für
hessische Geschichte und Literatur.
Achter Jahrgang.
Herausgegeben
unter Mitwirkung namhafter hessischer Schriftsteller
von
% Iwenger,
nach dessen Tode redigirt von Nr. D. Darrt.
Kassel 1894.
Druck und vertag von Friedr. Scheel.
inhalts-Ueykichniß des Jahrgangs 1884.
Killorifche Aufsätze.
D., G. Th. Eine alte Schrift aus westfälischer
Zeit............................... , 269 298
Fliedner, K. Graf Philipp Ludwig II. von Hanau,
der Gründer der Neustadt Hanau . . 76 91
Gerland, Otto. Aus dem Tagebuche eines hessischen
Feldpredigers im amerikanischen Kriege 72 87
------, Geschichte der Familie Dithmar 106,114, 126 139
------, Friedrich Wilhelm Ernst Briede . . 194 211
Hille, Friedrich, Dr. med. Geschichte der Familie
Hille................................ 223,286 255
Junghans, F. W. Der amerikanische Feldzug der
Hessen nach dem Tagebuch des Grenadiers
Johannes Reuber von Niedervellmar. 1776
bis 1783 ................................. 155, 167 183
— —, Der Feldzug in Flandern, nach dem Tage-
buch des Grenadiers Johannes Reuber . . 318
Web, H. Wilhelm IV. der Weise, Landgraf von
Hessen...........................3, 18 58
-----, Philipp der Großmüthige 138, 154, 166,
182, 196, 222, 252, 266 278
Pappercheim, Gustav Rabe von, Frhr. .Konrad r
Klos, Landkomthur der Ballei Hessen und
Komthur zu Marburg......................234
Schwalm. Das hessische Postwesen unter Landgraf n.{.
Wilhelm IX..............................M
Malst, Georg, Prof. Dr. Eine römische Nieder-
lassung auf dem Boden der Stadt Hanau 206
Nienburg und Büdingen, Auguste, Fürstin Cf). \v
Meine Reise nach Stettin im Jahre 1866 . 250
AultnrgelHichltiches, Literarisch-Kisto-
riiches und verwandtes.
Braun, Julius W. Raspe..............................218
Dithmar, G. Th. Die hohen Feiertage in Mar-
burg vom 15. bis 23. Juni 1653 ... 32
Führer, Justus. Eine wahre Schinderhannesgeschichte 270
Gerland. Otto. Auch eine Reise in's mittägige
Lew alter, Johann. Ueber das Volkslied „Der
Kurfürst von Hessen ist ein kreuzbraver Mann" 173
Mahr, Ludwig. Hessisches Gewächs....................168
------, Er geht durch wie ein Holländer .... 239
Naschen, August, Dr. Zur Texterklärung des
Volksliedes „Drei Lilien, drei Lilien, die
pflanzt' ich auf mein Grab" . . . . : ' 8
Schwank. I. Marburger Erinnerungen. IV. Von
der Instanz entbunden........................210
S., I. Eine Jugenderinnerung........................186
Schneider, Justus, Dr. Hessische Städte und hes-
sisches Land. I. Stadt- und Land Fulda . 4
Wigand, Paul, Dr. Fünfzig Haussprüche aus der
Umgegend Marburgs............................303
Iw enger, Ferdinand. Hessische Städte und hes-
sisches Land. II. Die Haupt- und Residenz-
stadt Kassel............................ 90, 42 60
*, Zum III. hessischen Bundessängerfest zu
Hersfeld..................................171
Vermischte Aufsähe.
Brunner, Hugo. Ferdinand Zwenger f ... 102
Otto, Rentmeister. Eine wahre Wilddiebsgeschichte 170
*, Die Taufe des Prinzen Friedrich Wilhelm von
Helfen am 10. Januar 1814 zu Frankfurt a. M. 35
Gedichte.
Bennecke, Wilhelm. Mariechen. I.—V. . . . 188
------, Wanderlied..................................223
Seite
Bennecke, Wilhelm. Waldmüdchens Morgenlied . 262
4^ —, Verborgenheit........................ ... 310
Biskamp, Elard. O halte fest, was Du gefunden 153
Braun, Otto- Leichter-Sinn ....... 29
Dithmar, G. Thi Das Volkslied.................176
D., G. Th. Pfingsten 1894 ....................... 132
-----, Der Universität Halle ein Festgruß aus
Hessen ...................................200
Edward, Georg. Ballade...................133
Ellern, Hans von. Philosophenleben...............274
Frederking, Hugo. Sommer.........................176
Herbert, M. Farbenfreude.........................41
-----Rückblicke......................................85
------, Der Zug des Todes...........................145
— —, Auf der Wanderschaft........................160
-----, Heimweh......................................181
-----, Todesgruß....................................228
-----, Heil'ge Armuth...............................244
Jordan, Richard. Der alte Tom............... 1
-----, Prosa.....................................160
Kastrapp, Gustav. Kinderreigen...................265
Kattalf, .H. Lenz in der Fremde ... . . 133
Keiler, Therese. Herbst . . . ..................... 261
Liebrick, Karl. Auf einer Burgruine an der Lahn 125
Löwe, Feodor f. Am Quell..................317
Mentzel, E. Wunsch...............................97
Mahr, Ludwig. Wärest Du die blaue Fulda 275
—, Der Hessen Weibertreue......................284
Nuhtt, Kurt. Der Mond fit miehbie die Sonn 1 L-x 38
-----Schmedt Deng Gleck, schmedt es selwst l 82
-----, Mer senge ins.....................( Z- 229
-----, Mäje, Dü satt mer de Wätsche nür seng ) 277
-----, Christus ist da.......................326
Preser, Karl. Auch ein Neujahrswunsch ... 13
— —. Alkäische Strophe........................69
— —, Abendnühe................................137
— —, Aufklärung...............................289
Nadrnberg, Julius. An mein Zimmer ... 301
Sascha Elsa. An die Musik ....... 146
— —, Märchen.....................................245
Saul, D. Winter..................................... 17
— —/ Zum Abschied................................101
— —, Bei der Trennung............................205
— —, Der Baum im Spätherbst......................326
Scheel, Emilie. Das alte Mütterlein .... 38
Starck, Frida. Spällstubbe (Niederhessisch) . . 64
Trabert, Adam. Liebeslieder. I.—III.............. 51
— —, Liebeslieder. IV........................64
-----, Liebeslieder. V.—Vlls. | ..................218
Trais, Friedrich v. Dr Usterhoas \ Wetterauer 97
— —, Herbstnoacht............../ Mundart 120
Traudt, Valentin. Gedenken...........................57
— —, Die Sonne bist Du...................112
— —, Verlassen..................................193
— —. Enttäuscht.................................249
Weber, Karl. Frühling . 97
-----. Im Walde...................................120
— —. Erwartung ........................274
Meidenmüllrr, A. Auf dem Meißner .... 233
***. Den hessischen Sängern in Hersfeld . . . 165
Aovesseri, Krzähtmrgen u. s. w.
Dincklage-Eampe, C. von. Ohm und Onkel,
Erzählung................. 25, 36, 47, 62 79
Farster, Heinrich. Armuth...........................272
John, D. Doktor Wehn. Erzählung .... 306
Keller-Jordan, H. Modern. Novelle . . 198 217
Mentzel, E. Wenn die Sonne sinkt, Novelette 226
241 259
Seite
Seite
Mentzel, E. Hinlmelsrest, Weihnachtsgeschichte. . 323
Sascha Clfa. Das Burgfräulein, Märchen . , 157
Knul. D. Zwei Freunde, Humoreske ^ . 142
Storck, Frida. Mein Onkel Georg . . . 10 22
— —, Waidmannsheil . . . . . . . 282 295
Meidenmüllev, A. Die schwarze Mühle, Dorf-
geschichte aus der Rhön . . 94, 108, 118 129
Aus alter und »euer Zeit.
Ein hessischer Mäßigkeitsverein aus dem Jahre 1601 13
Kurfürst Wilhelm I. von Hesseu und die Aufführung
von „Spontini's" Vestalin auf der Kasseler
Hofbühne im Jahre 1813 . . . . . . 39
Das Kadettenhaus zu Kassel. — „Laufen." —
„Todesahnung" ........... 51
Ein Apothekerprivilegium vor 111 Jahren. — Das
Vermögen des Kurfürsten Wilhelm II. . . 65
Ein Gedicht aus westfälischer Zeit..................98
Kriegstüchtigkeit der Hessen im Feldzug von 1792 110
Die Kasseler Münzen- und Medaitlensammlnng und
deren wiederholte Beraubungen. — Johannes
Steuernagel, geb. 1546 zu Schmalkaldeu,
poeta laureatus . . . . . . . . . 121
Hessischer Svldatengeist anno 1792. — Mahn Worte
eines treuen Kurhessen an die Landsleute in
der Fremde..................... . . . . : . 134
Ein Kriegsgericht als Ehrengericht. — Der steinerne
„große Christoph".— Stipendien in Mar-
burg. — Zerstörung des „Nadelöhr" . . 146
Das Denkmal für König Konrad bei Villmar. —
Erbauung der steinernen Brücke über die
Fulda, 1788—1794. — Die Hessen bei der
Belagerung von Valenciennes .... 161
Brief des Landgrafen Friedrich II. an seinen Sohn.
— Steingrab bei Züschen. — Ausgrabungen
am Castrum Alteburg. — Bedeutung des
„Nadelöhr". — Bei den Abbruchsarbeiten
im Kasseler Hoftheater aufgefundene Theater-
zettel .....................................176
Aus dem Skizzenbuch des Württembergischen Bau-
meisters Heinrich Schickhardt . . ... 189
Ein hessischer Landsmann in Helgoland; imperative
Namensformen. — Ein Schriftstück aus der
kurfürstlichen Ordenskanzlei.............201
„Der Landgraf und sein Hofbücker." — „Falsch wie
Galgenholz." — „Nur ein Besenbinder" . 229
„Heute Landgraf oder keiner mehr." — Landgraf
Philipp's Rückkehr. — Eschweger Brunnen-
fahrten .............................................. 245
Die lebendige Mauer.................r . . . . 262
Rothschild und der hessische Hof ......................285
Adalbert III. von Harstall.......................286
Staufenberg. — Ein Nachhall aus hessischem Feld-
lagerleben .................................. 297
Eine Attilasage im Hessenland. — Aus dem Jahre
1806 ......................................... 310
„Kleider machen Leute". — Mundartliches. —
Etwas von Marie Seebach. — Das Schwert
Karl's des Großen. — Alte Notizen . . 326
Aus Keimaty und Fremde.
Vortrag des Professors Dr. Georg Wolfs über seine
Entdecklmgen am Pfahlgraben bei Hanau.
— Universitätsnachrichten. — Todesfälle
(Oberbürgermeister a. D. Rudolph, Marburg;
Superintendent a. D. Rollmann, Fuldä;
Superintendent Dettmering, Marburg; I.
Staatsanwalt von Winckler, Köln) ... 15
Todestag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm.^—
Taufe des ersten Sohnes des Prinzen Frie-
drich Karl von Hessen. — Verlobung des
Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen.
Bischof Dr. Weyland von Fulda f . . . 28
80. Geburtstag des Professors Dr. Eduard Zeller
in Berlin. — 25jähriges Schriftstellersubiläum
Ludwig Mohr's. — Universitätsnachrichten.
Todesfälle (Professor Dr. Flügel, Hofgärtner
a. D. Eubell, Kassel)..................... . 39
Wiedereröffnung der Sammlung hessischer Münzen
im Friedrichs-Museum zu Kassel. — Adresse
der studentischen Korporationen in Marburg
an Professor Dx. Bauer. — Todesfälle
(Eisenbahndirektions-Präsident a. D. von
Schmerfeld, Kassel: Domdechant und General-
vikar Kalb, Fulda) . , > . . ; , . 53
Februarversammlung des Vereins für hessische Ge-
schichte und Landeskunde zu Kassel. — 80.
Geburtstag von Dr. Alexander Hermann
Müller zu Bremen. —Osterprogramme der
hessischen höheren Schulen. — Denkmal für
den Grafen Philipp Ludwig II. von Hanau 66
82. Geburtstag der Frau von Hohenhausen. —
Kasseler Theatervorhänge. — Universitüts-
nachrichten . . . . . . . . . . . 82
Programm der Festlichkeiten zur Feier des ^jäh-
rigen Bestehens des; Realgymnasiums zu
Kassel ............. 98
Jubiläum des Kasseler Realgymnasiums . . . 111
Aprilversammlung des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde zu Kassel. — 25jähriges
Jubiläum der Kasseler städtischen höheren
Mädchenschule. — Hessische Geistliche der
Leipziger reformirten Gemeinde. — 25jäh-
riges Dienst) ubilä um des Professors Dr. Duden
in Hersfeld. — Beerdigung F. Zwenger's . 121
Jahresversammlung des Hanauer Bezirksvereins
für hessische Geschichte und Landeskunde. —
25jühriges Jubiläum des Professors Jassoy
in Hanau. — Apotheker Theodor Seih in
Kassel tz . . .......................... . 135
Y. Versammlung des hessischen Städtetages' in
Eschwege. — Bildung eines Zweigvereins
des Bückeburger Geschichtsvereins in Rinteln.
— Verschiedene Notizen. — Dr. med. Emil
Joost in Kassel tz. — Die „Hessischen Blätter"
in Newyork..............................148
wanglose Vereinigung geborener Kurhessen" zu
Berlin. — Fabrikant Heinrich Weishaupt
in Hanau f. — Der hessische Städtetag in
Eschwege. — Sängerfest in Hersfeld . . . 162
Wanderversammlung hessischer Bienenzüchter in Hers-
feld. -- Gemäldeausstellung in Marburg.
— Zuschrift des Prinzen Heinrich von
Hanau an die Nationalzeitung. — Berufung
des Professors Karl Schäfer nach Karlsruhe.
— Notizen. — Universitätsnachrichten. —
Opernsängerin Marianne Andrecht f . . 178
Das III. Süngerfest des hessischen Sängerbundes
in Hersfeld. — Lehrmittelausstellung in
Kassel. — Staatsminister a. D, Freiherr
Alexander von Baumbach -Ropperhausen t 190
Geschichtsvereins = Versammlung in Hanau. —
Jahresversammlung des Rhönklubs in
Neustadt. — Notizen. — Ludwig Mond-
Stiftung. — Universitätsnachrichten. —
Generalsuperintendent Dr. Martin in Kassel 4.
— Oberpostkassenbuchhatter a. D. Jänecke
in Kassel +...................................201
Notizen. — Universitätsnachrichten. — Todesfälle
(Professor Dr. Glaser, Marburg; Geh. Re-
gierungsrath Busch, Professor Speyer,
Konsistorialprüsident Freiherr von Trott zu
Solz, Kassel ; Fabrikant Reguardt, Bal-
timore) ..............................................219
Leite
Seite
Gedenktag der Geburt des infiH-ftcui Friedrich
Wilhelm. — 60. Inhrcsversammlang des
Vereins für hessische Ge'chichte und Landes-
kunde in Hanau. — Festspiel „Gustav
Adolf" von Franz Treller. — Aussichts-
thurm auf dem Eisenberg. -- Sammlung
glasirter Thonwaaren in der Gewerbchalle
zil Kassel............................... 280
Jahresversammlung des Gustav-Adols-Vereins zu
Homberg. — Kirchenbesichtigungen durch den
Staatskonservator. — Pharmazeutische Aus-
stellung in Kussel. — Rotenburg — Luft-
kurort. — 70. Geburtstag von I)r. Otto
Braun in München. — 50jähnges Doktor-
jubiläum von Professor Dr. Seelig zu Kiel. —
Nn iversitätsnachrichten. — Fernere Notizen 246
Notizen. — Kasseler Straßennamen. — Univerfitäts-
nachrichten. — Todesfälle (Metropolitan
a. D. Karst, Geh. Rechnungsrath Gunkel',
Major a. D. Friedrich Engelhardt, Kassel) 262
Römische Funde bei Flörsheim. — Buk Karadschitsch
und die Gebrüder Grimm. — Aus der
Berliner Gesellschaft. — Amtswundarzt
Kollmar, Melsungen f.......................275
Schenkung an die Kasseler Gemäldegalerie. —
Notizen. — Stina Senechaute + . . . . 286
Geburt des zweiten Sohnes des Prinzen Friedrich
Karl von Hessen. — Gebrüder Grimm-
Denkmal in Hanau. — Universitäts-
nachrichten. — Todesfälle (Bergrath Dunker,
Halle ; Forstmeister a. D. Dehnert, Kassel) 298
Taufe des Prinzen Maximilian von Hessen. —
Notizen. — Geh. Kommerzien rath Oskar
Henschel ch. — Fernere Todesfälle (Amts-
gerichtsrath Zimmermann, Geh. Sanitätsrath
Dr. Ulrich, Kassel; Dr. Friedrich Koch,
Chicago).....................................811
80. Geburtstag des Oberschulraths und Gymnasial-
direktors a. D. Dr. Weismann in Koburg.
— Todesfälle (Bürgermeister Knobel, Ehlen;
Frau Lilly Wiegand (H. Brand), Wahlers-
hausen; Geh. Justizrath Ganslandt, Dr. mecl.
Wachs, Kassel) .............................328
Kunst Nachrichten aus Kesten
149
Keusche Wücherschau.
„Gedichte" von Ernst Wolfgang Heß von Wich-
dorff. — Vier neue Lieder von Johann
Lewalter...............................40
„Eine Frühlingsfahrt nach Malta" von Julius
Rodenberg,— „Kleinasien aus der Vogelschau"
von Otto Wachs. — „Wie kann ein gesunder
Körper und ein gesunder Geist bei der
Erziehung der deutschen Jugend gebildet
werden?" von H. Warlich. — „Das Leben der
Prinzessin Charlotte Amalie de la Tremo'ille,
Gräfin Aldenburg", erzählt von ihr selbst,
überseht und erläutert von Dr. Reinhard
Mosen.......................................54
„Die Flüchtlinge", Erzählung von Wilhelm Speck . 68
„Lieder von dem stillen Ozean" von Richard Jordan.—
Trabert, Kaiser Julian der Abtrünnige;
Braun, Umsonst gelebt ; v. Pfister, Idiotikon
von Hessen..................................84
„Führer durch Oberhessen und die angrenzenden
Gebiete" von E. Schneider. — „Hessisches
Buchdruckerbuch" von Dr. Gustav Könnecke. —
„Sammlung niederdeutscher Rätsel nebst Auf-
lösungen" von R. Ecka rt ...... 9$-
„Die deutschen Fortunatus-Dramen und ein Kasseler
Dichter des 17. Jahrhunderts " von Paul Harms 124
Leimbach, In der Abschiedsstunde; Volk, Beim
Kien span licht.............................136
„Ueber Schulmünzen int ehemaligen Kurhessen" von
Dr. Karl Knabe. — Lidliotüaea hassiaca, V.
Nachtrag, herausgegeben von Dr. Karl Acker-
mann ...............................................152
Elise Mentzel, Wickers Henner am Scheideweg, Der
Räuber; Richard Jordan, Vom Stillen
Ozean; Marie Westerburg, Gedichte; Traudt,
Seelenliebe; Speck, Die Flüchtlinge . . . 163
„Umsonst gelebt", Roman von Julius W. Braun. —
XXXIX. Bericht des Vereins für Naturkunde
zu Kassel. — Propagandatafel des Rhön-
klubs. — Verhandlungen des V. hessischen
Städtetags; Treller, Gustav Adolf, Volks-
bühnenspiel; Heusohn und Pistor, Festschrift
zum 25. Maingauturnfest in Kesselstadt . 192
„Gedichte" von Marie Westerburg. — „Wickers
Henner am Scheidewege", Erzählung von
Elise Mentzel . . .................203
„Lessing im Urtheil seiner Zeitgenossen" von
Julius W. Braun. — „Räthsel" von
M. Schumacher. — Hallenberger, Burg
Herzberg.................................220
„Beim Kienspanlicht", Geschichten in Odenwälder
Mundart von Georg Volk. — „Die deutschen
Lyriker der Gegenwart" von Hermann
Kiehne. — „Drei Kaiserinnen" von Fr. von
Hohenhausen..............................232
„Preußische Geschichte" von William Pierson. —
„Aus meiner Zeit" von Friedrich Pecht. —
„Cotta'scher Musenalmanach", 5. Jahrgang,
herausgeben von Otto Braun..............287
Brand, Unter König Jarome; Haase, Blumen am
Wege........................................300
„Kinder- und Hausmärchen", gesammelt durch die
Brüder Grimm. Mit Illustrationen von
P. Grot Johann und R. Leinweber. —
„Vom stillen Ozean", Gedichte von Richard
Jordan. — „Blumen am Wege", Gedichte
von Hermann Haase..........................313
„Deutsche Volkslieder", in Niederhessen — ge-
sammelt von I. Lewalter, 5. Heft. —
„Hessisches Dichterbuch", herausgegeben von
Valentin Traudt. — „Der Kurfürstentag
in Fulda, 1568" von Dr. Paul Guba . 329
H^ersonakien.
Seite 163, 180, 190, 203, 220, 231, 247, 264,
275, 286, 300, 314, 331.
Erklärung von Ludwig Mohr..................................40
Eingesandt von Hermann von Pfister.........................84
An unsere Leser...............................112, 136 164
Entgegnung von Hos-Buchhändler Gustav Klaunig . . . 124
Richtigstellung von Dr. Friedr. Hille......................288
MriefkaDn.
Seite 28. 56, 68, 84, 112, 124, 136, 152, 163,
180, 192, 204, 220, 232, 248, 264, 276,
288, 300, 315, 331.
Das „gtfjjenlmtit“, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/*—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Mogter A.-H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 1 des „Hessenlandes": „Der alte Tom", Gedicht von Richard Jordan; „Wilhelm IV.,
der Weise, Landgraf von Hessen", von H. Metz (Fortsetzung); „Hessische Städte und hessisches Land vor hundert
Jahren: I. Stadt und Land Fulda", von Dr. Justus Schneider (Fortsetzung); „Zur . Texterklärung des
Volksliedes: Drei Lilien, drei Lilien", von Dr. August Roeschen; „Mein Onkel Georg", von Frida Storck; „Auch
ein Neujahrswunsch", Gedicht von Carl Preser; Aus alter und neuer Zeit; Ans Heimath und Fremde.
Ver alle Wom.
dem Städtchen San Antonio,
W So im Texasstaat gelegen,
Blieb ich einstens kurze Wochen
Leidiger Geschäfte wegen.
Eines Tags nun ging ich schlendernd
Durch die regbelebten Straßen,
Wo vor eleganten Schenken,
Spuckend, bärt'ge Farmer saßen:
Wo die Cowboys, hoch zu Rosse,
Cooper'schen Gestalten glichen
Und den schweren Baumwollfuhren
Mürrisch aus dem Wege wichen.
Und ich schritt durch's fremde Treiben
Mit der Neugier Wohlgefallen,
Als ich plötzlich mir zur Seite
Etwas sah zur Erde fallen.
Aus dem Omnibus, deß Rasseln
Noch betäubte meine Ohren,
Hatte wohl sein Eigenthümer
Jenen Gegenstand verloren.
's war ein Stock. Ganz unwillkürlich
Hob ich ihn empor vom Boden
Und beschaute weitergehend
Seiner Schwere wncht'ge Knoten.
Statt des Griffes war ein Riemen
Angebracht von plumpem Schreiner,
Und mir schien's, als sei's ein echter,
Abgetrag'ner Ziegenhainer.
Das auch war der Grund, weshalb ich
Ihn nicht wieder warf bei Seite,
Denn den Landsmann in der Fremde
Ehrt man auch in schlechtem Kleide.
2
Fester, wie ein Stück der Heimath,
Mußt' ich gar den Stock umfassen.
Und ich fühlte plötzlich Heimweh
Dort in San Antonios Gassen.
War's, was Zufall Manche nennen,
Andere des Schicksals Thaten? . .
Nächsten Tags las int Journal ich
Unter andern Inseraten:
„Fünfzig Thaler soll der Finder
Eines alten Stocks erhalten,
Liefert er ihn ab in Weststreet
Nummer dreizehn wohlbehalten."
Und dann folgte die Beschreibung,
Und des Zweifels blieb mir keiner:
Fünfzig Thaler bot man wirklich
Für den alten Ziegenhainer!
Fünfzig Thaler für den alten,
Dessen Firniß längst erloschen!
Solch ein Ding kauft man daheim doch,
Nun, für einen Silbergroschen!
Welche andere Bewandtniß
War wohl mit dem Stock verschlungen?
Oder war sein Eigenthümer
Just dem Irrenhaus entsprungen?
Würd' ich wohl das Räthsel lösen?
Nun, zum mind'sten wollt' ich zuseh'n.
Und ich ging zum Inserenten
Stracks nach Weststreet Nummer dreizehn.
„— Sie haben nicht die Müh' gescheut,
Sind weit heraus zu mir gekommen,
Sie haben sich mit mir gefreut
Und die Belohnung nicht genommen;
— Sie fragen nun, warum's Wohl sei,
Daß ich so treu des Stockes hüte? ? . .
Nun wohl! Der Stock und ich, wir zwei,
Wir standen einst zugleich in Blüthe.
— Ja, ja. Schon lange ist das her:
Wohl vierzig Jahre oder drüber,
Und doch wird mir das Herz noch schwer,
Schlag' eine Brücke ich hinüber.
— Sie kennen ja mein Heimathland,
Sind selber groß darin geworden:
Als Sie vorhin mir das bekannt,
Ward seltsam mir bei Ihren Worten:
— Denn ich vernahm von jenem Ort
Den Namen niemals mehr inzwischen . . .
Den Staub der Zeit, wie kann ein Wort
Bon der Erinnerung ihn wischen!
— Ja, vierzig Jahre sind vorbei,
Kaum Monde sind's, daß sie sich füllten,
Als jenen Stock im Monat Mai
Die letzten Blüthenähren hüllten.
— Ein Weißdorn war's und wuchs am Rand
Des Fahrwegs, in des Städtchens Nähe . .
Ach, als ich damals vor ihm stand,
War mir um's Herz zum Sterben wehe.
— Ein Jahr zuvor, im selben Mai'n,
Als Blüthen ihn ganz gleich umwanden,
Da hatten wir bei ihm zu Zwei'n,
Zu Zwei'n, zwei Glückliche gestanden.
— Er nur allein war's, der vernahm,
Wie sie ihr Jawort mir gegeben ....
Doch als der Lenz auf's Neue kam,
Da war mein Lieb nicht mehr am Leben.
— Da stand allein ich vor dem Strauch,
Der einst zu unser'm Bunde nickte,
Da griff ich ihn und brach ihn auch,
So wie mich selbst das Schicksal -knickte.
— Ich riß auch ihm die Wurzeln ab
Und hab' die Zweige ihm verschnitten.
Und bin mit ihm als Wanderstab
Dann freudlos in die Welt geschritten.
— Bald liebt' ich ihn. Einst für mein Glück
War er in Blüthen ausgeschlagen;
Mit mir verdorrt, hat er ein Stück
Von meinem Weh nachher getragen.
— Wir zogen beide über's Meer
Und beide nach der Wildniß Gründen,
Zusammen kamen wir hierher
Und halfen San Antonio gründen.
— Und immer hat er mir genützt,
Als Waffe selbst oft in Gefahren,
Wie einst den Jüngling, jetzund stützt
Den Greis er noch, gebeugt von Jahren,
— Der Stock und ich, wir wurden Ein's;
Ein jedes Kind kann hier mich nennen.
Doch ohne ihn würd' morgen kein's
Den alten Tom wohl mehr erkennen.
— Drum will ich auch, daß man beim End'
Zu mir in's Grab den Stecken thue.
Ich glaube sonst — bei Gott —, ich feint)'
Im Grabe nicht die rechte Ruhe.
— Sie kennen nun, mein Freund, den Grund,
Weshalb des Stocks so treu ich hüte;
Er mahnt mich an die Jugend, .... und,
Daß Menschenglück gleich Weißdornblüthe."
Guatemala bett 29. November 1893.
IUchard Jordan.
H~aH~
3
Wilhelm IV., der Weise, Landgraf von Hessen.
1567 — 1592.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
eit der Hülfeleistung König Heinrich's II. von
Frankreich an Philipp den Großmüthigen war
Landgraf Wilhelm den französischen Herrschern
freundlich zugethan. Er stand aber auch in enger
Verbindung mit den Häuptern der Hugenotten.
Diesen sandte er 1568 dreitausend Mann Hülss-
truppen unter Christoph von Malsburg und Dietrich
von Schönberg, eitlem Vetter des französischen Mar-
schalls von Schömberg. — Nachdem Katharina
von Medici, als Vormünderin Karl's IX., ihre
Geneigtheit zum Abschlüsse eines Religionssriedens
zu erkennen gegeben hatte, wurde eine Gesandtschaft
fast aller evangelischen Fürsten Deutschlands an
die Königin abgesandt, welche wesentlich zum Er-
laß des Edikts voll St. Germain en Laye (August
1570) beitrug. Der hessische Gesandte, Rudolph
Wilhelm Meckbach, begab sich zu den Häuptern
der Hugenotten nach Rochelle. Diese versprachen
die Rückerstattung des von Landgraf Philipp
erhaltenen Darlehens und theilten dabei dem
Landgrafen Wilhelm vertraulich brieflich mit, daß
der König wie dessen Brüder und Mutter zur
Erhaltung des Friedens ernstlich geneigt, aber
vom Haupte der Guisen, dem Kardinal von
Lothringen, heimliche Nachstellungen oder ein
greulicher Krieg zu erwarten seien, fast alle ge-
heimen Räthe ständen auf seiner Seite; durch
Unterhaltung des Zwistes unter den Lutheranern
und Kalvinisten suche er die Verbindung der
deutschen Fürsten mit Frankreich zu verhindern.
Karl IX. schlug dem Kurfürsten Friedrich von
der Pfalz und Landgraf Wilhelm ein Ver-
theidignngsbündniß mit den evangelischen Fürsten
vor (1572). Die Hauptverhandlung hierüber
wurde zu Kassel bei der Taufe des Prinzen
Moritz geführt (Juni 1572). In dieser Ver-
handlung wurde bestimmt: daß von beiden Seiten
monatlich 50 000 Thaler hinterlegt werden sollten
daß das Bündnis; auf einige Jahre abgeschlossen
werden und eine „freundliche Korrespondenz" heißen
sollte. Ehe aber die Verhandlungen zum Abschluß
kamen, trat die Pariser Bluthochzeit ein, von
welcher Landgraf Wilhelm durch Schreiben des
Königs und der Königin in Kenntniß gesetzt wurde.
Diese gaben an, der Tod Coligny's sei durch
politische Nothwendigkeit herbeigeführt worden, und
man werde das Religionsedikt einhalten.
Als Kaspar von Schömberg Landgraf Wilhelm
gegenüber den Charakter Coligny's verdächtigen
wollte, bemerkte der Landgraf: er solle sich er-
innern, daß er ein Deutscher sei, und daß Colignh
ihn zum Manne gemacht habe. Wilhelm wies
die Königin auf die Pläne der römischen Partei
hin, welche nicht das Wohl des Reiches und des
Königs im Auge hätten. Er erklärte dem König,
es seien hinlängliche Beweise vorhanden, daß dieser
Schlag gegen die evangelische Religion gerichtet sei.
Dem Kurfürsten von der Pfalz schrieb er: „jetzt sei es
hohe Zeit, nicht nur die betrüglicheu Sitten und Ränke
der leichtfertigen Welschen zu fliehen, sondern sich
wieder der alten deutschen Sitten, der Tugend
und Mannheit ihrer Vorfahren zu besteißigen".
Das Bündnis; mit Frankreich kam unter diesen
Verhältnissen nicht zu Staude, obgleich Karl IX.
es noch weiter betrieb.
Die Rücksicht auf Spanien hielt die evangelischen
Fürsten ab, gänzlich mit Frankreich zu brechen,
weil sie fürchteten, daß Frankreich bei gänzlicher
Jsvlirung an Spanien sich anschließe, oder daß
Spanien nach Beendigung der belgischen Händel
sich gegen Frankreich wenden und dieses in Folge
der inneren Uneinigkeit überwinden werde.
Nach der Erledigung des polnischen Thrones
in Folge des Todes des letzten Jagellonen,
Sigmund's I., bewarben sich verschiedene Fürsten
um die Krone, unter ihnen Heinrich von Anjou.
Landgraf Wilhelm wurde durch den Marschall
von Schömberg ersucht, sich für ihn zu verwenden.
Anfangs lehnte er aus Rücksicht für den Kaiser
und auf die unsicheren französischen Verhältnisse
ab. Doch fand sich ein Auskunftsmittel (1573).
Sophie von Wolfenbüttel wünschte, daß ihre
jüngste Schwester Anna, — beide waren Schwestern
des letzten Königs von Polen —, durch Ver-
mählung mit dem zu erwählenden König auf
bett polnischen Thron komme. Sophie empfahl
auf Veranlassung Landgraf Wilhelnt's den Herzog
von Anjou den polnischen Stündeit, daß sie
diesen unter der Bedingung der Gewährung freier
Religionsübung erwählten. Als Gegendienst erbat
Wilhelm von Karl IX. die Wiedereinsetzung der
in Savoyen gefangen gehaltenen Wittwe sowie
der Kinder und Verwandten Coligny's in iher
Güter und Rechte und einen Schutzbrief zum
freien Güterverkauf für den berühmten Rechts-
gelehrten Franz Hotomann. Letzterer wurde sofort
4
zugestanden; der Wittwe Coligny's, schrieb
Katharina, sei freies Geleit gewährt, die Sache
der Kinder derselben liege in der Hand
ordentlicher Richter.
Dem neuen Könige von Polen, Heinrich von
Anjou, hatte der Kaiser zwar freies Geleit gewährt,
aber ausdrücklich bemerkt, daß diese Genehmigung
dem Landgrafen von Hessen und dem Abte von
Fulda nicht Präjudizirlich sein sollte. Es war dies
in dem geheimen Wunsche geschehen, daß Landgraf
Wilhelm den Durchzug hindern werde. Dieser
aber wollte den Wunsch des Kaisers nicht allein
nicht erfüllen, er rüstete sich vielmehr, den König bei
seinem Durchzug durch hessisches Gebiet freundlichst
zu bewirthen. Der König war begleitet von
einem glänzendem Gefolge mit 1125 Pferden.
Der Landgraf mit 800 Reitern empfing ihn bei
Vacha und bewirthete ihn unb sein Gefolge zwei
Tage und drei Rächte an diesem Orte.
Indessen verließ Heinrich nach dem Tode seines
Bruders Polen sofort wieder, um als Heinrich III.
den französischen Thron zu besteigen (1574). Wil-
helm blieb ihm ein treuer Rathgeber. Als aber der
König sich an die Spitze der heiligen Ligue stellte
unb den evangelischen Fürsten seinen Entschluß
meldete, in seinem Lande nur eine Kirche, die
katholische, zu dulden, und sie zugleich ersuchte, sich
Glicht mehr in die Religionshändel zu mischen,
gab er ihm die berühmte Antwort, in welcher er
ihn vom Kampfe abmahnte, aber rieth, zur Ent-
scheidung der religiösen Wirren ein National-
konzilium zu berufen xutb nur auf den Rath
solcher Fürsten zu hören, welche wie er, der Land-
graf, die innere Beruhigung Frankreichs wünschten.
Wilhelm war mit Heinrich von Navarra in Ver-
bindung getreten in den: Wunsche, die Protestanten
aller Länder, wenn auch nicht zu einem Be-
kenntnisse, doch zu einer christlichen Brüderschaft
zu führen. Als Heinrich ein Religionsgespräch
zur Ausgleichung des streitigen Artikels in der
Abendmahlslehre iu Vorschlag brachte, widerrieth
der Landgraf mit Rücksicht auf die eben abge-
schlossene Konkordie. Er empfahl dagegen den
protestantischen Fürsten die Abschließung einer
allgemeinen protestantischen Union, als einziges
Mittel zur Bekämpfung der steigenden Macht des
Papstes. Er erhielt aber abschlägige Antwort
von bcn Anhängern der Konkordie.
Rach der Thronbesteigung Heinrich's IV. lieh
diesem Landgraf Wilhelm (8. September 1590)
100 000 Gulden. Auf einer Versammlung mehrerer
protestantischen Fürsten zu Kassel wurde die Geld-
summe festgesetzt, welche alle evangelischen Fürsten
für Heinrich IV. bereit halten sollten. Als jedoch diese
Hülfeleistung ill Folge der Uneinigkeit der Fürsten
nicht zu Stande'kam, verschaffte Landgraf Wilhelm
dem Könige Heinrich IV. ein Darlehen von den
Reichsstädten Nürnberg und Ulm, gab selbst
einen Vorschuß unb unterstützte den Fürsten von
Anhalt nlit Soldaten und Geschützen.
Der Vorschlag Heinrich's IV., die Neligions-
angelegenheiten bei Seite zll lassen imb lediglich
die politischen Interessen der deutschen Fürsten
gegen Spanien ill Betracht zu ziehen, konnte von
Landgraf Wilhelm nicht lveiter verfolgt werden,
da er bereits seinem Ende entgegen ging.
(Fortsetzung folgt.)
i-
Hessische Städte und hessisches Lulld vor hundert Jahren.
Stadt und Land Fulda.
Von Di-. Justus Schneider.
(Fortsetzung.)
^Durchwandern wir jetzt die Stadt Fulda selbst.
p| Die Hauptstraßen sind, vom Paulusthor
Cy angefangen, erstlich die Promenade längs
des Schloßgartens. Links in demselben liegt
das Orangerieschlößchen mit seinen großen Sälen
mit wunderbarer Stukkatur itub Freskomalerei
von Wohlhaupter, im Keller darunter lagert der
Johannisberger Wein. Rechts umrahmen die
alte Propstei Michaelsberg, die 1778 gegründete
Landesbibliothek, der Dom mit dem alten Bcuedik-
tinerstift (jetzt Seminar), die Domdechanei und
das von Buseck'sche, nachmals von Harstall'sche
Haus den großen Domplatz. Derselbe war
damals größer wie jetzt. Zwischen der Stadt-
mauer, welche sich von der Hauptwache längs der
Vorderfront des jetzigen Damenstiftes bis zu jenem
alten Thurme an dessen unterem Ende und
zwischen meiner und Herrn Bäcker Wiegand's
Besitzung zum Hanse des Herrn Posthalters
Knips, welches ebenfalls ein Stadtthurm war,
herabzog, und dem Dechaneigebäude am Dome
war nur ein freier Platz. An beiden Thürmen
waren Thore, am alten Stiftsthurme das
Thörle, bei dem Knips'schen Hause das Abtsthor.
5
Die 15 Gebäude der Wilhelmstraße und Dechanei
sind erst von dem Fürsten von Oranien erbaut
worden.
Die Promenade setzt sich zum Schloßplätze
fort. Die Hauptwache ist unverändert geblieben.
Das jetzige Damenstift bestand ans drei getrennten
Häusern, das mittlere hieß die Kemnate, ein
Haus für die Frauen, weshalb die vor deni
Stift herunterziehende Straße Kemnatengasse hieß.
Hier und an dem Häuserkomplex nach der Ritter-
gasse zu stand im Mittelalter die Burg des
Grasen von Ziegenhain, des Schirmvogtes der
Abtei. Der jetzige Bouifatiusplatz, an dessen
Standbild damals noch nicht gedacht wurde, hieß
der Dienstagsmarkt. Das jetzige Leihhaus war
die Münze, worin die trefflichen Fuldaer Münzen
und Medaillen geschlagen wurden, nachdem das
Metall vorher in der alten Krätzmühle oder
Kratzmühle, der jetzigen Filzfabrik, gereinigt worden
wär. Gegenüber der Münze liegt das dem
Geheimrath von Brack gehörige, jetzt Simon'sche
Haus. Die beiden vom Fürstabte von Buttlar
erbauten Häuser am Eingang der Hauptstraße,
jetzt Hôtel Kurfürst und alter Bürgerverein,
dienen den adeligen und Negierungsbeamten zur
Wohnung. Das jetzige Landrathsamt ist von
dem Freiherrn von Stein zu Altenstein erbaut;
in dem großen Sitzungssaale fanden damals
Tanzvergnügen der feineren Gesellschaft statt.
Ein solcher feiner Ball ist im siebenjährigen
Kriege einmal arg gestört worden. 12 000 Mann
Württemberger und 1500 Manu französische
Kavallerie, ein vom Herzog Karl von Württem-
berg befehligtes französisches Hilfskorps, hatten ein
Lager unter dem Schulzenberge am Münsterfelde
aufgeschlagen. Es war damals wie jetzt, wenn
Manöver ist, die Offiziere suchten sich auch mit
der Damenwelt Fuldas zu amüsiren und hatten
am 30. November 1759 im Saale des Alten-
stein'schen Hauses einen Ball arrangirt. Die
Damen erschienen im festlichen Putze mit ge-
puderten Haaren in der damaligen Rokoko-Mode;
da kam plötzlich die Nachricht, daß die preußischen
Husaren unter deni Erbprinzen Ferdinand von
Braunschweig das Lager angegriffen hätten. Sie
versprengten das ganze Korps, und mit dem
Balte war es aus. Es ist aber noch oft und
auch im Jahre 1793 daselbst getanzt worden.
Musik und Tanz war von jeher in Fulda zu
Hause. Weikard, der Eingangs meines Vortrags
zitirte Arzt, schreibt in seinen Fragmenten aus
dem Fuldaer Land: „Die Fuldaer haben Anlage,
Liebe und Gehör zur Musik. Dieses Musikgehör
hat auch seinen Einfluß auf das Tanzen. Es
sind vielleicht wenig Städte, wo ein Haufen
junger Leute von mittlerem Staude seine Menuets
und Englische so ordentlich wegtanzt, als es in
Fulda geschieht. Ebendies gilt auch von Offizianten,
Höfbedienten u. s. w. Hierin thun sie es dem
Adel zuvor." Der damals aufkommende Walzer
war noch nicht beliebt, er galt als aufregend
und anstrengend.
Im Schlosse selbst sah es zu jener Zeit ganz
anders ans wie jetzt. Im Mittelbau befand
sich ebenerdig rechts die fürstliche Hofkapelle. Das
zweite und dritte Stockwerk bestanden nur ans
großen Empfangs- und Speisesälen. Die beiden
oberen Geschosse der vorderen Seitenflügel wurden
vom Fürsten bewohnt. In den unteren Stock-
werken und im zweiten Hofe wohnten die zahl-
reichen adeligen Hofbeamten. Der schöne Marstall
enthielt viele edle Pferde; die jetzt leer stehenden
Remisen enthielten die Hof- und Staatskarossen,
Reisewagen u. s. w. Die jetzige Realschule war
das fürstliche Jagdzeughaus, zwischen diesem und
dem Hofküchengarten war das Heerthor. In dem
kleinen, im Garten stehenden Hause am Viehmarkt
war die fürstliche Porzellanfabrik, wo aus der
von der Abtsrodaer Kuppe im Rhöngebirge
bergmännisch gewonnenen Erde das feine Fuldaer
Porzellan geformt wurde, das gegenwärtig noch
ebenso hoch geschätzt wird wie das alte Meißener
und Sövres-Pvrzella». Die obersten großen
Gebäude, wo jetzt von den Herren Gebr. Seum
ein Leinengeschäst betrieben wird, bildeten die
Kaserne für das Fuldaer Militär. Der Hof-
küchengarten und die umfänglichen Stall- und
Oekvnomiegebäude gingen bis zum israelitischen
Friedhofe, der damals außer der Stadt lag, und
bis zur jetzigen Turnhalle. Das große Arnd'sche
Haus in der Schloßstraße war damals ein ein-
stöckiger Stall für Esel und Maulthiere, welche
im Sommer die Lebensmittel und Bedürfnisse
der Badebesucher nach dem Kurorte Brückenau
zu bringen bestimmt waren.
Kehren wir zu unserer Hauptstraße zurück,
welche sich bei den Buttlar'schen Häusern in die
Friedrichstraße fortsetzt, die damals Schmiedgasse
hieß, vermuthlich von den Schmieden, die früher
daselbst wohnten. Schmiede, Schlosser und Wagner
waren in jener voreisenbahnlichen Zeit selbst-
verständlich die besten bürgerlichen Geschäfte, zumal
in einer Residenzstadt mit prunkvoller Hof-
haltung !
Von den Häusern, welche in der Schmiedgasse
und sonst in der Stadt jetzt stehen, sind wenige
in der ursprünglichen Gestalt erhalten. Das
Sippel'sche Hans neben dem alten Bürgerverein
war das Vizedomamt, das Berta'sche Wachs-
geschäft ein adeliges Haus, welches der Hofmarschall
6
von Bastheim in feinem Rokokogeschmack damals
neu erbaut hatte. Neben dem Kurfürsten war-
tn dem jetzigen Schwarz'schen Hause die besuchte
Bierwirthschaft von Vollmar. Die Pfarrkirche
war kürzlich (1770—1783) neu erbaut worden.
Der Friedrichsmarkt hieß Kreuzplatz, der Brunnen
der Kreuzkumpf. Der vor demselben stehende
Obelisk war 1770 hierher versetzt worden, er
stand früher vor dem Bäcker Hammer'schen Hause
am Kraftbrunnen, der um dieselbe Zeit verschüttet
worden ist. Das jetzige Rathhans war Privat-
gebäude, es gehörte einem Buchbinder Kaiser.
An Stelle des gegenwärtigen Postgebäudes standen
die Fleischbänke, welche einen großen Hof um-
schlossen, lauter kleine Buden, woselbst von den
Metzgern alles Fleisch verkauft werden mußte, in
deren Häusern durste es nicht geschehen. Die
alte Gestalt hat am besten noch das Mollen-
hauer'sche, früher Rüttger'sche Haus mit seinem
mittelalterlichen Erker bewahrt, das damalige
Postgebäude. Die anstoßende Löwenapotheke be-
stand schon und gehörte der verwitweten Bürger-
meisterin Zwenger. Der südlichen Langseite der
Pfarrkirche gegenüber befand sich das Rathhaus,
welches von Herrn Adam Schultheis zum Ring
bis zur Wohnung des Oberbürgermeisters ein
Gebäude mit einer größeren Freitreppe war.
Der goldene Ring ist eines der Wahrzeichen
Fuldas und diente für die Stricke, an denen die
großen Weinfässer in den unter dem Hause be-
findlichen Rathskeller hinabgelassen wurden.
Der Stadtrath hatte 1793 als Präsident den
Propst von Guttenberg, als Vizedom Ludwig
Freiherrn von Karg zu Bebenburg, als Stadt-
schultheis Joseph Kepler, sechs ältere xtnb sechs
jüngere Mitglieder, darunter Adolf Schalk als
ersten nnb Johann Maria Comitti als zweiten
Bürgermeister. Dazu gehörte noch der Unterrath
mit den Gemeindevorstehern, worunter Hauck,
Vogel, Oswald, Kircher, Knips und Uth noch
bekannte Namen sind.
Ueber dem Rathskeller befand sich eine Wein-
stube und darüber die städtischen Schulen. Die
Knaben wurden von Lehrern, die Mädchen von
den Englischen Fräulein unterrichtet. Doch schon
1782 ist dieses Gebäude an den Metzgermeister
Konrad Schultheis verkauft worden, die Knaben-
schule war bereits 1774 in den Borgiasbau
verlegt worden, und die Mädchen feinten in
das Kloster der Englischen Fräulein, das alte,
jetzt Herrn Dr. Raabe gehörige Haus am Bntter-
markt.
Neben diesem nach Norden zu waren zwei
Gasthäuser, der Löwe, jetzt Herrn Plappert
gehörig, und die Wirthschaft von Molitor. Von
da aufwärts bis zum Benediktiner- Nonnenkloster
hatte alles zum Jesuitenkloster gehört. Die
Jesuiten waren bekanntlich unter Fürstbischof
Heinrich von Bibra am 2. Januar 1774 durch
den Papst Clemens XIV. Ganganelli aufgehoben
worden. Die Kaserne, der jetzige Stadtschulbau,
blieb als Seminar für Weltgeistliche bestehen,
die Kirche in dem jetzt Linz'schen Garten wurde
abgetragen.
Der Borgiasbau, gegenwärtig Herrn Kramer's
Möbelmagazin, blieb bestehen, wurde der Stadt
geschenkt und wie schon bemerkt als Knabenschule
benutzt. Die übrigen Häuser bis zum oberm
Nonnenkloster wurden an Private verkauft und
später sämmtlich neu gebaut. Ich bemerke, daß
in den: Hause des Herrn Mehler die Bäckerei
und unter boxn jetzt zum Knabenkonvikt bestimmten
Hause der Weinkeller der Jesuiten war. An der
Westfront, der Pfarrkirche gegenüber, war das
Kollegiatstist zum heiligen Blasius für weltliche
Chorherren oder Kanoniker, welche die Seelsorge
der Stadtpfarrei besorgten. Das jetzige Gymnasium
war damals die hohe Schule Fuldas, die Adolfs-
Universität. Das Benediktiner-Nonnenkloster und
dessen hübsche Kirche bestanden schon in ihrer jetzigen
Gestalt.
Die Schmiedgasse setzt sich einestheils als
Hauptstraße in die Döppengasse (jetzige Markt-
straße) fort, wo wir die Hof- und Schwanenapotheke
des Hoskammerraths Lieblein gewahren, andertheils
geht nach rechts die Mittelstraße, damals Juden-
gasse, ab, die zum Gemüsemarkt führt, damals
Danzhütte genannt. Die Hauptstraße biegt aber
am Buttermarkt rechtwinklig um, die jetzige
Karlstraße hieß Kohlhäuser Straße, weil sie am
Kohlhäuser Thor (bei dem Hause des Herrn
Metzgermeisters I. I. Krauler) endigte. Von ihr
begrenzte der innere itxxb äußere Graben (jetzt
Kanalstraße und Königstraße) die Stadt nach
Westen. Der jetzt überpflasterte Kanal war
damals noch ein offener Bach; erst in diesem
Jahrhundert wurde er mit Brettern, später mit
Platten belegt und endlich kanalisirt; infolgedessen
wechselte diese längste Straße Fuldas ihren Namen,
innerer Graben, zunächst in die Bohlen, die
Platten itxtb endlich zur Kanalftraße.
Die innere Stadt war 1793 noch ziemlich voll-
ständig nlit Mauern und Thoren umgeben; die
Stadtmauer lief vom Paulusthore um den Schloß-
garten und das Schleiß herum zum Heerthor und
von da zürn Petersthor. Von den Oekvnomie-
und Stallgebäuden des Schlosses bis zum Peters-
thor (vor der Harmonie) zog sich längs der
Mauer ein tiefer, breiter Graben, der Stadtgraben,
hin, welcher als Genlüseländerei benutzt wurde,
WWWWWWW
wo jetzt die Turnhalle und die Kramer'scheu
Häuser stehen. Von da bis nach Ziehers hin
war alles wohlbestelltes, fruchtbares Ackerfeld.
Nur ein einziges Gebäude stand hier, das alte
St. Nikolaus - Hospital, welches jetzt abgebrochen
worden ist.
Vom Petersthore ging die Stadtmauer bis
zum Kohlhänser Thor vor dem Hospital zum heiligen
Geist, welches schon in seiner jetzigen Gestalt be-
stand, worin auch das Zucht- und Arbeitshaus
untergebracht war. Von hier ging die Mauer
am äußeren Graben zum Abtsthore und setzte
sich als Abgrenzung der Domdechanei und des
Benediktinerkonventes bis zum Schulthor und
um die Propstei Michaelsberg wieder zum Paulus-
thore fort. Alles, was außerhalb der Stadt-
mauern und Thore lag, waren Vorstädte, nämlich:
1) die Petersgasse, vor der das städtische Schützen-
haus, das 1791 ail Peter Maier verkauft worden,
sich befand und zu bürgerlichen Belustigungen diente,
2) die Florengasse, vor welcher das Kapuziner-
kloster lag, welches zehn Jahre später vom Erb-
prinzen von Oranien zum Landkrankenhaus um-
gebaut wurde, 3) die Löhersgasse, vor der sich
noch die uralte Ziegelmühle und die Hornungs-
mühle befinden, 4) die Altenhöfer Ober-, Mittel-
und Untergemeinde, jetzt Tränke, Lengsfeldergasse
unb Königstraße, 5) die Hinterburg von dem
Schulthore bis zur langen Brücke.
So sah also Fulda vor 100 Jahren aus.
Der Handel und Wandel drehte sich theilweise
um den Hof, theilweise um den hier sehr ent-
wickelten Straßenverkehr zwischen Leipzig und
Frankfurt a. M. Alle einschlägigen Gewerbe
waren hoch entwickelt. Infolge der vielen Hof-
bauten im 18. Jahrhundert blühten die Bau-
geschäfte. Hervorzuheben wäre besonders die
Stukkatur. In den Schlössern, in der Orangerie,
Domdechanei und aus der jetzigen Domäne
Johannesberg sehen wir Stukkaturarbeiten, wie
sie heute nicht mehr gemacht werden. Ferner
blühte die Kunstschreinerei; der alte Hofschreiner
Arnd verfertigte namentlich herrliche Schränke
und Cylinderbureaux, wie sie noch in alten
Fuldaer Familien vorhanden sind und leicht
Kaufliebhaber finden, die dafür hohe Preise
bezahlen. Von Industrie ist die fürstliche
Porzellanfabrik bereits erwähnt worden, sonst
wäre nur die Leinweberei zu nennen, welche
sowohl in der Stadt als aus dem Lande viele
Leute ernährte. Die Leute Fuldas waren fleißig,
wenn auch etwas behäbig und langsam in der
Arbeit. Vergnügungen waren selten; an den
Sonntagen und vielen Feiertagen durften rauschende
Festlichkeiten nicht stattfinden. Nur die Kirchweih
und Fastnacht machten eine Ausnahme, da wurde
ordentlich getollt. Außerdem wären die häufigen
Brunnen- und Kindzechen zu erwähnen. Bei
jedem Brunnen versammelte sich jährlich zum
Gedächtniß der Gründung die ganze Umgebung
und Nachbarschaft; ein hervorragender Bürger
wurde als Brunnenherr gewählt. Das Endziel
war Essen, Trinken und Tanzen. Die Kind-
zechen waren erweiterte Tauffestlichkeiten unter
den Freunden und Bekannten der Eltern, wurden
später aber auch ohne Täuflinge gehalten. Ueber-
haupt kannte man nur in der vornehmen Be-
. Dotierung gesellschaftliches Leben; die Bürgerschaft
zechte und schmauste hauptsächlich zusammen bei
Familienfesten. Der Fuldaer lebte übrigens
nicht schlecht, es war ja alles so billig. Im
Jahre 1793 kostete vom besten Ochsenfleisch das
Pfund 6 Kreuzer, das beste Kalbfleisch 5,
Hammelfleisch 6, Schweinefleisch 6 Kreuzer, das
Malter Weizen 10 Gulden, Roggen 8, Hafer
4—5 Gulden. Wild gab es sehr reichlich, außer
Hasen, Rehen, Hirschen waren Rebhühner, Fasanen,
Schnepfen, Auerhähne und Birkhähne nichts Außer-
gewöhnliches. Für den Hasen wurde etwa 30 Kreuzer
bezahlt, man konnte aber für den Balg auch
wieder 18—24 Kreuzer erhalten. Ein Auerhahn
kostete 48, ein Birkhahn 36, eine Schnepfe 24
und ein Rebhuhn 12 Kreuzer.
Gestatten Sie mir, Ihnen zum Schluß noch
einige Aeußerungen zeitgenössischer Schriftsteller
über Fulda mitzutheilen. In einem Buche von
1874 „Briefe eines reisenden Franzosen über
Deutschland" (S. 252) lesen wir: „Der jetzige
Fürst von Fuld ist ein Mann von Geschmack,
guter Lebensart und liebt den Aufwand. Er
denkt äußerst tolerant und nennt den Papst bei
Tische seinen Herrn Bruder. Er ist ohne Ver-
gleich der reichste Abt der katholischen Welt, aber
zugleich auch Bischof. Die Residenzstadt Fuld
ist ein hübscher und ziemlich lebhafter Ort, und
ich fand viel bessere Gesellschaften, als ich erwartet.
Es fehlt dem kleinen Ort an liebreizenden Mädchen
nicht." Darauf sagt er vom Würzburgischen
Lande (S. 255): „Der Ackerbau scheint in diesem
Lande sehr gut bestellt zu sein, allein in Rücksicht
auf die bürgerliche Industrie ist es noch weit
hinter Norddeutschland und auch sogar hinter
dem angrenzenden Fuldischen zurück, welches Land
wenigstens eine unbeschreibliche Menge der schönsten
und feinsten Damastleinwand verfertigt und
damit sowie auch init grober Leinwand einen
sehr ausgebreiteten Handel treibt, da hingegen
Würzburg keine Art von einem ähnlichen bürger-
lichen Gewerbe hat. Da die Fuldischen Bauern
sich im Winter mit Spinnen und Weben be-
8
schuftigen, so stehen sie überhaupt genommen in
ihrem rauhen Lande besser als die Würzburgischen
Bauern in ihren paradiesischen Gegenden."
Wie Weikard, der öfter genannte Leibarzt des
Fürsten Heinrich, die Gegend von Fulda Preist,
habe ich in meinen: Buche über Fulda angeführt.
Er war in Römershag, dem damals noch
Fuldaischen Dorfe bei Brückenau in der Rhön
geboren und verkannte auch die Schönheiten des
Gebirges nicht. Er schreibt von seinem Geburtsort
(Denkwürdigkeiten aus der Lebensgeschichte des
Kaiserlich Russischen Etatsraths Weikard, S. 27):
„Römershag liegt in einer rauhen Gegend in
einem schmale!: Thale zwischen großen Bergen
und schönen Waldungen, worunter sich eine
Buchenwaldung vorzüglich auszeichnet. Gegen
Osten grenzt es an Würzburgische Dörfer und die
von Naturforschern und Landschaftsmalern ver-
kannten und vernachlässigten interessanten und
schöne::, vielleicht den Schweizerbergen noch vor-
zuziehenden Rhönberge."
Nun noch eine Stimme über das Fuldaer Land-
volk: Heinrich Koenig, wohl der bedeutendste
belletristische Schriftsteller, der in Fulda geboren
ist, sagt in seinem merkwürdigen Buche: „Auch
eine Jugend" von demselben: „Der Menschenschlag,
der diesen Boden anbaut, ist derb, kräftig und
breitstämmig; das gefurchte Antlitz spiegelt de::
tief gepflügten Boden ab. Die weibliche Tracht
ist den unschönen Gestalten sehr unvorteilhaft.
Der vielfältige Rock, der die bunten Zwickel-
strümpfe sehen läßt, wird hoch unter de:: Armen
gebunden und überhängt den Hüstenbau, das
kattunene Leibchen spannt über der Brust, und
der Kopf wird mit einem in drei Zipfel gelegten,
bunt und hell gewürfelten Tuche Überbunden.
Die nüchterne Fröhlichkeit des Fuldensers läßt
sich gern in trockene Spaßhaftigkeit aus, in eine
Laune, der es nicht an bildlicher Fantasie fehlt
und die durch gutmüthige Unbeholfenheit des
Ausdrucks in das Drollige fällt." Hierdurch
komme ich noch auf den Fuldischen Dialekt, der
so arg verkannt und geschmäht worden ist und
von der feineren Gesellschaft für gemein gehalten
wird. Allerdings war die Sprache der städtischer:
Fuldaer Proletarier damals wie jetzt gemein,
weil sie das Schriftdeutsche und den eigentlichen
Dialekt untermischen. Ein ursprünglicher Dialekt
aber ist nie gemein. Die eigenthümlich breiten,
den: Englischen ähnlichen Mischlaute setzen aller-
dings jeden Fremden in Erstaunen. Unsere
heutige Schriftsprache ist ja auch aus dem nieder-
sächsischen Dialekt entstanden; wenn Luther ein
Fuldaer Mönch gewesen wäre, hätten wir durch
seine Bibelübersetzung vielleicht unseren Dialekt
als Schriftsprache bekommen, und wenn wir hier
einen Reuter gehabt hätten, so würden dessen
Dichtungen und Erzählungen in Fuldaer statt
in plattdeutscher Mundart vielleicht ebenso wirksam
geworden sein. Wir haben nun leider wenig
Dichtungen in Fuldaer Mundart, aber eine ist
doch so vortrefflich, daß ich mir nicht versagen
kann, dieselbe aus den: Staube zu ziehen, da sie
jetzt nur noch wenigen bekannt ist. Das Gedicht
rührt von dem Präfekturrath Welle her und ist
die Erzählung einer Bauersfrau, welche gerade
in unserem Jahre 1793 einen feierlichen Aufzug
der Universität gesehen hat, die philosophische
Doktor-Promotion einer Anzahl vol: Studenten.
Dieselben waren nach der damaligen Sitte mit
einem Barette und einem großen seidenen, mit
Pelz verbrämten Kragen, dem Doktormantel
bekleidet und zogen mit den Professoren unter
militärischen: Gefolge mit Pankenwirbel und
Musik von der Propste: Michaelsberg, der
Wohnung des Universitätskanzlers, in deren heute
noch in der alten Gestalt mit reichen: Bilderschmuck
erhaltenem Saale die Promotionen stattfanden, nach
der Universität, dem jetzigen Gymnasium.
Die Dichtung, welche die heimgekehrte Bauers-
frau in Fuldaer Mundart vorträgt, bringen wir
in der nächsten Nummer.
Zur Terterklärung des Volksliedes: „Drei Lilien,
drei Lilien".
"L. Von Dr. Äugn st Ro eschen.
fsn seiner verdienstvollen Liedersammlung bringt
j Johann LewalterinHestchNr. 2«; ff. *)
das weitverbreitete Bvlkslied:
y Deutsche Volkslieder. In Niederhessen gesammelt
von Johann Lewalter. Hamburg, bei G. Fritzsche,
1890 —1892. — Vgl. F. Seelig, Hessenland, 1890,
S. 274 ff., und H. Brunner, ib. 1892, S. 131 ff. —
„Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt' ich auf mein Grab
Da kam ein stolzer Neitersmann und brach sie ab.
Ach Neitersmann, ach Neitersmann, laß nur die Lili
stehn,
Die soll ja mein Feinsliebchen noch einmal sehn.
Und st erb' ich noch heute, dann bin ich morgen tot,
Dann begraben mich die Leute um's Morgenrot." -
9
Diese drei Strophen sind ein Ueberrest des
alten Volksliedes: „Es blies ein Jäger wohl in
sein Horn", dessen Text Lewalter a. a. O. nach
„Des Knaben Wunderhorn"2 3 4) mit den Bemerkungen
von Hoffmann von Fallersleben und Reifferscheid
beifügt. Hoffmann von Fallerslebens sagt
über dieses Lied: „Es mag im Lause der Zeit an
seiner ursprünglichen Gestalt viel eingebüßt haben.
Man sieht nicht ein, in welchem Zusammenhange
das Lied zu dem Anfange steht, daher denn auch
die mancherlei Abweichungen in den Schlüssen."
Reifferscheid^) will das Lied nicht als ein
einheitliches betrachten; es ist seiner Ansicht nach
aus den Bruchstücken zweier verschiedener Jäger-
lieder zusammengesetzt. Lew alt er bemerkt hierzu
(a. a. O. S. 30): „Der Inhalt der noch vorhandenen
drei Strophen ist so dunkel, daß schwerlich eine
Erklärung gesunden werden kann." Dagegen ver-
sucht derselbe in Heft II, S. V, seiner Sammlung
folgende Erklärung: „Vielleicht ist folgende Er-
klärung richtig: Drei Lilien pflanzte ich aus mein
Grab d. h. aus das von mir geliebte Grab, worin
mein Schatz ruht; da kam ein Reiter unb brach
sie ab. Ach Reiter, laß die Lilien stehn, mein
Feinsliebchen soll sehen, daß ich sie auch nach
ihrem Tode noch innig liebe. ,Und sterb' ich noch
heute u. s. w? heißt mit anderen Worten: Ach
stürb' ich doch heute, dann wär' ich morgen tot
und käme zu meinem Schatz." Diese Interpretation
erscheint uns zu gezwungen und unnatürlich, der
einfachen und klaren Ausdrucksweise des Volks-
liedes zu wenig entsprechend. Wir glauben, daß
„mein Grab" thatsächlich nichts Anderes bedeuten
kann als: mein Grab, die Stätte, da i ch begraben
liege. Den Schlüssel der Erklärung bietet uns der
Inhalt des älteren Liedes, das wir im Zusammen-
hange hier betrachten. wollen. Dieses Lied hat
allerdings etwas Dunkles, Geheimnisvolles; die
Gestalt des schwarzbraunen Mädchens ist dämonen-
haft, wie ja auch die Ueberschrist besagt: „Die
schwarzbraune Here".5)
Ein Jäger bläst in fein Horn; aber all sein
Blasen ist umsonst. Dann zieht der Jäger sein
Netz über den Strauch. Daraus springt ein schwarz-
braunes Mädchen hervor und entflieht. Der Jäger
droht, sie mit seinen großen Hunden zu sangen,
welche Drohung das Mädchen verachtet: „Sie
2) Arnim und Brentano: Des Knaben Wunder-
v Horn. N. Ausgabe, Heidelberg 1806—1808, S. 26. —
3) Hoffmann von Fallersleben und Richter:
Schlesische Volkslieder (1842), Nr. 171, S. 195. -
4) Reifferscheid: Westfälische Volkslieder (1879),
Nr. 15. —
5) Arnim und Brentano brachten das Lied nach
einem fliegenden Blatte. —
wissen meine hohe, weite Sprünge noch nicht."
Da droht der Jäger weiter:
„Deine hohe Sprünge, die wissen sie wohl,
Sie wissen, daß du heute noch sterben sollst!"
Auch diese Todesdrohung verachtet das schwarz-
braune Mädchen:
„Sterbe ich nun, so bin ich tot,
Begräbt man mich unter die Röslein rot,
Wohl unter die Röslein, wohl unter den Klee,
Darunter Verderb' ich nimmermeh."
Die schwarzbraune Hexe ist über bext Tod er-
haben ; dieser hat keine Gewalt über sie; sie wird
fortleben.
„Es wuchsen drei Lilien auf ihrem Grab,
Die wollte ein Reuter wohl brechen ab."
Da ruft die schwarzbraune Hexe aus dem Grabe:
„Ach Reuter, laß die drei Lilien stahn,
Es soll sie ein junger, frischer Jäger Han." —
Vergleichen wir nun diese letzten Strophen des
älteren Liedes mit den drei jüngeren, womit sie
unverkennbare Identität zeigen, so sehen wir, daß
„mein Feinsliebchen" nicht, wie Lewalter meint,
die Geliebte ist, sondern „der junge, frische Jäger",
der Liebhaber des schwarzbraunen Mädchens. Die
Geliebte, die schwarzbraune Hexe, das geheimnis-
volle Waldweib, das unter den Röslein, unter dem
Klee nimmer verdirbt, pflaxlzt die drei Lilien als
Erkennungszeichen für ihren Geliebten, als Denkmal
unvergänglicher Liebe, das sie noch im Tode gegen
die frevelhafte Hand des stolzen Reiters schützt.
In der neuerell Fassilng allerdings, in dem
trümmerhasten Liede von den „Drei Liliell", hat
die Geliebte ihre dämonischen Züge verloren, und
so kann es llnerklärlich erscheinen, wie sie die drei
Lilien auf ihr eigen Grab pflanzt. Daß iubeffext
das Volk selbst schon teilweise bext ursprünglichen
Zusammenhang dieses Volksliedes vergessen hat
und eine ihm leichter faßliche Lesart bildet, zeigt
die Variante, die Oeser-Glau brecht uns in
seiner reizenden Volkserzählung: „Der Zigeuner"
um die Mitte des Jahrhunderts aus der Rabenau
mitteilt®):
„Drei Lilien, drei Lilien,
Die pflanzt' ich auf sein Grab."
Genau denselben Zusammenhang wie jene ältere
Fassung aus des Knaben Wunderhorn, die uns den
") Der Zigeuner. Erzählung für das Volk von
O. Glaub recht (N. Aust. Stuttgart 1880), S. 109. —
„Rabenau" heißt die Gegend am Oberlaufe der Lumda,
einem linfexx Seitenbache der Lahn, welcher bei Lollar
einmündet. —
10
Schlüssel des Rätsels bietet, zeigt eine neuere
Fassung, die O. Böckels uns nach einer Auszeichnung
vom 16. Februar 1880 aus Launsbach bei Gießen
bringt. Auch hier hat das schwarzbraune Mädchen
sein dämonisches Wesen ganz abgelegt. Hier wird
das Mädchen durch die Hunde geschreckt, die ihm
auch (wie angebeutet wird) den Tod bringen:
„Ach deine schlimmen Hunde, die kenn' ich gar zu gut,
Und daß ich heut' noch sterben muß, das weiß ich ja schon."
Die Richtigkeit unserer Erklärung aber, die auf
der Interpretation von „mein Grab" beruht, wird
auch durch diese moderne Fassung bestätigt:
„Es wuchs sich eine Nelke wohl auf dem meinen Grab,
Da kam der stolze Jäger und brach sie mir ab." —
Im übrigen müssen wir hier noch an einen
sinnigen Zug der Volksdichtung erinnern, der wohl
auch bei dem behandelten Liede mitspielen dürste.
Die Volkspoesie läßt häufig, wie wir dies auch in
der Litteratur der anderen abendländischen Völker
7) Deutsche Volkslieder aus Oberhessen, gesammelt von
Or. Otto Böcke l (Marburg 1885), S. 47.
beobachten können, die Seelen der Verstorbenen als
Baum oder Blume aus dem Grabe erblühen. So
erwächst aus dem Grabe eines Gemordeten nach
einem esthnischen Volksliede eine Birke, woraus
eine Harfe verfertigt wird. Ein Volkslied ^) aus
dem „Kuhländchen singt:
„Eh wenn ich lo das weane sto,
Will ich liever ouff de Wagschad göhn;
Diett will ich zu einer Feldblume wün." —
Ein anderes Volkslied, dessen älteste Auszeichnung^)
(1771 im Elsaß) von Goethe stammt, schließt
mit der tiefsinnigen Strophe:
„Man legt den ritter zu ir in sarg,
Begrub sie wol unter die linde;
Da wuchsen nach drei vierteljaren (!)
Auf irem grab drei lilien." —
8) Me inert, Alte teutsche Volkslieder in der Mund-
art des Kuhlnndchens (1817), S. 385. —
9) Altdeutsches Liederbuch. Gesammelt und erläutert
von F. M. Böhme (Leipzig 1877), Nr. 69, S. 154—155.
— Vgl. auch bes. O. Böckela. a. O., Einleitung,
S. LXXIX, CL. —
Mein Onkel Georg.
Von Frid
r war keine Leuchte der Wissenschaft, und
er hat sich auch nicht einen Nachruhm durch
wohlthätige Stiftungen schaffen können, und
ebenso wenig ist ihm der Lorbeer des Künstlers zu
Theil geworden, dennoch möchte ich behaupten, daß er
in gewissem Sinne mehr geleistet hat als manche
Heroen des Geistes, der Menschenliebe und
der Kunst. Er war ein schlichter Lehrer und
unterrichtete die Schüler des Gymnasiums zu
Rinteln nur im Rechnen, Schönschreiben und
Zeichnen. Letzteres war ihm die liebste Unter-
richtsstunde.
Mir ist nur wenige Male vergönnt gewesen,
ihn auf kurze Ferienwochen in meinem Elternhause
zu sehen. Ich habe ihn aber lieb gewonnen am
ersten Tage, da mich kleines Ding seine schönen
braunen Augen so herzgewinnend anschauten, und
er uns im Dämmerlicht Abends den „Reineke Fuchs"
erzählte. Die kleinen Brüder hielt er aus den
Knieen, während seine Hand schmeichelnd über
mein Blondhaar glitt. Seit diesem Augenblick
liebte ich ihn mit kindlicher Begeisterung. Er
a Storck.
hatte eben ein Herz, so weich und gut, wie ein
Kind, obgleich ihm das Leben so wenig von allen
Hoffnungen der Jugendzeit erfüllt hatte, daß
manch' Anderer darüber in bitterem Groll, mit dem
Geschick hadernd, seine Tage verbracht hätte.
Eben diese gemüthsheitere Kindlichkeit gewann
ihm auch die Herzen seiner Schüler. Ob er es
dabei an der bei halbwüchsigen wilden Buben
dringend gebotenen Strenge fehlen ließ, bezweifle
ich, denn seine freundlichen Augen konnten auch
recht ernst und mahnend blicken. Jedenfalls hörte
ich von vielen seiner ehemaligen Schüler, daß sie
ihm herzlich zugethan waren. Dasselbe gilt von
den Lehrern, die mit ihm an der Ausbildung der
Jugend schafften.
Fast zwei Menschenalter waltete er ununter-
brochen gewissenhaft und freudig seines Amtes.
Am 31. Oktober 1867, da das Gymnasium sein
fünfzigjähriges Bestehen feierte, waren es auch fünfzig
Jahre, daß der damals 22jährige Lehrer fein Amt
angetreten. All' die Anderen, die mit ihm ihre
Thätigkeit an dem neuen Lehrinstitut begonnen hatten,
11
waren längst dahin gegangen, und manch' Einer
nach ihnen.
Nur er, der 72jährige Greis im Silberhaar,
stand noch rüstig und lebensfreudig im Kreise der
jüngeren Kollegen. Fest stand er noch gleich bcm
Eichstamm, der liefe Wurzeln geschlagen, wie es
in den vom Gymnasium ztt Marburg gesandten
Glückwunschversen gesagt war:
—- —1----Einer von Zehnen nur dient dir standhaft von
Anbeginn.
So steht oftmals ein Stamm wurzelnd im Felsengrund,
Wenn rings and're der Sturm senkte zu Bvden hin.
Er nur bleibet und grünt, siehet ein neu' Geschlecht
Wieder schießen und wieder auf.
Nestor Storck! o empfang heut' uns'res Herzens Gruß,
Der für's Vaterland Du wacker mit Wackern strittest,
Der Du dann für das Schwert tauschtest den Griffel ein
Und die Kinder der Flora pflegst.
Wird Dir heute bekränzt, Würd'ger, das würd'ge Haupt,
O, dann höre den Wunsch, klingend vom fernen Strand:
Knüpfe lange noch Kunst, rüstig, o Mann, an Kunst
Und hin wandle auf rosiger Au'!
Fünfzig Jahre, eine lange Zeit! Und was
hatte er schon in frühester Jugend durchkämpfen
müssen! Als Zweitältester von zwölf Geschwistern
kam er zur Zeit, da Jerome für wenige Jahre
Glanz und Luxus an seinem Hof verbreitete, mit
den Eltern nach Kassel. Schwere Zeiten hatte
die Familie in ihrer Heimath, Kirn bei Kreckznach
im schönen Rheinlande, durchlebt. Unermüdlich
schaffte und sorgte der so reich mit Kindern ge-
segnete Vater, um sich mtb die Seinen redlich
durchzubringen. Aber wo vierzehn hungrige
Magen Sättigung fordern mtb so viele gesunde,
unruhige Kindersüße Schuhe zerreißen, Hilst
schließlich aller redliche Fleiß nicht durch , besonders
in so schweren Zeiten, wie damals in deutschen
Landen waren. Und er hatte ein echt deutsches
Herz, der alte Bäckermeister, ias sich schwer dem
neuen Regiment fügen konnte. Gut deutsch loaren
auch seine Söhne iu Herz und Wesen. Schlicht,
rechtschaffen, treu in Erfüllung ihrer Pflicht.
Eine Laune des Geschicks führte den ernsten,
sorgenvollen Mann in die heitere Sphäre des
Hoftheaters zu Kassel, wo er durch Vermittelung
eines Freundes feste Anstellung als Requisiteur
erhielt. Es war kein glänzendes Einkommen, das
sich ihm bot, aber es war doch etwas Sicheres,
eine Summe, auf die man unter allen Umständen
rechnen konnte.
Georg war mittlerweile tu das Alter gekommen,
iu dem die Frage: Was soll er werden? Ent-
scheidung heischte. Es mußte ein Berus gewählt
werden, der dem vielgeplagten Familienoberhaupt
nicht neue Lasten aufbürdete. Georg kannte ein
köstliches, lockendes Ziel: Maler wäre er gar ztt gern
geworden. Wie manche Skizze hatte er schon
im Geheimen entworfen. Da er aber mit dem
Vater von seinen Wünschen sprach, ward er auch
sofort inne, er müsse verzichten aus seine hoch-
fliegenden Träume von etwaigem künstlerischen
Schassen.
„Maler werden in diesen Zeiten? Junge, wer
hat Heuer Geld, Bilder zu kaufen? Und wenn
auch, mir fehlen die Mittel zu deiner Ausbildung.
Die Flirre schlag dir atts dem Sinn!"
Solch' entscheidettdes Wort aus väterlichem
Munde galt zu jener Zeit gleich einem Gesetz.
Niemals hätte Georg gewagt, den Vater durch
ein Beharren aus seinen Wünschen zu kränken.
Wohl fühlte er, es könne ein tüchtiger Künstler
aus ihm werden, gestatteten die Verhältnisse ihm,
frei der Kunst zu leben. Er litt schwer unter dem
Geschick, Eitler von den Zwölfen eines unbemit-
telten Vaters zu sein. Es ging aber nicht, er
mußte so bald als thunlich ans eignen Füßen
stehen.
In dies erste bittere Etttsagen hinein, da er
durch wohlmeinende Freunde bestimmt worden war,
sich für das Fach eines Schreib- und Zeichen-
lehrers ztt präpariren, tönten auf's Neue die
Kriegstrompeten durch's Land. Endlich raffte sich
das so lange unterdrückte Deutschland aus zum
entscheidenden Ringen mit dem bislang unbesieg-
baren Eroberer, dessen Glücksstertt plötzlich erbleichte.
Auch Georg zog, das Herz voll flammender Be-
geisterung, gegen den Feind. Die Hand des
Höchsten schützte ihn. Er kämpfte als einer der
Tapfersten und begrüßte die User des Rheins und
die Gefilde seiner Heimath als siegreich Heim-
kehrender. Er war gereist und gestählt in Gefahr
und Noth. Eilt Jüngling zog aus, ein Mann
kehrte heim.
Der jugendliche Streiter vertauschte das Schwert
wieder mit Kohle und Stift.
Als sich am schönen Weserstrom die Hallen des
ehemaligen Klosters der wissensdurstigen Jugend
öffneten, wies man ihm dort sein Lehrfeld att.
Das sreuttdliche Städtchen ward ihm nun die
rechte, bleibende Heimath, obgleich er nie die fröh-
lichen Rheinländer und das schöne Kassel vergessen
konnte. Die Einkünfte waren zu Anfang gar
gering, doch man machte in jenen Tagen keine
hohen Ansprüche an Lebensgenuß. Durch die be-
scheidenett Verhältnisse des' Elternhauses an weise
Sparsamkeit gewöhnt, wähnte sich der junge Lehrer
in seiner gemüthlichen Stube reich und glücklich.
Die freien Stunden galtett der Uebung in der
Oelmalerei, ttttb eine Anzahl taletttirter Schüler
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pnppppf ^ - '
— 12 —
haben in privatem Zeichenunterricht bei ihm die
erste Grundlage späteren Künstlerruhmes gelegt.
Nun hätte sich sein Leben gleich dem anderer
zur Anstellung gelangter Kollegen weiter ent-
wickeln können. Er hätte sich jetzt vermählen
können.
Er war jung, lebensfroh und eine Künstler-
natur, wie konnte da sein Herz verschlossen bleiben
gegen das edelste Gefühl, die echte und reine Liebe.
Lange Zeit freilich sah er sie alle mit der gleich
ruhigen Freundlichkeit an, die mehr oder minder
unmuthigen Töchter der sogenannten Honoratioren
der guten Stadt Rinteln. Doch eines Tages trat
eine Wandlung ein.
Es war im sonnigen, wonnigen Mai. Seit
etlichen Tagen hatte die Sonne so glühend
in das liebliche Weserthal geschienen, daß man
vermeinte, der Sommer sei schon in seine Rechte
getreten. Da beschloß denn die Klubgesellschast
einen Ausflug nach einem vielbesuchten Aussichts-
punkt. Georg, dem Alt nnb Jung geneigt war,
fehlte dabei nicht.
Hebe ich jetzt das Auge zu seinem voll des
Bruders Hand gemalten Bilde, so benfe ich, so,
nur etwas jugendlicher noch, muß er dazulnal aus-
gesehen haben. Die freundlichen, ein wenig
schelmischell Augen, das dichte, leichtgelockte Haar,
das ganze liebe Gesicht hat etwas Gewinnendes.
Und obgleich er nur mittelgroß war, mag ihn
doch der dunkelblaue Frack und die gelbe Piquö-
weste trefflich gekleidet haben. —
Die Gesellschaft vergnügte sich genugsam mit
Essen, Trinken, Scherzen nnb allerlei Spielen,
als plötzlich nachtschwarzes Gewölk über das Thal
zog. Es brach ein Unwetter los, wie selten in
unserem gemäßigten Himmelsstrich. Dicht gedrängt
schaarten sich alle in die engen Räume des Wirths-
hauses zusammen. Da sah Onkel Georg, wie der
Landrichter, ein schon älterer, wunderlicher Herr
in hellblauem Frack mit großen Metallknöpfen,
ängstlich dem Gewühl entfloh, um sich auf die zum
Bodenraum führende Treppe zu flüchten. Mehrere
junge Herren amüsirten sich weidlich über die
allerdings groteske Haltung des Fliehenden, der
sie anflehte, nicht auch heraufzukommen, denn viele
Menschen, dicht beisammen, zögen unfehlbar ben
Blitz an. Die Untensteheudeu lachten über den
„verrückten Alten" nnb beschlossen, ihn noch mehr
in Angst zu jagen.
„Um Gottes willen, Herr Landrichter, ziehen
Sie doch ihren Frack aus! Die Knöpfe sind ja
Hauptanziehungspunkte für die Elektrizität. Hören
Sie?, eben hat's wieder ganz nahe eingeschlagen."
So tönten die Ruse nach oben.
Georg wußte, wieviel des Wuuderlicheu man sich in
der Stadt über den alten Herrn erzählte. Er sollte
geizig und jähzornig sein, und seine Familie zitterte
vor den Ausbrüchen seiner tyrannischen Wuth. Noch
gestern berichtete man im Klub, er^habe sämmt-
lichen Hühnern sammt dem stattlichen Gockel, der
Freude seiner umsichtigen Hausfrau, die Hälse
abgeschnitten, weil die Thiere sich unterstanden,
ihn auszuästen und hinter ihm herzugackern und
zu krähen. Die Frau Landrichter erhielt stets
nur für ein Pfund Fleisch Geld, und zur Wäsche
bewilligte der Gestrenge ein Pfund Seife, mochte
die Wäsche auch noch so groß sein. Die
chronique scandaleuse einer kleinen Stadt ist
stets geschäftig. So hatte auch Georg übergenug
gehört, ohne jedoch ein besonderes Interesse an
der landrichterlichen Familie zu nehmen.
Jetzt, da er die bebende Angst des grauköpfigen
Herrn sah und seine ängstliche Frage von der
Treppenhöhe tönte: „Mei - meinen die Herren
wirklich?", — als endlich das Staatsgewand
hastig abgestreift und unbedeuklich über das
Treppengeländer geschleudert ward, da that ihm
der Mann aufrichtig leid.
Er fing den Sonntagsrock des Landrichters mit
einem mißbilligenden Blick ans die Freunde aus.
Als er sich daraus umwandte, leuchteten vor ihm
ein paar seuchtglänzende, schöne Augen. Das un-
muthige Mägdlein, dem diese Blauaugen gehörten,
stand. vor ihm und bat schüchtern mit vibrirender
Stimme: „Geben Sie mir Vaters Rock. Ich
danke Ihnen." Er starrte ihr nach wie einer
Erscheinung. Wie konnte ein solch' verdrehter
Landrichter solche liebliche Tochter haben?
Seit diesem Moment gab's für Georg nichts
Herrlicheres als dieses schlichte Mädchenbild. Es
geleitete ihn in die Schulsäle, es verklärte sein
einsames Junggesellenheim. Er träumte von einer-
wunderschönen Zeit, da des Landrichters liebliches
Töchterlein im freundlichen Hauskleide in seinen
bescheidenen Räumen waltete. Ja, es gab große
Btomente, in denen er den Muth fühlte, seinen
guten Frack anzuziehen und in Handschuhen und
neuem Hute bei dem gestrengen Herrn Papa in
wohlgesetzter Rede um die still Geliebte zu werben.
Dann aber plagten ihn böse Zweifel, ob ein
armer Lehrer auch Gehör finden würde, und er
beschloß, noch zu warten. Vielleicht, daß ein hohes
Ministerium gnädigst eine Gehaltsaufbesserung
bewilligte. So wartete er geduldig —, glücklich,
wenn er die Geliebte zuweilen sah nnb einige
Worte mit ihr tauschen konnte. Und sie war ihm
auch gut, benn lichte Rosengluth färbte ihr Ge-
sichtchen, weun er sie ansprach, und ihr Lächeln
schien ihm in solchen Augenblicken doppelt sonnig.
(Fortsetzung folgt.)
■♦HH»
13
Juch rin Rruchhrsrvlinsch.
Da stehn wir an des Jahres Grenzen
Und prüfen, was es uns geschickt,
Ein Haufen ist's von Influenzen,
Mit denen uns das Schicksal zwickt.
Des Einen Influenza-Schmerzen -
Sie rühren Vvn den Steuern her,
Denn die Finanzminister-Herzen
Sind nach den Steuern voll Begehr.
Des Andern Schmerzen wieder haben
In niedern Zöllen ihren Grund,
Denn daran kann sich nimmer laben
Der kampfbereite Landwirthbund.
Was mich jedoch influenzitisch
Bedrängt, bedrückt und schmerzt und quält,
Das ist: daß man daheim politisch
So gern sich fremde Geister wählt;
Daß man im alten Hessenlande
Vergißt des alten Stolzes Rest
Und zollfrei gcist'ge Contrebande
Für Stellen sucht im eignen Nest.
Für dieses Stück vvn Influenza
Fehlt mir Verständniß, Herz und Sinn,
Drum wünsch' ich denn als Konsequenz da:
Sie fahr' mit Stumpf und Stiel dahin!
