
bogen die Musketiere, fest, Schulter an Schulter,
über Verwundete und Todte hinweg die Lücken
schließend rechts und links rückwärts und boten
den Clansmännern trotzig die Stirn. Der
Claymore sauste durch die Luft, gleich blitzenden
Schlangen fuhren die Bayonnets vor, und am
Boden wälzten sich verwundete Schotten und
Hessen.
Aus denReihen der rückwärts stehendenGrenadiere
gellte ein wilder Aufschrei, und HenneS dessen
funkelndes Auge den Kampf verfolgt und den
Barthel, der da vorn im Treffen stand nicht
einen Augenblick verlassen hatte, sprang plötzlich
die Muskete schwingend auf daS Kampfgetümmel
zu: er hatte den Bruder fallen sehen.
Es geschah so rasch und jäh, daß ihm nicht
einmal ein Zuruf der Offiziere folgte.
Die Blicke Aller hingen an dem Grenadier,
der in langen Sprüngen über das Feld eilte.
Gerade auf die Lücke stürzte er zu, welche der
Schottenhäuptling gebrochen, wo das Handge-
menge am wildesten war.
Sein gellender Schlachtruf übertönte daS
Kampfgeschrei, und donnernd wiederholten ihn die
Grenadiere.
177
„Jetzd, druff Hennes!" brummte Jmhof,
der Kasselaner, ingrimmig.
Die Schotten stutzten bei dem weithin hallen-
den „Schurri!"*) der Grenadiere, und dem selt-
samen Anblick als ein einzelner Krieger, dessen
riesenhafte Gestalt' durch die Bärenmütze noch
schreckenerregender wurde, gleich dem rasenden
Ajas auf sie losstürzte. Ein junger Hochländer
rannte aus ihn zu, des Heunes Muskete flog
an die Wange, krach, und hochaufspringend stürzte
der auf's Antlitz.
Der Schottenhäuptling, der als Erster die
Reihen der Musketiere brach, warf sich ihm ent-
gegen.
Ei« Sprung und ein Stoß des HenneS und
das Bayonnet fuhr dem Hochländer durch den
Leib bis zur Mündung des Gewehres. Mit so
furchtbarer Kraft schleuderte der Hennes dann
den Körper zur Seite, daß da- Bayonnet abbrach..
Schnell wie der Blitz faßte er die Waffe am
Ende des Laufes und wirbelte sie in so raschen
und tödtlichen Schwingungen um'S Haupt, daß
rechts und links die Feinde niedersanken. Von
dieser schier übermenschlichen Kraft und Wildheit,
denn der HenneS focht mit dem Zorn, wie er
nur den Germanen im Kampfe begleitet, dieser
riesenhaften Gestalt, wichen die Schotten.
„Schürn!" Nieder sank wiederum ein Hochländer
mit zertrümmertem Schädel, der Kolben brach
ab, aber das schwere Ende des Laufes that in
der Hand unseres Hennes gleiche Wirkung —
es gab Raum. Da lag der Barthel, Blut floß
von Haupt und Brust.
„Leweste, Junge?"
«Jo, Hennes!" tönte es schwach.
„Lich stille."
Ueber ihn stellte sich der Hennes und der
Gewehrlaus wirbelte von Neuem gleich einer
Weidengerte durch die Luft. Keiner wagte ihm
zu nahen.
Da klangen die Trommeln der Grenadiere
zum Angriff.
„Der Hesse kommt,
„Der Hesse kommt,
„Der Hesse kommt zum Sturme
„SLlvire deine Knochen, du Schelmfranzos.
„Ein rechter Hessengrenadier
„Der giebt dir kein quartier,
„Der haut dich in die Pfanne,
,.Zum bon plaisir,"
gellte schrill die Querpfeife dazwischen, Und
dröhnenden Schrittes rückten die ehernen Reihen
heran. Hennes aber bog sich nieder, nahm den
Barthel wie ein Kind in seine starken Arme und
*) Scharrt! war der Schlachtruf der hessischen Truppen bis in
dieses Jahrhundert hinein und wurde erst während der Freiheits-
kriege durch das „Hurrah" verdrängt.
trug ihn rasch aus dem Kampfe. Sein umher-
irrendes Auge suchte den Feldscheer. Dort fand
er den alten Wiederhold, der sein Verbandzeug,
seine Messer und Zangen sorgfältig vor sich
ausgebreitet hatte. Zu seinen Füßen legte er
den Bruder, und der Alte war auch gleich da-
bei, die Wunden des bewußtlosen Barthel zu
untersuchen- Angstvoll, nichts weiter um sich
vernehmend, harrte der Hennes auf das Wort
des erfahrenen Wundarztes.
„'S eß nix Hennes, 's wird Widder heile."
Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entrang
sich der Brust des Grenadiers und dann stürzte
er mit jubelndem Schurri! zurück zu den Seinen,
die hart mit dem Feinde rangen. Zwei Com-
pagnien Mansbach hatten versucht die Schotten
in der Flanke zn nehmen, waren aber auf ver-
zweifelten und wohlgeleiteten Widerstand gestoßen.
Die wilden gewandten Bergessöhne kämpften wie
Rasende mit Schwert und Messer, Leib an
Leib mit den Unseren. Da wo die Bärenmützen
der Grenadiere ragten eilte der Hennes hin.
Hart rangen die Hessen mit einem todes-
muthigen Feinde von so ungewohnter wilder
Kampfwxise.
Die Grenadiere hatten, mit dem Bayonnet vor-
dringend, das Gefecht im Centrum wieder her-
gestellt, waren aber selbst in das Gedränge ge-
rathen, als sie plötzlich heftig gleichzeitig in
Front und Flanke angegriffen wurden, letzteres
von einem von Westen her neu ins Treffen
eingreifenden Haufen Hochländer. Inmitten der
Grenadiere befand sich der Prinz, der den Degen
gezogen hatte und die Seinen mit hellem
„Schurri, Grenadiere!" anfeuerte.
Das war die Lage des Gefechts, als Hennes
bei seinen Kameraden eintraf.
Die Schotten hatten keine Aussicht zu siegen,
denn unter dem gelaffenen Kommando des greisen
Wuttginau, bewahrten die Truppen im wildesten
Handgemenge bewundernswerthe Ruhe und Ord-
nung — und schon rückte Donop, unter klingen-
dem Spiel, im Eilschritt heran.
Die ganze Kraft des Angriffs hatten die Hoch-
länder noch einmal gegen die Grenadiere gerichtet,
um diese zu vernichten. Heiß wogte der Kampf
zwischen dem Bayonnet und dem Claymore.
Hennes eilte in's dichteste Getümmel. In
seine Arme stürzte der zum Tode getroffene
Sergeant: „Ich honn's weck — ich wußt's,"
stöhnte dieser sterbend, „Jesus" — und Hennes
legte ihn zu Boden.
Der Fall des Sergeanten, der tapfer gekämpft
hatte, eine augenblickliche Bestürzung seiner Leute,
— ein neuer rasender Angriff der Schotten ließ
178
einige der wilden Gegner mitten zwischen die
Grenadiere dringen. Schon holte ein langer
rothaariger Bergessohn mit dem breiten Schwerte
aus, um einen Hieb nach Prinz Friedrich zu
führen, da warf der herangedrungene.Hennes
als letztes Mittel, seine Waffe konnte er im Ge-
dränge nicht brauchen, schützend den linken Arm
empor und sing den Hieb auf, der dem
Prinzen leicht das Leben kosten konnte. Nieder
sank der Arm von der furchtbaren Waffe ge-,
troffen, und im nächsten Augenblick bohrte sich
auch die Spitze des Degens des Prinzen in des
Hochländers Herz, während dessen Genossen unter
den Streichen der Grenadiere fielen.
Vom alten Wuttginau geführt:
„Mit Trommelschlaz und Hörnerklang,
„Dem Hefsenmarsch trom trom,"
griff jetzt Donop in's Gefecht ein, die neüge-
ordneten Grenadiere warfen mit unwiderstehlichem
Vorsturm alles vor sich nieder, Mansbach wieder-
holte mit besserem Erfolg den Flankenangriff,
ein kurzes wildes Ringen noch, und die Hoch-
länder, Todte und Verwundete liegen lassend,
gingen eilfertiger zurück als sie gekommen waren
und verschwanden bald in wilder Flucht in den
Bergen.
Hennes aber, mit seiner schweren Wunde im
Arm, lag vor dem alten Wiederhold, der ihn
verband, neben seinem Bruder, der ebenfalls
schwer litt.
Da lagen die beiden Hessenjungen, blutend
im fernen Schottland, nachdem sie gefochten wie
die Löwen für des Hessenlandes Ehre.
(Schluß folgt.)
£=4=S
Waldeinsamkeit.
Bieberstein, 1852.
Himmelanstrebende Bergesgipfel!
Blumendurchwirkte üppige Wiesen!
Ueber der düsteren Tannen Wipfel
Schimmernd des Schlosses Zinnen grüßen.
Halb verborgen in grüner Hülle
Schaut es hinaus in die Lande weit,
Ernst und stolz aus träumender Stille
Waldumflüsterter Einsamkeit.
Manch eine unvergeßliche Stunde
Stand ich hier oben, der Tag entwich.
Leise erzählten die Wälder im Grunde
Tausendjährige Märchen sich.
O dieser Stunden duftige Blüten,
All meiner Seele stürmisches Leid
Hast du gewandelt in seligen Frieden
Milde, versöhnende Einsamkeit.
Wenn sich die Erde im Frühlingswehen
Jubelnd befreit von des Winters Lasten,
Wieder werd' ich hier oben stehen,
Lasse mein müdes Herz dort rasten.
Bürg' es auch noch so brennende Wunden!
Bärg' es auch noch so bitteres Leid:
An deinem Busen muß es gesunden.
Mütterlich tröstende Einsamkeit.
Sorgen entschwinden in nebelnder Ferne,
Lichte Gestalten drängen heran,
Die mir geleuchtet als tröstliche Sterne
Auf der umdunkelten Lebensbahn.
Freundliche Bilder steigen hernieder,
Die mir entrissen des Schicksals Neid,
Alle die Lieben gibst Du mir wieder
Geisterumdrängete Einsamkeit!
Allen entsend' ich denn grüßende Lieder
Wandernde Bögelein tragen sie fort.
Eines, das aus dem Süden wieder
Kehrt zu dem frühlingserwachenden Nord.
Bringet auch Dir im schwellenden Liede
Einen Gruß voll Lust und Leid,
Dir du junge, du liebliche Blüthe
Aus meiner Seele Einsamkeit.
Vorstehendes, auf Schloß Bieberstein bei Fulda ent-
standenes Gedicht unseres reichbegabten hessischen Lands-
mannes Toni Morchutt ist einer Jugendfreundin ge-
widmet und uns von befreundeter Seite mitgetheilt worden.
Toni Morchutt war geboren am 6 März 1828 zu Fulda
als der Zweitälteste Sohn des damaligen Öbergerichtsan-
waltes, nachmaligen Pölizeidirektors zu Kassel, Heinrich
Morchutt (gestorben im Winter 1857/58 als Staats-
prokurator in Fulda). Da Toni Morchutt, der sich gleich-
falls der juristischen Laufbahn gewidmet hatte, der Eintritt
in den kurhessischen Staatsdienst versagt wurde, so trat er
:ht den herzoglich hessen-kobura-gothaischen Dienst und starb
am 30. Oktober 1874 zu Waltershausen bei Gotha als
Staatsanwalt. Hier in Kassel halte er seine Gymnasial-
studien gemacht, und hier zählt er noch eine große Anzahl
von Jugendfreunden, die ihm ein treues Andenken be-
wahren. Er besaß ein schönes Poetisches Talent, wie er
denn überhaupt in geistiger Beziehung eine hervorragende
Persönlichkeit war. D. R.
Dev Kinde Trost.
Frühlingsmilde Lüfte weh'n
Und die Blüthen sprossen.
Doch, vom Lenzes-Auferstehen
Traurig ausgeschossen
Bleibt, an enger, düstrer Schlucht,
Eine junge Linde;
Wetterstrahl und Sturmeswucht
Höhlt sie bis zur Rinde. —
Und ein knisternd' Stöhnen geht
Durch die kahlen Reste,
Denn — die arme Linde steht
Krank, im Frühlingsfeste.
Trauernd, daß die Sängerschaar,
Nicht im Laub ihr wohne
Neigt sie, jeden Schmuckes bar
Ihre welke Krone.
Aber — mit dem Schmerzenssaft,
Giebt die Blätterlose,
Noch dem Epheu keine Kraft,
Welches schläft im Moose;
Und — vom Frühlingskuß geweckt,
Sprießen ihm die Ranken;
Seine zarten Triebe streckt
Er, zum Stamm, zum kranken;
Tröstlich breitet er sich aus
Ueber alte Wunden,
Hat dafür im Sturmgebraus
Sich'ren Halt gefunden.
Neues Leben blüht empor
An dem Lindenbaume;
Lockt zu ihm der Böglein Chor,
Her vom Waldessäume. —
Freilich, mancher Frühlingsglanz
Wird vergehen und kommen,
Vis des Epheus dunkler Kranz
Ist empor geklommen.
Einst ledoch im Frühlingsfest,
Schlingt er seine Triebe
Wohl zum Wipfel; im Geäst
Klingt ein Lied der Liebe.
Von den Vöglein wird es hell.
Wie zum Trost gesungen,
Und der Linde Leidensquell
Ist im Lied verklungen.
Und wenn rauher Nordwind fegt
Ueber Winterhaidc,
Steht die Linde dicht umhegt
Don dem Epheukleide.
M. Frledvirhstetrr.
Aus alter «ud neuer Jett.
Ein Stückchen Kasseler Stadtchronik.
(Aus einem in den Jahren 1825—1828 geführten
Tagebuche). Am 26. September 1825 ergeht aller-
höchster Befehl, daß alle Treppen vor den Häusern
der Ober-Neustadt zu entfernen seien.
Zu derselben Zeit ergeht Befehl, die im Museum
aufgestellten Wachsfiguren der hessischen Landgrafen
einzuschmelzen und deren Kleidungsstücke an das Hof-
theater abzugeben.
Am 15. Februar 1826 wird die neue Wache am
Auethor zuerst bezogen und spielt von da an die
Musik nach der Parade dort und nicht mehr mehr
im Bellevuehof; der alte Zapfenstreich und Reveille
werden wieder eingeführt.
Im Frühjahre 1826 werden zwei Löcher in die an
der Westseite der Stadt befindliche Stadtmauer ge-
brochen, das eine hinter der Strubberg'schen Fabrik
(jetzt Haus des Kaufmann Müller am Friedrichsplatz)
das andere am Ende der Wilhelmsstraße, und vorerst
mit Thüren versehen. Am 12. August erscheint
allerhöchster Befehl zur Bildung einer neuen 200
Fuß breiten Straße, welche vom Nahl'schen (jetzt
vom Griesheim'schen Hause am Friedrichsplatz) nach
der Kölnischen Allee führen soll.
Gleichfalls im Frühjahre 1826 wird allerhöchsten Orts
angeordnet, daß an der Stelle des zwischen der katho-
lischen Kirche und der Straße an dem Museum ge-
legenen Pfarrgartens ein Hofverwaltungsgebäude
(jetzt Kriegsschule) erbaut werden soll.
Zu gleicher Zeit wird dem Stadtmagistrat befohlen,
die Thore der Stadt auf deren Kosten vollständig
restauriren, bezw. neu aufbauen zu lassen. Der Kur-
fürst besucht die Wildpretsschirne und wird gleich
darauf der Wildpretsmeister seines Dienstes entlassen,
weil sich ergeben, daß er auch Ziegen als Wildpret
verkauft hat.
Am Sonntag, den 24. September, reiste Se. Hoheit
der Kurprinz in einem mit 6 Rappen bespannten
Wagen schleunigst von Kassel nach Münden ab; sein
Adjutant, v. Buttlar, und der wachthabende Offizier
am Leipziger Thor, Lieutenant v. Marschall, kommen
in Arrest.
Im Jahre 1827 wird auf allerhöchsten Befehl auf
das sämmtliche Silberzeug der Frau Kurfürstin,
welche ebenwohl die Stadt verlassen hat, das kur-
fürstliche Wappen von dem Münz-Graveur Körner
eingravirt.
Es wird ein Zoll auf die vom Auslande ein-
gehenden Gewehre eingeführt. 27 Thaler auf eine
eingelegte und 7 Thaler auf eine gewöhnliche Flinte.
Die Arkaden am alten Schloß werden nolens volens
niedergerissen, wodurch der Buchhändler Luckhardt in
großen Schaden kommt.
Der Förster Schulz in der Ane, der Hofsänger
Berthold und der Hofmundkoch Schuchardt kommen
in Arrest, weil sie im Leibgehege einen Fuchs verfolgt
haben.
Am 2. März 1828 wird im Hoftheater „Figaros
Hochzeit" aufgeführt; der Sänger Pistor, welcher in
dem ersten Akte den Bartolo gesungen hat, schneidet
sich sm Zwischenakte in der Garderobe den Hals ab,
der Sänger Gerber übernimmt alsbald dessen Rolle.
180
Im Mai ergeht allerhöchster Befehl, wonach die
Polizei dafür zu sorgen hat, daß am Himmelfahrts-
tage und am zweite« Pfingsttage am Wilhelmshöher
Thore Wagen bereit stehen, welche für weniges Geld
Personen nach Wilhelmshöhe fahren.
Am 12. Jum wird der erste Viehmarkt auf dem
Forste abgehalten und mit Musik eröffnet.
Am 7. November stürzt sich die Gouvernante der
gräflich Reichenbach'schen Kinder aus dem 2. Stock
des Palais in den Hof und bleibt todt.
Am S. November 1828 wird bekannt gemacht,
daß vom Zeughause an eine neue Straße (die Ar-
tilleriestraßch angelegt werden soll. Die Verschöne-
rungSkomission erhält von jetzt an den Namen Ver-
größerungskomission.
Am 13. December ergeht Befehl, die Lindenbäume
auf dem Friedrichsplatz auszuroden und neue zu
pflanzen. *
* $
Etwas von ISröme. In einer, der hessischen
Geschichte gewidmeten Zeitschrift kann auch des Hiero-
nymus Bonaparte, weiland Königs von Westfalen,
gedacht werden. Ich war, so erzählte mir vor fünf-
zig Jahren der, im Jahre 1856 auf seinem Schlosse
Bodenstein auf dem Eichsfeld verstorbene, vormalige
Württembergische Minister, Graf Winzingerode im
Jahre 1815 Gesandter des Königs Friedrich von
Württemberg im Hauptquartier der Verbündeten.
Ich hatte vom König auch den Auftrag erhalten, da-
für zu sorge«, daß man seinen Schwiegersohn
Jörüme, der bekanntlich in der Schlacht bei Waterloo
ein Kommando gehabt, unangefochten nach Württem-
berg entkommen laste. Meine, selbstverständlich vor-
sichtigen Erkundigungen nach dem Aufenthalt
JärSmes hatten keinen Erfolg. Eines Morgens, es
war, wenigstens für Paris, noch recht früh» weckte
mich mein Diener, mit der Meldung, es sei ein Herr
da. welcher mich baldigst zu sprechen wünsche, und
sich nicht habe abweisen lassen, seinen Name» jedoch
nicht nennen wolle. Etwas besonderes vermuthend,
stand ich auf, kleidete mich an, und ließ den Fremden
eintreten. Es war der vormalige König von West-
falen, in der einen Hand einen ziemlich großen Kasten
tragend. Anfangs wollte er sich mir gegenüber, wie
man zu sage» pflegt, noch auf den König spielen.
Ich bemerkte ihm jedoch sehr kühl, er möge daS lasten;
das Stück habe ausgespielt, und ich würde froh sein,
wen» ich ihn, den Schwiegersohn meines Königs,
dessen Auftrag gemäß, durch die alliirte» Armeen «n-
!gefährdet nach Württemberg dirigirt hätte. Wir be-
prachen hierauf die zu ergreifenden Maßregel». Ich
besorgte die nöthigen Päffe, und Jöröme konnte noch
an demselben Tage Paris verlassen. JörSme bat
mich de« Kasten zu bewahren, er enthalte die West-
fälischen Kronjuwele». Endlich, und das ist der
Humor der Geschichte, mußte ich ihm noch einen
Kamm und ein Hemd leihen. Den Kasten habe ich
getreulich abgeliefert, Kamm und Hemd aber nie
wieder gesehen, was freilich nichts schadete, da ich
doch kernen Gebrauch mehr davon machen konnte.
Sic transit gloria mundi! v, qx.
Aus Aeirrraty und Fremde.
Kassel. Flügel-Feier. Die in der
vorigen Nummer kurz erwähnte Feier deS acht-
zigsten Geburtstages deS Professors Dr.
Flügel gestaltete sich durch die vielfachen Beweise
der Liebe und Verehrung, welche dem hochgeschätzten
Lehrer von einer überaus großen Anzahl seiner ehe-
maligen Schüler dargebracht wurden, zu einem wahr-
haft seltenen Feste. Diese Liebe und Verehrung zeigte
sich namentlich bei dem am Abend des Tages in den
Räumen des Lese-Museums veranstalteten Festessen,
bei welchem der älteste der anwesenden ehemaligen
Schüler, Geh. Regierungsrath Fritsch, den Gefühlen
aller Anwesenden m folgenden Worten Ausdruck ver-
lieh : „Wir feiern heute ein ebenso seltenes, als frohes
Fest, einen achtzigsten Geburtstag» welchen in geistiger
Frische und körperlicher Rüstigkeit zu erleben, dem
Geburtstagskind durch GötteS Gnade vergönnt ist.
Unwillkürlich richten sich da unsere Blicke in die
ferne Vergangenheit. Im Jahre 1835 geschah rS,
daß an Stelle des alten Lyceum Fridericianum hier
ein staatliches Gymnasium errichtet wurde. Tüchtige
Lehrer wurden an dasselbe berufen, darunter Dr.
Flügel, welcher damals in der Blüthe deS Lebens
stand. Bald gehörte er zu den tüchtigsten Lehrern
der Anstalt und gewann sich rasch die Liebe und Ver-
ehrung seiner Schüler durch die Art, wie er dieselben
behandelte, und durch seine anziehende Lehrwrise.
Weit entfernt vnn lässiger Handhabung der Schul-
zucht übte er solche auch keineswegs in pedantischer
Weise. Kleinigkeiten übersehend, wußte er durch
einen Blick oder ein Wort de» sich vergessende«
Schüler zu seiner Pflicht zurückzuführen. Bei dem
anregenden und fesselnden Vortrag Dr. Flügel's,
welchem die Schüler von selbst stets aufmerksam
folgten, war solches nur höchst selten nöthig.
Lange Jahre, mehrere Generationen hindurch hat
er an obengedachtem Gymnasium gewirkt, zahlreiche
Schüler kamen und gingen; keiner aber hat die
Schule verlassen und ist in' die Welt hinausgegangen,
ohne ihm Zeit seines Lebens Dankbarkeit und Liebe
zu bewahren. Davon geben die vielen Glückwünsche,
welche heute aus der Ferne hier eingelaüfen sind und
auch der große Kreis Zeugniß, welcher sich heute «m
den geliebten Lehrer versammelt hat. Besitzt derselbe
auch nicht Weib und Kind, so fehlt ihm doch nicht
die Familie. Denn diese Hilden wir, seine ihm mit
Dankbarkeit und Liebe verehrenden Schüler , deren
Herze» von den wärmsten Wünschen füx das fernere
Wohlergebe» unseres vorhinnigen Lehrers erfüllt sind.
Möge es ihm beschicken fein, noch viele Jahre in
Gesundheit und Frohsinn unter uns" zu weilen!
Bevor ich Sie, meine Herrn, nun auffordere, diese
Wünsche durch ein lautes Hoch auf Herrn Professor
Flügel zu bekräftigen, überreiche ich demselben hier-
mit einen Becher, welcher- s. Z. einem Lehrer von
seine« dankbaren Schülern gewidmet ist. Er wurde
dem letzte» Rektor des I-yovnms, Professor Dr.
Caesar zu seinem 50jährigen Jubiläum von diesen
verrehrt, und ging dann in den Besitz seines Neffen,
181
deS Professor- Caesar in Marburg über. welcher ihn
dem hiesigen Gymnasium krickerieiunum mit der Be-
stimmung» ihn bei frohen Schulfesten zu benutzen,
geschenkt hat. Der unter uns weilende Direktor
dieses Gymnasiums, Dr. Bogt, glaubt nun, daß der
heutige Tag eine passende Gelegenheit biete, ihn zu
solchem Zwecke einzuweihen. So reiche ich ihn nun
Ihren, Herr Profeffor, mit der Bitte, «ns daraus
nunmehr Bescheid zu thun. Meine Herrn, unser ver-
ehrter Lehrer, Herr Profeffor Dr. Flügel lebe Hoch,
— Hoch und nochmals Hoch!
Nachdem das ausgebrachte Hoch den lebhaftesten
Anklang bei den Festgenoffen gefunden hatte, sprach
der Gefeierte, sichtlich bewegt und ergriffen, in fol-
gender Weise seinen Dank aus, für die ihm an diesem
Tage bezeigte Liebt und Anhänglichkeit seiner ehe-
maligen Schüler:
Nehmen Sie vor allen Dingen meinen herzlichsten,
innigsten Dank für die Beweise von Liebe und An-
hänglichkeit, mit denen Sie mich, wie schon früher
bei mehreren Gelegenheiten, so auch heute wieder in
so hohem Grade beehren. In dieser Ihrer Liebe
sind« ich, deffen seien Sie versichert, eines der köst-
lichsten Güter, die mir zu Theil geworden sind, ein
Gut, dem ich kaum ein anderes zur Seite setzen
möchte, so sehr auch mein Leben von Glück reichlichst
begünstigt worden ist.
Als achtjähriger Knabe, ein Kind unbemittelter
Eltern, die ihre gesammte Habe in der Schlacht bei
tanau verloren hatten, als die Franzosen, um ihren
ückzug zu decken, die Borstadt in Brand schaffen,
trat ich in das sog. reformirte große Chor ein, als
Chorschüler, oder wie man in Thüringen sagte, als
Currendschüler oder um mit Luther zu sprechen» der
bekanntlich in Eisenach in gleicher Lage war, wie ich,
als Parthekenhengst. Im Sommer und Winter, bei
Hitze und Kälte, Wind und Wetter, bei Regen und
Schnee, im Winter nur durch ein kurzes Mäntelchen
nothdürftiq gegen die rauhe Witterung geschützt, zogen
wir Chorschüler durch die Straßen und sangen vor
einzelnen Häusern Choräle und geistliche Lieder und
ich als der Jüngste mußte nach vollendetem Gesang
in die Häuser, mit der Büchse in rer Hand gehen,
um dir paar Kreuzer einzusammeln, die wir am Ende
der Woche unter uns theilten. Wenn mir in dieser,
für daS zarte Knabenalter traurigen Stellung Jemand
gesagt hätte, „sei guten Muthes, mein Junge, es
wird dir später besser gehen, du wirst dereinst in
eine Lage kommen, die mir der jetzigen in stärkstem
Gegensatz steht," so würde er keinen Glauben ge-
funden haben. Doch es kam so. In meinem 13te«
Lebensjahr — ich war Tertianer und noch Parthekenhengst
— wurde ich gewürdigt Unterricht zu ertheilen und
zwar im — Griechischen. Der damalige Lehrer am
Gymnasium, Profeffor Hupfeld, der nachmals be-
rühmte Orientalist an der Universität Halle, rief
mich eines Tages zu sich und sagte: Da sitzen zwei
Jungen, die im Griechischen nicht mit fortkommen»
gib ihnen Privatstunden, damit sie nicht zurückbleiben.
Ich erschrak fast zu Tode und sagte weinend: ach
Herr Profeffor, ich kann ja selber noch Nichts. Er
aber sagte ermuthigend, so viel Du brauchst, kannst
Du." Ich folgte dem Befehl. WaS ich dem Herrn
Profeffor gesagt hatte, war vollständig richtig. Aber
Pflicht- und Ehrgefühl trieben mich zum angestreng-
testen Fleiß an. Ich lernte tüchtig, was ich nach
einigen Stunden zu lehren hatte. Ich trieb cs also
noch ärger, als die Herren, welche Schiller so scharf
geißelt, wenn er in dem Reime in derber Weise sagt:
„was sie gestern gelernt, das wollen sie heute schon
lehren: Ach! was haben die Herrn doch für ein kurzes
Gedärm!" Ich hatte nun weniger Bergnügen am
Unterrichten, als an der Entgegennahme des Honorar-.
So schlecht auch mein Unterricht gewesen sein muß,
ich wurde bald für die sog. „Präparationsstunden"
ein — ich möchte fast sagen — begehrter Lehrer, so
daß ich im 15ten Lebensjahr die Kosten der Beklei-
dung und des Schuhwerkes auS meinem Erwerb be-
streiten konnte. Als ich in die Prima gekommen war,
mußte ich nicht selten schon als Gymnasiallehrer auf-
treten. Wenn nämlich ei« Lehrer erkrankte, wurde
der Lehrer der Quarta — die Zahl der Lehrer war
eine sehr beschränkte — an Stelle des Erkrankten in
die oberen Klassen beordert und ich wurde nach
Quarta geschickt, wo ich Lateinisch lehrte. Zu Ostern
1826 verließ ich das Gymnasium, galt aber seltsamer
Weise immir noch als Schüler, und als im Herbst
1826 Dr. Münscher der Aeltere nach Hanau kam,
fand er mich zwar auf der Liste der Prima, mich
selbst aber nicht. Auf seine Frage nach mir, ant-
worteten die Primaner: „der kommt nicht" und als
er verwundert den Direktor Dr. SchuppiuS darüber
fragte, erhielt er zur Antwort: der wendet feine Zeit
zu Hause gut an, kaffen Sie ihn in Ruhe! Nach-
dem ich durch vermehrten Unterricht und erhöhtes
Honorar so viel erworben hatte» daß ich glaubte ein
Jahr auf der Universität aushalten zu können, machte
ich Ostern 1827 mein Maturitätsexamen, das ich
mit dem Prädikat: „vorzüglich" bestand und ging
nach Heidelberg. Auch hier begünstigte mich das
Glück. Es gelang mir, was nur Wenigen geglückt
sein mag. Ich erhielt keinen Zuschuß von Haus,
bezog kein Stipendium, weder vom Staat noch von
einer Behörde, erhielt vdn keinem Privatmann irgend
welche Unterstützung und trotzdem hatte ich nie emen
Heller Schulden, war nie ohne Geld, mußte meinen
Landsleuten nicht selten, wenn ihnen der Wechsel aus-
geblieben war, pumpen und als ich Ostern 1830
Heidelberg verließ, geschah dies mit ziemlich gefüllter
Geldbörse. Doch ich merke, daß ich in's Schwatzen
gekommen bin und mancher von Ihnen mag schon
stacht haben: der alte Cicero hat Recht, wenn er
agt: genectus est loquacior. Nach 2'/,jährigen sehr
angenehmen Aufenthalt in Frankfurt, ging ich mit
eimgem Widerstreben — ich hatte nicht die Aussicht
in hessischen Staatsdienst zu treten — nach Hanau,
wo ich an Stelle des als Direktor nach Hersfeld
versetzten Münscher deffen Unterrichtsstunden über-
nehmen mußte. Ich bekam demnach in Prima mit
Ausnahme des Horaz den ganzen lateinische« und
Siechischen, in der Secunda den gesammten lateini»
en und griechischen Unterricht und in der Tertia
182
den Ovid. Ostern 1833 wurde ich an das neuzu-
gründende Gymnasium in Marburg versetzt und Ostern
1835 an das neuzugründende Gymnasium in Kassel.
Sie sehen aus diesem kurzen Abriß meines Lebens,
daß mich das Glück in seltener Weise begünstigt
hat, aber ich wiederhole: von allen Geschenken des
Glücks ist mir keins werthvoller, als daß es mir
gelungen ist, bk Achtung, das Vertrauen, die Liebe
und dankbare Anhänglichkeit meiner Schüler zu er-
werben. Und wenn ich sehe und höre, wie diese zu
hohen Würd.m und einflußreichen Stellungen empor-
gestiegen sind, so erfüllt dies mich mit Frende und
'wohl anch mit — einigem Stolze, weil ich, vielleicht
unberechtigter Weise, mir schmeicheln zu dürfen glaube,
daß ich ein ganz klein wenig dazu beigetragen haben
könnte. Auf das fernere Wohlergehen meiner Schüler,
aus deren Kreise leider schon vrele, recht viele vor
mir dahin gegangen sind, erlaube ich mir ein Glas
zu leeren.
Alle Anwesenden dankten, von dieser Rede tief be-
wegt, dem Geburtstagskind durch Anstoßen mit
ihren Gläsern, worauf Reg.-Rath Dr. Falckenheiner
in einer häufig durch Beifall unterbrochenen Rede
die Verdienste des sich ewiger Jugend erfreuenden
Gefeierten als Lehrer hervorhob.
Groß war die Anzahl der an dem Abend noch
eingehenden telegraphischen Glückwünsche, es waren
deren den Tag über mehr als 100 eingegangen, darunter
einige in Versen, so ein Gedicht von dem Landgerichts-
rath Reul in Hanau in dithyrambischer Form,
welches von dessen erfolgreichen klassischen Studien
Kunde gab, und folgendes, mit großem Beifall auf-
genommenes Gedicht des Chef-Redakteurs der
Münchener „Allgemeinen Zeitung", Otto Braun:
eißen Glückwunsch Dir zu Füßen,
litz ich, theurer Flügelmann,
Daß ich Dich nur s o begrüßen,
Dir die Hand nicht drücken kann!
Fehl ich auch beim Liebesmahle,
Das die Freunde Dir gedeckt,
Denk ich Dein bei einer Schale
Doch vom allerbesten Sect!
Hessen- Dankbarkeit und Treue
Löscht nicht ans der Jahre Schwamm,
Dies bekunde Dir auf's Neue
Eines Schülers Telegramm.
Zuletzt kam auch noch der Humor zur Geltung,
indem Amtsrichter Büff in einer mit wahrem und
ächtem Humor gewürzten Rede die Leiden und Freuden
eines Gymnasiasten schilderte.
Nicht wenig trug es zum Gelingen des Festes bei,
daß es dem 80jährigen Geburtstagskinde vergömit
war, demselben trotz aller Aufregungen, welche der
Tag für ihn gebracht hatte, in voller geistigen und
körperlichen Frische bis zu ziemlich später Stunde
beizuwohnen. Daß ihm diese seltene Rüstügkeit noch
lange erhalten bleiben möge, ist nicht nur der Wunsch
seiner ehemaligen ihm so "dankbaren Schüler, sondern
Aller, welche dem hochverdienten Manne je im Leben
mähe getreten sind. R.^L.
Ka u fun gen. Zwei von dem Herrn Major a. D.
v. Roques in dem Verein für hessische Ge-
schichte undLandeskunde zu Kassel gehaltene,
auf den gründlichsten und umfassendsten Studien be^
ruhende Borträge über die heilige Kunigunde,
Gemahlin Kaiser Heinrich II., und das von ihr im
Jahre 1019 zu Kaufungen gestiftete Klo ster,
hatte Veranlassung gegeben, daß eine größere Anzahl
der Mitglieder dieses Vereins auf Einladung des
Vorstandes desselben, am 18. Juni d. I. einen Aus-
flug nach Kaufungeu zur Besichtigung und Erforschung
der dort aus jener Zeit noch vorhandenen und für
die Geschichte dieses Ortes großes Interesse bietenden
Gebäudereste unternahm. Zunächst galt es am Morgen
dieses Tages der Aufsuchung und Besichtigung einiger
nach Angabe des leider an der Theilnahme verhinderten
Herrn Vortragenden im Kaufunger Stiftswald noch
auffindbaren Mauerreste von drei zum Kloster ge-
hörig gewesenen Klosterkapellen. Solche waren aber
nur noch von der bei dem Dorfe St. Ottilien gelegen
gewesenen Kapelle St. Juliane in einem den Namen
„Stadtkirche," führenden Tannendickicht aufzufinden
und an sieben Meter langen und' 1V2 Meter breiten
Mauerresten, als von einer Kapelle herrührend erkenn-
bar. Für den geringen Erfolg der Aufsuchung, welche
mehrere Stunden in Anspruch genommen hatte, wurden
die Theilnehmer dadurch entschädigt, daß der Weg
bei dem herrlichsten Wetter durch den prächtigen, oft
die wundervollste Aussicht nach Kassel und Umgegend
bietenden Wald führte, dessen Besuch nicht genug
empfohlen werden kann. Da ferner in den Borträgen
die Vermuthung ausgesprochen war, daß schon vor-
der Klostergründung durch die heilige Kunigunde
in Kaufungen ein Kloster bestanden habe, jeden-
falls aber die Annahme gerechtfertigt sei, daß schon
vorher in dem schon bedeutenderen Ort ein Gebäude
vorhanden gewesen sei, welches dem Kaiserpaare bei
seinem mehrmaligen urkundlich nachweisbaren Besuche
dieses Ortes vor der Klostergründung zum geeigneten
Aufenthalt habe dienen können, so wurden diese beiden
Fragen neben eingehender Besichtigung der in ihrem
Äußern und Innern im Laufe der Jahre durch Brand
und dergleichen vollständig veränderten und daher
weniger historisches Interesse bietenden Stiftskirche,
hauptsächlich einer näheren Prüfung unterworfen.
In erster Beziehung gründet sich die Annahme von
dem früheren Vorhandensein eines Klosters oder einer
klosterähnlichen Stiftung zumeist auf die neben der
Stiftskirche noch vorfindlichen Ueberreste einer einst
bedeutend gewesenen Kirche, von welcher aber nur noch
der nach Osten gelegene, für Chor und Altar bestimmt
gewesene Rundbau (die Aspis), gut crhaltcn, den Baustil
und die einstige Bedeutung erkennen läßt, während
dies bei dem übrigen, später zur Brauerei und jetzt
zum Speicher dienenden Theile derselben nicht der
Fall ist.
Herr Professor Schneider, Lehrer der Architektur
an der Kasseler Akademie, welcher nebst dem
Herrn Stiftssyndikus Wiskemann und dem mehrere
Jahre in Oberkaufungen als Amtsrichter in Thätig-
keit gewesenen Herrn Amtsgerichtsrath Knatz, die so
183
gütig gewesen waren, die sachkundige Führung zu über-
nehmen, hielt aus dem Baustil und namentlich aus
dem eigenthümlichen bei dem Bau verwendeten sog.
römischen (mit Ziegelmehl vermischten) Mörtel, die
Annahme, auf deren nähere Begründung hier nicht
eingegangen werden kann, für gerechtfertigt, daß der
Bau schon aus der Zeit der Karolinger herrühre.
Wenn nun auch der Beweis, daß diese Kirche be-
reits zu einem dort befindlichen Kloster gehört habe,
nicht zu erbringen steht, so ist doch aus dem Vor-
handensein einer solchen Kirche zu folgern, daß Kau-
fungen schon zu dieser Zeit ein bedeutenderer Ort
gewesen sein muß. Diese Annahme findet auch da-
rin Bestätigung, daß Major v. Roques eine von
dem Sohne Karls des Großen, Ludwig dem Frommen,
in Kaufungen aufgestellte Urkunde aufgefunden hat.
Von dieser Kirche begab man sich alsdann nach etwa
300 Schritt davon entfernt auf gleicher Höhe, aber
durch eine Thalschicht getrennt liegenden Mauerresten,
welche deutlich erkennen lassen, daß hier einst ein
stattliches burgähnliches Gebäude gestanden hatte.
Am Ende des sehr steil zur Höhe führenden Weges
befindet sich nämlich rechts desselben der Rest einer-
festen, noch jetzt der Zerstörung trotzenden Mauer
und dieser entsprechend auf der anderen Seite eine
als Grundmauer zn einem dort später aufgeführten
Gebäude benutzte mehrere Fuß hohe Mauerwand.
An dieser Stelle ist unzweifelhaft der Eingang zu
dem Gebäude zu finden, dessen Größe sich nach den
auf den gegenüberstehenden Seiten in einer Höhe von
15 und 20 Fuß noch wohlerhaltenen festen, zu Rück-
wänden dort später aufgebauten Häusern verwendeten
Mauern genau bestimmen läßt.
Das in einem regelmäßigen Viereck erbaut gewesene
Haus hatte nach vorgenommener Messung eine Länge
und Breite von 150 Fuß. Da sonstige Ueberreste
eines größeren so alten Baues am Orte nicht zu
finden find, so hielt man, wenn auch der Beweis aus
der Bauart selbst nicht entnommen werden kann, doch
die Annahme für begründet, daß an diesem Platze
das Gebäude gestanden habe, welches einst Ludwig dem
Fromme« und Heinrich II. mit seiner Gemahlin vor
Gründung des Klosters zum Aufenthalt gedient hat.
Nachdem der Vorsitzende des Vereins Major a. D.
v. Stamford den Führern für ihre sachkundige vor-
treffliche Leitung den Dank ausgesprochen hatte, wurden
noch einige Stunden in der recht guten in der Nähe des
Bahnhofs gelegenen Riemannschen Restauration in ge-
müthlichem Zusammensein verbracht, worauf die Theil-
nehmer in hohem Grade von dem in jeder Beziehung sehr-
gelungenen Ausflug befriedigt den Rückweg in die
Heimath antraten. * § R.-F.
*
Kassel. Die Wittwe des Altmeisters Louis
Spohr's, Marianne, geb. Pfeiffer (Tochter des
am 4. Octbr. 1852 verstorbenen Oberappellations-
gerichtsraths Dr. Burchard Wilhelm Pfeiffer),
beging am 17. Juni in vollcr Rüstigkeit ihren
achtzigsten Geburtstag. Schon am frühen
Morgen dieses Tages fanden sich zahlreiche Gratulanten
in ihrer Billa ein, um die Matrone zu beglückwünschen,
darunter eine Deputation der Mitglieder des königl.
Theaterorchesters, welche eine schön ausgestattete Adresse
überreichte. Unser Theaterorchester verdankt Louis Spohr
bekanntlich in's Besondere die Begründung seines
Pensionsfonds. Bemerkenswerth ist. daß die Frau
General-Musikdirektor noch heute in ihrem hohen
Alter alle Kunstangelegenheiten mit dem lebhaftesten
Interesse verfolgt, ja auch den Erzeugnissen der
modernen Musikrichtnng freundliche Beachtung schenkt.
* . *
*
Kassel. Unser „K önigliche s Th eater" be-
schloß mit der am 27. Juni erfolgten Aufführung
des Bauerfeld'schen Charaktergemäldes „Krisen" die
Saison. Diese Vorstellung bildete einen bedeutsamen
Moment in der Geschichte des Kasseler Theaters,
schied doch hierin ein Künstler aus seinem Mitglieder-
verband, der dreißig Jahre hindurch ihm als besondere
Zierde angehörte. War Friedrich Hesse auch
kein Kind unserer engeren Heimath, so verdient er
dennoch in dieser, hessischen Interessen gewidmeten
Zeitschrift eine Würdigung zn erfahren, weil er in
einer solchen langen Zeit seine Künstlerkraft in den
Dienst eines der vornehmsten Institute Hessens stellte.
Er gehört zu jenen Darstellern, welchen die Kunst
allein Endzweck, nicht wie es jetzt leider so häufig
geschieht, Mittel zu Selbstgefälligkeitszwecken ist.
Selten dürften Künstler anzutreffen sein, die durch
solch' liebenswürdigen Humor ausgezeichnet sind, wie
gerade „unser alter Hesse", wie- er allgemein genannt
wird. Voller Lebenswahrheit waren alle Schöpfungen,
welche er vor uns erstehen ließ, und sein Talent über-
haupt von einer außerordentlichen Vielseitigkeit.
Meister war er aber vor allen Dingen in der originellen
Wiedergabe älterer humoristischer Charakterrollen.
Und in diesem Fache gerade wird er in unserem En-
semble eine schwer auszufüllende Lücke hinterlassen.
Wer ihn nur einmal in einer Shakespeare'schen Auf-
gabe, beispielsweise als „Ambrosius", „Zettel" rc.
gesehen, oder als „Piepenbrink" (Journalisten),
„Adam" (Zerbrochene Krug), „Griesinger" , (Dr.
Klaus), der wird jo leicht die Erinnerung daran
nicht verlieren. Im Schau- und Lustspiel, wie in
der Posse gleich groß, hat Hesse in der langen
Spanne Zeit Tausende von Menschen durch seine
Kunst entzückt. Jetzt, obgleich schon achtund siebzig
Jahre alt, ist er noch im Vollbesitz der Frische
des Körpers und des Geistes. Als „Lämmchen" in
„Krisen-, ebenfalls eine seiner Glanzleistungen, hat er uns
das Scheiden nur noch schwerer gemacht, denn noch um
nichts von der Last der Jahre beeinträchtigt, erschien diese
Darstellung des Künstlers. Das in allen seinen Räumen
dicht besetzte Haus überschüttete den greisen Kunst-
veteranen bei jeder nur schicklichen Gelegenheit mit
Applaus, Blumen- und Kranzspenden. Kurz und
herzlich, wie sein ganzes Wesen, waren die Worte
des Dankes und des Abschiedes, welche er an das
Publikum richtete, als es ihn am Ende der Auf-
führung immer wieder stürmisch herausrief. Mit
Recht hob der Intendant Herr Baron v. Gilsa bei
der internen Feier auf der Bühne hervor, daß Herr
Hesse nie zu denjenigen Künstlern gehört habe, welche
184
danach Haschen, mit krummem Buckel und grinsendem
Gesicht vor den Vorhang zu treten, um dem Publi-
kum zu danken. Ja» er ist nicht, wie so viele seiner
Kollegen vom Wandertriebe ergriffen worden, um
Ruhm und Ehren auf Gastspielreisen einzuheimsen.
Er ist hier bei unS geblieben, um die Vollkraft seines
Könnens nur dem Kasseler Theater ununterbrochen
zu erhalten. Dafür sind wir ihm Anerkennung und
Dank schuldig. Hoffen wir, daß es ihm, dem
Berliner von Geburt, welchem das Heffcnland eine
zweite Heimath ward, vergönnt sein möge, in unserer
Mitte einen langen frohen Lebensabend zu genießen.
*
— Der Professor der Germanistik, Dr. Ed. Sie-
vers in Tübingen (cf. „Heffcnland Nr. 9), ist an
Stelle des verstorbenen Professors Zacher von der
philosophischen Fakultät der Universität Halle zum
Professor der german. Philologie berufen worden.
Professor Zacher hatte s. Z. Sievers selbst als seinen
Nachfolget gewünscht. ...
* *
*
— Am 21. Juni, dem Jubiläumstage der Königin
Viktoria von England, wurde hier in Kassel zwischen
der Kaiser- undHohenzollernstraße, der Grundstein
zu einer englischen Kirche, der ersten in Hessen,
gelegt. Bei der hiesigen ziemlich starken englischen
Kolonie machte sich schon seit Jahren das Bedürfniß
für ein eigenes Gotteshaus geltend. Durch Unter-
stützung hiesiger Bürger ist die Realisation dieses
Planes gelungen. Die Kirche wird nach dem jüngsten
so früh verstorbenen Sohne der englischen Königin,
welcher mit einer waldeck'schen Prinzessin verlobt war,
„St. Alban Church" genannt. M.
Kriksttstk».
K. S. Kassel. Einzelne Exemplare de- „Heffcnland"
werden zu dem Preise von je 30 Pfg. abgegeben.
Nach Kassel. Wir ersuchen den Verfasser det ein-
gesandten Gedichtes über die Stiftskirche zu H. freundlichst,
sich uns nennen zu wollen.
X. Y. Hofgeismar. Zusendung erwünscht.
W. in H. bei Hersfeld. Nicht verwendbar.
M. u X. Marburg. Auch solche Einsendungen find
willkommen.
X. in Marburg. Wir haben das betr. Buch weber
vom Verfasser, noch vom Verleger zugesandt erhalten und
es demgemäß auch nicht besprechen können.
X. F. Fritzlar. Ungeeignet.
K. N. Keffelstadt. Brief erhalten; wird in letzter
Fassrmg erscheinen.
F. G. Frankfurts. M. 1) Ja. 2) Am besten durch die Post.
O. ll. Hanau. ES ist uns leider nicht möglich, Ihren
Wunsch in der nächsten Zeit zu erfüllen.
J. B. Berlin. Haben Sie unsern.Brief erhalten?
Wenn ja, bitten wir um recht baldige Rückantwort.
B. in -X. bei N. (Bayern). Sendung empfangen, wird
theilweise verwandt.
Inhalt der Nummer 13 deS „Heffenland": „Ja, zu
Hause!" Gedicht von Ludwig Mohr; „Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. und Wilhelm I. von Hessen
nach dem heiligen Grabe" von C. v. Stamford, Fortsetzung;
„Dr. Gottsscb Kellner und Heinrich Heise," geschildert von
A. Trabert, Forts.; „Der lange Henne-," eine Geschichte a«S
dem vorigen Jahrhundert, von Franz Treller, Fortsetzung
statt Schluß; „Waldeinsamkeit," Bieberstein 1852, Gedicht
von Toni Morchutt; „Der Linde Trost," Gedicht von M.
Friedrichstein; Aus alter und neuer Zeit: „Ein Stücken
Kasseler Stadtchronik," „Etwas von Järöme"; Aus Hei-
math und Fremde: „Die Flügelfeier," „Kaufungen," „Frau
Marianne Spohr," „Hofschauspieler Hesse," „Anglikanische
Kirche," Briefkasten.
Girrladrrng pxm Abonnement.
Konnten wir uns am Schluffe des ersten Quartals unserer Zeitschrift „Heffenland" rühmen, daß dieselbe gleich
bei ihrem ersten Erscheinen die günstigste Aufnahme gefunden habe, so find wir heute, am Schluß des zweiten Quar-
tals, in der Lage, erklären zu können, daß fie Wurzel gefaßt und begonnen hat stch einzubürgern im hesfischen Volke
und heimisch zu werden in den hesfischen Familien. Nach wie vor wird es unsere Hauptaufgabe sein, den hessischen
Sinn wachzuhalten und die Anhänglichkeit an die engere Heimath zu kräftigen; unsere Zeitschrift soll, kurz gesagt, die
Vertreterin der geistigen Interessen Hessens sein. Bon den politischen Tagesfragen werden wir rmS ebenso wie seither
vollständig fernhalten, um so mehr aber unser Augenmerk auf die Geschichte und die Literatur unseres engeren Vater-
landes richten
Namhafte hesfische Gelehrte und Schriftsteller zählen zu den Mitarbeitern unserer Zeitschrift. Wir nennen hier nur:
Dr. K. Ackermann, W. Bennecke, Dr. H. Brunner, A. Gild, S. Hahndorf, Maler L Katzenstein, Dr. Ludwig Knorz,
Dr. Th. Köhler, I Lewalter, Dr. Ed. Lohmeyer, Pxofeffor Friedrich Müller, Karl Neuber, W. Rogge-Ludwig, Major
von Stamford, Franz Treller, Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur, Jos. Gran, Bibliothekar A. von
Keitz, Dr. I. Schneider in Fälda; Armand-Strubberg in Gelnhausen; Pfarrer JunghanS, Banquier Nenmüller, Land-
gerichtsrath I. Reul, Dr. G. Wolff in Hanau; Kurt Ruhn in Keffelstadt; Major von Gironcourt, Dr. Sigmund
Paulus in Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath Preser in Wächtersbach; Julius Braun, Nataly von
Eschstruth, E. von Hohenhausen, Dr. Julius Rodenberg in Berlin; Professor Dr. Adolf Müller in Chemnitz; Major
H. von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius Gräfe in Dresden; E. von GoeddaeuS, Dr. Hugo Goldschmidt,
Otto Kanngießer, Elisabeth Mentzel, D. Saul zu Frankfurt a. M.; Gymnastaldirektor Dr. Leimbach in Goßlar;
tans Paulus in Halle a. d S.; Gustav Kastropp in Hannover; Jul.Bösser in Köln; H. Keller-Jordan in München;
udwig Mohr in Nordhausen; Malwida von Meysenbug in Rom; Feodor Löwe in Stuttgart; A. Trabert in
Wien; Major August von Baumbach in Wiesbaden.
Ihnen allen, die uns mit Rath und That unterstützt, find wir zu größtem Danke verpflichtet, nicht minder
dem Publikum, das uns mit so freundlichen Wohlwollen entgegen gekommen ist. Möge unS dasselbe auch ferner er-
halten bleiben. Und so laden wir denn zum Abonnement auf oaS III. Quartal des „Heffenland" ergebenst ein.
Kassel, im Juni 1887. Die Redaktion: F. Zwenger.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das „HeffenlauL*', Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
nnd Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1'/, K-ge« Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark ZV Mg. Einzelne Nummern kosten je 3V Mg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der P o st, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Iordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hrffevlv«d" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
-R Ful-uf! -R
Qj'it längst vergangener alter Zeit,
dl Als noch der Mann nt Waffen ging
Und jede Stadt die Läng' und Drett'
^ Umgab der Mauern fester Uing,
Regal» sich's, daß ein starkes Heer
Vor Gaffel lag und drängt' es sehr.
Einst hatt' die wack're Bürgerschaft
Der Feinde Anprall abgewehrt,
Und um ;u sammeln neue Graft
Sich heimgewandt ;u Rett und Heerd,
Indeß der Wächter auf dem Thurm
Vermelden sollt' erneuten Sturm.
Und währen- nnn in stiller Uacht
Die Rürger in den Federn rnh'n,
Gibt auf dem Thurm der Wächter Acht,
Was -rauß' im Feld die Feinde thun;
Auf einmal — morgens war's um drei —
Merkt er, daß was im Werke sei.
Im Lager lief man Kren; und guer
Und schleppt' Geschütze schon heran,
Auch Leitern trugen sie daher,
Und Alles war- gan; still gethan —
Der Wächter sah's und laut den Ruf
Stieß er in's Horn: „Ful-uf! Fnl-uf!"
„Ihr Faulen auf!" so meinte er,
(Das ward im Hörne zu „Ful-uf!"
Denn Hochdeutsch ist zu blasen schwer) —
Indeß verstanden ward der Ruf,
Und ehe man es sich versah,
Stand jeder Mann in Waffen da.'
Als nun der Feind zur Mauer kam,
Fand er unhöflichen Empfang,
Was ihn -ermaßen Wunder nahm,
Daß er davon lief feig und bang
Uno noch am selben Tag das Feld
Verließ mit Roß und mit Gezelt.
Und zur Ermn'rung an den Sturm
Erschallt' noch lange Zeit der Ruf
Um drei Uhr vom Sanct Martinsthnrm
Wie damals laut: „Ful-uf! Ful-uf!"
Dis diesen, wie so manchen Rrauch,
Die Neuzeit hat begraben auch.
Ulchl.
Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. n«d Wilhelm I. van Hessen nach dem heiligen Grade.
Von C. v. Ztamford.
(Fortsetzung.)
ie Galec war rndlich bereit, der Landgraf
Wilhelm und der Graf von Hanau, Schachten,
WerttenSschlehn, Hanstein, Arend von Stein,
der von Kaiser Max dem Landgrafen
zugeschickte Ritter Leonhard Wetter und alle
anderen Pilger fuhren am 12. Juni nach der
im Meere ankernden Galee. Landgraf Wilhelm
führte einen Kaplan, einen Koch, welcher bereits
dreimal das heilige Grab besucht hatte und einen
Diener für sich mit. Bei gutem Winde ging
folgenden Tages das Schiff unter Segel, an
feinen Masten wehten außer den Bannern von
St. Marco und des Patrons die Pilgerfahne,
in weißem Felde ein rothes Kreuz und das
Banner des Papstes. Die Stunde des Scheidens
wurde durch eine feierliche Messe auf dem Ver-
decke, den Gesang frommer Lieder der knieenden
Schar und das zu Gott gerichtete Gebet um
glückliche Fahrt zu einer ergreifenden Scene.
Alle Behaglichkeit war zurückgelassen, es heißt:
„jeder ein Truhenn, zwei Spannen breitt, will
er woll liegen muß er sein Lager darauf zu-
richtenn lassen«, sonst keinen andern Ortt." Der
Landgraf ließ den Seinigen dieses bereiten und
Umhänge anbringen, doch konnte „der mensch sich
kaum auffrichten." Das Verdeck war meist der
Aufenthalt, hier genossen die Seefahrer die Luft
des südlichen Himmels, die wechfeindcn Eindrücke
der ?im Sonnenglanze sich dehnende» Adria.
Allein keinerlei Andeutung darüber entschlüpft
Schachten- sonst so ausführlicher Feder, ledig-
lich für Werke des Menschen und seine Bedürf-
nisse hatte er Sinn, sie rühmt er, wo eS sich
gebührt. Bei Städten steht am Höchsten ihrer
Festigkeit gegen Feindes Angriff, so heißt das
veuetian. Zara eine „fast starcke Stadt", Ragusä
eine „wunderstarcke stadt". Der Sinn für die
Natur war der Menschheit noch nicht aufgegangen,
in dem unaufhörlichen Waffenlärm der Zeit
mußte sie desto mehr aus Sicherheit' gegen Be-
dränger halten. Die ganze Ostküste der Adria
fast lag unter den Pranken des Löwen von St.
Marco, nur Ragusa erhielt sich selbständig und
weiter südlich langte schon die erobernde Faust
des Türken ans Meer. Am Tage St. Johannis
„machten« sie ein groß fest mit lichtern, Trum-
metten, siengen, beten, zu lobe dem lieben Herrn
St. Johannis. Ihn riefen Pilger ganz be-
sonders an, diesesmal half es nichts, denn es
heißt weiter: „unn ihnn der nacht kam ein
sturmwindt undt warst uns hindcr sich bey
dreissig weil Weges." Corfu, eine starke Stadt
der Venediger, Modon, Cerigo u. a. Orte werden
berührt und Einiges über jeden gesagt. Ein
neuer Sturm macht die Meisten seekrank, in dem
äußerst engen Raume bei verdorbener. Luft,
mangelhafter, oft abscheulicher Kost, stehen die
Pilger oft große Leiden aus. Bon Candia, auch
venetianische Provinz, wo die Bewohner sich
ähnlich der venetianische» Wnse kleideten, heißt
es lobend „fast schöne Weiber und natürlicherm".
Der Uebcrfluß der großen Insel an Früchten,
Wein und Allerlei was der Mensch zu leben
nöthig hat, erweckt die Bewunderung. Nach
Berührung einiger den Johannitern gehörigen
Inseln erreicht, das Schiff Rhodus; ein längerer
Aufenthalt wirkte wohlthätig auf den Zustand
der Seefahrer ein. Das Haupt dcS Johanniter-
ordcnS war damals Peter von Aubuffon, einer
seiner ausgezeichnetsten Großmeister; er hatte
I I Jähre zuvor die Stadt gegen ein mächtiges
Heer Sultan Mahomed' II. heldenmüthig ver-
theidigt, die Türken mußten nach ungeheueren
Verlusten abziehen. „Rodis ist fast eine wunder-
starcke- stadt undt wierdt, weil man solche uoch
täglichen befestigt, viel stärcker", äußert das
Tagebuch und fügt hinzu „es ist auch M. G.
F. u. H. (Landgraf Wilhelms mit drei anderen
Rittern auff die Mauer gcriettenn, alle vier neben-
einander, das keiner d?S andern pferdt heruerett,"
187
Mit besonderer Liebe wird von dem großen,
prächtigen Hospitale berichtet, welches der edle
Großmeister Anton von Fluvian aus den für
seinen Hofhält bestimmten Geldern etwa fünfzig
Jahre früher erbaut halte. Es war nach Ein-
richtung und toleranter Verwendung eine Muster-
anstalt für jene Zeiten. Jeder Kranke, arm
oder reich, fremd oder einheimisch, erhielt ein
mit Vorhang umgebenes gutes, s ruberes Bette,
sehr gute in Silber servirte Kost, mehrcremale
des Tages Wein (wie die starken griechischen
Weine überhaupt mit Wasser). Ein dienstthuen-
der Rilter, der einen Stab führte, ließ jedesmal
die Nahrung austheilen. Zwei Leib- und zwei
Wundärzte waren in dem Spital geschworen,
je zwei deise.den hatten Vormittags wie Nach-
mittags einen Umgang bei allen Kranken zu
halten. Zur Bedienung waren vier Knechte
bestimmt. Für den Unterhalt dieser Anstalt
wurden jährlich 10 000 Dukaten aufgewendet,
das Silbergeschirr derselben besaß einen Werth
von 16000 Dukaten. Am Schlüsse seiner Er-
klärung ruft Schachten aus „und ob leinn ander
guctt werk in Rvdis geschehe, dann dieses, so
verdienten sie dennoch allen Danck gegen Gott
den Allmechtigcn!" Die Galee verließ am 15.
Juli wieder die „Pforte des Meeres", wie man
damals einen Hafen nannte. Des Schiffes Lauf
ging auf Cypern, dann nach Jaffa. Allein das
Schiffsvolk erkannte die syrische Küste nicht und
so segelte die Galee auf Alexandria, bis der
Irrthum zu Tage trat und gewendet wurde.
Am 25. Juli warf das Schiff vor Jaffa die
Anker aus. Die Fahrt erscheint als ein Tasten
längs der Küsten hin; man mußte mehrfach die
Vorräthe ergänzen, weil die Galeen wegen ihrer
Bestimmung als Rudcrschiffe eine ganz andere,
flachere Bauart als die heutigen Seefahrzeuge
haben mußten, daher nicht so großen Laderaum
besaßen. Dann aber wurde das Mittelmecr,
zumal seine östlichen Theile, schon längst von den
muselmännischen Korsaren unsicher gemacht.
Schiffe friedlichen Charakters mit guter Beute
für jene Räuber machten daher ihre Fahrten
nahe dem Lande, schrittweise; von begegnenden
Schiffen wird äußerst selten Meldung gethan.
Die- Pilger hatten volle sechs Wochen in den so
ungünstigen Verhältnissen, in beständiger Sorge
vor Korsaren hingebracht; sie athmeten ans, als
das ersehnte Land vor ihnen lag. Dennoch sollte
das Schlimmste hier erst kommen.
Das Pilgerschiff mußte zu Jaffa vor Anker
bleiben, bis der Statthalter von Jerusalem das
Geleite schickte, was oft acht Tage dauerte. Der
Patron sandte feinen Schreiber an's Land, der
hier den Befehlshaber von Zagaria (Jagür) traf,'
man hoffte schneller zum Ziele zu kommen, da
letzterer auch beim Geleite mitzuwirken hatt«'
Allein die beiden Gewalthaber veruneinigten sich
und es wurde ein Bote nach Kairo entsendet,
des Sultans Befehle einzuholen, worüber vier-
zehn Tage vergingen. Die Pilger mußten in
dieser Zeit auf der Galee sich halten, da am
Land ihr Leben ohne Geleite vogelfrei war.
Aber auch das Meer drohte mit einem Ueberfaile
durch seine Räuber, und von der „unsäglichen
Hitze wurden viele kranck, und auch nicht allein
von Hitze, sondern anch vom bösen geschmacke
(.der Nahrung) und gcstancke, von schüfen undt
viehe, welche anst der galee wahren undt übell
schmackettcnu, auch das brot hartt undt voller
wurme, schwartz. schimmelich undt ohngesaltzenn,
das man in unserem landte kau», jchweinen oder
hundten zu essenn gäbe." Es starben denn auch
in den nächsten Tagen sechs der Pilger. Der
Patron, welchem die Kosten des Aufenthaltes
unbequem wurden, gedachte nach Cypern „hiendter
sich zu fahren«," in Zwist mit den Pilgern, da
langte Befehl von Kairo an, die Befehlshaber
von Jerusalem und Jagur sollten gemeinsam
das Geleite geben. Der Guardian von Jerusa-
lem traf ein, ebenso Rcitereskorten, über 1000
Mann, und deren Oberster,^ der Statthalter von
Jerusalem, war ein Renegat. Die zweihundert
Pilger betraten am 10. August das Land, werden
genau gemustert, abgezählt und müssen ihre
Namen angeben. Darauf werden sie in zwei
„Löcher" untergebracht, wobei es zweifelhaft ist,
ob dieses elende Räume in Häusern oder Höh-
lungen im Freien bezeichnen solle. Mamalucken
bewachen und schützen zugleich die Christen gegen
Mißhandlung ja Tödtung durch die rohe, fana-
tische Bevölkerung. . Diese Reiter, eine Elite der
Krieger des Sultans, hatten köstliche behende
Pferde, nach ihrer arrt woll gezicrett, lange
weiße Kleider, die huete mit weißen düchernn
umwickeltt, oft bei 40—50 cllenn, das solches
eine tust anzusehen« ist," u. A. Nach 3 Tagen
kamen die Treiber mit den Eseln an, welche für
große. Beträge gemiethet wurden. Der Patron
hatte an die Machthaber in Jaffa große Geschenke
gemacht, was zur Förderung der 'Sache beitrug,
ob er, wie cs in der Regel die ^Verträge vor-
schrieben, seine Schutzbefohlenen weiter führte,
ist nicht ersichtlich. Der Zug setzte sich in Be-
wegung, die beiden Befehlshaber an der Spitze,
die Pilger auf Eseln, Waffen- und wehrlos, die
Thiere ohne Sattel und Zau:>u, nur mit einem
Strohsack versehen. In langer Reihe hinterein,-
ander, neben jedem Pilger ein Mamaluck, deren
188
Rest auf allen Seiten vertheilt, so ging es unter
der Sonne glühendem Strahle durch das steinige
wüste Land fürbaß „hübsch in der ordnunge"
fügt Schachten humoristisch hinzu. Bor Ort-
schaften eilte ein Reitertrupp voraus, um zu
hindern, daß „die heidnischen Weiber undt kiendter
die Pilger beschimpften undt mit steinen würffen."
Dennoch geschah dieses oft genug, Pilger, welche
außer Bereich des Geleites geriethen, waren in
Lebensgefahr. Stellt man sich in dieser so über-
aus unwürdigen Lage die deutschen Reichsfürsten
vor, so erscheint gewiß der Muth der Seele wie
des Leibes bewundernswerth, welcher zum Aus-
harren um des idealen Zieles willen stärkte.
Und diese Großen der Erde hatten Namen wie
Alles ablegen müssen, was ihren hohen Stand
hätte verrathen können, da sie sonst in die Ge-
fahr geriethen um Lösegeldes willen gefangen
gemacht zu werden. Die Habgier der Mosle-
min spähte stets nach Solchen, aus denen sie
mehr zu erpressen hoffen durften. Daher suchte
man vorher die Galeoten (Schiffsleute) durch
reiche Trinkgelder vom Verrathe abzuhalten,
ohne dadurch demselben im gelobten Lande stets
zu entgehen. Wie leicht mochte das an Ehrfurcht
gewöhnte Gefolge, selbst wenn es auf seiner
Hut war, solche Männer bloßstellen! Der Patron
einigte sich mit der Behörde über den Zoll für
seine Pilgertrupp:, welcher stets sehr hoch ge-
trieben wurde. Zu Ramla, dem Haltepunkte
zwischen Jaffa und Jerusalem, hielt man die
Karawane drei Tage durch die Bestimmung des
Tributs an die Behörden auf „wir lebtenn mit
Essenn und Trinckenn übel" hören wir da. In
furchtbarer Hitze ging es weiter, ein Brunnen
lockte zu gieriger Benutzung, bald starb ein alter
Pilger auf seinem Esel, sofort von den „Heiden"
ausgeplündert. Durch wildes, elendes Aussehen
fallen die umherschweifenden Arabi (Beduinen)
auf, von deren Bestialität wir abschreckende Züge
erfahren und gegen welche die Mamalucken und
Türken vortheilhaft hervorgehoben werden. Die
übermäßige Hitze wurde vielen gefährlich, doch
trat Abends Kühle ein, sie erholten sich „Gott
schickett es zum besten»" tröstet Schachten. Es
kam vor, daß beim Aufbruche die, welche den
Namen ihres Eselführers vergessen hatten, zu
Fuße gehen mußten, ein Mühsal, dem sich nicht
einmal die Eingeborenen unterzogen. Jedes
Auf- und Absitzen mußte mit einem Bakschisch
vergolten werden, dabei thaten die Treiber auch
„sonsten viel buberey, stahlen» u. s. w." Die
bergigen, steinigen Wege verursachten nicht selten
Straucheln der Thiere, besonders in der Nacht,
dann war ein Sturz fast unausbleiblich, der aber
dann noch ein Geldopfer zur Folge hatte. Doch
der schmachvolle Ritt hat auck ein Ende.
Am Morgen des 15. August erblicken die
vordersten Pilger das lo heiß ersehnte Ziel —
vor ihnen erglänzen die Zinnen der heiligen Stadt,
ein Anblick, der alle ausgestandenen Leiden ver-
gessen macht. Thränen der Rührung brechen
aus manchem Auge, Alle drängen nach vorn,
springen von den Thieren, umarmen einander,
fallen nieder zu inbrünstigem Gebete. Bor der
Stadt erwarten Mönche den Zug, welche für die
Unterkunft gesorgt haben. Den Landgrafen,
Philipp von Hanau und die übrigen Deutschen
nahm ein Haus auf, in dem sie auf tem kahlen
Erdboden lagen, dessen Wirth keinerlei Speise
oder Trank für sie hatte. Da ziehen sic selbst
aus. kaufen sich Nahrung, Holz u. A. Der
Guardian sendet ihnen Teppiche und Aehnliches,
so richten sie sich nothdürftig ein. Vorschriften
für ihr Verhalten werden ihnen eingeschärft, Ver-
stöße können schlimme Folgen, ja Gefahr für
das Leben bringen. Gleich am folgenden Tage
beginnen die Pilger unter Führung der Mönche
den Besuch der hxiligen Stätten, die Verehrung
der Reliquien. Zahlreich sind diese Orte in der
Stadt, wie in deren Umgegend, in beständiger
Aufregung und Entzückung bringen die frommen
Männer ihre Gebete, ihre Opfergabcn dar. Eine
erste Nacht wird im Tempel über des Heilands
Grabe in stiller Andacht ausgeharrt, später liegen
die Pilger noch eine Nacht zur Vorbereitung im
Gebete auf des Tempels Fußboden, um dann
gegen Morgen zum Anblicke des höchsten Heilig-
thnmes zugelassen zu werden. Ampeln erleuchteten
den unterirdischen Raum, durch eine schmale
Oeffnung geht man ein zu dem Grabe des
Heilandes, von Schauern der Andacht durchbebt.
Nach diesem ritt die ganze Schar der Pilger gen
Betlehem, eine Anzahl ehrwürdiger oder heiliger
Stätten zu besuchen, und dann lagen sie eine
dritte Nacht betend im Tempel. Nun »gelten sie
für würdig zur Aufnahme als Ritter vom heiligen
Grabe, der dafür vom Papste Bevollmächtigte
ertheilt dem knieenden L. Wilhelm den Ritter-
schlag mit der Fähigkeit, die übrigen Geprüften
aufzunehmen. Der neue Ritter vollzieht die
Ceremonie an dem Grafen von Hanau, ihren
Begleitern und allen noch Anwesenden. Alle
diese Anstrengungen, bei elender Lebensweise, zur
Höhezeit des syrischen Sommers, wurden in 8
Tagen vollbracht, während sonst meist 14 Tage
dafür verwendet wurden.
(Fortsetzung folgt),
Dr. GotllieL» Kellner und Heinrich Keife
Geschildert von X Trabers.
(Schluß.)
c|Sv te Aushebung Dr. Kellners aus dem Kloster
lol Wormeln erfolgte, wenn ich mich recht ent-
Aär sinne, im Juli 1851, ungefähr gleichzeitig
mit Hornfeck's und meiner eigenen Ver-
haftung in Fulda. Auch wir hatten gegen die
Srptemberordonnanzen, in denen wir eine Ver-
letzung der Verfassung von 1831 erblickten, in
einer Reihe von Zeitungsartikeln beharrlich an-
gekämpft und wurden acht bis neun Monate nach
dem Erscheinen der letzten Nummer unsere- Blattes
verhaftet, um erst jetzt vor das permanente Kriegs-
gericht gestellt zu werden. Auf dem Transporte
in da- Kastell zu Kassel mußte ich mit meinen
Gensdarmen zu Bebra übernachten. Dort im
Gasthause wurde mir zugeraunt: Auch Kellner
soll verhaftet sein. Es verging aber Woche auf
Woche, ohne daß von dieser Verhaftung etwas
zu merken war.
Da mit einem Male, in der Nacht vom 13.
auf den 14. August, wird es im Kastellhofe un-
gewöhnlich lebendig. Ich verlasse mein Lager
und eile an's Fenster. Doch läßt sich in der
dunklen Nacht und weil die Eisenstäbe einen
ordentlichen Ausblick unmöglich machen, nichts
unterscheiden. Auf der Zelle neben mir entsteht
ungewöhnliches Ab- und Zugehen. Diese Zelle
zu meiner Rechten hatte bisher dem Auditeur
Dallwig, der sich dem permanenten Kriegsgerichte
zur Verfügung gestellt hatte, als Verhörzimmer
gedient. Nun aber wurden plötzlich lärmende
Einrichtungen getroffen, wahrscheinlich Tisch und
Stühle entfernt, eine Pritsche aufgestellt und was
sonst noch geschehen mochte. Als das Poltern
aufhörte, war mir, als würden dem Wachtposten
auf dem Gange besondere Instruktionen ertheilt.
Am anderen Morgen bekam ich Gewißheit durch
die Nachbarschaft außerhalb des Kastells. Dem
Eingänge des Letzteren gegenüber, vom Kastell
durch die Straße getrennt, zieht sich eine Reihe
von Häusern hin. So war es wenigstens damals,
wenn es sich jetzt etwa geändert haben sollte.
Aus den oberen Stockwerken jener Häuser konnte
man herüber in's Kastell sehen, in die vergitterten
Fenster unserer im ersten Stock gelegenen Zellen.
Das Gegenüber dieser Zellenfenster und jener
Häuser ist zwar ein ziemlich weites, indem die
erwähnte Straße, der Kastelleingang, ein Theil
des Walles und dann auch noch die ganze Breite
des Kastellhofs dazwischen liegen; wer aber so
gute Augen hat, wie die weinigen damals waren.
bedarf keines Glases, um eine Person, die aus
jenen Häusern herüberblickt, genau zu unter-
scheiden.
Dort in dem oberen Stockwerk eines der Häuser
gewahre ich jetzt eine Frauengestalt, die ein Kind
so weit als möglich aus dem offenen Fenster
heraus hält, als wollte sie eS in den Kastellhof
gleichsam herüberreichen. Ich erkannte auf den
ersten Blick Gottlieb Kellners Frau und wußte
nun, wer in der Nacht mein Nachbar geworden
war.
Als nach etwa einer vollen Stunde die Frauen-
gestalt mit ihrem Kinde aus dem Fenster wieder
verschwunden war und ich annehmen durfte, daß
sie das Haus, aus welchem sie ihren Grnß herüber-
gewinkt, wieder verlaffen habe, trommelte ich an
die Wand, die mich von Kellner trennte. Ich
schlage dann einmal hart an und rufe aus Leibes-
kräften A. Ich wiederholte sowohl den Schlag
wie auch den Ruf. Ich ließ dann zwei Schläge
folgen und rief B. Sofort antwortete Kellner
mit drei Schlägeu und rief 6. Er hatte mich
also verstanden und unser Klopf - Alphabet war
fertig. Allerdings ein sehr unpraktisches, weil
es höchst unbeqnem und ermüdend war. Wie
hätten wir es auch gleich so vollkommen haben
können, wie es die in den Gefängnißzellen ein-
gebürgerten Gauner besitzen? Aber immerhin, wir
konnten uns schon verständigen, wenn auch nur
mühsam und langsam. Wir gingen auch sofort
daran, unsere Buchstabenbezeichnung bequemer
einzurichten; bald aber konnten wir das Klopf-
alphabet fast ganz entbehren.
Unter den Soldaten, die täglich die Kastell-
wache zu beziehen hatten, gab es nämlich immer
eine erhebliche Anzahl uns vertrauter Parteigänger,
und wenn auch ich es verschmähte, von denselben
jemals eine Gefälligkeit in Anspruch zu nehmen,
so waren die Kasseler Demokraten minder skrupulös
und organisirten sofort eine sehr rege Verbindung.
Am besten ging das von Statten, wenn die Wache
vom Leibgarderegiment bezogen war, in das sich
ein Kasselaner Namens Zinn (er war Setzer
seines Zeichens) als Freiwilliger hatte aufnehmen
lassen, um gleichsam der Leiter des geheimen
Verkehrs zu werden. Seiner Schlauheit gelang
es sogar, sich in den Besitz eines Nachschlüssels
zu setzen, mit welchem er, wenn ihn die Reihe
traf. Nachts im Gang vor Kellners Zelle auf
Posten zu stehen, nach Belieben öffnen konnte.
190
Unter diesen Umstünden wurde sofort ein neuer
Fluchtplan entworfen, der, unsere Einwilligung
vorausgesetzt, auch Hvrnfcck und mich umfassen
sollte. Wir beide aber lehnten ab, und zwar be-
stimmte unS hierzu die Einrede der Verjährung,
die uns zur Seite stand, und die Erwägung, daß
wir im schlimmsten Falle doch wohl nur eine
solche Strafe zu gewärtigen haben möchten, die
man immer noch lieber trägt, als daß man sein
Vaterland aufgibt.
Anders stand, die Sache bei Kellner, bei dem
die Einrede der Verjährung höchst fraglich war
und welcher nach meiner Kalkulation immerhin
von Seite des Kriegsgerichtes, dessen verfassungs-
widrige Einsetzung und Kompetenz wir vergeblich
anfochten, auf eine Gefängnißstrafe von 20 Jahren
zu rechnen hatte. Eine solche Strafe wäre für
Kellner gleich dem Tode gewesen. Er also mußte
fliehen.
Der Fluchtplan war schon im Herbste 1851
fertig. Die Ausführung verzögerte sich aber
durch die Jnhaftirung eines Militärarztes, der
nicht in's Vertrauen gezogen werden durfte und
leicht in der Lage gewesen wäre, den Plan zu
vereiteln. So kam es, daß Hornfeck und ich
trotz der Verjährung standrechtlich verurtheilt,
unser Prozeß auch in der Revisivnsinstanz durch-
geführt und wir beide nach Spangenberg abge-
führt wurden, Kellner aber immer noch seinem
Schicksal im Kastell zu Kassel entgegenharrte.
Sein dortiger Aufenthalt hatte sich auch gleich
in den ersten.Wochen arg verschlimmert. Der
Kastell-Kommandant Willius hatte die von mir
geschilderte Begrüßungsscene so gut bemerkt wie
ich und Kellners Frau wiederholte den Gruß auch
an den folgenden Tagen. Sie hatte dann um
die Erlaubniß gebeten, ihren Mann sprechen zu
dürfen, was ihr, wenigstens in den ersten Wochen
der Untersuchung, abgeschlagen wurde. Nicht ohne
stolzen Trotz kam sie dann, ihr Kind auf dem
Arme, in den Kastellhof. Allgemeine Bestürzung!
Die unglückliche Frau stand mitten im Hofe, der
Zelle ihre» Gatten gegenüber, und der kleine
Knabe winkte mit den Händchen und rief: Papa!
Papa! Man forderte sie auf, zu gehen, aber sie
blieb und wurdb schließlich mit Gewalt weggeführt.
Die Folge davon war, daß Kellners Fenster
tnit Blenden versehen wurde. Alles das wüßte
Ich, hatte es mit angesehen, und nun die fort-
währende Verzögerung der Flucht! Kann sie
Noch gelingen? Wird sie gelingen?
Da endlich kommt die erste Botschaft zu mir
Auf die Festung. Der Gefreite Linz, der bei
Meinem Spaziergang auf dem Wall als mein
Wächter hinter mir her zu trotteln hatte, raunt:
sie mir am 15. Februar 1852.mit den leise gt*
flüsterten Worten zu: „Wissen Sie schon? Der
Kellner ist durchgegangen."
Einen oder zwei Tage später erhielt ich dann
auch einen Brief meiner Braut, den ich hier
wörtlich mittheilen will:
„Freuen wir uns! Dr. Kellner ist frei. In
der Nacht vom 13. auf den 14. Febr. ist er
mitsammt der Schildwache, mit dem Gardisten
Zinn, geflüchtet. Die Flucht war mit großer
Umsicht vorbereitet und wurde ebenso durchgeführt.
Sämmtliche Telegrapheulinien waren durchschnitten
und es dauerte bis 10 Uhr Vormittags, ehe das
erste Telegramm zu Kellners Verfolgung abgehe»
konnte. Das Abschneiden der Leitungen war
eine schwere Arbeit gewesen. Nach dem unter-
irdischen Draht z. B., der nach Berlin geht, war
sieben Nächte lang vergeblich gesucht worden. Ich
hoffe, die Geflüchteten sind bereits in Sicherheit.
Aber trotz dieser Freudenbotschaft, die mir meinen
Geburtstag verherrlicht, sieht's in der Welt gar
schrecklich aus"........
Ei» späterer Brief meiner Braut (natürlich
kamen alle diese Briefe nur auf verbotenem Wege
zu mir) erzählt weiter: „Das kriegsgerichtliche
Erkenntniß gegen Keller lautet auf 35 Jahre.
Warum nicht gleich auf 50, nicht gleich auf 100
Jahre? Die Anklage beschMdigt ihn der Ver-
gehen schwerer Majestätsbeleidigung und des ver-
suchten Hochverraths."
Ueber die Flucht wurde mir dann weiter be-
richtet : „Kellner hat mit seinem Retter Zinn und
seinem Schwager glücklich das gastliche England
erreicht. Zur Ausführung der Flucht war eine
Nacht gewählt, in welcher sich Kommandant
WilliuS außerhalb des Kastells auf einem Offizicrs-
kränzchen befand. Gardist Zinn hatte damals
die Wache am Frankfurter Thor beziehen sollen,
war aber durch Tausch in's Kastell gekommen.
Dort zeigt er seinen Kameraden einen großen
Thaler, sagt, es sei sein Geburtstag heute und
er wolle Etwas drauf gehn lassen. Er läßt dann
Verschiedene- zum Essen holen und schafft einen
Krug voll Schnaps herbei, der mit einem starken
Schlaftrunk vermischt war. Es wird dann macker
drauf losgezecht. Bei der Ablösung um 10 Uhr
Abends kommt Zinn vor Kellner- Thüre. Diese
wird geöffnet, dem Gefangenen ein Soldaten-
mantel angezogen und eine Pickelhaube aufgesetzt.
So führt ihn Zinn dem schlaftrunkenen Posten
vorbei, der im Kastellhof steht. Von da gehen
Beide auf den Wall. Dort wird an einem
Cirenenbusch ein Strick befestigt. An diesem
läßt sich Kellner in einen Kahn hinab, der hier
seiner auf der Fulda wartet. Am jenseitigen
191
Ufer legt er die Soldatenkleider ab und nun geht's
in einem bereitstehenden Wagen flugs zum Thore
hinaus. Gleichzeitig pafsiren andere Wagen alle
anderen Thore Kassels. Zinn bleibt noch bis
gegen Morgen im Kastell und erbittet sich dann
die Erlaubniß, zu Hause seinen Kaffe trinken zu
dürfen, kommt aber selbstverständlich nicht zurück.
Um 8 Uhr begibt sich Aufseher Wagner auf
Kellners Zelle und als er daS Nest leer sieht,
wird er ohnmächtig. Die allgemeine Bestürzung,
die dann folgte, spottet jeder Beschreibung. In
Kassel war der Jubel der Demokraten ganz ohne
Gleichen; ja ich glaube, daß selbst Feinde Kellners
froh mit einstimmten. Einen köstlichen Witz, in
welchem darauf angespielt wird, daß Demjenigen,
der den Flüchtling Zinn einliefere, eine Belohnung
von 300 Thlr. zugesagt war, machte Komiker
Birnbaum im Hoftheater. Er hatte in der Rolle
eines Gastwirths aufzutreten. Die Bedienung
ist schlecht und bleibt trotz allem Rufen der Gäste
durch längere Zeit unsichtbar. Endlich erscheint
-der Gastwirth (man muß sich Birnbaums Grimasse
denken!) und bittet kläglich um Entschuldigung:
„„Verzeihen Sie! Mein Kellner ist mir durch-
gegangen und hat mir für 300 Thlr. Zinn mit-
genommen."" Du kannst Dir denken, daß das
HauS vor lauter Beifall fast zusammengestürzt ist."
Endlich wurde mir noch in einem vierten ge-
heimen Briefe mitgetheilt, der Strick am Eirenen-
dusch sei nur zum Schein angebracht gewesen
und Kellner sei durch das Kasteüthor entkommen.
Auch erzählt dieser Brief von der Verhaltung
eines Kasseler Posamentiers der in Betreff Kellners
von einem Fluchtplane Kenntniß erhalten hatte
und sie mittelst einer Denunziation verwerthen
wollte, aber damals, als er diesen Versuch machte,
nicht angehört wurde. Jetzt aber lvurde diese
schöne Seele am Kragen gefaßt und in eine
Untersuchung gezogen.
Dr. Kellner blieb nicht in Lopdon, sondern
ging nach Nordamerika. Anfangs soll er dort
mit schwerer Noth gerungen hohen. Nachher
wurde er Redakteur in einem der Südstaaten der
Union. Gehört und gesehen habe ich leider nichts
mehr von ihm, aber ich denke, er lebt noch").
Und was. ist aus seinem Commilito geworden,
der, den Bitten der Braut folgend, nach England
flüchtete?
„Ach, der Tod» er raubt uns Alles;
Wie ein Habicht raubt er uns."
Schon bald nach Ausführung seiner Flucht eines
frühen Todes verblichen, ruht Heise längst in
fremder Erde*) **). Der Vulkan ist ausgebrannt.
Nicht eine Handvoll Asche mehr ist sichtbar, die
uns noch Zeugniß gäbe von dem Feuer, das da
geglüht und gesprüht hat.
Wer aber von den Zeitgenossen noch im Stande
ist, die Lücken des von mir Erzählten zu ergänzen,
oder mich da, wo ich vielleicht geirrt habe, zu
berichtigen, den bitte ich, uns sein Wissen mitzu-
theilen. Ich lade ihn dazu ein im Namen der
Geschichte.
*) Dr. Golllieb Kellner lebt heute noch in Philadelphia als
Herausgeber des „Philadelphiaer-Demokrat". Dr. Gottlieb Kellner,
geb. .1820 zu Kassel, steht gegenwärtig in seinem 67. Jahre. Kellner
hatte in Heidelberg und Marburg von 1840—1845 Rechtswissenschaft
studirt, hatte sich dann als Privatdozent in der philosophischen Fakultät
zu Göttingen habilitirt, von wo ihn das Jahr 1848 nach seiner Vater-
stadt Kassel zurückführte. D. Red.
**) Heinrich Heise ist am 26. Januar 1860 zu Liverpool
in seinem 40. Lebensjahre gestorben. Geboren war derselbe am
29. Septbr.1820 in Hofgiismar, wo sein Vater, der nachmalige Steuer-
Jnspekiör M. E. Heise, damals Steuerkommissar war. Heinrich
Heise hatte sich erst spät zum Studium entschlossen, er brachte es
vermöge seiner außergewöhnlichen Begabung in kürzester Zeit so weit,
daß er im Herbst 1842 zu Hersfeld seine Maturitätsprüfung glänzend
bestehen konnte und studirte dann von da bis 1846 in Marburg und
Göttingen Rechtswissenschaft. D. Red.
----------3n» .y 4. »4—------
Hin Gang über den Me« Kasseler Friedhof?)
von W. vogge-Ludwig.
II. Karl Friedrich Gerstäcker.
Einige Wochen vor Jussow's Ableben wurde
der gefeiertste Sänger an dem Kasseler Hoftheater,
Karl Friedrich Gerstäcker, zu Grabe getragen.
Auch ihm haben Freunde und Kunstgenossen auf
dem alten Friedhofe ein Denkmal errichtet. Ein
kunstvoll bearbeiteter, etwa 6 Fuß hoher Gedenk-
stein zeigt uns die Stätte seiner Ruhe. Die auf
demselben angebrachte, jetzt auch schon ziemlich
verwitterte Inschrift lautet:
Karl Friedrich Gerstäcker
geb. 15. November 1788, gestorben I. Juni 1825.
*) Sieh Hessenland Nr. 12.
Darüber stehen die Berje:
Was seine Lippen uns gesungen,
Was so von Herz zu Herz gedrungen,
Es lebt zu unvergcßner Lust
Unsterblich fort in jeder Brust.
Unter den jetzt Lebenden finden sich nur noch gar
wenige, denen der Gesang des berühmtesten
Tenoristen feiner Zeit unvergessen geblieben ist,
noch aber giebt es viele, welche bekunden können,
mit welcher Begeisterung dessen Zeitgenossen noch
in späten Jahren sich seiner erinnert haben.
Eine derselben, die vom Jahre 1812 bis 1872
am Kasseler Theater thätig gewesene Hofschau-
1Ö2
spielerin Henriette Schmidt, sagt von ihm in
ihren hinterlassenen Aufzeichnungen: „Mit seiner
wnndervollen, hohen, gutgeschulten Stimme, dem
richtigen Verständniß der ihm gestellten Aufgabe,
löste er diese immer mit der größten Künstler-
schaft. Dabei unterstützte ihn lebendiges, stets
der Situation angemessenes Spiel, bewegliche
freie Handlung und eine sehr schöne Persönlich-
keit. Sein Darstellungstalent kam dem seines
Gesanges fast gleich. In Partien wie Max im
Freischütz, Johann von Paris, Tamino, Florestan,
Sargines, Nadori in Jassonda wurde er von
keiner der damals lebenden Kunstgrößen erreicht.
Seine beste Rolle war Adolar in Webers Eury-
anthe, sein ganzes Wesen, Stimme, Bortrag und
Spiel, war für diese Rolle wie geschaffen." Der
vor ihm auch in der Blüthe seiner Jahre ver-
storbene Dichter Ernst von der Malsburg hat ihn
im Jahre 1822 mit folgenden Versen gefeiert:
Wenn Dein Lied in sanften Tönen
Dringt an unser Ohr,
Hebt cs uns zum Quell des Schönen
Zauberisch empor.
Singe, lieber Sänger, singe
Deine Melodiken,
Die uns auf der Engel Schwingen
Leise mit sich zieh'«.
Glaub' cs nur, was Deinem Munde
Zauberisch entthaut,
Ist, was Gott in sel'ger Stunde
Engeln anvertraut'.
Den Kasseler Kunstfreunden war es aber nur
wenige Jahre vergönnt, sich an der unvergleich-
lichen Stimme des gottbegnadeten Sängers zu
erfreuen. Sein erstes Auftreten fand am 28. Juli
1821 in Spontini's Vestalin statt, und nur ein-
mal war es ihm vom Schicksal vergönnt, in seiner
glänzendsten Partie in der am 28. Juli 1824
zum erstenmal gegebenen Oper Euryanthe auf-
zutreten. Sie war sei Schwanengesang.
Von einer kurz darauf unternommenen Kunst-
reise kehrte er krank zurück und eine sich schnell
entwickelnde Lungenzehrung endete das Leben des
so viel bewunderten Künstlers am 1. Juni 1825
in der Blüthe seiner Jahre. Wie groß und all-
gemein die Trauer über sein frühes Hinscheiden
war, zeigte sich bei seiner Beerdigung. Dem
Sarge folgte eine überaus große Anzahl seiner
Freunde und Veehrer, sowie sämmtliche Mitglieder
des Theaters und Orchesters. Unter Trauer-
gesang wurde der Leichnam aus dem Hause ge-
tragen und mit Trauermusik eingesenkt. Am
Grabe widmete Hofrath Niemeyer dem Andenken
des Künstlers Worte der Feier und der Wehmuth.
Die Kasseler Zeitung zeigte seinen Tod mit
folgenden Worten an:
„Eine der anmmhigsten Stimmen ist hiernieden
auf immer verstummt. Friedrich Gerstäcker, gleich
liebenswürdig als Mensch, wie als Künstler, ist
diesen Morgen nach einem langwierigen Kranken-
lager im Kreise einer trostlosen Familie und tief-
betrübter Freunde in den besten Altersjahren
verschieden. Unsere Oper verliert in ihm den
seltensten Schmuck und Reiz und Deutschland
gewiß einen seiner ersten Tenoristen."
Gleich in dem ersten Jahre seiner Bühnenthärigkeit
am Kasseler Hoftheater hatte Gerstäcker auch
Gelegenheit gehabt, Anerkennung seiner Leistungen
von der berühmtesten Sängerin ihrer Zeit, zu
finden. Es war die am 23. Februar 1749 als
Gertrud Elisabeth Schmehling in Kassel geborene
und zu einem Weltruf gelangte Mara. Sie
hatte Kassel schon in ihrem sechsten Lebensjahre
verlassen und in ihrem langen Leben ihre Vater-
stadt nur zweimal auf wenige Tage wieder auf-
gesucht, zum letzten Mal im Oktober 1821.
Die Kasseler Kunstfreunde hatten damals ihre
berühmte Landsmännin außerordentlich gefeiert,
vor Allen aber die Kurfmstin Auguste, welche
sie gleich nach ihrer Ankunft zu einer musikali-
schen Abendunterhaltung zu sich einlud. Die
72jährige Sängerin hatte hier durch den Vor-
trag der Arie aus Händels Messias „Ich weiß,
daß mein Erlöser lebt," allgemeines Entzücken
und Erstaunen erregte. Bei einem am 11. Ok-
tober ihr zu Ehren im Stadtbau gegebenen Kon-
zert war auch die Kurfürstin erschienen, und der
Künstlerin, als diese den Saal betreten, entgegen-
gegangen und hatte sie auf den Platz neben sich
geführt. In einem damals erschienenen Bericht
über dieses Konzert wird gesagt: „Der Gesang
der Madame Arnold, geborene Reuter, uunseres
Lieblings Gerstäcker und das Violinspiel des
Herrn Wiele boten einen großen Kunstgenuß.
Nach Beendigung des Konzerts wurde Mara
von dem Adjutanten des Kurprinzen, Hauptmann
von Steuber in den Speisesäal geführt, wo Kunst-
freunde ihr zu Ehren ein Abendessen arrangirt
hatten und wo sie unter Pauken- und Trompetey-
schall begrüßt wurde. Nach der Mahlzeit bot
sie der Gesellschaft durch den Vortrag einiger
Kavatinen den herrlichsten Genuß, worauf ihr
Gerstäcker, der allein dazu würdig befunden war,
einen Lorbeerkranz aufsetzte.
Der Enthusiasmus für die berühmte Lands-
männin war so groß, daß beschlossen wurde, ihr
an der Stelle, wo sie im Konzert gesessen hatte,
ein Denkmal zu errichten, welches in einer da-
selbst einzusetzenden erzenen Platte mit ihrem
Namen und Geburtsort und den Tag des Kon-
zertes bestehen spllte."
193 —
Zur Hebung des Sinnes für dramatische Kunst
in Kassel hat Knrfürst Wilhelm II. dadurch, daß
er durch Verwilligung bedeutender Geldsummen
(jährlich über 50600 Thlr.) das Theater zu
einem der ersten Deutschlands erhob, sehr viel
beigetragen. Dazu kam, daß er in dem zum
Generaldirektor des Hoftheaters ernannten früheren
Theaterdircktor Carl Feige den richtigen Maun
zur Ausführung seiner Absichten gefunden hatte.
Diesem gelang es gleich anfangs Kunstgrößen,
wie Seydelmann und Loewe für das Schauspiel
und Berthold und Gerstäcker für die Oper zu
gewinnen.
Letzterer, in Schmiedeberg bei Wittenberg ge-
boren, war eigentlich zum Chirurgen bestimmt,
seine vortreffliche Stimme, verbunden mit außer-
ordentlicher Begabung für Musik, ließ ihn aber
die ihm von der Natur bestimmte Laufbahn be-
treten. Nachdem er von Benelli ausgebildet
war, debutirte er bei der Ritz'schen Schauspieler-
gesellschaft in Chemnitz, kam bald darauf im
Jahre 1810 zur Seconda'schen Gesellschaft,
welche in Leipzig und Dresden ihre Vorstellung
gab und im Jahre 1815 nach Hamburg. Nachdem
er sich hier als Künstler und als edler und be-
scheidener Mensch die allgemeinsten Sympathieen
erworben hatte, kehrte er 1820 nach Dresden
zurück, worauf er im folgenden Jahre mit
3000 Thl. Gage für das Kasseler Hoflheater
engagirt wurde. Gerstäcker hatte auch auf seinen
Kunstreisen in Dänemark, Holland und Frankreich
allgemeine Bewunderung erregt. (Allgemeine
deutsche Biographie).
Der so sehr gefeierte Sänger wurde auch in
Kdssel wegen seines musterhaften Privatlebens
allgemein hochgeachtet. Henriette Schmidt schreibt:
„er lebte außer seiner Kunst nur seiner Familie!
Wie oft denke ich noch an die harmlos ver-
gnügten Slunden zurück, die ich mit ihm, seiner
Frau und seinen Kindern in seinem Hause ver-
lebt habe." Sein Sohn war der bekannte Schrft-
steller Friedrich Gerstäcker, welcher zum Kauf-
mann bestimmt, in Kassel in das Philippson'scheu
Geschäft als Lehrling eingetreten war, bald aber
Kassel verließ, um Oekonomie zu erlernen. Und
dann sein Glück in Amerika zu versuchen.
Der Kurfürst ehrte Gerstäcker nach dessen
Tode dadurch, daß er seiner Wittwe eine lebens-
längliche jährliche Pension von 300 Thlr. be-
willigte.
Möchten doch die jetzt lebenden Kunstfreunde
das Andenken an den berühmten Sänger dadurch
ehren, daß sie das von seinen Kollegen errichtete
schöne Denkmäl vor dem ihm drohenden Verfall
bewahren!
Der lange Hermes.
Eine Geschichte ans dem vorigem Jahrhundert von Franz Treller.
(Schluß.)
onate waren vergangen seit jenem Tage, der
Sommer neigte sich schon dem Ende zu, da
schritt in Kassel ein Grenadier im langen
Soldat enmantel langsam die Schloßfreiheit hinauf.
Vor dem Hause des Geheimen Raths von Schimmel-
pfennig hielt er an, holte tief und schwer Athem,
öffnete dann die Thüre und betrat das Haus.
Er klingelte an der.Vorthür, und dem öffnenden
Diener drückte er seinen Wunsch aus „s Kathrinliß
zu sprechen."
„Do äs n Soldate Kathrinliß un well Dich
sprechen" rief der Diener in ein Zimmer hinein.
„Ach Du allemächtiger Gott" und flink fuhr
das Mädchen aus dem Zimmer heraus in den
Hauseren, in der einen Hand einen Scheuerbesen,
in der anderen einen Lappen..
„Hennes! Hennes! best Du's dann?" und
mit einem jauchzenden Schrei rannte sie auf ihn zu.
Der starke Mann umschlang sie mit dem Arm,
hob sie empor, küßte sie auf die Wange und
ließ sie dann langsam wieder zur Erde nieder.
'S Kathrinliß mußte sich doch ein Bischen
setzen, 's war ihm ganz schwach zu Muthe, aber
es dauerte nicht lange, dann sprang sie jubelnd
wieder auf und verschlang ihren Hennes mit
den Augen.
„Ich dachte jo, du kemest nidd Widder Hennes;
Ach du liewer Gott, wasf honn ich vor Angest
ußgestehn. Du, liewer, liewer Hennes, nu äs
jo Alles gud, nu best de Widder do — dem
liewen Godde si's gedanket."
So herzlich und liebevoll der Hennes seinen
Schatz anblickte, so lag auf seinem Antlitze doch
ein Schatten von Trauer.
„Na? was beste dann so stille? Freist Du
Dich dann nidd?"
Langsam begann der Grenadier:
„Kathrinliß ich muß De erst was sprechen —"
194
„Na?" fragte das Mädchen und blickte den
ernsten Mann unruhig an.
Der Hennes sah vor sich nieder und sagte
dann: „Kathrinliß ich den 'n Krüppel."
„Ach du allemächtiger Gott!" und das starke
Mädchen wurde ganz blaß und starrte mit einem
Blicke wortlosen Schreckens den Hennes an.
„Wo dann Hennes? Wo dann?" sagte sie
endlich leise. „Wo host De's dann?"
„Ich honn bloß einen Armen."
Nach einer Weile, während sie ihres Schreckens
Herr zu werden suchte, fragte sie mit zitternder
Stimme: „Werd's dann Widder heile weren?
„Heile äs es schund — awer ich honn bloß
den einen noch."
„Na, wann's heile äs? —" und Freude
kämpfte auf ihrem Antlitz mit der Angst.
„Jo — awer mit einen Armen —"
„Was wedde dann Hennes? Wann's nur
heile äs — ich honn zwei — un midd allen
beiden well ich vor dich arweiden. Dag un Nacht,
Hennes. Wann's Widder nix äs — do mach
De keine Gedanken nidd ümiiie." Da schlang
der starke Mann schweigend seinen Arm um das
Mädchen und drückte ihren Kopf an sein Herz;
un's Kathrinliß schluchzte, als ob's der Bock
stieß, un dann sproch's:
„Armer Hennes!'Liewer Hennes!" und auch
ihm rollten langsam die Thränen über die ge-
bräunten Wangen, aber es waren Thränen der
Rührung, tiefinnerer Freude.
In der Küche lauschten der Diener und die
andere Magd dem, was da auf dem Gange vor-
ging, und denen wurden auch die Augen naß.
'S Kathrinliß awer riß sich endlich los, halb
noch schluchzend, halb jubelnd:
„Wann's Herze nurd noch ganz äs, Hennes,
uff 'n Armen kimmet me's nit ahn. Best doch
noch der scheenste Bursche in 'n Hessenlanne un
der bravste — best min Hennes."
Schon wollte sie ihn zur Küche ziehen, als
sich die HauSthüre öffnet und ein Unteroffizier
hereintrat, der sich kurz an den HenneS wandte:
„Grenadier Krug, ich bin Ihm nachgeschickt. Er
hat sich sofort auf dem Schlosse beim Adjutanten
von Dörnberg zu melden," damit machte der
Unteroffizier wieder Kehrt und Hennes verab-
schiedete sich und folgte ihm — während ihm
das Mädchen nicht ohne Besorgniß nachblickte.
In einem fürstlich behaglichen Gemach des
alten Landgrafenschlosses stand der Hennes kerzen-
gerade vor Prinz Friedrich. Mit einem ganz
besonderen Ausdruck schaute der junge Fürst in
das ehrliche Antlitz des Burschen.
„Weiß Er, warum ich Ihn rufen ließ Gre-
nadier Krug?"
„Zu Befehl, Fürstliche Gnaden, nein."
Mit einem sanften, herzgewinnenden Lächeln
fuhr der Prinz fort, während sein Auge über
die Gestalt des Hennes fuhr:
„Er hat ja wohl nur einen Arm, Grenadier
Krug?"
Der Hennes wurde roth im Gesicht, und
stotterte ganz unreglementmäßig: „Jo, ich honn
bloß einen."
„Wie hat Er dann den andern verloren?"
Der Hennes schwieg in sichtbarer Verlegenheit.
„Er scheint sich nicht zu erinnern, Grenadier
Krug — eS ist gut daß ich ein bessere- Ge-
dächtniß habe. Glaubt Er denn, ich hätte nicht
gesehen, wie er da bei den schottischen Bergen,
Er weiß ja wohl noch, seinen Arm vor mich
warf und den Hieb des Hochländer- auffing,
der mir galt? Was? Und Er meldet sich nicht
bei mir, seit er aus dem englischen Lazarethe
heraus und wieder auf deutschem Boden ist?"
„Ich hon jo bloß minne'Schulligkeit gedohn."
„Das hat Er redlich Hennes, wie ein echt
hessisches Landeskind. Er muß es mir zu Gute
halten, Krug, daß ich mich in dem schottischen
und niederländischen Trubel nicht gleich um ihn
bekümmerte" —*)
„Ach Gott, Fürstliche Gnaden —"
„Aber vergessen hab' ich Ihn nicht."
Nach einer Weile fuhr der Prinz fort:
„Kann Er denn noch schießen, Krug, mit dem
rechten Arme?"
Mit leuchtenden Augen, entgcgncte der Hennes:
„Zu Befehl, 'S geht mit dem einen Arme so
flink und sicher wie mit den zweien."
„So? Na, dann könnte Er ja wohl auch
Förster werden? Wie?"
Der Hennes sah ordentlich erschrocken au-.
„Er soll auf den Burgberg, Hennes — der
Cornelius dort wird Oberförster in Melsungen.
Ist Ihm da- so recht?"
„Fürstliche Gnaden" — stotterte der Henne-,
der gar nicht wußte, wie ihm zu Muthe war.
Um seine sichtliche Verlegenheit zu mindern,
fuhr der Prinz gütig fort: „Er muß nun auch
an eine Försterin denken, Krug."
„Ich honn'S Kathrinliß —"
„So?" lachte der Prinz „na dann ist's ja
gut. Mach' Cr der künftigen Frau Försterin
*) Die hessischen Truppen wurden nach kurzem Ausenhalt in
Schottland, nachdem der Ausstand der Schotten durch die für die
Engländer siegreiche Schlacht bei Cullodden niedergeworfen war,
wieder nach den Niederlanden zurückbeordert.
105
mein Kompliment, und um die Aussteuer soll
sie keine Sorgen hegen, ich habe mir das Ver-
gnügen vorbehalten, das Forsthaus eilizurichten,
versteht Er? Und nun, Krug, nehme Er dirs
hier zur Erinnerung an Seinen Prinzen und
die Affaire mit den Schotten — und Prinz
Friedrich überreichte ihm eine goldene Uhr mit
seinem Namenszuge, die der verblüffte Henncs
ganz mechanisch nahm.
„Das ist Eins. Die Medaille soll Er morgen
auf der Parade vor versammeltem Kriegsvolke
haben — und nun melde Er sich. Förster Krug,
beim Oberforstamte, und bei der Kämmerei kann
Er auch einmal nachfragen, da liegt Etwas für
Ihn. Wenn Er aber, langer Hennes," und mit
diesen Worten reichte ihm der Prinz die Hand,
„wenn Er einmal einen rechten Freund in der
Welt braucht, so wende Er sich an seinen Prinzen
— versteht Er Kriegskamerad?"
Zögernd ergriff der Hennes die Fürstenhand,
sprechen konnte er nicht — er war zu erschüttert.
Kräftig drückte ihm Prinz Friedrich die Hand,
sagte hastig: „Gch's Ihm gut" und verliest
rasch das Zimmer. Zur anderen Thüre stürzte
der tiefbewegte Hennes hinaus, zum — Kathrin-
liß. Und wenn jemals zwei glückliche Menschen
zusammensaßen — so war es an dem Tage
das zukünftige Försterpaar, vom Burgberge.
Vier Wochen darauf wurde der neue Förster
vom Burgberge in der Kirche zu Besse mit
seinem Schatze getraut, und von weit und breit,
waren die Leute herbeigeströmt, um de» langen
Hennes und sein Kathrinlist am Altare zu sehen.
Stattlich sah er aus im Försterrocke, und 's
Kathrinliß hatte einen Staat angelegt und eine
Keim Gewitter.
Das Ist ein Buch ans finstern Wolkenblättern,
Das dort im Westen aufgeschlagen liegt;
Das füllt der Herr mit seinen Flammenlettern!
Sein kleinstes Wort das Weltall überfliegt.
Er schrieb's und donnernd rollt eS ob der Erden,
Des Buches Blätter schlagen auf gesammt;
Ein neues Wort soll uns verkündet werden.
Ein rechtes Wort! Ei» Gortgedanke flammt!
Schlagt auf den Blick! Nach allen Seiten wallen
Die Engel hin am weilen Firmament,
In jeder Hand ein Blatt, dem Buch entfallen,
Als Fahne flatlcrt's, doch die Fahne brennt.
Kornette auf dem hübschen Kopfe, wie' die reichste
Bauerntochter im Hessenlande. Drei Tage gings
hoch her in Besse und am Burgberge, denn auf
der Käiqmerei hatten 1000 Thaler gelegen für
den Förster, aber manchmal im tollsten Jubel
sah sich der Hennes um, als ob er Jemand
suchte, und dann sagten die Leute: „Jetzt denket
he an litten Barthel." Und so war's auch.
Der Barthel aber, vollständig wiederhergestellt,
hatte Gefallen am Soldatenstande und am Kriegs-
leben gefunden und war beim Regimente ge-
blieben, welches noch in den Niederlanden stand.
Die Jahre vergingen, das Haus des Försters
füllte sich mit Jungen und Mädchen, der Erst-
geborene hieß natürlich Barthel, und Glück und
Frieden herrschte darin.
Aus dem jüngeren Bruder war ein stattlicher,
mit Medaillen geschmückter Sergeant geworden,
der später, als das Bstaillon nach Kassel zurück-
kehrte, sich oft genug in Besse sehen ließ, um am
Heerde des Bruders zu weilen.
Als später die Hessen auszogen, um neben
den Soldaten des alten Fritz zu streiten, fiel der
Sergeant Krug, tapfer fechtend nach Hessenart,
bei Minden, wo ihn die französische Kugel traf.
Als die Todeskunde an den Burgberg kam. er-
schütterte sie den Förster tief, und seufzend sagte
er: „Ach wann ich bi emme gewest weer!"
Hochbetagt, geschätzt und geliebt von Allen starb
der Förster Krug erst gegen Enoe des Jahr-
hunderts. Weit und breit aber hieß der ge-
waltige Mann bei Jung und Alt der „lange
Hennes." und von seiner Kraft, trotz des fehlen-
den Armes, seinem Muthe, seiner Herzensgüte,
erzählte man noch lange iin Walde, wie in den
Spinnstuoen.
Lest ihr die Worte? Zischend durch die Lüfte
Zuckt doch ihr Sinn, der Zeiten Morgenroth!
Braust nicht das Echo hallend durch die Klüfte-:
„Wach' auf, du Erde, sei nicht lebend todt?"
Die Engel ruhn! Die glühen Fahnen halten
Sie aufgerollt mit beiden Händen hin.
Es währt nicht lang: — zerrissen und zerspalten,
Die Engel schleudern das Panier uns hin.
Ich athme tief! Auf meiner Brust noch grollen
Schwer jene Worte, wie ein todtes Meer;
Könnt' doch mein Lied laut wie der Donner rollen'
Ich rief' sie wach: „Schlaf Erde, schlaf nicht mehr I"
1842.______ föuinridj Heise. *)
*) Das vorstehende Gedicht d s hessischen Bolksmannes. bessert
Wesen und Thätigkeit von unserem Mitarbeiter A. Trabert in den
Nummern.12—14 so anziehend geschildert ist, ist einer kleinen hand-
schriftlichen Sammlung Heise'scher Gedichte entnommen, die uns
freundlichst zur Verfügung gestellt wurden. D. Red.
1Ö6
%m alter and nener Zeit.
Wöhlerdenkmal. Wie wir in verschiedenen
Blättern lesen, hat der Verband der Vereine deutscher
Chemiker den Beschluß gefaßt, d(m am 15. September
1882 zu Göttingen verstorbenen Geheimen Ober-
medizinalrath Professor Dr. Friedrich Wöhler
ein Denkmal zu errichten und zu diesem Zwecke
die Summe von 20000 Mark bestimmt. Als Auf-
stellungsplatz ist der Platz vor dem chemischen Labo-
ratorium in Göttingen ausersehen. — Der berühmte
Chemiker Friedrich Wöhler ist ein Kurhesse. Geboren
ist derselbe am 31. Juli 1800 zu Eschersheim. Er
war Mitbegründer und erster Lehrer der im Jahre
1832 errichteten polytechnischen Schule (höhere Ge-
werbeschule) zu Kassel, die sich in den ersten Jahren
ihres Bestehens eines ausgezeichneten Rufes erfreute.
Im Jahre 1836 wurde Wöhler als Professor der
Chemie an die Universität Göttingen berufen, wo er
bis zu seinem Tode als eine Hauptzierde der alma
mater Georgia Augusta wirkte. Sein Nachfolger
als Lehrer der Chemie und chemischen Technologie
an der Kasseler polytechnischen Schule war der nicht
minder berühmte Chemiker Robert Bansen, gegen-
wärtig Geheimrath und Professor in Heidelberg.
Wöhler und Bünsen waren unbestritten nach Liebig
die hervorragendsten Chemiker Deutschlands, und die
Kasseler polytechnische Schule kann sich rühmen, beide
Koryphäen der Wissenschaft als Lehrer besessen zu
haben, denen damals noch als würdige Kollegen die
ausgezeichneten Fachmänner: der Physiker Buff, der
Mineraloge Dunker, der Zoologe Philipp!, der
Mathematiker Burbenne zur Seite standen. Auch
nahe verwandtschaftliche Beziehungen verbanden den
berühmten Chemiker F. Wöhler mit unserer Vater-
stadt Kassel. In erster Ehe war er mit seiner Cou-
sine Maria Franzisca, Tochter des Staatsrathes
Wöhler, verheirathet; nach dem am 11. Juni 1832 hier
in Kassel erfolgten Tode derselben verehelichte er sich
am 13. Juli 1834 mit Julie Pfeiffer, der zweit-
ältesten Tochter des Kommerzienrathes Georg Pfeiffer
und wurde dadurch Schwager des jetzigen Reichsgerichts-
rathes a. D. Dr. Otto Bähr, welcher mit der älteren
Schwester Sophie (gestorben am 21. März 1873 zu
Berlin) verheirathet war. Zahlreich ist die Nach-
kommenschaft aus den beiden Ehen Wöhler's an
Kindern und Kindeskindern, die theils in Bockenheim,
Göttingen, Hannover, theils in Hamburg, London
ü. s. w. ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. — Der
Entschluß, Wöhler in Göttingen, dem Orte, an
welchem er 36 Jahre lang segensreich gewirkt, ein
Denkmal zu setzen, ist ein wohlberechtigter Akt der
Pietät. Wöhler hat in vielen Beziehungen epoche-
machend in seiner Wissenschaft gewirkt und die Ar-
beiten, welche er in Gemeinschaft mit seinem Freunde
Justus Liebig bezüglich der Benzoylverbindungen aus-
führte, bezeichnen den Beginn der eigentlich rationellen
Behandlung der organischen Chemie. Friedrich Wöhler
war ein Schüler von Berzelius in Stockholm, dessen
berühmtes „Lehrbuch der Chemie" er deutsch bearbeitet
hat. Seit 1831 gab er mit Liebig die „Annalen
der Chemie und Pharmazie" heraus, wie denn seine
schriftstellerische Thätigkeit überhaupt eine ebenso
fruchtbare wie gediegene gewesen ist. F. Z.
* *
*
In einem im Jahre 1794 erschienenen und jetzt
höchst, selten gewordenen Buche „Meine Wande-
rung durch die Rhein- und Main-Gegend
im Februar 1794" erzählt der unbekannt gebliebene
Verfasser von dem Transport eines Trupps von
1000 in Mainz gefangenen Soltaten der Revolutions-
armee nach der Festung Magdeburg, welchen er durch
Hessen begleitet hat. Zunächst schildert er den elenden
Zustand dieser tausend Souveräne (le peuple souve-
rain) folgendermaßen: „Diese Theaterprinzen gefangen,
theils zu Fuß, theils auch auf offenen.Bauernwagen,
von Ochsen gezogen, auf dürftigem Stroh liegend;
mehr als einer im wörtlichsten Verstände, nicht nur
ohne Hosen, sondern auch ohne Hemde, Strümpfe
und Schuhe, starrend von Ungeziefer, Ausschlag und
Schmutz; lebendige Belege der tiefsten Sklaverei des
Boruriheils, das eisern auf dem Nacken dieses armen
Volkes liegt, das sich frei zu sein dünkt und in seinen
Ketten schmachtet! Diese tausend Selbstherrscher zur
Schau geführt von ihren Bändigern, denen tiefe Ver-
achtung der französischen Volksmajestät von der
Stirn spricht."
Nachdem der Verfasser sich dann sehr entrüstet
über die Sympathieen ausgesprochen, welche die Fran-
osen in einigen Gegenden jenseits des Rheins ge-
unden hätten, schildert er die Aufnahme, welche der
Transport in den hessischen Ortschaften gefunden hat,
wobei er des Lobes voll ist von der patriotischen Gesinn-
ung der wackeren Hessen. „Die hessischen Bauern
wissen nichts von Philanthropie, Freiheitsschauer und
Kosmopolitenfieber, das heißt kurzum, sie sind nicht
aufgeklärt nnd halten noch sehr viel auf ihre Hosen,
wie ihre Väter auch thaten. Sie öffnen ihre Scheuern
und Ställe phlegmatisch und kalt, sobald sie ihr Vieh
untergebracht haben nnd es gilt ihnen gleich, was
nun für Animalien darin haußen."
Es wird dann die Gesinnmig der Hessen an eini-
gen Beispielen nachgewiesen. Ein hysterisches Männ-
lein stand und sah den Einquartierungen an einem
hessischen Orte zu. Das Männlein hatte an einer-
berühmten deutschen Universität der Aufkläruntzskunde
gepflogen und sich da feine philanthropische Nerven
angeschafft, es schämte sich, ein Deutscher zu sein
und trug den Kosmopolitismus vor sich her, alle
Menschen seien Brüder. Es stand mit geschränkten
Armen da und fand es grausam, Kranke und Ge-
fangene in dieser strengen Witterung zu transpor-
tiren, es verlangte von den hessischen Bauern, die
leidende Menschheit zu respektiren, ihnen ihre Betten
unterzulegen und ihrer Brüder Schicksal zu erleichtern
und was der Salbadereien mehr waren. Zu seinem
Unglück wandte sich das Männlein vorzüglich an
einen alten hessischen Invaliden, der dem Auftritt, an
Wunden, Blut und Lazarethe gewöhnt, in großer
Apathie zusah. „Bruder?" sagte dieser. „Mach der
Herr soviel Brüderschaft mit ihnen, als er will, ich
habe mehr Brüder, als ich brauche." „Sie sind doch
Menschen" fistulirte das Männlein. „Menschen?" rief
197
der alte Krieger, „Packe sich der Herr doch über den
Rhein und sage mir, was für pferdemäßige Wirth-
schaft diese Menschen dort getrieben haben." „Der
sittlich gute Mensch vergilt nie Böses mit Bösem",
antwortete der kosmopolttische Kapuziner. „Wir auch
nicht," sprach der Katte, sonst schlügen wir sie alle,
vor die Köpfe oder ließen sie erfrieren. „Liebet eure
Feinde," rief das Männlein. „Meinen Feind kann
ich lieben, aber die Feinde Gottes und des Vater-
landes kann ich weder lieben, noch soll ich's. Mein
Beruf war sonst, sie todt zu schlagen, uird fordert'-
der Landgraf noch von mir, so thue ich's
mit Freuden." In dem Augenblick ward ein halb-
verfaulter Citoyen vom Wagen gehoben und etwas
unsanft auf Stroh gelegt. „Ach! helft doch, helft
dem Leidenden!" schrie das Männlein, das zwei ge-
sunde Fäuste hatte, dem Invaliden zu. „Thnt's doch
selber," antwortete dieser trocken, und zeigte ihm, daß
er nur noch eine Hand habe. „Die andere liegt bei
Saratoga oder da herum," setzte er gelassen dinzn.
„Laßt sie Euch doch vom Landgrafen bezahlen," sagte
der Kosmopolit spöttelnd, „er hat sie ja theuer genug
an die Menschenfleischhändler in England verkauft."
Da riß dem alten Hessen die Geduld, er schlug den
Weltbürger mit der gesunden Faust hinter die Ohren
und rief glühend vor Zorn „ich brauche nur eine,
um jeden Hallunken, der meinen Landgrafen für einen
Seelenverkäufer hält, die Zähne in den Hals zu
schlagen." Der kosmopolitische Jesuit fand für gut
sich von dannen zu schleichen."
„Die Hessen, die ich auf meiner Wanderung studirt
habe, sind ein ehrwürdiges, treffliches Volk, das muß
ich als Preuße anerkennen. Der Landgraf weiß, daß
sie ebenso unvergiftbar, wie als Soldaten unüber-
windlich sind."
Der Verfasser erzählt dann einen anderen Vorfall:
„In Schlüchtern sprach ich einen hessischen
Riesen, der sein altes Schwert Hinteren Ofen immer
mit Wohlgefallen ansah. „Ich denke doch nicht," sagte
ich, „daß an dem alten Brakenfelder Franzoscnblnt
klebt." „Bins auch zufrieden," sagte der Hesse gleich-
müthig, „indessen sollte der alte Seelenhauer noch
gute Arbeit machen, wenns dazu käme." „Ich weiß
wohl," sagte ich, „wenn der Hesse einmal gezogen hat,
so steckt er die Klinge nicht ungefärbt wieder in die
Sch ide. Euern Herrn habt ihr lieb und kämpft mit
ihm, weil er euch auch nicht verläßt." „Nun ja," sagte
der Hesse, „aber wenns auch nicht wäre, so soll den
Franzosen, der uns Weib und Kind und Haus und
Vieh antasten wollte, die Schwerenoth holen. Bei uns
schlüg jeder drein, daß die Knochen herumfliegen sollten,
wir Hessen sind keine alten Weiber, laßt sie kommen,
keiner soll ganzbeinig wieder über den Rhein zurück."
„Ein preußischer Offizier sagte mir, als ich von
den hessischen Soldaten sprach: O, diese Hessen sind
von Mutterleibe an zum Soldaten gestempelt, ich
habe sie mehr als einmal im Feuer gesehen, es sind
vortreffliche Soldaten." R.-K.
Anmerkung. Es ist bekannt, daß in den 90er Jahren des vori-
gen Jahrhunderts die republikanischen Truppen Frankreichs in
Deutschland arg gewüthet haben, und daß sie, was die Ausrüstung
gnbelangt, sich in einem sehr desolaten Zustande befanden, der sich
freilich unter Bonaparte ändern sollte. Obige Schilderung' kann
übrigens als ein getreues Spiegelbild für die Anschauungsweise
gelten, die damals in Hessen gegen die Franzosen und alles was von
denselben herkam, herrschte, und schon um deswillen ist dieselbe von
Interesse. D. Red.
*
❖ &
Die Ritterkapclle in Haßfnrt. Es wird
auch in weiteren Kreisen bekannt sein, daß sich zu
Haßfurt, im jetzigen bayerischen Untersranken, ein herr-
liches Denkmal altdeutscher Baukunst, die sogenannte
Ritterkapelle, befindet. Bekannt ist auch wohl, daß
derselben eine große Anzahl von Wappen zur Zierde
gereichen. Man nahm seither an, die Ritterschaft
in Franken habe solche erbauen lassen. Das ist nun
aber nach dem, was die Kirchenverwaltung zu Haß-
furt bekannt gemacht hat, nicht ganz richtig. Die
Kirchenverwalbnng bittet nämlich um Beiträge zur
Herstellung der Giebelseite des Langschiffs, nachdem
schon früher ein Adelsverein den Chor unter Heideloff's
Leitung hat herstellen lassen. Aus dem fraglichen Auf-
rufe geht hervor, daß an der Kapelle nicht bloß Wappen
fränkischer Ritter sondern solcher aus ganz Deutsch-
land angebracht sind, nämlich aus Franken, Schwaben,
Bayern, Sachsen, Oesterreich, der Schweiz, den Rhein-
landen, Thüringen, Hessen. Pommern, Schlesien, den
Niederlanden, Tyrol und Elsaß und, was die Haupt-
sache ist, daß dieses Gotteshaus das Andenken an
eins der schönsten, erhebendsten Ereignisse der deutschen
Geschichte, an die Aussöhnung und Freundschaft Lud-
wigs des Bayern und Friedrichs von Oesterreich er-
halten soll. Im Ganzen sind es 248 Wappen, darunter
selbstredend die von Oesterreich und Bayern, sodann
das des Burggrafen Friedrich von Nürnberg, des
Grafen Friedrich von Hohenzollern, genannt Ostertag,
und vieler anderen Angehörigen des hohen Adels. Wir
finden ferner die Wappen von Otto und Bodo von
Eulenburg und Derer von Dohna, beide damals noch
auf ihren uralten Stammsitzen im Meißnerlande. Was
aber vor Allem unser Interesse erwecken muß, das
sind die Namen und Wappen aus Hessen. Ob in der
Angabe der Länder, denen die Ritter entstammten,
nicht hin rnd wieder ein Irrthum untergelanfen ist,
— sie rührt, wie es den Anschein hat, von der Kirchen-
verwaltung her, jedenfalls ist sie neueren Datums. —
bleibe dahingestellt. Den Hessen voran steht Otto,
der Landgraf. Wann die Kapelle erbaut ist, weiß ich
nicht: ist dies, wie anzunehmen, in dem ersten Drittel
des vierzehnten Jahrhunderts geschehen, so ist der
Landgraf Otto, des Landgrafen Heinrich I. Sohn aus
dessen erster Ehe mit Adelheid von Braunschweio, ge-
meint. Es werden sodann als Hessen aufgeführt:
Cuno von Fallenberg, Reinhard von Rosenbach (weiß
Jemand von einem Geschlechte dieses Namens in
Hessen etwas?), von Bnttler, Heß von Wigdorf (Wich-
dorf, Amts Gudensberg), von Rumrod (Romrod),
Wolf Riedesel, von Buscck, von Frankenberg (bei
welchem Namen wohl auch ein Fragezeichen zu setzen
wäre). Nach Hessen, dem späteren Umfange nach,
würden noch gehören: Hans und Eitel Schelm von
Bergen, Fuchs von Bimbach (doch wohl aus dem
alten Buchenlande), Philipp, Ulrich und Kraft Grafen
von Hanau und Knebel von Katzenelnbogen. G.
198
Züge aus hessischem Volksthume.- Das
Feuer. Noch immer behauptet das Feuer seine be-
deutsame Würde; auch in unserer Zeit, wo doch die
Begründung so mancher Verrichtung in gewerkischem
Leben auf „Feuer" und „Dampf" gestiftet ward,
überhaupt unser gesammtes alltägliches Treiben jenem
göttlichen Funken an alter geheimnisvoller Hoheit und
Weihe einigen Abbruch gethan hat.
Der Bauer, ob er sonst auch nie eine Dankes-
Sagnng unterlaße, darfnr daß man ihnt etwa Feuer
zur Pfeife geschlagen habe, danket er nicht. Doch
ebenwohl in umgekehrter Lage, wo er als freundlicher
Geber erschien, wehrt er unbedingt allem Danke; so-
gar entschiedenes Wortes: „d a r f ü r aber n i t!"
Ja, er läßt sich die Belehrung nicht verdrießen: „für
Feuer danket man nit!"
Ungerne gibt auch die gefälligste Hausfrau von
heimischem Herde doch Feuer für irgend ein anderes
Haus. Hierbei vielleicht dann Worte des Dankes
finden, ruft wohl gar ihren Unmuth wach, also daß
sie die unhold gewährte Gabe vollends zurück sich
nehme.
Ueber Grund solcher Feuers-Verehrung aus Furcht
ist man nicht einig. Eines sagt: Feuer sei eine
furchtbare zerstörende Kraft; man müße nicht danken
für Empfang des Bösen. Anderes vermeint: sein
Vieh werde behegset, wenn Man von eigenem Herde
fremden Häusern nun Feuer mittheile; zumal jedoch
falls hierfür Dankes-Sagung erfolget und ange-
nommen sei. Wann aber eine Knh etwa gerade
kalbt, gibt man mindest geneigt vom Feuer ab; dar-
mit zu solcher Frist ein Nutze, den das Vieh bringen
solle, nicht mitsamt hinweg getragen werde.
Aehnlicher Vorstellung über geheimnisvolle Be-
ziehungen entspricht der Wahn, das Bich der Heim-
stätte bekomme „wildes Feuer", falls Bosheit auf
erborgte Feuers-Spende —- als bösen, übelen Dank
für widerwillige Gewähr — hinter drein Hare, Wolle,
Horn und derlei streue.
Alte Heiligung wichtigster Urstoffe — die ja auch
zu gerichtlicher Feuers- und Waßers-Probe einst
führte — bricht also immer noch hindurch. — So
galt früher im Hessen-Lande als sicherstes Mittel,
ansteckende Krankheit nicht zu verschleppen, daß ein
Gast zwischen zwei Feuern hindurch gegangen sei,
bevor er ein freundliches Haus betrete. —
Aerrnerrrrr *r<m Pststev.
Atts Heimath und Fremde.
Kassel. Oberst Friedrich Boedicker f.
Am 3 ds. Mts. starb zu Kassel im 84. Lebensjahr
der Oberst a. D. Friedrich Boedicker, ein Offizier,
welcher durch seine hervorragenden militärischen Eigen-
schaften einen Ehrenplatz in der Geschichte der kurhessi-
schen Armee verdient hat, wenn cs ihm auch nicht be-
schieden war, jene in der langen Friedensperiode, in
welche seine Dienstzeit fiel, auch auf dem Schlacht-
felde zu bethätigen.
Er stammte aus einer alten hessischen Soldatcn-
familie, welcher Männer entsprossen sind, die sich in dem
Kriege gegen die französische Republik am Ende des
vorigen Jahrhunderts, dann als königl. westfälische
Offiziere, in den napoleonischen Kriegen und bis in
die neueste Zeit hinein in den Kriegen gegen den
französischen Erbfeind großen Kriegsruhm erworben
haben Friedrich Boedicker's, in Marburg als pen-
sionirter kurhessischer Major, verstorbener Vater hatte
sich namentlich als königlich westfälischer Hufaren-
Rittmeister in dem Feldzunge gegen Rußland aus-
gezeichnet und war für seine im Jahre 1812 in den
Kämpfen bdi Smolensk bewiesene Tapferkeit mit. dem
Orden der Ehrenlegion und der westfälischen Krone
dekorirt worden. Durch seine glänzenden Waffen-
thaten hat sich der Bruder seines Vaters, der im
Jahre 1843 als Kommandant von Kassel verstorbene
Generaelientenant Boedicker ein unvergeßliches An-
denken in der Kriegsgeschichte gestiftet. Nachdem er
in frühester Jugend in hessischen Diensten als Fahnen-
junker im Jahre 1792 an det Erstürmung von
von Frankfurt theilgenommen und im darauffolgenden
Jahre in Flandern als Fähnrich sich durch eine be-
sonders kühne That hervorgethan hatte, war er in den
, Jahren 1809 und 1819 als Kapitän in dem west-
fälischen leichten Jnfanteriebataillon in Spanier, und
dann im Jahre 1812 als Kommandeur des zweiten
leichten westfälischen Bataillons im russischen Feld
zuge mit der größten Auszeichnung und von seltenem
Glück begünstigt, an den vielen* blutigen und für
die deutschen Truppen so verhängnißvollcn Kämpfen
in diesen Kriegen betheiligt. In den Feldzügen
; der Jahre 1814 und 1815 hat seine vortreffliche
Führung der kurhessischen Häger die größte Aner-
kennung gesunden. Auch der einzige Sohn des jetzt Ver-
blichenen, sein Trost nnd seine Freude an seinem
durch körperliche Leiden schwer getrübten Lebensabend,
hat sich dem militärischen Beruf gewidmet; er steht
als Premierlieutenant im 7. Jägerbataillon.