Das alte Jahr mag sie begraben,
Die nie den Hessen eigen war,
Denn Geist ist auch zll Hans zu haben, -
Darauf mein — Prosit neues Jahr!
Gark ree er.
Aus alter und neuer Irrt.
Ein hessischer Mäßigkeitsverein aus
dem Jahre 1601. Die Mäßigkeitsvereine sind
nicht erst neueren Ursprungs. Schon 1517 gründete
Sigmund von Tietrichstein zu Graz in Steyermark
einen solchen Verein unter dem Titel St. Christophs-
orden, und am 14. Dezember 1601 wurde zu
Heidelberg vom Landgrasen Moritz von Hessen ein
Orden der Mäßigkeit gestiftet, dessen Statuten
wir nach Chr. v. Rommel, Geschichte von Hessen,
Bd. 6, S. 357 sf. nachstehend wiedergeben:
„Zu wissen sei Jedermänniglich, daß bei
jetziger Chur- und fürstlicher Zusammenkunft
allhie zu Heidelberg zu Vorkommung übermäßigen
Trunkes, wie auch andern unordentlichell Wesens,
so leichtlich nß übermäßigem Trunk entstehen mag,
sonderlich aber zll Gottes Ehren, als der da
gebeut, sich vor Fressen und Saufen zu
hüten, Lucas 21 , sich die durchlauchtigste,
durchlauchtige, und hochgeborene, auch wohlgeborene
und edle Herren Churfürsten, Fürsten, Grasen,
Herren und Rittermäßige, in der Subscription
benennte gutes Wissens und Willens mit einander
beredt und verglichen haben, wie hiernach folgende
Artikel auswerfen.
Zum Ersten wollen Alle und iede in diesem
Orten Temperantiae begriffene sich verpflichtet
haben, von dato dieses den 24. Decembris in-
lauffenden eintausend sechshundertstel! Jahrs bis ns
künftigen 25. Decembris des 1602 Jahrs, alles
Vollsausens, in was das Getränk auch das sein
möge, zu enthalten. —
Zum Andern. Damit dieses so viel desto ge-
wisser gehalten werden möge, so wollen hoch und
wohlgedachte Ordensverwante obgesagte ganze Zeit
über os eine Malzeit nit mehr als sieben Ordens-
Becher mit Wein ostrinken, auch sich durch keinerlei
Weg, wie die Namen haben mögen, bei einer Mal-
zeit mehr in Wein außzutrinken bewegen lassell. —
Zum Dritten. So will auch kein Ordensverwanter
in vier und zwanzig Stllnden mehr als zwo Malzeit
halten , da ban bei jeder Malzeit sieben Ordens-
becher mit Wein zu trinken erlaubt fein sollen,
außerhalb Malzeit aber, es sei zllr Suppen, zwischen
den Malzeiten, oder nach der Abendmalzeit zum
Schlaftrunk, soll keinem erlaubt sein, einzigen
Trunk, Glas oder Becher Wein mehr zuzusetzen.
Zum Vierten. Da aber je einer zur Suppen
Wein trinken müßte, oder wolte, sol er doch
schuldig sein, dasjenige so er an Wein getrunken,
von den sieben Morgenmalzeits-Bechern abzukürzen,
also und dergestalt, daß nach verrichter Morgen-
malzeit die sieben Morgenmalszeitsbecher nit über-
schritten seien. — Zum Fünften. Gleichergestalt,
so einer zwischen den Malzeiten, oder aber auch der
Abendmalzeit, zum Schlaftrunk Wein trinken müßte,
oder wolle, soll er doch das, so er uff solche Zeit
an Wein getrunken, an den sieben Abendmalzeits-
bechern abzurechnen schuldig sein, also und der-
gestalt, daß wan einer schlafen gehet, die sieben
Abendmalzeitsbecher nit überschritten seien. Zum
Sechsten. Damit auch keiner über Durst zu klagen,
so soll einem jeden sowohl zu beiden Malzeiten,
als außerhalb deren, zu jeden Zeiten erlaubt sein,
Bier, Sauerbrunn, Wasser, Juleb, und dergleichen
schlecht Getränk mit zuzutrinken, doch mit der
Bescheidenheit, daß der erste Satz nit überschritten.
Zum Siebenden. Jngegen aber soll keinem erlaubt
sein, seine Ordensbecher mit gebrannten hispanischen
14
welschen, oder anderen starken oder gewürtzten
Weinen auszulrinken, darunter dan auch starke
Meedl und trunkenmachendes Bier, als Hamburger-
Bier, Breuhan und dergleichen begriffen sein sollen. —
Zum Achten. So aber einer 51t Lust obgesagter
starken Getrenk gebrauchen wollte, soll ihm zu
jeder Malzeit nit mehr als ein Ordensbecher solches
Getrenks verlanbt sein. Jedoch soll der gebrannte
Wein hierunter durchaus nit gemeint sein, und
soll auch solcher Trunk stark Getrenk den nehisten
in der Zall gepurlich abgezogen werden. — Zum
Neundten soll auch keiner die 7 Ordens-Becher of
einen oder zwei Trunk auszutrinken Macht haben,
sonder zum wenigsten aber 7. Ordens-Bechern drei
Trinke thun. — Zum Zehnenden. Es soll auch
keiner Macht haben, weder einen oder mehr, viel-
weniger alle Ordensbecher der Abendmalzeit, oder
hingegen einen, mehr, oder alle Ordens-Becher der
Morgenmalzeit diese zu jenen, oder jene zu biefeu
zu trinken. — Zum Elfften. Und damit dieses
alles so viel desto besser gehalten werde, so soll
ein jeder Ordensverwanter schuldig sein, ob er
selbst einen oder anderen Artikel überschritte, oder
einen anderen Mit-Ordensverwanten, überschreiten
verneme, solche Ueberschreitung bei seinem Gewissen
an die Mit-Ordensverwanten, sonderlich aber an
des Ordens lemperantiae Patron und Stifter
gelangen zu lassen. — Zum Zwölfften. So nun
aber Versehens Einer oder mehr wider obgeschriebene
Gesetz handlen oder verbrechen würde, und solches
Verbrechens hochgedachte Patronen und Stifter wohl-
besagten Ordens berichtet fein r sollen hochgedachte
Patronen und Stifter den negsten durch drei
unschuldige Ordensverwanten erkennen lassen, ob
der Ordensverbrecher mit der größten, mittleren,
oder geringsten Strafe zu belegen sei, und soll
die größte Strafe sein von dato seiner Ber-
brechung bis über ein Jahr, in {einerlei Ritterspiel
zu Roß oder zu Fuß sich gebrauchen zu lassen.
Die mittlere Straff aber voll dato seines Ver-
brechens bis zu Ausgang der verglichenen Ordens-
zeiten keinen Wein zu trinfen. Die geringere
Straff aber soll sein, zwei seiner besten Pferd dem
gantzen Orden verfallen zu sein, oder dreihundert
Thaler von dato seines Verbrechens, innerhalb
Monatsfrist, besagtem Orden zu erlegen, und nach
solchem Erkenntnuß sollen nit allein der Patron
und Stifter, fonbern auch die samptliche Ordens-
verwante schuldig sein, erfannte Strafe nach ihrem
besten Bermögelr zu exequiren. — Zum Dreizehnden
soll auch keiner voll der besagten dreier Obmänner
gesellen Erkenntnuß zu appelliren, Protestiren, oder
in einige Wege sich zu eximiren Macht haben, wie
auch da entweder der Patron oder der Stifter
des Ordens selbsten überschreiten würde, eben so
wenig als die anderen Mit-Ordensverwante exemp
sein sollen. — Zum Bierzehnden und letzten soll
auch kein Ordensverwanter Macht haben, eillem
Menschen, vielweniger seinen Mit-Ordensverwanten
Bescheid zu thun zwingen, dringen oder aus andere
Weise nöthigen, vielwelliger eintziger Ordensver-
wanter aber seinen guten Willen Bescheid thun,
vielmehr aber sollen die Ordensverwante ihre Mit-
Ordensverwante, so zllm Trunk genöthigt werden
möchten, zu vertheidigen schuldig sein. Neben dem
so etwa andere rittermäßige Personell Lust tragen
wollen, mit in diesen Orden 31t schreiten, sollen sich
dieselbige bei den Herren Patronen und Stister
angeben, auch Keiner ohne der beider Consenß zu-
gelassen werden, jedoch so innerhalb vierzehn Tagen
keine Resolution bei gedachten Herrn Patronen
und Stifter geholt werden könte, soll einem jeden
Ordensverwanten zugelassen sein, eine solche Person
aus sürgezeigte Articul und Subscription seiner
bei sich Habendell Kopien in Orden zue nemmen, doch
das er den negsten solcher eingenommenen Person
halben Bericht an den Herrn Patronen und Stifter
thue, damit dieselbige jederzeit wißen können, wer
und wieviel der Ordensverwanten sein, und soll
ein jeder neu ingenommener Ordensverwandter
schuldig sein, aus seine Kosten einen gleichmäßigen
Ordensbecher von dato seiner Einnehmung in
Monatsfrist ihme selbst verfertigen zu lassen.
Welcher Ordensverwanter, nachdem er seinen Ordens-
becher llnd Ordenszeichen empfangen hat, denselben
oder dasselbige nicht jederzeit in guter Verwahrung
haben wird, also daß da er darumb befragt, den-
selben oder dasselbe nicht in 24 Stunden ausweisen
kann, der soll in der dreier Obmänner Straff nach
ihrem Gutachten verfallen sein.
Dieses alles abgeschriebenes haben sich vor höchst-
und hoch - wohl - ermelte nnb edle, Churfürsten,
Fürsten, Grasen, Herren und Rittermeßige stet und
fest zu halten verglichen, auch darüber zwei gleich
lautende Originalia verfertigen lassen, so mit aller
Ordensverwanten eigener Subscription bekräsftiget,
deren eines dem Patrono, das andere dem Stifter
des Ordens Temperantiae zu verwahren zugestellt
worden, neben dem ist einem jeden Ordensver-
wanten Oopia dieser Satzung zugestellt, und haben
die sämmtlichen Ordensverwanten verglichen, den
D. und H. Churfürsten Herrn Fridrichen Pfalzgr.
bei Rhein und Herzogell in Baiern vor einen
Patron, wie auch den D. H. F. H. Moritzen Landgr.
zu Hessen Grafen 31t Katzenelnbogen u. s. w. für
den Stifter dieses Ordens zu erkennen und
zu haben.
Geschehen zu Heidelberg nach dem dritten Advent
in die Nicasii, am 14. Decembris 1601. Friedrich
Pfalzgr. Churfürst, Moritz L. zu Hessen, Johannes
— 15
Georg Markgraf, Ludwig Landgraf zu Hessen, F.
Henry de Nassau, Eminich Gras zu Leiningen, und
Gleyßpurg, Friedrich Magnus, und Ludwig Grasen
zu Erpach, Otto, und Philips Grasen zu Solms,
Johann Wild- und Raugras, Abraham Burggraf
und Herr von Dhona, Wilhelm Freiherr zu
Winneberg, Herrmann von Wittenhorst."
Aus Hermath und Fremde.
Am 18. Dezember v. I. hielt unser hessischer Lands-
mann, der rühmlichst bekannte Historiker Professor
Dr. Georg Wolfs in Frankfurt a. M. in dem
dortigen Verein für Geschichte und Alterthumskunde
einen Vortrag über einzelne Ergebnisse seiner
Forschungen am römisch eil Grenz wall.
Professor Wolfs hat als Streckenkommissar sowohl
die Grenzlinie als das Hinterland durchforscht,
beschränkte sich aber in seinem Vortrage aus die
Schilderung dessen, was er am Pfahlgraben in der
Nähe von Hanau entdeckte. Hier wurden die
schon früher von ihm entdeckten Kastelle zu Groß-
Krotzenburg näher untersucht und in ihren Um-
rissen genau festgestellt. Das Kastell von Groß-
Krotzenburg, dessen Breitseite dem Main zugekehrt
ist und dessen via principalis genau der Haupt-
straße des jetzigen Dorfes entspricht, zeichnet sich
durch besonders dicke Mauern und zahlreiche Thürme
aus. Bei dem kürzlich erfolgten Abbruch einer
(1726 erbauten) Zehntscheller eines Mainzer Stiftes
entdeckte man, daß sie auf einem dieser Mauer-
thürme stand. Das Erdgeschoß des Thurmes muß
als Küche und Schlachtraum gedieilt haben, und
man fand dort außer Küchenscherben und Thier-
knochen die Reste von drei Mühlsteinen, deren einer
die Inschrift Felix trägt. In der bürgerlichen
Niederlassung, die auch bei diesem Kastell nicht
fehlt, kannte man bereits einen Mithrastempel, ein
ausgedehntes Gräberfeld und Ziegelöfen der vierten
Kohorte. Beim Ausschachten aus Anlaß eines
Neubaus entdeckte man auch noch das Bruchstück
eines Reliefs (Kopf und Hand eines Mannes) und
zwei Altäre, wovon einer besonders merkwürdig
ist. Denn nach der von Wolfs entzifferten Inschrift
ist er der Viktoria und dem Mars Leucoetius, einem
keltischen Kriegsgotte, dessen Name nur noch ans
einer in England gefundenen Inschrift vorkommt,
gewidmet. Im Kastell von Marköbel wurde
namentlich das praetorium näher untersucht; es
war massiv gebaut und hatte eine offene Säulen-
halle. Auch hier, wie in anderen Gebäuden gleicher
Art, fand man einen vertieften ausgemauerten
Raum, der als Archiv oder zur Aufbewahrung der
Kriegskasse gedient haben muß; einer der zur Aus-
mauerung verwendeten großen Steille trägt das
Zeichen der 22. Legion. Ueberraschende Funde
wurden in Langendiebach gemacht. Dort entdeckte
man nicht nur ein römisches Wachthaus, 80 Meter
hinter dem Psahlgraben, mit einer kleinen bürger-
lichen Niederlassung, sondern auch Gräber der sog.
Hallstädter Periode, also aus vorgeschichtlicher Zeit.
Allem Anschein nach führte dort schon in vorrömischer
Zeit eine alte Verkehrsstraße vorüber, und später
befand sich dort ein Ausgang aus dem römischen
Grenzwall. Anscheinend unbedeutend ist die Ent-
deckllng Wolfsis, daß vor dem befestigten Pfahl-
graben einige Meter entfernt noch ein kleiner
Graben herlief; aber sie liefert die Erklärung
für die Bemerkung des Tacitus, daß Germaniens
das eroberte Land limitibus et aggeribus munivit.
Danach ist nämlich der kleine Graben der eigentliche
iimes, die Reichsgrenze, und hinter ihm liegt der
befestigte Grenzwall (agger). Dieser kleine Graben
war bisher nur noch am bayerischen Limes, der
sog. Teufelsmauer, bekannt, ist jetzt aber dilrch
Baumeister Jacobi (Homburg) auch an der Taunus-
linie nachgewiesen worden. (Voss. Ztg.)
Universitätsnachrichten. — Die Leitung
der Universitäts - Jrrenklinik in Marburg, die
durch Prof. Cramer's im August d. I. erfolgten
Tod erledigt wurde, ist Prof. T u c z e k in Marburg
übertragen worden. Die Klinik besteht seit 1877.
Sie ist ein Bestandtheil der 1875 errichteten
Provinzial - Irrenanstalt zu Marburg, deren Ein-
richtung das Werk Cramer's ist. Durch sie wurde
in der hessischen Jrrenverpflegung von Grund aus
Wandel zum Bessern geschaffen. Franz Tuczek,
1852 zu Bonn geboren, legte 1876 die ärztliche
Staatsprüfung ab. 1884 habilitirte er sich als
Privatdozent an der Universität Marburg. Im
vorigen Jahre erhielt er eine außerordentliche
Professur. Er wirkt seit fast einem Jahrzehnt als
zweiter Arzt an der Marburger Universitäts-Jrren-
klinik. Im Nebenamte ist er mit dem Titel als
Medizinalrath Mitglied des hessichen Medizinal-
kollegiums. Seine wissenschaftlichen Arbeiten be-
treffen den feineren Bau des Gehirns, die Lehre
von der Vaguslähmung, von der Kriebelkrankheit,
von der Gehirnerweichung und von der Pellagra. —
Nach dem soeben erschienenen Personalverzeich-
niß der Großh. Ludwigs-Universität zu Gießen be-
trägt die Zahl der im Wintersemester 1893/94 im-
matrikulirten Hörer 517, der nicht immatrikulirten 34,
sodaß sich die Gesammtzahl der Hörer aus 551
16
stellt gegen 603 im Sommersemester. Von den
Studirenden widmen sich: der Theologie 71, der
Rechtswissenschaft 105, der Medizin 96, der Thier-
heilkunde 4, der Zahnheilkunde 4, der Kameral-
wissenschast 41, der Forstwissenschaft 6, der Mathe-
matik 19, der Philologie: der klassischen 28, der
neueren 36, der Philosophie: den Naturwissen-
schaften 17, der Geschichte 6, der Pharmazie 26,
der Chemie 36. Davon besitzen das Reifezeugniß
eines Gymnasiums 368, das Reifezeugniß eines
Realgymnasiums 93, das Neisezeugniß für das
betr. Fach 44, nach dem Ermessen des Rektors
wurden immatrikulirt 12. — Nach der Staats-
angehörigkeit vertheilen sich die Studirenden auf
folgende Länder: Hessen 386 (Gießen 80),
Preußen 91, Bayern 14, Sachsen 5, Württem-
berg 2, Baden 2, Oldenburg 1, Sachsen-Weimar 3,
Sachsen-Gotha 1, Sachsen-Meiningen 1, Braun-
schweig 2, Schwarzburg-Sondershausen 1, Elsaß-
Lothringen 1, Oesterreich 1, Rußland 1, England 2,
Schweiz 1, Holland 1, Nordamerika 1.
16. Dezember 1881 war es ihm vergönnt, still
2 5 jähriges Jubiläum als Oberbürgermeister, seinem
bescheidenen Wunsche entsprechend, in engem
Freulldeskreise zu feiern, ltnb wenige Jahre daraus,
1884, trat er in den Ruhestand. Zu Anfang
der sechziger Jahre war er verfassungstreuer
Abgeordneter der kurhessischen Ständekammer, und
nach der Annexion gehörte er eine Reihe von
Jahren dem hessischen Kommunallandtag als Mit-
glied an. Von Sr. Majestät dem deutschen Kaiser
war ihm der rothe Adlerorden III. Klasse verliehen
worden, und die Stadt Marburg hatte ihn in
Anerkennung seiner Verdienste zum Ehrenbürger
ernannt. Trotz der Fülle seiner Jahre besaß er
bis zuletzt den liebenswürdigsten Humor; er er-
freute sich stets einer ungeschwächten Gesundheit,
bis ihn die tückische Influenza aus das Kranken-
lager warf und seinen Tod herbeiführte. In ihm
hat die Stadt Marburg einen ihrer besten Bürger
verloren; sein Andenken wird allzeit ein ge-
segnetes bleiben. —
Todesfälle. Am 13. Dezember verschied nach
kurzem schweren Krankenlager zu Marburg im
Alter von 77 Jahren der Oberbürgermeister a. D.
Georg August Rudolph. Große Verdienste
hat sich der Verblichene um das Emporblühen der
Stadt Marburg während seiner langjährigen Dienst-
zeit als Oberbürgermeister erworben; in hoher
Achtung stand er bei seinen Mitbürgern, und
allgemeiner Beliebtheit erfreute er sich weit über
die Grenzen seines Heimathlandes hinaus. Geboren
war er 1816 zu Kassel. Er entstammte einer
hochangesehenen Familie, aus der bekanntlich sehr
tüchtige höhere Baubeamte hervorgegangen sind.
Sein Vater, Jakob Rudolph, war Stadtbaumeister
in Kassel. August Rudolph wählte, nachdem er
das Gymnasium seiner Vaterstadt zu Ostern 1838
absolvirt hatte, die Rechtswissenschaft zu seinem
Studium. In Marburg und Heidelberg war er
ein sehr angesehener Student; in Marburg Corps-
bursche der Teutonia und Stifter drs Corps
Guestsalia, in Heidelberg Corpsbursche der Nassovia.
Nach bestandenem Fakultäts- und Staatsexamen
trat er 1843 als Praktikant bei dem Landgerichte
zu Kassel in den juristischen Vorbereitungsdienst.
1853 wurde er zum Assessor bei dem Justizamte
in Rodenberg ernannt und im darauf folgenden
Jahre in gleicher Eigenschaft an das Jnstizamt II
zu Marburg versetzt. 1856 wurde er zum Ober-
bürgermeister der Stadt Marburg erwählt. Am
Am 22. Dezember starb zu Fulda im Alter
von 80 Jahren der Superintendent a. D. August
Rollmann. — Am 23. Dezember starb zu
Marburg im 71. Lebensjahre der Superintendent
Karl August Dettmering. — Am 25.
Dezember verschied zu Köln im Alter von
50 Jahren nach kurzem Krankenlager in Folge von
Influenza der Erste Staatsanwalt Ferdinand
von Winckler, früher Staatsanwalt zu Roten-
burg an der Fulda und zu Düsseldorf. — (Die
Nekrologe folgen in späterer Nummer).
Einbanddecken
für den Jahrgang 1893 der Zeitschrift
„Hrffentand"
liefert die Buchbinderei von With. Witter- Kassel,
Königsthor 5, in gleicher Ausstattung wie die früheren
Jahrgänge in olivengrüner und rehbrauner
Leinwand mit Gold- und Schwarzprägung
zu dem Preise von 1 Mark das Stück (nach Aus-
wärts franko gegen Einsendung von 1 Mark 20 Pf.
in Briefmarken). Vollständiger Einband
in Decke mit rothem Schnitt ä 2 Mark (nach Aus-
wärts mit Portoaufschlag). Bestellungen mit Angabe,
ob grün oder braun (auch für frühere Jahr-
gänge), wolle man baldmöglichst direkt an den
Genannten oder an die Expedition und Verlag, Buch-
druckerei von Friedr. Scheel, hier, gelangen lassen.
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Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zwenger in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Helsenltmd", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von l1/«—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Uogler A. H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 2 des „Hessenlandes": „Winter", Gedicht von D. Saul; „Wilhelm IV.> der Weise,
Landgraf von Hessen", von H. Metz (Fortsetzung); „Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren:
I. Stadt und Land Fulda", von Dr. Justus Schneider (Schluß); „Mein Onkel Georg", von Frida Storck
(Schluß); „Ohm und Onkel", Erzählung von C. von Dincklage-Campe (Fortsetzung); Aus Heimath und Fremde;
Briefkasten.
Winter.
verschneit sind die Fluren,
Der Wald wie so kahl!
Und verstummt ist der Lenz,
Der gejauchzt hier im Thal.
Die Bäume nur ächzen
In dumpfem Akkord —,
Die Bosen sind welk,
Und die schwalben sind fort.
p. Kaut.
bist du, wie bist du
Bedrückt mein Gemüth!
Gedenkst du der Zeit,
Da die Bosen geblüht?
Da die schwalben genistet
So traut am Gebälk?
Die schwalben sind fort,
Und die Rosen sind welk.
4-Ä-i
18
Wilhelm IV., der Weise, Landgraf non Hessen.
1567 — 1592.
Von H. Metz.
«Fortsetzung.)
^sNandgraf Wilhelm stand nach dem Tode
Melanchthon's in Verbindung mit Theodor
C\ Beza, mit den oberdeutschen, schweizerischen und
französischen reformirten Theologen. Es war dies
die Folge seiner Ansicht über die Unwichtigkeit des
Abendmahlstreites. In diesem Sinne schrieb er
am 3. März 1572 an den Grafen von Hennebcrg:
„Welcher Zank unseres Ermessens bei Leuten, die
christliche Liebe bei sich haben, so gering und
stibtil ist, daß auch unser Herr Vater einen Tag
vor seinem Tode mit hoher Betheuerung zu uns
gesagt, daß er von Jugend ans bei diesem Streit
gewesen und alles, was darin ergangen, gelesen,
aber nunmehr gottlob nicht sehen könnte, worin
die Lutherischen und Zwinglianer dissentirten,
sintemal die Lutherischen nunmehr selbst bekennten,
daß im heiligen Nachtmahl das Brod und Wein
nicht in den Leib des Herrn verwandelt, auch
nicht eingeschlossen oder räumlicher Weise, auch
nicht menschlicher Weise da wäre, sondern allein
göttlicher und übernatürlicher Weise, hingegen aber
die Kalvinisten sich dahin erklärten, daß uns im
heiligen Nachtmahl der Leib des Herrn, und eben
der Leib, der von der Mutter Maria geboren und
ain Kreuze gehangen, gegeben und genossen
würde; nicht nienschlicher oder irdischer Weise,
sondern sakramentisch und geistlich. Darum auch
S. G. seliger es dafür gehalten, daß dieser Zank
nunmehr vielmehr in Verbitterung der Gemüther
und daß kein Theil von seiner xroesptoron
Fürgeben und angefangenem Zanke abstehn wollte,
dann sonst in einem wesentlichen Zwiespalt versiro."
Er war der Ansicht, daß das immer mehr um
sich greifende Ultra-Lutherthum in Nebendingen
von dem eigentlichen Wesen der Religion und dem
Zwecke der Reformation abführe und der Weiter-
entwickelung des menschlichen Geistes hinderlich
fei. In diesem Sinne suchte Wilhelm alsbald
nach seinem Regierungsantritt den Streit der
Theologen über die Natur der Gegenwart Christi
im Abendmahl auf der Kanzel und in Druck-
schriften zu unterdrücken und zu diesem Zwecke
mit der Pfalz, Württemberg und Baden Verab-
redungen zu treffen. Die Kalvinisten sollten
durch Theodor Beza beeinflußt werden.
Er nahm sich der Hugenotten auf jede Weise an,
bewirkte, daß das Volk über die wahre Bedeutung
des von den Theologen verfluchten Kalvinismus auf-
geklärt werde, und wirkte bei den ihm verwandten
Fürsten dem strengen Luthcrthnm durch Ermahnung
zur Toleranz entgegen.
Der Abschluß der Konkordienformel zu
Kloster Bergen gab Anlaß zu langandauernden
Streitigkeiten in der evangelischen Kirche. Viele
in Sachsen wegen der Religion Verfolgte
fanden Schutz bei Landgraf Wilhelm, wie
z. B. der frühere Leibarzt des Kurfürsten
von Sachsen, Kaspar Peucer, der Schwiegersohn
Melanchthon's. Er stellte die vertriebenen Prediger
Cruciger, May und Lübeck in Hessen an und
gab nach dem Anfalle Schmalkaldens die daselbst
gefangen gehaltenen Kalvinisten frei. —
Die Erbeinigung mit Neubrandenburg und
Kursachsen wurde auf dem Tage zu Naumburg
am 5. Juli 1587 erneuert, ebenso die Erb-
verbrüderung mit Kursachscn. Letzterer trat
Kurbrandenburg am 9. November desselben
Jahres wieder' bei. In dem Handel zwischen
Johann Friedrich von Gotha - Koburg _ und
August von Sachsen suchte der Landgraf das
Loos des ersteren zu mildern.
Nach dem Anfall der Herrschaft Plesse gerieth
Landgraf Wilhelm fast mit allen Herzogen von
Braunschweig in Rechts- und Grenzstreitigkeiten;
Wilddiebereien in den Waldungen an der hessischen
Grenze, Werbungen für den spanischen Kriegsdienst
hätten oft Anlaß zum Ausbruch von Feindselig-
keiten geben können, wenn nicht Landgraf Wilhelm's
Friedensliebe diese stets verhindert hätte.
Obgleich Württemberg in dein Kasseler Ver-
19
trage (1534) zu ewiger Freundschaft und Dank-
barkeit gegen Hessen sich verpflichtet hatte, wurde
diese Verpflichtung durch den eifrig lutherischen,
dem Trünke ergebenen Herzog Ludwig vielfach
außer Acht gelassen. Da Wilhelm mit ihm sich
nicht verständigen konnte, wendete er seine Sorg-
falt auf den Erben Ludwig's, den Herzog Friedrich
von Württemberg - Mömpelgard, seinen Schwester-
sohn, dicheil Erziehung er besorgte.
Als in Folge der Hülfeleistung Johann Kasimir's
voit der Pfalz an die Hugenotten der Herzog von
Lothringen mit Krieg drohte, wandte Landgraf
Wilhelm sich an Herzog Ludwig von Württemberg,
den Obersten des schwäbischen Kreises, und er-
suchte ihn, ben Ausbruch der Feindseligkeiten zu
hindern. Dieser Schritt hatte auch Erfolg.
In den Streitigkeiten des Herzogs Adolf von
Holstein - Gottorp mit König Friedrich II. von
Dänemark übernahm Wilhelm mit Sachsen und
Mecklenburg die Vermittelung, welche zu den
Vergleichen von Odensee und Flensburg führte
(1569, 1579, 1581).
An seinen Neffen Friedrich, Herzog zu Holstein,
schrieb er am 1. Oktober 1586: „Nicht zu Lust
und Wohlleben habe Gott den Regenten zeitliche
Güter gegeben, sondern zum Schutze seiner Kirche
und der ihm anbefohlenen Völker, zur Leitung
derselben durch reine und treue Lehrer, zur Hand-
habung gleicher Gerechtigkeit gegen Arme und
Reiche."
Aus der Zeit Wilhelm's rührt auch die erste
Verbindung Hessens mit Schweden her. Karl IX.,
Herzog von Südermannland, war mit zwei Nichten
Landgraf Wilhelm's vermählt, zunächst mit Anna
Maria von der Pfalz, dann mit Christine von
Holstein. Wilhelm und Karl tauschten hessische
und schwedische Produkte geschenkweise aus; auch
sandte Wilhelm Handwerker, evangelische Prediger
und theologische Bücher nach Schweden.
In vielen Streitigkeiten deutscher Länder trat
er vermittelnd auf, so u. a. in den Bremer Religions-
uuruhen, dem Streite über den Weserzoll zwischen
dem Grafen von Oldenburg und Braunschweig-
Hannover, der Stadt Danzig mit Polen, endlich
bei dem Uebergang Pyrmonts an Waldeck. —
Als Wilhelm IV. 1567 die Regierung antrat,
enthielt Hessen-Kassel auf einer Größe von un-
gefähr 110 Quadratmeilen 30 Städte, 2 Festungen
(Ziegenhain und Kassel), 8 Landschlösser, 80 Höfe
und 626 Dörfer. Dieser Bestand nun wurde
unter seiner Regierung bedeutend vermehrt.
Nachdem im Jahre 1571 Dietrich IV., der
letzte Dynaste von Plesse, gestorben war, fiel
Plesse sowie 7 Dörfer, ein altes hessisches Lehen,
wieder an dies Land zurück. Wilhelm als Vor-
mund der Wittwe Dietrich's, Agnes von Lippe,
und der einzigen Enkelin desselben, Walpurgis,
gestorben 1591 kinderlos als Gräfin von Waldeck,
fand sich mit diesen beiden ab. Die Ansprüche
des Erzstiftes Mainz au Plesse befriedigte Wilhelm
durch einen Vergleich mit dem Kurfürsten von
Brandet dahin gehend, daß Kloster Steina mit
den dazu gehörenden Fischereien in der Leine an
das Erzstift, der Zehnten in Bovenden au Hessen
fiel. Ebenso kam ein Vergleich zu Stande mit
Wilhelm von Lüneburg wegen der in der Gegend
von Güttingen liegenden Plessischen, ehemals Eber-
steinischen Lehen, sowie mit den kinderlosen Herzögen
von Grubenhagen, Wolfgang und Wilhelm, wegen
Zugehörungen des von Braunschweig lehnbaren
Amtes Radolphshausen. Dieses ganze Amt kaufte
Landgraf Wilhelm im Jahre 1585 für 30 000
Thaler mit Genehmigung des Kaisers unter der
Bedingung lebenslänglicher Nutznießung von den-
selben. Als Streitigkeiten wegen der Landeshoheit
über Plesse, den Flecken Bovenden und die Land-
straße daselbst, das Kloster Häkelheim, die Schiff-
fahrt auf der Weser, Werra, Fulda, die vier
Grenzdörfer an der Werra, Merzhausen, Mollen-
feld, Niedergandern und Reckershausen, sowie Lehn,
Zehnten und Zinsen im Göttingen'schen und auf
dem Eichsfelde ausbrachen, entschied das Reichs-
kammergericht zu Gunsten Hessens (1581).
Durch Aussterben der Linie Rheinfels mit
Landgraf Philipp II. (1583) erhielt Hessen-Kassel
seinen größten Zuwachs. Durch einen Tausch-
vertrag kam Landgraf Wilhelm in den Besitz der
niederen Grafschaft Katzenelnbogen. Dieselbe be-
stand aus den Aemtern Rheinfels (10 Dörfer),
Reichenberg (37 Dörfer) und Hohenstein (55 Oerter)
mit der Stadt St. Goar, 4 Schlössern und 102
Ortschaften; sie umfaßte 5fls Ouadratmeile, und
ihre jährlichen Einkünfte waren zu 7000 Gulden
angeschlagen.
In Folge des Erlöschens der Grafen von Hoya
und von Diepholz erhielt Hessen-Kassel einen
Zuwachs von 7 Quadratmeilen, da die Aemter
Uchte, Frendenberg und Auburg — 36 Flecken und
Dörfer — hinzukamen. Beim Tode der Grafen
von Diepholz (1585) zog Wilhelm das Hessen
lehnbare Amt Auburg ein. Dieses Amt — Schloß
Auburg, das Dorf Wagenfeld und den Wagen-
feld'scheu Struden — hatte im Jahre 1521 Friedrich
Edler Herr von Diepholz dem Landgrafen zu
Lehn aufgetragen.
Bereits seit 200 Jahren, seit dem Jahre 1360,
besaß Hessen einen Theil der Herrschaft Schmal-
kalden. Die Erwerbung des anderen Theiles
war mit dem Grafen Wilhelm VI. von
Henneberg-Schleusingen auf dem Reichstage zu
20
Worms von Landgraf Philipp durch den
Kasimirianischen Erbvertrag — Vermittelung des
Markgrafen Kasimir von Brandenburg-Baireuth —
eingeleitet worden. Gleich bei seiner ersten Erb-
huldigung in Schmalkalden (1567) hatte Landgraf
Wilhelm mit den beiden letzten Grafen Georg
Ernst und Poppo XII. von Henneberg eine
Zusammenkunft, erneuerte den alten Burgfrieden
der gemeinsamen Schlösser Schmalkalden, Scharfen-
berg und Barchfeld und trat im Jahre 1575 gegen
Entrichtung von 12 000 Reichsthalern in die völlige
Gemeinschaft der ganzen Herrschaft. Von dem Abte
Michael von Hersfeld wurde ihm die Anwart-
schaft auf die Belehnung mit den Hersfeldischen
Lehnstücken der Klöster Herrn- und Frauenbreitungen
mit Einwilligung des Kaisers ertheilt. Durch
den Abt Ludwig ließ er sich dieselben 1571 er-
neuern und verglich sich mit dein Kurfürsten von
Sachsen, der gegen die Belehnung war, durch den
Vertrag zu Salzungen (1583) auf gütlichem
Wege in Folge eines Tauschvertrages dahin, daß
Sachsen das Vorwerk und Burglehn von Frauen-
breitungen, Hessen-Kassel Burg und Vogtei von
Herrenbreitungeil erhielt. Nach dem Tode des
Grasen Georg Ernst (1583) fiel die gailze
Herrschaft Schmalkalden nebst Herrenbreitnngen
und einem Viertheil von den Centen Benshansen
lind Barchfeld an Hessen-Kassel. In einem
weiterem Vertrage zu Salzungen (1584) kam
man überein, daß die Lehnsherrlichkeit üher die
Rittergüter Viernau und Todenwart gemeinschaftlich
blieb; Hessen behielt die Vikarien Benshansen
und Viernau und die Patrvnatrechte zu Barchfeld
und Steinbach-Hallenberg, verzichtete dagegen ans
die ihm zustehende Patronate zu Suhln, Schwarza
und Christus und übernahm die Verpflichtung,
zu dein Henneberg -Schleusing'schen Matrikular-
anschlage einen Mann zu Pferde lind drei zu
Fuß zil stellen oder 24 Gulden für jeden Römer-
monat zu zahlen. Demzufolge erhielt Hessen-
Kassel (1590) Sitz und Stimme im fränkischen
Kreise.
Im Jahre 1583 fand ein Vertrag zu Merlau mit
dem Kurfürsten von Mainz Wolfgang von Dalberg
statt, in welchem derselbe gegen baare Erhöhung
des alten Pfandschillings um 40 000 Gulden zu
Gunsten der Landgrafen und deren männlichen
Nachkommen auf die Aemter Rosenthal, Batten-
berg, Kellerberg, Melnau, halb Wetter in Ober-
hessen und Hofgeismar an der Diemel und die
Dörfer Seifferterode und Willingshausen im
Amte Treysa verzichtete und dem Landgraf
Wilhelm das Lösungsrecht des Mainzischen Antheils
an Schloß und Gericht Jesberg übertrug. Die
Uebergabe des Mainzischen Antheils fand an den
hessischen Hauptmann der Festung und Grafschaft
Ziegenhain Eitel von Berlepsch statt.
Das von Landgraf Philipp dem Großmüthigen
als Erbmannslehn (1554) verliehene Schloß und
Gericht Ludwigstein brachte Wilhelm (1567) nach dem
Tode Christoph Hülsing's gegen Entschädigung
der Wittwe und Kinder desselben wieder an sich.
Der inneren Regierung seines Landes widmete
Landgraf Wilhelm die größte Sorgfalt.
An der Spitze der Landesverwaltung stand die
fürstliche Kanzlei, der Geheime Rath. Diese war
besetzt mit dem Statthalter, dem Nächsten nach
dem Landgrafen, dem Kanzler, Haupt der Justiz,
dessen Stellvertreter der Vizekanzler war, adligen
lind bürgerlichen Rechtsgelehrten, vier Sekretären
(Land-, Kammer-, Gerichts-, Kanzleisekretär), dem
Botenmeister (Aufseher der Posten). In außer-
ordentlichen Versammlungen waren außer dem
Hofmarschall etliche Hof- und Landräthe und die
zu Räthen ernannten Landvögte und Amtmänner
zusammen mit etlichen Schreibern und Dienern,
im Ganzen etiva 80 Personen. Unter der fürst-
lichen Kanzlei standen die Landvögte, deren es
in Hessen - Kassel drei gab, einer an der
Werra, zwei an der Diemel, sodann die Amt-
männer in den einzelnen Aemtern und der Droste
in der Herrschaft Plcsse. Diese handhabten die
ganze fürstliche Gerechtsame, verwalteten die
Kammergüter, Renten u. s. w. und standen der
Polizei und der Justiz vor.
Der Neutkammer sowie der Kanzlei waren die
Rentmeister untergeordnet. Diese Rentkammer
verwaltete die fürstlichen Einkünfte, es ging von
ihr die jährliche Landrechnung aus. Die Beamten
in der Rentkammer waren der Kammermeister
(Finanzminister), der Kammerrath, Kammer-
schreiber, der eine. besondere Rechnung zu legen
hatte, der Pfennigmeister, der Gegenschreiber,
Buchhalter, Registrator, zwei Schreiber und zehn
Kammerjungen.
Von ständigen Kriegsbeamten waren vor-
handen der Hauptmann der Leibtrabanten, der
! der Einspännigen des Hofes, der Oberst zu
Kassel, der Zeugmeister lind der Befehlshaber der
! Festung Ziegenhain. Zum Schutze des Landes
dienten außer den beiden Festungen Kassel und
! Ziegenhain die durch Mauern befestigten und
zum größten Theil eigenes Geschütz besitzenden
Städte, deren Bürger den erforderlichen Kriegs-
dienst leisteten. Wenn es nöthig war, wurden
die Bürger durch die Bauern der umliegenden
Aemter unterstützt.
Was die Gesetzgebung anlangt, so ergänzte
Landgraf Wilhelm ». a. die von den vier
Brüdern erlassene Kirchenordnung durch Ein-
schärfung des katholischen Volksunterrichts in den
Kirchen; er erließ ein Verbot unregelmäßiger aus-
wärtiger Kopulationen sowie eine Reformativns-
ordnung in Kirchen- und Polizeisachen, die dem
Aberglauben, dem Unfug der Krhstallenfeher und
Wahrsager, den heimlichen Zusammenkünften der
Mystiker unb Separatisten (Wiedertäufer) steuern
sollte. Auf dem Gebiet des Schulwesens erließ
er eine die Einführung einer deutlichen deutschen
und lateinischen und der gewölbten Handschrift
betreffende Verordnung. Den Pfarrern wurde
die Aufsicht über die Schullehrer übertragen.
-------«-4-*
Sodann kamen Erlasse, die Minderung gericht-
licher Hülfegelder für arme Schuldner betreffend,
ein Verbot an die Beamten, durch Annahme von
Geschenken und eigennützige Amtsdienste die
herrschaftlichen Unterthanen zu belästigen. Auf
dem Gebiete der peinlichen Gerichtsbarkeit erließ
er eine Verordnung die strenge Beaufsichtigung
der Gefängnisse betreffend. Er erließ eine Feuer-
ordnung nebst Verbot der Strohdächer und
nächtlichen Flachsarbeit.
(Fortsetzung folgt.)
i
Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren
I.
Stadt und Land Fulda.
Von Dr. Justus Schneider.
(Schluß.)
Zunr Schluffe meines Vortrages lasse ich nun
die Dichtung „Ein akademischer Festzug", wie
solchen eine Bauersfrau ihren Kindern in Fuldaer
Mundart beschreibt, folgen:
En gölte *) King 2)! ich konns gesoah.
Daß ich, bos hitt in Foll3) geschoah
Minner Sättig4) net hon kennt geglai5),
Daß euch eil Uerth *0 so thörlich fei.
Ich woar mim Nocher 7) zah8) Kritzer 9) schelk 10),
Da nohm ich e Droaht^) Käs on Melk12)
Oh wollt se in der Stoht13) verkeif14).
Se Woarsch 15) euch dort e Lütgeläuf16)
E so e Gewoht17), e Murdgeschrei,
Doß ich net annerscht konnt geglai,
E Krekschoar 18) stenn 19) scho für der Düer 29),
Äwer2Ü goar de hall Stoht in Füer 22).
Ich hört e Getrommel on e Gepeff23)
On, daß au enner „Gat Ächting" 24) reff. *
E Haidmoh2^) faist, roind26) be27) a Kuill28),
En schwarze Boert om Öbermuill 29),
En Flehewedel offem Hoot30),
Stöhn 3U be gefchbannt of Aluerd o Dod.
De felsche Kreher 32) ihrersitts
De stonne hengerm 33) Aluerdgeschütz.
Sin Boeß 34) Hot jeder in der Hahnd,
Des Scheßloog 3^) in die Höh gewähnt.
Ich denk, etzter 36) wirsch Gescheß ohgenn,
E jeder wür vom Leder zäun37).
Ich stogt scho de Duhme38) in des Uer39);
Se stöhne äder be de Muer49!
Do merkt ich, daß mi Angst verbei,
Daß dos snnst ebbes mökt gefei 41).
Eil weßt, banns42) ebbes Neues gith,
Do sonn mir arme Buerschlith43),
De Stadtlith immer henge blin44).
Drem stehlt ich mich recht vorndehin,
Beß ich mich könnt dorch de Lüth geölter 45j,
Oll be ich halbig druisse49) woarn,
Horcht Keng! bos ich do han erfoarn.
En Moh 47) — ich glai ein Schnieder warsch
Trok zwä Haerbauke48) hengeroarsch
On straft de Börzel in die Hühe49),
Doß Hummel könllte nie gefliehe.
Bann der Postumer ^9) hott gebött5
Do klappert au der Bukker mett52).
Keng! Denkt, ich hon euch so gelacht,
Bo der das Deng am Hengern bracht,
Doß mer der Bug ^3) on de Kötz gewackelt,
On ball ich net hätt abgehockelt.
De Kötz schweng oll die Mauer gestählt.
So hätt au wältig wenk ^4) gefühlt,
Doß Melk on Käs im Dräk geläh,
So ^ämtei55) hon ich euch gesäh. —
En weßt, banns bei uns Kermes b6) werd,
Be onser Scholz de Gaß uffährt.
Mit Spiellüth bei de Lenge57) gett
On mit dem Schbeeß ~oS) fürone fchtett. —,
So kom ert Moh 69j mit stiesem Schritt
On bracht e Denk9*), vo Bläch geschmitt,
Glaminig 92) Gold , roth, gaal93) o wies,
Schbetz 94), lank be onsern Durfschbeeß is.
Sill Motze Qr°) geng vom Schöllerkroäh 66)
Roind 0 7) nobber98) bis zum Ferbes99) ohn 73),
Om Koob hat hä e Mällich-Koer 72),
Mich dücht, daß das der Scholdäs 73) woer.
On bann he au net Scholdes is.
22
So blits 74) doch Woahr un blit geweß,
Dvß der beim hütge FölLerfest
Gewiß der Blotzknächt75) es gewest.
Be dar abtrot, da kohmere vill7Ö)
Als zwäh 77) o zwäh be Koppelgill 78),
Jeder Hot e Kommet ohn,
E Deng als be en Weiberkrohe79).
De alle drohte als sürron89).
De Jonge kohme nachgezohe.
Se genge paarwies bis zum Eng,
Woarn nischt als luitter jonge Fällg87).
Des Kromme sin Suih 82) von Zerkemich83)
Woar a debei, ich kahnt en glich.
Ich wollt gern ebbes mit ihm koos84),
Geng hallig8^) trabes offen83) los.
Keng! dankt! de schroabe Lüt87), do hollse88)
Mich so gezwankt, zuröck gedonse89),
Daß kommig 00) hon der Ziet gehatt
On Widder konnt zurück getratt.
So mekt94) ich doch au gern geweß92),
Ob mer das ebber Wallüt Heß 93) ?
Doch hon ich von kemm 94) net e Wort
Von Lütgesang, Gebet gehört.
E städtisch Weibsdenk9^) stöhn") grod doh.
Dos frägt ich: Härt! könnt ersch gesoah87),
Bos98) es da dos? bär senn de Lüt?
Geh, soat mersch doch, bos das bedüt!
Ich gann der Käs all! e gallz Hambel")!
Se säet: Du alber Bauerschtrampel 10°)!
Weißt dll net, belül) de Dockter wern?
Säeß 49^ bas senn lauder gelehrte Herrn!
Se säet: De ronde, ekete Hüt
Die mache gleich gelehrte Lüt.
On be se nur de Mäntel krenn,
Stäckt Dockter glich leibhastig brenn.
Ich stutzt: bann doch dos em Ground es wohr.
Toß Keng so schweng 493) krenn hohe Lahr49^
So will ich glich de Jüde sräg 105),
Bo mer de Mäntel kennt gekreg 106).
Ui Jetig 797), pe hotts mich gemott 49ch,
Daß du grod hast de Gill gehott109),
Bo ich da woar beim Föllersest,
Säest: bann de wärscht bei mir gewest
Kötz, Meder, Stremp 110) hätt ich versotzt 444)!! -
Mit Hot on Mahndel dich gebotzt112).
Banns doch so lustig do geht hür,
Häst dll mer müßt en Dockter wär.
h Goldene (goldige), 2) Kinder, 3) Fulda, 4) Lebtag,
5) glauben, 6) Ort, 7) Nachbar, 8 *) zehn, 9) Kreuzer,
10) schuldig, “) Tracht, 12) Milch, 13) Stadt, ") ver-
kaufen , ") war es, Leute laufen, 17) Wüthen,
18) Kriegsschaar, ") stehn, 29) Thüre, 21) oder, 22) Feuer,
23) Pfeifen, 24) Gebt Achtung, 26) Hauptmann, 26) rund,
27) wie, 28) Kugel, 29) Obermaul, 30) Fliegenwedel auf
dem Hut, 3Y stand. 32) Fuldischen Krieger, 33) hinter
dem 34) seine Büchse, 3^) Schieß loch, 33) jetzt, 37) ziehen,
38) Daumen, 39) Ohr, 40) Mauer, 41) möchte sein,
42) wenn's, 43) Bauersleute, 44) hinten bleiben, 45) Leute
bohren, 46) draußen, 47) Mann, 48) Heerpauken,
49) Höhe, 50) Posaunist, 51) getutet, 52) mit, 63) Bauch,
64) wahrlich wenig, 55) Händel, 66) Kirchweih, 57) Linde,
'8)iSpieß, 49) voran, 60) Mann, 61) Ding, 62) Glänzend,
63) gelb, 64) spitz, 66) Rock, 66) Schulterkragen, °7) rund,
68) hinunter, 69) Strumpf, 70) unten, 71) Kopf, 72) Milch-
topf, 73) Schulze, 74) bleiblls, 75) Platzknecht (maître de
plaisir), 76) kamen ihrer viele, 77) zwei, 78) Koppelpferde,
79) Weiberkragen, 89) traten stets voran, 81) Fant,
82) Sohn, 83) Zirkenbach, 84) kosen (unterhalten), 85) halt
(eben), 86) auf ihn, 87) schlechten Leute, 88) haben sie,
89) gezogen, ") kaum ich, 9h möchte, 92) wissen, 93> Wall-
leute (Wallfahrer) heiße, 94) keinem, 9^) Weibsbild,
") stand, 97) ihr es sagen, 98) was, ") Hand voll,
"0) Bauerntrampel, 101) wie, 102) sieh es, 103) geschwind,
104) Lehre, 105) fragen, 106) bekommen, 107) O Jerum,
108) augemuthet, 109) Pferde gehütet, 110) Strümpfe,
411) versetzt, 112) geputzt.
Mein Onkel Georg.
Von Frida Storck.
(Schluß.)
^Nachrichten von den Seinen schreckten Georg un-
sanft aus der kurzen Idylle auf. Der Vater
lvar schwer leidend. Alan kämpfte daheim
wieder mit Sorgen aller Art. An den wohlver-
forgten Sohn erging die Aufforderung, zwei
jüngere Brüder zu sich zu nehmen, damit selbige
das Gymnasium unter seiner Leitung besuchen
könnten. Das schlug alle Zukunststräume in die
Flucht. Nun konnte er nicht daran denken, um
die Geliebte zu werben. Sein geringes Einkommen
war so kaum hinreichend, wenn die beiden kräftigen
Jungen mit ihrem neidenswerth guten Appetit
bei ihm zu Tische saßen. Wilhelm lvar zehn,
Fritz zwölf Jahre jünger als Bruder Georg.
An dem Tage, da er schriftlich nach Kassel meldete,
er habe die Buben bereits zum Beginn des Schul-
jahres angemeldet, begrub er still und resignirt
seine Hoffnung aus eignes Familienglück. Unendlich
schwer mag ihm dies zweite bittere Entsagen an-
gekommen sein. Nachdem er es überwunden, gab
'•
— 23 —
es für ihn kein anderes Streben, als die ihm an-
vertrauten Knaben zu tüchtigen Jünglingen heran-
zubilden. Sie vernahmen nie ein Wort bitteren
Vorwurfs aus seinem Munde. Er wachte mit un-
nachsichtiger Strenge über sie, aber er liebte sie
auch wie ein gütiger Vater.
In regem, pflichttreuen Lehren und Lernen gingen
etliche Jahre hin. Einmal alljährlich, zur Zeit
der großen Ferien, marschirten die drei Brüder,
das Ränzel ans den: Rücken, den derben Ziegen-
hainer in der Hand, gen Kassel. Es waren köstliche,
herzerfrischende Märsche für alle drei, so hinein zu
wandern in die lachende, schöne Sommerwelt, frei
von Schulsorgen unb im Vorgefühl der Wiever-
sehensfrende daheim.
Doch nur wenige Jahre war den Brüdern solch'
gemeinsames Ferienreisen vergönnt. Ein lange
befürchtetes Ereigniß, des Vaters Tod, machte ihm
ein Ende. Wenn er gleich nie so recht von Herzen
fröhlich mit den Seinen gewesen, — die Schwere
der damaligen Zeit hatte ihn niedergebeugt, ihn
ernst itrtb bitter gemacht —, so traf die Todes-
kunde die fernen Söhne doch wie ein Donnerschlag.
Vor Georg's geistigem Auge erstanden die un-
vermählten Schwestern, die alternde Mutter. Der
letzte Hoffnungsschimmer für sein persönliches Glück
erlosch nun vollends, er opferte seine Liebe auf
dem Altar der Kindes- und Geschwisterpflicht.
Lange saß er an jenem Abend vor dem Bilde des
theuren Todten, das er selbst vor Jahren in Oel
ausgeführt. Er gelobte ihm, sein Leben der Familie
zu weihen, zu helfen wo es Noth thäte. Das Mädchen-
bild, welches ihn bei diesem Gelöbnisse wehmüthig
bittend anschaute, durfte ihm nun nichts mehr sein.
Er zwang sein Sehnen und Hoffen nieder für alle
Zeit. Und da er sich' endlich tief ansathmend er-
hob, schien ihm das strenge Angesicht des Vaters
milde, fast mitleidig. Ja, er wähnte die tiefe
Sorgensalte, welche er stets aus des Vaters Stirn
gesehen, habe sich geglättet.
Schon am nächsten Morgen schrieb er den trauernden
Lieben, daß er die älteste Schwester herzlich bitte,
zu ihm zu kommen. Die alte Magd könne nicht
gilt mehr allein wirthschaften, Schwester Philippine
müsse znm Rechten sehen. Auf solche zarte Weise
machte er es der meist kränkelnden Schwester
weniger drückend, daß er ihr in seinem Hanse eine Zn-
slncht bot. Sie kam und that, was in ihren Kräften
stand, sein bescheidenes Hanswesen behaglicher zu
gestalten. Bis zu ihrem Tode wußte sie es ihm
Dank, daß er sie zu sich gerufew. Von des Bruders
entsagender Liebe erfuhr sie erst spät, als das Mädchen,
dessen Bild nie aus des Onkels Herzen gewichen,
die Gattin eines Gerichtsbeamten, fern vom Weser-
strom, geworden war.
Und wie hielt Georg sein Gelöbnis; hinsichtlich der
Brüder? Was ihm versagt gewesen, nach dem
Lorbeer des Künstlerruhms zil streben, das wollte
er Wilhelm gewähren. Mit Opfern, die er selbst
sich auferlegte, ermöglichte er dem Kunstbegeisterten
den Aufenthalt in Düsseldorf und München. Tie
Lehrer dort lobten Wilhelms Talent, seine schöpferische
Phantasie. Er war fleißig und strebsam und ent-
warf Skizzen, die zu beit schönsten Hoffnungen
berechtigten. Diese Berichte warfen hellen Sonnen-
schein in das Heim der Geschwister.
Aber es schien, als solle dem opferwilligen Bruder
kein ungetrübtes Glück blühen. Es kamen Briefe,
die ihn mit Sorge erfüllten. Wilhelm sei lungen-
leidend, sagten die Aerzte in München. Im geregelten
Familienleben wäre der Todeskeim vielleicht nur
Keim geblieben. Das etwas regellose, flotte Leben
der jungen Künstler dagegen war wenig geeignet,
ihn zu ersticken. Ter leicht entflammte Jüngling
gerieth, ohne daß er es eigentlich gewollt, immer
wieder in das Treiben der Freunde hinein. Und
er hatte deren nicht wenig. Verstand er doch mit
wenig scharfen Linien, btt treffendsten Karrikatnren
auf's Papier zu zaubern. Manch' eine politisch
berüchtigte Persönlichkeit ward von seinem satirischen
Stift charakteristisch skizzirt. Abgelenkt durch
politische Umtriebe, konnte sich sein künstlerischer
Genius nicht voll entfalten. Besonders zu der
Zeit, da er, einer der Eifrigsten unter den für die
Sache der Freiheit glühenden und in ihrem Dienst
wirkenden Genossen, in intime Beziehungen zu
Robert Blum trat, mußte die Kunst anderen
Interessen weichen.
Nur wenige große Bilder sind von ihm aus
den Markt gekommen. Die meisten historischen
Skizzen sind Entwürfe geblieben, deren Ausarbeitung
ihm nicht mehr vergönnt war.
Die Nachricht seines Todes traf die Geschwister,
wenn auch nicht unvorbereitet, so doch nicht minder
erschütternd. Wieder legte das Schicksal Georg
einen Verzicht ans ; all'seine freudigen Hoffnungen
aus Wilhelm's einstigen Ruhm waren vernichtet,
und ein geringer Trost war es, daß in Maler-
kreisen der Heimgang des talentvollen Jüngers
allgemein betrauert ward, daß die Freunde über
seinem Grabe erschütternde Abschiedsworte gesprochen
hatten.
Wohl versagte auch Georg nicht warmen patrio-
tischen Antheil dem, was der Hingeschiedene erstrebt
und ersehnt, ein einiges Deutschland, das freies, stolzes
Nationalgesühl erheben sollte über alle inneren
und äußeren Feinde; dennoch beklagte er es, daß
dieses schöne Talent in den Strudel der Leiden-
schaften gerissen worden, wo es keinen Gedanken an
Ruhe, Schonung und Vorsicht mehr gab. Weh-
24
muthsvoll ruhten seine Augen ans den Oelgemälden
und Entwürfen, die ihm aus des Bruders Nachlaß
zugingen. — Ueberhaupt verwandelte sich die
freundliche Wohnung allmälig^ in eine kleine
Bildergalerie.
Und Bruder Fritz ? Nun, auch er bereitete dem
brüderlichen Mentor noch manche Sorgenstunde,
wenngleich sein Lebensschisf in ruhiger, fast zu
langsamer Fahrt dahinglitt. Er hatte die Forst-
cctrriere ergriffen. Wieder zog Georg willig den
Beutel. Die Lehrzeit in der Obersörsterei, die
zehnjährige Dienstzeit im Jägerbataillon und die
Studienjahre aus der Forstschule zu Melsungen,
das waren harte Zeiten, tu denen der Jägersmann
die thatkräftige Hükfe des Bruders nicht missen
konnte. Selbst, als er nach langer Wartezeit die
langersehnte Anstellung im Forstdienst erlangte,
war das Gehalt von 72 Thalern nebst zwei Klaftern
Besoldungsholz, — von letzterem mußte noch der
Hauerlohn an die kurfürstliche Renterei entrichtet
werden —, knapp ausreichend.
Zu dieser Zeit traf den sorgenden älteren Bruder
ein neuer, ungeahnter Schlag. Sein Schwager
Berthold, ein beliebter Komiker und Sänger komischer
Partieen am Stadttheater zu Leipzig, starb plötzlich,
seine Wittwe und den jüngsten Sohn völlig mittel-
los zurücklassend. Berthold hatte nach Künstlerart
sorglos in den Tag hineingelebt. „Leben und
leben lassen" war die Parole im Kreise seiner
zahlreichen Freunde gewesen, zu denen auch Lortzing
gezählt. Nun pochte das bleiche Gespenst „Noth"
bei den Hinterbliebenen an. Man appellirte an
Onkel Georg's gutes Herz. Schwester Philippine
war seit Jahren todt, so kam die Wittwe mit
ihrem Knaben in sein Haus. Da hatte er aufts
Neue Familiensorgen, wieder einen Knaben, den er
sich gelobt zum tüchtigen Staatsbürger heranzu-
bilden, und der ihm dies weidlich erschwerte. Alle
Bücherweisheit schmeckte dem verwöhnten Nesthäkchen
nicht, um so besser mundete ihm der gute Tisch,
welchen der Onkel bei zunehmendem Alter führte.
Es gab schwere Konflikte, ta die allzunachsichtige,
schwache Mutter dem Liebling bei allen Schelmen-
streichen Vorschub leistete, und wenn der Onkel ein-
mal zur Strafe eine kleine Fastenkur anbefohlen hatte,
ihn mit wohlbelegten Stullen regalirte.
So konnte kein erfreuliches Resultat erzielt
werden. Der Herr Neffe machte dem Onkel manche
sorgenvolle Stunde. Und eines schönen Tages, —
er war Lehrling in einem kaufmännischen Geschäft
geworden, weil die alten Sprachen ihm ganz und
gar unsympathisch waren —, war er verschwunden.
Nach Wochen schrieb er aus einer kleinen sächsischen
Stadt, daß er bei einer Schauspieltruppe engagirt
sei, natürlich hatte er selbst von seinen darstellerischen
Talenten eine hohe Meinung, aber er ist nie aus
der Sphäre der Wandertheater herausgekommen.
Für den Onkel, der sich redlich mit dem Burschen
gemüht hatte, war's ein neuer herber Schlag.
Er zog seine Hand von dem Undankbaren zurück.
Indirekt, durch die schwache Mutter, hat er doch
noch zu dessen Unterstützung hergeben müssen. Sein
Leben gestaltete sich immer einsamer. Die Schwester
stand ihm im Geistesleben allzusern, als daß ihre
Unterhaltung ihn befriedigen konnte. Dennoch er-
trug er ihre Schwächen mit großer Geduld und
Nachsicht.
Mit der Zeit nahm er allerlei kleine Jung-
geselleneigenheiten an. Besonders pflegte er seine
Blumen mit einer Sorgfalt, als seien es lebende
Wesen. Eine andere Liebhaberei waren gute, ab-
gelagerte Cigarren. Es gab da in seinem Tuskulum,
zwischen zwei Bücherspinden, eine hohe Schicht
gefüllter Kisten und Kistchen. Er suchte etwas
darin, seinen Freunden ein „gutes Kraut" anbieten
zu können. Dasselbe galt von dem Wein, den er
in größeren Gebinden von einem befreundeten
Weinbauer am Rhein bezog.
Die angenehmste Zeit im Jahr waren ihm die
Wintermonate, wo seine zweite noch lebende Schwester,
die Wittwe des Hoftheaterinspektors Brämer aus
Kassel, ihn besuchte. Die Beiden tauschten dann
eifrig ihre Meinung über die wichtigen Tagessragen
und über die Geschicke der Völker aus. Schwester Betti
hatte immer eineu regen Geist und gesunden Humor.
Sie besprachen alte Jugenderinnerungen mit einander
uub wunderten sich über die zunehmende „Verdrehtheit"
der jüngeren Generation. War Betti im Frühling
gen Kassel gezogen, so war's dem Bruder etliche
Tage „in keiner Ecke recht". In solchen Momenten
überkam es ihn doch wie Heimweh-nach eignem
Familienglück. Dann seufzte er, nahm den Hut
und ging in die erwachende Natur, um sein seelisches
Gleichgewicht herzustellen.
In den Sommerserien packte er seinen kleinen
Lederkoffer und begab sich aus Reisen. Meist ging
die Reise an den Rhein, in die alte Heimath.
In Kirn und Kreuznach lebten ihm noch alte
treue Freunde.
Der schönste und ehrenvollste Tag seines Lebens
war der 31. Oktober 1867. Dieser Jubiläumstag
zeigte ihm deutlicher denn alle seitherigen Erfahrungen,
wie vielfacher Sympathieen er sich erfreuen durste.
Unzählig waren die Glückwunschschreiben, Telegramme
und Geschenke, aus aller Herren Ländern, voll Freunden
und ehemaligen Schülern. Die Stadt Rinteln
ehrte den Jubilar durch einen künstlerisch aus-
gestatteten Ehrenbürgerbrief, die königliche Regierung
durch ein Gratulationsschreiben, in welchem besonders
der opferfreudigell Bruderliebe gedacht ward, uub
Seine Majestät der König durch Verleihung eines
in diesem Falle wohlverdienten Ordens.
Dieser Ehrentag sah den 72jährigen noch in
voller Rüstigkeit und Frische. Im nächsten Jahre
trat er in den Ruhestand. Blumenpflege, ansprechende
Lektüre und regelmäßige Spaziergänge füllten nun
sein Leben aus. Noch einmal, im Jahre 1870,
besuchte er die Stätten seiner Jugenderinnerungen.
Von Kassel kam er auch in unser Forsthaus in
die Rhönberge.
Am Rhein, wo er sür ein paar Wochen bei den
Freunden einkehren wollte, überraschte ihn das jäh
hereingebrochene Kriegsgetümmel. Noch einmal
lebten die Tage seines Ausmarsches nach Frankreich
in ihm aus. Noch einmal begeisterte er sich sür
das Ideal seiner Jünglingsjahre, sür ein starkes,
einiges Deutschland. Wie hätte sein patriotisches
Herz gejubelt, hätte er die Neubegründung des
Deutschen Reiches miterlebt. Diese Freude sollte
ihm nicht mehr werden. Schon auf der überstürzten
Heimreise traf ihn ein Unwohlsein, welches nach
Atonalen den Tod zur Folge hatte. Sein Ende
fiel in eine Zeit, in der sich jenseits des Rheins
gewaltige, erschütternde Ereignisse drängten, denen
das Hauptinteresse Aller galt.
Er schied still uub friedlich, wie er gelebt. Mag
nun auch sein schlichtes Grab im Schaumburger-
land des Blumenschmuckes entbehren, denn es lebt
wohl dort Niemand, der sich der Pflege desselben
unterzöge, im Herzen manch' eines Schülers grünt
ihm sicher noch ein unverwelkliches Erinnerungsblatt.
Onkel Georg war ein Märtyrer der Bruderliebe,
er opferte sein Ich, um den Seinen zu helfen. Er
war ein edler Mensch.
------
Ohm und Onkel.
Erzählung von C. von Dincklage-Campe.
(Fortsetzung.)
V.
„Viellieber, sehr geehrter Herr Vetter!
Hochwohlgeborener Herr Geheimrath von Loßberg!
Mit sonderlicher Theilnahme spreche ich Euer
Liebden meine schmerzliche Condolenz ans be-
züglich des schweren Verlustes, der Ihr Haus
durch das unerwartete Hinscheiden derv liebwerthen
Frau Gemahlin betroffen hat.
Ich bin allezeit eine Selbstlose Natur gewesen,
den irnpressiorm clu moment folgend, ohne an
die eigenen inconvenients zu denken. Derweil
ich Sie nun in solcher besonders betrübten Lage
weiß, fühle ich ein menschlich Rühren. Ich habe
mich somit entschlossen, aus dem Frieden meines
Stiftes zu Fischbeck herauszutreten, Ihren: ver-
ödeten Hanse eine würdige Repräsentantin und
Euer Liebden mutterlosem Kinde eine wohlweise
Führerin in der Wirrsal dieser verderbten Welt
zu sein. Habe nur die Wintermonden vorüber
gehen lassen, derweilen ich vielfach am lilleu-
matisinus leide, anjetzo aber beschlossen am Dienstag
nach (juaminockoAeniti meine Reise anzutreten.
Ich werde mich der Stiftskutschen bedienen und
bitte mir halbwegs Vorspann entgegenzuschicken.
Der ollere nieoe mein Compliment. Au
revoir
derv wohlaffectionirte Cousine
Freiin Clementine von Loßberg,
Conventualin des freiweltlichen Stiftes Fischbeck.
Am 8ten des Monates März 1778."
Herr von Loßberg las den vorstehenden Brief
mit sehr gemischten Gefühlen. Eines Theils war
ihm das Stiftsfräulein unsympathisch, in anderer
Hinsicht mochte er ihr Anerbieten nicht unbedingt
ablehnen. Seine Tochter war in der That noch
zu jung, um ohne Beschützer aufzutreten. Diese
ihm zugefallene väterliche Pflicht aber war dem
Geheimrath im höchsten Grade unbequem. Während
Elisabeth's Lebzeiten hatte die Gattin ihn solcher
Verantwortung überhoben; er durfte sich nur des
frischen, jungen Wesens freuen, über dessen vor-
theilhafte Entwickelung ihm am Hofe nicht selten
Schmeicheleien gesagt wurden.
Jetzt, wo die treue Gefährtin seines Lebens
ihm fehlte, glaubten wohlmeinende Freunde den
Wittwer berathen zu müssen. Bemerkungen wie:
„Möchten Sie Fräulein Agnese nicht aufmerksam
machen, ...?", Es schickt sich wirklich nicht sür
ein junges Mädchen, . . .", „Glauben Sie, daß
es für Ihre Tochter angemessen, . . und
andere mehr beunruhigten Loßberg, zumal er
selbst in dem Wesen Agnesens nichts Tadelnswerthes
fand. Freilich besaß sie eine übertriebene Wahrheits-
liebe, wodurch sie vielfach anstieß.
Fräulein von Loßberg junior bezeigte wenig
Neigung für die Lustbarkeiten, um welche sich das
Hauptinteresse der Hofgesellschaft drehte. Ihre
Mutter hatte sie in diese Kreise eingeführt, und
Agnese nahm den Schlußakt ihrer Erziehung
ebenso gleichmüthig hin wie ehedeni die Versetzung
in eine höhere Klaffe.
26
Sie lachte, tanzte und scherzte wie die anderen
jungen Damen, aber ein tieferes Interesse für
die geselligen Freuden fehlte ihr. „Wo Dein
Schatz ist, da ist auch Dein Herz" bewährte sich
bei ihr in vollem Maße. Agnesens Herz weilte
im fernen Lande bei dem Onkel Eckebrecht, ihr
Hoffen kannte nur ein Ziel: seine Rückkehr. Nur
eine Person ahnte, was sie bewegte, diese Eine
war Jlsabe. Die Hofetiquette erlaubte Fräulein
von Lostberg, zurückgezogen die tiefste Trauer zu
verleben; das heißt, soweit theilnehmeude Freunde
es zuließen. Allmälig aber nahte die Zeit heran,
wo man ihr Wiedererscheinen in der Gesellschaft
erwartete, da mußte es eine wesentliche Erleichterung
für den Geheimrath sein, wenn seiner Tochter
eine Dame zur Seite stand.
Somit ward das Schreiben des Stiftsfrüuleins
zustimmend beantwortet. Am vorerwähnten Tage
entstieg Tante Klementine dem Innern der Stifts-
kutsche, nachdem sie sich aus zahlreichen Pelzum-
hüllunge», „Vonwegen des Rheumatismus", heraus-
gewunden.
Die Freiin war von Kopf bis zu den Füßen
Pedantin. Vollbewußt der Würde, welche Rang
ilnd Stellung ihr verliehen, bewegte sie sich ge-
wissenhaft in den Grenzen der Anstandsregeln,
welche vor etwa 40 Jahren engherzige Erzieher
ihrem etwas beschränkten Geiste beigebracht
hatten. —
Es war vorauszusehen, daß die Bevormundung
durch diese Dame Agnese schier unerträglich er-
scheinen würde. Wäre nicht Ohm Tankmar's
besänftigender Einfluß dazwischengetreten, das
junge Mädchen wäre gegen Tante Clementinens
„standesgemäße Anschauungen" in offene Rebellion
ausgebrochen.
Schon vor mehreren Wochen war der Kammer-
herr von Münikervde nach Kassel gekommen mit
der ganz bestimmten Absicht, durch eine direkte
Frage sich über Aurora's Gefühle gegen ihn Ge-
wißheit zu verschaffen.
Durch alle die Jahre hindurch bestand zwischen
diesen beiden Menschen dasselbe Verhältniß, sie
zogen einander an, um sich abzustoßen, und
umgekehrt stießen sie sich ab, um alsbald Aus-
söhnung zu suchen. Tankmar war nicht mehr
der schüchterne Knabe von ehedem; mit dem
erweiterten Wissen war auch seine männliche
Selbständigkeit gewachsen. Im Kreise ernster
Männer genoß er das höchste Ansehen, besonders
der Landgraf zollte seinem Streben volle An-
erkennung.
Freilich für das glatte Parquett des Hofes
fehlte ihm nach wie vor noch ebenso die Gewandt-
heit wie für das leichte und oft leichtfertige Wort-
geplänkel, welches dort vielfach üblich war und
als geistreich galt.
Frau von Münikervde drängte den Sohn
täglich zu dem Entschluß, eine Heirath einzugehen.
Verlockend pries sie ihm die besten Partieen des
Landes an. Tankmar's Wahl aber traf Aurora
von Wilden, wenn denn überhaupt einmal ge-
heirathet sein mußte.
Mit vollen Segeln schien der Freiherr auf sein
Ziel loszusteuern, als er plötzlich den Kurs änderte.
Auf einem Hofseste hoffte der junge Mann
günstige Gelegenheit zur Aussprache zu finden.
Aurora's Liebreiz war an jenem Abende bestrickender
denn je, sie nahm ihren Verehrer völlig gefangen,
aber sie wich geflissentlich jeder Möglichkeit einer
Erklärung aus.
Tankmar's Augen folgten ihrer graziösen
Gestalt unablässig. Als er sie in ein weniger
besuchtes Vorzininier treten sah, ging er ihr als-
bald nach, jedoch ohne das Mädchen anzutreffen.
Der Raum war ganz leer, da Fräulein von
Wilden aber durch denselben zurückkehren mußte,
lehnte er ihrer harrend am Fenster.
Aurora zwar kam, aber sie war in Begleitung
einer Freundin. Tankmar schmiegte sich tiefer
in die ihn verbergende Nische.
„Warum", sagte die Andere, „spielst Du
Grausame mit Deinem Verehrer wie die Katze
mit der Alans? Die Sache wird langweilig,
mache ein Ende, es liegt ja nur an Dir, die
Entscheidung herbeizuführen."
Tankmar's Herz schlug so heftig, daß er- ver-
meinte, sein Pochen müsse ihn -verrathen. Aurora's
Antwort ließ nicht aus sich warten.
„O," erwiderte sie lachend, „ich will ihn kirre
machen. Er bildet sich ein, ich würde mit ihm
Jahr aus Jahr ein auf dem langweiligen Neste
Welsen sitzen. Gottbewahre, ich will mein Lebeir
genießen. Ich werde ihn so verliebt machen, daß
er einwilligt, sich dauernd am Hofe niederzu-
lassen."
„Spanne den Bogen nicht zu scharf," warnte
die Freundin, „die Sehne könnte zerreißen."
„Pah!" höhnte Aurora, „der Hinkepaß wird
mir nicht fortlaufen."
Die beiden Mädchen verschwanden im Festsaale.
Wie mit glühender Scham übergössen, in auf-
wallendem Zorn, bedurfte der Baron geraumer
Zeit, um seine Fassung wiederzugewinnen. Er
war an der empfindlichsten Stelle getroffen, dem
fast vergessenen körperlichen Gebrechen. An dieses
berechnende Geschöpf hatte er sein Herz gehängt.
„Gottlob, die Binde war ihm noch zur rechten
Zeit von den Augen genommen", dies Bewußt-
WWWMW ^ '4
sein brach sich schon durch die dumpfe Betäubung
des ersten Schmerzes Bahn.
Am liebsten wäre Tankmar nach dieser Ent-
täuschung sogleich abgereist, aber das würde zu
Mißdeutungen Veranlassung gegeben haben, also
hieß es ausharren bis zum anberaumten Termin.
Außerdem hegte Agnese den dringenden Wunsch,
der doppelten Tyrannei Tante Klementinens und
des Hoflebens zu entfliehen. Sie hoffte noch auf
die Zustimmung ihres Vaters, den Ohm für
einige Zeit nach Welsen zur Großmutter begleiten
zu dürfen.
Die junge Dame, welche freilich den Zusammen-
hang der Dinge so wenig wie alle klebrigen kannte,
aber die Antipathie gegen Fräulein von Wilden,
nicht überwinden konnte, stand auf ihres Ohmes
Seite. Eines Tages unterhielten sich die Beiden
bei einer Partie Schach, als der Geheimrath zu
ungewohnter Stunde und mit großer Feierlichkeit
bei ihnen eintrat. Loßberg durchmaß mehrmals
die Länge des Zimmers und machte dann bei den
harmlos Dasitzenden Halt.
„Du mußt mir zugeben," begann er, sich an
seinen Schwager wendend, „daß das unver-
antwortliche Spiel, welches Du mit dem Fräulein
von Wilden getrieben hast und das Du ohne
eine Veranlassung ihrerseits abbrachest . . ."
„Erlaube," fiel ihm hier Münikerode in die
Rede, „ich habe schwerwiegende Gründe für mein
Verhalten."
„Welche Du aber nicht die Gnade hattest uns
mitzutheilen. Du läßt es ruhig geschehen, daß
der Name einer Dame aus den ersten Kreisen
der Hofgesellschaft komprvmittirt wird. Ich bin
für Dich in die Schranken getreten, ich habe mich
soeben mit Aurora von Wilden verlobt."
Einem Blitzstrahl gleich fuhr diese unvermuthete
Nachricht nieder zwischen die friedlichen Wider-
sacher am Schachbrett. Mit so jähem Ruck
schnellte das Mädchen empor, daß die feingeschnittenen
Elfenbeinfiguren in ganz respektwidriger Nicht-
achtung ihres Ranges durch einander polterten.
„Vater," rief sie in höchster Erregung, „wie
kannst Du mir das anthun!"
Unter dem strengen Blicke des Geheimraths
verstummte ihre weitere Klage, während Tankmar
Aus Hermath und Fremde.
Am 6. Januar, dem Todestage des Kur-
fürsten Friedrich Wilhelm von Hessen,
war dessen Grabstätte am alten Friedhofe reich
geschmückt. Außer den prachtvollen Kränzen,
welche wie alljährlich seit seinem Hinscheiden vor
noch vergeblich nach einer milderen Auffassung
rang.
„Ich hatte eine freudigere Ausnahme meiner
Mittheilung erwartet", sagte jetzt der Geheimrath.
„Es mag sein, daß dieselbe Euch zu überraschend
traf. Nun wohl, ich gönne Euch Zeit, einen
freundlicheren Gesichtspunkt für ihre Beurtheilung
zu finden, von meiner Tochter wenigstens kann
ich das verlangen."
Tankmar ermannte sich nun doch zu einem
Glückwunsch, worauf Loßberg dröhnenden Schrittes
das Gemach verließ.
Agnese stand mit abgewandtem Gesichte, die
Hände verschlungen, am Fenster, der Ohm legte
den Arm um sie und zog ihr thränenüberströmtes
Antlitz an seine Schulter.
„Weine nicht, Kind," sprach er, sanft mit der
Hand über ihr volles dunkles Haar streichend,
„Du sollst fortan eine Heimath bei uns haben.
Sobald es irgend angeht, wollen wir zurück zur
Großmama nach Welsen, dort sollst Du allen
Kummer vergessen."
Wie die schlanke Gestalt des Mädchens sich
vertrauensvoll an ihn schmiegte, da war es dem
Baron plötzlich garnicht so zu Mnthe, als hätte
er soeben einen großen Verlust erlitten, nein,
vielmehr, als wäre ein großes Glück unerwartet
über ihn gekommen und hielte er dasselbe hier
leibhaftig in seinen Armen. —
Für alle Betheiligteu schien eine zeitweilige
Abwesenheit Agnesens wünschenswerth. Somit
wurden die Vorbereitungen zur Reise so rasch
wie möglich getroffen, da ja Tante Klementine
für die Wohlfahrt des Hauses Sorge trug.
Das Stiftsfräulein meinte freilich, der „eher
cousin“ hätte noch ein wenig warten und sic
bei einem so wichtigen Schritt erst zu Rathe
ziehen können, übrigens fand sie die Partie sehr
„standesgemäß und convenable".
Jlsabe erschrak sehr, als sie von dem Wechsel
der Dinge hörte, sie bat flehentlich, die Baronesse
begleiten zu dürfen, und man legte ihr kein
Hinderniß in den Weg. In Welsen gab es
Arbeit genug, um zwei fleißige Hände mehr zu
beschäftigen. —
(Fortsetzung folgt.)
nunmehr 19 Jahren hohe Anverwandte und dem
ehemaligen kurhessischen Hofe nachstehende Persönlich-
keiten gesandt, waren auch von den Vereinen der
„Althessen" in Kassel, in Marburg und dem Club
„Junghessen" in Melsungen Kränze niedergelegt
worden, bereu roth - weiße Schleifen entsprechende
Inschriften trugen.
28
Am 9. Januar fand in der Villa der Land-
gräfin Anna tum Hessen, Prinzessin von Preußen,
zu Frankfurt a. M. die Taufe des zu Ende
November vorigen Jahres geborenen ersten Sohnes
des am 25. Januar 1893 mit der Prinzessin
M argarethevonPreuße n, der jüngsten Schwester
des deutschen Kaisers und Königs von Preußen
Wilhelm's 1i., vermählten Prinzen Friedrich
Karl v o n Hessen-Kassel statt. Der junge
Prinz wurde von seiner Großmutter, der Kaiserin
Friedrich, liber die Taufe, gehoben. Näherer Bericht
über die Tallffeier folgt in der nächsten Nummer.
Der Groß her zog Ernst Ludwig vo n Hes sen
u n d b e i R h e i n hat sich am 9. Januar gu Koburg
mit der Prinzessin Viktoria, der zweiten
Tochter des Herzogs Alfred voll Sachsen-Koburg
und Gotha, königlichen Prinzen voll Großbritannien
llild Irland, Herzogs von Edinburg re., verlobt.
Der Großherzog von Hessen ist am 25. November
1868 zu Darmstadt geboren lind gelangte am 13.
Mürz 1892 nach dem Tode seines Vaters, des
Großherzogs Ludwig IV. voll Hessen-Darmstadt,
zur Regierung; die Prinzessin Viktoria ist am
25. November 1876 aus Malta geboren.
Am Donnerstag, den 11. Januar, Abends gegen
.10 Uhr verschied im noch nicht vollendeten 68.
Lebensjahre der hochwürdigste B i s ch o s der D i ö z e s e
Fulda Di-. Joseph Weyland. Ein Schlag-
fluß, der ihn am 29. Dezember v. I. getroffen,
hatte ihn aus das Krankenlager geworfen, von dem
er sich nicht mehr erheben sollte. Nur sechs Jahre
hat der am 4. November 1887 znm Bischof gewählte,
am 25. November desselben Jahres vom Papste
Leo XIII. bestätigte und am 25. Januar 1888 in
der Domkirche zu Fulda konsekrirte hochwürdigste
Herr dem Bisthum Fulda vorgestanden, aber auch
in den wenigen Jahren, in denen er den Hirten-
stab geführt, hat er eine segensreiche Thätigkeit
entfaltet. Nach allen Seiten hin hat er das Beispiel
treuer Pflichterfüllullg gegeben; in ihm verliert die
Diözese Fulda einen milden, gerechten Oberhirten.
Geboren wurde Joseph Weyland am 13. März
1826 zu Hadamar im Herzogthum Nassau. Er
besuchte das Pädagogium seiner Vaterstadt und
das Gylnnasiunl zu Weilburg, widmete sich hierauf
von 1844 —1847 an der Universität Gießen dem
Studium der Theologie und wurde daselbst bei
dem Abschluß seiner Stlldien zum Doctor theologiae
promovirt. Am 6. September 1848 empfing er
in Limburg die Priesterweihe. Als Kaplan war
er namentlich in Frankfurt a. M. unter dem Stadt-
pfarrer Beda Weber thätig. Gegen Ende des
Jahres 1861 wurde er zum Stadtpsarrer von
Wiesbaden ernannt, in welcher Stellung er bis zu
seiner Berufung zum Bischof von Fulda verblieb.
In Wiesbaden hat er eine ausgezeichnete seelsorgerische
Wirksamkeit entfaltet; er war in allen Kreisen der
Gesellschaft eine hochangesehene Persönlichkeit, und
sein Andenken wird daselbst allzeit ein gesegnetes
bleiben. - Am Dienstag, den 16. Januar, findet
die feierliche Beisetzung der irdischen Ueberreste
des hochwürdigsten Bischofs Dr. Joseph Weyland,
des fünften Kirchensürsten der Diözese Fulda
seit der Wiedererrichtung derselben vor nunmehr
65 Jahren, in der Domkirche statt. Die priesterlichen
Funktionen bei der Beerdigung wird wahrscheinlich
der Bischof von Paderborn Dr. Simar vornehmen,
die Trauerrede wird der Bischof von Mainz Dr.
Haffner halten. — Nähere Mittheilungen behalten
wir uns für die nächste Nummer unserer Zeitschrift
vor.
Briefkasten.
H. v. E. — Kassel. Mit Dank angenommen. Der
Zusendung des in Aussicht gestellten Munuskriptes sehen
wir mit Vergnügen entgegen.
L. Gr. — Kassel. Besten Dank für Zusendung. Sie
erhalten in den nächsten Tagen brieflich Antwort.
I. L. — Kassel. Mußte für eine spätere Nummer
zurückgestellt werden. Freundlichsten Gruß.
L. M. — Eschwege. Leider verlegt, daher die Ver-
zögerung, die wir zu entschuldigen bitten. Besten Gruß.
Gr. Th. D. — Marburg. Gleich zum Satze befördert;
wird demnächst erscheinen. Abzug zur gefälligen Durch-
sicht wird Ihnen zugehen. Frühere Zusendung in Vor-
bereitung. Verbindlichsten Dank und freundlichsten Gruß.
W. Sp. — Cottbus. Entschuldigen Sie gütigst die
Verzögerung. Freundlichsten Gruß.
GL R. — Ducherow. Die Zusendung s. Z. richtig
empfangen. Entscheidung über die Aufnahme bleibt
vorbehalten.
Prof. 0. B. — Lemberg. Wir nehmen Ihr freundliches
Anerbieten mit Dank an.
Inhalt des Jan u arHeftes, Nr. 7, der „Touristischen
Mittheilungen ans Hessen-Nassau und Waldeck", heraus-
gegeben von Dr. phil. Fritz Seelig in Kassel: Der
Scharfenstein in Niederhessen. — Zum 1. Januar 1894. —
Der Taunusklub in Frankfurt a. M. — Eine Feldberg-
besteigung in alter Zeit. — Berichte. — Ausführliche
Besprechungen und Kritiken. — Anzeigen.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zwenger in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „HesfenItLNd", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1^/2—2 Vogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Wogker K.-H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Leichter Sinn.
lenn am Strauch die Knospen schwellen
In der Sonne goldnem Strahl,
Wenn die eisbefreiten Wellen
Munter gleiten durch das Thal,
Wenn zum lichten Aether heben
Lerchen ihren Iubelflug,
Denk' ich wohl mit gutem Lug:
Line Lust ist es zu leben,
Und der Tod kommt früh genug.
Carpe 6iem.
Horaz.
Aber wenn mit trübem Schauer-
winter bricht in's Land herein,
wenn mir hinter sichern Mauern
winkt des Herdes trauter Schein,
Kann ich mich zu eigen geben
Jedem holden Selbstbetrug,
Und auch dann sag' ich mit Lug:
Line Lust ist es zu leben,
Und der Tod kommt früh genug!
was der junge Lenz versprochen
Bringt herein der Monde Llucht,
Blüthen, die er aufgebrochen,
Tragen reiche Segensfrucht;
von dem süßen Blut der Reben
Schlürf' ich schwelgend Zug nur Zug,
Und mein Sang hat guten Lug:
Line Lust ist es zu leben,
Und der Tod konrmt früh genug.
Nimmer drum last' Dich entmuthen
Durch die Launen des Geschicks;
Alles lenkt Dir wohl zum Guten
Macht und Gunst des Augenblicks;
Lühlt Dein Herz auch oft mit Beben
wunden, die das Leben schlug,
Bat das wort doch guten Lug:
Line Lust ist es zu leben,
Und der Tod kommt früh genug!
Hito Alraun
(Aus allerlei Tonarten).
30
Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren.
ii.
Die Haupt- und Residenzstadt Kassel.
Von F. Zw eng er.
ir beginnen heute mit der Schilderung der
Haupt- und Residenzstadt Kassel. Dem
topographischen Theile unseres Artikels
legen wir eine Beschreibung Kassels in dem
„Journal von und für Deutschland" zu Grunde,
das von 1784 — 1792 erschien und nach dem
Urtheile des Historikers Fr. Chr. Schlosser zu
den gediegensten deutschen Zeitschriften der da-
maligen Zeit zählte. Wir bringen die Dar-
stellung des Verfassers, der seinen Namen nicht
genannt hat, dem man aber eine scharfe Be-
obachtungsgabe und große Kenntniß der Ver-
hältnisse nachrühmen muß, theils im Auszuge,
theils wörtlich, und gewiß wird es für die Leser
nicht uninteressant sein, Vergleiche der da-
maligen Zustünde in Kassel mit den heutigen
zu ziehen.
Der Verfasser beschäftigt sich zunächst mit der Lage
Kassels und beginnt seine Aufzeichnungen wie folgt:
„So schön und reich an Schönheiten die
Lage Kassels durch den Anbau der Kunst mit
dem Anfange dieses (XVIII.) Jahrhunderts ist,
so schön war sie immer von Natur. Sie
liegt am Abhange einer von einem großen und
weiten Thäte umgebenen Anhöhe, und der Fulda-
strom durchschneidet das alte Kassel in die zwei
Theile der eigentlichen Alt- und Neustadt. Diese
letztere aber hat vermuthlich seit der Zeit den
Namen der Unterneustadt bekommen, seit welcher
durch Veranlassung der vom Jahre 1685 dahin
gekommenen französischen Flüchtlinge (Hugenotten)
auf ihrer Anhöhe eine Oberneustadt entstanden
ist. Folglich besteht sie aus drei Städten und
hat nach dem siebenjährigen Kriege eine mit der
Oberneustadt verbundene Vorstadt bekommen;
diese heißt, weil sie durch eine Straße nach dem
Lustschloß Weißenstein hinführt, die Wcißensteiner
Vorstadt. Ihr Anbau ist durch schlechte Kolonisten
verunglückt. Eine andere Reihe Häuser, welche
an die Unterneustadt stößt, ist durch ein hier
liegendes Hospital, das vor Alters ein Siechenhof
war und noch so genannt wird, auch eine Vor-
stadt geworden. Sie ist durch ein sehr großes
Krankenhaus, Oliaritä genannt, verlängert. Die
stößt so dicht an das Dorf Bettenhausen, wo ehe-
mals ein Bethaus war, daß es mit zur Vorstadt
zu gehören scheint. Beiden gegenüber an der
Fulda ist die eigentlich einzige Ebene bei Kassel,
der Forst genannt; im Jahre 1729 und im sieben-
jährigen Kriege faßte sie ein Lager von 12 000
Mann. Man heißt die letztere Vorstadt auch die
neuen Häuser. Unter dem sogenannten Weinberge
vor dem Frankfurter Thore ist die Anlage zu
einer dritten Vorstadt. Das eigentliche Kassel
hat, ohne die dazu vor den Thoren gehörigen
Häuser, 1228, wird aber und ist durch die nach
der Niederreißung der Festungswerke und die
dadurch entstandenen großen Plätze und wirklichen
Anlagen neuer, zum Theil schon bebauter Straßen
eine von den deutschen Städten mittlerer Größe.
Von den vier Weltgegenden her umgiebt sie näher
vder entfernt ein weiter Kranz von waldigen
Bergen, die näheren sind eine Stunde, die weiteren
eine Meile davon gelegen. Von der südöstlichen
und nördlichen Seite führen Landstraßen über
Berge und durch Thäler nach dem ober-, dem
niedersächsischen und dein fränkischen Kreise, auch
dem oberrheinischen hin, von welchem sie die letzte
Stadt ist; westlich geht man über Berge nach
dem westfälischen hin. Die Fahrt aus einem in
den andern durchschneidet sich gleichsam in der
Stadt und giebt ihr manchen Vortheil wegen
starker Durchfuhr. Der Fuldastrom, welcher von
seinem Zusammenfluß mit der Werra bei Münden
bis nach Hersfeld acht Meilen unter Kassel schiffbar
ist, bringt ihr und einem Theile Hessens die
holländischen Waaren von Bremen, führt aber
auch die Landesprodukte, besonders Linnen, Holz,
Eisen und Steine aus. Wenn die an einander
grenzenden Fürsten von Hessen und dem fränkischen
Kreise sich über Niederlagen und gute Landstraßen
vergleichen wollten, so könnten sie auf diese Art
zu beiderseitigem Nutzen die Weser und den Main
einander näher bringen.
31
Nach dem Verhältniß der nicht von allen
Seiten gleich fruchtbaren Umgegend Kassels kann
keine deutsche Stadt durch Dörfer, Felder, Wiesen,
Gärten und Bäume an den Straßen angebauter
sein, als sie. In allem aber bemerkt man mehr
die nach uitb nach anbauenden Fürsten, als den
Bürger oder Bauern. Die südöstliche Seite, als
die weiteste um die Stadt, ist die reichste davon,
und durch prächtige Gebäude und Anlagen der
Landgrafen in der Nähe und von der Ferne her,
ein durch die Aussicht jeden Fremden überraschendes
Lustgefilde. Man übersieht dasselbe vom Friedrichs-
platz, als dem größten der Stadt, und besonders
von einer Reihe von Häusern, welche deswegen
LoUovus heißt. Ueberhaupt führt jedes der vier
Hauptthore der Stadt nach einem der benachbarten
fürstlichen Lustschlösser und Gürten hin. Die
Luft ist, nachdem durch Niederreißung der Wälle
und Füllung der Gräben solche die ganze Stadt
freier durchstreicht, so gesund, daß ansteckende
Krankheiten hier seltener sind, als anderwärts.
Wasserleitungen von nahen Bergen geben ihr ein
gesundes Wasser. Nach dem Durchschnitt der
Geborenen und Sterbenden von mehreren Jahren
hat sie 20 000 Einwohner, doch ist die Besatzung
nicht mitgerechnet. Die meisten Straßen und
Gassen der Altstadt, als ihres größeren Theiles,
werden auf beiden Seiten von einem Bach, namens
Drusel, dessen Wasser in einem Behälter gesammelt
wird, durchwässert. Dies und das größtentheils
schönste Pflaster, das eine Stadt haben kann,
machen sie sehr rein. Die Volksmenge muß man
nicht nach den großen Plätzen und breiten langen
Straßen der Oberneustadt beurtheilen; ein Prinz,
Minister oder General bewohnt hier oft ein großes
Haus, einen Kasselschen Palast allein; der untere
Theil der Stadt zeigt in vollen Häusern die
meisten Einwohner.
Das alte Residenzschloß, die Stiftskirche zu
St. Martin, die Brüderkirche, von den Brüdern
des Ordens der heiligen Maria vom Berge
Karmel so genannt, und die Maria-Magda-
lenenkirche in der Unterneustadt nebst einigen
noch übrigen Klostergebäuden und dem Rathhause
zeigen die Gothische Periode der Stadt; der
Renthos, welcher die höchsten Landeskollegia in
sich begreift, der Marstall, das Zeughaus nebst
anderen minder beträchtlichen öffentlichen Ge-
bäuden den seit dem 16. Jahrhundert besser
werdenden Geschmack der Baukunst, vorzüglich unter
Landgraf Wilhelm IV. und seinem Sohne Moritz;
die Oberneustadt und Kassels eigentliche Pracht-
gebäude, vvur Orangeriegebäude in der Aue unter
Landgraf Karl bis auf's Museum unter Land-
graf Friedrich, schildern die Theilnehmung der
Landgrafen unseres Jahrhunderts an dem nun-
mehr verbesserten Geschmacke. Hiernach sind die
Privathäuser von Holz und Stein beschaffen.
Eine neue Brücke über die Fulda, welche der
jetzige Landgraf Wilhelm IX. herstellt, ver-
ursachte die Niederreißung der schlechtesten Häuser
in dem ebenso schlechten Theile Kassels und trug
wesentlich zur Verschönerung bei. Die alte Brücke
war so gefährlich schadhaft geworden, daß dies
die Erbauung einer neuen nothwendig machte.
Im Ganzen, es sei alt oder neu, herrscht aber
nicht der bunte oder groteske Geschniack mancher
Reichsstadt, aber auch nicht der Prunk von
italienischen Fahnden, hinter welchen nur ein
gewöhnliches altes Haus steht. Der Bürger von
Kassel baut nach dem Beispiele seiner Fürsten
gerne, hat die Materialien gut, und zu Wasser,
fand auch von jeher Unterstützung.
Von Hauptplätzen, Straßen und Gebäuden sind
folgende beachtenswerth: das fürstliche Residenz-
schloß, ein Viereck von Quadersteinen, wegen seiner
ausgesuchten herrlichen Lage an der Fulda. Ein
ihm gegenüber liegender Platz, ein römischer Circus,
war unter Landgraf Moritz zu ritterlichen Uebungen
bestimmt; sie haben sich ganz in die Waffen-
übungen unserer stehenden Soldaten verwandelt,
jetzt ist er also Paradeplatz. Wo sonst das
Judizirhaus war, da ist jetzt ein Säulengebäude,
jedes ein Bild seiner Zeit, im herrschenden Ge-
schmacke des Jahrhunderts. Blos die Niederreißung
der Festungswerke hat, verhältnißmäßig zur Größe
des nunmehrigen Platzes, den Säulenbau zu klein
gemacht. Der bekannte Bildhauer Nahl hat den
Circus, der 440 Fuß lang und breit ist, mit
römischen Ringern, Schleuderern, kolossalischen
Pferdebändigern ausgeschmückt. Zu den Füßen
eines der letzterern wird mit Recht die Trommel
getadelt. Es ist übrigens durch den im Jahre
1770 vom Landgrafen Friedrich gestifteten größeren
hessischen Orden vom goldenen Löwen ein neuer
hessischer Ritter entstanden; für dessen jährliches
Ordenskapitel und den Ritterschlag ist iin Schlosse
ein Saal eingerichtet worden, der als Ordenssaal
in seiner neu-antiken Art sehenswerth ist. Der
kleinere Orden für Hessens brave Krieger ist
bekannt. Andere alte und öffentliche Gebäude
Kassels haben außer ihrem Alter nichts Besonderes
an sich. Von den alten Kirchen der Stadt ist
die vom heiligen Martin die einzige, welche allen-
falls ein Beweis der Andacht sein könnte, die
man mehr daran schätzen sollte als de» Geschmack,
in welchem sie gebaut ist. Die darin befindliche
Erbgruft der Herren Landgrafen macht sie als die
Ruhestätte großer Fürsten merkwürdig. Land-
graf Friedrich II. ruht in einem Gewölbe der
32
von ihm erbauten katholischen Kapelle. Die noch
von den ehemaligen Klöstern in Kassel übrigen
Gebäude sind außer dem gewesenen Nonnenkloster
zum Ahnaberge, Angnstinerordens, Beweise, daß
die Stadt zur Zeit frommer Stiftungen keine der
reichsten war, sowenig von Seiten der Stiftenden,
als derer, welche den Genuß von jenen hatten.
Es schildert auch Mittelalter und neue Zeit, wenn
das angeführte Kloster jetzt eine Kaserne für des
Landgrafen Leibgarde zn Pferde und zn Fuße
ist. Das Hofhospital ist eine Stiftung von Land-
graf Heinrich I., 1297 der heiligen Elisabeth ge-
widmet, das Gebäude aber ist neuer. Von später
errichteten Gebäuden ist das Zeughaus ans dem
16. Jahrhundert seiner Größe nach dem kriegerischen
Geiste Hessens angemessen; der siebenjährige Krieg
raubte ihm viele Denkmale von: bewiesenen Muthe
der letzteren. Der sogenannte Renthof, zum
Theil das ehemalige Karmeliterkloster, ist wenigstens
so räumlich, das die meisten hohen Landeskollegien
darin ihren Platz haben.
Betrachtungswürdiger sind einige neue Gebäude
in und bei der Stadt, alle von Zeiten Karl's
an bis auf die von Friedrich II., zumal da sie
den Kenner der Wissenschaft beschäftigen und
unterhalten können. Nach der Zeitrechnung darge-
stellt sind sie ein Beitrag zur Geschichte neuer
Literatur und Kunst, doch mehr zu dieser, als
jener. Entweder liegt's iin Geiste der hessischen
Fürsten oder ihres Volkes, der in beiden kriegerisch
ist und bleibt, daß Kassel niemals ununterbrochen
ein Sitz der Wissenschaften blieb. Meßkunst und
die damit verwandten Wissenschaften, Astronomie
besonders, sind ausgezeichnete Liebhaberei eines
Landgrafen nach dem anderen gewesen, in neuester
Zeit Kriegswissenschaft, mit solcher schöne Kunst.
Mich deucht, daß man dies einem Fürstenhause
und einem deutschen Volke zum Verdienste an-
rechnen sollte, sobald es fester Charakter ist.
Karl's und Friedrich's II. Kassel ist und bleibt
eine neue Schöpfung, die Wilhelm IX. allem
Ansehen nach vor dem Ende des XVIII. Jahrhunderts
vollenden wird."
-------•——•---------
Me hohen Feiertage in Marburg vom 15. bis 23. Juni
1653.
Von G. Th. Dithmar.
^Dach einer großen Muth, welche guten Erd-
Ty boden weggeschwemmt, tiefe Rinnen und
&} Spalten gerissen und allerlei Gerölle in den
Weg geworfen, giebt es Arbeit, wenn man die
angerichteten Schäden heilen und den früheren
Zustand wieder Herstellen will. Ebenso bedurfte
es auf dem höheren Gebiete der Kunst, Wissen-
schaft und Sitte einer heilenden Thätigkeit in den
deutschen Landen, nachdem der zerstörende dreißig-
jährige Krieg in dem westfälischen Frieden sein
Ende gefunden hatte.
In der Landgrafschaft Hessen war es die Wittwe
Wilhelm's V., Amalie Elisabeth, welche,
soviel in ihrer Macht stand, für ihr Volk
Sorge getragen hatte, welche, als der Friede
geschlossen war, nun mit der Absicht umging,
die vom Landgrafen Philipp gegründete Universität
als eine Helle Leuchte für Land und Volk wieder
in das Leben zu rufen. Heil erblühte dem
Hessen lande durch Mutter und Sohn, und
das getreue Hessenvolk hat es an Dank und
Nachruhm nicht fehlen lassen.
Seit dem Jahre 1624, also während des
dreißigjährigen Krieges, bestand zwar noch die
Universität zu Marburg, allein Marburg und
ganz Oberhessen, das einst durch seines Vaters
Testament Ludwig IV., genannt Testator, zugefallen
war, war Hessen-Darmstädtisch geworden, und die
Universität war zu einer streng lutherischen
gemacht worden. In Kassel sollte eine höhere
Schule, das Mauritianum, vom Landgrafen
Moritz gegründet, einen Ersatz für die verloren
gegangene Universität leisten, und seit 1633 wurde
dasselbe 20 Jahre lang eine aber nicht ge-
nügende Universität.
Auf die Regentin Amalie Elisabeth folgte ihr
Sohn Wilhelm VI., der Gerechte genannt, der
den Gedanken seiner im Jahre 1651 verstorbenen
ruhmwürdigen Mutter, eine Universität zu schaffen,
verwirklichte, so daß er der zweite Gründer genannt
wird. Aber so leicht ging die Sache doch nicht
von statten. Für das erste bedurfte es der
kaiserlichen Bestätigung. Diese für Hessen-Kassel
zu erlangen schien nicht leicht. Hatte im dreißig-
jährigen Krieg Hessen-Darmstadt aus österreichischer
Seite gestanden, so war ja im Gegentheil Hessen-
Kassel Gegner des Kaisers gewesen.
Eine andere Schwierigkeit war: an welchem
Cvt soll die neue Universität ihre Stelle haben.
Es machten Kassel und Hersfeld Ansprüche ans
dieselbe. Marburg, eine lutherische Stadt, gab
für eine Universität, welche mehr den reformirten
Charakter tragen sollte, gerechtes Bedenken.
Eine dritte Schwierigkeit fand man in der
Wahl geeigneter Lehrer oder Professoren. Es
mochten solche nach der zerstörenden Herrschaft
des Kriegsgottes nicht im Ueberfluß vorhanden
sein.
Das erste Bedenken wegen der kaiserlichen Be-
stätigung ließ man im Vertrauen auf die
frühere von Kaiser Karl V. 1541 gegebene
Bestätigung fallen.
Den Ort betreffend, so erkannte man die Vor-
züge Marburgs, in welchem der Universität
seit 1527 schon eine Heimstätte in den alten
Klostergebäuden bereitet worden war. Die gesunde
lind reizende, schon viel besungene Lage der
Stadt fiel in das Gewicht, und für Marburg
ward sich entschieden.
Hier soll nun nicht vergessen werden, darauf
hinzuweisen, daß Landgraf Wilhelm VI. zwei
vortreffliche Räthe hatte, die ihm helfend bei
seinem Werke zur Seite standen, Reinhard
Scheffer und I. H. Dauber. Als dritten kann
ich noch den landesherrlichen Kommissar und
ersten Rektor der neuen Universität, den Professor
Cr o ei ns, zufügen, der bisher in Kassel an der
Universität eine Stelle hatte. Die gelehrten
Häupter, welche damals nach Marburg berufen
wurden und die Ehre hatten, Lehrstühle zu
besteigen, waren folgende:
Aus Kassel kamen nach Marburg mit
Joh. Croeius und Sebastian Curtius (Theologen)
Erich Grafs und Joh. Kleinschmidt (Juristen),
Gregor Stannarius und Werner Geise (Philosophen).
Von der früheren Darmstädter Universität ver-
blieben die Juristen: Joh. Breidenbach (schon
1614 Professor zu Gießen) und Joh. Kornmann.
Dazu kommt Joh. Tilemann, ein Mann, der
zuletzt Jude geworden sein soll. Er hat einen Vor-
gänger in dieser Wunderlichkeit in einem gewissen
Vietor, Sohn des Professors H. Viktor, im 16. Jahr- !
hundert. Dazu kommt ferner Chr. Fr. Croeius, Pro- '
fessor der Medizin, früher in Bremen, dann ein j
Sohn des Juristen Kornmann, Joh. Hartmann
Kornmann (Jurist) und schließlich Carolus j
Lombardus, früher katholisch, in Zürich evangelisch :
geworden, dann in Kassel gewesen. Somit
waren es 12 Professoren, während Gießen, 1650
wieder eröffnet, nur 11 Professoren hatte, zum
Theil solche, die bisher in Marburg gelehrt
hatten, wie namentlich Menzer und Feuer-
born.
Ein Uebel, welches bisher die Universitäten
geschädigt hatte, sollte fortan durch die an-
gestellten Professoren aus der Welt geschafft
werden, das war der Pennalismus, eine kann»
zu beschreibende Rohheit, welche, gefördert durch
das frühere wilde Kriegsleben, endlich einmal
ausgerottet werden sollte. Solange Unkraut und
Gestrüpp nicht ausgerottet wird, ist eine Besamung
und Bepflanzung des Erdbodens ganz unmöglich.
Einige der Rohheiten sollen hier nur namhaft
gemacht werden. Namentlich die sogenannten
Füchse wurden derart von alten Studenten
mißhandelt, daß ihnen die edle Zeit ganz und
gar verloren ging. Sie hatten ihre sogenannten
Schönsten sklavisch zu bedienen, mußten wie Thiere
umherkriechen und bellen, Salz, Scherben, Kvth
gemengt verschlingen, Unzucht treiben, Kleider
verpfänden, Schulden machen, alles auf Befehl
der sie Beherrschenden, und sonst noch unter deren
Tyrannei leiden und verderben. — Comessatum
et scortatum — adducti sunt.
Nicht erst in neuerer Zeit sind Stiftungstage,
Jubiläen und sonstige Feierlichkeiten in Schwang
gekommen. Wie feierlich, ja üppig es schon
damals bei der Neubegründung der Universität
Marburg herging, das ausführlicher zu berichten soll
jetzt meine Aufgabe sein. Das Bild ist nach alten
Aufzeichnungen in getreuen Züge» von Professor
Henke entworfen worden in einer Rede am
Geburtstag des Kurfürsten, am 20. August 1861,
gehalten, die mir hier den Stoff darbieten soll.
Der gütige Fürst ivvllte nickst allein der
Universität, er wollte der lieben Stadt Marburg,
ja seinem ganzen Lande eine große Freude
bereiten.
Den 15. Juni, an einem Mittwoch, war der
Einzug des Landgrafen, den folgenden Tag war
die Hauptfeier, dann folgten Disputationen, und
Examina und am Sonntag den 19. Juni Gottes-
dienst, Montag de» 20. Promotionen in der
Aula, am 21. Fest auf dem Kämpfrasen und
theologischer Redeakt, am 22. wieder Redeakt,
diesmal juristischer, und Komödie auf dem
Schloß, am 23. medizinische Rede und dann
noch Dankrede und Schlußrede der Philosophen.
Wie passend war doch die z» der neuen
Universitätsweihe gewählte Zeit!
Seit unvordenklichen Tagen war die Sonnen-
wende im Juni bei den Deutschen eine hohe
Zeit, eine festlidi gefeierte. Die Freude über
den vollendeten Sieg der Segen bringenden
Sonne erreichte in diesen Tagen ihren Höhepunkt.
Es sind jetzt alle Schätze der Natur wie durch
einen Zauber aus der Tiefe gehoben, aller Segen
hat sich in Fülle über die Erde ergossen. Darum
34
froher Gruß au das lichte Tagesgestiru, ihm zu !
Ehre« Spiel, Gesang und Jubel! Die Mächtigen
veranstalteten insbesondere zur Suinmerfvnnen-
wende Hochgeziten > frohe Feste) und Turniere.
Was jetzt unser Landgraf iu’e Leben rief, war
ebeuwohl ein Turnier, doch kein auf wenige Tage
beschränktes, es war ei» Turnier in idealem
Sinne, ein Kampf mit den Waffen des Geistes
aus dem hohen Gebiete der Wissenschaft, in
welchem dem Sieger ein unverwelklicher Kranz,
ein Preis nicht von dieser Welt winket. „So
ftlgent mir die sinne höher danne der sunnen
schm." (Walther von der Vogelweide.) —
Von Anfang an war die Stadt bei heiterem
Wetter mit Auswärtigen überfüllt, Ehrenpforten
gebaut, die Häuser mit grünen Zweigen geschmückt,
Kanonen donnerten vom Markt und Schloß, i
zwei Musikbauden, in einer Laubhütte oben j
am Schloßberg verborgen, spielten abwechselnd. !
Studenten und Beamten waren dein Landgrafen \
und seiner Gemahlin Hedwig Sophie, der
Schwester des großen Kurfürsten, entgegengeritten. |
Am Hospital (der Sieche) lvurde der Landgraf !
und die mit ihm kommenden Herrschaften vom j
Stadtrath und mit einer Rede des Stadtschreibers
empfangen. Bei dem Schloß waren die Pro-
fessoren versammelt, und Werner Geise, jetzt Pro-
fessor der Eloquenz, bewillkommnete den Landgrafen
mit einer kurzen lateinischen Rede. Dauber ant-
wortete im Namen des Fürsten ebenfalls lateinisch. !
Es folgte eine öffentliche Tafel, zu welcher auch
die Studenten zugelassen ivurden. Es waren an
200 weniger vier. No Deum und Nr. 122 ge-
sungen. Predigt des alten Crocius. Die Pro-
fessoren waren sechsspännig auf das Schloß ge-
fahren. Der Landgraf hatte in dem mit Tep-
piche» geschmückten Rittersaal den Ehrenplatz auf
einem mit schwarzem Sammet belegten Sessel.
Vv» da Zug in die Aula an der Lahn. Hier ein
Thronhimmel für den Landgrafen, dessen Sitz mit
grünem Sammet drapirt. Der Landgraf zog
ein in glänzender Uniform, jeder Professor, —
es waren ja nur ein Dutzend —, hatte zur Seite
einen Edelmann, voran der Oberforstmeister von
Meysenbng und der Oberst von Uffeln. Graf
Hohenlohe und der Komthur des deutschen Ordens
geleiteten den Rektor Crocius. Es waren da
auch zu sehen: Scheffer, Dauber, von Riedesel,
von Schöllest, von Geyso, Erbschenk Schenk zu
Schweiusberg, Bultejus, Sixtinus u. a., alle in
stattlicher Amtskleidung. Geh. Rath Dauber
verkündigte die Eröffnung der Universität. Er
gedachte im Eingang der Verdienste der verstor-
benen Mutter des Landgrafen, der Retterin des
Hessenlandes (die auch an unserem Dichterfürsten
Schiller einen Verherrlicher gefunden hat), welche
Henke eine „unvergleichliche Mutter" nennt, und
welche die Regierung in Hessen „zur Bewun-
derung von ganz Europa" geführt hatte. Er
überreichte dein Rektor Crocius das Scepter,
Album, Statuten, Schlüssel, Siegel und Pri-
vilegium. Es folgt eine neue Rede des nun
installirtcn Rektors Crocius. Schön setzt er
auseinander, wie mau zu dem Tempel der Ehre
nur auf dem Wege der Virtus gelangt. Einer
aus der Stadt, Philipp Kroll, sagt dem Land-
grafen im Namen der Stadt verbindlichen Dank.
Es folgt Festmahl im Rittersaal. Da speisten
mit dem Fürsten und hohen Adel die Professoren,
Bürger und Studenten, und allgemeine Heiterkeit
beseelte Alle. Am Sonntag predigten Curtius und
Stockenius (damals Hofprediger) auf dem Schloß.
Montags Promotionen, Fest im Rittersaal, Rektor-
schmaus. Am folgenden Tag Beeidigung der Pro-
fessoren durch den Kanzler Bultejus; Nachmittags
großes Scheibenschießen auf dem Kämpfrasen, an
welchem der Landgraf Theil nahm. Am Mittwoch
Komödie vom verkauften Joseph in Egypten,
Donnerstag verläßt der Landgraf Marburg unter
dem Jubel des Volkes und Salven des Geschützes.
Alles verlief in Frohsinn und in den Schranken
des Anstandes unter den Augen des hochgeachteten
und geliebten jungen (damals 24 Jahre alten)
Fürsten.
Preis, Marburg, dir! Gestritten
In dir ward jeder Zeit,
Es kamen hergeritten
Oft Ritter, hoch gemeit.
Stattlich zu Roß mit Schild und Speer
Erkämpften sie hier Preis und Ehr.
Dann auf des Fürsten Rufe
Sah man auch Streiter hier
Auf noch viel höhrer Stufe
Gekommen zum Turnier.
Gerüstet mit dem scharfen Sinn
Der Jugend Schaar zum Hochgewinn.
Kampf gab es wider Mächte,
Die hüllten unser Land,
Vergruben Geistes Rechte,
Die Gottes Wort verbannt.
Doch juble, Stadt! in Schlacht und Krieg
Erfochten ward des Lichtes Sieg.
-HiH-
We Taufe des Jfrtnmt Friedrich Wilhelm von Hessen
am 10. Januar 1894 zu Frankfurt a. M.
ährend eines längeren Besuches bei der Mutter
' ihres Gemahls, Ihrer königlichen Hoheit der
Landgräfin von Hessen, Prinzessin Anna von
Preußen wurde am Donnerstag den 23. November
1893 Mittags 1 Uhr in deren Villa zu Frankfurt
am Main Ihre königliche Hoheit die Prinzessin
Margarethe von Hessen, Prinzessin von
Preußen, seit dem 25. Januar 1893 vermählt
mit Sr. Hoheit dem PrinzenFriedrrchKarl
v o n H e s s e n, von einem gesunden, kräftigen Prinzen
leicht und glücklich entbunden. Die glücklichen
Eltern, welche ihrer: ständigen Wohnsitz im alten
landgräflichen Schloß Rumpenheim bei Offenbach
haben, wo nach längerem Unbewohntsein bedeutende
Veränderungen und Verbesserilngen nöthig gewesen
waren, waren im Begriff dorthin überzusiedeln.
Am Abend der Geburt traf sofort von Berlin
Ihre Majestät die Kaiserin und Königin Friedrich
zur Pflege der jüngsten Tochter hier ein und nahm
ebenfalls in der landgräflichen Villa Wohnung.
Prinz Friedrich Karl ist der dritte Sohn der
Landgräfin. Der älteste, Landgraf Friedrich Wilhelm,
verunglückte aus einer Reise von Singapore nach
Batavia im indischen Ozean am 14. Oktober 1888.
Der zweitälteste Bruder, Alexander Friedrich, zur
Zeit noch unvermählt, ist seitdem im Besitz des
Fideikommisses und führt den Titel Landgraf v o n
Hessen, die übrigen Prinzen des landgräslichen
Hauses haben das Recht sich Landgrafen zu Hessen
zu nennen, ähnlich den nachgeborenen Prinzen
der großherzoglich sächsischen und mecklenburgischen
Häuser, die Herzöge zu Sachsen re. heißen. Prinz
Friedrich Karl ist Premierlieutenant a ln suite
der Armee und trägt die Uniform des 1. Garde-
dragonerregiments, bei welchem er mehrere Jahre
Dienst gethan hat.
Behandelnde Aerzte Ihrer königlichen Hoheit
der Prinzessin Friedrich Karl waren der Hausarzt
Dr. Hartmann aus Hanau, welcher schon während
einer langjährigen Thätigkeit im landgräslichen
Hause demselben als ärztlicher Berather besonders
nahe steht, und Br. Stahl von Frankfurt.
Der junge Prinz, welcher seit einigen Wochen
eine hessische Amme aus der Schwalm erhielt, hat
sich äußerst kräftig weiter entwickelt.
Am 10. Januar 1894 wurden ihm in der Taufe
die Namen Friedrich Wilhelm Sigismund
Viktor beigelegt, die ersteren beiden, die Rufnamen,
nach den beiden Großvätern. Die Taufe konnte
des beschränkten Raumes wegen nur im kleineren
Verwandtenkreise stattfinden, und waren durch Krank-
heit verschiedene der Geschwister der hohe:: Eltern
am Erscheinen verhindert, auch hatte der Chef des
hessischen Hauses, Se. königliche Hoheit der Groß-
herzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein,
sich in Folge seiner Verlobung entschuldigen lasse::.
Anwesend waren Ihre Majestät die Kaiserin und
Königin Friedrich, Ihre königliche Hoheit die Land-
gräfin, Se. königliche Hoheit der Landgraf Alerander
Friedrich, Ihre königliche Hoheit die Prinzessin
Louise von Preußen, Ihre Hoheit die Prinzessin
Sibylle von Hessen, außerden: die Eltern. Seine
Majestät der Kaiser hatte als Vertreter den General-
adjutanten Generallieutenant von Winterseld aus
Berlin, allerhöchst beauftragt mit der Führung
des Gardecorps, entsendet.
Die Taufe vollzog Pfarrer Eck aus Rumpen-
heim. Außer dem Gefolge der höchsten Herrschaften,
waren nur noch die Aerzte und Professor Gillhausen
aus Frankfurt geladen. Der letztere., der frühere
Erzieher und Lehrer des Prinzen Friedrich Karl
während dessen Besuches des Gymnasiums daselbst,
ist seitdem der vertraute Freund des Prinzen geblieben
und wurde auch entgegen dem sonstigen Gebrauch
in Fürstenhäusern gebeten, eine Pathenstelle zu über-
nehmen, um ihm dadurch einen Beweis der An-
hänglichkeit und Freundschaft zu geben.
Tauspathen des Prinzen Friedrich Wilhelm
Sigismund Viktor, Landgrafen zu Hessen rc. rc.,
Hoheit, sind
1) Se. Majestät der Kaiser und König;
2) Ihre Majestät die Kaiserin und Königin
Friedrich;
3) Ihre königliche Hoheit die Landgräfin von
Hessen;
4) Ihre Majestät die Königin von Groß-
britannien und Irland;
5) Se. Majestät der König von Dänemark ;
6) Se. königliche Hoheit der Landgraf Alerander
Friedrich von Hessen;
7) Ihre Hoheit die Frau Erbprinzessin Leopold
von Anhalt, Prinzessin von Hessen;
8) Ihre königliche Hoheit die Frau Prinzess:::
Adolf zu Schaumburg-Lippe, Prinzessin von
Preußen;
9) Ihre königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin
von Griechenland, Herzogin von Sparta,
Prinzessin von Preußen;
10) Se. königliche Hoheit der Großherzog von
Hessen und bei Rhein;
36
11) Ihre Hoheit die Frau Prinzessin von Anhalt,
Prinzessin von Hessen;
12) Ihre königliche Hoheit die Großherzogin
von Baden;
13) Ihre königliche Hoheit die Prinzessin Louise
voll Preußen;
14) Se. königliche Hoheit der Prinz Friedrich
Leopold von Preußen;
15) Ihre königliche Hoheit die Prinzessin Maud
von Wales, Prinzessin von Großbritannien
und Irland;
16) .Ihre Hoheit die Frau Prinzessin Aribert
von Anhalt, Prinzessin zu Schleswig-Holstein-
Sonderburg-Augustenburg;
17) Professor Waldemar Gillhausen.
Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich hat sich
bereits am 11. Januar wieder nach Berlin zurück-
begeben. Prinz und Prinzessin Friedrich Karl
haben nunmehr in Schloß Rumpenheim Wohnung
genommen.
Ohm und Onkel.
Erzählung von C. von Dincklage-Campe.
(Fortsetzung.)
VI.
Agnese von Loßberg hatte ihren bleibenden
Aufenthalt bei der Großmutter i» Welsen
genommen. Zu Haufe entbehrte sie Niemand,
die junge Stiefmutter wußte den älteren Mann
vollauf in Regsamkeit zu erhalten.
„Ohm," sagte Agnese eines Tages 311 Tankmar,
„ ich möchte Sic um etwas bitten. Geben Sie
mir nicht immer eine Ausnahmestellung, als ob
ich von anderer Art wäre als Sie selber und die
Großmama. Sie beide kommen allen meinen
Wünschen gütig entgegen, aber die alte Frau
verlangt auch etwas von mir, ja, wenn ich die
Arbeit nicht recht mache, giebt sie mir eine» Ver-
weis. Sie dagegen geben immer und fordern
niemals; ja, ich bin oft im Unklaren, ob mein
Begehren nicht Ihren Neigungen entgegenstrebt,
aber stets erfüllen Sie dasselbe. Lassen Sie mich
mitunter auch zu Ihrer Annehmlichkeit und
Bequemlichkeit beitragen, oder verweigern Sie mir
getrost, was Ihnen nicht Paßt, ich bin doch kein
Kind, das immer seinen Willen haben muß."
Das Mädchen sprach in der offenen, vertrauenden
Weise, die sich die Nichte im Verkehr mit dem
Ohm bewahrt hatte, und blickte ihn erstaunt, mit
fragenden Augen an, als während ihrer Worte
dunkle Rothe ihm iu's Antlitz stieg.
„O Agnese," begann er, „Du mußt hier alle
Freuden der Jugend entbehren, während Du für
uns Licht und Sonnenschein bist."
„Ich bin so glücklich hier," sagte sie mit dem
Tone der Ueberzeugung, „niemals möchte ich in
mein Vaterhaus zurückkehren."
Er blickte sie an, so sonderbar prüfend, daß sie
unwillkürlich die Augen niederschlug.
„Agnese," nahm er dann das Wort, „ich habe
einmal geglaubt, das sei Liebe, was ich für Deine
Stiefmutter empfand. Jetzt weiß ich seit lange,
daß dies aufregende Getändel nichts gemein hat
mit dem tiefen, innigen Gefühl unwandelbarer
Liebe, welches Du mir einflößest. Nun du selbst
mir den Muth giebst, dem bisherigen zaghaften
Zaudern ein Ende zu machen, frage ich Dich, ob
Du mein Weib werden willst, mein höchstes Glück."
Der Baron hatte seiner Nichte Hand erfaßt,
er fühlte sie in der seinigen eiskalt werden. Ihre
Wimpern waren gesenkt, aber ein warmer schwerer
Tropfen stahl sich unter ihnen hervor und fiel
auf Tankmar's Rechte nieder.
„Ich wollte lieber ein Glied verlieren", sagte
sie todestraurig, „als Euch betrüben, dennoch kann
ich Eurem Wunsche nicht willfahren."
Es ging ein fahler Schein über des Mannes
Gesicht. „Genug," sprach er bitter „ich hätte
mich von der einen Erfahrung belehren lassen
sollen, ich büße meine eigene Thorheit. — Weine
nicht, Agnese, Deine Thränen brennen auf
meinem Herzen. Laß vergessen sein, was ich
gesprochen habe. Sei fröhlich, damit ich nicht
zu fürchten brauche, Deine Jugend getrübt zu
haben."
Der Nachhall dieser Stunde bebte aber, trotz-
dem derselben mit keinem Worte gedacht wurde,
in allen Gemüthern nach. Der Kummer ihres
Sohnes konnte auch der treuen Mutter nicht
verborgen bleiben. Im Stillen hatte sie längst
Tankmar's Wunsch getheilt und konnte es nicht
begreifen, daß Agnese ihn ausschlug.
Mit dein Scharfblick verschmähter Liebe ahnte
der Baron vielleicht, daß das Mädchen nach dem
bevorzugten Bruder ausschaute, aber das trug
nicht dazu bei, ihm die Entsagung leichter zu
machen. Männlich sich beherrschend fand er der
Schwestertochter gegenüber bald den früheren Ton
37
des Wohlwollens. Es gewann den Anschein, als
wäre alles im alten Geleise, weil ein jeder sein
Leid vor dem andern verheimlichte. Tankmar
saß wieder viel über den Büchern, seine Ge-
sundheit litt ersichtlich unter dem verborgenen
Gram. Frau von Münikervdc sah ihn mit Leid-
wesen dem alten Trübsinn verfallen.
Die Urheberin all' dieses Leids, Agnese von
Loßberg empfand für den Augenblick nicht minder
den Druck dieser Verhältnisse. Sie aber wähnte,
Hinausblicken zu dürfen in eine freudige Zukunft.
Durch Eckebrecht's letzten Brief mit der Friedens-
botschaft, der im Frühling 1783 eintraf, wehte
ein warmer Hauch, ihn umschmeichelte gleichsam
Heimathluft. Aus ihm sprach des jugendlichen
Eckebrecht leicht erregtes, überströmendes Gefühl.
Nach seinen Lieben in Welsen breitete er die
Arme aus und äußerte unverhohlen seine Freude,
auch Agnese dort zu finden. Weitere Mittheilungen
verschob er auf das „will's Gott, nahe Wieder-
sehen".
Diese dem jungen Oberst in greifbarer Nähe
vorschwebende Rückkehr sollte indessen noch uin
ein volles Jahr verzögert werden, eine Zeit voll
Harrens und Bangens, ohne die Erleichterung
gegenseitiger Mittheilung.
Endlich, als wieder die Staare auf den
blühenden Obstbäumen die schillernden Flügel im
Sonnenlicht bewegten, kam ein Bote, von Herrn
von Loßberg entsandt. Er brachte die Mittheilung:
„Ich habe Schwager Eckebrecht auf dem Durch-
marsch nach Marburg frisch und gesund hier
gesprochen. Sobald er es irgend ermöglichen
kann, wird er heim kommen."
Freudig, jedoch mit Seelenruhe sahe« Mutter
und Bruder dem Wiedersehen nach langer
Trennung entgegen, alle Gefahren lagen ja nun
hinter dem Zurückgekehrten. Gott hatte Flügel
über ihn gebreitet. Agnese hingegen dehnten sich
diese letzten Tage des Wartens zu unerträglicher
Länge aus. Voll Ungeduld, hoffte sie auf einen
Zufall, welcher der Berechnung des Ohmes zum
Trotz den heißersehnten Onkel früher herführen
sollte, als die andern es erwarteten. Von rast-
loser Unruhe getrieben, ging das Mädchen oft-
mals den Weg hinunter, den er kommen mußte,
aber immer blickte sie vergeblich die Straße ent-
lang, sie blieb verödet.
Der Juni war bereits in's Land gekommen
und hatte Berg und Thal mit seinem frischesten
Grün geschmückt. Wiederum war sie hinaus ge-
gangen und schickte sich eben an, unverrichteter
Sache heimzukehren, als ein Knabe des Weges
daher kam und ihr mit einer Art Heimlichkeit
ein Briefchen in die Hand steckte, worauf er
schleunig verschwand. Verwundert betrachtete Agnese
das Billet, ihr Herzschlag stockte, und ihre Hand
zitterte, dasselbe trug Eckebrecht's Schriftzüge.
„Liebe kleine Agnese!" lautete der Inhalt,
„Du bist immer gut und liebevoll gegen mich
gewesen, so wirst Du mir auch meine erste Bitte
nach der Rückkehr nicht abschlagen. Ich muß Dich
ohne Zeugen sprechen, bevor ich in den Familien-
kreis trete. Auf dein wohlbekannten Ruheplätzchen
in der Schlucht wartet Deiner in Devotion Onkel
Eckebrecht."
Tausendmal hatte sich das Mädchen den Augen-
blick des Wiedersehens ausgemalt und immer
gewünscht, dem über alles Geliebten allein zu
begegnen. Bevor seine Angehörigen ihre Rechte
an ihn geltend machten, wollte sie das Geständnis;
seiner Liebe und Treue empfangen. Wie be-
schwingt eilte sie den Waldweg zur Schlucht
hinab. Jetzt bog sie die verschlungenen Zweige
auseinander, ihr junges, liebliches Gesicht strahlte
von Glück und Erregung, doch stockte der Fuß iu
banger, jungfräulicher Scheu, die auch den Freuden-
schrei ihrer halbgeöffneten Lippen zurückdrängte.
Vor ihr auf der Rasenbank saß die hohe Ge-
stalt des Onkels. Er hatte den Kops in die
Hand gestützt und erhob erst beim Knacken eines
Astes das gebräunte, männlich schöne Antlitz.
Im nächsten Augenblick stand er neben dem
bebenden Mädchen, das vermeinte, er müsse es
wortlos an sein Herz ziehen. Eckebrecht aber
ergriff nur ihre beiden Häude und sagte, sie
anschauend: „Wie groß und schön Du geworden
bist, Agnese." Sein Wesen war beherrscht von
einer Befangenheit, welche es ihm schwer machte
das rechte Wort zu finden. Daß dieses aber keine
Liebeserklärung enthalten würde, fühlte die Nichte
schon beim Freigeben ihrer Hände.
Sie schüttelte denn auch den Bann ab, der
ihre Zunge gefesselt hielt und sagte innig: „Du
hast ein Anliegen, Onkel Eckebrecht; fordere, was
Du willst, wenn ich Deinen Wunsch erfüllen kann,
ist er gewährt."
„Siehst Du, darauf rechnete ich bei meinem
treuen Kameraden. Setze Dich zu mir, liebe
Agnese, es ist nicht in zwei Worten gesagt."
Sie folgte willenlos und blickte erwartungsvoll
zu ihm auf.
„Du kennst Mama," begann er, „sie will
auch bei den flügge gewordenen Kindern das erste
Wort mitreden. Im Augenblicke des Wiedersehens
möchte ich keine Verstimmung bei ihr hervorrufen,
darum ..."
„Wenn Du Geld brauchst," unterbrach ihn
Agnese liebevoll, „ich kann über mein mütterliches
Erbtheil verfügen."
88
„Gutes Kind", entgegnete er ihre Hand er-
greifend. „Nein, das ist es nicht, ich habe eine
Gattin mitgebracht, der ich einen freundlichen
Empfang in ihrer künftigen Heimath sichern
möchte."
Das Mädchen schnellte von dem Sitz empvr,
ihm ihre Hand entreißend, griff sie damit »ach
dem Herzen. Einen Augenblick war es ihr, als
drehe sich alles mit ihr im Kreise herum, aber
sie gewann ihre Fassung wieder, bevor ihr Nachbar
gewahren konnte, wie jäh und tief er ihr Herz
mit seiner Mittheilung verwundet hatte.
„Du brauchst nicht sv sehr zu erschrecken," fuhr
der Offizier fort, „ich führe Euch nicht etwa eine
Schwarze oder Rothhaut zu. Alice ist eine voll-
kommene Lady aus vornehmer englischer Familie,
vielleicht reichlich verwöhnt für die beschränkten
Verhältnisse von Münikerode. Ich habe gedacht,
wenn Mutter einverstanden wäre, da Tankmar
nicht heirathet, ..."
„Du irrst," entgegnete Fräulein von Loßberg,
„Ohm Tankmar wirbt um mich, und ich stehe
im Begriff, ihm mein Jawort zu geben."
(Fortsetzung folgt.)
Isis rille Miillerlein.
Ich ging einmal spazieren
Im hellen Frühlingsschein,
Da saß an grüner Hecke
Ein altes Mütterlein.
„Freut Ihr Euch auch der Blüthen?
So hab' ich sie gefragt,
Da lächelte sie müde ,
lind hat zu mir gesagt:
„Ich freu’ mich nicht der Blüthen,
In iitir ist's todt und still,
Ich bi» allein auf Erden,
Möcht' sterben —, wenn's Gott will.
Es sind gestorben alle,
Die ich geliebet hab',
Zuletzt bei Gravelotte
Da legte man in's Grab
Mir meinen Sohn, den letzten.
Nun seh' ich jede Nacht,
Wie seine Brust durchschossen
Ward einst in wilder Schlacht,
Und wie er liegt verlassen
Aus blut'gem Feld, mein Bub',
Bis man ihn mit den Andern
In einer Gruft begrub.
Ich wollt', ich wär' im Himmel
Bei meinem lieben Sohn,
Ich glaub', die Wunden heilten
Ta oben lange schon." —
Und heute schallen Glocken
Mit lautem, hellen Klang.
Sie dringen durch die Lüste
Wie froher Siegessang.
Das macht sie läuten endlich
Zur- Ruh' das Mütterlein.
Das mag nun wohl im Himmel
Bei seinem Sohne sein..
Haina. Hmikie Schect.
Nr Kon- sll mirh bie die Dann. *)
. (Schwälmer Mundart.)
Gesah höt fället die Sonn
Dott hengerm Hollerbüsch stieh
Ee Poor bie Annleis ö Kon. 3)
Dos harr4) ööch gor net gestieh 5).
Dos wor dos Poor net gewohnt;
Dos lüß sich sah nür vomm Mond.
Dr Mond sit mieh bie die Sonn.
Os Kammerfänster bei Dük,
Ha, stehj dr Külle6) noch nie.
Bei Nücht em gor naut dro lük.
Om Blüumebrät 7) saß sich's so schie 8).
Seng Steihje wvddööch belohnt;
Doch eemol sah es dr Mond.
Dr Mond sit mieh bie die Sonn.
Grod höt dr Källe in Monz 10)
Vom Annleis häzhaft gekrecht;
Do schmonzt1X) dr Mond : „Na, die kvnns!12)
Bann Kon de Hals nür net brecht!
Dos Bläumebrüt es scho mosch ls).
Es wär doch schvd fer de Bosch u|!
Ha, ich sah mieh bie die Sonn!"
*) Der Mond sieht mehr als die Sonne. 2) Gesehen
hat selten, 3) dort hinter dem Holunderbusche stehen ein
Paar wie Anna Elisabeth und Konrad, 4) hätte, 5) nicht
gestanden (wäre unpassend gewesen), 6) stieg der Kerl,
7) Blumenbrett, 8) schön. 9) Sein Steigen wurde,
einen Kuß, li) lächelte, 12) können es, 13) morsch,
") Burschen.
Kurt Hlutzn.
39
Aus alter und neuer Jett.
Kurfürst Wilhelm I. von Hessen hatte
wie bekannt einen tiefen Haß gegen alles Fran-
zösische. Er wollte auch keine französische Musik hören.
Trotzdem liebte er sehr die kriegerischen Weisen
Gasparo Spontini's, die er für italienische
hielt, obwohl dieser der eigentliche Komponist des
französischen Kaiserreichs war und seit 1804 in
Paris lebte. (1820 — 1842 war Spvntini General-
musikdirektor in Berlin und starb 1851 in
Jesi im Kirchenstaat, seinem Geburtsort). Zur
glänzenden Feier der Rückkehr des Kurfürsten sollte
Spontini's „Vestalin" 1813 auf der Kasseler Hos-
bühne zur Ausführung kommen. Aber die In-
tendanz konnte nur das Textbuch auftreiben, nicht
auch die Partitur. Die Zeit drängte. Da setzte
sich, wie man sagt, der kurhessische Hofkapell-
meister Karl Guhr, dieses musikalische Genie des
Leichtsinns, hin und schrieb in wenigen Wochen
eine Musik in Spontiui's Art zu dem bekannten
Libretto. Man gab diese improvisirte „Vestalin"
für die Spontini'sche, und der Kurfürst war be-
friedigt , nicht ahnend, daß er sich damit recht tief
unter den ihm so verhaßten französischen Geist
gebeugt hatte. So erzählt uns W. H. Riehl in
seinem Werke: „Musikalische Charakterköpfe, ein
kunstgeschichtliches Skizzenbuch". I. S.
Aus Heunath und Fremde.
Am 22. Januar vollendete der Professor
Dr. Eduard Zeller in Berlin sein acht-
zigstes Lebensjahr. Der berühmte Philosoph
beging diesen Tag in stiller Zurückgezogenheit.
Dies hinderte aber nicht, daß ihm zahlreiche
Gratulationen und Ehrungen zu Theil wurden.
Die Kaiserin Friedrich sandte Blumen. Das
Kultusministerium und die Universität ließen ihm
durch Vertreter ihre Glückwünsche abstatten.
Se. Majestät der Kaiser ernannte ihn zum
„Wirklichen Geheimen Rathe" mit dem Titel
„Excellenz", und wurde ihm das von dem ge-
summten Staatsministerium gegengezeichnete Patent
durch den Kultusminister Dr. Bosse überreicht.
Drahtgrüße in großer Anzahl bezeugten die Ver-
ehrung , die der Jubilar in allen Theilen der
Welt genießt. — Von 1849 bis 1862 wirkte der-
selbe als Professor der Philosophie in Marburg.
Er war eine Zierde der dortigen Universität.
Unserer verehrte Freund Dr. D. Saul in Stutt-
gart hat in der „Deutschen Rundschau" ein vor-
treffliches Lebensbild dieses klassischen Geschichts-
schreibers der Philosophie entworfen, aus welches
wir unsere Leser ganz besonders aufmerksam zu
machen nicht verfehlen wollen. — Wir behalten
uns vor, in der nächsten Nummer unserer Zeit-
schrift eine kurze Biographie des gefeierten Gelehrten
zu bringen.
Mit Schluß des Monats Januar d. I. werden
es 25 Jahre, daß in der belletristischen Beilage
zur „Hessischen Volkszeitung", in beu „Feier-
stunden", die hessische Erzählung „Roth-Weiß"
aus der Feder Ludwig Mohr's ihren Abschluß
fand. Diesen Zeitpunkt betrachtet der Verfasser
als den Beginn seiner schriftstellerischen Thätigkeit.
Seitdem sind 25 Jahre verflossen und wird, wie
wir hören, der Genannte um jene Zeit sein
25jähriges Schriftstellerjubiläum im Kreise einiger
vertrauter Freunde feiern. Die dritte Auslage
von „Roth-Weiß" befindet sich in Vorbereitung.
Diese hessische Erzählung fand gleich bei ihrer ersten
Veröffentlichung ganz außerordentlichen Anklang
und wird heute noch mit größtem Interesse ge-
lesen. Es wird daher auch das Erscheinen der
neuen Auflage in Hessen freudig begrüßt werden.
Universitäts n a ch richten. Den Privat-
dozenten in der philosophischen Fakultät der Uiti=
versität Marburg Dr. Karl Wenck und
Dr. R e i n h a r d B r a u n s ist das Prädikat
„Professor" verliehen worden. — In der philo-
sophischen Fakultät der Universität Marburg
hat sich Dr. A. B r a u e r als Privatdozent
Habilitirt und wird am Sonnabend den 3. Februar
seine Antrittsvorlesung „über neuere Entwickelungs-
theorien" halten. — Wie der „Vossischen Zeitung"
gemeldet wird, wird' vom nächsten Halbjahr ab in
M a r b u r g der Vorstand des dortigen Staats-
archivs, Archivrath Dr. G. K ö n n e ck e, Vor-
lesungen über A r ch i v w i s s e n s ch a s t
halten und Seminarübungen in dem neubegründeten
staatswissenschaftlichen Seminare des Professors
Paul Kehr veranstalten.
Todesfälle. Am 18. Januar verschied an
der Influenza, 86 Jahre alt, zu Kassel der
frühere Gymnasiallehrer Professor Dr. Johann
Karl Flügel. Die „Hessischen Blätter" widmen
dem Verblichenen einen warmen Nachruf, den wir
nachstehend wiedergeben: Professor Dr. Flügel
war am 7. Juni 1807 als der Sohn eines
Fabriks-Vorstehers 51t Hanau geboren, besuchte das
dortige Gymnasium und studirte zu Heidelberg
Philologie. Von 1830 bis 1832 war er Privat-
lehrer zu Frankfurt a. M., dann Gymnasiallehrer
zu Hanau und Marburg. Im Jahre 1835 kam
er bei der Umwandlung des alten Lyceum Fri-
dericianum in ein Gymnasium als Lehrer an dieses
40
und ist hier verblieben bis zu seiner Pensioniruug-
die am 17. September 1870 erfolgte. In dieser
Stellung hat er über ein Menschenalter lang die
volle Kraft seines. Lebens entfaltet und galt bald
allgemein als die bedeutendste Lehrkraft der An-
stalt. In der That war er ein geborener Lehrer
und fand in der hingebenden Ausübung seines
ungewöhnlich hervorragenden Lehrtalentes diejenige
tiefe Lebensfreude, die den alten Junggesellen sich
selbst und seinen Schülern stets frisch erhielt und
ihn so vor dem Fluche mechanischer Schulmeisterei,
der inneren Verödung oder äußeren Verzopfung,
schützte. So konnte es ihm auch an der Liebe und
Verehrung der langen Reihe von Generationell
seiner Schüler nicht fehlen, bereit Dankbarkeit in
der nach seiner Pensionirung erfolgten Gründung
einer „Flügel-Stiftung" und in der Feier seines
80. Geburtstages (1887) auch öffentlich zu weithin
vernehmbarem Ausdrucke gelangte. Der „alte
Flügel", der außerhalb der Schule vor allem als
ein eifriger Theaterbesucher und Kenner der Musik,
namentlich derjenigen Mozarts, bekannt war, wird
im Hessenlande und namentlich in der Stadt Kassel
noch lange unvergessen bleiben. - Am 19. Januar
verschied in seinem 94. Lebensjahre der letzte
Kasseler Veteran der Freiheits-Kriege,
Hosgärtner a. D. Wilhelm En bell, der, am
8. Juni 1799 geboren, im Jahre 1813, 14*/2
Jahre alt, im Corps der kurhessischen freiwilligen
Jäger den Besreiungskamps mitmachte.
Hessische Bücherschau.
Vor Kurzem erschien in dem Verlag von
Thienemann's Hofbuchhandlung (V. Schröder) in
Gotha ein Bändchen „Gedichte" von Ernst
Wolsgang Heß von Wichdorss. - Die tief
wurzelnde, sehnsuchtsvolle Anhänglichkeit des Ver-
fassers an seine hessische Heimath, die ja auch den
Grundton der meisten der Gedichte bildet, welche
unsere Zeitschrift ihm zu verdanken hatte, kommt
in dieser Sammlung an vielen Stellen warm zum
Ausdruck und sichert ihr eine sympathische Auf-
nahme bei dem hessischen Leser. K. K.
Von unserem verehrten Landsmann Johann
Lew alter sind vor Kurzem im Verlag von
Ries & Erler vier neue Lieder erschienen, die den
Komponisten wiederum als geschickten, feinfühligen
Interpreten seines Textes erkennen lassen. Seine
Gabe, das Wort des Dichters zu musikalischem
Ausdruck zu bringen, tritt wie ein Recensent in
einem Kasseler Blatte schreibt, am vollendetsten zu
Tage bei dem Geibel'schen Lied „Wenn sich zwei
Herzen scheiden", für das er ergreifende Töne ge-
funden hat. Seine schlichte, dem Volksliede ver-
wandte Art musikalischer Empfindung weiß stets, ~
mag seine Weise ernst oder heiter sein , zu
unserem Herzen zu sprechen. Vielleicht aber ist
seine Begabung am ausgeprägtesten für die in
Moll-Akkorden erklingende Sprache seelischen Leides;
wenigstens erscheinen uns die dieser Gattung an-
gehörenden Kompositionen zu seinen besten zu ge-
hören, wie auch das zuletzt erschienene Lied: „So
reißt sich eines los vom andern". Ein Gedicht
desselben Verfassers Wilhelm Speck finden
wir auch hier: „Vater, er ist hingegangen", die
Klage des Mädchens um den verlorenen Geliebten.
Dichter und Sänger ergänzen sich bei demselben
auf's Glücklichste. Die trauliche Zwiesprache des
Mädchens mit dem gefiederten Boten, dem sie
Grüße an den fernen Friedl aufträgt, erzählt uns
das niedliche Liedchen „Mädchen und Buchfink",
das ebenfalls einen Hessen, den Sammler der
Kasseler Kinderlieber, Gustav Eskuche, zum Ver-
fasser hat. Ein konventionelles Thema behandelt
endlich in ansprechender Weise ein Wiegenlied von
Karl Preser.
Erklärung.
In Nr. 24 des vorjährigen Jahrgangs des „Hessenlands",
Seite 321, ist in der Besprechung des „Heßler'schen
Sammelwerks: „SagenkranzausHessen-Nassau",
zweite Auflage, unter anderem gesagt, daß die neue
Auflage durch Ausscheiden unechter Sagen Vortheilhaft
von ihrer Vorgängerin abstäche. Da dies Ausscheiden
größten Theils Balladen betrifft, die meinem Merkchen:
„Edderg 0 ld" einseitig entnommen wurden, — es machen
dieselben den dritten Theil desselben und den zehnten Theil
der ersten Auflage des Heßlerschen Sammelwerks aus —,
finde ich mich durch die bezeichnete Bemerkung verletzt.
Nicht Echtheit oder Unechtheit der Sagen, soweit sie meine
Balladen betreffen, sind bei der Fortlassung aus der
zweiten Auflage maßgebend gewesen, sondern der Umstand,
daß ich dem Herausgeber wie Verleger zum Schutze meines
eignen Merkchens die Verwerthung nicht gestattete.
Eschwege. Ludwig Mohr.
Inhalt der Nr. 8 der „Touristischen Mittheilungen aus
Hessen-Nassau und Waldes, herausgegeben von Dr. phil.
Fritz Seelig in Kassel: Städte-Bilder. — Im Reinhards-
walde. — Berichte. — Anzeigen.
Inhalt der Nummer 3 des „Hessenlandes": „Leichter
Sinn", Gedicht von Otto Braun; „Hessische Städte und
hessisches Land vor hundert Jahren: II. Die Haupt- und
Residenzstadt Kassel", vonF.Zwenger; „Die hohen Feiertage
in Marburg vom 15. bis 23. Juni 1653", von G. Th. Dith-
mar ; „Die Taufe des Prinzen Friedrich Wilhelm von Hessen";
„Ohm und Onkel", Erzählung von C. von Dincklage-Campe
(Fortsetzung); „Das alte Mütterlein", Gedicht von Emilie
Scheel; „Dr Mond sitmieh bie die Sonn", Gedicht in Schwäl-
mer Mundart von Kurt Ruhn; Aus alter und neuer Zeit;
Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Er-
klärung von Ludwig Mohr.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zw enger in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. .Scheel in Kassel.
Das Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 11/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Wogker A. H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Farbenfreude.
^^ch liebe dich, stolzes Bekenntniß des Lebens —,
¿55 Ich liebe dich, strahlende Krone der Zeit,
Aufjauchzende Schönheit, du Tochter der Sonne —,
Du Blüthe des Lichtes, der Freude geweiht.
Ich hab' dich gegrüßet mit stammender Seele,
So oft du herabstiegst im Purpurgewand,
Geliebte des herbstes, die Stirne voll Blumen,
Unendlichen Reichthum in strahlender Hand.
In Wäldern und Bergen, in einsamen Gründen
Hab' ich dich gefunden, du himmlisches Weib,
Du Tröst'rin der Armen, der sehnenden Augen —,
Du gütigstes Herz in dem wonnigsten Leib.
Allmutter der Künste: del Sarto und Dolci
Und ihrer Gebrüder unendlichen Reihen —,
Du hast ihn geboren —, das ewige Leben
In ewigen Werken ist, Schöpferin, dein.
Du schöne Gesang'ne in schimmernden Gläsern —
Du fröhl'che Genossin im ärmlichsten Raum —,
Du heilige Gabe des Gottes der Sonne —,
Du Menschen-Entzücken —, begeisterter Traum!
Du senkst ans die Meere dein glühendes Antlitz —,
Du wandelst der göttlichen Herrlichkeit froh
Durch die Wundersammlung der Medicäer,
Durch Schiffe und Hallen von San Marco.
O süßes, unendliches Iugendgeheimniß,
Du Liebesverband zwischen Sonne und Welt,
Du streust in die Nacht die unendlichen Sterne
Und schimmernden Mohn in das wogende Feld.
Du hast dich dem Abend, der sinkenden Sonne
Mit der Glut deiner stammenden Seele vermählt.
Ich liebe dich, stolzes Bekenntniß des Lebens —,
Ich liebe dich, Farbe, du Schönheit der Welt.
W. Keröert.
42
Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren.
ii.
Die Haupt- und Residenzstadt Kaffel.
Von F. Zw eng er.
CA ls eine Hauptschöpfung des XVIII. Jahr-
r\ Hunderts bezeichnet der Verfasser die Karlsaue.
o V Mit begeisterten Worten schildert er dieselbe
und citirt zum Schlüsse den Ausruf Klopstock's
„Welch' schönen Gedanken hat hier Landgraf
Karl in unseres lieben Herrgotts Schöpfung
hineingeworfen!" Es wird dann des Friedrichs-
platzes und der Oberneustadt gedacht und nament-
lich die Umgebung der letzteren „als eine stolze
Reihe von hängenden Gärten und Weinbergen,
eine ganze Stadt von Gürten" hervorgehoben,
wie auch der Verfasser nach Beschreibung der
weiteren Umgebung und der Aussicht von dort
aus sagt: „Ich wüßte nicht viele deutsche Städte,
die von sich ans solchen Ausblick haben könnten!"
In der Beschreibung heißt es weiter: „Außer-
dem ist Kassel von allen seinen Thoren aus nach
den Landstraßen hin mit Alleen bepflanzt, die
Gegend zwischen der Stadt und dem Weißensteine,
die von einer Seite noch ein bloßer rauher,
ziemlich unfruchtbarer Kalkberg ist, hat dergleichen
durch den seligen Landgrafen erhalten, wie auch
Wege nach und durch die umliegenden Dörfer-
hin. Auch verschönert jetzt die Stadt selbst durch
Pflanzungen diese Höhe, wo man sonst nur Kalk
brannte."
Ein Gebäude, das dem Verfasser besonders
gefüllt, ist das Modellhaus: „Zu Kassels neuer
Gestalt gehört ferner ein Haus, das meines
Wissens Kassel vorzüglich eigen ist, ein sogenanntes
Modellhaus. Das Gebäude selbst ist das ge-
meinste in seiner Art, liegt auch gleichsam zur
Seite des Paradeplatzes versteckt; allein es ent-
hält alle die architektonischen Denkmale des
schöpferischen und unternehmenden Baugeistes von
Landgraf Karl. Das Modell vom Karlsberg mit
allem, was er werden sollte, eine architektonische
Epopee, dem Herkules gleichsam gewidmet, der
auf dem wirklich ausgeführtem Hauptwerke, auf
einer Pyramide von Kupfer und 31 Fuß hoch in
den Wolken steht, alles am Modell im Verhältniß
des Kleineren zum Berg im Großen. Außerdem
wirklich in und um Kassel und in's Land hin
gebaute und für seine fürstliche Nachkommenschaft
hinterlassene Gedanken, — Städte, Gärten,
Schlösser, Brücken. Wer mit diesen neuen Ideen
den Anblick der alten, aus Korkholz nach der
Natur verfertigten Ruinen des ehemaligen Roms
im Museum verbindet, der traf Altes und Neues
großer und schöner Baukunst, auch ohne die Ge-
bäude selbst zu sehen, vor sich." Ueber die Bilder-
galerie läßt sich der Autor nur in den folgenden
wenigen Worten aus: „Ich führe die 1749 von
Landgraf Wilhelm VIII. erbaute Bildergalerie
nicht wegen des Gebäudes an, denn das ist noch
unvollendet, sondern wegen der strengen Auswahl
von Stücken der besten Meister, unb um dieser
Auswahl willen kann sie den viel größeren
Bildersammlungen anderer Städte an die Seite
gestellt werden".
In längerer Beschreibung verbreitet sich der
Verfasser über das Opernhaus (Theater), die
frauzösische Kirche, die Fayade des „französischen
Rathhauses", das Posthaus und das Museum
Fridericianum, über die er sich gleichfalls mit
großer Anerkennung ansspricht.
Der Verfasser geht nun zur Beschreibung des
Hofstaates und der politischen Verfassung in
Kassel über, die wir möglichst wörtlich wieder-
geben :
„Das, was Kassels Verfassung als Hauptstadt
für das Land und für sich selbst in Rücksicht
auf Hof, Rechtspflege, Polizei, Kriegs-, kirchliche,
Kommerz- und andere Verfassungen ist, folgt hier-
von dem Gesichtspunkte, daß die statistische Ge-
schichte einer solchen Hauptstadt zum Theil Schilde-
rung derjenigen vom Lande ist. Der Hofstaat in
Kassel ist der Würde des Fürstenthums an-
gemessen. Er hat außer einem Oberkammerherrn
und dieser eigentlich seit der Regierung des Land-
grafen Friedrich II. alle sogenannten Oberhof-
ämter; die Zahl von Kammerherren, Kammer-
und Hofjunkern beträgt nicht über fünf. Die
Gemahlin des Landgrafen, bekanntlich eine
43
königlich dänische Prinzessin, hat einen Oberhof-
meister, einen Kammerherrn und drei Hofdamen;
der Erbprinz einen adeligen Hofmeister mit Ge-
heimrathsrang ; die Prinzessinnen eine Ober-
hofmeisterin; und die Kammer- und Hofjunker
der obigen haben bei ihnen abwechselnd die Auf-
wartung. Der Leib-, Jagd- und Livreepagen
sind gemeiniglich gegen zwanzig. Sie machen
jedoch in ihrer eignen Pagenverfassung für den
Dienst bei Hof einen Theil des Kadettencorps
aus. Indessen legen sich doch einige derselben
von Zeit zu Zeit aus die Studien. Das Hof-
marschallamt und das nunmehrige Oberhofgericht
halten ihre Sitzungen in einem dem Schlosse
gegenüber zur Apotheke zugleich erbauten neuen
Hause. Wegen des Hofhanshaltes hat bei jenem
ein adeliger Kriegs- und Domänenrath, wegen
der Rechtssachen haben bei diesein zwei Regierungs-
räthe und ein gelehrter Hchgerichtsrath, auch
Assessor, Sitz und Stimme. Der Marstall hat
einen Oberstallmeister und adeligen Stallmeister.
Noch ist ein Ueberrest vom Falkonierwesen unter
einem Oberfalkenmeister da; diese Jagd selbst
findet in der Ebene von Wabern unb dem
mainzischen Fritzlar statt, wo die Flüsse Schwalm
und Edder die desfalls in Wäldchen gehegten
Reiher hinziehen. Der Antheil des thätigen und
immer beschäftigten Landgrafen daran ist gering;
eine Parforcejagd ist gar nicht mehr vorhanden.
Der Hof hat alle Künstler, welche Nothwendigkeit
und Geschmack erfordern, und von Handwerks-
meistern die besten. Kassel, wo die Fürsten von
jeher bauten, hat sie so vollkommen, als Paris
sie nur haben kann. Der hessische Handwerks-
hursche, der auf Hofarbeit rechnet, reist gern nach
Frankreich und England. Es ist ein Vortheil
für den Staat, wenn man sie reisen läßt, lind
eine Akademie der bildenden Künste, wenn sie
auch, wie sie doch thut, keine Maler, Bildhauer
und Baumeister erzog, bildet als Zeichenschule sie
für schönen Geschmack.
„Der Hoshaushalt ist anständig, aber nicht
verschwenderisch. Seine Vergnügungen sind die
gewöhnlichen, deren ein Hof nicht ganz entbehren
kann, auch der Kassel'sche nicht, weil Kassel
größtentheils und noch ohne ein ausgezeichnetes
Kommerz nur das hat, was der Fürst an seinem
Hof und durch Bezahlung seiner Dienerschaft
und seines Kriegsstaats ausgiebt. Uebrigens ist
Wilhelm's IX. Hof ein deutscher durch seiner
fürstlichen Herrschaften Denkungsart, durch seinen
Adel, Sitten und Gebräuche. Die deutsch-fran-
zösischen Höfe hören im heiligen römischen Reiche
aus, seit der Kaiser Joseph und die deutschen
Fürsten nunmehr deutsch erzogen werden. Wenn
die Gestalt der geistlichen Höfe hin und wieder
zu kirchlich aussehen sollte, so haben vielleicht die
protestantischen von der Größe des Kassel'schen
ein allzu kriegerisches Aussehen. Dies ist der
Unterschied der Höfe unserer Zeit und der von
der Vorhälfte dieses Jahrhunderts. Daher erscheint
denn auch der ganze Civilstaat nach und nach
in Uniform. Der Kassel'sche hat Hof-, Jagd-
und Uniformen der Kriegsbediensteten, die keine
Offiziere sind. Die Mitglieder der Kollegien
erscheinen iwch bis jetzt in einem ehrwürdigen
Schwarz. Der Aufenthalt des jetzt regierenden
Herrn für seine Person ist der Weißenstein, den
er sicherlich zu einem der prächtigsten Sommer-
sitze umschafft. In den eigentlichen Winter-
monaten ist's dgs Orangeriegebäude (?). Ob
nun gleich der Hof eigentlich da ist, wo sich der
Fürst aufhält, so ist derselbe doch im eigentlichen
Verstände, was Cour, Tafel und andere hierher
gehörige Dinge betrifft, im Residenzschloß der
Stadt, dem es an keinen dazu nöthigen Zimmern
und Sälen, auch für besuchende hohe Herrschaften,
fehlt.
„Von hohen Landeskollegien ist der Geheime-
rath , der unter jedesmaligem Vorsitze des Land-
grafen aus den geheimen Staatsministern
besteht, das erste; die Sitzungen werden im
Schlosse oder auf dem Weißenstein an festgesetzten
Tagen gehalten, und eine geheime, eine Kriegs-
und Landkanzlei haben die Ausfertigung der
genommenen Entschlüsse zu besorgen. Diese
letzteren sind im sogenannten Renthof, wo sich
eigentlich die höchsten Kollegien überhaupt befinden.
„Der Minister, die zum Theil die Kriegs-,
Justiz-, Finanz-, Stiftung, Post, auswärtige und
andere sogenannte Departements innehaben, sind jetzt
sieben, doch sind nur sechs gegenwärtig, da der eine
fürstlich hessischer Komitialgesandter zu Regensburg
ist. In Kassel sind königlich dänische, groß-
britannische und römisch-, auch russisch-kaiserliche
Gesandte akkreditirt, die aber zum Theil nicht
in Kassel wohnen, sondern nur zu gewissen Zeiten
hinkommen.
„In Kassel hat auch seinen Sitz das Ober-
appellativnsgericht und zwar im Renthofe;
gegenwärtig besteht es ans einem Präsidenten,
vier Räthen, auch manchmal einem vdcr mehreren
Auditoren. Was aber Kassel als Hessens Haupt-
stadt für das ganze Land vorzüglich wichtig
macht, ist die fürstliche Regierung, weil sie im
Namen des Landgrafen Landeshoheitsrechte und
Justizsachen verwaltet, vor den übrigen Kollegien
also die höchste ist. Ein Präsident, der geheimer
Staatsminister ist, ein Vizepräsident, Vizekanzler,
acht wirkliche Regierungsräthe, vier Justizräthe
44
und ebensoviel Assessoren mit und ohne Stimme
machen die eigentliche Regierung ans. Sie ist
in drei Senate getheilt; der erste hat die Hoheits-,
Kirchen-, Lehen-, peinliche und Vormundschasts-
sachen, die beiden anderen theilen sich in alle
Justiz und Prozesse betreffenden Sachen. Da
das Konsistorium mit ihr verbunden ist, so ist
jeder Regierungsrath auch Konsistorialrath, doch
sitzen noch dabei drei geistliche Konsistorialräthe
und ein Syndikus. Wenn die Regierung Lehen-
sachen besorgt, die ihr alle aufgetragen sind, so
ist sie der eigentliche Lehenhof, und an einem der
Verhandlung vormundschaftlicher Sachen gewid-
meten Tage in eben benfetben Mitgliedern das
Pupillenkollegium. Die Anzahl der in Kassel
sich aufhaltenden Sachwalter, die an diesem
Kollegia Regierungsadvokaten und Prokuratoren
und nach einem alten Herkommen, ohne daß sie
nothwendig graduirt sein müssen, im gemeinen
Leben Licentiaten genannt werden, ist nach dem
Verhältniß der Geschäfte und dieser Pflanzschule
künftiger Jnstizbeamten nicht so stark wie ander-
wärts, doch haben noch die Untergerichte ihre
eigenen Advokaten.
„Seit dem Jahre 1760 hat Kassel ein aus
Generalspersonen und Räthen bestehendes Kriegs-
kollegium, welches die Besorgung des Militär-
wesens und die Gerichtsbarkeit über alle Per-
sonen hat, die dazu gehören, doch so, daß seine
Aussprüche dem Oberappellationsgerichte unter-
worfen sind. Das, was Militärökonomie im
Großen und Kleinen betrifft, so ist dasselbe unter
einem Generalkriegskommisiare, der ein General-
lieutenant und geheimer Staatsminister ist, einem
Generalkriegskommissariat, sogenanntem Kriegs-
pfennigamt, und einer Kommission untergeben,
welche letztere die Rekrutirung, Remontirnng und
Montirnng durch jenen, einen General von dem
Fußvolk und einen von der Reiterei besorgt.
Dieses provisorische Kriegsdepartement hat jetzt
auf der Oberneustadt das Gebäude, in welchem
sonst sich das nunmehr zum Wohle des Staats
abgeschaffte Lotto befand.
„Ein besonderes Kommerzkollegium sorgt in
Kassel für alles, was dem Handel in Stadt und
Land, dessen Beförderung, auch Manufakturen
und Fabriken betrifft, entscheidet alle dahin ein-
schlagenden Streitigkeiten und spricht nach dem
Frankfurter Wechselrecht; doch wird in Sachen,
die 200 Thaler übersteigen, an das Ober-
appellationsgericht gegangen. Es besteht seit
1763, hat einen Präsidenten und außer gelehrten
Räthen von anderen Kollegien Kaufleute als
eigentliche Kommerzräthe, Assessoren und Kom-
missarien. Gegenwärtig beschäftigt es sich unter
anderem mit Beförderung des Seidenbaues durch
das ganze Land hin. Der Absicht dieses Kom-
merzkollegiums entspricht es sehr, daß sogenannte
Kommerzdeputationen in anderen beträchtlichen
Städten Hessens als solche mit ihm in Verbin-
dung stehen; die Mitglieder derselben haben im
Kasselffchen Kollegium Sitz und Stimme, sobald
sie in die Hauptstadt kommen. Nach dem weisen
Grundsätze der jetzigen Negierung, nach welchem
der Landgraf Manufakturen und Fabriken lieber
anderen überläßt als selbst betreibt und durch
Aufhebung manches schädlichen Licents seinem
bisherigen doch nur vermeintlichen Interesse
entsagt, läßt sich von dergleichen Anstalten etwas
versprechen. In ben beiden seit 1763 angelegten
Messen der Oberneustadt hält dieses Kollegium
zur Entscheidung laufender Händel täglich
Sitzungen; der künftige Flor beider hängt nun
freilich noch vom Landeskommerz selbst ab; gegen
die Einrichtung, auch die Lage der Stadt in
Rücksicht auf Messen läßt sich übrigens nichts
sagen. Die Anstalten für die Kaufleute beson-
ders, wozu noch ein wohleingerichtetes Meßhaus
gehört, sind sehr zweckmäßig.
(Fortsetzung folgt.)
Vas hessische Postwesen unter Landgraf Wilhelm IX.,
nachherigem Kurfürsten Wilhelm I.
Von Schwalm in Marburg.
'Wie Kaiser des heiligen römischen Reiches
Wf deutscher Nation hatten anfänglich einen
Botendienst eingerichtet, um ihre Briefe und
Befehle nach den entfernt gelegenen Provinzen
tragen zu lassen und Nachrichten von dort her
zu empfangen. Von Kaiser Friedrich III.
(1440—1493) wurden diese Botenposten erweitert,
und tritt hierbei zuerst ein italienischer Edel-
mann: Roger von Tassis, als Vermittler
ein, indem der Kaiser mit ihm, wahrscheinlich
im Jahr 1451, einen Vertrag abschließt. Dann
war es Maximilian I. (1493—1519), der
einst in verzweifelte Klagen ausbrach, daß er
nicht an allen Orten seines Reiches zugleich
45
gegenwärtig sein könnte, daß aber die Bvten, so
seine Befehle an die Grenzen und in's Burgunder-
land tragen sollten, an keinem Wirthshaus vor-
beigehen könnten, ohne anzuhalten, dem Weine
zu Liebe, auch sonst ihren Botendienst verab-
säumten und höchst unzuverlässig wären. Zur
Abstellung der hervorgetretenen Itebelstände er-
theilte Maximilian an I. von Tassis in den
Jahren 1496 und 1498 verschiedene Privilegien.
Letzterer richtete in Folge dessen zunächst die
Linie von Wien nach Brüssel mit berittenen
Boten ein, welche die Briefschaften in einem
Felleisen bei sich trugen. Diese erste Linie wurde
sehr bald durch Zweiglinien nach Frankreich,
Hamburg und im Süden nach Mailand, Venedig,
ja bis nach Rom erweitert, und in den wich-
tigsten Städten und Grenzorten wurden Anstalten
zum Sammeln und Ausgeben der Briefe wie
zuin Wechseln der Pferde errichtet.
Den für die Entwickelung des Postwesens
grundlegenden Vertrag schloß Karl V. (1519
bis 1556) mit I. und F. von Tassis ab.
Der Zweck desselben war vorwiegend, das ge-
rammte Postwesen des weit ausgebreiteten Reiches
ganz den Tassis zu sichern, und wurden beide zu
Generalpostmeistern ernannt. Sie konnten in
ihrem Verwaltungsgebiet frei schalten, mußten
aber vorab die Beförderung sämmtlicher könig-
licher Briefschaften übernehmen. Der Vertrag
trat am 15. November 1525 in Kraft. Inner-
halb 12 Tagen mußten die niederländischen Posten,
innerhalb 20 Tagen die spanische, römische,
neapolitanische, deutsche und französische Post in
Thätigkeit sein. Die Fristen, in denen die Ent-
fernungen zurückgelegt werden mußten, waren
gegen früher herabgesetzt; in mäßiger Entfernung
wurden daher überall Stationen angelegt.
Kaiser Rudolph II. befestigte durch ein
Patent vom Jahre 1595 dem Hause Thurn
und Taxis*) den Besitz der Postgerechtsame in
sämmtlichen kaiserlichen Landen und ernannte
das damalige Haupt des Hauses, Leonhard von
Thurn und Taxis, wiederum zum Generalpvst-
meister und seinem Nachfolger, Lamoral von
Thurn und Taxis, wurde abermals durch ein
kaiserliches Dekret die Belastung des Privilegiums
„für sich und seine männlichen Erben zu Lehen"
bestätigt.
Weil allerlei Unzuträglichkeiten unter der Ver-
waltung der Thurn und Taxis entstanden, die
Reichspostmeister sich übermüthiger Willkür und
trotziger Ueberhebung schuldig machten, auch den
*) Die ursprünglich italienischen Edelleute Tassis
hatten sich inzwischen in Deutschland naturalisiren lassen
und den Namen Thurn und Taxis angenommen.
Portosatz nach Belieben hoch schraubten, ent-
standen viel Klagen aus dem Volke.
Von den deutschen Reichsfürsten waren es die
Regenten von Brandenburg-Preußen und
die von Hessen, welche sich um die den Tassis
ertheilten Privilegien micht kümmerten, vielmehr
in ihren Staaten eigene Posten gründeten. Sv
wurden z. B. unter den beiden Kurfürsten
Joachim I. und II. (1499—1571) alle landes-
herrlichen und Privatbriefe durch 30 vereidete
Boten bestellt. Sie besorgten gleichzeitig auf
ihren Berufsgängen die Briefe in's Ausland,
nach Böhmen, Sachsen, Oesterreich, ganz Süd-
deutschland, Holland, Dänemark re., sammelten
und bestellten unterwegs, was ihnen eingehändigt
wurde, und ließen sich dafür nach Willkür einen
Bestellerlohn bezahlen. Unter dein Kurfürsten
Friedrich Wilhelm wurden statt der Botenposten
Reitposten eingestellt, und 1646 wurden dergleichen
Posten auch nach und aus Rußland eingerichtet,
desgleichen auch nach Warschau.
Von den Landgrafen von Hessen war es schon
Philipp der Großmüthige (1509—1567),
welcher wie die Kurfürsten Joachim I. und II.
ein geregeltes Pvstwesen in seinen Landen ein-
führte. Dasselbe wurde im Laufe der Zeit von
den Regierungsnachfolgern, gleich wie in den
preußischen Landen, immer mehr vervollkommnet.
Die letzte Organisation in Hessen unternahm
Landgraf W i h e l m IX., indem derselbe ver-
altete Verordnungen aufhob und eine neue das
gesammte Postwesen umfassende Postordnung
unter dem 9. Mai 1788 erließ.
Im Eingang dieser Postordnung wird gesagt:
„um den richtigen Lauf und die Sicherheit
der Posten, woran Staat, den: Cvmmerciv und
einem jeden Reisenden und in Correspvndenz
stehenden Particulier so sehr gelegen, zu erhalten
und .... das lins zustehende Postregal in
unseren Landen auf einen guten Fuß durchgängig
zu setzen. . . ." Sie umfaßt 80 Paragraphen;
die W 1, 3, 4, 8, 9, 11, 25, 26, 27, 34, 35,
47, 49, 55, 62, 65, 66, 67, 70, 71, 73, 74,
76, 77, 78, 80 handeln von den Beamten
(Postmeister, Postverwalter und Posthalter) und
Unterbeamten (Postbediente); von deren Unter-
ordnung unter das Oberpostamt und dessen
Directorio, von ihren Rechten und Pflichten in
ihrer dienstlichen und privatrechtlichen Stellung
und von den einzelnen ihnen zufallenden Dienst-
zweigen. Die 88 2, 5, 6, 10, 11, 14, 23, 41,
47, 48, 52, 56, 57, 59, 64, 78 handeln von
den Rechten und Pflichten der Postillone, von
ihren Dienstverrichtungen bei Ueberführung der
ordinären Posten nebst Beiwagen, der Extra-
46
Posten, Couriers und Estafetten; die §§ 7, 8,
12, 60 handeln von den Posthäusern und
Passagierstuben, von der äußeren Bezeichnung
der ersteren. In den §§ 13—22, 24, 40, 42—45,
47, 50, 51, 53, 54, 58, 61, 63, 75, 76, 77
sind die Vorschriften enthalten über die einzelnen
Dienstzweige, über die Versendungsgegenstände,
als Briefe, Packete, Geld- und Werthsendungen,
über Passagiere und Extrapostreisende nebst deren
Gepäck, über die Poststraßen re. lind der Nest,
nämlich die 88 22, 28—33, 36—39, 46, 68,
69, 72, 79 enthält die Vorschriften über den
Postzwang, über Inhalt und Beschaffenheit der
aufgeliefert werdenden Gegenstände, über verloren
gegangene Sachen, über Aushülseleistung der
Pferdebesitzer in besonderen Fällen re.
Dem Landgrafen war es hoher Ernst, daß die
fahrenden Posten sicher überkamen und die zu
befördernden Sachen nicht geraubt oder verun-
treut wurden, denn im 8 58 heißt es: „Ueber-
haupt wollen Wir, daß den Posten auf Straßen
und Wegen Sicherheit geleistet werde und befehlen,
daß sich bey Lebens- und Leibesstrafe niemand an
den sauf den Postens befindlichen Personen, Sachen
und Paqueten vergreifen, oder solchen einigen
Schaden und Nachtheil zufügen soll." Das Post-
institut und die Beamten desselben sowie die
Postillone werden außerdem unter den besonderen
Schutz des Landesherrn gestellt, auch den Post-
häusern, den Beamten und Postillonen von dem-
selben besondere Vorrechte gegeben, damit das
Volk den nöthigen Respekt habe. Alle Zuwider-
handlungen gegen die ergangenen Vorschriften
werden in jedem einzelnen Falle unter hohe Strafe
gestellt.