Es war daher erklärlich, daß der eb-m verstorbene Oberst
Friedrich Boedicker von früher Jugend an kein anderes
Streben kannte, als dereinst als Offizier sich des Namens
seiner Vorfahren würdig zu zeigen. Dieses Ziel hat er
denn auch vollständig erreicht. Er wurde im Jahre 1821,
in seinem 18. Lebensjahre, zum Sekondelieutenant
im 1. hessischen Husaren Regiment ernannt, diente
immer 'n einem der beiden leichten Kavallerieregimenter,
in welchen er im Jahre 1831 zum Premierlieütenant,
1839 zum Rittmeister und im Jahre 1848 zum
Major befördert wurde, obgleich für diese Stelle noch
keine Vakanz war. Die Veranlassung zu dieser ausnahms-
weisen Ernennung lag darin, daß man ihm das
Kommando über eine aus drei verstärkten Eskadrons
und einer reitenden Batterie gebildeten mobilen Kolonne
anvertrauen wollte, welche zum Abrücken in die
Provinz Hanau zur Bekämpfung der dort im März
1848 ausgcbrochenen Unruhen bestimmt war. Bei
dieser Gelegenheit zeigte er ein so taktvolles, kluges
und umsichtiges Benehmen, daß wohl hierin der Grund
zu finden ist, daß er, der nicht lange vorher erst
zum Major ernannt war, im März des folgenden
Jahres mit der Stelle des Vorstandes im Kriegs-
ministeriums betraut wurde. Diese in der politisch
199
bewegten Zeit unter obwaltenden Umständen in hohem
Grade schwierige Stelle hat er bis zum 4. Dezbr. 1849
begleitet, worauf er am 23. Dezember zum Oberst-
lieutenant und Kommandeur der Kurfürst-Husaren
(die früheren Garde du Corps) ernannt wurde. Der
im September 1850 in dem kurhessischen Offizier-
corps entstandene verhängnißvolle Konflikt über Aus-
legung des Fahnen- und Berfassuügseides führte zu-
nächst herbei, daß Boedicker dem Husaren-Regiment
aggregirt wurde, was ihm im weiteren Verlauf der
Sache Veranlassung gab, seinen Abschied aus kur-
Militärdicnst zu nehmen.
Nicht lange hatte er aber die Schwere des gebrachten
Opfers zu erdulden, da der Hamburger Senat ihn
im November 1852 in Anerkennung seiner vorzüglichen
militärischen Eigenschaften zum Kommandanten von
Hamburg nnd Kommandeur der hanseatischen Truppen
berief. Seine nicht ganz leichten Bestrebungen, das
Hamburger Kontingent zu einer vortrefflichen Truppe
heranzubilden, waren von bestem Erfolg begleitet,
wofür ihm dann auch die größte Anerkennung zu Theil
wurde. Es geschah dies namentlich im Herbst 1858,
als das 10. Armeekorps behufs der Bundesinspektion
bei Nordstemmen zu Herbstmanövern zusammengezogen
war. Der beste Beweis für die erfolgreiche Thätig-
keit Boedickcrs ist wohl darin zu finden, daß er schon
am zweiten Tage der Uebungen von gewiß sachkundiger
Hand, von dem als Bundesinspektor fungirenden
Prinzen von Preußen, unserem jetzigen Kaiser, mit
dem rothen Adlerorden zweiter Klasse dccorirt wurde.
Auch der Hamburger Senat hat es an Anerkennung
nicht fehlen lassen, die sich darin kundgab, daß der-
selbe dem Obersten Boedicker, als dieser im Jahre 1863
sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückzog, seinen
vollen Gehalt als lebenslängliche Pension beließ.
Den Abend seines Lebens hat er dann anfangs in
Hanau und seit 1878 in Kassel verlebt. In wie
großer Achtung er hier gestanden, zeigte' die rege
Theilnahme an seinem am 6. d. M. erfolgten Bc-
gräbniß, an welchem sich eine große Anzahl seiner
Freunde und wohl alle hier wohnenden ehemaligen
kurhessischen Offiziere betheiligtcn. Unter den Leid-
tragenden befand sich auch der Landgraf Alexis von
Hessen-Philippsthal-Varchfeld, welcher "seine militärische
Laufbahn in der Eskadron des Verstorbenen begonnen
und ihm bis an sein Ende aufrichtige Freundschaft
und Dankbarkeit bewiesen und ihm, ebenso wie
alle, die dem Verblichenen je im Leben näher getreten
sind, lebenslang ein ehrendes Andenken bewahren wird.
* N-L.
* *
*
— Am 15. Juni feierte unser hochgeschätzter Mit-
bürgcr, der Buchdruckcreibesitzer Fried richScheel,
sein fünfzigjähriges Buchdruckerjubiläum. Aü diesem
Tage ließ er eine Schrift erscheinen betttelt: „Fünf-
zig Jahre aus dem Leben eines Buchdruckers in
Hessen-Kassel", in welcher er seine Erlebnisse während
dieses Zeitraumes schildert: Es war eine bewegte
Zeit, die der Jubilar durchgemacht hat, Freud und
Leid ist ihm beschieden gewesen. Schwierigkeiten sind
ihm gemacht worden und Mißhelligkciten hat er zu
bestehen gehabt, von Seiten, von welchen er eS am
allerwenigsten erwarten konnte. Durch feine recht-
liche Denkart, durch seinen biederen Sinn, durch seinen
Fleiß und seine rastlose Thätigkeit hat der von Jugend
auf strebsame und berufseifrige Mann sich-das Vertrauen
seiner Mitbürger in hohem Grade erworben. Er rst
nicht nur ein ausgezeichneter Fachmann, auch den öffent-
lichen Angelegenheiten hat er stets selbstlos seine Dienste
gewidmet. Möge ihm ein recht heilerer Lebensabend
blühen.
* *
— Wie wir im „Jllstiz-Ministcrial-Berordnungs'
blatt" lesen, ist unser hcsstscher Landsmann ■ der
Staatsanwalt G. Otto in Berlin, Sohn des Land-
rentmeisterS a. D. G. Otto dahier, zum Justizrath
und Direktor der Lebens-Bersicherungs-Gesellschaft in
Potsdam mit einem ständigen Gehalte von 5000 Thlr.
und einem Nebencinkommen von 1000 Thlr. ernannt
worden. . Justizrath G. Otto gilt sür den Verfaffer
der vor ca. zwei Jahren unter der Chiffre O. S.
erschienenen hochintcressunten Schrift „die Berliner
Verbrecherwelt." Auch ist er Verfaffer einer Broschüre
üb.r die Schwurgerichte.
* *
Sr
Frankfurt a. M. Unser Landsmann und Mit-
arbeiter Herr Otto Kanngießer, Herausgeber des
„Franks. Beob.", läßt seit Mitte Juni d. I. eine
Wochenschrift „DieRundschau" exscheinen, welche
den geistigen und materiellen Interessen Frankfurts
dienen nnd insbesondere auch die Geschichte der alten
Reichsstadt behandeln soll. Wir werden auf die
neue Zeitschrift, der wir alles Gedeihen wünschen,
zurückkommen.
Hksfische KScherschi«.
Die Jahrbücher von Hersseld nach ihren
Ableitungen und Quellen, untersucht und wieder her-
grstellt von Dr. H e r m. L o r e n z. Leipzig, Fock. (105 S.)
Die zahlreichen Quellen-Veröffentlichungen der letzten
Jahre, sowie die damit gleichen Schritt hallenden
kritischen »Abhandlungen, haben den Verfasser bewogen,
die Jahrbücher von Hersfeld, jenes im Kloster Hers-
feld während des 9. und 10. Jahrhunderts entstandene,
leider verloren gegangene Annalenwerk, zum Mittel-
punkt einer Abhandlung zu machen. Bekanntlich ist
es das Verdienst G. Waitz', nachgewiesen zu -haben
(Archiv VI), S. 663—688), daß die Herssekder
Annalen die Hauptgrundlage für die früheren Theile
des Lambert, der HildesAmer, der Quedlinburgs
und der Weißenburger Annalen bilden. — Verfaffer
Erstreckt seine Untersuchungen nun einerseits auf die
Quellen der Hersfelder Jahrbücher und andererseits
auf die in den Ableitungen enthaltenen Reste und
giebt darnach (S. 83—205) einen Rekonstruktions-
versuch der Annal. Hersseld. welche mit dem Jahre
708 anheben und sich bis zum Jahre 984 erstrecken.
Daß zwischen welthistorischen Begebenhnten sich auch
lokalgeschichtliche Notizen eingestreut finden, ist nntürlich,
200
Wir erwäynen von letzteren hier folgende: 736 Initium
Herolfesfeldenjsis monasterii. — 744 Ipitium Fuldensis
monasterii. — 755 Sanctus Boiiifacius martyrio
coronatur, cui Lull successit. — 786 Lullus archiepis-
copus obiit. — 807 Mortalitas maxima facta est
in Fulda. — 840 Ludovicus imperator insequendo
filiura venit ad Herolfesfeld monasterium in 6. Idus
Aprilis. — 845 Hoc anno Ludovicus imperator ad
idem mohpterium venit in 2 Kalend. Novembris
et privilegia et immunitates monachis donavit suoque
sigillö munivit. — 918 Conradus rex fuit in Herolfes-
felde. — 936 Otto rex fuit in Herolfesfelde. Eodem
anno ecclesia sancti Bonifacii exusta est. — 975
Otto habuit magnum conventum in Weihmari. Postea
venit Otto imperator ad Herolfesfelde. A.
Die Festungsruine Hohentwiel und ihre
Umgebung. Geschildert von Herm. Fr ö l i ch. 2. Aufl.
Stuttgart, Kupfer>(62 S.)
Das kleine billige Schriftchen, welches uns in die
sagengeseierten, durch Scheffcl's Poesie verklärten,
anmuthigen Gebiete des Höhgaues führt, darf hier
Erwähnung finden, weil es in warmer Weise der
Verdienste eines Hessen, des Obersten Konrad
Wiederhsld (geb. zu Ziegenhain) gedenkt, der als
Kommandant der Feste Hohentwiel im 30jährigen
Kriege diese heldenmüthig und erfolgreich gegen die
kaiserlichen Truppen vertheidigte. Das Werkchen ist
mit einem Bilde W.'s geschmückt. Vor mehreren
Jahren hat der nach Bamberg verzogene Freiherr
v. Danckelmann diese ruhmreiche Vertheidigung des
Hohentwiel durch W. in einer Sitzung des Vereins
für hessische Geschichte dahier eingehend geschildert.
Wer Näheres über Wiederhold, der am 17. Juni 1667
sein Leben beschlossen hat, lesen will, den verweisen
wir auf ein Werkchen von C. Dietrich: „Konrad
Wiederhold und der 30jährige Krieg"; auch von
O. Schönhuth existirt ein ähnliches Schriftchen. —
Jeder aber, den in dieser Reisezeit ein freundliches
Geschick in jenen Südwestwinkel unseres großen Vater-
landes führt, der besuche an der'Hand des oben ge-
nannten Führers die einstige Wirkungsstätte unseres
tapferen Landsmannes; er' wird sich historisch wie
poetisch mächtig angeregt fühlen, er wird entzückt sein
von der wunderbaren Rundsicht, die sich ihm von dem
Gipfel darbietet, und wird die Wahrheit derSchessel-
schen Worte erfahren: „Wer da einmal sich umge-
schaut, dem muß noch spät im Nebeldunst seiner vier
Wände die Erinnerung tönen und klingen, wie ein
Song in den schmelzenden Lauten des Südens."
Berichtigung. In der letzten Nummer des „Hessen
land" befinden sich in dem Artikel Flügel-Feier
zwei sinnstörende Fehler, die wir wie folgt, berichtigen:
Seite 181, Spalte 2, Zeile 8, muß es „in den
Lenien" statt „in dem Reime", und Zeile 8 von
Unten „Absicht" statt,, Aussicht" heißen. — Auch
in dem Gedicht „Der Linde Trost" ist ein sinnstörender
Druckfehler unkorrrgirt geblieben. Zeile 19 und 20
muß es statt „Noch dem Epheu keine Kraft", Welches
schläft im Moose"» heißeU:
„Noch dem Epheukeime Kraft,
________Welcher schläft im Moose."______________
Krieskasteil.
F. 8t., Kassel. Wird in der gewünschten Weise erledigt.
M. H., Melsungen. Die treffliche Uebersetzung wird
erscheinen, sobald die Raumverhältnisse es gestatten.
0h. K., Hannover. K. N., Kessclstadt. Dank. Brief
folgt.
Sch. v. Br., Frankfurt. Acceptirt. Für Ihre freund-
lichen Bemühungen um das „Hessenland" sind wir Ihnen
sehr verbunden.
H. 0. in Marburg. Von zu geringem Interesse für uns.
P. W. in M. (Kreis Rinteln). Der Aufsatz ist in
einem nicht lesbaren Deutsch geschrieben und die Gedichte
zeugen von einem sehr fühlbaren Mangel an poetischem
Taient. Ihrem Wunsche gemäß haben wir btc Manuskripte
feierlich den Flammen übergeben.________________
Inhalt der Nummer 14 des „Hessenland": „Ful-
uf l" Gedicht von Rieh. Trömner; „Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. und Wilhelm I. von Hessen
nach dem heiligen Grabe" von C. von Stamford,
Fortsetzung; „Dr. Gottlieb Kellner und Heinrich Htise,"
geschildert von A. Trabert, Schluß; „Ein Gang über
den alten Friedhof". II. Friedrich Gerstäcker, von W.
Rogge - Ludwig; „Beim Gewitter", Gedicht von
Heinrich Heise; Aus aller und neuer Zeit:
Wöhlerdenkmal, Wanderungen durch die Rhein- und
Maingegend im Februar 1794, die Ritterkapeüe in'
Haßfurt; Züge aus hessischem Volksthum: Das Feuer;
Aus Heimath und Fremde : Nekrolog des Obersten
Friedrich Bödicker, Jubiläum des Buchdrucken ibesitzers
Fr. Scheel, Personalnachricht, nene Zeitschrift in Frank-
furt a. M.; Hessische Bücherschau ; Briefkasten u. s. w.
tfggF» Diejenigen Abonnenten, welche
das „Hessenland" durch die Post
bestellt haben, denen es aber außerdem noch
durch Streifband zugeht, werden dringend
ersucht, uns hiervon Mittheilung zu machen.
Durch Erfüllung dieser Bitte ersparen sie
uns Zeit, Mühe und Kosten. — Zugleich
werden die auswärtigen Leser, welche mit
dem Abonnements-Beitrag für die
abgelaufenen Quartale noch im Rückstände
find, höflichst gebeten, im Laufe des Monats
Juli den Betrag mit l1/2 M. für das Viertel-
jahr an den unterzeichneten Berlag einsenden
zu wollen. Im Falle der Nichteinsendung
halten wir uns für ermächtigt, in den ersten
Tagen des August den Betrag durch Post-
auftrag einzuziehen.
Der Berlag des „Hessenland",
Kassel, Jordanstr. IS.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng er in Kassel. Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das „Aefferrlaild'', Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange bon l'/2 K-zerl Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts »ZrrleWrlich 1 Mark AH Kfg.' Einzelne Nummern kosten je AH Pf-. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Expedition, Kölnische Straße 12, Be-
stellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet fich das „Hefftalaild" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 15 des „Hessenland": „Mutterliebe", Gedicht von D. Saul; „Die Pilgerfahrten der Landgrafen
Ludwig I. und Wilhelm I. nach dem heiligen Grabe" von C. von Stamford, Fortsetzung; „Geschichte der hessischen
Artillerie unter Landgraf Wilhelm IV.," von A. v. Baumbach; „Die 53. Jahresversammlung des Vereins für hessische
Geschichte Und Landeskunde zu Schlüchtern," von W. Rogge-Ludwig; „Margarethe," von H. Keller-?Jordan; „Aernte-
zeit," Gedicht von A. Traben; „Die alten Germanen," Gedicht von Schulte vom Brühl; Aus alter und neuer Zeit;
Aus Heimaih und Fremde; Briefkasten.
Mrrtteplieve.
ls Ich die stillen Hügelreihn
Des Kirchhofs fängst durchschritten, sah
Gin einsam' Grab ich, ohne Stein
Und ohne Kreuz der Maner nah.
Gin Schelm liegt dort, ein Dösewicht,
Und an dem Grab in dürft'gem Kleid
Kniet eine Frau; ste weinet nicht,
Sie harrt in stummem Herzeleid.
Röhl nahmen ste mit Recht sein Dlut,
Doch wie die Welt ihr Urtheil spricht:
Das Herz, darunter er geruht,
Das Mutterherz verläßt ihn nicht.
Sie bringt ihm, was an wildem Mohn
Sich auf dem Felde brechen ließ,
Die Mutter dem verlor'nen Sohn,
Den alle Welt, den Gott verstieß.
Und keines von den Gräbern drauß,
Ob auch von Dlumen schier erdrückt,
Glich jenem, das mit welkem Strauß
Die Hand der Bettlerin geschmückt.
O Mutterliebe, du ein Schah,
Den Ällerärmsten selbst gewährt!
O Mutterliebe, die den platz,
Da ein Verbrecher liegt, verklärt.
D. $anl.
— 202 —
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Die Pilgerfahrten
der Landgrafen Ludwig I. und Wilhelm I. von Kesse« «ich dem heiligen Grude.
Von C. v. Stamford.
(Fortsetzung.)
'Unvollendet war das fromme Werk, die Pilger
2 | verließen Jerusalem am 23. August unter
äJ der Mamalucken Schutze, lagerten die erste
Nacht auf dem Felde und „die Heiden»
thätenu uns alle buber.y so ihnen nur möglichen»
zu thuenn was, undt nahmen uns unsere röcke,
bareth, flaschen, was ihnen werdten mochtte."
Schachten selbst ward eine Flasche mit gutem
Wein genommen und er dazu über den Hals
geschlagen. In Ramla hielt man den Zug
wieder drei Tage hin und als er zur Galee
überfahren wollte, wurde ein letzter Tribut aus-
gepreßt, bei Ungefügigen mit Schlägen. Nahe
bei Famagusta (Eypern) schlichtete Landgraf Wil-
helm einen Streit zwischen den Pilgern und dem
Patron, der gegen ihren Willen wegen Krankheit
dort landen wollte. Gegen sein Versprechen
wurden aus dem Aufenthalte zwölf Tage. Der
Landgraf benutzte sie zu eintm Ritte durch die
seit IV2 Jahrzehnten im Besitz der Benetianer
befindliche herrliche Insel. Die furchtbaren Spuren
des Erdbebens, welches im April desselben Jahres
die Insel heimsuchte, waren überall noch sichtbar;
vier in acht Tagen einander folgende Stöße
ließen das verzweifelte Volk den Untergang der
Insel fürchten. Auf des Landgrafen Verwendung
veranlaßte endlich der Kapitän der Stadt den
Patron zur Abreise. Korsaren kamen unterwegs
in Sicht, man bereitetete sich zu Kampfe vor,
allein jene griffen ein anderes venetiauisches
Schiff an und raubten es aus. Diesem half
dann das Pilgerschiff mit Brod und Wein aus.
Widrige Winde verzögerten die Fahrt, erst am
4. Oktober ankerte-die Galee vor Rhodos. Ludwig
Wilhelm entschloß sich, dieselbe zu verlaffen, was
leicht begreiflich ist. Der Patron wollte ein-von
dem Großmeister dem Landgrafen geschenktes
Roß nicht aufnehmen, da ließ dieser seine Effekten
aus dem Schiffe laden. Der Patron wohl in
Besorgniß wegen Almdung seines Verhaltens in
Venedig, bat den Fürsten dringend zu bleiben,
doch erfolglos. Wilhelm nahm sein Losament
wie beim ersten Aufenthalte in dem Hospitale
des Ordens. In den nächsten Tagen erkrankte
Werttenschlehe und starb bald darauf; er wurde
in der Kirche St. Antoni feierlich mit allen Ehren
eines Johannisritters beigesetzt. Der Landgraf
durchstreifte die Insel, geleitet von Graf Ulrich
von Montfort; des Ordens Macht, seine Ein-
richtungen zur Abwehr der Türken erfüllten die
Fremden mit Bewunderung. 800 Türken und
andere Sklaven mußten Tag für Tag schanzen,
nur an wenigen hohen Festtagen durften sie
ruhen. „Man treibt sie an die Arbeit wie in
Deutschlandt das viehe, undt wenn sie zu nachtt
thun ihr gefängniß geführt werden, liegen sie
auf einander wie die schweine," hören wir. Da-
ist ein greller Gegensatz zu dem Krankenhause' —
aber es waren ja Ungläubige, folglich im Geiste
des Zeitalters eigentlich keine Menschen.
Landgraf Wilhelm miethete ein Schiff für sich
und seine Diener allein um 170 Dukaten, wofür
es ihn, „bis wo er absitzen wollte, 1000 Meilen
weit" zu bringen hatte und Niemanden sonst auf-
nehmen durfte. Nach siebzehntägigem Aufenthalte
verabschiedete Wilhelm sich von dem Großmeister
und den Rittern und verließ diesen äußersten Vor-
posten gegen die heranwogende türkische Barbarei,
dann ging es dem Abende zu. „W. G. F. n. H.
saß auf das Schieff und machten im Namen
Gottes mit guttem wiendte feget." Bald darauf
traten Regen und Sturm ein, Alles war in
Angst, da erblickten Schiffsleute „den lieben
Herrn St. Helmus auf dem mastbaume" und
waren aus aller Noch. Doch kamen noch mehr
Fährlichkeiten, dabei die beständige Sorge vor
Seeräubern. Am 27. Oktober beunruhigte es
die Pilger, daß sie am Tage Simonis und Judae
uueingedenk des Tages Fleisch verzehrt hatten,
der Ungestüm des Wetters wurde so arg, daß
203
die Schiffsleute den Muth verloren und der
Patron dem Fürsten bat, zu ihrer Rettung eine
Wallfahrt nach Loretto zu geloben. Der sagte
es zu und „also bald! stiuidt uns ein gutt windt
auff, daß .wir aller sorgen» frei wahre««."
Sonntags den 20. November landete Landgraf
Wilhelm in Bründiß (Brindisi), einer großen
blühenden Stadt. Man zeigte dem Landgrafen
das Gtab seines Vorfahren, Ludwig des Heiligen;
doch irrthümlich, denn Ludwig starb zu Otranto
und war nur vorübergehend beigesetzt. Die Be-
sichtigung der Stadt, die Beschaffung von Reit-
pferden hielt den Fürsten drei Tage in Brindisi,
dann ritt er längs der Küste bis Bari, von da
durch die Apenninen gen Neapel, in Tagemärschen
von drei bis sechs Meilen, nur Nachtquartiere
haltend. Vom Grabe des heiligen Nikolaus zu
Bari mit zwanzig silbernen Ampeln, aus welchem
beständig Ocl schwitzt, werden einige Gläser des-
selben mitgenommen. Die Befestigungen, welche
der König an vielen Orten anlegen läßt, manches
Andere, werden bemerkt. - Tagesanger Ritt durch
Kastanienwälder, der Anblick von dreißig Städten
und Schlössern, alle auf Bergen, von einer Höhe
aus, erkegen das Interesse. Das herrliche Land
wirkte dvch auf die. Reisenden. die schon so Vieles
sahen. Bor Neapel'zogen sie durch Kastanien-
und Haselnußwälder, welche dem Könige 16000
Gulden eintragen sollten, dann eine Meile lang
durch einen Wald „Da iglicher bäum eine Wein-
rebe hatt, ist' m'äncher, der ein Harb fuder weins
trägtt, wilches lustig zu sehenn ist." Abends
des 4, Dezember, Sonntags, ritt der Landgraf
in Neapel ein; er hatte das Pilgerkleid abgelegt
und sich für den Besuch der Königsstadt nebst
fernem Gefolge „in schwarzen Schamelott hübsch
nndt woll bekleide«." Unter seine Diener hatte
er noch Albert von Mugk, Komthur der Jo-
hanniter, sowie Daniel Kaufmann, Bürger von
St. Gallen, einen vielgereisten Mann und Ritter
deS heiligen Grabes, aufgenommen. Die ersten
Tage hielt sich der Fürst in seiner Herberge,
am Mittwoch Morgen zog er mit dein König
zur Jagd, von diesein mit Auszeichnung be-
handelt. Der Weg führte durch den Tunnel im
Posilippo, welcher denen, die in ihm ein Ver-
brechen begehen, die Flucht unmöglich machen
sollte.' Auf dem Jagdplatze ordnete der König
selbst Alles an, vertheilte die Hunde und speiste
dann allein in einem kleinen Thäte. nach alt-
spanischer Sitte. Die Königin erschien mit ihrer
Tochter, der Landgraf küßte ihnen die Hand,
während er anderen Fürstinnen die Hand reichte.
Deß Königs Söhne, der Herzog von Kalabrien
und Herzog Friedrich, sowie des Ersteren Sohn,
Fürst von Kapria, waren zugegen, dem Land-
grafen ein alter vornehmer Ritter beigegeben.
Ein köstliches Mahl auf Silber erfrischte die
Jagdgenossen, darauf begann zu Pferde die Hetze
des Wildes, welches mit Spießen erlegt wurde.
Hervor that sich der Enkel des Königs in dieser
mannhaften, nicht ungefährlichen Jagd. Einmal
wurden sechs Hirsche, dann vier gleichzeitig ab-
gethan und als man hier der Lust genug hatte,
zog die Kavalkade heimwärts. Noch eine Jagd auf
Wildschweine erwartete sie; auch diese wurden
zu Rosse angegriffen, mit dem Spieße, Schwertern,
Degen und anderen Messern, ein männliches
aufregendes Schauspiel. Vor dem Könige wurden
allein zehn Wildschweine.abgefangen. Den Herzog
von Kalabrien rannte ein Reiter, welcher hinter
einem Keiler hersetzte, über den Haufen, sodaß
man für den schweren Mann Schlimmes be-
sorgte. Seine Eltern eilten herbei, doch erhob
er sich wieder und ritt zur Stadt.
Landgraf Wilhelm war täglich bei Hofe. Das
Königspaar machte mit ihm einen Ritt durch
die Stadt, diese zu zeigen, und zum Schlosse des
Herzogs, der von seinem Sturze niederlag. Der
dem Landgrafen beigegebene Kavalier führte ihn
zu des Königs Garten, der „Pforte des Meer's"
um die Ringmauer mit 28 je 200 Fuß von
einander entfernten Thürmen, ein Werk des
Königs. Die neue Stadtpforte von Marmel-
stein erregt Bewunderung. Des Herzogs Mar-
stall enthielt 150 Pferde und solcher Ställe sollte
er noch drei bis vier besitzen; sein Garten war
„überaus schön und lustig" und hatte 60000
Dukaten gekl stet. Abends wurde Landgraf Wilhelm
zum Schlosse abgeholt, die königliche Familie
und Herren des Hofes verbrachten einige Stunden
mit „viel kurtzweill nndt siengenn." Bei jedem
Abschiede küßte der Landgraf den königlichen
Damen die Hand, zwei „Landsherren" holten
und geleiteten ihn zurück. Einige feste Schlösser
der Umgegung besuchte der Fürst mit seinem
Gefolge. Der ihm sehr gewogene König ließ
ihn wissen, daß er in den Orden des Königs
aufgenommen werden solle. Am Sonntage nach
Anhörung der heiligen Messe im Schlosse em-
pfingen Landgraf Wilhelm und seine Begleiter
knieend die goldene Ordenskette; König und
Königin hingen Jedem den weißen Ordensmantel
um. Schachten, Hanstein, Kaufmann wurden so
ausgezeichnet, Stein lag krank. Der Landgraf
verabschiedete sich hiernach, küßte dem Könige und
der Königin die Hand, die Begleiter aber nur
dem Könige. Dieser sandte später seinem Gaste
zwei große schöne, aufgeschirrte Pferde, davon
ins für Wilhelm selbst gesattelt und gezäumt
204
war. Mit schönen und freundlichen Eindrücken
verließ der Landgraf da- bevorzugte Land, ohne.
zu ahnen, daß wenige Jahre später die Dynastie :
seiner Gastfreunde hinweggefegt sein würde.
Ein vornehmer Ritter geleitete den Landgrafen
am 13. Dezember hinweg. Die Reisenden
passirten einen „lustigen Wald," in welchem nach
Versicherung des Ritters 10000 Hirsche sein
sollten, ohne anderes Wild. Unterwegs blieb der
Koch krank zurück, ein unersetzlicher Verlust und
in Fondi wurde Wilhelm der aus Cypern mit-
gebrachte Hund gestohlen. Der geleitende Ritter
trat jedoch derartig auf, daß daS Thier wieder
zum Vorschein kam. Am vierten Tage wurde
die Grenze deS päpstlichen Gebietes überschritten,
hier verabschiedete sich der Neapolitaner mit
seinem Gefolge. Nach weiteren drei Tagemärschen
durch übel berüchtigtes Gebiet näherten die
Wanderer am 19. Dezember sich der ewigen
Stadt. Da empfinge» hessische Landcskinder,
Herr Nagel und Meister Konrad Thone aus
Grebenstein herzlich ihren Fürsten, welchem sie
mit vielen Anderen entgegen geritten waren. In
stattlicher Kavalkade zog Wilhelm zu Rom ein.
Die gewaltige Stadt wurde unausgesetzt durch-
wandert, die Hauptkirchen und vieles Andere,
auch die Umgegend wurde besucht. DaS Tage-
buch sagt „item Rom begreifst umb sich, wa-
rmer ziemlichenn eines tages reittenn magk zu
Rieng umb." Der jetzige Dom zu St. Peter
bestand noch nicht, Museen und andere Kunst-
sammlungen schuf erst eine spätere Zeit, so mußte
ein Fremder großes Interesse und viel Zeit haben,
um das Vereinzelte zu sehen. Der Landgraf
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ritt mit Gefolge zum Palaste de- Papste-, dieser
empfing ihn in Audienz und der Fürst küßte
ihm die Füße, ebenso die Diener. Am Weih-
nachtsabende wohnte Wilhelm der vom Papste
Jnnocentiu- VIII., in der Kirche zu St. Peter,
gelesenen Messe bei uud nach beendigtem Gottes-
dienste empfing er knirend vor dem Altare von
dem heiligen Vater ein geweihtes Barett und
ein Schwert mit Wrhrgehänge, ein Meisterwerk
edler Renaiffance. Diese- sollten ihn für die
über sich genommenen Beschwerden der Pilger-
fahrt belohnen, für die Zukunft im Eifer für
den Glauben und zum Kampfe gegen dessen
Feinde stärken. y Die Botschafter der Könige von
Frankreich 7 und von Schottland weilten schon
langt zu Rom und halten gehofft, daß Einem von
ihnen das Schwert zn Theil werde; sie wurden
enttäuscht und empfanden „großen verdrieß."
Dem Landgrafen gaben fünf Bischöfe, viele andere
Prälaten, her Margraf von Baden und sonstige
vornehme Herren ein feierliches Geleite zu seiner
Herberge, wo zahlreiche Pilger Wilhelm sehen
wollten. Der ihm so gütige ehrwürdige Jnnocentiu-
starb nach nur wenigen Monaten, ihm folgte
Alexander VI., Borgia.
Noch auf der Reise traf den Landgrafen die
Nachricht vom Tode seiner Koch-, zu Rom brachte
ihm ein Pfeifer de- König- von Neapel Bot-
schaft, daß auch Arend von Stein verschieden
'sei, so lichtete sich der kleine Kreis seiner Ge-
treuen rasch, nach den Mühsalen der Fahrt.
Stein scheint mit Stammen ein und dieselbe
Person zu sein, es ist die- nicht aufzuklären ge-
wesen. (Schluß folgt.)
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Beiträge zur Geschichte der kurhesstfchen ArtiUerie.*)
Von August v. Gaumbach.
2. Die Artillerie unter dem Landgrafen Wilhelm IV.
1567—1592.
ei der unglückseligen Theilung Hessens im
Jahre 1567 unter die vier Söhne des
Landgrafen Philipp, bestimmt durch den
letzten Willen dieses sonst so klugen und
einsichtigen Fürsten, erhielt Wilhelm IV., .ge-
gönnt der „Weise", als der älteste der Söhne,
nebst der Hälfte des Landes mit der Haupt- upd
Residenzstadt Kassel, auch die Hälfte der vor-
handenen Bewaffnung. An Geschützen erhielt er
4 Doppelkarthaunen, 4 große Schlangen, 2 Mörser,
8 achtpfkindige Falkaunen, 5 sechspfündige Fal-
kaunen, 2 dreipfündige Quartierschlangen, 30
Apostel, 10 .einpfündige Falkonete und 15 halb-
pfündige scharfe Tintlein; also im Ganzen 80 Ge-
schütze. Äußer diesen besaß er noch die im Jahre
1552 erbeuteten Stücke, »und erhält auch im
Jahre 1588 von der Königin Elisabeth von Eng-
land die aus Hessen stammenden und von Alba
weggeschleppten Geschütze wieder, welche zur Aus-
rüstung der.Armada gehört hatten und von den
Engländern erobert waren.
Landgraf Wilhelm IV. hielt es nicht für zweck-
mäßig, schwerere Geschütze mit in- Feld zu
*) Siehe „Heffeuland" Nr. 3,
205
Nehmen als sechzehnpfündige Singerinnen oder
Schlangen, und sagt deßhalb in der 10. Regel
seine- „Kriegshandell" (Cautela, das ist etliche
hochnothwendige Punkten, die ein jeder Kriegs«
fürst wohl und fleisfig in acht haben soll): »So
er einen Feind gegen sich im Felde hat über-
nehme er sich nit mit so viel grobem Geschütz:
denn dadurch ist ehemal einer auf's maul ge-
schlagen, auch viel guter Gelegenheit versäumt
worden."
Die hessischen Geschütz" oder Büchsenmeister
waren zum grüßten Theile keine ständigen
Diener, sondern wurden auf Zeit angenommen
und erhielten einen monatlichen Sold von 12
Gulden. Im Hosetat de-Landgrafen Wilhelm IV.
kommen jedoch auch ein Zeugmeister und 18 Ge-
schützmeister vor, die ständige Diener waren. Der
Zeugmeister und 8 Geschützmeister gehörten dem
großen Zeughaus in Kassel an, das der Land»
graf erbauen ließ und mit der von seinem Bater
gegründeten Geschützgießerei, die auch zum Gusse
größerer Geschütze eingerichtet wurde, vereinigte.
An diesem Zeughaus stellte der Laydgraf noch
an: 1 Zeugwart, 1 Zeugschreiber, 1 Büchsen-
oder Stückgießer, 1 Pulvermacher, 1 Zeugschmied,
1 Zeugschlosser, 1 Zeu-bän-er, 1 Zeugwagner,
1 Zeugzimmermann und 1 Geschirrmeister.
Wilhelm IV. schätzte den Frieden höher al-
den Krieg, wollte aber für den letzteren gerüstet
sein, wenn er ihm nicht mehr ausweichen konnte.
Aus diesem Grunde ist Hessen-Kassel unter seiner
Regierung auch nur wenig an den Streitigkeiten
betheiligt gewesen, die in dieser Zeit in Europa
stattfanden, und nur mit geringen HülfStruppen
unterstützte er die Hugenotten, den Prinzen von
Oranien und den König Heinrich IV. von Frank-
reich. Bei den HülfStruppen, die er dem Letzteren
im Jahre 1591 gegen die Guisen sendete, befanden
sich auch einige Geschütze.
Ein vom Landgrafen auf Grund der Erfahrungen
aus den Feldzügen von 1546 und 1552 aufge-
stellter monatlicher Kostenanschlag für einen
Geschützpark von 34 Stücken, nebst Munition--,
Zeug- und Brückenwagen, ergibt die Summe von
9000 Gülden, und zwar:
1. An Sold für die Pferde der Geschütze und
Munitionswagen, pro Pferd 8 Gulden, pro Fuhr-
knecht**) 6 Gulden, und für jeden der 34 Büchsen-
meister 12 Gulden. In Summa 5342 Gulden.
**) Die Fuhrknechte scheinen auch als Handlanger bei der Be-
dienung der Geschütze verwendet worden zu sein, weil keine besondere
Bedienung-mannschaft vorkommt.
2. Für 74 Brücken« und Zeugwagen mit
Fuhrknechten und Pferden 1480 Gulden.
3. An Sold für die sonstige Mannschaft
2178 Gulden, und zwar 1 Zeugmeister für: pro Monat 100 Gld.
4 Trabanten desselben ff ff 16 ff
1 Zeugwärter ft ff 40 ff
2 Trabanten desselben ft ff 8 „
1 Zeugschreiber 1f ff 24 ff
1 Gegenschreiber ff tt 18 ff
1 Schanzmeister ft tt 40 ff
1 Obergeschirrmeister ft tt 24 ff
2 Trabanten desselben tt ff 8 ff
2 Untergeschirrmeister ft ff 16 ff
1 Wagenmeister tt ff 18 ff
2 Zeugdiener tt ff 28 ff
6 Geschützschmierer tt fl 36 ff
4 Pulverhüter tt ff 24 ff
10 Zimmerleute tt ff 60 ff
4 Schmiede tt ff 24 ff
3 Wagner ff tt 18 ff
1 Faßbänder ff tt 6 ff
1 Profoß ff ff 12 ff
2 Steckenknechte deffelben tt ff 12 ff
1 Spielmann tt ff 12 ff
1 Prädikant tt ff 12 ff
1 Wundarzt tt ff 12 ff
1 Extra-Wagen tt 19 10 ff
400 Schanzbauern tt tt 1600 ff
Summa pro Monat 2178 Gld.
Die Gesammtkosten dieses Geschützparkes, der
berechnet war aus 6 Singerinnen oder Schlangen,
10 Sturmbüchsen, 8 Aposteln oder Falkoneten
und 10 Eisenkeilbüchsen, die V* Pfund Blei
schossen, betrugen also monatlich 9000 Gulden,
gleich 22781 Mark 25 Pfennige des gegenwärtigen
deutschen Reichsgeldes. Eine hohe Summe für
den damaligen Werth des Geldes.
Verpflegen mußte sich ein jeder Mann von
seinem Sölde, und ebenso die ihm zugetheilten
Pferde für das für sie ausgeworfene Geld. Der
Kommandirende des Corps sorgte für die Lieferung
des Bedarfes, ließ ihn auf den Lagermarkt bringen,
durch den Proviäntmeister abschätzen und nnter
der Aufsicht des Profoßen verkaufen, oder ließ
ihn rations- und portionsweise vertheilen und
bei der Soldzahlung in Anrechnung bringen.
Der damalige'Gulden betrug 27 hessische Albus,
«an denen 32 einem'Reich-thaler gleich waren;
er war also genau gleich 2 Mark und 53*/,
Pfennige gegenwärtiger Reichsmünze.
Die 53. Iahres-Uersaumltlllg des Kerems
»ie Erwartung, welche wir in Nr. 11 dieses
Blattes aussprachen, daß die in den Tagen
des 18., 19. und Ä). Juli in Schlüchteru
stattfindende Jahresversammlung des „Ver-
eins für hessische Geschichte und Landeskunde"
bei der Wahl des Ortes und dem aufgestellten
Programm allen Theilnehmcrn großes Interesse
bieten würde, hat sich im vollsten Maße bestätigt.
Es traten auch noch andere Umstände hinzu,
welche diese Versammlung nach dem überein-
stimmenden Urtheil aller Theilnehmer zu einer
der schönsten und in jeder Beziehung in hohem
Grade gelungenen gestaltet haben. Vorzugs-
weise ist dies neben den außerordentlich günstigen
Witterungsverhältnissen der dabei gezeigten regen
Theilnahme der Einwohner Schlüchterns und
der großen Freundlichkeit, mit welcher sie die
zahlreich erschienenen Gäste aufgenommen haben,
sowie nicht minder der aufopfernden und umsich-
tigen Thätigkeit der verschiedenen Komitee's zu
verdanken. Es würde undankbar sein, hierbei
nicht ganz besonders der so erfolgreichen, unaus-
gesetzten Bemühungen des Ortsvvrstandes von
Schlüchtern, des Hauptmanns a. D. von Sturm-
feder zu gedenken. Auf die Ankommenden machte
schon der herzliche Empfang durch eine Anzahl
Komiteemitglieder und der Schmuck der sämmt-
lichen Häuser der Stadt mit Blumen und aus-
gehängten Fahnen einen sehr günstigen Eindruck.
Zu der Sitzung des Gesammtvotstandes, am
Abend des 18. Juli, in welcher die in der
Jahresversammlung zu stellenden Anträge und
die Tagesordnung berathen wurden, hatten sich
an Vorstandsmitgliedern die Herren v. Stam-
ford. Lenz, Rogge-Ludwig und Stern aus Kassel,
die Herren Junghans ünd Dr. Wolfs aus Hanau,
sowie Herr Bickell ans Marburg eingefunden.
Nach Schluß der Sitzung wurde der Rest des
Abends mit den inzwischen eingetroffen«« Gästen
und der in großer Anzahl erschienenen Damen
und Herren aus Schlüchtern, bei den Klängen
einer recht guten Musck in fröhlichster Weise in
dem schön geschmückten Lokale der Bierhalle ver-
bracht.
Am anderen Morgen um 9 Uhr eröffnete der
Vorsitzende des Vereins, Major v. Stamford in
der Aula des Seminars die Hauptversammlung,
zu welcher sich namentlich Damen und Herren
aus Schlüchtern zahlreich eingefunden hatten,
und widmete zunächst liefempfundene Worte dem
Andenken des am 27. Juli v. I. in der Blüthe
der Jahre verstorbenen, um deu Verein so hoch-
verdienten, zweiten Vorsitzende» Dr. Albert Duncker,
für hessische Geschichte «ad Fandeskuade.
zu dessen Ehren sich die Anwesenden von den
Sitzen erhoben. Nachdem hierauf Bürgermeister
v. Sturmfeder die erschienenen Gäste in herz-
licher Weise Namens der Stadt bewillkommt
hatte, wurde der geschäftliche Theil in folgender
Weise erledigt: Zunächst erstattete der Schrift-
führer des Vereins, Sekretär z. D. Stern den
Jahresbericht über die Thätigkeit des Kasseler
Hauptvereins. Demselben entnehmen wir, daß
die Zahl der Mitglieder von 1285 auf 1292
gestiegen ist, obwohl der Abgang von 72 Mit-
gliedern, darunter 30 durch Tod, zu beklagen
war. Dazu sei bemerkt, daß durch Neuaufnahme
einer Anzahl Mitglieder während der Tage iy
Schlüchtern jetzt die Zahl von 1300 erreicht
sein wird. Aus dem darauf folgenden Bericht
des Kassenführers, Museums-Jnspektor Lenz ist >
zu erwähnen, daß die Einnahme des Vereins
im letzten Jahre 6214 M. 57 Pfg. und die
Ausgabe 5842 M. 19 Pfg. betragen hat, daß
aber der hiernach sich bildende Kassenrest von
371 M. 38 Pfg. nicht als Vermögensbestand
zu betrachten ist, da eine diesen Betrag über-
steigende Rechnung für Drucksachen noch nicht
hat aufgestellt werden können. Die von dem
Herrn Stadtsekretar Roedcr in Schlüchtern ge-
prüfte Rechnung des Herrn Kassenführers wurde
für richtig befunden und von der Versammlung
Decharge ertheilt. Es wurden von dieser als-
dann folgende Beschlüsse gefaßt:
1) Der Jahresbeitrag der Mitglieder von drei
Mark wird beibehalten,
2) ebenso der Zuschuß zur Vereinsversammlung
in Marburg von jährlich 450 Mark,
3) die nächste Jahresversammlung findet auf
erfolgte Einladung in Hersfcld statt.
Die Wahl des Deputirten zu der im Sep-
tember d. I. in Mainz stattfindenden Versamm-
lung des Gesammtvereius der deutschen Geschichts-
vereine fiel auf Herrn Major von Stamford.
Der Vorsitzende theilte alsdann mit, daß in
einer nach § 10 der Statuten in Kassel abge-
haltenen Versammlung der dortigen Vereins-
mitglieder die Wiederwahl der bisherigen sechs
Vorstandsmitglieder des Hauptvereins vorge-
schlagen sei, worauf dieser Vorschlag die ein-
stimmige Annahme der Versammlung fand.
Hierauf hielt Gymnasialoberlehrer vr. G. Wolff
von Hanau den angekündigten Vortrag über
„Hanau in der Römerzeit nach den neuesten
Ausgrabungen." Dieser Bortrag des trefflichen
Historikers war ebenso vorzüglich in der Form,
wie er gediegen seinem Inhalte nach war. Redner,
207
eine wissenschaftliche Autorität in der vorliegen-
den Frage, erntete denn auch für seine fesselnden
Ausführungen den wohlverdienten Beifall. Nach-
stehend geben wir den Bortrag im Auszug wieder:
Anknüpfend an Dunckers Verdienste nm die Kritik
der früheren Ansichten über den Lauf des römischen
Grenzwalls im ehemaligen Kurheffen gab der Vor-
tragende zunächst eine übersichtliche Darstellung der
Ausgrabungen, welche der Hanauer Bezirksverem in
den letzten 7 Jahren au der Grenze und in ihrer
unmittelbaren Nähe hat vornehmen kaffen. Nach der
Aufdeckung des Kastells Großkrotzenburg mit seinem
Mithras - Heiligthum, über welche Redner auf der
Jahresversammlung des hessischen Gesammtvereins
im Juli 1b81 berichtete, wurde von ihm in Gemein-
schaft mit Oberst von Cohausen und Architekt von
Roeßler der ganze wetterauische Limes im August 1881
begangen und sein Lauf im Großen und Ganzen fest-
gestellt. Im Frühling 1883 fanden zusammenhängende
Ausgrabungen am Grenzwall zwischen Main und
Kinzig statt, welche wichtige Aufschlüsse über die
ursprüngliche Gestalt des WalleS und Grabens über
den ihn begleitenden Militärweg und die an ihm
liegenden Thürme, sowie über ein zwischen dm großen
Kastellen Großkrotzenburg und Rückingen gelegenes
Zwischenkastells gaben. Das Kastell Rückingen wurde
im Herbst 1883, das zu Marköbel im Herbst 1884
aufgefunden und, soweit es die Verhältnisse gestatteten,
aufgedeckt. Daneben wurden gelegentlich weitere Aus-
grabungen in Großkrotzenburg und seiner Umgebung,
sowie in dem ganzen ehemals römischen Hinterland,
welches etwa dem heutige» Kreise Hanau entspricht,
vorgenommen, die am erftgenannteu Orte besonders
zur Auffindung hochintereffanter Ziegelöfen, außerdem
aber zur Aufdeckung einer ganzen Reihe von bürger-
lichen Niederlassungen» Wasserleitungen und Begräbniß-
stätten führte. Die letzten zusammenhängenden Aus-
grabungen vom Herbst 1886 galten der Auffindung einer
vom Vortragenden fchon seit Jahren angenommenen
alten Straßengrenze vom Mainknie bei Hanau nach
Norden und im Zusammenhang damit einer im Dorfe
Keffelstadt und seiner Umgebung vermutheten römischen
Ansiedelung, Sie führten aber, abgesehen von der
Bestätigung dieser Annahme, auch zur Auffindung
deutlicher Spuren eines an der Stelle des heutigen
Dorfes einst vorhandenen Kastells. Wie im Jahre 1885
die planmäßigen Arbeiten durch den Glücksfund einer
Mainbrücke beim Kastell Großkratzenburg so erwünschte
Ergänzung fanden, so wollte es das Glück, daß auch
die nach den Keffelstädter Ausgrabungen noch offene
Frage bezüglich eines Mainübergangs durch die bei
der Ausbaggerung des Mainbetts dicht bei Hanau
aufgefundenen Reste einer römischen Brücke im Spät-
herbst 1886 erwünschte Lösung fand.
Was die Ergebnisse der Arbeiten im Einzelnen
betrifft, ko mußte sich der Vortragende mit Rücksicht
auf die Reichhaltigkeit des Gefundenen und der Kürze
der ihm zu Gebote stehenden Zeit begnügen, diejenigen
Punkte hervorzuheben, in welchen die Resultate der
Ausgrabungen dazu gedient haben, die Lösung bisher
offener Fragen von allgemein wissenschaftlicher Be-
deutung herbeizuführen oder wenigstens näher zu
rücken. So ergaben die Durchstechungen des Grenz-
walls auf der so besonders günstigen Strecke in der
Bulan und die Untersuchungen in seiner unmittelbaren
Nähe gegenüber den vielfach verbreiteten Ansichten,
wonach der Limes nur eine Grenzsperre für die Friedens-
zeit oder eine Signallinie gewesen wäre, daß, wie
Major Ddhm in seiner Bearbeitung dieses Theils
der Arbeiten es ausdrückt, »für den großen Krieg
die oberrheinischen Grenzbefestigungen in ihrer Ge-
sammtheit eine permanente, fortisikatorisch gesichere-
starke Vorpostenstellung bildeten, während die Hauptt
kastelle außerdem die strategische Bedeutung von Grenz-
sestungen hatten." Bezüglich der streitigen Frage nach
der Stärke der Garnisonen in den Grenzkastellen war
es von Wichtigkeit, daß die genaue Untersuchung des
kleinen Zwischenkastells am „NeuwirthshauS" bei
Hanau es ermöglichte, genau die Räume zu ermitteln,
welche zur Unterkunft der Soldaten gedient hatten.
WaS die großen Kastelle betrifft» so ergab die voll-
ständige Aufdeckung des Prätorinms im Rückinger
Kastell, die sonst noch in sehr wenigen Fällen gelungen
ist, die Thatsache, daß dieses Prätorium, und, wie
der Vortragende nachwies, auch die anderen auf-
gefundenen Prätorien in den LimeSkastellen, nicht
etwa, wie man gemeint hat, die Wohnung der Offiziere
enthielten, sonder« aus einem offenen Hofe bestanden,
an welchem sich, abgesehen von einem massiven Frontal-
bau mit thurmarngem Oberbau aber ohne Wohn-
räume, leichtgebaute Hallen und Aufbewahrungsräume
für Feldzeichen, Waffen und Götterbilder anlehnten.
Von besonderem Interesse war die Auffindung eines
ausgedehnten massiven Gebäudes init Hypokaust-
einnchtungen in alle» drei Kastellen an derselben
Stelle der Praetentura zwischen Porta praetoria und
Porta principalis dextra. Sie beweist, daß die frühere
Ansicht, wonach in der Prastsutura der Limeskastelle
nur Holzbaracken als Wohnränme für die Soldaten
vorhanden gewesen wäre», falsch ist. Hier dürfte die
Wohnung des Kommandauten und der Offiziere zu
suchen sein, wenigstens in der Zeit, wo das Kastell
selbst ausschließlich für die Unterkunft der Garnison
diente. WaS das bei fast allen. Limeskastellen auf-
gefundene mit Hvpokausten versehene massive Gebäude
außerhalb des Kastells betrifft, so ist dasselbe vor
der Porta prinoipalis dextra des Rückinger Kastells
so gut erhalten, wie meist an keiner andern Stelle.
Aus keinem deutlich erkennbaren Grundriß hat Architekt
von Rößler unter Heranziehung aller bekannten Grund-
reste solcher Gebäude den Nachweis zu liefern gesucht,
da diese nicht mit v. Cohausen als „Villae“, sondern
als Bäder zu betrachte» seien.
Besonders eingehend schilderte Dr. Wolff die im
vorigen Herbst bei Keffelstadt und Hanau vorgenom-
menen Ausgrabungen und ihre Ergebnisse, weil die-
selben noch nirgends ausführlich und besonders noch
nicht mit Abbildungen publicirt sind. Da aber das
„Heffenland" in Nr. 5 eine vorläufige summarische
Darstellung dieser Arbeiten aus der Feder des Vor-
tragenden gebracht hat, so können wir uns hier
— 208 —
begnügen, auf diesen Aufsatz als Ergänzung unseres
Berichtes zu verweisen. Hinzufügen wollen wir nnr,
daß durch nachträgliche Auffindung eines mit dem
römischen Kupferstempel versehenen Stückes eines
schönen Gefäßes aus tvrra sigillata der römische
Ursprung der Hanauer Mainbrücke auch für etwaige
Zweifler gleichsam besiegelt worden ist.
Alle seine Ausführungen begleitete der Vortragende
durch Nachweisungen an genauen Wandkarten, die auf
Grund der Generalstabskarten und Katasteraufnahmen
in' vergrößertem Maßstabe ausgeführt waren und
wesentlich zum Verständniß des Ganzen beitrugen.
Er schloß mit dem Hinweis darauf, daß der Verein
und er selbst noch mitten in der Arbeit ständen, und
daß insbesondere von den für diesen Herbst Projektirten
Ausgrabungen weitere Aufklärungen über die Be-
siedelung und der Kulturzustände des einst römischen
Hessenlandes zu erwarten seien. —
Nach Beendigung der Sitzung Mittags zwölf
Uhr wurden die Gebäulichkeiten des Klosters
unter der sachkundigen Führung des Herrn
Seminaroberlthrers Leimbach (als Stellvertreter
des abwesenden Herrn Seminardirektors) eingehend
besichtigt und der vortrefflichen Einrichtung der-
selben zu einem Lehrerseminar allgemein die
größte Anerkennung gezollt. Bon den ursprüng-
lichen Gebäuden, so weit sie dem einst so be-
rühmten Kloster und nach Einführung der Refor-
mation unter dem bekannten Abte Lotichius als-
dann mehrere Jahrhunderte lang einer nicht
minder berühmten gelehrten Schule gedient haben,
sind nur noch wenige Reste erkennbar, da sie im
dreißigjährigen, siebenjährigen Krieg und nament-
lich im Jahre 1813 bei dem Durchgang Napoleons
mit 30 OM Mann nach der Leipziger Schlacht
durch Brand und sonstige Verwüstung schwer ge-
litten hatten. Das bcmerkenswertheste Ueber-
bleibsel aus alter Zeit ist die aus der besten Zeit
der Gothik stammende Hutten'sche Grabkapelle.
Nach einer Frühstückspiuse begann um 4 Uhr
in dem mit Wappenschildern und Guirlanden
reich geschmückten, sehr geräumigen Saale des
Gasthofes zum Stern das Festmahl, an welchem
sich 75 Herrn betheiligt hatten^ Der erste Toast,
von dem Vorsitzenden des Vereins ausgebracht,
galt unserem Kaiser, und fanden die begeistern-
den Worte des Redners allseitig den lebhaftesten
Anklang, worauf ein'ge Verse des von dem
Musikkorps angestimmten „Heil Dir im Sieger-
kranz" von den Versammelten stehend gesungen
wurden. Es folgten dann die Toaste des
Herrn Dr. Wolff aus Hanau auf die Stadt
Schlüchtern, des hierfür Dank sagenden Herrn
Bürgermeisters von E turmfeder auf das fer-
nere Blühen und Gedeihen des Geschichts-
Vereins 'und des Heren Pfarrers Junghans
auf die Festkomitees. Daran schlossen sich noch
eine ganze Reihe von Ansprachen und Toasten,
von denen namentlich die des Herrn Lenz auf
die Damen, des Herrn Landraths Roth aus
Schlüchtern auf das schöne Hessenland und seine
biederen Bewohner, sowie des Herrn Kreissekre-
tär Hartdegen aus Eschwege auf das deutsche
Vaterland besonders hervorzuheben sind.
Während der Tafel trafen Begrüßungs-Tele-
gramme ein von dem für die hessische Geschichts-
forschung hervorragend thätigen Vorstandsmitglied
Hrn. Major Dahin aus Hanau, dem in gleicherWeife
thätig gewesenen Hrn. Oberstlieutenant Wille, jetzt
in Spandau, und von dem Redakteur der Zeitschrift
„Hessenland" Hrn. F. Zwenger aus Kassel. Herr
Geh. Rath von Goedaeus in Frankfurt a. M.
erfreute die Theilnehmer durch die Uebersendung
einer Anzahl gedruckter Exemplare seiner Ab-
handlung „Deutung hessischer Ortsnamen", so-
wie der Redakteur der „Schlüchterner Zeitung"
durch Austheilen der Nummer seiner Zeitung
vom Tage vorher, welche ein Gedicht „an den
Acisbrunnen" und als Festgruß einen kurzen
Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse in der
Geschichte Schlüchterns enthielt. Die jetzt schon
sehr gehobene Stimmung aller Theilnehmer wurde
noch erhöht durch das Absingen eines den größten
Beifall findenden, von Herrn Amtsrichter Türck
in Sontra eingesandten schönen und ächt patlio-
tischen Liedes „Mein schönes Hcssenland", welches
unter der Begleitung der Musik nach der Melo-
die des Liedes aus Raimunds Verschwender „da
streiten sich die Leut' herum", gesungen wurde.
Der so zur allgemeinsten Befriedigung ver-
laufene Tag konnte keinen besseren Abschluß
finden, als auf der etwa eine halbe Stunde von
Schlüchtern in einem herrlichen Wald gelegenen
Anhöhe, dem sogen. Acisbrunnen. Hier wurden
noch inVereinigung mit der reich vertretenen Damen-
Flora Schlüchterns die letzten Stunden des vom
schönsten Wetter begünstigten Tages in der heitersten
Weise verbracht.
Am anderen Morgen 8 Uhr fanden sich über
hundert Herrn und Damen ein, um, in Equi-
pagen und auf Leiterwagen den für diesen Tag
im Programm bestimmten Ausflug nach den
etwa 9U Stunden entfernten Ruinen der Hutten-
schen Stammburg Steckelberg, wo Ulrich von
Hutten vor 4M Jahren (am 20. April 1488)
geboren war, anzutreten. Die Theilnehmer ver-
ließen bei dem am Fuße des Steckelberg ge-
legenen Schloß Ramholz die Wagen und er-
stiegen immer im Walde auf bequemen Wege»
209
den ziemlich steilen Gipfel des BergeS zu den
von der einstigen Größe der Burg noch Kunde
gebenden und zum Theil noch wohlerhaltenen
Ruinen derselben, auf welchen zur Feier des
Tages einige Fahnen aufgesteckt waren. In den
Räumen der Burg bewillkommte zunächst der
jetzige Besitzer derselben, sowie der großen um-
liegenden Waldung und des Schlosses Ramholz.
Herr Stumm, Rittmeister im 13ten Husaren-
Regiment, die Ankommenden aufs Freundlichste
und erquickte die Durstigen mit einem Glase
vortrefflichen Bieres. Nachdem man die Ruinen,
zu deren Erhaltung Herr Stumm fortwährend
mit großem Kostenaufwand bestrebt ist, besichtigt
und sich an der hier gebotenen herrlichen Aus-
sicht erfreut hatte, hielt Herr Major v. Stam-
ford den angekündigten Bortrag über Ulrich von
Hutten, und wußte in Il/z-stündiger freier Rede
durch den auf den fleißigsten Studien beruhenden
Inhalt die Anwesenden lebhaft zu fesseln, wofür
ihm allseitig der größte Beifall und Dank zutheil
wurde.*)
Der Rückweg wurde dann wieder nach Schloß
Ramholz angetreten, wo Herr Stumm die Güte
hatte, den von ihm angelegten Park, welcher die
Bewunderung Aller, erregte, sowie auch eine
Sammlung einiger auf dem Steckelberg und
Umgegend gefundene Alterthümer, welche bis zur
Steinzeit zurückgehen, zu zeigen. Bon Ramholz
begab man sich nach einer V* Stunde entfernten,
eine schöne Aussicht bietenden, im Walde ge-
legenen Stelle dem sogen. Borkel, wo von den
Komitees in bester Weise dafür gesorgt war, die
nach den Anstrengungen des Tages recht hungrig
und durstig gewordenen Seelen durch Speise und
Trank zu erquicken. Hier zeigte sich bald all-
gemein ein gar reges fröhliches Lehen, welches
dann auch im Absingen bekannter Lieder
seinen Ausdruck fand. Die zahlreich vertretenen
alten Herrn fanden sich zusammen und gedachten
durch Absingen von Studentenliedern ihrer Burschen-
zcit, wobei auch „O alte Burschenherrlichkeit"
nicht fehlte.
Den Gefühlen aller Anwesenden gab Herr
Major v. Stamford entsprechenden Ausdruck, in-
dem er dem auch hier mitanwesenden Herrn
Rittmeister Stumm den Dank der Theilnehmer
aussprach, worauf diese in das auf denselben aus-
gebrachte Hoch auf das Lebhafteste einstimmten.
Gleiches war der Fall bei einem Toast des
Herrn Pfarrer Wiffemann aus Kassel auf die
Mitglieder des Vorstandes des Geschichtsvereins
und namentlich dessen Vorsitzenden, Herrn Major
v. Stamford, ein Toast, welcher gestern vergessen
)ei. Der Toast fand um so größeren Anklang,
als Herr Wissemann in einer vortrefflichen, den
geübten Redner bekundenden Weise seiner Ab-
sicht Worte zu verleihen wußte. Damit war
jedoch das Ende der so vergnügt verlebten Tage
gekommen. Die erschienenen Gäste nahmen fast
sämmtlich Abschied, um von dem nahe gelegenen
Ramholzer Bahnhof den Weg in die Heimath
anzutreten, alle aber werden ebenso, wie die
Damen und Herrn aus Schlüchtern, der zu einem
wahren Feste sich gestaltenden 53ten Jahres-
versammlung des Geschichtsvereins noch lange ein
freundliches Andenken bewahren.
*) Wir werden auf diesen interessanten und bei der Schwierigkeit
des Themas durch möglichste Unparteilichkeit sich auszeichnenden Bor-
trag in der nächsten Nummer dieser Zeitschrift ausführlicher zurück-
kommen. D. R.
---------
Margarethe
Von H. Leller-Iordan.
Zug, der von Süden kam, fuhr langsam
IÄI in dep langen, mit Glas überdachten Bahn-
Atgr Hof Münchens. Ich bog den Kopf zum
^ Wagen hinaus und sah in die matten Gas-
flammen, die noch um ihr Recht mit dem sich
senkenden Tage stritten.
Ich hatte glückliche Künstlerjahre in Isar-Athen
verlebt, war dann nach Pest übergesiedelt und
wollte jetzt zu einer Privatausstellung nach Berlin,
wohin ich esn großes historisches Gemälde voraus-
geschickt halse. EL war das Resultat mühevoller
Jahre gewfsen und seine Vollendung gab mir
das Gefühl) als sei ich auf einem Berge an-
gekommen, wo mich eine reinere Luft umwehe
und mir den Ausblick in ein stilles, verheißungs-
volle- Thal gewähre.
Ich wollte in München ein paar Tage rasten,
alte Freunde wiedersehen und die unvergessenen
Plätze und Straßen begrüßen, über die ich einst
so harmlos und glücklich gewandelt war.
Die Zeit mit ihren Sorgen verscharrt so
manche schöne Stunde unseres Lebens, aber als
jetzt die Lokomotive pfiff, der Zug stille hielt
und ich mit meinem kleinen Handkoffer auf den
Perron sprang, da überkam mich — trotz des
rauhen Herbstwindes, der mich von den Alpen
— 210
herüber anwehte — ein warmes, wohliges Em-
pfinden. Ich nahm leine Droschke, um zu dem
mir bekannten, inmitten der Stadt gelegenen
Gasthose zu fahren, sondern übergab meinen
Koffer einem Dienstmann und schlenderte, als
wären alle diese Häuser alte, liebe Bekannte,
durch die nebeligen Straßen,
Melodische Stimmen vergangener Tage regten
sich in mir, halb verwischte Menschenbilder wur-
den lebendig und ich fing an die Geschicke der
Einzelnen zu durchdenken, wie sie sich wohl ge-
staltet haben möchten. Dabei warf ich einen
wehmüthigen Blick in die kleine Straße, an
welcher ich gerade vorüberging, und über den
niederen, fast einem Schuppen ähnelnden Bau
der Gesellschaft „Allotrias, in welchem ich mit
übermüthigen College« so ungebundene frohe
Stunden verlebt. Ich begriff nicht, warum ich
in der ganzen Zeit nichts von diesen Menschen
gehört hatte und bedachte, daß möglicherweise
nur noch Wenige von Denen in München sein
könnten, deren Wiedersehn ich am meisten er-
sehnte. Lauter frische, liebe, urwüchsige Künstler-
naturen, noch unbenagt vom Daseinskampf und
dem Ehrgeize, hinreißend und anregend in ihrer
elementaren Kraft, wie sie mir später bei meiner
ernsten, anstrengenden Arbeit nie wieder begegnen
sollten.
Ich hatte ja auch im Laufe der Jahre Manches
durchgekämpst, auch Familienkonflikte mst all' ihrer
Bitterkeit und ihren Nochwehen waren an mich
herangetreten und hatten ein gutes Theil harm-
losen Frohsinns aus meiner Seele hinausgequält.
Aber als ich jetzt durch die altey bekannten
Straßen schritt, an den Häusern mit so unver-
kennbarem Künstlergepräge vorüber und in die
sorglosen Biergesichter der Münchener Philister
sah, die noch gerade so wie einst, an mir vor-
über auf die Keller wanderten, da wehte mich
wieder etwas von der alten Zeit und ihrem
Zauber an.
In meinem Gasthofe angekommen, fand ich
noch alles beim Alten. Der freundliche Wirth,
der seit zwanzig Jahren unverfälschtes Hofbräu-
hausbier schenkte, war wohl noch etwas umfang-
reicher geworden, aber sein Humor schien noch
derselbe.
Er unterhielt mich während meiner Abend-
mahlzeit van alten Zeiten und erzählte mir
Mancherlei von früheren Kollegen, was mich
hoch interessirte. Sein ehrliches Münchener Ge-
rede war die passendste Begleitung zu den Regens-
hurger Würstle, die mir, mit dem herrlichen Bier,
porzüglich mundeten. Aber als er sich dann er-
j)ot> und mir als Ersatz die ,-Neuesten Nach-
richten" auf den Tisch legte, war ich ganz froh,
wieder mit meinen Gedanken ungestört zu sein.
Ich zündeten mir eine Cigarre an, trank be-
haglich mein Bier dazu und dachte darüber nach,
wie ich meinen morgigen Tag beginnen wollte.
Nach dem Frühschoppen selbstverständlich zu-
erst und vor Allem in das unvergeffene Haus
in der Briennerstraße zur Frau v. B. Sicher-
lich waren ihre Abende noch immer so anregend,'
von künstlerischem Geiste und Poesie durchdrungen,
wie einst! Wie hatte ich mich, nach meiner Ab-
reise von München zu denselben zurückgesehnt!
Was wohl aus dem schönen, blassen Mädchen
— ihrer Tochter — geworden sein mochte, der
zu Liebe die geistreiche Frau alle Hebel in Be-
wegung gesetzt, um sie glücklich zu machen?
Meine Augen, die gedankenlos an dem Fresko-
gemälde der gegenüberliegenden Wand gehangen,
senkten sich jetzt unwillkürlich und fielen — als
sollten sie da Antwort finden — auf einen groß-
gedruckten Namen in der Zeitung, die der Wirth
vorher auf dem Tisch gelegt:
„Margarethe."
Ich nahm das Blatt auf und las:
„Gestern Abend verschied sanft meine einzige
heißgeliebte Tochter
. Margarethe
rc. rc.
Ja, es blieb kein Zweifel, da stand der Name
unter dem obligaten Kreuz — fest und unver-
tilgbar.
Margarethe v. B.! War das möglich? Wie
hatte ich mich auf ein Begrüßen dieses Hauses
und ein Wiedersehn der lieben Menschen gefreut!
Und wenn cs auch hauptsächlich nur die Mutter
gewesen, die dort den Vordergrund beherrschte,
so konnte man sich doch diese Räume nicht
denken ohne die schlanke biegsame Mädchengestalt
mit den sanften braunen Augen, die so fremd in
diese bunte Welt blickten.
Ich senkte meinen Kopf in die Hand und
ließ alle die Stunden vorüberziehen, die ich in
den reizvollen Räumen verlebt hatte, in welche
jetzt der Tod seine Einkehr gehalten.
Da war kein Künstler, kein Schriftsteller, kein
Gelehrter, der sich nicht dort zu Hanse gefühlt
hätte und sein Bestes gegeben. Hier wär es,
wo die neuesten Produkte Schwind's, Defregger's,
Böcklin's rc. besprochen wurden, wo bedeutende
Künstler ihre Opernpartituren preisgaben, noch
ehe sie in die Öffentlichkeit drangen, und viel-
genannte Dichter ihre berühmt gewordenen Werke
im Manuskript läsen. Aber auch Bedrückte,
Hoffnungslose, an ihrem Können Verzweifelnde
fanden hier Gehör, Theilnahme und Rath.
Cs war mir, als sähe ich noch heute, durch
düstere Todesgebilde hindurch, Frau v. B., in-
mitten ihres Salons, so wie ich sie so oft ge-
sehen und bewundert hatte.
Ihre große, imponirendeGestalt mit dem mächtigen
Künstlerkopfe, das schneeweiße,, aufgebauschte Haar,
zu den beinahe noch jugendlichen Hügen — und
dann der liebevolle heiße Mutterblick, mit welchem
sie ihre stillere, schöne Tochter umfaßt hielt und
die sie mit all der Kunst, dem Geist, dem
lauten Leben versuchen wollte, glücklich zu machen.
War es ihr dennoch nicht gelungen? Mir war
cs oft jo vorgekommen, als wäre die Heimath
des schönen Mädchens eine andere, als die der
Mutter, als suchten ihre großen dunkeln Augen
stillere Bahnen, sanftere Gefilde — Meeresstille
— Waldesruhe.
Und ich verglich sie unwillkürlich mit der ein-
samen Palme auf der großen Tropenlandschaft,
die an der Wand in einem der Zimmer hing,
und unter welcher sie so oft gesessen und fremd
in das bunte Treiben gesehen, in welchem sich
ihre Mutter so glücklich fühlte.
Und wenn dann dieselbe an die Tochter heran-
trat, bittend — fast flehend — sie möge etwas
singen, deklamiren, dann ging ein Zug von selbst-
quälerischer Angst über das Gesicht des Mädchens,
aber sie erhob sich, der Mutter zu Liebe, und
folgte ihr zum Flügel — mir aber kam sie mit
dem gesenkten Kopfe wie ein Opferlamm vor,
das man zur Schlachtbank führte.
Man fand sie nicht so geistreich, nicht so an-
regend als die Mutter, die sich mit ihrem über-
mächtigen Temperament durch nichts erlahmen
ließ, aber wenn man mit der jungen Dame sprach,
so war alles, was sie sagte, klug, gut durchdacht,
unendlich sinnig — und es drängte sich mir
immer wieder die Frage auf, ob ihre tiefer
liegenden Eigenschaften in dieser überwältigenden
Atmosphäre nicht dennoch verkümmern müßten.
Ich riß mich gewaltsam aus meinen Gedanken
nnd suchte mein Zimmer auf. Margarethe —
todt!
Ich hatte für die psychisch zarte Natur des,
sinnigen Mädchens immer verständnißvolle Sym-
pathie gehabt — ich —
Und dann verwirrten sich meine Begriffe und
ich verfiel in einen dumpfen Schlaf. Als ich
mich am anderen Morgen erhob, kleidete ich mich
an und bereitete mich vor, der Todtenmesse der
Verstorbenen beizuwohnen, die um zehn Uhr in
der Theatinerkirche stattfinden sollte.
Die Beendigung war vorüber — aber an ihrem
künstlich aufgebautem Sarkophage wollte ich ihr
dennoch die letzte Ehre erweisen und meine Ge-
danken den Gebeten einen, die für sie zum
Schöpfer stiegen. Als ich in die Kirche trat,
blieb ich einen Augenblick überwältigt stehen.
Draußen hatte ein feuchter, nebeliger Herbst-
wind die sterbenden Blätter durch die Lüfte ge-
wirbelt nnd die Menschen unheimlich vorwärts
getrieben, Menschen, die in ihren Gesichtern
nagende Sorge und verbitterten Gram trugen.
Und hier, in der Kirche, umfing mich in feier-
licher Stimmung tiefe Ruhe und geheiligter
Schmerz. Es war mir als habe die Seele der
Verblichenen den Frieden ausgeströmt, den wir
Alle suchen.
Ich trat bis in die unmittelbare Nähe des
mit Blumen und Lichtern aufgebauten Sarko-
phages. Liebende Hände hatten die weißen
Blumen zwischen grüne Myrthen, Palmen- und
Epheublätter gestreut — Schneerosen, Edelweiß
und Verbenen. Die mit blühenden Zweigen um-
wundenen Kerzen brannten matt in den düsteren
Tag hinein und gaben der Feier ein tief trauriges
Gepräge. Jetzt verstummten die lauten Worte
des Priesters am Altare und vom Chor herab
erscholl, in ergreifender Vollendung ein vier-
stimmiges Miserere.
Mir war, als öffne sich bei diesen Seraph-
klängen der Sarkophag und ich sähe nüch einmal
das blasse liebliche Mädchendild — so wie einst.
Nur hatten sich ihre sehnsüchtigen Augen sanft
gesenkt und um den weichen Saum ihrer Lippen
lag Ruhe und Glück.
Der Gesang war verstummt. Die Leidtragenden
erhoben sich von den Knieen nnd mit einem
letzten Blick auf das Kreuz des Erlösers, welches
über den Blumen thronte, verließen sie das stille
Haus.
Nur zuletzt, ganz zuletzt bemerkte ich eine hohe,
aber tief gebeugte Frauengestalt auf den Arm
eines Mannes gestützt, d'e in der Thüre stand
und sich sträubte, die Kirche zu verlassen. Die
erloschenen Augen hingen wie gebannt an den
Schneerosen und Verbenen.
Ich wandte mich ab. War es möglich, war
das die lebensvolle Frau, die ich vor noch nicht
langer Zeit in prunkenden Gemächern gesehen,
mit sprudelndem Geiste, warmem Empfinden und
dem stolzen Bewußtsein unzerstörbaren Mutter-
glückes ?
Der Bliy hatte in die Edeltanne geschlagen
und sie bis in's Herz getroffen !--------
..An welcher Krankheit ist die junge Dame
gestorben?" fragte ich endlich, als die Leid-
tragenden alle die Kirche verlassen hatten, eine
Dienerin des Hauses, die neben dem Sarge stehn
geblieben war und still vor sich hin weinte;
„Die Aerzte nannten es „Anämie" sagte sie
schluchzend, „sie hat keine Freudigkeit an welt-
lichen Dingen gehabt und wurde, trotz allen Ge-
sellschaften, mit welchen sie die Mutter zu zer-
streuen versuchte, immer blässer und stiller —
bis---------
„Bis sie, wie eine Blume, die nicht in jedem
Boden gedeihen kann, langsam verblich" — er-
gänzten meine Gedanken die vom Schluchzen
unterbrochenen Worte der Dienerin.
Welche tiefe Tragik, wenn edle Menschen sich
gegenseitig zerreiben und selbst die hingebendste
Mutterliebe die Seele ihres Lindes nicht ver-
steht! —
Draußen wirbelte der erste Schnee durch die
feuchte Lust. Ich stand °eine Weile und sah über
den weiten Platz, der Ludwigsstraße entlang, bis
zum Siegesthor, das in Umrissen dieselbe be-
grenzte. Und dann wandte ich mich zu meinem
Gasthofe, packte meinem kleinen Koffer und fuhr
zum Bahnhöfe. Vielleicht war es besser auf der
Rückreise im Frühling — wenn die ersten Drosseln
im Englischen Garten jubelten — und München
von der goldenen Sonne durchleuchtet wurde.
Aerntezeit.
Entgegen reift da- Korn dem Schnitt;
Gib Rechenschaft, o Herz!
Wenn auch zu Dir der Sichler tritt.
Zieht gleich der Aehre
Dich goldne Schwere
Zur Mutter Erde niederwärts?
Dann traure nicht und streue froh
Ihr alles in den Schooß!
Der Allgetreuen dankst Du so
Für Leid und Wonne,
Für Sturm und Sonne,
Für Deines Lebens reiche- Loos.
_____ A. &VfXtl9Vt.
Den alten Germanen!
Als Vater Rhein beim Weltbeginn
Dem Alpenschooß entflossen
Da rann er bis zur Nordsee hin
Und murmelte verdrossen:
„In Fern' und Näh',
Wohin ich seh'.
Nur Wildniß auf der Erden,
Drin haust mit Wuth
Der Drachen Brut.
Nein! das muß anders werden!"
Nun ließ er die Reben erwachsen am Strand
Md wallte getrost seine Bahnen.
Prapf nahten sich lüstern vom fernen Land
tie 'alten, die durst'gen Germanen.
ie preßten die Beeren, da floß der Most;
Pie tranken und tranken wieder
Und riefen erfreut: „Bei dieser Kost
Da lassen wir «ns nieder!
Hir sind es schuldig dem fernen Geschlecht
Dies Land des Weins zu erwerben
Penst so lange der echte Germane zecht.
Kann sein Geschlecht nicht verderben." —
So sprachen die Väter und nahmen das Land,
Den Wandertrieb vergessend.
Mit Liebe und Einsicht und hohem Verstand
Den Durst der Enkel- ermessend.
Bedenkt d'rum, ihr Enkel, wie wohl gethan
Die einsichtsvollen Ahnen,
Und hebt die Becher uud stoßt mit an
Auf die alten, die guten Germanen!
Kchrrtte turnt Srühl.
Aus ultet und «euer Jett.
Der 30. Juli ist ein Gedenktag in der
Diöcese Fulda. An ihm vollendete vor nunmehr
sechsundfünfzig Jahren Johann Adam Rieger,
der erste Bischof auf dem wiederhergestellten Bischofs-
sitze Fulda, nach kaum zweijährigen Kirchenregimente,
hochbelagt feine irdische Laufbahn. Von 1781 bis
1829 hat Johann Adam Rieger hier in Kaffcl als
katholischer Geistlicher gewirkt, zuerst als Hofkapla»,
zu welcher Stelle ihn Landgraf Friednch II. berufen
hatte, dann als Hauptprediger der katholischen Ge-
meinde, in westfälischer Zeit als Almosenier. Die Gunst,
in welcher Rieger bei seinen damaligen Behörden
stand, wurde ihm auch von dem Kurfürsten Wilhelm I.
von Hessen, als dieser wieder Besitz von seinen
Stammeslande nahm, nicht entzogen. Der geistliche
Rath und Stadtpfarrer Rieger war bei diesem Fürsten
sowohl, als auch bei dessen Nachfolger, dem Kur-
fürsten Wilhelm II., eine persona grate, »nd als
auf Grund der Bullen Provida solersque vom 16.
August 1821 und Ad dominici gregis custodiam
vom 11. April 1827 die Diöcese Fulda alS Bestand-
theil der oberrheinischen Kirchenprovinz errichtet wurde,
war zwar zunächst der Kapitularvikar Freiherr Friedrich
Bonifaz von Kempff zu Angreth, — vor der Säkulari-
sation Kapitular des Bcnediktinerstuhles zu Fulda, —
zum Bischof auserschen, als dieser aber ablehnte» da
verlieh Kurfürst Wilhelm II. welcher sich den Vor-
schlag des ersten Bischofs vertragsmäßig vorbehalten
hatte, den Bischofssitz zu Fulda dem Stadtpfarrer
und geistlichen Rathe Johann Adam Rieger, ungeachtet
213
dieser sein hohes Alter vorschützte. Am 21. Septbr.1829
fand in Fulda die kirchliche Weihe des neuen Bischofs
und Tags darauf die feierliche Einsetzung statt. —
Johann Adam Rieger war am 16. Juli 1753 zu
Orb als der jüngere Sohn des dortigen Bäckers und
Senators Philipp Rieger geboren. Seine Gymnasial-
stndien machte er auf dem Jesuitergymnasium Mann-
heim. dann zu Worms. Hiernach studirte er Philo-
sophie und Theologie zu Heidelberg und Mainz.
Nachdem er von dem Erzbischof von Mainz, Karl
Friedrich Freiherrn von Erthal zum Priester geweiht
worden war, wnrde er im Jahre 1778 als Kaplan
nach Obernau gesandt und nach Verlauf eines Jahres
nach Kidrich versetzt. Vom den Superioren des erz-
bischöflichen Seminars zu Mainz dem Generalvikariate
daselbst „wegen seiner Frömmigkeit, seines Fleißes und
der Bekanntschaft mit der französischen Sprache" vor-
züglich empfohlen, erhielt er 1761 den Ruf als Hof-
kaplan nach Kassel. Achtundzwanzig Jahre hat Jo-
hann Adam Rieger hier in Kassel mit Ruhm als
Seelsorger gewirkt, während schwerer Kriegsbedräng-
nisse in dem Militärhospital die Tröstungen der Reli-
gion den katholischen Kriegern allein gespendet, m*t
großen Aufopferungen die Hiesige katholische Schule
gegründet und durch seine Kanzelvorträge, sowie über-
haupt durch seine gesammte geistliche Thätigkeit den
größten Nutzen gestiftet. Sein Andenken ist denn
auch hier stets ein gesegnetes geblieben. — Kaum zwei
Jahre waren, wie bereits hemerkt, dem Bischof Jo-
hann Adam Rieger beschieden, die Mitra zu tragen
und den Krummstab zu führen. Er starb zu Fulda
am 30. Juli 1831 im eben vollendeten 78ten Lebens-
jahre. Der evangelische Kirchenrath Professor Friedrich
Erdmann Petri zu Fulda widmete dem Verewigten
in einem Akrostichon einen warmen Nachruf, ein Be-
weis für die rühmenswerthe Eintracht, welche zwischen
Katholiken und Protestanten in Fulda besteht. -
Auf Johann Adam Rieger, der sich durch christ-
liche Milde und Duldsamkeit auszeichnete, folgte als
Bischof von Fulda der unvergeßliche Johann Leonard
Pfaff, ein Mann von hohem Geiste und großer Ge-
lehrsamkeit, und nach dessen am 3. Januar 1848 er-
folgten Tode, wurde am 1. Mai 1849 der bisherige
Dechant und Stadtpfarrer von Kussel Christoph
Florentius Kött zum Bischof von Fulda konsekrirt.
Frömmigkeit und Demuth zierten diesen Kirchenfürsten,
in dessen letzten Jahren der Kulturkampf entbrannte
der auch ihn, den Mann des Friedens, in Mitleiden-
schaft zog. Er starb am 14. Oktober 1873. Und
nun folgte das Interregnum, in welchem zuerst Dom-
dechant Dr. Gottfried Haberenz und nach dessen Tode
Domkapitular Konrad Hahrie der Diöcese als Bis-
thumsverweser vorstanden, bis am zweiten Weihnachts-
lage 1881 zum Bischof von Fulda Dr. Georg Kopp
von Hildesheim konsekrirt wurde, der jetzt zum Fürst-
bischof von Breslau ausersehen ist. Die Thätigkeit
dieses namentlich auf diplomatischem Gebiefhervorragen-
den Kirchenfürsten ist zu bekannt, als daß wir sie
das Nähe zu präeisiren brauchten. Und nun tritt
dann wieder die Pflicht ein, auf den altehrwürdigen
Bischofssitz zu Fulda einen neuen Bischof zu erheben;
möge die Wahl auf einen Mann fallen, der die Vor-
züge seiner Vorgänger in sich vereinigt. Das walte
Gott ! F. Z
* #
*
Aus einem Briefe des Pfarrers Cuntz
zu Kirchditmold vom Jahre 1758. In der
Pfarrei-Repositur zu Kirchditmold findet sich ein
ziemlich umfangreicher Brief vor, in dem der Pfarrer
I. CH. Cuntz die kriegerischen Operationen der fran-
zösischen Armee und der hessischen und hannoverschen
Truppen, die im Jahre 1758 in der Umgegend von
Kassel vor sich gingen, alse aufmerksamer Augenzeuge
einem Freunde erzählt. Wer die Kriegs-Ereignisse
jenes Jahres nach dem Gefecht bei Sandershansen
bis ins Einzelne studiren wollte, wie der französische
General Soubise und der hännöverische General Oberg
gegen einander operiren, wie Oberg die beste Gelegen-
heit zu einem guten Schlage sich entgehen läßt und
schließlich unter Verlusten abzieht, der würde sich mit
Vortheil über die breite Ausführlichkeit hinwegsetzen,
die der biedere Pfarrer Cuntz anwendet, um das
Alles seinem Freunde klar zu machen. Von allge-
meinem Interesse ist besonders die Partie, welche sich
auf das Gefecht bei Sandershansen bezieht und dann
einige einzelne Schilderungen, die der Pfarrer feinen
eigenen Schicksalen widmet. Diese Stellen haben
nur herausgenommen und unvermittelt an einander
geschrieben, wie wir sie fanden.; nur die verschwenderische
Orthographie jener Zeit haben wir den Augen unserer
Leser ersparen zu sollen geglaubt.
Nachdem der große und tapfere Pr. Jsenbonrg
mit seinem Corps, 5—6000 Mann, sich aus Ober-
Hessen zurückzog und auf den Anhöhen hinter Sangers-
hausen*) jenseits Cassel an den Weg nach Münden
sich gegen einen doppelt stärkeren Feind setzte, so kam
es zu unserem großen unvermutheten Schreck?»
zu einer kleinen aber herzhaften blutigen Bataille.
Ich lief unter Angst und Thränen eine halbe Stunde
näher und stellte mich auf die Anhöhe von Rothen-,
ditmold (allwo ich eben zugleich ein Kind taufen sollte).
Ich nahm das Perspektiv ynd sahe sehr genau die
Macht und heftige Attaque der Feinde. Ich konnte
mit offenen Augen sehen, wie der kleine Haufe die
Menge der Feinde zum Weichen brachte fdieselbej aber
zugleich nach erhaltenem Suceurs die Unseligen wieder
zurücktrieb. Ich hatte keine Ruhe, ich lief zurück
nach den Meinigen; ich fand sie in einer traurigen
Gesellschaft von lauter Weibern, die sich nicht wollten
trösten lassen, weil sie den Tod ihrer Männer bei
dem glücklichen und unglücklichen Ausschlag vermutheten.
Sogar kamen etliche Weiber mit ihren Säuglingen
an der Brust zum Ort der Bataille gelaufen, welche
oben ihre Männer in kleiner Ruhe gedachten zu
sprechen, nunmehr aber schon im Tode sahen. Der
Anblick von der ganzen Affaire, da die Schlacht bis
gegen den Abend ohne Entscheidung dauerte, wurde
uns Zuschauern unerträglich. Endlich sehe ich auf
*) D«ch wohl Sandershausvtt.
214
betn Thurme ganz genau alle Ünordnung und die
völlige Flucht der Unserigen. Die hessischen Jäger,
welche an der Fulda gegen Wolfsanger stunden und
durch ihre Tapferkeit Blut genug vergossen und sich
recht respektabel gemacht, hatten, feuerten noch be-
ständig fort. Obwohl die Armee schon völlig retirirt
war, so kam dieselbe im Unglück noch glücklich davon.
Ich merkte im Dunkeln au den einzelnen Schüssen,
wie Dieser und Jener sich noch besonders wehren wollte.
Bon diesem Trauerspiel, von Thränen und Seufzern
ermüdet, legten wir uns zur Ruhe, um unser Schicksal
am künftigen Tage abzuwarten. Der Morgen brach
an. Der erste Anblick waren blutige Wagen und
blessirte Franzosen. Ich bekam den blessirten Prinzen
von Usingen zu logiren und sein ganzes Regiment
schwerer Kavallerie wurde im Dorfe einquartirt. Vor
dem Einzuge dieses Regiments melde ich Ihnen, mein
liebster Freund, eine neue doch vergebliche Angst.
Ich weiß nicht, wer der erste böse Mensch war, welcher
das Geschrei machte, die einrückende Reiterei wollte
Alles ans Rache massakriren, die Schüsse geschähen
auf Jung und Alt. Ich Hölle ängstlich ' schreien.
Ich lief auf den Boden, ich sah viele Menschen mit
weißen Bündeln auf dem Rücken nach dem Walde
laufen. Ich wurde stumm in meinen Gedanken.
Meine bei sich habende Freunde weiblichen Geschlechts
verkrochen sich bald auf den Boden, bald in den
Keller hinter die Fässer. Ich aber lief nach den
Hausthüren, um bte Ankunft der Truppen zn sehen.
Ich sah 12 Mann mit großen Bärenkappen. Getrost
ging ich auf sie zu und fand meine alte Mutter nebst
einer alten Magd, die ganz trostlos weinte, vor dem
Verschluß, dem Hofthor. Der Offizier, ein Graf,
rief: „Was weinet Ihr, Leute?" „Mein Herr, ich
habe gehört, als wollten Sie mit Unschuldigen sehr-
hart verfahren." „Ach was, was! wir sind Menschen,
Ihr seid unsere Feinde nicht," war die liebliche Ant-
wort. Darauf drangen der ganze Trupp zuerst auf
meinen Hof und Haus. Nachdem nun meine Familie
die Todesängste ausgestanden, so krochen sie mit
Thränen aus dem Keller hervor und fanden an diesem
Trupp die besten Leute, welche ich mit meinem Wein,
den ich zur Brunnenkur angefangen zu brauchen haste,
bewillkommnete. Die Ursach dieses bösen Rufs war
entstanden, da etliche Reiter ihr Gewehr losgebrannt
halten und nur aus Luft und Verstell auf einige vor-
hergehende kleine Kinder gehalten, welche aus Schrecken
bloß vom Knall auf der Straße niederfielen und in
der Ferne von den Einwohnern gesehen worden.
Genug, der Schrecken lag in unseren Gebeinen. Der
Trupp, der nun bei mir eingekehrt war und die An-
stalt zur ordentlichen Einquartirung für gedachten
Prinzen und sein Regiment verfügten, machten mich
sogleich zum Dorfschulzen. Ich mußte ohne alle
Komplimente dahin sitzen und auf Ordre des Herrn
Grafen die Einquartirung eintheilen. Wohlan! ich
machte Billets and sorgte für Foutage. Mein Amt
wechselte ab, bald wurde ich Dorfsknecht, ich lief ins
Dorf und citirte die Männer, bald Oberrentmeister.
Ich beschrieb, war Grebe, Landbereitrr, Aberrent-
meister, Pfarrer, und Wirth blieb ich in ständiger
Einquartirung mit Abwechslung. Endlich, da ich
durch meine Billets so viel Schmähworte von den
Unverständigen ausstehen mußte, so gelang eS mir,
das ^ Amt abzugehen, und der Dorfschulze -oder Grebe
mußte es übernehmen. Von dieser Stunde an mußte
ich denselben vor meine strengste Obrigkeit erkennen,
wie .denn in diesem ganzen Kriege alle Prediger über
die Strenge der Greben zu klagen haben..........
Unser tapferes Leibregiment zu Pferd stach gerades
Weges durch das Feld nach dem Kratzenberge, nach
der Gegend, wo die Fischer sich hingezogen halten.
Hier war ich sehr besorgt und voll von Schrecken,
da ich von meiner Thüre wahrnahm, daß ein Bataillon
Fischer sich zwischen die Hecken des Feldes hinter den
Kartoffelstanden in ttefen Graben eingelegt hatten;
sie gaben bei näherer Anrückung auf unser schönes
Regiment eine ganze Gereralsalve, doch zu früh und
zu weit, daß zum Glück kein Mann fiel, worauf ein
Rumor und ein Getöse von diesem Regiment gemacht
wurde, daß man aus der Stellung wohl wahrnahm,
daß dies Regiment absolutcment nur drängen und
attaquiren wollte/ wobei die Offiziere die größte
Mühe sollen gehabt haben, nicht ohne Ordre weiter
avanciren zu lassen, btc Leute abzuhalten, wie ich
dann hiernächst einem gewissen Reiter wegen ihres
Zauderns einen Verweis geben wollte, mir auf seine
Art der Sprache auf gut hessisch antwortete: „Das
Herz pochete mer trn Leibe; ach Gott, es wolle me
aus meiner Brost sprengen, daß me nit einhauen
börsten un sollen un börsten nit. »Hat hee Geduld,
der lebe Gott wird uns helfen. Bei Crefeld gings
anders her!"
Ein anderer trauriger Zufall begegnete an diesem
28. September dem Henrick Dippell, der meine Pfarr-
güter als Meier vesaß. Derselbe flüchtet mit seinen
Pferden zum Wald. Er wird von französischen
Husaren der Fischer angehalten. Sie geben sich vor
Deutsche ans. Er'soll ihnen die Armee weisen und
Anschläge geben; er thut es herzlich gerne, es war
ein witziger Kopf und ' hatte nach seiner Natur ein
hitziges Temperament nebst jähem Zorn. Auf einmal
geben sie sich zu erkennen. Sie brachten ihn in mein
Haus zum Verhör geschleppt. Nachdem der Kom-
mandant ihn befragt, so wollte er ihn zum Soubise
schicken. Er rief mir halb todt zu: „im Brauhaus
— Ihr versteht mich wohl? merne Frau wird es
Ihnen sagen. Sorgrn Sie vor meine armen Kinder!
Die Franzosen henken mich." Seine Frau und fünf
Kinder liefen und schrien um ihn herum. Er ver-
doppelt sein Wort zu mir: „Sorge er vor meine
Kinder!" Ich tröstete und wollte reden, ich wurde zu-
rückgestoßen. Der gute Mann entsprang der Wache
und ersäufte sich vor unseren Augen durch einen Sprung
in den Teich am Wege. Die schwangere Frau und
Kinder nahmen die Zuflucht in mein Haus. Keiner
konnte und dürfte des Anderen Retter sein.
So geschwind sich die Generale zu Pferde setzten,
so geschwind war ich zu meinem Marsche auch fertig.
215 —
Mem ganzer Reichthum, den ich zu retten gedachte,
waren 5 Oberhemden auf der Hanl und mein bestes
Kleid, welches ich über die Hemden göpreßet hatte,
nebst 6 Schild-Louisd'or in den Stiefeln unter den
Füßen. Ich nahm meine Frau wie ein Pilgrim in
Gottes Namen an die Hand, ließ Alles im Stich,
auch die besten Effekten, welche eingemauert waren.
Meine Lebensart wurde täglich wunderlicher. Ich
kochte selbst. Das Töpfen stellte ich' mitten unter
meine Gäste und der eiserne Kessel war unser Teller
und Schüffel zugleich. Wer mir noch ein Kompliment
machen wollte, bekam zur Strafe nichts. Der Förster,
mein Nachbar und die zwei Feldprediger waren meine
Gäste. Commisbrod und Wasser war unsere beste
Nahrung, zuweilen auch ein Huhn, welches von denen
guten Domestiken auswärts erbeutet und mir zum
Kochen für uns allgemein geschenkt wurde. Ich kochte
Reis und Huhn so lange, bis kein Theil mehr konnte
erkannt werden. Mein Lager war Stroh und eine
schwere Bauerndecke zum Oberbett, welches ich in
Verwahrung genommen hatte und so schwer war, daß
man darunter ersticken sollte. Der Herr Förster war
mein getreuer Schlaskamerad. Unser'Schlafhabit war
lächerlich. In Pistolen und alten zerrissenen Kami-
sölern, woran mehr weiße als schwarze Lappen hingen,
legten wir uns in die furchtbare Ruhe. Ein blauer
alter Rockärmel war die Mütze, welche einem Husaren-
habit ähnlich sehe, für den Herrn Förster. Ein jeder
Trommelschlag däuchte uns Generalmarsch zu sein,
wobei der Förster stets zuerst hervorsprang und ge-
meiniglich dreimal über das große Loch im Fußboden
meiner Kammer hinstolperte, ehe er zu stehen kam
und allemal fragte: „Schildwacht! war das General-
marsch zur Bataille?" „Ntin!" So legten wir uns
wieder zur Ruhe. In dieser Stallung brachten wir
4 Tage zu und meine reisefertige Rüstung in fünf
Hemden und Zubehör blieb Tag und Nacht an mir.
___________ A. D.
Aus Vermuth und Fremde.
Kassel, am 27. Juli 1879, am Todestage
Albert Dunckers.- Am heutigen Tage ist ein
Jahr verflossen, seitdem nicht allein unser engeres
Vaterland den Tod eines Mannes in der Blüthe seiner
Jahre zu beklagen hat, von dem auf dem Gebiete
der Geschichtsforschung bei seinen umfassenden Kennt-
nissen und seinem rastlosen Fleiß noch reiche Ergeb-
nisse zu erwarten waren. So groß der Verlust für
die Wissenschaft war, so war die Trauer seiner vielen
Freunde und Aller, die je im Leben in Beziehung zu
ihm gestanden, noch größer und schmerzlicher, als die
Nachricht an sie gelangte, daß dieser vortreffliche
Münn, der Oberbibliothekar Dr. Albert Düncker in
seinem 43. Lebensjahre, nach kurzer Krankheit, zum
unbesiegbaren Schmerze seiner geliebten Gattin und
seiner fünf nun verwaisten, des zärtlichsten Vaters
noch so bedürftigen Kinder vom unerbittlichen Tode
dahingerafft sei. Indem wir bezüglich des Lebens-
gangs des theuren Heimgegangenen, auf den Werth
der bei seinem kurzen Lebensgang schon so zahlreich
erschienenen Schriften, seine Bedeutung als Geschichts-
forscher und seine Verdienst^ als Bibliothekar- der
Landesbibliothek auf den in den Mittheilungen des
Vereins für hessische Geschichte und' Landeskunde,
Jahrgang 1886, enthaltenen vortrefflichen Nachruf
von der Hand seines Amtsnachfolgers Dr. Lohmeyer
hinweisen, wollen wir hier nur noch besonders des
Srßen Verlustes gedenken, welchen der hessische Ge-
ichtsverein durch seinen frühen Tod erlitten hat,
da Er wie kein Anderer es verstanden hat, durch seine
gediegenen, dem Kreis..der Zuhörer in vortrefflicher
Weise angepaßten Vorträge, das Interesse für die
Geschichte des Hessenlandes zu wecken und sich dadurch
das größte Verdienst um das jetzige Blühen und Ge-
deihen dieses Vereins zu erwerben.
Aber auch unsere Zeitschrift „Hessenland", welche sich
die Aufgabe gestellt hat, mit den Bestrebungen dieses Ver-
eines Hand in Hand zu gehen, hat ebenwohl Grund, den
Verlust dieses Mannes, welcher gleich seinem Vor-
gänger Schnbart nach Einverleibung Kurhessens in
den preußischen Staat den Gedanken, „die hessische
Fahne kann jetzt nicht hoch genug gehalten werden"
mit unausgesetztem Eifer verfolgte, aufs Tiefste zu
beklagen und kann seine voraussichtliche Mitwirkung an
Erreichung des angestrebten Zieles nrr schwer vermissen.
Nun ruht er in der Erde seines von ihm so treu
geliebten Heimathlandes; ein ehrenvolles Andenken
wird ihm immerdar bewahrt bleiben. l£.-g.
*
» 4-
— Die Herzogin Auguste Wilhelmine Louise von
Cambridge, Tochter des Landgrafen Friedrich von
Hessen, vollendete am 25. Juli ihr 90tes Lebensjahr;
sie ist die älteste der jetzt lebenden Fürstinnen. Sie
vermählte sich am 7. Mai 1818 mit dem Herzog
Adolf von Cambridge (geb 25. Februar 1774. gest.
8. Juli 1850), welcher vom 24. Oktober 1816 bis
1831 Generalstatthalter, von da bis 1837 Vicekönig
von Hannover war. Ungeachtet ihres hohen Alters
und . einer Lähmung, die ihr die Bewegung erschwert,
ist die Herzogin von Cambridge geistig noch vollstän-
dig frisch und widmet immer noch das größte Inter-
esse der Kunst, Literatur, Politik, vorzugsweise aber
der Musik. * * *
— Am 18. Juli starb zu Rothenbach H Ahrens-
hausen nach kurzem Kranksein in seinem 79ten Lebens-
jahre der Generallicutenant z. D. Freiherr von
Hanstein, ein Sohn des vorhinnigen kurhessischen
Staatsministers v. Hanstein, welcher letztere als Nach-
folger Hassenpflugs, nach dessen erstem Ministerium, von
1837 bis 1841 den Vorsitz im kurhessischen Staats-
ministerium führte. Der eben verstorbene General-
lieutenant von Hanstein war nach Vereinigung Kur-
hessens mit der preußischen Monarchie im Fahre 1866
kurze Zeit hier in Kassel Kommandeur der 44ten
Infanterie-Brigade und galt für einen durch vortreff-
liche militärische Eigenschaften ausgezeichneten Offizier.
* *
±
— Der seitherige Direktor der hiesigen Kunstge-
werbeschule, Herr Prof, von Kramer ist zum Direktor
216
des bayerischen GewerbemuseumS in Nürnberg gewählt
und ist diese Dahl bereits vom bayerischen Ministerium
bestätigt worden. Man sieht Herrn v. K r a m e r nur un-
gern von hier scheiden, da unser heimisches Kunstgewerbe
in ihm einen kenntnisreichen und feinsinnigen Förderer
besaß, Besondere Verdienste hat er sich auch um die
vor mehreren Jahren stattgehabte hessische Landes-
ausstellung kunstgewerblicher Alterthümer erworben,
deren Oberleitung in seiner Hand lag.
* *
*
— Aus München, wo er wieder ein Jahr lang
den Studien bei Prof. v. Defregger obgelegen, hierher
zurückgekehrt, hat unser hochbegabter hessischer Lands-
mann, der Maler Johannes Kleinschmidt, uns
durch einige im Kunsthaus ausgestellte Gemälde mit
den dort erlangten künstlerischen Resultate» vertraut
gemacht. Eine bedeutsame Meisterschaft dokumentirt
er besonders im Portraitfach, indem er den ebenfalls
in München lebenden jungen hessischen Maler Andreas
Brübach, seine Kunst ausübend, wiedergab. Trefflich
charakterisirt und reizvoll in der technischen Ausführung
wie der Farbe an und für sich, verdient das Bild die
unumwundenste Anerkennung. Auch die übrigen Ge-
mälde Kleinschmidt's, namentlich ein liebliches „Tyroler-
Mädchen" (Brustbild) erregen mit Recht allgemeine
Aufmerksamkeit. M. M.
* . *
*
Von befreundeter Seite ist uns folgende Zuschrift
zugegangen:
Zu S. 196 der Nummer 14 des „Hessenland".
Der Berfysser des Buches: Meine Wanderungen rc.
ist nicht unbekannt geblieben, es ist v. Göchhausen.
Zu S. 197. Wegen Reinhard von Rosen-
bach fragt v. G. an, ob Jemand von einem Ge-
schlecht dieses Namens etwas wisse? Ich verweise
den Herrn auf Harthard Deutscher Reichsadel I,
S. 472. Dort wird Konrad von Rosenbach zu Lind-
heim in der Wetterau, f 1558, als Erster und Philipp
Christoph/ des fürstlichen Stifts Fulda Kapitular und
Propst zu Blankenau f 1681, als Letzter dieses Stammes
angeführt. * * * Sitzn».
Eine kleine Berichtigung. In .Nr. 8 des
„Hessenlandes", Seite 99 findet sich in den hoch-
interessanten Mittheilungen (als Beitrag zur Geschichte
des früheren kurhessischen 1. (Leib) Husaren-RegimentS,
jetzt königl. preußisches 1. hessisches Husaren-Re-
qiment Nr. 13, von einem früheren Offizier dieses
Regiments eine kleine Unrichtigkeit.
Es wird allda von jenem glorreichen Tage dieses
Regiments bei Atzen—heim am 11. September 1762
berichtet. Der betreffende Ort heißt jedoch Atzen—Hain.
Jene unrichtige Schreibung entstammt offenbar dem
in jenen' Mittheilungen enthaltenen Berichte des
kommandirenden hessischen Generals über die glänzende
Waffenthat/ Bergl. Renouard, Geschichte des Krieges
in Hannover, Hessen und Westfalen von 1757—1763
(Kassel 1864), Band III., Seite 765 ff.; Fünfter
Jahresbericht des oberhessischen Vereins für Lokal-
geschichte. Seite 31. —
Atzenhain liegt eine starke Stunde in nordwest-
nördlicher Richtung von Grünberg. Arff dem-
selben Tereain hatte am 21. Dfärz 1761 der Erb-
prinz von Biaünschweig (der Oberbefehlshaber in
der Champagne, tödlich verwundet 1806 bei Äuer^
städt) eine empfindliche Niederlage erlitten. Bergl.
Renouard, a. a. O. Bd. III. S. 113 ff. —
LauLach in Hessen. vr. A. f&.
* 2 *
Marburg. Das Fest, welches die Stadt
Marburg am 14. v M. der Universität und Stu-
dentenschaft zur Feier der Jmmatrikulaton dcS tau-
sendsten Studenten am Dammelsberg veran-
staltete, hat den schönsten Verlauf gM»rymen. Gegen
4 Uhr setzte sich der Zug der Studentenschaft von
der Ketzerbach ans in Bewegung. Voran drei be-
rittene Wappenherolde, dann die Musik des 11. Jäger-
Bataillons, worauf die einzelnen studentischen Ber-
einigungen, zwischen denen wieder verschiedene Musik-
Kapellen vertheilt waren, folgten. Der Zug «ahm
den Weg über das Schloß nach dem Festplatz, dessen
prächtige Eichen und Buchen den bei der großen Hitze
doppelt willkommenen Schatten spendeten. Es waren
ausreichend Sitzplätze für 2500 Personen hergerichtet,
außerdem hatte jede studentische Verbindung ihre be-
sonderen Plätze. Mit eintretender Dunkelheit wurden
die verschiedenen Plätze in geschmackvollster Weise be-
leuchtet, worauf dann der Tanz begann, dem gegen
Mitternacht ein heraufsteigendes Gewitter ein Ende
machte. — Am 15. Juli> dem Stiftungstage des
altrenommirten Corps Hasso-Nassovia, wurde
der Grundstein eines eigenen Corpshauses vor
dem Barfüßer-Thore feierlich gelegt. Die Mittel M
Aufführung dieses Gebäudes sind zum größten Theile
von alten Herren des Corps gezeichnet worden. Auch
hier in Kassel besitzt das Corps eine nicht, geringe
Anzahl alter Herren, die alle mit großer Liebe die
alten Erinnerungen und die Beziehungen zu dem-
selben pflegen. — An Stelle des vom Rektorate zu-
rücktretenden Professors der Jurisprudenz, Dr. v. Liszt,
wurde für das Studienjahr 1887/88 der Professor
der vergleichenden Grammatik und germanischen Philo-
logie, Dr. Justi, zum Rector magnifieus bet alma
Philippina gewählt.
Briefkasten.
C. R. in Kassel. Wird Ihrem Wunsche entsprechend
benutzt werden.
8. in Kassel. Die Gedichte: „Ein hessisches Kadetten-
lied von 1779" und „Schlachtgesang eines hessischen
Grenadiers 1792" folgen in einer späteren Rümmer.
Für diesmal mußten dieselben wegen Mangels an Raum
zurückgestellt werden.
W. B. in Neustadt. Sie müssen sich noch einige Zeit
gedulden.
Nach Rinteln. Gewiß sind uns auch naturwissen-
schafttiche Artikel, soweit sie unser Heffenland betreffen,
willkommen.
v. R. in Laubach. Besten Dank für Ihre gütige
Zusendung. Sie erhalten in den nächsten Tagen brieflich
Antwort.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zw eng er in Kassel, Druck von Wilh. Thiele in Kassel.
Das „Hejsenlan-", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Ansang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von V/2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15, und die Buchdruckerei von Fried r. Scheel, Schloßplatz 4,
Bestellungen an. Zn der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hcffenlaiid" eingetragen unter Nr. 2547 g,, l. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 16 des „Hessenland": „Unfehlbar", Gedicht von Carl Preser; „Pilgerfahrten der Landgrafen
Ludwig I. und Wilhelm I. von Hessen nach dem heiligen Grabe" (Schluß) von C. von Stamford; „Schiller in Bauer-
bach" von Julius W. Braun; „Die Spinnerinnen", Gedicht von Hugo Frederking; „Erkenntniß", Gedicht von Nataly
von Eschstruth; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Brieftasten.
Unfehlbar! §•§«-
ürwahr: unfehlbar iss der Geist,
Der sich unfehlbar preifm heiht
Im großm Reich öer Geister,
Unfehlbar wie öer Sonne Strahl,
Ist Difchof selbst unö Raröinal
Im Geist aus ihrem Meister.
Unö ob üss Weltphilisterthum
Um meines Dogmas ew'gem Ruhm
Mir flucht mit grimmem Munöe:
Ich werbe selig öoch beim Geist,
Der selbst sich als unfehlbar preist
Im hell'gen Römer-Dunöe.
Gs ist öer Geist, öer unverhüllt
Die Welk mit Wahrheit nur erfüllt,
Wie sie aus Gott geboren;
Drum bleibt er auch für alle Seit
Die Duelle öer Unfehlbarkeit,
Der heilig ich geschworen.
Drum füllt öie Römer voll mit Wein,
Mit Feuerwrin vom freim Rhein»
Mit Mut öer öeutfchen Rebe:
Unfehlbar ist öes Geistes Macht,
Der aus öes Rheinweins Wahrheit lacht.
Die Römer hoch! Gr lebe!
Earl Uttflr.
218
Leerfahrten
-er Kandgrafen Kudwig I. und Wilhelm I. vm Hessen nach -em heiligen Grabe.
Von <£. von Zksmforö.
(Schluß.)
oll mächtiger Eindrücke verließ Wilhelm am
3. Januar 1492 die ewige Stadt. Treu
eingedenk seines Gelübdes in Todesnoth, ge-
dachte er nun nach Loretto zu pilgern. In
einem Wirthshause östlich von Spoleto geriethen
die Pilger Nachts in Gefahr, indem Feuer aus-
brach. Alle flüchteten, auch die Pferde wurden
gerettet. Nach siebentägigem Ritte wurde Loretto
erreicht, dessen Kapelle in der Meinung der
Gläubigen das Häuslein ist, in welchem die
heilige Jungfrau auf Erden lebte. Als 1291
Palästina in die Gewalt der Muhamedaner fiel,
hätten Engel das Haus von Nazareth nach
Dalmatien getragen, von da nach Italien und
in einigen Absätzen es an jetzigen Ort geschoben,
Alles auf Befehl der heiligen Jungfrau. Die
Legende giebt die Gründe für das Einzelne an.
Bald bildete sich die Stätte durch den Ruf ihres
wunderthätigen Muttergottesbildes zu einem Wall-
fahrtsorte aus. Zur Prüfung der einem frommen
Manne Nachts gewordenen Offenbarung über
die Herkunft der Kapelle zogen Abgeordnete mit
den Maßen derselben in's Morgenland. In
Nazareth fragten sie, ob hier vor einigen Jahren
ein Haus abhanden gekommen sei. Dies wurde
bejaht, sie maßen die leere Stätte und siehe,
deren Maße stimmten mit denen zu Loretto.
Hiernach waren alle in dessen Gegend überzeugt.
Unsere Pilger verrichteten ihre Dankgebete in
dem kleinen Gotteshause, und Schachten berichtet
gläubig über einige von der heiligen Jungfrau
hier verrichtete Wunder. Nach eintägigem Aufent-
halte setzten die Pilger die Reise längs der
adriatischen Küste fort, Ancona „gahr eine schöne
stadt" und viele andere Orte wurden berührt,
zu Chioggia ein Tag „stille gelegen." Auf dem
Kanals fuhr der Landgraf nach Mestre, von wo
er die Pferde nach Trevifo voraussandte, dann
zur Lagunenstadt, 23. Januar. Hier traf er
Philipp von Hanau bereits vor, beide Herren
vereinigten sich wieder. Wilhelms diesmaliger
Aufenthalt dehnte sich auf beinahe vier Wochen
aus, der Karneval mit seiner Pracht und seinen
Genüssen fesselte den jungen Fürsten, der in
seiner nordischen, armen Heimath derartiges nicht
kennen gelernt hatte. Der Doge und die Regierung
erwiesen Wilhelm wieder große Ehre; jener lud
ihn in den Palast ein , bewillkommnete ihn und
erbot sich, ihm in allen dienlich und förderlich
zu sein. Zunächst bot er dem Fürsten Bestrafung
des Patrons an, wenn dieser etwas verfehlt
haben sollte, — die Regierung, welche alle ihre
Beamten und Unterthanen durch Späher über-
wachte, hatte jedenfalls Kenntniß von dem Be-
nehmen des Patrons. Landgraf Wilhelm war
jedoch so edelmüthig, nicht klagen zu wollen.
Die hessichen Gäste wurden eingeladen, einer
Sitzung des großen Rathes beizuwohnen, welche
jeden Sonntag stattfanden. Der Doge setzte
Landgraf Wilhelm „über sich", den Grafen von
Hanau „neben sich", d. h. er saß zwischen ihnen.
Welchen Eindruck der Senat der Königin der
Meere machte, lehrt die Bemerkung im Tagebuche:
„magk ich warlichenn sprechenn, das ich köstlichers
Raths von Ehrlichenn und Altenn Personenn
niemals gesehenn habe, vermeine Ihrer woll
bey funfhundertt gewesen« sein sollenn. . ."
Interessante Notizen über die Bertheilung der
höheren Staatsämter durch Kugelung, den Staat,
dessen Seemacht, werden gebracht. Die Venetianer
gaben die Zahl ihrer Schiffe aller Gattungen
auf 30000 an; hierbei sind wohl auch die kleinsten
mitgerechnet, welche bei der größtenteils nur im
mittelländischen Meere betriebenen Schifffahrt,
wie längs der Küsten vollkommen geeignet waren.
Bald darauf, durch Vasco de Gamas und
Christoph Colon's große Entdeckungen wurde es
anders.
Der Karneval nahm die Fremden vor Allen
in Anspruch; „in köstlichenn Kleidern lauffen die
Venediger in der Fastnacht umb, etliche von gold
und sielber gestickett, etliche von Perlenn hosenn
gesticket auf den Ermelln. . . undt währet
durch denn ganzenn Winter undt wann sie sich
ann aller scheußlichsten vermachen» und verstellenn
wöllenn, so ziehen sie wie Deutsche tragen, kurhe
kleider und Caplein mit tradeln. . Bon
einem sonderbaren Gebrauche hören wir; während
des Karnevals dienten die jungen Männer ihren
„bulen," wenn sie diesen große Ehre thun wollten,
kauften mehrere einen Ochsen, führten ihn an
Stricken dahin, wo ihre Geliebten sich befanden.
Große böse Hunde mußten das Thier beißen
und hetzen, um einige Aufregung in dem Opfer
hervorzubringen. Unter den Fenstern ihrer Damen
hieb als Krönung dieser „Verehrung" einer der
Helden dem Ochsen den Kops herunter, wobei
die Uebrigen das Thier festhielten, damit „er
ihnen nichts thunn möge, undt wilcher dem ochsen
das Haupt abgehawenn, vermeinett, Er habe
ein großes erjagtt." Das widerliche Schauspiel,
eine Fratze des spanischen doch wenigstens ge-
fahrbietenden Stierkampfes, deutet das Sinken
des venetianischen Geistes an. welches in den
folgenden Jahrhunderten in erschreckender Weise
zum Niedergänge des Staates führte.
Der Landgraf war noch immer so wohl mit
Geldmitteln versehen, daß er beträchtliche Ein-
käufe machen konnte; so kaufte er „viel sammt
undt seidenstucke, 16 Ellen golden stücke zu einem
Rocke, davon die Elle 25 Ducaten kostete." Er
ließ einen Orden fertigen, vermuthlich den des
heiligen Grabes, wofür er 1000 Ducaten und
drei goldne Ketten, wofür er 1000 Gulden zu
zahlen hatte, letztere vermuthlich für seine treuen
Genossen. Ueber Wilhelms Theilnahme an den
sinnberückenden Freuden der geheimnißvollen
Stadt ist keine Andeutung gegeben; doch ist wohl
aus Schachtens wenig glimpflichem Urtheile über
die Venetianerinnen vielleicht zu entnehmen, daß
sein junger Herr sich von ihnen nicht fern hielt.
Auch diese heitere Zeit ging zu Ende. In
schmeichelhafter Weise von der Regierung be-
handelt, reich von ihr beschenkt, darunter mit
erlesenen Speisen, und den schon damals in ganz
Italien sehr gebräuchlichen Süßigkeiten, durfte
der Landgraf auch hier im Vollgefühle der Be-
friedigung scheiden. Die ihm gewordene auf-
merksame Behandlung ist um so bemerkenswerther,
als diese Aristokratenregierung im Verkehr mit
Fürsten einen mitunter verletzenden, später bei
ihrer Schwäche lächerlichen, Hochmuth darlegte.
Gegen den 20. Februar trennte Wilhelm sich von
der schönen Stadt. In Treviso fand er seine
Diener mit den Pferden und nun ging es durch
die im Frühlingsglanze prangenden Gefilde der
Terrafirma, dann durch die noch schneebedeckten
Alpen. Sieben Tage währte die Reise von
Venedig bis Innsbruck, im letzten Nachtquartier
zu Matrey empfing der von Wilhelm dem Mittlern
dem Bruder entgegengesandte Curt von Walden-
stein seinen Fürsten. Bereits eine Meile vor
Innsbruck holten Wilhelm der Mittlere, die
Herzöge Hans von-Sachsen (der spätere Kurfürst),
Erich von Braunschweig und eine große Zahl
Edelleute, die weitgereisten Pilger in glänzendem
Zuge ein, empfingen sie mit großer Freude und
geleiteten den Landgrafen zu seiner Herberge.
Diele Fürsten und Edle waren Gäste des Erz-
herzogs Sigismund und feierten die Fastnachten.
Der römische König Max war gleichfalls an-
wesend. Täglich brachen die Ritter Lanzen, des
Abends sammelte der erlesene Kreis sich am Hofe
Sigismunds und seiner jungen schönen Gemahlin.
König Max stach noch am Abende der Ankunft
des Landgrafen mit einem Grafen Salm, wobei
jeder den anderen einmal aus dem Sattel hob.
Der König lud Wilhelm, welcher wie sein Bruder
demselben treuergeben war, zu Gaste und „hattenn
da viel kurtzweill." In der Turnierbahn suchten
die Ritter durch Kraft und Gewandtheit vor den
Damen zu glänzen. So sprang ein großer
Herr aus Welschland in voller Rüstung zwei-
mal „ohne einigen stegreif" in den Sattel,
„wilches doch eine große geradheit ist," auch stach
derselbe auf welsche Weise. Hierbei ist die
Rüstung der deutschen ähnlich, der Sattel aber
mit hohen Pauschen, die Lanze nur hinten dick,
vorn aber schmal, so daß sie brechen mußte,
wenn einer dem anderen traf, „daß doch nicht
viel geschah" setzt Schachten hinzu. Zu mehrerer
Sicherheit wurde ein starkes Tuch manneshoch
durch die Länge der Bahn gespannt und befestigt,
welches die beiden Ritter von einander trennte.
Die rennenden Rofie konnten hierbei sich nicht
treffen, die Ritter „treffen» ubell undt ob sie
sich woll zu zeitenn troffenn, so mochte doch kei-
ner nichtt fallen»." Diese Abschwächung des
ritterlichen Turniers behagte den Deutschen nicht
recht.
Maximilian, damals zweiunddreißigjährig, be-
zauberte Alle; Schachten rühmt ihn als „einen
so züchtigen feinen fürsten, wie er sein tage ei-
nenn gesehenn habe, mit allen seinen geberdtenn,
sönderlichenn an dem tantze." Der König stach
täglich mit, selbst in einem Gesellenstechen, d. h.
einem solchen, bei dem ein Trupp gegen eine
leich große Anzahl ansprengte. Der jüngere
essische Landgraf, der in der Wiffenschaft da-
maliger Zeit, wie in Ritterlichkeit gleich vollendet
galt, rannte mit einem Ritter Wickert, beide
küßten den Sand; als er sich mit seinem Lieb-
222
des Poeten! Der Poet umfaßt die ganze Welt
in Sehnsucht und Liebe; er ist gleichsam das
"Herz der Menschheit! Das Leid von Millionen
dringt auf ihn ein! Was Millionen empfinden
— er spricht es aus! Und darum rührt er
Millionen! Ach, könnt' ich doch, frei von den
Sorgen für die kleinen Bedürfnisse dieses Da-
seins, nur meinen Träumen, meinen Idealen,
meinen künstlerischen Entwürfen leben! Heimath,
Vaterland, Eltern, Geschwister, freunde — alles
hab' ich verloren um der Dichtkunst willen!
Und wie wenig fehlte daran, daß ein Sprung
von der Sachsenhäuser Brücke meinem Erden-
leben überhaupt ein Ende würde bereitet haben!
Da war sie es, Frau von Wolzogen, die im letzten
Augenblick der grenzenlosesten Verzweiflung mir
die rettende Hand gereicht und mir dies herrliche
Bauerbach zum Asyl angeboten. Der Guten,
die die Kunst beschirmt, soll nie vergessen sein!
Zweiter Auftritt:
Judith (einen Korb auf dem Rücken, tritt auf durch
das Thor.) Voriger. Dann Frau Vogt.
Judith: Grüß Gott, Herr Doktor —!
Schiller: Ah, die Judith —! Nun, haben
Sie etwas für mich aus Meiningen mitge-
bracht ? —
Judith: O ja —! (nimmt den Korb ab und
prustet) Der weite Weg — und der schwere Korb
— und so früh schon diese Hitze —! Der Athem
geht einem aus —! (Trocknet sich die Stirn mit
einem Tuch.) Ach — !
Schiller: Also —! (Will am Inhalt des Korbes
kramen.)
Judith: (hält Schiller davon zurück.)
Schiller: Haben Sie Bücher sür mich —?
Judith: Ja —!
Schiller: Und haben Sie den Herrn Biblio-
thekar Reinwald selbst gesprochen — ?
Judith: Ja - selbst -!
Schiller: Ich will Ihnen behülflich sein. —
Judith: Nein, lassen Sie nur —! Ich habe
auch zerbrechliche Sachen im Korb —! Also —
einen schönen Gruß soll ich bestellen vom Herrn
Bibliothekar Reinwald an den Herrn Doktor
Ritter —
Schiller: Danke schön. —
Judith: Und hier sind die Bücher. — (Reicht
Schiller mehrere Bücher aus dem Korb.)
Schiller: (schlägt die Bücher auf und liest die
Titel.) „Robertson — Geschichte von Schottland."
— Brauch ich nicht mehr! Eine Maria Stuart
schreib ich vielleicht später einmal — ! Bereits am
Don Carlos angefangen —! „Lessing, theatralische
Bibliothek" — Sehr erwünscht! — Und hier
seine „Dramaturgie". — Weiter nichts, Judith —?
Judith: O ja — hier noch etwas — ein
halb Pfund Schnupstobak. —
Schiller: (riecht an der Düte.) Marokko —
meine Lieblingssorte. Ah —!
Frau Vogt: (rüst hinter der Scene) Judith! —
Judith: Und eine Rolle Papier. —
Schiller: (erstaunt.) Wie — ? Papier — ?
Ich habe Ihnen ja doch kein Geld dafür mit-
gegeben — ?
Judith: Der Herr Bibliothekar giebt es
Ihnen von seinem Vorrath — sowie dies
Fläschchen Tinte — und dies Packet Federn. —
Schiller (freudig): Wie? Federn, Tinte und
Papier — ? (zum Publikum). Nun kann ich meinen
Don Carlos ja schreiben! —
Judith: Er schenkt es Ihnen. —
Schiller: Ein Dichter schlägt niemals Ge-
schenke aus! Geschenke sind ihm die sichtbaren
Zeichen der Werthschätzung. — (leichthin.) Wir
schenken der Menschheit überhaupt mehr, als sie
uns wieder schenken kann.!
Frau Vogt «hinter der Scene): Judith —!
Judith: Ich komme schon —!
Frau Vogt (erscheint in der Hausthür): Judith,
muß Sie denn immer noch schwatzen? Ich warte
ja auf Sie —!
Judith: Gleich — gleich —!
Schiller: Haben Sie weiter nichts für
mich — ?
Judith: Nein, weiter nichts —! Das Uebrige
ist für die Herrschaft. —
Frau Vogt (wirst einen zornigen Blick auf Schiller
und tritt zurück.)
Schiller: (mit Beziehung auf Frau Vogt): Haus-
drache —! (Er setzt sich und blättert in den Büchern).
Dritter Auftritt:
Vogt und zwei Mägde (einen großen Kranz und ein
auS Blättern und Blumen hergestelltes „Willkommen"
tragend, treten auf aus dem Haus). Vogt und Frau Bogt.
Schiller.
Vogt (stellt sich in die Mitte der Scene und betrachtet
ringsum das Arrangement.)
Frau Vogt (ist den Mägden behülflich).
Vogt: So —! Nun noch den Kranz über
die Thür und das „Willkommen"! — Elise —
den Kranz etwas mehr nach rechts — immer
noch mehr — halt — so! — Endlich —! Nun
geht hinein und lest die Blätter auf, die im
Hausflur noch herum liegen.
Die M ä g d e (ab ins Haus).
Vogt: Wir stören Sie wohl, Herr Doktor?
Schiller: Nein, durchaus nickt. —
Frau Vogt: Heute muß sich der Herr
Doktor das schon einmal gefallen lassen — nichts
für ungut —!
Vogt: Haben Sie schon die Hauptstraße an-
gesehen? Lauter Maienbüsche — einer an dem
anderen —! Kommen Sie doch —!
Schiller: Danke, Herr Verwalter —!
Frau Vogt: Mein Mann hat den ganzen
Forst plündern lassen. —
S ch i l l e r: Ich möchte doch lieber hier bleiben. —
Frau Bogt h« ihrem Mann): Zu hochnäsig
ist er! Er will mit uns nicht reden. —
Schiller (für sich): Wie darf ich mir die
Hauptstraße ansehen —? Und namentlich heute,
da die ganze Einwohnerschaft auf den Beinen
ist! Wer weiß, wo meine Feinde lauern! Ich
könnte ja gerade heute in dem Tumult jemandem
begegnen, der —
Vogt: Nun wären wir ja fertig —! So!
Die Böller werden losgeschossen, wenn der Wagen
der gnädige» Herrschaft um die letzte Biegung
fährt. Der Küster fängt dann an zu läuten und
ich setze mich mit meinen Schuljungen in Be-
wegung. Der Schulze und seine Bauern werden
sich ja dann auch hier eingefunden haben. —
Frau Vogt: Ja, wenn Du nicht für alles
sorgtest, namentlich für ein wenig Kanonen und
Musik — ein anderer bekümmert sich nicht da-
rum. —
Vogt (würdig): Lasse dergleichen Reden und
bringe Dich vielmehr in die richtige Feststim-
mung —! Ich will zu meinen Rangen gehen
und das schöne Lied zuvor noch einmal mit
ihnen durchnehmen, gestern haperte es noch. (Er
fingt leise, mit der Hand taktirend, den ersten Vers des
Liedes: .Blühe liebes Veilchen' und geht dann fingend
durch die Mitte ab.)
Frau Vogt (nach Stiller hinschielend): Ja,
ja! Während unsereins sich schindet und plagt,
läßt der feine Herr den lieben Gott einen guten
Mann sein! Lesen und schreiben — weiter thut
er nichts! Dann raucht er noch und schnupft
und ißt und trinkt und geht spazieren! Eine
Fertigkeit hat er darin, zuzusehen, wie andere
arbeiten — es ist großartig! Und dies Luder-
leben führt er schon seit acht Monaten! Seit
acht Monaten! Jeder Andere wäre in der Zeit
schon ganz von selbst ein ordentlicher Mensch
geworden — aber Der —? Daß Gott erbarm!
(Kopfschüttelnd ab in's Haus.)
Vierter Auftritt:
Schiller (allein, schreibt wieder. Nach einer Pause):
„Wo Alles liebt, kann Carl allein nicht hassen;
„So seltsam widerspricht sich Carlos nicht.
„Verwahren Sie sich, Prinz, daß sie es nie,
„Wie sehr ich — diesem — Weib — miß-
fall', erfahre;
„Die Nachricht würde schmerzen."
Ach, das ist ja Unsinn —! (krault fich in den
Haaren). Ich wollte schreiben: (immer weiter schrei-
bend)
„Wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre;
„Die Nachricht würde schmerzen — Glauben
Sie?" (immer weiter schreibend).
„Beweinenswerther Philipp —!"
So —! Nun — zweiter Auftritt — Carlos
— Marguis von Posa — (immer schreibend).
„Wer kommt? — Was seh' ich? — O ihr
guten Geister!" (Er starrt filmend, die Hand über
die Stirn haltend, in die Weite. Dann fährt er plötzlich
auf): Alle Wetter, das ist ja der Bibliothekar
Reinwald aus Meiningen — nicht der Marquis
Posa — (Packt seine Schreibutensilien rasch zusammen).
Ich sehe, mit der Dichterei wird's heute nichts
—! Wieder ein verlorener Tag!
Fünfter Auftritt:
R e i n w a l d (angehender Vierziger, ängstliches Männchen,
tritt auf durch das Thor.) Voriger.
Schiller (eilt Reinwald entgegen): Reinwald —
theurer, treuer Freund —! (umarmt ihn).
Reinwald: Nicht so stürnnsch, Herr Doktor
— nicht so stürmisch —! Sie werfen mich ja
um —!
Schiller: Mein Ungestüm möge Ihnen
sagen, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen —!
Und Sie haben mich heute wieder so königlich
beschenkt. — Papier —
Re in Wald (ärgerlich, ungeduldig): Schweigen
Sie doch —! Schenken Sie mir die Gedanken,
die Sie auf das Papier schreiben —! Ehrlich!
Ich hatte geradezu das Bedürfniß, Sie wieder
einmal an mein Herz zu drücken!
Schiller: Einziger Freund, der mich hier
kennt! Der den Aufenthalt in dieser grillenhaften
Zelle, Bauerbach genannt, durch seinen Umgang
mir erträglich macht! Mit dem ich reden und
plaudern, dem ich mein Inneres ausschütten
kann! Und Sie sind der gute Engel, der mich
mit Büchern versorgt, damit das Erdreich meines
Geistes nicht ganz und gar vertrockne —!
Reinwald: Bitte, lieber Schill —
Schiller: Pst! — Nicht meinen Namen
nennen! «Sich umschauend) Wenn man uns hört!
Ein Verräther könnte überall lauern und sei's
auf diesen Bäumen!
Reinwald (rasch): Man hört uns nicht!
Aber von wegen der Bücher! Ich hatte heute
früh vergessen, der Judith dies medicinische
Werk mitzugeben, das ich Ihnen versprochen —
(zieht mit vieler Umständlichkeit ein Buch aus der Rock-
tasche und giebt es Schiller).
Schiller (liest,: „Zimmermann, Von der Er-
fahrung in der Arzneikunst" —! (beiseite) Mit
der Verarztung ist es vorbei —! Deswegen
brauchten Sie sich doch nicht hierher zu be-
mühen —!
Reinwald: O doch! Doch! Sein Versprechen
muß man halten! — Ach Gott! Meine Hypo-
chondrie ! Ich bin wieder einmal so verdrießlich!
Ich ärgere mich über alles — über die Fliege
an der Wand — ja, über mich selbst —!