Diese Postordnung behielt Geltung bis zur
Errichtung des Königreichs Westfalen unter
Jöröme, welcher die hessischen Posten mit denen
der Posten in den anderen Gebietstheilen verband
und für dieselben gemeinsame Vorschriften erließ.
Nach der Rückkehr des angestammten Herrschers,
nun (seit 1803) Kurfürsten Wilhelm I. in
seine Lande erhielt die von ihm erlassene
Postordnung ihre Geltung wieder; derselbe er-
gänzte sie noch durch das am 14. Oktober 1815
herausgegebene Reglement über die Extraposten,
Couriers und Estafetten. Dies Reglement be-
stimmt die Entfernungen auf den Haupt- und
Nebenkursen iin Lande von Ort zu Ort nach
Meilen, dann die Taxen pro Pferd und Meile
bei Extraposten, Courieren und Estafetten, die
Taxen für die bedeckten und unbedeckten Post-
kaleschen pro Meile, die Höhe des Pvstillvns-
trinkgeldes und des Schmiergeldes.
Der Kurfürst mochte aber doch wohl einsehen,
daß es besser sei, wenn das hessische Postwesen
dem eines anderen größeren Postgebiets eingefügt
werde, und daß dies den Unterthanen sowohl als
der Staatskasse große Vortheile eintragen würde.
Ein Anerbieten des Hauses Thurn und Taxis
zur Uebernahme der hessischen Posten kam ihm
daher ganz gelegen, und so entschloß er sich denn
im Jahre 1816, dieselben in die Verwaltung
jenes Hauses zu geben und zwar gegen Zahlung
eines jährlichen Kanons von 40 000 Thalern.
Die vom Kurfürsten erlassenen Vorschriften be-
hielten zwar ihre Geltung, allein die Thurn und
Taxis erlangten nun doch das Postwesen, nach
welchem die Ahnen über 300 Jahre lang gestrebt
hatten, und das in dieser langen Zeit von den
Landesherren gehütet und gepflegt üwrden war.
In dem am 29. Juni 1816 abgeschlossenen
Vertrag heißt es: „...........zur Erreichung einer
dem handelnden und correspondirenden Publico
vortheilhaften, sowie den allgemeinen Verkehr be-
fördernden Gleichförmigkeit (übertragen Wir) dem
Fürsten Carl Alexander von Thurn und Taxis
für ihn und seine männlichen Nachkommen die
Würde eines kurhessischen Erblandpostmeisters,
auch damit als eigentliches Erb-Mann-Thronlehn
das nutzbare Eigenthun: und die Verwaltung
sämmtlicher Posten in Unserem Kurstaate. —
Das Postregale mit allen seinen Ausflüssen,
das Obereigenthum der Posten, sowie alle Hoheits-
rechte über dieselbe, namentlich: die Ergreifung
jeder Maßregel, welche die Sicherheit und das
Wohl des Staates und des Publikums erfordern
können, die Ausübung der Postpolizeigewalt und
das uneingeschränkte Gesetzgebungsrecht in Post-
sachen und alle dahin einschlagende Gegenstände
bleiben Uns und Unseren Nachfolgern in der
Regierung als Landes- und Lehnsherrn lediglich
vorbehalten."
Demzufolge unterlagen die Pvrtotaxen bei den
reitenden und fahrenden ordinären Posten und
die Taxe für Beförderung der Extraposten, Couriers
und Estafetten, ferner Verträge und Konventionen
über Anknüpfung und Verbindung der Posten
mit denen anderer Staaten der landesherrlichen
Genehmigung; die vorhandenen Postordnungen
und Reglements verblieben in voller Kraft und
waren zukünftig nur vom Landesherrn zu erlassen;
Postbeamte und Postoffizianten hatten nur die
vom Landesherrn verordnete Uniform und die
Unterbeamten die verordnete Livree, die Postsiegel
aber die Aufschrift „Kurhessisches Postamt"
(Verwaltung, Station re.) zu tragen, die Post-
häuser und Postcomtoirs als äußeres Erkennungs-
zeichen das kurhessische Wappen zu führen; in
der Eidesformel, welche die Dienstinstruktion der
47
Postoffizianten enthielt, durften keine Aenderungen
ohne landesherrliche Genehmigung vorgenommen
werden. Zur Besetzung der Poststellen durften
nur Landeseingeborene dem Landesherrn in Vor-
schlag gebracht werden, deren Bestätigung er sich
vorbehielt, auch die Verleihung der Titel war
lediglich seine Sache. Alle Administrations-
Transport-, Unterhaltungs- rc. Kosten (einschließlich
der Besoldungen und Pensionen der Beamten
und Unterbeamten) sowie die Entschädigungs-
beträge für in Verlust gerathene Sachen hatte
der Erblandpostmeister zu bestreiten. Zum Schluß
wurde vonr Kurfürsten dem unter der neuen
Verwaltung stehenden Postwesen der landesherrliche
Schutz und alle bisherigen Begünstigungen zu-
gesichert. Als staatliche Kontrolbehörde wurde
die „Kurfürstliche General-Post-Inspection" in
Kassel eingesetzt.
Es dürfte hier noch zu erwähnen sein, daß der
Erblandpostmeister im Laufe der Zeit noch weitere
Verpflichtungen zu übernehmen hatte, insbesondere
die Zahlung der Pensionen, welche auf Grund
des im November 1836 zwischen der kurfürstlichen
Staatsregierung und dem Fürsten Erblandpost-
meister verabredeten „Pensions-Regulativ für die
Kurhessischen Postbeamten, sowie deren Hinter-
bliebenen Wittwen und Waisen" festgesetzt wurden.
Die Privilegien der Fürsten von Thurn und
Taxis, welche ihnen ungeheuere Reichthümer ein-
brachten, fanden in den 60er Jahren ihr Ende:
Nach dem von Preußen glücklich beendeten Krieg
von 1866 wurde das gesammte fürstlich Thurn
und Taxis'sche Postwesen von diesem Staate in
Administration genommen, und ging dasselbe dann
nach dem zwischen dem preußischen Staat und
dem Fürsten Maximilian Karl von Thurn und
Taxis am 28. Januar 1867 abgeschlossenen
Vertrag in seinem ganzen Umfange mit allen
Rechten und allem Zubehör an unbeweglichem
und beweglichem Eigenthum, Inventarien, Uten-
silien rc. in das Eigenthum, den Besitz und Genuß
des preußischen Staates über. Als Entschädigung
erhielt der genannte Fürst 3 Millionen Thaler.
Ohm und Onkel.
Erzählung von C. von Dincklage-Campe.
(Fortsetzung.)
^l er Oberst war so sehr in seine eignen Ange-
l| legenheiten vertieft, daß ihm das anfängliche
Schweigen seiner Zuhörerin nicht aufgefalleit
war. Jetzt, wo sie sprach, erschrak er fast vor dem
herben Klang ihrer Stimme, der wie einer ge-
sprungenen Glocke alle weichen Akkorde fehlten.
Von seinem Sitz gleichfalls aufspringend rief
er: „Agnese! das willst Du thun?"
„Was ist da zu verwundern? Ohm Tankmar
ist der klügste und edelste Mensch, der jemals
ein treues Herz in der Brust trug; warum sollte
ich ihn nicht glücklich machen?"
Eckebrecht biß sich auf die Lippen. Die lang-
jährige Gewohnheit, Agnese als ihm verbunden
anzusehen, hatte ihn hingerissen, bis er sich be-
wußt ward, daß er selbst jedes Anrecht an das
Mädchen verloren hatte.
„Ich verstehe durchaus nicht," nahm Fräulein
von Loßberg wieder das Wort, „was mir dies
alles soll, warum Du nicht freimüthig vor Deine
Mutter hintrittst, ihre Vergebung zu erbitten.
Die alte Frau sehnt sich längst danach, Dich in
die Arme zu schließen."
„Weiß Gott, Agnese, daß ich nicht feige bi»,
habe ich bewiesen, aber mit dem Bekenntniß
meiner ohne ihre Zustimmung eingegangenen
Ehe vor sie hinzutreten, fehlt mir der Muth.
Ich hoffte, Du würdest es übernehmen, Mama
vorzubereiten und sie zu überzeugen, daß die
Verhältnisse mich zu ungesäumtem Handeln
drängten. Wenn Du mich anhören willst, wirst
auch Du vielleicht das harte Urtheil ändern,
welches in Deinen Zügen geschrieben steht."
„So rede," lautete ihre Antwort, „aber mache
es kurz und sei wahr, sofern ich Dir beistehen soll."
„Liebe kleine Agnese!" begann er weich. „Immer
hat mein Herz Dir angehangen, und wenn es
auch, leicht entflammt, für die wechselnden Ein-
drücke weiblicher Schönheit nicht unempfindlich
war, immer kehrte es zu Dir zurück."
„Das habe ich nicht zu hören verlangt", schaltete
das Mädchen ein.
„Nein, aber Du willst Wahrheit."
„Komm zu Deiner Heirath, das andere ist
Nebensache."
„Wohl! Bei Lady Hemfort vereinten sich dem
Reize einer bestrickenden Erscheinung Geist und
Herzensgüte. Wenigstens durfte ich auf letztere aus
der sorgsamen Pflege schließen, durch welche sie in
Philadelphia mein Leben rettete. — Was soll
48
ich's verschweigen, daß ich sie damals glühend
verehrte, jedoch so, daß keinen von uns beiden
ein Vorwurf trifft. Ich wollte vergessen, und
ich vergaß! Es kam endlich der Friede, mein
Sinnen und Trachten flog der Heimath zu.
Schon war alles zu unserer Einschiffung bereit,
als im letzten Augenblicke ein anderes Regiment
vorgeschoben wurde. In diese unwillkommene
Wartezeit fällt mein Wiedersehen mit Alice. Ihr
Mann war in den Kämpfen des Südens gefallen,
sie flüchtete zu mir in dem vollen Vertrauen aus
die Beständigkeit meiner einst unberechtigten Ge-
fühle. In ihrer grenzenlosen Verlassenheit, allein
im fremden Lande, klammerte sie sich an den
Schlitz des Freundes, auf dessen Dankbarkeit sie
ein Anrecht hatte. Als Mann von. Ehre, als
Kavalier glaubte ich nicht anders zu können, als
der in ihrer Hülflosigkeit doppelt schönen Frau
möglichst bald den gesetzlichen Schirm meines
Namens zu geben. Ihr werdet sie lieben, meine
Alice, ich biil dessen gewiß."
Die zuckenden Lippen der Gefährtin schienen
eine bittere Aeußerung zurückzuhalten. „Ich will
für Dich sprechen," sagte sie, sich erhebend, „folge
mir langsam bis zur Terrasse."
Sie schritt vor ihm her mit der stolzen Haltung
einer Siegerin, plötzlich hemmte sie den Schritt,
um zil fragen: ob Christian mit ihm gekommen sei.
„Der arme Schelm", erwiderte der Offizier,
„schläft in frcinder Erde, ein Fieber hat ihn fort-
gerafft. Ich habe ihn gepflegt wie einen Bruder,
aber gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen."
„Arme Jlsabe!" seufzte Agnese. Ohne ein
weiteres Wort zu verlieren, schlug sie einen
Seitenpfad ein, der sie rascher zum Ziele führte.
Sie achtete es nicht, daß Dornen und Disteln
ihr Kleid und ihre Hände ritzten und der Fuß
auf dem unebenen Boden strauchelte. Es schien
ihr ein Abbild des Lebensweges, der nun vor ihr
lag, und den sie auch unbeirrt, mit Gottes Hülse,
gehen wollte.
Frau von Münikerode hatte ihre Enkelin
bereits vermißt, in dem Gartenzimmer, dessen
offene Thür auf die Terrasse mündete, kam sie
ihr entgegen. Agnese schlang beide Arme um den
Hals der überraschten alten Frau und barg das
glühende Antlitz an ihrer Schulter.
„Großmama," flüsterte sie „dies ist ein Freuden-
tag für Dich, er schenkt Dir zwei Töchter auf
einmal. Eckebrecht bringt eine schöne, geliebte
Gattin heim, für die er Deinen Segen erfleht.
Tankmar aber soll nicht traurig bei Seite stehen,
ich will sein treues Werben erhören. Du darfst
es ihm sagen."
Der Baronin versagten die Füße den Dienst,
die Wucht dieser Neuigkeiten erdrückte sie fast.
Das Mädchen führte sie zu einem Sessel, kniete
neben ihr nieder und erzählte mit beredten Worten
alles, was zu des Onkels Rechtfertigung dienen
konnte.
Während sie sprach, trat, von den Frauen
unbemerkt, Tankmar ein. Der stumme Zeuge
ihrer Unterredung horchte hoch auf, als er ver-
nahm mit welchem Eifer Agnese der unbekannten
Frau seines Bruders das Wort redete. Sein
Herz begann in neuer Hoffnung zu schlagen, wie
freudig wollte er den Heimgekehrten begrüßen,
wenn dieser nicht zwischen ihm und seiner Liebe
stand.
Den Sturm der verschiedenartigen Gefühle und
Erwägungen unterbrach Eckebrecht's Erscheinen.
Agnese entwich alsbald, die drei durch engste
Bande des Blutes verknüpften Menscben sich selbst
überlassend. Sie lenkte ihre Schritte in die
Arbeitsräume des Hauses. Einen Augenblick
zögernd, öffnete sie die schwere eichene Thür
der Gesindestube, wo sie Jlsabe allein, mit
einer Näharbeit beschäftigt, antraf. Hier in
der Abgeschlossenheit weinten zu dieser Stunde die
beiden Mädchen ihre bitteren Thränen in schmerz-
licher Umarmung, obwohl eine solche Gemeinschaft
gegen alles Herkommen arg verstieß. Welche von
ihnen den erlittenen Verlust am schmerzlichsten
empfand, wer mag es ermessen! Jlsabe genoß
das Vorrecht, ihren Gram nicht verbergen zu
müssen, sie sah sich als ein Vermächtniß Christian's
an und widmete fortan ihre treuen Dienste seinem
geliebten Herrn.
Alle Hände, die sich rühren konnten, mußten
an diesem Nachmittage zugreifen, um Frau Alice
von Münikerode einen würdigen Empfang zu
bereiten. Ihr Gatte hatte sie ruhebedürftig in
Olsberg zurückgelassen. Jetzt legte der alte
Kutscher das beste Geschirr auf die vier wohl-
genährten Braunen, um die „junge Gnädige"
einzuholen. —
Agnese und Jlsabe rüsteten die Fremdenkammer,
doch mochte es kein gutes Omen sein, daß
Thränen verlorener Liebe niederfielen auf die
blendend weißen Linnen, welche die Mädchen über
die aufgebauschten Federbetten schlichteten.
VII.
Auf Herrn von Loßberg's Wunsch brachte
Agnese ihren Brautstand im Elternhause zu.
Diese Aufforderung befreite das junge Mädchen
nicht allein aus der peinlichen Lage, welche fremdes
und eigenes Verschulden ihr in Welsen bereitet
hatten, sie kam auch dem längst gehegten Ver-
langen entgegen, ihren Frieden mit den Eltern
/
— 49
zu schließen —, nicht als ob die Stiefmutter ihr
sympathischer erschienen wäre, sondern weil die
Trennung sie auch dem Vater entfremdete, zu dem
sie stets mit Liebe und Ehrfurcht aufgeblickt hatte.
Frau von Loßberg ging aus die Aussöhnung mit
vollster Bereitwilligkeit ein, das heißt, sie vermied
jede Andeutung einer Mißhelligkeit; die bräutliche
Tochter ward im Vaterhause mit offenen Armen
und allen ihr zustehenden Empfangsfeierlichkeiten
aufgenommen.
Frau von Loßberg war keine kleinliche Natur,
die Haupttriebfeder ihres Handelns bildete der
Ehrgeiz. Ihr Gatte diente ihr als Staffel, auf
welcher sie bereits zu der höchsten Stellung am
Hofe herangeklommen war. Als Wirklichem
Geheimen Rath stand ihni die „Excellenz" zu.
Seine Gemahlin nahm einen Platz bei Hofe ein,
von dem sie auf inanches ohne Puder ergraute
Haupt herabblicken durfte.
Stellte Agnefe Vergleiche an zwischen den beiden
schönen Frauen, denen sie so ganz wider Willen
nahegetreten war, so neigte sich das Zünglein der
Waage doch bedeutend nach Aurora's Seite herab.
Das Streberthum ihrer Stiefmutter erschien ihr
weit erträglicher als die launenhafte Liebens-
würdigkeit Alicens, welche stets auf Triumphe
ihrer Eitelkeit bedacht war. Vielfach durch die
Huldigungen der Männer verwöhnt, fand sie es
nur natürlich, ihren Gatten zugleich als obersten
Sklaven zu betrachten. Daß Eckebrecht sich diese
Behandlung widerstandslos gefallen ließ, empörte
Agnesens Rechtsgefühl bis zum Ingrimm. Des
Obersten ebenfalls scharf ausgeprägter Egoismus
erblickte im Lobe der Schönheit seiner Frau ein
billiges Mittel zur Versöhnung, wenn diese ihm
wegen kleiner Rücksichtslosigkeiten schmollte.
Daß Niemand ahnte, welche bittere Enttäuschung
Agnese erfahren hatte, erleichterte es ihr in ge-
wisser Weise, den Schmerz über diese Niederlage
muthig zu bekänipfen. Sie hätte sich selbst ver-
achten müssen, wenn sie auch nur in Gedanken
eine Untreue gegen Tankmar begangen hätte.
Daß der Eckebrecht der Wirklichkeit vielfach von
dem idealen Wesen ihrer Phantasie abwich, be-
wirkte eine allmälige Wandlung in ihren
Gefühlen zu Gunsten Tankmar's. Jetzt, als feine
Braut, vermeinte sie erst seinen vollen Werth zu
erkennen.
In der That, wenn Agnese die Männer mit
einander verglich, mit denen sie verkehrte, so fand
sie keinen, den eigenen Vater nicht ausgenommen,
zu dem sie in gleicher Weise mit vollem Vertrauen
und aufrichtiger Hochachtung aufblicken konnte.
Des Barons reichem Wissen verband sich eine
seltene Herzensgüte und Lauterkeit des Gemüthes.
Inzwischen ward zu Welse» im Familienrathe
beschlvssen, Eckebrecht solle seine» Abschied nehmen
und das Gut Münikervde bewirthschaften. Damals
hielt man eine Vorbildung zum Landwirth ebenso
erläßlich als die Ausbildung der Frau zur
Führung des Hauswesens. Der Boden brachte
die Haushaltsbedürfnisse aus, und man glaubte
dieselben am Vortheilhafteste» iin eigenen Ver-
brauch auszunützen. Zudem war der Oberst des
Militärdienstes im Frieden gründlich überdrüssig
und diesmal taub gegen die Bitten der schönen
Frau. Alice weinte denn auch einen ganzen Tag,
und als sie sich endlich bewegen ließ, mit hinaus
zu fahren nach der Burg Münikervde, fand sie
alles dort „shocking“.
„Hätte ich es geahnt, daß Du mich hier iu
dem Felsennest einsperren willst, wäre ich lieber
in Amerika geblieben oder allein nach England
zurückgekehrt."
Der Baron suchte ihr zu beweisen, daß sie iu
Münikervde eine angenehme Gutsnachbarschaft
fänden und er alles aufbieten wolle, dies „Nest"
behaglich einzurichten. Als indessen seine Gattin
eigensinnig auf ihrer Mißachtung aller Vorschläge
beharrte, da schwoll auch ihm die Zornesader
und gereizt entgegnete er ihr:
„Wenn es Dir hier nicht gefüllt und ich nur
gut genug war, Dich aus Deiner hülslosen, ver-
lassenen Lage zu reißen, so gehe doch zu Deinen
liebevollen vornehmen Verwandten in England.
Damals wollten sie freilich nichts von Dir wisse»,
weil ihnen Deine ganze Feldzugs-Escapade nicht
anstand. Ich halte Dich nicht."
Es war ein fast haßerfüllter Blick, den die
Frau auf ihren Mann richtete, er aber kehrte
ihr den Rücken und blickte unverwandt in
das auch im winterlichen Schmuck anmuthige
Thal, auf welches die bleigefaßten Scheiben des
Erkerstübchens den Ausblick boten. O, wie anders
hatte er sich's dereinst gedacht, in sein Haus
einzuziehen!
In der Nacht nach dieser stürmischen Unter-
redung gab Alice zu Welsen Zwillingstöchtern
das Leben. In die für alle Theile unerquickliche
Stimmung der letzten Zeit brachten die kleinen
Wesen einen Strahl von Glück und Hoffnung.
Als Frau von Münikervde ihrem Sohne aus
jeden Arm eines der winzigen kleinen Geschöpfe
legte, ward es dem Kriegsmanne gar weich um's
Herz. Dies waren seine Kinder, und er gelobte
sich, der Mutter fortan mit Liebe und Nachsicht
zu begegnen.
„Nun wird schon alles gut werden", vermeinte
auch die Großmutter. „Alice wird Befriedigung
iu ihren mütterlichen Pflichten finden."
50
Im Frühjahr siedelte dann die jüngere Linie
Münikerode nach dem gleichnamigen Gute über.
Jlsabe, welche sich vom ersten Augenblick an der
Kinder angenommen hatte und die das Gedeihen
der Kleinen mit freudigem Stolz erfüllte, zog
mit den jungen Herrschaften, denen sie sich als
treue Dienerin mit Leib und Seele verpflichtet
fühlte.
In Welsen grünte und blühte alles der neuen
Herrin entgegen. Jni Mai holte sich Tankmar
sein Glück. Aber er wollte es zunächst ganz für
sich allein besitzen. Das junge Paar reiste mit
eigenen Pferden und Wage» in die Schweiz, sie
hatten ja Beide noch gar wenig von der Herrlich-
keit der Gvtteswelt gesehen. Einer sah mit des
Anderen Auge» voll Entzücken die großartigen
Schönheiten dieser Gebirgswelt. — Schließlich
überkam die Reisenden aber doch die Sehnsucht
nach dem eigenen Dach, unter welchem Großmutter
Münikerode die jungen Eheleute voll Ungeduld
erwartete.
Während in Welsen die Schwiegertochter der
alten Frau alle mühselige Arbeit aus der Hand
nahm und dem Hauswesen neues förderliches
Gedeihen verlieh, lebten die Münikeroder, ohne
irgend welche Rücksicht auf die Wirthschaft, nur
ihrem Vergnügen. Im Sommer in der schönen
Wald- und Berggegend herumzukutschiren, Besuche
zu machen und zu empfangen, das söhnte selbst
Alice mit dem unvermeidlichen Landleben aus.
Tankmar schüttelte den Kopf, und der alte In-
spektor rang die Hände, aber Niemand hatte den
Muth, einzugreifen.
Die Zwillinge, welche Edith und Elisabeth
getauft waren, zählten zwei Jahre und babbelten
schon allerliebst deutsch und englisch durcheinander,
als sie für einige Zeit nach Welsen in Tante
Agnesens Obhut gegeben wurden. Sie fühlten sich
dort sehr wohl, denn Großmama und Tante
beschäftigten sich den ganzen Tag mit ihnen,
während sie zu Hause meist auf Jlsabe's Gesell-
schaft angewiesen waren. Eben trippelteil die
kleinen Dinger, immerfort plaudernd, an der
Muhme Hand über den Hof, um den Tauben
Futter zu streuen, als Eckebrecht auf schaum-
bedeckten Rosse in das Thor gesprengt kam.
Schon von Weitem schwenkte er seine Mütze und
rief der ihm entgegen Eilenden vom Pferde
herab zu: „Hurrah, ein Knabe, ein Erbherr
von Münikerode." Thränen liefen ihm über die
gebräunten Wangen, als er seine Kinder aufhob
und küßte und ihnen in jenem unwiederholbarem
Gekose von dem neuen Brüderchen erzählte.
Dann ging's ' in's Haus, der Mutter und
dem Bruder die Freudenbotschaft zu verkünden.
Tankmar ließ eine Flasche alten Weines herauf-
holen. „Komm, Bruder," sagte er, „wir wollen
ans das Wohl des kleinen Stammhalters trinken,
es wird Dir wohlthun nach dem angestrengten
Ritt. Wenn ich Anlage zum Neid hätte, wahrlich,
heute könnte ich ihm Raum geben."
Agnese war herangetreten, sie legte ihren Arm
um des Gatten Schulter und sagte leise, zu ihni
geneigt: „Ich dächte, Du beschiedest Dich mit
dem Glück, das uns zu Theil geworden ist."
„Du hast Recht, ein Kind inüßte mir einen
Theil dessen nehmen, was jetzt ganz und aus-
schließlich mein Eigen ist."
Sie sprachen Dies und Jenes. Eckebrecht
äußerte die besten Vorsätze. Er wollte seine Ver-
hältnisse ordnen.und sein Leben der Nothwendig-
keit anpassen. Daß es so nicht weiter gehen
konnte, hatte er längst eingesehen, aber es fehlte
ihni die Energie, gründlich dnrchzugreisen. Jetzt
sollte das anders werden.
„Ich glaube, daß es Dir rechter Ernst ist,"
erwiderte Tankmar, „aber Deine Frau wird
Dir das Gegenspiel halten, und Du ihr wie stets
um des lieben Friedens willen nachgeben, auch
wenn Du mit offenen Augen dem Ruin entgegen-
gehst."
„Nun, so schlimm ist es doch noch nicht,"
unterbrach ihn Eckebrecht. „Schmähe Alice nicht,
heute nicht, wo sie ein so großes Glück in mein
Haus gebracht hat. Sie wird es einsehen, daß
sie für unseren Sohn sparen muß. Lieber
Tankmar, wir wollten Dich bitten, dem kleinen
Mann Deinen Namen zu geben. Der älteste in
der Familie hat ihn allemal getragen, und wenn
die dritte Ader, wie man sagt, nach dem Gevatter
schlügt, ist das eine gute Aussicht für unser Kind,
ein Gegengewicht gegen das, was es von Vater
und Mutter erbt."
„Halt!" rief Agnese lachend, „Du wirst Tankmar
mit Deinen Schmeichelreden noch ganz eitel machen.
Da wir nun aber als Mann und Frau eins
sind, nehmen wir mit einander die Pathenstelle an."
lFortsetzung folgt.)
-»—i
51
Kirbeslikdep
von A. T r a b e r t.
I.
H komme vald! Ich rufe Pich.
Daheim! Daheim! O süßer Laut —
Und jetzt so wonneleer,
So öd' und einsam, daß mir graut;
Wie drückt mich das so schwer!
Mein Weib ist todt in's siebte Jahr,
Und, was von ihr mir blieb,
Mein Kind, das meine Freude war,
Hat mir entführt die Lieb'.
So ward zum Friedhos mir geweiht
Mein einst so heit'res Haus;
Nur Schatten der Vergangenheit
Geh'n traurig ein und aus.
O komme, die mein Herz begehrt
Als heißersehnten Gast.
O komm' und mache Du mir werth
Des Lebens müde Last.
Du, die so hold mich angelacht
Und jetzt mir weilt so fern,
O komm'! Erleuchte mir die Nacht
Als meiner Hoffnung Stern.
O komme bald! Ich rufe Dich,
Du Ende meiner Noth;
Komm'! Plaudre, kose, rette mich,
Sonst sehn' ich mich zu Tod.
II.
Lieve sei Pein Levenslauf.
Freunde bei den Aktenfächern,
Zecher bei den vollen Bechern,
Grüß' Euch Gott! Mir schmeckt's nicht mehr.
Seit ich, wo sie wohnt, gefunden,
Wandr' ich alle Tag und Stunden,
Sie nur suchend, hin und her.
Braune Aeuglein, hell und munter,
Grüßen gar so hold herunter
Und ich selber grüß' hinauf.
All' mein Denken, all' mein Sinnen
Ist ein einzig süßes Minnen,
Liebe ward mein Lebenslauf.
Wenn Ihr Nachts, vom Weine trunken,
Singt und lärmt in den Spelunken,
Geht das Pförtlein dort mir auf;
Und im Arme meiner Trauten
Horch ich nur den süßen Lauten:
„Liebe sei Dein Lebenslauf!"
Nennt Ihr mich darum den Thoren,
Fühl' ich mich wie neugeboren,
Fröhlich rufend mein Glückauf!
Und in allen meinen Liedern
Will ich jubelnd ihr erwidern:
Liebe sei Dein Lebeslauf!
III.
Eifersucht.
Wie glitzert's da droben Stern an Stern
lind alle küssen mein Liebchen so gern.
Sie küssen's mit gold'nen Strahlen
Allnächtlich zu tausend Malen.
Ihr Sternlein da droben, treibt's nicht zu toll!
Sonst zieh' ich de» Vorhang vor im Groll
Und küsse statt Eurer Strahlen
Sie heimlich zu tausend Malen.
Aus alter und neuer Zeit.
Das Kadettenhaus zu Kassel. Nach der
im Jahr 1806 erfolgten Auflösung der alten
Kadettenanstalt, welche sich in dem am Steinweg
gelegenen, spater „das Kunsthaus" genannten Hause
befand, wurde im Jahr 1809, unter der Leitung
des westfälischen Artilleriegenerals Mir, das
Gebäude in der unteren Königstraße, jetzt Proviant-
magazin, als Deolo d'Artillerie erbaut und im
Jahr 1815, neu hergerichtet, zum Kadettenhaus
bestimmt. Als solches hat es 51 Jahre hindurch
gedient, und findeil diese Auszeichnilngen daher
wohl einiges Interesse bei denjenigen, welche selbst
oder deren Vorfahren ihre militärische Ausbildung
in dieser Anstalt genossen haben.
Zum ersten Kommandeur wurde damals Oberst
von Cochenhausen ernannt. Verwaltungsoffizier
war Hauptmann Ruperti. Unterricht ertheilten: int
Planzeichnen: Hauptmann Wiegrebe; in der
Mathematik: Hauptmann von Radowitz; in der
Geographie: Rath Glaß; in der Geschichte: Hof-
rath Professor Niemeier; in der deutschen Sprache:
Kantor Vogt; in der französischen Sprache:
Mr. Hodiesne; im Fechten: Mr. Labassée; im
Reiten: Mr. Credo; im Tanzen: Balletmeister
Brümer. Das Exerziren dirigirte Oberst von
Cochenhausen persönlich, Ehrenches der Anstalt war-
der Generaladjutant des Kurfürsten, General-
lieutenant von Thümmel.
von Cochenhausen galt als ein sehr gelehrter
Offizier; ein von ihm erfundener Globus befindet
sich im Kasseler Museum. Wiegrebe und von
Radowitz waren Eleven der westfälischen Artillerie-
schule gewesen, sie trugen Artilleriennisorm tutb
wohnten in der Anstalt. Wiegrebe erregte bereits
1819 Aufsehen durch Aufstellung einer Leuchtgas-
Maschine, zu deren Besichtigung der Kurfürst
Wilhelm I. im Kadettenhause erschien; später, als
Chef des Generalstabes, wurde Wiegrebe berühmt
durch seine topographische Aufnahme von Kurhessen,
von Radowitz, welcher als Jüngling von seinem
Vater aus dem Schlachtfeld von Leipzig, hülslos
und verwundet, aufgefunden war, war kurhessischer
Generalstabsoffizier und trat 1823 in den
preußischen Militärdienst, wo er beim König
Friedrich Wilhelm IV. wegen seiner bedeutenden
geistigen Fähigkeiten in hoher Gnade stand. Nie-
meier war Schriftsteller und Herausgeber des
„Boten von Kassel". Credo, Bereiter, später
Stallmeister im kurfürstlichen Marstall, war ein
hervorragender Reiter und hat bis kurz vor seinem,,
1884, im 92. Lebensjahr erfolgten Tode Pferde
dressirt. Er hatte in seinem langen Leben viel
des Interessanten gesehen und war der Unterthan
von fünf resp. sieben Regenten gewesen, nämlich
von: Landgraf Wilhelm IX., Kurfürst Wilhelm I.;
König Jowme voll Westfalen; Kurfürst Wilhelm II.;
Kurfürst Friedrich Wilhelm; König Wilhelm von
Preußen, Kaiser Wilhelm I.
Die zwölf jungen Hessen, welche bei der Be-
gründung der Anstalt am 1. April 1815 kostenlos
in dieselbe aufgenommen wurden, stauben im
Alter voll 11 — 16 Jahren, ihre Namen waren:
A. von Bardel.eben, E. von Borck, G. voll Esch-
struth, von Ende, von Kaltenborn, F. von Knoblauch,
C. voll Starck, E. voll Sodenstern, A. von Stock-
hausen, F. voll Trott, W. von Trott und von
Uslar. Die ferner, bis zum Jahr 1821, auf-
genommenen Kadetten waren: F. von Apell, Gras
von Bocholtz, Fr. Boedicker, E. von Cochenhansen,
G. von Cochenhansen, E. voll Haynan, von Heister,
von Koenitz, von Kutzlebell, voll Minnigerode I,
von Minnigerode II, voll Motz, L. von Ochs,
voll Reinhardt, C. von Schenk, von Sturmseder,
L. von Spiegel-Peckelsheim, Schneider, von Wieder-
hold.
Gegell Zahlung einer kleinen Pension wurden
auch Ausländer in die Anstalt ausgenommen, was
häufig der Fall war. Die Unisormirung war die
des Fridericianischen Zeitalters. Beim Urlaub
war das Tragen eigenen Anzugs gestattet. Das
Kadettencorps hatte auch die Pagen zll stellen,
lind war im Hofdienst deren Borgesetzter der Hof-
kammerrath Knierim. Die Tracht der Leibpagen
war roth, die der Livreepagen blau, reich mit
Silber gestickt, kleidsam uub elegant. Sonnabends
und Sonntags durften die Pagen das Hostheater
befilchen, wo ihnen eine Loge reservirt war. Bon
52 —
1818 an traten alljährlich nach bestandenem Examell
drei bis fünf Kadetteil als Secondlieutenants in
die Armee.
H. v. U.
Laufen.
Ein wahres Geschichtlein von Friedrich Hang.
Anllo fllnszehnhundert vier und dreißig
Arbeitete Landgraf von Hessen fleißig.
Den Herzog Ulrich von Württemberg,
Lang seiner Gewohnheit Augenmerk,
Nach rebellischem Widerstände
Nun einzusetzen in seine Lande,
Und sandte keine geringe Zahl
Fußgänger voraus, die überall
Den Feind verjagtell. Ein Bot' erschien.
Sie führten zu Hessens Landgraf ihn.
„Wo sind die Feindet", ries lenkend den Haufen
Der Landgraf, und jener sprach: tu Laufen.
Das ist ein Städtlein am Neckarstrand,
Alls welchem der Feind im Hui verschwand.
„Hört", sprach der Landgraf, „ihr meine Krieger!
Die beste Vorbedeutung für Sieger!
Die Feinde sind im Lausen". Sein Zug
Verfolgte die Flüchtigen, drängt' uub schlug
Die zerstreuten Widersacher im Flug.
Und so vollführt im Hui wie begonnell
' Ward durch einWortspieldas Land gewonnen.
K. S.
Todesahnung. A. F. C. Vilmar erzählt in
seiner „Hessischen Chronik" aus dem Lebell der am
18. Februar 1722 zu Paris im Alter von 43 Jahren
verstorbellell F ü r st i n Charlotte Amalie
R a g o c z y, geborenen P r inz e s s i n z u
H e s s e n - W a n s r i e d, folgende Historie:
„Bor etwa 100 bis 200 Jahrhundert wurde
in beu fürstlichen Kreisen von den Personen des
Hauses Hessen ganz ernstlich geglaubt uub behauptet,
sie hätten die Gabe, in die Zukunft zu schauen,
Träume und Geister zll sehen. Es mag daran
gewesen sein, was da will schwerlich sehr viel —,
mit einer Person aus diesem Hause hatte es jedoch
seine Richtigkeit. Charlotte Amalie, älteste Tochter
zweiter Ehe des Landgrafen Karl voll Hessen-
Rheinfels zu Wanfried, wurde in ihrem 16. Lebens-
jahre, am 25. September 1694, mit dem Fürsten
Franz Ragoczy auö Siebenbürgen, dem welt-
bekannten ungarischen Revolutionshaupte, in Köln
vermählt und hielt sich mit ihm in Folge seiner
Abenteuer uub Schicksale an verschiedenen Höfen,
meist an dem polnischen zu Warschau uub an dem
russischen zll Petersburg, auf. Dem Strome einer
53
gottvergessenen und sich alles erlaubenden Zeit
solgte auch sie, und ihr Leben ist voll der selt-
samsten und anstößigsten Anekdoten und Abenteuer.
Dennoch trat auch in dies leichtsinnige und zer-
rüttete Leben einst das Mene Mene Tekel, die
Ahnung des Todes, mitten hinein und begleitete
dasselbe, bis sich die Ahnung erfüllt hatte. Während
sie, in den ersten Jahren des Jahrhunderts, sich
in Warschau aushielt, träumte ihr einst, ein fremder
Mann komme zu ihr in eine kleine Kammer, die
sie gleichfalls nie gesehen hatte; der Fremde bringt
ihr einen Becher und sagt, sie solle trinken; sie
verweigerte es mit dem Bemerken, sie habe keinen
Durst. Aber der Fremde wiederholte, sie solle
trinken, es sei dies der letzte Trunk, den sie in
ihrem Leben trinken würde. Darauf erwachte sie,
aber Gestalt und Gesichtszüge des Fremden, sowie
das Aussehen des Zimmers hatten sich ihr unaus-
löschlich eingeprägt, itnb öfters erzählte sie diese
sie niemals wieder verlassende Todesahnung theils
ihren Leuten, theils Anderen, zuweilen mitten in
dem Strudel der sinnlichen Lüste ihrer Zeit und
ihres Lebens. Als sie im Oktober 1721 nach
Paris kam, wohnte sie in einem Gasthanse, und
ließ, als sie sich übel befand, einen Arzt rufen.
Als derselbe, Dr. Helvetius, kam, erstaunte sie,
sah ihn starr an und sich darauf in ihrem Zimmer-
rings umher um. Ihr Begleiter, Graf Schlieben,
fragte sie, was ihr wäre, daß sie sich so verwunderte.
,Herr Helvetius', antwortete sie, ,ist eben derselbe
Mann, welchen ich in Warschau einst im Traum
gesehen habe und welcher mir den letzten Trunk
reichen wird; doch', fuhr sie mit Lachen fort, ,cm
dieser Krankheit werde ich noch nicht sterben, denn
dies ist das Zimmer nicht, in welchem ich mich
damals im Traum befunden habe.' Einige Monate
später wurde ihr eine Wohnung in einem Kloster
gemiethet, ohne daß sie dieselbe zuvor gesehen hatte.
Kaum betrat sie aber ihr Schlafzimmer daselbst,
als sie zu ihren Leuten sagte: ,Aus dieser Kammer
werde ich nicht lebendig kommen, denn dies ist
dieselbe, die ich vor Jahren in Polen im Traum
gesehen habe.' Damals war sie jedoch, wenngleich
sehr stark und schwer, vollkommen gesund. Ein
leichtes Zahnweh veranlaßte sie am 16. Februar 1722
sich einen Zahn ausnehmen zu lassen; es solgte
ein unbedeutendes Zahngeschwür und Fieber, worauf
man zur Ader ließ, — und kaum war dies ge-
schehen, so gab sie, am 18. Februar 1722, den
Geist auf, unerwartet für sie selbst wie für ihre
Umgebung. Ihr Zimmer hatte sie nicht wieder
verlassen, und Dr. Helvetius stand neben ihr und
reichte ihr den letzten Trunk."
Aus Hermath und Fremde.
Wie die Kasseler Zeitungen berichten, ist nach
längerer Unterbrechung seit dem 11. d. M. die
Sammlung hessischer Münzen im Frie-
drichs-Museum zu Kassel wieder zugänglich.
Den Freunden hessischer Geschichte, insbesondere
aber den Münzkennern, wird die Sammlung
manche Ueberraschung bereiten. Was seit Jahren
uub Jahrzehnten in Schränken verschlossen ge-
ruht hat, ist zum ersten Male öffentlich aus-
gestellt, der alte Besitz ist durch zahlreiche neue
Erwerbungen beträchtlich vermehrt worden, be-
kanntes Altes und unbekanntes Neues ist in
chronologischer Folge übersichtlich geordnet dem
Beschauer vorgelegt. Raummangel zwang zur
Zurückhaltung der Hessen - Darmstädter Münzen.
Sonst ist der ganze Besitz an hessischen Münzen
und Medaillen ausgestellt, der hessischen Prägungen
von Denaren der Sophie von Brabant bis zur
Medaille aus die Jubelfeier der Oberrealschule zu
Kassel, die Prägungen der Ziegenhainer, Henne-
berger, Hanauer, Schauenburger und Jsenbnrger
Grafen, der geistlichen Stifte Fulda, Hersfeld re.
Ein Stück deutscher Kulturgeschichte spiegelt sich
in dieser Sammlung wieder, die in 2600 Stücken
fast sieben Jahrhunderte umfaßt.
Die st u d e n t i s ch e n Korporationen zil
Marburg haben dem Rektor des vorigen Studien-
jahres, zeitigen Prorektor der Universität, Professor
Dr. Max Bauer, welcher bekanntlich bei seinem
Rücktritte vom Rektorate beit ihm von der Marburger
Studentenschaft zugedachten Fackelzng ablehnte,
nunmehr in Anerkennung seiner verdienstvolleil
Führung des Rektorates eine Adresse überreicheil
lassen, die, angefertigt vom Universitäts-Zeichenlehrer
Schürmann, ein Meisterwerk der Zeichenkunst ge-
nannt zu werden verdient. Das Titelblatt hat
folgende Inschrift:
Adresse der Korporationen an der alma mater
Phüippina. Dem Herrn Prorektor und Professor Dr.
Max Bauer, Ritter rc. gewidmet und dargebracht im
Wintersemester 1893/94.
Der Text lautet:
Hochzuverehrender Herr Prorektor!
Sehr geehrter Herr Professor!
Da es den Korporationen an der alma mater Philippina
leider nicht möglich war, Ew. Hochwohlgeboren den Aus-
druck ihrer Dankbarkeit persönlich darbringen und durch
einen Fackelzug die Verdienste, die Ew. Hochwohlgeboren
während der Zeit Ihres Rektorates um die gesammte
Marburger Studentenschaft unzweifelhaft erworben haben,
ehren zu können, so bitten dieselben Ew. Hochwohlgeboren
durch die Annahme dieser Adresse gütigst die Aeußerung
des Dankes der unterzeichneten Korporationen entgegen-
nehmen und dadurch bethätigen zu wollen, daß, solange
54
die alma mater Philippina steht, die Einigkeit zwischen
den Hochgeehrten Herren Professoren unb der Studenten-
schaft unverändert fortdauern wird.
Möge es Ihnen, Hochgeehrter Herr Prorektor und
Professor, beschieden sein, noch lange der Marburger
Universität zum Ruhme zu gereichen, zu Ehren der Wissen-
schaft, zu Nutz und Frommen der Studirenden.
Die Korporationen an der ahna mater Philippina.
Es folgen die Unterschriften der Chargirten.
Todesfälle. Am 12. d. M. verschied zu
Montreux iu der französischen Schweiz an den
Folgen einer Lungenentzündung im 79. Lebens-
jahre der königliche Eisenbahndirektions-Präsident
a. D. Sigmund von Schmerfeld. Der Ver-
blichene, geboren am 1. Oktober 1815 zu Kassel,
war vor 1866 oberster Leiter des Eisenbahn- und
Postwesens des Kurfürstenthums Hessen, später
Eisenbahndirektor in Schlesien und zuletzt Präsident
der königlichen Eisenbahndirektion in Hannover. Mit
hervorragenden Geistesgaben ausgestattet, hat er
sich in seinem Amte als oberster Betriebsleiter
außerordentliche Verdienste erworben, die durch
Ordensauszeichnungen re. auch von allerhöchster
Stelle anerkannt wurden. Als von Schmerseld
am 12. Oktober 1887 in Hannover sein 50jähriges
Dienstjubiläum feierte, hatte er sich ganz besonderen
Ehrungen von den hohen Staatsbehörden sowie
seitens der ihm unterstellten Beamtenschaft zu er-
freuen. Nach seiner erst vor wenigen Jahren
aus seinen Wunsch erfolgten Pensionirung kehrte
er in seine Vaterstadt Kassel zurück, welcher er
stets ein warmes Herz bewahrt hatte, um hier
seinen Lebensabend zu verbringen. Ein Herz- und
Lungenleiden veranlaßte ihn, sich nach dem Süden
zu begeben, nach dem Kurorte Montreux, wo ihn
der Tod ereilte. Sein Andenken wird stets ein
gesegnetes bleiben.
Am 14. Februar verschied zu Fulda nach
langem schweren Leiden im 81. Lebensjahre der
hochwürdige Domdechant und Generalvikar Karl
Kalb. Das Domkapitel der Diözese Fulda widmet
dem verblichenen Jubelpriester in der „Fuldaer
Zeitung" einen warmen Nachruf, in welchem ihm
das ehrenvolle Zeugniß gegeben wird, daß er stets
durch echt priesterlichen Wandel, gewissenhafte
Pflichttreue und Hingabe in allen seinen kirchlichen
Amts- und Berussstellungen sowie durch große
Freigebigkeit für kirchliche und wohlthätige Zwecke
sich ausgezeichnet hat. Geboren war Kalb am 31.
Januar 1813 zu Fulda, er besuchte das Gymnasium
und Lyzeum seiner Vaterstadt, studirte dann Theo-
logie an der theologischen Lehranstalt zu Fulda
und wurde am 20. Mai 1837 zum Priester geweiht.
Nachdem er einige Zeit die Stelle als Religions-
lehrer an der städtischen Knabenschule zu Fulda
versehen, wurde er am 29. August 1840 zum
Stadtkaplan in seiner Vaterstadt ernannt und am
12. Mai 1849 zum Dompräbendar und Kapitels-
sekretär befördert. Am 16. April 1868 erfolgte
seine Ernennung zum Domkapitular, und am 12. Mai
1882 wurde ihm das hohe kirchliche Amt des
Domdechanten und Generalvikars der Diözese Fulda
übertragen. Am 30. Mai 1887 feierte er sein
fünfzigjähriges Priesterjubiläum. R. i. p.
Hessische Bücherschau.
Eine Frühlingsfahrt nach Malta, mit
Ausflügen in Sizilien, von In l i u s Roden-
berg. Berlin, Gebrüder Paetel. 1893.
Das Buch bietet weit mehr als eine unserer land-
läufigen Reiseskizzen, denn der Verfasser verbindet
mit seiner bekannten seinen Beobachtungsgabe eine
außerordentliche Belesenheit und verfügt über reiche
literarische Kenntnisse. Trotzdem die Schilderung
der Insel Malta noch nicht die Hälfte des Ganzen
einnimmt, enthält sie eine Fülle neuen Stoffs und
ist sicher dazu angethan, viele zu einer Reise nach
jenem paradiesisch schönen und verhältnismäßig
bequem zu erreichenden Eiland zu verlocken. Sehr-
lehrreich sind besonders Rodenberg's Mittheilungen
über die Bewohner Maltas, denen er gerade kein
gutes Zeugniß ausstellt. Die Insel „bildet heute
ein völkergeschichtliches Unikum oder Fragmellt",
denn ihre Einwohner sind wahrscheinlich semitischen
Blutes, sprechen eine durch das Arabische stark
beeinflußte Mundart, gehören durch Bildung und
Verkehr zu Italien und sind englische Unterthanen.
Rechnet man die Reste der alten Ordensherrschast
hinzu, so ist einleuchtend, wie viel kulturgeschichtliches
Material sich hier dem Reisenden aus Schritt und
Tritt aufdrängt. Die anderen Theile des Werks
schildern die schönsten Punkte Siziliens: Syrakus,
Taormina, Aci Reale, Girgenti und Palermo.
Auch hier beschränkt sich der Verfasser nicht auf
eine Darstellung moderner Verhältnisse, die er
übrigens vom wirthschaftlichen Standpunkte aus
durchweg richtig aufsaßt, sondern die Geister Homerts,
Goethe's, Platen's umschweben ihn. Daß Inhalt
und Stil des Buches edel und vornehm sind, braucht
wohl nicht weiter hervorgehoben zu werden. Das
versteht sich bei unserem verehrten hessischen Lands-
manne Julius Rodenberg von selbst. (V. Z.)
55
Otto Wachs, Kleinasien aus der Vogelschau. -
Das erste Heft der von Karl Siegen heraus-
gegebenen „Westöstlichen Rundschau" vom
1. Januar 1894 enthält obigen Aussatz aus der
Feder unseres Landsmannes, des Majors a. D.
Otto Wachs in Charlottenburg, und wir möchten
an dieser Stelle um so lieber davon Notiz nehmen,
als der Verfasser auch seinerseits in der Ferne
unseren hessischen Verhältnissen die sorgfältigste
Aufmerksamkeit widmet. Otto Wachs hat sich,
seitdem er den praktischen Dienst verlassen hat, der
theoretischeil Seite der Militärwissenschaft aus-
schließlich zugewandt und hat in beit letzten Jahren
eine Reihe von Aussätzen und Broschüren ver-
öffentlicht, welche bei ihrem Erscheinen oft nicht
geringes Aufsehen erregten, so u. a. seine Schrift
„Die Weltstellung Englands, militärisch-politisch
beleuchtet. Kassel 1886" und „Der Kamps um
Konstantinopel" (Internationale Revue über die
Armeen und Flotten, Jahrg. VI, Heft 5).
Alle jene Schriften, welche meist die Tendenz
haben, aus das drohende Uebergewicht des russischen
Reiches hinzuweisen und dessen Machtmittel im Ver-
gleich zu denen seiner muthmaßlichen Gegner im
nächsten Orientkriege zu beleuchten, haben namentlich in
England nicht selten einen die gesummte dortige Presse
beschäftigenden Erfolg gehabt. Den nämlichen Zweck,
Rußlands Angriffsstellung vom militärischen Stand-
punkte aus zu würdigen, hat der von uns an-
geführte Aufsatz. Diesmal ist es Kleinasien, das
der Verfasser zunächst in anregender Weise voll
allen Seiten beleuchtet, um sodanil die Möglichkeit,
ja Wahrscheinlichkeit eines russischell Angriffs aus
diesen Theil des Türkenreiches sowie die Aus-
sichten auf den Erfolg, den beide Gegner eventuell
haben können, allseitig zu erörtern. Der Auf-
satz ist von hohem Interesse, die Zeitschrift selbst,
in deren erster Nummer er sich befindet, zählt
eine lange Reihe der vorzüglichsten Mitarbeiter
aus, sodaß sie, — wenn diese wirklich halten, was
sie versprochen, — bald zu unseren anziehendsten
periodischen Blättern gehören dürste. Ihr aus-
gesprochener Zweck ist, den Interessen des Drei-
bundes zu dienen.
K. Wr.
H. Warlich. Wie kann ein gesunder Körper
und ein gesunder Geist bei der Erziehung der
deutschen Jugend gebildet werden? Eine
praktische Lösung der Frage. Kassel (E. Huhn)
1894. 34 S. 8o.
Dr. Warlich, seit längeren Jahren Vorsteher
eines Privatpädagogiums in Kassel, hat den Plan
gefaßt, aus Wilhelmshöhe eine neue Erziehungs-
anstalt zu gründen, welche nach den Grundsätzen
sorgfältigster hygienischer Pflege des Geistes unb
Körpers geleitet werden soll. Welches diese
Grundsätze sind, hat der Verfasser in der uns
vorliegenden Schrift eingehend entwickelt. Da
die Anstalt zur Ausnahme solcher Knaben be-
stimmt ist, deren Entwickelungsgang durch irgend
welche Einflüsse gehemmt worden ist, namentlich
aber zur Aufnahme solcher Kinder, die bei wenig
entwickelten Körperkräften und Angesichts der
einer genügenden körperlichen Ausbildung wenig
günstigen Schulverhältnisse der großen Städte
nothwendig entweder zurückbleiben oder unter
der geistigen Ueberanstrengung Schaden nehmen
müßten, so darf man dem Unternehmen gewiß
von Herzen Gedeihen wünschen. Die Anstalt steht
unter der unmittelbaren ärztlichen Aussicht der
derzeitigen Leiter der Wiederhold'schen Kuranstalt
aus Wilhelmshöhe, der Herren Dr. Wied er hold
und Dr. Brunner, und bietet daher alle Ge-
währ für eine sachgemäße hygienische Pflege der
Zöglinge. Aber mich abgesehen von dem prak-
tischen Zwecke, den die vorliegende Broschüre im
Auge hat, ist diese an sich lesenswert!) namentlich
wegen der darin (wenn auch nicht zuerst)
gethanen Vorschläge für Beseitigung mancher
Mißstände in unserem höheren Schulwesen, die
sich, trotzdem sie lange erkannt sind, mit eiserner,
vom Bureaukratismus festgehaltener Zähigkeit
weiterschleppen.
Das Leben der Prinzessin Charlotte
Amalie de l a Tremoille, G r ä s i n
von Aldenburg. Erzählt von ihr selbst,
übersetzt und erläutert von Dr. Reinhard
M o s e n, Großherzoglich Oldenbnrgischem Ober-
bibliothekar. Oldenburg und Leipzig, Schulze'sche
Hofbuchhandlung.
Wenn eine Frau, ausgerüstet mit Schätzen
des Herzens und Geistes, deren langes Leben
reich an merkwürdigen Schicksalen und Verkettungen
war, es unternimmt, niederzuschreiben, was sie
äußerlich und innerlich erlebt hat, so sind solche
Aufzeichnungen um so dankenswerter für die
nachgeborenen Geschlechter, je umfangreicher und
bedeutender der Kreis war, den sie in den Bereich
ihrer Betrachtungen zu ziehen vermochte.
Amalie de la Tremoille, die Tochter des Herzogs
de la Tremoille, Prinzen von Tarent und der
Prinzessin Emilie von Hessen-Kassel, die Enkelin
Landgraf Wilhelm's V. und der bedeutendsten Fürstin,
welche je in Hessen regierte, der Landgräfin Amelie
Elisabeth, ruhmreichen Angedenkens, ward 1652
zu Thouars geboren.
Einem der vornehmsten Fürstengeschlechter
Frankreichs angehörend, welches sich früh zur
Lehre Ealvin's bekannte, brachte ihre hohe Stellung
wie ihre altfürstliche Abkunft, verbunden mit den
Wirren der Zeit, welche sie bald an den fran-
zösischen Hof, bald nach den Niederlanden, dem
dänischen Hos, oft nach Kassel führten, sie in Be-
rührung mit den hervorragendsten Erscheinungen
des Jahrhunderts.
Ueberaus fesselnd und lehrreich ist es, die Aus-
zeichnungen einer Frau von solch' hoher gesell-
schaftlicher Stellung zu lesen, in welchen neben
bedeutenden Menschen und Begebenheiten auch die
äußeren Verhältnisse des Lebens jener fernen Zeit
nicht übergangen sind, und die so ungeahnte kultur-
historische Einblicke in das häusliche Treiben der
Vornehmen des XVII. Säkulums gewähren.
Die Aufzeichnungen der Herzogin sind für ihren
Sohn Anton II. von Aldenburg bestimmt, für
den sie als nachmalige Gräfin von Aldenburg,
in Barel residirend, tapfer verwickelte Erbstreitig-
keiten auskämpfte, „damit er im Falle ihres früh-
zeitigen Todes wissen möge, wie alles gekommen ist".
Alles, was die Herzogin erzählt, ist einfach und
wahr und erhält durch die familiäre Bestimmung
ein überaus anheimelndes Gepräge. Wir lernen
eine Fürstin kennen, deren intime Mittheilungen
ihrer Beobachtungsgabe, ihrer Urtheilssähigkeit
und der Festigkeit ihres tiefreligiösen Charakters
ein glänzendes Zeugniß ausstellen. Dies und die
Berührung der miterlebten geschichtlichen Ereignisse
der Zeit, die unbefangene Wiedergabe der Ein-
drücke , welche hervorragende historische Persön-
lichkeiten auf sie gemacht, sichern dem seltenen
Buche ansrichtige Theilnahme vom rein mensch-
lichen wie vom geschichtlichen intb kulturgeschicht-
lichen Standpunkte.
Die sorgfältige Uebertragung durch Dr. Rein-
hard Mosen verleiht dem fesselnden Stoffe ein
unmuthiges Gewand, sodaß die Lektüre überaus
angenehm wird.
Dem Herausgeber und Erläuterer der Hand-
schrift sei deshalb Dank für seine gewissenhafte
und liebevolle Thätigkeit nicht vorenthalten, er
hat unsere Literatur durch einen werthvollen Bei-
trag bereichert. F ü r uns Hesse n hat das
Buch, dem ein Porträt der Herzogin beigefügt ist.
noch ein ganz besonderes Interesse, da seine Helöin
das Enkelkind des glorreichen Fürstenpaares Ist,
welches im dreißigjährigen Kriege für das Heffen-
land stritt und litt.
Kranz Treter..
Im April d. Ji sind 25 Jahre seit der' Be-
gründung des R e a l g y m n a s i u m s zu K a s fei
verflossen. Dieses Jubiläum beabsichtigen die
früheren Schüler der Anstalt am 14. April durch
einen Kommers im Stadtparksaal zu begehen.
Auswärtige ehemalige Kasseler Realgymnasiasten
bittet der Festausschuß Nachricht über ihren
augenblicklichen Aufenthaltsort und ihre jetzige
Stellung an die Adresse des Herrn Zahnarztes
Carl Foerster, Kölnische Straße 27, gelangen
zu lassen. Diese Notizen sollen zugleich als
Material für eine zu veröffentlichende Lifte aller
früheren und jetzigen Schüler dienen. — Die
Vorbesprechungen für den Commers finden jeden
Mittwoch Abend im R e st a u r a n t L u d o v i e i,
Friedrichsplatz, statt.
Briefkasten.
Dr. W. Tr. u. J. Tr. geb. P. Wien. Herzlichsten
Glückwunsch zur Vermählung.
A. W., Kassel. Mit bestem Danke angenommen.
G. v. P. Marburg. Ihr gütiges Anerbieten nehmen
wir dankbarst an und sehen baldgefälliger Zusendung
des Manuskriptes entgegen.
E. B. Marburg. Zusendung erhalten, wird in
einer der nächsten Nummern gebracht werden.
Gr. 8. Marburg. Verbindlichsten Dank.
W. S. Wiesbaden. Unmöglich.
N. N. in B. Von 1889, 1892 und 1898 sind noch
einige vollständige Jahrgänge zu haben, von 1891 nur
ein Exemplar. D. V.
Inhalt der Nummer 4 des „Hessenlandes": „Farben-
freude", Gedicht von M. Herbert; „Hessische Städte und
hessisches Land vor hundert Jahren: II. Die Haupt-
und Residenzstadt Kassel", von F. Zwenger (Fortsetzung);
„Das hessische Postwesen unter Landgraf Wilhelm IX.,
nachherigem Kurfürsten Wilhelm I.", von Schwalm in
Marburg; „Ohm und Onkel". Erzählung von C. von
Dincklage - Campe (Fortsetzung); „Liebeslieder" von
A. Trabert; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath
und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
Den geehrten Abonnenten werden
Wroßenummern zur gest. Weiter
Verbreitung gern zur Verfügung
gestellt vom ' Verleger.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zwenger in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hrssenltmd", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal' monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1*/s—2 Vogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Dogker K.-H. in Kassel' oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 5 des „Hessenlandes": „Gedenken", Gedicht von Valentin Traudt; „Wilhelm der IV.,
der Weise, Landgraf von Hessen", von H. Metz (Fortsetzung) ; „Hessische Städte und hessisches Land vor hundert
Jahren: II. Die Haupt- und Residenzstadt Kassel", von F. Zwenger (Fortsetzung); „Ohm und Onkel",
Erzählung von C. von Dincklage-Campe (Fortsetzung); „Liebeslieder" von A. Trabert, IV; „Spällstnbbe", Gedicht
in niederhessischer Mundart von Frida Storck; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische
Bücherschau; Briefkasten.
Gedenken.
'SVe habe ich heute an Vich gedacht,
Als leise herabsank die stumme
Nacht
Und über das Mondlicht zogen
Der Wolken reiche wogen.
Die Wolken verglich ich dem Mißgeschick,
Dem glänzenden Wanderer unser Glück,
von jenem überdnnkelt,
Da es am reinsten gefunkelt . . .
wie habe ich heute an Dich gedacht,
Als siegreich das Licht durch die stumme
Nacht
Auf schimmernden schwingen getragen
Lin hoffen von goldenen Tagen!
Nauschenberg.
Walentin Krandt.
Wilhelm I V.. der Weise. Landgraf von Hessen
1567 — 1592.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
j7)ie Einkünfte aus den Kammergütern und den
pt Aemtern genügten dem Landgrafen zur Be-
streitung feines fürstlichen Staates, des Hofes
und aller Besoldungen. In Kassel enthielt seine
Schatulle in guten Jahren die baare Smnme
von 100000 Gulden. Dieser Fonds wurde zum
Theil verwendet zu Reisen, Geschenken an seine
Kinder und Verwandten, zu Geldvorschüssen an
einzelne Staaten, zur Errichtung von Bauten,
Gartenanlagen und zur Unterstützung der Künste
und Wissenschaften sowie der Armen.
In jeglicher Beziehung herrschte an betn fürst-
lichen Hofe die größte Sparsamkeit, nichts war da
von der in damaliger Zeit an anderen fürstlichen
Höfen üblichen Verschwendung und Prachtliebe.
Die Jahresbesoldung aller Beamten an Geld und
Naturalien belief sich z. B. im Jahre 1585 auf
die Summe von 4501 Gulden. Wie diese Summe
sich auf die einzelnen Beamten vertheilte, möge aus
folgender, dem Werk von Rommel entnommenen
Zusammenstellung ersehen werden:
Ausgaben der Jahresbesoldungen und des
fürstlichen und Hofstaates (1585).
I. Besoldungen für die fürstliche Kanzlei, Rent-
kammer und Hofstaat.
Gulden.
1. Jahressold für die fürstliche Kanzlei, bestehend
aus 26 Personen, vom Statthalter und Kanzler
bis zu dem Kanzleidiener...................1596
2. Jahressold der Rentkammer, 9 Personen nebst
10 Kammerjungen............................590
3. Jahressold der Leib- und Wundärzte . . . 304
4. „ der Personen im Frauen-Zimmer
(Hofmeister, Hofmeisterin, Kindshofmeisterin,
6 Jungfrauen, Kindswärterin, Köchin,6Kammer-
mägde, 4 Knaben, 1 Thürknecht, 1 Stubenheizer) 195
5. Jahressold des Hofmarschalls und der Hofjunker
(zusammen mit dem Haus- und Futtermarschall,
dem Stall- und dem Forstmeister, 4 Kammer-
junkern, 12 Zwei-Rosser-Junkern, und 8 Edel-
knaben, 30 Personen; der Hofmarschall bekam
150 Gulden)..................................610
6. Jahressold der Einspännigen (1 Hauptmann,
16 Einspännige, 2 Stalljungen)...............262
7. Jahressold für Marställer und Hofschmiede
(19 Personen) (Hierbei sind 2 Zelterjungen.) 186
8. Jahressold für die Leibtrabanten (1 Hauptmann
und 8 Mann)......................................116
9. Jahressold für Kammerthürknechte und Lakaien
(8 Personen).....................................112
10. Jahressold für Jäger und Waidleute (26 Personen
mit Einschluß von 4 Hundejungen, an der
Spitze steht der Pirschmeister).............. 49
11. Jahressold für Instrumentalen (5) und Trom-
peter (4) nebst 3 Jungen.........................330
12. Jahresbesoldung für Hofprediger und Sänger
(der erste Hofprediger hatte 70, der Kapellmeister
30, je 2 Bassisten, 2 Tenoristen, 2 Altisten
30 Gld., die Diskantisten keine Geldbesoldung) 216
13. Jahressold der Zeug-und Büchsenmeister (19Pers.) 582
14. Jahressold der Burggrafen (2), Haustrabanten (8),
Saalwärter (4) und Pförtner (2) .... . 192
15. Jahressold der Diener der Hofküche (32 Personen,
darunter ist der Teichmeister, Forellenfänaer
und Hoffischer)............................... 405
16. Jahressold der Schenken und Bänder (8 Personen) 120
17. Jahressold der Lichtkämmerer und der Silber-
diener (3 Personen).......................... 44
18. Jahressold der Hofbäcker (7 Personen) ... 51
19. „ der Hofschneider (5 Personen) . . 62
20. „ der Fruchtverseher (3 Personen) . 62
21. „ der Hofbau- und Handwerksleute (20)
(darunter der Mathematicus, Guardein, Probirer,
Hofmaler, Uhrmacher, Teppichmeister, Zeltmeister,
Armbrostirer) . . . . *.................423
22. Jahressold der Wagen- und Karrenknechte (zu
10 Wagen)....................................108
Totalsumme alles Jahressoldes des fürstlichen und
Hofstaates.........................................6615
II. Naturalien zu obigen Jahresbesoldungen.
Lundisch Tuch 76 Tücher und 18'/2 Ellen, Schlecht Tuch
11 Tücher und 23 Ellen; Wollenfuttertuch 790 Ellen; Barchent
107 Stück und 8 Ellen; Leinenfuttertuch 366 Ellen; Korn
634 Viertel; Hafer 130 Viertel; Gerste 65 Viertel; Erbsen
6 Viertel 5 Metzen; Reußen (ausländisches Rindvieh)
2 Stück; Haidochsen 1 Stück; Landrinder 1 Stück;
Hämmel 154 Stück; Schweine 31 Stück; Salz 18 Viertel;
Wein 1 Fuder, Bier 27 Fuder.
III. Verlag, Verwaltungskosten und andere Aus-
gaben des fürstlichen Standes und der Hofhaltung.
Gulden.
1. Justiz. Reichskammergericht (zur Unterhaltung) 276
Hofgericht (zur Unterhaltung) . . . '750
Für Prozesse (auf Rechtfertigung) . . 200
2. Dienstgelder....................................300
3. Kostgelder (ordinaire).........................112
59
Gulden.
4. Gnadenverleihungm laus Gnade» vergeben) . 1000
5. Für Kleinodien und Ringe......................800
6. Zehrungen (unb Diäten): a. Fürsten, b. Räthe
und Edelleute, c. Gemeine, d. Reitende Boten
und Lakaien, s. Waidleute, f. Wagenleute . 4120
7. Herbergegeld und Hauszins.........................200
8. Botenmeister zu Verlegung der Boten lPosten) 750
9. Marschall und Gestüte (für Stahl und Eisen
in die Hofschmiede, Beschlaggeld, Pferdeschäden
und gekaufte Pferde).............................1980
10. Zeughaus <zu Verlag desselben)....................400
11. Bau-Etat (zum Bauen).............................1200
12. Forst-Etat (Forstgeld von den Oberförstern
inbelsalten)......................................650
Holz in die Rentkammer............................ 20
13. Außerhalb der Messe für Einkäufe .... 1000
Für Fuhrlohn..................................... 150
14. Buchbinder und Drucker............................ 37
15. Ausgaben an verschiedene Handwerker (Darunter
sind die Hutmacher mit 2 Gulden.) .... 1034
16. Schuhe- und Stiefelgeld-..........................100
17. Flickwerk des Hausraths...........................100
18. Auf besonderen Befehl............................1000
19. Gemeine Ausgaben..................................150
Die bedeutendste Ausgabe erforderte die Hof-
küche, der Naturalbesolduug aller Hofdiener und
der häufigen Besuche wegen. Unter dem Speise-
zettel kamen 22 Suppen, 26 Sorten von Geinüse
und Beiessen aus Früchten und Gewächsen vor.
Unter dem Geflügel werden auch junge Dohlen,
unter den Bratfischen Ursen, Ohel, Nasen, unter
den Weißfischen nur Hecht und Krebs-Austern
genannt. Von gewürztem Wildpret werden er-
wähnt wilde Schweins- und Bärenfüße, unter
dein Gebackenen Affe>l-Mohn, Nonnen-Seufzer und
andere Sachen. Unter den seltenen Viktualien,
die oft weither bezogen wurden, waren ostfriesische
und holländische Butter. Aus einem Viertel des
besten Korns wurden 240 Pfund, des mittleren
220 Pfund und des geringsten 200 Pfund Brod
gebacken. Für seine Mühe, Arbeit und das ge-
lieferte Holz erhielt der Bäcker 8 Albus unb
4 Metzen Kleien. Das Kostgeld für diejenigen,
welche durch Krankheit oder Unglück verhindert
waren bei Hofe zu speisen, belief sich wöchentlich
in der Regel auf Vs Gulden.
Was den Weinverbrauch anlangt, so wurde
von Landgraf Wilhelm durch eine Hofordnung
angeordnet, daß diejenigen, die bei fremdem Be-
suche oder Fürstenlager die Aufwartung Hütten,
den Wein so zu sich nehmen sollten, „daß er
nicht ihrer, sondern sie desselben Meister würden".
Als Getränk dienten Kirschenwein, aus schwarzen
und rothen reifen Kirschen gefertigt, Eiubeckisches
Bier und einheimische Weine. Junger Rhein-
wein wurde durch besondere Agenten angekauft.
Spanischer Wein und Malvasier wurden nur bei
Hochzeiten getrunken. Hofgesinde und Ritterleute,
die am Hofe speisten, mußten sich mit inländischem
Wein begnügen, wie es in einer Verordnung von
circa 1570 ausgesprochen ist. „Dem Hofgesinde
im gemeyn anzuzeigen, es habe uns unser Hauß-
schenk angezeigt, daß sich etzliche unsers Hofgesinds
den Wein, so uns Gott allhier im Lande wachsen
lassen, und wir doch mit stärkerm Wein ver-
beßert, alßv das er einem gemeinen Speisewein,
wie er zu Heidelberg!, Studgardt, und Newburg
zu Hoff verspeiset wirdt, beynahe gleich, wo nicht
beßer, zu drinken verweigern, sondern nur Wickerer,
Wallauer, Elsaßer, Obergawer und dergleichen
Wein, so wir mit großen Kosten vor Frembde
und nicht vor Hoffgesinde einkaufen lassen, ein-
geschenkt haben wollen. Nun befrembdet uns
solches nicht wenig von Ihnen, als Ritter-Le'uthen,
die, wan sie einen Trunk Wassers hetten, Gott
darumb danken sollten, Es habe unser Herr
Vater seliger vor Zeiten ein Hoff geführt,
deren gleichen in Teutschland kein Fürst, haben
so statliche Herrn und von Adel als Herzog Al-
brecht von Braunschweig, Herzog Adolf von Hol-
stein, Graf Georg Ernst von Henneberg, Rein-
hardt und Antonium von Eysenbergk, Gras
Johann von Waldeck, Graf Albrecht von der
Hoya, Gras Christoph von Beychlingen, Graf
Siegmund von Gleichen, Herr Heinrich Rens;
von Plauen unndt Andere, von Räthen und von
Adel aber Hermann von der Malsburg u. s. w.,
die allzumal seindt mit dem gewechse, wie es
Gott allhie zu Lande bescheret, gar woll zufrieden
gewesen, dasselbig mit Freuden und Danksagung
gebraucht, darum, nehme uns nicht wenig wunder,
da sie wissen, das uns kein anderer Wein wechst,
als etzliche Fuder in der Niedergrafschaft Catzenellen-
pogen, welche wir für unsern und unser Kinder
Mund, auch vor Frembde etwa ufhalten, das sie
so leckermeulig und damit nicht so wohl wie jene
ehrliche Leute (dero ihrer ein theils nicht würdig
ihnen die Schuhriemen uffzulösen) zufrieden sein
wollen. Darumb sollten sie solcher schmarotzerey
sich in ihr Hertz hinein scheinen, das sie ihnen
als Ritter-Leuthen solches lassen vor die Meuler
kommen. Man könne in einer fürstlichen Hof-
haltung nit einem Jeden Lampreten kochen, und
korckrislren und Kapaunen mit schwarzen Füßen
speißen, oder Arboißen vorsetzen, denn darüber
würden nit allein wir als ein Fürst, sondern
wol ein großer Könnig verderben. Wir wehren
ihnen nichts anderst zu geben schuldig, dan was
uns wechst, wie unsere Vorfahren auch gethan,
Wollen sie damit nit zufrieden sein, so mögen
sie uns Ihren Dienst vermöge der Hofordnung
uffsagen, und nach Außgang des Jahres ziehen,
da wo sie Malvasier zu drinken haben, und ihre
Schmarotzmenler wol erweiden könnn."
60
Es wurden jährlich an Getränken bei Hufe
gebraucht: 70 Fuder Wein, 12 Fuder Einbeckisches
Bier, 600 Fuder Speisebier, 70 Fuder Dienst-
bier.
Die Ausgaben für Küche, Keller u. s. w.
mögen ails solgeuder Zusammenstellung ersehen
werden.
Gulden.
Hosküche (zu Verlag derselben, für Fleisch, eingemachte
Fische, getrocknetes feines Obst, Einbeckisch Bier,
Hopfen u. s. w.)................................ 5309
Anmerkung: Gewürz ist bei den Meßausgaben.
Hofkellerei. Für 50 Fuder Wein................... 2000
Für Fuhrlohu von Wein .... 1000
Lichtkammer (50 Centner Ilnschlitt lind dazu 450
Zaspeln Dochtgarn).................................500
Hofapotheke...........................................150
Meßausgaben für Frühjahr- und Herbstmesse (für
feine und ausländische Tücher, Gewand, Möbel
in die Schlösser und Jagdhäuser, Apotheke, auch
Würze in die Hofküche)............................. 10448
Alle feineren Tücher und Seidenwaaren, Stoffe
zu Kleidungsstücken des Landgrafen sowie der ge-
sammten fürstlichen Familie, alle Spezereien und
feineren Gewürze wurden auf der jährlich zwei-
mal stattfindenden Frankfurter Messe gekauft.
Für alle diese Gegenstände wurde im Durchschnitt
die Summe von 10450 Gulden ausgegeben.
So einfach war Wilhelm in feinen Ansprüchen,
daß er sogar von zinnernem Geschirre speiste.
Kostspielige Reisen vermied der Landgraf, nament-
lich in seinen älteren Jahren. Reiste er, dann
verbat er sich jeglichen Aufwand um seiner Person
willen. Die aufgewendeten Reisekosten waren so
gering, daß die Rechnungen hierüber von dem
Kammermeister des Landgrafen zur Nachahmung
der Sparsamkeit benutzt wurden.
Ein großer Gegner des Spiels war Wilhelm.
Nur einmal in seinem Leben hatte er gespielt,
bei welcher Gelegenheit er 900 Gulden an den
Pfalzgrafen Hans Georg von Veldenz verloren
hatte (1574).
All Bautet: errichtete Landgraf Wilhelm in
Schmalkalden die Wilhelmsburg, die befestigten
Schlösser z:: Spangenberg, Homberg, Ziegenhain,
Eschwege. In Kassel erbaute er an der Fulda
das zum Leibgedinge seiner Gemahlin bestimmte
Schloß nebst einer Kapelle, einem Rittersaals der
die Wappen von 600 hessischen Vasallen und
Rittergeschlechtern enthielt. Dieser Bau kostete
ihm die Summe von 32111 Thalern. Seinem
Vater, dem Landgrafen Philipp, errichtete er ein
Grabdenkmal in der Martinskirche zu Kassel.
Die non Philipp angefangenen Festungswerke
vollendete er sowie das Frankfurter- und Hohe-
thor. Das uralte Schloß zu Kassel erweiterte
und verschönerte er durch den Bau eines goldenen
Saales, den rothen Stein, sowie durch die An-
lage eitles großen Küchen- und Speisesaals.
Ferner erbaute er ttoch ein Zeughaus und einen
Marstall.
(Fortsetzung folgt.)
Hessische Städte :u:d hessisches Land vor hundert Jahren.
ii.
Die Haupt- und Nesidrnjstadt Kassel.
Vvii F. Z w e n g e r.
hat durch niederländische Künstler
Kaufleute seit Landgraf Moritz,
durch französische Fabrikanten seit Land-
graf Karl an Wollenmanufaktur, doch mehr
geringerer Tücher und Zeuge, durch gemeinttützige
von Linnen, durch feilte nnb andere Hut-, durch
Strumpffabriken, durch die voll guten nnb seinen
Handschuhen, auch besonders Gold- nnb Silber-
fabriken gewonnen; Seidenfabriken, wie Hanatl,
hat Kassel noch nicht. Die sonst Herrschaftlichelt
Porzellan- nnb Fayencefabriken sind Privat-
personen zum freien Betrieb überlassen; eitle
Wachsbleiche:utb Lichterfabrik ist in vorzüglichent
Zustande. Da Kassel ben Hof, die hohen Lan-
deskollegien nnb eine starke Besatzung, auch viel
Zuspruch von Fremdelt hat nnb die Lebensart
kostbarer ist als die iln Lande, so ist es wohl
nicht überflüssig, die Errichtung von Manufak-
turen und Fabriken in mancher nahrungsloseren
Landstadt in Betracht zu ziehen. Die Kasseler
Kaufmannsgilde ist zahlreich und heißt als eine
Innung, die ilt ihrem Handel gewisse Freiheiten
ausschließlich genießt, Hansegrebengilde. Die
Stadt hat zweinnddreißig Zünfte nnb zwar der-
gestalt, daß ztt einer oft mehrere gehören; sie
stehen unter dem sogenannten Oberschultheiß und
bent amtssührenden Bürgermeister. Außer der
Fulda befördert die vortreffliche, unter einem
Oberpostamt stehende Einrichtung der fahrenden
nnb reitenden Posten alles, was zur Fort-
bringung voll Waaren gehört, gar sehr, und der
dellt ans der Weser und Fulda von Münden
61
aus nach Kassel au Unkosten durch fürstliche
Unterstützung gleichgemachte Transport der bremer
und holländischen Waaren von Karlshafen nach
der Hauptstadt erleichtert vieles und ersetzt der
Stadt zum Theil den Schaden, den ihr Münden
durch sein Stapelrecht thut. Ein ähnlicher Vor-
theil für Handel und Wandel sind die wöchent-
lich seit 1765 nach Hersfeld zweimal abgehenden
Marktschiffe.
„Das Kommerzkollegium arbeitet jetzt an Be-
förderung eines Speditionshandels in Kassel,
welches den Messen helfen könnte. Eine so-
genannte seit 1724 unter einem sachverständigen
Direktor und solchen Mitgliedern bestehende Wege-
kommission, mit ehren durch das ganze Land ver-
breiteten Oberwegc- und Brückenbau-Ingenieurs
kommt unter dein jetzigen Landgrafen, durch seine
mit den Landständen genommenen besten Ver-
anstaltungen eigentlich erst zu ihrer mit dem
besten Erfolg begleiteten Zweckmäßigkeit. Die
größere Durchfuhr durch Kassel aus einem Kreise
in den anderen, besonders aus dem niedersächfischeu
von Lübeck, Hamburg und Braunschweig nach
Frankfurt wird täglich sichtbarer."
Der Polizei Kassels wird in der Beschreibung
mit folgenden Worten gedacht: „Eine aus dem
Gouverneur, dem Kommandanten und Mitgliedern
der Regierung, der Kammer, anderer Kollegien,
der Stadtobrigkeit, dem Stadtrath und sogenannten
Kommissarien der Oberneustadt zusammengesetzte
Polizeikommission hat jede Ordnung, Sicherheit
und Bequemlichkeit zur Absicht, welche Polizei-
sache ist und heißt. Sie würde aber vielleicht
zu noch größerem Vortheil der Stadt gereichen,
wenn sic einige wenige Mitglieder hätte, die mit
gehörigen Ansehen sich, ohne andere Geschäfte zu
haben, bloß mit eigentlicher Polizei beschäftigen
könnten."
Auch eiu „Gesundheitskollegium" hatte man zu
damaliger Zeit schon in Kassel. Der Verfasser
entwirft folgende Schilderung davon. „Ein
Collegium medicum und medico-chirurgicmn,
das jetzt einen Chirurgum als Generalchirurguni
zum Direktor, sechs von den Kassel'schen Aerzten
als Mitglieder, auch einen Rechtsgelehrten zum
Mitglied und Unterbediente hat, führt die Auf-
sicht über den Gesundheitszustand der Stadt, und
von ihr aus durch die nun im ganzen Lande
angestellten Physici über den im Lande. Es
prüft alle Aerzte, Wundärzte und Apotheker,
welche in Stadt und Land praktiziren wollen,
nach der Absicht und dem Beruf eines jeden.
Diese Anstalt ist durch die bekannte Hofmann'sche
Medizinalordnnng in Deutschland bekannt ge-
worden. Die Frage, ob ein Findclhaus für eine
solche Stadt, auch für Land uud Volk nützlich
oder schädlich sei, hat der heutige Landgraf durch
die Aushebung des Kasselischen an seinem Theil
entschieden. Noch möchte zu Anstalten für den
Gesundheitszustand in Kassel die auch ihrem
Gebäude nach ansehnliche vor der Unterneustadt
liegende Charite, ein großes Krankenhaus für
iu- und auch nötigenfalls ausländische Kranke
und Verwundete in Stadt und Land, gehören.
Denn sie nimmt jeden aus, der solche im Land
erreichen kann, weil Stadt und Land etwas zu
ihrem Auskommen beitragen. Aufnahme von
kranken Ausländern, die im Lande krank werden,
gebietet die allgemeine Menschenliebe. Die Anstalt
hat den Minister der Fundation, einen Rechts-
gelehrten, Aerzte, Wundärzte, den Baudirektor
und obrigkeitliche Personen der Stadt zu
Direktoren, dabei aber einen eigenen Arzt, Wund-
arzt und Apotheker. Landgraf Friedrich II.
stiftete sie. Ihre Lage außer der Stadt in der
freien offenen Gegend des Forstes ist zweckmäßig,
nicht zu nahe an der Stadt, auch nicht ganz
nahe dem Dorfe. Dieses Gebäude, sowie die
ganze Einrichtung verdient gesehen zu werden.
Alle übrigen öffentlichen Anstalten Kassels zur
Bildung von Aerzten, Wundärzten und Hebammen
sind vom jetzigen Landgrafen nach der Universität
Marburg verlegt worden."
Nach Uebergehung minder wichtiger Angaben
sagt die Beschreibung weiter: „Noch verdient von
Kassel bemerkt zu werden eine durch wohlhabende
Privatpersonen unter fürstlicher Autorität durch
Zusammenschießnng eines großen Kapitals auf
Aktien entstandene Leihbank oder das sogenannte
Lombard, als eine Leih- und Kommerzienbank.
Die Interessenten genießen jährliche Zinsen. Jeder-
mann kann gegen tarirte Unterpfänder und fest-
gesetzte Zinsen hier kleinere und größere Summen
Geldes bekommen. Wenn die festgesetzte Zeit der
Bezahlung verflossen ist, werden nach vorheriger
Ankündigung, auch immer noch zuni Besten des
Eigenthümers, die Unterpfänder an den Meist-
bietenden verkauft. Das Heilsame dieser öffent-
lichen Anstalt rechtfertigt das Verbot, daß Niemand
weiter in Kassel ans Unterpfänder etwas entlehnen
und ausleihen darf. Im siebenjährigen Kriege
unterstützte sie bei ausgeschriebenen feindlichen
Kriegsgeldern die Stadt durch ihren Kredit und
ist immer in den besten Umständen.
„Kassel besitzt eine Stadtpflasterkommission.
Dieselbe steht unter sachverständiger und obrig-
keitlicher Direktion und verschafft der Stadt zum
Theil aus herrschaftlicher, zum Theil aus eigener
Kasse, die aus dem Beitrag von Eigenthümern
der Häuser und aus Stadtzuschüssen gespeist wird,
—- j '^ffHWWMWWW MWM-MGM " •
— 62 —
das gute und schöne Pflaster, welches sie vor
mancher selbst größeren deutschen Stadt auszeichnet.
„Die Nachtlaternen aus deu Straßen, deren
gegen tausend sind, werden unter Direktion der
Kriegs- und Domänenkammer gegen die dazu
eingeführte Bezahlung eines Hellers vom Pfund
Rindfleisch durch die nöthigen Unterbedienten
bestritten. Die Verpachtung des Fleischhellers
sowie des Laternenbrennens hat gezeigt, daß beide
Einrichtungen sehr darunter leiden. Kassel hat
seit 172 l Laternen, eckig gestaltet, auf Pfählen.
Daß die Laternen in drei Sommermonaten nicht
brennen, wenngleich die Nächte dunkel sind, das
ist ein Vorwurf, deu sie mit weit größeren Städten
sich kann und muß mache» lassen.
„Ein neuerrichtetes Oberforstamt unter dem
Oberjägermeister, der zugleich geheimer Stnats-
minister ist, das bisher in Hanau war, ist nun-
mehr in Kassel, breitet sich aber über das Land-,
Forst- und Jägerwesen aller fürstlich hessischen
Lande durch die ihm untergebenen Hofjäger,
Oberforst- und Forstmeister ans, deren nach den
verschiedenen Forstmeistereien sieben sind. Bei
den ersteren sind Forsträthe, auch Forstmeister
und Jagdjunker. Damit ist eine jenem auch
untergebene Holzkommission verbunden.
„Die Münze ist auch in Kassel, unter den deut-
schen Fürstenmünzen eine der vollständigsten, und
hat ein aus dem Vizepräsidenten der Kammer
und dem Kriegszahlmeister bestehendes Direktorium.
Man münzt hier goldene und silberne und Scheide-
münze von Kupfer ununterbrochen fort und zwar
in deu Gewölben des Renthofes.
(Schluß folgt.)
•! -8H-
Ohm und Onkel.
Erzählung von C. von Dincklage-Campe.
lFortsetzuug.)
VIII.
Es gewann in der That den Anschein, als ob Ecke-
brecht seinen Vorsatz ausführen würde, er war häus-
licher und bekümmerte sich persönlich um seine
Landwirthschast, welcher er bald ein reges Interesse
abgewann. Seiner Frau gegenüber schlug er da-
gegen den möglichst verkehrten Weg zur Besserung
ein, indem er ihr die wirthschaftlichen Tugenden
seiner Mutter und Schwägerin anpries.