22.0
linge Waldenstein maß. hob er diesen aus dem
Sattel. Nach ritterlichem Spiele trieben die
Herren Abends in den Kammern der Erzherzogin
bei Tanz und mit Singen, Pfeifen, Lauten- und
anderem Saitenspiel viel Kurzweil. Als Bei-
spiel der Sitten jener Zeit hören wir, wie der
bejahrte Erzherzog mit seiner Gemahlin zum
Tanze „aufzog." Er ließ fich aus einem Stuhl
zu ihr tragen „so mußte die springenn an den
tantz, da das die Königliche Mayestät ihnen«
werdt, namb Er Herzog Hansen bei der Handt
undt griff zwo kertzenn undt sprungenn dem
Herzogen« vor und Herzog Erich und Landgraf
Wilhelm der Mittlere sprungenn dem Herzog
mit zwo kertzenn nach, sonstenn mußten andere
Ritter und Edelleute ann denn tantz. Als der tantz
geschehen war, küßte der Herzog die hertzogiennenn
äuff beide backenn, aber Ich glaube, das solches Ihr
nichtt bey dem besten« schmachte, dann Er wahr
gar graw ihnn dem Nackenn." Es scheint eine
Promenade durch den Festraum hier ausgeführt
zu sein, zu Ehren der fürstlichen Wirthe, wobei
die Tänzer in gewandten und schönen Bewegungen
der Freude Ausdruck gaben; unsere altkluge Zeit
führt das in gemeffener Weise als Polonaise aus.
Der Reisebericht bricht ohne einen Schluß ab,
daher ist nicht anzugeben, wie der Landgraf die
Heimfahrt vollbrachte. Daß der sorgfältige Be-
richterstatter, wenn er nicht etwa erkrankte, sein
Tagebuch bis zur Rückkehr nach Kaffel fortsetzte,
ist nicht zu bezweifeln. Die Unvollständigkeit
ist zu bedauern, da wir sonst vielleicht beffer
über die Entstehung des nachfolgenden Leidens
des Landgrafen unterrichtet sein würden.
Schon an dem heiteren fürstlichen Treiben zu
Innsbruck scheint Wilhelm geringen Antheil ge-
nommen zu haben; hätte er einmal eine Lanze
gebrochen, so würde Schachten gewiß dieses an-
gemerkt haben. Als ein kräftiger blühender
junger Mann war der Landgraf ausgezogen,
als ein geistig Gebrochener kehrte der 26jährige
heim. Gewiffes ist über die Entstehung dieses
Zustandes nicht zu sagen, da die Nachrichten da-
von sehr auseinander gehen. Die Anstrengungen
der Fahrt waren außerordentliche, drei der Ge-
noffen, zu denen doch wahrscheinlich nur kräftige
Männer gewählt waren, erlagen den Folgen der
Mühsale. Ohne Einwirkung waren diese auch
auf Wilhelms Gesundheit sicher nicht geblieben,
der vor seinen Gefährten nichts voraus hatte.
Doch deuten Umstände darauf hin, daß der
letztere Aufenthalt in Venedig so traurige Folgen
herbeiführte. Als im folgenden Jahrhundert
Landgraf Georg I. von Heffen zu Darmstadt fich
mit dem Plane einer Reise nach Venedig trug,
war sein Bruder Wilhelm IV. zu Kassel darüber
in Sorge gerathen und schrieb an den Oberamt-
mann Milchling von Schönstädt: „uns ist gesagt
S. L. seh nach Venedig ... wo er nun dahin,
so geb ihm Gott glück, den S. L. wirds dürfen,
denn auch einmal ein Landtaraff dahin getzogen,
den die Curtisanineen dermaßen abrichteten, daß
er eyn Narr und wahnwitzig heimkam." Man
darf annehmen, daß Wilhelm IV. über die Um-
stände der Krankheit seines Großoheims unter-
richtet war und daß daher der Inhalt obiger
Anerkennung der Wahrheit ziemlich entspreche.
Hiermit stimmt auch überein, was einige Berichte
erwähnen, dem Landgrafen sei in Venedig ein
Liebestrank eingegeben worden und dieser habe
die schlimme Einwirkung auf Wilhelm geäußert.
Derartige Tränke kannte schon das Alterthum,
im Mittelalter wurden sie wie so manche aber-
gläubische Gebräuche nicht selten angewandt.
Waren sie meist nicht harmlos, so enthielten sie
mitunter ekelhafte, auch gesundheitsschädliche Sub-
stanzen, wie es in unserm Falle gewesen zu sein
scheint.
Der Zug des Landgrafen Wilhelm nach Pa-
lästina hatte seinem Lande beträchtliche Summen
entführt, ihm selbst die Gesundheit geraubt, die
Erfüllung aller Hoffnungen abgeschnitten, welche
man an sein noch junges Leben knüpfen durfte.
Nicht lange mehr führte er die Regierung Heffens,
es scheint, daß er aus eignem Antriebe in dem
Bewußtsein seiner Unfähigkeit für die Ausübung
der Regentpflichten sich im Jahre 1493 zur Ab-
dankung herbeiließ. Er erhielt Einkünfte ange-
wiesen, welche aber bei seiner abenteuerlichen,
phantastischen Lebensweise nicht für seinen Auf-
wand genügten. Der Kaiser Maximilian war
mit dem nun regierenden Landgrafen Wilhelm
dem Mittlern innig befreundet, daher mußte
er ein besonderes Interesse daran nehmen, seinem
Freunde und dem Lande oie aus des abgedankten
Landgrafen Lebensweise entstehenden nachtheiligen
Folgen zu ersparen. Er ließ nach längerem un-
stätem Leben Wilhelms des Aelteren diesen von
Nürnberg, seinem damaligen Aufenthalte, nach
Heffen geleiten, wo derselbe unter gelinder Auf-
sicht lebte.
Der vom Landgrafen Ludwig I. mitgebrachte
Splitter vom heiligen Kreuze sowie die von dem
Papste jenem Fürsten verliehene goldene Rose
sind verschollen, vermuthlich in den Zeiten der
Reformation als „papistisch" beseitigt. Keinerlei
Spur, .was aus ihnen geworden sei, ob sie viel-
leicht noch irgendwo in einem Verstecke, der Wieder-
auffindung entgegen harren, war seither zu ent-
decken. Das herrliche Schwert, welches Landgraf
Wilhelm I. zur Heimath mitführte, ziert noch
heute das Museum seiner Vaterstadt Kaffel. Ein
treuer Sohn der alten Kirche wurde Wilhelm
von dem Oberhaupte der Christenheit mit dem
221
Symbole des Kampfes für den Glauben geschmückt
und ausgezeichnet; sein Neffe, Landgraf Philipp,
gegen welchen die Umgebung des geistesumnach-
teten Fürsten ihn noch einmal mit dem An-
sprüche auf die Herrschaft im Lande erfolglos
aufstellte, wurde der Gegner des Papstthums.
Doch das erlebte Landgraf Wilhelm I. nicht mehr,
er starb 1515 mit 49 Jahren. Sem aus frommem
Glauben unternommenes Werk hatte ihm ein
Leben voll Leid und Schmerz eingetragen —
westen Gemüth sollte nicht beim Gedenken des
so früh Geknickten zur Wehmut gestimmt werden!
Kchrller in Kauerbach.
Historisches Lustspiel in 5 Aufzügen
von
Julius W. Braun.*)
Personen des ersten Aufzugs:
Frau Geh. Legationsrath von Wolzogen, Wittwe.
Friedrich Schiller, defertirter Regimentsmedieus aus
Stuttgart, unter dem Namen Dr. Ritter.
Bibliochekar Reinwald aus Meiningen.
Vogt, Gutsverwalter und Dorfschullehrer.
Dessen Frau.
Henriette, Pflegetochter der Frau v. Wolzogen.
Wärm st ein, Dorfschulze.
Sen steig, Barbier.
Judith, Botenmädchen.
Bauern und Bäuerinnen.
Ort der Handlung: Bauerbach in Meiningen auf dem
Gut der Frau v. Wolzogen.
Zeit: Juli 1783.
Freier Platz. Links das Wohnhaus. Treppe vor der
Thür. Rechts und im Hintergrund Bäume und Zier-
sträucher. Eine Staketenwand trennt hinten das Grund-
stück von der Straße. Das geöffnete Thor ist mit Tannen-
zweigen und Blumen zu einer Art Triumphbogen umge-
wandelt. Links vorn am Haus Tisch und Bank.
Erster Auftritt:
Schiller (sitzt am Tisch und schreibt mit einem Gänse-
kiel, den Kopf leicht aus die linke Hand gestützt. Nach
einer Weile steht er auf und geht, die Feder in der Hand,
in Gedanken versunken, längere Zeit hin und her. Er
bleibt öfter stehen, entweder vor sich hinstarrend, oder,
wie geistesabwesend, einen beliebigen Gegenstand, ein Blatt,
eine Blume betrachtend. Dann geht er nach hinten und
wendet sich, immer in Gedanken, langsam wieder nach vorn.
In der Mitte der Bühne bleibt er stehen, steckt die Feder
hinter das Ohr, zieht seine Schnupftabaksdose und schnupft
*) Von unserm als Schillerforscher rühmlichst bekannten
Landsmann erscheinen in aller Kürze vier Werke auf ein-
mal. Der früher schon von uns erwähnte Roman „Um-
sonst gelebt!", 3 Bände, ein zweiter Roman „Erste
Liebe", 2 Bände, dies Lustspiel, dessen ersten Akt der
Herr Verfasser so freundlich war, uns zum Abdruck zu über-
laffen, und ein Sammelwerk: „Luise, Königin von
Preußen, in ihren Briefen." Letzteres wird nament-
lich eine große Anzahl bisher unbekannter Briefe der Königin
Luise bringen, die sich im Besitz des Hohenzollern-Museums,
des königlichen Hausarchivs, der königlichen Bibliothek zu
Berlin, der Magistratsarchive mehrerer Residenzstädte der
altpreußischen Monarchie u. s. w. befinden. Auch Fürst-
lichkeiten, Autographensammler haben dem Herausgeber
reiches Material zur Verfügung gestellt.
mit sichtlichem Behagen.) Hazi! Ich hab's benossen!
Es wird gelingen! «Tritt an den Tisch, nimmt ein
Blatt Papier zur Hand und liest):
Die schönen Tage in Aranjuez
Sind nun zu Ende. Eure Königliche Hoheit
Perlaffen es nicht heiterer. Wir sind
Vergebens hier gewesen. Brechen Sie
Das räthselhafte Schweigen, öffnen Sie
Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz! Zu theuer
Kann der Monarch die Ruhe seines Sohnes —
Des einz'gen Sohns — zu theuer nie erkaufen.
(Legt das Papier hin.) Es geht — hm! Aber ich
bin jetzt zu unruhig — ich kann nicht mehr
schreiben! — Heute soll sie kommen, meine
Freundin, meine Beschützerin, meine gütige
Wirthin — sie, der ich alles, die Sicherheit
dieses verschwiegenen Aufenthalts und die Mittel
zu meiner gegenwärtigen Existenz verdanke! Und
auch Lotte, die Angebetete meines Herzens, kommt
mit! — Ach, während meine „Räuber" ganz
Deutschland in einen wahren Taumel des Ent-
zückens versetzen, während mein Name bewundert
auf Aller Lippen schwebt, währenddem muß ich
mich, verfolgt von der Laune eines despotischen
Fürsten, und in der Furcht, wieder gefaßt und
zu schweren Strafen verurtheilt zu werden —
währenddem muß ich mich hier in Bauerbach,
wie ein Ausgestoßener, fast vor jedem Strahl
der Sonne verbergen! Bis an die Sterne er-
schallt mein Ruhm und ich selbst muß glücklich
sein, im Dunkel des Thüringer Waldes nebst
andern Krüppeln der Schöpfung überhaupt noch
— vegetiren zu dürfen. (Er setzt sich.) Dichter-
loos ! — Die Tage des gewöhnlichen Sterblichen
schleichen dahin in ewigem Einerlei. Seine
Sorgen und Mühen — was sind sie? das leichte
Kräuseln eines friedlichen Sees! Die Stürme
der Zeit, der Geschichte, des allgemeinen Elends
rauschen über ihn dahin, derweil er im sichern
Thal seinen Geschäften nachgeht! Er lebt nur,
um — zu sterben. Wie anders das Schicksal
222
des Poeten! Der Poet umfaßt die ganze Welt
in Sehnsucht und Liebe; er ist gleichsam das
Herz der Menschheit! Das Leib von Millionen
dringt auf ihn ein! Was Millionen empfinden
— er spricht es aus! Und darum rührt er
Millionen! Ach, könnt' ich doch, frei von den
Sorgen für die kleinen Bedürfnisse dieses Da-
seins, nur meinen Träumen, meinen Idealen,
meinen künstlerischen Entwürfen leben! Heimath,
Vaterland, Eltern, Geschwister, Freunde — alles
hab' ich verloren um der Dichtkunst willen!
Und wie wenig fehlte daran, daß ein Sprung
von der Sachsenhäuser Brücke meinem Erden-
leben überhaupt ein Ende würde bereitet haben!
Da war sie es, Frau von Wolzogen, die im letzten
Augenblick der grenzenlosesten Verzweiflung mir
die rettende Hand gereicht und mir dies herrliche
Bauerbach zum Asyl angeboten. Der Guten,
die die Kunst beschirmt, soll nie vergessen sein!
Zweiter Auftritt:
Zudith (einen Korb auf dem Rücken, tritt auf durch
dis Thor.) Voriger. Dann Frau Bogt.
Judith: Grüß Gott, Herr Doktor —!
Schiller: Ah, die Judith —! Nun, haben
Sie etwas für mich aus Meiningen mitge-
bracht? —
Judith: O ja —! (nimmt den Korb ab und
prustet) Der weite Weg — und der schwere Korb
— und so früh schon diese Hitze —! Der Athem
geht einem aus —! (Trocknet sich die Stirn mit
einem Tuch.) Ach — !
Schiller: Also — ! (Will am Inhalt des Korbes
kramen.)
Judith: (hält Schiller davon zurück.)
Schiller: Haben Sie Bücher für mich —?
Judith: Ja —!
Schiller: Und haben Sie den Herrn Biblio-
thekar Reinwald selbst gesprochen — ?
Judith: Ja - selbst -!
Schiller: Ich will Ihnen behülflich sein. —
Judith: Nein, lassen Sie nur —! Ich habe
auch zerbrechliche Sachen im Korb —! Also —
einen schönen Gruß soll ich bestellen vom Herrn
Bibliothekar Reinwald an den Herrn Doktor
Ritter —
Schiller: Danke schön. —
Judith: Und hier sind die Bücher. — (Reicht
Schiller mehrere Bücher aus dem Korb.)
Schiller: (schlägt die Bücher auf und liest die
Titel.) „Robertson — Geschichte von Schottland."
— Brauch ich nicht mehr! Eine Maria Stuart
schreib ich vielleicht später einmal — ! Bereits am
Don Carlos angefangen —! „Lessing, theatralische
Bibliothek" — Sehr erwünscht! — Und hier
seine „Dramaturgie". — Weiter nichts, Judith — ?
Judith: O ja — hier noch etwas — ein
halb Pfund Schnupstobak. —
Schiller: (riecht an der Düte.) Marokko —
meine Lieblingssorte. Ah —!
Frau Vogt: (ruft hinter der Scene) Judith! —
Judith: Und eine Rolle Papier. —
Schiller: (erstaunt.) Wie — ? Papier — ?
Ich habe Ihnen ja doch kein Geld dafür mit-
gegeben — ?
Judith: Der Herr Bibliothekar giebt es
Ihnen von seinem Vorrath — sowie dies
Fläschchen Tinte — und dies Packet Federn. —
Schiller (freudig): Wie? Federn, Tinte und
Papier — ? (zum Publikum). Nun kann ich meinen
Don Carlos ja schreiben! —
Judith: Er schenkt es Ihnen. —
Schiller: Ein Dichter schlägt niemals Ge-
schenke aus! Geschenke sind ihm die sichtbaren
Zeichen der Werthschätzung. — (leichthin.) Wir
schenken der Menschheit überhaupt mehr, als sie
uns wieder schenken kann.!
Frau Vogt «hinter der Scene): Judith —!
Judith: Ich komme schon —!
Frau Vogt (erscheint in der Hausthür): Judith,
muß Sie denn immer noch schwatzen? Ich warte
ja auf Sie —!
Judith: Gleich — gleich —!
Schiller: Haben Sie weiter nichts für
mich — ?
Judith: Nein, weiter nichts —! Das Uebrige
ist für die Herrschaft. —
Frau Vogt (wirst einen zornigen Blick auf Schiller
und tritt zurück.)
Schiller: (mit Beziehung auf Frau Vogt): Haus-
drache —! (Er setzt sich und blättert in den Büchern).
Dritter Auftritt:
Vogt und zwei Mägde (einen großen Kranz und ein
aus Blättern und Blumen hergestelltes „Willkommen"
tragend, treten auf aus dem Haus). Vogt und Frau Vogt.
Schiller.
Vogt (stellt sich in die Mitte der Scene und betrachtet
ringsum das Arrangement.)
Frau Vogt (ist den Mägden behülflich).
Vogt: So —! Nun noch den Kranz über
die Thür und das „Willkommen"! — Elise —
den Kranz etwas mehr nach rechts — immer
noch mehr — halt — so! — Endlich —! Nun
geht hinein und lest die Blätter auf, die im
Hausflur noch herum liegen.
Die M ä g d e (ab ins Haus).
Vogt: Wir stören Sie wohl, Herr Doktor?
Schiller: Nein, durchaus nicht. —
Frau Vogt: Heute muß sich der Herr
Doktor das schon einmal gefallen lassen — nichts
für ungut —!
Vogt: Haben Sie schon die Hauptstraße an-
gesehen? Lauter Maienbüsche — einer an dem
anderen —! Kommen Sie doch —!
Schiller: Danke, Herr Verwalter —!
Frau Vogt: Mein Mann hat den ganzen
Forst plündern lassen. —
S ch i l l e r: Ich möchte doch lieber hier bleiben. —
Frau Vogt (zu ihrem Mann): Zu hochnäsig
ist er! Er will mit uns nicht reden. —
Schiller (für sich): Wie dars ich mir die
Hauptstraße ansehen — ? Und namentlich heute,
da die ganze Einwohnerschaft auf den Beinen
ist! Wer weiß, wo meine Feinde lauern! Ich
könnte ja gerade heute in dem Tumult jemandem
begegnen, der —
Vogt: Nun wären wir ja fertig —! So!
Die Böller werden losgeschossen, wenn der Wagen
der gnädigeu Herrschaft um die letzte Biegung
fährt. Der Küster fängt dann an zu läuten und
ich setze mich mit meinen Schuljungen in Be-
wegung. Der Schulze und seine Bauern werden
sich ja dann auch hier eingefunden haben. —
Frau Vogt: Ja, wenn Du nicht für alles
sorgtest, namentlich für ein wenig Kanonen und
Musik — ein anderer bekümmert sich nicht da-
rum. —
Vogt (würdig): Lasse dergleichen Reden und
bringe Dich vielmehr in die richtige Feststim-
mung —! Ich will zu meinen Rangen gehen
und das schöne Lied zuvor noch einmal mit
ihnen durchnehmen, gestern haperte es noch. (Er
singt leise, mit der Hand taktirend, den ersten Vers des
Liedes: .Blühe liebes Veilchen" und geht dann singend
durch die Mitte ab.)
Frau Vogt (nach Schiller hinschielend): Ja,
ja! Während unsereins sich schindet und Plagt,
läßt der feine Herr den lieben Gott einen guten
Mann sein! Lesen und schreiben — weiter thut
er nichts! Dann raucht er noch und schnupft
und ißt und trinkt und geht spazieren! Eine
Fertigkeit hat er darin, zuzusehen, wie andere
arbeiten — es ist großartig! Und dies Luder-
leben führt er schon seit acht Monaten! Seit
acht Monaten! Jeder Andere wäre in der Zeit
schon ganz von selbst ein ordentlicher Mensch
geworden — aber Der —? Daß Gott erbarm!
(Kopfschüttelnd ab in's Haus.)
Vierter Auftritt:
Schiller (allein, schreibt wieder. Rach einer Pause):
„Wo Alles liebt, kann Carl allein nicht hassen;
„So seltsam widerspricht sich Carlos nicht.
„Verwahren Sie sich, Prinz, daß sie es nie,
„Wie sehr ich — diesem — Weib — miß-
fall', erfahre;
„Die Nachricht würde schmerzen."
Ach, das ist ja Unsinn —! (krault sich in den
Haaren). Ich wollte schreiben: (immer weiter schrei-
bend)
„Wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre;
„Die Nachricht würde schmerzen — Glauben
Sie?" (immer weiter schreibend).
„Beweinenswerther Philipp —!"
So —! Nun — zweiter Austritt — Carlos
— Marquis von Posa — (immer schreibend).
„Wer kommt? — Was seh' ich? — O ihr
guten Geister!" (Er starrt sinnend, die Hand über
die Stirn haltend, in die Weite. Dann fährt er plötzlich
auf): Alle Wetter, das ist ja der Bibliothekar
Reinwald aus Meiningen — nicht der Marquis
Posa — (Packt feine Schreibutensilien rasch zusammen).
Ich sehe, mit der Dichterei wird's heute nichts
—! Wieder ein verlorener Tag!
Fünfter Auftritt:
R e i n w a l d (angehender Vierziger, ängstliches Männchen,
tritt auf durch daS Thor.) Voriger.
Schiller (eilt Reinwald entgegen): Reinwald —
theurer, treuer Freund —! (umarmt ihn).
Reinwald: Nicht so stürniisch, Herr Doktor
— nicht so stürmisch —! Sie werfen mich ja
um —!
Schiller: Mein Ungestüm möge Ihnen
sagen, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen —!
Und Sie haben mich heute wieder so königlich
beschenkt. — Papier —
Reinwald (ärgerlich, ungeduldig): Schweigen
Sie doch —! Schenken Sie mir die Gedanken,
die Sie auf das Papier schreiben —! Ehrlich!
Ich hatte geradezu das Bedürfniß, Sie wieder
einmal an mein Herz zu drücken!
Schiller: Einziger Freund, der mich hier
kennt! Der den Aufenthalt in dieser grillenhaften
Zelle, Bauerbach genannt, durch seinen Umgang
mir erträglich macht! Mit dem ich reden und
plaudern, dem ich mein Inneres ausschütten
kann! Und Sie sind der gute Engel, der mich
mit Büchern versorgt, damit das Erdreich meines
Geistes nicht ganz und gar vertrockne —!
Reinwald: Bitte, lieber Schill —
Schiller: Pst! — Nicht meinen Namen
nennen! lSich umschauend) Wenn man uns hört!
Ein Derräther könnte überall lauern und sei's
auf diesen Bäumen!
Reinwald (rasch): Man hört uns nicht!
Aber von wegen der Bücher! Ich hatte heute
früh vergessen, der Judith dies medicinische
Werk mitzugeben, das ich Ihnen versprochen —
(zieht mit vieler Umständlichkeit ein Buch aus der Rock-
tasche und giebt es Schiller).
Schiller (lieft>: „Zimmermann, Von der Er-
fahrung in der Arzneikunst" —! (beiseite) Mit
der Verarztung ist es vorbei —! Deswegen
brauchten Sie sich doch nicht hierher zu be-
mühen —!
Reinwald: O doch! Doch! Sein Versprechen
muß man halten! — Ach Gott! Meine Hypo-
chondrie ! Ich bin wieder einmal so verdrießlich!
Ich ärgere mich über alles — über die Fliege
an der Wand — ja, über mich selbst —!
224
Schiller: Haben Sie Verdruß gehabt in
Ihrem Amt -?
Reinwald: Verdruß mit meinem Vor-
gesetzten, meinen Untergebenen, mit dem Publikum!
Sogar meine Wissenschaft fängt an, mich zu
ärgern! Stets trifft es sich jetzt so, daß die
Bücher, die ich speziell für meme persönlichen
Zwecke brauche, im nächsten Augenblick auch von
anderen verlangt werden —! Und da soll ich
meinen Heliand fertig machen können! Seit
fünfzehn Jahren arbeit' ich daran! Und fort-
während diese Störungen und Hemmnisse! —
Ja, wenn ich es nur um der Ehre willen thäte!
Wenn ich nicht jeden Groschen eines Extra-
verdienstes so dringend nöthig hätte! Herzog-
licher Bibliothekar! Ein Lakai oder Kanzleikopist
empfängt mehr Gehalt, als ich, der studirte
Mann!
Schiller (beiseite): Er wird mich doch nicht
anpumpen wollen? Ich habe ja selbst nichts —
(laut) Lieber Reinwald, ich bin wohl noch in
Ihrer Schuld — für Portoauslagen? Meine
Briefe, die sämmtlich an Ihre Adresse gehen —
Reinwald (wie oben): Ach was! — O,
meine Hypochondrie! Aber ich habe mir jetzt
ein Herz gefaßt! Ich habe unserm allergnä-
digsten Herrn geschrieben, daß ich mit meinem
bisherigen Gehalt nicht mehr auskäme! Ich habe
ihm geschrieben, daß ich dem fürstlichen Hause
jetzt einundzwanzig Jahre treu gedient, mich
verschiedene Male krank gearbeitet, daß ich immer
unverdrossen weiter arbeite, und zwar zur Zu-
friedenheit aller — aber, daß ich Erdäpfel,
Sauerkraut, halbgar gekochte Stücke Fleisch aus
unseren elenden Wirthshäusern nicht mehr ver-
tragen könne! Ich müsse mir jetzt selbst kochen
lasten und bäte daher unterthänigst um einige
Zulage —
Schiller: Das war recht, lieber Reinwald
— das war recht!
Reinwald: O, meine Hypochondrie!
Schiller: Sie müssen sich zu beherrschen
suchen —.
Reinwald: Thu' ich ja — aber was
hilft's -?
Schiller: Das thun Sie eben nicht! —
Aber es ist doch aut, daß Sie hier sind! Wir
wollen Ihnen Ihre Hypochondrie schon ver-
treiben! Wir erwarten nämlich jeden Augenblick
die Ankunst der Frau von Wolzogen —
Reinwald (erschreckt): Der Frau von —
Schiller: Wolzogen! Aber warum erschrecken
Sie denn?
Reinwald (hat sich wieder gefaßt): Ach ja,
recht! In diesen Tagen sollte sie ja kommen —!
Und sie kommt dirett aus Stuttgart, Ihrer
Heimath — ?
Schiller: Ja —!
Reinwald: Ich meine: direkt —?
Schiller: Ja, dirett —!
Reinwa ld (matt, scheinbar gleichgülttg): Sie
wird Ihnen Nachricht bringen von den Ihrigen —
Schiller: Ich hoffe —
Reinwald: Hm — hm -! (beiseite) Fatal
— das heißt — auch nicht fatal —! Diese unge-
wohnten Situationen, in die man da kommt —!
Aber ich werde mich ihm doch wohl entdecken
mästen —! (laut) Ja, sehen Sie. lieber Herr
Doktor, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte —
hm —! (beiseite) Mein Gott, ich hätte es ihm
doch lieber schreiben sollen! — (laut) Hm —
hm —! Herr Doktor, die Brieftasche, die Sie,
als Sie sich neulich Abends nach Meiningen ge-
schlichen, bei mir liegen gelaffen, haben Sie doch
wieder erhalten — ?
Schiller: O längst! Sie schickten sie mir ja
andern Tages wieder —
Reinwald: Das war vor beinahe vier
Wochen —! Ganz recht! — hm — hm! —
Aber glauben Sie, daß ich die Brieftasche ge-
öffnet oder gar darin geblättert — ?
Schiller: Ihrer Diskretion bin ich versichert!
Aber selbst wenn Sie darin geblättert hätten —
Reinwald: Es waren kurz zuvor noch einige
andere Herren bei mir gewesen, die — die —
die — ebenfalls — Brieftaschen hatten —! Wem
von ihnen gehörte die liegengebliebene also —?
An wessen Adresse hätte ich sie zurückschicken
müssen — ? Denn ich durste sie doch nicht be-
halten —?
Schiller: Nein, das dursten Sie nicht —
Reinwald: Also — ich betrachte die Brief-
tasche von außen und von innen — um einen
Namenszug zu finden — als durch eine unge-
schickte Bewegung meinerseits ein Blatt heraus-
fällt! Ich hebe es auf — und was war es — ?
Schiller: Das Scenarium zu meinem Don
Carlos — ?
Reinwald: Nein, ein Brief Ihrer Schwester
Christophine —! O, meine Hypochondrie!
Schiller: Der Brief meiner Schwester ist
doch nicht an Ihrer Hypochondrie schuld — ?
Reinwald (zerstreut): Nein, meine Hypo-
chondrie auch nicht an dem Brief Ihrer Schwester
—! Ach, was sag' ich denn! (Schlägt sich vor die
Stirn.) Ich werde ja wirttich schon ganz schwach!
— Aber — ich habe den Brief doch gelesen —
aus Interesse für Sie —!
Schiller : Natürlich!— Nicht aus Neugierde!
— Staatsgeheimnisse werden Sie aber nicht darin
gefunden haben —
Reinwald: Nein — so oft ich ihn auch
gelesen habe —
Schiller: Wie?
225
Reinwald: Nun, ich meine nur so! —
Aber, mit Ihrer Erlaubniß, ich habe ihn schließ-
lich — abgeschrieben —
Schiller: Abgeschrieben — ? Sie entwickeln
sich also zum Abschriftsteller — ?
Reinwald: Ich fand so viel reifes Denken
darin, so viel Sinn für Sparsamkeit, so viel
besorgte, herzliche Wohlmeinung für Sie, lieber
Herr Doktor, für Sie, den großen Dichter, den
Verfasser der Räuber, des Fiesco, der Luise
Millerin, für Sie, die Hoffnung uud den Stolz
Deutschlands — (stockt)
Schiller: Platzt denn die Bombe noch nicht
bald -?
Reinwald: Daß ich trotz meiner Hypo-
chondrie sofort gar nicht zweifelhaft darüber war,
die Freundschaft, die ich für den Bruder hege,
auch auf die Schwester übertragen zu sollen —
Sch iller (beiseite): O, weh! — Das wußt' ich!
Reinwald: Sagten Sie etwas — ?
Schiller: Nein, ich dachte nur laut —
Reinwald: Ihr Fräulein Schwester! —
Als Poet bin ich natürlich im Stande, die Er-
scheinung des holden Kindes mir im Geist vor-
stellen zu können! Schlanke Figur — ovales
Gesicht — zierlicher Mund — gebogene Nase
— wie Sie — (macht mit der Hand eine entsprechende
Bewegung).
Schiller: Bitte —! Die Nase meiner
Schwester ist geschweift — so —
Reinwald: Thut nichts —! Ich liebe
auch geschweifte Nasen —! Blaue Augen —
hohe Stirn —
Schiller: Impertinent rothe Haare —
(zeigt auf sein Haupthaar).
Reinwald: Thut nichts —
Schiller: Sommersprossen — kein Ver-
mögen —
Reinwald: Wir haben Manna des Himmels!
Schiller: Davon wird man nicht satt. Das
weiß ich aus Erfahrung.
Reinwald: Lieber Herr Doktor, ich habe
ja um Gehaltszulage gebeten —
Schiller: Verstehe! Verstehe! — Lieber
Reinwald — aber —
Reinwald (rasch, gereizt): Kein Aber —! Sie
sollen sehen, daß ich ganz loval zu Werke gehen
will! — Ich wollte Sie als oen Bruder, meinen
Freund, den großen Dichter —
Schiller: Halt!
Reinwald: Ach, welche Bescheidenheit! Er
ist ein wirklicher Künstler! — Ich wollte Sie
nur gehorsamst fragen, ob Sie verstatten, daß
ich — ich — ich —
Schiller: Trotz Ihrer Hypochondrie —
Reinwald: Nein, wegen derselben — ein
paar Zeilen an Ihre Schwester nach Stuttgart
richten darf — um — um —
Schiller: Ganz recht — um!
Reinwald: Vorher hatten Sie ein Aber!
Schiller: Lieber Reinwald, wie alt sind Sie
denn — ?
R e i n w a l d (rasch,: Sie meinen, Ihre Schwester
wäre doch zu jung für mich? — O, was das
betrifft, da seien Sie ganz unbesorgt! Ich würde
sogar eine noch jüngere heirathen —!
Schiller: Daß Sie heirathen wollen, ist ja
sehr vernünftig von Ihnen —! Warum haben
Sie das denn nicht schon früher gethan — ?
Reinwald (perplex. Nach einer Pause): Warum?
(herausplatzend,. Weil mich bisher noch keine gewollt
hat —! Meine Hypochondrie — !
Schiller: So! — In Meiningen kennt
man Ihre Hypochondrie und die jungen Damen
richten sich darnach! Aber meine Schwester
halten Sie für gut genug, um —
Reinwald: Natürlich - ! (Sich rasch ver-
bessernd) Ach Gott —!
Schiller (wendet sich nach hinten).
Reinwald (geht Schiller nach,: Ich meinte
ja nur so —! Herr Doktor — ! Ich meinte
—! Verstehen Sie mich doch recht —! Ich meinte
—! Ich wollte ja nur sagen — ich habe ja
nur sagen wollen —
(Posthornklänge hinter der Scene.)
Schiller: Ich verstehe —!
Reinwald (rasch, gereizt): Nein, Sie verstehen
nicht! Ich habe ja nur sagen wollen —
Sechster Auftritt:
Frau Vogt. Mägde (eilen aus dem Hause nach dem
Thore zu). Bauern und Bäuerinnen (füllen die Dorf-
straße). Wärmstem. Sensteig. Vorige. Dann Schul-
kinder, von Vogt (hereingeführt,.
(Böllerschüsse.)
Vogt: Sie kommen! Sie kommen!
Schiller: Sie müssen mich entschuldigen,
lieber Reinwald — ich muß dem Wagen, wenn
auch nur einige Schritte, entgegen gehen —!
Reinwald (rasch): Ich auch! Ich gehe mit!
— Wir können ja unterwegs weiter reden!
Schiller: Im Augenblick bin ich wirklich
nicht in der Stimmung - ! Und offen gestanden,
meine eigenen — Herzensangelegenheiten be-
schäftigen mich jetzt mehr, als diejenigen — selbst
meiner Schwester —! Lotte! Lotte! — Sie ist
es — ! (stürzt durch das Thor ab.)
(Die Bühne füllt sich immer mehr.)
Reinwald: Merkwürdig! So geht es mir
doch stets! Allen Menschen bin ich für gewöhnlich
eine angenehme Persönlichkeit! Man macht mir
Komplimente über meine Gelehrsamkeit! Man
lobt meine Verse! Man rühmt die Korrektheit
meines Styls! Man ist entzückt von der Gabe
226
meiner Unterhaltung —! Aber sowie ich an-
fange vom Heirathen zu reden, will niemand
mehr etwas von mir wissen —! Dann kann
mich Niemand mehr leiden —! Es ist um sich
die Haare — (es Mt ihm ein, daß er eine Glatze hat)
ja so —! Herr Gott! Und nun schießen -sie
schon! Man sollte ja meinen, die Franzosen
seien wieder im Lande —! O, meine Hypochondrie
— meine Hypochondrie —!
(Glockengeläute und Hochrufe hinter der Scene.)
Siebenter Auftritt:
Frau von Wolzogen, Henriette (in Reisekleidern, treten
auf durch die Mitte). Man umringt sie. Hochrufe. Die
Schulkinder singen: „Blühe lieöes Veilchen!" Vorige.
Frau v. Wolzogen: Ich danke Euch, Ihr
lieben Leute! Ihr erdrückt mich ja mit Euerer
Freundlichkeit!
Schiller (küßt, sich tief verneigend, Frau von Wol-
zogen die Hand): O, meine Theuerste! Alle meine
Wünsche und Träume haben Sie begleitet, seit
Sie mir in Mannheim die Hand zum Abschied
reichten! Der Himmel schenkte uns dies fröhliche
Wiedersehen —! Wie glücklich bin ich, o, wie
glücklich! Unsere Freundschaft, die Zusammen-
schmelzung aller Gefühle soll uns diese Welt jetzt
zum Eden gestalten —!
Frauv.Wolzogen: Immer der Schwärmer!
Schiller: Immer, wenn ich Sie sehe,
Mutter meiner Lotte! — wenn ich der Liebe ge-
denke, die uns alle umfängt, die mir wie der
rosige Morgen jenseits der waldigen Hügel er-
scheint —! (faßt Henriettens Hand) Und auch Sie,
meine Beste! Herrlicher und schöner als je
stehen Sie vor mir! Strahlend öffnet sich uns
der Blick in die Zukunft! Die bange Kerkernacht
ist dahin und in Ihrer Nähe winkt mir jetzt die
goldene Freiheit! Lotte! Lotte!
Henriette (hebt den Schleier in die Höhe, der ihr
Gesicht bedeckt hat): Ich bin ja Lotte nicht —!
Frau v. Wolzogen: Meine Pflegetochter
Henriette ist es, die Sie noch nicht kennen —!
Schiller (taumelt zurück): Wie — ? Aber wo
ist denn Lotte — ? Sie schrieben mir doch —
Frauv.Wolzogen: Lotte ist nicht hier —
Schiller (höchst enttiiuscht): Nicht hier — ?
Aher wo ist sie denn —? Freundin!!
Henriette (begrüßt Bogt und dessen Frau).
Frauv.Wolzogen (leise): Beherrschen Sie
sich, lieber Ritter—!
Schiller (beiseite, unglücklich): Ritter —!
Ritter -!
Frau v. Wolzogen (zu Reinwald): Siehe
da, der Herr Bibliothekar —
Reinwald: Frau Geheimrath, auch ich
könnte es mir nicht versagen, trotz meiner Hypo-
chondrie, an dem schönen Feste Ihrer Bewill-
kommnung Theil zu nehmen! Heil und Segen
zu Ihrer Ankunft in Bauerbüch!
Frau v. Wolzogen: Ich danke Ihnen!
— Judith — Elise —! Und Bogt führt mir
seine Kleinen vor! — Herr Bürgermeister —!
Das ganze Dorf hat sich ja aufgemacht, mich zu
begrüßen! Ich danke Euch, ihr guten Leute, ich
danke Euch! Euerer Hingebung und Treue bin
ich stets gewiß!
Wärm st ein (vortretend, zieht den Hut ab): Ja-
wohl, gnädige Frau! Der Hingebung und Treue
der Bauerbächer dürfen Ew. Hochwohlgeboren
stets gewiß sein! Das ist in der ganzen Welt
ja übrigens bekannt! — Gnädige Frau! Wir
haben zwar während Ew. Hochwohlgeboren Ab-
wesenheit, die ja ein ganzes, glockenvoll ge-
schlagenes Jahr dauerte —
Senfteig (Fistelstimme): Ach ne, Gevatter, es
fehlen noch einige Tage daran — ich hab's
heute Morgen ausgerechnet —
Wärmstein: Barbierseele — ! Wir haben
zwar während Ew. Hochwohlgebvren Abwesenheit,
die ja ein ganzes, glockenvoll geschlagenes Jahr
dauerte, mancherlei Streitigkeiten und Scherereien
mit der Gutsverwaltung gehabt —
Senfteig (halblaut): Scherereien — ? Er — ?
Die Gutsverwaltung hat sich immer nur von
mir scheeren lassen.
W ä r m st e i n: Das Rindvieh des Dorfes —
mit Respect zu vermelden! — ist mit dem Rind-
vieh Ew. Hochwohlgeboren —
Bogt: Ei zum Teufel, Herr Bürgermeister,
so reden Sie doch nicht von unseren privaten
Streitigkeiten —! Frau Geheimrath weiß ja
auch bereits alles —!
Wärmstein: Sie weiß bereits Alles? (Sehr
befriedigt.) Ah, dann brauch' ich weiter nicht zu
reden —! Der Zank thut unserer Liebe und
Freundschaft weiter keinen Abbruch! Im Gegen-
theil !
Frau v. Wolzogen (lächelt-: Ja, ja! Gott-
lob, daß wir hier angelangt sind, daß der
Odem des Thüringer Waldes uns wieder um-
rauscht ! Nochmals, ich danke Euch, meine Freunde!
Ich danke Euch —! (Geht mit Henriette ab ins Haus.)
Schiller (will folgen, für sich): Aber Lotte — ?
Wo ist Lotte — ?
Reinwald (zerrt Schiller, der schon auf der Treppe,
am Rockzipfel grob zurück.)
Schiller: Was giebt's?
Reinwald (rasch): Herr Doktor, ich wollte
Ihnen nur sagen — aber nochmals, werden Sie
nur nicht gleich böse —! Ich wollte Ihnen nur
sagen, daß ich Ihrer Schwester bereits geschrieben
habe —!
227
Schiller (schlägt die Hände Wer dem Kopf zu-
sammen): Sie haben ihr schon geschrieben? Guter
Himmel! Nun, so werden Sie ja eine Antwort
erhalten — ! (Ab ms Haus.)
Wärmstein (ruft): Unsere gnädige Herr-
schaft -
Sensteig (Wärmstein überholend, rasch): Unsere
lNädige Herrschaft, sie lebe hoch — hoch —
»och -!
(Alle stimmen ein.)
(Borhang fällt.)
' ■—....
Die Spinnerinnen.
„Rolle Rädchen! Rolle Rädchen!
Spinne, süßes kleines Käthchen!
Laß von seinen Liebesschwüren
Ja dich nicht zu früh verführen!
Traue deiner Mutter Worten,
Liebe giebt's von allen Sorten!
Meistens flattert sie und flittert.
Wie ein trüg'risch Sumpflicht zittert.
Und — dem Spukgesichte trauen,
Heißt-------"
„------Ach Muter, machst mich grauen!
Was hat meine süße Liebe
Zu dem holden Herzensdiebe
Wohl gemein mit Flackerlichten
Und mit trüg'rischen Gesichten?!
Ach, in seine braunen Sterne
Seh' ich, Mutter, gar zu gerne!
Nimmer kann ihr Glanz mir lügen,
Nimmer mich mein Herz betrügen!
Warte nur, bald wird er kommen!
Hab' von Großmama vernommen:
Wenn er naht, so bricht das Fädchenl
Rolle Rädchen! Rolle Rädchen!"
Und das Rädchen rollt und schnurret
Und das Mädchen spinnt und murret,
Immerzu hat sie gesponnen,
Seiner Treue nachgesonnen —
Fädchen will und will nicht reißen,
Ungestört die Spulen kreisen, —
— Endlich brach in wildem Schmerz,
— Nicht der Faden -- doch das Herz!
K«go Arederkkng.
GrKrrmtrrrß.
Als ich zum ersten Mal Dich sah.
Da ward mir offenbar.
Daß meines Herzens stilles Leid
Der Liebe Sehnsucht war;
Doch als Du schiedest, stumm und kühl,
Dü wußt ich, daß nunmehr
Mein Herz nach einem kurzen Wahn
Noch ärmer als vorher! —
Aataly v. Kschfirnth.
Aus alter und neuer Zeit.
Ein seltsames Leichenbegängniß fand am
17. Juli 1822 in Marburg statt. Zwei Tage
zuvor war der Oberforstmeister der Provinz Ober-
hessen, Dr. Ludwig Karl Eberhard Heinrich Friedrich
von Wildungen, dessen Wiege Diana und die
Musen beschirmt hatten, gestorben. Schon in den
Jahren 1805 und 1806 hatte dieser Forst- und
Weidmann von echtem Schrot und Korn Anordnungen
wegen seiner Beerdigung getroffen, die er itr
dem von ihm herausgegebenen „Taschenbuch für Forst-
und Jagdfreunde" veröffentlichte.
„Und", so schrieb er, „wenn ich einst entschlummert
sein werde (jetzt aber bin ich noch gar nicht müde),
sollen meine Hinterlassenen mein Begräbniß, wie
folgt, pünktlich veranstalten. Sonst wird mein er-
zürnter Schatten, wenn er kann, gewiß jede-Nacht sie
beunruhigen.
Auf meinem Lieblingsplatze im Walde, mit Lerchen,
Weymouthskiefern, Edeltannen und Lebensbäumen
von mir selbst bepflanzt (meine Vertrauten kennen
es wohl) wünsche ich im Tode auch zu ruhen. Der
in diesem Punkte nützliche Aberglaube wird jene liebste
meiner Pflanzungen hoffentlich noch lange vor nächt-
lichen Freveln wenigstens schützen. Gewiß wird mein
Geist, wenn er Urlaub bekommen kann, so sichtbar
als möglich darin umgehen.
Rüstige Unterförster sollen mir dort mein Grab
höhlen, doch der Gebühr des Todlengräbers unbe-
schadet, und ein rauher Basalt soll darüber aufge-
richtet werden, ruhend auf einem kunstlosen Postament
von bemoosten kleinen Waldsteinen. Außer meinem
Namen, dem Geburts- und dem Sterbetage soll keine
andere Inschrift daran zu lesen sein, als die:
Hier ruhet ein Beschützer der Wälder,
Der im Leben selten geruhet hat.
Meinen Sarg zimmere man so schlicht als mög-
lich aus einem zu nichts Besseren tauglichen Eichen-
windfalle. Die natürliche Farbe des Holzes werde
mit keinem Anstriche übertüncht. Da hinein strecke
man mich in einem abgenutztesten Waldkittel und
setze eine Nachtmütze mir auf, wie ich stets, wenn
ich „in’S Quartier" kam, zu thun gewohnt war. Kein
Leichentuch bedecke den Sarg. Oben darauf werde
bis zum Grabe zwischen Brüchen von Eichen oder
Tannen (je nachdem es Sommer oder Winter ist)
mein Lieblings-Hirschfänger befestigt.
228
Das grüne Gestell meines Jagdwagens, mit meinen
treuen Rosien bespannt, soll auch zu dieser meiner
letzten Forstreise mir noch dienen. Zwölf redliche
Förster sollen nachfolgen, zwei Jäger mit meinen
Leibgewehren den Zug beschließen. Will irgend ein
anderer echter Freund auch mitwandern, so bitte ich
ihn (wenn es sein Stand erlaubt) in Grün sich
zu kleiden. Beim Einsenken sollen die braven Weid-
männer mit einem dreimaligen Donner ihrer Pirsch-
büchsen mich einsegnen.
Nach der Zurückkunft soll man sie — außer
meinem Hause — mit einem frugalen Jägermahle
und einem guten Ehrentrunke bewirthen, und der
Aetteste unter ihnen zum Schluß den hoffentlich herz-
lichen Toast noch ausbringen:
„Sanft schlummere der Freund der Natur
Im Schatten der-von ihm» selbst gepflanzten Bäume!" —
Und genau so, wie Wildttngen es. angeordnet hatte,
vollzog sich denn auch seine Beerdigung. Ein
zahlreicher Zug von Männern aus allen Ständen
schloß sich an die dem Sarge unmittelbar folgenden
Forstbeamten an. Einer der Begleiter sprach am Grabe
warme Abschiedsworte im Sinne des Hingeschiedenen.
Die Grabesstätte aber ist der etwa 8/4 Stunde von
Marburg an dem Kappeler Wege nach dem Frauen-
berge gelegene, von Wildungen selbst gepflanzte Forst-
garten. Der Marburger Lokalpoet Dietrich Wein-
traut besingt in seinen «Erinnerungen an Marburg8
Wildungen's Grab und gedenkt noch in einem
besonderen Gedichte der fröhlichen Feste, die
Wildungen im Mai 1811 mit seinen Freunden
im Forstgarten bei Gesang und Becherklang feierte.
Und in späterer Zeit fand dies Nachahmung bei
den Herren Studenten. Sie unternahmen häufig fidele
Fäßchenpartien nach dem Forstgarten und zuweilen
fochten sie hier auch ihre Duelle aus. Hatte schon der
Sturm vom 18. März 1858 arge Verwüstungen
im Forstgarten angerichtet, so war dies in noch
größerem Maße bei dem Orkane vom 12. März
1876 der Fall. Fast sämmtliche von Wildungen
gepflanzte Bäume wurden umgerisien, aber das
Felsengrabmal blieb verschont, während der Sturm
doch den kaum errichteten Aussichtsthurm auf Spiegels-
lust in Trümmer warf und das Denkmal auf
Augustenruhe umstürzte.
Ludwig Karl Eberhard Heinrich Fried-
rich von Wildungen, der Letzte seines Stammes,
war geboren zu Kassel am 24. April 1754. Sein
Vater war Heffen-Kaffel'scher Geheimer Rath. Das
Geschlecht Derer von Wildungen wird bis zum
13. Jahrhundert zurückgeführt und stammt wahr-
scheinlich aus der fürstlich Waldeckischen Stadt
gleichen Namens; in früherer Zeit vor den Herren
Freiherrn von Dörnberg soll es mit dem hessischen
Erbtruchseß- oder Erbküchenmeisteramte belehnt ge-
wesen sein.
Seine Gymnasialstudien machte Wildungen
auf dem damals berühmten Aegidiengymnasium zu
Nürnberg und auf dem Pädagogium zu Halle. Hier
schloß er ein dauerndes Freundschaftsbündniß mit
Friedrich Ludwig von Witzleben, dem nach-
maligen hessischen Oberjägermeister und Staarsminister.
Auf den Hochschulen Halle und Marburg widmete
sich Wild ungen nach dem Wunsche seines Vaters
dem Studium der Rechtswissenschaft — ganz gegen
seine eigene Neigung, die ihn nicht zu dem «grämlichen
Dienste der Themis8, sondern zu dem frischen fröhlichen
Dienste der Artemis hinzog. NaH vollendeten
Universitätsstudien wurde er zunächst am 2. April
1776 als Affessor der Regierung zu Marburg an-
gestellt. Der Plan, sich jetzt noch der von ihm so
sehr geliebten Forstwissenschaft zu widmen, scheiterte
an dem Widerspruch seines Vaters. In Nassau-
Usingensche Dienste übergetreten, wurde er am 10. Mai
1780 zum Regierungsrathe befördert, und hier bot
sich ihm auch Gelegenheit, sich mit seinem Lieblingsfache,
dem Forstwesen, beschäftigen zu können. Im Jahre
1781 wurde er nach Hessen zurückberufen und zum
Regierungsrathe in Marburg *) ernannt. Achtzehn
Jahre blieb er in dieser Stellung, da schlug ihm
die heiß ersehnte Erlösungsstunde. Am 22. Novem-
ber 1799 erhielt er das Reskript als Oberforstmeister
in Marburg. «Lieblicher8, schreibt er in seiner
Selbstbiographie, «lächelte nie des Rosenmonats
schönster Morgen mich an, als jener düsterste aller
Novembertage mich anlächelte, der diese frohe — nun
fast nicht mehr erhoffte —• Botschaft mir verkündigte.
Selbst im höchsten Schwünge der Ode vermochte ich
die Freude nicht zu schildern, in der ich mein
«Triumphlied8 aus der Fülle des dankbarsten
Herzens anstimmte.8 Dieses «Triumphlied8
aber, das damals berechtigtes Aufsehen machte, wollen
wir unsern Lesern nicht vorenthalten. Hier ist es:
Nun fahr' er wohl, Herr Mevius,
Herr Brunnemann und Leyser;
Im Walde macht Naturgenuß
Mich glücklicher und weiser.
Wohl mir! entfloh'n bin ich dir nun,
Gerichtliches Getöse;
Wie gerne lass' ich jetzt euch ruhn,
Ihr feisten Aktenstöße!
Nun mögen andre früh und spät
Vor Themis Pfluge schwitzen;
Ein schöner Wald, von mir gesät.
Wird baß der Nachwelt nützen.
Zwar werd' ich einst, beim Rabenschrei
Und bei der Füchse Ränken,
*) Wildungen war Mitglied der juristischen Abtheilung
der Regierung. Damals waren die Verwaltung und die
Justiz' noch mcht getrennt. Dieser wesentliche Fortschritt
erfolgte in Kurhessen erst, oder vielmehr im Hinblick auf
andere deutsche Staaten schon unter der Regierung deS
Kurfürsten Wilhelm II. durch das Organisationsedikt vom
29. Juni 1821.
229
Noch oft an Rabulisterei
Und Advokaten denken.
Doch werd' ich, so Diana will,
Ihr Beißen nicht mehr hören. —
Mich wird im Forste, kühl und still,
Chikane nicht mehr stören.
In Wäldern soll nun thatenreich
Mein Leben sanft zerfließen,
Und dort, dem edlen Hirsche gleich,
Will ich es auch beschließen. —
Zu näherem Verständniß der nicht juristischen
Leser bemerken wir hier, daß Mevius, Brunne-
m an n und Le y s er berühmte Rechtslehrer waren;
Mevius in Greifswalde und Wismar (f 1670),
Brunnemann zu Frankfurt an der Oder (f1672)
und Leyser in Wittenbeeg (f 1752). —
Ein Freund Wildungen's, der Regierungsrath
Bunsen in Arolsen, erließ auf dieses «Triumph-
tieb“ nun folgendes launige Gegengedicht:
Webrus »n seine Kollegen über die Abtrünnigkeit des
Herrn bon Wildungen.
Laßt nur den Apostaten ziehn!
Verloren ist verloren!
Frau Themis war doch nicht für ihn.
Er nicht für sie geboren!
Gezwungen gab er ihr die Hand,
Das Herz hatt' er zum Unterpfand
Dianen längst gegeben.
Wahr ist's, mein Schalten freute sich
So oft er referirte
Und bei Entscheidungsgründen mich
Gar zierlich allegirte:
Auch gäb' ich heimlich viel darum,
Daß seines Abfalls Scandalum
Nicht so notorisch wäre.
Man trägt uns leider! ohnehin
Nicht überall im Herzen,
Wie wird die Welt ob dem Entfliehn
Des Veteranen scherzen!
Sie schließt, ich weiß nicht was, daraus
Und schüttet unbarmherzig aus
Das Kindlein mit dem Bade.
Daß er so fröhlich von uns schied.
Das nur möcht' ich bestrafen; —
Sein Abschied war das Jubellied
Des frei gewordnen Sklaven.
Man möchte weinen vor Verdruß,
Sein: «Fahr' er wohl, Herr Mevius-
Ertönt auf allen Gaffen!
Doch nur Geduld! es bleibt nicht so,
Das Räuschchen wird verfliegen;
Jetzt muß er ex officio
In Liebchens Armen liegen. —
Nicht selten, wie das Sprichwort sagt,
Pflegt, die dem Bräutigam behagt,
Dem Mann nicht zu gefallen.
Eins spricht für ihn und drum verzeiht
Dem raschen Exkollegen!
Er that's aus Vaterzärtlichkeit
Der sieben Kindlein*) wegen.
Sie waren weiland sxurii
Und sind doch nun legitimi
Per subsequens **) geworden.
Diesen Gedichten reihen sich noch einige andere
an, welche den gleichen Gegenstand behandelnd
zwischen Bunsen und Wildungen gewechselt
wurden; so u. a. Mevius an das Publikum:
«Sabeinus!- und die Antwort Wildungen's:
«Herr I0tus, ich verbitte mir die naseweisen
Glossen*, die hier mitzutheilen zu weit führen würde.
Wie Wildungen die Jägerei auffaßte, und
daß er nicht aus Jagdleidenschaft allein, wie er sich
selbst in seiner Autobiographie ausdrückte, Diana so
innig verehrte, das geht aus seinem Gedichte «Natur-
hervor, dem er den Matthison'schen Vers
«So lang' ich bin, soll nichts von dir mich scheiden,
Natur! Natur!“
als Motto vorsetzte. Dort heißt es:
Um Tigern gleich zu morden,
In Wäldern weit und breit
Hab' ich Dianens Orden
Mich wahrlich nicht geweiht;
Nein — einem edleren Triebe
Dank' ich mein grün Gewand;
Nur dir, Natur, zu Liebe
Wählt' ich den Jägerstand.
Dir hat mein Herz geschworen!
Als Weidmann hast du mich
Zum Liebling auserkoren
Des preis' ich, Holde, dich!
Du machst Gebirg und Felder
Und selbst die Finsterniß
Der wild bewachsnen Wälder
Für mich zum Paradies!
Entzückt will ich dich preisen
Natur, so lang ich bin!
Nichts soll mich dir entreißen.
Du Allbeleberin !
Wohl dem, der dir ergeben,
Des Daseins froh genießt.
Und endlich sanft sein Leben
Im trauten Forst beschließt.
*) Die sieben „Jagdkalender" sind damit gemeint,
welche Wildungen schon als Regierungsrath heraus-
gegeben hat.
**) Bekanntlich besteht die Rechtsnorm, daß uneheliche
Kinder durch nachfolgende Verheirathung des Vaters mit
der Mutter legitim werden.
230
Ein ebenso großer Feind der s. g. Aasjäger, wie
der Sonntagsjäger, geht er denselben in seinem Ge-
dichten, ganz besonders aber in seinem „Goldenen
Forste ABC, oder Valerlehren eines alten biederen
Forstmannes an seine Zöglinge* scharf zu Leibe. —
Eine innige Freundschaft verband ihn mit dem
im Jahre 1811 von Leipzig nach Marburg berufenen
geistreichen und gelehrten Professor der Jurisprudenz
Dr. E d u a r d P l a t n e r (gestorben am 5. Juni 1860).
Dieser mußte ihm versprechen, täglich sein Grab
im Forstgarten zu besuchen, was denn auch der
Geheime Hofrath, der „alte Gaius*, wie wir als
Studenten ihn nannten, bis an sein Lebensende,
wenn ihn nicht Krankheit daran hinderte, getreulich,
sei es zu Fuß sei es zu Pferd, gehalten hat.
Es erübrigt noch, daß wir der Schriften Wildungen's
gedenken. Wir nennen hier nur: Lieder für Forst-
männer und Jäger (Leipzig 1788 und öfter in neuen
Auflagen erschienen), bekannt unter dem Namen
„Grünes Gesangbuchs; das „Neujahrsgeschenk für
Forst- und Jagdliebhaber* (6 Bücher, Marburg
1794-^1799), fortgesetzt als Taschenbuch für Forft-
und Jagdfreunde (8 Bändchen, Marburg 1800—1812)
und als Weidmanns Feierabend (6 Bändchen, Mar-
burg 1815—1822). Ein Freund und Verehrer
Wildungen's gab dessen „Forst- und Jagdgedichte*
(aus dem Nachlasse gesammelt) 1829 (Hersfeld,
Industrie-Comptoir) heraus und im Jahre 1877
erschienen hier in Kassel bei Th. Fischer: Wildungen's
Gesammelte Schriften, herausgegeben von P. von
Sametzki.
Wildungen's Gedichte zeichnen sich durch Frische
der Empfindung, schlagfertigen Witz und große Form-
gewandtheit aus.
Zum Schlüsse können wir dem Weidmann von
altem Schrot und Korn einen Vorwurf nicht er-
sparen. Es betrifft sein Verhallen während der fran-
zösischen Fremdherrschaft. Als westfälischer Oonsei--
yateur des eaux et des forets hat er denn doch
eine Unterwürfigkeit dem Könige Jeröme gegenüber
sich zu Schulden kommen lassen, die in starkem Wider-
sprüche mit seinem sonstigen mannhaften Auftreten
und der festen Betonung seines Deutschthums steht.*)
Doch wer will hier den ersten Stein gegen ihn er-
heben? Gab es, leider sei es gesagt, damals doch,
und giebt es heute noch so viele, die, wenn die Sonne
der Gunst von oben lächelt, nur zu leicht Verräther an
sich selbst und ihrer Gesinnung werden, tzuos ego! —
A» 3*
Ein Attentat auf König Jeröme. Die
Tradition hat uns die Kunde von einem Attentat
*) Wir verweisen diesbezüglich auf den Artikel „Ge-
schichten aus dem Heffenland" in Nr. i l dieser Zeitschrift,
sowie auf den Artikel „Gut reiten können" in der 1886 hei
N. G. Elwert in Marburg erschienenen, von W. Kolbe
herausgegebenen 3. Auflage des „Hessischen Historien-
büchleins" (Anhang 76, S. 179—183).
auf den König Jeröme von Westfalen überliefert,
das, wie es scheint, in den damaligen Zeitungen
todtgeschwiegen und überhaupt wenig bekannt geworden
ist. In Doernberg lebte ein Forstlaufer, namens
Dötting, der aus übereifrigem Patriotismus, wie man
wohl annehmen darf, den Entschluß gefaßt hatte, den
König Jeröme auf irgend eine Weise aus dem Leben
zu befördern. Er hatte ausgekundschaftet, daß Jeröme
an einem bestimmten Tage des Jahres 1809 von
Schloß Weißenstein aus, der jetzigen Wilhelmshöhe,
damals Napoleonshöhe genannt, eine Reise durch
einen Theil des Landes unternehmen wolle und dabei
auch das Dorf Doernberg passiren würde. Dötting
hielt dies für die beste Gelegenheit, sein Vorhaben
auszuführen. Durch das langgestreckte Dorf führt
die Straße nach Wolfhagen. Etwa in der Mitte
des Dorfes führt eine Brücke über das Flüßchen
Warme, zur rechten Seite hinter dieser Brücke steht
das Pfarrhaus, von dessen vorderen Ecke man die
Einmündung der Kasseler Straße in das Dorf über-
sehen kann. Diese Position hielt Dötting für den
geeignetsten Punkt seines Operirens. Von hier aus
konnte er den König Jeröme, der von dem General
Allix begleitet war, einfahren sehen, und dann von
der entgegengesetzten Ecke des Pfarrhauses aus, von
wo er mit seiner Schußwaffe die Brücke bestreichen
konnte, sein Attentat am sichersten vollführen. Dötting
hatte von seinem Standpunkte aus das Einfahren
des Königs Jerome in das Dorf wohl wahrgenommen
und sich sofort hinter dem Pfarrhaus her zur andern
Ecke desselben begeben. Ein Zufall wollte es, daß
das Attentat mißglückte. Der König hatte während
der Zeit, in welcher Dötting seinen Standpunkt
geändert hatte, aus irgend einem Grunde, ohne daß
dies Dorting gewahren konnte, seinen bisher im
Wagen eingenommenen Platz mit demjenigen des
Generals Allix gewechselt. Als nun der König die
Brücke passirte, war der Attentäter durch die jetzt
erst wahrgenommene Veränderung so verblüfft, daß
seine Waffe das Ziel verfehlte. König Jeröme be-
fahl die sofortige Rückkehr nach Kassel. Das Dorf
wurde mit westfälischem Militär besetzt, dessen Be-
fehlshaber den Auftrag hatte, die ganze Ortschaft zu
demoliren. Dieser Befehl wurde jedoch durch Für-
sprache dahin geändert, daß nur das Haus des Dötting
der Erde gleich gemacht wurde. E. M.
— Zwei hessische Veteranen, der Geh. Hofrath
Strieder und der Major Henel, die in den
zwanziger Jahren in Kassel verstorben sind, hatten
als junge Offiziere der Schlacht von Wilhelmsthal
— 24. Juni 1762 — beigewohnt und pflegten noch
in ihrem hohen Alter am Johannistag zusammen-
zukommen, um sich an den Erinnerungen ihrer Jugend
zu ergötzen. Unter den da rekapitulirten Erlebnissen
erfteuten sie sich namentlich öaran, wie sie in brennen-
der Sonnenhitze, vor Durst lechzend, durch die Saat-
231
selber marschirt waren und, im Korn versteckt, eine
Flasche französischen Wein gefunden hatten, der der
köstlichste Trunk ihrer Erinnerung war. — Henel
war gegen Abend, als Adjutant im Gefolge des
Herzogs von Braunschweig, in den Schloßhof von
Wilhelmsthal, wo das Hauptquartier genommen
wurde, eingeritten und erzählte, wie rundum noch
Alles voll blessirter und gefangener Franzosen gelegen
habe, die den Herzog mit lauten Akklamationen
empfangen hätten. Gesenkten Blickes, die Hand an
den Hut legend, sei dieser zwischen ihnen durchgeritten
und in einem Zimmer des unteren Geschosses abge-
stiegen. Hier wären die Franzosen an den Fenstern
in die Höhe geklettert, um den Sieger zu betrachten.
Kecke Burschen hätten auch hineingerufen: Braver
General, wären wir so angeführt worden, wir hätten
gesiegt. Wir sind schlecht angeführt worden; unsere
unwissenden Generäle haben uns verrathen. Schw.
Aus Aeimath und Fremde.
Kassel. Am 20. August, dem Geburtstage des
letziverstorbenen Kurfürsten von Hessen, Friedrich
Wilhelm, war ebenso wie in den Vorjahren, das
Grabmal desselben auf dem alten Friedhofe mit Lorbeer-
kränzen und Bändern in den hessischen Farben, sowie
mit Blumen reich geschmückt. Auch war die Grab-
stätte vom Morgen bis zum Abend von Personen
aus allen Ständen der Residenzstadt Kassel zahlreich
besucht. Kränze hatten u. a. auf das Grabmal
niederlegen lasten: sämmtliche Prinzen und Prinzessinnen
von Hanau, die Herzogin Marie von Sachsen-Mei-
ningen, die Prinzessin Moritz von Sachsen-Alienburg,
sowie mehrere dem früheren kurfürstlichen Hofe nahe
stehende Persönlichkeiten.
Kassel. Am 13. und 14. August hatten
Hessens Sänger sich in ihrer alten Hauptstadt
zur Abhaltung eines 1. hessischen Sänger-
festes in außerordentlich großer Anzahl eingefunden.
Am Abend des 13. fand im Klosterbräu-Park ein
solenner Kommers statt, bei welchem der Vorsitzende
des Fulda-Werra-Sängerbundes, Herr Lehrer Arm-
b r ö st e r, eine herzliche Bewillkommungsansprache
hielt. In der am anderen Morgen stattgehabten
Delegirtenversammlung wurde die Begründung
eines allgemeinen hessischen Sänger-
bundes beschlossen. Herr Oberbürgermeister Weise,
welcher in der Versammlung anwesend war, brachte
den auswärtigen Vereinen ein Hoch, welches Herr
Armbröfter mit einem Hoch auf die Stadt Kastei
und den Herrn Oberbürgermeister erwiderte. Den
Glanzpunkt des Festes bildete das am Nachmittag
des 14. im Stadtpark veranstaltete Konzert. Außer
den hiesigen Vereinen betheiligten sich an demselben
aktiv der Marburger „Liederverein" die Wolfhagener
„Liedertafel", der Marburger „Liederkranz", der Mel-
sunger „Männergesang-Verein". Unter den von Herrn
Ellenberg vortrefflich geleiteten Mastenchören
ist das von unserem hessischen Landsmann, dem
kurfürstlichen Hofrathe, jetzigem fürstlich Nsmburgischen
Kammerdirektor Karl Pr es er, dem rühmlichst be-
kannten hessischen Poeten gedichtete herrliche Lied
„Des deutschen Mannes Wort und Lied",
in der wirkungsvollen Komposition unseres Lands-
mannes August Münch besonders hervor zu
heben. Stürmischer Applaus folgte diesem Vortrag.
Der Komponist hat hier abermals einen Beweis seines
hervorragenden musikalischen Talentes geliefert. —
Herr Armbröster feierte am Schluß des Konzertes
in beredten Worten die so glücklich gelungene Grün-
dung eines hessischen Sängerbundes. — Schließlich haben
wir — für künftige Fälle — noch eine kleine Aus-
stellung zu machen. Wir finden es nämlich für
wenig rücksichtsvoll gegen unsere deutschen
Dichter, daß man die Titel von Liedern in das
Programm aufnimmt und wohl die Komponisten der
Lieder nennt, nicht aber die Dichter, und dann gehört
es sich, daß man auf der Rückseite des Programms
den Wortlaut des Liedes abdruckt. Wo soll denn
die Aufmerksamkeit des Publikums herkommen, wenn
es nur Melodien hört und nicht weiß, was die
Herren Sänger singen? Natürlich plaudert dann
die ganze Welt und weder von der Wort- noch Ton-
dichtung erhält man ein Verständniß. Wir wünschen
sehr, daß diese beiden Ausstellungen in künftigen
Fällen, im eigenen Interesse der Gesang-Vereine, be-
rücksichtigt werden. M.
— Auf der feit Kurzem eröffneten Akademischen
Kunstausstellung zu Berlin sind auch wieder
hiesige, resp. hier lebende und hessische Künstler über-
haupt mit Bildwerken vertreten. Der Direktor der
hiesigen Kunstakademie, Profeffor Kolitz, stellte zwei
Schlachtgemälde aus, welche schon hier berechtigte
große Anerkennung fanden. Dieselben betiteln sich:
„Auf der Straße nach Orleans" und „Vor Paris".
Johannes Kleinschmidt erregt mit dem hier be-
reits bekannten „Portrait seiner Mutter" (Kniestück),
sowie einem Mönch, der die Photographie einer
Grätzner'schen Mönchsscene mit Behagen betrachtet,
Berliner Kunstberichten zufolge, besonderes Aufsehen.
Bon hier sind weiter noch zu nennen: S. Gerechter
mit einer Knaben-Gruppe (Portrait) und Adolf
Müller mit einem Genrebild „Auf dem Friedhof".
Von Hanau sind zwei Künstler an der Ausstellung
betheiligt, nämlich: Paul Andorff („Der neue
Markt und die Bischofsstraße" und „An der Unter-
spree bei Moabit") und Cornicelius („König
Enzio.und Lucia Viadogli im Gefängniß", „Bei bet
Karteuschlägerei" und „Siegfried"). Gratz-Marburg
stellte aus: „Mädchen in Oberhessen". Endlich sind
noch drei auswärts lebende Hessen vertreten, nämlich
232
die von hier stammenden trefflichen Landschaftsmaler
Grebe und Lins, welche beide in Düsseldorf leben,
und der Portraitmaler Zickendraht aus Hersfeld,
welch letzterer sich seit Langem schon in Berlin nieder-
gelassen hat. M.
— Am Sonntag den 31. Juli starb zu Ras-
dorf im Kreise Hünfeld der Pfarrer Dr. theol.
Reinhold Ebert, einer der würdigsten Priester
der Diöcese Fulda. Geboren war derselbe am 5. Okto-
ber 1824 in dem großherzoglich sachsen-weimarischen
Städtchen Dermbach. Nachdem er das Gymnasium
zu Fulda besucht hatte, machte er seine theologischen
Studien am Collegium Germanicum in Rom. Nach
Deutschland zurückgekehrt, war er zunächst Lehrer am
bischöflichen Knabenseminar zu Fulda, dann war er
an mehreren Stellen in der praktischen Seelsorge
thätig, worauf er, nach dem Tode des vorhinnigen Gym-
nasiallehrers, Pfarrers Johannes Donner im Jahre
1868 zum Pfarrer in Rasdorf ernannt wurde.
Wegen seiner trefflichen Eigenschaften als Priester
wie als Mensch erfreute er sich bei seinen Parochianen
wie bei seinen geistlichen Amtsbrüdern hohen An-
sehens und allgemeiner Beliebtheit, wie denn auch zu
seiner Beerdigung eine außerordentliche große Anzahl
von Leidtragenden von nah und ferr» erschienen war,
um ihm die letzte Ehre zu erweisen. R.i.p.
— Noch kurz vor ihrer Eröffnung nach den Ferien
hat unsere Hofbühne ein schmerzlicher Verlust be-
troffen, indem die königliche Schauspielerin Fräulein
Louise Hesse am 16. d. M. plötzlich vom Tode
dahingerafft wurde. Sie ist im wahrsten Sinne des
Wortes „dahingestorben im Gesangs. In einer be-
freundeten Familie in Heidelberg, bei der sie alljähr-
lich ihre Ferien zuzubringen pflegte, sang sie gelegent-
lich einer Gesellschaft ein Brahms'sches Lied. Mitten
im Gesang mußte sie sich unterbrechen, heftiges Un-
wohlsein ergriff sie — ein Schlaganfall machte ihrem
Leben ein Ende. Es ist ein eigenes Zusammen-
treffen, daß sie in jener Vorstellung, in welcher ihr
verehrter greiser Vater von der Bühne Abschied nahm,
zum letzten Male vor das Publikum hingetreten ist.
Wer hätte das damals geahnt? Für das Kasseler
Theater ist ihr Heimgang sehr empfindlich, denn es
hat in ihr eine künstlerische Kraft von seltener Viel-
seitigkeit verloren. Sowohl im Salonstück, wie in
der Posse war sie zu Hause und füllte stets ihren
Platz zur Zufriedenheit des Publikums und der Kritik
aus. Sie verband mit glücklichem Humor ein fesches,
aber stets decentes Spiel und leistete in derbkomischen
Rollen Vortreffliches. Herb und bitter ist der Tod
der Tochter für den alten Vater, dem sie nun eine
Stütze sein sollte. Alle, die sie von der Bühne oder
ihre liebenswürdigen Eigenschaften im Privatleben
würdigen konnten, wissen Louise Hesse und was sie
der Kunst, wie dem Vater galt, zu schätzen. Ehre
ihrem Andenken. M. M.
— Hofbuchhändler G. Klaunig hat von hiesiger
Landesbibliothek die in derselben vorhandenen Doub-
letten , darunter werthvolle Inkunabeln und viele
unser Heffenland betreffende Schriften, sogenannte
Hassiaoa, erworben. Das an sich schon reichhaltige
Antiquariat des Herrn Klaunig erhält dadurch einen
sehr beachtenswerthen Zuwachs.
Kriefkasten.
W. R.-L. in Kassel. Wegen Mangels an Raum
mußten wir den Schluß des Berichtes über die zu Schlüchtern
abgehaltene 53. Jahresversammlung des „Vereins für
hessische Geschichte und Landeskunde" sür die nächste
Nummer unserer Zeitschrift zurückstellen.
W. C. in H. a. d Werra. Mit längeren Gedichten,
insbesondere mit poetischen Erzählungen und Schilderungen
sind wir für geraume Zeit versehen. Das soll Sie indeß
nicht abhalten, Ihre Arbeit einzuschicken.
L. M. in Nordhausen. Ihre Sendung war uns will-
kommen. Wann erfreuen Sie uns einmal mit einem
Prosabeitrag?
E. 8. in Kassel. Vorläufig die Nachricht, daß wir „Aus
dem Schlosse zu Marburg" angenommen haben, einige
Aenderungen uns aber vorbehalten. Jy Betreff der
übrigen Sendungen erhalten Sie brieflich Nachricht.
8. B. in Kassel. Sehr erfreut, Sie auch auf diesem
Gebiete als Mitarbeiter begrüßen zu dürfen.
J. Gr. in Fulda. Wir bitten um Entschuldigung, daß wir
den Empfang Ihrer letzten Beiträge jetzt erst bestätigen.
Dieselben werden zum Abdruck gelangen.
K. F. in Kassel. Ihre Einsendungen erhalten und an-
genommen. Die in Aussicht gestellten Sagen dürften zu
umfangreich sür unsern sehr beschränkten Raum sein.
E. G. in Kassel. Wir bedauern, ablehnen zu müssen.
Wenn Sie bei großen und gut gegründeten Zeitschriften
anfragen, welches Honorar dieselben für lyrische Beiträge
zahlen, werden Sie eine Sie wahrscheinlich überraschende
Antwort erhalten. Davon abgesehen lassen Ihre Verse
noch Manches zu wünschen übrig.
Nach Salmünster. Wird erledigt.
8. F. in Bromberg. Vielen Dank für die freundlichen
Zeilen.
8. K.-J. in Mexiko. Wir hoffen, auch in dieser Be-
ziehung fortzuschreiten.
0. 8., M. F., C. U. in Kassel. Die uns eingesandten
Beiträge werden aufgenommen werden.
8. R. in Kassel, J. M. in Bielefeld, J. W. in Hanau.
Unbrauchbar.
MT Bon heute an wird die Zeitschrift
„Heffenland" in der Offiein des Herrn
Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, gedruckt.
Einzelne Exemplare werden zum Preise von je
30 Pfennig abgegeben: bei dem Redakteur
F. Zw enger. Jordanstraße 15, sowie bei
dem Buchdruckereibefitzer Scheel und dem
Hof-BuchhäMer G. Klaunig. obere Königs-
straße 18.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Heffenland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 172 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 5V pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den. Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Zordanstraße I5,unddie Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4,
Bestellungen an. Zn der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hejseillan-" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 17 des „Hessenlandes": „Gnomen" von Feodor Löwe; „Johann Geyse", biographische Skizze
von August von Baumbach; „Gefecht im Arronaiser Wald am 26. April 1794" von G. v. P.; „Belagerte Hessen"
von H. von Pfister; „Die 53. Jahresversammlung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde" (Fort-
setzung). „Einer von altem Schrot und Korn", Skizze von F. Storck; „Landgraf Philipp der Großmüthige und die
Bäuerin", Gedicht von Karl Finck; „Zhr und mir", Gedicht von Kurt Ruhn; Aus alter und neuer Zeit; Aus
Heimath und Fremde. Brieflasten.
E Hno
Was öem Verstanöe zu erringen
Dfl rin vergebliches Bemühen,
Weiß leicht unö schnell oft zu vollbringen
Das Herz in heiligem Erglühen.
* *
*
Blumen gleich am Wegesränö
Baffen, sich öie Isrruörn finöen.
Doch es braucht öer Frauenhanö,
Am sie uns zum Strauß zu binöen.
rsr *
rsr
Dir Menschen lernt mißkennen unö verachten,
Wer immer nur von Weitem sie gesehn,
Doch nah, am eignen Herö chr Thun betrachten,
Behrl Menschenwerth erkennen unö verstehn.
men. ML
Begrüßt Dich öie Gelegenheit
Dank' ihr mit frohem Gegengruß,
Doch halt öie Eil'ge thatbereit
Sogleich auch fest am Mügelfuß.
* . *
*
In allen Lagen unö allen Sachen
Nach Wunsch es Ieöem unö recht zu machen.
Das hat noch Keiner erreicht unö gezwungen
Anö ist selbst öem lieben Göll nicht gelungen.
* *
*
Nicht immer erntet öer auch, öer gesät,
Wie sehr man auch sein Recht ihm zuerkenne,
Ost kommt ein Anöerer heran unö mäht
Das reife Korn unö bringl's auf seine Tenne.
Aeodör LS«e.
234
Johann
Kandgräflich Hessen-Kassel'scher Oenerallieuknant, Geheimer Kriegsrath und Gouverneur
von Kassel.
Biographische Mizze von August von Vau mb sch.
*S|a Gehse während der Zeit des dreißig-
«I jährigen Krieges eine sehr wichtige Rolle
in der Landgrafschaft Hessen-Kassel spielte,
und der Gründer des gegenwärtigen Adels-
geschlechtes Derer von Geyso ist, so will ich ver-
suchen, sein Leben und Wirken hier kurz zu
schildern.
Johann Geyse (auch Geise und Geiß ge-
nannt) wurde im Jahre 1593 zu Borken in
Niederhessen geboren, wo sein Vater, Peter
Geyse, landgräflicher Rentmeister war.
Nach beendigten Schuljahren bezog Johann
Geyse die Universität Marburg, um Jura und
Cameralia zu studiren; er vertauschte jedoch nach
beendigtem Studium die Feder mit dem Degen
und trat ins dänische Kriegsdienste, in denen er
es, im Jahre 1626, erst 33 Jahre alt, schon zum
Major gebracht hatte und als solcher in der am
27, August desselben Jahres geschlagenen und
von König Cyristian IV. von Dänemark
gegen Tilly verlorenen Schlacht bei Lutter
am Barenberge mitfocht.
Als König Christian IV. von Dänemark in
Folge dieser verlorenen Schlacht zum Frieden
gezwungen wurde und den größten Theil seiner
Armee entlassen mußte, verlor auch Geyse seine
Stellung und ging nach Hessen zurück, wo ihn
der Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel zum
Rathe und Amtmann in Eschwege ernannte.
Nachdem der König Gustav Adolf von Schweden
am 27. Juni 1630 mit seiner Armee in Deutsch-
land gelandet war, wurde Geyse vom Land-
grafen Wilhelm V. zum Oberstlieutenant und
General - Ouartiermeister ernannt und mit der
Errichtung eines Infanterie-Regimentes von 1000
Mann beauftragt. Dieses Regiment, das weiße,
oder auch Regiment Geyse genannt, focht mit
Auszeichnung in den meisten Gefechten und
Schlachten des dreißigjährigen Krieges, und bil-
dete später den Stamm des Regimentes, aus
dem nachmals das 1. Bataillon des Kurhessischen
Leibgarde-Regimentes hervorging. Noch im Jahre
1630 wurde Geyse Oberst und zugleich Kom-
mandant von Kassel.
Landgraf Wilhelm V. schloß am 12. August
1631 zu Werben ein Bündniß mit dem König
von Schweden, in Folge dessen er ein Korps
ausrüstete, bei dem sich auch Geyse mit seinem
Regiments befand, und mit demselben die Ope-
rationen im Rheingau begann. Am 9. Dezember
1631 zeichneten sich die Hessen bei Mainz aus.
Im Jahre 1632, und zwar im Januar,
kämpfte Geyse mit bei Marburg, den 24. August
bei Nürnberg und den 16. September bei Lützen,
den 11. April 1633 bei Lippstadt und den
28. Juni bei Oldendorf im Schaumburgischen,
wo die Kaiserlichen total geschlagen wurden.
Das Jahr darauf befand sich Geyse bei dem
hessischen Korps, welches in Westfalen operirte,
und that sich bei verschiedenen Belagerungen ganz
besonders hervor.
Aus Rache für den am 13. Juni 1636
stattgehabten glorreichen Entsatz von Hanau,
wurde im Jahre 1637 ganz Niederhessen von
feindlichen Schaaren überschwemmt, die 18 Städte,
300 Dörfer und 47 Rittersitze niederbrannten.
Um sie zum Abzüge aus Hessen zu nöthigen,
unternahm der Landgraf Wilhelm V. eme Diversion
gegen Ostfriesland, wobei sich Geyse wiederum
in hervorragender Weise auszeichnete.
Nachdem Landgraf Wilhelm V. den 21. Sep-
tember 1637 zu Leer in Ostfriesland, und zwar
während der Belagerung von Stickhaüsen, ge-
storben war, ertheilte die Landgräfin-Regentin,
Amalie Elisabeth, geb. Gräfin von Hanau, dem
Obersten Geyse den Befehl, Kassel mit seinem
Regiment und 4 Kompagnien Reiter zu besetzen
und zu vertheidigen. Er vertheidigte nicht nur
Kassel, sondern vertrieb auch durch seine guten
Maßnahmen den Feind aus Niederhessen.
235
Im Mai 1639 besetzte Geyse die Grafschaft
Waldeck und vertheidigte im Verein mit dem
Oberst Kotze 1641 Dorsten so nachdrücklich, daß den
Hessen schließlich freier Abzug zugestanden wurde.
Im Jahre 1642 überfiel er ein kaiserliches
Korps, das sich mit einem anderen vereinigen
wollte, bei Stadtbergen und schlug es zurück,
dann siegte er am 7. Januar desselben Jahres
bei Huld unweit Kempen.
Wegen seiner vorzüglichen Leistungen ernannte
ihn die Landgräfin-Regentin im Jahre 1644 zum
Generalmajor und sendete ihn mit einem Korps
von 2000 Mann an den Rhein zur Unterstützung
der dort operirenden französischen Truppen, wobei
er Höchst eroberte. Kurze Zeit darauf wurde
er zurückgerufen, um mit seinem Korps, das auf
3200 Mann verstärkt wurde, zu den Schweden
bei Magdeburg zu stoßen, das er im November
blokiren half, und im Januar 1645 befand er
fich mit seinem Korps im Braunschweigischen und
half Hornburg und Wolfenbüttel einnehmen.
Nach der im Jahre 1645 stattgefundenen Ver-
einigung der französischen Feldherren Condo und
Turenne, wurde Geyse, der kurz vorher das
Schloß Heldrungen in Thüringen eingenommen
hatte, von der Landgräfin-Regentin, mit einem
Korps von 5000 Mann zu Fuß und zu Pferd,
zu deren Verstärkung entsendet. Geyse, der aus
Thüringen nach Westfalen marschirt war, ver-
einigte fich bei Corbach mit Turenne, zu dem
auch der schwedische General Königsmark mit
2000 Mann bei Wolfhagen gestoßen war.
Dieses hessische Korps, das auch über 9 Ge-
schütze verfügte, hatte den größten Antheil an
dem durch Cond« (Enghien) am 3, August 1645
erfochtenen Siege bei Allerheim, indem es, nach-
dem die Franzosen schon einige Male von den
Bayern und Oesterreichern zurückgeschlagen waren,
allem vorging, die Oesterreicher aus ihren Ver-
schanzungen auf dem Winneberg vertrieb, ihren
General von Gleen gefangen nahm und dann
die Bayern, deren General von Mersh fiel,
nöthigte, Dorf und Schloß Allerheim zu räumen.
Die Hessen machten 2000 Gefangene, eroberten
16 Kanonen, sowie 40 Fahnen und Standarten.
Nachdem Nördlingen und Dinkelsbühl erobert
waren, rief die Landgräfin-Regentin den General
Geyse mit seinem Korps zurück, um den Darm-
städtern den jetzt preußischen Theil von Ober-
hessen , dessen fie sich bemächtigt hatten, wieder
abzunehmen. Hierbei eroberte Geyse den Glei-
berg und belagerte mit dem schwedischen General
von Wrangel die Festung Gießen. Die Be-
lagerung mußte jedoch aufgegeben werden, weil
Wrangel einen anderen Auftrag erhielt.
, der sich nach Aufhebung der Belage-
rung gegen Ziegenhain zurückzog, eroberte Als-
feld und wendete sich dann, durch den schwedi-
schen General Löwenhaupt mit 3000 Mann ver-
stärkt, gegen den darmstädtischen General von
Eberstein, überfiel ihn am 5. Oktober in Ober-
Stt, unweit der Eder, und schlug ihn völl-
ig, wobei er 2 Kanonen, 7 Standarten und
die ganze Bagage eroberte, und 1000 Mann, zum
größten Theil Kavalleristen, zu Gefangenen machte.
Hieraus besetzte er den Äogelsberg und nahm
Herbstein ein.
Als der General von Eberstein in Niederheffen
einfallen wollte, erreichte ihn Geyse am 9. No-
vember bei Frankenberg, griff ihn an und schlug
ihn mit einem Verluste von 1200 Mann, zwei
Kanonen und 9 Standarten.
Da nun Oberheffen vom Feinde frei war,
ging er auf Befehl der Landgräfin-Regentin mit
einem Theil seines Korps nach Kassel, und wurde,
nach dem im Jahre 1647 erfolgten Tode des
hessischen Feldmarschalls Mortaigne, zum General-
Lieutenant und Kommandeur vn chef aller
hessischen Truppen ernannt.
Im Jahre 1648 deckte er von Westfalen aus
Niederheffen gegen den kaiserlichen General
Lamboy (nicht zu verwechseln mit dem General
Lamboy, der 1636 Hanau belagerte) und griff
denselben am 5. Juni bei Grevenbruch an. Ob-
gleich General Lamboy 6500 und Geyse nur
4000 Mann stark war, so siegte doch Geyse voll-
ständig, denn Lamboy verlor 4300 Mann, 11
Kanonen und 16 Fahnen, während Geyse nur
einen Gesammtverlust von 168 Mann hatte.
Den weiteren Unternehmungen Geyse's in West-
falen machte der westfälische Friede ein Ende.
Aus dem Kriege zurückgekehrt, wurde Geyse
noch Geheimer Kriegsrath und Gouverneur von
Kassel.
Auf Antrag des Landgrafen Wilhelm VI.
wurde Geyse vom Kaiser in ^en Adelstand er-
hoben und erhielt den Namen „von Gehso". Er
starb im Jahre 1661 in Kassel.
Von Denen von Lehrbach hatte Geyse das Gut
Gilftnhausen bei Borken, sowie einen Burgfitz
zu Freudenthal und die niedere Gerichtsbarkeit
nebst den Gefällen in den Dörfern Freudenthal
und Roppershain erworben. Seine Erben traten
jedoch diese Besitzungen an einen Herrn von Brink
ab und kauften fich im ritterschaftlichen Gebiete
des jetzigen Kreises Hünfeld an, wo seine Nach-
kommen noch begütert sind. Von jener Zeit
an wurde die Familie von Geyso dem reichs-
unmittelbaren Adel zugezählt.
236
estcht ttn Amonslftr
am 26. April 1794.
s^n Nr. 6 des „Hessenlandes" wird von Herrn
Jp Major H. von Pfister mit Recht das
& vortreffliche 1881 bei Elwert zu Marburg
erschienene Werl Ditfurths: „Die Heffen in den
Feldzügen der Champagne, am Main und Rhein
während der Jahre 1792, 1793 und 1794"
rühmend hervorgehoben. Doch nicht minder be-
deutend und interessant sind die schon früher
erschienenen Werke des genannten Verfassers.
Ebenso bemerkenswerth ist das erst neuerdings
bei Elwert in Marburg erschienene, aus dem
Nachlaffe des Verfaffers 1887 veröffentlichte
Merkchen: „Die Schlacht bei Borodino am
7. September 1812 mit besonderer Rücksicht auf
die Theilnahme der deutschen Reiter-Kontingente."
Unter den Werken Ditfurths befindet sich
auch eine geschichtliche Skizze über das ehemalige
Kurhessische Leibgarde-Regiment. In derselben
wird auf S. 62 bei der Schilderung des An-
griffes aus den Arronaiser Wald, ein Hauptmann
von Pappenheim als Führer einer Tirailleur-
Linie erwähnt. Letztgenannter hat über alle die
schon vorher gedachten Feldzüge Tagebuchs-
aufzeichnungen hinterlassen, welche dem Verfasser
nicht bekannt waren. In diesem Tagebuch be-
findet sich auch ein Bericht über den Angriff
auf den Arronaiser Wald, welcher im Allgemeinen
ganz genau mit der Schilderung des oben-
enannten Verfassers übereinstimmt. Es wird
ierdurch der Beweis erbracht, wie richtig und
wahrheitsgetreu die Darstellung des Gefechtes
von dem Verfasser der obigen Schrift wieder-
gegeben ist. Der Tagebuchbericht über den
Kampf am 26. April des schon erwähnten Haupt-
manns von Pappenheim lautet wortgetreu fol-
gendermaßen:
Der heutige Tag (26. April 1794) war ein
warmer Tag für uns, aber hauptsächlich für
mich. Um 3 Uhr diesen Morgen mutzte ich auf,
weil ich zum Arbeitskommando kommandirt
war, an einer Schanze, so 7« Stunde vom Lager
nur entfernt und zur Deckung des Lagers an-
gelegt worden ist. Es kommen 2-Pfd.-Kanonen
und eine Haubitze hinein. Gegen 5 Uhr hörten
wir rechts und links, auf allen Flügeln, klein
Gewehr-Feuer und um 7-7 Uhr war das
Engagement so allgemein, daß die ganze Armee
in's Gewehr ging und ich von meinem Arbeits-
kommando abgerufen ward. Vor der Schanze,
wo wir arbeiteten, liegt ein Wald, in welchem
es sehr stark knapperte. Wir „fünf Bataillone
Heffen" marschirten von unserm Lagerplatz ab
und zogen uns links nach einer Schanze vor
Castillon, vor uns einen bebuschten Meierhof
habend. Wahrscheinlich war die erste Absicht,
blos Castillon als das Hauptquartier Coburgs
zu decken. Ich kam mit 100 Mann auf
Kommando in den Meierhof und bekam hernach
noch 50 Mann Verstärkung. Rechts und links
hatte ich kaiserliche Cavallerie zur Deckung, und das
waren Kaiser-Chevauxlegers und von Curazai.
Hier bekam ich gar bald Gelegenheit, mich mit dem
Feind herum zu schießen. Der Meierhof lag
auf einer Anhöhe, darunter lag ein kleines
Dörfchen und hinter dem Dörfchen ein buschiger
Wald, in welchem wir noch heute genug zu thun
bekamen. Anfänglich mochte der Feind wohl
nicht stärker als etwa 1O0O Mann sein, mit
welchem ich mich herumarbeitete. Das Dörfchen
war der Zankapfel. Die Feinde bemeisterten
sich desselben und ich jug sie wieder heraus. Da
sie sich aber hiernach ansehnlich verstärkten und
sogar Kanonen holten, zog ich mich auf meinen
Meierhof zurück, wo ich meine Leute hinter die
Hecken stellte, und hoffte, der Feind werde den
Berg herauf kommen; ich hätte ihm alsdann
eine tüchtige Lage geben können, und die kaiser-
liche Cavallerie, so ich rechts und links hatte,
hätte an sie ein wenig stacken können. Nur
wenige Franzosen wagten sich aber so weit und
gingen auch gleich rum loß — nach dem Dörfchen
und Walde, da ich Feuer auf sie geben ließ.
Unterdessen dies wohl drei Stunden dauerte,
hatte der Herzog von Pork wie auch Coburg die
Franzosen total geschlagen auf dem rechten Flügel,
ihnen viele Kanonen abgenommen und ihren
General Chabot (Chapuis, siehe Dirfurth) ge-
fangen genommen. In deffen Brieftasche fand
man die Disposition der ganzen Attaquen des
Feindes auf unsere Armee. Mit der einen
Hälfte des (kindlichen Heeres war der General
en chef Pichegru gegen Clairfait gegangen,
welcher bei Tournai stehet; und mit der andern
Hälfte siel Chabot auf uns. Die Engländer
haben sich besonders hervorgethan, und ihre
Cavallerie — eine ganze Linie Infanterie über
den Haufen geworfen. Ein englischer General
ist auch geblieben, dabei ist auch der kaiserliche
General Alvinzi hart blesfirt worden. Da es
nun auf dem rechten Flügel ganz ruhig war
und bei uns das Feuer immer stärker wurde,
so ließen etliche kaiserliche Generale unsere zwei
Bataillone Gardegrenadiere vorrücken, auf Befehl,
wie sie sagten, des Kaisers. Zwei Kanonen
237
wurden wieder auf die Anhöhe geführt, wo ich
auf Kommando stand. Wir feuerten ein wenig
in den Wald und auf Cavallerie, da sich der
Feind aber verstärkte, zogen wir unsere Kanonen
an das Bataillon. Mein Kommando trat ein,
und nun sollten wir den Wald attaquiren. Es
war eben Zeit, daß ich mit meinem Kommando
eintrat, denn der Feind hatte in dem Busche
ein paar Kanonen ganz nahe gebracht und wollte
mich eben mit Kartätschen begrüßen. Zu der
Attaque in den Wald waren außer der schon
besagten Cavallerie auch noch drei Ungarische
Grenadier-Bataillone uns zur Hülse gegeben,
wovon eins mit uns ging und die andern sich
um den Wald herumschlichen, um, wenn wir
den Feind herausgeworfen hätten, ihm den Rück-
zug sauer zu machen. Nun ging's vorwärts,
und oa der Wald sehr voll von Franzosen war,
so bekamen wir ein saures Stück Arbeit. Es
gelang uns aber, nachdem wir Schritt vor Schritt,
in immer beständigem Kugel-Regen den Feind
forttrieben bis aus dem Wald, wo ihre Cavallerie
stand, um ihre Retraite zu decken. Wir hatten
viele Todte und Blessirte. Auf meinem Kommando
den Morgen hatte ich nur drei Blessirte. Was
wir verloren haben überhaupt, werde.ich wohl
morgen erst erfahren. Die Affaire dauerte bis
es dunkel war, und wir hatten die Satisfaktion,
den Feind auch auf dem linken Flügel geschlagen
zu haben, welcher sich unordentlich nach Guise
zurückzog. Bon unsern Offizieren weiß ich keinen
außer dem Major von Hachenberg, der blessirt
wurde. Dieser ist durch die Wade geschaffen.
Bon meiner Kompagnie hatte ich fünf Blessirte
und einen Unteroffizier, den Sergeanten Wilhelm.
Es war schon Nacht, als wir unsern Lagerplatz
wieder zu beziehen befehligt wurden, daher
marschirten wir irre und kamen erst um l/212 Uhr
an. Da die Leute, so wir zurückgelaffen hatten
im Lager, die Zelte noch nicht aufgeschlagen
hatten, und meine Leute nicht einmal etwas für
mich gekocht hatten, so schalt ich sie brav aus.
Ich kann wohl sagen, daß ich in meinem Leben
noch nicht so müde gewesen bin als heute. Ich
legte mich schlafen ohne vorher etwas zu essen.
Am 27. April. Obschon ausgeschlafen, doch
noch in allen Gliedern matt, stand ich um 6 Uhr
auf. Der Obrist Fuchs rief mich vor das Zelt
und sagte mir, da die Kompagnie drei Kühe
gestern Abend mitgebracht habe, so sollen solche
für das ganze Bataillon verschlachtet werden. —
Um 10 Uhr zogen die Wachen auf. Um 11 Uhr
hielt das Regiment Kirche. In Castillon hat
der Kaiser auch ein feierliches Hochamt halten
lassen als Dankfest für den gestrigen Sieg. —
Ich bekam mit dem Major Wackenitz einen leb-
haften Streit über die Kühe, weil er behauptete,
es sei schon längst eine Ordre gegeben, daß alles
Vieh, was die Leute erbeutet, für das ganze
Bataillon sein solle. Ich bewies ihm das Gegen-
theil, da kein einziger Feldwebel von dieser Ordre
etwas weiß. — Im Hauptquartier des Prinzen
Coburg bei dem Feldpostmeister kommt ein
Journal heraus, dessen Inhalt nur allein die
Vorfälle bei den Armeen, wie solche dem Prinzen
gemeldet werden, enthält uno bekannt macht.
Dasselbe kostet das halbe Jahr drei Kronen.
Ich habe darauf pränumerirt, und habe zu Mit-
lesern den Obrist Fuchs, Major Wackenitz,
Capitain Hohorst, Prinz Solms, Lieutenant
Kospoth. — Bei der gestrigen Affaire habe ich
dicht am Kopf einen Schuß durch den Hut und
einen anderen auf der linken Rocktasche, welcher
mir meine Brieftasche, so ich daselbst hatte,
entzwei gerissen hat. — An Todtgeschossenen hat
gestern das Regiment gehabt: 10ffizier, 5 Unter-
offiziere, 41 Grenadiere. — Summa Todtgeschoffene
und Blessirte: 1 Offizier, 6 Unteroffiziere,
44 Gemeine. — Der Kommandeur des Regiments
Kaiser-Chevauxlegers schrieb einen sehr artigen
Brief an den Obristen von Fuchs, worinnen er
unserm Regiment die größten Elogen giebt und
zugleich bittet zu attestiren, daß zwei Reiter
dieses Regiments den blessirte» Major Hachen-
berg und den Obristen von Eschwege aus dem
Gedränge heraus und aus dem Walde gebracht,
weil er alsdann überzeugt ist, daß der Kaiser
den zwei Reitern für diese edle That die Verdienst-
Medaille geben würde. Diese Attestate soll der
Obrist v. Fuchs, der Obrist v. Eschwege und
der Major v. Hachenberg unterschreiben. Hachen-
berg hat sich heute dem Regiment empfehlen
lassen, geht nach Balenciennes, um sich oaselbst
kuriren zu laffen. Dieser, als er blessirt während
der Affaire unter einem Baume lag, ward um-
ringt von den Franzosen; er reichte ihnen seine
Börse und Uhr hin, keiner nahm sie aber ab;
sie rührten ihn nicht an, und verließen ihn auch,
da unfere Leute näher kamen, ohne ihm etwas
zu thun. Ist das Großmuth oder Konsternation
gewesen? Die Festung Landrecies ist heute
nochmals aufgefordert worden, sich zu ergeben,
hat aber refusirt, denn, wie ich höre, will die
Garnison freien Abzug haben, welches aber nach dem
neuen System des Generals Jork niemals wieder
geschehen foll, da hernach, wie voriges Jahr die
Garnison von Mainz, Balenciennes und andere,
in der Bendse mit Erfolg gedient haben. — Der
Lieutenant v. Langenschwartz ist hierher vom
Herr General von Wurmb geschickt an das
Hauptquartier. Er sagt, die Franzosen unter
Pichegru hätten Jpres eingeschlossen und bedrohet,
ebenso auch Tournai. Es ist von hier starke
Verstärkung, ich glaube 10 Bataillone und nach
238
Proportion Kavallerie zum General Clairsait
geschickt, und diese wird hoffentlich noch zertig
genug kommen, um Flandern zu retten, sonst
würde es schlimm aussehen, und wir durch diese
starken Diversionen gezwungen werden, LandrecieS
zu verlaffen. — H. v.
elagerle Hessen.
In Nr. 14. unserer lieben Zeitschrift „Heffen-
land" findet sich ein Büchlein angezeigt über das
Festungs-Trumm des Hohentwiels, im alten
uns durch Scheffel's Eckehart so vertraut gewor-
denen Hehgaue (nicht: Höhgau). Gewiss darf
beim Mahnen jenes Namens auch ein hessisches
Herze höher schlagen; denn unlösbar hat unser
Landsmann Konrad Wiederhold seinen mit
dem zener schwäbisch-alemannischen Veste für alle
Zeit zu verknüpfen gewußt.
Es war das Ringen des zähen hessischen Geistes
in Mitten feindseliger Welt, der immer aus sich
selbst heraus, im Wachsen aller Widerwärtigkeit
vielmehr neue größere Kräfte zu gewinnen scheint.
Erwähnt sei doch, daß die heute in wirtenbergi-
schem Heeres-Dienste vorfindlichen „Wiederholde"
nicht etwa zur Sippe unseres Helden gehören.
Mir drängte sich beim Lesen obiger Besprechung
ein anderer weiterer Gedanke auf: wie viele be-
deutsam« Belagerungen, mit ausgezeichneten Tatm
hessischer Männer und Truppen, ebenwol gerade
unsere, überhaupt so rühmliche Kriegs-Geschichte
aufzuweisen habe!
Blicken wir zurück bis zum Ausgange des
Mittelalters, so leuchtet uns zunächst die helden-
hafte Verteidigung der Festung Neuß entgegen,
durch wenig mehr denn ein schwaches Häuflein
Todes mutiger Heften. Hier brach sich in 1474
so recht eigentlich die beste Kraft des bislang
unbewältigten Burgunden-Herzoges Karl's des
Kühnen, der vielfach als Schöpfer stehender Heere
gefeiert, jedes Falles über eine ganz vortreffliche
ansehnlichste Kriegs-Macht gebot. Karl's Mis-
erfolg vor Neuß ließ ihn mit minderer Wucht
in 1476 den Schweizern bei Murten gegenüber
treten.
Warum wird immer nurMurten's gedacht? Römer
und Griechen hätten ein Ringen wie um Neuß
doch in unsterblichen Liedem besungen. Hessen
stund übrigens auch damals schon an der Spitze
alles wehrtümlichen Fortschrittes. So verständig-
ten sich die hessische Besatzung im Platze und das
hessische Entsatzes-Heer außerhalb durch Brief-
kapseln in und an Geschahen ihrer „Muserei" wie
der älteste hessische Name des groben Geschützes
und überhaupt der Stückwehr dann war.
Don Neuß am Rheine darf heimatliche Liebe
und vaterländischer Ehren-Stolz uns an die
Schwalm gett Ziegenhain entführen, wo ein
Heinz v.Lüder in 1546 und folgenden Jahren
seinen Namen in Erz und Stein gegraben. Fast
sollte man wähnen, Konrad Wiederhold habe sich
ein Jahrhundert später am Vorbilde seines gro-
ßen Schwälmer Landsmannes im Gemüte auf-
gebaut zu gleicher Treue und Standhaftigkeit. —
Doch bedeutsamer denn alle, durch Jahre ge-
führte Kämpfe um den Hohentwiel ist die wehe-
vollste Belagerung des ganzen dreißigjährigen
Krieges: das Trauerspiel von Magdeburg
Da Gustav Adolf nt 1630 — ebenwol also
in einem Quinten-Jahre — an pommerischer
Küste gelandet war, erkannte er sofort die hohe
Wichtigkeit jenes starken Wasfen-Platzes an nie-
derer Elbe, gegen den ein bayrisches Heer unter
Tilli im Änzuge sich befand, dessen Bürgerschaft
durch Parteiungen gespalten, zum Teile gut
kaiserlich gesonnen war. Ebenso erwies sich
aber damals auch Kur-Brandenburg, das die
Schweden nicht ins Reich gezogen wißen wollte,
ablehnend wegen des Königes Durchmarsch.
Dieserhalb gieng auf Gustav Adolfs dringende
Bitten eine heften-kasselische Besatzung unterm
Obristen Falkenberg, dessen Nachkommen noch
in Niederheften leben, in Eilmärschen nach Magde-
burg ab. Die heldenmütige Verteidigung der
kleinen Hessen-Schar ist bekannt. Da Falkenberg
alle Mittel des Widerstandes erschöpft sah, ordnete
er die Sprengung der Werke an. und befahl
trotz Einspruches der Bürgerschaft, die Stadt an
allen vier Ecken und Enden anzuzünden. Beim
nun folgenden Sturme der Baiern blieb kein
Hefte verschont. Falkenberg aber hatte sterbend
seinen Zweck erreicht: Dem Feinde war die
Festung verloren.
Und wir kehren wiederum von der Elbe zum
Rheine, deften getreueste Wacht durch Jahrtausende
gerade unser Volks-Stamm gehalten hat.
ORheinfels, hehrer Klang, Du sahest ein
erstes Mal die Scharen jenes gekrönten franzö-
sischen Mordbrenners, des ruchlosen Ludwig's des
Vierzehnten, an Deinen steinernen und lebenden
Mauern blutig zerschellen!
Mit einigen Fähnlein des kaffelischen Leib-
Regimentes (heute Nr 82), geringem Aufgebote
der Landwehr aus Niederer Grafschaft Katzen-
Elnbogen, sowie der Schützen-Gilde der Stadt
239
St. Goar leistete hier — wie schon 1621 Obrist
v. Uffeln den Spaniern getan — Graf Görz
v. Schlitz im Dezember 1693 einem ganzen Heere
unbeugsamen Widerstand. Allein 8000 Tote
ließen die Franzosen vor der Veste; ihr halbes
Heer wund — darunter der Reichs-Marschall
Tallard selber. Wol dursten solcher gewaltigen
Macht gegenüber die Verteidiger nur eine Hand-
voll heißen.
Rheinfels und Hohentwiel haben seitdem wun-
derbar gleiches, trübes Schicksal gehabt. Jener
meuschentümlich-empfindsame, unklare, vaterlands-
lose Freiheits-Schwindel französischer Umwäl-
zungs-Zeit schien das Marg europäischer Mann-
heit in gewissen Kreißen hinweg gesogen zu haben.
'Rheinfels und Hohentwiel wurden von erbärm-
lichen Wichten, ohne auch nur leisesten Versuch
eines Widerstandes gewagt zu haben, staunendem
Feinde nach steiwilligem Abzüge der Verteidiger,
preis gegeben! Just so geschah es mit Malta.
Unsere hochgemute Mannschaft ebenso als die
ehrenhaften Bürger von St. Goar traf aber auch
im Spätherbste des Jahres 1794 kein Schatte
von Schuld. —
Jedem Hesten wollte ich dringend ans Herze
legen, in Ditfurth's meisterhaftem Werke: die
Hesten in der Champagne, am Maine und
Rheine — Marburg, 1881, Elwert's Verlag —
doch den Anhang über Rheinfels zu lesen. Die
schlüßliche Betrachtung hat jedes Mal mich mäch-
tig bewegt.
Und nach Spanien folgen wir dem Wehen
hessischer Fahnen. Zu Badajoz war es, wo
in 1811 das darmstädtische Leib-Regiment (heute
Nr 117) einen Widerstand leistete, der ähnlich
dem der Spartaner in den Thermopylen am Ende
nur einer Umgehung — über eine von franzö-
sischen Bundes-Genoßen geräumte Stelle des
Walles — und somit dem Angriffe vom Rücken
erlag. Dasselbe Regiment hatte einst in der
Schlacht am Kalenberge vor Wien (1683) sich
rühmlich hervor getan.
Hier, zu B a d a j o z, in der mit edelsten Blute
getränkten Breche, aber war es ein Kampf,
um den deutsche Herzen trauern möchten noch
diesen Tag. Denn, die vor dem geschmolzenen
schließlich gefeßelten hessischen Häuflein tot oder
verwundet am Boden lagen, es waren die Mannen
des schwarzen Welfen-Herzogs, die treuen Streiter
der englisch-hannöverischen Legion! Und auch
darunter vielleicht mancher Heste, dem korsische
Tücke die Heimat verkehrt.
Sechs Namen wurden genannt: Neuß, Ziegen-
hain, Hohentwiel, Magdeburg, Rheinfels, Bada-
joz; gering ihre Anzahl gegenüber dem Sieges-
Glanze schier unzähliger Schlachten in offenem
Gefilde, und dennoch leuchtend immerdar durch
makellosen Ruhm ! Auch sie rufen späten Enkeln
die mahnenden Worte zu:
Gehet hin und tuet desgleichen!
v. Pfister.
Die 58. Iiiruntfiiilimi >et Umtut für Mcht Geschichte »»d
Metsimsie.
(Fortsetzung.)
Am 20. Juli fand der Ausflug der Mitglieder
des Vereins für hessische Geschichte und
Landeskunde von Schlüchtern nach der
Huttenschen Stammburg, dem Steckel-
berge, statt. Wir haben dieser Partie in dem
ersten Artikel (S. Nummer 15 des „Hessen-
landes") bereits eingehender Erwähnung gethan,
hier erübrigt nur noch die Rede wiederzilgeven,
welche der Präsident des Vereins, Herr Major
C. von Stamford, innerhalb der Ruinen
der Burg über Ulrich v. Hutten hielt. Nicht
unbeachtet wollen wir hier lassen, daß jetzt, zu
Ende August, bezw. zu Anfang September,
364 Jahre verflossen sind, seit Ulrich v. Hutten
auf der Insel Ufenau im Züricher See arm, krank
und elend in einem Alter von 35 Jahren und
4 Monaten sein bewegtes ruhmreiches Leben be-
schloß.
Herr Major v. Stamford leitete seinen
Vortrag über Ulrich v. Hutten durch eine scharfe,
treffende Zeichnung der politischen nnd religiösen
Verhältniffe ein, wie sie zu Ende des 15. und
Anfang des 16. Jahrhunderts in der damals
kultivirten Welt, und namentlich in dem heiligen
römischen Reich bestanden. Dann fuhr er fort:
Ich wende mich zu dem Geisteshelden, deffen
Schatten über diesen Trümmern schwebt, deffen Ge-
dächtniß diese Stunde geweiht ist. Ulrich erblickte
das Licht als ältester Sohn des Ritters Ulrich von
Hutten ans Steckelberg am 31. April 1488; klein
und schwächlich war das Kind und das war viel-
leicht der Grund, weshalb der Vater daffelbe für
das Kloster bestimmte, wobei die Aussicht mitgewirkt
haben mag, durch die Beziehungen der angesehenen
und zahlreichen Familie der Hutten zum Stifte
Fulda hier für Ulrich eine ehrenvolle Laufbahn zu
240
eröffnen. Der Batet wird als ein verschlossener
harter Mann geschildert, der von seinen Entschlüssen
nicht abzubringen war, in der engen und düsteren
Burg erklang in der Fehde- und raublustigen Zeit
mehr der Waffenlärm der Reisigen, als die Töne
eines befriedeten Daseinsdas rauhe einförmige
Leben brachte auch dem Kinde wenig Freuden, wenn-
gleich die Mutter, Ottilie von Eberstein, weiblich und
sanft einiges Gegengewicht gegen den Vater bildete.
Der aufgeweckte Knabe zeigte rasche Faffungskraft
und Lernbegierde. Mit 11 Jahren brachte man ihn
nach Fulda, um Mönch zu werden; in der alt-
berühmten Klosterschule daselbst entwickelten sich
Ulrichs Fähigkeiten, aber er erkannte auch, daß sein
Beruf nicht im klösterlichen Leben liege. Das war
auch die Ansicht Eitelwolfs v. Stein, welcher den
begabten widerwilligen Klosterinsaffen kennen lernte
und ihn für Höheres bestimmt hielt. Stein, ein für
die Zeit hochgebildeter Mann, wie die Ritterschaft
wenige aufzuweisen hatte, galt viel bei dem Mark-
grafen Albrecht von Brandenburg, in dessen Diensten
er stand und bewog Hutten den Bater, die Ablegung
der Klostergelübde seines Sohnes noch hinauszuschieben.
Doch es sollte gar nicht dazu kommen. Ulrich entzog
sich einem Dasein, welches nach den in ihm sich ent-
wickelnden Eigenschaften ihm entsetzlich hätte sein müssen,
im I. 15Ü4 oder 1505 durch die Flucht, wie es scheint
unter Mitwirkung seines Jugendfreundes Crotus Ru-
bianus. Einige Monate hiernach, daß der künftige
Kämpfer gegen das Mönchthum seine freie Persönlich-
keit sich. rettete, gab der andere künftige Kämpfer die-
selbe auf, der Student Martin Luther trat 1505 in
das Augustinerkloster zu Erfurt ein, ein merkwürdiges
Zusammentreffen, welches das Wesen der beiden Cha-
raktere kennzeichnet. Als der Sohn so dem Willen
des Vaters entgegen gehandelt hatte, zog dieser seine
Hand von demselben ab. Der etwa 16jährige sah
sich gänzlich mittellos in der Welt, doch mit frischem
Muthe nahm er den Kampf ums Dasein auf — es
sollte ein Kampf bis zum letzten Athemzuge sein.
Mit wiffensdurstiger Seele ging Ulrich an die Stu-
dien, denen er auf den Universitäten Erfurt, Cöln
und Frankfurt a. O. 4 Jahre lang sich hingab, öfters
in Noth, mitunter von Gönnern unterstützt. Frühe
schon versuchte er sich poetisch, d. h. in der lateinischen
Sprache, welche damals. Gelehrten- und Weltsprache
war; doch erst aus dem Alter von etwa 18 Jahren
sind uns poetische Versuche Ulrichs aufbewahrt. In
diesem Alter wurde ihm der Ite philosophische Grad,
des Baccalaureus, in Frankfurt zutheil, es blieb dies
der einzige. Eoban Hesse lernte er zu Erfurt kennen,
mit ihm, welcher bald sich den Ruhm des ersten Dich-
ters der Zeit errang, verband Hutten treue Freund-
schaft, Eoban und Crotus blieben ihm bis zum Tode
innig verbunden.
Huttens unruhiger Geist trieb ihn hinaus ins Le-
ben und nach wohlgenützter Studienzeit verließ er,
vermuthlich im Frühjahre von 1509, Frankfurt a. O.
Im Herbste nach erlittenem Schiffbruche auf der Ost-
see, finden wir ihn in Greifswald, wo er mittellos
und krank von dem Bürgermeister Lötz und dessen
Sohne, einem Professor, ins Haus aufgenommen wird.
Nach einiger Zeit trübte sich das gute Verhältniß,
gewiß nicht ohne Schuld des heftigen, reizbaren jungen
Mannes. Er verließ Greifswald, wurde von Bewaff-
neten aller seiner Habe, auch der Oberkleider beraubt
und mußte sich im elendesten Zustande bei strenger
Winterkälte wenig bekleidet durchbetteln. In Rostock
nahmen Professoren sich seiner an, er hielt einem
Kreise Studirender schon wissenschaftliche Vorträge.
Und nun machte sich der Zorn des Gekränkten Luft,
denn die Räuber, welche ihm Alles, selbst die Hand-
schrift seiner Dichtungen genommen halten, waren von
den beiden Lötz ausgesandt worden. Die Querelae,
Klagen gegen die Lötz, welche im I. 1510 erschienen,
brachten die Vorwürfe des auch durch manches Andere
sich verletzt haltenden und begannen die lange Reihe
der Streitschriften Huttens, das ihm eigenste Gebiet.
Noch im selben Jahre hielt er sich in Wittenberg auf,
wo ihn im Februar 1511 des Freundes Crotus
Mahnung traf, zu den Aeltern zurückzukehren. Statt
dessen hatte Ulrich die Keckheit, das Kloster, dem er
entlaufen war, um Geld zu bitten; begreiflicherweise
kam kein Geld, aber doch freundlicher Zuspruch statt
gerechtfertigter Vorwürfe. Im Sommer von 1511,
nachdem er wahrscheinlich einige Zeit sich in Leipzig
aufgehalten, finden wir Hutten auf der Wanderung
durch Böhmen und Mähren, im erbärmlichsten Auf-
zuge; Bischof Thurzo von Olmütz, ein großmüthiger
Förderer der Wissenschaft, stattete den geistvollen Bett-
ler reichlich aus und so gelangte dieser nach Wien,
wo unter Kaiser Max der Humanismus eine Stätte
gefunden hatte. Hier, am Sitze des Oberhauptes des
Reiches, entwickelte sich in Ulrichs Geiste die Theil-
nahme an den großen Angelegenheiten des Vater-
landes; Schmerz über. den Verfall des Reiches, Zorn
gegen die Widersacher des Kaisers flössen in einem
Gedichte an Maximilian zusammen, in welchem er
die Idee des Kaiserthumes in der Hoheit erfaßt, wie
die großen Kaiser des Mittelalters ihr nachstrebten
und vorab die Republik Venedig gezüchtigt haben will,
da sie 1508 Maximilian den Durchzug zur Kaiser-
krönung weigerte. So nahe Italien, lockte diese Hei-
mat des Humanismus dessen eifrigen Jünger an,
Hutten zog dahin, und im April 1512 taucht er in
Pavia auf, wo er das Studium des Rechtes begann,
dem Wunsche seines Vaters sich fügend. Dieses galt
allein für eines Edelmannes würdig neben dem
Waffendienste, da es zu den Stellungen im Reiche
wie in den Einzelstaaten befähigte; auch trieb Hutten
hier das Griechische. Wieder gerieth er in die äußerste
Noth, sodaß er kaiserlichen Kriegsdienst nahm, obwol
er schwere Gebreste trug, z. B. das linke Bein kaum
gebrauchen konnte, gewiß ein maxtervolles Dasein.
241
Dabei dichtete er zu dieser Zeit die Epigramme an
Kaiser Max, gegen Venedig, Frankreich und den Papst
gerichtet, des Kaisers Feinde; ein Werk voll Kraft
und Reiz, in dem bereits der Ablaß- und Büllenhandcl
wie die Ausbeutung Deutschlands durch Rom gegeißelt
werden. Wahrscheinlich kehrte Ulrich 1514 nach
Deutschland zurück, sein Gönner Eitelwolf von Stein
veranlaßte ihn, ei» Gedicht auf den Einzug des neue»
Erzbischofs Albrecht von Brandenburg am 8. November
1514 in Mainz zu verfassen; Albrecht ließ ihm 200
Goldgulden zukommen und Aussicht auf eine Stellung
eröffnen. Als Hutten im Sommer 1515 auf der
väterlichen Burg erschien, im Bewußtsein durch das
Rcchtsstudium des zürnenden Vaters Verzeihung ver-
dient zu haben, wurde ihm dennoch kein freundlicher
Empfang zutheil und erst die Erwägung, des Sohnes
gewandte und scharfe Feder gegen Herzog Ulrich von
Würtemberg zu verwenden, welcher kürzlich einen
Hutten ermordet hatte, mag den Vater ans mildere
Gedanken gebracht haben. Ulrich faßte auch nach
und nach 5 Reden gegen den Herzog ab, deren zor-
nige Gewalt und rücksichtslose Vorwürfe in unserer
Zeit sich kaum noch denke» lasse«. Zu Mainz lernte
Hutten 1514 den durchreisenden Erasmus kennen,
den bei weitem größten Gelehrten der Zeit, das Haupt
der ganzen humanistischen Schule und von Hutten
selbst als ein höheres Wesen verehrt; ei» Briefwechsel
wurde angeknüpft. Im Frühjahre von 1516 sehe»
wir den Ritter wieder in Italien, in Rom, von wo
er über die Verhältniße am päpstlichen Hofe gegen
Crotus sich aussprach. Der Kaiser war um
diese Zeit in die von dem Könige Franz I. ihm
entrissene Lombardei eingedrungen, aber bald wie-
der abgezogen; allenthalben erklang nun der
Spott der Italiener über Max und der groß-
sprecherische Hochmut der Franzosen machte sich breit.
Da begab cs sich eines Tags, daß Hutten bei einem
Ritte auf 5 Franzosen traf, welche über den noch
um Mailand kämpfenden Max höhnten, er nahm sich
seines Kaisers an, die Franzosen fielen über ihn her,
aber er stach Einen nieder und schlug die Uebrigen
in die Flucht. Der Strauß trug ihm eine Wunde
im Gesichte ein, aber auch den Ruhm der Vaterlands-
liebe und tapferen Ritterthnms, worauf er besonderen
Werth legte. Rom mnßte er freilich nach diesem
Abentheuer vor den Franzosen verlassen. Er betrieb
dann noch einmal Rcchtsstudien in Bologna und da-
neben das Griechische. Studentenunruhe» im Früh-
linge von 1517, bei denen Ulrich dem Governeur
gegenüber die Studenten vertrat, trieben ihn fort,
und er wagte es, trotz seiner hefttgen Ausfälle wider
die «Fischer- und Krämerrepublik," sich nach Venedig
zu begebe», im Vertrauen auf den schützenden Zu-
sammenhalt der Gelehrtenrepublick — er gewährte
ihm auch Sicherheit. Während des für de» Kaiser un-
glücklichen Kampfes um Mailand hatte Hutten ein
Gedicht verfaßt, in welchem Jtalia ihren wahrhaften
Oberherrn, den Kaiser, zu ihrer Rettung anruft.
In Bologna erhielt er Kenntniß eines in Deutsch-
land erschienenen, das größte Aufsehen machenden
Buches, der Epistolae obscurorum virorum. Anlaß
zu demselben gab der durch einen getauften Jude«
Pfefferkorn hervorgerufene Streit, da jener nach Art
solcher Abtrünniger den Glauben seiner Väter verfolge
und de« Satz aufgestellt hatte, alle Schriften in hebräischer
Sprache außer der Bibel wären zu vernichten.
Gegen diese Ungeheuerlichkeit trat Reuchlin, der neben
Erasmus angesehenste Gelehrte der Zeit, ans und
der Streit nahm immer größere Ausdehnung an,
auch Hutten hatte in einer Schrift kräftig für den
von der mächtigen Partei kirchlicher Fanatiker ange-
griffenen Reuchlin Partei genommen. Die Epis-
tolas schienen aus den Kreisen der genannte» Partei
zu komme«, sprachen deren Anschauungen aus und
verriete» mit ihrem schlechten Latein deren Unwissen-
heit. Die Täuschung hielt auch vor, bis am Schluffe
des erst nach längerer Zeit erscheinenden zweiten
Theils die Maske fallen gelassen wurde und das
als eine Schutzschrift begrüßte Werk nun sich als
ein um so gefährlicherer Angriff auf die Finsterlinge
erwies, als es die Lacher auf seiner Seite hatte.
ES wird erzählt, daß dem Erasmus beim Lesen durch
das Lachen ein Geschwür geplatzt und er so wieder
gesund geworden sei. Man darf den ersten Theil
vorzugsweise als von Crotus herrührend ansehen,
wobei Mutian, ei» bedeutender und einflußreicher
Gelehrter zu Gotha, u. A. Beiträge und Ideen ge-
liefert haben mögen. Hutten war alsbald von dem
Buche so entzückt, daß er noch in Bologna einige
von ihm im selben Geiste verfaßte Briefe Bekannte»
vortrug. Diese finden sich dann im 2. Theil der
Epistolao und Hutten hat wahrscheinlich noch weitere
Beiträge zu letzterem gestellt. Bon Venedig wieder
nach Bologna zurück gekehrt, verließ er die Stadt
im Juni 1517 und zog nach Deutschland, wo ihn
ein hoher Triumph erwartete. Längst hatten seine
mit Freimuth und Kühnheit in classichem Latein ge-
schriebenen Schriften die Aufmerksamkeit auf den
jungen Dichter und Gelehrten hingelenkt; die heiße
Vaterlandsliebe und der Wunsch, die alte Hoheit des
Reiches wiederherzustellen, welche» er seit seinem
Wiener Aufenthalte mannigfachen Ausdruck gab, dann
das furchtlose, ritterliche Auftreten in Rom für die
Ehre seines Kaisers konnten diesen nur wohlgeneigt
stimmen. Er beschloß Hutten zum Dichter z« krönen
und setzte am 12. Juli zu Augsburg, umgeben von
einer glänzenden Versammlung, dem vor ihm knieenden
Hochbeglückten den von der schönen tugendhaften Con-
stanze Peutinger geflochtenen Lorberkranz aufs Haupt.
Bald hiernach übte dieser einen kecken Streich im
Geiste der Dunkelmännerbriefe aus. In Bologna
hatte er die Schrift des Lorenz Valla ans der 1.
Hälfte des 15. Jahrhunderts gefnnden, welche dar-
legte, daß die Schenkung Kaiser ConstanttnS, durch
—- 242
die dem Bischöfe zu Rom die Herrschaft über das
Abendland übertragen worden sein sollte, erdichtet sei.
Damit fiel diese Grundlage der weltlichen Herrschaft
des Papstes hinweg. Hutten gab diese Schrift mit
einer Widmung an Papst Leo X. neu heraus, mit
dem Vorgeben, Leo, von dem nur alles Gute und
höchste Liebe zur Wahrheit erwartet werden dürfe,
werde sehr befriedigt sein, diese nun zu erfahrt«. Er
bittet sogar den heiligen Vater, ihm öffentlich seinen
Beifall zu bezeugen. Das Werk wurde 1517 auf
Steckelberg in der hier von Ulrich errichteten tüchtigen
Druckerei hergestellt. Luther war höchlich überrascht,
als er diese Schrift zu Gesichte bekam und sie konnte
ihn in seinen Schritten zur Kirchenbesserung nur be-
stärken.
Gegen Ende des Jahres 1517 unternahm Hutten
im Aufträge des Kurfürsten von Mainz eine Reise
an den Hof des Königs von Frankreich, wo er um
seines schriftstellerischen Namens willen ehrenvoll anf-
genowmen wurde, kehrte Anfangs des Februar 1518
zurück und trat in den Dienst Albrechts förmlich ein.
Es würde nicht zu verstehen sein , daß der hohe
Kirchenfürst einen Man» in seine Umgebung zog,
welcher kürzlich eine solche Schrift veröffentlicht hatte,
wenn man nicht die Mißstimmung kennte, welche
die beständig gestiegene Ausbeutung Deutschlands
durch den römischen Stuhl vorab in dem Mainzer
.Erzbisthum erzeugt hatte, so daß cs Albrecht im Ge-
heime» nicht zuwider sein konnte, wenn dagegen vor-
gegangen wurde. Hutten hatte ihn um diese Zeit
in das Erzstift Magdeburg zu begleiten, dessen Ober-
hirte Albrecht gleichfalls war, und hier setzte ihn ein
Ordensbruder von Luthers Auftreten zuerst in Kennt-
niß, der am 31. Oktober des vorigen Jahres seine
95 Thesen in Wittenberg angeschlagen hatte. Wohl
hatte Hutten bereits gegen das Gebaren mancher be-
sonders höherer Geistlichen Und gegen päpstliche Über-
griffe in Wort und Schrift gewirkt, allein doch mehr nnr
in dem Sinne des sein Vaterland liebenden Deutschen;
so fehlte ihm das Verständniß für Luthers That und
er hielt den sich daraus entwickelnden Streit für Mönchs-
gezänk. Auch traten beide Männer nicht in Bekannt-
schaft, als Luther vom 6.—20. Oktober 1518 zu
Augsburg anwesend war, wo unser Ritter sich während
des Reichstages d. I. aufhielt. Für diesen Reichs-
tag verfaßte er eine Rede an die deutschen Fürsten,
um auf sie im Sinne des Kaisers einzuwirken und
sie zur Einigkeit, zur Unterordnung unter das Reichs-
oberhaupt anzumahnen. Papst Leo hatte einen Kirchen-
zehntcn zum Kriegszuge gegen die Türken von dem
laterauischen Concile 15 l 7 sich bewillige« lassen; ent-
sprechend suchte Kaiser Max von den deutschen Stän-
den eine Türkenhilfe zu erlangen. Da diese des
Kaisers Macht und Stellung nur heben konnte, redete
der hierfür begeisterte Hutten in seiner kräftigen hin-
reißenden Sprache zu den Fürsten. »Wenn ihr mir
kein Gehör gebt, — ruft er den Fürsten zu — so
fürchte ich, wird diese Nation etwas sehen, das ihrer
nicht würdig ist. Denn wenn es einmal zum Volks-
aufstande kommt .... wird es mit den Schuldigen
die Unschuldigen treffen, blindlings wird man wütend
Hätte Hutten geahnt, daß seiner prophetischen War-
nung nach 7 Jahren furchtbare Wirklichkeit folgen
sollte!
Er mußte mit tiefem Schmerze erleben, daß die
Stände des Reiche« am 27. August die Aufbringung
einer Türkenhilfe ablehnten.
Hutten erkannte schon im ersten Jahre seines Dien-
stes am Hofe, daß er nicht dafür geeignet sei, und
Freunde hatten überhaupt mit Befremden die Kunde
von seinem Eintritt in den Hof Albrechts vernommen.
Es ist jedoch erklärlich, daß nach dem vieljährigen
Leben aufs Ungewisse, oft in Not und Elend, die
Gelegenheit für ein gesichertes Dasein auch diese
freie und starke Seele bewegen konnte, ein Joch über-
znstreifen. Daß es nicht allzu schwer war, zeigt
der obenberührte Umstand der Schrift Balla's.
(Schluß folgt.)
--------------------
Oiner von altem Kchrot und Vorn
Skizze von Äs. Slorck.
«r stand durchaus nicht m verwandschastlichen
Beziehungen zu unserem Hause, er war nur
der Amtsvorgänger meines Vaters. Dennoch
nannten wir Kinder ihn Großvater. War er
doch das echte und rechte Urbild eines allezeit
gütigen, nachsichtigen Großvaters, und liebten
wir ihn doch gleich einem solchen.
. Seine freundlichen Augen blickten mit dem
gleichen Ausdruck der Liebe auf unsere Flachs-
köpfe, wie auf den dunkleren Scheitel seiner Enkelin
— unserer Spielgefährtin — herab. Wie ein
Anflug neckischer Schelmerei lag es in den zahl-
losen Fältchen des von dichtem, weißem Bart
umrahmten, guten Angesichts. -
Das leicht gelockte, dünne Haupthaar glänzte
im Strahl der Sonne wie lichte Silberfäden,
243
auf dem Haupte saß das Hauskäppchen von dunkel-
grünem Sammet mit der mächtig langen Troddel
aus lichtgrüner Seide, deren Knopf eine kunst-
volle Eichel zierte. So schritt er von uns Kin-
dern umringt, angethan mit dem grün und braun-
karrirten Schlafrock aus Beiderwand, durch das
schmale Gärtchen neben dem fast bäuerlich einfachen
Hause. Wie freundlich zutraulich klang das: „Guten
Abend!" der mit schwerer Gras, oder Holztracht
aus dem Walde heimeilenden Dorfbewohner über
das niedere Staket mit den wurmstichigen Lat-
ten herüber. „Der ahle Förschter" konnte ihnen
ja nichts mehr anhaben. Der war ja nicht mehr
im Dienste, und so konnten sie ruhig mit ihren
unter Angst und Herzklopfendem Walde entführten
Schätzen dem heimischen Herde zueilen. War
erst die Last unter dem schützenden Dache des
Stalles abgeworfen, so war jede Gefahr vollends
vorüber.