„Sieh einmal," sagte er unter Anderem einmal
in schroffem To» zu ihr, „wie Deine Mägde meine
Wäsche hergerichtet haben. Aber das kommt da-
von, daß Du Dich garnicht um dergleichen be-
kümmerst. Zu Haus, in Welsen, leitet Agnese
die Mägde selbst in solchen Arbeiten an."
Statt aller Antwort streckte Alice ihre zarten
rosigen Händchen dem Gatten entgegen. „Do
you like more Arbeitsfäuste?" lächelte sie.
Er konnte nicht umhin, die rosigen Finger an
seine Lippen ,;u ziehen, und nach wie vor ging
alles den alten Gang bergab.
War des Obersten Stimmung weniger galant
und verwies er Alice mit dürren Worten ihre
Nachlässigkeit und Verschwendung, dann gab es
eine Scene, und die Baronin „boudirte", zu
deutsch maulte, bis Eckebrecht klein beigab.
Die Münikerodes von Welsen durften sich einen
Winterausflug »ach Kassel gestatten. Es war
ein längst gehegter Wunsch Tankmar's, sich dort
mit seiner Frau malen zu lassen, um diese Bilder
der langen Reihe ritterlicher Ahnen anzufügen.
Sie kamen, um für die kurze Zeit Abschied von
den Geschwistern zu nehmen.
„Dir wird alles gewährt, mir alles ab-
geschlagen," grollte Frau Alice.
Agnese hob den kleinen derben Tankmar vom
Boden aus, indem sie entgeguete: „O wie gern
bliebe ich zu Haus, wenn ich solch' süßes Kind
mein Eigen nennen dürfte."
Dergleichen Mahnungen fruchteten indessen bei
der Lady nicht, Einschränkungen hielt sie für
Launen ihres Gatten. Die Verhältnisse spitzten
sich mehr und mehr zum Ruine zu, für die noth-
wendigsten landwirthschaftlichen Verbesserungen
fehlte das Geld, und sie unterblieben. Nach Art
schwacher Charaktere versagte Eckebrecht zwar Alicens
überflüssige Wünsche, um dann aber doch schließ-
lich ohne Dank doppelt zu geben. —
Alle berechtigten und unbegründeten Klagen
verstummten plötzlich vor einem großen, un-
erwarteten Glücksfall. Die Baronin Alice erbte
ein Vermögen von einem unbekannten Oheim,
gleichviel ob er es als Nnbob in Indien erwarb
oder als Peer in irgend einer englischen Graf-
schaft. Die großen Summen waren nicht
illusorisch, sondern wurden ihr in klingender
Münze zahlbar angewiesen.
Einen Tag lang herrschte ungeheure Freude
auf Münikerode, es war wie die Erlösung von
einem schweren Banne, der auch die Herzen ge-
' '
63
fangen hielt. Eckebrecht mußte alsbald nach
Welsen reiten, um den Angehörigen dort die frohe
Botschaft zu verkünden. Nun durfte er auch sein
Herz gegen den Bruder über seine verhängniß-
volle Lage ausschütten.
„Ja, nun kannst Du die so nothwendige Ent-
wässerung der niedrigen Wiesen vornehmen. Du
sollst sehen, was für einen Graswuchs das geben
wird", erwog Tankmar.
„Und das in der Wirthschaft so unentbehrliche
zweite Spann Ackerpserde anschaffen", setzte der
Jüngere den Gedankengang fort.
Den Kopf voll von diesen Dingen, kam der
Oberst guten Muthes heim. Nichts natürlicher,
als daß er seine Projekte vor der Gattin aus-
kramte, die ihm ruhig zuhörte. Dann aber sagte
sie kühl: „Du mußt nicht denken, daß ich mein
schönes Geld in die schmutzige Erde stecken will.
Nein, mein Schatz, wir wollen mehr davon haben.
Wir miethen uns in London eine hübsche Woh-
nung, wir wollen nun auch einmal das Leben
genießen. Hier mag währenddem wachsen, was
wachsen will, mir ist es gleich."
Bon seiner Frau Gelde sich tu nutzlosem
Schlaraffenleben ernähren zu lassen, nein, das
lief schnurstraks gegen des Edelmanns Ehrgefühl
und entsprach ebensowenig seinen Neigungen. -
Das Ehepaar wartete nicht einmal die Üeberlegung
eines vollen Tages ab, um über den Danae-Regen
in hellen Streit zu gerathen.
Der Baronin erste selbstständige Benutzung
ihres Reichthums bestand darin, ben Maler
kommen zu lassen, dessen vortreffliche Darstellung
des Welser Ehepaares längst ihren Neid erregte.
Eckebrecht ließ sich nur widerstrebend zu einer
Sitzung bestimmen mtb schaute dementsprechend
kriegerisch aus seiner goldenen Umrahmung in
die Welt. Alice aber, die lachenden Augen auf
ihre drei Kinder gerichtet, bildete mit diesen zu-
sammen eine bezaubernde Gruppe, der man die
Unterschrift „Mutterglück" hätte geben können.
Das Kräutlein der Zwietracht ist eine Wucher-
pflanze, die rasch und üppig aufschießt, wenn sie
nicht im Keime ausgerottet wird. - Umsonst ver-
suchte die bekümmerte alte Mutter den Frieden
durch wohlmeinende Ermahnung herzustellen, be-
redete Tankmar bm Bruder zum Einlenken.
Die streitenden Parteien hatten sich nun einmal
in ihre Meinungen verrannt und fanden keine
Umkehr.
Eine Weile ging das so hin, bis endlich ein
völliger Bruch zwischen den Gatten eintrat. Alice
verließ ihren Mann und ihre Kinder, denn an
letzteren wollte der Oberst ihr unter keiner Be-
dingung ein Recht zugestehen.
Nach allem Vorhergegangenen konnte dieser
Ausgang in Welsen nicht allzu sehr überraschen.
Eines Morgens brachte Eckebrecht seine Kinder
dorthin, mit finsterem Blick übergab er sie seiner
Schwägerin.
„Alice ist fort," sagte er „Ihr, Du und Mama,
werdet Euch der armen Würmer annehmen.
Bringe sie zur Großmama, Agnese, und komme
dann in Deines Mannes Zimmer, dies ist es
nicht, was mich am schwersten drückt."
Angsterfüllten Herzens trat die junge Frau
bei den Männern ein, die saßen sich am Tisch
gegenüber, Eckebrecht stützte den Kopf auf beide
Hände und weinte bitterlich. Agnese hatte den
lebensfrohen Menschen niemals Thränen vergießen
sehen; der Anblick war für sie so ergreifend, daß
sie zu ihm ging, mit den Worten „armer Onkel"
sein Haupt emporhob und ihn küßte. Sie be-
griff es selbst nicht, warum sich ihr in diesem
Augenblick die halb vergessene Benennung auf
die Lippen drängte, sie erschrack fast darüber,
als sein aufleuchtender Blick ihr dankte. Jetzt
streckte auch Tankmar dem Bruder die Hände
entgegen. „Nun ist unser Rath vollständig,
lasset uns gemeinsam überlegen, wie Dir zu
helfen ist, Bruder."
Der Oberst hatte sich wie ein Ertrinkender
über Wasser zu halten gesucht, bis ihm nun doch
die Schuldenmasse über dem Kopfe zusammen-
schlug. Das Geld seiner reichen Frau hatte er
verschmäht, er hätte ja darum bitten müssen.
Lieber untergehen, wie von ihr abhängig sein,
so war zur Zeit seine Stimmung. Hier war er
sicher, Hülfe zu finden, ivenn es ihm auch eine
Demüthigung kostete.
Nachdem Tankmar eine Uebersicht gewonnen
hatte, sagte er: „Wir sind bereit, Dir zn helfen,
und können es mit Hülfe von Agnesens Ver-
mögen, aber ich knüpfe eine Bedingung daran:
Im Falle ich früher aus der Welt scheide wie
meine Frau, soll Müuikerode dieser als Wittwen-
sitz verbleiben."
Eine augenblickliche Stille trat ein, dann lachte
Eckebrecht auf. „Du stehst in der Vollkraft des
Lebens, Du besitzest alles, was ein Menschen-
dasein schön und begehrenswerth machen kann,
wie kommst Du auf Todesgedanken, die mir mit
dem gebrochenen Muthe weit eher zustehen.
„Will's Gott," sprach auch Agnese, sich an den
Gatten schmiegend, „mache ich niemals Gebrauch
von dieser Klausel."
„Wer vermag in die Zukunft zu blicken ? Wir
Männer fahren hernach zum Notar, um die
Sache rechtsgültig zu machen. Das Weitere steht
64
in Gottes Hand. Jetzt halte den Kopf hoch,
Eckebrecht, es kann noch alles gut werden."
Einige Wochen nach biefeu Ereignissen erhielt
Agnese einen Brief mit mächtigem rothen Siegel-
verschluß, darin das Wappen Derer von Loßberg
ausgeprägt war. Er datirte aus dem Stift
Fischbeck und kam von Tante Klementine. Nach
cnblofeu üblichen An- und Vorreden äußerte sich
die gute alte Dame also: „Da ich nach Kassel
gereiset war, um allda im Hause meines lieben
Vetters, Sr. Excellenz von Loßberg, einmal nach
dein Rechten zu sehen, wllrde mir daselbst eine
Kunde, so ich mit Indignation vernommen habe.
Nämlich, daß dem Herrn Oberisten a. D. von
Münikerode seine Ehefrau davon gelaufen sei. —
Bei dieser höchst pitoyabelen affaire gedenke
ich mit Wehmuth der desperaten Lage, in der
sich Dein Herr oncle befinden, und wodurch ihm
zu helfen sei. Da ich nun mit so viel devoue-
ment in Deines Herrn Vaters Witthum represen-
tiret habe, könnte ich mich entschließen, sothanen
Herrn Vetters, in seiner desolaten Verlassenheit
mich anzunehmen und die lionnenrs in seinem
Hause zu machen."
Als Agnese dem zu Beglückenden diesen Theil
des langen Schreibens mittheilte, brach er, trotz
aller Bitterkeit seines Gemüthes, in helles Lachen
aus und rief: „Da käme ich doch wahrhaftig aus
dem Regen in die Traufe. Um Gottes Willen,
Agnese, schreibe sofort der alten Schachtel ab.
Ich hätte die Blattern — oder mich mit meiner
Frau ausgesöhnt, was Du am Abschreckendsten
findest."
(Schluß folgt.)
Aikbrslitder
von A. T r a b e r t.
IV.
Menschenliebe, Freundesliebe,
Freiheitsliebe, ernst und still,
Gvttesliebe, heil'ge Liebe,
Du bist's, der ich dienen will.
Du bist's, die mich drängt zum Kampfe
Für das Schöne, für das Recht;
Die mich treibt, daß ich zerstampfe
Jeden, der des Schlechten Knecht.
Du bist's, die mich hat geboren:
Du bist all mein Hab' und Gut.
Sei nur du mir u »verloren,
lind ich kämpfe wohlgemutst.
Nur für's Höchste leb' und streb' ich;
Liebe, dn bist mein Panier.
Alles opsr' ich, alles geb' ich,
Ideal des Lebens, dir!
Was find Erdenleid und Schmerzen,
Wenn in mir die Liebe loht?
Und einst mit der Lieb' im Herzen
Fallen, das ist Heldentod.
tNiederhesstsch, unteres Schwalmgebiet.)
Bie ahlen Greben, on der Bach,
Sing hirre2) Spällcgäste,
De Mahd hutt ähre Nutte P dränn,
Do fchnurr'n de Rärer^) feste.
Ahl' Grebe sitzt bim Schmettenhaus 5),
litt „ßä" gung än de Schule.
„Hä" dreht en Seel tut röcht derbie,
IIn „Sä" dreht flink de Spüle").
Zähn Stigge7) Düch fing noch nit vull,
Un's wäll fchunt Frijohr wären.
De Doge9) sing fchunt höllisch laang,
Drimm hilft sä spänn 9) den Mähren.
Die Hun Hitt Obed frige Bohn79)
litt säugen brov tut lachen.
Der Oben 71) gliht güngz fieerroth,
Un Loft72) äß nit ze machen.
De Fünfter die fing güitgz un gor
Geschwätzet un verquullen.
De Borsche säh'n je doch derdärch
Gängz enken 7P, bos fe Wullen.
„De Ahlen sing, weeß Gott, nit do,
Do kaitn mes mol räskieren!
Me werfen itzt en düchtgen Steng 74),
Deß fe sich rächt verfiehren." 7°)
Rum —■ bum! Dos dicht en hellschen Schlog!
De Rärer flieggen imme.
„Ähr Känge7")! herzenlieber Gott!
En Geest gett drüssen rimme77)!"
Dann kloppt drei mol on's Fenster glich,
En schwarzer Kopp, bin Deller groß.
Schlooßwisse Ögen 79) hott dos Düng 79),
Äß iwwerhöbt närrsch un kvrrjos.
65
Uff eemttol rieft des Aimemorth:
„Ne Panne äß dos Düngen!28)
Mit Kreire äß's Gesicht * 2 **) gemolt,
Den Karle muß me fangen!"
De Angst äß nü die allen weck,
Se stürzen üß der Dhähre22)
Un stulpern iwwern Bäsen glich,
Der leiht28) durt än der Quäre.
Do, uff der Stroße gitt's „Trapp-trapp",
Un Schwuppdich, im de Ecken.
De Mähre fluchtig 2^) hingerdränn,
Mit Bäfen un mit Stücken.
Mit eeng's 25) gitt's dann en groß Hallvh,
Se kann nit weirer kummen,
En jerer 28) Borsch kreit eengs bim Orin,
Hot Mailercher 27) genummen — — —.
Der ahle Grebe kimmt nü heem,
Wäll sich ünns Bette läh'n28).
Do stitt29) de Dhär bis hingen uff,
King Mächen äß ze säh'n.
Hä kratzt den Kopp un denkt derbi:
„De Ahle üß noch wäcken. 8°)
Wißt ,säh bos hie färrn87) Unglick wir,
Se langte sich den Stücken!"
Güngz düsig82) ginn de Mähre rün»,
Un hingennoh de Borsche.---------
Un wie de Ahle heeme kimmt,
Schnarcht fchunt ähr ahler Schvrsche.
De Mähre fpänn88) wie ungescheit,
De Borsche röchen Piffen.
De Spülen sing binnoh 34) schon vull,
Do gitt's brov obzewiffen 8"). —
I-rida Storck.
') Spinnstube. ä) sind heute. 8) ihre ¡Kutte. 4 *) Räder.
5) Hans in der Schmiede. 6) Spule. 7) Steige Leinen
(©teige soviel als 20 Ellens. 9) Tage. 9) spinnen.
10) heute Abend freie Bahn. “) Ofen. la) Luft. ganz
genau. tüchtigen Stein. recht erschrecken. ihr
Kinder. ”) Geist geht draußen 'rum. I8) schlovß-
weiße Augen. 12) Ding. 20) Eine Pfanne ist das Ding.
**) Kreide ist das Gesicht. 22> Thüre. 88) liegt. 24) flink.
2 ) mit einem Male giebt es. 2“) jeder Bursch kriegt eins.
Küsse. ”) legen. 29) steht. so) noch fort. *') für
ein. 3a) ganz still. 8#) spinnen. 84) beinahe. sr>) ab-
zuhaspeln.
Aus alter und neuer Jett.
Ein Apothekerprivilegium vor 111 Jahren.
In Nr. 19 des „Hessenlandes" von 1890 ver-
öffentlichte Herr W. Rogge-Ludwig einen interessanten
Aufsatz über „Die ältesten Apotheken der Stadt
Kassel und ihre Besitzer". Dem geschätzten Herrn
Verfasser sind damals wohl nicht alle bezüglichen
Quellen zugänglich gelvesen, weshalb ich mir hier
einige Zeilen zur Ergänzung gestatte.
In meinem Besitze befinbet sich, aus dem Nach-
lasse des Professors Dr. Schaub, des späteren
Besitzers der Apotheke, stammend, eine Urkunde
betreffend das dem Apotheker Karl Wilhelm
Fiedler zu Kassel unter dem 19. Dezember 1783
verliehene Privilegium, welches sich zuvor in dem
Besitz des Apothekers H u n d e r t m a r k befunden
hatte. Fiedler scheint die Apotheke bis zum dem
Jahre 1792 besessen zu haben, wo sie aus den
Apotheker Delkeskamp überging, wie in dem
Aussatz des „Hessenlandes" steht.
Wie es zugeht, daß Herr Rogge-Ludwig den
Karl Wilhelm Fiedler gar nicht erwähnt, weiß ich
nicht, möglicherweise war dieser ein Bruder des
Joachim Gottlieb Fiedler, des (seit 1780) Be-
sitzers der Apotheke zum goldenen Hirsch.
Da für manche Leser der Wortlaut des Privi-
legiums vor! Interesse ist, lasse ich ihn hier folgen.
„Von Gottes Gnaden Wir, Friedrich, Land-
graf zu Hessen, Fürst zu Hersfeld, Gras zu
Catzenelnbogen, Dietz, Ziegenhain, Nidda, Schaum-
burg und Hanau, Ritter des Königlich Groß-
britanischen Ordens vom blauen Hosenbande,
wie auch des Königlich Preußischen Ordens
vom schwartzen Adler re.
Thun kund, und befeunen hiermit: Nachdem
Uns der Apotheker Carl Wilhelm Fiedler all-
hier unterthänigst suppilando zu vernehmen
gegeben, wasmaßeil der Apotheker Hundertmark
in hiesiger Unter-Neustadt Alters halber, durch
Datalitäton und aubcre häusliche Unglückssälle
so zurückgekornmen sehe, daß derselbe eine ord-
nungsmäßige Apotheke zu unterhalten, urtb die
fehlenden Material-Söaamt anzuschaffen sich gantz
außer Stande gesetzt finde, aus diese Art aber
Unsere gnädigste Absicht, daß die Unter-Neustadt,
wenn sie durch Wasserfluthen die Commmrioation
mit der Alt-Stadt verliehret an pharaia66utisoh6r
Hülfe keinen Mangel haben solle, nicht erreicht
werde und er daher besagtem Hundertmark dessen
privilegirte Apotheke, sämmtliche Vasa und vor-
rüthige Materialien nach dem beygefügten vor-
läufigen Verkaufs-Instrument für Zwölfhundert
Rthlr. abgekauft habe,mit unterthänigster Bitte, Wir
ihm zur Fortsetzung der Apotheke und Materialien-
66
Handlung in der Unter-Neustadt ein Privilegium
zu ertheilen gnädigst geruhen wollten, daß wir
demnach diesem seinem unterthänigsten Suchen
nach zuvor seiner Geschicklichkeit halber überreichten
Testimonio von Unserem Collegio medico in
Gnaden statt gethan, thun das auch und er-
theilen ihm solches hiermit dergestalt und also,
daß er in sothaner Apotheke die Apotheker-
Kunst ohne Jemandes Eintrag nach seinem besten
Verstand treiben mögen, solche aber nicht nur
mit allen zu einer wohlbestallten Apotheke ge-
hörigen Materialien Handel und Niederlage
anlegen, nnb beständig führen, mithin zu aller
ltitb jederzeit seine Officin und Handlung mit
tüchtigen Medicamenten unterhalten und selbige
in billigen Preißen geben, nicht weniger sich in
Allem unserer Medicinal-Ordnnng gemäß be-
tragen und daraus die gewöhnliche Pflichten
ablegen auch andere ihm obliegende Praestanda
praestiren solle.
Deßen zu Urkund haben Wir Uns eigenhändig
unterschrieben unb Unser Fürstliches Secret
Jnsiegel beydrucken lassen.
So geschehen Cassell, den 19**» Deebr. 1783.
(gez.) Friedrich, L. Z. Hessen.
(L. 8.)
vt. Fleckenbühl gt. Bürgel.
Gnädigstes Privilegium vor den Apotheker Carl
Wilhelm Fiedler allhier."
Ans dem Aufsatz in Nr. 19 des „Hessenlandes"
von 1890 geht hervor, daß die vorstehend erwähnte
Apotheke die 1802 „Hygiea" genannte, nunmehr
wieder mit ihrem alten Namen „Adler-Apytheke"
aufgeführte Offizin ist.
Der geringe Preis von 1200 Thaler für die
Einrichtung (ohne Hails und Privilegium) kann
nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, daß,
wie aus dem Wortlaut des Privilegiums hervor-
geht, das Geschäft sehr zurückgegangen und nicht
mehr lebensfähig war.
Es kamen damals aus eine Kasseler Apotheke
durchschnittlich 2500 Seelen, auf die des Hundert-
mark wegen ihrer ungünstigen Lage jedenfalls aber
viel weniger, vielleicht nur 1000 Seelen.
S. ____________ W. S.
Welch' großes Vermögen Kurfürst Wilhelm II.
besaß, geht daraus hervor, daß er seiner Tochter
aus der Ehe mit der Gräfin Reichenbach, der
Gräfin Emilie Reichenbach-Lessonitz 8 Millionen
Mitgift gab, als sie den Grafen Felix Zichy-
Ferrari heirathete. Dieses Vermögen hatte der
Graf zum großen Theil in kurzer Zeit verausgabt.
Eine Tochter aus dieser Ehe ist die Fürstin
Pauline Metternich in Wien. A. S.
Aus Hermath und Fremde.
Am Montag den 26. Februar fand in der Aula der
Oberrealschule zu Kassel die regelmäßige Monats-
versammlung des Vereins für hessische
Geschichte und Landeskunde statt. Dieselbe
wurde durch den Vorsitzenden, Landesbibliothekar
Dr. Brunner, mit geschäftlichen Mittheilungen
eröffnet. Danach gingen dem Verein 19 neue
Mitglieder zu, dagegen verlor er durch den Tod
6 Mitglieder, darunter den Bischof Dr. Weyland
von Fulda und den Präsidenten von Schmerseld
zu Kassel. Landesdirektor von Hundelshausen
theilte dem Verein in einem Schreiben mit, daß
der 19. Kommunallandtag die Uebernahme eines
Viertels der Kosten für Herausgabe der von
Major a. D. H. von Roques kopirten Urkunden
des Stiftes Kaufungen genehmigte, bis zum Höchst-
betrag von 800 Mark. Der Vorstand ersuchte
beu Herrn Landesdirektor, dem Kommunallandtag
für die bewiesene Munifieenz herzlichsten Dank zu
sagen. In Schriften-Tauschverkehr trat der Verein
mit dem kurländischen Literatur- und Kunstverein
in Mitau und dem genealogischen Institut zu
Kopenhagen. An Geschenken erhielt der Verein
von Generalsekretär Gerland dessen Publikation
über das althessische Gestüt Beberbeck, von Lehrer
Lohe eine Reihe werthvoller Akten betreffend die
Kolonieen Gewissensruhe und Gottstreu, welche ein
treffliches Licht aus die Gründung dieser Waldenser-
Ansiedelungen werfen. Bankier Fiorino hat
mehrere alte Abbildungen, die hessische Geschichte
betreffend, erworben, darunter Bildnisse des Land-
grafen Philipp und der Landgräfin Hedwig Sophie
nnb eine Darstellung des Leichenkondukts des Land-
grafen Wilhelm VI. Letztere war im Saale zur
Ansicht aufgehängt worden, und Dr. Grotesend
übernahm die Erklärung derselben. Der Leichenzug
ging vom Schloß aus und endete am Portal der
St. Martinskirche. Vier Kompagnien zu Fuß und
die Leibkompagnie zu Pferde eröffneten denselben.
Sodann folgten die Schüler der Kasseler Lehr-
anstalten, von ihren Lehrern angeführt, die Opfer-
männer der Kasseler Kirchen, die Prediger vom
Lande, die Mitglieder des geistlichen Ministeriums,
die mittleren fürstlichen Beamten, ein Musikkorps,
die fürstlichen Pagen, die höheren fürstlichen Be-
amten, die hessische Ritterschaft, die Fahnen der
hessischen Landestheile und je ein schwarzbehangenes
Pferd mit dem Wappen des betreffenden Landes-
theiles. Den Schluß dieser Abtheilung bildete
das Wappen des Gesammtfürstenthums. An der
Spitze der folgenden Abtheilung ritten zwei Ge-
harnischte. Hinter ihnen wurde die Trauerfahne
getragen unb das Trauerpferd geführt. Sodann
- 67
folgten Adelige mit den fürstlichen Insignien des
hohen Verblichenen. Den Mittelpunkt dieser Ab-
theilung bildete der von acht Pferden gezogene
Trauerwagen. Die Pferde wurden von Adeligen
geführt. 24 Adelige trugen die Zipfel des Bahr-
tuches. Hinter dem Trauerwagen zunächst schritten
die nächsten Anverwandten des Fürsten, die Söhne
Karl, Wilhelm, Philipp und Georg. Sodann
folgten die Abgesandten der fürstlichen Verwandten,
die Damen des fürstlichen Hanfes, die Abgeordneten
der hessischen Städte, an ihrer Spitze Bürgermeister
und Rath von Kassel. Jetzt kam das Personal
des fürstlichen Marstalls, Zünfte und Gilden. Den
Schluß des Zuges bildeten 2 Kompagnien Musketiere.
Seinen Weg hat der Zug jedenfalls über den
Graben genommen und konnte bei der unterwegs
aufgestellten trauernden Volksmenge nur langsam
vorwärts kommen. Landgraf Wilhelm VI. wurde
von feinem Volke aufrichtig und tief betrauert,
hatte doch fein Hauptstreben darin bestanden, die
Wunden zn heilen, welche der 30jährige Krieg
geschlagen. Er war einer der tüchtigsten und
gelehrtesten Fürsten, die Hessen besessen. Er war
erst 34 Jahre alt, als ein plötzlicher Tod ihn
ereilte. Nachdem Dr. Grotefend geendet, erhielt
Oberlehrer Dr. Knabe das Wort zu dem Vortrag
über: „Leben und Wirken Friedrich Albert
Langels (ehemaligen Professors zu Marburg, ge-
storben 1875)." Die sehr interessanten Aus-
führungen des Redners, in welchen er ein an-
schauliches Bild vom Leben und Wirken Langes
und dessen Bedeutung gab, fanden den warmen
Beifall der Versammlung. (K. Attg. Ztg.)
Am 14. Februar feierte zu Bremen Dr. Her-
mann Alexander Müller, der älteste unter
den bremischen Gelehrten, feinen achtzigsten Ge-
burtstag. Der Jubilar ist in unserem Hessenlande
nicht unbekannt. Fast zehn Jahre lang hat er an
den Gymnasien zu Rinteln, Kassel und Fulda als
Lehrer gewirkt und die Gymnasialschüler aus den
30 er und 40 er Jahren werden sich feiner noch
wohl erinnern. Er war ein sehr gelehrter Herr,
ein anregender Lehrer, der nicht blos über philo-
logisches Wissen verfügte. Geboren war er am
14. Februar 1814 zu Bremen, studirte von
1832 — 1836 in Bonn, Berlin und München
klassische und neuere Philologie und wurde am
30. Juli 1836 auf ein Specimen feiner 1837 in
Bonn vollständig erschienenen Schrift „Pan-
athenaica“ zum Doctor philosophiae promovirt.
Zu Ostern 1837 wurde er am Gymnasium zu
Rinteln „Bikarius des Lehramts der neueren
Sprachen" und nach feiner im November desselben
Jahres bestandenen praktischen Prüfung zum Hilfs-
lehrer befördert. Im Oktober 1838 wurde er
an das Gymnasium zu Kassel versetzt itnb 1839
zum ordentlichen Gymnasiallehrer ernannt. Im
März 1842 wurde er an das Gymnasium in
Fulda versetzt und am 3. Dezember 1846 schied
er aus dem kurhessischen Staatsdienste, um einem an
ihn ergangenen Ruse als Lehrer der Gelehrtenschule
zu Bremen zu folgen. In den Jahren 1851 —1871
unternahm er Kunstreisen nach Oberitalien, nach
Dresden und Wien, nach Rom und Neapel, nach
London, Paris, Florenz und anderen Kunststädten
Mittelitaliens. Als Kunstschriststeller hat er sich
einen sehr geachteten Namen erworben. Es er-
schienen von ihm folgende Werke: „Die Museen
und Kunstwerke Deutschlands", 2 Bände, 1857
und 1858; „Archäologisches Wörterbuch der Kunst",
2 Bände, 1877 und 1878; „Biographisches
Künstlerlexikon der Gegenwart", 1882; „Lexikon
der bildenden Künste", 1883, re.
Zu Ostern 1879 ist Dr. H. A. Müller als
Gymnasiallehrer in den Ruhestand getreten, nach-
dem er vierzig Jahre im Schuldienste thätig ge-
wesen war.
In Kurhesseil löste er in Kassel wie in Fulda
seinen Kollegen Franz Dingelstedt als Gymnasial-
lehrer ab und unterrichtete an beiden Gymnasien
in den gleichen Gegenständen wie dieser, in der
französischen, deutschen und lateinischen Sprache
sowie in der Geschichte. Während seiner suldaer
Zeit hat der gründliche Gelehrte auch eine größere
französische Grammatik versaßt, die 1843 in Jena
erschien. Sie hat bei allen Vorzügen doch einen
gewaltigen Fehler, nämlich den, daß sie selbst für
die damaligen Schüler der obersten Klassen der
Gymnasien zil gelehrt ist. Größere Verbreitung
hat das Werk deshalb auch nicht gesunden.
O st e r p r 0 g r a m m e. Unsere hessischen höheren
Schulen werden ihren diesjährigen Osterprogrammen
die folgenden wissenschaftlichen Abhandlungen bei-
geben :
1. Kassel, Friedrichsgymnasiuln: Der Historiker
Friedrich Wilken. Von Adolf St oll.
2. Kassel, Realgymnasium: Rückschau aus die
25jährige Geschichte der Anstalt. Von
Wilhelm Wittich.
3. Kassel, Oberrealschule: 1) Anschauliche
Darstellung non Bau und Laub der Holz-
gewächse. Von Karl Völker. — 2) Ueber
Schulmünzen im ehemaligen Kurhessen. Von
Karl Knabe.
'
— 68-
4. Kassel, Neue Realschule. Rustebuef, eiu
srauzösischer Dichter des 13. Jahrhunderts.
Bon Adolf Kreßner.
5. Fulda, Gymnasium. Das Participium
des Aorists bei den Tragikern. Von
Philipp Sch äs er.
i*.
Hanau. Das Unternehmen, dem Begründer
der Neustadt Hanau,. Grasen Philipp
Ludwig II., ein Denkmal in hiesiger Stadt zu
errichten, ist um ein Wesentliches gefördert worden.
Voll unterrichteter Seite wird der „Hanauer
Zeitung" mitgetheilt, daß ein hieraus bezüglicher
Vertrag zwischen den Konsistorien der Wallonischen
und der Niederländischen Gemeinde und dem Direktor
der Königl. Zeichenakademie, Professor Wiese, ab-
geschlossen worden ist. Die beiden Gemeinden ge-
denken ihren 300jährigen Gründungstag am 1. Juni
1897 festlich zu begehen, und zwar besonders
durch eine Stiftung der Wallonischen Diakonie zu
niUbeu Zwecken und durch Errichtung eines Denk-
mals des Grafen Philipp Ludwig II. auf der
französischen Allee. Die Ausführung dieses Denk-
mals ist Professor Wiese übertragen worden. Auf
einem etwa drei Meter hohen Postamente von
rothem geschliffenen Granit, das auf der Vorder-
seite die Widmung und das gräflich hanauische
Wappen trägt, aus der Rückseite eine bildliche
Darstellung der Einweihung der französischen Kirche
aufweist, wird sich die Büste des Grafen in un-
gefähr dreifacher Lebensgröße erheben. Modellirt
wird dieselbe von Professor Wiese nach einem
Oelgemälde, das den Grasen in seinem 25. Lebens-
jahr darstellt, sowie nach Münzen der Zeit, die
sein Bildniß tragen. Jenes Bild, das sich ohne
Ueberschrift oder nähere Bezeichnung früher im
Stadtschlosse befand, ist das beste, das vom Grafen
Philipp Ludwig II. überhaupt existirt, und ist die
Auffindung und Bestimmung desselben Herrn
Dr. Suchier zu verdanken.
Hessische Sücherschau.
Die Flüchtlinge, eine Erzählung von der Land-
straße. Von Wilhelm Speck. Leipzig, bei
W Grunow.
Der Name des Verfassers ist den Lesern der
Zeitschrift „Hessenland" nicht unbekannt. Unser
Kasseler Landsmann Wilhelm S p e ck hat manches
schöne Gedicht in derselben veröffentlicht, und vor
allem hat „Ursula", eine Geschichte aus Waldes-
gründen, mit den trefflichen Charakter- und Natur-
schilderungen Beifall gesunden. Und so konnte
man denn auch aus das neueste Werk des Ver-
fassers „Die Flüchtlinge", eine Erzählung von der
Landstraße, wohl gespannt sein. Und gerade darin
hat er feine ausgezeichnete Begabung glänzend be-
wiesen.
Wie die Ueberschrift andeutet, schildert der Ver-
fasser darin das Schicksal eines durch Schuld
flüchtig gewordenen Liebespaares, welches, noch
jung und unerfahren, auf der Landstraße einem
Erzspitzbuben von Landstreicher in die Hände fällt,
der es recht gründlich auszunutzen versteht. Um
sich aus dem Netze dieses Schelmen zu befreien,
laden die Liebenden eine neue Schuld auf sich,
deren Sühne den Schluß der Geschichte bildet.
Es ist ein wahrer Genuß, die einfache und er-
greifende Dichtung zu lesen. Eines der schönsten
Volkslieder hat dem Dichter bei der Abfassung
der Geschichte ersichtlich vorgeschwebt: „Es fiel ein
Reis in Frühlingsnacht". Äehnlich dem alten Liede,
in welchem geschildert wird, wie ein Knabe ein
Mägdlein lieb hatte, wie sie beide ohne Wissen
der Eltern weit hinaus in's fremde Land liefen,
wie sie ohne Glück und Stern verdorben und ge-
storben sind und wie dann schließlich auf ihrem
Grab Blaublümlein blühten und sich treu wie sie
im Grab umschlangen, läßt Speck in seiner Er-
zählung die wundersamen Harmonieen heißer Liebe
und namenlosen Schmerzes, welche durch wehmüthig-
süße Akkorde einen trüben, aber folgerichtigen Ab-
schluß finden, in ilnsere Herzen klingen. Die Liebe
der Flüchtlinge, ihre Flucht durch Wald und Feld,
die Schilderungen der Morgen- und Abendstimmungen,
überhaupt der Natur sind durchweg von dem Hauche
echter Poesie bethaut und erquicken den Leser doppelt
in einer Zeit, wo die rechte Dichtkunst so selten
geworden ist. Ebenfalls erquickend, wenn auch in
anderer Weise, wirken die Geschehnisse in der
„Penne", der Landstreicherkneipe, in welcher sich
das Landstreichervolk zusammenfindet, um in seiner-
derben und urwüchsigen Art für den Abend Unter-
haltung zu suchen. Die Komik ist an vielen
Stellen von durchgreifender Wirkung. Das Buch
kann somit allen Freunden guter Poesie recht
warm empfohlen werden. K.
Briefkasten.
K. W. in R. In Beantwortung Ihrer Anfrage ersuchen
wir freundlichst um Einsendung der Abonnementsbeträge
für 1893 und I. Quartal 1894. D. V.
L. S. in B. Wir werden so frei sein, den Abonne-
mentsbetrag für 1893 und I. Quartal 1894 vermittelst
Postauftrag zu erheben. D. V.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zw enger in Fulda, Druck und Verlag vonFriedr. Scheel in Kassel.
Das „Hefsenlünd", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 11/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenslein & Wogker A. K. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 6 des „Hessenlandes": „Alkäische Strophe" von Carl Preser; „Hessische Städte und
hessisches Land vor hundert Jahren: II. Die Haupt-und Residenzstadt Kassel", von F. Zwenger (Fortsetzung); „Aus dem
Tagebuch eines hessischen Feldpredigers im amerikanischen Krieg", von Otto Gerland; „Graf Philipp Ludwig II. von
Hanau, der Gründer der Neustadt Hanau"; „Ohm und Onkel". Erzählung von C. von Dincklage-Campe (Schluß);
„Schmedt deng Gleck, schmedt es selwst", Gedicht in Schwälmer Mundart von Kurt Nuhn; Aus Heimath und Fremde;
Hessische Bücherschau; Eingesandt von Hermann von Pfister; Briefkasten; Abonnements-Einladung.
Alkäische Strophe.
s jagt der Mensch und hastet nach Glanz
und Glück;
Doch blickt er, alternd, einst aus die Hast zurück:
So zeigt sein Weben und sein Streben
Vst nur ein schmerzlich enttäuschtes Leben.
Des Bodens Grund, auf welchem das Glück
gedeiht,
Bleibt ewig Liebe nur und Zufriedenheit,
Und wer die Hast nicht kann besiegen,
Läßt es dann achtlos am Wege liegen.
Das sing hinaus, du kleines verweg'nes Lied,
Vielleicht, daß Einer noch an das Herz dich
zieht
Und von der Hast befreit die Seele:
Daß er nicht völlig fein Glück verfehle.
tzarl H'reser.
70
Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren
ii.
Die Haupt- und Residenzstadt Kaffel.
Von F. Zwenger.
(Fortsetzung.)
u der Hauptstadt Kassel ist, ivie der Verfasser
)| sehr richtig bemerkt, der Zusammenhang alles
| dessen, wodurch Staats- und Landesgeschäfte,
entweder von dem ganzen Hessen oder doch von
Niederhessen besorgt werden; nur haben die
Grafschaft Hanau zu Hanau, das Oberfürstenthum
Hessen zu Marburg und die Grafschaft Schaumburg
zu Rinteln wenigstens ihre eigenen Justizhöfe als
Regierungen und so auch ihre Konsistorien. Der
Verfasser geht dann zu den Bildungsanstalten
der Hauptstadt Kassel über. Er schreibt:
„Kassel hat höhere und niedere Anstalten dieser
Art. Die niederen und sogenannten Trivial-
jchnlcn in den drei Stadttheilen gehören 51t den
verschiedenen Kirchen Kassels, unb wäre es vielleicht
gut, wenn keine andere als diese, folglich Winkel-
und Nebenschulen nicht geduldet würden. Der
gemeine Mann verdient als Mensch diese Achtung;
eigentliche zweckmäßige Mädchenschulen hat die
Stadt nicht. Dahin sind so wenig die sogenannten
französischen Pensionen, davon Kassel einige für
junge Frauenzimmer von Erziehung hat, zu rechnen,
als jede sogenannte Schule, in der eine Wittwe
ohne weiter vorhergegangene Prüfung, noch weniger
ohne unter einer oder der anderen Aufsicht zu
stehen, Unterricht weiblicher Köpfe in der Religion
und ini Nähen und Stricken für eines und eben
dasselbe hält. In Erziehung seiner künftigen
Mütter, ob sie gleich jedem Kinde die erste Bildung
geben, ist das ganze Deutschland noch sehr zurück.
Die Deutschen und Franzosen von Kassel haben
beide ihre eignen Schulen dieser Art.
„Alle öffentlichen Schulen stehen in Kassel, so
wie im Lande, unter einer bestimmten und zweck-
mäßigen Aufsicht. Kassel bekam durch Landgraf
Philipp im Jahre 1539 ein sogenanntes Päda-
gogium zur Bildung von Studirenden, und Schul-
ordnungen von den Landgrafen Moritz, und
Wilhelm V. gaben ihm und allen Hessen, nach
den Begriffen und dem Geschmacke der Zeit, bessere
Einrichtungen. Die vom Landgrafen Karl 1709
vollzogene Stiftung eines Collegii illustris,
„Carolinum" genannt, rückte sie durch ihre Ein-
richtung in Rücksicht auf vorübende, besonders
mathematische und physikalische Wissenschaften, als
eine gelehrte Anstalt der heutigen Pädagogik näher;
ein Rektor des Pädagogiums war zu gleicher
Zeit Professor an letzterem, und daraus entstand
der Vortheil, daß jener für dieses in seinen
Schülern arbeitete. Als das Carolinum 1766
unter Landgraf Friedrich II. eine mehr erweiterte
Verfassung erhielt, die hin und wieder zu akademisch
in einem Staate sein mochte, der schon zwei
Universitäten besaß, so verbesserte dieses alles die
neuere Gestalt des Pädagogiums nicht. Dies
war einem Zufall, dem Landgrafen Friedrich II.,
einem neuen Direktorium und guten Lehrern vor-
behalten, die alle zu wirklicher und wesentlicher
Verbesserung der Schule gleichsam durch ein glück-
liches Ungefähr zusammentrafen. Das alte Schul-
gebäude an der Stiftskirche St. Martin wollte
einstürzen, und Lehrer und Schüler mußten es zu
ihres Lebens Sicherheit verlassen; die Stadt war
außer Stande, ein zweckmäßiges Gebäude aufzufüh-
ren, wie das die neue Zeit erfordert, und Friedrich II.
schenkte ihr dazu ein ansehnliches neues von ihm
erkauftes Privathaus auf der Oberneustadt, gab
ihr auch das Geld, solches dazu auf's Beste ein-
zurichten. Um den» Gebäude die Schule zu geben,
ernannte er ein eigenes zum Theil aus dem vorigen
Scholarchat gezogenes Direktorium, verbesserte die
der Zeit Philipp's angemessenen, jetzt aber
schwachen Einkünfte desselben merklich, und so
entstand das jetzige Lyceum Fridericianum.
Es hat dadurch eine dem unterrichteten Geiste
und Geschmacke des Jahrhunderts gemäßere Gestalt,
durch vier obere Klassen unter einem Rektor und
drei anderen Lehrern als Gelehrten für die eigent-
lichen studirenden Söhne Kassels erhalten und
durch drei untere Klassen, in welchen drei andere
Lehrer jenen in den ersten Gründen vorarbeiten
und den künftigen Bürger, das ist den Kaufmann
und Handwerker, ausbilden. Es wurde neulich
von einer Christenschule gesagt, daß Juden ihre
71
Schüler wären, das findet auch hier statt. Die
reformirte Kirche ist die herrschende in Kassel,
allein die lutherischen Klassen werden von refor-
mirten Lehrern in ihrem lutherischen Katechismus
unterrichtet, und die oberen Klassen lernen die
Religion nach Dieterich's.Weg zur Glückseligkeit',
und dieser ist lutherischer Hofprediger in Berlin.
Mit diesem Lyceum verband Friedrich II. ein
Schulmeisterseminarium, das sicherste Mittel zur
allmaligen Aufklärung des Volkes. Es hat sein
eigenes Gebäude, einen Maulbeergarten, des von
ihnen zu lernenden Seidenbaues wegen, seine Ein-
künfte zur Erhaltung einer gewissen Zahl von
Schülern, einen Spezialanfseher neben dem Rektor,
beide unter dem Direktorium, und Lehrer sür
Musik, Rechenkunst und die übrigen Wissenszweige.
Die Seminaristen ziehen Nutzen von dem Unterricht,
der in den unteren Klassen gegeben wird und
haben eine eigene Schule, in welcher sie selbst
Gelegenheit zum Lehren erhalten. Sie machen,
mehrerer Unterstützung halber und zur Uebung
im Singen, ein sogenanntes Stadtsingechor an
gewissen Tagen aus, ohne daß es die übele Folge
hätte, durch welche man dergleichen als schädlich
zu bezeichnen Pflegt. Das gute Zeugniß des
Direktoriums, einem Seminaristen gegeben, der
solches vor anderen verdient, versichert ihm eine
gute Schulmeisterstelle. — Das Collegium illustre
Carolinum hat unter der jetzigen Regierung
größtenthcils seine erstere, auf blos vorbereitende
Wissenschaften eingeschränkte Gestalt erhalten;
seine akademische hat es also verloren. Näher an
das Lyceum gerückt, würden vielleicht beide eine
der besten Mittelschulen in Deutschland ausmachen.
„Von gelehrten Anstalten hat Kassel außerdem
die Gesellschaft der Alterthümer, welche Friedrich II.
stiftete. Sie hatte durch einen französischen be-
ständigen Sekretär von außen und innen die
Gestalt einer Landsmannschaft gewonnen, denn
Friedrich II. hatte auch durchaus eine französische
Erziehung gehabt. Der jetzt regierende Landgraf,
stolz darauf, der delltsche Fürst deutscher Hessen
zu sein, hat ihr die deutsche und hessiche Geschichte
der Mittelzeit nebst dem Studium der im Museum
befindlichen Alterthümer, auch einen Deutschen
zum beständigen Sekretär gegeben. Meistcntheils
bei Anwesenheit des Landgrafen hält die Gesellschaft
vierteljährlich ihre Sitzungen im Museum ab, und
ihre neueste Preisschrist ist der erste bekannt ge-
wordene öffentliche Beweis ihrer Deutschheit.
„Die Gesellschaft des Ackerbaues und der Künste,
gleichfalls eine Stiftung Friedrich's II., ist mit
fortgesetzter fürstlicher Unterstützung von ihrem
Beschützer, dem Landgrafen Wilhelm IX., zweck-
mäßig bestätigt worden. Im Grunde ist sie
keine gelehrte Gesellschaft, sie will nicht durch
theoretische Beiträge ihrer Mitglieder die neue
Landwirthschaftslehre erweitern, sondern läßt es
blos bei spekulativen Preisfragen für den Künstler
und Landmann bewenden. Ihre Preisausgaben
kündigt sie auf ein Jahr an, ertheilt die Preise
am Geburtstage ihres Beschützers und nimmt in
allem hauptsächlich auf den hessischen Landbau
Rücksicht. Sie hat ihre Zimmer im Meßhause
auf der Oberneustadt.
„Da der Krieg auch Wissenschaft ist, so gehört
die Kriegsschule hierher, welche durch 40 junge
Edelleute und aus den hinzugekommenen Edel-
knaben Offiziere für das hessische Korps erzieht.
Ein Obrist von den nöthigen Kenntnissen und
von Erfahrung ist Oberaufseher des Kadettenkorps,
einige Professoren, Ingenieure unb andere sind
Lehrer und Meister an dieser durch den jetzigen
Landgrafen noch mehr vervollkommneten Anstalt.
Eine andere durch ihn gestiftete Kriegsschule ist
die für die Artilleristen.
„Kassel hat deutsche und französische Buch-
handlungen und Buchdruckereien, es wird aber
hier mehr geschrieben als verlegt.
„Was die schönen und insbesondere die bildenden
Künste betrifft, so hat Kassel darin seine Vorzüge.
Entweder scheint Deutschland noch keine rechte
Vorstellung von einer Kunstakademie zu haben,
wie Rom und Paris sie hat, oder, was freilich
wohl der Fall ist, die Hauptstädte von deutschen
Provinzen sind dazu mcistentheils nicht reich genug
an Kunstsachen; auch kann nicht jedes Genie,
ob es gleich deren zu Dutzenden nicht giebt,
genug von manchem deutschen Fürsten belohnt
werden, weil er es nicht genug beschäftigen kann.
Kassel hat indessen durch eine vom Landgrafen
Friedrich II. 1775 gestiftete Maler-, Bildhauer-
und Baukunst-Akademie in Rücksicht auf eine
Bildergalerie, auf Modelle von Gebäuden und
wirkliche Gebäude und Anlagen selbst einen großen
Vorzug vor anderen deutschen Fürstenstädten, die
sich an blasen Zeichenschulen sollten genügen lassen!
Auch ist Tischbein der Vater, der Meister und
Lehrer einer Tischbeinischen Schule, die anderen
Akademicen Lehrer, mehreren Fürsten tüchtige Hof-
maler und selbst Italien bewunderte Meister
seines Namens gab, Deutschlands wirklicher und
wahrer Apelles; Nahl den Vater, dessen Sohn
jetzt lehrt, kannte die Kunstwelt, und daß Dil
Ny, ein Enkel der Baumeisterfamilie, die fast
alles Große und Schöne in der Hauptstadt seit
Karl's Zeit baute, ein Baumeister ist, zeigen seine
ireuesten Gebäude. Diese Meister in ihrer Art
sind Direktoren und Professoren der Akademie
unter der Protektion des Landgrafen und dem
72
Präsidenten, Herrn von Veltheim; auch hat sie
Ehren- und ordentliche Kunstin itglieder und
ihre Fonds. Dessinateure lehren die Anfänger,
und jährlich werden Preise jeder Kunst ausgetheilt.
Ihren Sitz hat sie in der Bildergalerie. Jeder
Schüler kann auch von ihrem schönen, reichen
Vorrath durch Zeichnen Gebrauch machen. Der
Landgraf läßt einige für jede Kunst, auch für
andere damit verwandte Künste ihm als würdig
empfohlene Genies nach Frankreich und Italien
reisen. Der dadurch verbreitete schöne Geschmack
zeigt sich auch unter den Handwerkern Kassels,
von welchen Schreiner, Schlosser, Steinmetzen,
Weißbinder in ihrer Art Künstler sind, das heißt
hier Handwerker mit Künstlergeschmack, weil sie
zeichneten und zeichnen können. Den Gärtner von
Genie und Geschmack setze ich höher hinauf, wie
des Landgrafen vortrefflichen Schwarzkopf auf
dem Weißenstein. Er ist Baumeister einer schönen
Natur auf Bergen, in Thälern und Ebenen der
Vertraute des Baumeisters und Malers und
Nntnrkündigers.
(Schluß folgt.)
Aus dem Tagebuch eines hessischen Feldpredigers im
amerikanischen Krieg.
Von Otto Gerland.
^Wei dem Interesse, das die Thaten unserer
Jl) Vorfahren in Amerika jetzt finden, werden
Ost auch wohl den Lesern dieser Blätter die
nachfolgenden Mittheilungen nicht unwillkommen
sein, welche ich einer im Archiv des Vereins für
Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu
Schmalkalden aufbewahrten und mir vorn Vor-
stand dieses Vereins ans das Liebenswürdigste
zur Verfügung gestellten Handschrift entnehme.
Es ist dies ein Oktavbuch, in welchem ein hessischer
Feldprediger seine Erlebnisse gelegentlich des
amerikanischen Krieges theils in Form eines
Tagebuches, theils in Gestalt von Bemerkungen
über seine seelsorgerische Thätigkeit niedergelegt
hat, und welchem noch einige interessante Bei-
lagen, wie Gehaltsquittungen, das Formular zum
Kirchengebet, die Verrechnung der Opfergelder
u. s. w., beigefügt sind. Es mögen alle diese
Niederschriften, welche einzeln, wie es der Augen-
blick mit sich brachte, dem Buch einverleibt
wurden, hier, soweit es anging, in eine gewisse
Reihenfolge und Ordnung gebracht, folgen, und
wenn auch die Mittheilungen über den Marsch
von Hessen bis zum Meere fast vollständig wieder-
gegeben werden, so geschieht dies, weil sie zum
Theil kulturgeschichtlich interessante Angaben ent-
halten, zeigen, wie man damals marschirte,
und endlich, weil wir daraus ersehen, wie der
Marsch fast ausschließlich auf das hannoversche
Gebiet beschränkt und wie die Truppe überall
freundlich aufgenommen wurde. Eine systema-
tische Darstellung des Krieges giebt uns der
Verfasser des Tagebuchs natürlich nicht.
„Quo me fata trahunt sequaru.
Zuerst einige Worte über den Verfasser selbst.
Es ist dies Heinrich Kümmell*), welcher in
der damals hessischen Stadt Vacha als Sohn des
dortigen zweiten Predigers Adam Friedrich
Kümmell am 6. Dezember 1753 geboren war
und zu Rinteln und Marburg studirt hatte.
„Im Jahr 1776 wurde ich", erzählt er in
seinem Tagebuch, „bei Ueberlassung der hessischen
Truppen in englischen Sold zum Feldprediger
bei den beiden Regimentern v. Huhne und
v. Bünau gnädigst ernannt und den 7. Februar
dazu nebst fünf meiner Kollegen ordinirt. Den
8. März bin ich von Singlis, wo ich mich vor-
her aufgehalten, nach Ziegenhain zum Huyne'schen
Regiment gezogen und hielt mich daselbst auf,
bis den 5. Mai Ordre kam, den 7. zu marschiren."
Dies Regiment war vorzugsweise aus Oberhessen
rekrutirt. Kümmell erhielt nach den vor-
handenen, in englischer Währung aufgestellten
Berechnungen seiner Gehaltsbezüge ein „monat-
liches Traktament" von 6 — 120 Mark oder
jährlich 1440 Mark, 1 J? monatliche Fourage-
vergütnng — 240 Mark jährlich und eine
monatliche Menagevergütnng von 3 £* = 720
Mark jährlich, so daß er im Ganzen 2400 Mark
erhielt. Da er Fouragevergütung erhielt, so
müssen wir annehmen, daß er beritten war. In
Ziegenhain begannen bereits seine pfarramtlichen
Pflichten. Zahlreiche Soldaten ließen sich noch
fl Vergl. über ihn Hafner: Die Herrschaft Schmal-
kalden, Band IV, S. 186; Kümmell wurde nach dem
Krieg Diakonus und 1803 erster Prediger und Inspektor
an der reformirten Gemeinde in Schmalkalden.
73
schleunigst trauen, meist leider, nachdem sie zuvor
hatten Kirchenbuße thun müssen. Die Soldaten
rückten nämlich mit Weib und Kind in den
Krieg. Aus einem Zettel über Bücher, welche
Kümmell an den Lieutenant von Knoblauch
in Amerika verborgt hat, ersehen wir, daß er
u. a. die Briefe, Fabeln und vermischten
Schriften von Geliert sowie den „Versuch über
die menschliche Natur" von L. Sterne mit-
genommen hatte. Endlich erfolgte, wie bemerkt,
am 7. Mai der Ausmarsch. „Wir rückten",
erzählt Kümmell, „diesen Tag bei schönem Wetter
unter wehmüthigem Geschrei vieler Leute aus,
gingen über Wabern nach Gudensberg, woselbst
ich mit Herrn Auditeur Steuber bei der Frau
Bürgermeister Möllerin logirte. Den folgenden
als den 8. marschirte das Regiment gerade durch
Kassel auf Jmmenhausen, ich aber blieb noch
einige Stunden mit Herrn Auditeur in Kassel
bei Herrn Lizentiat Faber und machte mit diesem
und einigen guten Freunden eine Exkursion nach
Wilhelmsthal, nahmen den Garten und die
sehenswürdigen Sachen in Augenschein und folgten
dem Regiment bis Jmmenhausen. Hier logirten
wir beide nebst Heren Regimentsquartiermeister*)
bei Herrn Stadtkämmerer Junck. Den andern
Morgen früh setzten wir unsere Reise fort über
Gieselwerder. Auf Lippoldsberg logirten wir
bei dem Herrn Pfarrer Schmincke. Hier hatte
das Regiment Rasttag. Den 11. ging der Marsch
auf Uslar, eine kleine Stadt im Hannoverschen.
Hier logirte ich allein bei Herrn Pastor Primarius
Köhler und besuchte des Nachmittags den Herrn
Amtmann Brunsing, der fast die sämmtlichen
Offiziers speisete und einen Ball gab. Auch hier
hatte ich und das Regiment gute Quartiere.
Den 12. kamen wir nach Dassel, einem Hildes-
heim'schen Städtchen. Der dasige zweite Prediger-
Schmidt hielt auf Bitten des Generals**) in der
Kirche eine Predigt über Psalm 18, Vers 53,
54 am Rasttag." Dieser Text lautet: „Und er
leitete sie sicher, daß sie sich nicht fürchteten, aber
ihre Feinde bedeckte das Meer. Und brachte sie
in seine heilige Grenze, zu diesem Berge, den
seine Rechte erworben hat." „Am 13. setzten wir
unsere Reise weiter fort und nahmen Quartier:,
der Stab nebst zwei Kompagnien in Eschershausen
einem kleinen Flecken im Braunschweigischen. Ich
und Herr Auditeur hatten unser Quartier bei
ft Dies ist vermuthlich der Regimentsquartiermeister
Kleinschmidt beim Regiment v. Ben»ing, mit dem
Kümmell allein in den einschlagenden geschäftlichen Be-
ziehungen stand und ihn deshalb auch allein erwähnt.
**) Wohl der noch öfters zu nennende General
Martin Konrad Schmidt,
dem Bäckermeister Herrn Mahlmann, wobei wir
aus das Beste abermals bewirthet wurden. Wir
marschirten den 14. von da wiederum in das Hanno-
versche nach Hagen, woselbst die Quartiere sich um
ein Merkliches vergeringerten. Das Regiment rückte
den anderen Tag weiter fünf Stunden nach
Hachmühlen, ich aber ritt nach Rinteln, wo ich
denselben Tag als auf Himmelfahrt des Nach-
mittags um 2 Uhr dahin kam, mußte aber, weil
die Thore verschlossen, bis 3 Uhr vor dem Osterthor
halten." Hier besuchte Kümmell einen Bruder
und einen Freund, den Rektor Wiegand, welche
ihn anderen Tags bis Rodenbcrg begleiteten,
„wohin das Regiment von Hachmühlen marschirt
war. Hier hatte ich recht gutes Quartier, meine
beiden Gäste wurden von meinem Wirth nebst
anderen guten Freunden sehr gut bewirthet. Den
19. ging unser Marsch über Hohnhorst, den
Geburtsort unseres Herrn Auditeurs, nach Hagen-
burg, vhnweit dem Steinhuder Meere in der
Grafschaft Lippe-Bückeburg. Daselbst hatte ich
mein Quartier bei dem dasigen Pastor Herrn
Merkel, bürtig aus Rinteln. Der Herr Pastor
war im vorigen Kriege*) Feldprediger bei dem
Grafen von Bückeburg**) gewesen und beschenkte
inich mit seinem Regimentskelch von Goldblech. Den
20. zogen wir über Neustadt an dem Leinberg***),
einem kleinem Städtchen im Hannoverschen,
nach Stöcken in eben der Landschaft; weil diese
Tour außerordentlich stark, so hatten wir viele
Kranke. Auf den Rasttag, als den 21., wurde
ich von Herrn Pastor Volcker Hierselbst nebst dem
Herrn General Schmidt und anderen Offiziers
zur Tafel gezogen. Bei Herrn Hofgrebe Tospan
war Musik. Den 22. gingen wir über die
Hameler Heide, die zwei Stunden lang, nach
Rethem, einem kleinen Städtchen im Hannoverschen,
mein Quartier war Hierselbst bei Herrn Zoll-
einnehmer Zoll, der im vorigen Kriege als Kom-
missarius mit gewesen und mir davon Vieles zu
erzählen wußte; er bewirthete mich bestens. Den
anderen Morgen marschirten wir nach Verden.
In dieser Stadt lagerte das ganze Regiment
v. Huhne und das Grenadierbataillon Köhler;
es gefiel allen so wohl, daß wir gewünscht, lange
Zeit da unsern Aufenthalt zu haben. Allein wir
mußten den anderen Tag als den 24. Mai
wiederum drei Meilen marschireu nach Otters-
berg, einem kleinem Flecken in diesem Land.
Am 25. war Rasttag. Den 26. nahmen wir
*) Im siebenjährigen Kriegs
**) Graf Wilhelm von Bückeburg. dem berühmten Heer-
führer auf Seiten Friedrich's des Großen; dem auch die
hessische Artillerie unterstellt gewesen war.
""ft Dies wird Neustadt am Nübenberge fein sollen.
74
«
unsere Marschroute eilte Meile nach Wildstadt,
einem kleinen Dors, das gar leer von Häusern,
in welchett Offiziers logiren konnten, und logirte
ich mit Herrn Auditeur in der Mühle, wo wir
gut bewirthet wurden. Bei dem Herrn Pastor
Pelius wurden Nachmittags alle Offiziers ge-
speist und voit lauter Pvrzellaiu servirt. Am
27. marschirten wir nach Bremerverden*), einem
Städtchen an der Oste, hier hatten wir alle
gute Quartiere und waren vor eine geringe
Zahlung gut bewirthet. Den 28. nach Bederkesa,
zwei Meilen von Bremer-Lehe, vier Meilen von
Ritzebüttel; ich hatte daselbst mein Quartier bei
der Wittwe Jung. Der dasige Landdrvst, Herr
von Grote, gab den Stabsoffiziers, Kapitäns,
Auditeur, Regimentsqnartiermeister iinb mir den
28. und 29. grand soupe, wobei auf blosem
Wachstuch ohite Tischtuch gespeiset wurde. Die
ganze Tafel war mit vielen Blumen, porzellainenen,
zinnernen und anderen Zierrathen ausgeschmückt.
Der Herr Landdrost war sehr fidel, und seine
fünf Tochter von besonderer Schönheit und Höf-
lichkeit machten sich mit sämmtlichen gegenwärtigen
Offiziers recht lustig. Den 5 ¿0. marschirten wir
in die Kantonnementsquartiere. Das Regiment
wurde in das Land Wursten, eitle Meile von Ritze-
büttel, verlegt. Der Stab hatte das Malheur,
nach Nordholz, einem elenden Dors, verlegt zu
werden. Hier mußten sich die Offiziers, den
Chef ausgenommen, in den elendesten Hütten,
>vo man kaum strack stehen konnte, behelfen.
Es wurde aber unser Wunsch, nicht lange daselbst
uns aufzuhalten, erfüllt, indem wir Sonntags
deit 2. Juni Ordre erhielten, uns am 3. nach
Ritzebüttel zur Musterung zu verfügen. Um
6 Uhr marschirte das Regiment, nachdem sich die
Kompagnien beim Stab versammelt, ab und
kamen um 7 Uhr an den Hafen. Es wurde
also zuerst eine Kompagnie Konstabler in
Gegenwart des englischen Oberste» Fawcitt,
des hessischen Generallientenants von Kn-yfi-
tz aus en, der die zweite Division hessischer
Truppen kommandirt, iinb des hessischen Muste-
rungskvmmissarius Oberstlieutenant Schlemmer
vom St ein'scheu Regiment gemustert und vom
Herrn Auditeur Steuber an die Krone Eng-
land verpflichtet, darauf das H tt y tt e 'sche und
Stein'sche Regiment und das Köhler'sche
Grenadierbataillon von ihrem Auditeur, sodann
die Jäger von Herrn Auditeur Steuber."
Wir müssen hier erst einmal innehalten, um
selbst eine kleine Musterung der Regimenter vor-
zunehmen. Jedes Marschregiment bestand aus
*) Bremervörde.
fünf Kompagnien und einer Abtheilung Regiments-
artillerie. Die erste Kompagnie hieß die Leib-
kompagnie und gehörte dem Regimentskom-
mandeur. Als Inhaber der zweiten, dritten und
vierten Kontpagnie, sowohl bei dem Regiment
v. Huhne als bei dem Regiment v. Benning
nennt Kümmell gleichmäßig je den Oberst Kurze,
Major Hildebrand und Major Martini,
während die fünfte Kompagnie keinen Inhaber,
sondern nur einen Kompagnieführer hatte, bei
Huhne nach einander die Kapitäns Wagner,
Schalter und Sonne born, bei Benning
nur Sonneborn.
Es ist hier auch der Platz, um auf eilte Folge
der dvppelteit Verpflichtung der Truppen gegen
den Landgrafen und die Krone England hin-
zuweisen; diese zeigte sich im Kirchengebet, das
im Anschluß an das in der Heimath übliche
folgendermaßen lautete:
„O allmächtiger, barmherziger Gott, Vater
unseres Heilandes Jesu Christi, der Du uns-
in Deinem Worte befohlen, Dich in dem
Namen Deines Sohnes anzurufen, mit der
gnädigen Verheißung, daß was wir in feinem
Namen bitten werden, Dtt »ns geben wollest,
wir kommen auf solchen Befehl ztt Dir uitd
danken Dir zuvörderst vor die Gnade, die Du
uns jetzt zu Anhörung Deines Wortes gnädig
verliehen hast, und Bitten Dich herzlich, Dü
wollest solches tief in unser Herz drücken,
damit es bei uns Frttcht bringe, zu Deines
Namens Ehre und unser aller Seligkeit. Laß
es uns immer der Leitstern sein ans unserm
Weg. Erhalte uitd vermehre bei uns die
Liebe zum Christenthum. Die ganze christliche
Kirche sammt ihren Dienern, Wächtern und
Hirten wollest Du stets mit Deinem heiligen
Geiste regieren, sie bei der Weide Deines
reinen, ohnverfälschten und allein selig
machenden Wortes erhalten, damit unser Glaube
gegen Dich gefördert, die Liebe gegen alle
Menschen wachse und zunehme uitd also das
Reich Deiner Herrlichkeit immer mehr auf
Erden ausgebreitet werde. Wir bitten Dich
auch für die Mächte der Erde, die Du zu
Regenten über Dein Volk gesetzet hast. Nimm
in Deinen göttlichen Schutz der Briten König
nebst dessen ganzem Königlichen Hause.
Benedeie seine Regierung, gieb Glück zu seinem
Anschlag und guten Unternehmen, segne seine
Waffen wider seine Feinde und kröne sie mit
erwünschtem Glück iinb Segen. Bewahre
unsern Landesfürsten ttttb das ganze hessische
Haus und beschenke es mit Segen aus der
Höhe. Starker Zebaoth, von welchetn heilige
75
Kraft, guter Rath und rechte Starke kommen,
sei Du auch unter uns und verlasse uns
nicht. Zeug mit uns und beschirme besonders
unseren kommandirenden General, segne seine
Entwürfe und Unternehmungen. Nimm auch
in Deinen Schutz unsere ganze Generalität,
Stabs- und andere Offiziere, Gemeine und
was zu diesem Regiment gehört. Herr, gedenke
stets unser nach Deiner großen Barmherzigkeit,
hilf, daß wir uns nie auf unsre eigene Macht,
sondern auf Deinen allmächtigen Arm ver-
lassen. Begleite uns ferner auf allen unseren
Wegen und weiche mit Deiner gnädigen Obhut
nicht von uns. Behüte uns, reiner Gott,
durch Deinen heiligen Geist vor Sünden, mit
welchen wir Dich erzürnen und unseren Nächsten
betrüben. Erhalte uns bei guten Lebens- und
Seelen-Kräften, daß wir in unserem Berufe
Dir getrost dienen können. Heile die Kranken
und Schwachen; die Du aus der Welt
fordern wirst, denen stehe mit Deinem Geist
bis an ihren letzten Lebenszug bei, erhalte sie
mit Trost von Vergebung der Sünden, damit
sie nicht verzweifeln. Die aber in Deinem
Dienste bleiben, die führe nach Deinem Rath
und nimm uns alle endlich ;u Ehren an.
Erhöre unser Gebet um unseres Heilandes
Jesu Christi willen. Amen. Unser Vater
u. s. w."
Nach dieser Abschweifung lassen wir Kümmell
weiter erzählen: „Nach geschehener Musterung, die
sehr speziell war, und abgelegter Huldigung
marschirten gedachte Regimenter mit klingendem
Spiel an das Wasser und wurden auf Nachen
zu den Schiffen gebracht, die von verschiedener
Größe waren, theils an 900, 700 und 400
Tonnen. Wir beiden Feldprediger und zwei
Auditeurs von der zweiten Division hatten Ordre,
nicht mit einzuschiffen, sondern uns zum General-
stabsquartier nach Otterndorf zu verfügen, Ivo
schon vor uns die Quartiere bestellt waren. Ich
logirte daselbst beim Goldschmied Herrn Meyer,
der mich sehr gut bewirthete und mit vielen
Viktualien bei unserer Abreise beschenkte. Wir
blieben daselbst bis den Donnerstag (6. Juni). Den
5. wurde das Regiment von Wissenbach bei Ritzebüttel
embarqnirt. Den 6. kam die Reihe an uns. Wir
marschirten mit dem Generalstab an den Hafen,
passirten dort mit dem Regiment v. Bünau
die Musterung und wurden, nachdem dieses und
das Regiment v. W u t g e n a u verpflichtet
worden, auf das Schiss ,5 Systersh so 400 Ton-
nen hält, embarqnirt. Der Kapitän Mell
vom Bünan'schen Regiment war Kommandeur
vom Schiffe, es befanden sich darauf fünf
Offiziers nebst einer Kompagnie. Der Schiffs-
kapitän war ein geborener Königsberger Namens
1. G. Schulz. Wir lagen bis den 9. vor
Anker, da wir des Morgens um 5 Uhr segelten.
Die ersten zwei Tage hatten wir ziemlich Wind,
der sich aber hernach drehte und uns ganz
konträr war, svdaß wir auf den 20. Juni zu
Portsmouth ankamen. Den 28., Abends
7 Uhr, segelten wir von da ab, um unsere Reise
so schleunig als möglich gerade nach Amerika
fortzusetzen, allein der Wind wilrde so konträr,
daß wir den 6. (Juli) in den Hafen von
Plymouth einlaufen mußten. Den 14. wurden
wir von dem unangenehmen Schiff ,5 Systers'
debarquirt und von Herrn General Schmidt
zu sich auf ,4 gute Freunde', wo beinahe drei
Kompagnien vom H u y n e 'scheu Regiment sich
befanden, aufgenommen. Den 20. segelten wir
ab, hatten aber beständig schlechten Wind, sodaß
wir erst am 28. aus den Kanal bei Lands
Ende kamen. Den 20. August kamen wir
zwischen den Azorischen Inseln durch, St. Michael,
Maria, Floris und der große Berg Pico. Den
28. September wurde ein kleines Schiff mit
Kaper gefangen genommen und mitgeführt. Den
2. Oktober hatten wir so guten Wind, daß wir
in 24 stunden 35 Meilen segeln konnten.
Nun hatte" schon unsere Reise ziemlich lange
gedauert, unser Verlangen, an Land zu kommen,
wurde immer stärker, bis wir endlich den 16.
das erste Land, Brock Island*) genannt, er-
blickten. Den 20. des Morgens warfen wir
Anker vor New-Pork; ein ansehnlicher Ort und
einer der vornehmsten in Amerika, hat zwar sehr
viele bretterne Häuser, jedoch sind die mehresten
von Stein, schöne Kirchen, breite Straßen, zwei,
deutsche Kirchen, eine reformirte und eine lutherische
die aber zu den jetzigen Zeiten wegen der Rebellion
sehr ledig stehen. Ein ansehnlicher Theil der
Stadt war durch die Rebellen in den Brand
gesteckt worden. Die erste Division war schon
im August angekommen und hatte die Stadt
von den Feinden ledig gemacht. Die mehrsten
der hiesigen Einwohner waren rebellisch gesinnt,
sehr viele und fast die Hälfte der Häuser standen
ledig, nach und nach zogen sie sich wieder in
ihre Wohnungen, nachdem ihnen das Betragen
der Hessen andere Begriffe von denselben bei-
gebracht hatte. Man hatte ihnen gesagt, daß
der Hessen Kinder fräßen und in allem sehr
feindselig wären. Man sah vorher und noch im
Oktober in der Stadt keine Kramläden, alles
*) Hiermit wird die Insel Block-Island gemeint sein
an: Eingang vom Long-Jsland-Sund.
76
war gleichsam tobt. Ein einziger Wirth Namens
Grimm, ein geborener Pfälzer, war noch im
Stande, Jemanden zu bewirthen. Nachher wurde
aber wieder alles lebendig. Die Kaufleute und
Fabrikanten kamen in Kommerz. Die Insel
Pork war aber noch nicht ledig von Feinden.
Zwei englische Meilen von der Stadt war eine
Festung, Fort Washington genannt, worauf
noch eine große Anzahl Rebellen saßen.
(Fortsetzung folgt.)
Graf Philipp Ludwig II. von Hanau.
der Gründer der Neustadt Hanau.
sank dem gütigen Entgegenkommen des Herrn
Landraths Max Flicdner in Fulda sind wir
in der Lage, die Festrede wiederzugeben,
welche dessen Vater, der am 14. Mai verstorbene
Professor der Mathematik und Physik am Gym-
nasium zu Hanau, Di'. Konrad Fliedner,
ein Studienfreund Franz Dingelstedt's und ebenso
bekannt als begabter Dichter wie als ausgezeich-
neter Fachgelehrter, am 18. November 1876 im
Geschichtsverein zu Hanau bei der Feier des
dreihundertjährigen Geburtstages des Grafen
Philipp Ludwig II. von Hanau, des
Gründers der Neustadt Hanau, gehalten
hat. Da man gegenwärtig in Hanau mit dem
Plan umgeht, diesem Regenten eilt Denkmal zu
errichten, so ist die Veröffentlichung des Vor-
trages unseres Erachtens von ganz besondererem
aktuellen Interesse. Die Festrede lautet:
„Wir feiern heute (18. November 1876) das
Andenken an die Geburt eines edlen hochsinnigen
Mannes, des Grafen Philipp Ludwig II. von
Hanau, dem die Stadt Hanau zu großem Danke
verpflichtet ist, und ich folge dem Wunsche des
Vorstandes unseres Geschichtsvereins, in dieser
Versammlung an die wichtigsten Thatsachen aus
dem Leben und Wirken des Grafen zu erinnern,
Thatsachen, welche freilich hier in Hanau,
wv die Steine davon reden, nicht ganz unbekannt
sein können.
Am 18. November 1576 wurde dem Grafen
Philipp Ludwig I. und dessen Gemahlin
Magdalena, einer geborenen Gräfin von
Waldcck, der erste Sohn geboren, der den
Namen des Vaters erhielt. Aber der Vater starb
schon nach vier Jahren, svdaß die Grafschaft
unter Vormünder kam, während die Erziehung
des jungen Grafen von der Mutter geleitet wurde.
Diese vermählte sich später mit dem Grafen
Johann von Nassau, durch dessen Einfluß
sie voin lutherischen zum reformirten Bekenntniß
überging und auch ihre Kinder in diesen: erzog.
Dadurch entstand zwar Streit zwischen ihr und
den lutherischen Vormündern, sie setzte indessen
ihren Willen durch.
Der junge Graf zeigte schon frühe nicht ge-
wöhnliche Gaben und zeichnete sich auf dem neu
gegründeten Gymnasium illustre in Herborn,
wo er neben den schönen Wissenschaften auch
Theologie, Jurisprudenz und Philosophie studirte,
sowie später auf der Universität Heidelberg so
sehr durch Rede- und Disputirkunst aus, daß er
von beiden Anstalten mit der Würde eines reetor
magnificus beehrt wurde. Die Ertheilung dieser
Würde erscheint uns freilich heute kaum verständ-
lich, da der Graf nach seiner Rückkehr von Heidel-
berg erst 17 Jahre alt war; aber für sein
wissenschaftliches Interesse zeugt, daß er sofort
nach seiner Rückkehr von Heidelberg in Hanau
eine Buchdruckerei anlegte, aus welcher die später
berühmt gewordenen A u b r i e 'schen und Wechel'-
schen Druckereien hervorgegangen, und für die
Achtung, die man seiner Begabung zollte, spricht
die Thatsache, daß ihm schon in seinen Jünglings-
jahren von den Wetterauischen Grafen ein Auf-
trag in Staatsangelegenheiten an den Kaiser
Rudolph II. anvertraut wurde, dessen er sich
auch mit großer Klugheit entledigte.
Schon vor Ausführung dieses Auftrags hatte
unser Graf, der bisher, wie mein Gewährsmann
sich ausdrückt, nur mit dem Fach der Gelehrsam-
keit sich beschäftigt hatte, eine Reise unternommen,
um die Sitten und Gebräuche anderer Völker
kennen zu lernen und Kunst und Wissenschaft
an ihren Hauptsitzen zu studiren. Er war zu
diesem Zweck durch Niederhessen nach den Nieder-
landen gegangen, wo damals die Künste in hoher
Blüthe standen, und hatte sich auch um der
Wissenschaft willen in Leyden aufgehalten. Etwas
später unternahm er eine große Reise durch
Oesterreich, Ungarn, Böhmen, Polen und Schlesien
und verweilte dann längere Zeit in Italien, wo
er in Rom und Neapel die Kunstschätze des
Alterthums studirte und in Bologna und Padua
abernials unter die Studirenden sich aufnehmen
77
ließ. So mit ungewöhnlichen Kenntnissen und
gereiftem Urtheil ausgerüstet, trat er 1596,
zwanzig Jahre alt, die Regierung seines Landes
an und vermählte sich noch in demselben Jahre
mit Katharina Belgica, einer Tochter des
Prinzen Wilhelm von Oranten, welche Ver-
bindung wohl nicht ohne Einfluß auf die Theil-
nahme war, die er den um ihres Glaubens
willen aus ihrer Heimath vertriebenen Nieder-
ländern schenkte, und die zur Gründung der
Neustadt Hanau führte.
Um die Veranlassung zu diesem wichtigsten
Ereigniß während der Regierung unseres Gasen
übersichtlich darzustellen, muß ich in der Zeit
etwas zurückgehen.
Die Niederlande, zum Theil von Holländern,
zum Theil von französisch sprechenden Wallonen
bewohnt, waren zur Zeit Kaiser Karl's V., in
dessen Besitz sie sich befanden und der von 1516
bis 1556 regierte, zu hoher Blüthe in Industrie
und Handel gelangt, und der rege Geist ihrer
Bewohner hatte sich auch an die informatorischen
Bestrebungen Luther's, Calvin's und Zwingli's
angeschlossen, aber Kaiser Karl, der in Deutsch-
land wegen des Widerstandes der Fürsten die
Ausbreitung der neuen Lehre nicht hindern konnte,
verfolgte sie in seinen Erblanden mit den härtesten
Strafen. Wer überwiesen wurde, ketzerische Lehren
verbreitet oder auch nur den geheimen Zusammen-
künften ihrer Anhänger beigewohnt zu haben,
wurde zum Tode verurtheilt, mit dem Schwert
hingerichtet oder verbrannt, Frauen selbst lebendig
begraben. Und diese Urtheilssprüche konnte auch
ein Widerruf nicht aufheben, sondern höchstens
eine gelindere Todesart bewirken. Nach G r o t i u s
sollen während der Regierung dieses Kaisers
100600 Menschen auf diese Art in die Hand
des Henkers gefallen sein. Diese Verfolgung ver-
anlaßte schon 1547 eine Auswanderung von
Wallonen und Holländern nach England
(unter Eduard III.). Als aber auch dort nach der
Thronbesteigung der Königin Maria (1553) die
protestantische Lehre verfolgt wurde, begaben sie
sich mit einer großen Anzahl gleichgesinnter Eng-
länder nach Deutschland und zwar ein Theil
derselben nach Frankfurt a. M. Die Eng-
länder kehrten indessen schon 1558 nach der Thron-
besteigung der Königin Elisabeth in ihr Vater-
land zurück.
Die Flüchtlinge kamen aber auch in F r a n k-
surt nicht zur Ruhe. Anfangs zwar wurden
ihnen in der Meinung, daß sie gleichen Glaubens
seien, Kirchen für Abhaltung ihres Gottesdienstes
überwiesen, aber als man merkte, daß sie in
Zeremonien und einigen Punkten der. Glaubens-
lehre abwichen, daß sie Resormirte seien, ordnete
der lutherische Stadtrath die Schließung ihrer
Kirchen an, bis sie Prediger anstellen würden,
die von den lutherischen Stadtpfarrern examinirt
seien. Weder die Verwendung M e l a n ch t h o n 's
noch die des Landgrafen von Hessen noch ein
Gutachten der Marburger theologischen Fakultät
vermochte diesen Beschluß zu ändern. In jenem
Gutachten heißt es: „Wer erachtet es unbillig,
dem Artikel vom Nachtmahl abermals in's Elend
zu stürzen; der Bekenntnisse der beiderseitigen
Glaubensmeinungen wären einander gleich, Gottes
Wort und den ersten Kirchenlehreu gemäß, die
Zeremonien der Niederländer seien dem Worte
Gottes und der Einrichtung der ersten Kirche
ähnlicher als jene der frankfurter Gemeinde,
man verwundere sich, daß über so kleine Gegen-
stände ein so großer Streit geführt werde."
Die Zählung der Niederländer ergab zu dieser
Zeit 2036 Glieder beider Gemeinden; jetzt aber
verließen viele von ihnen die Stadt, die meisten,
um nach England zu gehen, das ihnen und ihren
Landsleuten, die später folgten, zum großen Theil
den mächtigen Aufschwung seiner Industrie ver-
dankt. Die in Frankfurt Zurückgebliebenen hielten
ihre religiösen Zusammenkünfte in dürftigen ge-
mietheten Lokalen.
Nun ereignete es sich aber im Jahre 1593,
daß der holländische Prediger Gomarius eine
Nicht-Frankfurterin zur Frau nahm und darum
vom Stadtrath abgesetzt wurde, weil ein frank-
furter Statut, in väterlicher Sorge für seine
weiblichen Insassen, nur das Heirathen von Ein-
heimischen gestattete. Da die Holländer die An-
stellung eines anderen Predigers verweigerten
und vier Mitglieder abwechselnd Vorträge hielten,
wurde dies Letztere vom Stadtrath untersagt und
der Betsaal geschlossen. Auch wurde zu derselben
Zeit der wallonischen Gemeinde die Anstellung
eines Predigers abgeschlagen.
-Daß alle diese Bedrückungen weit weniger in
religiösem Eifer und Ernst als in Berücksichtigung
sehr weltlicher selbstsüchtiger Interessen ihren
Grund hatten, geht aus einer Vertheidigungs-
schrift des Stadtraths hervor, die im Jahre 1751
erschien, zu welcher Zeit die Niederländer zwar
wieder Bethüuser, aber ohne Thürme und Glocken
haben durften. In dieser, die den Titel „Kirchen-
geschäfte von den Resormirten in Frankfurt"
führt, wurde unter anderm Folgendes gesagt:
„Wir wissen Gottlob, was die Liebe des Nächsten
erfordert, aber auch, daß die wahre Liebe von
sich selbst anfängt, der wahre Grund aller unserer
diesfalls mißfälligen Handlungen liegt in dieser
natürlichen ersten, und sodann in derjenigen
78
Pflicht, die wir dem hiesigen gemeinen Wesen
überhaupt schuldig sind. . . . Wer weiß nicht,
daß die zu stark angewachsenen Reformirten den
größten Handel und Wandel an sich gezogen ?
Wer mißkennt die darüber schon längst und jetzo
noch von der anderen Kaufmannschaft geführten
Klagen? Wem ist es unbekannt, daß die best-
gelegenen Häuser, Lüden und Waarenlager in
ihren Händen? Wer kann in Abrede stellen,
daß ihre Glaubensgenossen nunmehr fast in alle
Handwerke eingedrungen und die in so großer
Menge hier befindlichen Reformirten den her-
kommenden einem ganzen Handwerk fast gemein-
sam würdenden Nutzen vor sich allein genießen?"
Nachdem sodann gesagt ist, daß die Reformirten
zilr Erlangung der völligen llebermacht in der
Republik nichts weiter abgehe als eine Kirche in
der Stadt, fährt die Schrift fort:
„Diese eminente Praerogatio können und wollen
wir besagter alter Bürgerschaft nicht begeben. . . .
Geschieht dieses, so vergrößert sich ihr Haufen
über die andere Bürgerschaft, sie ziehen den
Ueberrest der Nahrung vollends an sich und be-
nehmen den alten Einwohnern die Kräfte, sich
empor zu halten und zur Verwaltung der Stadt-
ämter sich und ihre Kinder zu qualifiziren u. s. w."
Wenn auch tu dem kleinstaatlich gegliederten
Deutschland des vorigen Jahrhunderts ein eng-
herziger, auf Selbstsucht und Mangel an freiem
staatsmännischem Urtheil beruhender Partiknlaris-
mus vorherrschend war, so dürfte sich doch wohl
selten ein öffentliches Dokument aus jener Zeit
finden, das ihn so rücksichtslos bekennt und so
nackt als den Grund religiöser Unterdrückung
hinstellt, wie diese Schrift der Obrigkeit einer
Republik.
Anders dachte und handelte schon anderthalb
Jahrhunderte früher unser Gras Philipp Ludwig.
Schon im Jahre 1593 wurde eine Anzahl aus
ihrem Vaterlande geflüchteter Niederländer, welchen
die Aufnahme in Frankfurt verweigert worden
war, in Hanau aufgenommen. Sie hielten ihren
Gottesdienst in der „Blauen Hand" in der
Metzgergasse. Als hierauf 1594 Adolph de
Ligne, Mitglied der wallonischen Gemeinde und
Bürger und Kaufmann in Frankfurt, mit einer
Aachenerin sich verheirathet hatte und sich einer
dessalls ihm zuerkannten Strafe nicht unterwerfen
wollte, zog er ebenfalls nach Hanau und erwirkte
hier, daß seiner Gemeinde eine Kirche, anfangs
die Schloßkapelle und dann die Hospitalskirche,
überwiesen itnb ein französischer Prediger an-
gestellt wurde. So ward, wie wir sogleich sehen
werden, die ängstliche Sorge der frankfurter
Bürger für die Verheirathung ihrer Töchter eine
der Ursachen der Gründung unserer Neustadt.
Denn als bald darauf die beiden niederländischen
Gemeinden in Frankfurt wiederholt den Stadt-
rath um Gestattung der öffentliche!: Uebung ihres
Gottesdienstes gebeten hatten, aber abschläglich
beschieden woren waren, unter Bedrohung der
betreffenden Deputation, sie in den Katharinen-
thurm stecken zu lassen, beschlossen sie, nach Hanau
überzusiedeln, wo sie wahrscheinlich schon vorher
die Aufnahme zugesichert erhalten hatten.
Am 27. Januar 1597 legte ihnen der Graf
Philipp Ludwig einen von Nikolaus Gillet
ausgearbeiteten Plan vor, nach welchem er neben
seiner Residenzstadt Hanau eine neue Stadt an-
legen und auf seine Kosten die Gräben, Wälle,
Thore und Zugbrücken ausführen, auch einen
Schifffahrtskanal vom Main bis an die neue
Stadt ausgraben lassen wolle, wenn sich eine
hinreichende Anzahl Niederländer verbindlich mache,
in dieser Stadt Häuser zu bauen. Es unter-
schrieben sofort 58 Personen die Erklärung,
Häuser, zum Theil mehrere, zu bauen, und es
wurden für den Unterlassungsfall Strafen fest-
gesetzt. Daneben erklärten 144 Personen, in die
neue Stadt überziehen zu wollen.