Der alte Herr verrieth die Waldfrevler nicht
an seinen jüngeren Amtsnachfolger. Im Gegen-
theil: es lag ein recht befriedigtes Schmunzeln
auf dem wettergebräunten Antlitz, wenn er die
armen Leute mit ihrer Beute in Sicherheit
wußte. Früher hatte man das überhaupt so
streng nicht aufgefaßt. Da war der Wald mehr
Gemeingut gewesen. Die Leute hielten einen
Waldfrevel nicht für „Diebstahl." Sie dachten
wohl, das läßt unser Herrgott für alle
Menschen wachsen, warum sollten sie da nicht
nehmen, was ste bedurften? Wenn sich nun auch
der alte Herr bewußt war, nie und nirgends
gegen sein Dienstreglement gesündigt zu haben,
o hatte er doch nie so scharf zu Gericht gesessen,
iber die Armen, die oft die bitterste Noth zur
Überschreitung der Gesetze trieb. Und ebenso
war er nachsichtig gegen die liebe Jugend. Mochten
die Burschen am Abend des Pfingstsonnabends,
immerhin ihren „Auserkorenen" die schönen
Maibüsche vor die Thür setzen, er sah es nicht.
Und den Schulkindern gestattete er, daß sie
unter Begleitung des Forstlaufers das einfache
Kirchlein mit den zartgrünen, dustenden Sträuchern
schmückten. Zum Dank setzten sie ihm den statt-
lichsten Busch in den eingegitterten Kirchenstuhl,
und die erwachsenen Burschen zollten ihm ihren
Dank für seine gütige Nachsicht dadurch, daß sie
ihm ..sein Leiblied „Den Jäger aus Kurpfalz"
des Öfteren zu Gehör brachten, wenn sie an
Sonntagabenden singend das Dorf durchzogen.
Mochten die jungen Beamten das jetzt halten
wie sie wollten. Sein Glaubensbekenntniß, eines
biederen, hessischen Revierförsters, war kurz und leicht
faßlich. Da bedurfte es keiner langjährigen, beschwer-
lichen Studien über Mineralogie und Botanik und
wie das Zeug alles heißt, und die Mathematik
war auch gerade nicht das Steckenpferd des alten
Herrn gewesen. Hatte er für uns „Grünschnäbel"
doch eine gewisse Bewunderung, weil wir schon
bei so jungen Jahren in die Geheimniffe der
Decimalbrüche- eingedrungen waren! Mit derlei
Larifari hatte er sich seines Lebtags nicht viel be-
faßt. So hatte er es auch während seiner Amts-
thätigkeit nie mit allzuviel Schreiberei gehalten.
Ja es ging sogar die dunkle Sage, es hübe sich
die Repofitur in unmittelbarer Nähe der Rauch-
kammer befunden, wenigstens sollen gar manche
Aktenstücke stark angedunkelt gewesen sein. — Aber
die Buchen- und Eichenbestünde an den Bergabhän-
gen des jenseitigen Schwalmufers, die zeugten von
seinen praktischen forstlichen Kenntnissen, von der
Pflege, die er seinem geliebten Walde angedeihen ließ.
Und dann erst die Jägerei. War das nicht das
ureigenste Feld der Thätigkeit für einen Forst-
beamten der guten alten Zeit?
Auf allen Gebieten des Jagd und Fischerei-
Wesens wußte er Bescheid. Das zeigte sich auch äußer-
lich. Das niedere, durch das die schmalen Fenster
umziehende Weinlaub in grünliche Dämmerung
ehüllte Wohnzimmer war rings an den Wänden
icht besetzt mit stattlichen Geweihen und seltnen
Rehbockstangen. Und jedes dieser zum Theil
prächtigen Exemplare hatte ferne Geschichte.
Was alles für schier unglaubliche, höchst wun-
derbare Ereignisse sich zugetragen, ehe der
unerschrockene Weidmann die Träger dieser Ge-
hörne zw Falle gebracht, das war ein nie ver-
siegender, und stets anregender und belustigender
Erzählungsstoff. In späteren Jahren wurde er
oft selbst irre und verwechselte wohl zum Ergötzen
seiner Zuhörer die Geschichten der einzelnen
Glieder der Sammlung.
In dem Wohnzimmer hing auch neben der
guten alten Doppelflinte ein Blasrohr von be-
trächtlicher Länge. Mit diesem Instrumente er-
legte er Sperlinge.
Gerade über der ehemals grünen, nun vom Regen
verwaschenen und vom Zahn der Zeit stark be-
nagten Hausthür hing das Knochen- oder rich-
tiger Grätengerüst eines riesigen Hechtkopfes.
Wir Kinder betrachteten dieses gebleichte, an einen
Drachen aus unserem Märchenbuch etwas erinnemde
Ungeheuer stets mit einem gelinden Gruseln, so-
viel sich auch der alte Herr mühte, uns begreiflich
zu machen, daß es ein sehr wohlschmeckender
Hecht mit dem stattlichen Gewicht von 30 Pfunden
gewesen sei, — und die althessischen Pfunde waren
noch um ein Weniges schwerer, als die heutigen Halb-
kilos. Auch daß er selbst, unter Affistenz des
alten Uferaufsehers, des „Schmitthannes," dieses
Prachtstück eines Schwalmhechtes gefangen, hat
er uns unzählige Male mit allen Einzelheiten
erzählt. Nicht wie Hans oder Kunz diese Ge-
schichte erzählt haben würden, nein, er verstand
244
es, seine Zuhörerschaft, gleichviel, ob alt oder
jung, zu spannen. Daß er dabei ab und an et-
was derbes Jägerlatein mit hinein flocht in die
Schilderung seiner Jagdabenteuer, je nun, das
machte die Sache nur lustiger.
Da hatte er auch ein Mal zwei durchpassiren-
den Fremden im Gastzimmer der „Post" einen
tüchtigen Bären aufgebunden, und davon erzählte
er später noch mit kindlicher Freude. Es war
zur Zeit, als noch die Thurn und Taxis'sche
Personenpost eine Hauptstation in dem Dorfe
gehabt. Eine Hauptstation jedoch nur insofern,
als man bei der drallen Wirthin in der „Post"
sehr gut speiste und trank. Daher kam es, daß
fast sämmtliche Reisende die heißen, unbequemen
Wagen verließen, und der berühmten Küche der
„Post" die gebührende Ehre anthaten.
Für den alten Herrn war es eine angenehme
Unterbrechung des täglichen, sich eigentlich ereig-
nißlos abwickelnden Lebens, wenn er ab und zu
ein Stündchen in der Post verbrachte, so um die
Zeit, wenn die abendliche Personenpost eintraf.
Man hörte doch zuweilen etwas von der Welt
da draußen. Zu jener Zeit, da das Dampfroß
noch nicht schnaubend die Lande durchflog, unter-
nahm man ja weit seltener eine Reise, besonders
Leute vom Schlage des alten Försters haßten
das Reisen als etwas höchst Widerwärtiges.
Aber einmal Fremde sehen, ihnen einige Jagd-
abenteuer erzählen, welche die Leute dann in ihrer
ganzen Ungeheuerlichkeit an andere Menschen
weiter berichten mochten, das war für unsere
guten Alten gewiß ein harmloses Vergnügen.
Da waren auch ein Mal zwei junge Reisende
dem staubigen Wagen entstiegen und in das
große, luftige Gastzimmer gekommen. Unser alter
Freund hatte an einem Tische sitzend den „Jäger
aus Kurpfalz" gepfiffen und mit den Fingern
den Takt auf der Tischplattte getrommelt. „Sind
das zwei schwanke, lang aufgeschossene Jungen,"
dachte er, als die Beiden laut lachend über die
Schwelle schritten.
Die überflogen mit schnellem Blicke den Raum
und steuerten dann, nachdem sie sich durch einen
leichten Stoß mit den spitzen Ellenbogen verstän-
digt, direkt auf den Tisch des alten Herrn zu.
Es waren junge Kaufleute aus der freien
Reichsstadt Frankfurt.
Mit einem ironischen Schmunzeln betrachtete
der Alte diese Jünglinge aus der Großstadt.
Sie trugen so enge Beinkleider, daß ihm bange
wurde, es werde ihnen unmöglich sein, sich zu
setzen. Zu seinem Erstaunen brachten sie jedoch
dies schwierige Kunststück mühelos fertig. Die
Ärmel der Röcke wetteiferten im Raummangel
mit den Beinsutteralen, und die- Halsbinden um-
schloffen die dünnen Hälse so fest, daß der Weid-
mann, — welcher nur selten bei großer Kälte
ein Halstuch trug, sich aber nimmermehr zu sol-
cher „Erstickungsmaschine" bequemt haben wür-
de — ganz ängstlich mit dem Finger unter seinem
Hemdkragen herfuhr; gleichsam als mangele ihm
schon beim Anblick eines solchen Folterinstruments
die nothwendige Luft zum Athmen.
Die beiden Jünger Merkurs hatten alsbald,
mit der allen Handlungsreisenden angeborenen
— sagen wir — Kühnheit, eine Unterhaltung
begonnen, und der alte Herr hatte es auch so-
fort heraus bekommen, daß sie sich über seine Er-
scheinung, - die so ganz verschieden war von
ihrem eignen geschniegelten Äußern, — lustig
machten. Es war unverkennbar, sie wollten dem
schlichten, alten Manne imponiren, ihn gewisser-
maßen verblüffen. Da waren sie aber an den
Unrechten gerathen.
Eben brachte das saubere Mädchen, — Kellner
hatten sie im Dörfchen nicht, — zwei Portionen
köstlich duftenden Schwalmhechts, nach den be-
rühmten Edderhechten die besten im Hessenlande.
Daher mußten die Frankfurter hier unbedingt
„Hecht" essen. Ein schelmisches Lächeln zuckte
um den Mund des Alten, als er sah, wie die
Reisenden nunmehr ihr ganzes Interesse den
Fischen zuwendeten; umsomehr, da die Zeit drängte,
denn der Postillon machte sich schon bemerklich,
um die Fahrgäste zur möglichsten Eile zu mahnen.
„Wartet" dachte er „Der Hecht soll Euch keine
Magenbeschwerden machen;" dabei gab er dem
ruhig unter seinem Stuhl am Boden liegenden
Dachshund einen leichten Stoß mit dem Fuß.
Der Hund hob den Kopf und sein Herr, sich zu
ihm niederbeugend, raunte leise: „Waldmann,
leid's nicht, die wollen essen."
Mit einem jähen Satze setzte der braune,
schiefbeinige Geselle unter dem Tische hervor, und
Made als die Reisenden die ersten Biffen zum
Munde führten, sprang er knurrend und zähne-
fletschend auf einen zwischen den Beiden stehenden
teeren Stuhl mit der unverkennbar deutlichen
Absicht, im nächsten Augenblick auf den Tisch
vorzudringen.
(Schluß folgt.)
245
Kandgraf Philipp der Großmüthige
««> die Kaneri«.
Der Landgraf hatte einst, nachdem's bewilligt,
Und, weil's zum Schutz des Reiches, auch gebilligt,
Im Lande eine Schatzung ausgeschrieben,
Die auch sogleich ward strenge beigetrieben.
Und als der Landgraf zu derselben Zeit
Sich eines Tags in schlichtem Jägerkleid,
Von keinem Unterthan so leicht erkannt,
Mit dem Gefolge auf der Jagd befand,
Von fern er eine Bäu'rin kommen sah;
Er hält sie freundlich an, als sie ihm nah':
„Was," fragt er, „tragt ihr auf dem Kopfe da?"
„Ach, Herr, von meinem Garne ein Gebund." —
„Wohin wollt ihr damit in ftüher Stund' ?" —
„Zur Stadt, will sehn, ob ich's verkaufen kann,
Zu zahlen diese neue Steuer dann,
Die unser Landgraf jetzo ausgeschrieben,
Von der kein Unterthan verschont geblieben;
Ach!" fuhr sie unter Weheklagen fort,
„Vielleicht gelingt's mir erst am zehnten Ort,
Nach stundenlangem, mühevollem Laufen,
Das Garn an einen Händler zu verkaufen."
Drauf fragt der Landgraf sie nach einer Weil':
„Wie viel beträgt es denn auf euren Theil?" —
„Ach, leider einen vollen Gulden fast!
Gar schwer drückt uns die neue Steuerlast!"
„Nehmt," spricht der Landgraf, „diesen Gulden hier,
Bringt ihn aufs Amt, das Garn behaltet ihr." —
„Gott mög's euch, edler Junker, zehnfach lohnen
Und euch mit jedem Mißgeschick verschonen!
Ich aber wollte," sie hinzu noch setzt:
„Daß unsrem Herrn Landgrafen glühend jetzt
Solch Sündengeld auf seinem Herzen läge!"
Noch einmal dankend geht sie ihre Wege. —
Der gute Landgraf aber herzlich lacht,
Da ihm die Sache wahrhaft Spaß gemacht,
Und wendet zu den Jagogefährten sich:
„Schaut, ist es nicht ein Handel wunderlich,
Daß ich für meines eignen Geldes Gabe —
Des Weibes bösen Wunsch erkauft mir habe?"
Karl Iiinck.
Ihr ttttfr mir.
Sonnenschein, Sonnenschein,
Grüße mir die Rose fein,
Die ich bis zum jüngsten Tag
Hüten möcht' im Rosenhag!
Sonnenschein, Sonnenschein,
Lächle du
Sanft ihr zu
Glück und Ruh!
Sonnenschein, Sonnenschein,
Dring' auch in mein Herz hinein!
Ach, ich bin ja so verlassen,
Liebe säend, ernt ich Hassen!
Sonnenschein, Sonnenschein,
Lachst du ihr,
Scheinst du mir,
Dank' ich dir.
Kurt Hluhn.
Aus alter und neuer Zeit.
Der I. September ist der Todestag eines hessischen
Kunstgclehrten, der anfänglich wenig bekannt, sich
rasch den Namen eines der bedeutendsten Kenner der
Gothik erwerben sollte, des Professors und Uni-
versitätsarchitekten vr. I. Friedrich Lange, der an
dem genannten Tage des Jahres 1870 zu Marburg
verstarb. Geboren war Layge am 5. April 18 l l
hier in Kaffel, wo sein Vater die Stelle eines Wasser-
baumeisters inne hatte. Nachdem Friedrich Lange
mehrere Jahre das Gymnasium seiner Vaterstadt
besucht hatte, auch Schüler der höheren Gewerbeschule
gewesen war, widmete er sich auf der hiesigen Kunst-
akademie dem Studium der Architektur. Nachdem
hörte er in Göttingen bei Jakob Grimm und Otfried
Müller Kollegien und begab sich dann zu seiner
weiteren Ausbildung auf Reisen in die Rheinprovinz,
nach Italien und England, um die dortigen Kunst-
denkmale des Alterthums und des Mittelalters durch
eigene Anschauung kennen zu lerne» und zu studiren.
Hier erweiterte sich sein Wiffen und schärfte sich sei«
Kunsturtheil. In seine Heimath zurückgekehrt, wurde
er 1838 zum Zeichenlehrer an.dem Gymnasium zu
Fulda ernannt, auch wurde ihm später der Turn-'
unterricht an demselben übertragen. Bis zum Jahre
1851 verblieb er in dieser Stellung, dabei unablässig
bemüht, sich in dem Studium der Architektur und
der Archäologie fortzubilden. Die Resultate seiner
Studien legte er in der Zeitschrift für hessische Ge-
schichte und Landeskunde nieder; Band IV derselben ent-
hält u. a. den von ihm ausgearbeiteten Entwurf zu einer
historisch-artistischen Darstellung der hessischen Kunst-
denkmale vom Jahre 1844. Im Jahre 1847 gab
er ein Schriften über die Baudenkmale und Alter-
thümer FuldaS heraus. Der Bewegung des JahreS
1848 schloß er sich insofern an, als er ein Mit-
begründer der dortigen Turngemeinde war und die
Turnübungen derselben leitete. In demselben Jahre
wurde ihm seitens des Ministeriums des Inner« die
Restauration der Kirche in Hayna übertragen, welche
Aufgabe er in trefflichster Weise löste. DieS soll
246
darnach dieselbe Behörde bestimmt haben, von ihm
einen Bericht über die Restauration der Elisabethkirche
in Marburg einzufordern, welche am 3- August 1847
durch einen Wolkenbruch, besten Wafferströme in
die Gewölbe der Kirche eingedrungen waren, sehr
bedeutend gelitten hatte. Der Bericht Lange's wurde
für so zweckdienlich gehalten, daß ihm bald darauf
die Ausführung der Restauration der Elisabethkirche
übertragen wnrde. Nach einer anderen Lesart soll
fich jedoch die hessische Staatsregierung bezüglich der
Restauration der Elisabethkirche an einen bekannten
Gothiker in Straßburg, irre» wir nicht, an Auf-
schläger, gewandt haben mit dem Ersuchen, einen
Architekten in Vorschlag zu bringen, dem man die
Restauration eines so denkwürdigen Baues mit Ver-
trauen übertragen könne. Da habe denn der Straß-
burger geantwortet:
Warum in die Ferne schweifen.
Sieh', das Gute liegt so nah',
und ganz besonders auf die Bedeutung Lange's auf-
merksam gemacht, der alle Eigenschaften besitze, um
die Restauration der Elisabethkirche und der sonstigen
ältere» Bandenkmale in Kurheffen stilgemäß in der
gediegensten Weise auszuführen. Da würde ja in
gewissem Sinne der alte Spruch »der Prophet gilt
nichts in seinem Vaterlande" sich wieder bewährt
haben; kurz, erst vo.n jener Zeit an datirt der Ruf
Lange's auch i« seinem Heimathlande Kurhessen.
Auf Antrag der philosophischen Fakultät Marburg
wurde Lange durch kurfürstliches Reskript vom 7. März
1851 zum Universitäts-Architekten nnd außerordent-
lichen Professor ernannt. Er hielt in den ersten
Semestern Vorlesungen über deskriptive Geometrie,
Steinkonstruktionslchre, Kunstgeschichte u. s. w., die
sich einer sehr günstigen Aufnahme seitens der Stu-
direnden erfreuten.
Außer der Restauration der Elisabethkirche in
Marburg wurde dem Professor Lange auch die Restau-
ration der Michaelskirche in Fulda, einer der ältesten
Kirchen Deutschlands (erbaut von Abt Eigil, 817
bis 822; s. Nr. 12 unserer Zeitschrift), übertragen,
über welche Lange eine interessante Monographie
veröffentlicht hat. Von seinen Schriften wollen wir
hier nur noch eine nennen, es ist die Fortsetzung des
berühmten Hoffstadt'schen Werkes »Gothisches A.B.C.-
Buch", oder »Grundregeln des gothischen Stils für
Künstler und Werkleute", die leider nur Fragment
bleiben sollte.
Bei allen seinen Arbeiten erwies sich Lange als
einen für dir Blüthezeit des gothischen Stiles be-
geisterten Künstler von feinstem Kunstverständniß,
dessen eifriges Streben, dessen Wiffen und Können
die höchste Anerkennung verdienen. gf. I.
— Als 1792 Custine am Maine stand und
Hessen mit einem Einfalle bedrohte, rührte sich im
ganzen Volke eine Kampflust, wie nur die
glühendste Vaterlandsliebe sie zu erzeugen vermag,
und allenthalben rüstete man sich, die verhaßten
Franken blutig zu empfangen. Als in der Diemel-
gegend ein Reisender ein zwischen mehreren Bauern
geführtes Gespräch mißverstand, erhielt er auf seine
Bemerkung, daß ja hier vom Feinde nichts zu fürchten
sei, die Antwort: »£> Herr! fürchten thun wir
uns auch nicht; wir haben uns nur verabredet, wie
wir unser Hauswesen bestellen wollen, denn wenn es
zum Klopfen kommt, bleiben die Diemelfüchse wahr-
haftig auch nicht daheim."
Ein anderer Reisender beklagt sich, daß er zu
Vacha einen ganzen Tag habe verweilen müssen, weil
der Posthalter, ein ehemaliger Dragoner-Wachtmeister,
mit seinen Postillons und einer Schaar berittener
Bürgerssöhne Exerzier-Uebungen angestellt habe, und
erzählt, daß ihm auf seine Beschwerde barsch entgegnet
worden sei: »Herr, jetzt ist es keine Zeit zum Reisen;
jeßt muß mau sich zum Kampfe vorbereiten."
Selbst solche, welche wegen Alters oder wegen Un-
abkömmlichkeit schon lange verabschiedet oder in über-
zähligen Stand gesetzt waren, stellten sich wieder frei-
willig. So meldeten sich namentlich einige entlassene
Leibdragoner, nachdem ihr Regiment aus dem Feld-
zuge in der Champagne zurückgekehrt war, wieder
zum Dienste und entgegneten auf die Bemerkung
des Kommandeurs, daß sie ja ihren Abschied hätten:
»Herr Oberst! V o r dem Ausbruch des Krieges
haben wir allerdings diese Bitte gestellt, während
des Krieges aber nimmt kein hessischer Leibdragoner
seinen Abschied." Sch«,.
— Ein hessisches Kadetten-Lied von
177 9. Im Jahre 1779 erschienen in der Waisen-
haus-Druckerei zu Kaffel »Hessische Kadettenlieder".
Herausgeber derselben war Karl Samuel Wi-
gand, Hofmeister bei dem hessischen Kadettencorps*).
Im Jahr 1782 erschienen dieselben ohne des Verfaffers
Vorwiffen in Musik gesetzt von dem Hofmusikus
G. E. Grosheim, 1783 erfolgte ein zweites
Bändchen und 1788 eine vermehrte und verbesserte
Ausgabe beider Bändchen mit Melodien von I. G.
Vierling. Der ersten Sammlung entnehmen wir
ein Gedichtlein, welches den Titel »Exercier-Liedcheu"
*) Landgraf Friedrich II. stiftete im Jahr 1778 das
Kadettencorps, in welches die Jünglinge von Adel, die sich
dem Mlitair widmen wollten, auf Kosten des Landgrafen
aufgenommen wurden. Ein sehr angesehener Offizier,
Oberst Wittenius, stand an der Spitze der gegründeten
Anstatt, Capitain Mauvillon und mehrere Professoren des
Carolinums ertheilten Unterricht und ist mancher tüchtige
Offizier aus diesem Institut hervorgegangen, über welches
General von Schliessen die Oberaufsicht führte.
247
führt und die Anschauungsweise kennzeichnet, die damals
im hessische» Kadettencorps herrschte. Das Lied
lautet:
Heran, ihr Brüder, frisch heran!
Zum Exerzieren her!
Patrontasch' um, den Säbel an,
Ergreifet das Gewehr.
In Reih' und Gliedern stehen wir.
Nicht achtend Müh' und Schweiß,
Wetteifer» voller Ruhmbegier
Nur nach des Beifalls Preis.
Marschiren schnurgerade auf,
Und schlage» männlich an.
Dann steht und merkt bewundernd drauf
Gar mancher Kriegesmann.
Mich reizt nicht, wenn Gewehre klirr'».
Der Vögel Lustgesang,
Mich reizet nur beim Exerzier'»,
Der rasche Waffenklang.
Ganz Ohr für das Commando blos,
Auch für den Flügelmann,
Lern' ich, daß ich, bin ich einst groß,
Auch kommandiren kann.
Und wenn dann Friedrich um uns ist,
Und, hoher Gnade voll,
Uns Beifall lächelt, — Brüder wißt.
Dann ist mir erst recht wohl.
Und unsern Obersten entzückt
Auch dieser Mühe Preis,
Und sein vergnügter Blick erquickt
Uns dann für unsern Fleiß. . Schwk.
Aus Heimath und Fremde.
Kassel. In der.Nacht vom 20. auf den 21. d. M
starb zu Fulda im Alter von 68 Jahren Karl
Kind, ein Mann, der sich wegen der Aufrichtigkeit
und Biederkeit seines Charakters der allgemeinen
Achtung, Wege» seiner trefflichen gesellschaftlichen
Eigenschaften der größten Beliebtheit erfteute. Seine
Jugend war in manchen Beziehungen eine bewegte,
insofern er in der Mitte der 40er Jahre an dem
Kriege der Republik Texas gegen Mexico, sowie
1849 an dem Kampfe für- die deutsche Reichs-
verfaffung in Baden aktiven Antheil nahm. Geboren
zu Burghaun als der älteste Sohn des Rentmeisters
Georg Kind — seine Mutter war eine Enkelin des
früheren fürstlich fuldaischen Kanzlers Eberhard von
Kaiser — besuchte Karl Kind einige Jahre das
Gymnasium zu Fulda und widmete sich dann der
Landwirthschaft. Auf der landwirthschaftlichen Lehr-
anstalt zu Schleißheim bei München, welche damals
sich eines ausgezeichneten Rufes erfreute, machte et
seine theoretische» Studien. Hiernach absolvirte er
seine» Militärdienst bei der kurhessischen Garde du
Corps. Zu Anfang der 40er Jahre bestand in
Deutschland, eine außerordentliche Auswanderungslust,
und das ersehnte Laad, auf welches hauptsächlich die
Hoffnungen der Auswandernden gingen,, war die
Republik Texas, welche sich ihre Unabhängigkeit von
dem Staate Mexico durch blutige Kriege zu Ende
der 30er Jahre erkämpft hatte.
Im Herbste 1845 wanderte Karl Kind mit
mehreren Jugendfteunden nach Texas aus und ließ sich,
dort angekommen, zunächst als Farmer in der Nähe von
Galveston nieder. Damals waren auch noch viele
Bürger der nordamerikanischen Union nach Texas
übergesiedelt, die es durchsetzten, daß die Texaner um
die Aufnahme in die Union nachsuchten, welche denn
auch 1845 stattfand. Die mexikanische Regierung
widersetzte sich diesem Vorgehen und da noch weitere
Differenzen zwischen Mexico und der Union hinsichtlich
Texas bestanden, so kam es zum Kriege. Präsident
der Union war zu jener Zeit der Demokrat James.
Knox Pylk. Der amerikanische GeneralZachary Taylor,
Nachfolger Polk's auf dem Präsidentenstuhle, rückte
in den Staat Mexico ein. Karl Kind war in das
texanische Heer, welches unter dem Oberbefehl Taylor's
stand, als von der Mannschaft gewählter Offizier
eingetreten und machte als solcher gegen den mexikanischen
General Arista die siegreichen Gefechte am Rio Grande
und bei Matamoros im Frühjahr 1846 mit. Das
Resultat des Kampfes war, daß. die Mexicaner von
den amerikanischen Generalen Taylor und Scott fast
in allen Schlachten geschlagen wurden und daß General
Scott am 14. September 1847 in die Hauptstadt
Mexico einrückte, worauf am 2. Februar 1848 der
Frieden geschloffen wurde, in welchem Mexico alle
Ansprüche auf Texas aufgeben mußte. Als Lohn für
seine Theilnahme an dem Kriege erhielt Karl Kind
in späteren Jahren, als er schon längst in sein
Heimathland, Kurheffen, zurückgekehrt war, einige
Acres Unionsland, die er durch Vermittlung des
amerikanischen Generalkonsuls Walton Murphy in
Frankfurt a. M. amerikanischen Ansiedler» käuflich
überließ. Das Jqhr 1847 führte Karl Kind nach
Deutschland zurück. In Fulda angekommen, betheiligte
er sich dort an der Bewegung des Jahres 1848,
war Mitbegründer und eifriges Mitglied der dortigen
Turngemeinde, und als im Mai 1849 in der Rhein-
pfalz und in Baden der Kampf zur Durchführung
der deutschen ReichSverfaffung begann, da schloß er
sich den Hanauer Turnern unter August Schärtuer
an, und nahm Antheil a« dem Gefechte von Hirsch-
348
Horn am 15.Junil84S, welches die. Hanauer
Turner gegen kürhesflsche (3. Regiment), bayerische
und mecklenburgische Truppen unter dem-Befehl des
kurhessischen Obersten Weiß bestanden. Als kriegs-
erfahrener Manu mochte Karl Kind wohl das Aus-
sichtslose des, Kampfes einsehen,- er kehrte daher nach
dem Gefechte von Hirschhorn nach Fulda zurück.
In späterer: Zeit errichtete er daselbst ein photo-
graphisches ^Atelier und manches wohlgelungcne Bild
ist aus - demselben hervorgegangen. Im Uebrigen
verbrachte er sein otium vum ckiAmtato. Karl Kind
besaß ein nicht gewöhnliches Talent für mechanische
Arbeiten, wie denn überhaupt die Praktische Richtung
bei ihm vorherrschend war, und manches nette Klein-
stück, auch humoristischer Art, ist von ihm angefertigt
worden. — Dem Verblichenen, dem Manne ohne
Arg und Falsch, dem deutschen Biedermanne in des
Wortes vollster Bedeutung, dem treuen in allen
Lagen deS Lebens zuverlässigem Freunde, werden Alle,
die ihn kannten, ein ehrenvolles Andenken bewahren.
Friede seiner Asche! A. I.
— In Nr 2 deS »HessenlandeS- brachten wir an-
läßlich des Sv jährigen Jubiläums des berühmten
Orgelvirtnosen und Komponisten Professor Dr. Wil-
helm Bolckmar in Homberg eine kurze Notiz,
verbunden mit einer biographischen Skizze, und leider
sind wir schon hmte, in Nr. 17 unserer Zeitschrift
gezwungen, unsere Leser von dem plötzlichen Ableben
des berühmten Musikers in Kenntniß zu setzen. Am
27. d. M. hat Bolckmar in Homberg die Augen
für immer geschloffen. Eine eingehendere Besprechung
der Verdienste des Verblichenen behalten wir uns vor,
bemerke» nur gleich heute, daß sowohl die Musik im
Allgemeinen, als auch vor Allem das Seminar zu
Homberg einen schwer zu ersetzenden Verlust durch
Volckmars Tod erlitten hat.
— Wir erfahren aus Halle, daß dort die
Fürstin AngusteznUsenburgund Büdingen,
aus Wächtersbach, die älteste und Lieblingstochter des
Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Hessen, welche im
April d. Ä. ihren Gemahl, den Fürsten, wegen einer
Staar-Operation nach Halle begleitete, um ihm als
treue Pflegerin zur Seite zu sein, dort schon im
Mai selbst erkrankte und die Krankheit in den letzten
Wochen, trotz aller ärztlichen Hülfe, einen so lebens-
gefährlichm Verlauf nahm, daß fast alle Hoffnung
auf Wiedergenesung geschwunden ist. Die Fürstin,
welche bekanntlich mit ganzem Herzen an ihrer hes-
sischen Heimath hängt, hatte sich zuletzt hessische
Diakonissinnen von Kassel zur Pflege komme»
lassen. Sowohl ihr Gemahl, der Fürst, als auch
der Bruder der Erkrankten, der Prinz Philipp von
Hanau, haben -das Krankenlager. der hohen Frau
seit-vier Monaten nicht verlassen und in den jüngsten
Tage» wurden auch die Kinder der Fürstin- - tele-
graphisch nach Halle berufen. In allen, hessische»
Kreisen wird unsere Nachricht die innigste Theilnahme
erwecken.
— Hutten-Sickingen - DeAknräl. Vor
: einigen Tagen fand auf der Ebernburg bei Kreuznach
; eine Versammlung des Comitss für Errichtung des
i Hutten-Sickingen-Denkmals statt, in. welcher u. A.
beschlossen wurde, daß am 2 t. April nächsten Jahres,
dem Tage, an welchem vor 400 Jahren Ulrich von
.Hutten auf der Steckelburg das Licht der Welt er-
' blickte, der Grundstein zu dem Denkmal gelegt werden
soll. -
— So eben ist der »Althessische Volks-
kalender“ für 1888, herausgegeben, gedruckt und
verlegt von W.Hopf in Melsungen, erschienen.
Gleich seine» Vorgängern zeichnet er sich durch die
Reichhaltigkeit des in demselben behandelten Stoffes
aus. Wir finden darin ein ausführliches Kalendarium,
eine Chronik denkwürdiger Ereignisse aus der hessischen
Geschichte, unter der Ueberschrift »Praktika" «. A.
den Post- und Telegraphentarif; hierauf folgen Rath-
schläge für Haus- und Landwirthschaft. Aus der
zweiten Hälfte des Kalenders, welche mehr der Unter-
haltung gewidmet ist, heben wir ganz besonders ein
Gedenkblatt für Ulrich von Hutten zu dessen 400-
jährigem Geburtstag (mit Portrait) hervor. Der
»Althessische Kalender", der sich seit den 13 Jahren
seines Bestehens mit jedem Jahrgange neue Freunde
in unserem Heffenlande erworben hat und sich einer
sehr großen Verbreitung erfteut, ist in der That ein
Volksbuch, das in keiner hessischen Familie fehlen
sollte. Auch äußerlich präsentirt sich derselbe sehr
Vortheilhaft durch seinen reichgezeichneten Umschlag,
dessen Rückseite den hessischen Löwen nach dem von
Gustav Kaupert modellirten bekannten kurfürstlichen
Tafelauffatz zeigt.
Briefkasten.
L. in Reden. Entschuldigen Sie, daß wir Ihren
interessanten Artikel noch nicht gebracht haben. Wegen
Raummangels, hervorgerufen durch eine große Anzahl von
Artikeln, die schon früher als der Ihrige eingegangen waren,
mußten wir denselben zurückstellen. Gestatten Sie uns
übrigens, hier und da Kürzungen eintteten zu lassen, und
empfangen Sie unsern besten Dank..
B. H. in Fulda. Dem ausgesprochenen Wunsche sind
wir in der heuttgm Nummer unserer Zeitschrift nachge-
kommen.
W. K. in Kassel. Sehr willkommen.
Verantwortlicher Redatteur und Verleger F. Zwenger in Kaffel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hcjscnland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Ansang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von V/2—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Zordanstraße l5, und die Buchdruckerei von Fried r. Scheel, Schloßplatz 4^
Bestellungen an. Zn der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hejscnlav-" eingetragen unter Nr. 2547g., 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 18 des „Hessenlandes": „Die Ruhe" von Th.Kellner; „EinNotizbuch des Kurfürsten Wilhelm I."
von W. Rogge-Ludwig; „Sprüche an alten hessischen Bauernhäusern" von M. Herbert; „Einer von altem Schrot und
Korn", Skizze von F. Storck (Schluß); „Der See bei Oberellenbach", Gedicht von Brunner; Aus alter und neuer
Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau. Brieflasten. Einladung zum Abonnement.
>i.e Kühe.
ch habe einst sie Wohl gekannt —
' Fast unbewußt war sie mir lieb.
Mir herzlich nah', mir hlulsverwsnök.
Mm weih ich selbst nicht, wo sie blieb.
Ich suchte nach ihr Tag unö Nacht —
In Straßen, Hausern sucht' ich sie.
Ich hab' gesorgt unö hab' gewacht.
Ich ries sie laut. Sie hörte nie.
Ich fuhr ihr nach in's ferne Tanö
Nach Dst unö Süö, nach West unö Norö.
Anö nirgenös ich sie wieöerfsnö,
Nicht auf örr See unö nicht-im Port.
Doch als ich neulich weinenö stsnö
Am Freunöesssrg — trat sie herein
Im Fluge nur unö mif öer Hsnö
Hinwies sie auf öm Toökenschrein.
„Mit öem einst stanö. ich Du auf Du,
So wie mit Dir — unö warö ihnr fremö.
Nun braucht er Keine Wsnöerfchuh —
Nun liegt er still im Toökenhemö.
Nun liegt er still in meinem Arm."
Ls traf mich sehnsuchkstzeiß ihr. Mich.
Da Kam öer Trsuergsfle Schwarm
Nnö wie rin Hauch wich sie zurück.
Hh. Kellner.
250
Km Molybuch des Kurfürsten Wilhelm I.
von W. Kogge-Ludwig.
n dem Nachlasse eines ohnlängst Verstorbenen,
dessen Familie mit den drei letzten Kur-
fürsten in näherer Beziehung gestanden, hat sich
ein Büchelchen vorgefunden, welches eigenhändig von
Kurfürst Wilhelm I. während seiner Verbannung
in Itzehoe und Prag in den Jahren 1806 bis
1813 geschriebene Befehle an seine Beamten und
außerdem einige für die Geschichte dieser Zeit
beachtenSwerthe Angaben und Bemerkungen ent-
hält. Den Anfang machen in bezeichnender Weife
Abschriften aus Zerrenners „Morgen und Abend-
feier" mit der Ueberschrift „Leiden nach Gottes
Willen," welche auch das Büchelchen selbst auf
seinem sehr einfachen Umschlag von blauer Pappe
trägt. In dem von dem Kurfürsten gewählten
Abschnitt aus dem Buche Zerrenners wird darge-
legr, daß Leiden gar mancher Art des Menschen
Loos seien, wobei dann kein Gedanke mehr Trost
verleihe, als der: „Wir leiden nach Gottes Willen."
ein Gedanke, welcher aber nur dann für uns recht
beruhigend und erfreulich sei, wenn wir das Be-
wußtsein hätten, daß wir uns nicht die Leiden
als natürliche Folgen unserer Unbesonnenheit
selbst zugezogen hätten. Der Umstand, daß der
Kurfürst in der von ihm genommenen Abschrift
es keinmal versäumt hat, die darin vorkommen-
den Worte: wir, uns, unsere mit großen An-
fangsbuchstaben zu schreiben, zeigt, daß er den
Inhalt der Schrift gänzlich auf sein eigenes
Schicksal bezogen hat. Eine am 20. Juli 1808
erfolgte Instruktion an den Major v. Thümmel
bei der Abreise von Itzehoe und eine Disposition
bei der Abreise von Prag lassen erkennen, mit
welch' peinlicher Sorgfalt der Kurfürst auf die
Sicherheit seines mitgeführten Geldschatzes und
aller Effekten bedacht war. In der Disposition
zu „Meine Abreise von Prag" wird u. a. Fol-
endes bestimmt: „1. Das sämmtliche Depot,
efiehend aus drei Kisten mit Coupons, sieben
Koffern mit Obligationen und zwei Kisten mit
Pretiosen, wozu der große Frachtwagen bestimmt
ist, bleibt unter der Oberaufsicht des Kriegsraths
Schminke und des KriegskommiffarS Kn atz
in Prag, die Inspektion wird Dellbrueck und
dem Pedell Scharfer anvertraut.
2. Ist während des hiesigen Aufenthalts eine
prompte Verrückung nöthig, so wird das Depot
eiligst durch Dellbrueck und S ch a e f e r über
Königsgrätz und Nachod nach Glatz gebracht,
vom Kriegskommissar Kn atz aber dahin zur
Ueberlieferung an den Preußischen Gouverneur
oder Kommandanten mit einem Handschreiben
gebracht.
3. Blos in dem Falle, wo Heffen schon von
alliirten Truppen besetzt wäre und der Zwischen-
raum gänzlich sicher sei, gehen die Kisten mit den
Coupons und Pretiosen mit Mir ab, das übrige
Depot der sieben Obligations-Coffres erwartet
Meinen Befehl gleich nach Meiner Ankunft in
Heffen.
6. Die beyden Chatouillen gehen gleich mit
Mir ab.
7. Bei der zurückgelaffenen Hofhaltung cessirt
die eigene Küche gänzlich und wird xr. töte das
Effen aus einem Gasthofe bezahlt.
8. Sämmtliche Equipage an Pferden und Leu-
ten geht gleich ab mit Mich.
9. Alle Meubles werden nach dem Jnventario
zum Höchsten Preiß verkauft, wozu vielleicht
bei Gr. Ledebur oder durch aueticm Gelegen-
heit ist.
Der Kurfürst hat sodann in dem Buche spe-
ciell die 54 Tage angegeben, an welchen er in
Itzehoe und Prag an Podagra und Chiragra
gelitten hat, auch alle seine hessischen Militair-
stellen, welche im Jahre 1749 mit seinem Ein-
tritt als Cadett und Unterofficier bei dem 1.
Bat. Garde-Grenadiere beginnen, sowie daneben
auch seine Ernennungen im preußischen Müitair-
dienst aufgeführt. In letzterem ist er im Jahre
1778 zum Generalmajor, 1797 zum General-
feldmarschall, 1800 zum Gouverneur von Wesel
und 1801 zum General-Inspecteur in Westphalen
ernannt.
In einem in französischer Sprache geschriebenen
Aufsatze hat er ferner »kriueixalee Epoques de la
251
Vie de Guillaume I, Electeur de Hesse* von
Jahr zu Jahr verzeichnet. Begonnen wird mit
dem Jahre 1748 »Cbansernent de reli^ion de
Son Pere Frederic II en Secret.“ 1754 „Devenu
Public.“ Auf das Verhältniß zu seinem Vater
bezieht sich dann noch die Bemerkung zum Jahre
1784 „Raccomodement paternel. Retour a
Cassel sans avoir vu Son Pere depuis 29 ans.“
Seine Aufzeichnungen enthalten fast durchgängig
bereits geschichtlich bekannte Thatsachen und mögen
davon nur hier hervorgehoben werden, daß er nach
Erwähnung der Heirath des Erbprinzen mit der
Prinzessin Auguste von Preußen und der Hoch-
zeitsfeierlichkeiten im Jahre 1797 zum Jahre
1800 unter den principales epoques seines
Lebens bemerkt: „Brouilleries entre le Prince
hereditaire et son Epouse“, und daß er bei
Anführung des Baseler Friedens (1795) schreibt:
„Hessen die Vormauer (le bqulevard) Preußens."
Von besonderem Interesse ist am Schlüsse des
Notizbuches des Kurfürsten die Aufzählung der
Summen, welche er in Itzehoe und Prag für die
Wiedererlangung seiner Staaten verausgabt hat.
Zuerst kommt folgende Notiz:
„Den 5. November 1806 schrieb zu Altona
an den französischen Kaiser, durch Bourrienne,
(französischer Gesandte zu Hamburg),
und folgen dann die verausgabten Beträge:
1. den 28. December 1806 wurde mit
obigem durch Fürst Wittgenstein eine
Negotiation zur Wiedererlangung Hessens
geschlossen und bezahlt mit 200 000 Thlr.,
2. im Januar 1807 erhielt Lagrange 175 000
Thaler,
3. im April 1807 wurde Fürst Wittgen-
stein nach London gesandt, und da Er
im April zu früh herausgekommen, durch
Versicherung des ihm vorher abgeschlagenen
Plettenbergschen Anlehens a 310 000 Thlr.
vermocht, wieder zu retourniren und
vorher nach Rußland zu reisen, sobald
er die 310000 Thaler gezogen hatte,
zog er sich heraus und hat noch keinen
Heller Zinsen gezahlt.
4. September 1807 wurde Gehling, der
die Russische Reise sowie Malsburg und
General Lehsten abgelehnt hatten, nach
Paris geschickt.
5. September 1807 begann Wächter seine
Negotiationen mit 8000 Thaler.
6. Im Mai und April 1809 wurde zu
Prag ein Corps errichtet und kostete
800000 fl. W. Cour. ladt, 200000
Thlr., rückständige Zahlungen 200 000 fl.,
50 000 Thlr. Zusammen 943 000 Rthlr.
Hess. Währung. Verlust ohne alle Reise-
kosten, Diaeten rc.
Aus diesen Angaben ergießt sich zunächst, daß
v. Berlepsch in seiner im Jahre 1817 erschienenen
Schrift „Beiträge zu den Heffen-Kaffelschen Land-
tagsverhandlungen der Jahre 1815 und 1816"
bei seiner Kritik der D. O vom 3. Febr. 1815,
betreffend die Ausschreibung der Petri- und
Martinisteuer, mit Recht sagen konnte „mit dem
Anführen, daß er arm sei, wird der Kurfürst
niemanden blenden, er hat bei seinem Re-
gierungsantritt volle Kasten gefunden und diese
stets vermehrt, er hat sieben Jahre hindurch, ohne
Landes- und Chatoulleeinkünfte zu beziehen, im
Auslande anständig gelebt, sofort 200000 Thlr.
zu Breslau in die Operationskaffe der hohen
Verbündeten gezahlt, und wie in der V. O. an-
geführt wird zur Ausrüstung des Corps von
26 000 Mann gegen Frankreich bedeutende Be-
träge vorgeschoben, der Staatsschatz ist noch
beträchtlicher, als man ihn angiebt rc."
Der Kurfürst war aber auch nach dem Notiz-
buch schon in der ersten Zeit seiner Verbannung
in der Lage, zur Wiedererlangung seiner Staaten
über so bedeutende Summen verfügen zu können.
Die Hoffnung dieses Ziel zu erreichen, hat er zu
keiner Zeit aufgegeben. Anfangs hatte er von
den vereinigten preußischen und rusfischen Streit-
kräften, sowie von England, und im äußersten
Falle von einem Friedensschluß eine günstigere
Wendung seines Schicksals erwartet, und erst
als diese Hoffnung durch den Frieden von Tilsit
vereitelt war, noch Rettung bei Oesterreich
gesucht und sich zu diesem Zwecke nach Prag
begeben.
Nachdem seine Absicht, selbst zu Napoleon
zu reisen und mit diesem direct zu verhandeln,
hatte aufgegeben werden müssen, auch die Unter-
handlungen seiner Agenten, des geheimen Raths
von der Malsburg, des Kriegsraths von Stark-
loff und des Generals von Lehsten-Dingelstädt
mit Napoleon in Berlin nicht zum Ziele geführt
hatten, übersendete er von Itzehoe aus dem
russischen Kaiser ein selbstverfaßtes Memoire
über seine Lage und knüpfte mit England Unter-
handlungen an. Zu diesem Zwecke erschien ihm
als der geeignetste Unterhändler der frühere
preußische Gesandte in Kassel Fürst Wilhelm
von Wittgenstein, welcher im Auftrag Preußens
mit England wegen einer von diesem Staate
nach dem Norden von Deutschland zu richtenden
Expedition unterhandelte.
Die Erfahrung, daß es zu allen Unterhand-
lungen bedeutender Geldmittel bedürfe, hatte er
Shon vor seiner Entthronung gemacht. Vor
em Ausbruche des Krieges zwischen Frankreich
und Preußen war ihm aus vertrauten Händen,
(von Johannes von Wellenberg, dem Bevoll-
mächtigten des römischen Kaisers), ein Schreiben
252
zugegangen, worin angegeben wird, „es sei der
Wille Napoleons, Hessen von Preußen zu isoliren
und als Mittelmacht zwischen Frankreich und
Preußen aufzustellen, der Erfolg werde durch die
Quantität der Opferpfennige bestimmt werden,
eine Neutralitätserklärung Hessens wäre wohl
möglich, wenn sie mit ein paar Millionen unter-
stützt werde, freilich müßten da viele als un-
erträglich betrachtete Dinge mit in den Kauf
genommen werden, namentlich große Zahlungen
an die habgierigen Unterhändler in Paris und
der völlige Abbruch der alten Beziehungen zu
England, ein Punkt, welcher die Hoffnung, auf
anderem Wege jene Summe zurückzuerhalten,
vollständig zerstöre."
Auch in Kassel hegte man noch in den ersten
Tagen des November (nach Aufzeichnungen eines
Zeitgenossen) die Hoffnung, die Sache werde noch
eine günstigere Wendung nehmen und nur der
Schatz des Kurfürsten stark in Anspruch genommen
werden.
In der Ansicht, daß auch nach seiner Ver-
treibung noch durch Geldopfer viel für ihn zu
erreichen sei, wurde der Kurfürst in Itzehoe durch
den im Notizbuch genannten Geyling bestärkt.
Es war dies der geheime Rath von Geilingen
in Mainz, welchem er als früheren Gesandten
in Paris großes Vertrauen schenkte. Dieser hatte
schon in den ersten Tagen des November 1806
an ihn geschrieben: „Manche der hier anwesenden
französischen Officianten sagten mir unter anderem
im Vertrauen, es scheine Alles nur darauf ab-
gesehen, Geld zu erhalten."
(Strippelmann Beiträge zur Geschichte Hessens.
Kassel 1791—1814. S. 253.)
Zu den Personen, bei welchen eine solche Ab-
sicht mit voraus zu sehendem Erfolge unter-
stellt werden konnte, scheint nun auch die nach
der Flucht des Kurfürsten in Hessen bedeutendste
und einflußreichste Persönlichkeit, der Divisions-
general Lagrange, welcher am 4. November
1806 sein Amt als General-Gouverneur ange-
treten hatte, gehört zu haben.
Professor Müller schreibt in Beziehung hier-
auf in seinem „Cassel seit 70 Jahren!"
„Der Kurfürst ließ den ihm treu gebliebenen
Offizieren anfangs während ihrer Gefangenschaft
in Frankreich Unterstützungen, (bestehend in einem
Theil ihrer Gage,) zufließen, als aber diese immer
kärglicher wurden und endlich ganz aufhörten,
gaben sie ihren Widerstand auf. Derartiges ist
aber auch dem Lagrange in Betreff der von ihm
aufgelegten Kriegskontributionen und der vom
Kurfürsten zurückgelassenen Werthsachen
nachgesagt worden. Man munkelte, er sei unter
strenger Bewachung nach Frankreich zurückgeführt
worden."
Ein noch härteres Urtheil über Lagrange fällt
vr. Arthur Kleinschmidt, Docent der Geschichte
an der Heidelberger Universität, in seiner im Jahre
1878 erschienenen Schrift „Die Eltern und Ge-
schwister Napoleon I.," indem er S. 269 schreibt:
„Polizei und Verwaltung leitete der Militair-
gouverneur Lagrange, der die ordentlichen und
außerordentlichen Landeseinnahmen für die Kriegs-
kasse beanspruchte und mit der Unverschämtheit
eines Soult zusammenraubte, was zu haben war.
Jvrüme borgte indessen in Paris schon zwei
Millionen auf seine zukünftige Einnahme" und
S. 273 „General Lagrange wurde Kriegsminister
als König Jeröme am 7. December 1807 die
Regierung antrat, hatte aber so grob und schmutzig
erpreßt und betrogen, daß er noch im December
1807 abtreten mußte."
Damit stimmt eine Angabe überein, welche
ich in dem Tagebuche eines Zeitgenossen, des
Bauraths Ludovici, gefunden habe. Er schreibt
unter dem 16. December 1807: „Heute reiste
Lagrange ab, nachdem er vorher Stubenarrest
gehabt haben soll."
Diese Lagrange betreffenden Angaben finden
nun unzweifelhaft Bestätigung in der vom Kur-
fürsten eigenhändig in das Notizbuch geschriebenen
Angabe, daß er an diesen im Januar 1807 die
Summa von 175 000 Thaler abgesandt habe.
Eine bei der Sparsamkeit des Kurfürsten so
bedeutende Summe läßt darauf schließen, daß
damit entweder eine für seine Interessen hoch-
wichtige Angelegenheit hat ausgeführt werden
sollen, oder aber, was bei der großen Vorsicht
des Kurfürsten in Geldangelegenheiten wahrschein-
licher ist, daß sie zur Belohnung für einen
ihm geleisteten sehr erheblichen Dienst gezahlt
worden ist. Da nun in der Zeit bis zum Jahre
1807 dem Kurfürsten von Lagrange kein wich-
tigerer Dienst geleistet werden konnte, als ge-
leistete Beihülfe bei der damals bereits bewirkten
Rettung des Staatsschatzes, so ist wohl die An-
nahme gerechtfertigt, daß hiermit die Zahlung
der Summe in Verbindung zu bringen sei.
Das Verdienst, diese Rettung bewirkt zu haben,
über welche immer noch, namentlich seit dem Er-
scheinen des Schriftchens von Hagedorn, so viele
sabelhafte Erzählungen verbreitet sind, gebührt un-
zweifelhaft, wie auch Lynker und andere namhafte
Schriftsteller annehmen, vorzugsweise einem dem
Kurfürsten während der westphälischen Zeit immer
treu gebliebenen kurhessischen Offizier, dem da-
maligen Hauptmann Conrad Wilhelm Mensing.
Im Besitze dessen Sohnes, des königl. preußischen
Obersten z. D. Mensing, befindet sich eine als-
bald nach der That von dessen Vater nieder-
geschriebene, von Stunde zu Stunde gehende und
vielfach durch Urkunden belegte Darstellung der
253
Art und Weise, in welcher das kühne, patriotische
Wagniß von ihm durchgeführt worden ist. Nach
diesen Aufzeichnungen, in welche mir gütigst Ein-
sicht gestattet worden, ist der viele Millionen
betragende Schatz von Mensing bereits in der
Nacht vom 9. auf den 10. November 1806 von
Wilhelmshöhe fortgeschafft worden, womit auch
eine Nachricht aus Kassel vom 14. Novem-
ber 1806 im Pariser Moniteur übereinstimmt,
welche angiebt, daß ein Theil des Schatzes des
Kurfürsten in die Fremde transportirt ser.
Nach Mensings Angaben waren die Kisten,
deren Inhalt er bei jeder einzelnen genau ver-
zeichnet hat, zum größten Theil in der Löwen-
burg in der Gruft des Kurfürsten und in einem
dortigen Keller, zum geringeren Theil im „Fron-
ton" , unter welchem nur die Kuppel des Wil-
helmshöher Schlosses verstanden werden kann,
versteckt gewesen. Mensing giebt dann genau
den Weg an, welchen er mit den vierspännigen
Wagen, auf welche die Kisten geladen worden,
genommen habe, erst zum Schein auf der Straße
nach Arolsen, dann über Zwehren durch die
Furt in der Fulda, unterhalb der Fulda auf
Umwegen nach Witzenhausen. Hier hat er einen
genau angegebenen Theil der Kisten durch seinen
Burschen Küllmer nach Frankfurt an Rothschild
dirigirt, und ist nach vielen Fährlichkeiten, zu-
meist als Fruchthändler reisend, glücklich mit
dem Rest des Schatzes in Itzehoe angelangt.
Wenn nun auch in dieser Darstellung Angaben
fehlen, welche eine geleistete Beihülfe des Lagrange
unmittelbar erkennen lassen, so sind doch darin
mehrfach solche enthalten, für welche nur durch
eine solche Beihülfe Erklärung gesunden werden
kann. Jedenfalls ist der Darstellung Mensing's
zu entnehmen, daß er mit Lagrange im Jahre
1806 in näherer Beziehung gestanden habe. Dahin
gehört die Mittheilung, daß er im December
1806 wegen Theilnahme an dem Soldatenauf-
stande verhaftet und in das Kastell zu Kassel
gebracht worden, nachdem ihn aber gleich darauf
Lagrange in seiner Zelle besucht und angegeben,
daß er sich seiner noch aus dem Feldzuge in
Flandern erinnere, am anderen Tage ohne Wei-
teres entlassen sei.
Ist die hier zu begründen versuchte Vermuthung
über den Zweck der an Lagrange gesendeten Geld-
summe gerechtfertigt, so wäre diese die einzige der
vom Kurfürsten in seinem Tagebuche erwähnten
in Itzehoe.gemachten Ausgaben, welche zu einem
glücklichen Ergebniß geführt und es ihm möglich
gemacht hat, dort sowie nachher im Jahre 1813
die so nothwendig gewordenen bedeutenden Summen
auf die Wiedererlangung seiner Staaten zu ver-
wenden.
Sprüche an alten hessischen Kauernhäusern.
^»ie schöne Sitte, sinnreiche, bedeutungsvolle
IJ Sprüche an Hausfront und Zimmergetäfel
zu malen, ist wieder Mode geworden. Der
Gebildete ziert den Balken über seiner Hausthür
mit einem Salve, wie es die Römer thaten,
oder der Baumeister schlingt altdeutschen Reim
zwischen Gefach und auf den Erkervorsprung —
aber es sind geborgte Sprüche — passend in den
„Stil". Interessanter, origineller sind jedenfalls
jene alten, oft so ungeschickten — zuweilen
poetisch fast werthlosen Verse, die man noch hier
und dort an Bauernhüttchen aus dem Ende des
vorigen und dem Anfange dieses Jahrhunderts
findet. Wie man auf alten Bildern Spruch-
bänder aus dem Munde von Personen hervor-
gehen sieht, so kommen jene alten Verse direkt
aus dem Leben und den Gesinnungen des Volkes
und charakterisiren scharf und bestimmt die inner-
liche Norm, welche das scheinbar wenig ent-
wickelte Seelenleben unserer theilweise so armen
und auf niederer Kulturstufe stehenden Land-
bevölkerung regelt.
Vielleicht möchte es den Einen oder Anderen,
der diese Sprüche nicht aus eigener Anschauung
kennt, interessiren, wie einige derselben lauten;
sie stammen sämmtlich aus der nächsten Um-
gebung von Melsungen.
Mit dem Messer in einen alten braunen
Quer-Balken über der Thür geschnitten, liest
man an einem Hause in der Steingasse in
Melsungen:
„Gott gebe allen, die mich kennen —
was sie mir gönnen!"
Großmüthig klingt es nicht — aber wer den
hessischen Bauer kennt, weiß wie der Spruch
ihn packt. In seiner klugen Gerechtigkeit liegt
etwas Gesundes.
Manche der Sprüche auf den Dörfern reden
mit frischem Muth und Gottvertrauen, zugleich
auch mit einer gewissen kalten Gleichgültigkeit
gegen das Schicksal. Gern mahnen sie an die
Vergänglichkeit irdischen Gutes und das Ende
aller Dinge.
254
An einer Scheuerwand nahe beim Eingänge
des Dorfes Röhrenfurt liest man — in selt-
samer Orthographie:
„Ich will bäten — arbeiten und hoffen —
„Kommt mir das Glück, so hab' ich es troffen —
»Kommt mir aber das Gögenspicl —
»So geschieht doch, wie es Gott haben will. (1832)
Weiter:
»Besieh du deinen Lebenslauf!
»Der Mensch geht wie die Rose auf
»Und wie die Bletter fällt er ab —
»Eh' man ihn tregt zum Kielen Grab."
An einem uralten, halb zerfallenen
Häuschen am Ende des Dorfes, dessen Tünche
so verwaschen ist, daß man kaum noch den Spruch
zu entziffern vermag, steht folgender schöne Vers
über der noch in der Mitte quer getheilten
Thür:
»Wer aus- und eingeht dieser Thür,
»Der gedenke an Jesum Christum für und für —
»Daß unser Erlöser Jesus Christ
»Die rechte Thür zum Himmel ist."
Gegenüber an einem stattlicheren Bauern-
haus:
»Der Herr bewahre dieses Haus,
»Alle die da gehen ein und aus —
»Dieser Bau stehet in Gottes Hand
»Der Herr bewahre uns vor »Feiger" und Brand."
Eine alte Bauersfrau erzählte mir, früher
habe über dem Eßtisch in dem Hause gestanden:
»Bor und nach dem Esten
»Sollst du das Geböte nicht vergeffen."
Unter einer an der Wand festgeklammerten
Schalter an einem anderen Hause steht folgender
muthige Seufzer:
»Ach Gott, wie geht es doch immer zu!
»Die mich Haffen, denen ich Nichts tu!
»Die mir nichts gönnen und nichts gäwen —
»Müssen doch sehen, daß ich lebe.
»Und wenn sie meinen, ich wäre gestorben —
»So müssen sie doch für sich selber sorgen!"
Und wieder :
»Das Grab ist da — so heißt cs immer —
»Die Welt ist zwar ein schönes Zimmer —
»Doch aber ein geborgtes Haus,
»Bequemt man sich am Besten hier —
»So weiset uns der Tod die Thür!"
An demselben Hause ein Spruch, den man
auch in Lobenhausen und Körle findet:
»Die Jugend ist die Zeit der Saat —
»Das Alter erntet Früchte —
»Wer jene nicht benutzet hat
»Des Hoffnung ist zu Nichte."
Eine Fülle von Weisheit — allein die Macht
der Gewohnheit ist so groß — das Auge dieser
Leute so ungeschult — die Meisten wiffen gar
nicht, an welchen Häusern Sprüche stehen, wenn
man danach fragt.
In dem bettelarmen. schmutzigen Dörfchen
Schwarzenberg findet sich die trotzige Heraus-
forderung:
»Ich achte meine Haffer —
»Gleich wie das Regenwaffcr —
»Das von den Dächern stießt —
»Ob sie mich gleich neiden —
»So müssen sie doch leiden —
»Daß Gott mein Helfer ist."
Ein schöner poetischer Spruch (man findet ihn
auch in Westfalen) steht in Lobenhausen an
einem Hause:
»Wir bauen hier so feste
»Und sind doch fremde Gäste —
»Da wo wir ewig sollten sein —
»Dä bauen wir so wenig ein."
In Körle liest man:
»Alle »Dun" auf Gott gestellt
»Ihm vertraut und nicht der Welt
»Denn die Welt ist voller List —
»Treu und Glauben verloren ist."
»Wer Übels redet von mir und den Meinen,
„Der gehe nach Haus und betrachte sich die Seinen —
»Find't er an denen kein Gebrechen —
»So kann er frei von mir und den Meinen sprechen."
Dann:
»Wer sich in diesem Haus gefällt —
»Der lebe so wie's Gott gefällt —
»Sei friedlich gegen Jedermann —
»So wirst Du Glück und Segen hau." —
»Wenn doch Gott und der Bauer nicht wär —
»Ständen Länder und Scheuern leer —
»Drum danke Gott ein jeder Mann,
»Daß Scheuer und Land Gott »sägucn" kann."
Mißtrauen gegen den Nachbarn und kräftiges
Selbstbewußtsein — scheint die Philosophie der
Bauern zu sein, doch kommen auch allgemein —
wenigstens an dieser Stelle — oft sehr komische
Betrachtungen vor.
So liest man in Kirchhof:
„Blumen machen ist sehr gemein —
»Aber den Duft geben kann Gott allein." —
und dann:
»Die Leite sagen immer:
»Die Zeiten werden schlimmer!
»Die Zeiten bleiben immer!
»Die Leite werden schlimmer." —
255
Bittere Sachen sagt ein Mann in Ober-
melsungen seinen Mitbürgern:
,Da es mir wohl ging auf Erden —
«Da wollte ein Jäder mein Freund werden —
«Da ich aber kam in Noth —
«Da waren meine Freunde todt. —
«Glaube und Treu und Liebe und Recht —
«Diese vier haben sich schlafen gelegt.
«Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen."
Ein Anderer meint einsichtsvoll:
«Wenn ich wäre so schön wie Absalon
«Und so stark wie Simson
«Und so weise wie Salomon
«Und hätte dem türkischen Kaiser sein Reich —
«So würde ich doch dem Tode sein gleich.
Und wieder mit einem Anklänge an das
Kirchenlied:
«Jesu« ist mein Morgenstern,
«Der mir leuchtet nah und fern.
„Dem will ich nicht lassen ab,
«Bis man mich trägt zum kühlen Grab.-
In einem alten Thorwege neben der Scheuer-
luke steht:
«Wer Gott vertraut, hat wohlgebaut —
«Im Himmel und auf Erden,
„Wer sich auf Jesum Christum verläßt,
«Dem wird der Himmel werden. -
Im Jahre 1832 schrieb ein Bauer über seine
Hausthür:
«Dies Haus ist mein
«Und doch nicht mein —
«Wer nach mir kommt —
«Bleibt auch nicht drein:
«Meine Wohnung soll im Himmel sein.-
Diese Sprüche verschwinden mehr und mehr —
die neuen Häuser wollen nichts mehr von ihnen
wissen. — Der Bauer — sonst so konservativ,
K: „sie sind altmodisch" und kehrt ihnen stolz
Rücken — und doch ist Manches, das sie
sagen, das Beste, was er hat.
M. Kervert.
-imr von altem Schrot und Horn.
Skizze von F. Storck. (Schluß.)
Ganz erschrocken hatten die Fremden die Gabel
sinken lassen; doch da das Thier nun ruhig da-
saß, lächelten sie überlegen und schickten sich an,
mit erneutem Eifer das unterbrochene, angenehme
Geschäft fortzusetzen. Doch der „Deckel" gestat-
tete ihnen nicht, das kleinste Stückchen Fisch vom
Teller zu nehmen.
„Aber das ist ja toll!" schrie der Eine ent-
rüstet. „Rufen Sie doch mal Ihren verwünschten
Köter hier fort."
„Ja meine Herren!" entgegnete der Alte, in-
dem er sich wie in peinlichster Rathlosigkeit das
erbleichte Haar kraute. „Das ist Pech, daß Sie
sich gerade Fische bestellten. Der Waldmann
leidet's nun einmal nicht, daß irgend Jemand
Fische ißt. Seit dem das Sackermentsvieh das
Otternauge eingesetzt bekommen hat, da wittert er
alle Fische, und sollte es in gesottenem oder ge-
backenem Zustande sein. Und wie gesagt; er
leidet's nicht, das Einer einen Fisch berührt.
Nur ich dürfte es in seiner Gegenwart thun,
da hätte er nichts einzuwenden. Und wenn ich
ihn auch jetzt noch so strenge anriefe, das hilft
nun Alles nichts. Er „steht nun die Fische, bis
ick selbst sie an mich nehme." „Ach Blödsinn"!
fuhr oer Fremde auf. „Sie wollen uns
foppen, das ist Alles! Rufen Sie das Vieh an,
damit wir endlich essen können."
Waldmann saß unterdessen selbstbewußt, wie
ein Feldherr, nachdem der Feind den Rückzug
angetreten, mit scharfem Auge die beiden Teller
fixirend. Er verhielt sich abwartend. Nur so-
bald einer seiner Nachbarn Miene machte, oie
Gabel dem Munde zu nähern, knurrte er in be-
denklichster Weise.
„Meine Herren, es thut mir aufrichtig leid,
daß sie auf diese fatale Weise um Ihren Fisch
kommen," ließ sich nun der alte Herr vernehmen.
„Jedoch da mein Hund die Schuld trägt, so
werde ich die Fische nehmen und bezahlen, da-
mit Sie keinen Schaden haben. Lassen sie sich
schnell etwas anders geben."
Mit größter Gemüthsruhe und dem allerharm-
losesten Gesicht langte er sich beide Teller her-
über. Waldmann aber hüpfte mit einem sehr
vergnügten, kurzen Bellen unter den Stuhl seines
Herrn zurück.
Freilich mußten die Frankfurter sich etwas
256
„Anderes"' geben lassen, konnten es aber leider'
nicht genießen. Kaum hatten sie die ersten Bissen
genommen, da schmetterte der Postillon sein
„Schier dreißig Jahre bist du alt," vom hohen
Bock herunter.Es hieß weiterfahren und mußten
die Frankfurter mit knurrenden Magen den ge-
deckten Tisch verlassen; sie gingen, wüthende
.Blicke auf den behaglich seinen Fisch verspeisenden
Förster und den unter dem Tische knabbernden
Deckel schleudernd.
„Siehst du Waldmann, die zwei Hanswürste
aben wir schön angeführt," wurde der Hund
elobt, als das Gastzimmer leer geworden.
Waldmann knabbere ruhig weiter, klopfte aber
zum Zeichen seines innigen Einverständnisses
mit dem Schwanz auf die weißgescheuerten,
mit Sand, bestreuten Dielen des Fußbodens.
Unbekümmert um den Grimm der Fremden,
hatte der' alte Herr ihnen nebenbei in seiner be-
haglichen treuherzigen Art die Geschichte von
Waldmanns Auge erzählt: Daß er den Wald-
mann vor längerer Zeit mit auf die Jagd nach
Fischottern genommen habe. Daß eine ange-
schossene Otter, welche der Hund verfolgte, dem-
selben das rechte Auge ausgebifsen, worauf er
kurz entschlossen dem Hunde sofort das rechte
Auge der' nun exlegten Otter kunstgerecht einge-
setzt habe. Er habe es ja anfangs selbst nicht
geglaubt, daß das Vieh mit' dem neuen Auge
sehen werde; doch als er einige Tage später mit
dem Waldmann am Schwalmufer hingegangen
— das Wasser habe gerade, in Folge des an-
haltenden Regens so dick ausgesehen, wie durch-
gerührte Erbsensuppe,'— da habe alle Nasen
lang der Hund etwas gestanden. Es sei aber
durchaus kein Wild in der Nähe gewesen, und
schließlich sei er' dahinter gekommen, daß das
„Sackermentsvieh" durch das Otterauge alle
Fische im trüben Wasser sehe. Später habe er
denn auch entdeckt, daß das Thier auf die ge-
backenen und gekochten Fische eben so schlimm
sei, wie auf die lebendigen. Doch daran sei
nichts.zu.ändern, es wäre eben etwas von den
Liebhabereien der Fischotter mit dem Auge auf
den Hund 'übertragen. —
Diese. Geschichte gehörte zu den Lieblings-
erzählungen des alten Herrn.
Uns Kindern freilich trug er andere Geschichten
vor. Wenn wir auf Fußschemeln sitzend vor dem
Hause im Schatten um ihn versammelt waren,
während die Dorfstraße im glühenden Sonnen-
brand lag, dann schauten wir mit großen er-
wartungsvollen Augen zu ihm auf. Er lehnte
in dem' altmodischen Stuhl zurück und seine
Augen streiften über die einfachen Blumenbeete,
auf welchen Rittersporn, Stiefmütterchen und
Balsaminen prangten.. Auch eine Fülle Reseda
und Goldlackduft strömte in den Hof hinaus,
und unter den Fenstern standen pyramidenförmige
Malvenstöcke. Dicht neben der Gartenthür,
deren Angeln und Riegel nicht mehr ihre. Schuldig-
keit thun wollten, denn der Rost hatte das Eisen
durchfressen, war ein kleiner Steiutrog in. das
Pflaster des Hofes eingefügt. Und während
Waldmann unter dem Stuhl seines Herrn
schnarchte, kamen die kleinen Enten watschelnd
und quakend, um aus dem schlammigen Wasser
des Troges zu schlürfen. „Großvater" hieß
es dann: „Eine recht hübsche Geschichte!"
„Ja, was wollt Ihr denn hören, Ihr Quäl-
geister." „Ach, am liebsten etwas, was richtig
einmal passirt ist. So von Rittern und Räubern."
„Na, weiß schon. Die Geschichte von der Hunds-
burg, oder vom alten Dorfe drüben über dem
Wasser. Jsts nicht so? he!"
Und dann schilderte er uns, wie auf dem höchsten
Plateau der Hundsburg — eines bewaldeten, an
der Kassel-Frankfurter Straße gelegenen Berges
— in vergangenen Jahrhunderten eine mächtige
Raubritterburg gestanden. Oft genug haben
wir als Kinder in den nur kaum noch erkenn-
baren Steintrümmern gespielt. Bei des Groß-
vaters Erzählung erstand vor unserm geistigen
Auge die alte Burg in greifbarer Deutlichkeit.
Mit ihren mächtig dicken Mauern und tiefen
Kellergewölben, in welche der Ritter durch seine
Knechte die den am Fuße des Berges ihre Straße
ziehenden Kaufleuten geraubten Schätze bergen
ließ.
Auch daß sie auf der Burg kein Master gehabt,
so daß eigens dazu dressirte Esel in Tonnen auf
dem Rücken, den abschüssig steilen Pfad hinauf,
das Schwalmwasser trugen. Woher es denn
auch kommen mag, daß dieser schmale Bergpfad
bis auf den heutigen Tag der Eselspfad genannt
wird. Daß diese Esel noch immer unter Be-
gleitung eines Ritters als nebelhafte Spukge-
stalten des Nachts um die zwölfte Stunde, wenn
der volle Mond am Himmel stehe, auf jenem
Pfade sichtbar seien, das erzählte der gute Alte
uns nicht. Das hörten wir aber mit allen
Schauer erregenden Einzelheiten aus dem Munde
der alten Frauen im Dorfe, welche insgesammt
steif und fest an solchen Spuk glaubten und sich
nimmermehr zu nächtlicher Stunde auf jenen
Pfad gewagt hätten.
Bon einem jener Burgherren erzählte man sich,
daß er eines Tages, als ihm zwei Knäblein ge-
boren wurden, zu dem Pfarrherrn sandte mit
der Meldung: Es solle sich der Geistliche sofort
auf die Burg bemühen, um zwei „junge Hunde"
zu taufen. Der geistliche Herr, wähnend, der
übermüthige Ritter wolle ihn zum Besten halten,
ließ durch den Knappen zurück melden: Hunde
257
taufe er nicht. Solche Zumuthung allein sei'
schon eine Entweihung seines heiligen Amtes.
Darauf sandte der Ritter zu dem Seelenhirten
eines anderen Dorfes mit derselben Aufforderung.
Dieser, ein schlauer Mann und nicht so schwer-
fällig im Denken wie sein Amtsbruder, verstand
sofort, daß es sich um Söhne des Herrn von
Hund handele und erschien unverzüglich auf der
Burg. Zum Dank für seine Bereitwilligkeit be-
lehnte ihn der Burgherr mit einem bedeutenden
Grundbesitz, den er eigentlich dem Pfarrherrn
seiner Gemeinde zugedacht hatte. —
Weit interessanter war es uns aber etwas über
den sogenannten Kirchenstumpf jenseits der Schwalm
zu hören. Ein Mauerrest, unten schmäler, in
der Mitte ziemlich breit und oben fast spitzig
zulaufend, erhebt sich wie ein Ausrufungszeichen
aus einer Menge Steingeröll, welches von Immer-
grün und dornigem Gestrüpp überwuchert ist.
Hier soll früher das Dorf gestanden haben, das
im dreißigjährigen Kriege bis auf jenen kleinen
Mauerrest der Vernichtung anheim gefallen.
Da die Mauer jenes Stumpfes sehr dick ist, so
wird angenommen, daß es ein Rest der Kirche
ist, denn die Häuser der Bauern sind wohl
schwerlich so massiv gewesen. Hier eröffnete sich
der Phantasie des alten Herrn ein schier unbe-
grenzter Spielraum. Generationen ließ er er-
stehen und ins Grab sinken und schilderte uns
mit lebhaften Farben die Schrecken jenes Krieges,
dem all das blühende Leben zum Opfer gefallen.
Auch von diesem Erdenfleck laufen Volks- und
allerlei gespenstische Sagen um.
Kam der Abend, so brachte die Frau Försterin,
— die Frau unseres alten Freundes, — eine
gute, freundliche alte Dame, den dampfenden
Pfannenkuchen, das fast allabendliche Gericht ihres
Mannes. Meist genoß er dazu einen Teller dicke
Milch, oder wenn gerade gebuttert war, auch
ein Glas Buttermilch. Wir standen dann in
andächtiger Erwartung des uns zugedachten
Stückchens dicht neben ihm. und es war eine
Lieblingsneckerrei des alten Freundes, zu thun,
als sähe er unsere begehrlichen Augen nicht.
Manchmal trieb er es gar so weit, uns zu
fragen: „Ihr eßt nicht gern Pfannenkuchen, nicht
wahr?" Worauf mit größter Pünktlichkeit ein
vierstimmiges: „O doch Großvater! Sehr gern,"
ertönte.
Dann rief er wohl in die offenstehende Flur-
thür hinein: „Minchen!" — Minchen war die
Tochter des alten Herrn — „Minchen, back doch
noch 'en Kuchen, für die Kinder." Kam dann
die Magd, um uns heim zu holen, so waren
wir meist gar nicht erfreut, besonders zu der Zeit,
als die Mutter daheim lange Monde schwer
krank darniederlag. Da durften wir im Hause
nicht lärmend umherspringen, die Mutter sahm
wir selten, der Vater war immer ernst und traurig
und wir Kinder fühlten uns überflüssig.
Und dann kam ein Tag, wo sich ein düsterer
Zug durch die Dorfstraße bewegte. Von upserm
Hause ging er aus und in dem dunklen Schrein,
den ernste Männer trugen, ruhte eine bleiche,
kalte Gestalt, unsere Mutter, deren Augen nun
nie mehr mit zärtlicher Traurigkeit auf uns ruhen
sollten. — Da war es wieder der Großvatet,
zu dem wir uns flüchteten. Scheu an die alt-
morschen Staketen des Gärtchens gedrückt, spähten
wir dem unheimlichen Zuge nach, nicht begreifend,
daß wir viel, sehr viel verloren hatten, die Liebe
und Fürsorge einer Mutter.
Der Alte aber führte uns hinein in das trau-
liche, niedere Gemach. Wir sahen es wohl, wie
glänzende Tropfen in den langen, weißen Bart
rollten, und wie er sich mit dem roth gewürfelten
Taschentuch wieder und immer wieder die Augen
wischte, als wir uns an ihn schmiegten mit der
Frage: Ob die Mutter nun endlich nicht mehr
krank sei, und ob wir nun daheim wieder „An-
schlag" spielen dürsten, und ob der Vater nun
wieder lachen werde? Seim weiches Herz wallte
auf im tiefsten Mitgefühl mit uns. dennoch ver-
mochte er wie sonst mit uns zu scherzen, um uns
die Schwere des Verlustes weniger fühlbar wer-
den zu lasten.
Zuweilen im Winter, wenn dichter Schnee die
Felder deckte und der brausende Nyrdost über
das Land fegte, dann saß er wohl auch einmal
an dem altmodischen Schreibschrank mit den
Messingbeschlägen. Seine Hand führte den
sorgfältig geschnittenen Gänsekiel über das derbe,
gelbliche Papier. Dann schrieb er an seine ent-
fernten Kinder. Doch selten genug geschah diis,
denn das Schreiben gehörte ja niemals zu seinm
Lieblingsbeschäftigungen. Zu seiner Zeit, —
das heißt als er noch im Dienste gewesen, —
da hielt man noch nicht so viel von der Schreiberei.
Er schüttelte oft mißbilligend sein graues Haupt,
wenn er sah, wie sein Amtsnachfolger oft tage-
lang an den Schreibtisch gebannt war. Fragte
er uns: „Nun Kinder, wo ist denn heute der
Vater?" so mußten wir häufig genug aussagen:
„Er schreibt wieder den ganzen Tag." Dann
murmelte er in sich hinein: „Ist das heut zu
Tage eine Einrichtung! Das sollen Revierförster
sein und müffen beständig hinter dem Schreib-
tisch hocken! Was denkt sich eigentlich das hohe
Forstkollegium?" —
Dann kam ein Tag, wo er sich nicht mehr,
weder über das Forstkollegium- noch über sonst
Etwas ärgerte. Wer auch das Necken und
Scherzen mit uns Kindern hatte sein Ende er-
reicht. Er sollte uns nie mehr errathen lasten,
258
in welcher Hand er die, köstliche Blutnuß halte,
die er an dem selbst gepflanzten Nußbaum gezogen.
Mit den lustigen Jagdgeschichten war es vorbei
und Waldmann, das kluge Thier, schlich mit
hängendem Kopfe umher. Es wurde Abends
kein Pfannenkuchen gebacken, denn der alte Herr
hätte ihn doch nicht essen können.
Drinnen in der Kammer, durch deren Fenster
die Frühlinassonne schien, da lag er schwer er-
krankt! Und wenige Tage noch, dann war seine
Seele der irdischen Hülle entflohen. Ein biederes,
deutsches Herz hatte ausgeschlagen.
Das ganze Dorf nahm Theil an dem Trauer-
fall, denn der „ahle Förschter" war ja eine be-
liebte Persönlichkeit.
Sie wanden um den Sarg Guirlanden aus
Eichenlaub und die Forstlaufer des Reviers
trugen ihn hinaus zur letzten Ruhestätte.
Kurze Zeit darauf schloß auch seine treue
Lebensgefährtin die müden Augen für immer.
Er war nicht mehr da, für den sie gewirkt und
geschafft, was sollte sie noch in der Welt?
Bald stand das schlichte, alte Haus ganz ver-
ödet. Wir Kinder aber gedachten oft und mit
aufrichtiger Trauer unseres alten Freundes.
Der See bei ObereUenbach.
(Hessische Sage.)
Fern droben in grüner Waldesnacht,
Auf einsam-schweigender Höh',
Vom Schatten der Eichen überdacht,
Liegt ein tief-dunkeler See.
Draus stiegen vor Zeiten zum sonnigen Tag
Drei hdlde Nrxen zumal,
Sie.wandelten durch den grünen Hag
Und lauschten hinunter ins Thal.
Und wenn im Dorfe drunten erklang
Das Lied zum Reigentanz,
Dann wanden sie sich ins feuchte Haar
Aus grünem Schilfe den Kranz.
Sie stellten sich mit zum fröhlichen Reih'n,
Geschürzt das weiße Gewand,
Sie tanzten, bis der Sonne Schein
Fern hinter den Bergen entschwand.
Und so tanzten sie einst, und der Lieder Klang,.
Wie hob er der Jüngsten die Brust!
Denn um den schönsten der Burschen schlang
Sie den Arm in Liebe und Lust.
Doch die Sonne sank, es kam die Nacht, —
Da faßte sie tötliche Angst:
„£> weh, zu schnell verrann dir die Zeit,
„Da um den blühenden Burschen heut'
„Die weißen Arme du schlangst."
Laut rief und klagte das arme Kind:
„Wo sind die Schwestern mein?
„Warunt denn gingen sie fort geschwind,
„Und ließen mich hier allein?"
Sie klagte in bitterem Herzeleid,
Es jammerte Jung und Alt.
Und alle gaben ihr das Geleit
Zum See hoch droben im Wald.
Es schwieg die Flut geheimnißvoll, —
Da sprang sie schaudernd hinab.
Ein dumpfer Klagelaut erscholl
Aus dem schaurig-dunkelen Grab.
Und sieh! aus der gähnenden Tiefe quoll
Ein Blutstrom schwarz empor, —
Dann wieder lag geheimnißvoll
Der See, und stunim wie zuvor.
Wohl erklangen im Dorfe das nächste Jahr
Die Reigenlieder so laut. —
Die Nixen aber mit feuchtem Haar
Hat keiner wieder geschaut!
Armmer.
Aus alter und neuer Zeit.
Das 2. kurhessische Husare «-Regiment
im Gefecht bei Aschaffenburg am 14.Juli
1866. Bei anderer Gelegenheit haben wir bereits
des trefflichen Buches »Geschichte des königl. preu-
ßischen 2. hessischen Husaren-Regiments Nr. 14 und
seiner hessischen Stammtruppen 1700—1886“, her-
ausgegeben von den früheren Offizieren des Regi-
ments Rittmeister Karl von Kossecki und Rittmeister
Robert Freiherrn von Wrangel, Erwähnung gethan.
In schöner Sprache und fesselnder Darstellungsweise
geschrieben, nach den besten und reichhaltigsten Quellen
bearbeitet, bietet das möglichst objektiv gehaltene Werk
für alle, die sich für Militärgeschichte interessiren,
259
eine ebenso unterhaltende wie belehrende Lektüre und
verdient auf das Beste empfohlen zu werden. Bor
allem aber liefert uns die Geschichte dieses Regi-
ments einen neuen Beweis der heldenmütigen Tapfer-
keit, von welcher von jeher die hessischen Truppen
beseelt waren.,
Es ist uns nicht darum zu thun, hier eine ein-
gehende Kritik des Werkes zu liefern, wohl aber ge-
statten wir uns, einen kurzen Auszug aus demselben
zu geben, der das Treffen bei Aschaffenburg am
14. Juli 1866 zum Gegenstände hat, in dem gerade
das 2. kurhessische Husaren-Regiment (Herzog von
Sachsen-Meiningen) in hervortretender Weise be-
theiligt war. *)
An dem eigentlichen Kriege des Jahres 1866
nahm von der kurhessischen Armee wie bekannt nur
das 2. Husaren-Regiment aktiven Antheil, die übrigen
kurhessischen Truppentheile befanden sich in der Festung
Mainz.
Das 2. kurhessische Husaren-Regiment war der
von dem Feldmarschall-Lieutenant Grafen v. Neipperg
kommandirten österreichischen Infanterie-Division des
8. Armeekorps, welches unter dem Oberbefehl des
Generals der Infanterie Prinzen Alexander von
Heffen stand, zugetheilt und in eine Division zu
2 Feld-Eskadrons h 140 Pferden formirt worden.
Zu dieser Division waren folgende Offiziere rc. kom-
mandirt: Divisionsstab: Kommandeur Major Heu-
singer von Waldegg, Adjutant Seconde-Lieutenant
von und zu Schachten, Zahlmeister Rübsam, (Divi-
sionsschreiber Q. M. Stehling, Büchsenmacher Haefner,
Sattler Fülling, Trainführer Quartiermeister Haar);
1. mobile Kolonne: Rittmeister von Amelunxen,
Premier-Lieutenant Nebelthau, Premier-Lieutenant von
der Malsburg, Seconde-Lieutenant Heym, Seconde-
Lieutenant von Meyerfeld, Seconde-Lieutenant Dörr,
Eskadrons-Wundarzt Meyer, Eskadrons-Thierarzt
Collmann, (Wachtmeister Bobel); 2. mobile Eskadron:
Rittmeister von Baumbach, Premier-Lieutenant von
Stamford, Seconde-Lieutenant Beinhauer, Seconde-
Lieutenant Ruhl, Seconde-Lieutenant von Ochs,
Assistenzarzt Dr. Leibrock, Eskadrons-Thierarzt Heß-
berger, (Wachtmeister Spohr).
Die kurfürstlich hessische Husaren-Division traf am
2. Juli in Homburg vor der Höhe ein und machte
bis zum 9. Juli als Avantgarde der 4. Division
(Graf Neipperg) den Marsch durch das Vogels -
gebirge mit. Vom 9. bis 13. Juli verblieben die
Eskadrons in Praunheim.
Der preußische General v. Falkenstein bedrohte nach
den Gefechten mit den Bayern bei Kissingen und
Hammelburg und mit den Darmstädtern bei Laufach
durch die Division Goeben das 8.Armeekorps und die freie
*) Die Schilderung in dem angezogenen Werke beruht
außer den allgemeinen gedruckten Quellen speciell auf dem
Berichte des Majors von Heusinger und dem Kriegs-
tagebuche des Premier-Fieutenanfs von Gtamforh.
Reichsstadt Frankfurt a. M. Zum Schutz derselben
schickte Prinz Alexander die hessische und österreichische
Division unter dem Grafen v. Neipperg nach Aschaffen-
burg; die hessischen Husaren wurden am 13. Juli
Nachmittags alarmirt und erhielten Marschbefehl nach
Aschaffenburg über Seligenstadt, welchen Ort sie
Abends 11 Uhr erreichten.
Ueber die Theilnahme der hessischen Husaren am
Gefecht von Aschaffenburg spricht sich der Bericht des
Kommandeurs derselben, Majors von Heusinger, wie
folgt aus:
„Am 14. Juli Morgens um 4 Uhr marschierte die
Husaren-Division aus Seligenstadt und traf gegen
7 Uhr an der Mainbrücke westlich von Aschaffenburg
ein. Gegen 9 Uhr brachte der Adjutant (Neipperg's)
den Befehl, durch die Stadt zu marschieren und vor
dem östlichen Ausgange Aschaffenburgs Bivouaks zu
beziehen und abzukochen. Die Division marschierte
circa 600 Schritt östlich der Stadt, 400 Schritt
rechts neben der Straße nach Goldbach, auf dem
Platze der abmarschiernden großherzoglich hessischen
Infanterie auf und hatte ihren rechten Flügel an die
Infanterie gelehnt. Ehe jedoch abgesessen wurde,
kam bereits die Meldung, daß der Feind *) in drei
Kolonnen angreife, und 10 Minuten später fielen
auch die ersten Kanonenschüsse (zwischen Vs und
3/410 Uhr); das feindliche Feuer rückte alsbald so
nahe, daß die Division vielfache Verluste an Leuten
und Pferden durch Infanterie-Feuer zu erleiden hatte;
der 4. Zug der 2. Eskadron (Premierlieutenant von
Stamford) wurde zur Deckung einer Batterie**)
detachirt. Ohne einen Feind zu sehen, mußte die
Division bis nach 11 Uhr diesen Platz behaupten,
zog sich dann links auf die nach Goldbach führende
Straße, schwenkle hier nochmals um mib zog sich
hierauf — nachdem die Infanterie bereits zurück-
gegangen — durch die Stadt über die Mainbrücke
zurück. Die Bagage war von Seligenstadt nach
Babenhausen dirigirt, die Handpferde wurden aus der
Gefechtsstellung hinter die Brücke zurückgeschickt, ge-
riethm hier in die österreichischen Train-Kolonnen
und wurden nach Seligenstadt versprengt.
Auf dem Rückzüge durch die Stadt und besonders
beim Uebergange über die Brücke hatte die Division
noch viel unter dem Feuer der bereits in die Stadt
gedrungenen Preußen zu leiden, und einzelne Ab-
theilungen wurden abgeschnitten, die sich jedoch zum
Theil über die Eisenbahubrücke bei Stockstadt retteten
und in Seligenstadt an die Handpferde anschlössen.
Der Rückzug aus der an und für sich nicht gün-
stigen Stellung war der wundeste Punkt in diesem
unglücklichen Gefecht. Die Stadt Aschaffenburg mit
einer einzigen Brücke über den Main, nach welcher
alle Truppen sich hindrängten, bildete ein Defilee,
*) Preußische Division Goeben.
**) 7? österreichische gezogene Vierpfünder-Batterie.
260
wie man es sich nicht schwieriger denken konnte. Für
die Husaren war der Abmarsch noch gefährlicher, da
sie mit. einer großherzoglich hessischen Eskadron (Che-
vauxlegers) bis zum Abfahren der österreichischen
Geschütze ausharren mußten, welche den Abzug der
Infanterie so gut als möglich deckten. Gleich der
großherzoglich hessischen Eskadron versuchten die beiden
Eskadrons des Husaren-Regiments den nachdrängenden
Feind durch eine Attaque aufzuhalten, dieselbe blieb
jedoch ohne Erfolg, und unter dem wirksamen Feuer
des Zündnadelgewehrs gelangten die Husaren nach
der Mainbrücke, wo sie mit dem Bedeckungszuge des
Premier-Lieutenants von Stamford zusammentrafen.
Letzterer hatte am Bahnübergänge, wo sich Alles
staute, zum Gefecht zu Fuß absitzen laffen, um der
Batterie Luft zu schaffen und ihr den Abzug zu er-
möglichen. Die Husaren passirten als letzte Truppen
die Brücke und erlitten hierbei wiederum Verluste,
die noch stärker gewesen wären, wenn die Preußen
die zwei Eskadrons im ersten Moment nicht für
preußische 8. Husaren gehalten hätten.
Auf der Brücke resp. beim Abzüge von derselben
.erhielt der Chef der 2. Eskadron, Rittmeister von
Baumbach, einen Schuß durch den Leib (in die
Lende von hinten schräg nach vorn); dieser schweren
Wunde erlag der brave Offizier leider 3 Tage darauf.
Unmittelbar nach Baumbach wurde Lieutenant von
Schachten am Kopf leicht verwundet; Rittmeister
von Amelunxen hatte beim Vorgehen der Schwadronen
einen bedeutenden Prellschuß gegen das rechte Schulter-
blatt erhalten. Die 2. Eskadron verlor 3 Unter-
offiziere: Stuckhardt, Stamm und Krauskopf; ersterer
war mit einem Verwundeten zurückgeschickt worden
und versuchte, um die Eskadron zu erreichen, mit
eiriepr Husaren durch den Main zu schwimmen, wo-
bei Stuckhardt, ein ausgezeichneter Soldat, erschaffen
wurde.
Die Husaren-Division übernahm die Arriöregarde
der 4. Division (Graf Neipperg) bis nach Baben-
hausen, woselbst sie um l/24 Uhr Nachmittags eintraf
und Bivouak bezog. Bei dem hier abgehaltenen
Appell fehlten außer den verwundeten Rittmeistern
von Baumbach und von Amelunxen die Aerzte:
Assistenzarzt Dr. Leibrock, Eskadrons-Wundarzt Meyer
und Eskadrons-Thierarzt Collmann nebst 95 Mann
und 109 Pferden. Der verwundete Seconde-Lieutenant
von und zu Schachten wurde von hier ins Spital
nach Darmstadt überführt.
Nachdem sich in den nächsten Tagen die Hand-
pferde, sowie einzelne Versprengte wieder eingefunden
und die gefangen gewesenen 3 Aerzte zurückgekehrt waren,
bestand der Verlust in 3 Offizieren und 17 Mann.
Hiervon waren todt, bezw. an den Wunden ge-
storben: Rittmeister K. L. v. Baumbach (zu Baben-
hausen gestorben), Quartiermeister Stamm, Korporal
Stuckhardt, Korporal Krauskopf (letztere drei zu
Aschaffenburg begraben); verwundet: Rittmeister
von Amelunxen, Divisions-Adjutant Seconde-Lieutenant
von und zu Schachten, Husar Kersten, Karabinier
Albert, Husar Pfister I, Quartiermeister Althaus,
Korporal Schmoll, Husar Flies, Husar Pfister II,
Husar Pietsch, Karabinier Sinning; vermißt
wurden: die Husaren Knocke, Zengerle, Barthel,
Hassenpflug, Oechsner.
Außerdem hatte die Husaren-Division einen Ver-
lust don 18 Pferden (10 todt), wobei eine große
Anzahl verwundeter Pferde, die milgeführt wurden,
nicht einbegriffen sind." *)
So lautet Heusinger's Bericht. Die Verfasser der
»Geschichte des Husaren-Regiments" fügen demselben
folgende Worte der Anerkennung hinzu: »Ueberblicken
wir kurz den Tag von Aschaffenburg, so war derselbe
trotz des Sieges der Preußen für die hessischen Hu-
saren immerhin ein Ehrentag zu nennen: sie hatten
ihre Schuldigkeit bis zum letzten Moment gethan,
thätigen Antheil bei Deckung des Rückzuges genommen
und nicht unbedeutende Verluste erlitten. Das stunden-
lange Halten im Infanterie-Feuer, besonders aber
an der Queue der Truppen durch ein enges Straßen-
Defilee waren eine harte Probe für die Husaren-
Division. Jedenfalls bewiesen die beiden Eskadrons
bei diesem unglücklichen Gefecht am 14. Juli, daß
Manneszucht und Tapferkeit ein Erbtheil der kur-
hessischen Krieger sei."
Und der österreichische Feldmarschall-Lieutenant Graf
von Neipperg entließ mit folgenden Abschiedsworten
die hessische Husaren-Division, als dieselbe am 3. August
unter das Kommando der Brigade Nassau gestellt
wurde:
4. Division des 8. deutschen Bundes-Armeekorps.
Ich rechnete mir jederzeit zur besonderen Ehre,
die kurhessische Husaren-Division meinem Kommando
unterstellt zu wiffen, um so mehr muß ich jetzt be-
dauern, diese musterhafte Reitertruppe aus dem dienst-
lichen Verbände der Division scheiden zu sehen. Bei
diesem Anlaffe fühle ich mich angenehm verpflichtet,
der Husaren-Division für den stets bewährten vor-
züglichen militärischen Geist, strenge Aufrechterhaltung
einer musterhaften Disziplin, sowie auch muthvolle
Ausdauer in allen Kriegsstrapazen, feindlichen Be-
gebenheiten und Gefechten meine vollste Anerkennung,
desgleichen dem Herrn Kommandanten und den
Herren Offizieren meinen wärmsten Dank für die
mir von ihnen zu Theil gewordene aufopfernde
Unterstützung auszusprechen und Allen meine besten.
Wünsche für die Zukunft entgegen zu bringen.
*) Wir erwähnen an dieser Stelle als merkwürdiges
Vorkommniß, daß die Pferde des gefallenen Rittmeisters
von Baumdach, welche an einen württemdergifchen Offizier
übergegangen waren, im späteren Verlaufe des Krieges,
als die dessischen Husaren das Bivouak eines württem-
deraischen Reiterregiment passirten, ihre alten Gefährten
wiedererkannten, freudig wieherten, sich los rissen und sich
mit Gewalt den Escadrons anschließen wollten.
261
Mögen Alle eine kameradschaftliche Erinnerung
mir und den österreichischen Truppen als ihren Kampf-
genossen bewahren.
Kantonnirungs-Stalion Marklbibart, 3. Aug. 1866.
gez. Neipperg,
Kommandeur der 4. Division beim 8. deutschen
Armee-Korps.«
Dieser Tagesbefehl sprach laut genug aus, wie
sehr Graf Neipperg die Verdienste der zwei hessischen
Husaren-Eskadrons anerkannte, er gab ferner ein be-
redtes Zeugniß für die wirklich tüchtige Ausbildung
ab, welche seit lange den kurhessischen Truppen inne-
wohnte und dank welcher sie sich in Allem so vor-
theilhast vor vielen Theilen der s. g. Reichsarmee
auszeichneten. Major von Heusinger durfte daher
ohne Selbstüberhebung am Schlüsse seines Berichtes
vom 9. August nach Mainz melden: „Mit Stolz
kann ich hohem Kommando berichten, daß der Geist
der Mannschaft in allen Lagen, sowohl im Gefecht,
als bei den größten mit Hunger und Durst ver-
bundenen Strapazen, sich stets als ein guter be-
wiesen hat; auch hat die Division sich nicht nur des
Lobes ihrer Vorgesetzten, sondern auch der Achtung
sachverständiger Kameraden zu erfreuen gehabt.«
Hiermit brechen wir den Auszug aus der „Ge-
schichte des hessischen Husaren-Regiments« ab, und sind
überzeugt, daß die Leser auf Grund des mitgetheilten
Abschnittes mit uns übereinstimmen in dem Lobe
des Werkes, welches wir demselben im Eingänge
unseres Artikels ausgesprochen haben. Den Heraus-
gebern aber gebührt aufrichtiger Dank für ihr ver-
dienstliches Unternehmen. —
Zum Schlüsse mögen uns selbst noch einige Zeilen
gestattet sein. Sie gelten der Erinnerung an den bei
Aschaffenburg gefallenen Rittmeister Karl Ludwig
von Baumbach, einem allgemein beliebten und hoch-
geschätzten Offizier der kurhessischen Armee, der,
Soldat durch und durch, ritterlich in allen Lagen des
Lebens, zu den Bravsten unter den Braven zählte.
Karl Ludwig von Baumbach war der jüngere Sohn
des Kommandeurs des fürstl. Waldeck'schen Bataillons,
Oberstlieutenants von Baumbach. Seine Vorstudien
zu der Militär-Laufbahn bestand Karl Ludwig von
Baumbach in dem hiesigen Kadettenhause. Am
26. Juli 1846 wurde er zum Seeonde-Lieutenant
im 2. kurhessischen Husaren-Regiment (Herzog von
Sachsen-Meiningen) ernannt. Als solcher machte er
1849 den Feldzug gegen Dänemark mit, wurde in
Folge der Sorglosigkeit seines Escadrons-Chefs mit
diesem und dem ganzen Detachement am. 8. Juni
bei Nörre-Snede von den Dänen gefangen genommen
und nach Kopenhagen geführt, wo er bis zum
Friedensschlüsse verbleiben mußte. Nach Kassel
zurückgekehrt, trat er wieder in seine frühere Stellung
im Regimente ein. Bei seinem Landesherrn war er
eine persona grata, doch nicht immer erfreute er sich
der Gunst desselben. Zu der Zeit der Verfaffungs-
wirren im Jahre 1850 kam Karl Ludwig .von
Baumbach gleich der überwiegenden Mehrzahl der
kurhessischen Offiziere um seinen Abschied ein. Dies,
und wohl noch einige unvorsichtige Aeußerungen, die
ihm zugeschrieben wurden, ließen ihn in Ungnade
fallen. Er wurde zur Infanterie versetzt, doch nicht
lange sollte die Ungnade dauern. Er wurde zum
Premier-Lieutenant befördert und 1856 wieder zur
Kavallerie zurückversetzt, um zunächst bei dem 1. (Leib-)
Husaren-Regiment eingestellt zu werden. Im Jahre
1863 wurde er zum Rittmeister im 2. Husaren-
Regiment ernannt, bei welchem er als Offizier seine
militärische Laufbahn begonnen hatte. Verheirathet
war Karl Ludwig von Baumbach mit der Tochter
des Generals Braun de Montenegro, dem tapferen
Kampfesgenossen Bolivar's in dem Unabhüngigkeits-
kampfe der südamerikanischen Staaten. Dieser glück-
lichen Ehe ist ein Sohn entsprossen, der gleichfalls
die militärische Carriere ergriffen hat und der sich
gleich seinem Vater des Rufes eines wackeren Kavallerie--
Offiziers erfreut. Das Andenken an Karl Ludwig
von Baumbach wird in unserem Hessenlande stets in
Ehren gehalten werden. A. z.
Aus Aeimath und Fremde.
Die katholische Frauenwelt der Diöcese
Fulda wird anläßlich des SvjährigenPriester-
jubiläums des Papstes Leo XIII. die vollständige
Ausstattung einer Kapelle in kirchlichen Gerathen und
Paramenten für Missionszwecke als Festgabe darbringen.
Schon im Anfang dieses Jahres trat zu diesem Behufe
in Fulda unter dem Vorsitze der nunmehr ver-
storbenen Prinzessin Sophie von Jsenbnrg-Birstein ein
Diöcesan-Comits zusammen (bestehend ans de» Damen:
Frau von Savigny, geb. Gräfin Arnim zu Hof TrageS
bei Somborn, Freiin Emilie von Amelunxen—Kassel,
Frau Sekret. Ebell—Kassel, Frau Rechtsanwalt
Rang—Fulda, Frau Hauptmann Schoedde, geb. von
Geyso—Fulda, Frau Anna Hohmann, geb. Rang—
Fulda, Frl. Maria Breitung—Fulda) welches das
Unternehme» mit rührigem Eifer leitete und förderte.
Nunmehr sind die aus allen Gemeinden der Diöcese
zusammengeflossenen Geschenke, bevor sie nach Münden
abgehen, im sogen. Kaisersaale des landgräfliche«
Schlosses zu Fulda in geschmackvollster Weise ausge-
stellt worden. Die für den katholischen Kultus
nothwendigen Metallgeräthe sind, als edle stil-
gerechte Gebilde des kirchlichen Kunsthandwerks, zu-
meist aus dem Bernwardi-Jnstitut zu Hanau hervor-
gegangen. Unter den aus Nah und Fern in reichster
Menge eingesandten Paramenten finden sich wahrhaft
bewunderungswürdige Erzengnisse weiblicher Knnstfer«
262
tigkeit. Die jetzige Besitzerin des Schlosses, die Frau
Landgräfin von Hessen, welche gegenwärtig auf ihrem
Lustschloß Adolfseck bei Fulda weilt, beehrte die Aus-
stellung mit ihrem hohen Besuche, wobei das Comits
dexselhen ein prachtvolles Bouquet überreichen ließ,
das ist . finniger Blumenzusammensetzung ein Kreuz
iy den päpstlichen Farben auf einem von den hessischen
Farben gebildeten Grunde zeigte. Es ist ein interessanter
Zufall, daß der Ausstellungsraum — ein Prächtiger
Saal, den ein geistlicher Fürst des vorigen Jahr-
hunderts durch seinen geschätzten Hofmaler Eman.
Wohlhaupter mit al fresco gemalten Bildnissen der
deutschen Kaiser herrlich ausschmücken ließ — bereits
vor beinahe 150 Jahren schon einmal in ähnlicher
Weise benutzt wurde. Damals rüstete sich das Hoch-
stift gleichfalls zu einem kirchlichen Feste von höchster
Bedeutung: die tausendjährige Gedenkfeier des Todes
des hl. Bonifatius nahte heran, und wo heute die
Töchter der altehrwürdigen Bonifatiusstadt die Er-
zeugnisse ihres Kunstfleißes ausgestellt haben, da
saßen ihre Urahnen damals versammelt und stickten
unter der kunstvollen Anleitung eines Goldstickers
aus Paris an prächtigen Kirchengewändern, die der
damalige Fürstabt Amand von Buseck für die hehre
Gedächtnißfeier gestiftet hatte. Der überaus kostbare,
mit dem Wappen des Fürsten und den reichsten
Goldstickereien gezierte Ornat aus rothem Genueser
Sammet soll sammt einem entsprechenden Neberzug
über den Baldachin 20,000 Gulden gekostet haben
— eine für die damalige Zeit außerordentlich hohe
Summe. Derselbe bildet aber auch heute noch einen
sehr werthvollen Theil des Fuldaer Domschatzes, und
wenn er bei höchsten Kirchenfesten einmal an's Tages-
licht kommt, dann sieht man ihn noch in so wunder-
barer Farbenfrische und ungetrübtem Goldglanze
prangen, als ob jene emsigen Fraucnhände, die einst
voll Freude daran geschafft, nun aber so lange schon
in Staub zerfallen sind, ihn jetzt erst fertig gestellt
hätten. I. Kr.
— Unter außerordentlicher Betheiligung fand am 29.
August das Leichenbegängniß des Königlichen Seminar-
lehrers und Musikdirektors Prof. vr. Wilhelm
Bolckmär in Homberg statt, von dessen plötzlichem
Ableben wir unsere Leser bereits in voriger Nummer
benachrichtigt hatten. Zahlreiche Schüler und viele Freunde
des berühmten Musikers hatten sich eingefunden, um
dessen sterblichen Ueherresten das letzte Geleit zu geben.
Nach dem Vortrage des Liedes „Christus, der ist mein
Leben" setzte sich der Leichenzug vom Sterbehause in
Bewegung. Den mit Kränzen, Palmen und Blumen
förmlich überschütteten Sarg, welchem die Orden des
Verblichenen vorausgetragen wurden, trugen Schüler
des Seminars zum Friedhof, wo derselbe unter Gesang
der Erde übergeben wurde. Da Bolckmär bei Leb-
zeiten den Wunsch ausgesprochen hatte, daß an seinem
Grabe die Grabrede unterbleiben möchte, sprach, der
betreffende Geistliche nur ein Gebet, woran sich aber-
mals Gesang, vom Seminarchor ausgeführt, allschloß.
In Bolckmär, welcher 1812 in Hersfeld geboren
wurde und während seines ganzen Lebens eine be-
deutende Thätigkeit dem engeren Vaterlande widmete,
verliert Hessen einen seiner ersten Söhne. Bolckmars
Leben, welches wenig wechsclvoll war, sich vielmehr
einfach und gleichmäßig im Hessenlande abspielte,
kennen unsere Leser schon aus Nr. 2 unserer Zeit-
schrift, es bleibt noch übrig, Bolckmars Verdienste und
seine Werke zu beleuchten. Bolckmär war einer der
ersten Orgelvirtuosen Deutschlands, vor allem im
Vortrage klassischer Kompositionen und seiner eigenen
Tonschöpfungen kam ihm Keiner gleich. In Volks-
kreisen ist Bolckmär hauptsächlich durch „das Gewitter-
bekannt, eine Fantasie, in welcher er das Herannahen
eines Gewitters, das Heulen und Brausen des Sturmes,
den Donner und Blitz trefflich nachzuahmen verstand.
Als Komponist ist er außerordentlich thätig ge-
wesen. Zunächst ist seine „Orgel-Schule -
zu nennen, ein in seiner Art einzig dastehendes Werk;
das „Borspielbuch für Orgel", 360 Vor-
spiele zu sämmtlichen Chorälen von Volckmar's
Choralbuch op. 165 wird in ganz Deutschland mit
Vorliebe benutzt. Von tiefem Gemüth und Gc-
dankcnreichthum zeugen seine Orgelfo n aten, unter
denen op. 81 (G moll), op. 145 (A moll) und
op. 148 (B dur) als die vorzüglichsten genannt zu
werden verdienen. Konzertfantasien, Konzerlvaria-
tionen, Märsche, Tonstücke für Klavier, Choralbücher,
Festvorspiele für Orgel, geistliche Lieder, Tonstücke
für Violine und Orgel, Orgelintonationen, Nachspiele
für Orgel dürften unter seinen Kompositionen her-
vorgehoben werden. Als Pädagog hat Bolckmär auch
außer seiner „Orgel-Schule- Schätzenswertes geleistet.
So sind seine „Tonleiterstudien fürPiano-
forte", seine „ Elementarübungeu für Vio-
line-, letztere speziell für Präparandenschulen und
Seminarien geschrieben, sehr instruktive Werke. Vor-
trefflich sind anch die aus klassischen Werken arran-
girten Tonstücke für vierstimmigen Männerchor mit
Orgel, sowie „Eichenkranz-, eine Sammlung
deutscher Vaterlandslieder mit Tonweisen für zwei-
stimmigen Volksgesang und vierstimmigen Männerchor.
— Zum Schluß sei noch bemerkt, daß Bolckmär
neben seinem in Hersfeld geborenen und in Kassel
lebenden Landsmann Karl Rund naget als Orgel-
revisor in Hessen Vortheilhaft bekannt war.
263
Hessische Düchcrschau.
Krone und Kerker. Erzählung aus dem sech-
zehnten Jahrhundert von N. vom Hof. Gotha
Friedrich Andreas Perthes. 1887.
Unsere geschätzte Landsmännin entwickelt in den
letzten Jahren eine literarische Thätigkeit, welche auch
die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich ziehen
dürfte. Vor kurzer Zeit veröffentlichte sie in einem
Berliner Blatt einen fesselnden Roman aus dem eng-
lisch-indischen Leben «Die Erbin", welcher besonders
durch seine getreue Schilderung des in der dortigen
vornehmen Gesellschaft herrschenden Tons anmuthete,
jetzt ist in dem altehrwürdigen Perthes'schen Verlag
die oben genannte Erzählung erschienen, die uns die
Lebenslaufbahn der ebenso glänzenden als unglücklichen
Anna von Boleyn vor Augen führt und zwar in
einer Weise, wie sie geschmackvoller nicht verlangt
werden kann. Wenn die Verfasserin, wie sie es gethan,
ihr Buch nur den Frauen widmet, und ausdrücklich
^allcn denen, die sich freuen, daß die Geschichte eine
ihrer Milschwestern von einer großen Schuld frei-
gesprochen hat," so ist dies jedoch als eine einseitige
Auffassung zu betrachten, denn die, auf Home, Rottcck,
Schlosser und andere Geschichtsforscher aufgebaute
Erzählung muß als eine Lectüre bezeichnet werden,
die dem männlichen Denken und Fühlen näher liegt,
wie dem weiblichen, besonders in der Beziehung, die
gegen den historischen Klatsch Front macht und Anna
Boleyn nur als das Opfer eines ebenso wollüstigen,
als launenhaften Regenten hinstellt. Die Londoner
Hofverhältnisse der damaligen Zeit sind mit Sicher-
heit wiedergegeben und eine besondere Sorgfalt ist
auf die Zeichnung des Kostüms verwandt worden.
Hoffentlich ist dieses Werk nicht das letzte, welches R.
vom Hof mit ihrer genauen Kenntniß der englischen
Geschichte zu gestalten weiß. A.
Bericht der Wetterauischen Gesellschaft
für die gesammte Naturkunde zu Ha-
nau über den Zeitraum vom 1. April
1885 bis 31. März 1887. (169 S.)
Nach Vorausschickung eines Berichtes über den
Gang und Stand des Vereinslebens in den letzten
zwei Jahren, aus welchem wir hier den Nekrolog des
am 14. Mai 1885 verstorbenen Gymnasialprofeffors
Dr. Fliedner besonders erwähnen, folgt als wissen-
schaftliche Beigabe die systematische Übersicht der bis
jetzt in dem Kreise Rotenburg a/F wildwachsenden
und häufiger kultivirten phanerogamischen wie krypto-
gamischen Pflanzen, bearbeitet von dem Nestor der
hessischen Naturforscher, dem Kreisphysikus Sanitäts-
rath Dr. med. et phil. Eisenach zu Rotenburg.
In den beiden vorhergehenden Jahresberichten der
oben genannten Gesellschaft hat derselbe Verfasser die
Fauna seines Heimatsbezirkes bearbeitet und zwar
in dem 1683er Berichte die Wirbelthiere und Käfer,
in dem in 1885 erschienenen Berichte die übrigen
Insekten, die Würmer, Krebse, Spinnen und Weich-
thiere. ------------ A.
Der Redaktion des „Hessenlandes" sind folgende
neue Schriften zugegangen:
Kurze Geschichte des Kreises und der
Stadt Hanau nebst einer chronologischen
Uebersicht der Hauptereignisse. Allen
Freunden der Heimath gewidmet von W. Jung-
hans, Pfarrer, Vorsitzender des Hanauer Bezirks-
vereins für hessische Geschichte und Landeskunde.
Hanau 1887. Fr. König's Buchhandlung.
Briefwechsel der Königin Kabhari na und
des Königs Jeröme von Westfalen, sowie
des Kaisers Napoleon I. mit dem König
Friedrich von Württemberg. Herausgegeben
von Dr. August v. Schloßberger, Bicedirektor
des königl. württemb. geh. Haus- und Staatsarchivs;
Bd. II, vom 20. März 1811 bis 27. September
1816. Stuttgart, Verlag von W. Kohlhammer. 1887.
Beiträge zur Geschichte des Feldzuges
von 1806 nach Quellen des Archivs Marburg.
Von Dechend, Premier-Lieutenant im hessischen
Füsilier-Regiment Nr. 80. Berlin, Verlag von
Friedrich Luckhardt 1887.
Das dritte, vierte und sechste Deichest zum
Militär-Wochenblatt. Herausgegeben von von
Löbell, Oberst z. D. Berlin, Verlag von Siegfried
Mittler <L Sohn 1887. In denselben sind die Artikel
«Aus dem Leben des kurhessischen Ge-
neral-Lieutenants Bauer", sowie «Die
Armee des Königreichs Westfalen in den
Jahren 1808 bis 1813" enthalten.
Wegen Raummangels mußten wir die Besprechung
vorstehender vier Schriften für eine spätere Nummer
unserer Zeitschrift zurückstellen.
Briefkasten.
J. G. inFulda. Der Aufsah wird in der 1. Nummer
des folgenden Quartals erscheinen.
L. (I. in Kassel. Da eins der beiden von Ihnen
uns gesandten Gedichte inzwischen anderwärts veröffent-
licht ist, ist der nachträgliche Abdruck im „Hessenland"
nicht gut thunlich. Vielleicht senden Sie gelegentlich
ein anderes.
Th. K. in Melsungen. Freundlichen Dank. Brief
folgt.
ß. v. B. in Fulda. In Betreff der uns zugegan-
genen Einsendung erfolgt briefliche Mittheilung.
Pfr. G. H. in H. Wann kommt einmal ern Lebens-
zeichen?
W. K. in Hanau. Wir verweisen Sie auf die
Abonnements-Einladung aus der.letzten. Seite.
264
-#£3+ DwIsitunH pm IbonukMknt. «=§*-
----------K-----------
An seinem dreivierteljährigen Bestehen hat das „Heffenland" den Beweis geliefert, daß es
in unserm Volke Boden gefunden hat; die täglich wachsende Zahl seiner Leser zeigt, daß seine
Schaffung einem vorhandenen Bedürfnisse entgegen kam.
Wir werden bemüht sein, diesen Erfolg festzuhalten, indem wir der hessische« Heschichte
«ud Literatur eine Stätte bieten, da sie sich entfalten kann., Nichts Hessisches soll uns fremd
sein — Alles, was unser engeres Vaterland betrifft, soll liebevolle Pflege in dem Rahmen unseres
Blattes finden. Was uns Heffen vereint, nicht was uns trennt, wollen wir hegen; darum wird
nach wie vor das „Hessenland" von politischen und sonstigen Streitfragen sich fernhalten.
Wie die Zahl unserer Leser in erfreulicher Zunahme begriffen ist, so haben auch immer
mehr namhafte Gelehrte und Schriftsteller durch ihre Mitarbeit uns unterstützt. Wir nennen hier
nur folgende Namen:
Dr. K. Ackermann- W. Dennecke- Dr. H. Brunner- A. Gild- S. Hahndorf- Maler L. Katzenstein- Dr. Ludwig
Knorz- Dr. Th. Köhler- I. Lewalter- Dr. Ed. Lohmeyer- Professor Friedrich Müller- Karl Neuber-
W. Nogge-Ludwig- Major von Stamford- Franz Treller- Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur-
Jos. Gran- Bibliothekar A. von Keitz- Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Strubberg in Gelnhausen;
Pfarrer Junghans- Banquier NeumüUer- Landgerichtsrath I. Neul- Dr. G. Wolff in Hanau; Kurt Nutzn
in Kesselstadt; Major von Gironcourt- Dr. Sigmund Paulus in Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath
Preser in Wächtersbach; Julius Braun- Nataly von Efchstruth- E. v. Hohenhausen- Dr. Julius Nodenberg in
Berlin; Professor Dr. Adolf Müller in Chemnitz; Major H. von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius
Gräfe in Dresden; E. von Goeddaeus- Dr. Hugo Goldschmidt- Mo Kanngießer- Elisabeth Mentzel-
D. Saul in Frankfurt a. M.; Gymnasialdirektor Dr. Leimbach in Goßlar; Hans Paulus in Halle a. d. S.;
Gustan Kastropp in Hannover; Jul. Köster in Köln; H. Keller-Jordan in München; Ludwig Mohr in Nord-
hausen; Malwida von Meysenbug in Rom; Feodor Löwe in Stuttgart; A. Trabert in Wien; Major
August von Baumbach in Wiesbaden.
Um aber unserm Blatte nicht nur eine geistige, sondern auch eine materielle Grundlage zu
sichern, bedürfen wir auch ferner und in erhöhtem Maße der Mitwirkung aller unserer Freunde.
An unsere Mitarbeiter geht das Ersuchen, uns wie bisher durch Beiträge zu erfreuen
und weiter ihr bestes Können für das „Heffenland" einzusetzen. Unsere Leser bitten wir, uns
treu zu .bleiben und da Nachsicht walten zu lassen, wo wir ihren Ansprüchen nicht nachkommen
sollten. Alle aber werden ersucht, für die Verbreitung unseres Blattes eifrigst zu wirken, ein
Jeder in feinem Kreise und nach seinen Kräften; denn nur, wenn das „Heffenland" in unserer
Heimath allüberall eingebürgert ist, wird es im Stande sein, seine Bestimmung zu erfüllen. Gern
find wir bereit, jedem Leser Probenummern zur Weitergabe unentgeltlich zu überlassen.
Auch find wir dankbar, wenn uns geeignete Adreffen mitgetheilt werden, insbesondere solcher
Landsleute, die in der Fremde weilen.
Wir werden trotz der hohen Kosten, welche die vornehme Ausstattung des Blattes bedingt,
an dem seitherige« billigen Preise festhalten und die leistungsfähige Offizin, in welcher dermalen
das „Heffenland" hergestellt wird, bürgt mit ihrem Namen dafür, daß auch im Vertriebe künftig
Störungen ausgeschloffen bleiben.
So laden wir denn zum Aßounement auf das IV. Huartak ein, in der Hoffnung, daß
»Der Unternehmen überall da freundlich aufgenommen werde, wo hessische Herzen schlagen.
Die Redaktion -es „Destenland".
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. — Druck von Fried». Scheel in Kassel.
Das „Hcffcnland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/2—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Psg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kassel nimmt die Redaktion, Jordanstraße 15,und die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4,
Bestellungen an. Zn der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hessenland" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 19 des „Hessenland": „In meiner Vaterstadt", Gedicht von A. Trabert; „Ein Fürst des
Friedens", Historische Skizze von F. Zwenger; „Schloß Wabern" von W. Rogge-Ludwig; „Hessische Ehrentafel"
von Joseph Schwank; „Aus engem Thal", Novellette von M. Herbert; Nekrolog der Fürstin Auguste zu Asinburg
und Büdingen-Wächtersbach; „Der Ehrenplatz", Gedicht von Franz Treller; „Ein fallendes Blatt", Gedicht von
D. Saul; Aus alter und neuer Zeit: „Brief des Landgrafen Wilhelm IV. des Weisen"; »krodatum est"; „Heinz
von Lüders goldne Kette"; „Der Justizsenat der ehemaligen Regierung zu Marburg"; Aus Heimath und Fremde:
Todesfälle; Monatsversammlung des Geschichtsvereins; Ausstellung des Kunstvereins; Briefkasten.
n meiner Vaterstadt.
er^om Ärauenberge steig' ich nieder
| f 5um lrsuken Nest im Fulösthsl;
Gott grüß euch, Estern, Schwestern, Drüber,
Die hier einst wohnlm mg unö schmal.
Gott grüß auch euch ihr allm Gaffen,
Die ich durchstreifte kreuz unö gurr;
Wie schein! ihr still mir unö verlassen.
Denn Keiner, Keiner grüß! mich mehr.
Doch muß ich ofi inmittm haltm
Nnö ties im Herzen seufz' ich auch;
Sinö öoch öie Häuser ganz öie altm.
Geschwärzt vom Wetter unö vom Rauch.
Nur hier öie neue Straßenzeile —
Wohin sie führt? D weh! öa gellt
Ein langer Pfiff: „Du Älter, eile
Nnö stürme weit an's Enö der Well."
Wir aber hat öss wenig Eile;
Ras' ohne mich, öu langer Aug!
Noch hab' ich Seit, öaß hier ich weile,
Nnö Seit zum Sterben auch genug.
Sum Friedhof auf bekanntem Wege
Führ' öu mich jetzt, mein Wsnöerstsb,
Daß einen Kranz ich nieöerlrge
Dort aus ein langst vergeffnes Grab.
D weh! Auch in öen stillm Grünbm
Ist alles anders, als es war;
Ich kann ja kaum öie altm finöm
Vor all öer neuen Kreuze Schaar.
Da ruhn sie, öie mich hergezogen.
Den müöm Greis im Dsmmerfchein;
Ihr Dieben habt mich nie betrogm,
Ihr, meine Todten, friö noch mein.
A. tzravert.
266
*in Wrst des Meöms.
Historische Skizze von F. Iwenger.
Fleute Landgraf oder keiner mehr! Und wer
IT ein getreuer Hesse sein will, der folge mir! Sie
" Oz ^ haben meinem Vater nicht Frieden gelassen,
der war ihnen zu fromm; gewohneten sie das an
mir, so müßte ich ihnen allezeit gereit sitzen als
ein Zinsmeier, meine armen Unterthanen
müßten sie nähren und keinen Frieden darzu
haben." So lautete nach eines hessischen
Chronisten Angabe die Ansprache, mit welcher
der 25jährige Landgraf Ludwig, dem die
Geschichte den ehrenden Beinamen der „Fried-
same", der „Friedfertige", beigelegt hat, seine
Getreuen entflammte, als er am 23. Juli 1427
bei Großenenglis seinen Gegnern, den Mainzern,
den Erbfeinden unseres Hessenlandes, gegenüber-
stand.
Der Kurfürst und Erzbischof von Mainz,
Konrad III, aus dem Geschlechte der Wildgrafen
bei Rhein, hatte dem Landgrafen Ludwig von
Hessen zwei Tage zuvor, am 21. Juli, einen
Fehdebrief gesandt und war selbst nach Buchonien
mit einem Heer gezogen, um den Bundesgenossen
des Landgrafen, den greisen Fürstabt von Fuloa,
Johannes von Merlau, zu bekriegen.
Den Krieg in Heffen führte sein Neffe, Graf
Gottfried von Leiningen. Letzterer verheerte
mit den Mainzer Schaaren die Felder von
Gudensberg, Felsberg und Melsungen. Als er
auf seinem Rückzüge das Dorf Udenborn zwischen
Fritzlar und Großenenglis an einem Winkel,
den die Schwalm und die Edder bilden, aus-
brannte, ereilte ihn der Landgraf mit seinem
Heer, dem die Mainzer freilich an Zahl bedeutend
überlegen waren. Aber wann wären die Heffen
jemals vor der Uebermacht der Feinde zurück-
gewichen! Was ihnen an Zahl abging, das er-
setzte die hessische Tapferkeit, die Begeisterung,
mrt welcher sie unter ihrem Landgrafen in die
Schlacht zogen. Doch lasten wir den Chronisten
selbst reden: „Da war Bischof Konrad zu
Hassia laetatur, quia princeps iam dominatur,
Qui plus ac humilis, in campis estque virilis.
Gerstenberger Chronic. Hass.
Fritzlar und hatte ein groß Hofwerk beiein-
ander, und unterstund sich den jungen Landgraf
zu beschädigen und meinte, er wäre noch ein
Kind. Aber der junge Fürst gedachte dargegen,
und bewarb sich mit seinen Hessen, edel und
unedel, Bürger und Bauern, daß er ein ziemlich
Volk zusammen brachte, und ließ da die Feinde
beschauen und ihre Macht überschlagen, da erfand
sich's in Wahrheit, daß die Mainzischen den
Hessischen viel zu stark waren. Aber der Land-
graf hieb damit drauf zu den Feinden als ein
Unverzagter. Da folgten ihm die Seinen mit
Treuen und brachten die Feinde in die Flucht
und schlugen sie von Fritzlar gegenüber neben
Englis bis gen Jesberg, und die Heffen gewannen
von dem Bischof von Mainz 400 gesattelter
Pferde und fingen ihm ab 2OO reisiger Mann".
Wenige Tage später finden wir den Land-
grafen bei Fulda. Dort, auf der Westseite, jenseits
des Fluffes, befindet sich das Münsterfeld, eine
weite von mehreren Dörfern begrenzte Ebene.
Erzbischof Konrad von Mainz, ein eitler stolzer
Prälat, stand daselbst an der Spitze seines Hof-
staates und seines Heeres und leitete die Be-
lagerung Fuldas. Am 10. August kam es zur
Schlacht. Erzbischof Konrad verlor den Kern
seiner Truppen und entkam selbst nur durch die
Flucht. Mehr als 300 adelige Ritter wurden
gefangen, auch das Panier des Erzbischofs
wurde von den Hessen erobert und als Trophäe
nach Marburg gebracht, wo es die Kirche der
hl. Elisabeth zierte.
Es waren Ehrentage in der ruhmreichen Ge-
schichte unseres Heffenlandes, die Tage der
Schlachten von Großenenglis und am Münster-
feld, sie lieferten den Beweis, daß der jugend-
liche Landgraf Ludwig, den die Gegner als
„schwächlich" verschrieen hatten, ein tapferer, von
hessischem Heldenmuth beseelter Heerführer war.
Aoer nicht allein in dieser Eigenschaft hat er
267
sich Lorbeer« errungen, weit mehr noch hat er
sich ausgezeichnet, als der stets um das Wohl
seines Landes, seiner Unterthanen besorgte Fürst,
als Gesetzgeber, als Staatsmann. Seltsam, der
Name und die Geschichte dieses durch seine Re-
gententugenden hervorragenden Fürsten sind wenig
bekannt geworden und doch verdient gerade Land-
graf Ludwig I. in der langen Reihe berühmter
hessischer Landgrafen in erster Linie genannt zu
werden. Und hoch verdient hat er sich auch um un-
sere Vaterstadt Kassel gemacht. Er war bürger-
freundlich gesinnt gleich seinem Vater, dem Land-
grafen Hermann dem Gelehrten. Durch seine
Bauthätigkeit verschaffte er den Bewohnern Be-
schäftigung und lohnenden Verdienst, und bei
sämmtlichen Verordnungen, die er erließ, hatte
er nur die Wohlfahrt der Bürger im Auge.
Welchen hohen Ansehens er sich im Rathe der
Fürsten und der Großen des Reiches erfreute,
das geht aus dem Umstande hervor, daß man
ihn zumeist zum Vermittler in Fehdeangelegen-
heiten erwählte, und gut waren die Parteien
berathen, denen er seine Dienste widmete. Von
strenger Gerechtigkeitsliebe beseelt und abhold
unfruchtbaren Streitigkeiten vermittelte er den
Frieden. Und wenn Papst Nikolaus V. ihm
die „goldene Rose" und den Ehrentitel »Prin-
ceps pacis“ verlieh, wohl der schönste, der einen
Fürsten zieren kann, so waren diese Auszeich-
nungen wohl an den Würdigsten der Würdigen
gelangt. Ein nicht minder ehrenvolles Zeugniß
gab ihm Aeneas Sylvius, des deutschen Kaisers
Friedrichs III. geistvoller Geheimschreiber, der nach-
malige Papst Pius II., indem dieser ihn als den
einzigen Fürsten seiner Zeit hinstellte, der nie
in seinem Leben ein ungerechtes Urtheil gefällt
habe.
Sollen wir hier noch einer der trefflichen
Eigenschaften des an Regententugenden so reichen
Landgrafen Ludwig Erwähnung thun, so ist es
die Frömmigkeit des Herzens, die keinen unlauteren
Gedanken aufkommen ließ, verbunden mit der
Demuth und Sanftmuth seines wahrhaft edlen
Sinnes, Eigenschaften, wie dieselben in solcher
Vereinigung, wie bei ihm, nur höchst selten bei
den Führern der Völker vorkommen. —
Es ist nicht unsere Absicht, hier ein um-
fassendes Lebensbild des Fürsten des Friedens,
Ludwigs I. von Heffen, zu entwerfen, das müffen
wir berufeneren Historikern überlassen, uns ist
es vielmehr nur darum zu thun, die Haupt-
momente aus dem Leben eines Regenten zu
schildern, den zu besitzen wir Heffen vor anderen
deutschen Stämmen stolz sein können. Wenden wir
uns nun nach vorstehender Einleitung in unserer
nächsten Nummer zu unserer Aufgabe selbst.
(Fortsetzung folgt.)
abern.
Von W. Rogge-Tuöwig.
sohl kein anderes Land war in früheren
Zeiten so reich an prunkvollen fürstlichen
Schlössern, als das Hessenland, jetzt aber
zeigen viele derselben nur noch geringe Spuren ihrer
einstigen Pracht und Herrlichkeit, da sie im Laufe der
Zeit zu praktischeren Zwecken, zu Gerichtslokalen
oder gar zu Strafanstalten verwendet worden sind.
So hat auch das stolze und historisch bedeutsame
Schloß zu Marburg, einst dazu bestimmt, Philipps
alte Stadt zu hüten, dem Geschicke nicht entgehen
können, viele Jahre hindurch zur Verwahrungs-
anstalt der schwersten Verbrecher des Landes zu
dienen und ist erst in neuerer Zeit einer seiner Ver-
gangenheit würdigen Bestimmung zurückgegeben.
Ein noch härteres Schicksal hat das in den Jahren
1704 bis 1707 von dem Landgrafen Karl erbaute
und zum Lustschloß seiner Gemahlin Marie
Amalie bestimmte Schloß zu Wabern betroffen.
Einst der Lieblingssitz hessischer Fürsten, ist es
jetzt all seines einst so reichen Schmuckes im
Innern entkleidet, völlig umgebaut und zu einer
Verwahrungs- und Befferungsanstalt für jugend-
liche Verbrecher bestimmt worden. Da möchte
es wohl angezeigt sein, einen Rückblick auf die
Zeit zu werfen, in welcher dort nicht die Zucht-
ruthe, sondern nur Lust und Fröhlichkeit herrschte,
zumal es, soweit mir bekannt ist, an einer Geschichte
desselben noch gänzlich fehlt.
Landgraf Karl, welcher das Gebäude mit zwei
Stockwerken massiv und in einem nicht ungefälligen
Stil erbauen und mit einem Park umgeben ließ,
hatte in der großen, weiten und fruchtbarsten
268
Ebene Niederhessens, begrenzt von nahen und
fernen Waldgebirgen, eine für ein Lustschloß sehr
geeignete Stelle gewählt. Aus seiner Regierungs-
zeit und der seiner nächsten Nachfolger, Friedrich I.,
König von Schweden und Wilhelm VIII. ist
von dem Schlosse nichts Bemerkenswerthes bekannt
geworden. Ersterer hat nur einmal bei seinem
Regierungsantritt seine Stammlande besucht und
Letzterer schenkte ihm keine Beachtung, da sein
Augenmerk nur auf die Gründung von Wilhelms-
thal, für welches er über eine halbe Million
Thaler verwendete, gerichtet war.
Die Glanzzeit des Schlosses beginnt erst mit
dem Regierungsantritt des Landgrafen Friedrich
II. Dieser prunkliebende Fürst, welcher in Nach-
ahmung des am französischen Königshofe herrschen-
den Glanzes alle andern von gleichem Streben
erfüllten deutschen Fürsten übertraf, hatte alsbald
nach seinem im Jahre 1760 erfolgten Regierungs-
antritt Anordnung getroffen, das schon etwas
verfallene Schloßgebäude durch seine vollständige
Wiederherstellung und Erweiterung durch Neu-
bauten zu einem glänzenden Höfiager herzu-
richten. Aus dem im Jahre 1764 zuerst erschienenen
hessischen Staats- und Adreßkalender ergiebt sich,
daß schon in diesem Jahre die Falkonerie dort
ini Sommer während der Baizzeit ihren Sitz hatte.