Wohl legte jetzt der frankfurter Stadtrath
dem Unternehmen mancherlei Hindernisse in den
Weg, und man kann sich bei den engherzigen
Ansichten der Zeit nicht wundern, daß auch der
Rath der alten Stadt Hanau Bedenken ähnlich
denen des frankfurter Stadtraths dem Grafen
vorbrachte, aber aller dieser Gegenwirkungen
ungeachtet, schloß der Graf am 1. Juni 1597
einen den Namen Kapitulation führenden
Vertrag mit den Niederländern ab. Darin ver-
spricht der Graf den Bewohnern der neuen
Stadt gegen Verpflichtung der Treue gegen den
Landesherrn und die Gesetze seinen Schutz, gesteht
ihnen freie öffentliche Uebung ihres Gottesdienstes,
freie Wahl ihrer Kirchenvorsteher, Prediger und
Lehrer, außerdem Handels- und Gewerbefreiheit,
zwei Wochenmürkte und viele andere Privilegien
zu, die zum Theil im Laufe der Zeit ihre Be-
deutung verloren haben oder, wie z. B. die
Militärfreiheit, geänderten politischen Verhält-
nissen weichen mußten. Auch gestattete er die
Aufnahme einiger Bürger der neuen Stadt in
den Stadtrath. —
Diese Kapitulation wurde durch einen weiteren von
den nämlichen Personen abgeschlossenen und unter-
schriebenen Vertrag vom 1. August 1601, Trans-
fix genannt, zum Theil abgeändert und erweitert.
Insbesondere wurde darin der neuen Stadt ein
besonderer Stadtrath zugestanden, dessen Einsetzung
in der Art angeordnet wurde, daß die Bürger
79
der Neustadt aus ihrer Mitte 32 Personen
wähleu sollten, aus welchen der Graf zwei Bürger-
meister und zehn Rathsglieder wähleu wollte, ein
gräflicher Stadtschultheiß sollte dann an der
Spitze der Räthe bezw. Städte stehen.
Es kann nicht meine Absicht sein, hier auf
die Geschichte des Aufbaus der neuen Stadt,
dessen sich der Graf mit jugendlichem Eifer, als
Seele des Ganzen, rathend, vermittelnd und
helfend annahm, näher einzugehen. Ich erwähne
nur Einzelnes.
Schon gleich mit Anfang des Jahres 1579
begannen die Vorbereitungen. Es wurde die
Mittagslinie bestimmt, um der Stadt eine solche
Lage zu geben, daß die längeren Straßen
genau von Osten nach Westen, die kürzeren von
Norden nach Süden liefen. — In den Stadt-
plan fielen 380 Morgen. Für die Bauplätze
wurde eine Taxe festgesetzt, die je nach der Lage
60—200 fl. für den Morgen betrug. —
Im Jahre 1600 werden 47 Wallonen und auch
47 Holländer als Hausbesitzer aufgeführt. Das
erste Haus, das vollendet wurde, erhielt den
Namen Paradies, das zweite war die H o ff n u n g,
und wie diese so haben noch viele andere Häuser
aus jener Zeit ihre Namen bis heute behalten,
svdaß sich viele Hanauer besser nach diesen
Häusernamen als nach den Straßennamen zu
vrientiren wissen. — Bis zum Jahre 1648
waren 474 Bauplätze verkauft, denn es ließen
sich später außer den Niederländern auch noch
viele andere in der neuen Stadt nieder. —
Der Grundstein der Kirche mit ihren beiden
Abtheilungen wurde in Gegenwart vieler Fürst-
lichkeiten ain 9. April 1600 gelegt. Die Mittel
zu ihrem Bau mußten wesentlich durch Beitrüge
der Gemeindeglieder beschafft werden, weshalb
der Bau nicht sehr rasch fortschreiten konnte.
Am 29. Oktober 1608 wurde die erste Predigt
darin gehalten und zwar in der wallonischen
Abtheilung. — Am 27. Juni 1609 fand das
erste Begräbniß auf dein neu angelegten Todten-
hof der beiden Gemeinden statt.
Auch ein Hospital wurde 1603 von Hektor
Schelhens fundirt, das Anfangs in der Frauk-
Ohm m
Erzählung von C. vo
' .n
Reicher Erntesegen stand ans den Ackerfeldern
rings um Welsen. Alle Hände waren beschäftigt die
reife Frucht einzuheimsen, hier und da schwankten
furter Gasse sich befand, später in die Leinen-
gasse verlegt wurde, wo es sich jetzt noch befindet.
Den ersten Rang unter den Gewerben bei
Gründung der Neustadt nahmen die Bursatmacher,
Posamentire und Verfertiger von Seidenband
ein, beiten sich die Seidenfürber anschlössen. Nach
ihnen kamen die Tuchmacher, für welche der
Graf die Walkmühle anlegte. Auch Roth-
und Weißgerbereien, Strumpswirkereien und Tabaks-
fabriken werden als vorhanden aufgeführt. Der
Tabaksbau soll damals auf den umliegenden
Feldern sehr stark betrieben worden und der
hanauische Tabak in ganz Europa bekannt ge-
wesen sein; manche Fabriken sollen etliche hundert
Personen beschäftigt haben. Auch die Bijvuterie-
und Silberfabriken zählten zu den ersten Gewerben
der Neustadt. Der Juwelier Isaak Pleusenhvl
gehörte zu den hervorragendsten Gründern. Er
hatte mit dem vornehmen Handelsmann Paul
Pels die Aufsicht über den Kirchenbau. — Der
heute so bedeutende Holzhandel Hanaus wurde
damals durch die Verbindung der haitauer Handels-
leute mit ihren holländischen Stamm-und Glaubens-
genossen begründet.
Unter den vielen Männern der beiden Ge-
meinden, die durch ihren Gemeinsinn und ihre
Opferfreudigkeit unsere Hochachtung verdienen,
werdeit in den Schriften aus jener Zeit drei
ganz besonders gehoben: Peter t Kindt, einer
der beiden ersten Bürgermeister und Erbauer des jetzt
dem Herrn Bornes gehörigen Hauses, Nikolaus
Heldewier, Mitglied des Stadtraths, der sich
besonders durch kräftige llnterstützung des Kirchen-
baus verdient machte lind das halbe Ouartier
zwischen der Einhornapotheke und der früheren
Leisler'schen Teppichfabrik baute, und Peter
Schelhens, Mitglied des Stadtraths und Stifter
des Bürgerhospitals, der das ehemals Tvnssaint'sche
Haus am Markt erbaute. Sie waren Gründer
in einem anderen Sinne, als dies Wort leider
heute oft genommen wird, Gründer, welche neben
Zeit und geistiger Kraft freudig Tausende opferten
zum Wöhle ihrer Mitbürger und zur Erhaltung
ihres Glaubens.
(Schluß folgt.)
l Onkel.
D i n ck l a g e - C a m p e.
iß.)
bereits hochgeladene Garbenfuder den Scheunen
zu. Tankmar von Münikervde beaufsichtigte
seine Arbeiter selbst, hier den Fleißigen lobend, dort
den Lässigen zit rascherer Thätigkeit antreibend.
80
Den Schweiß von der Stirn wischend, trat er
in die kühle Halle des Hauses. Die sorgsame
Gattin brachte ihm alsbald einen Labetrunk.
Während er sich daran erfrischte, stattete er seiner
Mutter Bericht ab über den Fortgang der Ar-
beiten. Die Kinder, welche seit dem Frühling
sich in Welsen ganz zu Hause fühlten, um-
schmeichelten den Ohm, ihn bittend, sie auf dem
Leiterwagen mit hinaus auf's Feld zu nehmen. —
Da tönten plötzlich in diese Feierstunde dumpfe
Glockenschläge von Olsberg herüber, in gemessenen
Zwischenräumen sich wiederholend.
„Großer Gott!" rief Tankmar aufspringend,
„das ist Feuerläuten. Ich niuß augenblicklich
hin, denn Hülfe wird Noth thun, alle rüstige
Mannschaft ist' draußen auf den Feldern." Der
herbeieilenden Agnese reichte er mit seinem Ab-
schiedsgruße die Hand. „Schicke mir von den
Knechten, was erreichbar ist. Siehst Du, Rauch
und Flammen kann man hier deutlich aufsteigen
sehen, lebe wohl!"
Dahin schritt er, Agnese blickte ihm nach voll
Stolz und Liebe. Kaum war es noch bemerkbar,
daß der kraftvollen Gestalt ein Gebrechen an-
haftete.
Tankmar löste den Kahn vom Lande und mit
wenigen Ruderschlägeu trug ihn derselbe zum
jenseitigen Ufer.
Rasch befolgte die Zurückbleibende ihres Mannes
Anordnung, dann trieb innere Unruhe sie hinaus
auf den Altan, wo sie das Wachsen und Sinken
der Gluth beobachten konnte. Jetzt flammte der
Giebel des brennenden Hauses hoch auf, um
gleich darauf mit weithin schallendem Geprassel
zusammenzustürzen. Gellendes Geschrei begleitete
den Einsturz, und dann war es einen kurzen
Augenblick tvdtenstill, wie wenn ein lähmender
Schrecken jeden Ruf zurückdrängte.
„Es ist ein Unglück geschehen", sagte Agnese
laut für sich, dann faltete sie ihre Hände und
sandte ein Gebet zum Himmel für die Betroffenen.
Eine Uuheilskunde braucht keinen geebneten
Pfad, sie pflanzt sich fort von Mund zu Munde,
sie schwirrt durch die Luft, auf Flügeln des
rauschenden Windes kommt sie zu dem Betheiligten.
Die junge Baronin wußte nicht, woher sie es
vernommen, daß ihr Gatte schwer verletzt von
der Brandstätte getragen sei. Wie sie ging und
stand, war sie fortgelaufen, auf keinen Fergen
wartete die geängstete Frau, sie selbst setzte im
Nachen über den Strom. Alsbald stand sie neben
der Tragbahre, auf welcher man den Baron
sorgsam gebettet hatte, um ihn als sterbenden
Mann in die Burg seiner Väter zurückzuführen.
Das Leben eines Kindes rettend, stand er noch
oben auf der Brandleiter, als durch den Sturz
des Giebels diese das Gleichgewicht verlor und
der Herunterstürzende eine Verletzung am Rück-
grat erlitt. Der herbeigerufene Arzt konnte
wenig Hoffnung geben. Fast schmerzlos war der
Verunglückte bei klarem Bewußtsein, nur ver-
sagten ihm die Glieder den Dienst.
Langsam bewegte sich der Trauerzug Welsen
zu. Agnese, die Tankmar mit freudigem Auf-
leuchten der Augen begrüßt hatte, hielt seine
Hand in der ihrigen, zu sprechen vermochte sie
nicht vor tiefer, schmerzlicher Bewegung.
„Liebling," flüsterte der Kranke, als er, auf
seinem Lager gebettet, ihr Antlitz über sich ge-
beugt sah, „für die kurze Frist, die mir noch
auf dieser Erde vergönnt ist, gehe nicht von mir.
Wenn ich Dich nur sehe, den Druck Deiner
Hand empfinde, bin ich ruhig und getrost."
So blieb sie an seiner Seite. Wo anders hätte
sie auch Ruhe gefunden. Die bekümmerte alte
Mutter, der herbeigerufene schrecklich bestürzte
Bruder, sie kamen und gingen, Tankmar nahm
Abschied von ihnen, und dann waren die beiden
wieder mit einander allein. Was sie sprachen,
Niemand hat es belauscht. Stunde für Stunde
hielt Agnese treue Krankenwacht, bis des Gatten
Hand in der ihrigen erkaltete und das Herz auf-
hörte zu schlagen, das ihr in grenzenloser Liebe
zugethan gewesen.
X.
Ein neuer Sommer war angebrochen. Ecke-
brecht von Münikerode hatte seinen Wohnsitz nach
Welsen verlegt, welches ihm nach des Bruders
Tode als Eigenthum zugefallen war. Auf sein
und seiner Mutter Bitten versah Agnese nach
wie vor die Pflichten der Hausfrau. Der große,
eingreifende Schmerz verlieh ihrem Wesen etwas
Würdevolles, Ernstes, übrigens zeigte sie sich un-
verändert, ja mitunter vernahm man wieder ihr
Lachen unter den jubelnden Stimmen der Kinder.
Der Oberst hatte zwar seiner Gemahlin den
Wechsel der Verhältnisse durch den Trauerfall
mitgetheilt, aber kein Wort der Aufforderung zu
ihrer Rückkehr hinzugefügt. Alicens Antwort-
schreiben steckte Eckebrecht sehr mißmuthig ein,
ohne Jemandem etwas von seinem Inhalte mit-
zutheilen. Die Baronin mochte nicht mit Unrecht
vermuthen, daß seine wieder erwachende Jugend-
liebe mehr und mehr ihr getrübtes Bild ver-
drängte, jetzt wo Agnese sich ganz ihm und den
Kindern widmen konnte. Dieser Brief blieb un-
beantwortet, und somit stockte die ohnehin spär-
liche Korrespondenz gänzlich. —
81
An einem klaren Junimorgen saß Agnese in
der Halle, beschäftigt ein Hemdlein für Klein-
Tankmar zu nähen. Neben ihr im hochlehnigen
Armsessel schlief der kleine Mann, erschöpft vom
fröhlichen Herumtollen mit seinen beiden Schwestern,
welche jetzt, als gesittete kleine Burgfräulein, durch
Großmama den ersten Unterricht im Stricken
empfingen. Selbst in dem kühlen Raume machte
sich die drückende Wärme des Tages fühlbar.
Agnese nahm die schwere Wittwenhaube mit der
Schneppe vom Kopfe, weich legte sich ihr volles
dunkles Haar um die weiße Stirn. Sie erhob
das Haupt beim Eintritt ihres Schwagers, der
wie betroffen an der Thür stehen blieb.
Sie deutete schweigend auf das schlafende Kind,
Eckebrecht kam heran und setzte sich ihr gegenüber,
ein daliegendes Zeitungsblatt zur Hand nehmend.
Der Inhalt fesselte den Leser offenbar nicht, denn
wieder und wieder schweiften seine Blicke zu der
Frau hinüber, die ihm heute dem Leben zurück
gewonnen erschien.
„Agnese," sagte er plötzlich, „ich will das un-
natürliche Band der Ehe, das mich an Alice
kettet, lösen."
Erschreckt fuhr die Angeredete empor, sich mit
der Hand auf den Tisch stützend, blickte sie ihr
Gegenüber mit großen, entsetzten Augen an.
„Das willst Du Dir, Deinen Kindern, Deiner
Mutter und Eurem tadellosen Namen anthun?"
„Ich gebe in dieser Frage nur einer Stimme
Gehör, Agnese, und diese redet durch Deinen
Mund."
„Wohl," entgegnete sie, schon gefaßter, „was
wolltest Du Deinen Kindern erwidern, wenn sie
nach ihrer Mutter fragen, welch' giftigen Zweifel
würdest Du in ihre jungen Herzen senken! In
der Reihe unserer Ahnen würde man auf das
Bild der schönen Frau im Goldhaar zeigen und
auf das Deine, und mit Achselzucken geschieden'
flüstern. Niminer würde Tankmar seine Zu-
stimmung zu solchem Schritt gegeben haben, deß
bin ich gewiß."
„Aber Du, Agnese?"
„Ich? Du würdest mir damit den Wirkungs-
kreis nehmen, der mich beglückt. Du mußt Dir
selbst sagen, daß meines Bleibens in Deinem
Hause nicht sein kann, sobald Du einen Schritt
zur Einleitung der Scheidung thust."
„Aber Du würdest dahin zurückkehren als
Herrin," forschte er, gespannt seinen Blick auf
den Ausdruck ihrer Züge richtend.
„Niemals", antwortete sie bestimmt und ruhig.
„Du beleidigst mich mit solcher Frage, wo noch
der Trauerschild für meinen Gatten über dem
Portal hängt."
„Die Verhandlungen werden eine gerauine
Zeit in Anspruch nehmen, die berechtigten Zeichen
äußerer Trauer werden längst von diesem Hause
herabgenommen sein, bis ich Dich fragen dürfte,
ob Du wieder hineinziehen willst. Kannst Du
denn nicht in Deinem Herzen die Erinnerung
an die Gefühle unserer Jugend auferwecken,
Agnese, liebe kleine Agnese?"
„Nein, Eckebrecht, sie sind zertreten, gestorben,
aus ihrem Grabe entstand die reine, unsterbliche
Liebe, die auch der Tod nicht scheiden kann. Und
wäre es anders, ich könnte doch nimmer gut
heißen, was gegen Gottes Gebot streitet."
„Das Gesetz giebt dem Manne die Freiheit
zurück, den seine Frau böswillig verläßt."
„Das Gesetz in unseren! Herzen, das Gewissen,
urtheilt anders. Was hast Du gethan, um
Deiner Frau Liebe zurückzugewinnen und ihr
den Weg zur Wiederkehr zu ebnen?"
„Alice hat, was sie wünschte, die Abwechselung
und die Genüsse einer großen Stadt, sie bedarf
unserer nicht zu ihrem Glücke."
„Du thust ihr Unrecht. Weil sie keinen anderen
Vertrauten hier fand, bat sie Jlsabe um Nach-
richt von den Kindern. Du gehst in allen Dingen
von Dir selbst aus und beurtheilst auch Andere
so, wie es in Deinem Interesse liegt. Durch die
Raschheit und Ungleichmäßigkeit Deines Wesens
hast Du auch in Deiner Ehe viel verdorben,
suche es wieder gut zu machen. Wie Fingerzeige
Gottes kamen Euch die äußeren Umstände ent-
gegen. O, wenn Tankmar's stummer Mund
reden könnte!"
Bei Nennung seines Namens erwachte Klein-
Tankmar. Noch schlaftrunken die Aermchen aus-
streckend sagte er: „Tante Annete, Tankmar will
artig sein, damit die liebe Mama kommt, für
die ich alle Abend bete: Ich bin klein, mein
Herz ist rein."
Die Händchen in einander faltend, blickte der
Knabe zu seinem irdischen Vater auf, als stände
bei diesem die Erfüllung aller seiner Wünsche.
Eckebrecht schloß den Knaben stürmisch in seine
Arme; sein erregtes Gemüth bedurfte einer Ab-
leitung. Liebkosend strich das Kind über des
Vaters Wange und frug: „Kommt sie bald, die
schöne Mama?" Agnese wartete Eckebrecht's
Antwort nicht ab, geräuschlos verließ sie den
Raum. —
Beim Mittagessen sagte die Wittwe: „Ich
habe mich entschlossen, nach Ablauf des Trauer-
jahres Münikerode zu beziehen. Es ist verkehrt,
dort unter der Obhut fremder Menschen die
alten Unordnungen einreißen zu lassen,"
„Ich kann Dir nur Recht geben, meine Tochter,"
*
82
antwortete die alte Baronin, „so schmerzlich ich
Deine Gegenwart entbehren werde."
Die kleinen Nichten, zwischen denen die Tante
saß, schmiegten sich von beiden Seiten an sie
und schmeichelten: „Nimm uns mit nach
Münikerode."
Agnese strich zärtlich über die goldblonden
Lockenköpfe: „Bittet Euere Eltern nur recht
schön, Euch mir zu gönnen als Trosteinsamkeit."
Eckebrecht saß stumm da, mit dem Gefühl
eines bestraften Schulknaben, es gährte gewaltig
in seinem Innern und rang danach, zur Klarheit
zu kommen. —
Am Abend dieses bedeutsamen Tages war der
Entschluß gereift, Eckebrecht schrieb an seine Frau,
ihr die Hand zur Versöhnung bietend. Agnese
aber stand lange vor dem Bilde Tankmar's,
gleichsam Zwiesprache mit ihm haltend. „Ge-
liebter," sagte sie, „ich gehe nicht selbstgewählte
Wege, sondern die mir von der Pflicht vvr-
gezeichneten. Ich weiß es, Du bist zufrieden mit
Deiner Agnese."
—--------
Irhmr.dk drng Glrrk, srhmrdt es sekwst.
(Schwälmer Mundart.)
Schmedt, v schmedt deng eejnes Gleck;
Hew ö schweng de ftahrke Orm 2);
Vor8) met (Sott, ö nie zereck;
Glich fl dos' Eise, schmedt es worin!
Het es het fl. O sprach net: „morse";
Het, jo het schv wehr de Sorje!
Rehs") dich fleißig, bauw deng Fäld,
Bauw ö büt ö wart des Härrn;
Fell fl deng Platz, off de dich stellt
Gnürig fl Gött; deng Gleck cs net fürn;
Sichs fl i der nür, sichs net dräüße!
Es Gleck schüchzend Nechtsdüh, Schmäuse10) ?
Härzensfreere n), Manuesmüt,
Froher Glööwe 'fl, Liew, Gemiet
Bleiw deng höchstes, scheustes Güt.
Ros ö Nälk'fl verwalkt, verblieht;
Schieheet 'fl, Jüjend, Kraft verschwenge;
Liew ö Glööwe seng ewge Denge.
Fest grongdier 'fl de eejene Härd,
Sammel, spor der fer die Not;
Fiehrst dü Färrer, Hack örer Schwärt 'fl,
Wehr dcmm Fengd'fl, der Deitschlahnd droht!
Wart des Herrn 'fl, deng Votcr wedd'fl schünke
Hei der Gleck, deng ewig danke.
____________ Kurt Muhn.
’) Schmiede dein Glück, schmiede es selbst. 2) Hebe
und schwinge den starken Arm. 3) Vorwärts. 4) Glühe.
’’) Heute ist heute. °) Rege. fl Fülle. 8) Gnädig. 9) Suche
es. ,0) Ist Glück jubelndes Nichtsthun und Schmausen?
"1 Herzensfrieden. '“) Glaube, 'fl Rose und Nelke,
'fl Schönheit, 'fl Gründe, 'fl Führst du Feder, Hacke
oder Schwert, 'fl Wehre dem Feinde, 'fl Harre des
Herrn, 'fl Wird.
Aus Avi math und Fremde.
Am 7. .März feierte die Seniorin unserer
hessischen Dichterinnen und Schriftstellerinnen Frau
Elise von Hohenhausen in Berlin ihren
zweiundachtzigsten Geburtstag. Die Ver-
fasserin der „Berühmten Liebespaare", eines Werkes,
das gleich bei seinem ersten Erscheinen ungewöhn-
liches Aufsehen erregte, erfreut sich einer seltenen
Jugendfrische des Geistes. Sie ist heute noch
literarisch thätig und schaffenssreudig. Ein Leben,
das reich an mühevoller Arbeit gewesen ist, aber
auch reich an schönen Erfolgen, liegt hinter ihr.
Noch vieles wird sie uns bieten' können, das An-
spruch auf volle Anerkennung hat. Ihre Erin-
nerungen reichen bis zu Heine, Jmmermann, Rahel
von Varnhagen; die Träger der besten Namen
der Gegenwart: Wildenbruch, Annette von Droste-
Hülshoff, Luise von Francois, Hedwig von Olfers,
Prinz Georg von Preußen, Graf Stadion, Richard
von Meerheimb, Baronin Ebener-Eschenbach re. re.
stehen in Beziehungen zu ihr, und es ist zu
hoffen, daß sie m$ noch manches davon erzählen
wird. Von ihren Werken führen wir hier außer
den bereits erwähnten „Berühmten Liebespaaren"
das ebenso fesselnd geschriebene Buch „Berühmte
Freundschaften" an. Dann schrieb sie den „Roman
des Lebens", das „Brevier der guten Gesellschaft",
die „Romantischen Biographien aus der Geschichte"
und „Goethe's Herzensleben". Aus der neuesten
Zeit stammen ihre Schriften „Drei Kaiserinnen"
und „Neue Novellen". Auch als Uebersetzerin hat
sie sich durch ihre trefflichen Uebertragungen von
Poung's „Nachtgedanken" und Longfellow's „Gol-
dene Legende" einen Namen gemacht. Möge es
der gefeierten Dichterin, die zu den begabtesten
und geistig hervorragendsten Schriftstellerinnen der
Jetztzeit in erster Linie zählt, noch recht lange
vergönnt sein, bei gleicher geistiger Frische und
körperlicher Rüstigkeit zu wirken und zu schaffen
wie seither. Ein umfassendes Lebensbild unserer
hochverehrten hessischen Dichterill Elise von Hohen-
83
Hausen, der auch unsere Zeitschrift viele vortreffliche
literarische Beiträge verdankt, aus der Feder unserer
hessischen Schriftstellerin Frau Elisabeth Mentzel
in Frankfurt a. M. ist in Nr. 5 des „Hessen-
landes" vom 3. März 1892 enthalten', aus das
wir hier zu verweisen uns gestatten.
Die Um baut eil im Königlichen Theater
in Kassel, welche im vorigen Jahre begonnen
worden sind, werden voraussichtlich in Kürze wieder
aufgenommen und in diesem Sommer zu Ende
geführt werden. Da die bevorstehenden Arbeiten
sich dem Vernehmen nach hauptsächlich aus den
Zuschauerraum erstrecken, so dürsten dabei wohl
auch die Wünsche des Publikums einige Berück-
sichtigung finden, zudem dieselben größtenteils
nur auf die Beibehaltung der seitherigen Aus-
schmückung gerichtet sind. Die Farben, in denen
das Innere des Königlichen Theaters gehalten ist,
Weiß mit Gold und Roth, machen einen so freund-
lichen Eindruck und sind für die Theaterbesucher
ein so gewohnter Anblick geworden, daß eine
Aenderung in denselben sehr schmerzlich empfunden
würde. Man betrachtet diese Farbenzusammen-
stellung gewissermaßen als etwas Erb- und Eigen-
thümliches, von dem man auch fernerhin nicht ab-
lassen möchte. Ebenso wünschenswert wäre es
auch, die Art beizubehalten, in welcher der jetzige
Vorhang ausgeführt ist, da dieselbe von einem besonders
seinem künstlerischen Geschmack Zeugniß ablegt. In
den aus den Papieren eines verstorbenen kurhessischen
Offiziers veröffentlichen „Hessischen Erinnerungen"
(Kassel, 1882. Verlag von G. Klaunig) befindet
sich auch eine Abhandlung über die verschiedenen
Kasseler Theatervorhänge, in der es u. a. heißt:
„Die Hauptzierde eines jeden Theaters ist die
große Gardine, welche die Bühne schließt und
öffnet und den unendlichen Zauber eines Theaters
mit allen seinen Veränderungen, Ueberraschungen
und Täuschungen magisch verhüllt. Mit Recht
wird daher eine besondere Kunst aus diesen mäch-
tigen Vorhang verwendet, welcher die ganze Bühnen-
welt hinter sich verbirgt. Den Vorhang im alten
Theater zu Kassel vor 1821 kann ich mir nicht
mehr vergegenwärtigen; ich kenne nur eine kleine
Handskizze des damaligen Proszeniums bei offener
Bühne, von Joh. Heinrich Tischbein sen. en gouache
gemalt. Der Vorhang seit 1821 war eine hell-
grüne glatte Fläche mit einer fünf Fuß hohen
reichen Goldborde und schweren Crepinen, den
Mittelpunkt der großen Fläche aber bildete eine
mächtige goldene Lyra in einem kreisrunden goldenen
Lorbeerkranze. Merkwürdig ist es, daß man biefeu
Vorhang später, als er übermalt war, in der Er-
innerung den blauen nannte, und daß dies selbst
Generaldirektor Feige mir gegenüber zu behaupten
versuchte. Ich bin aber doch meiner Sache gewiß
und gebe nur zu, daß er für manche AugenAlau
geschienen haben mag, wie denn gewisse Schatti-
rungen in Grün des Abends bei Lampenlicht
bla lì erscheinen und umgekehrt. Im Jahre 1827
war die uni-grüne Fläche dieses Vorhangs stellen-
weise schadhaft mld fleckig geworden, und so wurde
Friedrich Beut her, der damalige Hoftheater-
maler für architektonische Prachtdekorationen, be-
auftragt, einen neuen Vorhang zu malen, womit
sich das Publikum plötzlich überrascht sah. Dieser
neue Vorhang war von dunkelrother Grundfarbe
mit breiter Goldborde am llnteren Rande und
einem viereckigen Goldrahmen auf der Mittelfläche,
mit sehr geschmackvollen Theatermasken reich ver-
ziert. Im Mittelpunkte des Rahmens erblickte
man, von einem goldenen Lorbeerkrauze umgeben,
die unvermeidliche goldene Lyra, das gemeinschaft-
liche Symbol der Dichtkunst und der Musik. Bei
aller Schönheit der einzelnen Ornamente konnte man
sich doch niemals mit diesem Vorhang im Ganzeìl
befreunden, weil der große Goldrahmen aus weicher
Gardinenfläche einen nicht zu überwindenden Eindruck
von Härte und Steifheit machte. Erst in den fünfziger
Jahren wurde das Theater im Innern wieder
neu übermalt, und der inzwischen abgenutzte rothe
Vorhang mit dem gegenwärtigen (inzwischen auch
wieder entfernten) vertauscht, welcher einen
grauweißen Seidenstoff in reichen Falten mit schöner
Goldspitze am unteren Rande darstellt und be-
sonders gelungen den Goldschatteìì der breiten
Tresse wiedergiebt. - Ein Vorhang, welcher empor-
gezogen und nicht zur Seite geschoben wird, ist
immer eine schwierige Aufgabe. Die Malerei muß
doch immer dem Zweck entsprechen; vertikale faltige
Gardinen, wie man sie in der: meisten Theatern
gemalt findet, könnten aber in Wirklichkeit nicht
auf- und abgelasseìì werden, deshalb bleibt eine
glatte, saltenlose Gardine mit schönen Verzierungen
gleich Stickereien doch immer am schönsten, weil
am richtigsten."
So weit die „Hessischen Erinnerungen". Der
gegenwärtig iu Gebrauch befindliche weiß unb rothe
Doppelvorhang, welcher vom Verstorbenen könig-
lichen Dekorationsmaler Harke gemalt ist, macht,
wie bereits Eingangs bemerkt, einen künstlerisch
vornehmen Eindruck und dürfte bei einer etwaigeìì
Erneuerung füglicherweise zum Muster genommen
werden.
Universitätsnachrichten. Der außerordent-
liche Professor für Mathematik an der Universität
Marburg Dr. Eduard Study ist an die Univer-
sität Bonn berufen worden. Er steht gegenwärtig iu
84
seinem 32. Lebensjahre und begann schon im Alter von
19 Jahren mathematische Studien zu veröffentlichen.
Er entwickelte eine außerordentliche Thätigkeit als
mathematischer Schriftsteller. Seine akademische Lauf-
bahn begann er 1885 als Privatdozent in Leipzig,
siedelte 1889 in gleicher Eigenschaft an die Uni-
versität Marburg über, an der ihm im vorigen
Jahre eine außerordentliche Professur übertragen
wurde.
Zu Mitgliedern der bei der Universität Mar-
burg eingerichteten Prüfungskommission für Archiv-
aspiranten, die am 1. April in Wirksamkeit
tritt, sind die Professoren Dr. Leonhard, Dr. Schröder,
Dr. Naudö und Dr. Kehr ernannt worden. Professor
Leonhard wird den Vorsitz führen. Außerdem
gehört der Staatsarchivar des Marburger Archivs,
Archivrath Dr. Könnecke, der Kommission an.
Ehrenvorsitzender der Prüfungskommission ist Ge-
heimrath Professor Dr. von Shbel in Berlin.
Hessische Bücherschau.
Im nächsten Monate werden bei Otto Hendel
in Halle von unserem verehrten hessischen Lands-
manne, dem genialen, formgewandten Dichter
Richard Jordan in Guatamela, „Lieder von
dem Stillen Oceane", und zwar gleichzeitig
in einfacher Ausgabe wie in Prachtband erscheinen.
Die Freunde der Richard Jordanischen Muse
werden gewiß diese Mittheilung freudigst begrüßen.
— Von den „Spanischen Liedern von Gustavo
Adolfo Becquer", deutsch von Richard Jordan,
welche sich eines außerordentlich raschen Absatzes
erfreuten, ist soeben eine neue Prachtausgabe mit
dem Reliefbild des Dichters erschienen.
Bei der Redaktion sind folgende Schriften ein-
gegangen :
Kaiser Julian der Abtrünnige.
Dramatisches Gedicht von Adam Trabert.
Wien, 1894. Verlag der Verlagsbuch-
handlung „Austria".
Umsonst gelebt! Roman in sechs Büchern
von Julius W. Braun. Berlin, 1894.
Verlag von F. Fontane u. Co.
Idiotikon von Hessen durch Vilmar und
Pfister. Zweites Ergänzungsheft durch
Hermann von Pfister, Major und
Dozenten an der technischen Hochschule zu !
Darmstadt. Marburg, R. G. Elwert'sche
Verlagsbuchhandlung, 1894.
Die Besprechung vorstehender Schriften folgt in
einer späteren Nummer unserer Zeitschrift.
Eingesandt.
Von befreundeter Seite ward mir Nr. 3 Jahrganges
1894 der Zeitschrift „Hessenland" übersandt, worin sich
eine Erklärung unseres vaterländischen Schriftstellers Herrn
Ludwig Mohr findet, die mich ebenwohl zu einer be-
züglichen Betrachtung hin leitet.
Im Jahre 1885 ließ ich im Elwertischen Verlage zu
Marburg ein Büchlein erscheinen: Sagen und Aberglaube
aus Hessen und Nassau. In jüngsten Jahren find nun
zwei Sammelwerke heraus gekommen, die einfach ihren
Stoff dadurch sich verschafften, daß sie Aufsätze lebender
wie toter Verfaßer, ohne jegliche Anfrage und Erlaubnis,
nachdruckten und also beides: Urheber und Verleger,
geistigen wie buchhändlerischen Eigentümer schädigten.
Namen will ich nicht nennen, möchte jedoch meine Lands-
leute fragen, ob sie derlei für rechtlich und redlich erachten;
oder wie sie solche Weise des Aneignens fremder Schätze
beurteilen. Ich weiß nicht, in welchem Maße die be-
stehende Gesetzgebung schützt; wollte jedoch meinem Herrn
Verleger bei dieser Gelegenheit auch öffentlich raten, auf
seiner Hut zu sein.
Jene zum Teile noch von meinem Vater für die
Gebrüder Grimm gesammelten Sagen, zum Zwecke etwaiger
zweiter Auflage, sind in unserer Heimath zumeist durch
unerlaubten Nachdruck erst bekannt geworden.
Darm st a dt; am 4. Merz 1894.
Hermann non Pfister.
Inhalt der Nr. 9 des Märzheftes der „Touristischen
Mittheilungen ans Heffen-Naffau und Waldeck", heraus-
gegeben von Dr. phil. Fritz Seelig in Kastell: ; Das alt-
hessische Wappen. — Ergänzung zum Artikel: „Der Scharfen-
stein rc." — Unsere vier Bilder von Wiesbaden. — Aus-
führliche Besprechungen und Kritiken III. — Uhland
auf den Ringwällen des Altkönigs. — Berichte. —
Anzeigen. — Mitgliederliste.
Briefkasten.
J. W. Br. Berlin. A. Tr. Wien. Verbindlichsten
Dank und freundlichste Grüße.
G. R. Fulda. Die Nekrologe werden in der nächsten
Nummer veröffentlicht werden. Wir bitten die Verzögerung
zu entschuldigen.
G. v. P. Marburg. Zusendung erhalten und mit
großem Interesse gelesen. Verbindlichsten Dank. Wir
werden in aller Kürze mit der Veröffentlichung beginnen.
Dr. P. J. R. New-Dork. Gefällige Zusendung richtig
erhalten. Besten Dank. Antwort folgt in den nächsten
Tagen.
H. C. B. Portland (Oregon). Sie haben uns durch
Ihre freundliche Zuschrift recht erfreut. Wir sind Ihnen
für Ihre wohlwollende Gesinnung zu aufrichtigem Danke
verbunden und werden Ihren Wünschen mit Vergnügen
! nachkommen.
gM- Zum Abonnement auf die Zeitschrift „Kessentand" für das
II. chuartal 1894 laden ergebenst ein Redaktion und Verlag.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zwenger in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel«
Das f Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 11/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Wogter A. H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 7 des „Hessenlandes": „Rückblick", Gedicht von M. Herbert; Wilhelm IV., der Weise,
Landgraf von Hessen", von H. Metz (Schluß); „Aus dem Tagebuch eines hessischen Feldpredigers im amerikanischen
Krieg", von Otto Gerland (Schluß); „Graf Philipp Ludwig II. von Hanau, der Gründer der Neustadt Hanau"
(Schluß); „Die schwarze Mühle", eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller; „Frühling", Gedicht von
Carl Weber; „Dr Uhsterhoas", Gedicht in Wetterauer Mundart von Friedrich von Trais; „Wunsch", Gedicht von
E. Mentzel; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Anzeigen; Abonnements-Einladung.
Rückblick.
möchte gehn an einem Frühlingstag
Den alten weg zum Birnbaum hin am Rain —
Aur Abendzeit, wenn ferner Amselschlag
Das Thal erfüllt und rother Sonnenschein.
Ich möcht' mich beugen tief in's junge Grün
Und suchend spähn —, ob es nicht weiß erglänzt —,
Gb dort die zarten Glocken jetzt noch blüh'n,
Gb ihre Grazie noch den Baum umkränzt.
Und spüren möcht' ich so wie dazumal
Die Rinderfreude, die mein Herz empfand,
Als unerwartet, weil die Welt noch kahl,
Beim Bauin am Rain ein Büschel Glocken stand.
W. Kervert.
86
Wilhelm I V.. der Weise. Landgraf von Hessen.
1567 — 1592.
Von H. M e tz.
«Schluß.)
Qfïür Bildhauerei und Malerei hegte Landgraf
W Wilhelm IV. ein großes Interesse. Sein
Hofmaler Meister Kaspar reiste behufs bild-
licher Darstellung damaliger Fürsten für den
goldenen Saal des Schlosses weit umher. Von
verschiedenen Fürsten wurden dem Landgrafen
Bilder ihrer Vorfahren und Verwandten überreicht ;
Franz Hotomann übersandte ihm nach der Pariser
Blnthvchzeit die Bilder Coligny's, Andolot's,
Condo's und Heinrichs von Navarra. Seine
Kunstkammer enthielt seltene und kostbare Geräthe.
Auf dem Gebiete der mathematischen Wissen-
schaften fehlte es dem Landgrafen nicht tut tiefem Ver-
ständnisse. Besonders auf dem Gebiete der
Astronomie hat er Großes geleistet. Auf der un-
vollkommenen, vor seinem Schlosse gelegenen Stern-
warte mit beweglichem runden Dache beobachtete
er die Fixsterne, Planeten unb Kometen, er be-
stimmte die Polhöhe von Kassel auf 51° 9',
von neueren Berechnungen nur um 10 " ab-
weichend. Unter seiner Leitung verfertigte der
Astronom Jost Byrgi zwei Himmelskugeln sowie
eine astronomische Uhr mit der Himmelskugel nach
dem System des Ptvlemävs.
Einen handgreiflichen Beweis von Wilhelm's
Klugheit zeigen seine in verschiedenen Jahren auf-
gesetzten Testamente. Bereits im dritten Jahre
seiner Regierung machte Landgraf Wilhelm ein
solches (23. November 1570). Da er damals nur
zwei Töchter hatte, so ernannte er für den Fall
eines nachgeborenen Sohnes den Kurfürsten von
Sachsen, den Herzog von Württemberg und seinen
Bruder Ludwig zu Ober-Vormündern, einige Räthe
zu Regenten. Seiner Gemahlin übertrug er in
diesem letzten Willen die Hauptleitung der Er-
ziehung und der Familienangelegenheiten. Sein
Wunsch war, daß, falls er ohne männlichen Erben
sterben sollte, Landgraf Ludwig Niederhessen, einer
der jüngeren Brüder Oberhessen, ein anderer die
Grafschaft Katzenellnbogen als Erbtheil über-
nehme. Am 26. März 1576 errichtete Landgraf
Wilhelm ein neues Testament. Zu dieser Zeit
waren ihm zwei Söhne geboren. Der ältere'
Moritz, geboren 25. Mai 1572, sollte allein die
Regierung übernehmen. Behufs Einführung des
Erstgeburtsrechts sprach er den Grundsatz aus,
daß Niederhessen, um bei hergebrachten Landcs-
grenzen die Würde eines Fürstenthums, seine innere
und äußere Selbstständigkeit zu behaupten und
die Pflichten gegen das Reich zu erfüllen, ohne
äußeres Verderben nicht mehr getheilt werden
dürfe. (Rominel.) Seinen Erstgeborenen, Moritz,
ernannte er zum Universalerben und alleinigen
Regenten, dem zweiten Sohne, Christian, behielt
er die Nachfolge vor, falls der ältere ohne männliche
Leibeserben sterben sollte. Zu seinem Unterhalte,
wenn er das 25. Lebensjahr erreicht habe und
dann nicht mehr am Hofe seines Bruders leben
wolle, wurden die Herrschaften und Aemter von
Schmalkalden, Herrenbreitungen, Landeck, Vach,
Frauensee, Friedewald, Haunek, Plesse und Gleichen,
Heringen bestimmt. Zu diesen Landschaften kamen
nach dem Tode Philipp's II., Landgrafen zu Rheinfels,
(1583) die Diezischen Aemter, welche demselben
auf Lebenszeit eingeräumt waren, mit allen
Nutzungen, hoher und niederer Obrigkeit, doch
ohne Landfolge, Geleite und Steuer (Reichs-,
Land- und Ehestener). Den bereits ernannten
Ober-Vormündern fügte er seinen Bruder Georg
hinzu. Der ältere Sohn wurde angewiesen, nicht
ohne Rath und Vorwissen seines abgefundenen
Bruders ¿u handeln, falls wichtige, gefährliche,
Land und Leute betreffende Sachen in den zum
Lebensunterhalt überwiesenen Gegenden vorkommen
sollten. Als Zeitpunkt der Majorennität wurde
für den Erstgeborenen das zwanzigste Jahr fest-
gesetzt. Der jüngere Sohn Christian starb am
9. November 1578. In Folge dessen Ablebens
entstand am 25. Juni 1586 ein drittes Testament,
worin der Landgraf seine Anordnung über die
Untheilbarkeit seines Fürstenthums und über das
Erstgeburtsrecht bestätigte. Die früher angeordnete
Ober-Vormundschaft wurde aufgehoben, da Moritz
bereits das 15. Lebensjahr angetreten hatte und
87
ihm alsbald nach des Vaters Tod gehuldigt
werden sollte. Bis zum Zeitpunkt seiner Allein-
regierung ordnete ihm der Landgras bewährte
Räthe und Verwalter zu. Die bereits früher
bestimmte Unveräußerlichkeit des Landes und der
Kammergüter, der Stiftungen seines Vaters, be-
kräftigte er von Neuem. Seinen Sohn ermahnte
er zur Ehrfurcht und zum Gehorsam gegen das
Oberhaupt des Reiches, zur verfassungsmäßigen
und brüderlichen Sorge für seine Schwestern. Die
Vertheidigung und Erweiterung des Evangeliums
legte er ihm dringend an's Herz, ebenso die Ver-
meidung von Streitigkeiten und Kriegshändeln.
Für seine Beerdigung verbat er sich jegliches
äußerliches Gepränge. Seinen Brüdern, Schwestern,
Töchtern und Sohne vermachte er sein an einer
goldenen Kette zu tragendes Brustbild. Dieses
Testament (1586) war von 7 Zeugen, auf jeder
Seite vom Landgrafen, als dem Testator, unter-
zeichnet. Dreißig Tage nach seinem Tode sollte
dasselbe in Gegenwart des Landgrafen Moritz,
der fürstlichen Brüder, sämmtlicher Hof- und
Landräthe und Beamten eröffnet werden und zur
unweigerlichen Befolgung der Nachfolger, die fürst-
lichen Brüder, die Ritter und Räthe ermahnt
werden.
Werfen wir nun zum Schluß noch einen Blick
auf das innere Familienleben des Landgrafen
Wilhelm. Seine Gemahlin, Sabina, älteste Tochter
des Herzogs Christoph von Württemberg, lebte
mit ihm in glücklicher fünfzehnjähriger Ehe.
Dieselbe zeichnete sich durch große Mildthätigkeit
aus. So errichtete sie die Stiftung der freien
Hof-Arznei, nicht nur für Angehörige des Hofes
und fürstlicher Gäste, sondern auch für alle Armen
und Hülfsbedürftigen der Hauptstadt. Auf dem
Schlosse zu Rotenburg starb sie in den Armen
ihres Gemahls. Zeugniß von ihrer großen Be-
liebtheit gab der Trauerzug, in welchem ihr die
Unterthanen des Landgrafen von Rotenburg bis
zur St. Martinskirche in Kassel das Geleit gaben.
Zum zweiten Male hatte sich der Landgraf in
Folge eines gethanen Gelübdes nicht wieder ver-
heirathet. Aus seiner Ehe entstammten elf Kinder;
von diesen überlebten Wilhelm außer seinem
Sohne Moritz vier Töchter, von denen die älteste,
Anna Maria, an Ludwig von Nassau, die zweite,
Hedwig, mit Ernst von Schaumburg lind die
jüngste, Christine, mit Johann Ernst III. von
Sachsen-Eisenach vermählt wurde, die dritte
Tochter, Sophie, starb unvermählt. Während
der Landgraf die Erziehung seines Sohnes selbst
in die Hand nahm, übergab er seine Töchter
einer kinderlosen Schwester der Landgräfin in
Marburg zur Erziehung. Zum Lehrer seilles
Sohnes wurde auf Vorschlag der Landesuniversität
ein jlinger Rechtsgelehrter, Tobias Homberg,
Sohn eines Bürgers zu Homberg, genommen.
Hofmeister wurde Blirkard von Calenberg, nach
diesem H. L. v. Harstall; der Religionsunterricht
wurde durch Kaspar Cruciger aus Wittenberg,
Anhänger der reformirten Lehre, ertheilt. Dra-
matische Spiele und Fechtübungen ordnete der
Landgraf selbst an. Bei einer jeden Reise des
Landgrafen mußten ihm von seinem Sohne latei-
nische Berichte zugesandt werden über seinen
Gesundheitszustand, seine Studien. Im Jahre
1584 bestand Moritz vor den Lehrern der Landes-
universität seine glänzende Prüfung in den alten
Sprachen, in Poesie, Logik, Ethik, Geschichte und
Theologie; seine Urtheils- und Gedächtnißkraft,
seine geistreichen Antworten erregten die Be-
wunderung aller Anwesenden.
Seinen letzteil Geburtstag, den sechzigsten,
feierte Landgraf Wilhelm aus dein Schlosse zu
Schmalkalden mit seinem Bruder Ludwig und
dessen Gemahlin. Kurz vor seinem Tode be-
sichtigte Wilhelm noch die Schlösser Ziegenhain,
Spangenberg und Homberg, und kehrte dann
nach Kassel zurück. Hier starb er nach einem
gegen ärztlichen Rath gebrauchten Bade und einer
Spazierfahrt am 25. August 1592 a. St. Jhnr
folgte als Nachfolger sein Sohn Moritz.
Rtf-i'
Aus dem Tagebuch eines hessischen Feldpredigers im
amerikanischen Krieg.
Von Otto Gerland.
(Schluß.»
§en 22. des Morgens wurden wir aus Boten
im Kanal gefahren und in New-Rochelle
abgesetzt, blieben die Nacht unter freiem Himmel
und marschirten den andern Tag iu's Lager bei
New-Rochelle ohnweit der großen Armee. Wir
hatten hier den Feind um uns herum, lind mllßteil
daher die Regimenter sehr auf der Hut sein.
Man fand in diesen Gegenden wenig bewohnte
88
Häuser, ganze Familien hatten aber ihr Mobiliar
verlassen, viele Wohnungen mit den allerschönsten
Hausgeräthen unter anderm. In diesem Lager
logirten wir nebst dem Herrn Obristen in einem
Hause, woselbst ein Prediger gewohnt, so unter
die Rebellen gegangen. Es fand sich daselbst eine
Bibliothek von schönen, meist englischen und
lateinischen nebst etlichen wenigen deutschen Büchern.
Hinter diesem Hause im Garten war ein Todtenhof,
woselbst ein ganzer Kasten voll prächtiger silberner
Gerüthc vergraben und in der Nacht von etlichen
Engländern ausgegraben worden war. Ohnweit
diesem Hause stand eine kleine Kirche, im Viereck
gebanet; in der Mitte derselben an der Wand
stand eine Kanzel, vor dieser der Predigerstand.
Auf der Kanzel lagen, wie ich dies auch noch in
mehreren Kirchen gefunden habe, etliche große
Folianten Marterbücher, griechische und lateinische
Beschreibungen derer Märtyrer, besonders der
Apostel und eifriger Anhänger der Religion,
woraus ich schließe, und nach der Hand eingezogene
Nachrichten haben meine Muthmaßungen be-
wahrheitet, daß die Prediger ihre Gemeinden
durch Vorstellung und Erläuterung jener Mord-
geschichten zu einer standhaften Verfechtung der
Freiheit und dauerhaften Unabhängigkeit haben
bewegen wollen. Ja selbst haben Prediger Rotten
errichtet und ihre zusammengelesenen Heere an-
geführt. Wir hatten in diesem Lager verschiedene
Unruhen, aber keine von Erheblichkeit. Den 28.
rückten wir von da in die Gegend von . . . .*),
von da wieder etliche Meilen in die Gegend
Westchester (oonvio prima **), von da rückten
wir nur einen kurzen Weg vor nach Kingsbridge.
Hier standen wir nun vor dem Fort Washington,
und es wurden unterstand Anstalten gemacht, den
Feind zu begrüßen. Die Kommandos waren hier
höchst gefährlich, es wurden unter der Hand, bem
Feind vor der Nase Batterien aufgeworfen, woraus
man schon muthmaßen konnte, was passiren sollte.
Den 16. November des Morgens rückten sechs
Regimenter, Knyphausen, Loßberg, Rall,
Wutgenau, Huhne, Bünau, und ei» Grenadier-
bataillon aus und attaquirtcn jenes Fort unter
dem Hauptkommando des Herrn Generals v. Knyp-
hausen, Brigaden kommandirten Herr General
Schmidt, Oberst Rall und Oberst Huhne.
Obschon einige Regimenter sehr viel erlitten an
Todten und Blessirten und es fast unmöglich schien,
dem Feind Schaden zu thun, so glückte dieser
*) Hier hat die Handschrift eine Lücke bezüglich des
Ortsnamens.
**) b. h. hier wurde zum ersten Male Feldgottesdienst
gehalten.
große herzhafte Angriff so gut, daß binnen sehr
kurzer Zeit das Fort übergeben werden mußte
und bekam daher den Namen Fort Knyp-
hausen. Jeder Kenner bewundert die außer-
ordentlichen Verhacks und Verschanzungen dieser
Festung, die schon dadurch fest war, daß sie auf
einem hohen Berge lag, der von dem Fuß an
mit Bäumen besetzt war, welche alle nieder in
den Weg gehauen waren. Um die Festung herum
waren sehr viele Batterien, Hütten, worin sie sich
aufgehalten. Die Gefangenen, deren an 4000,
wurden nach New-Iork gebracht, das Fort mit Schott-
ländern beseht, und die hessischen Regimenter
marschirten noch den Abend mit vielem Jauchzen
in ihre Lager. Nun glaubten wir sogleich gute
Winterquartiere beziehen zu wollen, allein die
Regimenter marschirten zuvor wieder in's Lager,
die Brigade des Herrn Obrist v. Huhne als
Wutgenau, Huhne und Bünau marschirten
in das Lager kurz hinter New-Pork, die Brigade
des Herrn Obrist v. Loßberg als Leib-
Regiment, Prinz Karl und Ditsurth
stießen bei uns und blieben Hierselbst etliche Tage,
bis wir Ordre erhielten, uns zum Embarquement
parat zu halten. Den 25. des Morgens um
9 Uhr marschirten die Regimenter en parade
durch New-Pork und wurden nebst sechs Re-
gimentern Engländer, jedes Regiment aus drei
Schiffe gebracht, ich und Herr Auditeur bei Herrn
Kapitän Martin auf ein schottisches Schiff Clin-
coeru. Vom 25. bis den 8. Dezember blieben wir
auf dem Wasser und wurden auf Rhode-Jsland
debarquirt. Es waren vor der Abfahrt von
New-Pork alle Anstalten gemacht, um dieses Eiland
mit Gewalt einzunehmen, allein die Rebellen
hatten uns ohile viele Mühe Platz gemacht. Nur
etliche Tage lagen die Regimenter noch im Lager,
so marschirten sie in die Kantonnementsquartiere,
der Kompagnie trug es höchstens fünf Häuser."
Es mag hier eingeschaltet werden, daß nach einer
Erzählung Kümmell's an anderer Stelle, auf der
Jusel Loug-Jslaud ein großes hessisches Feld-
lazareth errichtet worden war. „Den 26. November",
fährt das Tagebuch fort, „rückten die sämmtlichen
Regimenter in ihre Winterquartiere, die Loß-
berg'sche Brigade liegt in der Stadt*) nebst
zwei Brigaden Engländer. Diese ganze Insul
wird in drei Gegenden oder Countrys eingetheilt,
Town oder die Stadt, Mitteltown und Portsmouth;
sie ist im Ganzen 15 englische Meilen lang und
3 breit. Die Stadt, dabei ein schöner Hafen,
*) Welche Stadt hiermit gemeint sein soll, ist leider
nicht zu sagen, vermuthlich ist es New-Port, nach ander-
weiten Bemerkungen zu schließen.
89
ist ziemlich regulär gebaut, hat ohngefähr 1000
mehrentheils hölzerne Häuser, davon aber viele
von außen recht ansehnlich sind, und verschiedene
große Kirchen. Die Religion ist darin sehr ver-
schieden, mehrentheils aber Sekten; Quäker, Wieder-
täufer möchten die größte Zahl sein, danach kommen
Herrnhuter und eine englische Episkopalkirche. Die
zweite hessische Brigade und besonders das
Huyne' sche Regiment lag nahe am Wasser, gegen
dem Feind über, der uns manche schlaflose Nacht
machte. Verschiedene Nächte mußte das Regiment
unter dem Gewehr stehen." Während dieser
Winterruhe erhielt die Abtheilung auch am
2. Januar 1777 Besuch von „sehr edlen Ladies".
„Den 20. Februar bin ich mit Herrn Regiments-
quartiermeister und Auditeur in die Stadt gezogen,
wo wir unser Quartier in einem Hause nehmen
mußten, wo die große Equipage des Regiments
war. Da wir nun bei den Regimentern wegen
großer Beschwerden und Weitläufigkeiten, so damit
verknüpft waren, in denen Wintertagen nur gar
selten Kirche halten konnten, so half ich dem
Herrn Pfarrer Schrecker in der Stadt, wo
wir unsern Gottesdienst in einer sehr wohl ge-
bauten Presbyterialkirche hielten. Die Besatzung
hatte alle möglichen Vortheile vor denen übrigen
Regimentern, und der kommandirende General,
Anfangs Lord Klington und nachdem Lord
Percy sahen besonders darauf, daß der Staat
und das Glänzende in der Garnison bewahret
würde. Die Hauptwache wurde von einein Kapitän
und zwei Offiziers aufgeführt und gehalten, zwei
Offiziers wurden ferner detachirt, einer auf
S ü t e n d und einer auf L o u g w a h, ein Offizier
hatte täglich die Ordonnanz bei dem kommandirenden
General. Es wurden auch Anstalten vor das
Plaisir gemacht, zweimal wöchentlich war Konzert
in dem Kron-Kaffeehaus. Vor die Offiziers war
es angenehm und kommode genug, aber der ge-
meine Mann genoß wenig davon, indem die
Soldaten alle in ledigen Rebellenhäusern ihre
Quartiere hatten und dabei wegen der Theuerung
nur wenig frisches Fleisch und am Ende gar keins
mehr bekommen konnten. Im April zog Lord
Percy nach England als Parlamentsmitglied;
etliche Tage vorher wurde ihm des Abends um
10 Uhr eine Nachtmusik gebracht von denen
Offiziers der L o ß b e r g' s ch c n Brigade. Mit ihm
verlor die Garnison einen großen Theil ihrer
Lebhaftigkeit und die Einwohner der Stadt einen
gar lieben menschenfreundlichen Gouverneur. Sie
gaben eine Denkschrift ein, worin sie seinen ehr-
würdigen Gemüthscharakter ganz erstaunend erhoben
und rühmten, daß sie nur wenige und fast gar
keine Kalamitäten des Kriegs unter seiner Regierung
erlebt. Er machte beträchtliche Präsente an die
Armen und die englischen Kirchen. Genug, er
bewies sich als einen außerordentlich leutseligen
Herrn. Sein Abschied war Schmerz vor jede»,
der nur seinen Namen kannte. Nach ihm erhielt
der General Richard Prescot das Kommando.
Dieser war denen Eingeborenen nicht gut, weil
er ehemals unter den Rebellen in Gefangenschaft
gewesen und darin vieles Ungemach ausgestaudeu.
Sobald er nur die geringste Gelegenheit hatte,
jemanden etwas zu beschuldigen, so setzte er ihn
gleich in das Gefangenhaus. Die Leute der Insul
hatten also auch den größten Haß auf ihn; den
sie auch nach der Hand wahrscheinlicher Weise
bewiesen. Den 18. Mai wurden die beiden Re-
gimenter Leibregiment und Prinz Karl und
das 54. Regiment Engländer embarquirt und
mußten bei New-Pork zur Armee stoßen, Ditfurth
und das 22. englische Regiment blieben in der
Stadt bis den 26., dann rückten sämmtliche Re-
gimenter in ihre Lager, die sämmtlichen drei
englischen Regimenter, Wutgenau und Ditfurth
bei Prestol-Ferry unter der Brigade des
Obristen v. Huyne, Huhne, Bünau aber nahe
an der Stadt. Ich, der Herr Regimentsquartier-
meister und Auditeur logirteu uns in einem nicht
weit vom Lager gelegenen steinernen Haus. Das
Lager war überaus augenehm auf einer Wiese,
die Front hatte nach der See. Es wurde alle
Sonntage gepredigt und Dienstag und Freitag
Abends 5 Uhr Betstunde gehalten. Die Regimenter
gaben die Wacht in die Stadt und ein Kommando
ans C o n n a n i c u t, eine kleine Insul gegen dieser
über. In der Nacht vom 10. zum 11. Juli hatten
wir die Fatalitäten, daß der kommandirende
General Prescot von denen Rebellen hinterlistiger
Weise nebst seinem Regiments-Adjutanten geholet
wurde. Der Unvorsichtigkeit der Wache war
freilich dieses beizumessen, allein wahrscheinlicher
Weise hatten Einwohner dieses Eilandes diesen
Streich zur Rache vor seine harte, jedoch ihnen
gerechte Regierung gespielt. Er hatte sich in ein
unsicheres Haus ans dem Lande zu weit von
einem Lager gelegt. Die Begebenheit erweckte
ein großes Aufsehen und Vorsichtigkeit. Im Juli
kam der neue kommandirende General Pigot
mit einer Fregatte in den Hafen. Er wurde
durch ein Kommando von einem Offizier und
24 Mann und Hoboisten vom Regiment Huhne
empfangen. Den 5. August wurden die Rebellen
von einem englischen Kommando überfallen, bei
diesem Ueberfall wurden zwei getödtet."
Das eigentliche Tagebuch schließt hier leider.
Allein wir können aus den Vermerken über die
Handhabung der Seelsorge noch vielerlei Inter-
90
essantes entnehmen. Was zunächst die Krieg-
führung anlangt, so finden wir unsern Feldprediger
bis in das dritte Vierteljahr 1779 stets auf
Rhode-Jsland, wo er die verschiedenen ihm
zugewiesenen Trnppcntheile an ihren Standorten
aufzusuchen hatte. Dann begleitete er ein Korps
nach Süd-Karolina, wo Charlestown (Charleston)
den Mittelpunkt seiner Thätigkeit bildete. Er
nennt uns als betheiligt an diesem Zuge die
Regimenter: v. Huhne, v. Benning, v. Dit-
furth, v. Bose, das Grenadier-Regiment
D'Angelelli, die hessischen Jäger, das
Hessen-Hananische Freikorps, das eine
Scharfschützenabtheilung besaß und aus dem ganzen
deutschen Reiche und noch weiter hinaus zusammen-
geworben war, englische Truppen, namentlich die
New-Pork-Vol unteers. In Süd-Karolina
blieb das Korps bis zur Jahreswende 1782 auf
1783, dann finde» wir es auf Long-Island,
es mag also damals das Festland von Amerika
bereits geräumt gewesen sein. Der letzte Eintrag
von Long-Jsland fällt in den Mai 1783, dann
kehrten die Truppen zurück, am 11. Juli und
7. Dezember finden wir sie zu Portsmouth in
England, bis sie dann zu Ende dieses und im
Anfang des folgenden Jahres in die Heimath
zurückkehrten.
Es mögen zum Schluß noch einige Worte über
die seelsorgerische Thätigkeit Kümmel's folgen.
Als während des Krieges und auf der Hin-
uud Rückfahrt gestorben zählt er auf:
Regiments-
angehörige.
I. Vom Regiment Huhne:
1. bei der Leibkompagnie.... 29
darunter der Generalmajor und
Chef v. Huhne, geb. zu Nieder-
beisheim, gest. 25. Juli 1780 zu
New-Pork, und den Feldwebel
Nikolaus G vb el aus Neukirchen,
starb 1. Oktober 1780 zu Charles-
town.
2. Bei der 2. Kompagnie ... 35
darunter den Leutnant Ludwig
Grau aus Niederaula, 14. Ok-
tober 1780 zu Charlestown.
3. Bei der 3. Kompagnie ... 34
darunter den Feldscheer G. F.
Wolf aus Schwabach bei Nürn-
berg, 10. August 1777 auf Rhode-
Jsland; ben Hauptmann Karl
Friedrich Wegner aus Waake
in Hannover, 23. September 1780
zu New-Port auf Rhode-Jsland
„an der Blessur" gestorben.
4. Bei der 4. Kompagnie ... 28
darunter den Leutnant Niki.
Fr. Wenkü aus Kassel, 9. Ok-
tober 1780 zu Charlstown, und
den Feldscheer A. Lorenz ans
Wetter, 29. November 1780 zu
Charlestown.
5. Bei der 5. Kompagnie . , . 38
darunter den Hauptmann Fr.
Zacharias Wagner aus
Gudensberg, 12. März 1777 zu
New-Pork, den Hauptmann Fr.
v. S ch a l l e r n aus Neustadt a. d.
Aisch, 29. August 1778 aus
Rhode-Jsland „todt geschossen",
den Feldscheer HeinrichMarth
aus Rauschenberg, 9. Oktober
1776 auf Long-Jsland (also
wohl in seinem Beruf im Lazareth)
und den Leutnant Fr. Justi
aus Marburg, 16. Oktober 1776
„bei Fort Knyphausen todt
geschossen".
6. Vom Mittel- und Unterstab . 5
darunter den Regimentstambour
Chr. Hahn aus Neukirchen,
25. Dezember 1776 auf Long-
Jsland, den Büchsenmacher Chr.
Schreiber aus Röllhausen,
4. Dezember 1776 auf Long-
Jsland, den Profoß Rudolf
Welker aus Neukirchen, 3. Juli
1780 zu Charlestown._________________
Zusammen 169
Ob dies alle Verluste des Regiments
waren, mag aber dahin gestellt bleiben.
II. Vom Regiment Benning im Jahre 1781
20 Regimentsangehörige, darunter von der
4. Kompagnie den Feldscheer Ioh. Gottl.
Nieter aus Schönberg in Sachsen, 4. April
zu Charlestown.
Ferner erfahren wir, daß am 23. April 1778
Major Matthias gestorben und am 25. be-
graben worden ist, ohne daß uns die Truppe,
der er angehört hat, genannt wird.
Da, wie Eingangs erzählt, viele Soldaten ihre
Familien mit sich nahmen, so kamen auch häufig,
auch bereits, während der Hinreise auf den Schiffen,
Kindtaufen, ab und zu auch Konfirmationen vor.
Auch englische Kinder gelangten in Ermangelung
englischer Geistlicher durch Kümmell zur Taufe.
Aber aud) Trauungen wurden vollzogen; theils
heiratheten die Soldaten mitgezogene ledige Frauen-
91
¿immer, inzwischen herangewachsene Töchter oder
auch Witwen gebliebener Kameraden. Aber auch
Amerikanerinnen verschmähten es nicht, sich an
Hessen zu verheirathen, nachdem sie gesehen hatten,
daß diese keine Menschenfresser seien. So heirathete
Claudius Gerber, von Lyon in Frankreich
gebürtig, Capitaine d'armes im Hessen-Hanauischen
Freikorps, am 4. April 1783 zu Oysterbay auf
Long-Jsland Sallh Perchy, die Tochter des Ein-
wohners zu Stingtown in Virginien Charles
Perchy. Selbst der Regimentsquartiermeister
beim v. Benning'schen Regiment, Friedrich
Jakob Kleinschmidt, gebürtig aus Kassel,
heirathete am 6. Dezember 1781 Miß Ann
Townsend, Tochter des dortigen Einwohners Mr.
Stephen Townsend und dessen Ehefrau Mistreß
Ann, geb. Schmidt.
Wie auch bei allen diesen Eheschlüssen und
in sonstigen Fällen, wenn nöthig, Kirchenbuße
verlangt wurde, so blieb man auch insofern bei
den heimischen Gebräuchen, als während der
Gottesdienste, wenn solche überhaupt abgehalten
werden konnten, Opfergeld eingesammelt wurde.
Der Ertrag wurde für die Unterstützung der Ver-
wundeten und Kranken in den Hospitälern verwandt.
Aus dem von Kümmell gewissenhaft geführten
Opferbuch, in welchem die eingegangenen Beträge
nach englischer Währung gebucht wurden, er-
sehen wir, daß verhältnißmäßig hohe Opfer ge-
sammelt wurden, und können daraus entnehmen,
daß die Truppen in günstigen Soldverhültnissen
waren.
Die Opfer brachten, um dies noch zum Schluß
zu erwähnen:
I. Beim Regiment v. Huhne:
1777 an 28 Sonntagen 6 £ 4 s. 6 d.
1778 „ 30 „ 4 „ 11 „ 8 „
1779 „ 34 ,. 7 „ 4 „ 2 ,.
1780 „ ? „1 „ 0 „ 9 „
II. Beim Regiment v. B ü n a n:
1777 an 25 Sonntagen 5 £ 4 s. 0 d.
1778 „ 27 „ 3 „ 9 „ 8 „
1779 „9 „ 5 „ 1 „ 7 „
(Darunter am Weihnachts-
fest allein 1 £ 1 s. 4 '/2 d.)
1781 an 9 Sonntagen 8 £ 13 s. 8 <1.
III. Beim Regiment v. Benning:
1782 an 12 Sonntagen 8 £ 1 s. 7 d,
IV. Beim Regiment v. Ditfurth:
1779 an 4 Sonntagen 1 / 14 s. 9 d.
Abgesehen von dem guten Weihnachtsopfer 1779
beim Bünau'schen Regiment kommen Opfer
bis zu 1 £ 8 s. 2 d. vor, das geringste Opfer
beläuft sich einmal auf 1 s.
Anfang 1784 kehrte Kümmell in sein Vater-
land zurück.
Gras Philipp Ludwig II. von Hanau.
der Gründer der Neustadt Hanau.
(Schluß.)
snser Graf Philipp Ludwig war aber nicht
bloß ein Helfer für seine Glaubensgenossen,
sondern nahm auch die Juden, die damals
noch in harter Unterdrückung lebten, in kräftigen
Schutz. Ihrem Wunsche entsprechend gestattete er
ihnen, sich in einer besonderen Gasse anzubauen,
und gab ihnen eine zeitgemäße Gemeinde-Ver-
fassung, die Judenstädtigkeit genannt.
Ich komme jetzt zu einer Schöpfung des Grafen,
die ihm, seiner Persönlichkeit nach zu urtheilen,
neben der Gründung der Neustadt wohl am
meisten am Herzen lag.
Die Stadt Hanau hatte zwar beim Beginn
der Regierung Philipp Ludwig's die damals
gewöhnliche Stadtschule, worin in drei Klassen
Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und etwas
Latein gelehrt wurde, aber durch mancherlei
widrige Umstände, wozu auch eine pestartige
Krankheit gehörte, die den Grafen selbst mit
Kanzlei und Konsistorium nach Windecken trieb,
war diese Schule gänzlich in Verfall gerathen.
Philipp Ludwig beschloß daher, das Schulwesen
Hanaus neu zu vrganisiren und zwar neben der
Elementarschule ein Eyinnasiuin illustre, d. h.
eine lateinische Schule, verbunden mit einer Hoch-
schule, zu gründen. Nachdem die nöthigen Mittel,
wozu er selbst einen bedeutenden Beitrag gab,
beschafft und die sonst erforderlichen Vorbereitungen
getroffen waren, erschien am 18. Juli 1607 die
förmliche Fundativns - Urkunde. Nach seinem
frommen Sinne äußerte sich der Graf darin:
„Gott der Allmächtige und das hohe fürstliche
Amt, das ihm Gott übertragen, mache ihm eine
sorgsame Pflege der Kirche zur Pflicht, am ge-
92
deihlichsten aber werde für Förderung der Kirche
ohne Zweifel durch die Erziehung der Jugend,
überhaupt durch Gründling und Erhaltung guter
Schulen gesorgt, die ja die Aufgaben hätten, die
blühende angehende Jugend der Kirche einzupflanzen
und zu festen Säulen des geistlichen und welt-
lichen Regiments heranzubilden. Daher fühle er
sich veranlaßt, in der vornehmsten Stadt seiner
Grafschaft eine gute Schule zu gründen und nicht
allein tüchtige Lehrer an derselben anzustellen,
sondern auch unbemittelten, aber talentvollen
Schülern, die Llist zum Stlldiren hätten, die
Gelegenheit zu akademischer Vorbildung zu ge-
währen. U. s. Ui." Zunächst wurde die frühere
Stadtschule zu einer höheren lateinischen Schlile
(Gymnasium) erweitert, worin der Unterricht von
sechs Lehrern ertheilt wurde. Die Erweiterung
dieser Anstalt zu einem Gymnasium illustre
sowie den Ausbau des Schulgebäudes erlebte der
Graf nicht mehr; beides, durch lvidrige Ver-
hältnisse insbesondere durch den traurigen dreißig-
jährigen Krieg verzögert, kam erst 1665 zur
Vollendung, und die Erinnerung an die Feier des
200 jährigen Jubiläums dieser Ereignisse vor elf
Jahren wird wohl noch in Vielen von uns
lebendig sein.
Es dürfte hier die passende Stelle sein, einen
Blick auf die Geistesrichtung der Zeit zu werfen,
von welcher Philipp Ludwig ein so würdiger
Repräsentant war. Seine Geburtsstunde lag der
Zeit nicht fern, die man als die Grenze des
Mittelalters und der neuen Zeit zu bezeichnen
pflegt, sie lag noch innerhalb der Vibrationen,
welche die refvrmatorische Thätigkeit Luthcr's
in allen kultivirten Ländern hervorgerufen hatte.
Aber diese kirchlich-reformntvrische Bewegung war
nur eine besondere, freilich die am lautesten
hervortretende Erscheinung jener Zeit. Allgemeiner
kann ihr Charakter als Kampf gegen die
Fesseln der Tradition bezeichnet werden.
Im Mittelalter wurden alle Lebensverhältnisse
und alles Denken durch die Traditio» beherrscht,
und diese gab für alle Stände und Berufsarten
bestimmte Regeln, feste Ideale, welche allen den
Weg wiesen, den sic zu wandeln hatten. Die
mittelalterliche Welt betrachtete die Dinge nicht
in ihrer Wirklichkeit, sondern wie sie ihr von der
Kirche überliefert waren, ihr galt daher die Ver-
herrlichung der Kirche und die Heiligung der
Seelen so sehr als der allein wahrhaft wesentliche
Zweck der Welt und des Daseins, daß vor ihm
die ganze Natur zu einem an sich gleichgültigen
Mittel herabsank, das man nur deshalb einer
Aufmerksamkeit würdigte, weil es dem Menschen
Nahrung, Kleidung und Arzneimittel gab.
„Nicht aus Unkenntuiß dieser Dinge," sagt
Eusebius, der Vater der Kirchengeschichte, von
den Naturwissenschaften, „sondern aus Verachtung
ist es, daß wir so klein von diesen Sachen denken
und unsern Geist zu bessern Gegenständen wenden."
Und wie sehr noch in der Blüthe des Mittel-
alters das Interesse der Forschung von der
wirklichen Natur und der irdischen Welt ab- und
der künftigen zugewandt war, sieht mau aus den
wissenschaftlichen Hauptwerken jener Zeit. Unter
den hunderten von Kapiteln sind nur wenige,
welche, „von der natürlichen Wirkung der Dinge"
überschrieben, die Naturwissenschaft umfassen, aber
sehr viele, welche von der Rangordnung der ver-
schiedenen Himmel, von der Natur der Engel,
von ihrer Nahrung, Verdauung und ihrem Schlafe
nhadeln. Diese Dinge wurden mit Ausführlichkeit
und Gründlichkeit durchgesprochen, behauptet und
widerlegt und bildeten die Gegenstände heftiger
ernsthafter Debatten. Die Physiologie der Engel
war ein würdiger Gegenstand der Forschung, aber
die Physiologie des menschlichen Körpers, dieses
traurigen hinfälligen Kerkers der Seele, verdiente
keine Beachtung. — Bei dieser Nichtbeachtung der
Natur und der Gesetzmäßigkeit, die darin waltet, —
kann man sich wundern, daß am Ende des
Mittelalters durch Vermischung mit orientalisch-
mystischen Elementen eine wüste und abergläubische
Naturansicht sich bildete, in welcher alles in
Magie, Zauber- und Wünderkram sich auflöste,
daß Zauberer und Hexen vom Staat wie von
der Kirche verfolgt wurden und zahlreiche Hexen-
prvzcsse noch tief in's vorige Jahrhundert hinein-
reichten? Und schlagen einzelne verspätete Nach-
klänge aus jener Zeit nicht auch heute noch au
unser Ohr?
Aber allmälig machte sich am Ende des
Mittelalters der Einfluß der alten römischen und
griechischen Klassiker geltend, die nach Be-
ruhigung der Völkerfluthen und nach Abstumpfung
des schwärmerischen Interesses au der Eroberung
des heiligen Landes wieder an's Tageslicht ge-
kommen und zuerst in die Einsamkeit der Klöster,
dann aber durch Gutteuberg's Erfindung auch
in weitere Kreise gelangt waren. Besonders die
einfache praktische Lebensweisheit der alten Griechen
war von tiefgreifendem Einfluß. Sie eröffnete
eine ganz neue Welt von Gedanken und Ideen
und weckte die schlummernden Kräfte nach allen
Richtungen des Geistes. Neben den philosophischen
und historischen Schriften der Alten machte damals
auch die Mathematik der Griechen einen so
tiefen Eindruck, wie wir ihn jetzt kaum erklären
können. Hier sah man einen reichen Inhalt von
Wahrheiten, der nur Folgerungen der Vernunft
93
enthielt, ohne Wunder und Willkür, ohne Zweck
und Absicht, und diese reine Nothwendigkeit der
Vernunstwahrheiten war sür jene Zeit eine neue
Entdeckung.
An die Wiederauflebung der Wissenschaften
knüpften sich bald Folgen von der größten Be-
deutung. Köpernikus und Kepler wagten
es, ihre Entdeckungen und ihre der herrschenden
Meinung widersprechenden Lehren über die Stellung
unserer Erde im Universum zu veröffentlichen,
Galilei begründete durch seine Experimente die
heutige Physik, und Luther konnte die reinere
Lehre des Evangeliums wieder zur Geltung bringen
und durch seine unübertreffliche Bibelübersetzung
die Herzen der Nation gewinnen.
In hellen Haufen kamen die Helfer zu diesen!
Reformationswerk und unter diesen als einer der
hervorragendsten der gelehrte Melauchthvn,
der besonders die Reform der Schulen in's Auge
faßte. Er selbst sagt, die Reinigung aller Wissen-
schaften und Unterrichtsweisen auf hohen und
niedern Schulen vermittelst eines zweckmäßigen
Studiums der Alten und einer gesunden Philosophie
sei die Aufgabe seines Lebens. In diesem Sinne
hat er selbst viele Lehrbücher und darunter auch
eine Bearbeitung des griechischen Mathematikers
Euklid sür Schulen verfaßt, und seine erfolg-
reiche Wirksamkeit, der man die Lebensprinzipien
der heutigen Gymnasien und die Gründung vieler
solcher Anstalten zu jener Zeit verdankt, hat ihm
den Ehrentitel: prasosptor Germaniae eingetragen.
Dieser Zeit hoher geistiger Bewegung lag die
Geburt und Erziehung Philipp Ludwig's nahe.
War es nicht selbstverständlich, daß der fromme
und hochgebildete Graf auch an seinem Theil den
neuen Geist zu fördern suchte, der in Kirche und
Wissenschaft gedrungen war, der aber leideren
Folge des zerstörenden dreißigjährigen Kriegs dem
deutschen Volke erst spät die Früchte trug, welche
die begeisterten Reformatoren von ihrer Arbeit
hoffen durften?! Ich kehre zum Faden der ge-
schichtlichen Erzählung zurück.
Philipp Ludwig ließ 1605 jenen stattlichen
alle andere Thürme der Stadt überragenden
Schloßthurm bauen, dessen sich noch viele von
uns erinnern, der aber in den letzten Rcgierungs-
tagen des Kurfürsten Wilhelm II. dessen wunder-
licher Baulust zum Opfer fiel. Auch das Markt-
schiff, das noch in unseren Tagen unter Bein's
umsichtiger Leitung in drei Stunden nach Frank-
furt und in fünf Stunden wieder zurückfuhr,
war zu jener Zeit eine dankbar anerkannte
Schöpfung unseres Grafen, die ihn indessen in
ernste erst durch ein Urtheil des Reichskammer-
gerichts beendigte Streitigkeiten mit engherzig
partikularistisch gesinnten Nachbarn verwickelte.
Kaiser Rudolph II., der die gediegene Kenntnisse
Philipp Ludwig's und seine seltene Einsicht
in Staatssachen kennen gelernt hatte, ernannte
ihn 1608 zu seinem Rath, berief ihn in wichtigen
Angelegenheiten an seinen Hof nach Prag und
trug ihin die ersten Würden des Königreichs
Böhmen an, er lehnte indessen im Gefühle seiner
Pflichten gegen sein Land und seine Familie
dieses ehrenvolle Anerbieten ab. Jni Jahre 1608
ging er mit ansehnlichem Gefolge nach London,
um die Tochter des Königs Jakob I., Prinzessin
Elisabeth, für den Kurfürsten Friedrich von der
Pfalz, den nachherigen unglücklichen König von
Böhmen, als Gemahlin zu werben. Nach glück-
licher Erledigung dieses Auftrags reiste er durch
Holland nach Paris, wo er von Ludwig XIII.
und dessen Mutter sehr ehrenvoll aufgenommen
und mit Glückwünschen an den neu gewählten
Kaiser Matthias beauftragt wurde. Von Nürnberg,
wo er den Kaiser getroffen hatte, nach Hanau
zurückgekehrt, endigte er kaum einen Monat später
seine Lebenstage am 9. August 1612 im 36. Jahre,
leider zu früh für die Seinigen und sein Land.
Der Geschichtschreiber der hanauischen Grafen
sagt von ihm im vorigen Jahrhundert: „Philipp
Ludwig, von allen, die ihn kannten, ge-
schätzt und von seinem Lande geehrt, wurde
wegen seines so frühen Absterbens als Freund,
Gemahl, Vater und Landesherr vermißt und
bedauert. Jede seinem frühen Grabe nachgeweinte
Thräne war ein Opfer der Erkenntlichkeit für das,
was er zum Besten so Vieler gewirkt hatte.
Noch jetzt nennt man seinen Namen nicht ohne
besondere Achtung und dankbare Erinnerung an
die von ihm herrührenden Stiftungen, die eben
so viel redende Zeugen von seiner Klugheit, Güte
und Fürsorge sind."
Sein Leichnam wurde unter zahlreichem Gefolge,
worunter Kurfürsten und Fürsten, in der Marien-
Magdalenenkirche am 23. September beigesetzt.
Dort wurde ihm auch ein Denkmal von künst-
lerischem Werth errichtet, dem leider bei der letzten
Restauration dieser Kirche eine nicht recht passende
Stelle angewiesen wurde. Eine erst kürzlich wieder
zum Vorschein gekommene, wahrscheinlich nach
einer Todtenmaske hergestellte Büste desselben steht
vor Ihnen.
Er hinterließ acht Kinder, wovon hier besonders
erwähnt werden möge Amalie Elisabeth,
die, mit dem Landgrafen Wilhelm V. von Hessen
vermählt, diesen bewog, unserer durch den kaiser-
lichen General Lamboy belagerten Stadt zu
Hülfe zu kommen und sie von ihrem viele Monate
94
dauernden, besonders durch Hunger und Pest ver-
ursachten Elend am 13. Juni 1636 zu erlösen,
welche That nicht bloß heute noch in unserm
Lamboyfest gefeiert wird, sondern auch Veranlassung
wurde, daß ein Jahrhundert später Hanau au
das Haus Hessen-Kassel fiel (am 18. Mürz
1736). Amalie Elisabeth tritt auch hernach als
Regentin von Hessen in bemerkenswerther und
ehrenvoller Weise in der Geschichte auf.
Als erbberechtigten Nachfolger hinterließ Philipp
Ludwig seinen erst siebenjährigen Sohn Philipp
Moritz, so daß auch jetzt wieder eine vormund-
schaftliche Regierung eingesetzt werden mußte.
Ein tragisches Verhängnis; waltete über dem
Geschlecht der Grafen von Hanau-Münzen-
berg während der 200 Jahre ihrer Regierung.
Nur einer derselben erreichte das Alter von
51 Jahren, alle andern starben viel früher, die
meisten in den dreißiger und zwanziger Jahren
mit Hinterlassung von minderjährigen Nachfolgern,
so daß ein beständiger Wechsel von vormund-
schaftlicher und erbberechtigter Regierung statt-
fand. Dennoch wird noch lange nach dem Er-
löschen des Geschlechts die Regierung der hanauischen
Lande unter der Münzenberger Linie als eine
gute und väterliche bezeichnet. Wenn dies besonders
auch bezüglich der Zeit nach Philipp Ludwig
und unter der Noth schwerer Bedrängnisse hervor-
gehoben wird, so darf man dies wohl zum Theil
als eine Folge der Aufnahme der Niederländer
betrachten. Diese, durch gewerbliche und Welt-
bildung hervorragend, von ernst religiösem Geiste
durchdrungen und beseelt von einer durch widrige
Schicksale gestählten Willenskraft, waren mit ihren
Nachkommen Bürger einer freien Stadt ge-
worden, die mit ihrem Fürsten in einem Vertrags-
verhältniß lebte, wie es die damalige Zeit sonst
nicht kannte, — mußte dies nicht in ihnen jenes
auf Selbstachtung beruhende Ehrgefühl erzeugen,
das beschworene Pflichten treu zu erfüllen, aber
auch erworbene Rechte eifersüchtig festzuhalten
sucht? Und mußte dies nicht zurückwirken auf die
Regierung des Landes?
Denn die Geschichte lehrt, daß mit seltenen
Ausnahmen einem Volke diejenige Regierung zu
Theil wird, die es verdient.
-------------------
Die schwarze Mühle.
Eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller.
§mein Heimaththal, wie schön bist Du! Ich
sehe Dich wieder vor mir liegen, wie in den
Tagen, da Du noch meine ganze Welt warst,
und wieder saßt mich Dein Zauber an. Sage
Niemand, das sei kein Wunder, eine liebe Heimath
behalte ihren Reiz, so lange man lebe, was ich
meine Heimath nenne, zeigt mir keine Liebe mehr,
begehrt keine Liebe mehr von mir. Denn die
alten bekannten Gesichter sind daraus verschwunden,
die ehrwürdigen Bäume darin gefällt, selbst an
den Häusern hat die nimmer rastende Fluth der
Zeit gespült und gewühlt und hat viele mit-
genommen, von denen ich meinte, sie müßten ewig
stehen. Auch die Mühle im Herrengrund ist
dahingegangen. Einige kahle Mauern deuten die
Stelle an, auf der sie gestanden hat, einige ver-
kohlte Balken das Loos, das ihr beschieden gewesen
ist, der Mühlbach nur ist sich gleich geblieben.
Der rauscht noch ganz wie einst und wie ich so
an seinem Rande sitze und in die blauen Augen
der Vergißmeinnicht hineinsehe, die unter den
Weiden hervorlugen, da weiß ich ans einmal,
woher cs kommt, daß mir die fremd gewordene
Heimath doch theuer und vertraut erscheint; der
Bach singt mir alle ihre alten Lieder. Wie die
tönen, wie die klingen! Die Gletscherbäche wissen
viel Geheimnißvolles zu erzählen, die Ströme
haben Wunderdinge von Ländern und Menschen
zu berichten, der Ozean ist eine ganze Welt
erhabenen Gesanges, aber so deutlich wie die
Welle des Heimathbaches sprach nie eine zu mir.
Verstehst Du auch mich wohl noch, alter lieber
Geselle? lind kannst Du mir eine Bitte erfüllen?
Du erinnerst Dich gewiß noch der Geschichte von
dem Julian unb der Engelburg, der alten merk-
würdigen Geschichte, die ich immer so gern hörte.
Könntest Du mir die wohl einmal wieder erzählen?
In dem Rennen und Jagen da draußen habe
ich so manches ans ihr vergessen, Du weißt
gewiß noch alles und weißt es ganz genau, warst
Du doch Augen- und Ohrenzeuge fast aller ihrer
Kapitel.
Ich mußte über mich selber lachen, als ich dem
Bach meine Bitte vorgetragen hatte. Wie sollte
er sie mir denn erfüllen? Aber der gute alte
Freund war viel klüger, als ich dachte. Er konnte
zwar nichts als rauschen, rauschen, rauschen, aber
die Art und Weise, in der er dies that lind in
95
der er mich dabei anglitzcrte, hatte etwas merk-
würdig Erweckliches. Es dauerte gar nicht lange,
da hatte ich die Geschichte vom Julian und der
Engclburg wieder vollständig im Sinn. Hier ist
sie, und wenn sie dem einen vder dem andern
lückenhaft, ungereimt oder unwahrscheinlich
vorkommt, so versetze er sich im Geist an ein ihm
wohlbekanntes fließendes Gewässer und lasse sich
von dem das beste Lied dazu singen, das er je
von ihm gehört hat. Dann werden alle Lücken
vergehen, alle Ungereimtheiten und Unwahr-
scheinlichkeiten verschwinden, er wird hören, wie
ich hörte, glauben, wie ich glaubte und vielleicht
auch, und das wäre eine große Freude für mich,
wenn die Geschichte zu Ende ist, bewegt sein, wie
ich bewegt war, als ich durch die Wiesen des
Herrengrundes davon wanderte, weltwärts, der
Poststraße, dem Eisenbahugeleise, den Telegraphen-
drähten zu.--------—
Der Julian und die Engelburg waren natürlich
ein Liebespaar. Aber sie waren nicht eins von
denen, die der Sturm zusammenwirbelt, ihn vom
hohen Norden herunter, sie von: sonnigen Süden
herauf, und auch nicht eins von denen, an welchen
die ganze Verwandtschaft, ja das ganze Dorf
seine Lust sieht, sie kannten sich vielmehr von
frühester Jugend auf, und weit und breit war
nicht ein Mensch, der ihnen Glück zu ihrem
Herzensbund gewünscht hätte. Das kam daher.
Der Julian war der älteste Sohn des tief-
verschuldeten Herrenmüllers und als solcher moralisch
verpflichtet, ein reiches Mädchen zu heirathen, und
die Engelburg war die jüngste Schwester eines
armen Kleinbauern und hatte weniger Eigenes als
eine Magd. Denn eine Magd kann fordern und
wenn nicht anders mit gerichtlicher Hülfe zum
Lohn für ihre Arbeit kommen, sie kannte ihres
Bruders Geldnoth zu genau, uni ihm etwas ab-
verlangen zu können, sie liebte seine Kinder zu
sehr, um sie noch ärmer zu machen als sie schon
waren. Und daß sie trotzdem nicht von dem
Julian ließ und daß trotzdem der Julian nach
keinem Mädchen fragte als nach ihr, das ärgerte
alle, die den Herrenmüller kannten und alle, die
es gut mit der schönen Eugelburg meinten. Aergerte
in Folge dessen die ganze Gegend, denn in der
ganzen Gegend war Niemand, der nicht ein Lied
von den Schulden des Herrenmüllers zu singen
gewußt, Niemand, der der schönen Engelburg etwas
Böses gegönnt hätte. Aber was half alles Aergern,
alles Warnen, alles Rathen? Der König selber
hätte kommen und sagen dürfen: Das Wohl des
Landes verlangt, daß ihr euch nicht länger gut
seid, es wäre ihnen nicht möglich gewesen, sich
anders als freundlich anzusehen. Es war ja auch
gar nicht anders denkbar, als daß sie sich lieb
hatten.
Als der Julian fein erstes Mühlrädchen ge-
schnitzelt und in deu Bach gesetzt hatte, wer war
da mit ihm bemüht gewesen, einen kleinen Damm
zu errichten, damit das Wasser das kleine Machwerk
nicht fortreiße? Die kaum sechsjährige Engelburg.
Und als die Engelburg zum ersten Mal mit iu's
Kornschneiden mußte, wer war es da, der ihr
die Sichel kunstgerecht schürfte? Der Julian.
Solche erste Dienste vergessen sich nicht, auch wenn
der, welcher sie leistet, alles andere eher als
begehrenswerth ist; wie sollten sie da vergessen
werden, wenn sie ein schlankes Mädchen mit nuß-
braunem, krausem Haar »ud lachenden blauen
Augen, vder wenn sie ein Jüngling erweist, der
alle andern Burschen des Dorfes an Körperkraft
und trotzigem Muth überragt? Auch waren diese
Dienste nicht die einzige Verbindung geblieben,
welche zwischen den beiden bestand, cs war kein
Fastnacht-, kein Kirmeßtanz gewesen, von der Zeit
an, wo Eugelburg tanzsähig war, an dem nicht
der eine oder andere Fremde die Frage gestellt
hätte: „Wer ist denn jenes Paar dort im Saal?
Das sieht ja aus wie aus einem Stück gedrechselt",
und ihm darauf der Bescheid geworden wäre:
„Das ist Herrenmüllers Julian und die Eugelburg
vom Mauerhof. Die zwei thun, als wäre Niemand
wie sie unter der Linde, aber heirathen können
sie sich in Ewigkeit nicht."
In Ewigkeit nicht! Warum begriffen die zwei
nur nicht, so lange es noch Zeit war, daß dies
Wort kein leerer Schall, daß es vielmehr von
bitterernster Bedeutung für sie war? Warum
drückten sie nur die Flamme ihrer Liebe nicht
aus, als sie noch auszudrücken war? Es wäre
ihnen vielleicht doch noch möglich gewesen, voll
einander zu lassen, damals, als der Herrenmüller
zum ersten Mal sagte: „Julian, bilde Dir nicht
ein, daß Du die Eugelburg zur Frau nehmen
könntest, die mit ihren drei Batzen kann uns nicht
aus der Noth reißen", und als der Mauerhofer
zum ersten Mal warnend den Finger erhob:
„Engclburg, Du bist doch sonst so gescheit, wie
bringst Du es fertig, den Julian zu Deinem
Schatz zu machen? Er inuß Dich ja sitzen lassen,
der lumpige Müllerssohn!"
Aber da lachten sie beide bloß: „Wir denken
ja gar nicht an's Heirathen!" und trafen sich
Abends am Mühlbach, eigentlich nur, um sich zu
sehen und ein wenig zu necken.
Nun hatte es keine rechte Art mehr mit dem
Scheiden. Nun mußten niit ihrem Liebesband
auch ihre Herzen in Stücke reißen. Denn der
Tag, welcher sie unerbittlich von einander trennte,
96
war nach langem Säumen herbeigekommen, der
Herrenmüller hatte eine reiche Braut für seinen
Sohn ausgemacht. Eine einzige Tochter aus
einem großen Hofe, nicht gerade hübsch, nicht
gerade freundlich, nicht gerade gutherzig, aber das
wäre ja auch zu viel des Glückes gewesen bei den
zwanzigtausend Mark, die sie baar mitbekam.
Es war überhaupt schon wunderbar, daß sie den
Julian haben wollte. Sie hatte nämlich einen
Burschen ihres Dorfes über alle Maßen gern
gehabt. Der aber war ihr aus dem Wege ge-
gangen und hatte Verspruch mit einer andern
gehalten. „Ihr Geld nähm' ich schon," hatte er
bei dieser Gelegenheit im Scherz gesagt, „sie selber
aber nicht, und wenn sie noch viel mehr hätte.
Und wie es mir geht, so wird es wohl allen
gehen." Das war ihr zu Ohren gekommen, und
in Schmerz und Zorn hatte sie sich gelobt, am
selben Tag Ivie der einst Geliebte und nun Ge-
haßte Hochzeit zu halten, Hochzeit zu halten mit
einem wenn möglich viel hübschern, stattlichern
Burschen und dadurch zu zeigen, daß es nicht
„allen gehe wie dem einen", ja daß sie nur die
Hand auszustrecken brauche, um Liebe und Eheglück
zu haben. Da war es denn dem Herrenmüller,
der durch einen Handelsjuden von der reichen
Josepha gehört hatte, nicht schwer geworden, ihr
Jawort für seinen Sohn zu erlangen. Ein Mann
wie der schöne Julian, — sie hatte ihn gesehen,
als er bei den Soldaten war und einmal auf
Urlaub kam —, war ja alles, was ihr fehlte;
daß er Schulde« und einen Schatz in seinem
Dorfe hatte, was lag ihr daran? Er konnte ihr
ja dann auch keinen Vorwurf daraus machen,
daß sie ihn aus Trotz geheirathet hatte.
Es war an einem schwülen Juniabend, als der
Julian der Engelburg erzählte, was ihm und ihr
bevorstehe. Sie hatte auf der Wiese ihres Bruders
oben ain Mühlbach Wäsche gebleicht und getrocknet
und kehrte mit dem Rest derselben zum Dorfe
zurück, als sie den Müllerssohn über den Steg
gerade auf sich zu eilen sah. Sogleich fiel ihr
sein blasses, verstörtes Gesicht auf.
„Was hast Du, Julian?" rief sie ihm entgegen.
Er trat dicht vor sie hin und griff nach ihrer
Hand. „Gut, daß Du mir's so leicht machst,
Dir das zu sagen," versetzte er dabei mit gepreßter
Stimme. „Ich habe nämlich wirklich etwas,
etwas, woran Du nicht denkst, etwas, woran ich
selber heute Nachmittag noch nicht dachte, mit
einem Wort, ich habe seit einer Stunde eine
Braut."
„Julian!" Der Pack Wüsche, welchen Engelburg
auf den; Arme trug, fiel zu Boden. Fast entsetzt
blickten ihre blauen Augen. Dann schüttelte sie
den Kopf, „Du willst mir einen Schrecken ein-
jagen wie danials, als ich glauben sollte, Du
müßtest die Mariann aus der Schmiede heirathen."
Er lachte laut. „Ja, ich weiß noch, was das
für ein Spaß war. O wäre es doch heute wieder
einer! Aber heute ist's Ernst, und Niemand
hilft uns davon."
Sie bückte sich zu ihren Wäschestücken hinab
und hob sie langsam auf, jedes einzelne sorgsam
glatt streichend. „Wer ist's?" fragte sie dabei
gedankenlos.
Er sah ihr eine lange Weile bei der Arbeit
zu, ehe er antwortete. „Was weiß ich," sagte
er endlich obenhin, „ein Mädchen aus einem Hos
irgendwo dort hinten, — er bezeichnete mit dem
Ellenbogen eine schlecht erkennbare Richtung —,
aber sie wird beim Verspruch zwanzigtausend Mark
hergeben, darauf kommt's bei uns an."
Sie war mit ihrem Wüschezusammenlegen fertig.
„Weißt Du schon, daß der Hannes vom Wiesenhof
in drei Wochen nach Amerika geht?" fragte sie,
sich wieder emporrichtend, in demselben gedanken-
losen Ton, mit dem sie vorher gesprochen hatte.
Er nickte. „Meinst Du, ich hätte nicht daran
gedacht, es zu machen wie der? Und ich hätte
meinem Vater nicht damit gedroht? Aber dem
graut nur vor den Juden, die ihn am Kragen
haben, und die hetzen ihn noch in den Mühlgraben,
wenn er sie nicht bald bezahlt." Sie schwieg,
und beide lauschten eine Zeitlang dem Gemurmel
der Wellen zu ihren Füßen. Endlich raffte sich
Engelburg zusammen. „Ich muß heim und die
Kühe füttern. Laß Dir's mit der jungen Frau
immer recht gut gehen." Es klang wie schärfster
Hohn, obgleich sie wohl nicht daran dachte zu
verhöhnen. Ihr war überhaupt nur daran gelegen,
dem Burschen, so bald wie es irgend anging, aus
den Augen zu kommen. So heiß sie ihn liebte,
das brauchte er doch nicht zu sehen, daß sie vor
Jammer fast zusammenbrach. Daß sie auf diese
Weise auch nicht sah, wie elend ihm zu Muthe
war, was schadete das? Sie hätte ihn, der sich
verzweifelt in's Ufergras warf, als sie davon
gegangen war, ja doch nicht mit einem Trostwort
aufrichten können; er mußte ja nach Geld heirathen,
und sie hatte keins.
(Fortsetzung folgt.)
97
Ariihling.
Die Drossel singt; der Frühling kehret wieder. —
Ach zog' er auch in meinem Herzen ein!
Du schone Zeit, du Ebenbild der Jugend,
Willst du durch deinen Zauber mich erfreun?
Des Thaues Fall, der auf den Blumenblättchen
Gleich Diamanten glänzt im schönsten Licht,
Das sind die Thränen, die ich um dich weinte,
Ach schöne Jugend, ich vergcss' dich nicht!
Du, Frühling, mahnest mich an jene Zeiten,
Begrüßest mich mit freundlich liebem Blick,
Doch ich bin still, denn meiner Jugend Trünine,
Sie bringt mir keine Ewigkeit zurück!
Von der Erinn'rung muß allein ich zehren,
Die Bilder zich'n vor meinem Geist dahin;
Nach ihnen möcht ich Haschen, sie umkreisen,
Doch seh' ich ein, daß ich zu machtlos bin.
So mag der Lenz denn neuen Trost mir geben
Und mich erfreu'n durch seine Himmelslust,
Auch meinem Leben neue Hoffnung bieten,
Und heil'ger Frieden zieh' in meine Brust!
Hark Wever.
Vr Nhsterhoas. *)
Gedicht in Wetterauer Mundart von
Kriedrich von Hrais.
„Häi, Mordschwernuuth2), woas eaß dann doas?
„Ihr Keann, ihr Keann, dr Uhsterhoas! —
„Schwinn3), hoabbt ernt4), hoabbt ernt!" Dorch
die Hecke
Eaß hen edorch eann imm die Ecke.
Bei deam giht's flichtig, der eaß hoi5),
Der legkt sein Ajcr eann dr Froi3).
„Doas wehr 7) merr doach e Konststeck 3) doas —
„So väile Ajer vo ahm2) Hoas?
— „Der hott sein Helf10)." — Ohm Breckilche “)
Setzt's Hinkilche eanns Geckilche;
Däi leje duschuhr deatt12) eann's Ha 13)
Eann scheele14) eann die Wearrera.
Dr Hoas eaß bluus dr Knächt devohn,
Woas horr hen Spring eann Lääf 1B) gedohn!
Jhrscht eann die Foarb; die Nonwe "h koacht
Die Ajer schwoarzblo, woas e Proacht!
Ach goldgähl, ruuth eann blitzeblo
— Bo alle Sorte sein se do. —
Ds Esilche off Chreastdoah 47) brengt
Bäil Gonts. Dr Uhsterhoas verschenkt
Die Ajer dozzeltweis de Keann "),
Däi müsse suche beaß 19) se feann 2°),
Leir e gesprenkiltes eamm Groas,
Hääßt's „gukkt emohl denn gonrc Hoas!"
Ds Johr, ds mut21), brengt imm däi Zeit
Bäil Schihnes, Fraad eann Herrlichkeit;
Doach all doas Groin22) eann all düi Blomme
Wehrn23) »ant, wehr nüit ds Hüsi komme.
Woas wärt novch all' deam Krohin gefrcgkt/
Wann nüit dr Hoas die Ajer legkt?
Ahn Johr treibt's anner, — wuhlgedohn24),
Btet siwwezig Johr giht's Ahler ohn!
Denkt so e Ahles ohn däi Zeit,
Düi langt verrbei eamm Troiwe22) leit23),
Off ahmol scheint die Sonn. „Ei woas?
„Ach, läiwer Gvitt, dr Uhsllrhoas!"
*) Osterhase. 2J Mordschwernoth. 3) geschwinde.
4) haltet ihn. 5 *) hurtig. *) Frühe. ’) wäre. 8 *) Kunst-
stück. 8) einem. 10) Hülfe. ”) Brückchen. ia) dort.
"> Hen. "»schicken. "»Läufe, "»der Rabe. "»Christ-
tage. "» den Kindern. "» bis. ao) sie finden. 21» neue:
aa) Grün. 23) wären. '"» wohlgethan. 2°» Trüben,
liegt.
Aunsch.
Hoch auf den Alpenmatten,
Da möcht' ich wieder steh'n
Und auf die blauen Schatten
Jn's Thal hinunter seh'n.
Wo hohe Fichten winken
Nah' bei dem Felsenschlund,
Da möcht' ich wieder trinken
Mir Geist und Herz gesund.
Wo Alpenrosen klettern
Empor und einsam blühn,
Wollt ich dem Sturm, den Wettern
Dann trotzen stolz und kühn.
Hoch über Thal und Hügel,
Im lichten Gotteshaus,
Spannt' ich der Seele Flügel
In stiller Andacht aus.
#. Mendel.
98
Aus alter und neuer Jett.
Der gütigen Mittheilung des Herrn Gymnasial-
oberlehrers a. D. Pfarrer G. Th. Dithmar
in Marb u r g verdanken wir nachfolgendes Ge-
dicht ans der westfälischen Zeit, welches in jener
Zeit der Fremdherrschaft von dentschgesinnten
Frauen viel gesungen wurde:
Vas deutsche Her;.
Als im jüngst vergangenen Jahr
Kass'ler Ostermesse war,
Baute auf des Marktes Mitte
Amor eine Krämerhütte
Und bot freundlich jedermann
Herzen zu verkaufen an.
Eine Schöne trat hinzu:
„Was für Herzen hast beim Du?
Kann man denn nicht welche sehn?"
„Alle soll'n zu Diensten stehn.
Die ich in dem Kasten hab".
Sprach der herzenreiche Knab'.
„Kausen Sie, mein liebes Kind,
Wohlseil laß ich, weil Sie's sind.
Wünschen Sie Pariser Herzen,
Die wie kleine Affen scherzen,
Engelands Gelassenheit
Oder deutsche Redlichkeit?"
„Die Pariser", sprach der Knab',
„Geh'n in Kassel reißend ab,
Biel geputzte reiche Damen
Sie mit sich nach Hause nahmen.
Doch, lieb' Kind, besinne Dich,
Denn sie sind zu flatterig."
„Weil ich eine Deutsche bin,"
Sprach sie, „ist getreu mein Sinn,
Andre, die sich gar nicht schämen.
Mögen sich Pariser nehmen,
Giebst das deutsche Herz Du mir,
Für die andern dank' ich Dir."
Aus Hermath und Fremde.
Für die in den Tagen vom 13. bis 15. April
stattfindenden Festlichkeiten zur Feier des 2 5 j ä h r i g e n
BestehensdesRealgymnasiumszuKassel
ist nunmehr das Programm endgültig festgestellt.
Demzufolge ist zunächst für Freitag den 13. April
in der Turnhalle der Schule eine Feier in Form
einer von den Schülern veranstalteten musikalisch-
deklamatorischen Abendunterhaltung in Aussicht ge-
nommen. Der Hauptsestakt findet am Sonnabend
den 14. April, Vormittags 10 Uhr, in der Aula
des Realgymnasiums statt, zu welchem an die Spitzen
der Behörden Einladungen ergehen werden. Zu
beiden Festlichkeiten sind alle früheren Schüler sowie
auch alle Gönner der Anstalt eingeladen. An Se.
Königl. Hoheit den Prinzen Heinrich von Preußen,
welcher bekanntlich Schüler des Kasseler Real-
gymnasiums war, ist ebenfalls eine Einladung zur
Theilnahme an den Festlichkeiten ergangen. Am
Abend des 14. April findet sodann der bereits
erwähnte, von früheren Kasseler Realgymnasiasten
veranstaltete große Commers, verbunden mit
mannigfachen Aufführungen, im großen Stadt-
parksaale statt und ist namentlich hierzu die Be-
theiligung einer möglichst großen Anzahl früherer
Schüler erwünscht. Zur Nachfeier ist für Sonntag
den 15. April ein offizieller Frühschoppen in den
oberen Sälen des Palais-Restaurants geplant, sodann
Nachmittags ein Ausflug mittelst Extrazügen nach
Wilhelmshöhe, woselbst im Grand Hotel Schombardt
ein Extra-Konzert stattfindet, an welches sich
Abends eine Ballsestlichkeit anschließen wird.
Hessische Bücherschau.
E. Schneider, Führer durch Oberhessen
und die angrenzenden Gebiete. Mar-
burg 1893. Verlag von Karl Kraatz.
Vorliegender Führer durch Oberhessen, zugleich'
der zweite Theil des „Führers durch Marburg
und Umgebung" von demselben Verfasser, ist der
erste Versuch, weiteren Kreisen die Schönheiten
Oberhessens und der benachbarten Gebiete in einem
handlichen Reisebüchlein zu schildern. Der Ver-
fasser hat sich um die Touristenwelt dadurch ein
großes Verdienst erworben. Denn bisher mußte
man sich brauchbare Notizen über Oberhessen aus
anderen Reisebüchern mühsam zusammensuchen.
Buchner's „Führer durch das Lahnthal" behandelt
doch vorzugsweise nur dieses und andere außer-
halb Oberhessens gelegene Landstriche, und der
„Führer durch das Lahn-, Sieg- und Dillthal"
von Dr. Kneebusch bringt über unser Gebiet
herzlich wenig. Es bot sich daher dem Verfasser
unseres Führers eine dankbare Aufgabe dar, und
er hat sie in zufriedenstellender Weise gelöst. Kein
irgendwie bedeutender und landschaftlich anziehender
Punkt ist vergessen worden, ja einzelne für touristische
Zwecke überhaupt noch nicht behandelte Gegenden
Hessens, wie der Kellerwald, sind in den Rahmen
99
der Darstellung mit hineingezogen. Ueberall findet
der Leser neben der genauen Beschreibung der
Wege, der Entfernung u.s. w. topographische, ge-
schichtliche, kulturhistorische, vielfach auch auf die
Sage bezügliche Angaben über die betreffende
Gegend intb den in Frage kommenden Ort, zudem
erleichtern kleine Spezialkärtcheu das Auffinden
derselbell und die Orientirung.
Indessen sotten auch einige Mängel des „Führers"
nicht verschwiegen werden, die bei einer neuen
Auflage zweifellos eine Verbesserung erfahren. Zu-
nächst vermißt man als Einleitung eine geographische
Uebersicht über das ganze Gebiet, wo auch geo-
logische, klimatologische und ethnographische Notizen
Platz ftnbeit könnten, die gewiß manchem Benutzer
des Buches sehr willkommen wären. Sodann fehlt
ein einheitliches Namensregister. Das Vorhanden-
sein eines solchen in der Mitte und eines anderen
am Schlüsse des Merkchens erschwert doch jedem,
der das ganze Gebiet noch nicht genau kennt, die
Orientirung. Zur Entschuldigung dient hierbei
allerdings, daß die einzelnen Abschnitte des
Buches zu verschiedenen Zeiten entstanden sind
und die Herstellung eines das ganze Werk um-
fassenden Namensverzeichnisses aus äußeren Gründen
nicht mehr möglich war. Vielleicht dürste es sich
auch empfehlen, in Zukunft eine allgemeine, wenn
auch nur kleine Uebersichtskarte des ganzen Gebiets
hinzuzufügen, wie sie sich in anderen, ähnliche
Zwecke verfolgenden Reiseführern findet.
Alles in allem wird aber das vorliegende Buch
jedem, der unsere schönen oberhessischen Berge
durchstreifen will, ein schätzbarer Rathgeber und
Begleiter sein, und kann dasselbe daher nur an-
gelegentlichst empfohlen werden. Hoffen wir, daß
dem „Führer durch Oberhessen" nun bald auch
der oberhessische Touristenverein nachfolgen möge.
Marburg a. L. Hrnik Wecker.
Soeben erschien in dem Verlag derN. G. Elwert'schen
Universitätsbuchhandlung zu Marburg: „Hessisches
Buchdruckerbuch" enthaltend Nachweis aller
bisher bekannt gewordenen Buchdruckereien des
jetzigen Regierungs-Bezirks Kassel und des Kreises
Biedenkopf. Im Aufträge des Marburger Geschichts-
vereins bearbeitet und herausgegeben von dessen
zeitigem Vorsitzenden Dr. Gustav Könn ecke.
Mit Abbildung von 96 Buchdruckerzeichen. 35*/2
Bogen, gr. 8°. geb. 12 Mark. — Unter diesem
Titel ist nunmehr das dritte Buch, das durch die
vom Marburger Geschichtsverein 1890 veranstaltete
Gutenberg-Ausstellung veranlaßt wurde, erschienen.
Es zerfällt in zwei Abtheilungen; die erste enthält
Nachweise über sämmtliche in dem angegebenen
Gebiete bekannt gewordenen Druckereien ; die zweite
enthält Nachrichten über die 1890 — 92 dort be-
triebenen 87 Druckereien. Ueber jede dieser 87
bestehenden Druckereien giebt ein je von derselbell
selbst gedrucktes Blatt Auskunft; das ganze Bnch-
druckerbuch ist also von 87 Druckereien hergestellt.
Am umfangreichsten ist die erste Abtheilung
(362 Seiten); sie giebt über sämtliche Drucker,
die je in dem angegebenen Gebiete druckten, auch
über die 87 jetzt vorhandenen Firmen, die die
Nachweise der zweiten Abtheilung selbst druckten,
genaue Auskunft. Und zwar sind behandelt 44
Druckorte mit etwa 450 Druckereien. Von allen
diesen Druckereien und ihren Inhabern werdell
genaue historische Nachrichten gebracht, die aus
Akten des Marburger Staatsarchivs und sonstiger
Behörden, aus den Kirchenbüchern und aus der
gesammten in Betracht kommenden gedruckten Literatur
geschöpft sind. Eine besondere Berücksichtigung ist
den hessischen Zeitungen zu Theil geworden ; sie
sind häufig die einzige Qllelle, ans denen die Zeit,
in der eine Druckerei thätig war, genau bestimmt
werden kann. Daß auch die Geschichte des Buch-
drucks im Allgemeinen, die allgemeine politische
hessiche Geschichte, die Geschichte des Buchhandels,
der Preßverhältnisse, der Zensur, der hessischen
Literatur und Kultur vielfach berücksichtigt wird,
ist selbstverständlich. Auch die beigegebenen Nach-
bildungen von 96 Buchdruckerzeichen (in Original-
größe) werden jedem Freunde der Bibliographie
und Druckgeschichte willkommen sein. Besonders
hervorzuheben ist, daß die Geschichte aller hessischer
Buchdrucker bis in unsere Zeit hinein behandelt
ist: es ist das erste Werk, das auf so breiter
historischer und so sicherer urkundlicher Grundlage
die Geschichte des Buchdrucks in einem Territorium
von den ältesten Zeiten bis aus unsere Tage be-
handelt, da die meisten Lokalsorscher meist kaum
noch das XVII. Jahrhundert berücksichtigen. — Aus-
führliche Register erleichtern die Benutzung des
Werkes; das erste, die hessischen Buchdrucker und
alle, die dazu gehören, umfassend, giebt mehr als
1000 Namen; das zweite bringt über 200 Druckorte
Deutschlands und des Auslandes, die in den beiden
Abtheilungen des Werkes vorkommen, so daß auch
die allgemeine deutsche und die ausländische Drucker-
geschichte manchen Nachweis und Gewinn aus dem
hessischen Buchdruckerbuche sich holen kann. Bedenkt
man, daß bibliographische Werke, die nur Buch-
druckerzeichen, und noch nicht einmal in so großer
Anzahl wie das hessische Buchdruckerbuch sie giebt,
bringen, 20 und mehr Mark kosten, so kann der
Preis bei der vorzüglichen Ausstattung, die das
100
Werk in der Universitütsbuchdruckerei von Joh.
Aug. Koch in Marburg erhielt, nur ein sehr
mäßiger genannt werden. (O. Z.)
Eckart, R. Sammlung niederdeutscher
Rätsel nebst Auslösungen. VIII. 136
S. 120. Leipzig, Adolf Weigel, 1894.
Der Zweck des Herausgebers war es, die reiche
Fülle des zerstreuten Materials einmal zu sammeln,
unb hat er hierbei den entschieden richtigsten Weg
eingeschlagen, aus dem Volksmunde selbst zu schöpfen,
wobei ihm noch eine Reihe bewährter Literatur-
freunde zutragen halfen. Wer das elegant und
geschmackvoll ausgestattete Bündchen näher prüft,
wird finden, daß des Herausgebers Absicht in jeder
Hinsicht gelungen ist und das Buch seine Be-
stimmung, sich im deutschen Hause einzubürgern,
bald erfüllen wird. Nicht nur jedem Sammler,
auch jedem Freunde volksthümlicher Literatur,
jeder Familie sei das Büchlein empfohlen. Der
Preis von 1 Mark 50 Pfg. ist sehr wohlfeil zu
nennen.
Für Liebhaber sind außerdem 60 Exemplare
aus holländischem Büttenpapier (Preis 3 Mark)
abgezogen.
Berichtigung.
In Nr. 6 des Hessenlandes ist Seite 76 in dem Artikel:
„Graf Philipp Ludwig II. von Hauau" Zeile 4 von oben
nach 14. Mai zu setzen: 1886.
Anzeigen.
Soeben wurde von uns verausgabt:
Antiguariatskatalog Nr. XXX.
Hassiaca
Merke über das Gebiet der heutigen Provinz Hessen-
Nassau und des Grohherzogthmns Hessen.
Exemplare dieses reichhaltigen Kataloges stehen gratis
und franco zu Diensten.
A. ch.Glwert'sche Mniversttäts-Auchljandkung,
Marburg a. d. Lahn.
Uerlag von Friedr. Scheel, öuchdruckerei, Kassel.
Das Abschiedsgesuch
der
Kurhessischen Gssiziere
im Oktober 1850.
Aus gleichzeitigen Quellen dargestellt von
Senator Dr. Grrtand zu Hildesheim.
Preis 75 Pfg.
Namentliches Berzei chniß
derjenigen
khemls Iturhrlsisdini OWm.
welche nach der Annexion im Oktober 1866 in die Königlich
preußische Armee als Stabsoffiziere übertraten, bezw. solche
später in der Königlich preußischen Armee geworden sind.
Zusammengestellt von einem früheren kurhefsischen Offiziere.
Preis 50 Pfg.
Zusammenstellung
der
im Regierungsbezirk Cassel geltenden, die
Fischerei
betreffenden gesetzlichen Bestimmungen.
Mit Zusätzen und einer Karte.
Kerausgegeben vom Kasseler Ai schereiverein.
Preis 60 Pfg.
Hierdurch erlauben wir uns, an unsere ver-
ehelichen Abonnenten die ergebene Bitte zu richten,
uns gütigst durch Uebermittelung von Adressen,
an welche Vrobenummern unserer Zeitschrift
zu senden wären, unterstützen zu wollen. Wir
sind gern bereit, hieraus erwachsende Auslagen
zu erstatten, sowie auch zum Zweck der Ver-
breitung als Probenummern eine Anzahl von
Exemplaren nebst Prospekten zur Verfügung zu
stellen.
Wedaktion und Wertag
des „Kestenland".
DM" Zum Abonnement auf die Zeitschrift „Kessentand" für das
II. Huartat 1894 laden ergebenst ein Redaktion und Verlag.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: F. Zw eng er in Fulda, Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „HessrnlÄNd", Zei tschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1%—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeige^ werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Iogter A. H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Zum Abschied.
Nun hast Du ausgestritten,
Der nie im Aampse wich;
Aus Deines Schaffens Mitten
Riß jäh das Schicksal Dich.
Schlaf wohl, Du Vielgetreuer,
In Deinenr stillen Schrein, —
Der unserm Herzen theuer
Wird, bis sie brechen, sein.
Und sahen wir entfallen
Das Banner Deiner Hand,
Ls soll auch fürder wallen
Hoch über Gau und Land.
Stark wollen wir es halten
Und unsres Weges geh'n,
So wird aus seinen galten
Dein Geist uns treu umweh'n.
D. Saut.
|ie sich, der Ruh zu pflegen,
Der Pilger staubbedeckt
Nach dornenvollen Wegen
Ermüdet niederstreckt
Und bald entschlummert leise
Von holdem Trauin umfaßt —
So ist auch Deiner Reise
Geworden Ziel und Rast.
Ferdinand
er Begründer und Herausgeber unserer Zeit-
schrift „ Hessenland", F e r d i n a n d Z w e n g e r,
ist dahin gegangen. Eine kurze Krankheit hat
ihn unerwartet fortgerissen, und sein Scheiden
läßt eine fühlbare Lücke. Wer wie er in Hessen
siebzig Jahre lang gelebt, wer dazu in so viel-
seitiger Weise litterarisch thätig gewesen ist, der
ist im ganzen Lande bekannt. Aber Zwenger
war nicht bloß bekannt, er wurde von allen, die
ihn kannten, hochgeschätzt und — ohne Rücksicht
auf die, heute leider die sozialen Verhältnisse so
sehr beherrschende politische Parteistellung — auf-
richtig geliebt. Er hatte zahlreiche Frellnde, und
wenn er Feinde besaß, so hatte er sie nicht ver-
dient. Denn Liebenswürdigkeit und freundliche
Gesinnung waren die Grundzüge seines Wesens.
Der Lebensgang des Dahingeschiedenen war
in mehrfacher Hinsicht eigenartig und bemerkens-
werth; er war es einmal, als er sich nicht in
der allgemeinen Heerstraße des gewöhnlichen Lebens
bewegte; eigenartig auch insofern, als er den
durchaus edel angelegten Mann allmählich im
Wandel der Zeit durch manche Stürme zu dem
ruhige» Hafen abgeklärter Wissenschaftlichkeit
führte: anfangs geübt, die Feder nur im Dienste
der Tages-Politik zu führen, gelangt Zwenger
allmählich dahin, den Blick mehr und mehr rück-
wärts auf die Vergangenheit zu richten, bis er
am Ende seiner Tage ausschließlich sich der Pstege
der heimischen Geschichte zuwendet.
Sein Lebensgang ist kurz folgender: Ferdinand
Zwenger wurde am 18. Oktober 1824 als Sohn
des Medizinalrathes Dr Zwenger in Fulda ge-
boren. Die Jugend lächelte ihm wie wenigen.
Nach Absolvirung des Gymnasiums seiner Vater-
stadt bezog er, der Sohn angesehener und sehr
wohlhabender Eltern, zunächst die Universität
Marburg, um sich der Rechtswissenschaft zu
widmen. Hier trat er dem zu Anfang der vier-
ziger Jahre neugegründeten Korps Hassta bei.
Später wandte er sich, wie viele unserer hessischen
Landsleute jener Zeit, nach dem Ideal aller
deutschen Hochschulen, dem schönen Heidelberg,
wo er dem noch blühenden und hoch angesehenen
Korps der Saxo-Borussen angehörte. Die !
Zwenger
Erinnerung dieser Zeiten begleitete ihn treu
durch's ganze Leben. Er war ein tüchtiger Korps-
student, deshalb sah er, und mit Recht, in dem
korpsstudentischen Wesen das Ideal alles deutschen
Studentenwesens. Doch hat er es stets verschmäht,
von den Verbindungen, die ihm als altem Saxo-
Borussen anzuknüpfen ein Leichtes gewesen wäre,
etwa später Gebrauch zu machen. Er ging seinen
eigenen, selbstgeschaffenen Lebensweg.
Im Jahre 1849 kehrte er, ohne daß er sich
bis dahin zur Ablegung eines juristischen Examens
hätte entschließen können, nach Hause zurück. Die
Mutter, welche den Gatten früh verloren hatte,
wollte nun den Sohn nicht von ihrer Seite lassen.
Sie hielt ihn bis zu ihrem Tode bei sich zurück,
und so kam er, zumal er in den besten Ver-
mögensverhältnissen lebte, auch später nicht mehr
dazu, ernstlich an die Wiederaufnahme seiner
Fachstudien zu denken. Dagegen beschäftigte er
sich in dieser Zeit viel mit Geschichte und mit
neuerer deutscher und französischer Litteratur, und
erwarb sich umfassende Kenntnisse. Insbesondere
legte er damals den Grund zu seiner trefflichen
Bekanntschaft mit der Spezialgeschichte seines
Fuldaer Heimathlandes. Auch seine freundschaft-
lichen Beziehungen zu unseren hervorragenden
Dichtern Franz Dingelstedt und Julius
Rodenberg, die beide bekanntlich unserem
Hessenlande entstammen, rühren aus jener Zeit her.
Leider verlor der allzu leicht Vertrauende in
den fünfziger und sechziger Jahren einen Theil
seines Vermögens, — ohne eigene Schuld. Dieser
Umstand, sowie der Wunsch, eine seinen geistigen
Fähigkeiten angemessene Thätigkeit zu entwickeln,
führte ihn zu der Gründung einer Tageszeitung,
der ersten politischen, welche in Fulda bis dahin
erschienen war. In Verbindung mit dem Buch-
drucker Hammer gründete er im Jahre 1868
den „Fuldaer Anzeiger", von 1875 ab „Hessischer
Beobachter" genannt, den er vorzüglich redigirte;
aber schon mit Ende des letztgenannten Jahres
legte er die Leitung des Blattes nieder, das er,
wiederum nicht ohne Verlust, verkaufte. Er hatte
trübe Erfahrungen gemacht, und bitter läßt er sich
bei seinem Scheiden von der Redaktion des Blattes
103
iu der Nummer vom 30. Dezember 1875 darüber
folgendermaßen aus:
„Zum letzten Male erscheint am heutigen
Tage der „Hessische Beobachter, Fuldaer Anzeiger"
unter meiner Redaktion, mögen mir deßhalb
zum Abschiede wenige Worte an die verehrten
Leser vergönnt sein. Gründer des Blattes und
Herausgeber desselben seit dem Jahre 1868 habe
ich es oft erfahren müssen, daß das Leben eines
Redakteurs nicht auf Rosen gebettet ist. Wider-
wärtigkeiten und Chikanen aller Art sind mir
nicht erspart geblieben, aber ich habe nicht den
Muth verloren. Nach meinen bescheidenen
Kräften habe ich das Ziel verfolgt das ich mir
gestellt. Ich bin mir bewußt, was redliches
Streben und Opferwilligkeit betrifft, meine
Schuldigkeit gethan zu habe», und der Trost ist
mir geblieben, daß das von mir geleitete Blatt
einen guten Klang sicherworben, daß es unter
den ersten genannt wird, wenn von den selbst-
ständigen , freisinnigen politischen Zeitungen
unseres. Hessenlandes die Rede ist. Konnte es
da fehlen, daß dasselbe viel und gern gelesen
wurde, daß dasselbe eine weite Verbreitung ge-
wann , daß es Freunde und Mitarbeiter fand,
die ihm treu zur Seite standen? Ihnen vor
allem sei mein tiefgefühlter Dank ausgesprochen.
Aber auch Dank den andern, die mir, freilich
auf ihre Weise, genützt! Dank allen jenen, die
mir Gelegenheit gegeben, gründliche Kenntniß
des Preßgesetzes zu erwerben, — Dank ferner
den edlen Seelen, welche unter dem Deckmantel
der Anonymität und geschützt durch die Dis-
kretion des Redakteurs diesen dem Odium über-
ließen, welches ihre Artikel erzeugt, — sie haben
meine Menschenkenntniß bereichert, — Dank
endlich denjenigen, die, nicht wählerisch in ihren
Mitteln, dem Blatte ihre absonderlich fromme
Fürsorge widmeten, — sie haben mich gelehrt,
der christlichen Tugenden eingedenk zu sein.
Auch diesen allen meinen Dank! — „Denn
Brutus ist ein ehrenwertster Manu, das sind sie
alle, alle ehrenwerth." — —
Erst vier Jahre später, im Jahre 1880, nach-
dem der „Beobachter" mit Ablauf des Jahres
1879 sein Erscheinen eingestellt hatte, trat
Zwenger wiederum litterarisch iu die Oeffent-
lichkeit. Er begründete damals die Zeitschrift
„Buchonia", eine „Wochenschrift für Politik,
Litteratur und vaterländische Geschichte", die eben-
falls bei Hammer gedruckt, zu dem außerordent-
lich geringen Preise von 1 Mark und 20 Pf.
vierteljährlich ausgegeben wurde. In diesem
Blatte, dessen Spalten seine Feder vorzugsweise
ausfüllte und dessen Hauptlast aus seinen Schul-
tern ruhte, veröffentlichte er zahlreiche, iu ihrer
volkstümlichen Form treffliche Aufsätze zur
Geschichte namentlich der alten Fuldaer Diözese.
Aber noch weniger als der „Beobachter" war
die „Buchonia" geeignet, ihrem Begründer mehr
als Beifall und Anerkennung zu bringen.
Zwenger setzte bei dem neuen Unternehmen fast
sein ganzes noch übriges Vermögen zu und sah
sich bereits am 28. Juni 1882 genöthigt, das
Erscheinen der Zeitschrift einzustellen.
Nicht au Abonnenten, so sagt er in der Schluß-
nummer, habe es ihr gefehlt, wohl aber au den
nöthigen Inseraten, um das Blatt über Wasser
zu halten, — konnten doch die niedrigen Abon-
nementsgelder sicher kaum die Herstellungskosten
decken! Seine Hoffnung, das Wiedererscheinen
der „Buchonia" im Herbste „unter günstigeren
Auspizien" zu ermöglichen, ging nicht in Er-
füllung, und so wandte Zwenger, an mancher
Enttäuschung reicher, der Heimathsstadt den
Rücken; mit dem 16. November 1882 übernahm
er die Leitung der 1880 von Berlit begründeten
freisinnigen „Kasseler Zeitung", die er bis zum
22. Februar 1887 beibehielt.
Aber noch ehe Zwenger die im Dienste der
politischen Tagespresse bis dahin rühmlich geführte
Feder endgiltig aus der Hand legte, faßte er
einen Plan, dessen spätere Ausführung ihm einen
dauernden Ehrenplatz in unserer hessischen
Historiographie sichert. Es war im Spätherbst
des Jahres 1886, als im Kaffee Derzeit zu
Kassel eines Abends aus Einladung Zwengers
und des damals gerade anwesenden vr. Daniel
Saul, unseres trefflichen, den Lesern des
„Hessenlandes" durch seine schönen Gedichte be-
kannten Landsmannes, eine Anzahl Männer
zusammentraten, die sich auf dem Gebiete der
hessischen Geschichte bereits bethätigt hatten, um
über die Gründung einer Zeitschrift zu berathen,
welche in kürzeren Zwischenräumen erscheinend,
der Pflege der hessischen Geschichte und Litteratur
ausschließlich gewidmet sein sollte. Ueber die
Sache war man bald einig, auch die Schwierig-
keit eines passenden Namens für das neu zu
gründende Blatt endlich überwunden, und so trat
unser „Hessenland" in's Leben. Es war ein
glücklicher Griff Zwengers, die Gründung dieser
populär-wissenschaftlichen Zeitschrift, deren erste
Nummer am 22. Dezember 1886 ausgegeben
wurde. Belehrt durch den Mißerfolg seiner
„Buchonia", in der er die unmögliche Vereinigung
von Politik und Wissenschaft versucht und erstrebt
hatte, verbannte er jene nunmehr ganz und gar
aus seinem „Hessenland" und vermied ängstlich
alles, was nur entfernt an diese Zerstörerin der
104
Eintracht mahnen konnte. Er hat das Blatt,
das bei der Gründung einem wirklichen Bedürfniß
entgegenkam, mit Liebe und Hingebung sieben
Jahre lang gepflegt. Und wenn diese sieben
Jahre auch hinsichtlich ihres materiellen Erfolges
weniger den sieben ersten Kühen des Pharaonischen
Traumes als den sieben der zweiten Art ent-
sprachen, so hat doch Zwenger sich selbst ein
unleugbares und dauerndes Verdienst um unsere
hessische Geschichtsschreibung erworben. Er hat
gezeigt, wie die Vergangenheit unseres Volkes,
seine schöne und stolze Geschichte auch im vvlks-
thümlichen Gewände sich wohl sehen lassen kann.
Er hat gerade dadurch, daß er der in Hyper-
kritik und Kleinigkeitskrämerei vielfach jetzt aus-
artenden Forschung einen Damm entgegensetzte,
das Interesse an der Geschichte erhalten und in
weiten Kreisen belebt und wieder wach gerufen.
Wenn sein „Hessenland" nicht den Erfolg hatte,
den es verdient, so ist die Schuld nicht sein; sie
ist eher in der Engherzigkeit derer zu suchen,
welche sich an Äußerlichkeiten stoßen, — voraus-
gesetzt, daß ihnen nicht selbst der geringe Kosten-
preis für die Zeitschrift noch zu hoch erscheint.
Wenn Zwenger als Leiter dieses Blattes einen
Fehler hatte, so war dies der Fehler eines guten
und liebenswürdigen Menschen, der, daß er nie-
manden etwas abzuschlagen vermochte. Größere
Strenge dem eingesandten Stoffe gegenüber wäre
vielleicht hier und da am Platze gewesen. Dvch
die jetzt vollendeten sieben Jahrgänge des „Hessen-
landes" werden ihm ein dauerndes Ehrenmal in
unserer hessischen Geschichte sein!
Wem Gott rechte Gunst erweisen will, den
führt er am Abend seines Lebens wieder in die
Heimath zurück. So war es auch Zwenger be-
schicken. Am 1. Januar 1890 wurde er zum
Gehülfen des dienstunfähig gewordenen Biblio-
thekars v. Keitz bei der ständischen Landes-
bibliothek in Fulda bestellt, nach dessen Tode
aber, der im vergangenen Winter erfolgte, mit
dem 1. Januar 1894 zu dessen Nachfolger er-
nannt. Daß er dies Ziel erreichte, war nicht
zum wenigsten das Verdienst seines alten Jugend-
freundes und Fuldaer Landsmannes Schwank,
der die Bibliothek seiner Vaterstadt bekanntlich
durch große uud werthvvlle Schenkungen in den
letzten Jahren in hochherziger Weise bereichert hat.
Leider hat Zwenger das Amt, das seinen
Wünschen und Fähigkeiten so sehr entsprach, nicht
lange verwaltet. Er starb am 6. Äpril d. I.,
um Uhr Morgens, nach kurzem Kranken-
lager an der Lungenentzündung, nachdem er
— bereits von Unwohlsein ergriffen — am
27. März seine Dienstwohnung im Bibliotheks-
gebäude bezogen hatte. Er war unverheirathet
und hinterläßt keine näheren Verwandten. Aber
alle, die ihm nahe gestanden haben, werden sein
Andenken in Ehren halten. Er war ein durch-
aus makelloser und reiner Charakter, und so
selbstlos, daß er an seine Person im Leben viel
zu wenig gedacht hat. Sein Wesen war von
einer sympathisch berührenden Ursprünglichkeit,
wie seine Zeit und das Fuldaer Land überhaupt
zahlreiche Originale aufzuweisen haben. Und in
der Heimath wurzelte er mit allen Fasern seines
Lebens, so niöge er in ihrem Schooße in Frieden
ruhen! Das Distychon, das der große Herder
„die Guten" betitelt hat, findet auch auf ihn
seine Anwendung:
Suchst du Timarchus uuter deu Todten? Wo immer er sein mag,
Unter den Glücklichen dort ist der Rechtschaffene gewiß.
Sfiufto Mri nner.
Hessische Städte und hessisches Land vor hundert Jahren.
ii.
Die Haupt- uud Residenzstadt Kaffel.
Von F. Zwenger.
(Schluß.)
^ffachdem der Verfasser die reichen Stiftungen
und Anstalten für Arme und Nothleidende
' in Kassel im Einzelnen geschildert, wendet
er sich wieder zu den politischen Verhältnissen.
„Aus hessichen Landtagen, wenn solche in Nieder-
hessen gehalten werden," heißt es daselbst, „ist
Kassel die ausschreibende Stadt des Diemelstroms,
weil sie diesseits der Fulda liegt, und ihr jedes-
maliger amtsführender Bürgermeister ist der
Direktor der sämmtlichen Abgeordneten aus den
Städten im Lande. Der Stadtrath besteht aus
ihm und 24 Rathsmitgliedern, Senatoren genannt.
Von ihnen ist der Konsul mit 5 Skabinen, von
welchen einer Stadtsekretär ist, der gelehrte Theil
des Magistrats, und macht dies Skabinat den
Schöppenstuhl aus. Wenn es sich um Gilden
»
— 105
und Zünfte handelt, wvhnt der Oberschultheiß den
Sitzungen bei. Sonst war dieser auch Richter
des peinlichen Gerichts, jetzt nicht mehr; es hat
seinen besonderen Richter, drei Beisitzer und einen
Aktuarius. — Ihre Einkünfte bezieht die Stadt
ans dem Geschoß von Häusern, dann von Personen,
die keine Bürger sind nnd doch bürgerliche Nahrungs-
zweige betreiben; vom Vieh, welches dergleichen
Leute halten, denn der Bürger ist hierin frei;
außerdem vom dritten Theile eines gewissen Licents,
der auf dem Verkaufe von Waaren der Kassel'schen
Kaufleute an auswärtige sonst lag, Zins genannt;
er ist aufgehoben und wird durch eine nach einem
gewissen Durchschnitte von mehreren Jahren be-
stimmte Summe ihr von der Kammer bezahlt;
endlich bezieht die Stadt Einkünfte von zwei
Dritteln der Zapfengelder von Rhein- und Franz-
wein, vom Branntweinschenken und einem so-
genannten Druselgelde für die Wasserleitungen,
endlich vom Vermiethen der der Stadt zugehörigen
Gebäude. Diese Einkünfte sollen aber in neuerer'
Zeit nach und nach mehr ab- als zugenommen
haben. Von Kassels Konsumtion kann aus
Ursachen, die im Verpachten des sogenannten
Fleischhellers liegen, sowie aus anderen Gründen,
keine bestimmte Nachricht gegeben werden.
„Ein Landgericht, das aus dem Oberschultheiß,
dem Oberrentmeister, einigen Beisitzern und einem
Aktuarius besteht, nimmt nebst dem Bürgermeister
in der Altstadt und der Oberneustadt Bürger auf
und übt Gerichtsbarkeit über die in der Stadt
befindlichen Fremden, über die Juden und die
Dörfer der sogenannten drei Kassel'schen Aemter
aus, sie heißen das Amt Baun«, das Amt Ahna,
das Amt Neustadt und begreifen noch andere Ab-
theilungen in sich und erstrecken sich auf die nächste
Umgegend der Hauptstadt. Vorzüglich gehört dazu
der Weißenstein mit seinem Kirchspiel.
„Die Besatzung in Kassel besteht gegenwärtig
aus dem Regiment der Garde du Corps, aus
dem Stabe und einer Wache der Gensd'armes,
aus den drei Regimentern Garde, von welchen
das zweite aus Grenadieren besteht, aus dem Leib-
füsilierregiment, dem Regiment Landgraf und
dem Regiment Artillerie. Diese haben alle ihre
Kasernen. Noch gehört zu dem Kriegswesen ein
vom Landgrafen Karl im Anfang des Jahr-
hunderts erbautes Gießhaus für schweres Ge-
schütz.
„Was die Art zu leben und die Sittlichkeit
der hessischen Hauptstadt betrifft, so ist Folgendes
zu bemerken. Was zunächst den Preis von Haus-
miethe und Lebensmittel angeht, so hängt solcher
freilich in einer Residenz vom Hose und dem
größeren oder geringeren Aufwande desselben ab,
denn nach ihm als der tonangebenden Stimme
richtet sich alles das, was jeder in seiner Art zu
leben thun oder lassen soll. Hiernach schränkt
man unter der jetzt herrschenden ökonomischen
Hofhaltung, welche einigen Luxus der vorigen
Zeit verbannte, int Grunde sich jetzt mehr ein
als sonst. Darnach stieg oder fiel die Hausmiethe,
welche in Vergleichung mit anderen Städten, auch
z. B. jetzt mit Marburg, mäßig ist, da zumal
unter der vorigen Regierung die Anzahl größerer
nnd weiterer Häuser sich ansehnlich vermehrt hat.
An der Zufuhr von Lebensmitteln fehlt's nicht,
es scheint, daß die Bäcker, noch mehr aber die
Metzger in großen Vortheilen stehen. Diese
letztern sind größtenteils beritten. Ob nun gleich
eine Zunft zu Pferde Beweis für den Wohlstand
einer Stadt ist, so kvmmt's doch immer aus das
Verhältniß an, nach welchem der fleischessende
Einwohner seinen Antheil Hafer für diese Reiterei
bezahlen muß. — Kassel ist nach Niedersachsen zu
die letzte Stadt, wo Rheinwein der gewöhnliche
Wein ist, und wo Franzwein anfängt. Alan
trinkt beide, und eine Familie von Mannheim,
die seit etwa 30 Jahren hier besseres Bier braute
und gar wenig mitbrachte, hat in der Zeit für mehr
als 30 000 Thaler an Häuser angekauft. Der
Soldat, ohne welchen der kriegerische Hesse sich so
wenig denken läßt als Holland ohne Matrosen,
und das Bauen der Fürsten verbessert Kassels
Nahrungsstand. — Jeder Fremde und Einheimische
von einigem, auch ziemlich hohem Range, kann
hier ungetadelt und frei, so zurückgezogen und
wohlfeil leben, auch von Kassels Vortheilen
Gebrauch machen, als er will. Kassels Lebensart
ist ungehinderter, freier und natürlicher als die
in den nördlicher gelegenen Residenzen Deutschlands.
Sie hat nicht manches Steife, das sonst den
Deutschen eigen ist, und manches Französische,
das unlächerlich ist. Gegen Kassels Sittlichkeit
läßt sich nichts sagen. Der Bürger arbeitet gerne,
will dann freilich auch seines Lebens mehr genießen
als die Bürger anderer Städte. Doch zeichnet
er sich in einem gewissen guten Leben mehr aus
als der Civilbeamte von: Mittelrang. Die Ein-
gezogenheit, auch Haushaltigkeit, mit welchen der
Beamte von höherem Range lebt, wird allmälig
Regel für jenen. Ueber Ahnenstolz in Kassel
kann man nicht klagen; der Adel ist gefällig und
höflich. Ueberhaupt hat die Hofetikette keinen
Einfluß auf die Gesellschaft in der Stadt. Die
Stände unter einander verlieren sich allmälig in
mehreren sogenannten Klubs. Ob das sonst be-
sonders unter mehreren Abendmahlzeiten von
Familieil, Freunden und Bekannten, auch in
mehreren Weinhüusern und einigen öffentlichen
106
Orten vertheilte Nahrungskvmmerz dadurch gewinnt
oder verliert, auch welches von beiden in Rücksicht
auf Familien stattfinde, will ich nicht entscheiden.
Manchen Klubs Oekonomie ist gut. Die Be-
satzung in Kassel, besonders der Offizier, verdirbt
Kassels Sittlichkeit nicht, sehr viele wissen sich
nützlich und angenehm zu beschästigeu. Der
gemeine Soldat ist dienstwillig für jeden Ein-
wohner. Oeffentliche Religionsspötterei ist bei
dem guten Exempel, das der Hof im äußeren
Gottesdienste giebt, in Kassel nicht zu Hause.
Einige vortreffliche Kanzelredner haben seit Jahr
und Tag das außer den Gang gebracht, was
man Gleichgiltigkeit in der Religion nennt.
Liebhaberei am Lesen besteht in allen Ständen
und bei beiden Geschlechtern, wie dies mehrere
Lesegesellschaften beweisen. Vielleicht ist man in
Kassel weniger empfindsam und süß und tändelnd,
als in seiner Nachbarschaft. Man liest viel
Französisch, doch immer mehr Deutsch. Die
jungen Frauenzimmer lesen nur zwischendurch
deutsche Romane. Sie lieben Moden und öffent-
liche Spaziergänge, wie überall in ähnlichen
Städten. Die beträchtliche Anzahl musikalischer
Liebhaber in Kassel hat bis jetzt ein öffentliches
und schönes Konzert für sich und auch für den
besuchenden Fremden unterhalten. In Hessen,
selbst in ganzen Dörfern herrscht viel Talent für
Musik. Liebhaberei für Zeichnen ist allgemein
und bildet die Jugend sehr; daher mag es auch
kommen, daß man es sich angelegen sein läßt,
eine schöne Hand zu schreiben. Daß der Kasselaner
gern in seinen Lustgefilden von mannigfaltiger
Schönheit sich zu Pferde, im Wagen und zu
Fuße bewegt, ist begreiflich.
Geschichte der Familie Dithmar.
Ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Otto Gerland.
^Mll elche Bedeutung die Familiengeschichte, auch
tf J die der bürgerlichen Familien erlangt hat, be-
st darf hier nicht der Auseinandersetzung. Giebt
es doch mehrere Werke, welche sich nur mit darauf
bezüglichen Veröffentlichungen beschäftigen. Ueber
die Geschichte hessischerFamilien ist bislang
wenig veröffentlicht; ich selbst habe in diesen
Blättern (Hessenland 1893, Nr. 13—15) die
Geschichte der Familie Ko pp zum Abdruck gebracht
und gebe im Folgenden die der weit verzweigten
Familie Dithmar, soweit diese bereits als zur
Geschichte gehörig angesehen werden kann, d. h.
bis ans drei Generationen nach der um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Theilung
der Familie in zwei Linien.
Möchten doch auch bald für andere Familien
die Verfasser von Familiengeschichten sich finden!
A. Quellen.
Die Akten des Königlichen Staatsarchivs zu
Marburg betr. der Beamtenstelle zu Wolshagen 1781.
Die Kirchenbücher von Rotenburg a. F., Homberg
in Niederhessen, Wolfhagen und Frankfurt an der
Oder.
Die in den Händen des Verfassers dieses Aufsatzes
befindlichen Familienpapiere.
Dankenswerthe Mittheilungen des Herrn Ober-
lehrers a. D. Pfarrer G. Th. Dithmar zu Marburg.
Strieder: Grundlage zu einer hessischen
Gelehrten-Geschichte, Bd. VII. S. 356 ff.
Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs West-
falen, Gotha 1893.
Ledderhose: Kleine Schriften, Bd. I. S. 113.
Hessen-Kassel'sche Staats- und Adreß-Kalender,
Stamm- und Rangliste des kurhessischen Truppen-
korps von 1809. Man. Hass. der ständischen
Landesbibliothek zu Kassel, 4" 181.
B. Allgemeines über die Familie.
Die Familie gehört dem hessischen Bürgerstand
an, ein Wappen hat sie nie geführt. Urkundlich
nachweisbar ist sie erst zur Zeit des dreißigjährigen
Krieges in Rotenburg a. F., von da hat sie sich
Anfangs des 18. Jahrhunderts über Hessen und
über Hessen hinaus ausgebreitet. Sie selbst schreibt
den Namen immer Dithmar, in den von dritter
Hand herrührenden Urkunden wird der Name
häufig auch Dittmar, Dietmar u. s. w. geschrieben,
und es ist deshalb nicht ausgeschlossen, daß Familien
mit dem in dieser Weist geschriebenen Namen
niit der hier besprochenen Familie zusammen-
hängen, da die Nachkommenschaft einzelner Familien-
glieder unbekannt ist.
107
C. Die einzelnen Familienglieder.
Abschnitt I.
Die Familie bis zur Theilung in die
beiden Linien Johann Wilhelm und Johann
Konrad Dithmar.
1. Zu Rotenburg an der Fulda lebte zur Zeit
des dreißigjährigen Krieges der Kauf- und Handels-
mann Anton Dithmar, über welchen näheres
nicht bekannt ist. Er hinterließ zwei Söhne
Johann Christof Dithmar (2) und Johann
Kaspar Dithmar (3).
1.
__________________________2._____________________________~ ________________________________________________________
4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
20~ 21. 22. 23. 24. 25. U. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. Mehrere Töchter.
2. Johann Christof Dithmar war 1641
oder 1642 geboren, Prediger und „wohlbestallter"
Rektor der Stadtschule zu Rotenburg. Er starb
1708 Anfangs Mai. Er war zweimal verheirathet,
a) mit Anna Katharina Knobel, Tochter
des Metropolitans Knobel zu Spangenberg,
welche etwa 1690 starb und ihn mit drei Kindern
beschenkte, sowie b) mit Marie Elisabeth, geb.
N. N., welche im Dezember 1662 geboren war,
ihm fünf Kinder schenkte und im Februar 1726
starb. Johann Christof Dithmars Kinder siehe
4—11.
3. Johann Kaspar Dithmar war zu
Rotenburg Rathsweinschenk, Akzis- lind Zoll-
verwalter, wird auch als Zöllner, Akziser und
Akzisschreiber bezeichnet. Wann er geboren war,
kann nicht festgestellt werden, er starb nach 1727.
Er soll zweimal verheirathet gewesen sein und
dreizehn Kinder hinterlassen haben; nach den Kirchen-
büchern ist aber nur eine Gattin N. N., geb.
Pfaff, nachgewiesen, von welcher er acht Kinder
(12—19) hatte.
4. Justus Christof Dithmar wurde zu
Rotenburg 1678 am 16. Juni getauft, also ent-
weder an diesem Tage oder wenige Tage vorher
geboren. Sein Pathe war der Stiftspfarrer
In st ns Stück radt daselbst. Er war seit 17 IO
Professor der Geschichte, später auch des Natur-
und Völkerrechts zu Frankfurt a. O., Rath des
Johanniter-Ordens, Mitglied der Sozietät der
Wissenschaften zu Berlin und wurde 1727 zum
Professor der Kameralwissenschaften zu Frankfurt
ernannt. Gasser zu Halle und er waren die
ersten Universitätslehrer dieses Faches in Deutsch-
land, wie er auch das erste deutsche Lehrbuch der
Kameralwissenschaften verfaßte. Er starb zu
Frankfurt am 13. Mai 1737. Verheirathet war
er mit Charlotte, geborene Müller, deren Mutter-
Charlotte, geborene v. Schmettau, sich in zweiter
Ehe mit N. N. Rudelius verheirathete. Er
war das hervorragendste Glied der Familie und
bedarf einer selbstständigen Lebensbeschreibung, st
Er hatte sechs zu Frankfurt geborene Kinder (20— 25).
5. Franziskus Dithmar wurde am 13. April
1680 zu Rotenburg getauft und starb am
3. November 1711 kinderlos.
6. Johann Philipp Dithmar wurde am
14. April 1683 zu Rotenburg geboren, zog
spätestens 1708 nach Homberg in Niederhessen,
wo die Krempelgasse nach ihm auch Dithmarsgasse
genannt wurde. Er war Kauf- und Handelsmann
und langjähriger Bürgermeister von Homberg,
in welch letzterer Eigenschaft er sich auch auf den
hessischen Landtagen auszeichnete. 1736 unter-
zeichnete er als Bürgermeister von Homberg in
Vollmacht der Stadt Homberg und der übrigen
Städte des Schwalmstroms den Hornberger De-
putationsabschied. st Er starb am 17. März 1754.
Verheirathet war er mit Anna Martha, geborene
Kalkhoff, von welcher er neun Kinder
(26—34) hatte.
7. Katharina Elisabeth Dithmar wurde
ain 29. September 1696 zu Rotenburg getauft.
8. Johannes Dithmar wurde am 3. No-
vember 1698 getauft.
9. Hedwig Sophie Dithmar wurde am
8. August 1701 zu Rotenburg getauft. Ihre
Pathin war Jungfer Hedwig Sophie Lncä,
Tochter des Dekans und Metropolitans Friedrich
Lucä (des bekannten Chronisten) daselbst. Sie
starb unverheirathet am 30. November 1726 zu
Rotenburg.
10. Antonius Dithmar wurde am 17.
Dezember 1703 zu Rotenburg getauft. Sein
Pathe war Antonius Barthel, Kurfürstlich
Mainzischer Revisionsrath, in dessen Abwesenheit
ihn I o h a n n e s W e i d e m a n n, „teutscher Schul-
meister" zu Rotenburg über die Taufe hielt.
11. Marie Elisabeth Dithmar wurde
am 24. Dezember 1706 zu Rotenburg getauft.
5 Abgedruckt in Frankensteins Zeitschr. f. Litt. u. Gesch.
d. Staatswissensch. Bd. II. Leipzig 1894 S. 416 ff.
st Vgl. Ledderhose a. a. O.
108
12. Bartholomäus Dithmar wurde am
9. August 1706 zu Rotenburg geboren.
13. Johann Philipp Dithmar wurde am
4. Dezember 1709 zu Rotenburg geboren. Er muß
zu Rotenburg gelebt haben, da im dortigen Kirchen-
buch mehrere Tochter von ihm eingetragen sind.
14. Johann Stephan Dithmar wurde
zu Rotenburg am 3. Juni 1711 geboren.
15. Justus Christof Dithmar wurde zu
Rotenburg am 5. März 1714 geboren.
16. Jakob Rn land Dithmar wurde am
1. Februar 1715 zu Rotenburg geboren.
17. Johann Otto Wilhelm Dithmar
wurde am 29. Februar 1719 zu Rotenburg getauft.
18. George Ludwig Dithmar wurde am
28. März 1723 zu Rotenburg geboren.
19. Christof Philipp Dithmar wurde
am 22. Januar 1727 zu Rotenburg geboren. ,
20. Eberhardina Charlotte Dithmar,
geboren und getauft am 14. Februar 1714.
21. Louise Justine Dithmar, geboren
und getauft am 22. Januar 1715.
22. Karl Justus Dithmar, geboren und
getauft am 6. Mai 1717.
23. Eberhardina Lucia Dithmar, ge-
boren den 15. November, getauft den 16. No-
vember 1720.
24. C h a r l o t t e L o w i s a D f t h m a r, geboren
und getauft am 25. März 1722 und
25. Johannes Ludwig Dithmar, geboren
am 29. November, getauft am 30. November
1730; seine Pathen waren Johann Philipp
Dithmar (6), Charlotte Rudelius, geborene
v. Schmettau (4), und Dorothea Lowise
Müller, Schwester von Dithmar's Gattin.
Die Schicksale dieser sämmtlichen Kinder zu
20—25 find unbekannt.
26. Justus ChristofDithmar wurde am
5. Februar 1708 zu Homberg geboren. Durch
Vermittlung seines Oheims Justus Christof
Dithmar (4), den wir wohl auch als seinen
Pathen betrachten dürfen, wurde er nach
Frankfurt a. O. gezogen, wo er vermuthlich die
Rechts- oder die Kameralwissenschaften studirt
haben wird. Im Jahre 1723 wurde er „deponirt",
d. h. doch wohl, da die alten Gebräuche des Pennalis-
mus mit der Teposition und dgl. gewiß nicht mehr
im Schwange waren, als nicht vollständig be-
rechtigter akademischer Bürger aufgenommen; am
4. Mai 1725 wurde er förmlich immatrikulirt.
In Folge der Verwendung seines Oheims wurde
er Sekretär des Ministers Friedrichs des
Großen v. Finkenstein, zog sich aber später
nach Homberg zurück, wo er privatisirte und in
kinderloser Ehe mit Hedwig Sophie Kuhn
(Cuhn) lebte. Diese war am 15. Dezember 1707
als die Tochter des Apothekers Johann Ernst
Kuhn (Cuhn) zu Homberg, der am 6. Januar
1677 zu Schmalkalden geboren, mit der am
9. Juli 1688 zu Kassel geborenen und am
25. Dezember 1732 zu Homberg verstorbenen
Sophie Christine, geborene Antfeld ver-
heiratet war und am 10. Juni 1759 zu Homberg
starb.') Er selbst starb im Februar 1757; seine
Gattin 1755.
27. Johann Wilhelm Dithmar wurde am
29. April 1709 zu Homberg geboren, war Kauf-
und Handelsmann, sowie Rathsverwandter daselbst,
verheirathete sich am 12. November 1734 zu
Rotenburg mit Marie Elisabeth Weber,
Tochter des bereits verstorbenen Pfarrers Weber
zu Obergrenzebach und starb am 6. Juni 1754.
Seine Nachkommen siehe unter Abschnitt II.
28. Johann Heinrich Dithmar wurde
am 4. April 1720 zu Homberg geboren, lebte
dort als Kauf- und Handelsmann und war mit
N. N., geborene Schierling verheirathet. Er
starb im Februar 1754, vermuthlich kinderlos.
29. Johann Jakob Dithmar wurde zu
Homberg am 28. März 1724 geboren.
30. Johann Konrad Dithmar wurde am
9. Mai 1727 zu Homberg geboren und war
daselbst Kauf- und Handelsmann und Raths-
verwandter. Er verheirathete sich mit Martha
Philippine Zufall und starb am 17. November
1762. Die Witwe lebte noch 1786. Seine Nach-
kommen siehe unter Abschnitt III.
31—34. Einige jung verstorbene Kinder.
0 Strieder a. a. O.
Vre schwarze Mühle.
Eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller.
(Fortsetzung.)
sie Wetterwolken, die drohend am Abend-
himmel gestanden hatten, als der Julian
und die Engelburg sich zum letztenmal am
Mühlbach trafen, sie oder andere neuentstandene
kamen zu vollster Entladung an dem Nachmittag,
an dem der Brautwagen der reichen Joseph«
109
durch's Dorf hinab und der Herrenmühle zu-
fchwankte. Ein stolzer Brautwagen war es,
wenige Leute konnten sich erinnern, je einen ge-
sehen zu haben, der so hoch und mit so viel
schönem Heirathsgut geladen war. Aber wie bunt
auch die Blumensträuße und Bänder waren,
welche die kräftigen Zugpferde am Zaumzeug intb
die Fuhrleute an den Mützen trugen, und wie
laut auch die Flintenschüsse und Juchschreie der
nebenhergehenden Burschen erklangen, einen fröh-
lichen Anblick gewährte der kostbare Brautwagen
der Josepha nicht. Dazu starrte sie selbst, die
vorn auf dem Wagen vor der schön gemalten
Leinwandtruhe saß, viel zu finster in's Leere
hinein, dazu war der Julian, der neben ihr
lehnte, ein viel zu blasser, schweigsamer Bräutigam.
Sie hatten wohl beide Grund genug zu menschen-
feindlichen Gedanken. Der Josepha war, als sie
aus ihrem Dorfe wegfuhren, ihr alter Schatz
über den Weg gesprungen und hatte mit einem
ausgelassenen Juchzer seine Mütze hoch in die
Luft geschleudert, dem Julian grauste vor dem
Augenblick, in dem sie ani Mauerhof vorüber
kommen würden. Er hatte ihm ausweichen wollen.
„Das Gewitter wird bald losbrechen," hatte er
unterwegs zu seiner Braut gesagt, „wäre es nicht
besser, wir führen auf dem kurzen geraden Feld-
weg statt auf der langen Landstraße zur Mühle?"
Aber da war ihm die Josepha so scharf in die
Rede gefallen: „Schämst Du dich mit mir ins
Dorf zu kommen?" daß er sich auf die Lippe ge-
bissen hatte und noch um einen Schein bleicher
geworden war. Der Wagen war keine hundert
Schritte mehr vom Mauerhos entfernt, da er-
füllte sich Julians Wetterprophezeiung: Blitz
auf Blitz fuhr aus den weißgrauen Wolken, der
Donner krachte, ja brüllte geradezu, und ein
Hagelschauer prasselte auf das Dorf hernieder.
Es sah toll genug aus, wie die scharfen glitzernden
Körner die geschmückten Pferde und den blanken
Hausrath des Brautwagens umhüpften, selbst
Josepha sah das trotz aller Angst und ein kaltes
Lächeln zuckte um ihren Mund. Nur Julian
merkte kaum etwas von dem Aufruhr in der
Luft. Er sah nur das Mädchen, das vor dem
Mauerhofe stand, und dem der Hagel unbarmherzig
in das regungslose Gesicht und in die wirren
braunen Löckchen über der Stirne schlug, das
Mädchen, welches er liebte mit jedem Schlag
seines Herzens und von dem er doch nun scheiden
mußte fürs ganze lange Leben. So wurde er
auch nicht die lahme Barbara gewahr, die Dorf-
hexe, die aus ihre Krücke gestützt mühsam an
den Häusern hin hinkte und aus ihren rvth-
umränderten triefenden Augen den ihr entgegen
kommenden Wagen musterte. Der Fuhrmann
sah sie dafür um so besser und durch das Un-
wetter schon in Zorn versetzt, rief er ihr drohend
zu: „Aus dem Weg, alte Vogelscheuche, oder
ich zeige Dir mit der Peitsche, wo Du hingehörst."
Und da hörten denn auch Julian, Josepha und
Engelburg, was das boshafte Bettelweib zur
Antwort gab: „Allen Heiligen sei's gedankt, daß
das nicht dort ist, wo ihr hinfahrt. Schwarz
war die Herrenmühle immer, aber heute zieht das
gebrannte Herzeleid selber ein. Denkt an mich heute
in drei Jahren, wenn ihr dann noch lebt."-------
Alle Weissagung, selbst die, welche dem unlautern
Mund eines gekränkten, übelwollenden Weibes
entstammt, hat die Eigenschaft, im Gedächtniß
zu haften; so lange die jammervolle Ehe zwischen
Julian und Josepha währte, und so viel sie in
derselben vergaßen, eins wurden sie nie lvs, eins
warfen sie sich immer wieder vvr: die Worte der
Bettlerin. „Wie konnte ich nur so unsinnig sein,
meinen Fuß in dieses Unglückshaus zu setzen?"
murmelte Josepha, als das eine Pferd ein Bein
brach, und das andere so lange krank im Stall
stand, bis der Thierarzt sagte: „Es wird nicht
wieder, gebts dem Schinder;" als der Mühlknecht
nnter's Rad fiel und monatelang im Land-
krankenhaus liegen mußte, und als ein Wvlken-
bruch ihre besten Aecker verwüstete Und wenn
der Gerichtsbote wieder und wieder kam, um zu
pfänden, weil die Gläubiger zu ihrem Geld kommen
wollten, dann sagte Julian kurz und herb:
„Daran bist Du schuld mit Deinem bißchen Geld,
daß uns jetzt niemand mehr borgen will. „Hast
ja eine reiche Frau, da kannst Du baar zahlen,"
heißt's überall. Als ob von Deinen zwanzig-
tausend Mark auch nur noch ein Pfennig da
wäre."
Es war ein Glück, daß die Qual ihres
Zusammenlebens kaum zwei Jahre dauerte. Im
zweiten Sommer erkrankte die Müllerin plötzlich,
an Brust- und Nervenfieber, wie es im Dorfe
hieß, an einer heftigen Lungenentzündung, wie
der herbeigerufene Kreisarzt feststellte, und war
nach wenigen Tagen todt. Die letzten Stunden
ihres Lebens waren für Julian eine Zeit bitterster
Erkenntniß. „Fort aus der schwarzen Mühle!
Fort aus der schwarzen Mühle!" rief sie während
derselben, von beängstigenden Phantasien verfolgt,
fast unustterbrocben. „Sie haben mich hinein-
gebracht, damit ich den Ottmar — das war ihr
einstiger Geliebter — nicht mehr sehen solle.
Ich sehe ihn aber doch. Juhu, da springt er
quer über den Weg, unb mir schlägt der Hagel
in's Gesicht. O wie dunkel ist's hier und wie
kalt! Und ich hatte doch so viel Geld, so viel
110
Geld/' — Aber es half ihm nun nichts mehr,
daß er ihr ermunternd und beruhigend zusprach,
und daß er sich gelabte, freundlicher mit ihr zu
sein, wenn Gott sie wieder gesund mache, mit
einem letzten angstvollen Aufschrei: „Fort aus der
schwarzen Mühle!" schied sie für immer von ihm
und hinterließ ihm,, wenn auch kein Herzeleid,
doch ein leises beständiges Nagen im Gewissen:
„Auch Du hast ihr nicht recht gehalten, was Du
ihr vor dem Altar doch nun einmal versprochen
hattest." Aber jenes leise Nagen ging bald in
Sorgen und Schmerzen von viel schlimmerer
Art unter. Mit seines Vaters und seinem Be-
sitzthum eilte es zu Ende. Fast so schnell wie
mit dem wenigen Korn, welches sie noch zu
mahlen hatten. Die vielen Unglücksfälle in ihrer
schon auf wankenden Füßen stehenden Wirthschaft
hatten ihr die ersten lebensgefährlichen Streiche
versetzt, den Todesstoß gab ihr ein anderes: der
alte Müller stand auf einmal in dem Verdachte
zu betrügen. Wer ihn zuerst ausgesprochen hatte?
Aus alter und neuer Irrt.
Zu den weniger bekannten Zeugnissen über die
Kriegstüchtigkeit der Hessen dürfte eine
Mittheilung in Girtanners „Politischen Annalen"
Band III. gehören, die wir einem Aussatze „Die
Frankreicher in Deutschland" entnehmen. Es handelt
sich um die Leistungen des hessischen Korps im
Feldzuge von 1792 und der Korrespondent, nachdem
er vorher Oesterreicher unb Preußen einer ein-
gehenden Schilderung gewürdigt hat, schreibt:
„Dem hessischen Korps, welches mit den beiden
Armeen vereinigt, iiüs Feld rückte, kam (selbst nach
dem einstimmigen Zeugnisse der Frankreicher, welche
dasselbe ausmarschiren sahen) nichts all Schönheit
gleich. Nachdem die unglücklichen Emigranten schon
aufgehört hatten, ein Ganzes auszumachen, hörte ich
mehrere unter ihnen in einer Art von Begeisterung
von den Hessen sprechen und ausrufen: „Ah si
nous avions eu, nous seuls, douze mille de ces
braves Hessois, et qu'on nous eut laissé faire, il
y a long-temps que nous sérions à Paris!“
Ausgemacht ist, daß man keine fürchterlicheren
Feinde für die Frankreicher hätte finden können als
die Hessen. Die Bäter der jetzt lebenden Gene-
ration haben, wie bekannt, sieben ganze Jahre
lang mit Muth und Tapferkeit und beinahe immer
siegreich gegen sie gefochten. Ein großer Theil des
jetzigen hessischen Korps hat abermals Jahre lang
diesen Kampf in Amerika gegen sie fortgesetzt. Man
kann also beinahe mit Gewißheit behaupten, daß es
Ja, wer wußte das noch, als Julian zuerst davoll
erfuhr? Jedenfalls war er auf günstigen Bodell
gefallen, das merkte er bei derselben Gelegenheit,
als er nämlich einige Wochen nach dem Tode
seiner Frau zürn erstenmal wieder das Dors-
wirthshaus betrat. Merkte es an dem mehr
oder weniger geschickt ausgeführten Manöver der
Bauern, dem Zusammensitzen mit ihm auszuweichen,
an den mehr oder weniger schonungslosen Be-
merkungen über seinen Vater, die er zu hören
bekam. Und aus eilte Abwehr dieser Bemerkungen
konnte er sich nur dieses eine Mal einlassen; er-
brachte es nicht mehr fertig, mit Mund und
Faust zugleich für die Ehre seines Vaters eut=
zutreten, nachdem er btefett irrt halben Rausch
über einen Vertrag mit dem Handelsmann Markus,
seinen Hauptgläubiger, hatte plaudern hören,
einen Vertrag, welcher darauf hinaus lief, biefett
und sich selbst durch einen falschen Bankerott
herauszureißen.
(Fortsetzung folgt.)
nicht Eillell geborenen Hessen gebe, welcher nicht vor
Begierde den Verlust eines Vaters, eines Bruders
oder doch wenigstens eines Waffenbrilders an diesen
seinen alten Feinden zu rächen brenllen sollte. Ein
solcher Haß wird in diesem, von Natur so muthigen
und kriegerischen Volke dadurch noch mehr genährt,
weil das Land noch bis jetzt die Folgen des sieben-
jährigen Krieges schmerzhaft fühlt, zu welcher Zeit
die Frankreicher dasselbe hart bedrückten. Auch mag
es zu dieser Erbitterung beitragen, daß unter der
vorigen Regierung verschiedene Frankreicher, ans Un-
kosten manches Eingeborenen, der ihrentwegen zurück-
gesetzt wurde, ein ebenso glänzendes als wenig dauer-
haftes Glück machten. Schon bei den Spielen der
Kinder wird Derjenige, welcher den Feind vorstellt,
bloß mit dem Namen Franzos bezeichnet. Der
Tag der Eroberung von Frankfurt hat bewiesen,
wie wenig schonend die Hessen mit diesen ihren
Feinden umgehen.
Die beinahe Spartanische Denkungsart der Hessen
mag Folgendes beweisen. Als, im vorigen Frühjahr,
das Leibdragoner-Regiment mit demjenigen Theile
der Hessischen Truppen marschirte, die zu Hülfs-
völkern der beiden vereinigten Armeen bestimmt
waren: da fanden sich verschiedene Leute, deren
häusliche Umstände sie in die Nothwendigkeit setzten,
ihren Abschied fordern zu müssen. Die hierzu
nöthigen Beweise konnten nicht sogleich herbeigeschafft
werden: diese Leute mußten also weiter dienen.
Gleich nach der Rückkehr des Korps ans Frankreich
befahl das Kriegsgericht, die zu Hause höchst un-
Ili
entbehrlichen Leute sogleich von dem Regimenté zu
verabschieden. Der Kommandant des Regiments,
der Reichs-Freiherr Oberst von Speuer (Spener),
ließ die Leute kommen und sagte ihnen: „sie hätten
nunmehr ihre Erlassung, und ihr Abschied würde
sogleich ausgefertigt werden". Ohne sich zu be-
sinnen, oder untereinander zu verabreden, sagten sie
einstimmig: „Mein Herr Obrister, vor Eröffnung
des Feldzuges wären wir gerne nach Hause ge-
gangen, weil wir dort wirklich unentbehrlich waren:
aber nun, während des Krieges, nimmt kein Leib-
dragoner seinen, Abschied." — Was läßt sich nicht
von Leuten erwarten, die ein solcher Geist beseelt!"
Aus Hermath und Fremde.
Kassel, 15. April. Am Sonnabend, den
14. April, waren 25 Jahre verflossen, seitdem die
frühere Realschule I. Ordnung, das jetzige Real-
gymnasium, unter des nun verewigten Professors
Dr. Kreyßig Leitung in's Leben trat. Ursprüng-
lich wurde die Jubelanstalt im Hause von
Baier & Lewalter in der Wolfsschlucht untergebracht,
doch war es ihr schon uad) zwei Jahren vergönnt,
in das neue schöne Heim in der Schomburgstraße
überzusiedeln, das 1885 durch Erbauung des statt-
lichen Turnsaales eine willkommene Erweiterung
erfuhr. Zahlreich sind die Männer der Wissen-
schaft und Praxis, in öffentlichen Aemtern und
Privatthätigkeit, welchen das Kasseler Realgymnasium
den Grund ihres Wissens und Könnens gelegt,
denn stets war es das Bestreben der Anstalt, nicht
für die Schule, sondern für das Leben zu erziehen.
Wie sie selbst in die Herzen der Schüler die Liebe
zum Vaterland, zu Kaiser und Reich gepflanzt, so
zeigte sich anläßlich dieser Schulfeier, mit welcher
Liebe wieder die alten Schüler an dieser Führerin
und Lehrerin ihrer Jugend hängen. Selbst von
weit her waren sie herbeigeeilt, diesen festlichen
Tag mitzubegehen, wer nicht persönlich zu erscheinen
vermochte, hatte wenigstens einen schriftlichen oder-
drahtlichen Glückwunsch gesendet, so auch Se. kgl.
Hoheit Prinz Heinrich von Preußen, welcher be-
kanntlich eine Zeit lang der Jubelanstalt als
Schüler. angehört hatte. Zur Vorfeier am Abend
des 13. April waren von Seiten der Schule im
Stadtpark-Saale theatralische, musikalische und
gesangliche Aufführungen veranstaltet worden, welche
bei dem zahlreichen aus Damen und Herren be-
stehenden Auditorium den lebhaftesten Anklang
fanden. Im Kostüm wurden fremdsprachliche
Klassiker, Molière und Shakespeare, in einigen
Szene:: im Original wiedergegeben, ferner einige
Eingangs-Szenen aus Schillers „Die Piccolomini".
Der Haupt -Festnktus wurde am 14. Vormittags
im Turnsaal der Anstalt abgehalten in Gegenwart
der Vertreter der staatlichen und städtischen Behörden.
Die Festrede hielt Herr Direktor Dr. Wittich, zu-
gleich ein reiches statistisches Material gebend.
Besonders zu erwähnen ist, daß 257 Schüler in
den Jahren seit 1875 das Zeugniß der Reise
erwarben. Der Nachweis der Festschrift gab ein
erhebendes Bild, indem sie erkennen ließ, wie
viele tüchtige Männer und nützliche Glieder der
menschlichen Gesellschaft durch das Kaffeler Real-
gymnasium herangebildet worden. Abends fand
der von den ehemaligen Schülern veranstaltete Fest-
kommers im Stadtparksaal statt, verbunden mit
allerhand Ausführungen. Dazu gehörte ein von
Oberlehrer Prof. Dr. Hornstein verfaßtes sinniges
Festspiel, welches vortrefflich zur Darstellung ge-
langte. Der von dem Königlichen Hosschauspieler
Herrn Kothe, auch einem ehemaligen Realgym-
nasiasten, gesprochene schwungvolle Prolog hatte
ebenfalls Dr. Hornstein zum Verfasser. Die Er-
öffnungsrede hielt Namens des Festausschusses
Herr Regierungsbaumeister I l l e r t, mit einem
begeistert aufgenommenen Hoch aus Se. Majestät
den Kaiser endend. Herr Postrath Hyronimus
aus Arnsberg sprach Namens der alten Schüler
und ließ die Jubilarin hochleben. Der zum
Ehrenpräsidenten des Kommerses berufene Herr-
Direktor Dr. Wittich toastete auf die alten und
die jungen Schüler und später aus die Frauen.
Herr Zahnarzt Förster ließ einen Salamander-
auf die Gäste reiben und Oberprimaner Fisch-
mann von seinen Mitschülern einen solchen auf
das Comitö. Herr Oberbürgermeister W e st e r -
bürg rühmte den Geist, der von unserem Real-
gymnasium ausgehe, gepflegt durch den Direktor
und die Lehrerschaft, ihnen galt sein Hoch. Herr-
AI enges gedachte unseres schönen Hessen-
landes und seiner Hauptstadt Kassel, mit einem
Hoch schließend. Herr Prorektor Prof. Heuser
ließ die 257 Abiturienten hochleben, Herr Re-
gierungsbaumeister Kegel die noch wirkenden
Gründer-, die ersten Lehrer, der Anstalt. Der
Abend, welcher sich bis in den andern Morgen
ausdehnte, verlief in der animirtesten Weise und
wird allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben.
Der Sonntag Nachmittag wurde zu einem Ausflug
nach Wilhelmshöhe benutzt, wo man sich weiter
bei Konzert und Tanz vergnügte. Durch Direktor
Dr. Klöpfer — Kettwig wurde noch die An-
regung zur Gründung eines Vereins ehemaliger
Kasseler Realghmnasiasten gegeben, welcher jedenfalls,
nach dem Anklang, den die Idee gefunden, zu
urtheilen, bald ins Leben treten wird.
ui.
112
Briefkasten.
Zah lreichen Lesern in Nah und Fern. Für
die anläßlich des Todes des Herausgebers dieser Blätter
bewiesene Theilnahme sagen wir herzlichen Dank. Wir
hoffen auch, unter den veränderten Umständen die Zeit-
schrift wie bisher fortführen zu können und erbitten uns
Ihre und aller Freunde Unterstützung.