Das dazu gehörige Personal bestand aus einem
Ober-Falkenmeister (von Kanitz und dann von
Osterhausen), einem Falkenpagen, einem Falken-
meister, vier Falkenknechten, drei Falkenburschen
und einem Reiherwärter zur Aufsicht über das
in der Nähe des Schloffes gelegene und seit
einigen Jahren abgeholzte Reiherwäldchen.
Zu dem Hoflager, welches Friedrich II. jedes
Jahr im Juni im Schlosse hielt, wurden außer dem
sehr zahlreichen Hofgefolge, zu welchem namentlich
viele Officiere gehörten, den Jagdbeamten rc.
auch das sämmtliche Personal des ftanzöfischen
Theaters, des Ballets und der Hofkapelle heran-
gezogen und alle fanden in den mehr als
fünfzig Zimmern des Schlosses ihre Unterkunft.
Für das gesammte Hofgefolge, Herren und Damen,
war für die Zeit ihres Aufenthalts im Schlosse
die Kleidung genau vorgeschrieben. Sie bestand
für die Herren in Röcken von Scharlachtuch mit
Ermeln und Kragen von hellblauem Sammet,
verziert mit silbernen Tressen; für die Damen
in Kleidern von derselben Farbe und in mit
einem Reiherbusch geschmückten Hüten. Den Herren
durfte in damaliger Zeit bei schön gepuderter
Frisur der Zopf nicht fehlen, indem die Haare
in einem sehr breiten und fast fußlangen
schwarzseidenen Haarbeutel getragen wurden.
Reiherbaizen, Falkenjagden, Schauspiele, Kon-
zerte, großartige ländliche Feste, splendide Hostafel
brachten dann ein glänzendes und an Abwechslung
reiches Leben in das Schloß, welches noch dadurch
erhöht wurde, daß für diese Zeit auch mehrere
Regimenter in die nächste Umgebung zusammen-
gezogen wurden.
Landgraf Friedrich stand, wie Heinrich Koenig
schreibt, „unter dem Meridian der französischen
Sprache und Literatur, welche durch Voltaire
bezeichnet wird und auch in gewissen Kreisen der
Gesellschaft etwas vom Dufte volltairischer Denkart
verbreitet hatte." Damit steht auch im Zusammen-
hang, daß Voltaire einmal selbst in dieser Zeit
auf einer Reise von Berlin nach Paris zu den
Gästen des Landgrafen in Wabern gehört hat.
Bei solchem Geiste der Zeit konnte es dem
üppigen Hofleben auch an interessanten Vorfällen,
Intriguen u, s. w. nicht fehlen, von welchen
zahlreiche Beobachter, welche sich aus Kassel und
anderen Städten in dieser Zeit in Wabern
einfanden, mancherlei pikante Anekdoten zu er-
zählen wußten.
Unter den galanten Damen des Hofes zeich-
neten sich besonders aus die unvermählte Prin-
zessin Charlotte, Tochter des Prinzen Maximilian
von Hessen, und eine bei dem Landgrafen in
besonderer Gunst stehende Gemahlin eines Generals.
Allen diesen ftanzöfischen Herrlichkeiten wurde
wie mit einem Zauberschlage ein jähes Ende
bereitet, als der echt deutsch gesinnte Landgraf
Wilhelm IX. im Jahre 1785 den Thron seines
Vaters bestieg. Schloß Wabern gerieth während
der 36 Jahre seiner Regierung fast vollständig
in Vergessenheit, da dieser kunstsinnige Fürst
vor Allem darauf bedacht war, die nach ihnl
benannte Wilhelmshöhe durch Erbauung des
Schloffes und der Löwenburg, Anlegung des
Steinhöferschen Wafferfalls und des Aquaeouktes
zu dem „schönsten Garten Europas" zu erheben.
Auch König Jerome ließ das Schloß in Wabern
ziemlich unbeachtet, hat es aber mit der Königin
bald nach seinem Regierungsantritt besucht.
Diese schrieb am 7. März 1808 an ihren Vater
aus Kassel:
„Wir haben einen Ausflug nach Wabern, einer
6 Stunden von hier entfernten Domaine des
Königs gemacht. Es war aber ein wegen der
großen Kälte wenig angenehmer Aufenthalt, da
in den großen Zimmern keine Oefen, sondern nur
schlecht konstruirte Kamine sind. Das Schloß
ist ein gefälliges Gebäude, aber nur zum
Rendezvous für die Jagd im Sommer geeignet,
ich glaube nicht, daß wir es noch einmal im
Winter besuchen werden."
Erst unter der Regierung Wilhelm II. begann
wieder eine Glanzzeit des Schloffes. Nachdem
dieser baulustige Fürst das neue Schloß in
Kassel gebaut und dieses, sowie das Schloß auf
Wilhelmshöhe mit der größten Pracht im Innern
269
hatte ausstatten lassen, traf er im Jähre 1827
Anordnungen, auch das Schloß in Wabern im
Innern und Äußern vollständig wieder herzustellen
und mit dem eines fürstlichen Schlosses würdigen
Mobiliar zu versehen. Um die Ausführung zu
überwachen, war er häufig selbst an Ort und
Stelle anwesend, vor Allem aber darauf
bedacht, die Gemäldesammlung des Schlosses durch
werthvolle Bilder aus anderen kurfürstlichen
Schlössern zu großer Bedeutung zu. erheben.
Sie enthielt an 500 Oelgemälde, zumeist von
großen Meistern, darunter allein 42 von dem
älteren und 54 von dem jüngeren Tischbein,
sowie eine Sammlung von 1200 höchst werthvollen
Kupferstichen, Zeichnungen und Radierungen.
Besonders zahlreich vertreten waren in der Oel-
emäldesammlung die Portraits hessischer und an-
erer Fürsten, sowie der Herren und Damen am
Hofe Friedrich II. und außerdem namhafter hessi-
scher Officiere aus den verschiedenen Zeiten, welche
in einem Saale vereinigt waren. Auch das Andenken
an einige ausgezeichnete Falken war durch deren
Abbildung der Nachwelt aufbewahrt worden.
Eine Hauptzierde des Schlosses und einzig in
ihrer Art war eine von Tischbein gemalte Tapete
in dem großen nach dem Park zu gelegenen
Saale. Gegenstand der Abbildung war der
Auszug zu einer Falkenjagd. Friedrich II. mit
allen Herren und Damen des Hofgefolges, sowie
alle zur Jagd gehörigen Personen bis herab zu
dem geringsten Diener waren in der entsprechenden
Situation portraitähnlich dargestellt; die Haupt-
personen erschienen im Vordergrund zu Pferde.
Wilhelm II. war es indessen nur wenige Jahre
beschicken, sich an dem so glänzend ausgestatteten
Schlosse zu erfreuen. Sein Nachfolger, Kurfürst
Friedrich Wilhelm, war nur darauf bedacht,
es in diesem Zustande zu erhalten und hat sich
häufig zur Jagd oder bei Gelegenheit der in der
Nähe stattfindenden Herbstmanöver darin auf-
gehalten.
Die Ereignisse des Jahres 1866 wurden auch
für dieses Schloß entscheidend, dafür dessenJnstand-
haltung nichts mehr aufgewendet wurde. Die
noch aus etwa 400 Stück bestehende Oelgemälde-
sammlung, einschließlich der erwähnten Tapete
nebst den Zeichnungen, sowie das werthvollere Mo-
biliar gelangten in den Besitz des Landgrafen
Friedrich Wilhelm von Heffen und bilden jetzt
einen Hauptschmuck des so prächtig hergestellten
Philippsruher Schlosses. Ein Verlangen nach
dem Besitze des seiner inneren Zierden entkleideten
Schlosses, welcher nur bedeutende Kosten verursacht
haben würde, zeigte fich bei keinem derer, welche
etwa darauf Ansprüche hätten erheben können, und
da sich auch sonstige Kauflustige nicht fanden,
ging es seiner neuen praktischen Bestimmung
entgegen.
Wenn es diese, wie zu erwarten, zum Segen
des Landes erfüllt, wird der Verlust seines
früheren Glanzes wohl zu verschmerzen sein.
Desstsche Ehrentafel. ^
Von Joseph Schwank.
I. Dreißigjähriger Krieg.
1620 29. Oktober. Schlacht am weißen Berge
bei Prag im Heere des Kurfürsten von
der Pfalz.
1631 Mai. Heldenmüthige Vertheidigung von
Magdeburg unter Oberst Falkenberg gegen
die Baiern.
., 12. Mai. Eroberung von Vach durch
Wilhelm V.
„ 28. August. Eroberung von Fritzlar durch
denselben.
„ 7. September. Schlacht bei Leipzig.
„ 2. Oktober. Gefecht bei Ziegenhein gegen
Lilly.
*) Chronologische Zusammenstellung der Schlachten,
Gefechte, Belagerungen und Scharmützel, an welchen die
Hessen seit dem dreißigjährigen Kriege theilgenommen
haben,
1631 1. November. Eroberung von Minden
durch Wilhelm V.
„ 9. Dezember. Erstürmung der Mainspitze
bei Mainz mit Durchwatung des Mains.
1632 27. Februar. Eroberung von Amöneburg
durch Wilhelm V.
„ 22. März. Niederlage bei Höxter gegen
die Kaiserlichen.
„ 28. Mai. Treffen in der Nähe von Kaffel
gegen diese, General von Uslar erbeutet
600 Pferde.
„ 17. Juni. Niederlage von acht hessischen
Regimentern bei Volkmarsen im Treffen
gegen diese unter Graf Gronsfeld.
„ 25. Juni. Gefecht hessischer Reiter bei
Mackenzell gegen 800 Bauern, von denen
500 blieben.
27a
1632 24. August. Sturm auf das Lager der
Kaiserlichen bei Nürnberg.
„ 6. November. Schlacht bei Lützen. Hier
wurde der Fuldaer Abt Bernhard Schenk
zu Schweinsberg, welcher der Schlacht als
Zuschauer beiwohnte, erschossen.
1633 11. April. Gefecht vor Lippstadt, wobei
der hessische General Jakob Mercier blieb.
„ 28. Juni. Schlacht bei Segelhorst in der
Grafschaft Schaumburg.
1634 13. April. Gefecht bei Herford gegen die
Kaiserlichen.
„ Gefecht bei Brilon.
„ 20. April. Erstürmung von Höxter, das
der hessische Oberstlieutnant- Krug besetzt
hatte, durch die Kaiserlichen.
„ 7. November. Niederlage des Generals
Dalwigk bei Hersfeld gegen den kaiserlichen
General Jsolani.
„ 29. Dezember. Erstürmung von Salzkotten,
worauf sich Lippstadt, Lünen, Soest und
Hamm dem Landgraf Wilhelm V. unter-
warfen.
1635 6. März. Gefecht bei Neustadt unweit
Ziegenhain gegen die kaiserliche Reiterei,
die zersprengt wurde.
„ 21. März. Gefecht bei Kleinensee. Der
Hess. General Eberstein schlägt den kaiserl.
General Jlow in die Flucht.
1636 13. Juni. Entsatz von Hanau durch
Wilhelm V.
„ 18. Juli. Glückliche Vertheidigung des
Schlosses zu Homberg gegen die Kaiserlichen.
1637 Gefechte in Pommern und Sachsen.
1639 Gefecht bei Zwickau.
1640 Gefechte in Ostfriesland, Westphalen und
am Rhein.
„ 16. November. Oberstwachtmeister Latomus
mußte Friedberg räumen.
„ Siegreiches Treffen bei Holzminden.
„ Einnahme der Stadt Soest.
„ Oberst Rabenhaupt erorbert Huissen und
Calcar und schlägt General Lamboi's An-
griff zurück.
1641 14. Dezember. Niederlage des Oberst-
wachtmeisters Wilke in Helmarshausen gegen
die Kaiserlichen,
1642 7. Januar. Ruhmreiche Schlacht bei Hüls
im Kurkölnischen. Bei Dormagen hieb die
Hess. Reiterei noch 300 feindliche Dragoner
nieder. — Einnahme von Neuß, Lünen,
Kempen, Düren, Hulkrath.
„ 17. Januar. Ruhmreiche Schlacht bei der
Kemper Landwehr auf der Antoni-Heide,
woselbst die Hessen den kaiserlichen General
Lamboi gefangen nahmen und das Erz-
stift Köln nebst dem Herzogthum Jülich
eroberten.
1642 Ueberfall und Niederlage der Kaiserlichen
bei Stadtberge durch General Geise.
„ und 1643 Theilnahme an den Feldzügen
der Schweden in Sachsen und Schlesien
und der Franzosen in Thüringen, Franken,
Schwaben und am Rhein.
1643 Ueberfall des kaiserl. Feldmarschall-Lieut.
Luttersheim bei Stadt Bergen durch die
Hessen.
„ 30. Oktbr. Einnahme von Kirchhain durch
General Geise.
,. 5. November. Desgleichen von Alsfeld.
1644 Vertheidigung von Cösfeld.
„ Eroberung von Höchst durch General Geise.
„ September. Eroberung von Bredenbend und
Zanten.
„ September. Eroberung von Höchst durch
General Geise.
1645 Januar. Blokade von Magdeburg.
„ „ Einnahme der Festung Hornburg
bei Wolfenbüttel.
„ 25. Juli. Siegreiche blutige, durch die
Hessen entschiedene Schlacht bei Allersheim
unter General Geise. 40 Fahnen und 16
Kanonen erbeutet. 2000 Gefangene.
„ 3. August. Schlacht bei Nördlingen.
„ 2. September. Belagerung von Friedberg.
„ Einnahme des Schlosses Heldrungen in
Thüringen durch General Geise.
„ Vertheidigung von Kirchhain.
„ 27. Oktober. Einnahme von Butzbach durch
General Geise.
„ Eroberung von Nördlingen u. Dinkelsbühl.
1646 Eroberung von Marburg.
„ 3. Februar. Einnahme des Schlosses
Rauschenberg durch General Geise.
„ 15. Juni. Eroberung von Amöneburg
durch diesen und Wränget.
„ Sieg des Obersten Rabenhaupt bei Zons
a. Rh. gegen den kaiserl. Oberst Sparr.
„ 10. August. Eroberung von Schmalkalden.
„ 4. Sept. Einnahme von Kirchhain.
„ 5. Oktober. Eroberung von Alsfeld durch
General Geise.
„ 9. November. Sieg des General Geise
über den nun in Darmstädter Diensten
stehenden General Eberstein bei Frankenberg.
„ 6. Dezember. Sieg bei Rauschenberg über
die Darmstädter u. Wegnahme des Schlosses
Wolckersdorf.
„ Eroberung des Schlosses Gleiberg durch
General Geise.
1647 Vertheidigung des Schlosses in Marburg.
„ Mai. Einnahme von Nidda und Katzen-
271
einbogen, letzteres unter dem Hess. General
Caspar Cornelius Montaigne.
1647 10. Mai. Eroberung von Friedberg, Caub,
Gutenfels und Reichenberg durch denselben.
„ 1. Juli. Belagerung von Rheinfels, wo-
bei dem General Montaigne der linke
Fuß abgeschossen wurde, was am 8. Juli
seinen Tod zur Folge hatte. Die Festung
mußte sich nachher ergeben.
„ Juli. Eroberung der Stadt Schotten.
„ „ Eroberung des Schlosses Hohenstein
in der Grafschaft Katzenelnbogen.
„ 1. Oktober. Einnahme von Alsfeld.
„ 2. November. Einnahme und gänzliche
Zerstörung (18. Nov. 1647) des Schlosses
Blankenstein.
1648 30. Januar. Uebergabe des Schlosses
Homberg an den Hess. General Rabenhaupt.
„ 30. März. Abschlagung des vom kur-
kölnischen General Lamboi auf das von
Oberst Willich besetzte Geseke unternom-
menen Sturmes und in Folge dessen Ab-
zug Lamboi's über den Rhein.
1648 4. Juni. Vollständiger Sieg über die
Kaiserlichen bei Grevenbroich in einem von
Morgens bis Abends dauernden äußerst
hitzigen Gefechte, dem letzten des dreißig-
jährigen Krieges. Hier siegte General
Geise über General Lamboi, welcher 4300
Mann, 11 Kanonen und 16 Fahnen verlor.
In diesem Kriege wird die strenge Manns-
zucht und nie wankende Tapferkeit der hessischen
Truppen allgemein anerkannt. Ihnen wird nach-
gerühmt, daß sie ihren Bundesgenossen „vorn
eine starke Mauer, von hinten ein fester Riegel"
waren, und daß sie niemals ohne Ehre vor ihren
Feind gekommen seien. (Wird fortgesetzt in
zwangloser Folge.)
|m engem Wal
Novrllelle v. M. Herbert.
herzlicher Theilnahme las ich neulich das
MiLied eines alten Kurhessen, eines festen
o't^Mannes, den politische,Stürme aus unseren
lieben Gauen hinausgetrieben haben in das gast-
freie Oesterreich. Es ist ein Lied, in welchem
ein treuer Sohn der Erde unseres Hessenlandes
sein Heimweh in herzergreifenden Tönen aus-
spricht :
»Zu Fuld' im lieben Neste
Tönt am Frohnleichnamsfestc
Der Glocke mächtiges Läuten,
Die seit uralte» Zeiten
Die Mutter Osann heißt.
Da fühlen sich wohler die Kranken —
Großmütterchen, sie wanken
Am Stabe nicht und schreiten
Bei dieser Glocke Läuten
Mit festrem Tritt zum Dom.
Ich aber bin verschlagen
Aus meiner Jugend Tagen
Und hab' in fernen Weiten
Von dir auch müssen scheiden
Du alter Buchcngau.
Doch wenn ich auch vergessen
Noch dein gedenk, o Hessen,
Und wenn ich Nachts im Walde
Auf mondbeglänzter Halde
So ganz allein mich weiß:
Da hör' ich fetnes Läuten —
Da möcht ich die Arme breiten
Und wieder knien als Knabe
Am Bonifatiusgrabe —
Weil Mutter Osann ruft.*)
Das Lied ließ mich nicht los, als ich an einem
Nachmittag im Spätherbst auf einem heidebe-
wachsenen Rain am Fuldaufer zwischen den beiden
kleinen hessischen Dörfern Röhrenfurt und Loben-
hausen saß. Während die Fulda stille ihren Weg durch
die träumende Herbstgegend machte, fühlte ich, wie
lieb auch mir das enge Heimathland ist und meine
Gedanken hielten einen Vagabundenstreifzug an
allen schönen Punkten vorüber, deren Spitzen
just aus meinem Gedächtnißland beleuchtet her-
vorragten. Herauf gezaubert durch die Worte
des Liedes stieg vor meiner Seele empor die
Bischofstadt des Winfried Bonifatius, ich ging
mit der Frohnleichnamsprocession durch die alten,
heute so -reich geschmückten Straßen. Ich trat in
den Dom! die Propheten und Sibyllen schauten
ernsthaft nieder aus ihren Gypswolken, ich kniete
in der Krypta, wo seit elf Jahrhunderten unan-
getastet des Heiligen Gebeine ruhn. Dann trug
*) Osann von Hosiannah.
272
mich der Gedankenflügel in die hohe Rhön und
bei den Patres am Kreuzberg trank ich ein ge-
müthliches Bier. Und wieder stand ich in dem
klugen» gelehrten und doch in ewiger, malerischer
Jugend prangenden Marburg, mit seinem Wunder
der Gothik, der schlanken, jungfräulichen Kirche
der heiligen Elisabeth. Ich trat hinein durch
das Thor mit den herrlichen Ornamenten. Bogen
und Säulenpracht umfing mich und hessische
Große sahen zu mir auf vom steinernen Sarko-
phag — mächtige Gestalten todter Tage. Fritzlar
grüßte ich dann — den interessanten Dom mit
den romanischen Denkmälern und dem kostbaren
Schatze von Kelchen, Patenen, Monstranzen und
Reliquienschreinen. Ich stand in der alten Krypta,
wo das verlassene Grabmal des hl. Wigbertus
steht; ich saß träumend auf dem sonnigen kleinen
Hof inmitten des Kreuzgangs und die grauen
Grabsteine erzählten mir graue Geschichten aus
vergangenen „Jahren der Herren". Ich weilte
am edelsteingeschmückten Schrein der Heiligen und
mir schien, ich fühlte den Rosenduft ihres barm-
herzigen lieblichen Lebens, dessen Glanz noch
heute auf Hessen und Thüringen liegt. Die
einst engen, mittelalterlichen Straßen von
Fritzlar scheinen noch wiederzuhallen vom Geklirr
der Rüstungen deutscher Ritterschaft — Konrad
von Franken ging aus diesen Mauern zum
Kaiserthron.
Nun lehne ich an der zerbröckelnden Mauer-
brüstung des Heiligenberges und zähle der Chatten-
dörfer „alle sefle". Homberg lockt mich zu sich
herüber. Dort am Schloßberg spukt „die blaue
Dame", aber noch lieber ist mir die Erinnerung
an „Karoline von Baumbach", die hessische Helden-
maid. Spangenberg seh' ich erstehn, auf hohem
Schlosse wohnte dort einst das Geschlecht derer von
Treffurt, Raubritter waren sie, — zwei Brüder.
Einer stürzte im nächtlich tollen Ritt vom Hel-
drastein hinab. Ein Ave Maria rettete sein
Leben. Als Büßer starb er in Eisenach. Otto
der Schütz wohnte hier, die ritterliche Sagenge-
stalt Kinkels — und träumte einen seligen Liebes-
traum mit der schönen Elsbeth von Cleve —
später hauste in den weiten Gemächern Marga-
rethe von der Saal, Landgraf Philipps Neben-
gemahlin. Dort kniete sie in einer kleinen
eigens für sie gebauten Kapelle. Was sie wohl
ebetet haben mag?--------Noch später schmachteten
ort politische Gefangene und in 1871 lagen in
den öden Gemächern kriegsgefangene Franzosen —.
Die Zeiten wechseln. Fortgezogen folgt mein Geist
dem Flusseslauf nach Kassel, der alten Kurfürsten-
stadt. Ich stehe auf der Kettenbrücke und vor
mir erhebt sich der neue Justizpalast — hier
trauerten einst die. unvollendeten Mauern der
Chattenburg — nun hat die Gegenwart gesiegt und
sinnend liegen die Sphinxe vor den imposanten
Stufen. Altes, schönes Kassel! Wieviel hast du ge-
sehen ! Landgrafen und Kurfürsten in langer Reche
— den lustigen Jsrüme — die rothe Revolution
— die große Veränderung von 66. Du empfingst
den trauernden Napoleon III. auf dem Prachtsitz
deiner Fürsten und sahst den letzten, verbannten
Sproß ihres Hauses im Todtenschreine deine
Straßen wieder durchziehen. Noch heute meine
ich den Eisenbahnzug durch das winterliche Land
fahren zu sehen, der seine Leiche brachte, noch
meine ich die ernsten Glocken diesen Einzug grüßen
zu hören.
Im Wilhelmsthaler Rococo-Schlößchen drüben
im Walde aber hängen lange Reihen Tisch-
beinischer Portraits und erzählen von der
zarten Schönheit der Töchter, hessischer Adelsge-
schlechter, und vor dem Theater steht das edle
Monument des ernsthaften Meisters Spohr —
des hessischen, musikalischen Klassikers und hier
und dort hängt in Palast oder Gallerie ein Bild
des feinsinnigen Nahl. Ein hessisches Landeskind
auch stellte die prächtigen, adeligen Frauenge-
stalten auf im Treppenhaus der Gemäldegallerie;
stolz und erhaben grüßen diese Repräsentantinnen
mächtiger, künstlerisch begabter Nationen. Drunten
in der Au aber trauert der hessische Löwe mit
gesenktem Antlitz um die Helden, welche auf dem
Forst die fremde Todeskugel traf. O, du reiches,
kleines Hessen, wie wandeln durch deine Auen
hohe Gestalten der Heldensage, der Poesie, der
Kunst, des Märchens, dem die Gebrüder Grimm
so Herrliches abgelauscht! wie wohnen in deinen
Gauen Glück und Leid so nahe nebeneinander!
Innig mit dem Gemüthe des Volkslebens ver-
knüpft ist der Christenglaube, — das Halten an
Treu und zäher Redlichkeit. Wohl mag in der
Ferne deine Kinder, kleines Land, bittere Sehn-
suchtsqual ergreifen! Historische Reminiscenzen
wie diese wecken manch prächtiges Bild alter
und neuer Zeit, und doch, was den mächtigsten
Zauber um uns schlingt, ist der Reiz der heimischen
Natur, des heimischen Volkslebens.
Eben jetzt verfiel ich dem Zauber dieser Natur.
Einer der ersten Novembertage, deren Nächte
schon vom Meißner den Frau-Hollentanz des
Windes und vom Odenberg den Wodanszug des
eisigen Sturmes gebracht, gaben der einfachen,
nur dem liebevoll forschenden Auge ihre ver-
schleierten Reize bietenden Landschaft eine fast
drückende Melancholie, die jedoch durch das Ein-
gehen auf die von grauem Nebel verhangene
Schönheit von Fluß, Wald und Berg gemildert
ward.
Mit tiefem, herzlichen Blick der Seele lohnt das
verschwiegene, hessische Thal dieses Eingehen auf
die Geheimniffe seiner innersten, unentweihten
273
Natur. Es giebt den Reichthum seines unbe-
gehrten. unbeachteten Herzens dem freundlichen
Beobachter hin, der weltfern und bescheiden ge-
nug ist, seine in keinem Reisehandbuch, auf
keinem Plane verzeichneten Wege zu gehen. In
angehäuftem Buchenlaube rauschen seine Füße,
neben ihm an den Rainen die wildverschlungenm
Brombeerranken zwischen den schneeweiß gebleichten,
mächtigen Blättern der Adlerfarre weisen ihre
herrliche Zeichnung und prachtvolle Farben-
schattirung des leuchtenden Roth von jeder Nü-
ance im feinsten Uebergange zu Braun, Grün
und Orange. Die Fulda — zu Zeiten so leb-
haft, ist stille geworden über dem Ernst der Zeit.
Die hellen Lichter aus ihrer Fluth von geschmolzenem
Silber schwinden und kehren in träumerischem
Spiel über dem Bilde des tannenbewachsenen
Hügels am jenseitigen Ufer im Wasserspiegel.
Pinienhast ragt dort und hier ein einzelner
Erlenbaum über dem dunkeln Schilfe empor
und zuweilen trägt ein Luftzug im langsamen,
schwebenden Flug das breite, bunte Blatt einer
Eiche oder Buche vom Waldesrand bis in des
Flusses Lauf, als hoffe das Jahr einen Gruß
seiner vergangenen Jugend bis in die Ewigkeit
des Meeres zu senden. Auf der Landstraße
gehen hessische Bauern, Männer in blauen Leinen-
kitteln, Weiber mit der spitzen Mütze und langen
Bandschleifen. Sie haben noch bte zähen, ge-
duldigen , ausgearbeiteten Züge ihrer Race, des
alten, todesmuthigen Chattenvolkes, vor dem schon
Tacitus Respekt hatte. Ihre Langsamkeit, die
steifen Bewegungen der Glieder, die regungslose
Kopfhaltung, verrathen einen Mangel an geistiger
Regsamkeit, aber dann und wann blitzt in den
grauen Augen ein Strahl empor, welcher verräth:
es ist nur schlummernde Intelligenz.
Langsam, wie das Leuchten einer großen, auf-
ehenden Lebensfreude in ein müdes Gesicht tritt,
richt die Sonne durch die Nebelschleier und er-
weckt urplötzlich mit ihrem „Sesam öffne dich!"
all' den wunderbaren, verhüllt gewesenen Farben-
zauber des herbstigen Waldes. Die Bäume, deren
Aeste und Kronen durch den schon gelichteten
Blätterschmuck leichter und unmuthiger ihre Con-
touren auf den blauen Hintergrund zeichnen,
stehen von heller Purpurgluth übergössen. Die
Wiese hat der letzten Ernte noch einmal den jungen
Halm nachgeschoben und trägt die leuchtende durch-
sichtige Färbung des ersten Frühlings. Der Fluß
strahlt nun in glänzendstem Azur. Unnennbarer
Zauber liegt in solch plötzlichem Uebergang von
grauer Müdigkeit zu jubelnder Festfreude — aber
schnell wie ein Traunr stirbt aller Glanz unter den
Schleiern des frühen Abends und vor mir liegt
die greifbare Wirklichkeit des kleinen Bauern-
dorfes Röhrenfurt.
Während ein Spruch des Dreizehnlinden Webers
durch meinen Geist klingt:
«Ueber abgrundtiefe Räthsel
Huscht der Mensch mit leichtem Sinne —
Sorglos wie auf blauen Schlünden
Spielt und tanzt die Wasserspinne."
denke ich eines Menschengeschicks — eines kleinen
Dramas aus der Tiefe des Volkslebens, das
zum Theil im Dörfchen Röhrenfurt sich abspielte.
Heimgehend überdenke ich sie und werfe sie in
wenigen Zügen aufs Papier.
An der Heerstraße, die über die alte, schwarze
Holzbrücke durch die Mitte des Ortes führt, lag
ein kleines Haus, weiß getüncht, mit braunem
Fachwerk und Hauslauch auf dem schiefen Dach.
In den weißen, gekaltten Feldern zwischen dem
Gebälk waren Urnen gemalt, aus denen steife
Sonnenblumen emporwuchsen und auf der Giebel-
wand stand ein alter Spruch:
«Beste du deinen Lebenslauf.
«Der Mensch geht wie die Rose auf —
«Und wie die Meter fellt er ab
«Eh man ihn tregt zum Kielen grab"
Ein verfallender Stall, der eine meckernde
Ziege beherbergte, war an die Rückwand gebaut,
ein Stückchen Garten und etwas Wiesenland
umgaben das bescheidene Anwesen. Im Häuschen
— der Hühnerstall unter den Flurstiegen, hockige
Stübchen aneinandergedrängt und darin die uralte
Großmutter, die Frau „Tielen" mit ihrer Enkel-
tochter der „Kathrinlies."
(Forts, folgt.)
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ekrolog.
| xe in unserer vorletzten Nummer ausgesprochene
Befürchtung über die schwere Erkrankung
der Fürstin Auguste zu Usenburg und
Büdingen-Wächtersbach hat sich leider nur
zu bald erfüllt, indem die hohe Kranke am 18. Sep-
tember in Halle ihren Leiden erlegen ist, wohin
sie, wie wir schon berichteten, ihren Gemahl, den
Fürsten, zur Pflege während einer Staaroperation
274
im April d. I. begleitete. Aber schon im Mai
erkrankte sie selbst und seitdem verließ sie das lebens-
volle Krankenlager in Halle nicht mehr.
Fürstin Auguste Marie Gertrude, Prin-
zessin von Hanau und Gräfin von Schaum-
burg, war die älteste und zugleich die Licblings-
tochter des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I.
von Heften und trug ihre Bornamen von der Mutter
des Kurfürsten, der Kurfürstin Auguste, von der
Schwester des Kurfürsten, der Herzogin Marie
von Sachsen-Meiningen, sowie ihrer eigenen Mutter-
der Fürstin Gertrude von Hanau. Geboren am
21. September 1829, vermählte sich Prinzessin
Auguste am 17. Juli 1849 mit einem hessischen
Standesherrn, dem damaligen Grafen Ferdinand
Maximilian zu Isenburg und Büdingen-
Wächtersbach, welcher später in des Kurfürsten-
thums erblichen Fürstenstand erhoben wurde. In
ihrer Jugend, gleich ihrer Mutter, eine auffallende
Schönheit, war die Fürstin selbst noch in älteren
Jahren eine schöne Dame, die Aller Herzen nament-
lich dadurch gewann, daß sie sich stets ein jugend-
frisches, munteres Gemüth zu bewahren wußte, welches
ihre reichen Geistesanlagen in einem nur um so
schöneren Lichte erscheinen ließ. Der Gedanke an
den Tod lag ihr daher so ferne wie nur etwas, und
doch — er hat sie rascher ereilt, als irgend Jemand
es ahnen konnte, der ihr nahe stand, und es ist des-
halb nicht nur die Bestürzung eine große, sondern
auch die Trauer um die Entschlafene eine sehr tiefe.
Nicht nur die Stadt Wächtersbach, sondern die sämmt-
lichen zu dem ehemaligen Isenburgischcn Ländchen
gehörigen Ortschaften verlieren an ihr eine Wohl-
thäterin, die stets und überall zu'helfen bereit war
und die erst vor zwei Jahren an ihrem Geburtstage
die Kleinkinderschule in Wächtersbach, sowie das nach
ihr benannte Augusten-Hospital für Kranke dort in's
Leben rief. Aber auch das fürstliche. Haus Isenburg-
Wächtersbach selbst verliert an der Fürstin Auguste
eine treue und sorgsame Stütze, und indem sie eine
Dame von seltenen Geisteseigenschaften, eine Frau
von hohem Verstände und, man möchte fast sagen
männlicher Energie war, wird sie selbst in den übrigen
Isenburg'schen Häusern vermißt werden, mit denen
sie das Band' inniger Liebe und Freundschaft ver-
knüpfte. Was die verstorbene Fürstin im Leben
wollte, wollte sie stets voll und ganz und dies be-
wies sie namentlich in den schweren Tagen des Jahres
186b, als sie von der Nachricht ereilt wurde, daß
ihr Vater, der Kurfürst, in die Kriegsgefangenschaft
nach Stettin abgeführt worden sei. In diesen Tagen
wollte sie den Vater nicht allein wissen und begab
sich sofort, ohne jegliche Begleitung, auf den Weg
nach Stettin. In dem Kriegsgetümmel aber stieß
sie^überall auf Hindernisse, und endlich doch in Berlin
angekommen, wies man sie zurück. Trotz alle dem
erreichte sie jedoch in einer von ihr gewählten Ver-
kleidung das Ziel ihres Willens und theilte dann
die Kriegsgefangenschaft ihres Vaters, von dem sie
manchen Zug geerbt hatte und den sie noch über
seinen Tod hinaus hoch verehrte. Nur Eins hat sie
nicht mehr erlebt: den Erfolg ihrer Bemühungen,
daß man den Kindern des Kurfürsten auf Grund
des Beschlagnahme-Gesetzes das sequestrirte Privat-
Vermögen zurückgab, was die Sorge für ihre eigenen
Kinder sie unausgesetzt wünschen ließ, zumal die
politischen Erben des Kurfürsten bei Auflösung des
kurhessischen Hausfideikommiftes reichlich bedacht waren.
Aus ihrer Ehe entsproffen vier Kinder: der Erbprinz
Friedrich Wilhelm, der Träger des letzten vom
Kurfürsten verliehenen goldenen Löwen-Ordens, und
vermählt mit Anna, Gräfin Dobrzensky, die Prin-
zessin Alexandra, vermählt mit dem Württem-
bergischen Ulanen-Premier-Lieutenant Baron von
Pagenhardt, die Prinzessin Gerta, vermählt mit
dem Prinzen Wilhelm von Sachsen-Weimar,
und Prinz Max, Seconde-Lieutenant im kgl. sächsischen
Garde-Reiter-Regiment.
Wenn schon das Andenken an die Hingeschiedene
Fürstin in allen hessischen Kreisen fortleben wird, so
wird sie doch vor Allem Denen unvergeßlich bleiben,
welche das Glück halten, ihr nahe zu stehen und Zekge
ihrer Liebenswürdigkeit, sowie ihres hohen Sinnes
für alles Schöne und Gute zu sein.
Das Leichenbegängniß gestaltete sich zu
einer imposanten Kundgebung der größten Verehrung
und Anhänglichkeit, welche die Hingeschiedene genoß.
Denn als am 20. September der die Leiche von
Halle nach Wächtersbach überführende Personenzug
Nachmittags x/25 Uhr unter Glockengeläute der Stadt
auf dem Bahnhöfe einfuhr, wurde der Sarg von,
einer dichtgedrängten Menscheumafte erwartet und in
die zahlreichen Kränze, welche den kunstvoll gearbeiteten
Metallsarg zierten, floß gar manche Thräne. Der
Weg vom Bahnhof nach der Stadt und durch die-
selbe über den Markt war mit frischem Sand und
grünen Fichtenreisern bestreut; den Zug eröffneten
die Lehrer mit der Schuljugend, dann folgte der
Männer-Gesang-Verein mit umflorter Vereinsfahne,
hierauf die Geistlichkeit aller Patronaiskirchen, dann
kam der reich mit Blumen gezierte Leichenwagen,
von vier Rappen gezogen, welche von vier Stall-
leuten an weißen Servietten geführt wurden, den
Sarg umgaben die in schwarze Livree gekleidete
Dienerschaft sowie das Isenburgische Forstpersonal,
welches die zahllosen Kranzspenden trug. Hierauf
folgten die Leidtragenden, die Frauen der Beamten re.
in tiefer Trauer, die Staatsbeamten, die Isenburgischen
Beamten, Freunde, die Kirchenältesten, Bürgermeister
mit Stadtrath und die Bürgerschaft, alles in Schwarz
gekleidet. Die Stadt, und namentlich die Häuser der
Straßen, durch welche sich der Zug bewegte, hatten schwarz
geflaggt. In der Kirche war, umgeben von grünen-
den Gewächsen und brennenden Wachskerze» ein
Katafalk errichtet, an dessen vier Ecken die Usen-
bnrgischen und Hanauischen Wappen, in Flor gehüllt,
angebracht waren, wodurch die ganze Kirche schwarz
ausgeschlagen erschien. Der Männer-Gesang-Bcrcin
sang hier eine Kantate und nachdem die Leiche ein-
gesegnet war, übernahm das Forstpcrsonal die Ehren-
wache bis zum andern Tage, deni Tage der Beisetzung
und zugleich — der verstorbenen Fürstin Geburts-
tag, an welchem sie das 58. Lebensjahr vollendet
haben würde.
Pünktlich um y, 12 Uhr bewegte sich an diesem
Tage der Trauerzng, unter Vorantritt eines Trautr-
marschalls, aus dem Schlosse nach der Kirche. Die
Morgenzüge der Eisenbahn hatten noch eine Menge
Tranergäste aus der Ferne herbei geführt und be-
merkten wir darunter namentlich: die Fürsten von
Birstein, Büdingen, Solms-Lich, den Land-
grafen Alexis von Hessen, die Grafen von
Meerholz und Solms-Laubach, die Prinzen
Wilhelm von Weimar und Karl von
Hanau, den Erbprinzen von Birstein, die Grafen
Ferdinand und Georg von Philippseich, die
Prinzen Alfred von Büdingen, Kraft von
Hohenlohe-Oehringen, den Königlichen Land-
rath Freiherrn von Riedesel zu Eisenbach,
Hofmarschall von Oör aus Birstein, Kammerherrn
Dev Ehrenplatz. *)
Cäsar Claudius lud zum Spiele
Im Theater des Marcellus
Romas Edle, seinen Hofstaat,
Und viel schön geschmückte Frauen.
Lud auch gnädig die Gesandten
Der Armenier und Parther
Ja, selbst rauhe Nordlandssöhne
Aus Germaniens Waldesschluchten,
Anzustaunen seine Pracht
Mehr noch, als die Mimenspiele.
' Doch Armeniens Abgesandte,
Und der Parther, setzt er vorne
Zu den edlen Senatoren,
Nahe hin zu der Orchestra,
Um sie also hoch zu ehren.
Und die Männer aus Germanien,
Diese ungefügen Recken,
Hinten ins Gedräng des Volkes —
Zu viel Ehre noch den Bären
Aus des Nordens Eiseswäldern.
Spricht der älteste der Deutschen,
Boewolff, Sohn Athalarichs,
Aus dem alten Wolfsgeschlechte,
Das von Wodan selber stammet:
*) Nach Suetonius.
von Simoli» aus Stuttgart, Baron Scholley'
den Landesdircktor von Hundelshausen, Kammer-
herrn vonBodenhausen, Justizrathvr. Renner
aus Kassel, General-Konsul Schmidt von Pan-
henis und die Barone von Erlanger aus
Frankfurt, Vertreter verschiedener auswärtiger Höfe
und Herrschaften, sowie sämmtliche Fürstinnen, Prin-
zessinnen, Gräfinnen und Comtesien der Nien-
burger Häuser, Prinzessin Marie von Ardcck,
Olga von Hohenlohe.
Der Fuß des Katafalks konnte die Kränze und
Blumensprnden gar nicht fassen, unter denen sich die
Palmen des Großherzogs v o n W e i m a r und der
Tante der Verstorbenen, der Herzogin Marie von
Meiningen, auszeichneten. —
Nach einer tief ergreifenden Leichenrede des ersten
Pfarrers Wiederhold, sowie auch Vortrag eines
Chorals und der Segcnspcndung, begab sich der Trauerzng
dann aus der Kirche nach dem Friedhofe, wo die
Leiche der unvergeßlichen Fürstin in dem fürstlichen
Erbbegräbniß beigesetzt wurde.
Zur Ausführung des letzten Willens der Fürstin
sind, wie wir hören, in dem in Halle hinterlegt
gewesenen Testamente der Kurfürstliche Kabinetsrath
a. D. Schimmelpfeng sowie der Fürstliche
Kammerdirektor Pr es er ernannt worden. 4*.
„Seht doch, die geleckten Buben
Aus dem Lande weit im Süden,
Die mit ihren glatten Stirnen
Mutter Erde gleich berühren,
Stehn sie vor dem Herrscher Romas,
Sitzen vorne dicht beim Spiele,
Ber den rothumsäumten Mänteln —
Sicher ists der Ehrenplatz.
Kommt, wir nehmen, wie's gebühret
Männern aus Tuiskons Blute
Und Gesandten deutschen Volkes,
Unsern Platz in erster Reihe!"
Und sie thaten wie er sagte,
Etwas rauh zwar, aber artig,
Rannten nur ein Häuflein Volkes
Sänftlich auf die Erde nieder,
Brachen einige Römerrippen
Auf dem Wege zur Orchestra,
Stießen dort die Senatoren
Von den schönaefügten Sesseln,
Nahmen darauf ganz gelassen
Ihren Platz in erster Reihe.
Staunend sieht der Cäsar Claudius
Wie die Stützen des Senates
Jählings auf den Boden fliegen.
„Was befällt Euch Ihr Barbaren"?
276
„Hast vergessen Häuptling Roma's,
Was du freien Männern schuldig —
Setzest Sklaven der Asiaten,
Die sich gleich zur Erde beugen,
Bei dem Rauschen deines Mantels,
Hinter Romas edle Väter?
Run so müssen freie Männer
Aus dem Volke der Germanen
Sitzen auf dem Platz der Väter.
Denn vor Allen auf der Erde
Ragt der Freie deutschen Blutes,
Der sein Knie noch niemals beugte,
Als vor seiner Götter Hoheit.
Sind jetzt auf dem Ehrenplätze,
Wie er sich für uns gebühret,
Die Gesandten deutschen Volkes,
lind — wir werden ihn behaupten.
Zitternd stehn die Senatoren,
Drohend murmelt rings das Volk,
Romas zarte Damen kreischen
Und die wilden Prätorianer
Greifen schon nach ihren Waffen.
Doch die deutschen Degen stehen,
Festgestützt auf lange Schwerter,
Blicken furchtlos ins Gedränge,
Ragend, hoch, gleich Meeresfelsen,
Aus dem wilden Gischt der Brandung.
Und der Cäsar, guter Laune,
Hält vor Lachen sich das Bäuchlein
Bei der rohen Deutschen Trotzen
Und der Angst der Senatoren,
Winket Ruh' den Prätorianern,
Ruft den Deutschen lachend zu:
„Setzt Euch nieder, Ihr Barbaren,
Habt den Ehrenplatz. erworben,
Riemand soll Euch sein berauben.
Wollte, meine feinen Römer
Hielten stetig so auf Ehre"!
Und die Deutschen blieben sitzen.
Und es hofft, der dies gesungen,
Daß der Ehrenplatz der Völker,
Stets von Deutschen eingenommen,
Daß auch allzeit deutsche Helden
Sind bereit ihn zu erkämpfen.
Kran» Hrelker.
Gin fallende» Klatt.
Daß es den Himmel finde
Vom Erdenthum erlöst,
Giebt sich das Blatt dem Winde,
Der es zu Boden stößt.
O Herz, so laß dir sagen:
Du bist wie dieses Laub;
Was dich soll aufwärts tragen,
Das wirst dich in den Staub. A. Sank.
Aus alter und neuer Zeit,
Vom 1. Oktober 1586 datirt eine schriftliche Er-
mahnung des Landgrafen Wilhelm IV., des
Weisen, an seinen Neffen, den Herzog Friedrich von
Holstein-Gottorp, als dieser znr Regierung kam. Es
sind goldene Rathschläge, welche hier der Landgraf
seinem Schwestersohne ertheilt, die seinen frommen,
rechtlichen Sinn, seine christliche Nächstenliebe und
die Sorge für das Wohl seiner Unterthanen wieder-
spiegeln. Nachdem er seinen Neffen ermahnt, die
Mutter zu ehren, diesem Glück zum Antritte der
Regierung gewünscht, und demselben die Gottesfurcht
und den Schutz des Evangeliums an das Herz gelegt
hat, fährt er fort (wir bedienen uns des Landgrafen
eigener Schreibweise):
»Fürs ander, Nachdem der Atmechtge Ew. Liebden
in Fürstlichen Standt gesetzt, so wollen E. L. sich ja
nicht lassen bereden, oder sonst in sie lasten, daß E.
L. die zeitliche Gütter allein zue Ihrem tust vndt
Wohlleben geben seindt, Sondern ste seindt E. L. von
Gott darumb geben, daß Sie damit pro suo talento
die Kirch Gottes, auch Ihre anbefohlne Vnterthanen
schützen vndt schirmen, reine vndt trewe lehrer dem
volck vorstellen vndt gleichsame jnstiosc den armen
wie den reichen et e contra halten, vndt die armen
für Vnbillicher Vntertruckung beschützen sollen, Da-
rumb lassen sich E. L. diese curam negst den vorigen
hochangelegen sein, vertrawens nicht allein ihren
Rethen sondern sehen auch selbst mit zue, wie mit
Ihren armen Bnderthanen gehauset, vndt vmbgangen
wirdt, in ansehung, daß Gott der Herr daß volck
E. L. principaliter befohlen, vndt vornemblich von
E. L. gubemationis rationem auf jenem tag fordern
wirdt, Darumb wollen auch E. L. Ihres Herren
Vatters fromme probirte Reihe vnd Dienere, die der
Sach vnd lande gelegenheil wissen, trewen rath folgen,
vnd nicht wie Rheobeam Salomonis Sohn thete, sie
für den Kopfs stoffen, vndt etwa auf junger vner-
fahrner leute angeben Ihre vnderthanen wieder recht
vndt Herkommen beschwehren vndt wieder sich erregend
Man sieht, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen
verdiente nicht blos wegen seiner Gelehrsamkeit den
Beinamen „der Weise".
Probatum est. Drastisches Mittel zur
Heilung einer „bösen Sieben." Es ist bekannt'
daß noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
im Fürstenthum Fulda die Sitte bestand, die Ver-
letzung der männlichen Oberherrlichkeit an den Weibern,
oder besser zu reden, die Feigheit an den Männern,
auf die sonderbarste und empfindlichste Art zu rügen.
Wenn ein Mann überwiesen wurde, von seiner Frau
Schläge bekommen zu haben, so hatte das fürstliche
Hofmarschall-Amt das Recht die Sache zu untersuchen,
und wenn die That begründet war, eine ganz außer-
ordentliche Strafe zu erkennen, welche darin bestand,
277
daß das eigentliche Wohnhaus deS Ehepaars, durch
sämmtliche in fürstlicher Livre stehende Bedienten a b -
gedeckt wurde, welche Execution um so leichter ge-
schehen konnte, als die meisten Häuser mit Ziegeln,
und nicht wie an anderen Orten mit Schiefersteinen
und Schindeln gedeckt waren.
»Vor sechszehn bis sicbenzehn Jahren," schreibt von
Goeckingk in dem von ihm herausgegebenen Journal
von und für Deutschland, Jahrgang 1784, »war ich
in Fulda bei einer solchen Execution gegenwärtig; ich
erinnere mich noch folgender Unistände. Den Zug
führte ein Hoffouricr, nach diesem folgte der jüngste
Hoflakai mit einer Fahne, auf welcher die Hauptscene
des Trauerspiels ersichtlich war. Das Gemälde
stellt, wenn ich nicht irre, den Mann in der demüthigsten
Stellung vor, nämlich im Begriffe, unter den Tisch
zu kriegen, die Frau aber in der vollen Arbeit, ihn
mit dem Bierkruge, den sie auf dem Kopfe ihrer
lieben Hälfte entzwei schlug, den Paß abzuschneiden.
Die herrlichste Skizze für einen Hogarth odcr Chodowiecki:
Halbwegs kam uns die kriegerische Frau entgegen, in
jeder Hand einen Krug mit Wein, um sich damit
von der Strafe loszukaufen, oder.wenigstens solche
zu mildern, welches auch in soweit die Wirkung hatte,
daß nur einige hundert Ziegeln entzwei gcschmiffen,
die übrigen aber auf den Boden gelegt wurden. Da
so viele Hände daran arbeiteten, so war das Haus
in weniger als 5 Minuten abgedeckt, während dessen
Mann und Frau sehr flehendlich baten und noch
allerlei leistende Vorwürfe mit anhören mußte. Der
Zug ging sodann wieder mit schönster Ordnung nach
dem Hoflager zurück."
Ein Seitenstück zu dieser Execution finden wir
in dem intcreffanten Werke des berühmten Mineralogen
K. C. von Leonhard »Lebensbilder. Aus unserer
Zeit in meinem Leben," Bd. 2, verzeichnet. Im
Sommer 1826 unternahm der Heidelberger Professor
mit seinen Freunden C. Buch von Frankfurt a. M.
und Medicinalrath Dr. Joseph Schneider von Fulda
eine geologische Wanderung in das Rhöngebirge. Es
war nach dem Geständnisse Lconhard's eine der heitersten
Vergreisen, die er je unternommen. Unerschöpflich
war die Laune beider Begleiter, stets standen ihnen
die heitersten Geschichtchen zu Gebote. Da brachte
Professor von Leonhard denn auch die Rede auf jene
Bestrafung der Schöpflmgs-Herren, die sich von ihren
Frauen Prügeln ließen. Der alte »Rhönpapa" Dr.
Schneider lachte und gab hierauf aus seiner eigenen
Praxis folgendes Erlebniß zum Besten:
»Es war sehr frühe an einem Sonntage, da stürzte
athemlos ein Eilbote in mein Schlafgemach, Hilfe
bei mir zu suchen. Dinge berichtete er, welche ich
kaum begreifen konnte: Kaspar Schmitt in Poppen-
hausen, der Schlingel, habe sein Weib festgenagelt,
so lautete die grauenvolle Kunde. Als böse Sieben
stehe die Frau in üblem Rufe, was zu arg sei, sei
zu arg, ich möchte kommen, um die Ärmste loszuschneiden."
»Hin und her sträubte es sich in meiner Seele;
allein was blieb übrig? das Dorf gehörte in mein
Physikat; Anzeige bei der Obrigkeit hätte viel Zeit
gekostet; in qualvollster Unruhe harrte man meiner; ich
versah mich mit den nöthigste« Geräthschaften, wir
machten uns auf den Weg.
»Viele hundert Schritte vom Hause, das etwas ent-
fernt vom Orte liegt, waren nicht Schmerzenstöne, nein
das furchtbarste Jammergeschrei zu vernehmen. In
einiger Weite standen gaffend die Nachbarn mit einer Art
Scheu. Der Mann groß, stark, faustkrästig, ging,
die Hände in die Seiten gestemmt, vor der Thüre
auf und nieder. Er grüßte zwar, sagte jedoch sehr
nachdrucksam, indem er unverwandt mit mißtrauisch-
finsterem Blicke mich maß und dabei die Achseln zuckte:
»Allen Respekt vor Ihnen, Herr Doktor, nur drei
Schritt von; Leib. Ich weiß, mein Unrecht ist groß,
aber seine Strafe muß das Weib aushalten ohne
Erbarmen. Oft hab' ich's ihm gedroht, der Starrkopf
war jedoch nicht zu bändigen. Dreimal setzte ich an,
und dreimal reute es mich; nun der Krug geht so
lange zum Wasser bis er bricht. Jetzt ist mein
Wort gelöst. Drei Stunden sind verflossen, wenn's
sieben Uhr schlägt, machen Sie, was Sie wollen, dann
hindere ich Sie nicht, allein früher ..."
»Eine drohende Geberde des Zwingherrn niiß-
kannte ich nicht, hatte mir auch sagen lassen, es sei
ihm keineswegs zu trauen. Von nun an blieb sein
Zorn stumm; er ging hin und her, ohne auf meine
Worte zu achten. In ängstlicher Spannung mußte
ich harren. Endlich war die gesetzte Zeit vorüber.
»»Run mag's gescheh'n,""
sprach der Mann. Eingetreten in die Hütte, fand
ich die Unglückliche, wie der Bote berichtet, mit einem
Ohrläppchen angenagelt an den Tisch. Zwischen
Schmerz und Beschämung über mein Erscheinen, war
die, von Lumpen schlecht verhüllte Frau, anfangs
thränenlos, bald aber brach sie aus in lantts Schluchzen.
In wenigen Minuten war die Operation geschehen,
die Leidende befreit von ihrer Qual."
Schneider fuhr dann zu uns gewendet fort: »In
Euren Augen, lieben Freunde, lese ich die Frage:
Wie die Kur abgelaufen, wie die Sache geendet? —
Vortrefflich! Völlige Heilung trat ein. Ihren
schnöden, zänkischen Sinn legte die »Schmittin" ganz
und gar ab. Sie, sonst stets ergrimmt im Innerste»,
von der man im ganzen Jahre kaum ein fteundliches
Wort gehört, wurde, in ihrer Art, anspruchslos, be-
scheiden, sanft. Mit einem Wort, die böse Sieben
erwies sich umgewandelt zum Weibe, wie es sein
soll!" — ______________
Heinz von Lüder's goldene Kette. Am
1. Oktober 1760 starb der fürstlich fuldaische Ge-
heime Rath Erhard Georg von Lüder, der
Letzte seines uralten, durch Heinz von Lüder berühmten
buchischen Geschlechts. In dem Nachlasse des Ge-
278
Heimen Rathes befand sich die goldene Kette,
welche Landgraf Philipp der Großmüthige dem
tapfern und treuen Kommandanten Heinz von
Lttder für dessen mannhafte Behauptung der Feste
Ziegenhain gegen die demselben vom kaiserlichen
Kommissar Grafen von. Solms gestellte Zu-
muthung der Uebergabe verehrt hatte. Die Sage,
wonach Heinz von Lüder unter dem Thore von
Ziegenhain zum Schein an dieser goldenen Kette
aufgehängt worden sein soll, hat unsere hochgeschätzte
Mitarbeiterin Rataly von Eschstruth in Nummer 1
unserer Zeitschrift in einem schwungvollen Gedichte
besungen. Heinz von Lüder starb am 23. Januar
1559 als erster Vbervorsteher des Klosters Haina.
Die goldene Kette verblieb als werthvollster
Familiknschatz im Besitze.seiner Nachkommen, bis nach
dem Tode des letzten Lüder die Vertheilung des
Nachlasses desselben unter Leitung des Amtmanns
Becker zu Neukirchen bei Ziegenhain unter die
Lüder'schen Allodialerbcn:. von Baumbach zu Kirch-
heim, von Schenk zu Rülferode und von Schenk zu
Hermannstein vorgenommen wurde. Die Kette,
welche aus 34 Kloben in der Größe eines großen
Kugelringes bestand, die oval-rund waren und auf
dem Rücken eine scharfe eingekerbte Erhöhung hatten,
wurde nun in drei Theile zerstückelt und die einzelnen
Theile an die Allodialerben vertheilt. Zwei der
letzteren erhielten 11, einer .12 Kloben. A. Z.
Der Justizsenat der ehemaligen Re-
gierung zu Marburg. In Nr. 1.6 dieser
Zeitschrift, S. 226, ist erwähnt, daß Wildungen, ehe
er der Themis Balet sagte, Mitglied des Justizsenats
der Regierung zu Marburg gewesen sei. Diese Re-
gierungsabtheilung wurde gebildet aus Wildungen als
Vorsitzendem, aus dem Regierungsrath von Gärtner
und dem Justizrath von Eschstruth. Wildungens
poetischer Begabung und deren Bethätigung ist schon
gedacht, aber auch die beiden anderen Herren waren
Dichter, Mitarbeiter an Musenalmanachen und sonsti-
gen belletristischen Zeitschriften. Da mag es nun in
der Justiz manchmal etwas poetisch ausgesehen haben.
Darf man von einer Sache auf andere schließen, so
kamen natürliche Anschauung der Dinge und Hu-
manität zur Geltung, der Billigkeit wurde Raum
gegönnt, lauter Dinge, von denen fünfzig Jahre später,
als noch in denselben Räumen Dekrete und Bescheide
erlassen wurden, keine Rede mehr war. Aber zurück
zu unseren drei poetischen Juristen.
.Ein Einwohner von Rosenthal verklagte den dor-
tigen Feldscheer, der ihn, wie er behauptete, durch
ungeschickte Behandlung um den Daumen der einen
Hand gebracht, auf Schadenersatz. Der Feldscheer
hatte seine erste Instanz vor der Regierung. Die
Sache wurde in den bekannten vier Sätzen verhandelt.
Weiter stand nun noch nichts fest, als daß der Kläger
sich vom Verklagten an einem schlimmen Daumen
hatte behandeln lassen, daß diese Behandlung in der
Verwendung von Tabakssutter bestanden, und daß der
Daumen amputirt war. Welche Gelegenheit zur
Einholung von Gutachten, vielleicht von auswärtigen
Fakultäten! Die Herren dachten anders. Die Relation
begann mit den Worten: ,Hin ist hin! verloren ist
verloren. Den Daumen können wir dem Mann nicht
wieder schaffen.- So ging's denn weiter. Wildungen
als der letzte Votant schrieb unter die Relation: »ich
denke, wir billigen dem Mann zwanzig Thaler zu.
Sollte Beschwerde erhoben werden, so wird sich der
Bescheid schon rechtfertigen lassen.-
Es wurde keine Beschwerde erhoben. Alle Be-
theiligten scheinen zufrieden gewesen zu sein, der
Kläger, daß er 20 Thlr. erhalten, der Verklagte, daß
er so davon gekommen, das Gericht, daß es die Sache
abgemacht, und die Advokaten werden sich mit dem
Gedanken getröstet haben, daß die Rosenthaler Kühe
keine fette Milch geben.
Ä. v. $.
Aus Heimach und Fremde.
Todesfälle. Am 19. v. M. starb hier in
Kassel Plötzlich in Folge eines Schlagfluffcs der
Regierungssekrctar z. D. Adam Hofmann. Ge-
boren 1814 zu Burghaun, Schüler des Gymnasiums
und Lyceums zu Fulda, das er 1834 absolvirte, um
zunächst Theologie an der katholisch-theologischen Lehr-
anstalt zu Fulda, später Jurisprudenz an der Landes-
universität Marburg zu studiren, trat er 1845 bei dem
Kasseler Obergerichte als Referendar in den juristischen
Vorbereitungsdienst, ging jedoch 1852 zur Verwaltung
über und war zunächst Kreissekretar in Hünfeld, seit
1855 Regierungssekretar in Kaffel. Einfach und
schlicht in seinem Wesen, von biederem Charakter,
fest in seinen Ansichten, ein wohlmeinender zuverlässiger
Freund, seiner Kirche und seinem engeren Baterlande
Kurheffen in treuer Anhänglichkeit zugethan, erfreute
sich der Verblichene der allgemeinen Beliebtheit und
Hochachtung. Sein Andenken wird von Allen, die
ihn kannten, hoch gehalten werden. —
Aus Amorbach in Unterfranken erhielten wir
die Trauerkunde, daß dort am 19. September Frau
Elise Trabert, die Gattin unseres hochgeschätzten
Mitarbeiters Adam Trabert, gestorben ist. Sie
hatte sich zur Herstellung ihrer geschwächten Gesund-
heit zu Pfingsten d. I. von Wien nach Amorbach
zu nahen Verwandten begeben, aber trotz der sorg-
samsten Pflege, in welcher dieselben wetteiferten, ereilte
sie dort- der Tod. Elise Susette Henriette Trabert,
geb. Haumann, war als die jüngste Tochter des
Packhofverwalters Jakob Haumann am 15. Februar
1825 hier in Kaffel geboren. Sie genoß eine sehr
sorgfältige Erziehung.
279
Als Braut Adam Traberls, mit dem sie sich ver-
lobt hatte, als derselbe noch in Marburg studirte,
war sie demselben eine treue, thatkräftige, aufopfernde,
ja man kann sagen heldenmüthige Stütze während
der vielen stürmischen Epochen, welche er durchzu-
machen hatte. Seit dem 15. September 1859 mit dem-
selben vermählt, war sie die treueste Gattin, die
treueste Mutter. Von hingebender Sanftmuth, besaß
sie das wärmste Herz auch für fremde Noth. Ein
idealer Zug ging durch ihr ganzes Wesen. Dabei
war sie die sorgsamste Hausfrau, die nie müßig war
und der die Arbeit gleichsam spielend von der Hand
ging. Und welches schöne Verhältniß bestand zwischen
den Gatten, der Gattin und dem Sohne in dieser
musterhaften Ehe, von denen Eins in dem Andern
lebte! Unermeßlich groß ist daher auch der Schmerz
des Gatten und des Sohnes über den schweren Ver-
lust, den auch die Fernstehenden lebhaft beklagen.
Der Verblichenen aber gebührt die Palme. Ehre
ihrem Andenken. K. K.
In Bieber im Speffart schied Ende August
d. I. der Metropolitan I. A. Bode in dem Alter
von über 80 Jahren aus dem Leben. Nachdem er
in den 30er und 40er Jahren zwei Pfarrerstellen
in der Nähe von Schlüchtern innegehabt, wurde er
nach Oberkallbach versetzt und von da ungefähr 1857
als Pfarrer nach Bieber berufen, wo er auch die
Oberschulinspektur und später das Metropolitanat
der Klasse Meerholz erhielt. Schwere Schicksals-
schläge sind dem Entschlafenen nicht erspart geblieben:
Früh verlor er die Lebensgefährtin; sein ältester
S.ohn wurde ihm in der Blüthe der Jahre, scheinbar
von unverwüstlicher Kraft und Gesundheit, als Arzt
in Langenselbold durch ein Magenleiden dahingerafft.
Mit Gottergebenheit ertrug der Verstorbene diese
schweren Prüfungen. Als Seelsorger war er hoch-
geachtet und geliebt; alle, welche ihn kennen gelernt,
rühmen sein freundliches Wesen, seine große Herzens-
güte. —n.
Kassel. Am Montag, den 26. September, fand
die erste Monatsversammlung des Vereins
für hessische Geschichte und Landeskunde
in diesem Herbste statt. Der Vorsitzende Major a. D.
C. von Stamford eröffnete dieselbe mit geschäft-
lichen Mittheilungen, denen zufolge die Mitgliederzahl
des Vereins gegenwärtig 1307 beträgt. Eine Reihe
beachtenswerthe Geschenke ist dem Verein zugegangen,
so von Steuerinspektor Wickel in Hoya der 1. Theil
von G. Möller's „Denkmäler der deutschen Bau-
kunst"; von General z. D. Bauer dahier 24, aus
dem Nachlasse seines Onkels, des Geheimen Raths R uh l
stammende, von diesem selbst aufgenommene und radirte
Blätter, Gebäude des Mittelalters darstellend; von
dem Privatmann Lücken dahier ein Autogramm des
Landgrafen Wilhelm IX., bestehend in einem Briefe
desselben an den Garnisonsauditeur Henrici. Der
Bürgermeister von Borken veranlaßte die Uebergabe
einer Thurmfahne aus dem Jahre, 1668 an die
Sammlung der Alterthümer zu Marburg, welche
Eigenthum des Vereins ist. — An Stelle des ver-
storbenen Oberbibliothekars Dr. Albert Duncker wurde
Bibliothekar Dr. Brunner in den Redaktions-
ausschuß des Vereins gewählt. Hiernach erstattete
der Vorsitzende Major von Stamford Bericht
über die vom 14. bis 16. September in Mainz
abgehaltene Generalversammlung der „deutschen Ge-
schichts- und Alterthumsvereine", welcher er als Dele-
girter des hessischen Geschichtsvereins beiwohnte. Die
Ausführungen des Herrn Vorsitzenden gab.en in an-
schaulicher Weise ein Bild der in Mainz gepflogenen
Verhandlungen und wurden von der Versammlung
mit Beifall aufgenommen.
— Am Sonnabend den 24. September wurde die
große Ausstellung des Kunstvereins in den
Räumen des Meßhauses eröffnet. Der Katalog weist
553 Kunstwerke auf, rechnet man jedoch die erst später
angemeldeten Bilder hinzu, so mag sich die Zahl wohl
auf 600 erhöhen. Das Arrangement der Ausstellung,
über welches nur die Stimme der Anerkennung herrscht,
hat Maler Neumann besorgt, die dekorative Aus-
stellung, über welche sich gleichfalls nur lobend aus-
gesprochen wird, ist von der Firma C. A. Schmitt
hergestellt worden. Unter den Ausstellern ist eine
Anzahl der hervorragendsten Künstlernamen vertreten.
Wir wollen hier nur als besonders intereffant ein
Nachtstück von Hans Makart, 1862 gemalt, nennen:
Tilly zum Tode verwundet auf dem Schlachtfelde von
Ingolstadt wird von seinem Knappen gefunden. Von
hiesigen Malern sind ca. 25 vertreten, darunter
Direktor Profeffor Kolitz mit einer Landschaft,
E. Neumann: „Von der schottischen Küste" und
„ Strandbild *, Johannes Kleinschmidt: zwei
Portraits, ein Genrebild: „Im Gebet", eine männliche
Studie, „Tyrolerin" und „Schwälmerlieschen", Th.
Mat hei (gegenwärtig in München): „Scene aus
dem hessischen Aufstand gegen die französische Fremd-
herrschaft 1809", L. Katzen st ein: drei Genrebilder,
Frl. Menshausen: „Portraitstudie", „Gebet einer
Waise" und „Wasserrosen", Frl. Sch epp: „Rococo-
Wandschirm", „Fruchtstillleben" und „Blumen",
A. Wagner: Genrebild und Merkel: Portrait.
Briefkasten.
W. R.-L. in Kassel. Der Schluß des Vortrags re. u. v.
Hutten folgt in nächster Nummer.
E. B. in Rauschenberg. Wird benutzt. Freundlichsten
Gruß.
6. 8. in Grünberg. Besten Dank für Ihre gütigen Be-
mühungen im Interesse unserer Zeitschrift.
280
Jlmfeiimg pm Ibonttkmrnt. «=#-
—----------------------
An seinem dreivierteljährigen Bestehen hat das „Hrssmlsnö" den Beweis geliefert, daß es
in unserm Volke Boden gefunden hat; die täglich wachsende Zahl seiner Leser zeigt, daß seine
Schaffung einem vorhandenen Bedürfnisse entgegen kam.
Wir werden bemüht sein, diesen Erfolg festzuhalten , indem wir der hefstsche« Geschichte
und Literatur eine Stätte bieten, da sie sich entfalten kann. Nichts Hessisches soll uns fremd
sein — Alles, was unser engeres Vaterland betrifft, soll liebevolle Pflege in dem Rahmen unseres
Blattes finden. Was uns Hessen vereint, nicht was uns trennt, wollen wir hegen; darum wird
nach wie vor das „Hessenland" von politischen und sonstigen Streitfragen sich fernhalten. '
Wie die Zahl unserer Leser in erfreulicher Zunahme begriffen ist, so haben auch immer
mehr namhafte Gelehrte und Schriftsteller durch ihre Mitarbeit uns unterstützt. Wir nennen hier
nur folgende Namen:
Dr. K. Ackermann, W. Kennecke, Dr. H. Krunner, A. <Mb, S. Hahndorf, Maler L. Kahenstein, Dr. Ludwig
Knor;, Dr. Th. Köhler, I. Lewatter, Dr. Ed. Lohmeyer, Professor Friedrich Müller, Karl Neuber,
W. Nogge-Ludwig, Major von Stamford, Fran; TreUer , Emilie Wepler in Kassel; Professor Gegenbaur,
Jos. Grau, Bibliothekar A. von Keitz , Dr. I. Schneider in Fulda; Armand-Slrubberg in Gelnhausen;
Pfarrer Junghans, Banquier NeumüUer, Landgerichtsrath I. Neul, Dr. G. Wolff in Hanau; Kurt Nutzn
in Kesselsladt; Major von Gironcourt, Dr. Sigmund Paulus in Marburg; Th. Kellner in Melsungen; Hofrath
Preser in Wächtersbach; Julius Braun, Nataly von Efchstruth, E. v. Hohenhausen, Dr. Julius Nodenberg in
Berlin; Professor Dr. Adolf Mütter in Chemnitz; Major H. von Pfister in Darmstadt; Direktor Julius
Gräfe in Dresden; E. von Goeddaeus, Dr. Hugo Goldschmidt , Mo Kanngießer, Elisabeth Mentzels
D. Saul in Frankfurt a. M.; Gymnasialdirektor Dr. Leimbach in Goßlar; Hans Paulus in Halle a. d. S.;
Gustav Kastropp in Hannover; Jul. Köster in Köln; H. Ketter-Iordan in München; Ludwig Mohr in Nord-
hausen; Malwida von Meysenbug in Rom; Feodor' Löwe in Stuttgart; A. Trabert in Wien; Major
August von Daumbach in Wiesbaden.
Um aber unserm Blatte nicht nur eine geistige, sondern anch eine materielle Grundlage zu
sichern, bedürfen wir auch ferner und in erhöhtem Maße der Mitwirkung aller unserer Freunde.
An unsere Mitarbeiter geht das Ersuchen, uns wie bisher durch Beiträge zu erfreuen
und weiter ihr bestes Können für das „Heffenland" einzusetzen. Unsere Leser bitten wir, uns
treu zu bleiben und da Nachficht walten zu lassen, wo wir ihren Ansprüchen nicht nachkommen
sollten. Alle aber werden ersucht, für die Verbreitung unseres Blattes eifrigst zu wirken, ein
Jeder in seinem Kreise und nach seinen Kräften; denn nur, wenn das „Hessenland" in unserer
Heimath überall eingebürgert ist, wird es im Stande sein, seine Bestimmung zu erfüllen. Gern
sind wir bereit, jedem Leser Probenummern zur Weitergabe unentgeltlich zu überlassen.
Auch sind wir dankbar, wenn uns geeignete Adreffen mitgetheilt werden, insbesondere solcher
Landsleute, die in der Fremde weilen.
Wir werden trotz der hohen Kosten, welche die vornehme Ausstattung des Blattes bedingt,
an dem seitherigen billigen Preise festhalten und die leistungsfähige Offizin, in welcher dermalen
das „Hessenland" hergestelll wird, bürgt mit ihrem Namen dafür, daß auch im Vertriebe künftig
Störungen ausgeschlossen bleiben.
So laden wir denn zum Avouuemeut auf das IY. Huartak ein, in der Hoffnung, daß
unser Unternehmen überall da freundlich aufgenommen werde, wo hessische Herzen schlagen.
Die Redaktion -es „Hesfenland".
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kassel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Heffenland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/2—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 59 pfg. Einzelne Nummern kosten je 39 psg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Jordanstraße I5,und die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz^
Bestellungen an. In der Post-Zeitüngsliste findet sich das „Heffenland" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 20 des „Hessenlandes": „Herbstlied" von D. John; „Ein Fürst des Friedens", historische Skizze
von F. Zwenger (Forts.); „Sophie von Gilsa", ein hessisches Dichterbild von Jos. Grineau; „Die 53. Jahresver-
sammlung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde" (Schluß); „Aus engem Thal", Novellette von
M. Herbert (Forts.); „Mein Mufenroß", Gedicht von Ludwig Mohr; Nekrolog Bodo's Trott zu Solz; Aus alter
und neuer Zeit; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
--
mbstlieö.
sie Tust ist rein und köstlich
Nnö weckt öm Wsnöerbrang;
Lin scharfer Wind nordöstlich
Beflügelt meinen Gang.
Ich schreite durch die Gründe,
Ich steigezu öm Höhn
And sing' es laut und künde:
D Herbst, wie bist du schön!
Nun strahlt in hundert Farben
Des deutschen Waldes Pracht;
Ls sind die letzten Garben
Der Lrnte eingebracht.
Herr Sommer, gute Reise!
Wir haben mit Gestöhn
Geschasst in deinem Schweiße —
D Herbst, wie bist du schön!
Im'Keller liegt ein reicher
Gewinn an süßer Frucht
And brechm will der Speicher
Von all des Segens Wucht.
Nun klingt von allen Danken
Lin Fiedeln und Getön,
Nun hsllt's aus allen SchmKen:
D) Herbst, wie bist du schön!
Die Burschen und die Maide
Drehn uni die Tinöe sich
Die Mm — trotz der Kreide —
Sie zechen männiglich.
So pflegen sie's zu halten
Von Weser bis zur Rhön
Die Iungm und die Wen:
S Herbst, wie bist du schön!
z». 3o$tt-
282
Km Wrft ö es -Mied ms.
Historische Mizze von F. Iw en ger.
m 23. Mai 1413 starb Landgraf Hermann
/t der Gelehrte im Alter von 73 Jahren, nach-
~ V. dem er fast 10 Jahre Mitregent seines Onkels
des Landgrafen Heinrich II., des Eisernen, ge-
wesen war und 36 Jahre (von 1376 an) allein
regiert hatte. Sein Leben war ein ununter-
brochener Kampf, aber der thatkräftige Fürst,
den seine Feinde anfänglich als „Baccalaureus"
verspottet hatten, welchen sie »reisig" machen
wollten, wurde all' seiner Gegner mächtig und
tihrte mit fester Hand und unbeugsamen Sinnes
eine Herrschaft. Ihm folgte in der Regierung
ein lljähriger Sohn Ludwig, das jüngste
einer Kinder. Zweimal war Hermann der
Gelehrte verheirathet gewesen, das erstemal mit
Johanna von Nassau, die 1383 kinderlos
verstarb, das zweitemal mit Margarethe von
Hohenzollern, einer Tochter des Burggrafen
Friedrich's V. v. Nürnberg, die männlichen
Muthes ihm treu zur Seite stand, von der eine
volksthümliche Chronik jener Zeit meldete, daß
sie mehr regiert, „denn der Herr". Acht Kinder
entsprossen dieser Ehe, vier Mädchen und vier
Knaben, aber nur die beiden Töchter Marga-
retha und Agnes und der Sohn Ludwig
überlebten die Eltern, von denen die Mutter
schon 1406 gestorben war. Ludwig war am
6. Februar 1402 zu Spangenberg geboren. Er
war ein schwächlicher Knabe, dies mochte denn
auch der Grund sein, daß ihn sein Vater nicht
zu den Studien anhielt, oder mochte den Letzteren,
den Magister liberalium artium, der in Paris
Theologie studirt und zu Prag in seinem 20.
Jahre vor dem Kaiser Karl IV. die Probe
seiner Gelehrsamkeit bestanden, die Erkenntniß
geleitet haben, daß zu einem tüchtigen Regenten
andere Eigenschaften als die bloße Gelehrsamkeit
erforderlich seien? Genug, vom wissenschaftlichen
Unterrichte blieb der junge Ludwig verschont,
aber eine streng religiöse Erziehung wurde ihm
zu Theil, deren Grundlage Gottesfurcht und
gute Sitten bildeten. Und dieser ftommen, aber
(Fortsetzung.)
nicht ftömmelnden Richtung ist Ludwig sein
Leben lang treu geblieben.
Der junge Ludwig trat unter der Vormund-
schaft des Herzogs Heinrich von Braun-
schweig-Lüneburg, seines Schwagers, die
Regierung an. Als Räthe standen ihm zur
Seite der Abt Dietrich v. Corvey, Ritter
Hermann Trott, Heinrich von Holz-
heim, Hofmeister Wolf v. Wolfershausen,
Marschall Eckhard v. Röhrenfurt. Eine
der ersten Handlungen der neuen Regierung war
die Bestätigung alter Freiheiten für die hessischen
Städte, durch deren Beistand allein das Haus
Hessen sich in den gefahrvollsten Lagen behauptet
hatte. Für die Stadt Kassel erschienen neue Sta-
tuten, welche am 29. Juni 1413 verkündigt wurden.
Sie wiederholen die acht Artikel der ältesten
Statuten vom Jahre 1239, die Landgraf Her-
mann II. von Thüringen und Hessen, Sohn
der hl. Elisabeth, der Stadt verliehen hatte,
und fügen noch 12 neue Artikel hinzu. Es
würde zu weit führen, wollten wir hier die
acht Artikel der ältesten Statuten ihrem Inhalte
nach wiedergeben, nur das wollen wir bemerken,
daß deren Hauptzweck war, dem Bürger die
persönliche Sicherheit, den Schutz gegen Gewalt-
thätigkeit zu gewährleisten und zu bestätigen.
Dagegen können wir es uns nicht versagen, hier
wenigstens den Inhalt der wesentlichsten unter
den zwölf neuen Artikeln, die sämmtlich mit
Rücksicht auf den Vortheil und das Interesse
der Bürgerschaft erlassen waren, kurz zu skizziren.*)
Der 9. Artikel räumt einige Hindernisse des
freien Handels, welche durch fürstliche Beamten
etwa hervorgerufen würden, hinweg. Selbst
wenn die Stadt mit Bewaffneten besetzt werden
müßte, sollten die verkäuflichen Gegenstände nach
der Taxation zweier tüchtiger Schöffen verkauft,
*) Vergl, Kopp, Hessische Gerichtsverfassung, Nr. 12
der Beilagen, sowie Piderit, Geschichte der Haupt-
und Residenzstadt Kassel.
283
und sollte für ihre Bezahlung Sicherheit geleistet
werden.
Der 12. Artikel gestattet die Freizügigkeit
eines Bürgers, wenn er seinen Gläubigern genug
gethan und etwaige Strafe erlegt hat. Bürger,
welche sich in Kassel niederlassen wollen, sollen
ehrenhaft aufgenommen werden.
Der 13. Artikel verbietet, den rechtmäßigen
Nähererben eines Bürgers in der Antretung der
Erbschaft zu hindern.
Der 14. Artikel verbietet allen Vorzug beim
Einkauf der Lebensmittel auf öffentlichem Markt.
Der 15. Artikel verspricht, das liegende Eigen-
thum, Höfe und Ländereien, welche nach Recht
von der Stadt aus bebaut werden, mit keinen
Kontributionen und Auflagen zu beschweren.
Der 16. Artikel bestimmt, daß Keiner aus
der Bürgerschaft zum Schultheiß ernannt werden
solle, damit nicht aus Haß oder Gunst die Un-
parteilichkeit des Gerichts verletzt werde.
Der 18. Artikel erklärt, daß die Beamten im
Gericht, wo Strafen zuerkannt werden, mit dem,
was die Schöffen für recht und billig erkennen,
zufrieden sein sollen.
Der 19. Artikel verspricht den geliebten und
treuen Bürgern Kassels, sie in keiner Hinsicht
gegen die Gerechtigkeit zu beschweren. —
Der merkwürdigste unter diesen Artikeln ist
jedenfalls der 16., nach welchem der Schultheiß,
d. h. der oberste Beamte der Bürgerschaft, nie-
mals aus deren Mitte gewählt werden darf. Es
sollte ausgesprochenermaßen dadurch jeder Partei-
lichkeit, der Furcht, daß Familienverbindungen
auf die richterlichen Entscheidungen einwirken
möchten, vorgebeugt werden.
Diese Statuten wurden in den Jahren 1425
und 1444 noch erweitert. In dem Nachtrage
zu denjenigen vom Jahre 1425 wird festgesetzt,
„wie man kiese und setze den Rath zu Kassel,"
wobei u. a. der sehr richtige Satz aufgestellt
wird, daß „vil Verwandlung nicht gut sey in
dem Rathe". —
In die ersten Jahre der Negierung Ludwigs
fällt ein Streit mit dem Grafen Johann mit
der Haube, dem kriegerischen Sohne Johann's I.
von Nassau-Dillenburg. Derselbe hatte noch zu
Lebzeiten des Landgrafen Hermann das Land
an der Lahn (Oberheffen) überfallen und ver-
heert, auch den landgräflichen Hofmeister von
Riedesel gefangen genommen. Landgraf Ludwig
sandte ihm einen Streithaufen unter Werner
von Elben und Konrad von Wallenstein ent-
gegen. Während die Heften in dem Stippacher
Thale an der Dill, unweit Herborn, verweilten,
erschien Graf Johann von Siegen, um sie zu
umzingeln. Nur eine außerordentliche Kriegslist
konnte, wie Rommel in seiner Geschichte von
Heften nach den alten Chronisten berichtet, dem
weit zahlreicheren Feinde den Sieg entreißen.
„Zu diesem Zwecke wurden die Troßbuben in
einem nahe gelegenen Walde versteckt, mit dem
Befehle, so bald sie das Zeichen zur Schlacht
vernähmen, in die Hörner zu stoßen und durch
lautes Kriegsgeschrei den Feind zu verwirren.
Diese Kriegslist gelang. Die Naffauer, welche
einen Hinterhalt vermutheten, wurden in Un-
ordnung gebracht und bis nach Herborn getrieben.
Das Panier des Grafen wurde erbeutet und zu
Marburg in der Kirche der hl. Elisabeth aus-
gehängt. Die Niederlage der Nassauer war so
bedeutend, daß zur Aufnahme der Gefangenen
die Thürme von Marburg, Biedenkopf, Blanken-
stein und Königsberg geöffnet werden mußten."
Unter den Gefangenen war auch ein Heffe, Fritz
Galgenholz, der als Kundschafter des Grafen
seinen Landesverrath mit dem Leben büßen mußte.
An seinen an sich schon ominösen Namen mag
sich wohl auch das Sprichwort „Falsch wie
Galgenholz" knüpfen. — Durch jenen Sieg hatten
die langjährigen Fehden mit Nassau ihr Ende
gefunden.
Nach geendigter Vormundschaft begab sich Land-
graf Ludwig in Begleitung von 400 Rittern
nach Kostnitz zum Kaiser Sigismund. Hier
empfing er am 25. Mai 1417 die Reichsbelehnung
mit dem Fürstenthume der Landgraffchast Heften,
auch wurde ihm seitens des deutschen Kaisers
der ehrenvolle Auftrag, in deffen und des Reiches
Namen den Herzog Otto von Braunschweig und
Göttingen, seinen andern Schwager, zu belehnen.
An dem Hoflager zu Kostnitz war böswilliger Weise
vor seiner Ankunft das Gerücht verbreitet, daß
Landgraf Ludwig wegen seiner körperlichen
Schwachheit unfähig zum Regieren sei. Auch um
dieses Gerücht zu widerlegen, hatte er die Reise nach
Kostnitz unternommen und der Kaiser soll, wenn
anders die Schilderung eines Chronisten richtig
ist, beim Anblick und dem Verkehre mit ihm die
Aeußerung gethan haben, daß man Jünglinge
und junge Pferde nicht sogleich verwerfen dürfe,
indem immer noch gute Männer und tüchtige
Rosse daraus erwachsen könnten. Die natürlichen
Fähigkeiten des jungen Regenten waren dem
scharfen Auge des Kaisers nicht verborgen ge-
blieben.
Als 1419 der Hussitenkrieg ausbrach, begleitete
Landgraf Ludwig den Kaiser auf deften erstem
Zuge nach Böhmen. Später begnügte er sich,
seinen Bundestheil dahin zu senden. In jener
Zeit begann er auch seine gesetzgeberische Thätigkeit,
mit welcher wir uns in dem nächsten Artikel
beschäftigen werden. Fortsetzung folgt.)
284
ophLe von KLlfa.
Gm hessisches Dichkerbilö von Jos. Grinesu.
<*{m Maimonat d. I. waren acht Jahrzehnte ver-
fflossen seit der Geburt einer hessischen Dichterin.
Lange schon ist zwar ihr Erdendasein abge-
schlosten, und die Geschichte der Literatur hat ihren
Namen nicht vor der Vergessenheit bewahrt, um so
mehr aber möge es nun diese Zeitschrift als Ehren-
pflicht betrachten, eine beinahe Verschollene, die
doch durch und durch eine 'echte Dichternatur
gewesen, in das Andenken des hessischen Volkes
zurückzurufen und ihr hier ein schlichtes Denk-
mal zu setzen.
Im sogenannten „Löwensteiner Grund," einem
reichen und gesegneten Landstriche an der Schwalm,
liegt der Stammsitz der Freiherren von und
zu Gilsa, eines alten kraftvollen Geschlechtes,
)as dem Hessenland so manchen wackern Hau-
degen ohne Furcht und Tadel zur Wehr ge-
teilt hat; — erwähnt sei nur der General-
ieutenant Eitel Ludwig Philipp von Gilsa, der
ich im siebenjährigen Krieg durch die glänzend-
ten Wasfenthaten hervorthat und die volle An-
erkennung und Hochachtung Friedrich's des Großen
gewann. Doch nicht minder als die Söhne dieses
Hauses zeichneten sich auch seine Töchter durch
vortreffliche Eigenschaften und einen seltenen Adel
der Gesinnung aus, vorab diejenige, deren Gestalt
wir hier vorzuführen versuchen wollen.
Sophie Ernestine Marianne Dorothea Chri-
stiane von Gilsa wurde zu Gilsa am 18. Mai
1807 geboren als Tochter des Oberstallmeisters
Karl Ludwig Philipp von Gilsa und dessen
Gattin Elisabeth Maria Frida, geb. von Buttlar.
Schon als Kind zeigte sie hervorragende Geistes-
anlagen, welche in einem Erziehungsinstitute zu
Hanau eine sorgfältige Ausbildung erhielten.
Gleich ihrer älteren Schwester Karoline wurde
ihr dann frühe ein Platz in dem freiadeligen
Damenstifte Wallen st ern, jenem Stifte, das
seinen Namen so ruhmvoll in die Blätter der
vaterländischen Geschichte eingeschrieben hat, als
ebenfalls eine Freiin von Gilsa, in den Zeiten
von Deutschlands tiefster Erniedrigung, ihm als
Aebtissin vorstand, während Marianne von
Stein, die Lieblingsschwester des berühmten
deutschen Staatsmannes, — „Deutschlands Edel-
stein!" — damals Dechantin war. Bekanntlich
mißlang der Aufstand der hessischen Helden, die
das Joch der fremden Zwingherrschaft zerbrechen
wollten, und wie Alle, auf denen der Verdacht
ruhte, dabei betheiligt gewesen zu sein, schwer
für ihren Patriotismus büßen mußten, so auch
jene edlen Frauen. Die schmählichste Behand-
lung wurde ihnen zu Theil, die brutalen Gewalt-
haber scheuten sich sogar nicht, sie in ein Gefäng-
niß für gemeine Verbrecher zu bringen.
Im Jahre 1830 wurde das Damenstift von
Homberg nach Fulda verlegt, wo es im an-
muthigsten Theile der Stadt ein sehr geräumig
angelegtes Gebäude mit vielen Nebenbauten
käuflich erwarb; — es war das Palais, in
dem der Letzte von Fuldas geistlichen Fürsten,
nachdem er aus dem gegenüberliegenden Residenz-
schlosse vertrieben worden, nachtrauernd einer
untergegangenen Zeit, seine Tage beschlossen
hatte. In den Räumen dieses schloßartigen
Hauses, das mit der Rückseite in einem großen
Garten steht und über grüne Baumreihen nach
der majestätischen Kathedrale hinblickt, verbrachte
Sophie von Gilsa nun ihr Dasein und strebte,
es möglichst befriedigend auszufüllen. Hier fand
sie hinlänglich Muße, ihr ästhetisches Empfinden
zu schulen und zu läutern, und um den Drang nach
intellektuellem Wirken in recht nützlicher und
fruchtbringender Weise zu bethätigen, ertheilte
sie selbst Unterricht in fremden Sprachen, wobei
ihr eifrigstes Bemühen stets darauf gerichtet war,
in die jungen Seelen ihrer Schülerinnen die
Keime des Edlen und Schönen zu senken. —
Aber auch an den geselligen Freuden der gemüth-
lichen Stadt betheiligte sie sich gern; denn als
längst schon ihre Jugend erblichen war und an-
dauernde Kränklichkeit düstere Schatten auf
ihr Leben warf, blieb ihr immer noch die Er-
innerung an die „fröhlichen Tanzabende im
Odenwald'schen Garten" (jetzt Bellevue) ein lichter
freundlicher Nachglanz. Und doch, die reichsten
Stunden, die sie.lebte, waren jene, welche ihr
im dichterischen Schaffen aufgingen! Gewiß sind
die Beziehungen zu bedeutenden literarischen
Persönlichkeiten wie Heinrich Koenig und Franz
Dingelstedt, die damals in Fulda lebten, nicht
ohne Einfluß auf den empfänglichen Geist der
hochbegabten Stiftsdame geblieben und haben
sie zum literarischen Schaffen angeregt.
Mit welcher ihrer Geistesarbeiten sie zuerst
vor die Oeffentlichkeit getreten — für eine Frau
ja besonders ein gewagter Schritt — war
leider nicht mehr zu ermitteln, vielleicht war es
jene Schrift, welche vorzugsweise ihre hohe Ge-
sinnung im hellsten Lichte zeigt. Es hatte sich
nämlich in Fulda in den dreißiger Jahren eine
Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern vom
Orden des hl. Vincenz von Paula festgesetzt,
aber — seltsam! — in der alten katholischen Stadt
285
regten sich mancherlei Vorurtheile gegen diese
Niederlassung, und die stammen opfermuthigen
Krankenflegerinnen hatten vielfach dagegen zu
kämpfen. Da wallte das für alles Gute und
Große begeisterte Herz der Dichterin auf, und
mit demselben ritterlichen Sinn, mit dem wohl
einst ihre Ahnen zum Schwert griffen, um die
Unterdrückten zu schützen, griff sie jetzt zur Feder
und, stei von aller konfessionellen Voreingenommen-
heit, schrieb sie. die protestantische Stiftsdame,
eine Apologie des Ordens der barmherzigen
Schwestern. —
Die Fluth späterer belletristischer Erzeugnisse
hat hinweggeschwemmt, was einst von Sophie
von Gilsa aus dem Büchermarkt erschienen; zu-
meist waren es Uebersetzungen aus dem Englischen
wie „Hypatia" von Kmgsley; denn die Dichter
England's waren es ja vorzugsweise, die ihr
Gemüth wie mit einem Zauber umsponnen hatten.
Mit Entzücken tauchte sie in die Gedankenfülle
und Bilderpracht eines Byron, Moore, Lonyfellow,
einer Felicia Hemans u. A., und was sie dort
lebendig erfaßt, das drängte dann wieder mächtig
zur künstlerischen Wiedergabe in der eigenen
Sprache.
Diesen Dichtern blieb sie treu bis an ihr
Lebensende, und so war denn auch ihre letzte
Gabe, ihr Schwanengesang, eine Anthologie
englischer Gedichte, die mit dem feinsinnigsten
Geschmack ausgewählt und mit leichter, sicherer
Formgewandtheit ins Deutsche übertragen sind.
Dieses Büchlein ist in hübscher Ausstattung im
Verlag von Aloys Maier in Fulda, 1858 er-
schienen. Da der Herr Verleger so gütig war,
den Abdruck einiger Gedichte zu gestatten, so
mögen dieselben in der nächsten Nummer dieser
Zeitschrift folgen.
(Schluß folgt.)
Die 53. Z«l>ll»»ns»>«l»»- it» |tnin» fit hessische Geschichte i>>
Knsittsinnhe. °>
(Schluß.)
^Tadjbem der Vorsitzende des Vereins für hessische
1 Geschichte und Landeskunde, Herr Major C. von
^j^Stamford, in Fortsetzung seines Vortrages
über Ulrich von Hutten erwähnt hatte, daß Hutten
nicht bloß in Dürftigkeit seine mühevollen Tage hin-
gebracht, daß er auch seit dem Jahre 1508 ein
schweres Leiden mit sich herumgetragen habe, welches
von jener seit der Entdeckung Amerikas nach Europa
verpflanzten Seuche herrührte, die so viel Unheil, so
viel Schmerzen und schweres Siechthum für die da-
von Betroffenen zur Folge hatte, fährt Redner wie
folgt fort:
Huttens theuerer hochgehaltener Kaiser, der edle Max,
war am 12. Januar 1519 zur ewigen Ruhe einge-
gangen. Im Reiche regten sich die nun ganz meister-
losen Kräfte und der schwäbische Bund beschloß dem
Herzoge Ulrich zu Leibe zu gehen, gegen welchen
Kaiser Max nicht ernstlich eingeschritten war. Auch
für die Familie Hutten schien die Zeit der Vergeltung
des Mordes ihres Angehörigen durch den Herzog
gekommen, und unseren Ulrich finden wir im März
in dem verbündeten in Würtemberg einrückenden Heere.
Es hatte leichtes Spiel, da dem Herzoge die geworbene
Hilfe aus der Schweiz abwendig gemacht worden war
und er fast ohne Schwertschlag sein schönes Land auf-
geben mußte. Einer der höchsten Führer des Bundes-
heeres war Franz von Sickingen. Er und Hutten,
zwei große aus der Ritterschaft hervorgegangene Ge-
stalten in deren letzter Zeit, der Eine das Schwert,
der Andere die Feder handhabend, Beide voll Geist
und Kraft, mußten sich anziehen. Bald schon wurde
das Verhältniß zur Freundschaft, die beiden Männer
waren fast stets zusammen.
Nach dem Feldzuge hielt sich Hutten zur Cur in
dem Wildbade auf und das Gefühl wiedererlangler
Gesundheit schwellte seine Brust mit neuen Lebens-
hoffnungen, der Gedanke an eine Lebensgefährtin
tauchte in ihm auf. Wir können es wohl glauben,
daß dem durch die Verhältnisse wie durch die Unruhe
seines Geistes und Wanderlust so vielfach Umherge-
triebenen das Bild eines Hafens in stiller glüÄicher
Ehe lockend erscheinen mochte. Wie er aber sich da-
rin gefühlt haben und wie sein dem Kampfe gewid-
metes Leben sich unter einer solchen Fessel gestaltet
haben würde, muß unentschieden bleiben, da die ziem-
lich lang geführten Verhandlungen nicht zum ge-
wünschten Ende führten. Man wird gefesselt von
Huttens Aeußerungen, in denen er beschreibt, welche
Eigenschaften seine Frau haben müsse und was er
an äußeren Umständen zum Leben beanspruche. Eine
Edeldame Frankfurts scheint die Erkorene gewesen zu
sein, denn die Hutten befreundeten Haman von Holz-
hausen und Arnold von Glauburg daselbst waren in
der Angelegenheit thätig. Woran der Plan scheiterte,
wissen wir nicht, vielleicht wär es besser so, der Ent-
täuschte durfte mit einem anderen großen Kämpfer,
*) S. Nr. 17 unserer Zeitschrift.
286
Lessing, nach dem kurzen Glücke beim Tode seiner Eva,
aussprechen: «ich wollte auch einmal glücklich sein
wie andere Menschen.- Unter verschiedenen Schriften,
mit denen er von dem Jahre 1519 auf 1520 be-
schäftigt war, beendete er vermuthlich den Dialog, «For-
tuna- zuerst, welcher seine Persönlichkeit, seine Wünsche
und Hoffnungen darlegt und die Anklänge seines
Liebestraumes ertönen läßt.
Trotz der entschiedenen Gegenwirkung des Papstes,
welcher die Krone des Reiches Franz I. von Frank-
reich zuzuwenden wünschte, war sie am 28. Juni 1519
dem Könige Carlos von Spanien, Maximilians En-
kel, übertragen worden. Kurfürst Albrecht hatte in
erster Linie für ihn gewirkt, Hutten gab sich um so
mehr der Hoffnung hin, der junge König werde der
römischen Fremdherrschaft in Deutschland Schranken
setzen; in den ersten Monaten des I. 1520 ist er
auf Steckelberg mit der Herausgabe seiner neuesten
Schriften beschäftigt, unter welchen der «Vadiscus-
oder die römische Dreifaltigkeit, die wichtigste ist.
Die Disputation zwischen Luther und Eck im Juli
1519 zu Leipzig hatte Hutten auf andere Gedanken
hinsichtlich der Sache Luthers gebracht und er sah sie
nicht mehr als ein Mönchsgezänk an. Er fühlte sich
bald mächtig von ihr angezogen und während er seit-
her den Druck von jenseit der Alpen nur bekämpfte,
um seinem Vaierlande eine würdigere politische Stel-
lung zu erringen, wurde jetzt aus dem ritterlichen
Dichter ein Gehilfe des Kirchenbesserers. Dieser Zeit-
punkt ist als eine Wende in Huttens Leben anzusehen,
welche deffen zwei große Perioden scheidet. Noch im
Januar 1520 redet er auf Sickingen ein, um ihn
für Luther zu stimmen, der gewaltige Ritter sichert
auch dem Mönche eine Zuflucht zu. Im April er-
scheint mit vier anderen Schriften Vadiscus, worin in
kühner rücksichtsloser Sprache die Vorwürfe gegen die
Herrschaft Roms der Welt dargelegt werden; der Wahl-
spruch alea jacta est, welchen Hutten bereits einer
Streitschrift gegen Ulrich von Würtemberg vorgesetzt
hatte, erscheint hier mit weit mehr Berechtigung und
in weit großartigerer Bedeutung. Denn nach dieser
zugleich zur Aufstachelung des Königs angelegten Her-
ausforderung durfte der Urheber derselben auf die
Milde der angegriffenen Weltmacht nicht mehr rechnen,
wollte dies wohl auch nicht. Er hatte die Brücke
hinter sich abgebrochen. Neben dem Vadiscus führte
er einen zweiten empfindlichen Schlag. In der Bib-
liothek zu Fulda hatte er eine Schrift aus dem Jahre
1093 gefunden, in welcher der geistliche Primat des
Papstes anerkannt, jedoch seine Einmischung in die
weltlichen Dinge scharf verurtheilt und zurückgewiesen
wird. Bischof Waltram von Naumburg wird für
den Verfasser dieser das Recht Deutschlands und des
Kaisers kräftig vertretenden Schrift gehalten. Hutten
gab sie mit einer Vorrede heraus, über den Fund
jubelnd; er widmete sie des Königs Bruder Ferdinand
und mahnt, Karl V. möge sich Heinrich IV. zum Vor-
bilde nehmen. Um persönlich auf den Erzherzog ein-
zuwirken, machte der Hoffnungsreiche sich im Juni
1520 auf den Weg an deffen Hof zu Brüffel, er ist
wahrscheinlich gar nicht bis zu Ferdinand vorgedrungen
und kehrte ernüchtert, doch nicht entmuthigt heim.
Noch in den Niederlanden begegnete ihm ein tragi-
komisches Abenteuer mit dem Ketzermeister Hoogstraten,
Reuchlins Todfeinde; er traf ihn auf dem Wege, er-
kannte ihn und bedrohte ihn mit dem Tode für seine
Thaten, ließ ihn aber laufen, als der gefürchtete Ver-
folger der Ketzer auf den Knien um Gnade flehte.
Man hatte Hutten schon todt gesagt, da es verlautete,
der Papst sei gegen ihn äußerst erbittert und Dolch
oder Gift damals leicht sich für Den fanden, welcher
der höchsten Macht sich unbequem erwies. Er wurde
als ein Geretteter in Mainz empfangen. Der Erz-
bischof hatte ihn auf eigenen Wunsch schon 1519
aus dem Hofdienste entlassen, jedoch ihm den Gehalt
weiter verwilligt, sodaß er als Diener des Fürsten
ohne augenblickliche Verwendung anzusehen war.
Dieses Verhältniß könnte befremden, nachdem Hutten
dem römischen Hofe tödtliche Feindschaft erklärt hatte.
Wenn jedoch nach seinem Plane die Gewalt des höch-
sten Oberhauptes der Kirche in Deutschland beschränkt
wurde, und deffen eigene eine selbständige Stellung
erlangte, mußten Macht und Einfluß des ersten deut-
schen Kirchenfürsten naturgemäß wachsen. Albrecht
konnte also Huttens Thätigkeit gar nicht sehr gram
sein. Als ein päpstliches Breve vom 12. Juli ihm
zukam mit schweren Vorwürfen darüber, daß er einen
solchen Feind der Kirche im Dienste habe, wußte Al-
brecht sich in einer fast erheiternd wirkenden Weise
damit zu entschuldigen, daß er den Missethäter ent-
lassen habe und seine abscheulichen Schriften nicht
mehr in Mainz gedruckt werden dürften. Des Kur-
fürsten Hofprediger, welcher die Rechtfertigung abfaßte,
war ein Freund Huttens.
Nach einem Besuche der Aeltern auf Steckelberg
ritt Ulrich zum Freunde auf der Ebernburg, im Sep-
tember ; Sickingen wollte der König Karl empfangen,
Hutten gab ihm ein «Klagschreiben- mit, worin er
über die Nachstellungen gegen ihn an dem Hofe zu
Brttffel, vorab aber darüber, daß der Papst den Be-
fehl gegeben habe, ihn gefangen nach Rom zu schaffen,
vor dem Richterstuhle des Königs bittere Klage er-
hebt, deffen Rechte durch die päpstliche Weisung ver-
letzt wurden. In der ihm eigenen offenen und küh-
nen Weise gesteht er zu, auf Aenderung der bestehenden
Ordnung hinzuarbeiten, aber um die deutsche Freiheit
zu retten und des Kaisers Macht wiederherzustellen.
An die Kurfürsten von Sachsen und von Mainz
richtete Hutten Schreiben verwandten Inhalts und
Luther benachrichtigte er von dem ihn Bedrohenden
mit der Versicherung, daß er den Kampf fortsetzen
werde; der Brief machte liefen Eindruck auf Luther.
Gegen diesen erließ der Papst die Bannbulle vom 12.
Juni 1520 und durch seine Schrift «von der baby-
287
konischen Gefängniß der Kirche" warf der bisher noch
mit Scheu vor dem Papsttume Vorgegangene die-
sem nun auch im October den Fehdehandschuh hin.
Mit dem Verbrennen der Bannbulle und der päpst-
lichen Rechtsbücher am 10. December durch Luther
war der Riß unheilbar geworden.
Die seitherigen Schriften Huttens konnten nur in
beschränkter Weise wirken, nur die Gelehrten und
Gebildete» vermochten sie zu lesen; jetzt entschloß er
sich, da wie er sagte, von den Lateinverständige» allein
die Besierung nicht zu erwarten sei, in der Sprache
des Volkes zu schreiben. Diese war, eben weil alles
Wichtigere, die Geschäfte, die Wisienschaft, im Latei-
nischen behandelt wurden, »och unausgebildet, wirke
aber deshalb durch Treuherzigkeit um so mehr. Die
erste deutsche Schrift ist die ,Clag und vormanung
gegen dem «nchristlichen übermäßigen gewalt des Bapsts
zu Rom und der ungeistlichen geistlichen;" gewaltig
war ihre Wirkung in der schon durch Luthers deutsch
verfaßte Schrift .an den Adel deutscher Nation" tief
erregten Nation. Da Hutten selbst das Gedicht einen
zornigen Spruch nennt, mag man ermeffen, mit wel-
cher Kraft und Leidenschaft es durchtränkt ist. Seinen
Denkspruch übersetzte er jetzt in das kräftigere .Ich
Habs gewagt." Er hoffte immer noch auf den am
23. October 1520 zu Aachen zum Kaiser gekrönten
Karl und wandte sich an ihn mit einer Schrift
.Kurze Anzeig wie allewege sich die Bäpst gegen den
deutschen Kaisern gehalten haben." Das Alles sollte
erfolglos bleiben, von diesem Fremdlinge war nichts
wahrhaft Deutsches zu erwarten, der Schwerpunkt
seiner Macht lag wie bei einer Waage zwischen den
großen Massen seiner Reiche, also nicht in Deutschland.
Karl konnte nicht mit dem Papste sich überwerfen,
der ihm sonst in Spanien, in Oberitalien, in Neapel
die schlimmste» Schwierigkeiten bereitet haben würde.
Es war ein ungeheueres geschichtliches Unheil für
Deutschland, daß 15 l 9 nicht ein nationaler Fürst an
die Spitze berufen wurde, wofür Friedrich von Sachsen
wohlgeeignet erschien.
Auf der Ebernbürg arbeitete Hutten mit leiden-
schaftlichem Eifer an dem erfaßten Werke, immer neue
Schriften ginge» aus, er der Ritter, erbot sich sogar
zum Verhöre vor dem Kaiser, wo er auf Grund der
heiligen Schrift seine Sache zu vertheidigen gedenke.
Innig hatte sich das Verhältniß zu Sickingen ge-
staltet und es ist, wie Huttens Biograph ausspricht,
.eines der schönste» Bilder in der Geschichte unseres
Volkes. Am gastlichen Tische auf Ebernbnrg sitzen
zwei Ritter an den Winterabenden im Gespräche über
die Deutscheste Angelegenheit, der eine Flüchtling, der
andere sein mächtiger Beschützer, jener der Jüngere
ist der Lehrer, der Ältere schämt sich des Lernens
nicht . . . ." Sickingen war nn» ganz für die
Sache Luthers gewonnen. Unter den hier 1520/21
verfaßten Schriften gibt eine .die Räuber" betitelt,
Aufschluß über einen merkwürdigen Fortschritt in der
Entwickelung Huttens. Im Sinne der den Städten
feindselig und mit Geringschätzung gegenüberstehende»
Ritterschaft hatte auch er das Städtewesen, die Krä-
mer, mißachtet, obwol er nicht selten in Städten sich
aufgehalten hatte. Sei» ritterlicher Stolz beugte sich
nun der Erkenntniß, daß es der Mitwirkung der
Städte bei dem großen Werke der Neugestaltung und
gegenüber der drohend wachsenden Fürstenmacht be-
dürfe. Zahlreich kamen ihm Zustimmungsschreiben
zu, aus dem Volke erklangen Lieder, die ihn als
volkstümlichen Helden feierten.
Im Januar von 1521 wurde der Reichstag zu
Worms eröffnet, des jungen Kaisers erster. Die
Nuntien des Papstes und ihr Anhang boten Alles
auf, daß Luther von der Reichsversammlung verdammt
werde, indeffen gestand der Kaiser doch auf das Drän-
gen der Stände zu, daß er zuvor verhört werde, was
am 17. und 18. April stattfand und bekannt ist.
Auch ließ Karl sich nicht verleiten, Luther das ertheilte
kaiserliche Geleite zu brechen. Hutten ließ sich durch
das Auftreten der Nuntien zu einem leidenschaftlichen
Angriffe hinreiße», drohte dem ersten derselbe», Ale-
ander, er werde dafür sorgen, daß jener nicht lebend
Deutschland verlasse und wandte sich gegen die meist
auf der Nuntien Seite stehenden höhere« Geistlichen
im Reichstage in heftigsten Vorwürfen. In einem
Schreiben an den Kaiser sagte er diesem ernste und
bittere Wahrheiten. Bald darauf, wohl in der Er-
kenntniß, daß er zu weit gegangen sei, sandte er dem
Kaiser eine Art von Entschuldigungsschreiben zu, wie
er auch seinem seitherigen Herrn, der in der allge-
meinen Adresse der am Reichstage anwesenden hohe»
Geistlichen mitbegriffen war, in einem Briefe unver-
brüchliche Hochachtung aussprach. Luther benachrich-
tigte Hutten von dem mit ihm in der Reichsversamm-
lung Vorgegangenen und dieser flammte in Leiden-
schaft und Zorn darob auf. Am liebsten hätte er
gleich mit dem Schwerte dreingeschlagen, doch hielt
Sickingen, bei dem die Macht dazu war, den Zeit-
punkt noch nicht für gekommen; Luther wollte alle
Gewalt vermiede» wissen und nur durch die Macht
des Worte- und der Wahrheit wirken. So mußten
die Ausfälle und Drohungen Huttens übereilt und
machtlos erscheinen, die Freunde waren vielfach
nicht mit ihm zufrieden, die Gegner tadelten ihn
bitter.
Im September 1522 machte Sickingen den Zug
gegen Trier, dessen Fehlschlagen zum Untergange des
Helden führte. Ob sein Freund Hutten mit in dem
Heere kämpfte oder die Krankheit ihn lähmte, ist nicht
bekannt; er wurde schon von Manchen todt gesagt.
Als Sickingen sich auf den Angriff der drei ihm
feindlichen Fürsten von Trier, Pfalz «nd Hessen vor-
bereiten mußte, war für nicht vollkommen Waffen-
fähige nicht mehr des Bleibens auf seinen Burgen,
so auch für Hutten in neuem Siechthnme. Er ent-
schloß sich, thatsächlich geächtet wie er eö war, aus
288
dem Vaterlande zu weichen, nnd ging nach Basel,
wo er Sicherheit und Ruhe zu finden hoffte. Denn
nicht allein die mächtige Partei der alten Kirche ver-
folgte ihn, auch die Fürsten waren ihm feind geworden,
als dem vornehmsten Urheber der ritterlichen Bewegung
neben Sickingen. Die Aeltern waren in den letzten
Jahren verstorben, aber Ulrich bezog wenig oder gar
nichts aus der Berlaffenschaft. Da erging an ihn
ein Ruf des Königs von Frankreich, als Rath in
seine Dienste zu treten mit einem Jahresgehalt von
400 Goldkronen. Der Mann, welcher arm und
elend sein gefährdetes Leben in Sicherheit bringen
mußte, konnte doch es nicht über sich gewinnen, Dienste
anzunehmen, welche nicht für fein Vaterland waren
und lehnte die glänzende Stellung ab.
In Basel lebte der von Hutten auf das höchste
geschätzte und ihm befreundete Erasmus zu dieser
Zeit, und nach Niemanden verlangte es den Verbannten
so sehr als nach ihm. Wie mußte es ihn da tteffen,
als EraSmus ihm durch einen Dritten unter den Fuß
legen ließ, Hutten möge ihn nicht durch seinen Besuch
bloßstellen. Längst schon war er mit dem Verhalten
des großen Gelehrten nicht einverstanden, aus dessen
Schriften die Gegner der alten Kirche viele chrer
Waffe» holten und der dann sich selbst nicht treu,
aus Besorgniß, seinen zahlreichen hohen Gönnern zu
mißfallen die Verbindung mit jenen ablehnte. Als
nun gar verlautete, Erasmus gedenke eine Schrift
gegen die Evangelischen zu veröffentlichen, ließ Hutten
ihn bedeuten, wenn er das thäte, könnten sie nicht
mehr Freunde sein. Die Schrift erschien im März
1523 und der gereizte erbitterte Flüchtling faßte sich
zum Schlage gegen den wie er meinte Abtrünnigen
von der höchsten Angelegenheit. Auf Betreiben der
seine Wirksamkeit fürchtenden Geistlichkeit war Hutten
der Schutz des Rathes von Basel aufgesagt und er
hatte ein Versteck in dem Augustinerkloster zu Mül-
hausen, damals einer deutschen Stadt, aufgesucht, im
Januar 1523. Erasmus hatte von Huttens Vor-
haben durch diesen selbst Nachricht bekommen; da in
seiner Schrift offenbare Unwahrheiten bezüglich seines
letzten Verhaltens gegen Hutten vorkamen, er über-
haupt kein gutes Gewissen hatte, schrieb er einen Brief
an jenen, um ihn von dem Angriffe abzuhalten. Un-
klugerweise ließ er dabei einstießen, es möchte ange-
sichts Huttens derzeitiger Lage Leute geben, welche
meinte», es sei vielleicht auf Ausbeutung, d. h. daß
Hutten sich durch Geld zum Schweigen bringen ließe,
abgesehen. Das reizte aber den Löwen noch mehr
und ungeachtet der Bemühungen von Freunden, den
Druck zu hindern, erschien im Juli eine geharnischte
Schrift gegen Erasmus, welche das höchste Auffetzen
machte und die Partei der alten Kirche mit Schaden-
freude erfüllte, da sie den großen Humanisten denn
doch für einen wahrhaften Freund nicht hielt. Eras-
mus ging alsbald an eine Erwiderung. Sie erschien
erst nach Huttens Tode und dadurch wurde der Ein-
druck hämischer und unedler Stellen, welche nicht
einmal das Unglück Huttens schonten, um so übler.
Hatte man des letzteren Angriff nicht gebilligt, so
wurde die Vertheidigung schwer getadelt, von Luther
zumal.
Der Verbannte hatte seine Zuflucht aufgeben
müssen, da ein Sturm auf das Kloster durch das
von der Geistlichkeit aufgestachelte Volk drohte; er
fand bei Zwingli in Zürich zunächst Schutz und
Trost.
Den Untergang Sickingens mußte er noch erleben;
heldenmütig ergab der mächtige Repräsentant einer
neuen Gestaltungen weichenden Schöpfung des Mittel-
alters sich dem ihn überraschenden qualvollen Tod.
Wer möchte die Empfindungen Huttens schildern,
die ihn bei der Nachricht vom Tode seines Freundes
und großmüthigen Beschützers bewegten! War nun
auch die Hoffnung auf bcffere Tage für die Ritter-
schaft dahin, so sanken doch nicht des rastlosen Streiters
kühner Muth und die Zuversicht auf das Bestehen
der Sache, welcher er sein Leben, alle seine Kraft
geweiht hatte. Er verfaßte noch eine Schrift „in
tyrannos“ nämlich gegen die drei Fürsten, denen
Sickingen erlegen war; allein wegen der Leidenschaft
und Heftigkeit ihrer Ausdrücke fand sie selbst in der
Schweiz keinen Drucker und Eoban, welchem Hutten
nun dieselbe übersandte, um sie zum Drucke zu be-
fördern, hatte bereits dem Landgrafen Philipp zur
Besiegung der „Räuber" (Sickingens) Glück gewünscht
und bemühte sich um eine Stellung in Marburg.
Die Schrift ist verloren gegangen, was sehr zu be-
dauern ist.
Ende Juli richtete Hutten noch einmal einen Brief
an den Jugendfteund Eoban, des sterbenden Helden
Schwanengesang.
Ein Anfall des alten Leidens, von welchem Hutten
nie gründlich geheilt worden war, brachte dem morschen
Körper das Ende. Auf der Insel Ufnau im Züricher
See, deren stiller Friede seinen letzten Tagen Trost
gewährte, endete der Sturm dieses Lebens. Ob es
noch im Monate August oder zu Anfang Septembers
war, vermögen wir nicht zu sagen.
Nachdem der Lebenslauf unseres Helden vor unS
vorübergeglitten ist, möge fein Bild und eine Würdi-
gung seines Wesens und Strebens einen Augenblick
unser Interesse fesseln. Bon Person klein und
schmächtig, erregte bei Hutten der strenge, fast wilde
Ausdruck des blaffen Antlitzes die Aufmerksamkeit;
die ihm innewohnende Willenskraft deckte sich mit
der Zähigkeit des wenig ansehnlichen Leibes, welcher
so lange der Krankheit und den schrecklichen Euren
widerstand. Im Umgänge zeigte er sich lebhaft, von
sprudelndem Witze, doch flößte er Manchem durch
seine Heftigkeit Unbehagen ein, da mitunter seine
Rede schneidend und zurückstoßend wurde; Mutian,
eine ruhige, den Gleichmut liebende Persönlichkeit,
sagt von ihm: scharf und gewaltig und ein großer
289
Poet ist faulten, abex durch das leiseste Wort wird
er gereizt." Dann war er wieder zu anderen Stunden
und in anderen Stimmungen von herzgewinnender
Freundlichkeit. Hutten war durchaus eine zum Kampfe
angelegte Natur, bei welcher freilich Ruhe und Milde
nicht erwartet werden durste. Die ursprünglichen
Anlagen seines Geistes erfuhren durch die ungewöhnlich
harte und rauhe Schule des Lebens, welche er nach
seiner Flucht aus dem Kloster durchlief, andere Ent-
wickelung, als es bei regelmäßigem Bildungsgänge
zu sein pflegt.
Ernst faßte Hutten jede Aufgabe an, die sich ihm
darbot, das viele Nebele, welches er fand und bekämpfte,
reizte ihn zu loderndem Zorne. Da mußte es denn
sich ereignen, daß er auch wohl über das Ziel hinaus-
schoß und sich allein sah. Aber was er sagt, trägt
das Gepräge der Wahrheit, rücksichtsloser Offenheit
und Ehrlichkeit und hat stets große, einfache, die all-
gemeine Theilnahme fortreißende Bestrebungen. In
diesem mannhaften, furchtlosen Auftreten ist er mit
Luther zu vergleichen.
Als Dichter begann er seine Bahn, Vaterlands-
liebe trieb ihn zu den politischen Schriften an, er
wurde Agitator für die Neugestaltung des Reiches,
zuletzt ein begeisterter Streiter für die Kirchenkesserung.
Der Gegner, der hierbei angegriffen wurde, war
der mächtigste, den es gab und der noch nie unter-
legen; das verbarg Hutren sich nicht, seine Familie
hielt ihren Besitz für gefährdet, die fromme Mutier
weinte, wie er berichtet. Aber er schwankte nicht,
riß sich los und trat an die Seite Luthers. Doch
unterscheidet ihn das von Luther, daß dieser die
weltliche Macht durchaus von seinem Werke fern-
gehalten wissen wollte, Hutten dagegen gleichzeitig
die Kirche und die Staatsordnung umzubilden strebte.
Dabei hat wohl das politische, nationale Element in
ihm immer die Oberhand behalten.
Bei aller Freiheit und Kühnheit der Anschauungen
streifte er doch bis ans Ende den Ritter nicht ganz
ab; die Hoffnung, im Bunde mit Sickingen dem
Ritterthume zu neuem Aufschwünge zu verhelfen, er-
wies sich als Täuschung, da jenes sich ausgelebt hatte
und Neueren, für die Entwickelung der Nation mehr
Geeignetem, dem Fürstenthume, die Gewalt und Herr-
schaft allein überlaffen mußte. Die Täuschung war
eine begreifliche und verzeihliche und groß war einen
Augenblick die Gefahr, daß das unbändige Ritterwesen,
welches vielerorten in wilden grausamen Fehden von
neuem sich erhob, die Oberhand gewinnen möchte, zum
höchsten Schaden des großen Vaterlandes. Hutten
hatte sie durch das Schwerste zu büßen, was ihm
auferlegt werden konnte — er mußte dem Boden
Deutschlands den Rücken kehren. In diesem tiefsten
Unglücke, zum Tode krank, von Allem entblößt, sodaß
er Freunde um Hilfe ansprechen mußte, erscheint er
am größten. Der Bettler, welchen Deutschland von
sich stieß, weist das glänzende Anerbieten des franzö-
sischen Königs zurück, weil er dort nicht Deutschland
dienen konnte.
Wer durfte ihm doch mit Recht einen Vorwurf
machen, wenn er angenommen hätte!
Als er den letzten Athemzug verhaucht hatte, nur
35 Jahre 4 Monate des Alters zählend, fand sich
in seinem Besitze nichts vor, als eine Schreibfeder;
aber es war die Feder Huttens!
Schwächen hatte auch er und Fehler hat er be-
gangen, doch er strebte zum Höchsten und war ein
ächt deutscher Mann der sich ganz einsetzte und so
unterging. Möchte es unserem theueren großen Va-
terlande in kommenden schweren Zeiten nicht an Hel-
den fehlen, wie dieser war!
E~äH-
Jus engem Khal.
Novellelle v. Nk. Herberk.
(Fortsetzung.)
Wie Großmutter hat ein schmales faltiges Gesicht
Niund kluge, strenge Augen — die Haare sind vom
straffen Emporziehen nud vom „Betzeltragen"
abgebrochen, nur ein kleiner Kranz steht noch um
die gefurchte Stirn, dennoch ist gewissenhaft der
Versuch gemacht, von dem Rest die kleine, runde
Krone mitten auf dem Kopfe herzustellen. Sie
trägt einen bräunlichen Biebcrrock, auf welchen
ein Stück schwarzen Sammet's gesetzt ist und eine
blaue Kattunjacke mit seltsam gefältelten, weiten
Ärmeln, die eng um das Handgelenk schließen.
Tag aus, Tag ein sitzt sie vor dem Spinnrocken
und dreht das schnurrende Rad. „Brautlinnen"
für die Kathrinlies soll's geben und manchen
lieben, langen Winterabend haspelt sie die Spulen
ab und legt Strang auf Strang in die hölzerne
Truhe. Wenig Worte macht die Großmutter,
sie ist mit dem Alter noch sparsamer geworden,
als sie arm ist, eng ist sie und genau, aber auch
streng und redlich. In ihrer Stube steht auf
einer Pritsche ein großes, breites Himmelbett
mit baumwollenen Vorhängen, em brauner Tisch,
290
Bänke und Stühle. An den Wänden hängen
goldbeflitterte Bilder aus der heiligen Geschichte,
einige eingerahmte Todtenkränze mit Inschriften
vom Melsunger Stadtdichter, und ein kleines,
rothes Nadelkissen in Herzform, welches daran
erinnert, daß ihr seliger Mann ein Schneider
war. Auf dem Fenstersims liegt die alte messing-
beschlagene Bibel, deren erstes Blatt eine Art
Familienchronik enthält und daneben grünt lustig
das Myrtenstöckchen der Kathrinlies. Kathrinlies
ist kein Dorfkind, fein, schlank und Biegsam ist
die Gestalt und das Gesicht mit den schwarzen
Augen hat etwas Schnelles, Keckes — Gewandtes.
Die Großmutter tz.flegt zu sagen: „Das Mägen
hot ewas in den Ögen, dos emme nit läßt."
Aber was dieses „ewas" war, hätte sie wohl
schwer zu sagen gewußt, denn brav und steißig
war die Kathrinlies und konnte ihr keiner Uebeles
nachreden. Ihr Vater war Nachtwächter gewesen
im benachbarten Melsungen. Aber Vater und
Mutter waren früh gestorben, bei der Großmutter
war das Mädchen groß geworden und kurz nach
der Comfirmation suchte sie einen Dienst in Kassel.
Beim Abschied hatte die Großmutter gesagt:
Bleib ein rechtschaffen Mensche, Kathrinlies und
trau keinem Mannsbild über die Hecke. Tritt
den Pfad nach der Schnüre, Kathrinlies. Jedes
Jahr zur Kirmeß ist die Kathrinlies heimgekommen
zum Tanz unter der Linde und droben im Gast-
hofsaal und jedes Mal hat sie stattlicher und schöner
ausgeschaut und den strammen, hessischen Burschen
besser gefallen. Für ein tüchtig Bauernweib aber,
das schwere „Kotzen" trägt, war sie verdorben.
Eigentlich auch hatte sie einen Schatz, einen
Burschen aus der Stadt, den Nachbarssohn — der
„krumme Hans" genannt, weil seine Beine nicht
ganz im Gleichen waren. Aber alle hatten
Respect vor ihm, denn er war ein wilder Gesell
und konnte das Wort und die Fäuste führen.
Nur bei der Kathrinlies gab er klein bei und
war zahm wie ein gefangener Falke. Mit dem
Hannes hatte sie als Kind täglich gespielt und
die Liebe zu ihr war in sein Herz hinein gewachsen
und hatte leise und heimlich die tiefen Wurzeln
geschlagen, die nicht auszurotten sind. Aber es
kam eine Zeit, da ward die Kathrinlies, wenn
sie heimkam, fremd und vornehm zum Hannes,
das fraß ihm am Herzen und eines Tages zog
er den Sonntagsrock an und fuhr nach Kassel
und suchte die Kathrinlies aus, die in einem
prächtigen Hause, das in der Bellevne in Kassel
steht, Stubenmädchen war. Gar schmuck und
niedlich sah sie aus im weißen Schürzchen und
coquetten Häubchen, der Hannes stand sehr ver-
legen in der großen, blinkenden Küche und stotterte
nur so auf die Kathrinlies hinein: „Kathrinlies,
ich bin Meister geworden und wollt' dich fragen,
ob du meine Frau werden wolltest — ernähren
kann ich dich wohl."
Da sah die Kathrinlies den Hannes von oben
bis unten an, dann stemmte sie die Arme in
die Seite nnd lachte laut und gellend, daß es
dem Hannes in die Seele schnitt.
„Was bildest du dir ein, Hannes? Grafen
und Barone gucken sich die Augen nach mir aus
und ich sollte mich in deine verräucherte Pechbude
sperren laffen? Und einen Burschen nehmen,
der nicht einmal bei die Soldaten kommt. Ne,
Hannes, das war einmal, als ich noch dumm und
jung war!"
Da flammte ein heißes Licht in den Augen des
Hannes auf und blitzte die Kathrinlies an, daß
es ihr fast schien, als habe der Bursch plötzlich
ein anderes Gesicht bekommen und sie scheu
von ihm zurückwich.
„Grafen und Barone!" höhnte er und seine
Stimme, die bisher für sie kein rauhes Wort
gehabt, klang scharf und schneidend: „Grafen und
Barone! dann bist du freilich keine Frau für
mich!"
Er sah sie an von oben bis unten, als habe
er sie noch keinmal gesehen — dann sagte er:
„Adjös, Fräulein Kathrinlies" und ging die
Treppe hinab.
Selbst das härteste Gemüth merkt etwas davon,
wenn ein Mensch es im Zorn verläßt, der es
lebenslang geliebt.
Die Kathrinlies fühlte eine dumpfe, unver-
standene Reue im Herzen, als sie allein war,
sie ahnte etwas von der Schwere und Bedeutung
ihres Verlustes — aber es ging ihr wie Man-
chem Beffern — sie erkannte das Gesicht ihrer
Liebe, ihres Glückes nicht einmal, als es seinen
schmerzlichen Abschied nahm.
Die Zeiten vergehen. Das kleine Dorf Röh-
renfurt merkt nicht viel davon — es pflügt, sät,
erntet, begräbt seine Todten und zieht nach und
nach seine Kinder groß und nur der Schulmeister
hält eine Zeitung. Manchen möchte davor ban-
gen, ein so enge erzogenes, weltfremdes Kind,
wie es in dem abgeschiedenen Thal aufwächst, in das
bewegte Leben zu senden. Aber selten berechnet
ein Mensch Gefahren, die er nie erprobt. Sorg-
los spinnt noch immer die Großmutter das Braut-
linnen des Enkelkindes. Eines Abends kommt
die Kathrinlies heim, den Kopf gesenkt, den An-
zug vernachlässigt. Sie geht nicht die Heerstraße,
sondern schleicht sich über Hügel — Wald —
und Feldweg vom Melsunger Bahnhof nach
Röhrenfurt. Lange sitzt sie droben am Berge,
ehe sie ins Dorf tritt. Dunkel soll es sein,
wenn sie kommt. Das Thal lacht und glitzert
im Abendgold — ach — wie abgestorben scheint
Alles auf Erden, wenn die Freud' an uns
291
selber todt ist. Sie hat keinen anderen Schlupf-
winkel. sonst ging sie nicht heim, denn trotz allen
Leichtsinnes lebt noch in ihr der von ehrlichem
Bauernblute ihr vererbte Begriff von Stolz und
Ehre und sie trägt die Schmach eines Menschen —
der den Werth der Ehre hochschätzt und sie doch
verloren hat.
Verschloffenen trotzigen Antlitzes steht sie vor
der Großmutter und bekennt nur durch ein Kopf-
nicken auf wiederholtes Fragen ihre Schuld.
Die alte Frau, welche all' ihr Lebtag echt
war wie Gold, klar wie Glas und starr und fest
wie Eisen, straft sie nur mit stummer, starrer
Verachtung und eines Abends bringen ihr die
Burschen aus dem Dorfe eine Katzenmusik, daß
die Kathrinlies wünscht, sie läge, wo das Meer
am tiefsten ist. Als sie eines Morgens am
Fenster steht — fährt ein Brautwagen vorüber
mit Halloh und Gejauchz — Burschen mit
Blumensträußen an der Mütze sitzen auf den
Pferden, und hoch oben auf dem Kanapee thront
die Braut mit den Kranzeljungfern in bunten
Schürzen, vor der Braut steht, das Spinnrad,
bewimpelt mit rothem Band —, da tritt die
Großmutter neben die Kathrinlies — „das hätt'st
auch haben können. Nun wird's nischt". —
Im verfeinerten Menschenherzen bildet sich
mit der Zeit der Wunsch aus, Alles in der Welt
lieber sein zu wollen, als einem Anderen an seine
wunde Stelle zu rühren — aber der Bauer hat
etwas von der alten, rohen Schadenfreude be-
halten, die gern auf den tritt, der am Boden
liegt.
Vielleicht war es mit Absicht, daß gerade zu
jener Zeit die Mädchen des Dorfes Abends so
gern auf der Schwelle saßen, dem Hause der
Kathrinlies gegenüber, daß sie so gern das
hessische Volkslied sangen vom Lorbeerbaum. Der
Kathrinlies schnitt jedes Wort in die Seele, wenn
es klang:
„Ein Mädchen wollt zum Tanze gehn,
„Schneeweiß war sie gekleidet.
„Was sah sie an dem Wege stehn?
„Ein Lorbeerbaum — war grüne.
„O Lorbeerbaum, o Lorbeerbaum,
„Warum bist du so grüne?
„Mich hat ein kühler Thau erquickt,
„Darum bin ich so grüne.
„Und du, schwarzbraunes Mägdelein
„Warum bist du so schöne?"
»Ich esse süß und trinke Wein
„Darum bin ich so schöne."
„O Lorbeerbaum, o Lorbeerbaum,
„Mach du dich nicht so kühne!
„Es sind von meinen Brüdern drei,
„Die hauen dich hernieder."
„Haun sie mich diesen Winter ab,
„Aufs Frühjahr grün ich wieder,
„Ein Mädchen, das seine Ehr' verliert,
„Das find't sie niemals wieder."
Und eine der frechsten Dirnen rief wol hinauf
zum Fenster der Kathrinlies: „He Kathrinlies,
warum singst du nit mit?"
Da birgt das Mädchen den Kopf, aber sie schreit
nicht auf. Einmal in der Nacht wacht die Alte
auf — da tönt eine Stimme durch das stille
Gelaß — die Kathrinlies hat's nicht aushalten
können in ihrer tiefen Verlassenheit und Aus-
gestoßenheit, sie hat sich im Bette aufgerichtet
und singt das alte hessische Kirchenlied: „Jesus
nimmt die Sünder an" —. d. h. sie versucht's
zu singen — denn die Stimme bricht in unar-
tikulirtem Schluchzen — ihr Vertrauen auf ewige
Gnade hält nicht aus — sie birgt das Gesicht
in den Kissen. — Dennoch findet die Großmutter
keinen Trost, die Schande ist ihr persönlich zu
nah' gegangen. „Iß aus, was du dir eingebrockt
hast"; sagt sie, die Kathrinlies lernt die Lektion,
daß Menschen unsere Sünden nicht verzeihen.
Einmal auch steht sie im Schilf der Fulda und
um ein Haar wär's geschehn gewesen. Aber das
Wasser ist so kalt und tief und dem Menschen-
herzen schaudert so sehr vor dem Tode..— Dann
wird ein kleiner Mensch geboren, der Keinem
willkommen ist.
Bald darauf stirbt die Großmutter und Ka-
thrinlies zieht nach Melsungen. Im alten Häus-
chen der Mutter lebt eine Frau, der gibt sie das
Kind zur Pflege. Sie selbst nimmt es mit dem
Leben auf, aber schweren, dunkeln Herzens.
Durch manchen Unglücksfall ist sie gänzlich ver-
armt — Geld verloren — Ehre verloren — Gott
fast ganz verloren —! Arme Kathrinlies!
(Fortsetzung folgt.)
292
Mel« M«fe«r»K.
Epistel an einen Freund.
Nun höre, Freund! Ich will Dir nicht
Die Antwort schuldig bleiben,
Mein Musenroß, so wie es leibt
Und lebet, zu beschreiben.
Du denkst vielleicht, daß Eitelkeit
Nun meine Feder schärfe.
Und ich von einem Vollblut Dir
Ein schmuckes Bild entwerfe.
O nein! Lichtbrauner Art ist es,
Wie auf den Angerrasen
Der Heffendörfer, längs der Schwalm,
Einheim'sche Stuten grasen.
Nicht Schul- und nicht Paradepferd
Kömmt es einher geschritten.
Und ist nicht in der Hochdressur
Nach Regeln zugeritten,
Nicht ist's ein Renner, der windschnell
In der Arena sieget;
Nach güld'nem Ziele, wie der Pfeil
Zum Ziel vom Bogen flieget,
Und doch kann schnellster Renner Flug
Sich nicht mit seinem messen,
Hab' ich — sein Reiter — erst einmal
Im Sättel ihm gesessen. —
Wir wurden mit einander groß. —
Ich habe es verstohlen —
Ein Knabe noch — getummelt schon
Als jung muthwill'ges Fohlen;
Als Jüngling aber konnt' ich's nicht
Verwinden und vermeiden,
Vor Liebchens Haus am lichten Tag
Es im Galopp zu reiten. —
Die Striegel und Kartätsche spart'
Ich nicht, sein Fell zu glätten,
Zur reinen Streu nicht frisches Stroh,
Das Müde weich zu betten;
Ritt es noch öftrer in die Fluth
Der Edder, es zu schwemmen;
Pflegt' ihm allmorgentlich den Schweif
Sammt Mähn' und Schopf zu kämmen. —
Wir sattelten nur, eh der Tag
Glüh in dem Osten lohte;
Wann in dem West die Sonne sank
Im Purpurabendrothe.
Dann aber galt's auch hohen Muths
Die Heimath zu durchreiten
Thalein und aus- bergan und ab,
Nach Längen und nach Breiten.
Das war vom Maine bis zur Lahn
Ein Lenken und ein Schwenken;
Da mußte oft der Fuldafluß
Mein durstig Rößlein tränken.
Da ließ ich's weiden bald im Gras
Hoch auf des Wiesners Alme,
Bald in dem grünen Prachtgeländ
Der Edder und der Schwalme.
In manchem stillen Hessenforst,
D'rin glattweiß stämm'ge Birken
Waldwieschen, vom- und blumenreich,
Mit Hängegrün umzirken,
Ausruhten und genossen wir
Im Schatten duft'ger Büsche
Verschwiegene Waldeinsamkeit
In echter Sommerfrische.
Du glaubst kaum, Freund, wie so bekannt
Dem Thier seit vielen Jahren
Die Straßen all', die Schenken d'ran
Und — meine Schwächen waren.
Wo ein bemaltes Wirthshausschild, —
Ein Kranz von grünen Tannen:
Da hielt's von selbst im Gange an
Und wollte nicht von dannen. —
Und wo ein schmuckes Dirnchen gar
Den Trank der Liebe schenkte:
Zum Thorweg wie zur Einkehr es
Die schlanken Glieder lenkte;
Dann kündete's wohl jederzeit
Mit schmettemd glockenhellen
Und sreud'gen Wiehem alsogleich
Den fahrenden Gesellen. —
Wohl war mein Roß in Stadt und Dorf
Und wo wir sonst geritten
Im Heimathland — vom Volke gern
Gesehen und gelitten.
Und mußten wir auf unsrer Fahrt
Auf lauter Köter treffen,
Dann zog mein Rößlein stolz vorbei
Und ließ die Köter kläffen. —
Ach! träfe, Freundchen, das Genoß
Je irdisches Verderben,
Wär's wohl mein größter Seelenschmerz,
Wär's wohl mein zeitlich Sterben! —
Denn nur mit ihm und es mit mir
Heißt für uns Beide: leben;
Ein Andres kann's nicht in der That
Für Roß und Reiter geben! —------------
«Ludwig Mohr.
293
Nekrolog.
Am 21. September d. Js. starb auf dem Ritter-
gut Imshausen im Kreise Rotenburg der ritterschaft-
liche Obcrvorsteher und Königliche Kammerherr
Bodo Trott zu Solz.
Derselbe war geboren am 17. Septbr. 1817 zu
Imshausen als fünftes Kind und ältester Sohn des
zu jener Zeit ans seinem dortigen Rittergut als
Privatmann lebenden späteren Würtembergischen
Staatsraths August Trott zu Solz. Seine erste
Ausbildung empfing er auf dem Gymnasium zu
Frankfurt a/M., wohin sein Vater, als der Knabe
das sechste Lebensjahr zurückgelegt hatte, als Würtem-
bergischer Bundcstagsgesandter versetzt worden war.
Nachdem der begabte Knabe schon im 17. Jahr das
Gymnasium absolvirt hatte, ergriff er, einer früh
hervortretenden Neigung für das Leben in der Natur-
folgend, mit Freuden den ihm von seinem Vater be-
stimmten Beruf eines Forstmannes, als welcher er
nach tüchtiger Ausbildung durch praktische Lehrzeit
und wiffenschaftlichcs Studium auf der Universität
Heidelberg und dem Forstinstitut Neustadt-Eberswalde
zuerst als Förster des Forstreviers Landpoldshausen
bei Heilbronn im Württembergischen Staatsdienst
Anstellung fand.
In Folge des Todes des Vaters fiel dem 23-
jährigen jungen Mann im Jahre 1840 die Regelung
der Familienangelegenheiten zu, der er sich mit der
Energie, dem praktischen Blick und der Pflichttreue,
die ihn während seines ganzen Lebens auszeichneten,
mit bestem Erfolge widmete. Diese Thätigkeit führte
ihn öfters nach Hessen zurück und bald fühlte er sich
zu dieser Heimath, der er bis an sein Ende die
treueste Liebe bewahrt hat, so mächtig hingezogen, daß
er sich entschloß, dem Staatsdienst zu entsagen und
das ihm und seinem einzigen jüngeren Bruder ge-
hörende Rittergut Imshausen selbst zu bewirthschaften.
Mit voller Hingebung ergriff er diesen neuen Beruf,
zu dem er sich mit größter Gewissenhaftigkeit durch
eine Lehrzeit auf einer hessischen Domäne vorbereitete,
während welcher der gereifte Mann sich unverdroffen
allem unterzog, was auf einer Oekonomie einem
jugendlichen Lehrling zugemuthet zu werden pflegt.
Er entfaltete bei der Bewirthschaftung seines Besitz-
thumes eine rastlose Thätigkeit für dessen Verbesserung
und Erweiterung nnd konnte mit Befriedigung auf
deren Erfolg zurückblicken, als er das Gut beim
Heranwachsen seiner Kinder wieder abgab, um sich
der Erziehung der letzteren bester widmen zu können.
Zugleich kehrte er zu seinem eigentlichen Element,
der Forstwirthschaft zurück, indem er die Oberleitung
der Bewirthschaftung des den Familien von Trott und
von Verschuer gemeinschaftlich zustehenden bedeutenden
Waldbesitzes, des sogenannten Trottenwaldes über-
nahm und zum dauernden Segen für die genannten
Familien mit dieser Waldwirthschaft in völlig neue
Bahnen einlenkte.
Doch galt seine Thätigkeit keineswegs nur den eigenen
sowie den Interessen seiner Familie, vielmehr war es
seine höchste Freude, auf den verschiedensten Gebieten
in uneigennützigster Weise für seine Nebenmenschen
zu arbeiten. In der um sein Rittergut angesiedelten
kleinen Gemeinde war er der Helfer und Berather in allen
Verlegenheiten und Nöthen, tut Kreis der bereitwillige
Mitarbeiter bei allen gemeinnützigen Unternehmungen.
Für die Interessen der hessischen Ritterschaft trat er
bei jeder Gelegenheit als thatkräftiger Wahrer und
Vertreter ein und im politischen Leben war er stets
auf seinem Posten zu finden, wo es galt, unerschrocken
nach oben wie nach unten hin für das, was er als Recht
erkannt, einzutreten. In solchem Geist entfaltete er
eine erfolgreiche Thätigkeit als Vertreter der Ritter-
schaft auf den hessischen Landtagen wie später im
hessischen Komunallandtag, und nachdem ihn das Ver-
trauen seiner Standesgenoffen in die Stellung eines
ritterschaftlichen Obervorstehers berufen hatte, bewährte
er in dieser dieselbe Umsicht und eifrige Pflichttreue,
die er bei der Verwaltung der Angelegenheiten seiner
Familie zu bethätigen gewohnt war. Bei der treuen
Anhänglichkeit, die er dem angestammten hessischen
Fürstenhaus stets bewahrt hatte und bei der Liebe,
die ihn für das hessische Vaterland erfüllte, mußte
ihn der Untergang der Selbstständigkeit Kurhestens
mit tiefem Schmerz erfüllen. Aber er sah in den
Ereignissen des Jahres 1866 eine Fügung des die
Weltgeschicke lenkenden Gottes und er erkannte, daß
dem engeren Vaterland weniger durch unftuchtbare
Renitenz, als durch thätige Mitarbeit bei Gestaltung
der neuen Verhältnisse genützt werden könne. In
diesem Sinne wirkte er bei verschiedenen Gelegen-
heiten als Vertrauensmann für die Erhaltung hessischer
Einrichtungen und brachte dabei stets den Stand-
punkt des die vollste Achtung für die geschichtliche
Vergangenheit beanspruchenden Hessen mit Festigkeit
zur Geltung.
Seinem charaktervollen Auftreten fehlte es nicht an
äußerer Anerkennung. Se. Majestät zeichnete ihn
durch Verleihung der Kammerherrnwürde und des
Kronenordens zweiter Klaffe aus. Nach solchen
äußeren Ehren hatte jedoch Trott niemals gestrebt,
Einfachheit und Bescheidenheit waren Grundzüge seines
Wesens und wenn er auch mit ächtem Stolz die
Geburtsrechte seines Standes hochhielt, so war er
doch völlig frei von beschränktem Hochmuth, und ge-
wissenhafte Erfüllung der Standes pflichten war
die erste Forderung die er an jeden stellte, welcher
Standesrechte beanspruchte. Möchten solche ächt
edelmännische Gesinnungen stets in unserer hessischen
Ritterschaft gepflegt werden!
Bis zu seinem 69. Jahre war Trott im Besitz
einer seltenen Gesundheit und Thatkraft geblieben,
da erkrankte er im vorigen Jahre plötzlich und trotz
der sorgsamsten Pflege erlag er nach neunmonatlichem
schwerem Leiden. Er war zweimal verheirathet ge-
294
Wesen, zuerst mit Ernestine von Rouch aus Heilbronn,
dann mit Agnes Trott zu Solz, Tochter des früheren
kurhessischen Ministers und Bundestagsgesandten
Friedrich Trott zu Solz. Aus erster Ehe hinterläßt
er zwei Söhne und zwei Töchter, aus zweiter Ehe
einen Sohn und zwei Töchter. Sein Andenken wird
in vielen dankbaren Herzen fortleben!
r.
Aus alter und neuer Zeit.
Der älteste Vorfahr der Familie Grimm,
den man bis jetzt kennt, ist Johannes Grimm,
1654 Bürger und Gasthalter in der Altstadt Hanau.
Ueberhaupt ist die Familie Grimm zweifellos eine
althanauische (Mittheilung meines verehrten Freundes,
des Herrn Gymnasialoberlehrers Dr. Wolfs zu Hanau.)
Vom 2. bis 7. Mai 1661 wurde nun zu Worms
ein Provinzialkapitel des Malteserordens abgehalten,
dessen Akten sich abschriftlich im hiesigen Staatsarchiv
befinden.
In diesem Kapitel erklärt Herr Johann Friedrich Korf
genannt Schmiesing, Komtur der Häuser Frankfurt,
Mosbach, Rüdigheim, Dorlisheim und St. Johann
zu Basel: es sei die Komturei Rüdigheim in der
Grafschaft Hanau zum zweitenmal abgebrannt und
wäre cs unmöglich, solche wieder aufzubringen ohne
einen vermöglichen Pächter, der nur unter Zusicherung
pachtfreier Jahre zu gewinnen sei. Also habe er mit
Herrn Johansen Grimb, Bürger zu Hanau, akkordirt,
daß er die Komturei pachtweise auf 12 Jahre über-
nehme und Haus, Scheuer, Stallung und Mühle
wieder von neuem aufbaue. Den Bauschilling solle
er von dem Ertrag der Ernte nehmen, die auf
100 Malter angeschlagen werde. Die Grundstücke
beständen in 300 Morgen Land, einem Garten am
Haus und Wiesen. Auch solle der Pächter den
Zehnten von Rüdigheim, Raffholzhausen und Ober-
Jsheim zu genießen haben.
Das Kapitel genehmigte diesen Vertrag. Ob nun
der Pächter wirklich seine Pacht angetreten und seine
12 Jahre ausgehalten hat, darüber könnten am besten
die Kommendeakten, wenn sie noch erhallen sind,
Auskunft geben.
Daß unser Johannes Grimb — an der ver-
schiedenen Schreibart wird sich Niemand stoßen, der
mit der Kanzleischrift jener Zeit vertraut ist — mit
jenem 1654 genannten Hanauer Gastwirth Joh.
Grimm identisch ist, dürfte wohl keinem Zweifel
unterliegen.
Die Kommende Rüdigheim ist eine ins 13. Jahr-
hundert fallende Stiftung der Familie von Rüdigheim.
Dieselbe findet sich auch mehrfach in dem Johanniter-
orden vertreten, so war Helfrich von R. in der Zeit
von 1305 bis 1313 Großpräceptor von Deutschland,
Böhmen und Polen. Er hat sich wahrscheinlich an
der Eroberung von Rhodos (1310) betheiligt. Als
letztes Glied dieser Familie ist wir vorgekommen
Otto Philipp v. R. in Diensten des Grafen Anton
Günther von Oldenburg und Schloßhauptmann zu
Jever (1615). —
Osnabrück. K. Kerquet.
In dem Aufsatz „Belagerte Hessen« in
Nr. 17 dieser Zeitschrift ist bei Erwähnung der ruhm-
vollen Vertheidigung des Hohentwiel durch den aus
Hessen gebürtigen Konrad Wieder hold gesagt
worden, „daß die heute im Württembergischen Heeres-
dienst vorfindlichen Wiederholde doch nicht etwa zur
Sippe dieses Helden gehören.«
Von betreffender Seite wurden wir um Berichtigung
dieser Angabe ersucht und uns zu diesem Behufe ein
auf sicheren Quellen beruhender Aufsatz über die
Abstammung der württembergschen Familie Wiederhold,
welcher in Nr. 34 der Schwäbischen Kronik vom
11. Februar v. I. erschienen ist, mitgetheilt. Diesem
entnehmen wir Folgendes: „Das in Württemberg
angesessene Geschlecht der Wiederholde (bis in die
zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts „Widerhall
geschrieben), welches auf dem Gebiete friedlicher und
bürgerlicher, ganz besonders aber auf dem der kriegerischen
Thätigkeit eine ansehnliche Reihe hervorragender und
hochverdienter Männer geliefert hat, stammt aus dem
Hessischen und gehört, nachdem zwei seiner Angehörigen,
der berühmte Konrad und sein Vetter Johann Georg
in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der eine
aus Hessen, der andere aus Oesterreich nach Württemberg
sich wandten, diesem Lande an und zählt jetzt zu den
Familien der unmittelbaren, freien Reichsritterschaft.
Als der erste zuverlässige Ahnherr dieses Geschlechts
wird Heinrich Widerholt von Weidenhofen, im letzten
Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, Landvogt von Wiß-
kappel genannt. Von seinen beiden Söhnen war
Heinrich der Gründer der älteren und Johannes der
der jüngeren Linie. Des letzteren Sohn Reinhard,
Obrist in hessischen Diensten, war der Vater des am
20. April 1598 in Ziegenhain geborenen Konrad.
Dieser war in seinem 17. Jahre in den Militairdienst
getreten und im Jahre 1619, nachdem er an ver-
schiedenen Orten in und außerhalb Deutschlands,
zuletzt in Venedig, Kriegsdienste geleistet, vom. Herzoge
Joh. Friedrich als Trillmeister im württenbergischen
Heere angestellt worden. Er wurde am 13. September
1634 zum Kommandanten von Hohentwiel bestellt
und hat sich dadurch, daß er in den Jahren 1635 bis
1644 fünf Belagerungen- der Festung durch die
Kaiserlichen zurückschlug, unvergänglichen Kriegsruhm
erworben. Im Jahre 1650 schied er aus dem Dienst
und starb, nachdem er für seine Thaten durch Ver-
leihung dreier Rittergüter und Erhebung in den
Grafenstand, welche er aber ablehnte, belohnt war,
am 13. Juni 1667 in Kirchheim, in dessen Kirche
ein Denkmal seine Ruhestätte bezeichnet. Mit seinem
einzigen, frühzeitig gestorbenen Sohne erlosch dieser
Zweig der Familie.
295
Sein Nachfoger auf dem Hohentwiel wurde am
11. Juli 1650, sein Vetter, der Hauptmann Johann
Georg von Widerholt, Urenkel seines Großoheims
Heinrich. Des Letzteren Sohn Reinhard hatte das
Geschlecht aus Hessen nach Oesterreich verpflanzt und
dessen Sohn Reinhard II. war der Vater des genannten
Joh. Georg, welcher als eifriger Anhänger und Ver-
fechter der Protestantischen Sache, erst in schwedischen
und dann auf Veranlassung seines Vetters Konrad
in württembergischen Dienst getreten war. Auch
dessen Sohn Johann Dietrich hat 23 Jahre die Stelle
eines Kommandanten auf dem Hohentwiel bekleidet
und dessen Urenkel ist Konrad von Wiederhold, gegen-
wärtig Königl. württembergischen Major a. D.
Im aktiven württembergischen Militairdienst befindet
sich gegenwärtig kein Mitglied der Wiederhold'schen
Familie.
Hessische Kücherschan.
In de» Beiheften des von dem Obersten a. D.
von Loebell in Berlin herausgegebenen Militair-
Wochenblatts sind in diesem Jahre zwei Artikel
erschienen, welche für Hessen von ganz besonderem
Interesse sind. Die No. 6 dieser Hefte, welche auch
einzeln im Buchhandel zu haben sind, enthält den
Abdruck eines im vorigen Jahre von dem Major
Wiebe des II. Artillerie-Regiments in der Monats-
versammlung des Geschichtsvereins dahier gehaltenen
Vortrags über die Armee des Königsreichs
Westphalen in den Jahren 1868 bis 1813,
welcher seiner Zeit bereits gebührende Anerkennung
in den hiesigen Blättern gefunden hat. Die Arbeit
ist um so dankenswerther, als damit eine sach-
kundige, gründliche und umfasiende Darstellung der
vortrefflichen Organisation der westphälischen Armee
geboten wird. Bei der Kürze der für den Vortrag
bestimmt gewesenen Zeit konnte auf die zwar kurze,
aber so inhaltreiche Geschichte der einzelnen Regimenter,
in welchen auch die Hcflen den Kriegsruhm ihrer
Väter zu jeder Zeit bewährt haben, nur mehr im
Allgemeinen eingangen werden.
Für diese Specialgeschichte erhielten wir bereits in
den Schriften der Mitkämpfer jener Zeit, in der
Biographie des Generals v. Ochs und in den Briefen
in die Heimath des Generals von Loßberg, umso
werthvollere Mittheilungen, als sie Selbsterlebtes be-
richtete». Eine sehr werthvolle und hochinteressante
Ergänzung haben diese Werke durch den jetzt in dem
3. und 4. Heft des genannten Wochenblatts
enthaltenen Artikel „Aus dem Leben des Kur-
hessischen Generallieutenants Bauer" er-
halten, in welchem namentlich ausführlich über
die Schicksale des I. westphälischen Regiments
und der zahlreich in demselben dienenden Hessen
bei der ruhmvollen Vertheidigung der Festung
Danzig im Jahre 1813 berichtet wird. Diese, von
der berufensten Hand, dem Sohne des Verstorbenen,
dem Generalmajor z. D. Bauer veröffentlichten Mit-
theilungen, sind umso wcrthvollcr, als der Inhalt
des Artikels wesentlich in unmittelbar »ach den je-
weiligen Ereignissen in der Heimath geschriebenen
Briefen seines Vaters besteht. In schlichter, einfacher,
aber umso ergreifenderer Weise schildert dieser darin
seine und seines Regiments kriegerische Thaten, Ge-
fahren und furchtbaren Leiden im spanischen Feldzüge
des Jahres 1809, welchem er als Kapitain im
4. westphälischen Regiment beigewohnt, und ebenso die
nicht geringeren Leiden des I. Regiments bei dem
Rückzüge aus Rußland und der Vertheidigung Danzigs
in den Jahren 1812 und 1813. Bei der fast
andauernden Krankheit des Kommandeurs, des
Obersten Plaßmann, hatte Bauer während dieser beiden
Jahre fast unausgesetzt das Kommando des Regiments
und vielfach Gelegenheit, sich durch seine Umsicht und
Tapferkeit, großen Kriegsruhm zu erwerben. Bon
besonderem Interesse ist seine Beschreibung des von
ihm am 4. September 1813 vertheidigten Blockhauses
in Langfuhr, der Vorstadt Danzigs. Bis zum letzten
Augenblick hatte er das nothdürftig als Blockhaus
hergerichtete Gartenhaus mit der aus 75 Mann
Bayern und Westphalen bestehende» Besatzung ver-
theidigt und sich dann, nachdem es in Brand geschossen
war, mit den noch übrig gebliebenen 40 Mann nach
seinen Leuten durchgeschlagen. Diese Leistung hat der
berühmte Vertheidiger Danzigs, General Rapp, für
die schönste militairische Leistung erklärt, die seit dem
Beginne der Blokade geschehen sei. An der größten
Anerkennung seiner kriegerischen Thätigkeit seitens der
Franzosen hat es Bauer überhaupt nicht gefehlt, und
wie solcher namentlich von General Rapp geschätzt
wurde, zeigte sich, als es bei den Waffenstillstands-
verhandlungen im December 1813 den Westphalen
freigestellt werden sollte, in ihre Heimath zurückzukehren.
Bauer schreibt darüber seinem Bruder u. a:
«Du karuist Dir denken, daß das ganze Regiment
für Rückkehr in die Heimath war. Der Gouverneur
stellte uns Officieren die Frage, ««nicht wahr, die
Westphalen gehen alle mit nach Frankreich?"" und
wendete sich, als alle schwiegen, an mich: ««Sie, Bauer,
folgen mir doch gewiß? und als ich ihm hierauf
antwortete:"" «Exellenz, das Schicksal meinerOfficiere
ist mit dem meinigen zu genau verbunden, als daß
ich je mit ihnen anderer Meinung sein könnte," wendete
er sich, ohne ein Wort zu sagen, von «nS ab und
entließ uns.
Kaum hatten wir ihn verlassen, so wurde ich zu
ihm zurückgerufen, er empfing mich mit finsterer Miene
und sagte zu mir: «Ist es denn wahr, daß Ihre
Officiere und auch Sie mich verlassen wollen?" und
als ich ihm den Grund für unsere Entschließung aus-
einander gesetzt hatte und sagte, daß er unS entschuldigen
müsse, wenn er gerecht sein wolle, erwiederte er:
«Halten kann ich Sie nicht, Sie aber wissen, wie ich
296
stets für das Regiment gesorgt habe, Sie haben früher
die Berichte selbst gelesen, die ich über Sie gemacht
habe und jetzt habe ich noch bester für Sie gesorgt,
in Ihrem Vaterlande werden Sie schwerlich so belohnt
werden."
„Siehe, lieber Bruder, so mußte ich einen Mann
kränken, den ich so innig verehrte. Wie es scheint,
betrachtet man uns immer noch als Franzosen, weil
wir einen westphälischen König haben und vergißt
dabei, daß wir echte Deutsche sind und unser Vaterland
ebenso lieben, wie jeder Franzose das seinige." —
Bauer wurde dann im Jahre 1814 bei seiner Rück-
kehr in die Heimath, als Kapitain im Regiment
Landgraf in kurhessischen Diensten, welche er im Jahre
1806 als Secondelieutenant im Regiment Wurmb
verlassen hatte, wieder angestellt, auf Verwendung
des damaligen Kurprinzen aber schon nach 8 Tagen
zum Major befördert und hat sein an kriegerischer
Thätigkeit so reiches Leben am 30. Juni 1851 als
knrhessischer Generallieutenant geendet.
N.-L.
Mit steigendem Jntereffe haben wir die kürzlich
im Verlage von Fr. König's Buchhandlung in Hanau
erschienene, von uns bereits erwähnte Schrift „Kurze
Geschichte des Kreises und der Stadt
Hanau nebst einer chronologischen Ueber-
sicht der Haupt-Ereignisse-, allen Freunden
der Heimath gewidmet von W. I u n g h a n s, Pfarrer,
Vorsitzender des Hanauer Bezirksvereins für hessische
Geschichte und Landeskunde, gelesen. Das Buch ist,
wie der Verfasser in dem Vorworte schreibt, aus
einer Anzahl kleiner Aufsätze entstanden, welche nach
und nach in verschiedenen Jahrgängen des „Hanauer
Anzeigers- erschienen sind. Jene hat er dann zu
einer Geschichte der Stadt Hanau und Umgegend
umgeschaffen und durch Zusätze erweitert. Der Ver-
faffer, bekanntlich einer der gründlichsten Forscher
auf dem Gebiete der Geschichte Hanaus, verfügt über
ein reiches Misten und schöpfte aus der Fülle des-
selben, indem er die vorliegende Geschichte Hanaus
zusammenstellte. Klarheit der Auffaffung, Frische der
Darstellung zeichnen das Merkchen Vortheilhaft aus
und gewähren ihm durch diese Eigenschaften den Vor-
zug vor der sonst recht brauchbaren Geschichte Hanaus
von Karl Arnd, deren Werth wir durchaus nicht
verkennen. Hatte Arnd mehr die volkswirthschaft-
lichen Berhältniffe berücksichtigt, so hat Junghans
mehr sein Augenmerk auf die kulturelle Seite ge-
richtet und dafür sind wir ihm zu aufrichtigem Danke
verpflichtet, denn viel Neues und Interessantes hat
er hier zu Tage gefördert. Wie diese Schrift ganz
dazu geeignet ist, jeden Hanauer anzuheimeln, so
wird sie auch jeden Freund der Speeialgeschichte in
hohem Grade interessiren und befriedigen. Sie ver-
dient nach Form und nach Inhalt Nachahmung auch
für andere Städte und Bezirke unseres engeren Vater-
landes, denn gerade an solchen Specialgeschichten ist
unser Hestenland verhältnißmäßig noch arm.
Ihrem Inhalte nach zerfällt die Geschichte Hanaus
von Junghans in folgende Abtheilungen: Die Ent-
stehung und das allmälige Wachsthum der Stadt
Hanau; Bruchstücke aus der Geschichte der Stadt
Hanau; Kulturbilder aus Hanaus Vorzeit; kurze
Geschichte der Flecken und Dörfer der Kreises Hanau;
die Klöster und geistlichen Stifter Hanaus und der
Umgegend; chronologische Uebersicht der Hauptereignisse
aus der Hanauer Geschichte, die bis zum 1. August
1887 fortgeführt ist.
Wir können die vom Verleger auch äußerlich schön
ausgestattete Schrift von Junghans, dem hochgeschätzten
Mitarbeiter unserer Zeitschrift „Hestenland-, dem
diese mehrere vortreffliche historische Aufsätze verdankt,
allen, die sich für hessische Geschichte interessiren, auf
das Beste empfehlen. A. I.
Briefkasten.
„ F. St. Kassel. Vorbehaltlich einiger nothwendiger
Änderungen das Eingesandte angenommen. Die Anfrage,
welche Ihr Brief enthält, soll bald beantwortet werden.
J. L. Kassel; K. F. Kassel. Wird verwandt.
F. S. Kassel. Der betr. Aufsatz ist an die bezeichnete
Stelle abgegeben worden; sobald Entscheidung vorliegt,
wird dieselbe Ihnen mitgetheilt.
8. in A. bei Kassel. Das eingesandte Gedicht ist sehr
schwächlich und unreif; so leicht ist das Dichten nicht,
wie Sie sich vorzustellen scheinen.
K. N. Kesselstadt. Sie werden noch einige Zeit sich
gedulden müssen, bis wir die Prüfung vorgenommen
haben. Dann erhalten Sie sofort Nachricht. Freundlichen
Gruß!
M. W. in Berlin. Darüber können wir keine Aus-
kunft ertheilen.
Dr. P. T. München. Die Besprechung erscheint in
einer der nächsten Nummern des „Hessenlanoes".
Berichtigungen.
In dem Aussatze in früherer Nummer „Belagerte Hessen"
muß es für Badajoz nicht 1811 sondern 1812 heißen.
Auch hatten beide heutige Regimenter Nr. N7 und 118
in ihren alten Stämmen Anteil an der rühmlichen Tat.
In dem Nekrolog in unserer letzten Nummer lies Seite
274 in der zweiten Spalte Zeile 5 v. u. „Fremde", statt
„Freunde" und in der ersten Spalte auf S. 275 Zeile
4 v. o. „während" statt „wodurch."
Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Zustellung
der einzelnen Nummern des „Heffenlandcs" bitten
wir bei der Redaktion, Jordanstraße 15, oder in
der Friedr. Scheel'schcnBuchdruckerei, Schloßplatz 4,
anzumelden, damit alsbald Abhilfe erfolgen kan«.
Auch ersuchen wir die geehrte« Abonnenten, uns
von etwaigem Wohnungswechsel möglichst bald
Kenntniß zn geben, damtt eine Unterbrechung
in der Zustellung unserer Zeitschrift vermiede«
wird.
Verantwortlicher Redakteur und Berleger F. Zwenger in Kaffel. — Druck von Friedr. Scheel in Kaffel.
Das „Hessenland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/2—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Psg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den .Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband biogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Zordanstraße 15, und die Buchdruckerei von Fried r. Scheel, Schloßplatz 4,
Bestellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hessenland" eingetragen unter Nr. 2547g,, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 21 des „Hessenlandes": „Vaterhaus", Gedicht von D. Saul; „AuS einem Kasseler Bürgerhause
vor 60 Zähren", von W. Rogge-Ludwig; „Sophie von Gilsa", ein hessisches Dichterblld von Zos. Grineau (Schluß);
«Nochmals von den Schätzen des alten Kurfürsten", von L. Knatz; „Aus engem Thal", Novellette von'M. Herbert
(Forts.); Aus alterund neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Brieflasten.
alerhaus.
kehl ein Haus so arm unö klein
Auf öer hügellosen Haide —
Armes Haus, ich öenke Sein,
Tag um Tag in Lust und Leide.
Mehr! Nschls öer Schlummer mich,
Seh' ich dich vor mir ersteigm,
Anö mir ist, es wolle sich
Meine Jugmö zu mir neigen.
Weißt öu noch? Lin frohes Rinö
Jauchst' ich einst aus vollem Herzen;
Ach, ös schlug ich in öm Wind
Alle meine klemm Schmerzen!
Zsremö öer Well unö ihrer Ztzual
Kniet' ich zu öer Müller Führn —
Armes Haus, rin einzigmsl
Nur von fern möcht' ich dich grüßen.
Schnee fiel auf öen Dlüthmbsum,
Jugendzeit, sie kehrt nicht wieder;
Anö so Lerg' ich in öm Flaum
Tief öie schlummerlosm Liöer,
Dis mich in öer Sehnsucht Reich
Führt öer Traum, öer flügelschnelle,
Anö mein Haupt liegt — wie so weich l —
Vaterhaus, auf öemer Schwelle.
§. Sa«r.
298
MS einem
Kasseler Kürgerhause vor 68 Fahren.
Von W. Dogge -Ludwig.
s ist ein gar inniger, seelischer Zusammen-
hang zwischen dem Kindheits- und dem
Greisenalter. Je älter man wird, um so
lieber versenkt man sich in Erinnerungen an die
nm weitesten zurückliegende Zeit seines Lebens
und während später oft viel wichtigere Ereignisse
unserem Gedächtniß säst spurlos entschwunden
sind, sind ihm solche aus der Kindheit um so
lebendiger in Erinnerung geblieben. Es hat dies
einen sehr natürlichen Grund. Die ersten Ein-
drücke waren als solche die stärksten und um so
bleibender, als das Denken und Fühlen des
Kindes noch vollständig von dem Vorkommniß
beherrscht und noch nicht wie im späteren Leben
gleichzeitig durch andere sein Gemüth bewegende
Gedanken und Gefühle abgelenkt wurde. Es ist
dies eine Erfahrung, die wohl jeder im höheren
Lebensalter an sich selbst gemacht hat.
Meine Erinnerungen reichen über 60 Jahre
und in eine Zeit zurück, welche durch die in alle
Verhältnisse des Lebens so tief eingreifenden Er-
stndungen der letzten Jahrzehnte eine von der
jetzigen so gänzlich verschiedene war, wie es bei
einem gleichen Zeitraume wohl noch niemals der
Fall gewesen ist.
In meinen ersten Lebensjahren waren in meiner
Geburtsstadt Kassel die Gemüther noch von der
eben zu Ende gegangenen westfälischen Zeit und
den Befreiungskriegen lebhaft bewegt. Er-
innerungen an die schmachvolle, für die Gewerb-
treibenden Kassels aber so Vortheilhaft gewesene
Zeit, als die Stadt die Hauptstadt eines Landes
von 680 Quadratmeilen mit 2 Millionen Ein-
wohnern und die Residenz eines so überaus ver-
schwenderischen Königs gewesen war, bildeten noch
tmtner den Hauptgegenstand der Unterhaltung.
Dabei wurde aber auch die allgemeine Freude
bei Rückkehr des Kurfürsten, welcher freilich bei
dem Rückgänge aller Geschäfte und der in der
Stadt eingetretenen Stille einige Ernüchterung
gefolgt war, ebensowenig vergessen, als die große
und allgemeine Begeisterung der Zeit der Be-
freiungsmege. An diese letzteren erinnerten, wie
fast in allen Familien, auch bei uns zahlreiche
Bilder von den Helden dieser Kriege, sowie der
in Kassel zuerst eingezogenen russischen Generale.
Kaum minder zahlreich fanden sich daneben aber
auch Bilder, welche zur Verherrlichung Napoleons
dienten, namentlich bei allen denen, welche Unter
seinen Fahnen gefochten hatten. Auch in unserer
Kinderstube wurde die Erinnerung an ihn lebendig
erhalten, aber nicht an seine Ruhmesthaten, sondern
an seinen tiefen Fall. Wir hatten zum Spiel-
zeug einen großen Guckkasten, welcher nur Spott-
bilder auf den einst so gewaltigen und gefürchteten
Kaiser enthielt, so eins, auf welchem er von
Blücher einen Nasenstüber erhält, und ein anderes,
welches ihn auf St. Helena darstellt, wie er in
großer Uniform eine mit Orden geschmückte Ar-
mee von Ratten kommandirt. Dabei erzählte
uns dann unsere Wärterin gar viel von ihren
Schicksalen und denen unseres Hauses in der
westfälischen Zeit, von dem Ein- und Abzug
der Franzosen, der französischen und der nachher
noch viel schlimmeren russischen Einquartierung.
Aus der westfälischen Zeit stammten bei uns
zwei kostbare marmorne Büsten des Königspaares,
welche wohl aus einem andern Grunde, als aus
Verehrung für diese von meinem Vater erworben
waren, da er auih in dieser Zeit seinen deutsch-
patriotischen Sinn mehrfach bethätigt hatte.
Einen Fall dieser Art erzählt Lynker in seiner
Geschichte der Insurrektionen wider das west-
fälische Gouvernement. Unter den im Jahre
1809 wegen Theilnahme an der Dörnbergschen
Verschwörung im Kasseler Kastell Verhafteten
befanden sich auch drei meinen Eltern bekannte
westfälische Officiere, die Lieutenants Berner,
Giesewald und Schmalhaus. Da ihre Bewachung
keine besonders strenge war, namentlich Speisen
und Getränke aller Art ohne Schwierigkeit an
sie gelangten, so gründete mein Vater hierauf
den Befreiungsplan. In Weinkrügen ließ er
ihnen Feilen und Scheidewasser zur Beseitigung
der vor ihrer Zelle befindlichen Gitter und außer-
dem einen Strick zum Herablassen in einen unter
299
ihren Fenster bereit zu haltenden Nachen zukommen.
Die Befreiung ist dann auch auf diese Weise
in der Nacht vom 10. auf den 11. Juni ge-
lungen, nach Angabe meines Vaters aber nur
durch die Beihülfe des damaligen Kastellkom-
mandanten, des Majors Krupp, eines früheren
kurhessischen Officiers.
Giesewald und Schmalhans haben sich nicht
lange der gewonnenen Freiheit erfreut, sie haben
bald nachher auf den Schlachtfeldern Spaniens
einen ruhmvollen Soldatentod als Officiere der
englisch-deutschen Legion gefunden, während
Berner noch ein höheres Lebensalter und eine
angesehene Stellung in braunschweigschem Mili-
tairdienst erreicht hat.
Ein anderer Vorfall zu derselben Zeit hatte
mit unserer Familie noch in näherer Beziehung
gestanden. An dem Dörnbergschen Aufstand
hatten sich auch zwei Commis meines Vaters, Söhne
des Postmeisters in Homberg betheiligt, und einer
derselben in solcher Weise, daß er vom Kriegs-
gericht zum Tode verurtheilt wurde. Als er auf
dem Rücktransport aus dem Gouvernements-
gebäude am St. Martinsplatz, in welchem die
Kriegsgerichte abgehalten wurden, nach dem Kastell
Gelegenheit gefunden hatte, meinem Vater Nach-
richt zu geben, daß er am andern Morgen er-
schossen werden solle, eilte meine Großmutter,
eine schon bejahrte, aber sehr energische Dame,
zu dem ihr bekannt gewordenen, anerkannter-
maßen sehr milde und gerecht gesinnten, west-
fälischen Justiz-Minister Simeon, um bei
ihm Hülfe zu suchen. Auf dessen Rath begab
sie sich direkt in das Palais des Königs und
es gelang ihr, diesen fußfällig um Gnade für
den Verurtheilten zu bitten, die ihr dann auch
alsbald gewährt wurde. Den zur Exekution
bestimmt gewesenen Tag haben wir noch längere
Jahre bis zum Tode meiner Großmutter als
Familienfest gefeiert. Daran nahm der Ver-
urtheilte, welcher nach Rückkehr des Kurfürsten
zum Rentmeister ernannt war, jedesmal Theil.
Als Beweis dafür, daß mein Vater auch in
der westfälischen, für sein Kaufmanns-Geschäft
so außerordentlich vortheilhaften Zeit seinem an-
estammten Fürsten die Anhänglichkeit bewahrt
atte, mag erwähnt werden, daß er bei einer
auf Befehl Jerömes veranstalteten Auktion der
von berühmten Künstlern herrührenden Bilder,
welche hessische Regentenfamilien darstellten, eins
der werthvollsten für mehrere hundert Thaler
erstanden hatte, um es dem Kurfürsten bei dessen
stets gehoffter Rückkehr in sein Land zu über-
reichen. Diese Ueberreichung ist dann auch seiner
Zeit erfolgt und hat die Sache mit dem sehr
gnädigen Dank des Kurfürsten sein Bewenden
gehabt.
Der mit der Rückkehr des Kurfürsten in Kaffe!
eingetretene Rückgang in allen Geschäftszweigen
hatte in der Lebensweise aller Handel- und Ge-
werbtreibenden nothwendig eine große Aenderung
herbeiführen müssen. Während in der west-
fälischen Zeit der leichte und große Verdienst
und das von den eingewanderten Franzosen ge-
gebene Beispiel eines überaus üppigen und ver-
schwenderischen Lebens zu großen. Ausgaben für
Vergnügungen aller Art und sonst reichlich ge-
botene Lebensgenüsse Anreiz und Verführung
geboten hatte, waren jetzt Verhältniße eingetreten,
welche namentlich alle Gewerbtreibenden zur
größten Sparsamkeit nöthigten. Gar manche
derselben sind aber zu dieser Erkenntniß nicht
gekommen und bei vielen hat es noch eine ge-
raume Zeit gedauert, bis sie sich wieder an eine
einfachere Lebensweise gewöhnt hatten. Eine
etwas bessere Zeit für Handel und Gewerbe in
Kassel war mit dem Regierungsantritt des
weniger als sein Vater sparsamen und große
Bauten anordnenden Kurfürsten Wilhelm II.
eingetreten. (Schluß folgt.)
ophie von Gilsa.
Ich sah dich weinen.
Ich sah dich weinen — Thränen sah
Ich in des Auges Blau;
Zm feuchten Glanze schien es da
Ein Veilchen mit dem Thau.
Ich sah dich lächeln und Saphir
Verlor sei» glänzend Licht;
Die Strahlen, die das Auge dir
Beleben, hat er nicht!
Den Wolken leiht die Sonne dort
Die Farben sanft und tief,
Kaum Abendschatten nimmt sie fort.
Wenn längst der Tag entschlief.
So strahlest du das eig'ne Glück
Än's traurigste Gemüth:
Dein Lächeln läßt ein Licht zurück,
Davon das Herz erglüht.
Lin hessisches Dichlerbilö von Jos. Grineau.
(Schluß.)
Lord Byron.
300
Der Leuchtkäfer.
Bei Tage, als im Sonnenlicht
Der bunte Lenz mich angelacht,
Da, kleines Ding, sah ich dich nicht,
Hab' nicht an deinen Schein gedacht!
Nun Alles farblos worden ist.
Und keinen Glanz der Tag mehr hat,
Nun seh' ich dich, sei mir gegrüßt,
Dein Funkeln hellt den düstern Pfad!
Geb' Gott, daß wenn das Leben mir
Nicht Blüthen mehr und Strahlen beut,
Bescheidne Freude dann gleich dir
Den dunkeln Weg mit Licht bestreut!
Thomas Moore.
Ein besonderer Vorzug des Buches ist, daß
immer der Originaltext der Uebersetzung bei-
gedruckt ist; wie getreu sich aber die Dichterin an
jenen gehalten, das mag ein Vergleich dem Leser
beweisen:
The day is done.
The day is done and the darkness
Falls from the wings of Night,
As a feather is waffcet downward
From an eagle in his flight.
I see the lights of the village
Gleam through the rain and the mist,
And a feeling of sadness comes o’er me,
That my soul cannot resist.
A feeling of sadness and longing,
That is not akin to pain,
And resembles sorrow only,
As the mist resembles the rain.
Come, read to me some poem,
Lome simple and heartful lay,
That shall soothe this restless feeling,
And banish the thoughts of day.
Not from the grand old masters,
Not from the bards sublime,
Whose distant footsteps echo
Through the corridors of time.
For, like strains of martial music,
Their mighty thoughts suggest
Life’s endless toil and endeavour,
And to night I long for rest.
Eead from some humbler poet,
Whose songs gushed from the heart,
As showers from the clouds of summer,
Or tears from the eyelids start.
Who through long days of labour,
And nights devoid of ease,
Still heard in his soul the music
Of wonderful melodies.
Such songs have power to quiet
The restless pulse of care,
And come like the benediction
That follows after prayer.
Then read from the treasured volume
The poem of thy choice,
And lend to the rhyme of the poet
The beauty of thy voice.
And the night^shall be filled with music
And the cares that infest the clay,
Shall fold their tents like the Arabs,
And as silently steal away.
Longfello w.
Der Tag ist hin.
Der Tag ist hin und das Dunkel
Den Schwingen der Nacht entfliegt.
Wie die Feder dem Adler entschwebet,
Der kreisend im Aether sich wiegt.
Es scheinen die Lichter des Dorfes
Durch Nebel und Regen daher —
Und Trauer bemächtigt sich meiner,
Bewält'gen nicht kann ich sie mehr.
Gefühle von Trauer und Sehnsucht,
Doch nicht aus des Schmerzes Reich;
Sie gleichen nur so viel dem Kummer,
Als Nebel dem Regen ist gleich.
Komm! magst ein Gedicht mir lesen.
Ein einfach, gefühltes Lied,
Das die ruhlose Brust mir beruhigt,
Bor dem der Gedanke entflieht.
Doch Keines von alten Meistern,
Von den großen Barden nicht,
Bon deren fernen Schritten
Das Echo der Zeiten spricht.
Denn ihre erhab'nen Gedanken
Erinnern wie Schlachtengesang
An des Lebens Arbeit und Mühen,
Und zur Ruhe nur fühle ich Drang.
Nimm einen einfachen Dichter,
Deß Lieder entquollen der Brust
Wie Schauer aus Sommerwolken,
Wie Thränen der Wehmuth und Lust.
Dem mitten im Treiben des Tages
Und in der schlaflosen Nacht
Die Melodien, die schönen,
Im tiefsten Busen erwacht.
801
Denn solche Lieder besiinft'gen
Den Puls, der so fiebernd geht,
Und ähnlich find fie dem Segen,
Der folget ans das Gebet.
Dann lies ans dein Schatze des Buches
Ein Lied mir nach Deiner Wahl,
Und leihe dem Reime des Dichters
Der schönen Stimme Schall.
Und Musik wird die Nacht erfüllen,
Und des Tages Sorge so reg',
Gleich dem Araber falte» die Zelte
Und leise schleichen hinweg.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sich
in diesen Uebersetzungen das eigentliche
Gemüthsleben und innerste Wesen Sophie's von
Gilsa nicht scharf und hervorstechend zu erkennen
giebt, doch gilt grade von ihr das Dichterwort:
„daß zehnfach größer sie als ihre Lieder!" —
Die herzgewinnende Freundlichkeit, die über ihre
ganze Persönlichkeit ausgegofsen war, leuchtete
nur hervor aus der außerordentlichen und
seltenen Güte des Herzens, welche allen Be-
dürftigen, die ihr nahe kamen, zu helfen suchte.
Was sie an Honorar für ihre literarischen Ar-
beiten erwarb, das wurde freudig und mit größter
Zartheit unbemittelten Studirenden zugewendet;
ja, ihr großartiges Wohlthun war so schranken-
los, daß sie sich selbst oft Verlegenheiten dadurch
bereitete, und ihre ältere Schwester, die zur
Würde einer Aebtissin aufgestiegen war, versuchen
mußte, in dieser Beziehung allzu weitgehenden
Ausschreitungen Grenzen zu ziehen. Doch Sophie
von Gilsa war eine ganz und gar dem Idealen
zugewendete Natur, und da sie nicht dachte, wie
Jedermann denkt, um mit Shakespeare zu reden,
so kann es uns auch nicht befremden, daß sie
nicht immer in voller Harmonie mit ihrer Um-
gebung sich befand. Was immer sie mit ihren
Mitmenschen verknüpfen mochte, als stärkstes Band
erkannte sie nur eines: Verständniß. Sie kam mit
den verschiedensten Typen und Gestalten in Fulda
in Berührung, und wo sie geistigen Anklängen
begegnete, da wurde ihr volles Interesse wach;
mit enthusiastischer Anerkennung neigte sie sich
den ihr geftnnungsverwandten Persönlichkeiten zu,
ohne auf Geburt oder Stand zu sehen, und
— mochte dies nun der dem Bürgerthum ent-
sprossene Arzt sein, dem trotz des kaustischen
Zuges » la Mephistopheles ein Funke poetischer
Begeisterung im Herzen glühte, oder mochte es
das in grüner Einsamkeit aufgeblühte Försters-
töchterlein sein, in dessen träumerischer Seele die
Flügel der Poesie sich leise entfaltet hatten, oder
mochte es selbst ein hochbedeutender Kirchenfürst
sein, wie der geniale Bischof Johann Leonard
Pfasf —: Me erfreuten sich dankbar der Theil-;
nähme und Werthschätzung einer so hohen und
reinen Menschennatur wie Sophie von Gilsa
sie war.
Berfafferin dieser Skizze bewahrt einige Briefe,
aus denen das liebenswürdige Bild der Dichterin
überaus klar und erwärmend zu Tage tritt und
sie kann sich deshalb nicht versagen, wenigstens
einen davon mitzutheilen. Der Brief ist von
Bad Nauheim datirt und an den vor mehreren
Jahren in Fulda verstorbenen Medicinalrath
vr. Schwarz, der in den vierziger Jahren Mit-
glied der kurhessischen Ständekammer war, ge-
richtet.
„Sie haben, lieber Herr Medicinalrath, mir
durch Uebersendung Ihrer perorirenden „Eintags-
fliegen" große Freude gemacht und ich sage
Ihnen meinen innigsten Dank dafür. Ich glaubte
Sie sprechen zu hören beim Lesen der schönen
Gedichte und freute mich Sie selbst in ihren
Produktionen wieder zu sinden. Wie man Louis
Philipp den Bürgerkönig nennt, so wird man
Sie als Bürgerdichterbegrüßen, denn Sie haben
gewiß der in Ihrem Besitz bereits vorhandenen
Maffe von Popularität eine bedeutende Dosis
dieses nicht zu verachtenden Krautes zugefügt,
indem Sie den Geist der Bevölkerung Fulda's
so richtig aufzufassen und so veredelt wieder-
zugeben verstanden.
Ihre gütigen Bemühungen hinsichtlich meiner
Jugendschrift erkenne ich mit größtem Danke
und wünsche gar sehr, jemals Gelegenheit zu
haben, mich Ihnen auch gefällig erweisen zu
können; an der Art, womit unsere Freunde
uns dienen, sind dieselben zu erkennen, und ich
bin stolz darauf, die Ihrige erkannt zu haben
und im Besitz eines so gütigen Freundes und
Gönners zu sein. Die Leute sagen zwar, Euer
Gnaden hätten so ein Bischen Verwandtschaft
mit Vetter Mephisto, das heißt nicht im bösen
Sinne; wenn diese Verwandtschaft jedoch auf
der andern Seite durch eines guten Genius
Eigenschaften neutralisirt wird, so entsteht daraus
ein ganz angenehmes Etwas, welches um so
wohlthuender wirkt und erscheint, als es nicht
gewöhnlich ist, denn nichts übt, wenigstens auf
mich, einen so niederschlagenden Einfluß aus,
als Alltäglichkeit, und nichts erhebt, belebt
und erfrischt mich mehr als das Gepräge einer
nicht ganz irdischen und materiellen Natur.
Meine Gesundheit scheint vor der Hand auf
dem besten Weg zur Besserung, und wenn Alles
sich für die Folge so bewährt, wie es jetzt sich
zeigt, so werde ich große Ursache haben, das
Nauheimer Bad zu preisen; ich denke, Sie freuen
sich mit mir, daß ich endlich Aussicht habe ein
302
genießbarer Mensch zu werden, denn mein ewiges
Kranksein hat mich nicht gerade liebenswürdiger
gemacht.
Doch leben Sie nun recht wohl, lieber Herr
Medicinalrath, und empfehlen Sie mich Ihrer
Frau Gemahlin angelegentlichst.
Freundlichst und ergebenst
Sophie Gilsa.
Nauheim, im September 1842.
Ewiges Kranksein! Ja das war es, was ihr
Leben trübte und stets ihrer regen Schaffenslust
so hemmend im Wege stand. Seltsamer Weise
waren die Meisten geneigt, ihr Leiden für Ein-
bildung zu nehmen, bis sie demselben am 9. Sep-
tember des Jahres 1858 erlag, im Alter von
einundfünfzig Jahren.
Auf dem Friedhof zu Fulda liegt sie unter
ihren Standesgenossinnen begraben. Nicht ganz
drei Jahre später folgte ihr die Aebtissin Karo-
line von Gilsa nach und wurde ihr zur Seite
beigesetzt. Ein Gitter umfriedigt Beider Grab-
stätten, und der Frieden des Todes hat die
Schwestern versöhnt und vereinigt, die Beide so
edle und hochgesinnte Naturen waren und doch
im Leben sich niemals recht verstanden haben.
Ernste, hohe Tannen rauschen darüber, und an
Sophiens Grabstein liest man die göttliche Ver-
heißung, die ihr die ewige Krone gesichert:
„Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden
Barmherzigkeit erlangen."
Wohl verkündet auch eine Lyra an dem ein-
fachen Grabmale, daß hier ein Dichterherz ge-
bettet liegt, aber fast Alle gehen achtlos daran
vorüber. Wer kümmert sich auch in unsrer so
hastig vorwärts stürmenden Zeit um die Klänge
eines längst verhallten Saitenspieles? Für solche
bescheidenen Talente hat die Nachwelt keine Lor-
beeren, und die Kränze, welche einst von nun
kalten Händen Sophie von Gilsa dargereicht
wurden, sind längst verwelkt. Doch gleichviel:
sie hat treu für das Gute und Schöne gekämpft
und damit ihre Bestimmung erfüllt.
Am Sarge fällt die Blüthe ab,
Zerrinnt der Glorie Zauberschemen,
Das Lorbeerreis, es bleibt am Grab,
Du kannst es nicht hinüber nehmen;
Doch vor dem Richter kannst du knien,
Die reinen Hände hoch gefaltet:
„Sieh, Herr, die Pfunde, mir verliehn,
Ich habe redlich sie verwaltet.*
Und mit diesen schönen Worten, welche einst
Annette von Droste einer anderen gleichfalls
hessischen Dichterin nachgerufen, wollen wir dieses
Gedenkblatt beschließen, um es als ein frisches
Liebeszeichen verehrungsvoll auf das Grab der
Dichterin Sophie von Gilsa niederzulegen. Möge
ihr Andenken im Hessenlande in Ehren bleiben!
Mochmals von öm Kchähm des allen Durfürsten
In dem Aufsatz ,Bon den Schätzen des allen
Kurfürsten* in Nr. 9. dieser Zeitschrift, S. 112
oben, wird meinem Großvater, dem Kriegsrath Knatz,
große Leichtgläubigkeit schuld gegeben. Die Stelle
kann nicht wohl anders aufgefaßt werden, als daß die
Leichtgläubigkeit der kurfürstlichen Kommissare auf
das Zustandekommen des für den Kurfürsten un-
günstigen Vergleichsabschlusses eingewirkt habe und
daß dies umsomehr zu bedauern sei, als an demselben
Tage (7. August 1812) die Schlacht bei Borodino
geschlagen wurde, mit welcher sich bekanntlich das
Kriegsglück Napoleons wendete, daß also, mit andern
Worten, der Verlust nicht eingetreten wäre, wenn
man nur noch kurze Zeit gewartet hätte.
Der unbefangene Leser der Stelle wird es wohl
nun zunächst unwahrscheinlich finden, daß zwei ge-
schäftsgewandte Finanzbeamte der Behauptung des
Agenten, die Schuld fti an Napoleon bezahlt, ohne
weiteres Glauben geschenkt haben sollten, während es
nahe lag, die Vorzeigung der über die Zahlung sicher
vorhandenen Quittungen zu verlangen. Noch viel unwahr-
scheinlicher wäre es, wenn der, wie geschichtsbekannt
und auch nach der eigenen Darstellung des Herrn
Verfassers in Nr. 9, mißtrauische und in Geldgeschäften
vorsichtige Kurfürst dem deßhalbigen Berichte seiner
Räthe ohne Weiteres Glauben geschenkt hätte. Ganz
unbegreiflich aber wäre es schließlich, daß der Kurfürst
auch, nachdem er die Leichtgläubigkeit seiner Räthe nach
1815 entdeckt hatte und ihnen also den Geldverlust
schuld geben konnte, sie dennoch nicht nur in ihren
Ämtern und Würden belassen, sondern ihnen weitere
Beweise seines Vertrauens gegeben hätte, wie dies
wenigstens bei meinem Großvater bis zum Tode des
Kurfürsten und ausweislich seines Testaments in der
That der Fall gewesen ist.
Abgesehen hiervon ist es aber auch den damaligen
Zeitumständen ganz unangemessen, daß Baden bereits
1812 mit der Behauptung aufgetreten sein sollte,
das Geld sei an Napoleon bezahlt. Napoleon be-
herrschte Europa. Daß er diese Herrschaft in ah-
303
sehbarer Zeit verlieren oder gar daß binnen Jahres-
frist die alten Verhältnisse in Deutschland wieder-
hergestellt sein würden, daran dachte damals be-
kanntlich Niemand, wenn auch einige Vaterlands-
freunde an der Zukunft Deutschlands noch nicht ganz
verzweifelten. Der Großherzog von Baden war mit
dem allmächtigen Kaiser verschwägert, dem Namen
nach sein Bundesgenosse, in Wahrheit sein Präfekt.
Mit dem Kurfürsten betrachtete sich Napoleon im
Kriegszustände, das Vermögen des verbannten Fürsten
nahm er in Beschlag, wo er es fand. Baden, als
Schuldner des Kurfürsten, mußte nur insofern die
Entdeckung fürchten, als es das ganze Kapital an
Napoleon zahlen mußte- wenn dieser Kunde erhielt,
es zahlte aber alsdann doch nur, was es schuldete
und hatte nach der damaligen Anschauung der Ver-
hältniffe nochmalige Zahlung an den Kurfürsten
nicht zu fürchten. Außerdem konnte es nicht ohne
Grund hoffen, von Napoleon einen Nachlaß zu er-
halten. Der Kurfürst dagegen war viel schlimmer
daran, er verlor im Falle der Entdeckung sein ganzes
Geld ohne damals auf Ersatz hoffen zu können. Aus
diesem Grunde mußte der Kurfürst geneigt sein, die
Sache heimlich zu ordnen und zufrieden sein, wenn
er nur etwas erhielt. Daß die Unterhandlungen
durch Zwischenhändler geführt wurden, war von der
Nothwendigkeit geboten und deßhalb üblich. Es
wurde viel Geld damit verdient, wie denn nament-
lich der alte Rothschild wohl mehr durch solche Ge-
schäfte, als durch Nehmen von hohen Zinsen den
Grund zum Reichthum seines Hauses gelegt haben
wird. Das Mittel, durch welches Reutlinger den
Kurfürsten zu bestimmen suchen mußte, war danach
von selbst gegeben. Er wies einfach darauf hin,
daß der Kurfürst gar nichts bekomme, wenn den
Franzosen Kenntniß von der Sache gegeben würde.
Die Vorspiegelung, Baden habe bereits an Napoleon
bezahlt, hätte der Kurfürst dagegen nicht verstehen
können, denn dann hätte für Baden jeder Beweg-
grund gefehlt, nochmals zu zahlen. Umgekehrt lag
aber die Sache nach 1815. Zu einer Zeit, wo die
Rechtsgelehrten über die Rechtmäßigkeit der während
der Fremdherrschaft abgeschlossenen Rechtsgeschäfte
heftig stritten, hatte Baden ein sehr erhebliches In-
teresse, Zahlung an Napoleon zu behaupten, weil es
dadurch wenn nicht ganz von der Schuld loszukom-
men doch die Grundlage für einen billigen Vergleich
sich zu verschaffen hoffen konnte.
Diese allgemeinen Erwägungen werden nun er-
heblich unterstützt durch zwei Urkunden aus dem
Nachlasse meines Großvaters. Die eine ist das
Konzept eines Berichts meines Großvaters vom
6. September 1821 an seine vorgesetzte Behörde.
Er war wie alle Lieblingsdiener des am 27. Febr.
1821 verstorbenen Kurfürsten bei dessen Nachfolger
wenig in Gnaden und so wurde ihm schon bald
nach dem Regierungsantritt des Nachfolgers von
böswilliger Seite schuld gegeben, daß er sein Amt
übel verwaltet habe. Aus der eingeleiteten Unter-
suchung ergab sich, nebenbei bemerkt, die völlige Un-
schuld des angegriffenen Beamten, jener Bericht be-
zieht sich aber speciell auf die hier in Rede stehenden
Vergleichsverhandlungen mit Reutlinger über das
badische Kapital. Die andere Urkunde ist der Ori-
ginalbericht meines Großvaters über den Reutlinger-
schen Vergleichsvorschlag, datirt Prag 4. August 1812
mit dem Marginalrescript des Kurfürsten vom 6. August,
also höchst wahrscheinlich gerade derjenigen höchsten
Entschließung, in Folge deren der Vertrag vom
7. August 1812 abgeschlossen wurde. Aus der erst,
genannten Urkunde ergibt sich, daß nicht Baden-
sondern der Kurfürst die Verhandlungen veranlaßte,,
in der damals gewiß begründeten Unterstellung,
er werde bei längerem Zuwarten gar nichts erhalten,
ferner, daß Reutlinger geradezu mit Anzeigen bei
der französischen Behörde gedroht hat, um den Kur-
fürsten zum Nachgeben zu bestimmen und daß der
letztere gerade wegen der Gefahr gänzlichen Verlustes sich
mit einer geringen Summe begnügte. Weder in dieser,
noch in der Urkunde vom August 1812 ist die Behaup-
tung, das Geld sei an Napoleon bezahlt, auch nur
angedeutet, im Gegentheil ergibt der Inhalt beider,
daß diese Behauptung gar nicht ausgestellt gewesen sein
kann. Bezüglich der Urkunde von 1821 geht dies schon
aus dem Vorstehenden hervor; die andere von 1812 ent-
hält wörtlich folgende Stelle: «freilich ein sehr kleines
«Äquivalent (nämlich die angebotene Vergleichssumme),
«welches aber groß erscheint, wenn man die Kapitalien
„als ganz verloren betrachtet, indem der Durch-
lauchtigste Herr Debitor (also Baden) als Schwieger«
«söhn des Kaisers Napoleon bei einem Accord die
«vortheilhaftesten Bedingungen erwarten darf". Dies
hätte unmöglich gesagt sein können, wenn Reutlinger
behauptet hätte, das Geld sei bereits an Napoleon bezahlt.
Aus den Urkunden ergibt sich außerdem, daß der
Herr Verfasser in Nr. 9, wenigstens über die Ver-
handlungen von 1812 sich im Irrthum befunden
haben muß, denn inhaltlich meiner Urkunden war
der zweite Kommissar neben meinem Großvater nicht
Schminke, sondern ein österreichischer Advokat und
kurfürstlicher Rath Kanka, die Forderung des Kurfürsten
an Baden betrug nicht 1,200,000, sondern 1,300,000
Gulden nnd die Bergleichssumme nicht 150,000 oder
250,000, sondern 300,000 Gulden, der Vergleich
bezog sich auch nicht bloß auf die badische, sondern
gleichzeitig mit auf eine Löwenstein-Werthheimsche
Schuld. Endlich war auch Reutlinger, den der Herr
Verfasser in Nr. 9, ein «Individuum" nennt, groß-
herzoglich-badischer Kammerrath *).
------------- Knatz- Amtsgerrchtsrath.
*) Die beiden uns vorgelegten Urkunden enthalten das
oben Dargestellte. Die von 1812 ist in Abschrift bei uns
niedergelegt zu Jedermanns Einsicht. Die Originale jeder-
zeit vorzuzeigen hat sich der Herr Verfasser bereit erklärt.
Die Redaktion.
304
lus engem Khal.
Aovellelke v. 33*. Herberk.
(Fortsetzung.)
Mkie Armuth hat's besser auf dem Lande, als in
N» der Stadt. Eng und schmutzig war die Gasse,
Gj das sogenannte „hinterste Eisfeld" im alten
Melsungen. Das Haus hing wie ein verregnetes
vorjähriges Vogelnest an der bröckelnden, gras-
bewachsenen Stadtmauer.. Ein Düngerhaufen
lag neben der nach uraltem Brauch schräg in
der Mitte getheilten Hausthür. Ringsum Traurig-
keit und Armuth. Im Häuschen nichts besser.
Die feuchten Wände waren von dem Rauch der
offenen Feuerstätte auf dem Gang mit einer
dicken, glänzenden Rußtapete überzogen. Wenn
nun gar die Sonne kam, die helle, glänzende
Sonne, welche die Schönheit noch tausendmal
chöner macht und den Schmutz so grausam
chonungSlos hervortreten läßt, dann strahlte sie
»urch die staubigen, papierverklebten Fensterscheiben
auf den Lehmboden des Zimmers, zerfetzte Stroh-
stühle und den viereckigen, graurothen Ofen. Sie
warf einen jener verächtlichen, mißmuthigen Blicke,
die ihrem freundlichen Antlitz so schlecht stehen,
auf die schwarzen Spinneweben, die von der
niederen Decke herabhingen und zerrte geflissent-
lich den Staub aus den Ecken. Sie umränderte
die Löcher in den Lehmwänden mit gelbem Licht
und Mes, was sie that, sah aus wie Hohn. Ja, sie
scheute sich nicht einen flimmernden, goldenen Strahl
über die mit einem groben Tuch bedeckte Lagerstätte
zu breiten. Dort ruhte die kleine blasse, zu-
sammengesunkene Gestalt eines todten Kindes.
DaS bleiche Gesichtchen mit den tiefeingesunkenen
Augen sah alt aus, als sei bereits eine Erfahr-
ung darüber hingeglitten. Die herbste aller Er-
fahrungen, welche Menschen machen können, hatte
in der That dieses kleine Geschöpf erlebt, seine
eigene Mutter hatte es verlassen, geopfert.
Die Nahrung, die Pflege, die Liebe, die sie ihm
schuldete, hatte sie für Geld an ein fremdes Kind
verkauft. Die Erhaltung eines reichen, geliebten
Lebens hatte, wie schon so oft, ein armes, kleines,
kümmerliches, gekostet. Neben dem kleinen Todten
saß die Pflegerin und trank Kaffee aus einer
zerbrochenen Schale. Die Frau stammte aus der
untersten Volksschicht, gehörte zu jenen Parias,
wie sie leider in den kleinen Städten Hessens
nur allzureichlich vertreten sind. Geboren von
Bettlern, in engen schmutzigen Straßen, wo das
Elend der Nachbarn sich gegenseitig erhöht,
unter Noth und Fluchen zum Beiteln erzogen,
in den Fabriken untauglich gemacht für
richtige Arbeit in Haus und Feld, von
schlechtem niedrigen Beispiel umgeben, ist es
Vielen dieser Aermsten fast unmöglich gemacht,
anders zu werden als sie sind. Die Frau sah
unrein und verkommen aus, sie trug die hohe
Kattunhaube der Melsunger alten Frauen. Ihr
Gesicht war wie ein verschrumpftes Stück Per-
gament, auf welches eine unleserliche Hand ver-
worrene Schriftzeichen geworfen. Rembrandt
hat solche Gesichter mit seiner dunkelen Farben-
abtönung idealisirt, aber im grellen Licht des
Lebens wird man zu sehr an die Räder erinnert,
welche die tiefen Furchen zogen.
Gegenwärtig bewegt die Frau in vergnügtem
Zwinkern die Augen:
„Ein Kind weniger, eine Sorge weniger!"
Der Tod eines ernährenden Hausthieres ist
diesen auf der untersten Stufe der menschlichen
Gesellschaft Stehenden weit schmerzlicher als der
eines Menschen.
Im Gebühren der Alten zeigte sich nichts von
jener Feierlichkeit, mit welcher man in der Nähe
eines Verstorbenen leiser sich bewegt und ge-
dämpfter spricht, ja, in ihrer Gleichgiltigkeit lag
ein gewisses, zufriedenes Behagen. Eben jetzt
öffnete sich die knarrende Stubenthür und Kathrin-
lies, die Mutter des todten Kindes trat ein.
Die Frau, welcher sie diente, hatte ihr zum Aus-
tragen des Kindes ein hübsches, coquettes Bauern-
costüm verfertigen lassen, eine spitze Mütze,
freilich eine schwarze — denn die rote hatte sie
verwirkt — saß auf den Haaren, sie trug eine
blinkende, weiße Schürze auf dem kurzen Schwälmer-
rock. In dem Gesicht der Kathrinlies jedoch
war keine Freude mehr an dem zierlichen Anzug,
es fraß ihr etwas am Herzen und zehrte Tag
und Nacht, sie krankte am Weh um ihren ehr-
lichen Namen. Aber es schien, als freue sich die
Sonne über ihre hübsche, blitzblanke Erscheinung
und die glänzenden schwarzen Haare, die sich so
üppig um die Stirne legten.
„Kathrinlies," sagte die Alte, ihr entgegen-
gehend, „du hast mehr Glück als Verstand. Der
Wurm ist endlich todt."
Mit ihrer häßlichen, knöchernen Hand hob sie
den Kattunvorhang, der die arme, kleine Leiche
halb verdeckt hielt, daß die Kathrinlies mit einem
Blicke überschaute, was geschehen war.
-Wie auf'einen Schlag wich die Farbe aus des
Mädchens Wangen, Kathrinlies blieb für einen
Moment wie angewurzelt stehen, ihre Augen
schienen aus den Höhlen treten zu wollen, ihre
805
Hünde ballten sich — dann die Arme wie im
Krampfe emporschleudernd, stürzte sie an der
Alten vorüber aus ihr Kind zu.
Ein starrer Blick in das müde, winzige Ge-
fichtchen, ein heißeres, kurzes Röcheln, — ein
wahnsinniger Aufschrei — und sie riß die kleine
Gestalt aus ihrer Ruhe empor, suchte sie an
ihrer Brust zu erwärmen, öffnete mit zitternden
Fingern die kalten, schweren Augenlider, flüsterte
zärtliche Schmeichelnamen in die für immer
tauben Ohren, beging alle die sinnlosen Thor-
heiten, die wir Menschen, Reiche und Arme,
Gebildete und Ungebildete in leidenschaftlichem
Schmerze, leidenschaftlichem Glücke begehen. Erst in
diesem Augenblicke kam es dem wilden zerfahrenen
Gemüth des armen Mädchens zum Bewußtsein,
was es heißt, einem Kinde Mutter zu sein.
Die ganze unsägliche Heiligkeit der gottgepflanzten
Liebe, die sie mit diesem kleinen Wesen verband,
stieg vor ihr auf, wie eine ferne Vision. So
lange sie das Kind beseffen, hatte es sie gedrückt,
als die Last einer nimmer tilgbaren Sünde und
nun es todt, war es der Verlust unersetzbaren
Glückes, reicher Quelle der Buße und der Gnade.
„Es ist ja gar nit möglich, daß es todt ist,"
schrie sie, „es kann und darf nit sein, es bringt
mich um!"
In das schmerzlich wirre Gebühren der Ka-
thrinlies hinein tönte die harte Stimme der
Alten:
„Was greinst du nun? Ein leichtfertiges
Geschöpf wie du sollte Gott auf den Knien danken,
wenn Er die arme, kleine Seele bei Sich ver-
sorgt. Was in aller Welt, wolltest du mit dem Kinde
beginnen, dumme Dirne? Spar' die Thränen!
Du weinst nur dem armen Ding, das sowieso
keine Mutter gehabt hat, das Todtenhemd naß.
Dann hat's im Grabe nit Ruh. Du hast keinen
Finger für es gehoben.... Soll nun dein
Kino Nächtens über die dornigen Wege laufen
ünd den schweren Thränenkrug schleppen?"
Kathrinlies entgegnete nichts. Sie lag vor
dem Bette auf den Knien und preßte die Schürze
vor die Augen, denn so oft sie in ihres Kindes
Gesicht sah, schien der halbgeöffnete Mund zu
sagen: „Du hast mich ja selbst getödtet, meinen
Tod gewünscht, du Elende!"
Die Alte schüttelte sie derb an der Schulter.
„Alles Jammern und Klagen hilft Nichts, das
merk dir. Besser freilich wär's gewesen, wenn's
niemals geboren worden wär."
Da schrie Kathrinlies noch einmal laut und
herzzerreißend auf. In diesen Worten lag ja
der ganze Sündenschmerz, die ganze Reue ihres
Herzens.
Ihr Kopf sank so schwer auf die harte Spanne
des Bettes, daß es einen dumpfen Laut gab.
So blieb sie regungslos durch einige Minuten,
während die Alte ihren Kaffee weiter trank.
Dann stand Kathrinlies auf, biß die Zähne
zusammen, daß sie knirschten und ohne noch einen
Blick auf die Leiche ihres Kindes zurückzuwerfen,
taumelte sie nach der Thür.
„Ich werd' das Begräbniß bezahlen, seid so
gut, dafür zu sorgen," sagte sie tonlos.
„Sollen die Glocken geläutet werden?"
„Nein, nein, nur kein Geklinge. Aber laßt den
Pfarrer mitgehen und sorgt dafür, daß ein Gebet
gesprochen wird am Grabe."
„Nicht einmal die Glocken!" keifte die Alte
„das könntest du schon noch an dgs Würmlein
hängen."
Alles wollen die Armen vermissen, nur nicht
das Glockenläuten, wenn sie hinausgetragen werden.
Nach den Gebeten fragen Wenige aber das
Klingen, das dem Sarge folgt, das weckt ja
fragende Stimmen: „Wen begraben sie dort?"
So dunkel des Menschen Leben auch war, er
möchte doch, daß nach seinem Tode sein Namen
noch genannt werde.
Kathrinlies ging die steile, schlüpfrige Treppe
der Hütte hinab, und als sie auf dem Flur
angelangt war, stand sie noch ein paar Minuten
still und lehnte sich mit dem Rücken an
die Wand. Ihr schien, als müffe sie ihre
Züge noch in Ordnung bringen, ehe sie auf die
Straße trat unter die Leute. Aber sie wollten
sich nimmer in die alten, gleichgültigen Falten
bequemen. Jedoch, es half nichts, sie mußte
heim zu der Herrschaft, die nicht wissen durfte,
wie sehr sie sich aufgeregt. Als sie unter das
Hausthor trat, sah sie mit ihren starren, glanzlos
vor sich hin gerichteten Augen gerade in die
Werkstatt des Schusters. Da saß der krumme
Hannes, auf dem wackeligen Dreibein balancirend,
und flickte ein Paar riesige, ausgetretene Pan-
toffeln. Der Hannes war in der ganzen Straße
verschrieen, weil er als Rechthaber und Besser-
wisser galt. Man konnte keine drei Worte mit
ihm reden, ohne daß Einem eine Grobheit
wider die Stirne stieß. Daß diese Grobheiten
gewöhnlich nur unverhüllte Wahrheiten waren,
konnte ihn nicht beliebter machen, die schmerzenden,
ätzenden Grobheiten, welche der Mensch seinem
Nebenmenschen nicht verzeiht, sind fast immer
Wahrheiten.
Seltsam, daß sie heute daran denken muß,
wie er sie auf den Armen herumgeschleppt, als
sie ein hilfloses, heulendes, kleines Ding war.
Später, da sie in die Armenschule ging, beschützte
er sie vor den Angriffen wilder Knaben. O>ft
hatten sie zusammen im Zwielicht auf der Stadt-
306
mauer gesessen und er hatte sein Vesperbrod mit ihr
etheilt; denn Kathrinlies war gewöhnlich hungrig,
a ihre Eltern nur arme Taglöhnersleute waren,
die spät Abends heimkehrten. Der alte Vater
des Hannes dagegen war ein ansässiger Meister,
der für alle Bedürfnisse des Hannes, wenn auch
schlecht und recht Sorge trug. Damals hatte
der Hannes oft die Arme geneckt und stolz auf
die kleine Kathrinlies geblickt, „Na wart, Kathrin-
tes, wenn ich groß bin, sollst du's besser haben,
)ann wirst du meine Frau und meine Hände
chaffen für uns zwei. Gut ist arbeiten für den,
>en man lieb hat." Damals hatte sie Freude
gehabt an seinen ehrlichen Augen. — Wie lange das
her zu sein schien! ach, und wie war Alles, Alles
so anders! Und gerade wie früher tanzen die
Kinder in der Straße und singen:
»Blauer blauer Fingerhut
Ist der Jungst«« Ehrcngut."
Alles wie sonst und doch nichts, denn über
Allem liegt das graue Sterbetuch der todten
Unschuld.
Da drüben saß der. Hannes und zog den
Faden durch das Pech und pfiff das alte Stück-
lein, das sie bereits als Kinder zusammen ge-
sungen und dessen Endvers lautet:
»Möcht streiten, wandern, werben —
,J' weiß nit, wos i' will,
,J' möcht am liebsten sterben,
»Dann wür's auf einmal still."
Die Melodie pfiff der Hannes, und die Augen
der Kathrinlies klammerten sich an ihn fest; denn
mit seinem redlichen Gesicht stieg die Kinderzeit
vor ihr auf, und das verscherzte Glück winkte
ihr schmerzlich zu.
Da hob auch der Hannes die lebhaften, kleinen
Augen empor, und als sie so auf die Kathrinlies
fielen, welche in ihrer hübschen Mütze mit der
weißen Schürze blank und glänzend in der Haus-
thür stand, fuhren tausend Teufel des Spottes
über sein Gesicht. Im Nu riß er den lahmen,
klirrenden Fensterflügel auf und rief mit seiner
gellenden Stimme über die Straße, dem Mädchen
zu: He, Kathrinlies Grafen und Barone,
Grafen und Barone!"
Der Hannes wußte nicht, daß das Kind der
Kathrinlies gestorben war, und ohne daß er es
wußte, ging es ihm wie ein Messerstich durch
die Brust, als sie mit einem langen verzweifelten
Blicke ihn anschaute, feuerroth ward, die weiße
Schürze vor das Gesicht schlug — und dann
schwankend die enge Gasse entlang ging, bald
hüben, bald drüben wie eine Berauschte. Er schloß
ganz sachte das Fenster, und als er auf seinen
Schemel zurückkehrte, sagte der kleine, einfältige
Lehrjunge, der eben ein Paar alte Stiefeln mit
Studentenpatentwichse zu ihrem ursprünglichen
Glanze zurückzubringen trachtete: „I wo Meister,
ihr seht ja schneeweiß aus im Gesichte, wie der
Tod Wem."
„Kehr vor deiner Thür!" schrie Hannes, der
selbst seinem Lehrjungen nie ein Wort schuldig
blieb. „Du hast dich nichts um meine „Provat-"
Angelegenheiten zu kümmern."
Hannes ging an diesem Abend früher schlafen,
als es sonst wohl seine Gewohnheit; er hätte heut'
nicht im Wirthshaus sitzen können, unter den
lärmenden Genossen. Er wälzte sich im Bette
herum und fand keinen Schlaf. Immer sah er
die Kathrinlies, die er einmal so gern gehabt, —
so gem, daß er ihre Schmach nicht verwinden
konnte, wie sie da drüben stand in ihrem bunten
Staat und er merkte an ihrem todestraurigen,
verlassenem Gesicht, daß sie ärmer war als je
und einen Freund nöthiger hätte als je. „Aber
wer will solcher Dirne Freund sein?" zürnte er
und ballte die groben Fäuste auf der Decke. Am
nächsten Morgen sah er, wie ein kleiner, weißer
Sarg in das Haus gegenüber getragen wurde;
da riß er das Fenster auf. Die Alte lehnte in
der Hausthür, an derselben Stelle wo gestem
Kathrinlies gestanden.
„Heda!" schrie er, „Marthens Tante, „wem
ist denn ein Kind gestorben?" „'s ist der Kathrin-
lies ihres!" entgegnete das Weib geringschätzig.
„Die Dirn' könnt' froh sein daß sie der Bürde
ledig, und nun thut sie, wie ungescheidt.
(Schluß folgt.)
Aus alter und neuer Zeit.
Eine Stimme über Hessen aus dem Jahre
18 l S. Die vortreffliche und ihrer Zeit sehr an-
gesehene Zeitschrift »Rheinisch er Merkur"*) brachte
im November 1815 einige Artikel »Bemerkungen
*) Herausgegeben von Joseph Görres, nach seinem
ersten Erscheinen im Jahre 1814 von Napoleon selbst die
fünfte Großmacht der Koalition genannt.
auf einer Reise durch das Kurfürstenthum Hessen",
in welchen die Zustände dieses Landes in sehr zu-
treffender Weise geschildert werden.
Nachdem der Verfasser das hessische Volk als ein
rechtes und kräftiges bezeichnet, dem nur der weise
Anstoß von oben gefehlt habe, um den in ihm liegenden
Keim zu etwas Tüchtigem schön und lebendig zu
entwickeln, läßt er «ns erkennen, wie richtig er den
307
Charakter Wilhelm I. aufgefaßt hat, wenn er von
ihm sagt:
„Was den Kurfürsten Persönlich angeht, so ist er
ohne Widerrede ein Regent von vielen vortrefflichen
Eigenschaften und einer der vorzüglichsten deutschen
Fürsten. Seine Ordnungsliebe, seine Thätigkeit, seine
Gerechtigkeit und seinen Sinn für fürstliche Würde
könnte nur leidenschaftliche Persönlichkeit verkennen.
Man wirft ihm vor, daß er das Geld zu sehr liebe.
Für das praktische Wirken ist aber das Nachteiligste,
daß er, was freilich bei seinem hohen Alter nicht
auffallen kann, mit dem Geist der Zeit nicht fort-
gegangen ist und gänzlich außer dieser Zeit steht.
Die großen volksthümlichen Entwickelungen des öffent-
lichen Lebens sind ihm fremd und widerwärtig, deshalb
hat er die Popularität verloren. Fast alle diejenigen
Männer von einiger moralischen oder geistigenBedentung,
die während der fremden Unterdrückung Vaterlands-
liebe und Freiheitssinn bewährten, werden auch jetzt
mit Mißtrauen und Argwohn betrachtet". Der Ver-
fasser bespricht dann mit der größten Anerkennung
die Bestrebungen des Landtags vom Jahre 1815,
wobei er nur beklagt, daß sich in Heffen so wenig
Menschen finden, die die öffentlichen Verhandlungen
und Angelegenheiten vor die Publicität bringen,
„denn gewiß wäre der Muth und die Standhaftigkeit
der Landstände vermehrt, ihr Standpunkt erhöht und
ihre Ansicht erweitert worden, wenn die Verhandlungen
einem größeren Publikum bekannt geworden wären
Er sagt von ihnen dann weiter:
„Die Stände haben ihren Landtag auf eine recht
schöne und lobenswerthe Weise begonnen, sie haben
mit Bescheidenheit und großer Standhaftigkeit die
Hauptbeschwerden des Landes entwickelt und um deren
Abstellung gebeten, insbesondere haben sie mit Nach-
druck auf einer Trennung des Staatsvermögens von
dem des Fürsten bestanden. Das ist für Heffen ein
sehr wichtiger Punkt, da dieses Land sich in einem
von den andern deutschen Ländern verschiedenen Ver-
hältniß befindet. Sowie diese mit Schulden überhäuft
sind, so besitzt jenes bedeutende Geldmittel und
Kapitalien. Die Stände glauben nun mir dem größten
Recht, daß die seit Jahren gesammelten Ueberschüffe
der öffentlichen Einkünfte, sowie die mit hessischem
Blute erworbenen Subsidiengelder als wahres Staats-
eigenthum anzusehen und unter ihrer Mitaufsicht zu
den Bedürfnissen des Landes zu verwenden seien.
Die Entscheidung dieser Frage ist aber wichtiger für
die kommende, als für die gegenwärtige Regierung,
da der ökonomische Sinn des Kurfürsten nicht besorgen
läßt, er werde die vorhandenen Gelder und Kapitalien
verschwenden und verschleudern. Die Heffen haben
immerhin Ursache, die Gottheit um noch ein langes
Leben für ihren Regenten zu bitten, denn sie sehen
unter dieser Regierung des 73 jährigen Greises einem
geordneten Gange der Geschäfte, dagegen keinem
Ausbruch der Willkür und Laune und keinem Eingriff
in die Verhältnisse Einzelner entgegen". Am Schluffe
seines Artikels erklärt dann der Verfasser, daß er
längere Zeit aus Hessen entfernt gewesen und jetzt
freudig überrascht worden sei, als er deutlich gesehen,
wie der mächtige Geist, der in diese Zeit getreten,
sich auch in Heffen so schön und kräftig zu entwickeln
anfange, er habe dies aus der ganzen Art und Weise,
wie sich alle Menschen geben und darstellen und
hauptsächlich an zwei Erscheinungen, dem hessischen
Landsturm und der Jahresfeier der Leipziger Schlacht
erkannt.
Bon dem ersteren schreibt er:
„Der Landsturm ist ein zu neues und volks-
thümliches Institut um in dem Sinn der hessischen
Regierung zu liegen. Diese hat daher für denselben
auch weiter nichts gethan, als daß sie die großen
Grundzüge angab, die sie anzugeben genöthigt war.
Dem ohnerachtet hat sich der hessische Landsturm in
Zeit von etwa anderthalb Jahren recht zweckmäßig
und tüchtig ausgebildet. Diese Ausbildung ist ganz
von dem Volke ausgegangen und war der Widerspruch
gegen die damit verbundenen Lasten und Kosten nur
unbedeutend und selten. Ja man hat gar häufige
Beispiele, daß die zur Uebung zusammengezogenen
Mannschaften nach Ablauf der festgesetzten Zeit ihre
Anführer nöthigten, diese Uebungen noch .mehrere
Stunden fortzusetzen. In den Städten haben sich
freiwillige Reiter- und Schützengilden gebildet, die in
der ganzen kriegerischen Haltung oft sehr wenig gegen
das Militair zurückstehen.
Von der Feier des 18. Oktober wird dann gesagt:
Das Fest ist mit einer Allgemeinheit, mit einem
inneren Sinne und mit einer Erhebung der Herzen
gefeiert worden, wie in keiner anderen Provinz des
gesammten Vaterlandes. Das Schöne war dabei,
daß auch hierbei nichts angeordnet war, sondern Alles
vom Volke ausging. Jedoch muß man der Regierung
zum Ruhme nachsagen, daß sie dem Beispiele der
Darmstädtischen nicht gefolgt ist und nichts verhindert
und verboten hat. Im Gegentheil hat der Kurfürst
auf eine schöne, rührende Weise ausgesprochen, welchen
Antheil er an den Gefühlen seiner Unterthanen nimmt.
In dem Augenblick, als in Kaffel der Zug zu den
Feuern bei der kurfürstlichen Residenz vorüberging,
erschien dort ein schönes Transparent mit der sinnigen
Inschrift „Heil meinem Volke". Dieser Zug beweiset,
daß der Kurfürst da, wo er selbst und ohne Ein-
wirkung handelt, einen richtigen Takt hat. Den eigen-
thümlichen Charakter dieses Festes macht das Anzünden
der Feuer auf den Bergen. In Heffen ist kein
Dorf so klein und arm, das nicht sein Feuer ange-
zündet hätte; ja hin und wieder brannten dergleichen
vor einzelnen einsam stehenden Häusern. Am Werra-
strom boten einzelne Punkte einen besonders erfreulichen
und erhebenden Anblick dar. Man sah da außer
denen in Heffen noch mehrere Feuer auf den Anhöhen
308
in den nahen Preußischen und sächsische» Provinzen,
wodurch die große Wahrheit dem sinnlichen Auge
hingestellt wurde, daß alle Deutsche, welche Grenzpfähle
sie auch trennen, ein Volk sind, daß sie e i n Vater-
land, einen Grundcharakter, ein Interesse haben,
daß sie für jetzt und auf ewige Zeiten nur gemeinsam
und für eine Sache kämpfen werden und es ein
Greuel sein würde, wenn sie jemals gegeneinander
das Schwert führte». Man hörte in Heften aus
dem Munde geringer Leute, alter Männer und Frauen,
wie glücklich sie sich schätzten, einen solchen schönen Tag
noch erlebt zu haben.
Für solchen Sinn der Heften wird alsdann den
Geistlichen das hauptsächlichste Verdienst zugeschrieben,
da diese durch ihren Rath, ihre Reden und Er-
mahnungen, sowie durch zum Theil im Druck erschienene
Borträge, unter denen die des Metropolitans Schantz
in Ziegenhain besonders hervorzuheben seien, aus den
patriotischen Geist des Volkes wesentlich eingewirkt
hätten. Der Predigerstand habe sich, als unter dem
westphälischen Joche alle höhere Gesinnung erstickt
gewesen und Tausende und Tausende der Knechtschaft
des Feindes mit Leib und Seele sich hingegeben hätten,
immer in einer ehrenvollen Stellung gehalten und
das Volk vor dem Verderben der Zeit zu bewahren
und in ihm die Hoffnung auf eine bessere Zukunft
zu erhalten gesucht. Darum hätten damals auch so
viele Prediger Verfolgung, Gefängniß und Verbannung
erfahren.
Der Berfafter schließt seine Artikel mit dem Wunsch
«ud der Hoffnung, daß es in Heften nicht an Männern
fehlen werde, welche die Stärkung und Erhöhung des
deutschen Sinnes in ihrem Lande alle Zeit pflegen
und dabei vor keinem Hinderniß zurückschrecken mögen.
«Sie finden sicherlich keinen unfruchtbaren Boden.
Der kräftige und treWche hessische Stamm wird in
der großen und allgemeinen Entwickelung der deutsche»
Nation «immerdar zurückbleiben.
3t.-/.
Eine seltsame Unterrichts-Methode. Das
Hinscheiden des Musikdirektors vr. Wilhelm Bolckmar
in Homberg erinnert uns an einen andern berühmten
Tonkünstler und Orgel-Komponisten unseres Hessen-
landeS, der zu Ende vorigen und zu Anfang dieses
Jahrhunderts eine ähnliche Stellung in der musika-
lischen Welt einnahm, wie in neuester Zeit vr. W.
Bolckmar, wir meinen den Organisten Johann
Gottfried Vierling. Seltsam ist die Art und
Weise, wie diesem nachmals so bedeutenden Musiker
das Klavierspielen beigebracht wurde. I. G. Vierling
war am 25. Januar 1750 in dem zwischen Mei-
ningen und Schmalkalden gelegenen Dorfe Metzels
geboren. Sein Vater, ein wohlhabender und recht-
schaffener Mann, war Schultheiß des Ortes. Da er
Talente bei seinem geweckten Knaben bemerkte, so
kam es ihm ganz gelegen, daß dieser Lust zum Stu-
dieren bezeigte. Er schickte ihn zum Schulmeister des
Ortes, um bei demselben die Anfangsgründe der
lateinischen Sprache und der — Musik zu erlernen.
Machte nun der junge Vierling in ersterer Beziehung
recht erfreuliche Fortschritte, so haperte es ganz ge-
waltig in dem Musik-Unterrichte. Sein Vater mußte
ihn fast mit Gewalt dazu zwingen, manche Ohrfeige
mußte der Knabe hinnehmen und sich zuweilen an
Haaren in die Stunde schleppen laffen. Und wie
verfuhr der Herr Schulmeister mit seinem jungen
Schüler! Mit dem Stocke in der Hand stand er
neben diesem, um den Takt zu schlagen, und da ver-
irrte sich denn der Bakulus nicht selten auf des Schülers
Rücken, gewiß keine besondere Aufmunterung für das
junge verborgenlicgcnde Genie, das ihm so zu sagen
eingeprügelt wurde. Bald sollte es aber anders
werden. Der junge Vierling kam auf die Gelehrten-
schule nach Schmalkalden. Hier wurde der wackere
Organist Tischer sei» Lehrer in der Musik, hier gab
es keine Prügel mehr und hier entwickelte sich das
außergewöhnliche musikalische Talent Vierling's in
glänzender Weise, so daß Tischer selbst, der kränklich
geworden war, den erst 18jährigen jungen Mann zu
seinem Nachfolger vorschlug, welche Stelle er denn
auch erhielt. Unter Vierling, der sich während eines
ihm von seinen Vorgesetzten zu diesem Zwecke 1771 er-
theilten länger« Urlaubs unter den berühmten Musik-
gelehrten K. Ph. Emanuel Bach in Hamburg und
I. Ph. Kirnberger in Berlin noch der gründlichsten
theoretischen Studien befleißigt hatte, wurde Schmal-
kalden eine Art musikalischer Hochschule. Zahlreiche
Schüler strömten dorthin, um unter dem berühmten
Meister ihre musikalischen Studien zu machen, und
weit und breit war deften Ruf verbreitet. Vierling
starb am 22. November 1813. A. I.
Die Unsicherheit der Poststraßen im
vorigen Jahrhundert belegt ein Schriftstück, das
von Herrn Postmeister i. P. Bon-Eyff in Grünberg
aufbewahrt wird. Dasselbe ist an seine Großmutter,
«die verwittibte Postmeisterin Frau Bon-Eis allhier"
gerichtet und hat folgenden Inhalt:
«Nachdeme von Hochfürstl. Regierung zu Gießen
anheute der Befehl anhero ergangen ist, daß, weilen
eine Bande Spitzbuben von 20 bis 30 Man», welche
zwischen Münden und Göttingcn nahe bey dem
hannöverischen Ort Transfcld den von Hamburg nach
Hannover, Caffel und Frankfurth gehenden «Postwagen
am 7. abgewichenen Monats beraubet, sich in die
Wetterau begeben haben soll und von solcher noch
mehrere dergleichen Straßenraub zu befürchten stehet,
der Eisenachische Samt Postwagen durch die dahiesige
Fürst!. Landen zur Nachtzeit jederzeit durch Husaren
begleitet werden solle, hiervon auch dem dahiesige»
309
Fürst!. Husaren Wachtmeister H. Gilbert die nöthige
Jntimation geschehen ist. Als wird der dahiesigen
Postmeisterin Frau Von-Eif solches zur Nachricht
und Nachachtung bekaudt gemacht, mit der Auflage
daß dieselbe ermelten Eisenachischen Samt Postwagen,
wann solcher von hier zur Nachtzeit abgehet niemals
ohne Bedeckung von einem Husaren abgehen lassen,
auch jederzeit davor sorgen solle, daß wann solcher
Postwagen zur Nachtzeit erwartet wird, demselben
allzeit vorhero in Zeiten ein Husar entgegen geschickt
werden möge, um von diesen bey einbrechender Nacht
escortirt und begleitet werden zu können. Sig. Grünberg
den 1. Dezember 1784.
Fürst!. Hessisches Amt das.
L. Brick (?)“.
G. H. K.
Aus Aeimath und Fremde.
Kassel. Än den Monat Oktober fielen zwei Feste
hessischer Jubilare, deren wir besondere Erwähnung
thun müssen. Am 10. Oktober waren es 25 Jahre,
seit Oberbürgermeister Franz Rang in der alt-
ehrwürdigen Stadt Fulda als Stadtvorstand wirkt.
Dem allgemein verehrten Herrn, dessen wohlwollende
Gesinnung, dessen Humanität, verbunden mit richtigem
Takte und seltener Berufstreue, stets die vollste
Anerkennung seitens der Bürgerschaft gefunden haben,
wurde» an diesem Tage Ovationen dargebracht, die
beredtes Zeugniß ablegten von den Gefühlen der
Liebe und der Dankbarkeit, welche die Bürger Fulda's
für ihren Oberbürgermeister hegen. Als Gra-
tulanten erschienen bei dem Jubilar, aus Kassel:
der Landesdirektor von Hundelshausen und Landesrath
Knorz, um ihm die Glückwünsche seitens des
hessischen Kommunallandtages zu überbringen, zu
dessen hervorragendsten Mitgliedern Franz Rang
seit dem Bestehen desselben gehört; aus der Stadt
Fulda selbst: der Stadtrath und der Bürgerausschuß,
die städtischen Beamten, Deputationen der Lehrer-
schaft und vieler Vereine. Am Abend fand ein Fest-
essen statt, bei welchem dnrch Toaste die Verdienste
des Jubilars in würdigster Weise gefeiert wurden.
Am 12. Oktober beging unser hessischer Lands-
mann , der Eisenbahndirectionspräsident S. von
Schmerfeld in Hannover sein fünfzigjähriges
Dienstjubiläum. Geboren am 1. Oktober 1815 zu
Kassel, trat er nach absolvirtem Studium der Juris-
prudenz am 12. Oktober 1837 bei der kurfürstlich
hessischen Oberfinanzkammer als Referendar in den
Staatsdienst, war seit 1844 Mitglied dieser
Behörde und trat im Februar 1851 zur Staats-
eisenbahnverwaltung über. Im März 1857 zum
Vorsitzenden der Main-Weserbahn ernannt, wurde
ihm 1861 auch die Stelle des Generalpostinspektors
für Kurhcffcn nebenamtlich übertragen. Nach dem
Uebcrgange der Main-Weserbahn in die preußische
Staatsverwaltung wurde S. von Schmerfeld
zum Gehciinen Regierungsrath eruannt, am 1. Ok-
tober 1869 als Vorsitzender der königl. Direktion
der Niederschleflsch-Märkischen Eisenbahn nach Berlin
versetzt und am 10. Januar 1875 zu seinem jetzigen
Amte berufen. Der «Hannov. Cour." schreibt
über den Jubilar: «Mit dem großen und
Praktischen Blick für die Verkehrsbedingungen hat
der Jubilar in seiner so bedeutungsvollen und schwie-
rigen Stellung stets im Verkehr mit dem Publikum
das liebenswürdigste Wohlwollen verbunden, wie er
auch ein von allen ihm unterstellte» Beamten hoch-
gepriesener Chef ist, dem die Herzen in auftichtigster
Verehrung zugewandt sind."
— Am 11. Oktober hat Bischof Dr. Georg
Kopp seinen bisherigen Bischofssitz Fulda verlassen,
um sich über Berlin nach Breslau zu begeben und
dort seine neue Würde als Fürstbischof anzutreten.
Die feierliche Inthronisation fand dort am 20. Oktober
in der Kathedrale ad 8t. Joannem statt. Am Abend
vor seiner Abreise von Fulda brachte dem scheidenden
Oberhirten die Bürgerschaft dieser Stadt eine würdige,
erhebende Ovation. Oberbürgermeister Franz Rang
überreichte dem Kirchenfürsten das Diplom, durch
welches demselben das Ehrenbürgerrecht der Stadt
Fulda verliehen wird, gleichzeitig übergab der Stadt-
rath im Name« der Fuldaer Bürgerschaft als An-
denke» ein kunstvoll gearbeitetes, werthvolleö Schreib-
service, welches die Widmung trägt: «Ihrem scheidende»
Oberhirten, Herrn Georg Kopp, designirte» Fürst-
bischof von Breslau, in Dankbarkeit und Verehrung
gewidmet von der Stadt Fulda." Fürstbischof
Dr. Kopp hat an seine ftüheren Diöcesanen einen
Hirtenbrief erlassen, der am Sonntag de« 16. Okwber
von den Kanzeln des Bisthums verlesen worden ist.
In einfacher und klarer, schöner und ergreifender
Sprache redet der geistliche Oberhirte zu den Herzen
seiner ehemaligen Diöcesanen, echt apostolische Worte.
Dieser Hirtenbrief ist nach Form wie nach Inhalt
ein Meisterwerk geistlicher Beredtsamkeit, das auf
Niemanden seine erhebende Wirkung verfehlen wird. —
Einer Zeitungsmittheilung zufolge soll am 4. Nov.
die Wahl des neuen Bischofs von Fulda stattfinden.
Sind die ftüheren Mittheilungen richtig, so wird
diesmal wieder nach den für die Oberrheinische
Kirchenprovinz, von welcher das BiSthnm Fulda einen
Bestandtheil bildet, geltenden Bestimmungen der
310
Bullen Provida solersque Vom 16. August 1821
und Ad dominici gregis custodiam vom April 1827
die Wahl vollzogen werden, von welchen bei der
letzte» Besetzung des bischöflichen Stuhles zu Fulda
Abstand genommen worden war. Es kursiren im
Publikum Listen der Bischofskandidaten, die sich
widersprechen. Wer weiß, daß bei solchen geistlichen
Wahlakten die unverbrüchlichste Verschwiegenheit in
den maßgebenden Kreisen herrscht, dem wird es auch
keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß jene Listen
blos auf Gerüchte zurückzuführen sind, die jeglicher
Authenticität entbehren. Eine interessante Anekdote
bezüglich der Verschwiegenheit in solchen Angelegen»
heiten erzählt uns Malkmus in seinem Historien-
büchlein, die charakteristisch genug ist, um sie hier
wiederzugeben: »Pfarrer Krisch, einer der ältesten
Priester der Diärese Fulda, war im Jahre 1848
nach dem Tode des Bischofs Psaff bei Aufstellung
des Verzeichnisses derjenigen Geistlichen, die das Dom-
kapitel durch geheime Abstimmung für die Wieder-
bcsetzung des bischöflichen Stuhles als Kandidaten in
Aussicht nahm, einer der drei Skrutatoren, welche
unter Angelobung strenger Verschwiegenheit die Wahl-
zettel entgegen zu nehmen, die abgegebenen Stimmen
zu zählen und das Ergebniß der Wahl zu ermitteln
hatten. Nach Vollendung dieses Geschäftes begegnete
ihm der Medizinalrath vr. I. Wiegand und fragte
neugierig: »Nun, Herr Pfarrer, Sie kommen soeben,
wie ich sehe, vom Skrutinium; welches sind denn
die erwählten Bischofs-Kandidaten?" Darauf erwiderte
Krisch: »Können Sie schweigen, Herr Doktor?"
Aus dieser Vorfrage und aus dem Tone, womit sie
ausgesprochen war, glanbte W. auf die Geneigtheit
des Pfarrers schließen zu dürfen, daß er ihm das
Geheimniß verrathen werde, und antwortete mit
feierlichem Ernste: »Schweigen? Ich kann schweigen
wie das Grab." »Ich auch," versetzte Krisch und
ging seiner Wege." —
, Der nächste Donnerstag, der 4. d. M., an welchem
endlich,, wie oben bemerkt, die Wahl des neue«
Bischofs von Fulda vollzogen werden soll, wird
Klarheit bringen. Möge die bevorstehende Wahl der
Diöcese Fulda zum Heil und Segen gereichen. Das
walte Gott!
Todesfälle. Am 11. October starb nach kurzem
Krankenlager der Oberlandesgerichtsrath Otto
Klingender. Geboren am 18. December 1817,
besuchte er das Gymnasium zu Hersfeld, studirte
hiernach auf der Landesuniversität Marburg Juris-
prudenz, wo er zu den ausgezeichnetsten Schülern
Vangerow's zählte. Nach absolvirtem juristischem
Vorbereitungsdienste war er zuerst Amtsasseffor in
Grebenstein, wurde hiernach zum Obergerichtsaffessor in
Rotenburg ernannt und von hier in rascher Folge an die
Obergerichte zu Fulda und Marburg versetzt. Als
Justizbeamtcr wirkte er an den Justizämtern zn
Wolfhagen und Kassel, wurde in den 50r Jahren
zum Obergerichtsrathe befördert, von 1867 an war
er Mitglied des Appellationsgerichtes und von 1879
ab des Oberlandesgerichts in Kassel. Der Ver-
blichene war ein berufstreuer Beamter von tief-
religiösem Gemüthe, wegen der Wahrhaftigkeit, Lauter-
keit und Herzensredlichkeit seines Wesens hochgeachtet
von allen, die ihn kannten. Die Kollegen des Ver-
blichenen haben demselben einen warmen Nachruf ge-
widmet, in welchem seiner verdienstvolle» amtlichen
Thätigkeit und seinem edlen menschlichen Charakter die
gebührende Anerkennung zu Theil wird. R. i. p.
Am 13. Okt. verschied Plötzlich am Schlagfluffe
der Landgerichtsrath a. D. Karl Fulda, geboren
1817 zu Kassel als Sohn des Geh. Oberfinanzraths
F. Karl Fulda besuchte die Gymnasien zu Hildcs-
heim und Kassel, welches letztere er 1835 absolvirte.
widmete sich hierauf dem Studium der Rechtswissen-
schaft auf den Universitäten Marburg, Göttingen
und Bonn. Nach seinem juristischen Vorbereitungs-
dienste wurde er zunächst Amtsasseffor in Neuhof,
dann Vertreter der Staatsanwaltschaft in Rotenburg.
Hiernach wurde er zum Justizbeamten in Allendorf
a. d. W. befördert, in welcher Stellung er zwölf
Jahre lang wirkte, bis er als Staatsprokurator nach
Rinteln versetzt wurde. Im Jahre 1867 wurde er
zum Kreisrichter bezw. Kreisgerichtsrath bei dem
Kreisgerichte in Marburg und 1879 zum Land-
gerichtsrath daselbst ernannt. Nach seiner Pensionirung
ließ er sich in Kassel nieder. Schon als Student
hatte sich Fulda mit literarische» Arbeiten beschäftigt,
bei welchen unser bekannter hessischer Romanschrift-
steller Heinrich Koenig sein Leiter und Berather
war. Von seinen Schriften nennen wir die Bio-
graphie Charlottens von Schiller, seine Studie über
William Shakespeare, sein Buch über Adalbert von
Chamisso. Von seinen juristischen Schriften sind
hervorzuheben: »Die Reform des Gefängnißwesens",
»die Gefängnißverbefferung und der Strafvollzug für
das Deutsche Reich". Gemeinschaftlich mit Ä. Hoff-
meister gab er die interessante Schrift: »Hessische
Zeiten und Persönlichkeiten" (Marburg 1876) heraus.
Die Kritik hat sich über seine Schriften,' sowohl lite-
rarischen, wie juristischen Inhalts, mit Anerkennung
ausgesprochen. I.
— Am Sonntag den 16. Oktober wurden die
irdischen Reste des am 14. Oktober nach nur kurzem
Krankenlager verschiedenen, auch in den Lehrerkreise»
höherer Schulen in anderen Städten bekannt gewordene»
311
Reallehrers Dr. Heinrich Jde zur letzten Ruhe-
stättte getragen. Als Sohn des weil. Oberförsters
Adolf Jde zu Trusen, Kreis Schmalkalden, am
9. Januar 1950 geboren, besuchte er in den
60er Jahren die Gymnasien zu Fulda und Hersfeld.
Letztere Anstalt verließ er im Jahre 1870 nach er-
folgter Kriegserklärung; er stellte sich mit einer An-
zahl gleichgesinnter Mitschüler freiwillig unter die
Fahnen. Nachdem er vom September an dem Feld-
zuge Theil genommen, und nach geschloffenem Frieden
zu seinen, durch den Tod ihres älteren Sohnes —
dieser starb in Folge einer schweren Verwundung —
in tiefe Betrübniß versetzten Eltern zurückgekehrt war,
bezog er im Herbste 1871 die Hochschule, zunächst
zu Berlin, später zu Marburg. Nach bestandenem
Examen erhielt er an hiesiger Realschule Stellung
als Lehrer der Mathematik und Naturwiffenschaften,
und wirkte seitdem, abgesehen von den Wochen, in
welchen er als Offizier der Reserve zu militärischen
Uebungen eingezogen war, ununterbrochen an dieser
Anstalt.
Durch einen großen Eifer und ein starkes Pflicht-
bewußtsein, verbunden mit einem energischen Wollen,
erwarb er sich jederzeit die Anerkennung seiner Vor-
gesetzten, die Achtung und Liebe seiner Kollegen und
Schüler. Ein gleiches Ansehen und gleiche Freund-
schaft, wie in seinem Amte, genoß er auch in seinem
Privatleben. Sein biederes, wohlwollendes Wesen
machte ihn Jedem, der mit ihm in Berührung kam,
zum Freunde. Ehre seinem Andenken. S.
Am 17. Oktober starb in Kassel im 71. Lebens-
jahre der Geh. Regierungsrath a. D. Karl Hein-
rich Friedrich von Motz, ein durch seine lang-
jährige Thätigkeit als Regierungsbeamter bei den
Militairaushebungen an vielen Orten Heffens be-
kannt und beliebt gewesener Beamter, dem wegen
seiner außerordentlichen Herzensgüte und stets bewähr-
ten treuen Freundschaft bei sehr Bielen ein bleibendes,
ehrendes Andenken gesichert ist. Mit ihm erlosch in
Hessen ein Geschlecht, welchem seit drei Jahrhunderten
eine sehr große Anzahl im Kriege und in den Wissen-
schaften, namentlich im Finanzfache, hervorragender
und um ihr Vaterland hochverdienter Männer ent-
sprossen ist.
Zuerst werden aus dieser Familie, welche nach
Familiennachrichten im 16. Jahrhundert aus Frank-
reich in Hessen eingewandert ist, der im Jahre 1611
als Stadtschultheiß von Witzenhausen verstorbene
Hans Motz und dessen Geschwister Jobst und Mar-
garethe, letztere als Stifter der noch bestehenden
Motz'schen Legaten-Stiftung genannt. Ein Sohn
des ersteren war der am 11. März 1604 geborene,
wegen seiner Thaten im dreißigjährigen Kriege zu
großem Kriegsruhm gelangte Kriegsoberst Johann
Christian Motz, Inhaber des schwarzen Regiments
Motz, welcher am 3. Februar 1683 als Gouverneur
der Stadt und Festung Kassel verstorben ist. Ein
Sohn und Enkel desselben waren sehr einflußreiche
Kanzler und Geheime Räthe am Ende des 17. und
im Anfange des 18. Jahrhunderts. Besonderen
Kriegsruhm erwarb sich dann wieder in den Feld-
zügen am Rhein und namentlich bei der Erstürmung
von Frankfurt a. M. am 2. Dezember 1792 Rein-
hard von Motz als Führer der hessischen Jäger. Er
hatte von Preußen- den Orden pour le merite und
von Hessen den selten verliehenen Orden pour la
vertu militaire erworben und starb als kurhessischer
Generalmajor und Generaladjutant im Jahre 1823
auf seinem Gute Bodenhausen.
Von den weiteren Gliedern der Familie sind be-
sonders zu erwähnen der zu Kassel im Jahre 1811
verstorbene Vizepräsident des Oberappellationsgerichts
Justin Heinrich v. Motz, mit welchem die Familie
in den hessischen Adelsstand erhoben wurde, und
dessen Sohn Friedrich Christian, welcher im Jahre
1795 in preußische Dienste trat und als preußischer
Staats- und Finanzminister durch seine Bestrebungen
für Gründung des deutschen Zollvereins nicht nur
für Preußen, sondern für ganz Deutschland sich
große Verdienste erworben hat.
Auch des ersteren Brüder und Neffen haben in
Hessen als Präsidenten der Regierung und Finanz-
kammer hohe Stellungen eingenommen und einer
derselben war der bekannte, im Jahre 1666 ver-
storbene kurhessische Finanzminister Gerhard v. Motz.
Das alte in Hessen so sehr angesehene und reich-
begütert gewesene Geschlecht blüht im Mannesstamme
jetzt nur noch in den Nachkommen des preußischen
Finanzministers außerhalb Heffens fort. A.-L.
—- Die hiesige Realschule hat schon wieder einen
schweren Verlust erlitten. Am 27. Oktober verschied
nach längerem schwerem Leiden der Direktor dieser
Lehranstalt Professorvr. KarlBuderus in seinem
52. Lebensjahre. Geboren 1835 zu Rauschenberg
als der Sohn des Rechtsanwalts B., besuchte er die
dortige Elementarschule, später in Marburg, wohin
nach dem Tode des Vaters die Mutter mit den
Kindern übergesiedelt war, das Gymnasium. Nach
Absolvirung des letzteren bezog er die dortige
Universität, um Mathematik und Naturwissenschaften
zu studiren. Nach Beendigung seiner akademischen
Studien war vr. Buderus als Lehrer an den Gymnasien
zu Marburg, Hanau und Hersfeld thätig. Im Jähre
1871 wurde er als Direktor der Realschule nach Kassel
312
berufen. In dieser Stellung hat er sich wesentliche
Verdienste erworben, die auch allseitige Anerkennung
gefunden haben. Das Lehrerkollegium der hiesigen
Realschule widmet dem Verblichenen einen ehrenden
Nachruf, in welchem es heißt: „Direktor Profesior
Dr. Budcrus hat sechzehn Jahre lang mit unermüd-
licher Hingebung, mit rastloser Pflichttreue und Ge-
wissenhaftigkeit die Schule geleitet und sich durch seine
pädagogische Tüchtigkeit und seine hervorragenden
Charaktereigenschafteu die Anerkennung der weitesten
Kreise nnd unsere aufrichtige Verehrung erworben.
Sein Andenken wird unS unvergeßlich bleiben." Z.
HerSfeld, 25. Oktober. In den letzten Tagen
ist hier ein ans den Herren Gymnasiallehrern
Mannß, Gymnasiallehrer Dr. Sänger, Kandidat
Strippel, Gerichtsreferendar Göbels, Fabrikant Ferd.
Rechberg nnd Kaufmann Karl Reich bestehendes
Komitö zu dem Zwecke zusammengetreten, die Errichtung
eines Grabdenkmals für den verstorbenen Ober-
lehrer BrunoBerlit durch Beiträge früherer Schüler
desselben zu ermöglichen. Bei der Verehrung und
Dankbarkeit, deren sich dieser berufstreue Lehrer
bei allen seinen ehemaligen Schülern erfreute, zweifeln
wir nicht daran, daß die Absicht des Komitös in
weiten Kreisen Anklang finden und demselben die
nöthige» Mittel in ausreichendem Maße zufließen
werden. j>.
Hessische Kücherschau.
„Beiträge zur Geschichte des Feld-
zugs von 180 6", nach Quellen des Archivs
Marburg von D e ch e n d, Premierlieutenant im
hessischen Füsilier-Regiment Nr. 80. Berlin bei
Friede. Luckhardt, 1887. Besonders werthvoll ist
diese auf gründlichen Quellenstudien beruhende Arbeit
durch die Mittheilung der Originalkorrespondenz des
Kurfürsten Wilhelm I. mit der preußischen Regie-
rung Und den preußische» Heerführern Blücher und
Rüchel in dem Unglücksjahre 1806. Die ein-
gehenden Schilderungen der Bestrebungen Frankreichs,
Hessen von Preußen zu trennen und andererseits
Preußens „des Kurfürsten so brave und distinguirte
Truppen" mit de» seinigen zu vereinigen, lassen die
Zwangslage in welcher sich der Regent Hessens in
dieser Zeit befand, vollständig erkennen. Während
Preußen über die Absicht der immer näher heran-
rückenden französischen Heere im Unklaren blieb, war
Wllhelm I. gut benachrichtigt, er erkannte sehr wohl,
wie sehr sein Land von Frankreich bedroht sei und
glaubte zuletzt von Preußen, welches nur noch wenig
that, um ihn sich näher zu verpflichte», nichts mehr
fürchten zu müssen. Er wollte, um sein Land vor
den Drangsalm des Krieges zu bewahre», um keinm
Preis an dem Kriege theilnehmeu, und er that alles,
um sich diese Freiheit zu erhalten und glaubte in
Anerkennung waffenloser Neutralität die einzige Ret-
tung zu finden. Die Rathschläge und Warnungen
seiner Kinder, die dringenden Mahnungen Blüchers,
Reichels, Wittgensteins blieben erfolglos. Der Ver-
fasser schreibt in Beziehung hierauf: daß der Kur-
fürst sich dennoch seinen bisherigen Hoffnungen hin-
gab, daß er glaubte, unbehelligt den Sturm der Zeit
an sich vorüber brause« zu lassen, können wir kaum
mehr glauben und nur der Macht seines Starrsinns
oder vielleicht mit mehr Recht der bei so vielen
Männern dieser trüben Zeit auftretenden Erscheinung
zuschreiben, daß sie von den überwältigenden Ein-
drücke» der Ereignisse in thatenlose Betäubung ver-
setzt wurden. Er erwachte erst aus seiner Betäu-
bung, als daS Unglück auch Über ihn hereinbrach
und sich die Prophezeiungen Blüchers, RüchelS und
Wittgensteins erfüllten.
Der Verfasser theilt zum Schluß einige Berichte
von Augenzeugen über die Unglückstage von Jena
mit, von denen für uns der Bericht über die Schick-
sale des Kurprinzen, welcher im Gefolge des Fürsten
von Hohenlohe an den Kämpfen theilgenommen hatte,
von dessen Adjutanten, Obristlieutenant von Buttlar,
von besonderem Interesse ist.
Die Anschaffung des in sehr gefälligem Stil ge-
schriebenen Schriftchens, dessen Preis nur 1 Mark
beträgt, ist zu empfehlen.
Krieflmsten.
E. A. Kassel. Besten Dank.
W. H. Marburg. Buch erhalten, wird benutzt. In
Folge dessen kann die Fortsetzung der historischen Skizze
»Ein Fürst des Friedens", welche eine Umarbeitung er»
fährt, erst in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift er-
scheinen. Freundlichsten Gruß.
F. L. Stuttgart. Gr. K. Hannover. Wir hoffen, recht
bald durch Betträgr von Ihnen erfreut zu werden.
Berichtigung. In No. 20 des «Hessenlandes« setze
in dem Gedicht „Mein Musenroß", Seite 292, Strophe 10,
2. Zeile „Trank der Labe" statt „Trank der Liebe" und
in Strophe 11. Zeile 6 „Auf laute Köter« statt „Aus
lauter Köter".
Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Zustellung
der einzelnen Nummern des „HeffenlandeS" Sitten
wir bei der Redaktion, Jordanstraße 15, oder in
der Friede. Scheel'schenBuchdruckerei, Schloßplatz 4,
anzumelden, damit alsdald Abhilfe erfolge« kan«.
Auch ersuchen wir die geehrte« Abonnenten, «aS
von etwaigem Wohnungswechsel möglichst bald
Kenntniß z« gebe«, damit eine Unterbrechung
in der Zustellung unserer Zeitschrift vermiede«
wird.
antwortlichcr Rcdaktcur und Verleger F. Zwenger in Kassel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Heffcnland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Ayfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von I1/2-—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummem kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Jordanstraße lb,unddie Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4,
Bestellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Heffenland" eingetragen unter Nr. 2547a, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 22 des .Hessenlandes": .In Pflichten", Gedicht von Carl Preser; .Ein Fürst deSFriedens",
historische Skizze von F. Zwenger (Forts.); «Aus einem Kasseler Bürgerhause vor 60 Jahren" von W. Rogge-Ludwig
(Schluß); .Hessische Ehrentafel" von Joseph Schwank (Forts.); .Das Vermögen des letzten Kurfürsten" von Carl Preser;
.Aus engem Thal" Novellette von M. Herbert (Schluß); .Am Friedhof steht's zu Amorbach" Gedichte von A.Trabert;
Aus Heimat und Fremde; Brieflasten.
pflichten.
|ti& strauchelst such des Willens Krsfi,
Wenn in Sem Kampf der Wichten
Die Bosheit Hindernisse schafft
And droht, uns?u vernichten:
Bah' nimmer ab, Senn Pflicht ist Pflicht,
Gesetz, durch die Vernunft gesöell,
Gin Wille, der gebiekmd spricht,
Db such die Welk ihn tadelt.
And Klingt wohl gsr der Ruf der Pflicht
Noch aus des Grabes Tiefe:
D, dann erst recht verzage nicht.
Nimm an, daß Gost dir riefe;
Gr fei dein Schild für Hieb und Stich,
Dein Recht — es sei das Schwert zum Schlichten,
And war' die Hölle gegen dich.
Du siegst in deinen Pflichten.
War's also noch so schwer, so schwer,
Der Pflicht sich ganz zu fügen,
And ihrer Forö'rung fest und hehr
Im Kampfe zu genügen:
Viel Feind', viel Ghr! Bleib' aus dem Plan.
And krag' des Kampfes volle Schwere,
Der Mann, der feine Pflicht grchan»
Bleibt stets der Mann der Ghre.
H»rk preser.
314
nn Kürst des Krieöens.
Historische Mizze von F. Iw eng er.
(Fortsetzung.)
Da wir noch tranken unsern Trank,
Da wir noch sangen unsern Sang,
Da wir noch trugen unser Gewand,
Da stund es gut um Hessenland.
c^gohl auf keine Periode unserer hessischen
Geschichte paßt obiger Spruch besser, als
) auf die Regierungszeit Ludwig's des Fried-
samen. Nach den unaufhörlichen Fehden und
Kämpfen, inneren wie äußeren, unter den Land-
grafen Heinrich dem Eisernen und Hermann dem
Gelehrten, in welchen Stadt und Land der Ver-
wüstung anheim gefallen, die Sitten verwildert,
der Wohlstand geschwunden waren, that dem
Hessenlande Ruhe noth, daniit es sich erholen
konnte, und in Ludwig war ihm ein Regent er-
standen, dessen Hauptsinnen, besten größte Sorge
darauf gerichtet waren, die Wohlfahrt seines Volkes
zu fördern, die Sitten zu mildern, den Frieden
seinem Lande zu erhalten. Ganz besonders galt
seine Thätigkeit der Regelung des bürgerlichen
Lebens; er erließ gegen Mißbräuche, die sich in
demselben eingeschlichen, eine Reihe scharfer Ver-
ordnungen, welche uns heute wohl kurios vor-
kommen mögen, die aber in jener Zeit ihre volle
Berechtigung hatten und dem allgemeinen Wohle
nur förderlich waren. Nicht minder besorgt war
er für die Hebung des einheimischen Verdienstes,
und seine Bemühungen waren von dem besten
Erfolge gekrönt.
Daß er den Handwerksleuten neue Zunftbriefe
(1421) verlieh, in welchen, nebenbei bemerkt, die
Fleischer „Fleischhänger", die Meister vom Wollen-
handwerke „Flemminge" (Flamänder) genannt
werden, haben wir bereits an anderer Stelle er-
wähnt. Diese Zunftbriefe bildeten die Grund-
lage aller späteren landesherrlichen Bestimmungen
über das Zunftwesen in Hessen.
Es würde zu weit führen, wollten wir hier
die Verordnungen, welche Landgraf Ludwig in
dem oben angegebenen Sinne erließ, einzeln er-
wähnen, es kann uns vielmehr in unserer histo-
rischen Skizze nur darum zu thun sein, auf
die hauptsächlichsten unter denselben hinzuweisen,
und so beginnen wir denn mit der zunächst für
Kastel bestimmten Verordnung vom 28. März
1423,*) wie es „in Ansehung der Ehegelöbnisse,
Kindtaufen und Hochzeiten zu halten" sei, bei
welchen ein übertriebener Prunk und eine außer-
ordentliche Ueppigkeit geherrscht haben müssen.
Danach sollten Ehen nicht mehr ohne Vorwissen
der Eltern und Vormünder, und nicht ohne
Beisein der Nächsten und Verwandten ge-
schloffen werden. Es wurden die bei solchen Ge-
legenheiten üblichen Schmausereien, die uns einen
seltsamen Begriff von dem damaligen Appetite
einflößen, am ersten Abend auf fünfzehn Schüsseln
ermäßigt, am anderen Tage zu der Brautsuppe eben-
falls auf fünfzehn und zu dem rechten Imbiß auf
fünfzig Schüffeln und am Abend mag man noch
haben fünfzehn Schüffeln, für je zwei Menschen
eine Schüssel gerechnet. — Item, als man ein
Kind taufen läßt, da sollen nicht mehr denn
zwölf Frauen zur Kirche gehen und wieder in
das Haus. — Item, wer Hochzeit oder Wirth-
schaft (Gasterei) in unserer Stadt Kaffel haben
oder machen will, er sei Pfaff, Laie oder
Hofgesinde, der soll es so halten: Zum ersten
sollen der Frauen, die zur Hochzeit bitten gehen,
nicht mehr sein, denn sechs und eine Magd,
und wenn der Priester oder Bräutigam darnach
umgehet und bittet, dann sollen nicht mehr sein,
denn zwölf; und wenn die Braut in die Kirche
geht, sollen der Jungfrauen und Mägde auch
nicht mehr sein, als zwölf.
Die Statuten vom 7. Oktober 1444 richten
sich hauptsächlich gegen die Uebergriffe der geist-
lichen oder Sendgerichte, durch welche nicht nur
die energische Handhabung der bürgerlichen Ge-
setze beeinträchtigt, sondern auch ein so schlep-
pender Prozeßgang hervorgerufen wurde, daß
ganze Generationen vor Erledigung der Sache
*) S. »Sammlung fürstlich hessischer Landesverord-
nungen", herausgegeben auf Befehl des Landgrafen Fried-
rich 11. von Chr. Ludwig Kleinschmidt, Kastel 1767,
1. Th. S. 9, sowie Piderit, Geschichte der Haupt- und
Residenzstadt Kastel.
315
hinsterben konnten. „Zu verwaren manichfeltig-
lich seümnis vnnd Gebrechlichkeit GottesDinstes,
mancherley vngeburligkeit, Kost vnnd schaden, die
vnnsern Burgern vnnd Jnwonern, von Labunge an
geystlich gerichte vnnd Banne gescheen sein vnnd
teglich gescheen vnnd furter vfferstehen wuchten,
wie solchs zum besten nicht vorkummen wurde,
Sein wir (Landgraf Ludwig) mit Bürgermeister
vnnd Rath zu Cassel eintrechtiglich vnnd einmut-
tiglich zu Rathe worden vnnd überkommen, Das
auch vnnsern Burgern vnnd Jnwonern wol be-
quemlich ist. eine vffrichtige Ordnunge zu machen,
darmit Gottesdinste mag gemehrt, wir, vnnser
Bürger vnnd Jnwoner In eynigkeit vnnd Fridde
zesatzt werden vnnd darin pleiben mügen, vnnd
al auch solche Ordenunge nu angehen vnnd
urter pleiben wheren vnnd gehalten werden, bey
,enen vnnd buffen daruff gesatzt sein" — so
«ginnen diese Statuten, welche ihrer Wichtigkeit
wegen dem versammelten Volke unter dem Ge-
läute der Glocken „vor dem Wein-Keller vff der
trappen" verkündet wurden. (S. K. PH. Kopp's
ältere und neuere Verfassung der geistlichen und
Civilgerichte in den fürstlich hessen-kasselschen
Landen, Kassel 1769. Bd.I, Beil. 13, S.29 sqq.)
Kein Laie, so gebot Landgraf Ludwig unter
Androhung schwerer Geldstrafe, soll einen andern
vor ein geistliches Gericht laden und keiner seine
eigene Sache einem solchen Gerichte übergeben.
Kein Kleriker soll einen Laien in weltlichen
Sachen vor ein geistliches Gericht ziehen, die
Geistlichen sollen selbst ihre weltlichen Sachen
nur bei einem weltlichen Gerichte aburtheilen
lasten. Dagegen war Landgraf Ludwig auch
darauf bedacht, den geistlichen Stand in seinen
Rechten zu schützen: wenn ein Bürger oder Ein-
wohner von Kassel „zu Banne" kommt, so soll
er von Stund an die Stadt räumen und mcht
ohne erlangte Absolution zurückkehren. Damit
aber die Geistlichkeit nicht zu weit greife, so
sollen zuvor Schultheiß und Rath erkennen, daß
der Gebannte mit Fug und Recht im Banne
sei. Sehen sie aber, daß dem Gebannten Unrecht
geschehen ist, so sollen sie den Verfolgten in
Schutz nehmen und ihm zu seinem Recht beständig
sein. Auch befiehlt Ludwig, daß Niemand Lade-
oder Bannbriefe nach Kastei bringe, er übergebe
sie denn dem Pfarrer auf dem Predigtstuhle
(vor versammelter Gemeinde) und nirgends an-
ders. Auch die Fremden schützte Ludwig in
ihrem Rechte. Er verordnete, daß ihnen in
Prozeßsachen eine schnelle Entscheidung zu Theil
werde. Im „Gastgericht" soll die Klage eines
Fremden über erbliche Güter innerhalb dreimal
vierzehn Tagen, die Klage über Schuld innerhalb
drei Tagen entschieden sein.
Am 14. April 1455 erließ sodann Landgraf
Ludwig eine Gerichts- und Polizeiordnung *),
welche u. a. Verbote enthielten gegen das Würfel-
spiel um Geld und Geldeswerth, gegen das
Ausgehen bei Nachtzeit ohne „Wisch" (brennenden
Strohwisch) oder „Lüchte" (Laterne), nachdem die
Glocke geläutet hatte (Abends 8 oder 9 Uhr),
um „Mord und Todschlag" zu verhindern, denn
damals saß bei den Bürgern die Waffe lose in
der Scherbe. Streng waren die auf diese Ver-
gehen gesetzten Strafen. So war das Würfel-
spiel nicht, allein bei Geldstrafe, sondern auch bei
vierwöchiger Verbannung aus der Stadt ver-
boten ; ohne Laterne bei Nachtzeit zu gehen, oder
über die „Weinglocke" hinaus im Wirthshause
Gäste zu halten, oder als Gast zu sitzen, kostete
drei Pfund Heller (60 Schillinge), wer aber des
Abends ohne Licht „in unziemlichen Sachen mit
Werfen oder Rufen die Leute zu erferen (er-
schrecken) und zu necken, den Leuten ihre Fenster,
Thore und Feste zu schlagen oder Wagen umzu-
werfen funden wird", der soll nicht allein die
höchste Geldstrafe zahlen, sondern auch vier
Wochen aus der Stadt gewiesen, und, kehrt er
innerhalb dieses Termins zurück, vier Wochen in
Hast gesetzt werden. —
In unserm vorigen Artikel haben wir bereits
erwähnt, daß gleich nach Ludwig's Thronbesteigung
den hessischen Städten ihre alten Freiheiten be-
stätigt wurden. Unter den Räthen des jungen
Landgrafen befand sich auch, wie gemeldet, der
Erbmarschall von Röhrenfurt. Zwischen der
Tochter desselben und dem Junker von Riedesel
entspann sich der Sage nach ein Liebesverhältniß,
welches des poetischen Reizes nicht entbehrt und
von Romanschriftstellern mehrfach benutzt worden
ist. Auch F. I. von Günderode in seiner Schrift:
„Ludwig der Friedsame" (Frankfurt a. M. 1784)
und K. W. Justi in seinen „Hessischen Denk-
würdigkeiten" (Bd. IV, Marburg 1805) gedenken
dieser Sage. Möge es uns gestattet sein, dieselbe
hier als Episode einzuschalten.
Junker Hermann von Riedesel lebte am Hofe des
Landgrafen Ludwig. Hervorragend durch geistige wie
durch körperliche Vorzüge, unerschrocken im Streite,
ein erfahrener Kriegsmann, nicht minder weise im
Rath, bescheiden und angenehm in seinen Manieren,
ersteute er sich der Gunst, ja der Freundschaft
seines Fürsten. Krieger und junge Mädchen
blickten ihn gleich gefällig an, jene fürchteten ihn
als Gegner und fochten gern mit und unter ihm,
diese wetteiferten um die Ehre, ihn zum Ritter zu
haben. Zu den schönsten Damen Kastel's, zu den
Zierden ihres Geschlechtes, zählte Margaretha, die
einzige Tochter des Erbmarschalls von Röhrenfurt.
*) S. Sammlung sürstl. hessischer Landesordnungen,
1. Theil S. 10 flg.
316
Dieser war ein alter, harter und stolzer Mann,
seine Tochter ein Musterbild der Sanftmuth und
des Edelsinnes. Hermann von Riedesel und
Margaretha von Röhrenfurt lernten sich kennen,
beide schienen von der Natur für einander be-
stimmt zu sein, sie liebten sich; der Landgraf be-
merkte ihre gegenseitige Neigung mit Wohlgefallen
und wünschte seinen Freund glücklich zu sehen.
Anders dachte der Vater Margarethens. Un-
beugsam und gefühllos gegen die Thrünen seiner
Tochter, hatte er für dieselbe einen Bräutigam
aus einem reicheren und mächtigeren Hause be-
stimmt. Riedesel bot alles auf, den Vater für
sich zu gewinnen, auch der Landgraf verwendete
sich warm für die LiebeUden, umsonst, der Alte
blieb unerbittlich. „Die reiche Erbin meiner
Güter," pflegte er zu sagen, „soll nicht die Beute
eines leichten Abenteurers sein." Es sollte anders
kommen.
Einst befand sich Hermann von Riedesel in
einem dichten Walde auf der Jagd. Plötzlich
hörte er Hilferufe. Seiner Ritterpflicht eingedenk,
folgt er diesem Rufe, um dem Nothleidenden
beizustehen. Wenige Schritte — und er erblickt
den Vater seiner Geliebten von Räubern nieder-
geworfen, in der äußersten Gefahr, ermordet zu
werden. Rasch zieht er sein Schwert, stürzt sich
auf die Räuber, haut tapfer auf sie ein und der
zitternde Greis ist gerettet. „Unbekannter Mann,
sprach der Erbmarschall, „heische von mir, und
kein Lohn wird mir zu groß sein, um dir deine
Biederthat zu vergelten!" Er hatte seinen Retter
nicht erkannt, denn dieser war geharnischt und
hatte sein Haupt mit dem Helm umschlossen.
„Meine Bitte ist kühn," erwiderte der junge
Ritter, „aber du wirst sie mir nicht versagen.
Ich bitte dich um die Hand deiner Tochter!" —
„Du sollst sie haben", sprach der Greis, „so du
anders von edlem Blute bist." „Das bin ich",
versetzte Riedesel, öffnete den Helm und warf sich
dem staunenden Röhrenfurt in die offenen
Arme. Dieser hielt sein Wort und beide
eilten nun zu dem Hoflager des Landgrafen
zurück und brachten Margaretha die freudige
Kunde, daß alle ihre Wünsche erfüllt seien.*)
— Hermann von Riedesel erhielt (1429) die
Anwartschaft auf das Erbmarschallamt, das ihm
auch nach dem Tode des letzten Röhrenfurt
zu Theil wurde. Er ist der Begründer des
Ansehens und des Reichthums der Familie Riedesel,
bei welcher von nun an das hessische Erbmarschall-
amt verblieb. Hermann von Riedesel starb am
31. Juli 1463 in hohem Alter, seine Gattin
Margaretha war ihm acht Jahre früher 1455
im Tode vorausgegangen.
*) Wir find hier Justi gefolgt, da uns die Schildening
G. v. Günderode's doch allzu romantisch erschien.
>g folgt.)
-*-*-*■
Aus einem Waffeler Kürgerhause vor 68 Fahren.
Von W. Dogge-Ludwig.
(Schluß.)
Wenn ich es nun versuchen will, die Lebens-
weise der Kasseler Bürger, namentlich der besier
fituirten dieser Zeit, wie sie fich auch in unserem
Hause gestaltete, aus meiner Erinnerung zu
schildern, so wird sich im Vergleich zur Jetztzeit
ein sehr erheblicher Unterschied in Beziehung auf
das Leben im Hause, noch mehr aber auf das
Leben außerhalb desselben ergeben; und dieser
wesentlich darin zu finden sein, daß die für
letzteres in weit geringerem Grade gemachten
Ausgaben den Familienvätern eine weit größere
Fürsorge für die Angehörigen im Hause ge-
statteten. Dabei war man aber von dem jetzt
überall fich geltend machenden Aufwand in Aus-
stattung der Wohnungen noch weit entfernt.
Eine große Verschiedenheit von der jetzigen Zeit
zeigte fich zunächst in der besseren Herrichtung
des Mittags- und Abendtisches, an welchen bei
den Kaufleuten immer die noch ausnahmslos im
Hause des Principals wohnenden Gehülfen und
Lehrlinge und bei den Handwerkern auch die
Dienstboten theilnahmen. Der große Vorzug
der damaligen Zeit bestand darin, daß es bei den
Familienvätern noch nicht so wie jetzt allgemein
üblich war, am Abend ein Vergnügen außer dem
Hause aufzusuchen und zum Biere zu gehen. Dabei
ist allerdings nicht zu verkennen, daß zu dieser
Enthaltsamkeit die wenig Verführung bietende
Beschaffenheit des damals hier gebrauten Bieres
und der damit in Verbindung stehende Mangel
317
an eigentlichen Bier-Restaurationen nicht wenig
beitrug.
Der Bezug auswärtigen Bieres, namentlich
des bayerischen, war noch ebenso unbekannt, wie
der Frühschoppen. Gelegenheit, Abends zum
Bier zusammen zu kommen, boten nur die Bier-
brauer in kleinen dazu hergerichteten Stuben,
welche aber so dürftig, wie jetzt kaum eine Dorf-
schenke ausgestattet waren und schon deshalb nur
wenig und nur von der geringeren Klasse der
Einwohner besucht wurden. Dies war auch bei
den sehr zahlreich vorhandenen Branntweinschenken
der Fall, in welchen Bier in der Regel nicht zu
haben war. Eine große Aenderung in den Bier-
verhältnissen der Stadt trat Ende der zwanziger
Jahre mit Einführung des Felsenbieres ein.
Die damit eingetretene wesentliche Verbesserung
des Bieres und die erfolgte Anlegung der Felsen-
keller hatte bei vielen eine nicht immer Vortheil-
hafte Aenderung in ihrem häuslichen Leben zur
Folge. So wie es nun bis dahin bei den Princi-
palen und Meistern zur größten Seltenheit ge-
hörte, daß sie noch nach dem frühzeitig ein-
genommenen Abendessen das Haus verließen, so
war dies noch weit weniger bei den Gehilfen
oder gar bei den Lehrlingen der Fall. Bei uns
und in allen mir bekannten Kaufmannsfamilien
erschienen diese Sonntags und Werktags Abends
zehn Uhr im Familienzimmer zur Ablieferung der
Schlüssel, nachdem sie den Abend im Comptoir
zugebracht hatten. Bon einem Ausgehen derselben
Abends in ein Wirthshaus oder gar Ausbleiben der-
selben über 10 Uhr war nie die Rede. Ihr Ver-
hältniß zur Familie war dabei ein ganz anderes,
als jetzt, sie wurden als ihr zugehörig betrachtet
und zu den Familienfestlichkeiten mit heran-
gezogen. Eine Folge davon war, daß sie auch
große Anhänglichkeit an ihr Geschäftshaus bewiesen,
und viele Jahre und so lange demselben ihre
Thätigkeit widmeten; bis sie bei der allergrößten
Sparsamkeit von ihrem geringen Gehalt so viel er-
übrigt hatten, um selbst ein eigenes Geschäft gründen
zu können. Von solchen alten Jnventarstücken;
welche Sonntags mit den bei uns beschäftigten
Commis verkehrten, ist mir noch eine größere Anzahl
erinnerlich.
Eines Musterbildes dieser Gattung habe ich
früher schon einmal an anderer Stelle bei
Schilderung Kasseler Orginale aus jener Zeit
gedacht. Es war der Commis Wiemer in dem in
der Nähe unseres Hauses befindlichen Mangold'schen
Spielwaarengeschäft, bei dem ich mir als Knabe
manchen Bilderbogen und manche Schachtel Soldaten
B* "t habe. Vom frühen Morgen bis zum späten
war er immer mit derselben Unverdrossen-
heit und Freundlichkeit im Geschäfte thätig.
Das Haus verließ er in der Woche außer zu
Geschäftswegen niemals, und nur Sonntags
versäumte er als guter Katholik zu keiner Zeit
den Besuch der Kirche. Seine einzige Erholung
von den Mühen des Geschäftes bestand darin,
daß er Abends nach Schluß des Geschäftes im
Sommer und Winter vor der Hausthüre stehend
oder vor dem Hause auf und abgebend seine
Pfeife rauchte. Darin machte er auch des Sonn-
tags keinen Unterschied, nur daß er sich dann
dabei den Genuß einer Cigarre gestattete.
Und doch hatte der kleine freundliche Mann
eine große Leidenschaft — die des Tanzens, der
er sich jedoch bei seiner großen Sparsamkeit nur
zweimal im Jahre, aber viele Jahre hindurch
bis in sein höheres Lebensalter hingab. Es ge-
schah dies im Sommer am 2. Pftngsttage auf
Wilhelmshöhe, wo an diesem Tage Abends im
Gasthause getanzt wurde, und im Winter auf
einem von dem Balletmeister Braemer in den
Sälen des Wirths Oesterreich arrangirten Masken-
ball, auf welchen! er stets in einem von uns ge-
liehenen Domino erschien.
Ueber 50 Jahre hat er immer mit derselben
Treue und Gewisienhastigkeit dem Mangold'schen
Geschäfte bei allen dessen Wandlungen seine
Thätigkeit gewidmet und als er sein Ende heran-
nahen fühlte, noch einen Beweis seiner dankbaren
und edlen Gesinnung dadurch gegeben, daß er
einige in ihren Vermögensverhältnissen zurück-
gekommene Mitglieder der Mangold'schen Familie
zu Erben seines ersparten, mehrere tausend
Thaler betragenden Vermögens einsetzte.
Derartige Persönlichkeiten, die bei so geringer
Abwechslung ourck Vergnügungen irgend welcher
Art in ihrer stets regen Thätigkeit immer heiter
und zufrieden blieben, gehören jetzt wohl auf
immer der Vergangenheit an.
Wenn nun, wie angegeben, die innerhalb der
Stadt, zur Erholung vom Geschäft bestimmten
Lokale wenig Anreiz zum Besuche boten, so war
dies im Vergleich zur Jetztreit in noch weit
höherem Grade in Betreff der außerhalb der
Stadt gelegenen öffentlichen Vergnügungslokale
der Fall.
Für solche lag bei dem häuslicheren Sinn der
Bürger auch schon deshalb ein geringeres Be-
dürfniß vor, weil sehr Viele Ersatz für solche in
ihren jetzt in großer Anzahl der Stadterweiterung
zum Opfer gefallenen Privatgärten fanden, in
denen sie im Sommer den Abend nach Beendigung
der Geschäfte im Kreise ihrer Familie verbrachten.
Hiervon wurde nur an Sonn- und Festtagen zu-
weilen eine Ausnahme gemacht und einer der vor
den Thoren gelegenen öffentlichen Kaffeegärten mit
der Familie besucht. Der Weber'sche Garten
vor dem Königsthor, der Adolph'sche Garten vor
dem kölnischen, der Oestreich'sche vor dem hol-
318
ländischen Thor und der Mensing'sche vor dem
Weserthor waren solche Vergnügungslokale, welche
vorzugsweise von den bürgerlichen Familien be-
sucht wurden, während der Henkel'sche Garten
vor dem Königsthor und die Restauration in der
Karlsaue der Sammelplatz der vornehmen Welt
waren. Von allen diesen ist nur die letztere, aber in
sehr veränderter Gestalt, noch jetzt vorhanden.
Unter den mächtigen, nun auch schon seit einigen
Jahren der Zeit zum Opfer gefallenen, Tannen-
bäumen wurde der meistens von den Familien
mitgebrachte und in der Restauration gekochte
Kaffee oder Thee getrunken. An Stelle des jetzt
wenig Beifall findenden Restaurationsgebäudes
stand ein einfaches, aber geschmackvolles Haus und
der Raum zwischen diesem und den Tannen enthielt
schöne mit Blumenanlagen verzierte Rasenplätze.
Bier wurde in der Restauration nicht verschenkt
und hatte die ganze Anlage noch ein vornehmeres
und bester mit der Umgebung stimmendes Gepräge
als es jetzt der Fall ist.
Es war dies damals auch noch das einzige
öffentliche Vergnügungslokal, in welchem musika-
lische Genüffe geboten wurden. Vom 1. Pfingst-
tage an concertirten hier an einem dafür be-
stimmten Wochentage abwechselnd auf Allerhöchsten
Befehl, ohne Eintrittsgeld nehmen zu dürfen,
die vortrefflichen Musikkorps der Kasseler Gar-
nison. An anderen Orten durften diese nicht
spielen und andere dazu geeignete Musikkorps
gab es vor Errichtung der Bürgergarde im Jahre
1830 nicht. Am 1. Pfingsttage herrschte hier
auch damals schon ein sehr reges Leben durch
die zahlreich zu dem Pfingstfest hierherkommenden
Fremden, unter denen sich namentlich eine große
Anzahl Göttinger Studenten bemerklich machten.
An sonstigen Tagen, namentlich an den Wochen-
tagen war der Besuch ein geringer, da es in den
nicht zur baut« volee gehörigen Kreisen noch nicht
üblich war, außer Sonntags öffentliche Vergnüg-
ungsorte zu besuchen. Für uns Kinder war es
gerade kein großes Vergnügen, dort oder im
Henkelschen Garten im Sonntagsstaat ruhig
sitzen zu müssen, wir und alle Kinder, die in
gleicher Lage waren, zogen es vor, im eigenen
Garten die Freiheit zu genießen. Wir trösteten
uns damit, daß das Vergnügen ein frühes Ende
nahm, da es noch nicht Sitte war, Kinder bis
spät in die Nacht in öffentliche Lokale mitzu-
nehmen. Auch der Besuch von Wilhelmshöhe
fand selbst an den Sonntagen in den meisten
Familien nur selten statt und in der Regel nur,
wenn Besuch von auswärtigen Freunden oder
Verwandten dazu Veranlassung gab. Der
Besuch von Wilhelmshöhe war außer anr 2.
Pfingst- und Himmelfahrtstag namentlich seit
dem im Jahre 1823 an den Kurfürsten gelangten
Drohbrief ein sehr beschränkter geworden, da Ein-
heimische und Fremde sich nicht gern den in Folge
davon zur Sicherheit des Kurfürsten angeordneten
sehr strengen militairischen und polizeilichen Maß-
regeln unterwerfen mochten. Der Kurfürst welcher
durchAnlegung des neuenWasserfalls,Verschönerung
der Anlagen, Erbauung des neuen Gasthauses und
Wachtgebäudes so viel zur Verschönerung der
Wilhelmshöhe beigetragen hat, fühlte sich durch
diesen geringen Besuch sehr unangenehm berührt
und glaubte den Grund in der allerdings sehr
mangelhaften Fahrgelegenheit zu finden. Er
erließ deshalb im Jahre 1827 den Befehl an
die Polizei, dafür zu sorgen, daß an dem Wil-
helmshöher Thore an Sonn- und Festtagen
Wagen zur Beförderung gegen einen billigen
Fahrpreis bereit ständen. Mehrere Jahre hin-
durch war dies denn auch der Fall und dort
ein Sitz im Wagen zum Hinauffahren für 5 Sgr.
zu haben.
Bei einem Vergleiche der damals den Familien
ebotenen Gelegenheit zu Vergnügungen außer
em Hause mit der der jetzigen Zeit tritt
nun weiter ein gar gewaltiger Unterschied
hervor, wenn wir noch einen Blick auf die
damals zu geselligen Zwecken bestimmt gewesenen
Vereine werfen. Während es deren jetzt mehrere
hundert geben soll, waren es damals eigentlich
nur drei, welche solche Zwecke mit Einschluß
ihrer Damen verfolgten. Es waren dies der
Abendverein, das Civilkasino und die Euterpe,
von denen sich nur die letztere noch erhalten hat.
Außerdem bestand noch das ausschließlich für
Männer bestimmte Militairkasino. Die Gesell-
schaft Lese-Museum ist erst im Jahre 1831 ge-
gründet worden.
Die Physiognomie der Stadt, wie sie sich
unter den hier geschilderten Verhältniffen durch
das in ihr herrschende Leben und Treiben zu
erkennen gab, mußte abgesehen von allen anderen
später für dieselbe so bedeutsam gewordenen
Veränderungen ein von der jetzigen sehr ver-
schiedenes Gepräge tragen.
Unser schönes Kassel hat zu verschiedenen
Zeiten, namentlich unter der Regierung des
letzten Kurfürsten, das Schicksal gehabt, daß die
öffentlichen und socialen Zustände in derselben von
Correspondenten auswärtiger Blätter in sehr ge-
hässiger Weise geschildert und insbesondere von
den Witzblättern zum Gegenstand ihres Spottes
gemacht wurden, ein Umstand, dessen nachtheilige
Folgen sich trotz aller so anerkennenswerthen Be-
strebungen zur Beseitigung früherer Vorurtheile
zuweilen auch jetzt noch bemerklich machen.
Auch unserem berühmten Landsmanne Franz
Dingelstedt kann der Vorwurf nicht erspart
bleiben, daß er im Jahre 1836 in der von An-
319
gust Lewald redegirten Zeitschrift Europa in
mehreren Artikeln den Eindruck, welchen die Stadt
auf ihn. den 22jährigen Gymnasiallehrer, nach
kaum halbjährigem Aufenthalt in derselben ge-
macht hat, in einer sehr pikanten, aber vielfach
übertriebenen und durchaus nicht vortheilhasten
Weise geschildert habe. Die Artikel riefen daher
in Kassel großen Unwillen und zahlreiche Ent-
gegnungen in auswärtigen Blättern hervor, in
welchen dargethan wurde, daß er namentlich für
die politische Bewegung des Jahres 1830 und
das seit dieser Zeit viel reger und freier in der Stadt
gewordene Leben gar kein Verständniß gehabt habe.
Der Dingelstedt gemachte Borwurf war für die
Zeit, in welcher er die Artikel schrieb, nicht un-
gerechtfertigt, sie paßten bester für die hier in Rede
stehende Zeit der zwanziger Jahre, für welche
sie viel Wahres und Zutreffendes enthalten.
Es möge deshalb hier zum Schluß Einiges
daraus seine Stelle finden:
„Keine Stadt ist schöner im Herbst und herbst-
licher in ihrer Schönheit, als Kassel, sie ist,
wie eine versteinerte Elegie. Kein Laut, als
Klage, kein Licht, als eine ferne Abendröthe.
Ich wandele oft durch die nächtlichen Gasten,
von einem nächtlichen Lärm und dem späteren
Vergnügen einer Residenz weiß man hier nichts,
man ist in Kaffel häuslicher, als in den meisten
Städten dieser Größe. Die Thüren und Fenster
schließen sich fein bürgerlich mit dem zehnten
Glockenschlage, und wenn nicht hier und da der
Ruf einer Schildwache an Civilisation erinnerte,
würde kein Laut, kein Licht die wohlthuende
Illusion stören, als wandle man in einer ver-
schütteten Stadt durch eine hallende Katakombe.
Ueberall in der schönen Stadt, wie in der schönen
Umgebung fehlt die lebendige Staffage, es ist
nichts, wie Natur, ein landschaftliches Stillleben
ohne eine Idee von Residenz. Bouterwek taufte
Kassel einen Tempel des Schweigens. Schön
ist dieser Tempel allerdings, aber verteufelt lang-
weilig; wo er eine Merkwürdigkeit besitzt, da steht
auch ein Schilderhaus mit einem bewachenden
Krieger und vor jedem schönen Punkt hängt
sicher ein obrigkeitliches Vorhängeschloß. Eine
Wolke, ein Nebel von Befangenheit und Träg-
heit, eine theilnahmlose Gewitterschwüle lagert
über der Stadt. Alles muß ä'aeeorä sein, voll-
ständige Ruhe, Ruhe des Grabes."
Wie ganz anders hat sich jetzt das Leben in
der Stadt, deren Einwohnerzahl seitdem auf das
doppelte gestiegen ist, gestaltet, und wie unendlich
ist der Fortschritt, der auf allen Gebieten des Lebens
seine so segensreichen Wirkungen erkennen läßt!
Aber nicht Alles ist bester geworden, auch manches
Gute der alten Zeit hat sein Ende genommen
und ist schwer zu vermissen, vor Allem der häus-
lichere Sinn, die größere Einfachheit und Ge-
nügsamkeit in der Lebensweise und was am
meisten zu beklagen ist, die neidlose Zufriedenheit
der Menschen mit dem ihnen zu theil gewordenen
bescheideneren Lebensloose, ein Umstand, welcher
setzt die Gemüther Aller mit um so schwereren,
ihnen früher unbekannten Sorgen für die Zu-
kunft erfüllt, als Heilmittel dagegen so schwer
zu finden sind.
Von Joseph Schwank.
(Fortsetzung.)
II. In dem Kriege Kaiser Leopold's
gegen die Türken.
1664 4t.3fufitj Die von der Landgräfin, Regentin
und Vormünderin Hedwig Sophie dem
Kaiser Leopold nach Ungarn gesandten
Hilfstruppen zeichneten sich sehr aus uud
erfochten den Sieg bei St. Gotthard mit.
III. In dem Kriege zwischen Oesterreich,
Dänemark und Brandenburg gegen
Frankreich.
1676 Nach dem Regierungsantritt des Land-
grafen Karl zogen 3 neugeworbeue Com-
pagnieen Reiter und 1 Regiment Infan-
terie zur Reichsarmee und nahmen an der
Belagerung von Philippsburg theil.
1677 zogen diese Truppen als dänische Hilfs-
truppen nach Dänemark.
1677 14. Juli Treffen bei Landskron und Hel-
singborg in Schonen.
1678 8. Januar Treffen bei Warksow auf Rügen
egen die Schweden. Glänzender Angriff
er Hess. Reiterei. In dieser Zeit erschie-
nen zuerst Grenadiere im hessischen Dienst.
Auch wird zuerst die Uniformirung des
Hess. Landesausschuffes erwähnt: lange,
weite graue Tuchröcke, breite Aermel mit
*) S. Nr. 19 des „Hessenlandes", S. 269 flg.
320
rothen Aufschlägen, Patrontaschen mit
rothen Klappen.
In diesem Feldzug zeichneten sich die Hessen
durch ihre Tapferkeit ruhmvoll aus.
IV. Im Krieg gegen die Türken und
Frankreichbis zum Rhswiker Frieden 1697.
1683 Am Rhein und beim Entsatz von Wien,
wohin Landgraf Karl mit Truppen eilte.
1685 In Ungarn, wohin das v. Ramsche Regi-
ment (6 Schwadronen Carabiniers) als Theil
der oberrheinischen Kreis-Regiments-Caval-
lerie und 4 Compagnieen Grenadiere Regi-
ment v. Hanstein, marschierten und
1686 2. September der Erstürmung der Festung
Ofen und Zanten rühmlichst beiwohnten.
Die Compagnieen wurden geführt von den
Capitains v. Eienbeck (fiel 1 Jahr später
in Griechenland), Georg Otto Rabe, Ecke-
brecht v. Stockhausen, Wolfs Schenk zu
Schweinsberg. Unter den Stürmenden be-
fanden sich als Offiziere und Junker: v.
Baumbach, v. Apvelius, v. Gilsa, v. Oster-
hausen, v. Goloberg, v. d. Malsburg.
Außerdem dienten als Offiziere vor Ofen:
Oberstwachtmeister v. Brschoffshausen, I.
Chr. Eckhard, Mergel, v. Hanstein, v. Urs,
v. Uffeln, Wolf v. Gudenberg, Sowio-
polsky fl- 1713 in Kassel als Major).
Oberst Rau starb zu Komorn. Die Trup-
pen kehrten erst/168« zurück. Deren Theil-
nahme an der Erstürmung Ofens erwähnen
die Blätter bei Besprechung der 200jähri-
gen Feier auffallenderweise nicht. —
1687 In Morea, besonders
„ 14. Juli Schlacht von Patraffo. Sieg über
Bassa Muhamed Seliktar. Erbeutung des
ganzen türkischen Lagers.
1687 Darauf Besetzung und Einnahme von Le-
panto und Korinth.
„ Eroberung von Athen.
1688 Belagerung von Negroponte, wo am
20. August der Angriff der 1000 Hessen
aus das verschanzte Lager bei der Stadt
den Sieg durch die Erstürmung des Ma-
rabut (des stärksten Punktes der feindlichen
Werke) mtschied. *)
*) Nachdem der Sturm der Maltheser, Baireuther und
Mailänder abgeschlagen war, stürmten Würtemberger und
Hessen voran. Hierbei feuerte Hauptmann Georg Otto
Raabe aus Kassel, die Fahne ergreifend und sich an die
Spitze der Heffen stellend, diese mit dem Ausrufe an:
»Wer unsern gnädigsten Landgrafen und die eigne Ehre
liebt, der folge mir." Und ungeachtet eines verheerenden
Feuers, das auch die Würtemberger wankend gemacht hatte,
drangen die Heffen mit dem Feldgeschrei: .Jesus mit
uns"! vorwärts und erstiegen die Wälle. Auch die Wür-
temberger und die andern Schaaren folgten den Heffen,
deren Todesmuth und nicht wankender Tapferkeit dieser
1689 9. September Eroberung von Mainz und
Bonn..................
1690 1. Juli Schlacht bei Fleurh.
1691 Mai. Sieg bei Montroyal.
„ Juni. Eroberung von Beanmont.
1692 Ein Bataillon Franzosen wird von 1000
„ heff. Dragonern in Worms fast aufgerieben.
„ Eroberung von Stauf und Neu-Leiningen.
„ 2. Oktober Erstürmung von Eberburg.
„ Glorreiche Vertheidigung der am 16/12
1692 von General Tallard mit 18 000
Mann eingeschlossenen Feste Rheinfels
durch General von Görz mit 4000
Heffen unter Abschlagen dreier Haupt-
stürme und Behauptung der in einen
Trümmerhaufen geschossenen Festung bis
1693 4. Januar, an welchem Tage Landgraf
Karl mit seinem Ersatzcorps eintraf. Die
Hessen hatten im stärksten Feuer, ohne
einen Fuß breit m weichen, so standhaft
ausgehalten, daß die Franzosen, die 3000
Mann Todte hatten, von ihnen sagten:
Die Heffen könnten in Feuer und Flammen
wie Vögel in den Lüften schweben, und
Ludwig XIV. nannte den Landgrafen, der
die Franzosen so übel zurückgewiesen hatte,
le grand Caporal.
„ 1. August Vergeblicher Angriff der Fran-
zosen auf die Heffen und Badenser bei
Kochendorf und Sontheim.
1695 30. August Sturm auf Nemur. Der Hess.
General v. Schwerin erstürmt mit 2000
Mann die Kontrescarpe von der Kasotte
mit großer Tapferkeit.
V. Im spanischen Erbfolgekriege 1702
bis zum Utrechter Frieden 1713 und
Badener Frieden 1714.
1702 Belagerung von Kaiserswerth.
1703 27. Juli Einnahme der feindlichen Linien
im Lande von Waas.
„ 27. September Belagerung und Eroberung
von Limburg.
„ 15. November Treffen bei Speierbach.
Erbprinz Friedrich hatte sich an der Spitze
des Grenadier-Regiments dem Andränge
Tallards entgegen gestellt und die Wahl-
statt nicht eher verlassen, bis nach helden-
müthigstem Kampfe der Rückzug des rechten
Flügels der Alliirten gesichert war. In
Reihe und Glied lagen die Reihen der
Grenadiere, die keinen Fuß breit gewichen
waren; selbst für die Gegner ein Anblick
der Bewunderung. Fast das ganze Regi-
ment war aufgerieben. Gefallen waren:
so glänzende Erfolg allgemein zugeschrieben wurde.
1500 Feinde blieben todt, 3000 wurden gefangen, 34
Geschütze und eine große Anzahl Fahnen erbeutet!
321
die Generale Prinz Philipp von Hessen-
Homburg und v. Tettau, der Oberst Wolf
Karl von Schenk zu Schweinsberg und der
Oberstlieutenant v. Wartensleben.
1704 15. Juli Schlacht am Schellenberg. Hier
nahmen die Hessen den französischen Mar-
schall Tallard gefangen, der sich dem Oberst-
Lieutenant v. Boytteburg ergeben hatte.
Königin Anna beschenkte denselben für
diesen köstlichen Fang mit 2000 Pfund
Sterling. Marschall Tallard kam in den
Tower als Gefangener.
„ 13. August. Sieg bei Hochstädt »Revanche
Ä Speierbach.* Kommandeur der
en Brigade, welche sich hier so rühm-
lich ausgezeichnet hatte, war General Ernst
Ludwig v. Wilke. Der Feind verlor 40,000
Mann an Todten, Verwundeten und Ge-
fangenen. Die Alliirten: 12081 Mann,
worunter die Hessen an Todten 17 Offiziere
und 174 Gemeine, an Verwundeten 58
Offiziere und 673 Gemeine zählten.
„ 9. November. Einnahme von <Saarburg
unter Erbprinz Friedrich.
„ Belagerung und 18. Dezember Einnahme
von Landau und Trarbach.
1705 Wegnahme der Linien von Tirlemont.
2000 Gefangene wurden gemacht, 12 Fahnen
und Standarten, sowie 18 Kanonen er-
beutet.
„ Einnahme von Huy, Sontleenwer und St.
Phllipp.
1706 August. Einnahme von Goito am Flusse
Menzo.
„ 9. September. Schlacht bei Castiglione.
Speierbach und Castiglione sind die dunkeln
Namen in der sonst glänzenden Laufbahn
Friedrichs 1. Mit 8000 Mann warf er
14000 Franzosen und nahm deren Geschütze.
Die Franzosen umgingen aber seinen rech-
ten Flügel und kamen ihm in den Rücken.
Die Truppen einiger geistlichen Fürsten
geriethen dadurch in Unordnung, die sich
immer weiter verbreitete und zur Flucht
ward. Das Beispiel des Prinzen Friedrich,
welcher mit einer Fahne in der Hand dem
Feinde entgegen stürzte, blieb ohne Wirkung.
Zwei Tage vorher war die siegreiche Schlacht
von Prinz Eugen bei Turin geschlagen
worden.
„ Belagerung von Menin und Ostende.
„ 23. Mai. Siegreiche Schlacht bei Ramellies.
Hier erbeutete Prinz Ludwig, Sohn Land-
graf Karl's mit eigner Hand die Leibfahne
des französischen Schweizer-Regiments äu
Williers und fand in seinem zwanzigsten
Lebensjahre an der Spitze seines Regiments
den Heldentod.
1706 Eroberung der Festungen Ostende, Stekken
und Ath.
1707 23. Mai. Belagerung von Toulon. Erb-
prinz Friedrich rettet mit 2 Dragoner-
Regimentern die Armee Prinz Eugens vor
einer Niederlage. (August 1707), sodaß
dieser ungehindert nach Italien zurückziehen
konnte. Auf diesem Marsche wurde
„ 21. August Susa erobert. Der Hess.
General Reinhold Ernst von Sakken be-
fehligte hierbei ein Korps.
1708 Belagerung von Celle.
„ 11. Juli. Siegreiche Schlacht bei Oude-
narde und Belagerung von Lill^.
„ 14. August bis 11. Dezember. Belagerung
und Einnahme der Festung Ryssel, wobei
20000 Mann auf beiden Theilen geblieben
waren. General Wilke hatte sich hierbei
besonders ausgezeichnet.
1709 1. Januar. Belagerung und Einnahme
von Gent.
„ 31. Juli. Einnahme von Dornik.
„ Vor Tournai und
„ 11. September. Siegreiche Schlacht bei
Malplaquet. Verbündete und Franzosen
zählten zusammen an 50000 Todte und
Verwundete. Allgemeines Lob ward dem
Erbprinzen Friedrich zu theil, welcher die
Reiterei des linken Flügels zum Siege
führte. Der Kern des französischen Fuß-
volks wurde in erbittertem Kampfe auf-
gerieben, an dem die Hess. Regimenter
sämmtlich theil nahmen.
„ 20. Oktober. Einnahme der Festung Mons
durch Erbprinz Friedrich nach einer Be-
rennung mit 20000 Mann.
1710 Belagerung und Eroberung von Douai.
Der Verlust der Belagerten belief sich auf
10000 Mann.
„ Belagerung und Eroberung Bethune.
„ Desgleichen von St. Venant.
„ 9. August. Desgleichen von Aire. (Mit
dieser Belagerung schloß der Feldzug).
1711 Desgleichen von Bouchain.
„ 6. Juli. Einnahme von Arleux durch
Erbprinz Friedrich.
1712 Belagerung und Einnahme von Quesnoy
und Landreci.
11000 Hessen bewährten in diesem
Kriege bei den alliirten Armeen unter
Prinz Eugen und Herzog von Marlborough
den alten Ruhm der vaterländischen Waffen.
An ihrer Spitze kämpften die tapfern Söhne
des Landgrafen Karl: Erbprinz Friedrich,
einer der bewährtesten Reiter-Führer
322
im spanischen Erbfolgekriege; Prinz
Wilhelm, nachmals Landgraf Wilhelm
VIII.; Prinz Ludwig, welcher bei
Ramellies den Heldentod starb; Prinz
Maximilian, später kaiserlicher Feldmar-
schall.
Kas Hermögm des letzten Gurfürfien.
Von <Lsrl Preser.
^n der jüngsten Zeit und namentlich anläßlich des
Hinscheidens Ihrer Durchlaucht der Fürstin
Auguste zu Psenburg u. Büdingen-
Wächtersbach, der ältesten Tochter des Kur-
fürsten, ist in den öffentlichen Blättern gar viel
gefabelt worden über das bedeutende Vermögen,
welches Kurfürst Friedrich Wilhelm
hinterlassen habe, und wenn auch Blätter aus
Kassel daran Theil genommen haben, so ist das
nur ein Beweis von der Flüchtigkeit, mit welcher
die Tagesliteratur heute Geschichte schreibt, denn
so viel ich mich entsinne, war zur Zeit des Ab-
lebens des Kurfürsten fast in allen hessischen
Blättem über das wirklich hinterlassene Ver-
mögen desselben eine wahrheitsgetreue Angabe
erschienen.
Mit Rüchsicht auf die wahrheitswidrigen Be-
merkungen öffentlicher Blätter aus jüngster Zeit,
und da das „Hessenland" bereits verschiedene
Berichte über die Vermögensverhältniffe Wil-
helms I. und II. brachte, halte ich es daher
um so mehr für geboten, auch die Vermögens-
verhältnisse unseres letzten Kurfürsten näher zu
besprechen, als doch nicht zu leugnen ist, daß
derartige Verhältnisse der hessischen Geschichte
angehören. Ich bemerke dabei, daß ich meine
Darstellung aus den officiellen Quellen des
Testaments-Exekutoriums schöpfe, bei welchem ich
als Protokollführer sungirte, keineswegs aber
mit der Veröffentlichung eine Indiskretion be-
gehe, indem ich zu der damit bezweckten Klarstellung
geschichtlicher Thatsachen von betressender Seite
die Zustimmung erbat. Ich kann dabei die Be-
merkung nicht unterdrücken, daß. wie es in dem
Institut des Testaments-Exekutoriums liegt, das-
selbe sich einfach in den Besitz der gesammten
Nachlassenschast des Kurfürsten setzte und im
Lause der Thätigkeit wohl die Ansicht der Erben
in einzelnen Fällen einholte, im Uebrigen aber
die Feststellung und Theilung des Vermögens
selbstständig erledigte.
Das hinterlassene Baar-Vermögen des Kur-
fürsten, welches bei seiner Chatonllekaffe verwaltet
wurde, bestand am 6. Januar 1875 aus fol-
genden Werthen:
1. in österr. Silberrente
2. in österreich. Lloyd-
Prioritäts-Obligat.
3. in pfälzischen Maxi-
milians-Eisenb.-Obl.
4. in ungarischen Ost-
bahn-Prioritäten
5. in hessischen Ludwigs-
bahn-Prioritäten
6. in Berner Staats-
Obligationen . . .
7. in böhmischen West-
bahn-Prioritäten
8. in lombard. (Südb.)-
Prioritäten . . .
9. in 300 Stück österr.
Kredit-Aktien
10. in spanischen Oblig.
11. in Residenzstadt-Kas-
seler-Obligationen .
12. in Kaiserin Elisabeth-
bahn-Prioritäten
13. inbaher.Obligationen
14. in österr. Papierrente
15. in österreich. Staats-
Eisenbahn-Priorit. .
16. in kurhess. Landes-
kreditkassen - Obligat.
17. in preußischen Oblig.
18. in württemb. Oblig.
19. in Franz-Josefsbahn-
Prioritäten . . .
20. in belgischen Oblig.
21. in russisch-engl. Oblig.
22. in 200 Stück österr.
Staatsloosen ä 500 fl.
öftctt. SB
23. in 100 Stück Italien.
Staats-Eisenbahn-
Aktien ä 500 Frcs.
24. in 40 Stück kurhess.
40 Thlr.-Loofen,
25. in 55 St. oft. Kredit-
loosen ä 100 ft.5ft.2B.,
1,325,800 fl. Silb.-W.
31,500 fl. Conv.-W.
106,500 fl. Sd. W.
160,200 fl. öst. W.
80.300 Thlr.
200,000 Frcs.
334,800 fl. öst. W.
159,000 fl. „ .,
62,000 Piaster.
250 Thlr.
282,600
69,600
16,400
fl. ö. W.
I. Sd. W.
l. öst. W.
663,000 Frcs.
6,750 Thlr.
200,000 „
l 96,000 fl. Sd. W.
i 182,000 fl. ,. „
60,000 fl. Silb.-W.
200,000 Frcs.
30,000 Pfd. Strlg.
100,000 fl. öst. W.
323
26. in einem Lebens-Ver-
sicherungs-Kapital v. 202,826 Thlr.
und endlich
27. in Hypothekenforder.
im Betrage von . . 19,350 Thlr.
Nachdem von diesem Vermögen eine Saldo-
Schuld des Bankhauses M. A. von Rothschild
in Frankfurt a. M., sowie die Fonds einer
Stiftung, der s. g. Prinzeß Charlotten-Stiftung
ausgeschieden worden waren, welche an Se. Kgl.
Hoheit den Landgrafen Friedrich von Hessen aus-
geliefert wurden, endlich aber die auf der Erbschaft
lastenden Ausgaben nebst den Kosten des Tefta-
ments-Exekutoriums bestritten waren, verblieb
nach dem Cours der hinterlassenen Effekten ein
vertheilbares Vermögen von nur: 2,418,170 Thlr.
6 Sgr. 9 Hlr.
Da nun dies Kapital in neun Theile ging,
so ertrug es dem einzelnen Erbtheil nur die ge-
ringe Summe von 268,685 Thlr. 17 Sgr. 5 Hlr.,
wovon jedoch sieben Erben in österreichischer
Silberrente noch den Betrag von 170,172 Thlr.
20 Sgr. 6 Hlr. bei dem Bankhause v. Rothschild
in Frankfurt a. M. hinterlegten, weil wegen
Versorgung derjenigen kurfürstlichen Hosdiener,
welche mit ihrem Herrn die Verbannung getheilt
ten, die Verhandlungen mit Preußen sich
chlagen hatten und diese sieben Erben die
im Diener ihres Vaters nicht darunter leiden
lassen wollten.
Hierzu kommen freilich noch zwei Vermögens-
bestandtheile, welche sich der Vertheilung seitens
des Exekutoriums entzogen, da die Testaments-
Exekutoren darüber nicht verfügen konnten. Bei
der Theilung des Vermögens Wilhelms II. in
den Staatsschatz und den kurfürstlichen Hausschatz
war nämlich ein Rest von 1,500,000 Thlr. ver-
blieben, welchen die kurhessischen Stände, „aus
Dankbarkeit" für das coulante Entgegenkommen
des Kurfürsten, diesem als „Chatoulle-Vermögen"
zum besonderen Geschenke gemacht hatten. In
dem Testament Wilhelms II. kommt dann dies
Chatoulle-Vermögen, das bei dem Rothschild'schen
Bankhause in Wien hinterlegt war, als Geschenk
an seinen Sohn, den Kurfürsten Friedrich Wil-
helm I., und zwar ebenfalls als Geschenk an
besten Chatoulle, vor, jedoch unter der Voraus-
setzung, daß der letztere dafür den Besoldungs-
Etat des ersteren übernehme, andernfalls der
Hinfall dieser Summe an die Chatoulle Friedrich
ha
zer
letzt
Wilhelms I. erst dann erfolgen sollte, wenn von
den Zinsen keine Pension an die hinterlastenen
kurfürstlichen Hofdiener mehr zu zahlen war.
Und indem der Kurfürst die Zahlung dieser
Pensionen auf seinen Etat wirklich übernahm,
wurde er freier Eigenthümer jener Summe. Ob-
wohl dieselbe aber mehr als die Hälfte seines
Unterlassenen Vermögens betrug, so befindet fie
ich nicht etwa unter diesem,sondern der Kur-
Ärst ließ sie schon zu seiner Regierungszeit bei
einer Hausschatzkassen-Direktion verrechnen und
ie ist ihm auch nach der Entthronung nicht
j ugeflossen. Bei dem Umstande nun, daß der
Kurfürst überhaupt kein Herr war, besten Sinn
auf Vermögenserwerb gerichtet gewesen wäre,
ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß er, in der
— dann allerdings irrigen — Meinung, er
mäste dies Chatoulle-Kapital seinem Nachfolger
in der Regiemng hinterlassen, daß er, sage ich,
in der Verfügung, mittelst welcher .er die Ver-
waltung desselben an die Hausschatz-Direktion
übertrug, das Kapital selbst in irgend einer Form
mit dem Hausschatze vereinigte. Näheres darüber
ist mir allerdings nicht bekannt, doch würden die
Privaterben des Kurfürsten darauf einen recht-
lichen Anspruch haben, wenn eine Vereinigung
mit dem Hausschatze etwa nicht stattgefunden
haben sollte, zumal der Kurfürst die darauf
ruhenden Lasten thatsächlich getragen hat.
Der zweite, nicht zur Vertheilung gelangte
Vermögensbestandtheil hingegen besteht aus den
»er gesetzlichen Sequestration unterworfen gewe-
enen Hausschatz-Revenüen, deren jährlicher Be-
rag sich auf ca. 290,000 Thaler beläuft und
)eren Ausfall um so empfindlicher war, als die
Zinsen des Privatvermögens des Kurfürsten
schließlich nicht ausreichten, die Kosten seines Hof-
staates in Prag zu decken. Die fequestrirte
Summe kann ohne Zinsen etwa 1,938,000
Thaler betragen und würde mit den Zinsen
ungefähr die Höhe des an sich kleinen hinter-
lassenen Vermögens erreichen.
Alles in Allem hat also Kurfürst Friedrich
Wilhelm I. thatsächlich nicht mehr als 2,418,170
Thaler 6 Sgr. 9 Hlr. hinterlassen und in diese
Summe hatten sich neun Kinder zu theilen.
Was mithin jüngst in politischen Blättern von
„eminentem", von „großem" und von „koloffalem"
Vermögen geschrieben wurde, gehört in das Be-
reich der Fabel.
324
|u0 engem Wal.
Rovellelte v. M. Herberk.
(Schluß.)
An dem ganzen Tage sprach der Hannes kein
Wort, was vollständig gegen seine Gewohnheit
war. Er saß nachdenklich da und zuweilen fiel der
Leisten aus seiner Hand polternd auf die Dielen.
Die Hammerschläge, mit denen er das Leder auf
seinem Knie dünn klopfte, kamen in langen Zwischen-
pausen. „Für mich wär's nit gewesen, einen
Stein auf sie zu werfen!" sagte er zu sich, „für
mich nit! Denn die Steine, die Einer auf Einen
wirft, den er 'mal lieb gehabt, die fallen nit ab,
die bohren sich durch Haut und Rippen in's
Herz. Für mich wär's nit gewesen!" Gegen
Abend stülpte er die Mütze auf und ging aus:
Als er spät heimkehrte, trug er einen ver-
wickelten Gegenstand und einen verdeckten Korb.
Beide Dinge verschloß er geheimnisvoll in den
Keller. Kathrinlies ließ sich nicht wieder in der
engen Gaffe blicken; lieber wollte sie keinen letzten
Abschied von der Leiche ihres Kindes nehmen, hätte
sie den Hannes wiedergesehn, sie wäre zusammen-
gebrochen. Sie hatte nur Geld geschickt und ein
WeißesKleidchen, welches ihr die Herrschaft zum
Bahrschmuck des kleinen Todten geschenkt. Freilich
zog die Alte dem Kinde das Kleid nicht'an; sie
schloß es heimlich in ihre Truhe. Auch zum
Begräbniß kam die Mutter nicht, — der Pfarrer
ging voran und dicht hinter dem Sarge schritt
als einziges Ehrengeleit der Hannes, — eine
komische Figur in seinem hohen, beinahe fuchs-
roten Cylinderhut und dem Fracke mit den
langen spitzen Schößen, den bereirs der Groß-.
Vater selig zur Hochzeit getragen. Der kleine Zug
ging durch die Stadt nach dem mauerumgebenen
Friedhofe. Hier und dort sammelten sich einige
Neugierige, und einmal glaubte Hannes in der
Ferne an einer Straßenecke ein geputztes Mäd-
chen mit einem Kinde auf dem Arm zu sehen;
er konnte sich aber getäuscht haben.
Endlich ruhte der Sarg mit dem Keim eines
Menschenlebens, das zur Hoffnung berechtigt,
um Schmerze befähigt gewesen, sechs Schuhe
ief in der Erde. Die schweren Schollen fielen
dröhnend auf den kleinen Deckel. Dann wölbte der
Todtengräber den kleinen Hügel, welcher eine
Weile noch eine Erhöhung bilden würde, um dann
vom Winde und den Fußtritten achtlos darüber
Hinschreitender dem Erdboden gleich gemacht zu
werden. Die Sonne beleuchtete die groben,
schwarzen Erdbällen, welche der Spaten empor-
geschürselt, und ringsum über den hundertjährigen,
grauen Grabsteinen an der Mauer, wie auf den
frischen — hie und da noch blumengeschmückten
Gräbern lag Schweigen. Die Dämmerung kam
und die Nacht. In der Nacht schlich Kathrinlies
sich leise aus dem Hause ihrer Dienstherrschaft
durch die menschenleeren mondhellen Straßen nach
dem Todtenhofe. Wo Niemand sie sehen konnte,
in der Dunkelheit und Stille, wollte sie zu ihrem
Kinde gehen und den wilden, reuigen Schmerz
noch einmal austoben und ausweinen. Sie ging
durch die Reihen der Gräber nach der Stelle,
wo man die armen Kinder hinlegt. Da plötz-
lich fiel ihr ein, daß sie ja nicht wußte, an wel-
chem Platz man ihr Kind gebettet. Mitten im
Schreiten sank sie in die Knie und begann zu
schluchzen. Da sah sie auf einem der neuen
Gräber eine Gestalt sich regen, — es pflanzte
Jemand ein Kreuz auf einen blumenbedeckten
Hügel. Das konnte Niemand sein als der Toten-
gräber, der sicher wußte, wo ihres Kindes letzte
Ruhestatt war. Zagen Schrittes kam sie näher,
der Mondschein fiel hell auf das weiße Kreuz,
welches der kniende Mann in den Boden zu
rammen versuchte. Leserlich und klar hoben sich
von dem lichten Grunde die Worte:
„Karl, — Sohn der Katharina Elisabeth
Tiel." und darunter: „Gott ist barmherzig und
gnädig."
So hatte sich's der Hannes ausgedacht. Ka-
thrinlies wußte kaum, wie ihr geschah, — stumm,
regungslos stand sie da, immer die Augen auf
das Kreuz gerichtet. Nun hob der Mann das
Gesicht und sie erkannte den Schuster. Alte Treu
kommt wieder, wie kräftige Grundfarbe hält sie
im Menschenleben, wenn man die Flecken von
Schmach und Irrthum wegwischt, erscheint sie in
alter Frische.
Das Mädchen kam langsam näher; sie zitterte
und bebte: als sie sagte:
„Ich will dir's in meinem Leben nit vergessen,
Hannes, was du für eine arme Sünderin thust.
Und wenn du meinst, daß der liebe Gott meine
Gebete noch anhört, dann will ich nicht ablaffen
für dich zu beten — Tag und Nacht. Für mich
ist ja doch alles hin, keine Ehr, keine Freud',
keine Hoffnung mehr in der Welt." Der Hannes
aber nahm die Hände der Kathrinlies. „Reue
kommt nimmer zu spat, Kathrinlies. — Im
Herzen hab' ichs nit verwinden können, was du
mir und dir gethan hast."
325
„Ö Kathrinlies, warum hast du nichts auf
deine Ehre gegeben, die das Einzige ist, was
wir armen Leute gerade so haben, wie die
reichen? Hast du denn nicht gewußt, daß du
'was werth bist in Gottes Augen und meinen,
daß du ach so — so", er schluchzte fast, „weg-
geworfen hast in Schand und Schmach? Sieh,
ich möcht dich aufheben, dich bei mir vor allen
Menschen hüten und bergen, wenn ich nur wüßt',
ob du wieder werden kannst, was du warst?!"
Kathrinlies sah ihn an und obwohl sie im
Leben nicht viel daran gedacht hatte, wie wohl
Anderen zu Muth wäre, empfand sie, daß sie
dem Hannes weher gethan noch als sich selbst
und das Vertrauen der Kindheit brach sich Bahn!
„Ich hab's nicht verdient, was du für mich thust.
Ach Gott, wenn ich auf der Welt einen Schlupf-
winkel wußt', wo mich Keiner wieder fänd', ich
kröch hinein, aber das geht nit. Du weißt nit,
wie es thut, wenn jedes Gesicht spricht: Ich weiß,
was du für Eine bist und man selbst es noch
besser weiß, als die Anderen. Arbeiten möcht'
ich, daß mir das Blut unter den Fingernägeln
vorkäm, aber auch das kauft den ehrlichen Namen
nit zurück. Für unser Eins ist's nur noch gut
bei Gott, der allein versteht, wie weh Schmach
und Schande thun." Da sagt Hannes:
„Ich will dich ehrlich machen Kathrinlies. Flenn'
nicht mehr. Sei meine Frau — sollst's gut
haben und keinen Vorwurf hören.
Ich kann's nit mehr! sagte die Kathrinlies
— „ich bin's nit wert."
„Um das Wort bist du's wert," sagte der
Hannes. Sie wurde sein Weib und ein ehrliches,
gutes, — denn im Herzen unseres Volkes liegt
jene Kraft, welche am liebsten sühnt mit liebe-
vollem, thätigem Leben.
Aber der Abend ist ganz gesunken, ich stehe
an meinem Fenster und vor mir liegt das Häuser-
gehock von Melsungen. Ich denke, vielleicht wird
man sagen: Die Geschichte ist nicht schön —
Nicht erheiternd — kein animirendes Sittenbild
— dem Allen entgegne ich: Sie ist wahr! In
eines Volkes Leben, wie in dem eines einzelnen
Menschen, erwachsen böse Neigung und Schuld.
Ohne Schuld ist Keiner, wer aber seine Schuld
erkennt in ihrer furchtbaren Bedeutung, Gott,
sich selbst und Anderen gegenüber, wer innerlich
büßt und sie sühnen möchte mit bestem Können,
ist lebenskräftig für die Zukunft.
Am Friedhof steht « ;tt Amordach.
1.
Ich wollt' ein Stückchen Land erwerben,
Darauf mit Dir noch kurze Zeit
Zu wohnen und darauf zu sterben
Nach unsrer Tage Glück und Leid.
Doch hat ein Andrer schon für Dich
Zurecht gemacht ein Kämmerlein
Und einsam bist Du, ohne mich,
Ins eigne Haus gezogen ein.
Kein Fenster glänzt aus grünem Rahmen,
Kein Fähnlein weht vom Giebeldach;
Ein weißes Kreuz mit Deinem Namen,
Am Friedhof steht's zu Amorbach.
2.
O komm und wär's zu theilen
Aufs Neue Sorgen und Noth.
Wir klagten ja nie darüber
Und wieder lachst Du dazu;
Ich aber singe Dir Lieder,
Die Niemand kennt als Du.
3.
Ich suche noch jeden Morgen»
Wo Du wohl möchtest sein;
Ich wach' in Kummer und Sorgen
Tief in die Nacht hinein.
Ich sitz' an diesen Pfühlen,
Darauf Du krank geruht,
Als könnt' ich noch Dir kühlen
Der Stirne heiße Glut.
Nun sind die schweren Zeiten,
Die Tage des Ringens vorbei;
Wie konntest Du dennoch scheiden
In deiner Lieb' und Treu?
Doch hörst Du nicht mehr klopfen
Mein Herz — das ist ein Glück;
Auch halt' ich das rasche Tropfen
Der Thränen streng zurück.
Hast Du nur mögen weilen
Bei Mühen und hartem Brot?
Du kämst ja sonst herüber.
Anstatt zu schlummern, zu mir;
326
Schlaf wohl! Ich komme lieber.
Mein Kino, mein Weib, zu Dir.
4.
Umsonst! Dn gönnst im Grab da drüben
Nur immer kurz zu rasten Dir;
Noch dauert fort dein treues Lieben,
Wie kämst Du stündlich sonst zu mir?
Du kommst im Frühlingsmorgenlichte,
In holder Jugend Lieblichkeit;
Du kommst, im blassen Angesichte
Die Runen langer harter Zeit.
Du kommst, die Hände mir zu reichen
So sanft, wie einst sie mich gedrückt;
Ich aber finde doch die Zeichen,
Womit sie Mühsal einst geschmückt.
O diese Schwielen! Heldennarben
Sind heil'ger nicht, als sie es sind;
Bei Denen, die in Ehren starben,
Da rast' auch Du, mein Weib! mein Kind!
Ich aber — nein, ich will nicht klagen,
Daß einst ich sah der Zeiten Weh
Dich treu und tapfer mit mir- tragen
Und nun im Wohlstand einsam steh.
Vom Himmel warst Du mir gegeben
In Leid und Lust mein Schutz zu sein;
So warst Du mein für's ganze Leben,
So bin auch jetzt ich nicht allein.
£t. HraSert.
Aus Heimach und Fremde.
Kassel. In der am 3l. Oktober d. I. abge-
gehaltenen Monatsversammlung des Ver-
eins für hessische Geschichte und Landes-
kunde theilte der Vorsitzende Major v. Stamford
zunächst mit, daß die Zahl der Bereinsmitglieder sich
zwar «m einen vermehrt, der Verein aber in dem
letzten Monat durch de» Tod mehrerer Mitglieder,
welche sich um den Verein verdient gemacht, einen
großen Verlust erlitten habe. Namentlich wurde da-
bei'des Landgerichtsraths a. D. Fulda gedacht,
welcher noch kurz vor seinem so Plötzlich eingetretenen
Tode dem Vereine einige der von ihm herausgegebenen
Schriften zum Geschenk gemacht habe. Hierauf hielt
Herr Landgerichts-Sekretair Nenber den angekün-
digten Vortrag: »Zur Geschichte von Stadt
und Bad Hofgeismar. * Nach einleitender Be-
merkung, daß der jetzige Kreis Hofgeismar, der
frühere sächsische Hesiengau, im S. und 10. Jahr-
hundert n. Chr. dem hessischen Grafengeschlechte der
Konradiner angehört habe, jedoch während der Ver-
bindung Hessens mit Thüringen, bei welcher ersteres
das Nebenland gewesen, in siemde Hände, namentlich
in die des Erzbischofs von Mainz, gekommen sei,
und nach einem Ueberblicke über die Literatur, worin
besonders die Schriften des verstorbenen Archivars
(früher Pfarrers zu Hofgeismar) Falckenheiner
genannt wurden, theilte der Vortragende den wesent-
lichen Inhalt einer Urkunde vom Jahre 1082 mit,
worin nachweisbar zuerst Hofgeismar erwähnt wird.
In derselben schenkt der damalige Erzbischof von
Mainz in einer Fürsten-Versammlung auf die Bitten
der anwesenden geistlichen und weltlichen Fürsten
seinen Hof Geismar dem von ihm gegründeten
Kloster Hasungen. Trotz dieser feierlichen Schenkung
findet sich derselbe, dessen Name näher besprochen
wurde, nach 100 Jahren fortwährend im Besitze
der Erzbischöfe von Mainz, welche von dort aus
sogar Regierungs-Handlungen erlassen. Aus dem
ursprünglichen Gutshofe auf dem Salb erg (wo-
her das Salbcrger Thor oder Salber Thor) ent-
steht durch Ansiedelungen ein Ort, der nach dem
Jahre 1200 Stadt genannt wird. Redner schildert
dann die Streitigkeiten, welche die neue Stadt mit
dem Geschlechte der Herren von Schöneberg
(Schonenberg) über die Beholzigungs- und Weide-
Gerechtsame im Reinhardswald zu bestehen hatte,
sowie das dadurch veranlaßte Eingreifen nicht blos
der Erzbischöfe von Mainz, sondern auch der Bischöfe
von Paderborn, der Herzöge von Braunschweig und
der Landgrafen von Hessen, der beiden ersteren als
Lehnsherren und der letzteren als Bundesgenossen der
Schönebcrg, sowie die mit diesen Kämpfen in dama-
ligen Zeiten verbundene Verwüstung und Plünderung
der ganzen Gegend. Zur Sicherung gegen Ueber-
fälle hatte Hofgeismar mit den Nachbarstädtcn Mar-
burg, Volkmarsen, Wolfhagen und Marsberg ei«
Schutz- und Trutzbündniß abgeschlossen (1358). Auf
die glückliche Errettung aus einer Belagerung durch
Braunschweig und Hessen (1400) ist die bekannte
Sage vom Würfelthurme zu beziehen. In der
Mainzer Stifts-Fehde (1462) mußte Hofgeismar
wegen seiner Anhänglichkeit an dem vom Papste ab-
gesetzten Erzbischöfe Diether eine Belagerung durch
den mit dem neuen Erzbischöfe Adolf verbündeten
Landgrafen Ludwig II. von Hessen aushalten, und
wurde nach Einzug des Erzbischofs Adolf Hessen als
Pfandschast überwiesen, sodann, nachdem inzwischen in
der Stadt die Reformation Eingang gefunden, unter
Wilhelm IV. von Hessen förmlich abgetreten bis zum
Erlöschen des Mannesstammes durch den Merlauer
Vertrag (1583).
Hofgeismar chatte im 30jährigen Kriege fast während
der ganzen Dauer desselben beträchtliche Einquartie-
rungen, vorzugsweise von kaiserliche» Truppen, z«
tragen, und mußte, nachdem es einem feindlichen
327
Sturme durch Tapferkeit der hessischen Garnison unter
Hauptmann Ellenbergcr und der Einwohner mannhaft
widerstanden (31. August 1637) zweimal furchtbare
Plünderungen aushalten, und, nachdem es sich in der
darauf folgenden Friedeuszcit ebenso wie die Umgegend
durch Gründung französischer Niederlassungen, kaum
erholt hatte, dann neue Bedrückungen im 7jährigen
Kriege erfahren. Das Einrücken einer französischen
Armee im Jahre 1806 in Hcsicn brachte der
Stadt wieder Einquartierung in großartigem Maß-
stabe, seit Gründung des Königsreichs Westfalen
aber eine ständige Kavallerie-Garnison. Erst die
Wiederkehr des Kurfürsten Wilhelm I. gab Stadt
und Land die ersehnte Ruhe und bessere Zeilen, auch
Gelegenheit zur Ordnung der inneren Verhältnisse.
Nachdem von letzteren die Dreitheilung der Stadt
Hofgeismar in Altstadt, Neustadt und Unterstadt mit
ihren 3 Kirchen, der städtische Haushalt und die Gc-
richtsverfaffung besprochen war. unterzog Redner den
Gesundbrunnen nach Erwähnung der reich-
haltigen Literatur über denselben einer besonderen
Betrachtung.
Die Quelle wurde im 30jährigen Kriege durch
einen verwundeten kaiserlichen Soldaten entdeckt (1639)
und dann alsbald von den dort gar»isonirten Truppen,
besonders dem General Melandrr, und darauf auch
auf deren Anpreisung von vielen Anderen ans Nah
und Fern benutzt. Der wohlwollenden Fürsorge dcö
Landgrafen Karl ist es zunächst zu verdanken, daß
die Quelle gegen schädliche Einflüsse der benachbarten
Gewässer geschützt wurde und ihm und seinen Nach-
folgern, daß durch Erbauung von Badchäusern (Karls-
bad, Wilhelmsbad, Friedrichsbad), des Schlößchens
Schönburg und anderer Gebäulichkeiten, sowie durch
Parkanlagen hier ein zu immer größeren Ansehen ge-
langender Gesundbrunnen entstand. Im Näheren
wnrden die Einrichtungen in den einzelnen Gebäuden
und die Bestandtheile der Quellen (Trink- und Bade-
Quelle) beschrieben, auch eine Reihe merkwürdiger
Kuren sowie das Brunnen-Reglcntent (von 1789)
mitgetheilt.
Wenn jetzt die Zahl der Kurgäste eine sehr ge-
ringe geworden, so sei der Grund darin zu finden,
daß die Quelle durch irgend einen Zufall seit dem
Anfange der 60er Jahre an Stärke verloren habe.
Redner schloß seinen von der sehr zahlreich be-
suchten Versammlung mit großem Beifall auf-
genommenen Vortrag mit der Hoffnung, daß durch
anzustrebende Verbesserung des Brunnens diesem und
damit der an geschichtlichen Erinnerungen und in
ihrer Umgegend an landschaftlichen Schönheiten so
reichen Stadt Hofgeismar ein neuer Auffchwung
verliehen werde.
Soeben ist ein neues Verzeichniß der Mit-
glieder deS Vereins für hessische Ge-
schichte und Landeskunde (Kassel, 1. Oktober
>887) zur Vcrthrilung gelangt. Dasselbe weist
1304 Mitglieder, darunter 5 Ehrenmitglieder und
163 auswärtige Mitglieder, auf. DaS zuletzt er-
schienene Vcrzeichniß datirt vom 1. Februar 1884.
Damals zählte der Verein 1226 Mitglieder.
Zum Bischof der Diöcese Fulda ist am 4. d. M.
Joseph Weyland,päpstlicherHanSprälat,geistlicher
Rath, Dekan und Stadtpfarrcr von Wiesbaden'ge-
wählt worden. Nach feierlichem Hochamte in der
Kathedrale zur Anrufung des heiligen Geistes fand
die Wahl seitens der Mitglieder deS Domkapitels in
der Sakristei dieser Kirche statt. Als Skrutatoren
fpngirte» Professor vr. Gutberlet, Hospitalspfarrer
Lauer und Domkaplan Schmelz. Nach vollzogener
Wahl verkündete der geistliche Rath Engel unter dem
Geläute sämmtlicher Domglocken von der Kanzel
herab das Resultat, zugleich bemerkend, daß der Papst
dem Domkapitel die Weisung habe zukommen lassen,
bei Bezeichnüng der Kandidaten für den erledigte»
Bischofsstuhl °sich nicht auf Priester der Diöcese Fulda
allein zu beschränken.
Joseph Weyland ist am 13. März 1826 zu
Hadamar in, Nassau als der Sohn eines ehrsamen
Handwerksmnstcrs geboren. Er besuchte die Schulen
seiner Vaterstadt, hiernach das Gymnasium zu Wcjl-
burg, studirte nach Absolvirung desselben katholisHe
Theologie zu Gieße», trat dann in daS Klerikal-
seminar zu Limburg an der Lahn und wurde am
6. September 1848 zum Priester geweiht. Nachdem
er vom 1. Oktober 4848 ab an verschiedenen Pfarr-
orten der Diöcese Limburg, u. a. vom 1. Januar
1852 bis 1. September 1858 zu Frankfurt a. M.,
als Kaplan thätig gewesen war, wurde er am 19. No-
vember 1861 zum Stadtpfarrrr in Wiesbaden er-
nannt.
Joseph Weyland hat die Bischofswahl angenommen.
Zweifellos erfolgt nach vorausgegangenem Jnformativ-
und Definitiv-Proceß die päpstliche Bestätigung und
das Bisthnm Fulda wird in kürzester Frist wieder
einen geistlichen Oberhirte» haben. Die Wahl wird
allgemein als eine sehr glückliche bezeichnet. Alle
Stimmen sind einig in dem Lobe deS Gewählten, dem
die vorzüglichen Eigenschaften nachgerühmt werden.
„Die Diöcese Fulda darf sich zu der Wahl ihres
neuen Bischofs Glück wünschen", daS ist der Reftain,
der von allen Seiten wiederhallt. — Joseph Weyland
wird der fünfte Bischof sein, der »ach Wiedererrichttmg
deS Bisthnms Fulda in der altehrwürdigen BonifatiuS-
stadt die Mitra trägt und den Krummstab führt.
328
Der erste Bischof war Johann Adam Rieger (1829
bis 1831), ihm folgte Johann Leonard Pfäff (1832
bis 1848), diesem Christoph Florentius Kött (1849
bis 1873), hiernach kam die achtjährige Sedisvakanz,
bis am 26. Dezember 1881 Georg Kopp als Bischo
von Hulda geweiht und eingesetzt wurde, der nun-
mehr, am 20. Oktober, auf den fürstbischöflichen Stuhl
zu Breslau erhoben worden ist.
Jubiläum. Am 27. Oktober beging der Land-
gerichts-Präsident H. PH. Lang zu Hanau das
Fest' des fünfzigjährigen Dienst-Jubiläums. Einge-
treten in den Justizdienst am 27. Oktober 1837 bei
dem früheren kurhessischen Landgerichte zn Rinteln,
war derselbe fünfundzwanzig Jahre läng in verschie-
denen Stellungen bei den Hanauer Gerichten thätig:
als Justizbeamter, als Obergerichts-Rath, als Kreis-
gerichts-Direktor und seit 1879' als Landgerichts-
Präsident. Er hat während dieser Zeit eine vetdienst-
reiche Thätigkeit entfaltet, die ihm in seltenem Maße
die Hochachtung sämmtlicher Bürger eintrug. Die
Stadt Hanau hielt' es daher für ihre Pflicht, den
Jubilar durch eine Adresse zu ehren und 'ihm den
Dank für seine Wirksamkeit auszusprechen. Von
den MitAliedern der Gerichte in Frankfurt a. M,
hei welchen derselbe früher mehrere Jahre thätig war,
ferner von den Mitgliedern des Oberlandesgerichts
in Kaffel und durch besonderes Schreiben des Prä-
sidenten dieses Gerichts wurde er in herzlichster Weise
beglückwünscht. Die Gerichtsschreiberei- und Rech-
nungsbeamten des Landgerichtsbezirks Hanau ließen
dem Jubilar ebenfalls eine kunstvoll ausgearbeitete
Ädreffe überreichen und die Richter, Staatsanwälte,
Rechtsanwälte und Referendare des Landgerichtsbezirks
ließen ihm durch eine Deputation die Glückwünsche
darbringen und ein Album verehren, welches die
Photographien dieser Herren, 84 an Zähl, ent-
hält. — Möge es dem Jubilar vergönnt sein, noch
recht lange in ungeschwächter Körperkraft und Geistes-
frische seines hohen Amtes zu walten.
Todesfälle. In Marburg starb am 8. d. M.
der allgemein hochgeschätzte und beliebte Arzt Dr.
Karl Justi. Geboren war derselbe am 4. August
1809 zu Pyrmont. Er besuchte das Pädagogium
seiner Vaterstadt und studirte hiernach zu Marburg
Medizin. Im Jahre 1831 wurde er zum Doktor
promovirt und 1834 ließ er sich in Marburg als
Arzt nieder. Dort hat er bis zu seinem Tode, also
53 Jähre lang, die Praxis ausgeübt. Er war einer der
populärsten Männer der Stadt. Bei seinem fünfzig-
jährigen Doktorjubiläum im Jahre 1681 wurden ihm
in Anerkennung seiner Verdienste vielfache Ehren-
bezeigungen zu Theil, u. a. wurden ihm der rothe
Adlerorden IV. Klaffe und der Titel «Sanitätsrath^
verliehen. Auch war er s. Z. auf Grund seiner
Thätigkeit im Reservelazareth im Jahre 1870, mit
dem eisernen Kreuze am weißen Bande dekorirt
worden.
In Eisenach ist am 25. Oktober der großherz.
sachsen-weimarische Forstrendant a. D. Franz Meurer,
einer der letzten hessischen Veteranen aus den
Freiheitskriegen, im 97. Lebensjahre gestorben.
______________ I.
Frankfurt a/SW. Das hiesige Heffendenkmal, das
Zeugniß hessischer Tapferkeit, ist kürzlich einer kleinen
Renovation unterzogen worden, indem die verblaßte
Schrift, welche den Rührn der Erstürmer Frankfurts
verkündet, neu vergoldet wurde. S.
G. K. Hannover Sendung mit bestem Danke empfangen,
weiteres - erwünscht.
0. v. in W. bei Fulda. Wir können auch Ihnen die
„Neuen poetischen Blätter", die in Mainz unter der Re-
daktion von vr. Westenberger erscheinen, empfehlen.
8. K. Kassel. Der Betreffende ist uns nicht bekannt.
F. F. Kassel. Für gute Novellen haben wir allerdings
Verwendung; dieselben müssen nicht unbedingt auf hessischen
Boden spielen oder überhaupt specifisch hessischen Charakters
sein.
M. in Fritzlar. Eine Besprechung des betr. Buches
werden wir in nächster Zeit bringen.
B. in H. bei Marburg. Schicken Sie uns nur das
Betreffende zu.
6. Fr. Wächtersbach. Für die Sendung fr. Dank.
Näheres brieflich.
vr. Fr. N. Gießen. Sehr erwünscht.
Wir machen die Leser auf die Beilage, betr.
Ed d erg old, poetischer Sagenschatz aus dem
Lande der Hessen, Gedichte von Ludwig Mohr,
aufmerksam.
Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Zustellung
der einzelnen Nummern des „HeffenlandeS" bitten
wir bei der Redaktion, Jordanstraße 15, oder in
der Friedr. Scheel'fchenBuchdruckerei, Schloßplatz 4,
anzumelden, damit alsbald Abhilfe erfolgen kann.
Auch ersuchen wir die geehrten Abonnenten, uns
von etwaigem Wohnungswechsel möglichst bald
Kenntniß zu geben, damit eine Unterbrechung
in der Zustellung unserer Zeitschrift vermieden
wird.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Zwenger in Kaffel. — Druck von Friedr. Scheel in Kaffel.
Das „Hessenland", Zeitschrift fiir hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich» zu Anfang
und Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/2—2 Logen Quartformat. Der Abonnementspreis beträgt gleichmäßig
für hier und auswärts vikrteljährlich 1 Mark SV pfg. Einzelne Nummern losten je 3V Pfg. Auswärts lann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch dm Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogm
werden; hier in Kasiel nimmt die Redaktion, Jordanstraße lS, und die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz«,
Bestellungen an. Zn der Post-ZeitungSliste findet sich das „HeffenIanL" eingetragen unter Nr. 2547a, l. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 23 des »Hessenlandes": „Mein Asyl" (ungedruckt), Gedicht von Ernst Koch; »Ein Kürst
des Friedens", historische Skizze von F. Zwenger (Forts.); »Ulrichstein im Vogelsberg" von vr. August Roeschen;
»Kleine Bilder aus Hessen" (Der Windisch-Grätz kömmt!) von Ludwig Mohr; „Das Hessendenkmal zu Frankfurt
a. M.", Gedicht von Schwank; „Aus der Höhe", Gedicht von Nathaly v. Eschstruth; Aus alter und neuer Zeit;
Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten; Anzeigen.
(Ungedruckt.)
om leben kalt zurückgewiesen,
Verlassen unö verkannt,
Lil' ich zu Deinen Paradiesen,
Glücksel'ges Dichlerlsnö I
Au Deinen Himmeln laß mich fliehen,
D heiliges Astzl,
Au Deinen leisen Melodiken,
Mein golönes Saitenspiel.
Schweb! all ihr seligen Gebilde
Der Phanlasie hervor.
Taucht sanft wie Abenösonnenmilde
Au meiner Seel' empor.
Gebt mir zurück, o meine lieber,
Vas mir die Veit geraubt;
Ach, was ich hoffte, gebt mir wieder
And was ich einst geglaubt.
Wein treuer Glaube Hst gelogen,
Wein Hoffen ist dahin.
Vom leben schmerzlich hart betrogen
Wein Kindlich sroher Sinn.
Nichts ist dem Herzen, nichts geblieben
Von Glück unö Himmelslust,
Als nur sein Dichten unö sein lieben
In treuer Iünglingsbrust.
Drum steigt empor aus euern Tiesen
Mil Isrieöensharmonien,,
Die Geister meiner liebm riefen
«Such, sel'ge Phantasien!
Marburg, 2. März 1828.
Ernst Aach.-
330
Km Wrst öes Meörns.
Historische Skizze von F. Iw enger.
(Fortsetzung.)
Wahrhafte Religiosität war dem von frühester
¥ f Jugend an frommen und gottesfürchtigen
Laüdgrafen Ludwig nicht nur Herzens-
bedürfniß, sie war ihm auch Staatszweck; sie
bildete das Fundament und war das Endziel
seines Regierungssystems. Er erkannte wohl,
oaß seine weisen Verordnungen und wohlgemeinten
Bestrebungen nur Erfolg haben konnten, wenn
er durch religiöse Erziehung, durch Lehre und
Unterweisung die sittliche und intellektuelle Bil-
dung seines Volkes hebe und fördere und desien
SiUn empfänglich mache für alles Hohe und
Edle. Obgleich weder Theologe noch Gelehrter,
wie seine späteren Nachfolger auf dem hessischen
Fürstenthrone, traf er vermöge feines klaren
Verstandes und feiner'vorurtheilsfreien Einsicht,
verbunden mit energischer Willenskraft, fast stets
das Richtige. Die Unterrichtsanstalten Kassels,
die Parochialschule wie die städtische Schule, die
s. g. Schriefschole, welche von Geistlichen und
Mönchen (nach Dilmar von Franziskanern) ge-
leitet wurden, lagen im Argen, in der kriege-
rischen Zeit der Regierung des Landgrafen Her-
manns des Gelehrten konnte die Volksbildung
nicht aufkommen und das Land blieb in seiner
geistigen Entwickelung zurück. Die Klöster er-
füllten ihre Aufgaben nicht, sie waren zum Theil
ausgeartet und lebten nicht nach ihren Ordens-
regeln. Hier wirkte Landgraf Ludwig reforma-
torisch. Er versuchte es, den Klöstern die ihrem
ursprünglichen Zwecke entsprechende Richtung
wiederzugeben und ihren veredelnden Einfluß
auf das Volk zu bewahren; und wo Milde nicht
ausreichte, mit die gesunkene Zucht zu heben, da
verfuhr er mit durchgreifender Strenge. Die
Augustinernonnen des Klosters Eppenberg bei
Felsberg führten ein ärgerliches anstößiges Leben.
Landgraf Ludwig hob das Kloster auf und ver-
pflanzte dahin deck damals strengsten Orden der
Christenheit, die Karthäuser, desien Regeln strenges
Fasten, rauhe Kleidung und beständiges Schweigen
bei fleckenloser Reinheit der Sitten vorschrieben.
An den Ordensgeneral der Karthäuser zu Chart-
reuse bei Grenoble schrieb Landgraf Ludwig:
„Entschlosien kein unwürdiger und träger Be-
wahrer des ihm verliehenen Pfandes zu sein,
und aus besonderer Achtung für seinen Orden,
wolle er ihm ein erledigtes Kloster mit allen
seinen Einkünften übergeben, damit das Beispiel
dieser neuen Pflanzschule der Wahrheit heilsam
auf seine Unterthanen wirke. Er (der Ordens-
general) möge dem Prior der Karthäuser zu
Erfurt die Besetzung des Eppenbergs mit seinen
Mönchen und die weitere Einrichtung des neuen
Stiftes befehlen." *) Dies geschah im Jahre
1440. Das neue Stift, dem St. Johannes ge-
widmet, löschte bald das Andenken an die frühere
Zügellosigkeit aus und in den Klosterhallen, in
denen früher das frivole Treiben jener Nonnen
geherrscht, tönte jetzt nur das „Memento mori“
der Karthäuser als einzige Begrüßung wieder.
Eine der folgenreichsten Regierungshandlungen
des Landgrafen Ludwig war die Berufung der
„Brüder vom gemeinsamen Leben", der s. g.
„Kogelherren", nach Kasiel. Ihnen übertrug er
das verdienstliche Werk der Erziehung und des
Unterrichtes. Gestiftet war diese Brüderschaft von
Gerdt(Gerhard) Groot zuDeventerim Jahre 1371.
Kogelherren wurden dieselben vom Volke nach
ihrer Kopfbedeckung, der Kogel, cuculla, genannt,
sie selbst nannten sich „Untres communis vitae*.
Ihrer Bestimmung nach traten Kleriker und
Laien in einem besonderen Brüderhause zu-
sammen und suchten nächst der Sorge für die
eigene Seele und gegenseitiger Stärkung im
Glauben durch Forschen in der hl. Schrift, durch
das Studium der Kirchenväter, durch Verkün-
digung des göttlichen Wortes in der Landes-
sprache, durch christlichen Jugendunterricht, durch
Abschreiben und Verbreitung der Bibel, durch
ein vorleuchtendes Beispiel den Ausbau des
Gottesreiches auf Erden zu fördern. Arbeit und
*) S. Rommel, Geschichte von Hessen, 2. Th. S. 337.
331
Erwerb waren gemeinsam, keiner der Brüder
durfte betteln oder terminiren, oder geistliche
Pfründen besitzen, jeder mußte sich von seiner
Hände Arbeit nähren, und was einer verdiente,
gehörte dem Brüderhause und den Dürftigen.
Dadurch wurden aber diese Brüderhäuser nicht
blos Sitze eines stillen, ehrbaren und gottseligen
Lebens, sondern auch Stätten christlicher Bildung
und Wissenschaft, sowie der Unterweisung in
mancherlei Gewerben und Handarbeiten. In
weiterer Ausdehnung ihrer Wirksamkeit ertheilten
die Brüder vom gemeinsamen Leben nicht allein
in niederen Schulen mit frommem Sinn und bei
reinem Lebenswandel der Jugend Unterricht im
Lesen, Schreiben, Rechnen, der Religion u. s. w.,
sondern bildeten auch in höheren Schulen, be-
geistert für griechische und römische Literatur, die
Fähigen durch Wissenschaften und Sprachen,
namentlich durch das Studium der alten Klassiker
zu ausgezeichneten Männern aus.*) Landgraf
Ludwig gewährte den aus Münster berufenen
Kogelherren die Mittel zur Niederlassung in
Kassel und übergab ihnen 1454 die eingezogene
Besitzung des im Jahre 1391 wegen Aufruhrs
und Hochverraths Hingerichteten Bürgers Kunz
Seheweis, den s. g. Weißen Hof. In der „Con-
geries etlicher hessischer Geschichten", Kuchen-
becker, Analecta Hassiaca, Coli. 1 pag. 18,
heißt es:
„1454 Hat Landgraf Ludewig die behausung
zu Cassel, so Cunz Seheweis des Hingerich-
teten Bürgers gewesen, denen Kugelherru
gegeben, die haben ein Closter daraus ge-
macht und ist der Weissehoff."
Die Kogelherren entfalteten eine stille, der Bil-
dung für Frömmigkeit und Gottseligkeit gewid-
mete Thätigkeit und daß diese hinsichtlich ihres
bewährten Unterrichts sehr erfolgreich gewesen
sein muß, dafür spricht allein schon die That-
sache, daß zu Anfang des folgenden Jahrhunderts
vier Kasseler Bürgerssöhne zu gleicher Zeit an
vier verschiedenen Fürstenhöfen das Amt eines
Kanzlers bekleideten. —
Im Jahre 1429 unternahm Landgraf Ludwig
eine Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande
und 1450 wohnte er zu Rom der Feier des
vom Papste Nicolaus V. angeordneten großen
Jubeljahres bei. Vom Grabe des Erlösers
brachte er einen Splitter des heiligen Kreuzes
mit, der in einem silbernen Schreine der Ver-
ehrung der Gläubigen in der Kirche zu St. Martin
ausgestellt wurde. Und in Rom wurde ihm vom
Papste am Rosensonntage 1450 (15. März) die
*) S. Röth, Geschichte von Hessen, neue Ausgabe, be-
arbeitet von C. von Stamford, S. 130; Weber, Geschichte
der städtischen Gelehrtenschule zu Kassel, S. 8; vergl.
außerdem Kuchenbecker, Analecta Hassiaca, Coli. VII. 1.
goldene Rose und der Ehrentitel »krwoeps pack“
„Fürst des Friedens" verliehen. Ueber Ludwig's
Pilgerfahrt nach Jerusalem, wie über dessen
Wallfahrt nach Rom ist in dem trefflichen Artikel
des Herrn Majors C. v. Stamford „die Pilger-
fahrten des Landgrafen Ludwig I. und Wil-
helm I. von Hessen nach dem heiligen Grabe",
S. „Hessenland Nr. 12 vom 15. Juni", ausführ-
licher berichtet und brauchen wir hier blos auf
jenen Artikel zu verweisen.
Besondere Vorliebe hegte Landgraf Ludwig für
die Baukunst. Unter seiner Regierung entstanden
die Burgen zu Ludwigsau, zu Ludwigseck und
Ludwigsstein; letztere zur Sicherung des Werra-
thals gegen die fehdelustigen Ritter des Eichs-
seldes, namentlich gegen die von Hanstein er-
richtet, wurde unter dem Schutze eines Heer-
haufens in so kurzer Zeit aufgebaut, daß man
der Sage nach an Zauberei glaubte. Während
in Kassel die Errichtung der Wage (1404) und
des Rathhauses (1408) noch in die Regierungs-
zeit des Landgrafen Hermann des Gelehrten
fällt, erbaute Landgraf Ludwig u. a. das Kauf-
haus auf der Freiheit (neben der Martinskirche),
gleich dem Rathhause mit einem stark besuchten
Weinkeller verbunden, ferner das Hochzeitshaus,
der neue Bau genannt, an der Fulda, da, wo
jetzt der Stadtbau steht. Gesteigerte Privat-
Bauthätigkeit ist immer ein Zeichen des sich meh-
renden Wohlstandes und auch diese nahm unter
des Landgrafen Ludwig's Regierung von Jahr
zu Jahr zu. Die Bauten aus jener Zeit find
verschwunden, zumeist sind sie durch Menschen-
hände zerstört worden, um anderen Anlagen
Platz zu machen, nur ein Baudenkmal aus jenen
Tagen ist noch vorhanden — der Druselthurm,
erbaut 1415, der jetzt so fremdartig auf seine
Umgebung herniederblickt.
Im Jahre 1440 ereignete es sich, daß das
schlecht gemauerte Gewölbe der vom Landgrafen
Heinrich dem Eisernen um 1330 begonnenen,
durch die Ungunst der Zeit aber erst um 1357
zu einem gewissen Abschlüsse gelangten St.
Martinskirche, des hohen Domes unseres Hessen-
landes, einstürzte, wodurch viele Menschen ge-
tödtet und verwundet wurden. Die Wieder-
herstellung der Kirche war kostspielig. Es
wurden deshalb im ganzen Lande Gaben ge-
sammelt und mit diesem Geschäfte der Kanonikus
Matthias Theyß beauftragt, dem sich der vom
Judenthum zum Christenthum übergetretene ehe-
malige Rabbi Leonhard von Schweinfurt anschloß.
Dieser war nach seinem Uebertritte vom Papste
Martin V. und der Kirchenversammlung zu
Basel mit Ertheilung von Ablaßbriefen betraut
worden, kam auf seinen Reisen auch nach Hessen
und erwarb sich wegen seiner ärztlichen Kennt-
332
nisse das Vertrauen des Landgrafen. Er wandte
den Ertrag seiner geistlichen Vergünstigungen der
St. Martinskirche zu, und so konnte mit den
weiter eingegangenen Gaben die Wiederherstellung
des Domes in Angriff genommen und ausgeführt
werden. In dem oben angeführten „Congeries“
heißt es:
„1440. Als an dem Gebäude der St. Mar-
tinskirche zu Cassell das gewoelbe nieder-
gefallen, welches etliche Personen todt ge-
schlagen und viele Leute verlähmt, ist ein
Jude, welcher ein Rabbi gewesen, der hatt
sich taufen lassen, derowcgen ihm pabst
Martinus aus gnaden einen brief gegeben,
daß er alles verkausfen moege. Dieser Jude
hieß Meister Leonhard von Schweinfurth,
war ein arzt. Landgr. Ludwig lies ihn
deshalbe kommen, daß er geld die kirche zu
erbauen durch den alles zusammenbracht."
Dem schließt sich in der „Congeries“ noch fol-
gende Notiz an:
„1441. Ist die große Glocke zu Cassel auf
dem Altstaetter kirchthum gegossen, ward
genannt OsanllL, als die kirche Hernachmals
abgebrochen, ist dieselbe auf den freyheiter
Thurm gehangen und wird zur uhr und
sturmglocke gebraucht. Ist 3'/« Ehlen weit."
Wir bemerken hier, daß die alte Osanna der
Martinskirche zu Ende des Jahres 1818 in der
Stück- und Glockengießerei des Stückgießers Georg
Carl Henschel hier in Kassel eingeschmolzen und
in die jetzige größere und schönere Glocke um-
gegossen worden ist, welche am 1. Januar 1819
zum erstenmal mit ihrem Geläute die Gemeinde
zur Kirche rief. (Vergl. Piderit, Geschichte der
Stadt Kassel, in erweiterter Auflage heraus-
gegeben von I. Hoffmeister, Anm. S. 68.)
Besondere Sorgfalt widmete Landgraf Ludwig
dem Münzwesen. Er regelte daffelbe nach dem
Beispiele der rheinischen Kurfürsten und in Ueber-
einstimmung mit dem Hause Sachsen. Gewicht
und Gehalte der Marken wurden genau bestimmt
und zur Beförderung des kleineren Verkehrs
wurden damals schon die geringwerthigen Münz-
sorten: Groschen, Weißpfennige, halbe Weiß-
pfennige, Heller geprägt, die sich bis in das ge-
genwärtige Jahrhundert erhalten haben. —
In unserem nächsten Artikel, dem Schlußartikel,
werden wir uns mit Landgraf Ludwig in seiner
Eigenschaft als Staatsmann beschäftigen,
folgt.)
llrichstein im Wogelsberg.
Von Dr. August Dorschen.
m Vogelsberg, unweit der Quelle der Ohm,
ragt ein gewaltiger Basaltkegel empor, aus
dem wir das kleine Gebirgsstädtchen Ulrich-
stein finden. Noch über diesem Orte erhebt sich
der 640 Meter hohe „Schloßberg", von dem wir
eine entzückende Fernsicht auf den übrigen Vogels-
berg, auf Taunus und Rhön genießen. Doch
nicht nur um dieser Fernsicht willen besuchen wir
den Schloßberg von Ulrichstein. Mehr noch
zieht uns die geschichtliche Bedeutsamkeit dieses
Berges an, auf dessen Gipfel einst eine gewaltige
Feste prangte. Nur noch geringe Reste von
Mauern und Kellergewölben sind vorhanden;
doch selbst diese wenigen Spuren zeugen noch von
der einstigen bedeutenden Ausdehnung und Festig-
keit dieses Schloffes.')
Mehr, denn sechs Jahrhunderte, bis in die Zeit
der Gründung unseres Fürstenhauses führt uns
die Geschichte zurück.
') Eine genaue Beschreibung der einstigen Anlage
dieses Pergschlofses liefert uns Landau: Hessische Ritter-
burgen, IV, 10!) ff. —
Zum ersten Male wird Ulrichstein urkundlich
genannt 1279, in welchem Jahre Ritter Johann
und Mengoz von Merlau mit „Gerlach, dem
edlen Herrn, gen. Neitz von Bruberg" einen Ver-
gleich schließen und demselben ihr Schloß öffnen
gegen alle Feinde, den Landgrafen ausgenommen.
Unter den Zeugen dieses Vergleichs finden wir
einen Loäo svnltetus äs Illriolisteins. Wir sehen
in dieser Urkunde das feindselige Verhältnis des
Landgrafen Heinrich I. von Hessen gegen
einzelne Ritter ausgesprochen, mit denen derselbe
wegen derer Räubereien in vielfache Fehden ver-
wickelt wurde. So sehen wir denn auch diesen
„Enkel der heiligen Elisabeth" im Jahre 1293
das Raubschloß zu Ulrichstein zerstören.')
Nach einer drei Jahre späteren Urkunde, vom
4. Juli 1296, vergleicht Kaiser Adolf den
’) Ueber die Zerstörung dieses Raubschlosses, mit dem
noch dasjenige von Petershain fiel (woran noch heute der
„Petershainer Hof", */4 Meile in südwestlicher Richtung
von Ulrichslein gelegen, erinnert) vgl. Landau, a. a. O.
110, sowie Schmincke, Mon. Hass. II, 434. —
333
Landgrafen Heinrich von Hessen und seinen Sohn
Heinrich, der sich gegen den Vater aufgelehnt
hatte, rücksichtlich der Teilung ihrer Lande dahin,
daß Landgraf Heinrich der Jüngere auf das Teil
zu Hessen Verzicht leiste, dagegen das Teil zu
Marburg, Grunenberg nebst dem Wald zu
Ulrich st ein, Geyzen, Merlowe, Hohenburg, rc.
haben soll (vgl. Kuchenbecker, Anal. Hass. VIII).
Daß die zerstörte Burg jedoch bald wieder
aufgebaut wurde, ersehen wir aus einer Urkunde
vom 8. Dezember 1343. Nach diesem Dokument
nämlich verleihen Landgraf Heinrich II. von
Hessen („der Eiserne") und sein Sohn Otto
(„der Schütz") dem Heinrich von Eyssenbach
ihr Erbmarschallamt und dazu das Haus
Ulrichesteyn, das Johann von Eyssenbach gebauet,
mit dem Gerichte zu Babinhuß und (die Wüstung)
Wolfoldishain (vgl. Kuchenbecker, Hessische Erb-
hofämter). Von besonderer Bedeutsamkeit ist
auch eine vier Jahre spätere Urkunde. Hiernach
verleiht Kaiser Ludwig dem Heinrich von
Eyssenbach, dem Marschall seines Schwagers, des
Landgrafen Heinrich von Hessen, für seine Feste
Ulrichstein, die er mit Mauern und Graben
umfaßt hat, die Rechte und Freiheiten der Reichs-
Stadt Friedberg, einen Wochenmarkt auf jeden
Donnerstag, sowie auch das Recht, in gedachter
Stadt 6 Juden zu halten (vgl. Wenck, H. U.
B. 367).
Noch gegen das Ende dieses Jahrhunderts
fiel Ulrichstein an den Landgrafen Hermann
von Hessen („den Gelehrten"). Nach einer
Urkunde aus dem Jahre 1397 erneuert der Land-
graf Hermann denen von Eyssenbach den Brief
über den ihnen zustehenden Zoll zu Grünberg,
erklärt dagegen alle früheren Briefe für ungültig;
die Briefe über Felda, Babenhausen und Ulrich-
stein sollen dagegen gültig, und die von Eyssen-
bach im Besitze der von Ludwig von Romrod
erworbenen Güter bleiben (vgl. Landau, Hessische
Ritterburgen III.) Im folgenden Jahre ver-
zichtete sodann Bernhard von Eyssenbach dem
Landgrafen Hermann gegenüber auf alle seine
Ansprüche auf Ulrichstein, behielt jedoch seine
Burgmannslehen allda, sowie noch zu Grünberg
und Altenburg (vgl. Landau, a. a. O.).
Aus dem 15. Jahrhundert müssen wir eine
Urkunde des Landgrafen Ludwig I. von
Hessen („des Friedfertigen") hervorheben.
Im Jahre 1415 verlieh derselbe dem Eberhard
Schenk von Schweinsberg die Amtmannschaft
über den Rodensteinischen Theil von Schotten,
owie über Ulrichstein auf 3 Jahre (vgl. Arch.
. Hess. Gesch. I, 1,145). (Dieser Landgraf ist
derselbe, der im Jahre 1440 von den deutschen
Fürsten zum' Kaiser gewählt wurde, diese
Krone jedoch ausschlug, um seinem Volke Ruhe
und Frieden zu sichern. Bei Gelegenheit des
großen Jubelfestes zu Rom im Jahre 1450
überreichte ihm, als dem weisesten Regenten der
Zeit, der Papst Nikolaus der V. die geweihte
goldne Rose mit dem Titel prinoeps pacis.) *)
Eine Urkunde von 1528 meldet uns, daß
Landgraf Philipp von Hessen dem Hermann
von Riedesel „Schloß. Behausung. Flecken und
Amt Ulrichstein" nebst den Gerichten Felda und
Babenhausen verpfändet, jedoch mit Ausnahme
der hohen und niederen Jagd in den beiden
Gehölzen der „Hylperheyner Struth" und zwar
für 6000 fl.
Nach dem Tode des letztgenannten Landgrafen
fiel Ulrichstein den Grafen von Dietz zu.
Die rechtmäßigen Söhne Philipps, Landgraf
Ludwig III. („Testator") und Georg I.
! „der Fromme") machten jedoch der Mißwirt-
chaft dieses Geschlechtes ein baldiges Ende, indem
re 1570 ihre Burg eroberten und den unwürdigen
Grafen Christoph Ernst - gefangen setzten. Im
Jahre 1577 fiel sodann Ulrichstein an Ludwig III.,
nach dessen Tod aber (1604) an Heffen-Darmstadt.
Schwere Leiden brachte dem Amte Ulrichstein
der dreißigjährige Krieg, insbesondere der
Sommer des Jahres 1622. Bereits im Jahre
vorher hatte Christian von Braunschweig
mit einem Heere von gegen 20,000 Mann den
Durchzug durch Hessen versucht, um sich am
Rheine mit dem Heere des Grafen Mansfeld zu
vereinigen. Amöneburg war genommen und der
„tolle Christian" stand bereits im Busecker Thal.
Hier wurde er jedoch am 20. Dezember 1621,
Mischen Alten- und Großen-Buseck, von den
vereinigten hessen-darmstädtischen, spanischen und
bayerischen Truppen geschlagen und zum Rück-
züge nach Westfalen genötigt (vgl. Theatr. Europ.
I, 555 ff). Im Juni des folgenden Jahres brach
er jedoch wieder in Oberhessen ein. Sein Kriegs-
volk hauste entsetzlich. Auch Ulrichstein wurde
hart betroffen. Ein Johann Kayßer (dessen
Grabmal wir in der Kirche dieses Städtchens
finden) hat uns eine genaue „Designation 2) der
') Daß übrigens dieser Fürst, wo es nötig war, auch
das Schwert zu führen verstand, zeigt die Schlacht von Groß-
englis, wo er kaum 2- Zahre alt am 23. Zuli >427 einen
vollständigen Sieg über das an Zahl weit überlegene
Heer des stolzen Erzbischofs von Mainz erfocht.
Nach einer zündenden Ansprache an seine Scharen stürzte
er sich mit dem Rufe: „„Heute Landgraf oder keiner mehr!
Und wer ein getreuer Hesse sein will, der folge mir!""
auf die feindliche Menge. — Vgl. hierzu u. A. daS „Hes-
sische Ehrenbüchlein," Kassel 138> in der Hofbuchh. v.
Klaunig ersch., S. 33—34.
*) Wir geben hier einen kleinen Auszug dieses Doku-
mentes:
„„Ulrichstein. Caspar Steuernageln, haben sie ge-
fangen gesühret, Ihm Schrauben angelegt. Ihm die Füße
aufgeschnitten vnd fünften Jämmerlich gepeinigt, nuhrn geldt-
334
Marter vnd Pein, auch onzimlicher Worte, So
das Halberstadische Kriegsuolck resxioitius ann
etzlichen meinen amtsbevolenen gevbet vnd geredt",
Signathum Ulrichstein, den 22. Julh Anno
(1) 622, hinterlassen. Professor Philipp Dieffen-
bach hat diese Urkunde, die ein würdiges Gegenstück
zu jener bekannten Erzähluttg des Simplicissimus
gebens halben. Sein Caspars weih haben sie gebrennet
vnnd darnach bis auf den todt geschlagen. Caspar Ruln,
Rachsperson, vnnd sein Weib haben sie gebrennet, ge-
schlagen vnnd gegurgelt, vnd ist er an einer Halsgeschwulst
Kurtzhernacher ohne Zweifel von gemeltem gestorben. Heintz
Gudenhain einen alten Rathsgenoßen, haben sie geldt-
gebens Halben durch einen arm geschossen«, darvon er in
wenigen Tagen hernach gestorben. Conradt Aßmußen
haben fie geldtgebens halben erschoßenn. Henrich Beckers
witibe haben sie geldtgebens halben bis vff den todt ge-
schlagen vnnd gar Jämmerlich gemartert, ist fast ein achtzig
jähriges weib. re. re."" —-
bietet, im 5. Bande des Hess. Arch., Heft I, IV,
S. 95 ff. veröffentlicht.
Auch im siebenjährigen Kriege spielte
das feste Bergschloß Ulrichstein eine bedeutende
Rolle. Wiederholt war es Zeuge höchster Tapfer-
keit unserer Landsleute. Besonders in den letzten
Jahren dieses Krieges bildete das Ohmthal den
Schauplatz blutiger Kämpfe. ')
9 Wir folgen hier hauptsächlich dem klassischen Werke
von Renouard, Geschichte des Krieges in Hannover,
Hessen und Westfalen von 1757—1763, 3 Bände, Kassel
,863—1864 (Ueber diesen verdienstvollen Schriftsteller
vgl.Nr. 2 des,Hessenlandes/S. n—12). —Außer-
dem müssen wir hier noch nennen ein kleineres, aber treff-
liches Werk: „Der siebenjährige Krieg der Hannoveraner
und Hessen, Celle 1883," sowie noch eine andere, nicht
minder treffliche Schrift: „Ein Dutzend Gedichte aus
hessischer Kriegs-Geschichte. Mit erläuternder Schilderung
der Begebenheiten und begleitender Umstände, Melsungen
1879/ —
folgt.)
Kilöer aus Wessen.
Von Ludwig Mohr..
Der Windisch-GrStz kömmt!
„Himmelwetter! Ich meine, ich müsse Sie
im Leben mehr als einmal gesehen haben!"
Mit diesen Worten redete mich ein Forstmann
an, welcher aus dem nahen Busche am Hange
des Meinhardt's getreten war und sich mir
näherte, der ich mich, müd vom Aufstieg, an dem
Stamm einer breitästigen Buche gelagert hatte
und von diesem Auslug die liebliche Fernsicht
in das Werrathal zu meinen Füßen genoß.
„Entschuldigung, mein Herr, Sie sind doch nicht
von Homberg? — sind----------"
Ich nannte meinen Namen und ergänzte lachend:
„Und Du, gelt Fuchsen — verzeih den Spitz-
namen — Fuchsen---------"
„Galina; sprich nur aus! Wozu die Umstände!
Erinnern uns doch gerade die Spitznamen mehr
als alles Andere an die frohe Kinder- und
Burschenzeit. Ich glaube es sind dreißig Jahre
her, daß wir uns nicht sahen. — Ja, ja, man
wird alt; Dein Scheitel hat sich merklich ver-
breitert, und mein Haar ist kitzegrau geworden."
Noch während er diese Worte sprach, stellte er
ein Jagdgewehr neben an die Buche und ließ
ich zu mir in das Waldgras nieder, und nun
Bes an ein Fragen und Erzählen, das uns
en so sehr behagte, daß wir nicht merkten,
wie die Sonne immer tiefer sank und sich all-
gemach den Umrißen des Meißner näherte.
Erst als ihre Strahlen die Baumwipfel um
uns her vergoldeten, mahnte das, im Thale sich
geltend machende Dämmerlicht. zum Aufbruch.
Noch mußte ich meinem Landsmann versprechen,
ihn zur Kirmeß in seinem Walddorse zu besuchen,
dann trennten wir uns; er verschwand auf dem
Fußsteig seitlich im Gebüsch, und ich trat auf
dem Waldpfad, der mich hergeführt, die Nieder-
fahrt vom Berge an, um vor vollständiger Dun-
kelheit zu Hause in Eschwege zu sein.
Auf dem Heimwege aber beschäftigte mich der
Spitzname meines Landsmanns, Galina, und rief
ein Bild aus meiner Jugendzeit in mir wach,
das ich in den nächstfolgenden Zeilen kurz zeich-
nen will.
Es war in dem aufgeregten Jahre 1848.
Robert Blum fiel am 9. November in der Bri-
gitten-Au zu Wien durch die Kugeln stehrischer
Jäger dem Rachegerichte des Fürsten Windisch-
Grätz zum Opfer. Nie hat wohl eine Nachricht
das Deutsche Volk mehr aufgeregt, als die Kunde
von dem Tode des Freiheitsmannes. Namentlich
legten davon die Todtenfeiern Zeugniß ab, die
man zu Ehren des großen Volkstribunen in
Stadt und Land in Scene setzte. Aber „wie vom
Erhabenen zum Lächerlichen oft nur ein Schritt
ist", zeigten oft gerade diese, so die in meiner
Vaterstadt Homberg.
Dort war der' Veranstalter der Führer der
335
auf dem äußersten Flügel der demokratischen
Partei stehende Schuhmachermeister Heinrich
Gundlach, ein offener Kopf, der von Natur aus
mit allen den Eigenschaften ausgerüstet war, die
man an einem Volksführer vorauszusetzen pflegt.
Er war stattlich von Gestalt und überragte, wie
Saul, das Volk um eine Kovfshöhe. Dunkel
brannten seine Augen unter der weißen, von
dunkelem Lockenhaar umrahmten Stirn und
schoflen Blitze im Feuer der Rede. Diese war
fließend, überzeugend und zündend bei der Menge,
der er durch Wissen und Weltkenntniß Be-
wunderung abnöthigte.
Es war an einem Sonntagnachmittage und
ein prächtiges Wetter. In dichten Gruppen stand
das Landvolk der Umgegend von Homberg auf
dem Marktplatz, des Dinges gewärtig, das ihm
die großen, rothen Zettel, welche feit Tagen die
Gundlach'schen Sendboten in den Dorffchenken
verbreitet, in Aussicht gestellt hatten. Jetzt, wo
die letzte Choralstrophe von der nahen Kirche
herüberschallte und das Ende des Nachmittag-
gottesdienstes veMndete, schlürften auch die
Homberger rascher ihren Kaffee und eilten groß
und klein, reich und arm, Männlein wie Fräu-
lein herbei und wuchs die Zufchauermenge von
Augenblick zu Augenblick. Aller Augen aber
waren neugierig nach dem Schilde an dem Hause
über der Löwen-Apotheke gerichtet, das eine
goldene, strahlende Sonne zeigte.
Mit dem ersten der langgezogenen Glockenschläge,
welche die drei Uhr vom Rathhause und ihnen
nach vom hohen Kirchthurme verkündeten, öffnete
sich die Thür des Gasthauses „Zur goldenen
Sonne," und ein schwarz behangener Leiterwagen,
der von zwei mageren Gäulen gezogen wurde,
fuhr vor demselben vor. Das Kopfzeug der
Pferde war mit schwarzen Schluppen und langen
flatternden Atlasbändem ausgeputzt, ebenso
schmückte eine schwarze Quaste die Spitze von dem
Peitschenstiele des Fuhrmanns, der in schwarzem
Sonntagsrocke neben den Gäulen herfchritt.
In dem Augenblicke, als der Wagen vorfuhr,
wurden zwei handfeste Bursche in der Wirths-
hausthürsichtbar, die einen Dritten, deffenAeußeres
sonderbar genug gegen die beiden abstach, zu dem
Wagen zu geleiten und ihn auf den Brettersitz
desselben zu postiren schienen; denn er war von
der Zipfelmütze bis zu den Füßen in Weiß ge-
kleidet, die Troddel der Zipfelmütze nur warschwarz
und das Wams über die Brust mit schwarzen
Schluppen statt der Knöpfe besetzt, während die
Beiden ihre schwarze Sonntatzskleidung trugen.
Nicht sobald hatte man den, einen Armensünder
travestirenden Strohmann, denn als solcher hatte
sich derselbe -entpuppt, auf den Sitz befestigt, als
sich ein Mann in einem altfränkrschen Mantel,
der talarähnlich zugestutzt war, mit einem Drei-
spitz auf dem Haupte, unter dem Kinn zwei
übergroße Bäffchen, wie sie die protestantischen
Geistlichen zu tragen pflegen, und einen langen
Hirtenstabe in der Rechten neben ihn schwang.
Es war das der Schäfer Mehlberg aus dem
nahen Hüttendorfe Holzhausen, der den Spitz-
namen der „Parr" wegen des Redeflusses führte,
den er bei Neujahrsgratulationen und anderen
derartigen Gelegenheiten bethätigte. Sofort schien
er den Armensünder unter dem endlosen Jubel
der Menge in das Gebet zu nehmen.
Jndeflen setzte sich der Wagen nach dem Markte
hin in Bewegung. Ihm folgten paarweise, wie
es bei den dortigen Leichenbegräbnissen Herkommen
ist, die Leithämmel der Homberger Opposition:
der stattliche Gundlach, der untersetzte Lohgerber-
meister Jckler und der kleine Putzel-Stern, ein
körperlich vernachlässigtes, aber desto giftigeres
Männlein, seines Zeichens Held der Nadel und
Scheere, denen sich die übrigen Gesinnungstzenoflen
anreihten, ohne Unterschied in schwarzen Feiertags-
kleidern und den sowenig volksthümlichen Angst-
röhren, die meistentheils fuchsig und eine Muster-
karte aller erdenklichen Moden mehr denn eines
halben Jahrhunderts abgegeben hätten.
Langsam bewegte sich der Zug durch die, ein
Spalier bildende Menge. Der „Parr" spielte
seine Rolle in einer, die Neugierigen belustigenden
Weise immer bester. So kam man über die
Mitte des Marktplatzes hinaus, da schien der
verstockte Sünder dem geistlichen Zuspruch nicht
mehr pariren zu wollen, denn zornig erhob sein
Begleiter den Krummstab und drohte in nicht
mitzzuverstehender Weise. Vergebens! Da —
wer will es dem priefierlichen Zorne solcher Ver-
stocktheit gegenüber verargen? — sauste der
Stab durch die Luft, fiel auf den Nacken des
Deliquenten hernieder und — schlug dem Stroh-
mann das Haupt von dem Rumpfe, daß es
über die Leitern des Wagens flog und unter
deflen Räder rollte. Der „Parr" machte
ein verblüfftes Gesicht, und ein donnerndes
Hurrah lohnteseinerUngeschicklichkeit. Verlegenheit
aber malte sich auf den Angesichtern Gundlach's
und seines Stabes; schien der Demonstration
damit doch ein klägliches Fiasko bereitet. —
Da — im kritischesten Augenblicke — stand mit
einem Male ein windiges, geschniegeltes und ge-
bügeltes Bürschchen, den Armensünderkopf unter
dem Arm, auf den Wagen, als hätte ihn der
Wind darauf geblasen, schlug mit Leichtigkeit und
Fingerfertigkeit, die nur einem Schneider eigen
sind, das helle havanabraune Röckchen auseinander,
entnahm der Innenseite Nadel und Faden, im
Nu saß der Kopf wieder an seiner früheren Stelle
und mit einer leichten Verbeugung schwang sich
336
der junge Mann wieder über die Leitern auf die
Erde. Das Volk aber ehrte ihn mit dem end-
losen Rufe: „Vivat, Galina!"
Nach dieser glücklichen Wendung ging der Zug
wieder langsam weiter, seinem Ziele zu, die
Westheimerstraße entlang und nach dem nahen
Stellberge, einem mäßigen Hügel, an dessen
sterilem Südhange ein Galgen errichtet war. Hier
hielt der Wagen, und es nahmen um denselben
zunächst in einem Kreise die Mitglieder des
Zuges Stellung und rundum dann die gewiß
viertausend, wenn nicht mehr Köpfe zählende,
neugienge Menge.
Nun batte man zunächst Gelegenheit, Gund-
lach's Redetalent zu bewundern und zu vernehmen,
daß durch den Strohmann Niemand anders als
dem Mörder Robert Blum's, dem Fürsten Win-
disch-Grätz die Ehre einer Hinrichtung in 6ffigie
zugedacht sei. Daß diese feurige, an Schlag-
wörtern der Zeit überreiche Ansprache ihre Wirkung
nicht verfehlte, das bezeugte der Beifallssturm,
der ihr lohnte. Als die Ruhe zurückgekehrt war,
erhob sich der „Parr" auf dem Wagen, und
während dem Deliauenten kunstgerecht die Schlinge
um den Hals gelegt und er von der Leiter ge-
stoßen wurde, hielt er demselben eine Leichenrede.
Nie ist wohl fließender und mit wahrhaftem
Kanzelpathos, Gallimathias an Gallimathias
gereiht, gehört worden, als in der, eine Halbe-
stunde dauernden zungengymnastischcn Leistung
dieses Salbaders, die mit dem Reime schloß:
„Ja, die jungen Raben
Sollen sich an deinem Fleische nicht labe»,
Ähr Jungen, steinigt ihn!"
Dieser Schluß wäre wohl, wie der andere,
blühende Unsinn, meinem Gedächtnisse spurlos
entschwunden, wäre er nicht nahezu Ursache ge-
worden, daß das komische Trauerspiel blutig
geendet hätte; denn der jugendliche Janhagel
liest sich nicht zwei Mal zu einem derartigen
Privatvergnügen einladen, haschte am Boden
nach Steinen und war ernstlich gewillt, ein
Bombardement zu versuchen. Aber vor allem
Dank dem Boden, der nur kleines, erbsengroßes
Gerölle bot, und dem Bemühen Gundlach's kam
die enggeschuarte Menge, in der kein Fehlwurf
verloren gegangen wäre, ohne blutige Köpfe nach
Haus, und statt der Steinigung gab es ein lustiges
Autodafe. —
Eines drolligen Intermezzos muß ich noch
Erwähnung thun. Man hatte dem Deliquenten
ein Paar feingewichste, guterhaltene Stiefeln mit
auf den letzten Gang gegeben. Diese mit zu
verbrennen ging dem, in der Nähe weilenden
Homberger Flurschützen über die Hutschnur, er
suchte sie heimlich über die Seite zu bringen,
ward aber dabei erwischt, vom „Parr" in kurzer
Rede mit dem König Saul verglichen, der sich
an dem Verbannten vergriffen habe und------------
sein Rücken mußte büßen, daß er es gewagt,
die heilige Volkssache durch Mauserei bei ihren
Feinden zu verdächtigen.
Mit dieser Buckelwäsche endete die große
Todtenfeier Robert Blum's aus dem Stellberge.
Die Ehre des Tages aber blieb Galina, und
noch lange nachher meinte der Volkswitz , er sei
der einzige Deutsche gewesen, der in Wirklichkeit
dem Henker Robert Blum's den Kopf zurecht
gesetzt habe. —
Zwei Jahre gingen über diesen Vorfall hin.
In Kurheffen stand der Verfaffungskampf in
voller Blüthe, und es war dahin gekommen,
daß die Stände die Steuern verweigert hatten,
und der Bundestag in Frankfurt a/M die
Exekution gegen die Steuerverweigerer auf An-
trag des Landesfürsten und seines leitenden
Ministers Hafsenpflug beschloß. Bayern und
Oesterreicher hatten seit einiger Zeit die Grenzen
des Landes überschritten.
Um diese Zeit hielt eines Abends Gundlach
eine seiner Versammlungen in der Wirthschaft
zum Kloster St. George ab, die am Fuße des
Berges liegt, an welchen sich das Städtchen lehnt,
nahe der von Hersseld herüber führenden Land-
straße. Es war um die Zeit, wo die Lichter
angezündet werden, und Gundlach befand sich
im besten Fluffe seiner Rede. Mit einem mal
wurde die Thür aufgerissen, und in derselben er-
schien — weiß wie die Tünche der Wand —
Galina und rief dem Redner athemlos zu: „Der
Windisch-Grätz kömmt!"
Der Ruf machte den Redner verstummen,
leichenstill ward es in dem großen, geräumigen
Zimmer, und als im nächsten Augenblicke der
kriegerische Klang rasselnder Trommeln von der
Landstraste herüberdröhnte, griff Alles nach Hut
und Mütze, und die Gaststube war im Nu wie
gekehrt.
Die Hiobspost schien in der That begründet
zu sein. Eine Colonne von Bayern und Oester-
reichischen Jägern rückte in das Städtchen ein,
und der Führer nahm Quartier im Gasthause
zu Stadt Frankfurt, in besten Nähe die Gund-
lach'sche Behausung sich befand.
Der Zufall wollte es, däß der Führer noch
desselben Abends nach einem Schuhmacher ver-
langte, und daß Gundlach von dem Gasthofbe-
sitzer aus nachbarlichem Wohlwollen empfohlen
wurde. Der Hausbursch aber, den er absandte,
um jenen herzubescheiden, fand ihn nicht zu
Hause; er sei verreist, wurde ihm gesagt.
Acht Tage lang sah man Gundlach nicht, acht
Tage ging es im Städtchen von Mund zu Mund,
der Führer der Exekutions-Kolonne sei Windisch-
337
Grätz, wenn auch nicht der Mörder Robert
Blum's, so doch der Sohn desselben. Kaum
aber war es bekannt, daß das Gerücht blos von
einem müßigen Spaßvogel herrühre, da erschien
auch Gundlach wieder. Er gab vor. er habe
eine unaufschiebbare Reise vorgehabt, aber Nie-
mand war da, der ihm Glauben schenken wollte,
und noch lange uzte man ihn mit einem gewissen
Gartenhäuschen, worin er sich bei der vorgerückten
Jahreszeit eine rothe Nasenspitze geholt habe.
Er ist später vor der hereinbrechenden Reaktion,
besonders der geistlichen, die ihm an dem Zeug
flicken wollte, nach Kalifornien ausgewandert.
Auch Galina schwand seit jenem Abend von
der Homberger Bildfläche. Er war nach Kaffel
gereist, hatte sich in das Jägerbataillon aufnehmen
lassen, und da es ihm dort gefiel, um eine
Versorgung gedient. Ob er wohl jetzt, wenn er
einsam durch die Forsten streift, sich jener Todten-
feier noch erinnert?! Jedenfalls, das weiß ich be-
stimmt, bereut er nicht, Windisch-Grätz den Kopf
zurecht gesetzt zu haben; ist er doch mit seinem
Geschick zufrieden, und war jene Operation die
erste Ursache, daß ihm ein freudigeres Loos im
Leben fiel.
■Hfc-Sr-
Da« Hessendenkttml;tt Frankfurt a./M.
2. December 1792.
Euch grüß' ich in Ehrfurcht Ihr tapferen Hessen,
Die siegend Ihr fielet gen gallische Macht!
Daß Euer nicht werde je später vergessen.
Deß nahm Preußens König hochherzig Bedacht.
Schuf Er doch ein Denkmal zu Euerer Ehre,
Das stolz sich erhebt auf der Wahlstatt am Main,
Wo stürmend Ihr rieft mit gefälltem Gewehre:
»Den Tod dem »»Custinus""! Ja tot muß er sein!"
Als einziges Zeichen für hessische Krieger
Stehst Denkmal du da, von Epheu umrankt.
Wie oft auch Ihr Braven gekämpfet als Sieger,
In Erz noch in Marmor ward nie Euch gedankt.
Im Lande des Colon, an Schottlands Gestaden,
In Holland, Morea, da habt Ihr bewährt
Althessische Treue als tapfre Soldaten
Im blutigen Streit, der Bewunderung werth.
Sie konnt' auch der Corsische Held Euch nicht wehren,
Als stüchtend gen Frankreich am Denkmal er stand;
»Man halt' auch den Feind, wenn er tapfer, in Ehren" !
So sprach er und schützt' es vor frevelnder Hand.
So ruht denn in Frieden, Ihr wackere» Streiter,
Von Eueren Müh'n bis zum großen Appell!
Es verstummt, was ersannen die hämischen Neider,
Bor Eueren Thaten, so strahlend, so hell!
Schwank.
Ans der Höste.
Gleich wie der Aar mit kühner Schwinge
Empor zur Morgenröthe steigt,
Bis sich ihm dort in Wolkennähe
Der Erde ganze Schönheit zeigt; —
So schwingt sich auch im hehren Fluge
Mein Lieben über Berg und Thal,
Empor zu Dir. Du morgenheller,
Du meines Lebens Sonnenstrahl!
Und dort, in Deines Glanzes Fülle,
Wo all des Trübsinns Nebel fällt,
Da seh' ich erst mit trunknem Auge
Die ganze Schönheit dieser Welt!
Kathaty ». chschstruth.
Aus alter und neuer Zeit.
— Inserviendum Tempori. (Man muß
sich in die Zeit schicken.) Noch in keinem Jahre hatte
am Fastnachtstage in Kassel ein so munteres, reges
Treiben in den Straßen der Stadt geherrscht und
waren so viele Lustbarkeiten aller Art veranstaltet, als
in dem für Napoleon und in Folge davon auch für
den westfälischen König so verhängnißvoll gewordenen
Jahre 1812.
Besondere- Aufsehen erregte ein nach Pariser Sitte
veranstalteter Aufzug der Metzgerzunft, welche unter
Borantritt eines Musikkorps einen reich mit Bändern
geschmückten fetten Ochsen durch die Straßen der
Stadt führte und dann dem Königspaare zum Ge-
schenk machte. Allerhöchst Dieselben geruhten dieses,
wie der Moniteur berichtete, mit jener alle Herzen
mit Liebe und Treue erfüllenden Güte anzunehmen.
338
Dabei wurde den Majestäten von dem Zunft-
meister folgendes Gedicht überreicht.
Freude herrscht in Kassels Hallen,
Freude in des Volkes Brust,
Jubeltöne hört man schallen
Zu der schönen Fastnachtslust.
Und nach hergebrachter Sitte
Wallet fröhlich Schaar auf Schaar,
Selbst aus armer, niedrer Hütte
Bringt die Freud' ihr Opfer dar.
Vater, König! freudig schlagen
Unsere Herzen nur für Dich
Doch mit Worten dies zu sagen,
Mühen sie vergebens sich.
Wenn die Brust von Lieb erfüllet
Für den besten König schlägt,
Sie die Wonne gern enthüllet,
Die sie trunken in sich trägt.
Um des heutigen Tages Freuden
Schön und festlich zu erhöhen,
Hatte Pan von seinen Weiden
Auch ein Opfer ausersehen.
Doch wir opfern unsere Herzen
Euch erhab'nem Königspaar,
Und der Freude Flammenkerzen
Lodern auf dem Dankaltar.
An Gedichten ähnlichen Inhalts hat es während
der sieben Jahre der westfälischen Herrschaft zu keiner
Zeit gefehlt; kaum aber waren die Franzosen abge-
zogen, als auch zahlreiche Flugblätter erschienen,
welche mit Recht die in solchen Gedichten ausgesprochene
undeutsche Gesinnung auf die schärfste Weise rügten und
verspotteten. So z. B. folgendes Gedicht mit der
Ueberschrift:
Der Lhrf -ev deutsch-französischen Lande.
Ihr lieben Freunde höret an!
Ich habe was zu sagen:
' Es hat sich viel und mancherlei
Bei uns jetzt zugetragen.
Inserviendum Tempori!
Das lernt ich in der Jugend,
Den Mantel hänget nach dem Wind!
Das ist die erste Tugend.
So lange Sr. Exellenz
Der Graf Marienrode
MstLoäies die Bürger schund,
Da macht ich manche Ode.
Er machte mich und manchen Wicht
Zu Rittern von'der Elle;
Auch saß ich wie ihr alle wißt,
So ziemlich an der Quelle.
Die Katzenpfoten konnt ich da
Oft tückisch appliciren,
Und doch dabei den Biedermann
Stets klüglich simuliren.
Selbst jenes Fürsten schont ich nicht,
Der ehdem mich gehoben,
Frech lästert ich sein deutsches Thun
Anstatt ihn hoch zu loben.
Jetzt aber nehmt die Larve vor
Und spielt die Patrioten!
Machts so, wie meine Wenigkeit,
Zieht ein die Katzenpfoten.
Ich wette tausend gegen eins
's wird sich ein Aemtchen finden,
Dann sind wir wieder hagelweiß,
Vergessen unsere Sünden.
N.-L.
Es ist kein erfreuliches Bild, das uns in obigem
Artikel „loeervieväum tempori" vor die Augen
tritt, wir können aber gottlob demselben aus der Zeit
der für unser engeres Vaterland so verhängnißvollen
Fremdherrschaftgleichem lichtvolleres Bild entgegenstellen,
ein Bild, das das Herz erwärmt und den Muth
stärkt, und zu diesem Bilde liefert uns Stoff und
Farbe die Erinnerung an den feurigen deutschen
Patrioten, den unbeugsamen Kämpfer für Recht und
Wahrheit Ludwig Schwarzenberg den „Mann ohne
Furcht und Tadel", wie ihn seine Mitbürger nannten,
dessen hundertjähriger Geburtstag auf
den 2 7. November fiel und den nun seit dreißig
Jahren die Erde deckt.
Ludwig Schwarzenberg war hier in Kaffel ge-
boren. Er war der Sohn des Metropolitans Schwarzen-
berg und deffen Ehefrau, geb. Knyrim. Er genoß
eine sehr sorgfältige Erziehung. Nachdem er 1840 das
hiesige Lyceum absolvirt hatte, studirte er zn Marburg
und Göttingen Rechtswissenschaft. In seinem zwanzigsten
Lebensjahre begann er in seiner Vaterstadt als An-
walt seine bewegte Laufbahn. Die schmachvolle
Unterdrückung seines Vaterlandes durch die Franzosen
war dem deutschgesinnten Mann unerträglich und
lebhaft betheiligte er sich an der von Dörnberg ge-
leiteten Erhebung gegen die Fremdherrschaft. Nach
dem unglücklichen Ausgange dieser Bewegung trat er
als Freiwilliger in das berühmte Corps des helden-
müthigen Herzogs von Braunschweig-Oels, machte
den glorreichen Zug nach England mit und theilte,
zum Lieutenant im Jägerbataillon ernannt, alle Schick-
sale der Legion bis zur Belagerung von San Se-
bastian im August 1813. Am Vorabend der Schlacht
von Salamanca, 20. Juli 1812, wurde er bei Er-
stürmung des Dorfes Val de Morisco durch den rechten
Arm geschossen, wodurch er für einige Zeit kampfunfähig
wurde. Später nahm er an der zweimaligen Belagernng
von Badajoz, an den Schlachten von Fuentes d' Orno
und Vittoria, sowie an der Belagerung von Burgos
und San Sebastian Theil. Hier wurde er bei einem
heftigen Ausfalle der Franzosen durch einen Kartätschen-
339
schuß an vier Stellen zugleich verwundet und fiel, von
den Seinigen getrennt, nach tapferer Gegenwehr in
französische Gefangenschaft. Der sorgsamen Pflege,
welche er auf der Citadelle im Hospitale fand, —
eine Kugel hatte ihm die Sehne des rechten Fußes
zerrisien — verdankte er seine Rettung, auch wurde
er durch die bald darauf erfolgte Übergabe der Festung
an die Engländer aus der Gefangenschaft befreit, doch
blieb ihm eine lebenslängliche Lähmung, die ihn nöthigte,
im Jahre 1814, als das Corps den englischen Dienst
verlaffen hatte und nach Braunschweig zurückgekehrt
war, seinen Abschied zu nehmen. Er erhielt denselben
vom Herzoge, nachdem ihn dieser vorher zum Haupt-
mann befördert hatte. —
Nach Kassel zurückgekehrt, nahm Ludwig Schwarzen-
berg die Advokatur wieder auf und entfaltete als
Obergerichtsanwalt ein umfangreiche Thätigkeit. Im
Jahre 1833 wurde er in die kurhessische Ständekammer
gewählt, der er bis zu Anfang der fünfziger Jahre
angehörte. Er zählte zu den hervorragendsten Mit-
gliedern derselben und wiederholt war ihm das Amt
des Präsidenten übertragen worden. Im Jahre 1848
sandte ihn seine Vaterstadt Kassel in das deutsche
Parlament zu Frankfurt. Strenge Rechtlichkeit, stets
bewährter freier Muth, treues Festhalten an seinen
Grundsätzen waren Eigenschaften, die seinen Charakter
zierten und die ihm die Liebe und Hochachtung seiner
Mitbürger in hohem Grade eintrugen. Auch seine
politischen Gegner erkannten bereitwillig die Verdienste
dieses außergewöhnlichen Mannes an, der sich ebenso
ausgezeichnet hatte auf dem Felde der Ehre, wie auf
dem Gebiete des Rechts. Bis an sein Ende thätig,
starb er am 26. Oktober 1857. Die Stadt Kassel
verlor in ihm einen ihrer edelsten Söhne und allgemein
war die Trauer um den Hingeschiedenen, dessen
Andenken stets ein gesegnetes bleiben wird.
Zk. I.
Hemperla und seine Bande. Im Novem-
ber 1726 wurde zu Gießen eine große Räuberbande,
meist aus Ziegeunern bestehend, die Bande des Hem-
perla genannt, hingerichtet. Fünf, unter ihnen der
Anführer Johann la Fortune, gewöhnlich Hemperla
genannt, wurden gerädert, neun gehängt, elf, darunter
acht Weiber, enthauptet. Diese Bande hatte wie
Vilmar in seiner »Hessischen Chronik« berichtet, die
ganze Wetterau sieben Jahre lang unsicher gemacht,
ganze Dörfer fz. B. Hosenfeld bei Fulda) am hellen
Tage überfallen, mit den Landreitern förmliche Treffen
geliefert und eine Unzahl von Räubereien, auch viele
Mordthaten begangen, z. B. den Pfarrer zu Dörs-
bach im Naffauischen, Heinsius, nebst dessen Frau,
sowie, den Hessen-Darmstädtischen Landlieutenant
Emmeraner ans der Glashütte bei Hirzenhain er-
schossen. Im Januar und Februar gelang es end-
lich, diese Bande einzufangen. Die Exekution wurde
an zwei Tagen am 14. und 15. November vollzogen.
Hemperla selbst wurde am zweiten. Tage hingerichtet.
Als an ihn die. Reihe kam, rief er von der Richt-
stätte herab: „er sei allzeit ein guter katholischer Christ ge-
wesen, und wenn gute Katholische unter den Zuschauern
wären, möchten sie etliche Seelenmessen für ihn lesen
lassen, und davon, daß sie solches thun wollten, ein
Zeichen mit Schwenkung des Hutes geben/ welches
auch von mehreren Zuschauern geschah. Am Tage
vor der Exekution wurden den Weibern die Kinder
weggenommen, worüber sie in die äußerste Ver-
zweiflung geriethen und die Drohung ausstießen, sie
wollten nach ihrer Hinrichtung wiederkommen und
mit ihren abgehauenen Köpfen in ganz Gießen die
Fenster einwerfen. —
Obige Räubergeschichte aus dem Anfang des
vorigen Jahrhunderts erinnert uns an eine in den
30er Jahren dieses Jahrhunderts gleichfalls zu
Gießen erfolgte Hinrichtung eines Raubmörders,
namens Heß, die einen ganz eigenthümlichen
Verlauf nahm. Wiederholt war der Delinquent zur
Richtstätte auf dem Armensünder-Wagen geschleppt
worden, jedesmal erklärte er, dort angekommen, daß
er noch weitere Geständnisse über die Mitschuld
Dritter zu machen habe. Dies bewirkte, daß er in
das Gefängniß zurückgebracht wurde, um weitere
Verhöre mit ihm anzustellen. Seine Angaben er-
wiesen sich jedoch lediglich als leere Ausflüchte, um
eine Aufschiebung seiner Hinrichtung zu erwirken.
Auch als der Raubmörder zum drittenmal zum
Richtplatze gebracht wurde, wiederholte er sein früheres
Verfahren. Als aber seinen Versicherungen, Mit-
schuldige zu nennen, kein Gewicht mehr beigelegt
wurde, da geberdete er sich so rasend, daß die Henkers-
knechte seiner nicht Herr werden konnten, bis ihn ein
einziges Wort des ihn zum Schaffst begleitenden
Geistlichen, des s. g. Galgenpaters zur Ruhe brachte
und er willig sein Schicksal über sich ergehen ließ.
Dieser Geistliche war der Kirchenrath Engel,*) eine
der populärsten Persönlichkeiten Gießens, der einen
außerordentlichen Einfluß auf die dortige Bevölkerung
auszuüben vermochte. Kirchenrath Engel trat un-
verzagt zu dem armen Sünder und sprach zu ihm
im echt Gießener Dialekt: „Was wachste für Sache,
laß dich köppe, Heßche, thu mir's zu Gefalle."
Augenblicklich legte sich die Raserei des Delinquenten,
ruhig und zerknirscht antwortete er: „Ihne zu Lieb,
*)Kirchenrath vr.Zoha nnPhilippZakob Engel,
geb. am 27. Februar 1790 zu Gießen und daselbst vor
etwa 20 Jahren hochbetagt gestorben, war ein Original im
wahren Sinne des Wortes. Der geistreiche, stets schlagfertige
und gelehrte Mann bediente sich mit Vorliebe des Gießener
Idioms, und unzählig find die Anekdoten, die von ihm
umgehen. Auch als Schriftsteller ist er thätig gewesen,
a. hat er eine Hebräische Grammatik geschrieben,
340
Herr Kirchenrath, will ich's dann thue/ legte sein
Haupt auf den Block, das Beil fiel und sein
Kopf rollte in den Sand. Auf das anwesende Volk
machte diese Scene einen unbeschreiblichen Eindruck
und daß das Ansehen und der Einfluß des Kirchen-
raths Engel durch diese Komotragödie in den
Volksschichten Gießens nur noch zunehmen konnten,
braucht wohl nicht erst versichert zu werden. — So
erzählte der frühere Gießener, seit 1852 Genfer Pro-
fessor Karl Vogt vor einigen Jahren in der Wiener
«Reuen freien Presse-.
A. I.
Aus Heimath und Fremde.
Die Monatsversammlung des Vereins für hessische
Geschichte und Landeskunde am 28. November war
außerordentlich zahlreich besucht. Nachdem der Vor-
sitzende Major C. von Stamford geschäftliche
Mittheilungen gemacht und mit warmen Worten der
seit der letzten Monatsversammlung verstorbenen fünf
Mitglieder des Vereins ehrende Erwähnung gethan
hatte, hielt Bibliothekar Dr. Hugo Brunner den
angekündigten Vortrag über «Öffentliches Leben in
Kassel unter König Jvröme-. Der Redner erntete
reichen Beifall für seinen nach Inhalt wie nach Form
gleich gediegenen, hochinteressanten Vortrag, der auf
der gründlichsten Forschung beruhte und sehr viel
Neues bot. Wir werden in einer späteren Nummer
auf diesen Bortrag zurückkommen.
Der «Allgemeine Deutsche Sprachver-
ein- hat sich die sehr lobenswerthe Aufgabe ge-
stellt, «1) die Reinigung der deutschen Sprache
von unnöthigen fremden Bestandtheilen zu för-
dern, — 2) die Erhaltung und Wiederherstellung
des echten Geistes und eigenthümlichen Wesens der
deutschen Sprache zu pflegen — und 3) auf diese
Weise das allgenieine nationale Bewußtsein im deut-
schen Volke zu kräftigen/ Auch bei uns in Hessen
haben der Verein und seine Bestrebungen Wurzeln
zu schlagen angefangen. Am 15. November hielt der
in Kassel bestehende Zweigverein im Saale von
Schaub's Garten seine erste Jahresversammlung ab.
Nachdem der 1. Vorsitzende, Herr Generalmajor
Sucro, mit einer kurzen, kernigen Ansprache die
zahlreich erschienenen Zuhörer und Zuhörerinnen be-
grüßt hatte, gab der Schriftführer Herr Realschul-
lehrer vr. Quiehl einen ausführlichen Jahresbericht,
dem wir das Folgende entnehmen. Nach etwa andert-
halbjährigem Bestände zählt der Zweigverein 150
Mitglieder, darunter auch fast sämmtliche Spitzen der
in Kassel befindlichen Behörden. Der Vorstand hat
durch sehr zahlreiche persönliche und briefliche Ein-
wirkungen auf Behörden, Vereine, Gasthofsbesitzer,
Wirthe, Geschäftsleute, Urheber von Zeitungsanzeigen
u. s. w. mit bald größerem bald geringerem Erfolge
sich bemüht, die Sprache des öffentlichen Verkehrs
von überflüssigen Fremdwörtern zu reinigen. Hun-
derte von Anschlägen, welche in gefälliger Ausstattung
gedruckt den Wahlspruch tragen: «Kein Fremdwort
für das was gut Deutsch ausgedrückt werden
kann-, sind an öffentlichen Verkehrsstellen Kassels
und der Umgegend angebracht worden. Bei dem Be-
streben, auch auf die Sprache der Tagesblätter ein-
zuwirken, hat der Verein bei den Leitern und Besitzern
derselben meist ein wenigstens grundsätzlich freund-
liches Entgegenkommen gefunden. Auf weitere Ein-
zelheiten können wir hier nicht eingehen; manches
hat der Verein bereits erreicht, mehr natürlich bleibt
zu thun übrig, aber das seither Geleistete berechtigt
zu bester Hoffnung auf ein gedeihliches und erfolg-
reiches Wirken in der Zukunft. — Es folgte der
Bericht über die am 8. und. 9. Oktober in Dresden
abgehaltene erste Hauptversammlung des Gesammt-
vereines, erstattet von Herrn Bibliothekar Dr. Loh-
meyer. Redner gab den Hauptinhalt der Ver-
handlungen kurz an, hob die warme Theilnahme her-
vor, mit welcher die Versammlung seitens der Be-
hörden, der Bevölkerung und der Presse Dresdens
begrüßt worden sei und glaubte den Dresdener Sprach-
vereinstag als einen entschiedenen Erfolg der guten
Sache bezeichnen zu dürfen. Der Gesammtverein,
der gegenwärtig etwa 100 Zweigvereine und 7000
Mitglieder zählt, findet in ganz Deutschland immer
mehr Anerkennung und werkthätige Theilnahme, seine
Forderungen werden mehr und mehr zu Forderungen
der gesammten öffentlichen Meinung, eine nicht ge-
ringe Zahl der bedeutendsten Schriftsteller und Ge-
lehrten unseres Volkes haben sich für ihn erklärt oder
sind als Kämpfer in seine Reihen eingetreten. Frei-
lich fehlt es auch nicht an Gegnern, aber irgend et-
was Stichhaltiges gegen Grund und Wesen der
Vereinsbestrebungen hat keiner derselben vorzubringen
vermocht. Und so darf denn der Verein mit Genug-
thuung zurück auf seine kurze Vergangenheit und mit
guter Zuversicht und Hoffnung vorwärts in die Zu-
kunft blicken, zumal wenn er stets wie bisher daran
fest hält, daß die zwei starken Säulen seiner Kraft
sind und bleiben müssen -.Mäßigung und Beharr-
lichkeit. Redner schloß mit einer warmen Auf-
forderung an die Anwesenden, dem Vereine immer
zahlreicher beizutreten und in seinem Sinne und
Geiste zu wirken, im Dienste und zu Ehren der
deutschen Muttersprache und damit des deutschen
Volksthumes, des deutschen Vaterlandes.
Auf Antrag des Herrn Gymnasialdirektors Dr.
Wittich wurde der seitherige Vorstand durch Zuruf
wiedergewählt, worauf der Vorsitzende die Versammlung
schloß. — Auch wir wünschen von Herzen dem
Vereine gedeihlichste Weiterentwickelung und glauben
341
die allseitige Förderung seiner Bestrebungen unseren
Lesern nicht warm nnd nachdrücklich genug empfehlen
zu können.
Am 21. v. M. feierte der Registrator bei dem
Qberpräsidium der Provinz Hessen-Nassau, Kanzleirath
Heinrich Siebert, das Fest des fünfzigjährigen
Dienstjubiläums. Geboren 1819 zu Fulda als der
älteste Sohn des Rcchnungsrathcs Philipp Siedelt,
trat Heinrich Siebert, nachdem er das Gymnasium
seiner Vaterstadt besucht hatte, im Jahre 1837 bei
der Regierung zu Fulda als Probatur- bezw. Re-
gistraturgehilfe in Dienst und wurde 1867 als Re-
gistrator zu dem Oberpräsidium in Kassel versetzt.
Dem Jubilar, welcher sich des Rufes eines nach
jeder Richtung hin ausgezeichneten Beamten erfreut
und wegen seines trefflichen Charakters und seiner
persönlichen Liebenswürdigkeit die allgemeine Hoch-
schätzung genießt, wurden in Anerkennung seiner ver-
dienstvollen Eigenschaften sowohl seitens der vorge-
setzten Behörden und seiner Kollegen, als auch seitens
seiner Freunde und Bekannten reiche Ehrenbezeugungen
zu Theil. _____________
Bon einem unserer geehrten Mitarbeiter geht uns
nachträglich noch ein Nachruf an die kürzlich ver-
blichenen Schulmänner Realschuldirektor Professor
B u d e r u s und Dr. Id e zu. Da wir der beiden Ver-
storbenen schon in früherer Nummer gedacht haben, so
bringen wir von den dem Andenken derselben gewidmeten
Zeilen nur einen Theil wie folgt zum Abdruck: «Nie
hätte der Schreiber dieser Zeilen geglaubt, daß er diese
beiden Männer überleben würde, daß ihm die traurige
Pflicht erwachse» würde, diesen beiden seinem Herzen
gleich nahe stehenden Genossen einer arbeits- und
mühereichen Berufsthätigkeit den wohlverdienten Nach-
ruf widmen zu müssen: einem seiner ersten Schüler,
welcher zu eiuem hünenhaften Manne herangewachsen,
jedem Lebenssturm Trotz bieten zu können schien,
seinem mit einer wahrhaft eisernen Konstitution aus-
gestatteten Direktor und langjährigen Freunde. Auf
hohes Alter hatten beide nach menschlichem Ermessen
Anwartschaft, und nun ruhen sie beide in heimischer
Erde". Der Nachruf an Buderus schließt nach'
einer eingehende» Schilderung seines Lebensganges
wie folgt: «In den Sommerferien dieses Jahres
konnte er sich einen lange gehegte» Wunsch erfüllen,
eine Reise nach England zur Ausführung bringen.
Dieselbe sollte für ihn verhängnißvoll werden. An-
gegriffen kehrte er zurück, offenbar in Folge der
Strapazen, deren er sich wiederholt auf der Reise
ausgesetzt hatte. Wenige Woche« nach seiner Rückkehr
offenbarten sich die Zeichen eines ernstlichen Herzleidens.
Er mußte einige Zeit seiner Schulthätigkeit entsagen,
eine schwere Aufgabe für den Mann, welcher inner-
halb der-13 Jahre unseres Zusammenwirkens nicht
eine einzige Stunde wegen Unwohlseins der Schule
fern geblieben war. Zwar erholte er sich wieder,
doch nur für kurze Zeit; bald rrnenerten sich die
bedenklichen Erscheinungen der Krankheit, von der er
nicht wieder genesen sollte. Nichts desto weniger hat
er noch als schwer kranker Mann bis kurz vor seinem
am 27. Oktober erfolgten Hinscheiden eine» großen
Theil der Verwaltungsgeschäfte der seiner Leitung
unterstellten Anstalt besorgt und sich täglich über alle
Vorkommnisse der ihm an's Herz gewachsenen Schule
eingehend berichten lassen. Ohne Arbeit gab's für
ihn kein Leben."
«Mit seinem Hingange erlitt nicht nur die Realschule,
sondern das ganze städtische Schulwesen Kassels einen
schweren Verlust. Er war ausgerüstet, mit allen
Eigenschaften für den Leiter eines großen Schul-
organismus.- in ihm vereinigten sich tüchtige Fach-
kenntnisse, eine volle Einsicht in das Unterrichts- und
Erziehungswcsen, ein hervorragendes Organisations-
und Verwaltungstalent, rastloser Eifer, ernstes Pflicht-
gefühl, unbeugsame Energie. Dazu kam eine auf-
opfernder Hilfsbereiffchaft für seine Lehrer und seine
Schüler. Die ganze Bedeutung der Anstalt, welche
unter seiner sachkundigen Leitung zu der besuchtesten
höheren Schule unserer Stadt aufblühte (zählte sie
doch Jahre lang nahe an lausend Schüler), knüpft
sich seit der Mitte der 70er Jahre in erster Linie
an seinen Namen, an seine Wirksamkeit. Er hat
diesem Namen in den Annalen der Schule ei» bleibendes
Andenken errichtet. Schwer wird er zu ersetzen sein."
Die Leser unserer, Zeitschrift wird eS interessiren,
zu erfahren, daß in nächster Zeit ein Anhang zu
H.v.Pfisters «Chattischer Stammeskunde"
bei Hofbuchhändler Ernst Hühn dahier, sowie ein
Ergänzungshest zum Nachtragsbande des Bil-
marischen „Idiotikons" von demselben Verfasser bei
Elwert in Marburg erscheine» werden. Der Name
des Verfassers und die gründlichen Forschungen des-
selben auf stammheitlichem wie mnndartlichem
Gebiete bürgen dafür, daß hier neue anziehende Er-
gebnisse der Öffentlichkeit geboten werden.
Cleveland (O). Nordamerika. Im fernen Weste»
ist ein Blatt entstanden, das die Interessen der
Hessen in A m e r i k a vertreten soll. Es erscheint
in Cleveland O. unter dem Titel «Hessische
Blätter" und will sei» Hauptaugenmerk richten
auf das Leben und Treiben der hessische» Vereine
in der neuen Welt; es ist zugleich das offizielle Or-
gan für Erbschästs- und andere Angelegenheiten,
Todesfälle «. s. w. sowohl im Großh. Hessen als in
Hessen-Nassau. Ganz besonders bezweckt eS aber, die
transatlantischen Hessen durch eine Fülle von Nach-
richten aus dem alten Heffenlande in steter Fühlung
mit der Heimath zu halten. Dem sehr ansprechend
geschriebenen Prospekte entnehmen wir folgende Sätze:
342
„Jedem Deutschen und den Hessen ganz be-
sonders bleibt stets die Stätte in theurem Andenken,
wo einst die Mutter die ersten Schritte des Kindes
leitete, wo wir die ersten Worte der Mutter lallen
lernten, Eltern und Lehrer den ersten Heim zur Er-
kenntniß des Guten, Edlen und Schönen in uns
legten und wo wir die schönste Zeit des Lebens, die
köstlichen Jugendjahre, verlebten. Hat uns auch später
ein widriges Geschick oder der Drang nach größerem
Ellbogenraum in die weite Ferne getrieben, so ge-
denken wir doch gerne jener Tage und der Gegend,
wo vielleicht noch die Gespielen unserer Jugend leben,
liebe Anverwandte sich für unser Geschick interessiren
oder gar ein trautes Mütterlein der Heimkehr des
ausgewanderten Sohnes mit liebender Sehnsucht harrt.-
Möge unsere Kollegin jenseits des Weltmeeres voll
und ganz ihren Zweck erreichen. Wir rufen ihr ein
herzliches „Glück auf!“ zu.
____________ S.
Hessische Kücherschav.
Dr. Hu goBrunner, Dis Politik Landgraf Wilhelms
VIII. von Hessen vor und nach dem Ausbruche
des siebenjährigen Krieges, bis zur Konvention
von Kloster-Seven einschließlich. (Sep-Abdr.
aus der Zeitschr. d. Ver. f. Hess. Geschichte und
' Landeskunde N. F. Bd. XIII) (223 S.) Kassel
1887.
Nachdem Verfasser die kritische Lage Hessens vor
dem siebenjährigen Kriege in allgemeinen Zügen vor-
geführt, behandelt er die Vorgänge vom Ausbruche
des Krieges bis zu der am 8. September 1757
erfolgten Konvention v. Kloster-Seven, dem rühmlosen
Abschluffe des traurigen Feldzuges des Herzogs von
Cumberland. Zunächst werden die Bemühungen
Landgraf Wilhelms VIII. um die Erhaltung der
Neutralität geschildert, dann die Verhandlungen desselben
mit England, Preußen und Hannover bezügl. der
Sicherheit seines Landes unter fortwährender Bezug-
nahme auf die Quellen dargelegt. Vrit Genugthuung
verfolgt man die klare, zielbewußte Politik des hessischen
Fürsten, welchem zwei hervorragende Staatsmänner,
Minister Friedr. August von Hardenberg und Jakob
Sigismund Waitz (nachheriger Freih. Waitz von Eschen)
berathend zur Seite standen, einen erfreulichen Gegen-
satz bildend zu der jammervollen Politik Hannovers,
dessen Staatsmaschine von dem schwächlichen Kammer-
präsidenten Gerlach Adolf von Münchhausen gelenkt
wurde. Der Kurfürst Georg II, auch König von
England, weilte ja weitaus den größten Theil des
Jahres in London und kam nur zur Sommerfrische
herüber nach Herrenhausen. Die Verhandlungen über
die Trennung des hessischen Truppencorps von dem
verbündeten Heere (Hannover, Braunschweig, Gotha
und Lippe-Schaumburg), sowie eine eingehende Be-
trachtung der berüchtigten Sevener Konvention be-
schließen das Werk.
Es ist unmöglich, genauer auf den hochintereffanten
Inhalt einzugehen, ohne den uns zu Gebote stehenden
Raum zu überschreiten. Wir können nur noch her-
vorheben, daß das vorliegende Buch alle die Vorzüge
vereinigt, welche schon die früheren Arbeiten des ver-
ehrten Verfassers auf dem Gebiet der vaterländischen
Geschichte auszeichnen: gründlichste Detailforschungen,
klare Ausdrucksweise, anziehende Darstellung. Ein
ausgedehnter Leserkreis ist ihm sicher. K.
Eine neue hessische Dichtung. Nur weni-
gen Lebenden werden die Zustände Kurhessens und
seiner Hauptstadt Kaffel aus den Zwanziger Jahren
dieses Jahrhunderts noch in deutlicher Erinnerung sein.
Es standen bekanntlich zu jener Zeit in Kaffel
zwei Höfe einander entgegen, an deren einem neben
dem Kurfürsten Wilhem II., die Favoritin desselben,
die Gräfin Reichenbach unumschränkt herrschte, während
dem anderen die Kurfürstin in edlem Walten einem
kleinen Familienkreise gebot. Zwischen beiden Höfen
stand der noch jugendliche Kurprinz, bald mehr dem
einen, bald mehr dem anderen sich zuneigend. Die
Neigungen des Volkes waren getheilt. Die Gesellschaft
der Hauptstadt und viele Beamten hielten es mit der
Gräfin, von deren Gunst persönliches Wohl und
Stellung abhingen, die breiteren Schichten des Volkes
hielten zur bescheidenen Kurfürstin. Die stürmische
Jugend hoffte von dem Kurprinzen Befreiung aus
den Fesseln und die Verkündigung einer Verfassung.
Ueberall herrschten Druck und Verstimmung und doch
wußte Niemand, was geschehen müsse, damit Fürst
sowohl als Volk sich wieder wohl fühlten.
Es waren Jahre dumpfer Gährung, für welche
erst, nachdem sie vorbei waren, das richtige Verständ-
niß kommen konnte. Gleichwohl vermag einfache
Geschichtsschreibung auch jetzt nicht ein klares Bild
derselben zu geben. Es bedarf tieferer psychologischer
Einsicht, dichterischer Auffassung, um den Charakter
eines Fürsten zn zeichnen, der bei allen Launen, aller
persönlichen Willkür, dennoch sein Volk liebte. - Es
bedarf der lebendigen Farbe der Dichtung, um ein
Volk zu verstehen, das auch in der Erniedrigung von
seiner Vaterlandsliebe nicht abließ.
H. Keller-Jordan versucht es in ihrer vorletzten
Dichtung uns diese Zeit zu entrollen.
Unter dem Titel „Die Grubers-*) tritt uns
der Roman einer hessischen Familie entgegen, die den
Kampf mit dem widrigen Geschicke muthig aufnimmt.
„Edle Naturen wirken durch das, was sie sind- ist
der Wahlspruch, welcher dem Buche voransteht. In
ihm ist die Art, wie der Kampf von den Grubers
geführt wird, gekennzeichnet. Allen voran steht Edith
Gruber, ein zartes Mädchen, die es sich zur Aufgabe
ihres Lebens gemacht hat, dem verbannten Bruder
*)Die Grubers. Eine Erzählung aus Kurheffen.
Kaffel 1887.
343
die Heirnath wiederzugewinnen und dessen Verleumder
zu entlarven. Ihr zur Seite kämpfen zwei Freunde,
deren einer jugendlich ungestüm der Partei des Kur-
prinzen angehört, während der andere als preußischer
Diplomat eine zurückhaltendere Stellung einnimmt.
Eine steche Mutter und ein Bruder stehen Edith schützend
zur Seite. Jene ist durch die Schicksalsschläge ermattet,
dieser will durch sein Wirken, als solches, will in seinen
Predigten von der Kanzel herab die Sitten des
herrschenden Hofes läutern und so die Einsicht in
den Frevel der Verbannung seines Bruders erwecken.
In einem unscheinbaren Hause sehen wir das Walten
der Grubers und von hier aus Edith bald ihrem
Berufe als Sängerin am Theater, bald jenen ver-
schlungenen Wegen nachgehen, die zur Rettung ihres
Bruders führen sollen. Wie es ihr gelingt, die Rück-
kehr desselben zu erwirken, wie sie die Kurfürstin
gewinnt, wie sie an Kraft des Wollens der Gräfin
Reichenbach überlegen ist, wird durch die mehr als
zweihundert Seiten des Buches entwickelt. Die Natur
wirft ihren stimmungsvollen Wechsel auf Ediths
Wege. Zwischen Glanz und Schimmer, im Theater,
auf Bällen, im Gefängniß und in der Einsamkeit
gewahren wir den Wechsel der Jahreszeiten.
Mit breiten Zügen malt die Dichterin die Geschichte
der Zeit in die Geschichte der Grubers. Sie wahrt
die historische Treue, soweit es sich um geschichtliche
Thatsachen, die geschichtlichen Charaktere des Kurfürsten,
der Fürstin und der Gräfin Reichenbach handelt.
Das Leben der Hauptstadt, die Pracht im Palais,
das musikalische Treiben unter Spohr's Führung
werden in lebendigen Farben geschildert. Die Kasseler
Aue und Wilhelmshöhe wirken auf uns in ihrem
bestrickenden Zauber.
Die Eigenart der Verfasserin tritt auch in ihrem
neuesten Buche zu Tage. Die Sprache hat Kraft
und Wohllaut und wirkt im Dialoge wie in der Er-
zählung durch die Unmittelbarkeit der Empfindung.
Der Dialog ist von seltener Gedankenfülle und die
Handlung voller Leben und Bilder. Der Austausch
und Einklang im Leben der Natur und der Menschen
erhebt uns in der Freude, versöhnt uns an den Stellen
des Mißgeschicks. Ein breiter Strom von Humor
mildert die Schroffheit der Gegensätze. Jene Kunst
des Dichters, das psychologische Verständniß zu steigern
und den Leser tiefer in die Handlung einzuweihen,
als die Einweihung der handelnden Personen selbst
reicht, erhöht den kritischen Genuß bei der Lectüre
der Grubers.
Dieselben bestehen würdig den Vergleich mit den
früheren Schöpfungen der Dichterin. Die ethische
Natur des Problemes stellt «Die Grubers" der ^Na-
talie" zur Seite, die breite Anlage und Feinheit in
der psychologischen Durchführung der «Hacienda Fe-
lieidad". In Bezug auf die Schöpfung eines neuen
Charakters, wie ihm Edith bietet, tritt die mexikanische
Novelle «Dolores" den Grubers zur Serie. An
Kraft der Entwicklung und Kühnheit des Schluffes
treten ,Die Grubers" neben die Novelle «Ein Traum".
Erhöhte Berechtigung zu ihrer hessischen Dichtung
schöpft Frau H. Keller-Jordan aus ihrer hessischen
Abstammung. Ihr freier dichterischer Schwung mahnt
an die Beredtsamkeit ihres Vaters, jenes Sylvester
Jordan, des Vorkämpfers der kurhessischen Verfassung.
München. 1887.
Dr. F*aut Hesdorpf.
Es liegt uns die kürzlich in der Elwert'schen Buch-
handlung zu Marburg erschienene Schrift von Dr.
Wilhelm Falcken Heiner «Philipp der Groß-
müthige im Bauernkriege," (mit urkundlichen Beilagen)
vor. Wegen Mangels an Raum müssen wir die
Besprechung dieses interessanten Buches für eine
spätere Nummer unserer Zeitschrift verschieben.
P. L. Freund des „Hessenland" Kassel. Zu Pos. l.
Seiber wahr, aber nicht uns trifft die Schuld. Dem
Uebelstande ist übrigens, wie Sie sich leicht überzeugen
können, schon seit Monaten, so lange unsere Zeitschrist in
der Druckerei des Herrn Scheel hergestellt wird, gründlich
abgeholfen. Zu Pos. 2. Selbstverständlich. Zu Pos. 3.
Wie Sie aus der heutigen Nummer ersehen, bereits in
Betracht gezogen. — Für Ihre Berichtigungen sind wir
Zhnen zu Dank verpflichtet. Die Berichtigung des ersten
Passus war bereits erfolgt, ehe Ihr Brief eintraf; was den
zweiten Passus anbelangt, so haben wir die entsprechende
Mittheilung sofort dem Verfasser zugehen lassen und diesen
gebeten, das Weitere zu veranlassen. — Wir bitten um
gefällige genaue Angabe Ihrer Adresse.
F. L. Stuttgart; M. H. Melsungen; L. M. Nordhausen:
Einstweilen freundlichsten Dank für das Gesandte.
Dr. W. F. Kassel. Mit Dank angenommen.
W. F. Kassel. Das Mundartgedicht ist allerdings
etwas lang, doch werden wir dasselbe gelegentlich zum Ab-
druck bringen. Jedenfalls sind wir Ihnen für die Zu-
sendung verbunden.
E. W. Kassel. Ihrem Wunsche wird in den nächsten
Tagen entsprochen werden.
Berichtigungen.
In dem Artikel der Nummer 21 des „Hessenlandes"
„Aus einem Kasseler Bürgerhause vor 60 Jahren", muß
es Seite 298 Zeile 8 von unten Lieutenant von Gierse-
wald statt Giesewald heißen. —
Wir haben ein Versehen richtig zu stellen, das in dem
Artikel „Hessische Ehrentafel" in der vorigen Nummer
unserer Zeitschrift vorgekommen ist: Hinter.„1704. 15.
Juli Schlacht am Schellenberge" muß die Notiz schließen,
während die weiteren Worte „Hier nahmen" re. hinter den
Worten des folgenden Absatzes „1704. 13. August" „Re-
vanche pour Speierbach" zu stehen kommen müssen.
MF“ Die auswärtigen Streifband-Abonnenten,
welche «och mit der Zahlung der Abonnements-
brträge im Rückstände find, werden ergebenst er-
sucht, dieselben vermittelst Posteinzahlung bald
gefälligst an nnS einsenden zu wollen.
Nerlag der Zeitschrift „Hessenland",
Jordanstrabe IS.
344
DM* Gar mancher Leser des »Heffknland«
möchte die zerstreute« Blätter i» einem Bande ver-
einige»; soll doch unser Blatt nicht nur eine periodische
Zeitschrift, sondern vor allem auch ein hessisches
Haus- und Familienblatt sein. Solchen Wünschen
entsprechend, sind wir gewillt.
Einbanddecken «=*►■
für das »Hcfsenlaud", einfach, geschmackvoll und
haltbar herstellen zu lassen. Um aber die Kosten zu
decken, ist cs nothwendig , daß eine größere Anzahl
von Lesern als Besteller der Einbanddecke sich
meldtt, was am besten sofort einfach' durch
Postkarte geschieht. Der Preis der Einband-
decken (Halbfranz mit Golddruck) wird einschließlich
portofteier Zusendung im Jnlande «in« Mae st
betragen. Sollte die erforderliche Anzahl von Be-
stellern nicht zusammenkommen, so wird selbstverständ-
lich etwa geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet.
des ..Hkllkulsnd
u
Bon verschiedenen Seiten ist der Wunsch zu er-
kennen gegeben, wir möchten bei der Zeitschrift
„Hessenland", welche in unserer Provinz zu rascher
Verbreitung gekommen ist und vielen Geschäftsleuten
deshalb ein sehr willkommenes Organ für Ver-
öffentlichung ihrer Bekanntmachungen fein wird,
MM" Anzeigen "MI
annehmen.
Wir sind gern bereit, diesen Wünschen entgegen-
zukommen, denn ein Blatt, welches nicht blos
TageSintereffen dient, wird naturgemäß sich einen
andauernden Platz sichern und deshalb auch bei Ver-
öffentlichungen am wirksamsten sein können.
Wir berechnen die gespaltene Zeile nur mit
20 Pfg. und gewähren bei Wiederholungen ent-
sprechenden Rabatt.
Anzeigen wolle man abgeben und zwar zmei
Fage vor dem 1. ««d 15. jede« Monats
in der Druckerei des ,H essenland", bei Herrn
Ariedr. Scheel, Schloßplatz 4.
des „Hrffwlaud".
^c^^x^x^x^x^x^x^x^x^x^x^x^x^,-
Prima Rauchtabake.
Als besonders fein und mild empfehle ich
ß Kroneu-^ortoriro ä Pfd. M. 1,50 i
i Aarrnas-Atätter ä „ „ 1,25
Wilhelmsstraße 11.
^rels -roch. Mark 6.—- in Leinenöd. Mark 7,-,
in gediegö Katöfrauzvd. Mar- 7,75*
Ich halte das Buch zu Festgeschenken für
Freunde vaterländischer Geschichte und die erwachsene
Jugend bestens empfohlen und gestatte mir, auf die dieser
Nummer beiliegenden „Urtheile der Presse" hinzuweisen.
A. Freysohmidt.
Äs* feste praktische»
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empfehle
hochfeine Qualitäten, eigenes und Hamburger
Fabrikat, in streng reeller Waare zu den billigsten
Preisen, in Kisten von 25 , 50, 100, 200 und
250 Stück. Als etwas Vorzügliches empfehle
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Gustav Wilhelmi,
Ctgarrm - Fabrik unö Imporl-
Geschäst.
Verantwortlicher Redakteur und Verleger F. Z meng er in Kaffel. — Druck von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hessenland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monatlich, zu Anfang
und Mitte jeden. Monats, in dem Umfange von V/2—2 Sogen Quartformat. Der Abonnementspreis betragt gleichmäßig
für hier und auswärts vierteljährlich 1 Mark SV Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post, oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streifband bezogen
werden; hier in Kaffel nimmt die Redaktion, Zordanstraße 15,und die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz^
Bestellungen an. In der Post-Zeitungsliste findet sich das „Hessenland" eingetragen unter Nr. 2547u, 1. Nachtrag für 1887.
Inhalt der Nummer 24 des „Hessenlandes": „Weibnachtsbild", Gedicht von Th. Kellner; „Ein Fürst deS Friedens",
historische Skizze von F. Zwenger (Schluß); „Ulrichstem im Vogelsberg" von vr. August Röschen; „Die Fuwaer Por-
zellanfabrik" von vr K. Herquet; „Vom Christkind", Weihnachtsbild von M. Herbert; „Unsere zwei alten FreiheitS-
bäume. I. Auf dem Forste, II. Zn der Karlsaue", Gedichte von vr. W. F. ; „Winter", Gedicht von D. Zobn; AuS
alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Briestasten; Abonnements - Einladung;
Anzeigen; Inhalts - Verzeichniß des Jahrgangs 1887. —
nhnachlsbilö.
ck uf bräunlichem Sims von Steingut Tasten
J\ And ein Lunkes Herz-Jefu-Dild.
^ Äusammengelesmes Holz im Ofen!
Bin Skrohsack reinlich eingehüllt.
Nur eine arme, verklebte Scheibe,
Nur ein flatterndes Stück Papier,
Nur ein paar morsche und zitternde Wände
Zwischen des Winters Frost und ihr.
Doch in der hriligstm Nacht der Nächte
Strahlet dennoch das Simmer von Licht:
Sie hak einm dreijährigen Duben,
Lin lschmöes Nindergesichk.
Lin hölzernes Pferdchen ziert die Tanne.
Sie sagt ihm: Das hat Dir gebracht
Der Lhrisi, der Reinen vergißt auf Lröm,
Der hat, mein Rind, an Dich gedacht.
Der Dub' greifi jauchzend froh in die Flammen
Der Liebe, gespart vom Drod,
Lrdarbk vom sauer erworbmen Pfennig,
Genährt vom Drle der Noth.
And er wirö's weder wissen noch shnm.
Steht er ös, gereift zum Mann.
Wenn sie ruht mit gefalteten Händen.
Was sie heut' für ihn gechsn.
Aber — die Stimme wird wieder Klingen —
Spät vielleicht — in Lebens Nacht:
„Der Lhrist, der Reinen vergißt auf Lröm,
„Der hak, mein Rind, an dich gedacht!"
Hy. «fteLner.
346
Kin Kürst des Krieöens.
Historische ZkiW von F. Sw eng er.
(Schluß.)
Am 27. Oktober 1439 starb der deutsche Kaiser
Albrecht II. aus dem Hause Oesterreich nach einer
nur zweijährigen Regierung. Die Kurfürsten des
deutschen Reiches richteten ihr Augenmerk auf den
Landgrafen Ludwig und brachten denselben als
Reichsoberhaupt in Vorschlag. Namentlich war
es der Kurfürst von Brandenburg, welcher für
die Wahl des Landgrafen von Hessen zum deutschen
Kaiser eintrat. Aber Ludwig, bekannt mit der
traurigen Lage des Reichs, war entschlossen, wie
der bereits citirte Aeneas Sylvius, der größte
Staatsmann seiner Zeit und nachmalige Papst
Pius II., schreibt, lieber den kleinen ererbten
Staat glücklich zu machen, als den Zwiespalt oder
die Verminderung eines großen ihm anvertrauten
Reiches zu erleben, und lehnte, seine Unkunde in
Sprachen und Wissenschaften vorschützend, beschei-
denen Sinnes die Annahme des kaiserlichen Amtes
ab. *)
Obgleich einer der mächtigsten Fürsten Deutsch-
lands, war Ich Landgraf Ludwig doch bewußt,
daß seine Hausmacht nicht ausreichend sei, um
als Kaiser der schwierigen Verhältniße, welche
damals im deutschen Reiche bestanden, Herr zu
werden und ein gesegnetes Regiment führen ru
können. Die Ablehnung der kaiserlichen Würde
war ein Beweis der großen staatsmännischen
Klugheit des Landgrafen, wie andererseits das
Anbieten der Kaiserkrone Zeugniß davon ablegte,
in welch' hohem Ansehen derselbe bei den deutschen
Fürsten stand.
*) Die bezügliche Stelle bei Aeneas Sylvins (Historia
de statu Europae. De Hassia et aliquot rebus
gestis in ea, cap. XXXVII) lautet: Inter Vuestphales
ac Francones Hassia iacet, montana regio, quae a
Rheno in septemtrionem porrecta, Thuringiae iun-
gitur. Princeps gentis, Ludovicus Landgravius,
aetate nostra ad imperium vocatus imparem se esse
dixit, quae tantae rei molem sustinere posset. Ma-
luitque parvo imperio a parentibus sibi relicto
utiliter praeesse , quam magnum accipiens dissipare.
Id cpioque sibi obstare ad rem Ohristianam gerendam
dixit, quod literares ignoraret.
Einen nicht minder beachtenswerthen Akt seiner
staatsmännischen Klugheit können wir aus dem
Jahre 1430 verzeichnen. Am 4. August des
letztgenannten Jahres war Herzog Philipp von
Brabant gestorben. Als nächster Agnat desselben
hatte Landgraf Ludwig wohlbegründetes Recht
auf die Erbschaft des Herzogthums Brabant.
Und dieses Recht war auch von dem deutschen
Kaiser Sigismund anerkannt worden. Landgraf
Ludwig zog nach Aachen, um von hier aus sich
in den Besitz des Herzogthums zu setzen. Aber
Herzog Philipp II. von Burgund, „der Gute"
zubenannt, war ihm schon zuvorgekommen. Die
Brabanter Stände hatten dessen auf frühere Erb-
verträge gestützten Anspruch anerkannt und ihm
am 5. Oktober 1430 die Huldigung geleistet.
Ein schwerer Krieg stand in Aussicht, wenn Land-
graf Ludwig auf seinem Rechte beharrte, ein
Krieg, der nach Lage der Verhältnisse nur zu
seinen und seines Landes Ungunsten ausfallen
konnte. Landgraf Ludwig zog sich zurück, um sein
Land vor den Greueln eines solchen aussichtslosen
Krieges zu bewahren. Aber indem er den Frieden,
das Glück und die sichere Herrschaft Hessens der
zweifelhaften Eroberung eines Erblandes vorzog,
behielt er alle Rechte auf dasselbe sich und seinen
Erben vor.
Aus der Zeit des Aufenthaltes des Kurfürsten
in Aachen stammt eine Legende, die wir hier dem
Chronisten nacherzählen wollen:*)
„Von einem Miracel so Landtgraf
Ludewigentzu Oche(Aachen) wiederfahren.
Uff der Wiederkehr käme der Fürst Landtgraf
Ludwig gehn Oche in die Stad, und herbergte
eine Nacht darinnen, nun was ein Grave (als
ich glaub) einer von Hengstberg, der war dem
Landtgrasen feind und gehas, vielleicht der Nieder-
*) S. Anonymi Chronicon Thurin#. et Hass, bei
Senckenberg, Selecta juris et historiarum. Tom. III
pag. 418 sqq. Vergl. außerdem J. Nohii Chronicon
llassiacum bet Senckenberg, tom. V. pag. 443.
347
lag halber des von Nassau (im Stippacher Thale
1419) da der von Hengstberg auch mit gewest
war, in Hülste des von Nassau, und hatte
Schaden von den Hessen entfangen, vnd zu Rache
gab er denen von Och vor, der Landtgrave were
darum ausgezogen, ein Fuge zu suchen, die von
Och zu beschedigen, und die stad einzunehmen.
Die von Oche gaben dem Graven schwachen
Glauben, doch von des Graven mannigfaltigen
Anredens, bethedigten sie den Fürsten darumb,
er antwortet ihnen und sprach in verwundern:
Lieben Freund ich ylaub nicht daß es euer Ernst
sehe, und haltet mich nicht für den Mann, daß
ich mit solchen Stücklein solte umgehen die un-
fuglich weren; darzu sie antworteten: Sie glaubten
ihme keiner Unthaten zu, doch so were ein wol-
geborner Grave uf dem Rathaus der es von
ihme saget, und wolte er für ihme bekantt sehn,
da möchte er sich verantwortten. Der Landtgraf
wolte die verdacht nicht uff ihme behalten, gieng
mit ihnen vnd fand den Grasten, welcher diese
Ding öffentlichen uff ihne gesagt hatte, und in
einer Ghenwerdigkeit noch redete, der Landtgraf
agt unter andern Worten: Du Grase du sagst
)ie Gewalt uff mich, ich habe der Gedancken nie
gehabt, und so warlich du mir unrecht thuest,
so helffe mir die heilige Frau S. Elisabeth,
unser welcher unrecht habe, daß er tobent, wütend
uno rasend werde, hie angesicht dieser frommen
leuthe.
Alsbald zu der stette ward der Graf thorecht,
und rasete sich zu tobe; das mirackel nahmen
die von Ache zu Hertzen, und lobeten des Fürsten
Unschuld, und erbotten Ihm viel Ehren mit ge-
schencken vnd andern." —
War es dem Kurfürsten Ludwig auch nicht ge-
lungen, das Herzogthum Brabant wieder an sein
Haus zurückzubringen, so war er doch all-
zeit ein Mehrer seines Heimathlandes Hessen.
Er erwarb u. a. demselben durch Kauf die zwischen
der Diemel und Weser gelegenen Güter der 1429
ausgestorbenen Dynasten von Schonenberg, das
Gericht Heringen an der Werra, mehrere Denen
von Falkenberg gehörige Dörfer und die Uslar'sche
Burg Neuengleichen. Andere Dynasten, wie die
Grafen von Waldeck und die Herren von Weste
trugen ihm ihre Herrschaften zu Lehn auf und
öffneten ihm ihre Burgen und Schlösser. Den
bedeutendsten Zuwachs aber erhielt sein Land
durch die Erwerbung der Grafschaften Ziegenhain
und Nidda, die ihm zufolge kluger Berechnung
nach dem am 14. April 1450 erfolgten Tode
des letzten Grafen von Ziegenhain, Johann des
Starken, durch Bermächtniß zufielen. —
Im 15. Jahrhundert blühten die s. g. ge-
heimen Wiffenschaften, die Astrologie und Alchemie.
Auch Landgraf Ludwig, in dieser Beziehung ein
Kind seiner Zeit, huldigte ihnen. Einst hatte
man dem Landgrafen aus den Sternen geweistagt,
daß er fünfzig Jahre lang glücklich regieren werde,
dann nicht mehr. Im Jahre 1457 verbanden
sich mehrere westfälische Dynasten gegen ihn.
Landgraf Ludwig sandte ihnen hessische Ritter
unter Anführung seines Marschasts Johannes
von Meysenbug entgegen, die auf dem Sinnfelde
geschlagen und zum großen Theile gefangen
wurden. Diese Niederlage brachte dem Land-
grafen jene Prophezeiung in Erinnerung. „Meine
glückliche Regierung ist zu Ende, ich will mich
schicken zu friedlicher Tageleistung", rief er aus
und er bereitete sich auf sein Hinscheiden vor.
Kurz darauf besuchte er ein hessisches Kloster, dessen
Namen nicht bekannt geworden ist. Der Land-
graf und der Abt des Klosters, welche sich zu
einer Reform geeinigt hatten, speisten mit den
Mönchen. Hierauf starben beide kurz nach ein-
ander, der Landgraf, nachdem er das Schloß zu
Spangenberg erreicht hatte, am 13. Januar 1458.
Aeneas Sylvius schreibt den Tod beider einer
Vergiftung zu.') Dies stimmt zwar mit einer
Notiz des Frankenberger Chronisten Wigand
Gerstenberger überein, doch läßt letzterer es
zweifelhaft, ob nicht eine zufällige Vergiftung
bei den chemischen Versuchen des Landgrafen den
Tod des letzteren verursacht habe. *) Die Ge-
beine des Landgrafen Ludwig ruhen zu Marburg
in der St. Elisabethkirche. Sein Grabmal trägt
folgende Inschrift:
Xnclitus Ludovicus pius universis pudicus
Hac clauditur archa Cephas Hassiaeqne
monarcha
Anthonii festo migrat, cujus nemor esto.
Coelesti palme vacet is per te ded^&lme. *)
') Die angezogene Stelle bei Aeneas Sylvius lautet:
Ludovicus Landgravius dum reformaturus moua-
sterium quoddam suae ditionis ingreditur et in-
vitatus cum monachis edit venenum pro cibo inter
edendum sumpsisse creditus est. Nam et ipse et
abbas, qui reformationem petierat, paulo post ex-
tincti feruntur.
2) Zn der Thür. und Hess. Chronik von Wigand
Gerstenberger sS. Schmincke, Monimenta Hassiaca,
tom. II, pag. 543) heißt es:
In der nuwen Chronicken die man zu Nurenberg drucket,
dar stebit inne, wie dußer Fürste in ehn Cloister ging in
willen dasselbe zu reformiren, unde habe darinne mit den
Cloister luden die spitze genommen. Da mehnt man, he
habe vergifft gessen, want he unde der apt die der Refor-
mation begerte storben beydesampt balde darnach. Aber
etzliche sprechin, nachdem er plag die Alchemie, so habe he
darvonne die vergifft entphangin, das er so stürbe. Wie
dem alle, so wart dieser Fürste Ludewig Lantgrave zu
Hessen, Grave zu zu Cziaenhehn unde zu Nidde kranck,
unde starp von der vergifft, altz er LVI jar alt was,
unde das geschach, do man schreib nach Gots gebürt 1458
uff sent Anthonius taa, unde ist zu Mqrgburg begraben.
*) Nach der Übersetzung des Professors Dr. Creeelius
zu Deutsch:
348
Rommel gibt in seiner Geschichte von Hessen
dem Landgrafen Ludwig das schönste Lob, las
man einem Fürsten ertheilen kann. Er schreibt
u. a.: „Die würdigste Art, einen Fürsten zu
loben, ist die Aufzählung seiner Thaten. Daher
sei es genug, zu sagen, daß Ludwig der Fried-
same alle seine Vorgänger übertroffen in plan-
mäßiger Ausführung weiser, zeitgemäßer und
von einem Geiste belebter Maßregeln. Durch
einen geraden, in allen menschlichen Angelegen-
heiten entscheidenden klaren Menschenverstand,
durch eine alle Stände ansprechende Biederkeit,
durch fromme Bescheidenheit im Frieden, un-
widerstehliche Tapferkeit im Kriege, überall durch
die Kunst mehr zn sein als zu scheinen, ward
er der Rathgeber und Schiedsrichter aller benach-
barten Fürsten, und der zweite Schöpfer unseres
Vaterlandes Hessen." Und dieses Urtheil des
Ludwig, gepriesen und tüchtig und fromm im Leben
und züchtig.
Ruht hier in der Arche, ein Fels und Hessens Monarche.
An des Antonius Fest er endet, des immer gedenket,
Mög ihm durch Gott gelingen, die himmlische Palm
zu erringen.
gewiegten hessischen Historikers wird gewiß jeder
unterschreiben, der sich mit der Geschichte des
Landgrafen Ludwig des Friedsamen vertraut ge-
macht hat. Aber seltsam, gerade die Geschichte
dieses vortrefflichen Regenten, eines der bedeutend-
sten Fürsten seiner Zeit, der frei vom Ballast
der Vielwisserei, gleich hervorragend als Staats-
mann, Heerführer und Gesetzgeber, ein Muster-
bild an Fürstentugenden war, ist nur wenigen
bekannt. Die Erinnerung an ihn wachzurufen,
ist der Zweck unserer flüchtig hingeworfenen
historischen Skizze, in der wir uns kurz fassen
mußten und die Thaten des Friedens dieses
Friedensfürsten zumeist nur andeuten konnten.
Zum Schlüsse sprechen wir die Hoffnung aus,
daß sich recht bald ein Historiker von Beruf der
Ausarbeitung einer auf gründlichen Quellenstudien
beruhenden umfassenden Geschichte des Landgrafen
Ludwig des Friedsamen und seiner Zeit unter-
ziehen möge. Er würde sich durch eine solche
wissenschaftlich sehr lohnende Arbeit ein ganz
besonderes Verdienst um die Geschichte unseres
engeren Vaterlandes Hessen erwerben.
llrichstein im Uogelsberg.
Von Dr. August Dorschen.
(Schluß.)
Im Frühjahr 1759 beschloß Herzog F e r d i n a n d
von Braunschweig, der nach glücklichem Feld-
zuge in Westfalen seine Winterquartiere bezogen
hatte, in Hessen, das fast gänzlich in Feindeshand
war, einzufallen. Um nun diesen seinen Plan
vorzubereiten und alle Hindernisse wegzuräumen,
ließ er verschiedene kleine Streifzüge unternehmen,
unter anderen auch einen solchen gegen das Berg-
schloß Ulrichstein. Am 6. April wurde durch
den Prinzen von Holstein eine Rekognoszierung
von Ulrichstein und Umgegend vorgenommen.
In der folgenden Nacht wurden die hessischen
Bat. „Garde. Grenadier, Erbprinz, Gilsa", die
preußischen Dragoner von „Fmkenstein," einige
Abteilungen hessischer und preußischer Jäger
und 3 Schwadronen der preußischen Husaren
von „Ruesch" mit dem Angriffe auf die Burg
betraut. Frühmorgens, um 2 Uhr, versammelten
fich diese Truppen unter dem Befehle des hessischen
Obersten von Ditfurth bei Eichelhain, einem
Dorfe zwischen Herbstein und Ulrichstein, eine
kleine Meile in östlicher Richtung von letzterem
gelegen. Unter den: Schutze eines dichten Nebels
erreichte man das Bergstädtchen; die Dragoner
marschierten in einer Entfernung von etwa 800
Schritten von demselben auf, während die Jäger
und Husaren jenseits des Schloßberges Stellung
nahmen, um hier den Franzosen den Rückzug
abzuschneiden. Die Besatzung des Schlosses be-
stand aus 150 Mann Infanterie und 30 Mann
Kavallerie vom berüchtigten, aber tapfern
Fischerschen Freicorps, unter dem Kommando
des Oberstlieutenant von Ried. Dieser hielt
gute Wacht; so blieb ihm denn nicht lange die
Annäherung des Feinoes verborgen, dem er
einen hartnäckigen Widerstand entgegenzusetzen
beschloß. Oberst von Ditfurth schickte nun sofort
sämtliche Sappeure vor, denen die schwierige
und..gefährliche Aufgabe wurde, das Thor mit
den Äxten zu öffnen. Zur Deckung der Sappeure
wurde das Bat. Grenadier nebst 2 Geschützen
bestimmt. Mit höchster Todesverachtung wurde
der Angriff auf das Hauptthor von dem aus
dem Städtchen führenden steilen Wege aus unter-
349
nommen. Die Verteidiger eröffneten ein
mörderisches Feuer durch die Schießscharten und
von den Dächern herab; auch mit einem Hagel
von Steinen, die fast noch gefährlicher wirkten,
als die Kugeln,' wurden die Angreifer über-
schüttet. Das Thor, welches durch eine hinter
ihm angebrachte Steinauffüllung verdoppelte
Widerstandskraft erhalten hatte, spottete allen
Anstrengungen der Sappeure, ja selbst den darauf
abgegebenen Kanonenschüssen. Trotz schwerer
Verluste wurde der Ansturm noch volle zwei
Stunden mit unübertrefflicher Ausdauer fort-
gesetzt. Oberst von Ditfurth, der alle Gefahren
mit seinen Leuten teilte, wurde selbst verwundet.
Das Geschütz wurde noch um 2 Dreipfünder
verstärkt, die nun gleichfalls ihr Feuer gegen
das Thor richteten. Nach Verlauf jener Zeit
erhielt Hauptmann von Weitershausen den Auf-
trag, die Besatzung zur Uebergabe aufzufordern.
Dieser führte seinen Auftrag voreilig aus, bevor
man auf beiden Seiten Ruhe hergestellt hatte.
Als Hauptmann von Weitershausen in Aus-
führung des erhaltenen Befehls näher trat, erhielt
er einen wuchtigen Steinwurf, der seinen Tod
herbeiführte. Obgleich das Schloß noch wenig
gelitten hatte, nahm Oberstlieutenant von Ried,
angesichts eines so tapfern und unermüdlichen
Gegners, die Bedingungen der Uebergabe an; er
kapitulierte unter der Bedingung freien Abzugs
mit Waffen und Gepäck unter den üblichen
kriegerischen Ehren. Außerdem mußte sich die
Besatzung verpflichten, ein volles Jahr lang nicht
gegen die Alliierten zu dienen.
Die Verluste der Hessen waren verhältnismäßig
groß. Sie beliefen sich auf 2 Offiziere und
20 Soldaten an Toten, sowie auf 100 Mann
an Verwundeten, unter welchen, wie bereits oben
berichtet, sich Oberst von Ditfurth selbst befand.
Der Feind hatte 10ffizier und 7 Mann an Toten.
In dem Briefwechsel des Herzogs Fer-
dinand von Braunschweig mit Friedrich
dem Großen findet sich eine besondere, über-
aus löbliche Erwähnung dieses heldenhaften An-
sturmes des hessischen Bat. „Grenadier." Der
Oberbefehlshaber der Alliierten meldete dem
preußischen König aus Fulda unter dem 9. April
1759, daß dieses Bat. bei jenem Sturme „Wunder
derTapferkeit vollbracht habe." (Vgl. Knese-
beck, Ferdinand Herzog zu Braunschweig während
des siebenjährigen Krieges (Hannover 1858) Bd.
I., S. 314).
War hierbei das Bergschloß Ulrichstein Zeuge
höchster Tapferkeit unserer Landsleute im An-
griff gewesen, so wurde eine gleiche Tapferkeit
auch bei einer Verteidigung dieser Feste zu
Ende desselben Krieges von ihnen entfaltet.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1762 ver-
schob sich der Kriegsschauplatz wieder nach Ober-
heffen. Nach dem Siege Ferdinands bei Wil-
helmsthal am 24. Juni zog sich das französische
Hauptheer unter den Marschällm ä'Lstrsss und
Koubis« auf die rechte Seite der Fulda zurück;
Ferdinand suchte ihnen sodann die Verbindung
mit dem Maine abzuschneiden. Hierauf rückte
Prinz Oonäs in 5 Kolonnen vom Niederrhein
zur Unterstützung der Marschälle heran. Bei
Gießen überschritt er am 6. August die Lahn;
schon am folgenden Tage schlug er bei Stangen-
rod, eine halbe Meile nördlich von Grünberg
gelegen, sein Lager auf. Von hier aus wurden
nun verschiedene Streifzüge gegen die Alliierten
unternommen. So rückte denn, nachdem am 8.
August eine Rekognoszierung des Schloffes von
Ulrichstein durch leichte Truppen unter General
Wurmser stattgefunden hatte, in der folgenden
Nacht General-Lieutenant Graf d'Affry aus
dem Lager von Stangenrod gegen diese Feste
vor; er hatte 2 Brigaden unter seinem Befehle,
die Brig. Orleans und die Cav. Brig. de Berry,
nebst 4 schweren Geschützen und 2 Haubitzen.
Diesen Truppen stand die geringe Besatzung von
50 hessischen Jägern unter Hauptmann von
Wurmb und Lieutenant Geise gegenüber. Mor-
gens um 8 Uhr erschien der französische General-
Lieutenant vor der Burg und eröffnete sofort
ein heftiges Feuer auf dieselbe. Sodann folgte
Sturm auf Sturm. Die geringe Zahl der Ver-
teidiger leistete jedoch den tapfersten Widerstand.
Erst gegen Mittag, als eine breite Bresche er-
öffnet wurde, die weitere Gegenwehr unmöglich
machte, ergab sich die hessische Besatzung. Das
Schloß wurde nun mit einer Abteilung leichter
Truppen unter General Wurmser besetzt. Nach-
dem Graf d' Affry einen Haufen von Bauern
zum Abtragen der Festungswerke aufgeboten
hatte, trat er den Rückzug nach dem Lager des
Prinzen Cond« an. Als sich nun auch General
Wurmser bald wieder nach Freiensteinau zurück-
zog, stellten die Bauern ihre Arbeit wieder ein.
Der Erbprinz von Braun schweig (der
tapfere, später so unglückliche Oberbefehlshaber
in der Champagne und bei Jena und Auerstädt)
wurde nun gegen Conds gesandt und drängte
diesen bis gegen Gießen zurück. DaS französische
Hauptheer aber trat in südlicher Richtung
gegen Hersfeld, Hünfeld und Hanau den Rück-
zug an, um sich mit Conds zu vereinigen.
Herzog Ferdinand folgte den Marschällen über
Alsfeld, um eine Vereinigung des feindlichen
Hauptheeres mit Cond« zu hindern. Am 26.
Aug. bezog das alliierte Heer ein Lager zwischen
Ulrichstein und Engelrod ('/» Meile ost-nord-
östlich von ersterem), in welcher Stellung es zwei
Tage verblieb. Hierbei wurden denn auch die
350
Bewohner von Ulrichstein wieder hart mitge-
nommen. Ein Gleiches fand statt bei dem Rück-
züge der Alliierten hinter die Ohm im folgenden
Monat, welcher Rückzug durch das unglückliche
Treffen bei Nauheim veranlaßt wurde. Bei
diesem Rückzüge ging ein großer Teil der Ba-
gage über Ulrichstein; ebenso hatte General Frey-
tag einige Tage sein Lager in der Nähe; des-
gleichen stand gegen Ende des September General
Poyanne bei Ulrichstein.*) Zum Glücke für ganz
Heffenland fand dieser verhängnisvolle Krieg
noch in diesem Jahre sein Ende. —
*) Die Gemeinde Ulrichstein bewahrt noch die Akten
über die durch die Kriegsereigniffe vom August bis November
1762 entstandenen Kosten. Dieselben wurden dem Verfasser
mit dankenswerter Bereitwilligkeit zur Verfügung gestellt.
Sie enthalten zwar nichts wesentlich Neues, lassen jedoch
erkennen, wie hart selbst dieses kleine Städtchen von dem
siebenjährigen Kriege mitgenommen worden ist. Die ent-
standenen Kosten und Schäden sind bis in's Einzelne
genau verrechnet und zusammengestellt. Für jeden einzelnen
oer betroffenen Bewohner (von denen 31 mit Namen auf-
geführt worden sind) ist ein besonderes Verzeichnis mit je
17 Rubriken, wie folgt, aufgeführt:
1) Bey der Belagerung den 8. u. 9. Aug. 2) Bey dem
Haubtquarür d. 26. u. 27. Aug. 3) Brodwahgen vom
28. Aug. bis 8. Sept. 4) Rückzug der Bagagen davon
Lacher im feltrüb d. 8. Sept. ö) Engelenter Durchzug
und Lager beym galgen Strauch. 6) Freytags Jäger
Corps d. 10. II. 12. Sept. 7) Volantir St. Victor, so
in der nacht dm 13. von Schotten kommen. 8) Fouragierung
nach Mendorf ii Wagen d. 27. Sept. 9) Lager des
General Poian d. 28. u. 29. Sept. io) Seybertröder
furagierung den 4. Oetobr. 11) Bedeckung aus den Höffen
d. 10. und N. Oktober. 12) furagierung zu Langwaßer u.
grundmihl d. 13. October. 13) Bedeckung wie das gericht
Engelroth das 1. mal furagirt. 14) Als die Berchinischen
Husarenden 21. October furagirt. 15) Bedeckung von den
Sachsen, wie das Gericht Engelroth das 2. mal ist furagiert.
16) Bedeckung wie die Kirch bestohlen, 31. October. 17)
Garnison von Kaffel, 11. November.
Erst in unserem Jahrhunderte fiel die statt-
liche Feste Ulrichstein, die die Stürme des dreißig-
jährigen und des siebenjährigen Krieges über-
dauert hatte, der Vernichtung anheim, und zwar
durch bedauerlichen Vandalismus in Friedens-
zeiten. Noch in den zwanziger Jahren wurde
das Schloß als Beamtenwohnung benutzt. Im
Jahre 1826 jedoch wurde es an einen Privat-
mann (namens „Schuchard") für 820 Gulden
verkauft. Dieser wußte nichts Besseres mit dem
Schlosse anzufangen, als es abzubrechen, und das
hierdurch gewonnene Material teils zu ver-
äußern, teils auch zur Erbauung eines Wohn-
hauses in dem Städtchen zu benutzen. —
So wurde das altehrwürdige Bergschloß von
Ulrichstein zerstört! —
Der Wanderer*) aber, der mit Entzücken
vom Gipfel des Schloßberges von Ulrichstein in
die weite Ferne das Auge schweifen läßt, er
erinnere sich an all' die hohen Namen, die sich
an die altersgrauen Trümmer zu seinen Füßen
knüpfen. Vor allem aber erinnere er sich ge-
hobenen Herzens an die Großthaten unserer
Väter, die auch hier welschen Stolz brachen, die
auch hier des Hesfenlandes sich würdig erwiesen! —
*) Seitdem im Jahre 1881 sich auch für den Vogels-
berg ein eigener Touristen-Club gebildet hat, ist auch dieses
Gebirge, für den eben Ulrichstein ein wichtiger Eingangs-
punkt ist, mehr und mehr ein beliebtes Ziel des Wanderers
geworden. Und in der That, wie lohnend und genußreich
ist die Wanderung über diese gewaltigen Basaltkuppen,
durch diese lieblichen stillen Thäler mit ihren grünen Mat-
ten und ihren murmelnden klaren Bächlein! — Ein be-
sonderes Verdienst hat sich in dieser Hinsicht Prof. Dr.
Büchner (der Sekretär des oberhessischen Vereins für
Lokalgeschichte) erworben durch die Veröffentlichung seines
trefflichen Führers durch den Vogelsberg, Gießen bei E.
Roth 1887. —
ie Uulöaer Worzellansabrik
spielt eine nicht unwichtige Rolle in der soeben
ausgegebenen Schrift: „Die Kurmainzische
Porzellan-Manufactur zu Höchst von
dem Wiesbadner Privatgelehrten Ernst Zais."
Wir ersehen aus diesem Prachtwerk ersten
Ranges, deffen Herstellung allein schon einen sehr
langen Geldbeutel voraussetzt und dessen Material
aus verschiedenen Archiven von Wien bis Würz-
burg zusammengesucht ist, daß Fulda die zweite
Tochter von Meißen war, — die erste ist Wien.
Die Manufactur zu Höchst wurde im Früh-
jahr 1746 durch Adam Friederich Löwenfinck
eingerichtet.
Derselbe, Sohn eines kursächsischen Offiziers,
war 1726 mit zwei Brüdern in die Manufactur
u Meißen, wo der bekannte Böttger 1711
as Porzellan bei seinen alchimistischen Versuchen
nacherfunden hatte, eingetreten. Zehn Jahre
später entwich er von dort unter Mitnahme
eines Pferdes und Zurücklaffung zahlreicher
Schulden nach Bayreuth. Hier sollte er seinem
Landesherrn ausgeliefert werden, weshalb er sich
nach Fulda flüchtete.
Er ist wohl derjenige, der hier die Entstehung
einer Porzellanfabrik veranlaßte. Die Gründung
wäre demnach in die Jahre 1736 oder 1737 zu
351
setzen. Da er im Jahre 1746 in Höchst begann,
nachdem er im Sommer 1745 zu Weißenau bei
Mainz einen vergeblichen Versuch gemacht hatte,
eine Fabrik zu errichten, so hat er etwa acht bis
neun Jahre in Fulda gearbeitet und zwar mit
erheblichem Erfolg, denn wie Zais S. 10 bemerkt,
erhielt er daselbst von dem Beichtvater des Königs
Ludwig XV. durch Vermittlung der Jesuiten
Molitor (war dies vielleicht ein Fuldaer?)
und Sussman wiederholt Briefe mit der
Aufforderung, im Elsaß eine Fabrik zu errichten.
Erst später gelang es dem französischen König,
eine solche einzurichten.
Aus seiner Stellung in Fulda ist Löwenfinck
ohne solche Differenzen geblieben, die ihn bei
dem damaligen Landesherrn, dem Fürstabt Amand
von Buseck, unmöglich gemacht hätten, denn von
Höchst aus ist er noch oft und auf längere Zeit nach
dieser Stadt, wo er auch eine Braut hatte, ge-
kommen, worüber schließlich bittere Klagen ein-
liefen, da in seiner Abwesenheit sein jüngerer
Bruder die Leitung führte, mit welcher es recht
schlecht aussah.
Die Höchster Gründung verdankt ihren Ursprung
zwei Frankfurter Kaufleuten, die zugleich Factore
der Mainzischen Spiegelfabrik zu Lohr waren
und mit Löwenfinck einen Vertrag schloffen.
Anfangs 1749 wurde Löwenfinck, der sich mit
seinem Personal nicht vertragen konnte, aus Be-
fehl des Kurfürsten ausgewiesen. Er ging nach
Straßburg, wo sein jüngerer Bruder, wahrschein-
lich auf seinen Betrieb, schon mit Einrichtung
einer Fabrik beschäftigt war, "und ist auch dort
gestorben.
„Schon eine Woche .nach Eröffnung der An-
stalt (zu Höchst) drohte eine auswärtige Frage,
indem der Fuldaische Hof seine angeblichen Rechte
auf den Maler Heß geltend machte. Letzterer
wurde nämlich durch den Vicedom Freiherrn von
Buseck vorgefordert, obwohl er mit dessen Wissen
nach Höchst übergezogen. Auf Verwendung des
kurfürstlichen Kämmerers Freiherrn von Fechen-
bach, des Schwiegersohnes von Buseck, erledigte sich
jedoch der Streit zu Gunsten von Heß, so daß
dieser in Höchst verbleiben durfte." (Zais S. 6).
„Die Bereitung der Farben war im Beginn
der Fabrik Heß übertragen. Nach der Berufung
des jüngeren Löwenfinck versahen die beiden
Brüder das wichtige Amt. In der Herstellung
einer Purpurfarbe aus Gold wird Heß als der
Lehrmeister von Löwenfinck genannt, der schon
früher zu Fulda von demselben Lehrer die Zu-
richtung der hell- und grasgrünen Farbe, ferner
des Zitronen- und Schwefelgelbs erfahren hatte.
Eine andere Aussage läßt den Löwenfinck die
Kenntnisse der Farbenbereitung, ehe er nach Fulda
kam, durch einen gewiffen Ernst für 50 fl. er-
halten."
Heß, geboren 1698 zu Fulda, war eine äußerst
vielseitige Natur. Maler, „Arkanist," der die
„Geheimnisse" der Farbenbereitung kannte — das
Renommee einer Fabrik hing hauptsächlich von
dieser ab — auch Bossierer und Former, der die
künstlerische „Figurierung" besorgte, war er auch
in der Technik nicht unerfahren. Kein Wunder,
daß man ihn von Fulda nicht ziehen laffen
wollte, 1749 machte man ihn auch zum Inspektor
der Höchster Fabrik.
Nach dem Jahre 1750 wird er nicht mehr
erwähnt und wir wiffen nicht, was aus ihm ge-
worden ist.
Die Leistungen von Löwenfinck und Heß ge-
statten einen Rückschluß auf die Fuldaer Fabrik,
die sich schon damals (1746) einer hohen Blüthe
erfreute.
Wenn Löwenfinck auch nicht die erste Ein-
richtung derselben besorgt haben sollte, denn von
einem JeremiasPitsch*) aus Rothenburg an
der Tauber, der 1748 zu Höchst als „Dreher"
arbeitete, sagt Zais S. 136, er habe früher Fa-
briken zu Ansbach, Fulda und Oettingen ein-
gerichtet, was wohl auf einen erstmaligen Versuch
zu beziehen ist, so hat er doch auf Grund einer
zehnjährigen Erfahrung, die er zu Meißen sam-
melte, unstreitig viel dazu beigetragen, daß der
Ruhm der Fuldaer Fabrik sich über die Grenzen
Deutschlands verbreitete.
In der ersten Zeit ihres Entstehens hat Höchst
noch verschiedene Arbeiter aus Fulda herangezogen.
So einen „Brenner" Heinrich Eberhard,
einen „Buntmaler" (Emailmaler) Philipp Be-
thel, einen „Blaumaler" (Glasurmaler) Georg
Adam Keib.
Ein Bossierer Buchwald ging 1748von Höchst
nach Fulda; von 1761 ab finden wir ihn in
Norddeutschland (Marieberg, Kiel, Eckernförde).
Seine Punschnäpfe, die die Form einer Mitra
hatten, sind berühmt.
Für die Zeit von 1752 bis 1798, in welchem
letzteren Jahre die Höchster Fabrik einging,
fließt das Material sehr spärlich. Von Be-
ziehungen zu Fulda hören wir nichts.
Ueber diese Fabrik müßte sich natürlich ein
nicht unerhebliches Actenmaterial angesammelt
haben. Allein es ist nach den Versicherungen
meines verehrten Freundes, des Verfaffers obiger
Monographie, in dem Staatsarchiv zu Marburg,
wo jetzt das Archiv des Fürstenthums Fulda auf-
bewahrt wird, kein Blatt mehr über dieselbe vor-
*) Schon der Umstand, daß Pitsch >745 als einfacher
„Dreher" in Höchst arbeitete, spricht nicht dafür, daß er
eine Persönlichkeit von solchen Fähigketten war, wie sie
jut Neueinrichtung einer Fabrik erfordert wurden.
352
Handen, was sehr zu beklagen ist. Vielleicht
haben subalterne Hände nach Eingehen der Fabrik
am Ende des vorigen Jahrhunderts die Acten
vernichtet.
Man wird deshalb die spärlichen gedruckten
Notizen, die sich in der Litteratur des vorigen
Jahrhunderts finden, möglichst sammeln müssen.
So enthält nach einer Mittheilung des Herrn
Zais die „Handelszeitung oder wöchentliche Nach-
richten von Handel, Manufacturwesen und Oeko-
nomie" (Gotha bei Ettlinger) im Jahrgang 1785
S. 38 ein Preisverzeichniß von Fulda. Jahr-
gang 1787 S. 299 findet sich die Notiz: „die
Fabrik in Fulda, welche herrschaftlich ist, hat in
der Schönheit der Waare starke Fortschritte ge-
macht, so daß das Porzellan in der Masse und
Schönheit der Arbeit von Kennern geschätzt wird.
Der Verwalter derselben ist Herr A. Ripp, bei
welchem die Bestellungen gemacht werden".
In dem Journal von und für Deutschland
Jahrgang 1785*) findet sich ein längerer Aufsatz
(S. 7 — 13) über Porzellanfabriken und ihre
*) 3ch besitze von diesem Journal, das erst Gbckingk,
dann der freisinnige Fuldaer Propst von Bibra redigirte,
leider nur vie Jahrgänge 1785 u. 1789. die übrigen 6 oder
7 Bände sind in Folge der Schlacht von Bronnzell im
November I8S0 zu Grunde gegangen, da die Strafbaiern
auch die Bibliothek meines damals beretts verstorbenen
Großvaters, der an diesem Journal mitgearbeitet hatt«,
als feindliches Gut behandelten.
Rentabilität, der von einem Fachmann herrühren
muß. Don Fulda heißt es nur, daß Franken
von hier aus Waaren bezöge. (Von der Fabrik
in Kassel wird gesagt: Hessen hat seine eigenen
Fabriken und doch halten die Kursachsen —
Meißen — Meffe in Kassel). In demselben
Jahrgang findet sich von S. 29 ab ein ausge-
dehnter Preis-Courant der bekannten Fürsten-
berger (Höxter) Fabrik.
Eine 20 Zoll hohe Reiterstatue des Königs
von Preußen kostet beispielsweise 45 Thaler, was
für damalige Zeiten nicht gerade billig war.
Mein verehrter Freund, der selbst reiche Samm-
lungen, wenn auch nicht gerade von Fuldaer
Porzellan besitzt, schreibt mir über dieses: „ganz
hervorragend sind die Fuldaer zeitgenössischen
Kostümfiguren". Wer von uns hätte sich nicht
schon an diesen zierlich geformten und geschmack-
voll bemalten Rokokofiguren ergötzt, die in ihrer
ursprünglichen Heimath leider schon recht selten
geworden sind!
Sicherlich läßt sich aus Druckwerken des vori-
gen Jahrhunderts, aus fuldaischen Kalendern u.
oergl. noch Mancherlei zusammenstellen. Die
vorzüglichen Leistungen der Fabrik hätten schon
lange einen Lokalforscher zu dem Versuch einer
Monographie derselben bewegen sollen. —
Osnabrück.
K. Kerquet.
<SS-
om Khristkinö.
Veihnschlsbilö von W. Herbert.
(Meiern wir den Christabend im alten, grauen,
W winkeligen, weltvergessenen Bergstädtchen.
C* 7! Dort wimmelt es von ärmlichen, altmodischen,
echten, rechten Kindern, die den Tag über in der
cheuen Erwartung zusammenhockten, „das liebe,
Üße Christkind" um die Stubenecke stiegen zu
eben; die schon seit Wochen doppelt ftomm zu
ein sich bemühten, damit der Himmelsbote nicht
vorübergehe, Kindern, die noch zitternd dem St.
Nicolaus ihre Gebete hersagten und den seltsam
eputzten, heiligen Mann im Flachsbarte und mit
er Krone von Goldpapier mit einer Ehrerbietung
beschauten, als käme er direct aus Gottes Wohnung,
wohin er auch bald zurückkehren und Bericht ab-
legen würde. Abends auf den Knien falteten sie
die Händchen und sahen vertrauensvoll durch das
dunkele Stubenfenster zum leuchtenden Abend-
himmel auf. Dort oben bereitete das Christkind
tausend und abertausend Weihnachtsbäume, und
sie musterten nachdenklich die goldenen, blanken
Sterne, auf welchem wohl der ihre geputzt würde.
Morgens schlangen sie die Aermchen um den
Hals der Mutter, irgend einen großen Wunsch
auf dem Herzen. „Mutter, sag's doch, bitte,
dem Christkind, wenn's dich fragt. Bitte, bitte,
erzähl' ihm auch, wir hätten's nicht so bös ge-
meint, als wir neulich ungezogen waren."
Schon fällt der Schatten der heiligsten Nacht
der Nächte des Jahres tiefer in die schmalen
Gassen; Lichter funkeln auch hinter den blinden
Fensterscheiben der Handwerker; dort und da
strahlen sie bereits flimmernd, verheißungsvoll
hinaus auf das holperige Pflaster: der Vater
oder die Mutter arbeitet im Dienste des Christ-
353
lindes. Ueberall riecht's nach Bratäpfeln, frischem
Kuchen und Tannenharz; Nüsse klappern in den
Körben der Leute, denen es spät erst gelang,
Feierabend zu machen, und die nun heimkehren
vom Christmarkt. Manches arbeitsharte, falten-
reiche Gesicht glättet sich zu einem glücklichen
Lächeln, und Jeder, der heute nur etwas zu ver-
schenken hat, und sei es ein Gegenstand aus der
„Fünfgroschenbude", dünkt sich ein kleiner Krösus,
fühlt sich doppels wichtig, fast geehrt durch die
Mission, zu irgend Jemand die Freudenbotschaft
von seiner Liebe zu tragen. Das Gloria zittert
in der Lust — denn unser Herrgott feiert Seinen
höchsten Festtag, den Tag der Neugeburt der
christlichen Liebe, an dem Er blühen sieht, was
oft das Jahr hindurch so still und verdorrt stand
in der Menschenbrust. Nun springen die Knos-
pen, nun sproßt aus kaltem Boden die Weih-
nachtsrose.
Der Stern von Bethlehem ist aufgegangen;
die Hirten, die Könige und die Weisen folgen
seinem Strahl. Wieder zeigt sich Gott als Kind
auf Seiner Mutter Arm, lächelnd, holdselig, die
Arme ausbreitend nach Allen — nach den Kindern
Seiner Gnade und nach den dunkeln Seelen der
Heiden. Unwiderstehlich in Seiner süßen kind-
lichen Barmherzigkeit, zwingt er zu Seinen Füßen
die Wegmüden, Starren und Kalten. Er läßt
die Menschen nicht los, wie sie auch aus Seiner
Nähe sich entfernt haben; er weiß sie zu finden,
und zuweilen unbewußt feiern sie Seines Namens
Herrlichkeit. Mit göttlicher Erleuchtung naht Er
den Aermsten und Reichsten und segnet, feuert
an, zwingt zur That. Die Gabe des Aermsten
aber ist die größte; zu den Niedrigsten beugt sich
das göttliche Kind am tiefsten herab. Wenn Es
dort Sein Licht brennen sieht, wie erdenerwärmend
wird Sein Lächeln!
Nicht in Schnee und Eis, beinahe frühlings-
artig kam in diesem Jahre der heilige Abend,
und wie im Lenz drängte sich aus den engen
Wohnungen das Leben auf die Straße.
Auf der Treppe des dreistöckigen Hauses, das
schmal wie ein Handtuch zwischen den breitspurigen
Gefährten hing, über dessen gewölbter, eisenbe-
schlagener, von Rauch und Zeit geschwärzter Thüre
noch die Jahreszahl 1643 in den Balken gegraben
war, saß ein Häuflein flachsköpfiger kleiner Bürger
dicht an einander gedrängt.
Da war die Trine des Schusters, eine hand-
feste, entschiedene kleine Person, welcher der blonde
Zopf stets eigensinnig vom Kopfe wegstarrte, der
die Locken und Löckchen trotz aller mütterlichen
Pommade wild um die Stirne flatterten. Sie
hielt ihr zweijähriges Schwesterchen, das Joseph-
chen, auf dem Schooße. Das rosige, posaunen-
engelhaste Josephchen mit den schiefen Beinchen
war eigentlich ein Schreihals erster Klasse. Heute
aber war's zufrieden, von der Stimmung des
Abends ergriffen. Es liebäugelte mit den grell-
roth bekleideten Füßchen und balancirte das bunt-
gestickte „Pätschchen" auf der großen Zehe, hin
und her. Neben Trine saß Handschuhmachers
Julchen, beinahe zitternd in der Aufregung der
Erwartung. Ihr schloffen sich Bäckers Karlchen
und Fritzchen an. Fritzchen trug ein großes,
gelbes Taschentuch über dem Kopfe, mit zwei
Zipfeln geknotet, weil er Zahnweh hatte. Nun
aber überwog die Freude des Harrens und Bangens,
die gewaltige Spannung des Gemüthes den
körperlichen Schmerz; er kauerte da mit leuchten-
den Augen und halb offenem Munde, regungs-
los. Alle, wie sie da zusammensaßen, warteten
auf die Schelle, welche sie zur Christbescheerung
rufen sollte.
„Ich möchte wissen, was ich krieg'," seufzte
Julchen.
„Ein goldenes »Nichtschen« und ein silbernes
»Wart' ein Weilchen«", entgegnete das bereits
schulpflichtige Karlchen.
„Mach' jetzt keine Flausen; 's Christkind hörts."
„Ich hab' das Christkind gesehen!" rief Trine
eifrig. „Just vor ein paar Minuten, als ich in
der Bodenluke stand, flog's in einer schneeweißen
Wolke über die Stadt hin. Hu — so schnell!
Gewiß wollte es noch ein Mal sehen, ob auch
kein Kind löge, oder schnuckte, oder sein Brüderchen
kratzte."
„Und ich," meinte Fritzchen, der noch nicht volle
vier Jahre alt war und sich das „däddeln" nicht
abgewöhnen konnte, „ich hab dem Christkind zu-
gehört. Es will dem Karlchen eine große Peitsche
bringen und ein »Huschepferd«, wenn's nicht mehr
am Daumen lutscht, hat's zur Mama gesagt.
Gestern Abend war's als ich schon im Bettchen
lag."
„Du hast ja den Daumen im Munde, Fritzchen!"
mahnte Trine. Der kleine Sünder zog ein schiefes
Mäulchen und besah reuevoll den rothen, fetten
Finger, der sich immer wieder zwischen die weißen
Zähnchen verirrte.
Karlchen hatte auch seine Hoffnung im Betreff
dessen, was das Christkind bringen sollte. Er
träumte von einem Bücherranzen mit grünem
Lederdeckel und von einem Federkasten, auf dem
die sämmtlichen Gestirne des deutschen patriotischen
Himmels auf goldenem Grunde gemalt sein
sollten.
Das zwischerte durcheinander, als sei ein Nest
voll junger Zaunkönige ausgeflogen. Die Er-
regung stieg von Secunde zu Secunde, und da
sie auf ihrem Höhepunkt angelangt war, machte
sie Karlchen so tollkühn, daß er sich an das
väterliche Ladenbrett im Erdgeschoß schlich, wo
354
die frischen Christtagsstollen und bunten Weih-
nachtsmänner auf einem weißen Tuche lagen,
und auf den Stein kletterte, von welchem aus
die Kunden ihre Waaren verlangten. Auf die
Zehen sich hebend, wollte er Einblick gewinnen
in die elterliche Wohnung, wo das Christkind
seine „Heimlichküche" hatte.
Fritzchen aber hing sich heulend an seine Rock-
schöße und schrie: „Dann nimmt das Christkind
alles und trägt's direct in den Himmel hinein
. . . Nicht gucken! Nicht gucken!
Das weinerliche, blasse Julchen des Handschuh-
machers, welches sonst vor lauter Zimperlichkeit
nicht bis drei zählen konnte und stets vor den
Gänsen und dem Lilliputhunde des Raseurs auf
der Flucht war, zog den Uebelthäter an seinem
defecten Höschen herab von dem usurpirten Steine
und hielt ihm resolut die beiden mageren Fäuste
entgegen. „Du darfst das Christkind nicht böse
machen, sonst fliegt's fort, auf und davon."
„Wohin denn?" fragte Karl überlegen.
„Aus der Welt —, nach Amerika — oder
zurück in den Himmel."
„Bringt das Christkind euch einen Baum?"
fragte Fritzchen.
Julchen nickte geheimnißvoll: „O, solch' einen
kleinen, wunderhübschen Baum! — cs hat ihn
droben in die Gang-Ecke hingestellt. Der Baum
ist noch nicht einmal so groß als ich — so nied-
lich! Und eben jetzt putzt das Christkind ihn
aus. Nach Weihnachten legt es die Zuckersachen
wieder in das rothe Kästchen oben auf dem
Schranke — jetzt steht die Schachtel auf dem
Tisch, und die Engel fädeln die zerbrochenen
Dinge wieder zusammen. Mutter und Vater
dürfen zusehen." So sprach Handschuhmachers
Julchen mit verklärtem Gesicht und einem heiligen
Schauer im Herzen.
Plötzlich hatte Karlchen einen Einfall. Er
warf seine gestrickte Pudelmütze in die Luft und
schrie: „Das Christkind soll leben! Vivat hoch!"
„Vivat hoch!" rief die ganze Gesellschaft wie
aus einem Munde.
In den Jubel hinein tönte die Schelle aus
der Wohnung des Bäckers. Wie schnell Fritz und
Karl jetzt Kehrt machten! Sie rannten das
arme Julchen beinahe über den Haufen, sprangen,
troddelten, stolperten die Treppe hinauf. Aber
an der Thür des Wohnzimniers faßten sie ein-
ander an der Hand, legten die kleinen Gesichter
in feierliche Falten und betraten gravitätisch die
Schwelle, über welche das Christkind geflogen.
Die klebrigen drängten in die Hausthür und
sahen ihnen nach. Das Licht des Bäumchens
fiel während eines Augenblickes auf die schwarzen
Dielen des Hausflurs; dann schloß sich der
Spalt.
Wir aber schauen durch das Fenster und sehen
sie Alle mit gefalteten Händen vor der papicrnen
Krippe stehen: den Bäcker und die Bäckerin, den
Lehrling, die schluchzende Magd und die Kinder.
Und wenn auch jeder von ihnen die Melodie des
Liedes anders auffaßt, es klingt doch schön:
Ach, seht in der Krippe
Auf Hm und auf Stroh,
Maria und Joseph betrachten es froh:
In reinlichen Windeln das himmlische Kind,
Viel reiner und holder, als Engel es find.
„Nun muß es bei uns auch bald bimmeln!"
meinte Schusters Trine, indem sie dem Josephchen
auf die wackeligen Beinchen half und es tröstend
bei der Hand nahm. Sie stellte sich in der
Hausthür in Positur; denn ihre Eltern wohnten
im ersten Stock, und die Kinder durften sich,
strenger Verhaltungsmaßregel zufolge, nur auf
gegebenes Zeichen droben blicken lassen.
Handschuhmachers Julchen aber stand unbeweg-
lich mitten in der Straße und beobachtete mit
athemloserSpannungdieFenster„ganz am höchsten"
hinter denen ein wunderbares Funkeln und Flim-
mern zu entstehen begann. Die kleine, ernsthafte
Person hoffte im Stillen, sie werde Zeugin sein,
wie das Christkind oben aus dem Fenster her-
ausflöge mit all' seinen beschwingten Begleitern.
Trine und Josephchen waren schon gerufen —
da fiel ihr ein, auch die Nachbarhäuser zu be-
trachten, und sie gewahrte, daß in dem gegen-
überliegenden kein Licht brannte. Es war ja
auch natürlich; denn dort wohnte die „Botenfrau",
welche erst noch mit dem Zuge aus der nächsten
großen Stadt zurückkam, und der Straßenkehrer
Herbold, der niemals Abends zu Hause war.
Ob wohl zu dem Frieder des Straßenkehrers auch
das Christkind kam? — Gewiß doch — der
Frieder war ein ordentlicher Junge, treuherzig,
wenn auch schmutzig und verlumpt. Julchen
faltete im Stillen die Hände: „Liebes Christkind
vergiß doch den Frieder nicht!"
In diesem Augenblicke rief die Stimme des
Handschuhmachers von oben: „Julchen, Julchen,
der Christbaum brennt!" Mit einem jubelnden
Aufschrei stürzte das kleine Mädchen vorwärts.
Alles, was die Kinder einander vor der Thüre
erzählt, hatte des Straßenkehrers Frieder, der
am offenen Fenster der dunklen Stube saß, gehört.
Der Frieder war ein schmächtiger, blasser Junge
von acht Jahren, der keine Mutter mehr hatte
— nur einen groben, polternden Vater, welcher
Abends erst spät aus dem Wirthshause zu kommen
pflegte.
Keine Weihnachtsfreude für den Frieder? Er
war ein vergessener, kleiner Kerl, dem Niemand
ein„Huschepferd", noch einePeitsche kaufte oder irgend
etwas anderes. Und doch hätte der Frieder für
355
sein Leben gern eine kleine Trompete von Blech
gehabt, so ein wunderbares Instrument, das eine
Stimme hat, die man wecken kann, wenn man
Abends so ganz allein in der dunkeln Kammer
ist und vor Gespenstern und Ratten sich fürchtet;
mit dem man auch allen Jungen auf der Straße
vorangehen kann, wie ein riesiger Trompeter in
der Armee.
„Ach liebes, liebes Christkindchen! Nur eine
kleine, kleine Trompete — du hast doch den Frieder
nicht vergessen, liebes Christkind? Die Mutter
hat mir ja erzählt, daß du alle Kinder lieb hast,
die an dich glauben und zu dir beten."
So sprach der Frieder und preßte mit In-
brunst die Finger in einander. Kein Auge
wandte er von den leuchtenden Fenstern im Nach-
barhause und bekümmerte sich, warum das Christ-
kind „die paar Schritte" zu ihm herüber nicht
mache, da es doch ein Mal auf dem Wege sei.
Wie er so recht eifrig gebetet hatte und kindische
Gelübde gethan, kam plötzlich eine Art zitternder,
freudiger Furcht über das einsame Kind. Mit
weit aufgesperrten Augen sah es nach der Thüre
hin; denn es dachte, die müsse jetzt aufspringen,
und dann käme das weiße, leuchtende Jesulein
herein mit einem Lichterbaum und einer Trompete.
Statt dessen aber keuchte und ächzte etwas
auf dem Gange; c'n Korb wurde stöhnend nieder-
gesetzt, ein Zündholz strich gegen die Wand und
ein Kopf zeigte sich in der Thürspalte.
„Heda Frieder!" sagte die heisere Stimme der
Botenftau, die heimgekommen war, „hilf mir
'Mal die Kiepe von der Schulter lad>n! Eil'
dich, Bub!"
Der Frieder that's, und da stand sie im Lichte
der flimmerigen, blinden Stall-Laterne, die alte,
schrumpelige Botenfrau, welcher der Kopf vom
Tragen schwerer Kisten tief auf die Brüsk ge-
wachsen war. Sie sah ihn mit ihren grauen,
blinzenden Augen an. „Was treibst du denn,
Friederle, allein in der kalten Stub'? Ist denn
der Vater noch nicht heimgekommen?"
„Ich hab' gebetet," sagte der Frieder, der nur
von einem Gedanken erfüllt war; „das Christkind
ist 'nübergeflogen zu den Bäckersleuten und
zum Schuster, hat auch Handschuhmachers Julchen
nit vergeflen. Keinen vergißt's — gelt Anne-
Marte? Ich muß schnell wieder in die Stube,
damit ich's nit verpaß', wenn's vielleicht an's
Fenster klopft."
„Da geh', du Hans Narr!" brummte die Boten-
frau, belud sich mit ihrem Korbe und stolperte
die knarrende Hühnersteige empor, welche zu ihrem
Kämmerchen führte. Da droben war alles kalt,
unwirthlich, unfestlich und öde, wie es bei ein-
samen Leuten aussieht, welche den ganzen Tag,
die ganze Woche kaum in ihre Behausung kommen, j
Aber sie war es ja nicht anders gewöhnt, die
alte Anna-Marte. Sie stellte die Laterne auf
den Tisch und stng an, all' die Packen und
Päckchen, welche sie von der Residenz für die
Kleinstädter mitgebracht hatte, ihrem Korbe zu
entnehmen. Dann machte sie sich auf den Weg,
jedes Einzelne zu seiner Bestimmung zu tragen.
Als sie am Fenster des Straßenkehrers vor-
über kam, leuchtete, gegen die Scheiben gepreßt,
das blasse, sehnsüchtige Gesicht des Kindes, welches
auf das Christkind wartete.
„Armer Kerl!" dachte die alte Person; „kann
lange warten! Dem steckt Kein's ein Lichtlein
an! Ist jeder froh, wenn er vom Oel der Noth
ein Tröpflein abgespart hat für die eigenen
Kinder!" Da faßte ihr etwas an's Herz: „Hast
ja heut' ein gutes Verdienst gehabt, Anna-Marte.
Nun? . . . Könntest dem armen Schlucker schon
ein Mal eine Freud' machen! 's ist ja der Ge-
burtstag des Heilands, der dich arme Seel' er-
löst hat mit seinem Blut. Nur einmal im Jahre
ist's Christtag, Anna-Marte!" . . . „Hätt'gerad'
noch gefehlt!" knurrte sie, mit ihrem kurzen
Athem die Treppen hinansteigend, „mein sauer
Erworbenes an Firlefanzereien zu hängen! So
armen Creaturen ist's gut, wenn sie von Kindes-
beinen an lernen, daß Einem das Leben kein
seidenes Kisschen in den Rücken steckt. Anna-
Marte, daß bu mir keine Capriolen machst!
Das wär' so recht wie du — mit den Händen
verthun, was du mit den Füßen erläufst."
Die Botin hing an ihrem Groschen, wie alle
Leute, die ihn Heller bei Heller verdient haben.
„Hast du noch nicht Zahlen genug in den
Schornstein geschrieben, alte Gans!" monologisirte
sie zum großen Ergötzen der Passanten weiter.
„Curirt dich eine Narrenklingel nicht, die dir
vor'm Kopf hängt und dir alle Tag' vor den
Ohren schellt? Hast ein Mal viel Geld an Je-
manden gehangen; könntest wissen, was dabei
heraus kommt!"
Die Anna-Marte hatte eine Geschichte. Sie
war eine arme, alte Jungfer, die den Waisen-
jungen einer Schwester groß gezogen. Sie hatte
das Kind geliebt wie ein leibliches, hatte alles
das für es gethan, was ihr möglich war; sich
den Bissen am Munde abgespart, um ihn dem
Jungen zuzustecken. Sie hatte sich abgerannt
und abgeplagt, daß er etwas Tüchtiges lernen könne,
und sich keine gute Stunde gegönnt. Ein ordent-
licher Schreiner war er geworden, und zwar
Einer, der etwas von der Kunst des Handwerks
verstand. Ueber dem Bette der Anna-Marte
hing seine erste Zeichnung — ein großer, steifer
Schrank, ein Wunderding in ihren Augen. Als
der Junge flügge geworden und sein Glück in
dem gelobten Lande, das heißt in Amerika ver-
356
suchen wollte, ließ sie ihn mit heimlichen Thränen
und Schmerzen ziehen. Sie machte zum ersten
Male in ihrem.Leben Schulden, um ihm die
Ueberfahrt zu bezahlen. Niemals war der alten
Botin das Wetter so rauh, der Sturm so hart
erschienen, als da sie den Jungen auf der See
wußte. Wie athmete sie auf, als die Nachricht
von der glücklichen Ankunst des Schiffes kam —
aber von dem Jungen brachte die Post kein Wort.
Hatte er sie vergessen, war er leichtsinnig und
schlecht geworden in dem Sodom und Gomorrha da
drüben? Hatte Gott zugelaffen, daß er starb?
Tage, Monate, ein Jahr, zwei Jahre vergingen.
Der Jude fragte nach seinem Gelde, und die
Anna-Marte mußte in ihren alten Tagen mehr
als je rennen und laufen, die Summe abzutragen,
damit sie. wie sie sagte, ihr Todtenhemd in Ehren
tragen könne.
„Man sieht, was dabei herauskommt!" zürnte
die Botenfrau. „Für alle Lieb', alles Wohl-
meinen schwarzer Undank! .... Will wenigstens
noch schlau werden, eh's ausgeläutet hat. Daß
du mir keinen Heller ausgibst für den Frieder,
alte Anna-Marte!"
Aber nun führte der Heimweg sie über den
Christmarkt, und obwohl sie mit strammen Schritten
mitten durch das Gedränge ging und weder rechts
noch links auffchauen wollte, so hob's ihr doch
vor einer der letzten Buden die Augen in die
Höhe. Die Leute hatten beinahe ausverkauft;
aber in einer Ecke lehnte noch ein übrig gebliebenes
struppiges Bäumchen, ein einziges Bündelchen
Lichter lag daneben, und an dem gespannten
Bindfaden schaukelte noch eine letzte, blanke gelbe
Kindertrompete. Die Anna-Marte konnte nicht
vorbei — es war, als ob irgend etwas ihr zuriefe:
„In deiner letzten Noth wirst du es noch bereuen,
Anna-Marte, läffest du den Frieder vergeblich
auf sein Christkind warten!" Und da lagen auch
schon die blanken, neu verdienten Groschen vor
dem Verkäufer; die Botenftau hatte eigentlich
gegen ihre Ueberzeugung ein gutes Werk gethan.
Seufzend und über die eigeneSchwächeschimpfend,
belud sie sich mit den erstandenen Schätzen.
Wie sie aber durch die Straßen des Städtchens
nach Hause ging und hier und da den Festtags-
jubel hörte und das Jauchzen glücklicher Kinder,
auch wohl das Singen eines Weihnachtsliedes
— da ward's ihr seltsam weich zu Sinn. Es
thut doch^ gut, wenn man im Begriffe ist,
Jemanden eine Freude zu machen . . .
Wie leicht der Alten die Füße wurden! Es
war fast, als hätten die Engel ihr Schwingen
an die Sohlen gebunden, als stände der liebe
Gott hinter ihr und spräche: „Will dir ja auch
barmherzig sein,^du alte, rauhe Seele; bist ja
oft gestolpert und in der Irre gewesen, hast gar
mir selbst zuweilen einen barschen Vorwurf ge-
macht. Aber ich will dir's halt nicht zum
Schlimmsten rechnen. Geh' nur hin, Anna-Marte,
und sag' dem Frieder: „Das Christkind vergißt
Keinen! Keinen — hörst du!"
Die heftige, geräuschvolle Anna-Marte, zu
deren ganzem Thun eine Partie Poltern gehörte,
wurde plötzlich bedächtig. Sie schlich durch die
Hofthüre in das alte Haus hinein, ganz leise
— leise. Beim Schimmer der kleinen Laterne
befestigte sie mit ihren harten, groben Händen
Kerze für Kerze auf schwanken Zweigen des
Bäumchens; dann hing sie die Trompete an den
untersten Ast, steckte die Lichter an und schlich
schmunzelnd vor die Thüre des Frieders.
Der arme Junge stand noch immer mit ge-
falteten Händen am Fenster; aber sein Köpfchen
war tief herabgesunken. Seine Augen leuchteten
nicht mehr. Er glaubte das Unerhörte sei doch
geschehen, das Christkind habe ihn vergessen! . . .
Da kam das Lichtergefunkel zur Thüre herein, da
stand das Bäumchen vor ihm und die Botin
sagte: „Da schau, Frieder; 's Christkind ist mir
unterwegs begeqnet. 's hat an dich gedacht.
Aber recht brav und fromm sollst du werden
und für deine Mutter beten, die gestorben ist
und die wohl auch heut' den lieben Herrgott ge-
beten hat, daß Er dir Lichter bescheert."
Der Frieder fiel auf die Knie, hob seine
Hände auf und sagte: „Du liebes, gutes Christ-
kind, ich danke dir auch viele Mal!" Dann
griff er nach der Trompete und begann zu tuten.
Es klang so schön, daß die Anna-Marte die
Augen mit der Schürze trocknete. Freilich bekam
sie kein Dankeswort vom Frieder; sie wartete
auch gar nicht darauf, denn sie hatte ja alles
in Christkindleins Namen gegeben. Sie ging in
ihr Kämmerchen, kochte einen tüchtigen Kaffee
und holte sich dann das bleiche Kind herauf,
das ganz glückselig, reich und freudestrahlend
neben ihr saß und nur von Zeit zu Zeit in die
.Trompete blies.
„Wie sieht denn das Christkind aus, Anna-
Marte?" fragte er zwischendurch.
Die Botin beschrieb's ihm, so gut sie konnte.
„Gerade, wie's in der Kirche auf dem Altar
steht. Es trägt ein weißes Kleidchen, ein goldenes
Krönchen und hat schon sein Kreuzlein im Arm."
Es war der Anna-Marte, als sei sie selbst
wieder ein Kind, dem der Lichterbaum in die
Seele glänzt.
Später als der Sandmann zum Frieder kam,
nahm sie den Kleinen an der Hand, und sanft,
wie eine Mutter es thut, zog sie ihm sein Röckchen
aus und brachte ihn zu Bette. Sie faltete ihm
noch die Hände und hing ihm die Trompete um
den Hals, weil er nicht davon lassen wollte.
357
Dann harrte sie aus neben ihm, bis er eingeschlafen
war.
In ihrem einsamen Stübchen blieb sie noch
lange wach. Die groben Hände um die Kniee
gefaltet, den grauen Kopf an die getünchte Wand
gelehnt, dachte sie an die Vergangenheit - zurück.
Sechszig heilige Abende lagen hinter ihr — manche
dunkel und öde, wie es die Dürre der Einsamkeit
mit sich bringt, andere lichterbeglänzt wie der
heutige. Die Erinnerung an die Weihnachts-
Abende, welche sie dem Knaben bereitet, der nun
zum Manne gereift, stieg in ihr auf. Da war
auch Jubel gewesen und Händeklatschen und
Freude. Da war Dank gewesen in ihrer Seele,
der Dank eines halbverschlossenen Herzens, dem
Gott Frühlingstage gibt im Spätherbst . . .
Und nun?
„Wenn er lebt, der Junge," dachte sie „ob er
sich heute daran erinnert? Er hat's freilich
nicht wissen können, wie er mir alles war . . .
Ach Gott, er wird ja wohl gestorben sein — liegt
irgend wo vergraben in der fremden Erde."
Die Thränen stürzen ihr plötzlich aus den
Augen. Hastig stand sie auf und löschte das
Licht. Es war ja nur ein halbes Flämmchen,
aber der Mensch findet sich besser wieder im
Dunkeln. Die alte Botenfrau weinte sich in den
Schlaf. Sie schlief lange in den ersten Feiertag
hinein; denn vom gestrigen Tagewerk her lag
es ihr noch wie Blei in den Gliedern.
Als fie erwachte, läuteten schon die Glocken
von dem Thurme zum ersten Gottesdienst. Drunten
vor der Hausthüre blies der Frieder in seine
Trompete, Bäckers Fritzchen rief seinem Stecken-
pferde ein vernehmliches „Hü, hott!" zu und drüben
am Fenster, der Anna-Marte gerade gegenüber,
ließ Handschuhmachers Julchen die neue Puppe
die ersten Gehversuche auf dem Blumenbrett machen.
„Fröhliche Weihnachten!" tönte es hier und dort
von Leuten, die einander begrüßten.
Die Botenfrau stand auf, sich für den Kirch-
gang anzukleiden. Eben holte sie den weiten
flanellgefütterten Kattunmantel mit den großen
Blumen aus dem Spinde und setzte vor dem
zersprungenen Spiegel die altmodische Spitzen-
haube auf ihren grauen Scheitel, da tönte ein
polternder Schritt auf der Treppe. Knurrend
und scheltend tappte Jemand den dunkeln Vor-
gang entlang. „Heda, Hollah! Aufgemacht,
Jungfer Anna-Marte!"
Schmunzelnd stand der Briefträger auf der
Schwelle und hielt ein Packetchen in die Höhe,
ein weitgereistes Packetchen, mit Schnüren um-
wunden und mit ausländischen Stempeln bedeckt.
„FröhlicheWeihnachten, Jungfer! Daist etwas,
Euch den Kirchweg schön zu machen!"
Sie setzte sich auf die bunt bemalte Truhe
neben ihrem Bette hin. Einige Minuten lang
lag das Packetchen in ihrem Schooße, ehe fie sich
getraute, cs zu öffnen. Du lieber Heiland! Die
Adresse war ja von der Handschrift, welche sie
so lange gekannt und so oft auf der alten Schiefer-
tafel gesehen, die nun vergessen in der Bodeu-
kammer lag. Das war die steife, große Knaben-
schrift, auf welche sie stets so stolz gewesen. Sie
löste einen Knoten nach dem andern, damit nur
kein Stückchen Faden verloren gehe, faltete die
Papiere bedächtig aus einander — ja, und da
kam's, das Weihnachtsgeschenk, welches das Christ-
kind für die alte Anna-Marte bestimmt: das
Bild eines großen, hübschen Menschen, der treu-
herzig in das Gesicht seiner Pflegemutter hinein-
lachte — und ein echter, wahrhaftiger Hundert-
markschein. Und da war ein Brief dabei, darin
stand, daß er erst etwas Ordentliches habe werden
wollen, ehe er ein Lebenszeichen gegeben. Nun
aber wäre er in einer guten Stelle und werde
jetzt regelmäßig schreiben und der Pflegemutter
Geld schicken, damit sie sich nicht mehr zu plagen
brauche — denn er danke ihr doch alles, und es
sei nicht mehr als recht. Wer Kinder in Sorgen
und mit Noth großgezogen, der könne später
auch beanspruchen, daß sie ihm ein sorgenfreies
Alter schüfen, und wenn der Weihnachtsabend
käme, dann möge sie nur wissen, für sein Leben
gern wäre er bei ihr wie früher.
Die Anna-Marte faltete den Brief zusammen,
besah noch ein Mal den Hundertmarkschein, wie
Jemand, der's noch nicht recht glauben kann,
und blieb noch einen Augenblick sitzen, den Kopf
in die Hände stützend.
„Ach mein Gott, mein Gott! Gar zu gut hast
Du's mit mir altem, unnützen Weib gemacht.
Vergib' meine Ungeduld! Du weißt ja, daß ich
von jeher ein heftig Wesen gehabt hab'. Deine
Güte an mir aber soll dem Frieder auch seinen
Segen bringen. Herr Gott, laß' mich noch ein
Weilchen leben, damit ich Dir zeigen kann, wie
dankbar ich Dir sein will für all' Deine große
Lieb' und Gnad'."
Sie nahm das Gebetbuch, ging die Treppe
hinab und winkte dem Frieder zu: „Leg' deine
Trompete in die Ecke, Junge; wir gehen jetzt in
die Kirche, dem Christkind zu danken, daß es an
uns Beide gedacht hat. . . . Geh', sput' dich,
Frieder!"
358
Unsere zwei alten Frelheitsbänme.
I.
Auf dem Forste.
Sei gegrüßt vor asten Eichen
Du, die fern von Waldespracht
Unter wackern Heldenleichen
Auf dem Forste hält die Wacht.
Wenn die Stürme dich umsausen,
Wenn der Nebel dich umwallt,
Wie dann deutschen Geistes Brausen
Sich erhebt mit Sturmgewalt!
Bald ist es wie Zornesgrollen
Und es färbt der Plan sich roth,
Und es tönt wie Donnersrollen:
Emmerich und Hasserodt!
Doch nicht immer hat dein Wipfel
Fluch der welschen Macht gerauscht,
Dein herbstlich gefärbter Gipfel
Hat auch Hymnen einst gelauscht.
Fünfzig Jahre war'n verronnen
Seit der großen Völkerschlacht,
Da hat der Oktobersonnen
Schönste deinem Fest gelacht.
Fahnenwallen, Jubelrufen,
Und, trotz welschem Hohn und Spott,
Braus't von des Altares Stufen
Ein „Nun danket alle Gott!"
Und dann zog ein mächtig' Mahnen
Durch manch' tapfres Hessenherz,
Und es stieg mit hehrem Ahnen
Das „Alldeutschland" himmelwärts.
Wohl liegt nicht in deinem Schatten
Dieses Tages Denkmal nun,
Uns'rer Aue grüne Matten
Seh'n den Heffenleuen ruh'n.
Aber über deinem Moose
Schweben Geister Tag und Nacht,
Die für's Vaterland, das große,
Wie das kleine treu gewacht.
Der dies schreibt, sah oft im Traume
Solchen stolzen Heldenreih'n,
Seit sein Wort am Freiheitsbaume
Heil'gen Boden durfte weih'n.
II.
In der Karlsaue.
In des Wintergartens Saale
An der Aue grünem Saum
Steht, nicht fern vom Leu'ndenkmale
Unser and'rer Freiheitsbaum.
Sechs und sechzig Jahre trugst du
Noch dein immergrünes Kleid,
Sechs und sechzig Jahre schlugst du
Brav dich durch im Sturm der Zeit.
Und es streuten deine Blüthen
Noch so lange duft'gen Staub,
Helle Goldorangen glühten
Noch in Deinem dunkeln Laub,
Seit die Kugel des Kosacken,
Der damals in unsern Reih'n
Beugen half des Korsen Nacken,
Dich traf in das Herz hinein.
Wolltest selber noch gern schauen
Wie der blinden Hessen Schaar
Dort auf Wörth's und Sedan's Auen
Fest gepackt den welschen Aar!
Hast erlebt, wie in der Nähe,
Jäh gestürzt von seinem Thron
Auf der stolzen Wilhelmshöhe
Einsam saß Napoleon.
Erst als nach neunjähr'gem Frieden
Fest gefügt des Reiches Bau,
War dir sanfter Tod beschieden
In der winterlichen Au'.
Doch aus Todesbanne ringen
Lebenskeime sich hervor,
Grüne Epheuranken schlingen
Sich am grauen Stamm empor.
Hoffnungsbild in dunkeln Tagen,
Wenn einst neue Wetter drohn,
Laß uns nimmermehr verzagen,
Gott ist unser Schild und Lohn.
Kassel, im November 1887. vr. 35. A.
Winter.
Frost und Eis und tiefer Schnee,
Winter rings auf Höh'n, in Gründen;
Keine Blume will sich künden —
Winterzeit und Winterweh!
Aber mir tief innen ist
Eine Rose aufgegangen,
Daß mein Herz bei ihrem Prangen
All' des Winters Leid vergißt.
3». John.
359
Aus alter und neuer Zeit.
Die Kunst der Glasschleiferei in Hessen.
Das von Arthur Pabst herausgegebene Kunstgewerbe-
blatt, Abtheilung der Zeitschrift für Bildende Kunst,
enthält in seiner am 17. November erschienenen
Nr. 2 einen sehr bemerkenswerthen Beitrag von dem
Inspektor des Kaffeler Museums A. Lenz: über die
in diesem Museum aufbewahrten hessischen Gläser,
welcher uns von der hohen Blüthe, in der die Kunst
der Glasschleiferei in Hessen schon in früheren
Jahrhunderten gestanden hat, Kunde giebt. Nach den
Angaben des Verfassers gab es hier schon in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zahlreiche Glas-
hütten im Kaufunger- und im Reinhardswald, an
der Rhön und am Spessart. Sie gehörten mit
andern im Harz und im Braunschweigischen ge-
legenen zu einer einzigen großen Zunft unter den
Grafen von Rinneck als Obervögten. Philipp der
Großmüthige ordnete im Jahre 1537 die Rechte
und Pflichten dieser Zunft durch einen Bundes-
brief und bestimmte Almanrode (Großalmerode), als
den Hauptsitz der Betheiligten, zur Bundesstätte.
Hier wurde auch zu Pfingsten jeden Jahres ein
Bundesgericht gehalten, bei welchem im Jahre 1557
zweihundert meist in Großalmerode ansässige Personen
betheiligt waren. Der Handel nach dem Auslande
war ein sehr ausgedehnter und blieb cs auch noch
längere Zeit, obgleich in der Glasindustrie durch die in
der Zunft eingeriffenen Unordnungen, schlechten Wald-
betrieb und dadurch entstandenen Holzmangel nach
und nach ein Rückgang eingetreten war, erreichte
aber wieder große Bedeutung am Ende des 16. Jahr-
hunderts unter der Regierung Wilhelm IV. Das
deshalbige Verdienst gebührt vorzugsweise zwei hessischen
Männern, dem Pfarrer Johannes Rhenanus zu..
Allendorf und dem Baumeister Christoph Müller in
Kaffel. Die von dem Ersteren, dem Entdecker der
Kohlenlager am Meißner, verfolgte Idee, auf den
Hütten Kohlen statt Holz zu verwenden, brachte der
Letztere dadurch zuerst zur Anwendung, daß er die
Kohlen vorher durch Dörren in eine Art Koks ver-
wandelte. Die Feuerung der Schmelzöfen
durch Kohle nist somit zuerst in den hessischen
Glashütten eingeführt und nicht in England,
wo sie erst unter Jakob I. stattfand, doch das Verdienst
der Erfindung wurde, wie es so häufig geschieht,
nicht einem Deutschen, sondern einem Ausländer, hier
dem Engländer Robert Mansell, von verschiedenen
Seiten zuerkannt. Da sich die neue Methode
bewährt hatte, so veranlaßte dies Wilhelm IV. in
Kassel, im „Weißen Hof« eine Glashütte einzurichten,
in welcher zum erstenmal auch Krystallglas bereitet
werden sollte. Dazu berief er 7 Italiener, welche
anfangs so eifrig arbeiteten, daß hier in den ersten
5 Wochen 13390 Gläser und 3249 Scheiben an-
gefertigt werden konnten, sich aber bald von einer
so üblen Seite zeigten, daß der Landgraf im Jahre
1584 das Unternehmen ganz aufzugeben beschloß.
Im Jahre vorher hatte der Rechnungsführer der Hütte,
Hans Ebel, an ihn berichtet: „ich finde, daß die
Glaser zum Theil unnütze, grinde Hunde sind, liegen
für und für mit dem Aufseher in Zank und Streit,
sie wollen große Besoldung haben und gleichwohl mit
dem Glase ihres Gefallens gebaren.« Einer von ihnen,
Gregorius, wurde wegen Mordes des Landes verwiesen,
und die andern folgten ihm bald in die Heimath nach.
Der kunstsinnige Landgraf Karl widmete dann
wieder der Kunst der Glasschleiferei seine volle Auf-
merksamkeit und legte eine Steinschleiferei an, in welcher
den Krystallgläsern Namenszüge, Wappen, Jagdscenen,
Erinnerungen an historische Ereignisse eingeschliffen
wurden, z. B. die Entsetzung der vom Grafen Sittich
von Goertz ruhmvoll vertheidigten Festung Rheinfels
im Jahre 1692 durch den Landgrafen Karl. Joh.
Justus Winkelmann berichtet in seiner Beschreibung
Hessens 1697, Theil III, S. 389: „Landgraf Karl,
der große Liebhaber vieler raren Künste und Wissen-
schaften, hat vor wenigen Jahren die fürtreffliche
vor mehr als 1000 Jahren in Flor gewesene Edel-
gestein-Schneid-Kunst durch einen berühmten Künstler
Christoph Labhadern wieder herfürsuchen, an Tage
bringen nnb zu dem Ende in den Schloßgraben zu
Kaffel eine artige wohl inventirte Mühle, (so von der
durch die Stadt laufende Druse! getrieben wird,) er-
bauen lassen, in welcher durch des Künstlers Hand
allerhand rare. Stücke, sonderlich schöne Pokale und
Trinkgeschirre von einem harten Jaspis gemacht werden."
Außer dem Christoph Labbart hatte Landgraf Karl
noch 6 andere Florentiner zur Einführung des neuen
Industriezweigs nach Kassel berufen, welcher wie
anzunehmen ist, bis zur Regierung Wilhelm IX. in
Betrieb war. Der Staats- und Adreßkalender vom
Jahre 1782 führt noch unter den Künstlern Peter-
Hesse als Edelsteinschneider auf. Gegenwärtig bestehen
in Hessen nur noch zwei Glashütten, die im Jahre
1809 angelegte von Buttlar'sche zu Ziegenhagen und
die zu Schauenstein bei Obernkirchen.
Diese hier nur kurz angedeuteten Mittheilungen
unseres als Kenner des Kunstgewerbes und dessen
Geschichte in Hessen rühmlichst bekannten und geschätzten
Museums-Jnspektors Lenz werden wohl Veranlassung
geben, daß bei dem Besuche der unter seiner Leitung
stehenden Abtheilung des Museums in dem Unterstock
der Bildergallerie auch den dort befindlichen Prächtigen
Proben der hessischen Glasindustrie besondere Auf-
merksamkeit geschenkt wird. Man wird dabei erkennen,
daß es unsern kunstsinnigen hessischen Landgrafen
ihrer Zeit gelungen war, auch diesen Kunstzweig auf
eine hohe Stufe der Vervollkommnung zu bringen.
N.-ck.
360
Zir der Angabe in der „Hess. Ehrentafel, Nr. 22 dieser
Zeitschrift, wonach Oberstlieutenant v. Boyneb u rg für die
bei Hochstädt bewirkte Gefangennehmung des Marschall
Tallard von der Königin Anna 2000 Pfund Sterling
erhalten hat, bemerken wir, daß diese Angabe auf die
Bemerkung in dem Werke Will). Beck's „die neuere
Kriegsgeschichte der Hessen" Marburg 1790 sich stützt.
Diesem entgegen ersehe ich in der erst jetzt mir zu
Gesicht gekommenen „Grundlage zur Militär-Geschichte
des Landgrttflich Hessischen Corps- Cassel 1798, als
deren Verfasser der Hess. Kriegsrath G schwind be-
zeichnet wird, Seite 71, daß Dem von Byyneburg
„am 10, Aug, 1736 eine ^Remuneration von 4000
Dukaten aus der Hess. Kriegskafferescxibirt worden,
weil diejenige, zu der sich die Krone England anfangs
verstanden, in Rückstand gerathen.- Kchw.
Kacl Gerok, der tiefinnige und formvollendete
schwäbische Sänger hat den Hessen im „Landkalender
für das Großherzogthum Hessen 1888" einen präch-
tigen poetischen Gruß entboten, einen „Schwaben-
gruß ins Hessenland-, der in herzlich warmen
Worten die mancherlei Hessen und Schwaben ver-
knüpfenden Bande feiert. Das klangvolle Lied beginnt
mit der Strophe:
„Der Schwabe beut dem Hessen
Die warme Bruderhand,
Ihm bleibet unvergessen
Ein altes Liebesband,
Da Hessen sich und Schwaben,
Der Hirsch zusammt dem Leu,
um Streit verbrüdert haben
n ritterlicher Treu."
Folgt dann eine Verherrlichung Philipps des Groß-
müthigen, der bekanntlich den Herzog Ulrich in sein
Land zurückführte. Merkwürdig nur, daß der Sänger
nicht des Kommandanten von Hohentwiel gedacht hat,
Konrad Wiederholds, eines Hessen, der im württem-
bergischen Dienste sich unsterblichen Ruhm erwarb.
Das Gedicht schließt mit der Strophe:
„Um solch ein Heim zu haben
Am Neckar und am Rhein,
Laßt gern uns „dumme Schwaben"
Und „blinde Hessen" sein;
Laßt nimmer uns vergessen
Das alte Liebesband,
Reicht, Schwaben, Euch und Hessen
Die warme Bruderhand."
S.
„In Nr. 23, S. 339 des werthen Heffenlandes"
wird nach dem Berichte des Prof. Karl Vogt (in der
Wiener „Neuen freien Presse-) über die Hinrichtung
des Raubmörders Heß zu Gießen mitgetheilt, daß
der als „Galgenpater- fungirende Kirchenrath Engel
den ungeberdigen Delinquenten mit den Worten zur
Ruhe brachte: - „Was wachste für Sache, laß dich
köppe, Hessche, thu mir's'zu Gefalle." Nach dem
Berichte verschiedener Augen- und Ohren-Zeugen dieses
noch heute in Gießen allbekannten Vorfalles war in-
dessen die Fassung des tröstlichen Zuspruches des
„alten Kirchenräthchen's- diese: „„Heß, thu' mer
doch de eenzige Gefalle unn laß dich köppe!-'£ —
Wir werden hierbei erinnert an eine andere, in
der Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts
zu Gießen erfolgte Hinrichtung.' Ein bis "dahin .durch-
aus unbescholtener, allgemein geachteter Bauer/aus'
Allertshausen in der Rabenau, namens Jphännes
Römer, hätte im Jähzorne einen Flurschützen erschlügen.
Römer hatte wohlnicht die Absicht des Todschlages gehabt,
sondern seinem Feinde nur. ein gehöriges „Kochet-
(Tracht Schläge) zuweisen wollen; die Schläge waren
aber allzu wuchtig ausgefallen und der Flurschütz
war unter den Streichen des Zaunpfahles auf immer
verstummt. Vor der Hinrichtung Römer's brachte
ihm die Ehefrau als letztes Liebeszeichen noch einen
leckeren Kuchen, dann nahm sie den Abschied für
dieses Leben mit der gewohnten Redensart:
No, Hannes, dann mach's gaud! —
Aus Heimach und Fremde.
Seminarlehrer I. S. Auth f. Am. 11.
December starb zu Fulda der Seminarlehrer Johann
Sebastian Auth in seinem 68. Lebensjahre. Geboren
zu Fulda studirte derselbe nach absolvirtem Gymnasium
an der katholisch-theologischen Lehranstalt seiner Vater-
stadt Theologie, wurde am 16. December 1847 zum
Priester geweiht und hiernach als Katechet an der
dortigen städtischen Knabenschule angestellt. Im Jahre
1862 wurde er zum Lehrer der Naturwissenschaften an
dem katholischen Lehrerseminar zu Fulda ernannt, in
welcher Stellung er bis zu seinem Lebensende verblieb.
Wiederholt war er auch mit der Versehung der Di-
rectorialgeschäfte dieser Anstalt beauftragt. Der Ver-
blichene war ein würdiger frommer Priester, ein ge-
wissenhafter Lehrer, wohlwollend gegen Jedermann
und wegen seiner vortrefflichen Charaktereigenschaften
hochgeachtet von seinen Kollegen und geliebt von
seinen Schülern. R. i. p.
Marburg. Die alma mater Philippina wird in
diesem Wintersemester von 862 Studierenden besucht,
die sich wie folgt auf die einzelnen Fakultäten ver-
theilen: Theologie studieren 212, Rechtswissenschaft
104, Medizin 256 und Philosophie 290 (Philosophie,
Philologie und Geschichte 135, Mathematik und
Naturwissenschaft 98, Pharmacie und Zahnheilkunde
I 57). Außerdem besuchen mit Erlaubniß des Rektors
361
noch 64 Personen die Vorlesungen, so daß sich die
Gesammtzahl der Zuhörer auf 926 beläuft.
HbfWhhSNdlrr Gustüv Klaunig dahier hat
sv rkek eilten neuen antiquarischen Katalog (Rümmer b8)
erscheine» taffen, der Mich he» vorausgegangenen vor»
der außerordenlichen Reichhaltigkeit des Klaunig'scheu
Antiquariats Zeugniß ahltgt. Der neue Katalog
führt die Vörhandeneu geschichtliche» Werke düf, «Ukr
denen sich auch viele Hässiaca befinde». Schon hie
Lektüre dieses Katalogs gewährt Jnitrssir.
Hessische Köcherschau.
Es liegen unS folgende bei I. P. Bachem iu Köln
erschienene Romane und Novelle» von M. Herbert
vor: »Das Kind seines Herzens", »Jagd nach dem
Glück", sowie »Kinder der Zeit und andere Novellen".
Der Name M. Herbert, der in der Literatur einen
gute« Klang hat, ist den Lesern unseres »Hessen-
landes" wohl bekannt, da die Dame, welche sich Unter
diesem Pseudonym verbirgt, eine hochgeschätzte Mit-
arbeiterin desselben ist, der wir anerkannt vortreffliche
Beiträge verdanken. Bei dem hervorragenden Talente,
daS M. Herbert besitzt, ist es kein Wunder, daß die-
selbe jetzt schon zu unserm beliebtesten hessischen Roman-
schriftsteller» zählt.
Bei ausgezeichneter Beobachtungsgabe versteht sie
es, die Charaktere scharf zu zeichne», ihre Sprache
ist edel und ihre Romane entbehren nicht drama-
tischer Lebendigkeit und des sicheren Effektes. Trotz
der realistischen Färbung ihrer Darstellungswrise,
«realistisch" natürlich im guten Sinne gemeint, hat
sie sich einen gesunden Idealismus bewahrt und hierin
liegt gerade ein besonderer Vorzug ihrer Dichtungen.
Dabei ist sie ihrem engeren Vaterlande Hesse» in
unwandelbarer Treue ergeben und entnimmt mit
Vorliebe den Stoff und die Motive zu ihren Romanen
der hessischen Geschichte und dem hessischen Leben. —
Wir können die oben verzeichneten Romane unseren
Leser» nur auf das Beste empfehlen.
A. S.
H. Lenk, Zur geologischen Kenntniß der Rhön.
(412 S.) WÜrzburg, Stahel. 3 M.
Die sich für die naturwiffenschaftlichen, spez. geo-
logischen Berhäktniffr unseres RtzvngrbirgeS interessiren-
dr« Leser deS »Hessenlandes" Machen wir auf das vor-
liegende vollständig auf der Höhe der Wissenschaft
stehende Werkchen aufmerksam. Wir denken nicht
daran, hier eingehender über den Inhalt zü refetireN,
nur das wollen wer hervorheben, daß durch deS AutprS
Beobachtuime», welche in dem um die naturwiffen-
schaftliche Erforschung der Rhön hochverdienten Würz-
burger Professor Sandberger eine Mächtige
Stütze finde», folgende Altersfolge der Rhöngesteine
bewiesen wird: I. Aeltcre MoNoliche (Milseburg).
II. Hornblendebasalt. IIL Jüngere trüchytischr Mo-
nolithe. IV. Jüngerer Dichter hornblendefreier Basalt.
Es ist dies dieselbe Astersfolge, welche schon von
unserm Landsmanne Gut beriet angenommen
wurde. —
Im Anschluß an die Anzeige des Lenk'schen Werkes
mag hier ein Aufsatz des bekannten Eishöhlen-Forschers
B. Schwalbe (Berlin) Erwähnung finden über
«die EiSgrube gm Umpfen in der Rhhn"
im DcreMbrrhrft des laufenden Jahrganges der Mit-
theilungen dtr Sektion für Höhlenkunde deS östrrr.
TonristrnelUbS (Wir», tS87 S. 48). Der Umpfen
trägt an seinem NordbbhNng riNe grdste Geröllhalde
von Basaltstücken, der FUß derselben ist von Wald
umgeben. Wen« auch nach Norde« gervaUdt, ist der
GeröllakchäUg doch btü SvUnenstrahleU ziemlich aus-
gesetzt. Am Fuße dieses AbhaÜges finde» sich meh-
rere Stellen, än denen im Geröll kalte Luft (Schw.
beobachtetr in den heiße» Jnlitagrn d. I. -s- 2,4°)
und Eis bis weit in de« Sommer hinein andauert.
Dir ganze Lokalität erinnert den gen. Forscher an
die EiSgrube an der Dornburg im Westerwald.
A. Werneburg, über dieGrenzbeschreibuugenin
einigen thüringischen Urkunde» nebst Bemerkungen
zu diesen Urkunde« (78 S.) Diil einet Grrnzenkärte. —
N. F. XV. Heft der Jahrbücher der Königl. Akademie
gemeinnütziger Wiffrnschasteu zü Erfurt 1887.
Auch dieses Heft (S. Heffrnland Nr. 7, S. 92)
enthält Beiträge zur Geschichte unserer berühmtesten
heimathlichen Klöster, F u l d a unb H e r s f e l d, nämlich
die Grenzdeschreibung in der Urkunde König Heiurichs H.
vom 17. Mai 1016, die Schenkung eines Wildbannes
an das Klöster HerSfeld betreffend (die Urkunde fiddet
sich abgedruckt in Wenck's Hess. Gesch. Ill, Urk. 48)
und die Grenzbeschreibung in der Urkunde Heinrichs II.
vom 30. December 1012, betreffend den an das
Kloster Fulda verliehenen Wildbann in der Mark
Lupniz (Dronke, cod»i dijJlbm. Fulda. Pag. 314).
Neben dem lateinischen Texte der beiden Urkunden,
soweit derselbe Anlaß lü Erklärungen uyd Erläuterungen
giebt, finden sich diese selbst. Es sind die Ergebnisse
der größtentheils an Ort und Stelle vom Berf.
vorgenommenen Untersuchungen. Schon früher sind
verschiedene Versuche gemacht worbe», diese Grenz-
beschreibungcn, namentlich die schwierige (schwierig
wohl wesentlich «lit deshalb, weil wahrscheinlich ver-
schiede»» OrtSbcNcnNvugt» i» entstellter Form gegeben
sind) das Kloster Fulda btiteffeiid, zu erklären. AiS
verfehlt weist Berf. zurück die Versuche Wersebe'S
362
(die Verlheilrrng Thüringens II S. 141), aber auch
diejenigen Landau's (die Territorien rc.^ rc. S. 198)
und die auf letzteren fußenden Erklärungen Böttger's
(die Brunonen S. 559 und 564 und die Gau- und
Diöcesangrenzen S. 394). Berf. gesteht sich selbst,
daß durch seine Erklärungen zwar noch nicht alle
Zweifel gehoben seieu, doch sei soviel erreicht, daß der
Umfang des Wildbannes im großen Ganzen dar-
gelegt ist. Auf der beigefügten Karte sind die er-
mittelten Grenzlinien übersichtlich dargestellt.
Vom 1. Januar 1888 ab wird dahier unter dem
Titel »Für Feierstunden" eine neue Monatsschrift für
geist- und gemüthbildende Unterhaltung, herausgegeben
von A. Gild, erscheinen, von welcher eine Probe-
nummer bereits zur Vertheilung gekommen ist. Die
neue Monatsschrift soll den Interessen der Fortbildung,
insbesondere der im Hause heranwachsenden Söhne
und Töchter, dienen. Zu diesem Zwecke wird sie
bringen:
1. Aeltere und neuere Volksschriften, wir kürzere
volksthümliche Erzählungen.
2. Vaterländische Schauspiele mit Wort- und Sach-
erklärungen.
3. Gemeinverständliche Aufsätze und Abhandlungen
aus dem Gebiete der Geschichte, Geographie,
Naturkunde, Volkswirthschaft, Gesundheilslehre,
Gesetzeskunde, Volkserziehung und Volksbildung,
Landwirthschaft, Gewerbekunde u. a. w.
4. Geschichte des Volksliedes und einzelner Volks-
lieder. Mundartliche Dichtungen.
5. Unter »Vermischten" eine Blüthenlese aus älteren
und neueren Dichtern u. a. m.
Der Name des auf pädagogischem Gebiete rühmlich
bekannten Herausgebers bürgt dafür, daß diese Monats- j
schrift nur Treffliches bringen wird. Dieselbe wird
hergestellt in der Fr. Scheel'schen Buchdrnckerei und
wird sich auch durch ihre äußere Ausstattung empfehlen.
Briefkasten.
E. A. Kassel. „Nach einer Reise durch Oberitalien und
Florenz"^ wird in einer der nächsten Nummern abgedruckt
werden.
X. Kassel. Wenn wir Ihren Winken folgten, würden
Sie höchst 'wahrscheinlich bald der einzige Abonnent des
„Hefsenlandes" sein. Darauf können wrr uns indeß nicht
einlassen. Ihre Rathschläge sind gewiß freundlich gemeint,
wir halten uns indeß lieber an unser eigenes Urtheil. Zm
Uebrigen empfehlen wir Ihnen, das s. Z. erschienene Pro-
gramm unserer Zeitschrift etwas genauer durchzulesen, als
Sie das gethan zu haben scheinen.
y. S. K assel. Sendung wird theilweise verwandt.
Freundlichen Dank.
J. L. Mainz. Wir müssen Ihr Anerbieten dankend
ablehnen.
8. F. Bromberg. Das Eine oder Andere (einschließ-
lich frühere Sendungen) wird verwandt: für die Weihnachts-
nummer war es allerdings zu spät. Wir wünschen Ihnen
wie all unseren Mitarbeitern und Lesern ein fröhliches Fest.
Dr. E. Sch. Eschwege. Wir werden die freundlichst
eingesandte Plauderei gelegentlich bringen; über die weiter
aufgeworfene Frage wird eine Verständigung schon zu er-
zielen sein.
Dr. Fr. M. Gießen. Sie können überzeugt sein, daß
Ihr Schreiben uns sehr erfreut hat und vorläufig nehmen
wir. mit Dank Ihr Anerbieten an.
% y. E. Berlin.
Daß sich das „Hessenland" ein. Plätzchen
Im Herzen Dein erwarb als Schätzchen,
Erfreut uns um so mehr als wir
Ein gleiches reservirenDir,
Enthaltend zwölf bis sechszehn Spalten;
Nun weißt Du, wie Du's hast zu halten.
W. B. Kassel. Vorläufig Dank. Näheres brieflich.
K. W. Kassel. Eines der Gedichte wird bald im
Druck erscheinen.
Gar mancher Leser des »Hesscnland"
möchte die zerstreuten Blätter in einem Bande ver-
einigen; soll doch unser Blatt nicht nur eine periodische
Zeitschrift, sondern vor allem auch ein hessisches
Haus- und Familienblatt sein. Solchen - Wünschen
entsprechend, sind wir gewillt,
Kinbailddecken
für das »Hcssenland", einfach, geschmackvoll und
haltbar herstellen zu lassen. Um aber die Kosten zu
decken, ist cs nothwendig, daß eine größere Anzahl
von Lesern als Besteller der Einbanddecke sich
meldet, was am besten sofort einfach durch
Postkarte geschieht. Der Preis bet Einband-
decken (Halbfranz mit Golddruck) wird einschließlich
portofreier Zusendung im Jnlande eine Mark
betragen. Sollte die erforderliche Anzahl von Be-
stellern nicht zusammenkommen, so wird selbstverständ-
lich etwa geleistete Vorausbezahlung zurückerstattet.
Mt-lag und Redaktion
des „Hkffrnlsnd".
Wir mache« die Leser unserer Zeitschrift auf
die beiden heutigen Beilagen von Hof-Buchhändler
Gustav Kkaunig dahier und van der R. G,
Elwert'scheu UniverfitätS - Buchhandlung in
Marburg, aufmerksam.
363
Akonneinents-Kiiltadurlg.
Aeit dem 1. Januar d. I. haben wir, unterstützt von hessischen Schriftstellern, Dichtern
und Gelehrten, die^ Zeitschrift „Kesieukand" herausgegeben, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens
sich Bahn zu brechen vermocht hat. Heute bereits ist das „Kesie«ka«d" ein liebgewordner Gast
in vielen Familien und immer mehr - - so hoffen wir — dringt es in alle Schichten der lesenden
Bevölkerung Hessens ein,
An einem Blatte, welches sich lediglich der „Pflege der Hessischen Geschichte und Literatur
im weitesten Sinne des Wortes widmet", hatte es bisher gefehlt. Es mangelte eine Zeitschrift,
welche die hessisch-geschichtlichen Forschungen, in volksthümlich belehrende Gestalt gebracht, dem gebildeten
Leser in unserem engeren Vaterlande darbot.
Ebenso entbehrte unsere literarische Arbeit unverkennbar der stammlichen Geschloffenheit, die
anderwärts im weiteren Vaterlande anzutreffen ist; die Mundartdichtung, die in den verschiedensten
Theilen Deutschlands der Theilnahme auch der Gelehrten und Gebildeten sich erfreut, erfuhr in
Hessen kaum ernste Beachtung und die VolKopoesie überhaupt, ohnehin von der neuzeitlichen Ver-
flachung bedroht, schien unbeachtet bei uns absterben zu sollen. Das „Kesie«ta«b" deffen Aufgabe
es ist, den hessisch-geschichtlichen Forschungen einerseits, sowie der hessischen Literatur anderseits zum
Mittelpunkte zu dienen, um so in jedem Hessen das Gefühl der Anhänglichkeit für die engere Heimath
zu wecken und zu kräftigen, hat sich bestrebt, jenen Mängeln abzuhelfen und wenn wir uns auch
bewußt sind, daß unsere Leistungen nur Stückwerk waren, so sind wir doch stolz darauf, für die
geistige Arbeit unserer Stammesgenoffen einen Platz geschaffen zu- haben.
Unser Blatt soll nach wie vor die von den Förderern unserer Vergangenheitskunde ge-
pflegten wissenschaftlichen Bestrebungen weiteren Kreisen zugänglich zu machen suchen; es soll die
Reste der Volkspoesie, die auf unserem Boden reiche Blüthen trieb, za erhalten bemüht, sein; es soll
der hessischen Mundartdichtung in ihren mannigfachen Verzweigungen eine Stätte zu freier Entfaltung
bieten; nicht minder soll es die schriftsprachliche Literatur, soweit sie mit dem Hessenland in Ver-
bindung steht, berücksichtigen, wie es endlich alle verwandten Bestrebungen, die von Heffen ausgehen
oder Heffen berühren, zu fördern bestimmt ist.
Wir waren von Anfang an uns bewußt der Schwere der Aufgabe, die wir. übernahmen.
Aber angesichts der Ausnahme, die das „K,sie«ka«b" fand, sind wir heute der Zuversicht, im ganzen
Hessenlande frenbige Zustimmung und dauernde Unterstützung zu finden in allen Schichten und Ständen
der Bevölkerung ohne Unterschied der Parteien jedweder Art, wie denn auch selbstverständlich unsere
Zeitschrift von der Verfolgung politischer Zwecke sich ferngehalten hat und fernhalten wird. Unser
Bemühen, darauf gerichtet, hessischen Sinn wachzuhalten durch Hinweis auf die ruhmvolle geschichtliche
Vergangenheit unserer Altvordern, wie auf den Antheil, den unser Stamm an dem geistigen Ringen
genommen hat und nimmt, muß sich der helfenden Theilnahme aller Derer erfreuen, in denen hessisches
Stammesbewußtsein lebendig ist.
Aus dieser Zuversicht schöpfen wir den Muth, weiter zu arbeiten an unserem bescheidenen
Werke, indem wir alle Freunde hessischen Wesens bitten, nach ihren Kräften das junge Unternehmen
zu unterstützen, damit es werde, was es erstrebt: ei« hessisches Aamitienbkott im vollen Sinne
des Wortes.
Und so laden wir denn zum Abonnement ans das mit dem I. Ianuär 1888 beginnende Neue
Enartai unserer Zeitschrift „Hessenlanb" ergebenst ein.
Die Redaktion de« „Hessenlandes".
F. Zwenger.
364
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üwr 100^000 Bände umfaßt. '
Durch verschiedene Erwerbungen in letzter Zeit (haupt-
sächlich durch Uebernahme der Doubletten der Kasseler
Landesbibliotbek), bin ich in der Lage, äußerst seltene
Werke der hessischen Literatur liefern zu können.
Nachstehende Kataloge versende ich nach dem In- und
Ausland auf Verlangen gratis und franco:
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„ 55.
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AaM,
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Pädagogik.
Deutsche Literatur.
Deutsche «»schichte.
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BerantwoMcher Iiedakteur und Verleger F. Zwenger in Kaffel. — Druck von Friedr. Scheel in Kaffel.