P. W. in Kassel; G. in Wolfhagen; R. W. in M.
Wir machen Sie auf die Ankündigung „An die Leser"
in der vorliegenden Nummer aufmerksam.
Dr. G. in Hildesheim. Besten Dank. Wird be-
nutzt werden.
K. R. in Marburg. Wir bitten Sie und alle
Mitarbeiter Manuskripte einstweilen ausschließlich an
die Buchdruckern van Friedr. Scheel, Kassel, zu
senden.
Abonnent in Wiesbaden. Vorläufig steht der
Fortbestand des „Hessenlandes" in keiner Frage; wir
müssen nur um Geduld und Nachsicht bitten.
Inhalt der Nr. 10 des Aprilheftes der „Touristischen
Mittheilungen ans Heffen-Naffau und Waldeck", heraus-
gegeben von Dr. phil. Fritz Seelig in Kassel: Schlösser
und Burgen in beiden Hessen, Nassau und Waldeck. —
Touristen-Ansrüstung. — Spaziergänge im Taunus. —
Berichte. — Anzeigen.
Inhalt der Nummer 8 des „Hessenlandes": „Zum
Abschied", Gedicht von D. Saul; „Ferdinand Zwenger
von Hugo Brunner; „Hessische Städte und hessisches Land
vor hundert Jahren: II. Die Haupt- und Residenzstadt
Kassel", von F. Zwenger (Schluß); „Geschichte der Familie
Dithmar", ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von
Otto Gerland; „Die schwarze Mühle", eine Dorfgeschichte
aus der Rhön von A. Weidenmüller (Fortsetzung); Aus
alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Brief-
kasten; An unsere Leser.
Den geehrten Abonnenten werden
Uroöenummern zur gest. Weiter-
verbreitung gern zur Verfügung
gestellt vom Verleger.
An unsere Leser
in rascher unerwarteter Tod hat den Heraus-
gebet und Redakteur dieser Zeitschrift hin-
weggenommen. Es war der schwerste Schlag,
der das „Hessenland" treffen konnte, als der
Mann ihm entrissen wurde, dessen reiches Wissen
und vaterländisches Fühlen dem Blatte das eigen-
artige Gepräge gab. Das wissen wir, und der
Gedanke an seinen Hingang wäre wohl geeignet,
unsern Muth sinken zu lassen und uns die Frage
vorzulegen, ob wir allein und ohne seine Führung
weiter wandern sollen.
Doch kann die Antwort nicht zweifelhaft sein.
Das eben ist Zwenger's dauerndes Vermächtnis;
an uns: fortzuschaffen an dem von ihm be-
gonnenen Werke. Die mehr als sieben Jahre
seines Wirkens am „Hessenland" werden nicht
spurlos vergangen sein. Er hat der volksthümlich-
wissenschaftlichen Heimathsforschung einen Mittel-
punkt und literarischeir Sammelplatz angewiesen,
der den Zufluß von allen Seiten aufnehmen
konnte; er hat auch der schönwissenschaftlichen
Produktion in unserm engeren Vaterlande eine
freundliche Stätte gewährt. Und vielleicht über
den unmittelbar erzielten Erfolgen steht das
Eine, daß er den halb eingeschlafenen Sinn für
unsere von der Vorzeit überkommenen Güter,
für unsere Stammeskunde, Geschichte und Literatur
und überhaupt für unsere Eigenart zu wecken
und den erwachten zu stärken vermocht hat. Der
von dem Dahingegangenen ausgestreute Same ist
aufgegangen, er selbst hat die Keime sich ent-
wickeln sehen; unsere Pflicht aber soll es sein,
die junge hoffnungsfreudige Saat zu hüten und
zu pflegen. Und wenn wir die Größe des eben
erlittenen Verlustes begreifen und die Schwierig-
keit, die jäh gerissene Lücke auszufüllen, so wird
uns doch stärken und leiten das Bewußtsein, daß
wir in seinem Sinn handeln, wenn wir ans dem
betretenen Wege fortschreiten.
Wir bitten die Leser und Freunde des „Hessen-
landes" , in diesem Beginnen uns nach Kräften
zu unterstützen. Wir bitten aber auch, Nach-
sicht walten zu lassen, wenn zu Zeiten die kundige
Hand des bisherigen Leiters vermißt wird. Dann
vielleicht können wir hoffen, daß unser guter
Wille zur entsprechenden That wird.
Redaktion des Verlag und „Kessenlandes".
Herausgeber: Ferd. Zwenger's Erben. Stellvertr. verantwortlicher Redakteur: Dr. D. Saul in Stuttgart.
Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hrjsrnland", Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1*/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur. dur ch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Magier A.-K. in Ka^ek oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 9 des „Hessenlandes": „Die Sonne bist Du", Gedicht von Valentin Traudt; „Geschichte
der Familie Dithmar", ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Otto Gerland, (Fortsetzung) ; „Die schwarze
Mühle", eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller (Fortsetzung); „Im Walde", Gedicht von Carl
Weber; „Herbstnoacht", Gedicht in Wetterauer Mundart von Friedrich von Trais; Aus alter und neuer Zeit; Aus
Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau: Entgegnung; Briefkasten.
Die Sonne bist Du.
(^y'etne Seele war ohne Ruhe,
Aufgewühlt von dem Kampfe des Lebens,
Willenlos bebend unter den Streichen des
Sturmes.
Und alle Hoffnungen sah sie zerschlagen
Am Widerstreite der Menschen . . .
Wie die gesprengten Wellen
Kraftlos fallen zurück vom Steindamm,
Um wieder und wieder
Gepeitscht zu werden im neuen Sturmgang,
Litt auch mein Geist
Tage um Tage. —
Meine Seele ist voller Frieden!
Weit hinaus spiegelt sie klar
Und läßt in die Tiefe blicken,
Und silbernen Fischlein gleich
Springen leichte, frohe Gedanken
Ueber sie hin .'. .
Blaugolden schimmert die Fluth
Und lacht der Sonne entgegen,
Und saugt voll Lust ihre Strahlenküsse,
Und birgt im Innersten
Alle die Blicke der Liebe,
Daß es jubelnd leuchtet
In goldenen Frohmuthes Glanz! —
Und die Sonne
Bist Du,
Geliebte! —
O—<
Walentin 2raubt.
iU —
Geschichte der Familie Vithmar.
Ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Otto Gerland.
(Fortsetzung.)
Abschnitt II.
Die Linie Johann Wilhelm Dithmar.
In John n n W i l h e l m D i t h in ar' s (27) Rach-
kommenschaft blüht die Familie noch heute, während
die Linie Johann Konrad Dithmar
(Abschnitt III) im Mannsstamm erloschen ist.
Johann Wilhelm Dithmar hatte folgende Kinder
(35-39).
27.
35. 36. 37. 38. 39.
40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.
50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58.
35. Johann Philipp Dithmar wurde zu
Homberg am 21. Dezember 1736 geboren. Erzogen
wurde er bei seinem Großvater I o h a n n P h i l i p p
Dithmar (6). Er verheirathete sich im Jahr
1766 mit Elisabeth Lüthringhausen aus
Borken. Als Kaufmann zu Homberg erwarb er
sich ein beträchtliches Vermögen, während er als
langjähriger vortrefflicher Bürgermeister sich große
Verdienste um seine Vaterstadt erwarb. Er starb
am 4. Juni 1805 zu Homberg, wo sein Grabstein
ans dem Friedhof noch jetzt bemerkenswert!) ist;
Metropolitan Martin hielt ihm die Grabrede.
Seine Gattin folgte ihm 1826 im Tode nach.
Er hatte dreizehn Kinder, von welchen drei sehr
jung starben, die übrigen siehe 34—43.
36. Johann Konrad Dithmar wurde
1749 geboren, studirte die Rechte, erwarb sich den
Titel eines Lizenziaten, lebte zu Homberg als
Advokat und Rathsverwandter und starb nn-
verheirathet nach dem 21. Dezember 1786.
37—39. Drei Töchter.
40. Louise Dithmar, geboren 9. Oktober
1769, verheirathet an den Rentmeister Georg
Reinhard zu Schenklengsfeld, gestorben 1818.
41. Karotine Dithmar, geboren 13.August
1771, verheirathet an den Sekretär Bauer zu
Schmalkalden, gestorben 1815.
42. Philipp!ne Dithmar, geboren 16. März
1780, verheirathet an den Kommcrzienrath
Sebastian Sanner zu Schmalkalden.
43. Christine Dithmar, geboren 25. Sep-
tember 1773, verheirathet in erster Ehe an Johann
Philipp Calckhof zu Schmalkalden und in
zweiter Ehe an den Bergrath Henkel daselbst
(vergl. 57), gestorben 1859.
44. Sophie Dithmar, geboren 26. August
1786, verheirathet in erster Ehe an Karl
Rossel, Friedensrichter in Hof, in zweiter Ehe
an den Arzt Dr. Th. Schott zu Melsungen,
gestorben 1861.
45. Louise Dithmar, geboren 7. Oktober
1788, verheirathet an den Kreisrath Coester zu
Hanau, gestorben 1854.
46. Charlotte Dithmar, geboren 12. April
1794, verheirathet an den Apotheker August
Krüger zu'Homberg, gestorben 1858.
47. Marie Dithmar, geboren 15. März
1782, verheirathet an den Pfarrer Jeremias
Zülch zu Philippsthal, später Metropolitan zu
Melsungen, gestorben 1839.
48. Wilhelm Dithmar wurde 11. August
1775 geboren und starb im Jahre 1783.
49. Karl Dithmar wurde am 4. Dezember
1777 zu Homberg geboren; er hätte am liebsten
sich dem Studium der Theologie gewidmet, da er
aber nach dem Tode seines Bruders Wilhelm (48)
der einzige Sohn seines Vaters war, so veranlaßte
dieser ihn, Kaufmann zu werden, obwohl er dazu
nicht die geringste Neigung hatte. In der west-
fälischen Zeit erhielt er die Ernennung zum
Maire acljoint (Vizebürgermeister), er weigerte
sich aber die Stelle anzunehmen, und setzte es
durch, daß man ihn frei ließ. Im April 1809
betheiligte er sich am Dörnberg'schen Aufstand
und war mit bei dem Gefecht an der Knallhütte.
Als nun die Rache über Homberg hereinbrechen
sollte, wurde er mit noch zwei andern Bürgern,
die sich gleichfalls an dem Aufstand betheiligt
hatten, als Abgeordnete der Stadt nach Kassel
geschickt, um beim König Jerüme Gnade zu erflehen.
Obwohl für sie alles zu befürchten war, da sie
selbst bei dem Aufstand mitgewirkt hatten, unter-
zogen sic sich doch dem Auftrag. Bei der Audienz
war der König Anfangs so unwillig, daß er
ausrief: „Hombei'g ecraser jusqu'ä la terre,“
115
doch besänftigte er sich, da ihm die Abgesandten
gefielen, und lud sie sogar an seine schwelgerische
Tafel, wo er dann die Liebenswürdigkeit selbst
war. Diese Gesandschaft rettete die Stadt Homberg.
1827 wurde Dithmar in den Stadtrath, 1829
zum Bürgermeister gewählt. 1830 nahm er als
Bürgermeister von Homberg am konstituirenden
Landtage Theil. Von 1832—1848 bekleidete er
das Amt eines Vizebürgermeisters, in welcher
Eigenschaft er es erlebte, daß eine Rotte Hand-
werker in die Stadtrathsitzung eindrang unb alle
Rathsglieder aus dem Fenster zu werfen drohte,
falls diese nicht ihre Einwilligung zur Reparatur
der Kirche geben würden. Die Last des Bürger-
meisteramts lag meist auf seinen Schultern, da
der regierende Bürgermeister, ein Schuhmacher,
regelmäßig verhindert war oder Erleichterung in
seinem Amte beanspruchte. Seiner lebhaften Mit-
wirkung ist die Verlegung des Schullehrer-Seminars
nach Homberg zu verdanken. Im Frühjahr 1848
mußte der gesammte vorhandene Stadtrath ab-
danken, die an die Stelle der Abgesetzten gewählten
Männer traten aber 1850 gern wieder zurück.
Dithmar nahm sich den Umschwung der Dinge
so zu Herzen, daß er erkrankte und nach längerem
Leiden am 1. August 1850 starb. Er war ver-
heiratet mit Lisette, geborene Rössel, Tochter
des Raths Rössel zu Elberburg mrd hatte neun
Kinder (50-58).
50. Elise Dithmar wurde zu Homberg am
1. Februar 1808 geboren und starb daselbst un-
verehelicht am 1. Mai 1882.
51. Georg Theodor Dithmar wurde zu
Homberg in Niederhessen am 10. Dezember 1810
geboren, lernte Lateinisch und ein wenig Griechisch
bei Rektor W. Coester in der Vaterstadt, besuchte
das Gymnasium zu Hersfeld von 1825—1828.
Seine um ihn hochverdienten Lehrer daselbst waren
Münscher, Piderit und Vilmar. Bei der
Militüraushebung in Homberg (Mürz 1828) wurde
er für tauglich zur Garde befunden, doch durch
die Bemühung des Kreisraths Cranz frei ge-
geben. Von Michaelis 1828 bis Pfingsten 1832
studirte er in Marburg vorzugsweise Theologie.
Professor H. Hup selb war ihm der liebste von
seinen damaligen Lehrern, unter dessen Dekanat
er am 6. Juni 1832 das Kandidatenexamen mit
Lob bestand. Vom Juni 1832 lebte er, sich aus-
ruhend, in Homberg. Als Student hatte er als
Subsenior des Korps Teutonia sich in zehn Men-
suren den Ruf eines „gefürchteten" Schlägers
erworben. Von April bis Oktober 1833 war er
Lehrer der v. Blumenstein'schen Söhne in
Rotenburg a. Fulda.
Da Rektor W. Coester als Pfarrer von
Homberg nach Obervorschütz abging, wurde ihm,
der noch nicht ganz 23 Jahre alt war, die Ver-
sehung der Rektorstelle in Homberg übertragen.
Da man ihn für die Stelle tüchtig befunden, die
er am 14. Oktober angetreten hatte, bekam er
dieselbe definitiv am 25. Juli 1834. Im Sommer
1835 machte er eine Reise über Gotha, Erfurt,
Halle, Wittenberg nach Berlin. Er besuchte viele
Schulen und Kirchen und machte interessante
Bekanntschaften. Im November 1836 ward er
an das Gymnasium in Fulda als beauftragter
Lehrer gesandt, wo er im Ganzen in angenehmen
Verhältnissen lebte. Doch als der ihm ertheilte
Auftrag höheren Ortes zurückgezogen war, kam
er auf Vilmar's Veranlassung an das Gymnasium
zu Marburg, wo ihn Vilmar auch zum Gymnasial-
bibliothekar machte und ihn mit ununterbrochenem
Vertraue!! beglückte. Er übertrug ihm noch vor
seinem Scheiden den Unterricht des Deutschen in
Prima. Münscher, dessen Nachfolger, übertrug
ihm auch den Unterricht im Hebräischen und die
Lektion der griechischen Dichter in Prima. Außerdem
leitete er mit Pfarrer L. Schmitt hier eine
Privattöchterschule. Sein Gesundheitszustand war
längere Zeit nicht der beste. Doch es hieß gearbeitet!
Vilmar's Nachfolger, Direktor Fr. Münscher
schenkte ihm ebenfalls sein ganzes Vertrauen.
Auf dessen Wunsch fing er au Gedichte zu machen
und lieferte solche zu den Festen aller hessischen
Gymnasien: Hanau 1865, Rinteln 1867, Hersfeld
1870. Kassel 1879, Fulda 1885. Dieselben
wurden mit Ausnahme des Kassel'schen gedruckt
und zu gutem Zweck verwendet. Dr. Piderit
gab das Hanau'sche mit Anmerkungen heraus, das
für Hersfeld elegant gedruckte half durch den Erlös
zur Gründung einer neuen Freitischstelle.
Für das Marburger Gymnasium schrieb er
dreimal die wissenschaftliche Abhandlung zum Oster-
programm, 1848 über altdeutschen Katechismus-
Unterricht, 1861 zur Geschichte der deutschen
Grammatik, welcher Jakob Grimm seine An-
erkennung nicht versagte, und 1867 über H. W.
Kirchhof; auch verfaßte er alle im Namen des
Lehrerkollegiums ergehenden Jubiläumsgedichte,
so z. B. 1870 nach Hersseld. An selbstständigen
Werken ließ er folgende erscheinen: Deutsches
Historienbuch 1851, zweite Auflage 1860, und
Marburg's Vorzeit 1872. Vilmar's Litteratur-
geschichte und deutsche Grammatik gab er wiederholt
neu heraus, desgleichen Johann Paul's Schimpf
und Ernst 1856. Zahllose Gelegenheitsgedichte
von ihm erschienen im Hessenland, in den hessischen
Blättern, dem Melsuuger Kalender, der ober-
hessischen Zeitung und in anderen Blättern.
Er trat im Herbst 1875 nach öffentlicher
116
Meinung „geistig frisch und körperlich rüstig" auf
sein Nachsuchen in den Ruhestand. Er erfüllte
zugleich das Verlangen eines Vorgesetzten, und so
traf ihn mit anderen älteren Gymnasiallehrern
ein gleiches Loos. Nur war zwischen jenen und
ihm seit 1872, wo die bisherigen Altersschranken
leider fielen, ein Unterschied in dem Pensions-
betrag. Er blieb nicht in der höchsten Gehalts-
klasse. Wie wenig damals Direktor Münscher die
Pensionirung Dithmar's beabsichtigt hat, geht
daraus hervor, daß derselbe am Schluß eines
Briefes (5. September 1875) an Dithmar schreibt:
„Ich sehe Sie mit Wehmuth vom Gymnasium
scheiden. Der poetische Hauch schwindet dahin."
Erwähuenswerthe gedruckte Gedichte von Dithmar
sind:
1859. Zu Schiller'sGeburtstag (in der damaligen
Marburger Frauen-Zeitung).
1862. Zum Jubiläum des Professors Gerling.
Am Ende 1863. Lied zur Feier der Schlacht
bei Leipzig. Gesungen.
1864. Weihelied bei Eröffnung des neuen
Gymnasialgebäudes.
1868. Nachruf an Vilmar.
1870—1871. Als unsere Jäger auszogen und
zurückkehrten.
1871. Zu Kaisers Geburtstag.
1874. Zu Münscher's Jubiläum.
1883. Zum Gedächtniß des Baues der Elisabeth-
kirche.
1883. Zu Luther's Geburtstag.
1889. Am Grabe der Aebtissin Marianne v. Stein.
1891. Für Dr. Höfling, den Verfasser des
Lieds: „O alte Burschenherrlichkeit."
1892. Gedächtniß der Erstürmung Frankfurts
durch die Hessen.
1892. An Hamburg zur Cholerazeit. Dank
dafür erhalten.
1893. Nachruf an Dr. Münscher.
1893. Nachruf an Dr. Grimm.
1893. Bei der Weihe der restaurirten Kirche
zu Homberg.
Am 25. Juni 1836 verheirathete er sich mit
Helene Jordan, Tochter des verstorbenen
Kaufmanns Jordan zu Homberg, welche ihm
sieben Kinder schenkte und am 15. Mai 1885 starb.
52. Karl Dithmar starb 1814 als kleines
Kind.
53. Hermann Dithmar wurde am
25. August 1814 zu Homberg geboren, wo er
das Geschäft seines Vaters fortsetzte und Offizier
in der Bürgergarde, sowie Vorstand des Bürger-
Ausschusses war. Er war zweimal verheirathet,
a) mit Emilie de Beauclair und b) mit
Amalie MarieKnoll, und starb am 8. Ok-
tober 1868 mit Hinterlassung von einem Sohne
und acht Töchtern.
54. Sophie Dithmar wurde zu Homberg
am 27. März 1816 geboren, verheirathete sich
an N. N. Krach und starb zu Hersfeld 1874.
55. Eduard Dithmar wurde am 25. April
1819 zu Homberg geboren, wo er sich als Kaufmann
niederließ und zum Stadtrath und Vize-
bürgermeister gewählt wurde. Er verheirathete
sich mit Martha Schmoll aus Kassel.
56. Karl Dithmar wurde zu Homberg am
26. Mürz 1821 geboren, besuchte die Gymnasien
zu Hersfeld und Marburg, studirte zu Marburg,
Halle und Bonn Theologie und wurde Pfarrer
zu Altenburschla. Er verheirathete sich 1858 mit
Emma Eving, Tochter des 1877 verstorbenen
Metropolitans Eving zu Gudensberg, welche am
15. Dezember 1830 geboren war.
57. CharlotteDithmar wurde zu Homberg
am 6. März 1823 geboren, verheirathete sich an
den Pfarrer Calckhof zu Wasmuthhausen, den
Sohn der Schwester ihres Vaters (43) und starb
1857. Ihr Gatte starb 1870 nach einer zweiten Ehe.
58. Ferdinand Dithmar wurde am
15. Mai 1827 zu Homberg geboren, ließ sich
daselbst als Kaufmann nieder und verheirathete
sich 1861 mit Franziska Ochs, Tochter des
Pfarrers Ochs.
Abschnitt III.
Die Linie Johann Konrad Dithmar.
Johann KonradDithmar hatte folgende
Kinder (59 —64):
_____________________30.__________________
59. 60. 61. 62. 63. 64~
65. 66. 67. 68. 69~
70. 7L 72.
59. Philipp Christos Dithmar wurde'
am 20. Mai 1751 zu Homberg geboren, studirte
die Rechte und starb am 19. Juni 1775 als
Rechtskandidat zu Homberg.
60. Justus Ernst Dithmar wurde am
14. Februar 1753 zu Homberg geboren und starb
daselbst am 7. August 1773.
61. Karl Iakob Di ihm ar wurde zu Homberg
am 4. Oktober 1754 geboren, studirte von 1772
bis 1774 die Rechte zu Marburg, wo er der
academie fran^aise angehörte, und ließ sich 1776
als Advokat zu Homberg nieder. Hier verheirathete
er sich etwa 1782 mit Ernestine Charlotte
Rommel. Diese war am 25. April 1755 als
Tochter des Schulpräzeptvrs und Kantors Se-
bastian Rommel und dessen Ehefrau Marie
Elisabeth geborene Winter zu Homberg ge-
boren und eine Schwester des Hospitalprovisors
117
Bommel.1) Dithmar's Praxis mag keine
glänzellde gewesen sein, weßhalb er es wohl vorzog,
eine staatliche Anstellung zu erlangen. Er wurde
in Folge dessen durch Urkunde vom 26. Juli 1786
zum Regimentsquartiermeister und Auditeur im
hessischen Leibfüsilier-Regiment, das zu Kassel
garnisonirte, ernannt, wobei er eine Sicherheit
vor: 1500 Thalern zu leisten hatte und durch
den General v. Schliessen mittels Handschlags
an Eidesstatt verpflichtet wurde. In dieser Stellung
nahm er an dem flandrischen Kriege, im Feldzug
von 1795 als Stabs-(Ober)-Auditeur beim General-
stab Theil. Mit einem trefflichen Zeugniß des
kommandirenden Generals v. Dalwigk versehen,
wurde er durch Beschluß vom 29. Oktober 1795,
als in Folge des Baseler Friedens die Zurück-
ziehung der hessischen Truppen aus den Nieder-
landen erfolgte, zum Amtmann (Justiz- und Rent-
beamten) zu Wolshagell bestellt, wobei er eine
Sicherheit voll 2000 Thalern zu leisten hatte.
Er bezog als Gehalt neben freier Wohnung 308
Thaler 12 Albus baar, Getreide im Werthe von
87 Thalern 20 Albus, Stroh im Werthe von
*) Rommel hatte vier Töchter: a) Karoline, ver-
heiratet an Oberstleutnant Kon r ad Willi ns zu Kassel
(s. u.). 6) Amalie, verheiratet an Sigmund Peter-
Martin. c) Philippine, verheiratet an Pfarrer
C o e st e r zu Obervorschütz und ä) C h a rlo t te, verheiratet
an Rentmeister Co ester. Durch Sigmund Peter-
Martin wurde Rommel in den D örnb erg'schen
Aufstand verwickelt und nach dessen Niederschlagung in
das Kasseler Kastell geschleppt, doch konnte ihm keine direkte
Betheiligung nachgewiesen werden, und er wurde daher
wieder entlassen. — Ueber seinen Schwiegersohn Willius
enthält Nr. 2778 der hessischen Morgenzeitung vom
19. August 1867 folgenden Nachruf aus der Feder des
Verfassers dieser Zeilen: Vor wenigen Tagen starb dahier
der Oberstleutnant a. D. Konrad Willius im 75
Lebensjahre, ein Mann, welcher sich ebensowohl durch
militärische Tüchtigkeit, als auch durch die edlen Eigen-
schaften seines Charakters stets ausgezeichnet hat. Auch
ihm blühten in Kurhessen keine Rosen. Sohn eines
Kaufmanns in Kassel, wo er Anfangs für das Forstfach
bestimmt, brachte ihn erst die westphälische Konskription
in die militärische Laufbahn, indem er 1813 zu den
Chasseur-Carabiniers gezogen wurde. Ehe er jedoch ins
Feld rücken konnte, fiel der westphälische Thron und so
marschirte Willius zuerst als kurhessischer gelernter Jäger
gegen Frankreich. 1815 war er beim Sturm auf
Charlesville der erste auf den Wällen dieses befestigten
Platzes und erhielt für diese Heldenthat, welche außerdem
v. Ohnhausen in seiner bildlichen Darstellung aus der
Geschichte des hessischen Jägerbataillons verherrlichte, den
hessischen Orden des eisernen Helms und eine preußische
4 Thalern und zehn Klaftern Holz. Sein Amt
handhabte er nach Ansicht seiner Amtseingesessenen
mit allzu großer Strenge; er selbst hielt aber ein
strenges Regiment für um so nöthiger, als erst
im Jahre vor seiner Anstellung, 1794, ein förm-
licher Ausruhr gegen das landesherrliche Aufgebot
der Amtsunterthanen ausgebrochen war, der nur
durch militärische Hülfe hatte gedämpft werden
können. Pünktlich und ohne Nachsicht sah er auf
die Ausführungen der ausgeschriebenen Leistungen
und Dienste, alle Rückstände trieb er mit un-
erbittlicher Strenge ein. Mochte ihn dies schon
in jener bereits stark von revolutionären Gedanken
durchwehter: Zeit gewiß nicht beliebt machen, so
stieß er noch mehr damit an, daß er auch die
schwärmenden Gelage der Zünfte und anderer
Korporationen anshob und die Theilnahme daran
mit strengen Strafen ahndete.
Bei seiner in den Feldzügen stark angegriffenen
Gesundheit brach er vollständig zusammen, als
ihm am 1. Oktober 1800 seine leidenschaftlich
geliebte Gattin in Folge einer unerwarteten
Niederkunft durch ben Tod entrissen wurde.2)
silberne Medaille, welche für die Auszeichnung der Unter-
offiziere und Soldaten im Felde bestimmt war und welche
er auch mit Stolz weiter trug, als er kurz darauf zum
Offizier ernannt wurde und nun das Recht hatte, die
Medaille in das für Offiziere bestimmte Verdienstkreuz
umzutauschen. Obgleich er sich auch später, namentlich bei
Bekleidung der Stelle eines Divisions-Adjutanten als
tüchtiger Offizier zeigte, so wurde er doch schon Anfangs
der Vierziger Jahre zum Kommandanten des Kastells zu
Kassel ernannt, wodurch er allerdings dem aktiven Militär-
dienste gänzlich entfremdet wurde, aber Gelegenheit fand,
den politischen Uutersuchnngsgefangenen aus dem Jor-
danischen Prozesse und später unter dem zweiten Mini-
sterium Hassenpflug die Leiden der Gefangenschaft derart
zu erleichtern, daß alle diese Unglücklichen ihn und sein
wahrhaft menschenfreundliches Wesen stets dankbar an-
erkannt haben. Als 1848 nach Verhaftung des Leutnant
Weber das Kastell einem Angriff der Bevölkerung aus-
gesetzt schien, war er bereit, den ihm anvertrauten Platz
mit den Waffen in der Hand zu behaupten; aber ebenso
treu hing er an der beschworenen Verfassung und unter-
zeichnete im Oktober 1850 sein Abschiedsgesuch, obgleich
ihn Krankheit an das Bett fesselte. 1863 feierte er sein
fünfzigjähriges Dienstjubiläum und trat dann in den
Ruhestand. Unter dem großen Umschwung unserer Ver-
hältnisse wird die Erinnerung an unsere eigenen Helden
und Ehrenmänner nicht verlöschen.
2) Sie wurde im Scheurmann'schen Erbbegräbniß
auf dem Schützeberg, dem Kirchhof eines eingegangenen
Dorfes bei Wolfhagen, begraben.
(Fortsetzung folgt.)
118
Vre schwarze Wühle.
Eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller.
(Fortsetzung.)
s war eine furchtbare Stunde für ihn,
M, als er diesen Einblick in die Pläne seines
Vaters erhielt. Harte und Lieblosigkeit
hatte er ihm immer zutrauen können und zu-
getraut, einer groben llnehrlichkeit hätte er ihn
nie für fähig gehalten. Und allen den Zwang,
den er ihm von Jugend auf angethan hatte,
war er imstande ihm zu verzeihen, dies brachte
er nicht fertig ihm zu vergeben. Drohte es ihm
doch das Letzte zu rauben, was er sich ans dem
Zusammenbruch alles seines Glückes allein noch
zu retten hofften seinen guten Namen. Und so
rührte es ihn nicht, als ihn der alte Mann mit
gerungenen Händen bat, doch die Sache den ge-
planten Verlauf nehmen zu lassen, und erregte
kein Mitleid in seiner Seele, als nach dem
Zwangsverkauf ihres Mobiliars und sämmtlicher
Liegenschaften er ihn in der ausgeräumten Wohn-
stube aus der Erde kauern und stumm vor sich
hinbrüten sah. Erst als er ihn am folgenden
Morgen vergeblich in dem ganzen leeren Hause
suchte, und ihn ein Bauer aus dem Unterdorf
in dieser Beschäftigung mit den Worten unter-
brach: „Julian, Deinen Vater haben sie vorhin
unten bei der Schleuse aus dem Wasser gezogen,
er hat wohl schon ein paar Stunden darin ge-
legen;" — erst da ward ihm wieder bewußt,
daß es doch ein starkes Band ist, welches Eltern
und Kinder miteinander verbindet; er warf sich
über den starren Leichnam und weinte bitterlich.
Am selben Tag hatte er einen Besuch, der ihm
wohl und wehe zugleich that: Engelburg. Die
beiden hatten sich in den letzten zwei Jahren
kauni einmal angesehen, geschweige denn an-
gesprochen, so wußte Julian zuerst nicht, wie ihm
geschah, als das Mädchen plötzlich in dem
dämmerigen Hausgang vor ihm stand: „Du
thust mir gar zu leid. Mein Bruder wollte
nicht zu Dir gehen, da mußte ich selber kommen."
Aber er faßte sich bald, „Lohn' Dirs Gott, daß
Du noch an mich denkst," sagte er mit dem
Schatten eines Lächelns in dem srühgealterten
Gesicht und streckte ihr zögernd und doch froh-
bewegt die Hand entgegen. Sie ergriff sie bereit-
willig, etwas weiteres hervorzubringen war sie
nicht imstande. Dessen bedurfte es auch nicht,
Julian war mitten in seiner Noth glücklich, daß
sie vor ihm, glücklich, daß sie zu ihm stand, und
Worte hätten dies Glück nicht vermehren können.
Es war ein Glück von kurzer Dauer. Schon
am Tage nach dem Begräbniß seines Vaters,
erzählte ihm Engelburg, daß ein Bruder von ihr,
der vor Jahren nach Amerika ausgewandert war,
und den sie lange für todt gehalten hatten, ihr
das nöthige Reisegeld geschickt habe, um zu ihm
hinüber zu kommen, und daß sie in vierzehn Tagen
weggehen werde. Er war einige Minuten still,
als sie ihm fertig berichtet hatte. -,Jch wollte,
ich könnte mit Dir gehen," sagte er endlich, „aber
ich kann nicht fort, ehe ich mit dem Markus im
Reinen bin."
„Bist Du ihm noch viel schuldig?"
Er nickte finster. „Auf dem Papier ja, in
Wirklichkeit nein. Nicht die Hälfte von dem
Geld, das in den Schuldscheinen meines Vaters
steht, hat er hergegeben, das will ich beschwören.
Aber er soll sich an mir versehen haben, der
Halsabschneider. Entgelten soll er mir, daß er
mir den Vater um Ehre und Leben gebracht
hat, und sollte ich gleich —"
„Julian!" fiel ihm das Mädchen erschrocken
in's Wort, und der Mauerhofer, welcher nicht
weit entfernt von den beiden gestanden und die
Drohung des jungen Müllers gehört hatte, sagte
näher tretend in gedämpftem, warnendem Ton;
„Du, nimm Dich in acht mit solchen Reden.
Du hast deren auch schon vor anderen gethan,
und wie sollen die Leute sie anders verstehen,
als daß Du dem Markus an den Kragen willst?"
Julian zog die Stirn noch finsterer zusammen.
„Mögen sie doch verstehen, was sie wollen. Ich
hasse den Markus wie keinen Menschen in der
Welt, und ich muß meine Rache an ihm haben,
koste es, was es wolle." Er nahm sich zusammen,
als er sah, wie entsetzt Engelburg ihn anstarrte.
„Ich denke, er lüßt's nicht zum äußersten kommen,
und ich rette mir noch so viel, daß ich hinter
Dir her übers Wasser kommen kann. Bleibst Du
bis zum Tag Deiner Abreise hier?"
Sie schüttelte den Kopf „Kannst Du Dich noch
auf unsere alte Base von Petersberg besinnen?
Sie wohnt jetzt in der Stadt und will, daß ich
noch ein paar Tage bei ihr sein soll. Bis
Sonnabend gehe ich zu ihr. Wenn wir uns also
nicht mehr sehen sollten —" sie warf ihrem
Bruder, der in's Haus gegangen war, einen
raschen Blick nach und sagte dann hastig, mit
bebender Stimme: „Julian, komm nicht mehr zu
uns, meinem Bruder graust vor Dir, laß mich
die letzten Tage in seinem Hof ohne Zank und
Streit verleben."
119
Er verstand sie und zwang seinen Schmerz
hinunter. „So wünsch' ich Dir eine recht glückliche
Reise," erwiederte er so laut, daß es der am
Fenster stehende Mauerhofer hören konnte, „und
daß Du mir drüben immer gesund bleibst."
Als aber der Bauer sich einen Augenblick um-
wandte, um heftigem Kindergeschrei hinter seinem
Rücken ein Ende zu machen, fügte er leise hinzu:
„Ich seh' Dich noch in der Stadt, Engelburg,
ich weiß, wo Deine Base wohnt, und kann ich
am Tage nicht zu Dir kommen, so komm' ich in
der Nacht."
Unmittelbar darauf war er verschwunden, und
der Manerhofer konnte zu seiner in's Zimmer
tretenden Schwester sagen: „Sei froh, daß D»
den schlechten Lump so gut losgeworden bist, ich
hatte schon Angst, er würde Dir Dein Reisegeld
abschwatzen."
Der Vorabend von Engelburgs Abreise nach
Amerika kam schneller herbei, als das Mädchen
gedacht hatte. Nun war alles ' für die lange
Fahrt gerüstet, die neue hölzerne Lade stand ge-
packt und verschlossen vor der Stubenthür, die
Kleider, die unterwegs getragen werden sollten,
lagen bereit; es galt nur noch eins zu thun:
Abschied zu nehmen von der alten Base. Woran
lag es nur, daß ihr vor dem so sehr graute?
Daß ihr zu Muthe war, als könne sie nicht von
der Base fortgehen? Den Dorfleuten allen, sogar
der schlimmen Barbara hatte sie in aller Form
Lebewohl gesagt, und der einzige, den sie noch
einmal zu sehen gehofft hatte, als sie den Mauer-
hof verließ, von dem wußte sie durch ihren Bruder,
daß er Tag und Nacht rastlos arbeite, um die
wenigen Kunden, welche seine Mühle noch hatte,
zu befriedigen. „Er plagt sich redlich," das war
der Beschluß von den Mittheilungen des Mauer-
hofers gewesen, „aber alle seine Arbeit ist um-
sonst, wen der Markus einmal gefaßt hat, der
kommt nicht wieder los, es müßte denn sein —
na, wenn ich der Markus wär', ich möchte nicht
allein mit dem Julian zusammentreffe»."
Schon mehr als einmal im Lauf der letzten
beiden Tage ivaren Engelburgs Gedanken zu
diesen Worten zurückgekehrt. Auch jetzt, wie sic
so am Bett ihrer eines schlimmen Fußleidens
wegen fast immer liegenden Verwandten saß und
in das verglimmende Abendroth des September-
tages hinausblickte, umkreiste ihr Denken un-
ablässig den düstern Sinn, welcher ihnen inne-
wohnte. Wie hart war es doch für sie, ihren
einstigen Herzliebsten mit der Befürchtung zu ver-
lassen, daß er am Rande des Verderbens stehe. —
Ihren einstigen Herzliebsten! Sie wollte sich ein-
reden, daß ihr nicht halb so viel mehr an Julian
liege als vordem, daß es nur noch Mitleid sei,
was sie zu ihm hinziehe, aber es gelang ihr
nicht. Vergangene Zeiten wurden in ihrem Herzen
lebendig, sie stand wie vor Jahren mit dem
schmucken, lustigen Burschen plaudernd am Mühl-
bach, sie fühlte den freundlichen Blick seines
Auges, den festen Druck seiner Hand, und sie
war froh, daß ihre Base schlief und ihr den
schönen Traum nicht zerriß. Da Pochte es leise
an die Thür, und als sie, um die Schlafende
nicht zu wecken, behutsam öffnete, stand Julian
vor ihr. Nicht so schmuck und lustig, wie sie ihn
unmittelbar vorher im Geiste gesehen hatte, sein
Gesicht war blaß und abgezehrt, sein Anzug ver-
nachlässigt und sein Blick matt lind traurig, aber
wie ihm vor drei Wochen, so war auch ihr jetzt
schon seine bloße Anwesenheit Glückes genug.
„Daß Du doch noch kommst!" sagte sie, und
ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Freude.
Dann faßte sie seine Hand und zog ihn in's
Zimmer. „Die Base wird's nicht stören, wenn
Du still bei mir sitzest."
Er saß still bei ihr. „Der Weg von der
Mühle bis hierher ist doch weit für einen, der
seit acht Tagen nicht aus den Kleidern gekommen
ist," murmelte er endlich, „ich glaube, ich bin
noch nie im Leben so an Leib und Seele zer-
schlagen gewesen, wie heute."
Ihre Augen gingen prüfend über seine ein-
gesunkenen Wangen hin. „Julian, wer kocht für
Dich?" fragte sie dann rasch. Er lächelte bitter.
„Ich war froh, wenn ich ein Stück Brot hatte,"
antwortete er nach einigem Zögern. Sie holte
vom Ofen, in dem der kranken Base wegen ein
kleines Feuer brannte, Kaffee und Milch herbei
und schenkte ein. „Da, und iß auch ein Stück
von dem Kuchen, den ich gestern gebacken habe."
Er langte zu. „Du thust mir nichts als Liebes,
ich habe Dir zeitlebens nichts als Böses zu-
gefügt."
Sie schüttelte den Kopf. „Du thatest's ja
nicht mit Willen, Julian. Wenn Du gekonnt
hättest, ich wäre jetzt —" Sie brach ab. „Julian,
willst Du mir zum Abschied noch etwas Gutes
erweisen?"
Er schob die Tasse zurück. „Soll ich mich
für Dich todtschlagen lassen? Weiß Gott, ich thät's,
wenn Dir damit gedient wäre."
Sie lauschte nach dem Bett der Base hin.
Die Kranke schlief noch immer. „Julian", sagte
sie dann flehend, „versprich mir, Dich nicht an
Markus zu vergreifen."
Ueber das Gesicht des jungen Müllers schlug
es hin wie eine Flamme, und seine müden Augen
blitzten aus. „Engelburg, Du weißt nicht, um
120
was alles mich dieser schwarze Teufel gebracht
hat. Er hat meinen Vater belogen und zum
Lügner gemacht, er hat Joseph« gequält und ver-
hetzt, er will mich selber um mein letztes Bißchen
Gut und Ehre betrügen, ich müßte kein Mensch
sein, wenn ich nicht Lust hätte, 'das zu vergelten."
Sie sah ihn traurig au. „Julian, ich bin nur
ein dummes Mädchen und kann Dir weder rathen
noch helfen, eins aber kann und will ich thun,
bis wir auseinander gehen müssen: ich bitte Dich
um Jesu willen, bleib' gut, thu' dem Markus
nichts zu leide." Ihre Stimme klang erstickt von
innerer Bewegung, trotzdem erschütterte sie das
Herz des Mannes mehr als die gewaltigste Predigt.
Er ergriff die hartgearbeitete Hand des Mädchens.
„Weil Du's bist. Ich schwör' Dir bei den
heiligen fünf Wunden, dem Markus soll von
mir nichts widerfahren, als was ich vor Dir
verantworten kann."
Sie hielt seine Rechte so fest, als wolle sie nie
mehr loslassen. „Ich danke Dir, Julian," sagte
sie dabei, „die Fahrt über's Meer wird mir nun
leichter werden." Dann stand sie auf und zündete
das kleine Lämpchen der Base an. In seinem
Schein saßen sie noch lauge zusammen und sprachen
von Vergangenem und Künftigem. An die
Gegenwart wurden sie erst wieder erinnert, als
Im Tjaldr.
Es zieht mich in den Wald hinein,
Deni grünen Wald, wo ich allein
Die Vogel kann belauschen.
Hier fühlt die Seele freier sich;
Mein Geist denkt nur allein an dich, —
Sich wonnig zu berauschen.
Und von der Höh' schau ich ins Thal,
Ihr Wolken grüßet tausendmal
Mein Lieb' in Thales Grunde!
Dort wo die Mühle einsam liegt,
Da wohnt sie, die mein Herz besiegt.
Es giebt mir davon Kunde.
Blau Blümchen an dem Wiesenbach
Zieht eilends doch dem Wasser nach
Bis zu dem Mühlengraben!
Dort findet Ihr das holde Kind,
Könnt seh'n wie wir uns treu gesinnt,
Wie wir so lieb uns haben.
<5art Wever.
die alte Verwandte erwachte und erstaunt war,
einen Gast in ihrem Zimmer zu sehen. Aber
ihre Fragen störten die beiden nicht lange.
Warum sollte sie sich auch viel bekümmern um
die Angelegenheiten des jungen Müllers, der,
soviel wußte sie vom Mauerhofer, schuld daran
war, daß die Engelburg eine alte Jungfer wurde.
Erst als die Schwarzwälder Uhr neben ihrem
Bett zwölf schlug, und auch von den Thürmen
der Stadt der Schlag der Mitternachtsstunde in
hohen und tiefen Tönen herübersummte, mischte
sie sich wieder ein. „Engelburg, Du fährst morgen
früh um sechs Uhr fort, mich dünkt, es wäre ge-
scheiter, der Julian ginge jetzt heim." Sie ge-
horchten ohne Widerrede, nur das ließ sich das
Mädchen nicht nehmen, dem Gaste noch bis zur
Hausthür das Geleit zu geben. Es wäre des
Aufschließens wegen nicht nöthig gewesen, das
Haus war ein Wirthshaus und deshalb die halbe
Nacht offen, aber sie mußte ihm noch einmal
unter Gottes freiem Himmel die Hand zum Ab-
schied geben. „Der heilige Schutzengel sei alle-
zeit mit Dir," sagte sie dabei und mühte sich
stärker zu scheinen als sie war, „vielleicht, wenn
Du Dich aus den Schulden herausgearbeitet hast,
kommen wir doch noch einmal zusammen."
(Fortsetzung folgt.»
I
-I—--------
Herbstnoachk.
Gedicht in Wetterauer Mundart von
Jiriedrich von Trais.
's gihr Z e kahler2) Weand imm's Haus,
's sühnt3) e so, 's Heult e so!
Hen Z fregkt 5) eamm Bett „wer eaß dann daus 6) ?"
„Kahn Mensch — hääßt's do — kahn Sihl eaß do."
Ui fihrt die Loft! Ds Eckbahnd hält,
Goitt Lob, ds Häusi eaß Vv Stahn.
Eaß daun ds Euu "j schuhnd vv dr Welt
Eann Gihring ch heint ch, kammer") gesahn?
Goitt Lob, dr Wächter blest die zwa
's eaß doach noach Leawe. Näit gefoachtlä)!
Woas leiria) aach drohn, 's eaß ahnerla14).
Merr 15) esst se haaß näit wüi's gekoacht.
's gihr aach emol eamm Haus so her.
Off Storm kimmt Sonneschein eann Rahn le).
Ds Menscheherz, doas vftmols schwer,
Wärt17) wirrer leicht — kammer gesahn.
's gihr e kahler Weand imm's Haus,
's greint e so, 's geit e so.
Doas eaß die Wearrerfohne daus,
Ds Hobdoahr 19) eaß, doas eaß kahn Froh29).
121
Eann monier wären stid)24) alle ©toim22);
Als wüi met Ahmer 2S) schüißt24) dr Nahn.
Eamm Doarf, do fange all die Honn26)
Ze jocigte26) ohn, kammer gesahn.
De Moarje sein aich offgewacht,
Dr Himmil, der woar wirrer blo
Eann aus de Wolke hott's gelacht.
Die Sonn woar do, die Sonn woar do!
Dr Mensch lisst Brast27) eann Herzelaad,
Vom Herze samt28) emm all die Stahn22).
Sebahl88) e Sonn eann Mensche sicht84),
Do wärt e früh, kammer gesahn.
Bewoahrt uch82) auern88) frühe Scann!
Wüi ihr geweast84) seid klahnerheit88)
'So bleit88) merr schihn, seid stennig Keann84);
's kimmt die Zeit, 's kimmt die Zeit!
's fihrt e kahler Weand imm's Haus,
's sühnt e so, 's läut e so;
Getrahn88) wärt schuhnd ds Leicht88) ennaus;
Kahn Mensch bleit do, kahn Sihl bleit do!
Ds Mennroad48), doas schüppt44) Doah eann
Noacht
Ds Wasser eann, ds Wasser aus.
Der Sonneschein eann Rahn gemoacht,
Der helft sein Keann, de Mensche, aus.
's kimmt dr Herbst, 's fällt ds Bload,
's gett42) naue Sproasse48) ohn de Behm.
Ohm Enn hun's Vüile44) goar sche soad,
's eaß enn nüit'mihn ohngenehm48).
Aus alter und neuer Zeit.
Gelegentlich der Betrachtung der Kasseler
Münzen- und Medaillensammlung im
dortigen Kunstmuseum kam uns der Gedanke, wie
reichhaltig und werthvoll diese Sammlung zur
Zeit des Landgrafen Friedrich II. gewesen fein
mochte, ehe deren zweimalige Beraubung erfolgt
war. Die im Ansang der fünfziger (1853) Jahre
durch den Inspektor Appel, die sog. Goldreinette,
stattgehabte, ist ja wohl noch in Vieler Gedächt-
niß. Manchem vergessen oder unbekannt dürfte
aber die erste im Jahr 1775 durch^R. E. Raspe
verübte Beraubung sein. Dieser entwendete
nämlich aus dem ihm als Gustos anvertrauten '
Medaillen-Kabinet seines Landesherrn viele seltene
Stücke, deren Werth über 2000 Thaler betrug
und flüchtete damit nach Irland. Durch diese
strafbare That würde er sich aber einen „Herostraten-
ruhm" erworben haben, wenn er nicht durch die -
von ihm im Jahre 1785 in englischer Sprache
verfaßten Erzählungen des Baron von Münch- ;
hausen von dessen merkwürdigen Reisen uitb Feld-
zügen in Rußland auch in anderer Weise bekannt
geworden wäre. Nachdem dies Buch vier Aus-
lagen erlebt hatte, übersetzte es Gottfried August
Bürger unter Beifügung mehrerer Zusätze im
Jahre 1787 in's Deutsche. Diese Münchhansiaden
stammen aber nicht von Raspe selbst her, viel-
mehr von dem 1797 zu Bodenwerder verstorbenen
K. E. H. von Münchhausen, welcher als junger
Mann russischer Kavallerieoffizier gewesen war.
Ihm hat sie Raspe dann nacherzählt. Z. S.
'3 fihrt e kahler Weand imm's Haus
Eann reißt die Schale46) off eann zou.
Dr Weand der lascht47) ds Licht'che aus,
Off ahnmol stell, off ahnmol Rouh!
Die Uhnrouh^) ohn dr Auer") stiht,
's wärt geklaht^), 's wärt gegoarrn^).
So giht's, selangk die Welt bestiht,
Eann annerschter^) eaß noach näit woarrn.
*) geht. 2) kalter. 3) stöhnt, 4) er. * 6) frügt.
6) draußen. 7) Ende. 8) Gährung. 9 * *) heute Nacht.
10) kann man. ”) zwei Uhr. 12) gefürchtet. 13 *) liegt.
14) einerlei. 15) man. 16) Regen. 17) wird. 18) geigt.
19) Hofthor. 29) Frage. 2h werde ich. 22> jede Stunde.
23) mit Eimern. 24) schießt. 25) Hunde. 26) jagden
(bellen). 27> Sorge. 28) fallen. 29) Steine. 39) sobald.
") sieht. 32) euch. 33) eueren. 34) gewesen. 35) als
kleine Kinder. 36) bleibt. 37) beständig Kinder. 3S) ge-
tragen. S9) Sarg. 40) Mühlrad. 41) schöpft. 42) giebt.
43) Sprossen. 44) Viele. 45) angenehm. 46) Laden.
47) löscht. 48) Unruhe (Perpendikel). 49) Uhr. 50) ge-
klagt. 51) geweint. 52) anders.
Es wird gewiß Niemand in Abrede stellen, daß
in unserer Zeit viel Gereimtes und Ungereimtes
geschrieben und gedruckt wird. Was aber unsere
Vorfahren an Fleiß und Ausdauer, an Gründ-
lichkeit und Wissen geleistet, wird dermalen selten
erreicht. Nur ein Beispiel für viele: Unser
Landsmann, der 1546 zu Schmalkalden geborene
Psarrerssohn Johannes Steuernagel hat den
deutschen Text des ganzen alten und neuen
Testaments in Reime gebracht. Gewiß eine
Riesenarbeit! Als Anerkennung unb Belohnung
verlieh ihm Kaiser Rudolph II. denn auch den
Titel eines xoota 1am-6atu8 und zierte ihn mit
der Dichterkrone. Steuernagel starb 1613 als
Stadtschultheis zu Meiningen. I. S.
Aus Aelmath und Fremde.
Der Vereiil für hessische Geschichte
and Landeskunde hielt gestern Abend im
Saale der Oberrealschule seine Aionatsversamm-
lung ab, welche zahlreich besucht war. Dieselbe
122
wurde von dem Vorsitzenden. Herrn Bibliothekar
Dr. Brunner, eröffnet, welcher zunächst die Per-
sonalveränderungen im Monat April zur Kenntniß
der Mitglieder brachte. Der Verein hat 5 Mit-
glieder verloren, darunter den in Fulda verstor-
benen Schriftsteller F. Zw eng er. welchem der
Vorsitzende einen warm enipfundenen Nachruf
widmete. Zwenger hat durch die vor 8 Jahren
iws Leben gerufene Zeitschrift „Hessenland" zur
Belebung des Interesses an der Geschichte unseres
engeren Vaterlandes wesentlich beigetragen und
der hessischen Geschichte große Dienste geleistet.
Diesem Abgang von 5 Mitgliedern stellt sich ein
Zugang von 19 Mitgliedern gegenüber, sodaß der
Verein erfreulicher Weise einen Zuwachs von 14
Mitgliedern zu verzeichnen hat. Um die An-
werbung neuer Mitglieder haben sich namentlich
die Herren Postverwalter Siegel in Lichtenau und
Dr. Zülch in Treysa verdient gemacht. Die dem
Verein gewordenen Zuwendungen sind besonders
werthvoll. Die Herren Gebrüder Landsiedel hatten
vor Neuherstellung der Zimmer des zweiten Stockes
ihres in der oberen Marktgasse Nr. 7 gelegenen
Hauses die Herren Bibliothekar Dr. Brunner und
Konservator Dr. Bickell in Marburg auf die Oel-
inalereien der Wände ihrer Zimmer aufmerksam
gemacht. Dieselben haben sich sowohl interessant
für unsere Stadtgeschichte, als auch von hohem
kunstgeschichtlichen Interesse herausgestellt. Die
Reihe von Bildern stellt, so ist anzunehmen.
Scenen aus einem Roman dar und sind die
Helden in griechischen Kostümen gemalt. Die
Wandbekleidung eines Zimmers haben die Herren
Gebrüder Landsiedel dem Verein für hessische Ge-
schichte und Landeskunde zum Geschenk gemacht.
Sodanil hat der Verein interessante Beiträge von
Herrn Bankier Herrlich. eine Urkunde der ersten
Niederlassung seiner Vorfahren in Kassel ini Jahre
1134 und von Herrn Kaufmann Klemme eine
Urkunde der Majoratsstiftung des Generals
v. Schlieffen. außerdem das Programm des König-
lichen Gymnasiunls in Marburg erhalten. Der
Vorsitzende komint hierauf noch auf die in einer
hiesigen Zeitung aus Kerstenhausen enthaltene
Korrespondenz zurück, nach welcher das Denkmal
von Kleinenglis, welches im Lause der Zeit durch
Wind und Wetter arg beschädigt sei. wieder restaurirt
und so der Nachwelt erhalten werde, und Herr
Konservator Bickell theilt der Versammlung mit,
daß in einer Eingabe bei Königlicher Regierung
dieselbe ersucht sei, die Gemeinde zu beauftragen,
das Denkmal wieder aufzurichten und dasselbe mit
einem Gitter zu umgeben. Hieraus hielt Herr
Rechtsanwalt Dr. Harnier den angekündigten Vor-
trag über „Friedens- und Kriegsbilder aus der
westfälischen Zeit" (nach Tagebüchern des Herrn
Geheimen Medizinalraths Dr. Harnier). Der Vor-
sitzende sprach am Schluß dem Redner für feinen
interessanten Vortrag den Dank aus und bemerkte,
daß hiermit die Reihe der dieswinterlichen Vorträge
geschlossen sei. In der Pfingstwoche beabsichtigt
der Geschichtsverein, den ersten Ausflug nach der
Ruine Reichenbach bei Lichtenau zu unternehmen.
_____________ (Kass. Tagebl.)
Zur Vorfeier des 25jährigen Jubiläums der
Kasseler städtischen höheren Mädchenschule fand
am 30. April Abends 7 Uhr ein Festkonzert in der
St. Martinskirche statt. Man hätte für diese
Aufführung keine bessere Wahl treffen können, als
die von A. Bredels Oratorium „Der zwölf-
jährige Jesus". — An die wohlgelungene
Vorfeier^ (schloß sich am 1. Mai Vormittag
10 Uhr die eigentliche Schulfeier im großen
Stadtparksaale an. der schon lange vorher dicht
mit Festgästen gefüllt war. Mit der hier schon
öfters gehörten Hymne „Der Herr hat Großes
an uns gethan" von A. Brede, wurde die Feier
durch den Sängerinnen-Chor der höheren Mädchen-
schule eröffnet. Alsdann bestieg der Leiter der Jubel-
Anstalt. Herr Direktor Dr. Krummacher, die
Rednertribüne. um die Festrede zu halten. —
Daraus folgte die vom Herrn ^Musikdirektor B rede
eigens für den Jubeltag komponirte Jubelkantate
für Soli und Chor. welche den weihevollen Ab-
schluß der Feier im Stadtparksaale bildete. —
Nachmittags fand ein Festessen im Lesemuseum statt.
(K. Tgbl.)
W. Aus Leipzig wird uns geschrieben:
Am Ostermontag, den 26. März d. I., verabschiedete
sich Herr Dr. tbsol. st phil. Johann Georg
Dreydorff. Pastor der evangelisch-reformirten
Gemeinde zu Leipzig, nach 2 7 jähriger Amtsthätig-
keit von seiner Gemeinde, um in den Ruhestand
zu treten. Unser verehrter Landsmann (Herr Pastor
Dreydorff stammt aus Ziegenhain) hat sich in der
langen Zeit seiner Wirksamkeit in Leipzig Vieler
Herzen zu nie erlöschendem Danke verpflichtet und
durch seine ausgezeichneten Kanzelreden wie durch
seine hingebende Seelsorge manchen Zwiespalt im
Herzen und Gewissen seiner Zuhörer versöhnt und
dadurch nicht Wenige der Kirche gewonnen oder
erhalten. Die Dankbarkeit seiner einzigen Ge-
meinde zeigte sich denn auch in einem überaus
starken Besuche des letzten von ihm geleiteten
Gottesdienstes. — Am 31. März, dem letzten Tage
seiner Amtsthätigkeit, begaben sich sodann sämmt-
liche Mitglieder des evangelisch-reformirten Kon-
sistoriums zu Leipzig in die Wohnung des Herrn
Pastor Dreydorff, um ihm durch den Mund ihres
123
Vorsitzenden, des Herrn Pastor Dr. theol. et phil.
Mehlhorn, den Dank der Gemeinde und des Kon-
sistoriums anszusprechen. Danach hielt der Schrift-
führer des Konsistoriums, Herr Reichsgerichtsrath
Dr. jur. Langerhaus, noch eine Ansprache an den
Scheidenden und überreichte zwei photographische
Bilder des bisherigen Kirchengebäudes, das nicht
lange mehr den Zwecken der Gemeinde dienen wird,
sondern durch einen Neubau an anderem Ort ersetzt
werden soll. — Am 1. April wurde der Nach-
folger des Herrn Dr. Dreydorff, Herr Pastor
Carl Bonhosf aus Kassel, feierlich und doch in
schlichten Formen in sein Amt eingeführt. Zunächst
hielt Herr Pastor Mehlhorn eine Ansprache an den
neuen Amtsgenossen und nahm ihm sodann das
vorgeschriebene Gelübde ab, „zu predigen das Wort
Gottes, Gesetz und Evangelium, enthalten und be-
zeugt in der heiligen Schrift, gemäß den Grund-
sätzen unserer resormirten Kirche." Danach be-
grüßte Herr Pastor Dreydorff seinen Amtsnach-
folger, wobei er die freudige Zuversicht aussprach,
daß er das Werk der Seelsorge in dem Sinne,
wie es begonnen, fortsetzen werde. Im Namen der
Schwestergemeinde zu Dresden begrüßte alsdann
Herr Pastor Gamper den neuen Amtsbruder, und
nun bestieg Herr Pastor Bonhoff die Kanzel, um
seine Antrittspredigt zu halten, über den Text
(1. Thess. 2, V. 4): „Wie wir von Gott be-
währet sind, daß uns das Evangelium vertraut ist
zu predigen, also xeden wir, nicht als wollten wir
den Menschen gefallen, sondern Gott, der unser
Herz prüfet." — Die Leipziger reformirte Gemeinde
zählt zahlreiche Hessen zu ihren Mitgliedern und
Gemeindehäuptern, und auch das Konsistorium,
dem zuletzt noch die Herren Kaufmann Siebert
aus Kassel (ff) und Prof. Dr. phil. v. Meyer
aus Kassel (jetzt in Dresden) angehörten, enthält
unter seinen Mitgliedern z. Z. zwei Hessen, die
Herren Kaufmann Krug aus Kassel und Dr. phil.
Weinmeister aus Marburg.
Am 19. April wurde in Hersfeld das 25 jährige
Dienstjubiläum des Ghmnasialdirektor, Herrn
Dr. Konrad Duden, festlich begangen. Nachdem
schon am Vorabend von den Schülern sämmtlicher
Klassen dem Jubilar ein Fackelzug und ein Ständchen
gebracht war, versammelten sich, wie die „H. Z."
berichtet, am Festvormittag um 11 Uhr die Mit-
glieder des Lehrerkollegiums, die Spitzen der Staats-
behörden, sowie die Vertreter der städtischen und
kirchlichen Behörden, Schulen re. in der Aula des
Gymnasiums zu einer Schulfeier, wobei der Jubilar
die Beglückwünschungen seitens des Lehrerkollegiums,
der Schüler, der durch Abgeordnete vertretenen
beiden Kasseler Gymnasien, sowie seitens der
Geistlichkeit, des kgl. Landraths, der städtischen
Behörden und Schulen entgegennahln. Herr Direktor
Duden dankte jedem Einzelnen der Herren Ver-
treter in herzlichen und bewegten Worten. Gesang
eröffnete und schloß die erhebende Feier. Nach-
mittags 2 Uhr fand im Gasthose „zum Stern"
ein Festessen statt, an dem ungefähr 80 Personen
theilnahmen, und das durch manche treffliche Rede
gewürzt wurde. Den Schluß der Festlichkeiten
bildete ein Kommers- der oberen Gymnasialklassen,
der auch von einer großen Anzahl Gäste besucht
wurde. Gesänge und theatralische Ausführungen
wechselten in bunter Reihe ab und erhöhten die
allgemeine Feststimmung. Wir sind überzeugt, daß
alle Festtheilnehmer mit Vergnügen an das wohl-
gelungene Fest zurückdenken werden. Bei dem Fest-
kommers wurde der nachfolgende Prolog gesprochen:
Mit farbenprächt'gem Rosenlicht, das Heller noch
Denn sonst ihr majestätisch Haupt umglüht.
Fuhr heut Aurora auf am Firmamente.
Und jauchzend rief zum Gruß sie, wonnerbebend.
Dem jungen Tag ein dreifach „Heil!" entgegen.
Denn heute sind es 25 Jahre,
Daß Du, verehrter Meister, hast erstiegen
Der Ehre hohe Staffel, die nur dem sich öffnet,
Der sonder Fehl des Geistes Schwert geführt
Zum Heil und Segen unsrer deutschen Jugend.
Wohl blickest Du zurück auf manch' durchstürmten Tag,
Wohl hast Du oft vielleicht der Täuschung Schmerz erlitten.
Und doch stehst heute noch wie damals Du
In Jugendgeisteskraft in Deiner Jünger Mitten,
Dem Krieger gleich, der in der Schlachten Wetter
Die Fahne hoch erhoben, auf der Wahlstatt kämpft.
Der Eiche gleich, die in des Sturmes Brausen
Das Haupt nicht beugend in die Wolken ragt.
Und sieh, wie heut an Deinem Jubeltage
Der Jünger Schaar Dich freudevoll umdrängt,
Wie dankend Dir ihr Herz entgegenschlägt.
Daß Du seit Jahr und Tag die Hände schützend hieltest
Ob ihrem Haupt und führtest weisheitsvoll
Sie zu der Weisheit hellem Silberquell:
In nah und fern lebt der Erinnrung Süße
An Dich und Deines Wirkens Segen auf,
Und mancher blickt verehrungsvoll empor,
Den Du erzogen, der in Amt und Würden
Das, was er ist, Dir und den Deinen dankt.
So nimm denn unser aller Segensworte,
Nimm unser aller Herzenswunsch entgegen,
Daß lang Du noch des Geistes Bildungsstätte,
An der Du einsichtsvoll und segensreich gewaltet,
Auch ferner jugendfrisch in der Gesundheit Stahl
Zu unser aller Heil bebauen mögest.
Das walte des Allmächt'gen Vaterhand!
Die meisten in Hessen erscheinenden Blätter, aber
auch solche die außerhalb der Grenzen unseres engeren
Vaterlandes erscheinen, haben dem Hingeschiedenen
Herausgeber dieser Zeitschrift, F. Z w e n g e r, Worte
der Anerkennung gewidmet, in denen der hohen
Eigenschaften seines Geistes und Herzens in gleich
warmer Weise gedacht ist. An der Beerdigung,
die am Sonntag den 8. April in Fulda in ein-
124
facher, aber würdiger Weise stattfand, betheiligten
sich Leidtragende aller Stände und Konfessionen.
In bcm Leichenzuge bemerkte man den Bisthums-
verweser Prälat Dr. Komp, Domkapitular Dr. Braun,
Landrath Fliedner, Gymnasialdirektor Dr. Göbel,
Amtsgerichtsrath Mackeldey, Schriftsteller Emil Box-
berger u. A. Das „Hessenland" ließ durch Freundes-
hand einen Kranz ans dem Sarge seines Begründers
niederlegen. Auf der Ostseite des neuen städtischen
Friedhofes hat F. Zwenger seine letzte Ruhestätte
gesunden.
Hessische Bücherschau.
Paul Harms, Die deutschen Fortunatus-Dramen
und ein Kasseler Dichter des 17. Jahrhunderts.
Hamburg und Leipzig, Verlag von Leopold
Boß. 2,40 Mk.
Tie Landesbibliothek in Kassel bewahrt unter
ihren Schätzen zwei handschriftliche Dramen, von
denen das eine die aus den Volksbüchern bekannte
Geschichte von Fortunatus und seinen Söhnen
enthält, während das andere eine größere Episode
ans Ariost's Rasendem Roland behandelt. Harms
hat beide Dramen eingehend untersucht unb ist zu
dem Ergebniß gekommen, daß sie von dem gräm-
lichen Verfasser herrühren, daß ferner die Kasseler
Handschrift das Originalmanuskript ist. Der Dichter
verschweigt zwar seinen Namen, doch ist es Harms'
scharfsinniger Untersuchung gelungen, durch sorg-
fältige Berücksichtigung aller in Betracht kommenden
Momente festzustellen, daß der Autor nahe Be-
ziehungen zum Landgrafen Moritz und zu den im
Dienste desselben stehenden englischen Komödianten
gehabt hat. Weiterhin macht der Verfasser^wahr-
scheinlich, daß die Entstehungszeit der genannten
Dramen in das Jahrzehnt von 1610 — 1620 fällt.
Den Dichter charakterisirt Harms als einen ver-
ständigen Mann, der seinem Stoffe nicht nur ein
gutes Maß natürlicher Beanlagung entgegenbrachte,
sondern sich auch nach englischen Mustern zu bilden
verstand und dessen Arbeiten die übrigen drama-
tischen Produkte weit übertreffen, die während der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Um-
gebung des Kasseler und des Marburger Hofes
entstanden sind. Wer sich mit der Geschichte der
hessischen Litteratur beschäftigt, wird die gründlichen
Untersuchungen von Harms nicht übersehen dürfen. P.
Entgegnung. )
In Nummer 6 des „Hessenlandes" bringt Hermann
v. Pfister ein Eingesandt, welches wohl dem in meinem
Verlage in zweiter Auflage erschienenen Buche „Hehler
Sagenkranz aus Hessen-Nassau rc.", gelten soll.
- Ich bemerke dazu, daß nach § 7 des Preßgesetzes als
Nachdruck nicht anzusehen ist:
„Das wörtliche Anführen einzelner Stellen oder-
kleinerer Theile eines bereits veröffentlichten Werkes
oder die Aufnahme bereits veröffentlichter Schriften
von geringerem Umfang in ein größeres Ganzes,
sobald dieses nach seinem Hauptinhalt ein selbst-
ständiges wissenschaftliches Werk ist, sowie in Samm-
lungen, welche aus Werken mehrerer Schriftsteller
zum Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch oder
zu einem eigenthümlichen literarischen Zwecke ver-
anstaltet werden. Vorausgesetzt ist jedoch, daß der
Urheber oder die benutzte Quelle angegeben ist."
Ich begreife nicht, daß Herrn v. Pfister, welcher
doch schon verschiedene Schriften herausgegeben hat, das
Preßgesetz so wenig bekannt ist. Jedenfalls war es wohl
richtiger, ehe man ganz unbegründete Angriffe ausübt,
sich über die Berechtigung zu erkundigen.
Sämmtliche Gedichtsammlungen, wie z. B. Scherer,
Deutscher Dichterwald, Zettel, Edelweiß, Polko,
Dichtergrüße rc. enthalten Proben noch lebender Dichter.
Mit ganz demselben Recht ist es mir gestattet,
in einer Sammlung von Sagen einzelne Proben wieder-
zugeben.
Herrn v. Pfister kann ich auf Wunsch auch einige
Schriftstücke vorlegen, in welchen sich Autoren bedanken,
daß einige Artikel in der Sammlung Aufnahme gefunden
haben.
Kassel, den 28. März 1894.
G u st a v K l a u n i g, Hof-Buchhändler.
*) Anmerkung der Redaktion. Nachdem sowohl Herr
v. Pfister als Herr Klaunig zu Worte gekommen sind,
mag für das „Hessenland" die Frage abgeschlossen sein.
Briefkasten.
II. Z., Kassel; J. J., Berlin. Wir bitten wiederholt,
alle für das „Hessenland" bestimmten Manuskripte an
die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Kassel, zu senden.
0. G., Hildesheim. Der Aufsatz über F. W. Br. wird
in Kürze erscheinen. Freundlichen Dank.
W. Sp., Cottbus. Sobald das betreffende Manuskript
in unsern Besitz gelangt sein wird, wird es Ihnen über-
mittelt werden. Auch Ihnen besten Dank.
V. Tr., Rauschenberg. Die Sendung sehr willkommen,
wie Sie sehen. Wir hoffen, daß die Humoreske sich noch
vorfinden wird.
H. F., Witzenhausen; F. v. H., Berlin; Frau K.-J.,
München; M. M., Kassel. Wir behalten uns ausführ-
lichere Beantwortung vor und bitten Sie, dem „Hessenland"
Ihre wohlwollende Unterstützung angedeihen zu lassen.
J. W., Leipzig. Für Nr. 8 leider nicht mehr zu ver-
wenden, deshalb erst heute gebracht. Für derartige Berichte
haben übrigens stets Platz.
M., Straßburg. In Beantwortung Ihrer freundlichen
Anfrage bitten wir Sie, uns mittheilen zu wollen, welchen
Umfang die betreffende Arbeit haben wird.
G. F., Kassel. Es ist uns noch nicht möglich gewesen,
zu ermitteln, wo der Aufsatz sich befindet. Wir ersuchen
Sie um Geduld.
G. K., Gelsenkirchen. Es wird uns freuen, wenn Sie
unserer Zeitschrift Ihr Interesse zuwenden wollen.
Dr. J. P., Kassel; C. W., Kassel; J. S., Frankfurt a. M.
Freundlichen Dank und Bitte um Weiteres.
Herausgeber: Ferd. Zwenger's Erben. Stellvertr. verantwortlicher Redakteur: Pr. D. Saul in Stuttgart.
Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „§2p«lmtil“, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1*/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den B u ch h a n d e l, auf Wunsch auch unter S tr e i f -
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenslern & Kogler K.-H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Auf einer Burgruine an der Tahn.
toch rauscht wie einst das Mühlenwehr
Und drüber ragt die morsche Veste,
Noch ruht es hier sich auf das Beste —
Doch ich bin nicht der Alte mehr.
Und wo bist Du, Cornelia,
Die hier mit sehnendem Entzücken
Aus den zerbrochnen Fensterlücken
Dem Jüngling froh entgegen sah?
Dort liegt er noch, der kleine Nahn,
Mit dem wir einst vom Land gestoßen;
Es blüh'n auf's neu die Wasserrosen —
Doch anders blicken sie mich an.
Es war ein Tag, so schön, wie der:
Die Schwalben kreisten durch die Lüfte,
Akazien streuten Blüthendüfte,
Der Fimmel blaute hoch und hehr.
Da wiegten wir uns auf der Fluth,
Und bei dein Gleiten, sanften Schwanken
Zog süß manch Bild in die Gedanken,
Gedichtet von der Wünsche Gluth.
Am Abend bald erscholl der Saal
Von unserm Lachen, unsern Tänzen,
Vom Mondlicht ließen wir uns kränzen
Und schauten fröhlich in das Thal.
Nun wächst aus Deinenr Grab das Gras
Allein fitz' ich beinr Saft der Reben, —
Dem Glück der Zugend, Deinem Leben
Gilt diese Thräne, dieses Glas.
•RK-4
Lark Aievrich.
Geschichte der Familie Dithmar.
Ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Ottv Gerland.
«Fortsetzung.)
t
LA ls Ende 1806 die hessischen Beamten durch das
Fl französische Gouvernement den Befehl erhiel-
Oj V teit, die entlassenen hessischen Soldaten zu neu
zu errichtenden Regimentern ausznheben, wollte
Dithmar diesen Befehl mit seiner gewohnten
Strenge durchführen, obwohl er selbst sehr wenig
franzosenfreundlich gesinnt war und deshalb auch
bei den Machthabern keine Gunst genoß. Seine
Aufforderungen an die Mannschaften, sich zu stellen,
blieben erfolglos, dagegen rotteten sich die ehe-
maligen hessischen Soldaten am 18. Dezember zu-
sammen, drangen in Dithmar's Wohnung im
Schloß zu Wolfhagen und erklärten, sie würden ans
keinen Fall in Dienst treten, er möge sie mit der-
artigen Befehlen in Ruhe lassen. Nunmehr nicht im
Stande, den ihm ertheilten Auftrag auszuführen,
berichtete er in diesem Sinne an den mit der
Bildung der Truppenabtheilung beauftragten Major
Müller zu Kassel, und dieser erschien am Abend
des 22. Dezember mit einer Abtheilung französischer
Reiter zu Wolfhagen, um die Widerspenstigen
zwangsweise auszuheben, ging aber, weil die Ge-
stellungspflichtigen sich auf die Flucht begeben
hatten, alsbald wieder zurück und ließ nur den
Leutnant C o n r a d i mit einer geringen Mannschaft
zu Wolfhagen. Kaum hatte sich M ü l l e r entfernt,
als eine große Menge ehemaliger Soldaten und
Bauern aus der Ilmgegend, namentlich aus dem
Amt Gudensberg, mit Flinten, Pistolen, Säbeln,
Piken und Aexten bewaffnet, nach Wolfhagen kam,
in den Renthof lim Schloß) eindrang, nach
Müller fragte und, als sie dessen Abzug erfuhr,
ihre ganze Wuth an Dithmar ausließ. Sie
zerschlugen unter gewaltigem Lärmen die Fenster,
bombardirten das Haus mit Steinen und Knüppeln
und zertrümmerten einen Theil seiner Möbel,
namentlich soweit diese im Erdgeschoß standen.
Alle Versuche Dithmar's und Conradi's,
die Menge zli beruhigen, blieben erfolglos, ja,
als Dithmar versuchte, in die Hausthür zu
treten und zu der Menge zu sprechen, wurde er
mißhandelt und scharf nach ihm geschossen, sodaß
er sich nur durch schleunige Flucht retten konnte.
Endlich gelang es den in der Stadt einqnartirten
Reitern in das Schloß einzudringen und das
Volk zu zerstreuen, Dithmar aber begab sich
mit Conradi, der nur einen ganz kleinen Trupp
seiner Reiter zurückließ, um mündlichen Bericht
zu erstatten, nach Kassel, wo er im König von
Preußen erkrankte. Der Generalgouverneur erlaubte
ihm zwar einstweilen in Kassel zu bleiben, die
Landesregierung aber gab ihm durch Verfügung
vom 27. Dezember auf, sich alsbald nach erfolgter
Genesung auf seinen Posten zurückzubegeben.
Diesem Befehl konnte er jedoch nicht nachkommen,
da sich seine Krankheit in Folge der übelen Nach-
richten aus Wolfhagen verschlimmert hatte. Dort
war nämlich nach seiner Abreise das Landvolk
wieder erschienen, hatte im Verein mit den Bürgern
und Soldaten das Nathhaus und das Amthaus
gestürmt, die dort aufbewahrten Gewehre geraubt
und sich dabei an Dithmar's Kindern dermaßen
vergriffen, daß diese Haus und Hof verlassen und
einzeln flüchten mußten, um sich vor der Volkswuth
zu retten. Für die Zeit von Dithmar's Ver-
hinderung war der Amtsassessor Giesler, ein
sehr milder Mann, mit der Verwaltung des
Amtes beauftragt worden, was für beide Männer
zu tragischen Verwicklungen führen sollte, denen
eine dritte erlag. Als die Eingesessenen des Amts
ihren gestrengen Amtmann entfernt sahen, beeilten
sie sich, dessen Sturz durch massenhafte Anzeigen
zu vollenden; diese Anzeigen mußte Giesler
selbstverständlich entgegen nehmen und weiter geben.
Dithmar, der sich unter der bestimmten Ver-
sicherung, daß alle Anzeigen gegen ihn grundlos
seien, vergeblich um eine Oberamtmannstelle be-
worben hatte, wurde ohne Gehaltsbezug snspendirt
und ein Verfahren wegen eines in den wegen
seines plötzlichen Abgangs nicht von ihm selbst
seinem Nachfolger überlieferten Kassen festgestellten
Rezesses gegen ihn eingeleitet. Gleichzeitig aber
trat Giesler, dem auf seine Bewerbung
Dithmar's Stelle übertragen worden war, der
127
Dithmar'schen Familie näher und schloß mit
der ältesten Tochter, der schönen zwanzigjährigen
Philippine Dithmar (66) ein Herzens-
bündniß. Der Vater, durch alles vorhergegangene
schwer gereizt, übertrug seine Erbitterung auf den
ganz unschuldigen Giesler und verweigerte
standhaft seine Einwilligung zur Verlobung; er
ertheilte sie erst, als er nach einem Zwischen-
aufenthalt in Kassel sich in seine Heimath Homberg
zurückgezogen und nachdem sich bei seiner Tochter
in Folge der vielen schweren Erlebnisse eine
bedenkliche Krankheit eingestellt hatte. Im Februar
1808 durften die Liebenden sich endlich zu Homberg
begrüßen, aber es war zu spät. Bei Philippine
hatte sich die Schwindsucht entwickelt, und sie
entließ den Geliebten mit dem traurigen Abschieds-
gruß: Zum letzten Mal! Wenige Tage darauf,
am 15. Februar, hauchte sie ihren Geist aus.
Einer ihrer blonden Zöpfe wurde durch Vermittlung
ihres Bruders Wilhelm (65) an Giesler geschickt,
der ihn als theuere Reliquie sein Leben lang auf-
bewahrte und, als er zu Wabern als Landrath a. D.
1859 starb, sich von seiner vollkommen eingeweihten
Gattin im Sarg in die Hände legen ließ. Dithmar
erlebte nicht das Ende der gegen ihn eingeleiteten
Untersuchung, er starb bald nach seiner Tochter
am 28. April 1808 zu Homberg. Im Jahre
1812 wurde verfügt, daß sein ganzes hinterlassenes
Vermögen eingezogen werden sollte, doch ist es
entweder in Folge eines Bittgesuchs seiner Kinder,
namentlich seines in westphülische Kriegsdienste
getretenen Sohnes Karl (67) oder in Folge der
Ereignisse von 1813 nicht eingezogen oder wieder
herausgegeben, da seine Kinder sich später im
ungestörten Besitz des Vermögens befanden. Ueber
den Ausgang des Prozesses ist nichts bekannt.
Karl Dithmar's Kinder siehe 65—69.
62. Johann Wilhelm Dithmar wurde am
5. November 1757 zu Homberg geboren, studirte
die Rechte und erwarb sich am 2. März 1780
unter dem Vorsitz des Professors Johannes
Hofmann zu Marburg auf Grund einer
Disputatio juridica auspicalis de Immunitatibus
castrensibus aliisque libertatibus praecipue
in Hassia die Würde eines Lizenziaten der Rechte.
Er lebte in Homberg als Advokat und starb
daselbst unverheirathet am 12. August 1810.
63 — 64. Zwei jung gestorbene Töchter.
65. Johann Wilhelm Dithmar wurde am
20. Oktober 1783 zu Homberg geboren, studirte
die Rechte und wurde durch Verfügung vom
4. März 1807 zum Advokaten für die Aemter
Ahna, Wilhelmshöhe und Kaufungen mit dem
Wohnsitz in Kassel, später aber zu Homberg bestellt.
Durch seinen Vetter Siegmund Peter Martin,
bei dem er damals als Sekretär arbeitete, wurde
er in den Dörnberg'schen Aufstand verwickelt
und mußte nach dem unglücklichen Gefecht bei
der Knallhütte bei Kassel fliehen. Seine Schicksale
auf dieser Flucht und seinen Eintritt in das von
Kurfürst Wilhelm I. in Böhmen errichtete
hessische Truppenkorps erzählt er selbst in einem
Briefe vom 6. Januar 1810 aus Caaden au der
Eger, welchen er an seinen Oheim, den Hospitals-
provisor Rommel zu Homberg schrieb und der
nur auf Umwegen an seine Bestimmung gelangen
konnte, *) wie folgt:
„Nach jener unglücklichen Affaire bei der Knall-
hütte flohen ich, M(artin)^ und v. W(olff)
über Naumburg in's Waldeck'sche, gingen bei
Münden über die Fulda und nahmen unsern
Weg die Werra entlang nach der sächsischen Grenz-
stadt Berka zu. 3) Wir erreichten glücklich die
Grenze nach mancher in Wäldern und Klüften
unter freiem Himmel zugebrachten Nacht und
mancher bei Passirung eines Dorfes ausgestandenen
Angst, ohne daß wir einem Gendarm oder einem
sonstigen Diener der heiligen Hermandad ansichtig
wurden. In Berka ging es mit Extrapost über
Eisenach, Langensalza, Tennstedt und Halle. Hier
hatte Schill einige Tage zuvor sein Wesen ge-
trieben, indessen konnten wir ihm nicht folgen,
weil er schon weit weg marschirt war. In Halle
trafen wir zwei Unglücksgefährten, v. D(alwigk)
und v. E(schwege), die aber dem Schill
nachgingen. Von Halle fuhren wir nach Dessau,
mußten aber auf Wittenberg, weil Schill die
Elbbrücke bei Dessau zerstört hatte. Bei Wittenberg
mußten wir verteufelte Aengste ausstehen. Weil
Schill hier die Elbe passirt hatte, so war ein
Truppenkorps von Sachsen da zusammengezogen.
Ueberall mußten wir durch Vedetten durch.
Wittenberg ist bekanntlich eine sächsische Grenz-
’) Auszugsweise ist dieser Brief iu den Nummern 202
und 204 der hessischen Morgenzeitung zu Kassel vom 13.
und 14. Mai 1887, wenn auch mit vielen sinnentstellenden
Druckfehlern abgedruckt, auch vom Verfasser dieser Familien-
geschichte zu einem Vortrag im Verein für hessische Geschichte
und Landeskunde zu Kassel am 8. November 1864 benutzt
worden, der dann dem kurhessischen Generalstab auf dessen
Wunsch abschriftlich überreicht wurde.
2) Die Namen werden, soviel es möglich ist, ergänzt
wiedergegeben.
3) Auf dieser Flucht, wo unter anderen! der Pfarrer
Koch zu Wolferode die Flüchtigen beherbergte, erlitt
Dithmar auch große materielle Einbuße. An einer
anderen Stelle schreibt er darüber: „Am 23. April v. I.,
wo wir in jener unglücklichen Nacht nach Kassel marschirten,
gab ich meinen Mantelsack, worin unter anderen gegen
150 Thaler in Gold und Silber lagen, einem Mann
Namens Kaysen, einem Maurer aus dem Bamberg'schen.
der zu Lenderscheid wohnt. Nach der Retirade konnje ich
mich natürlich nicht weiter darum bekümmern."
128
festung gegen Preußen zu. Ohngeachtet unser
Paß durchaus unrichtig war, so kamen wir dennoch
— mirabile dictu — glücklich wieder zur Stadt
hinaus. Von da gings in's Preußische über
Trenenbrietzen, Zehlendorf, Potsdam nach Berlin.
In Berlin mußten wir beinahe vier Wochen
bleiben; Theils weil sich hier täglich neue Flüchtlinge
einfanden und wir alles gemeinschaftlich unter-
nehmen wollten, Theils weil wir erst aus die
Rückkunft des nach Schill gesandten Abgeordneten
warteten, Theils auch, weil man beinahe für
gewiß glaubte, Preußen werde mit Oesterreich
gegen Frankreich sich verbünden. Indessen er-
folgte Schill' s Niederlage, Preußen blieb ruhig,
und wir selbst mußten auf eine baldige Retirade
ans Berlin bedacht sein, da es leicht möglich war,
daß die Spione des französischen und westphälischen
Gesandten unsern Aufenthalt einmal auskund-
schaften möchten und alsdann Preußen uns ans
jeden Fall ausgeliefert haben würde. Ich und
ein preußischer Major erhielten vom österreichischen
Gesandten Pässe als österreichische Kuriere und
Geld, desgleichen auch Depeschen an den Erzherzog
Karl, den Staatsminister Graf Stadion und
andere hohe Personen. Damit versehen, reisten
wir beide von Berlin bei Tag und Nacht als
Kuriere durch Preußen, Schlesien, Mähren und
Oesterreich nach Wolkendorf, wo damals Franz II.
sein Hoflager hatte, und nach Wagram, wo das
österreichische Hauptquartier war. Wir wurden
gut empfangen, erhielten selbst zur Reise nach
Wagrain eine kaiserliche Equipage und lebten
übrigens gut, da es uns an Geld nicht fehlte.
Damals stand das Freikorps des Herzogs von
Braunschweig mit den Oesterreichern in Dresden,
und da ich wie alle meine Kameraden gesonnen
war, mich bei diesem engagiren zu lassen, so
reiste ich mit dem Obersten v. D(örnberg),
den ich in Wagram traf, über Prag nach Dresden
zu. In Prag traf ich den damaligen Rittmeister,
nunmehrigen Major v. B(aumbach), ich sah
das neu geworbene kurhessische Freikorps, welches
aus Husaren, Dragonern, Grenadieren, Garden,
Jägern, Füsilieren und Artillerie bestand und
ließ mich engagiren. Wie ich zu dem Ende zum
Kurfürsten ging und meinen Namen nannte, er-
innerte er sich augenblicklich meines Vaters und
fragte gleich, ob ich dessen Sohn sei. Er wollte
mich nur zum Unterleutnant bei den Jägern
machen, indessen ich wollte bei die Husaren, und
da ich auf seine Frage, ob ich Pferde und Geld
zur Equipage hätte, nein antwortete, so mußte
ich vor der Hand Junker werden; denn mir
oder einem meiner Kameraden, die doch alles auf-
geopfert und verloren hatten, Geld vorzuschießen,
dazu ist er viel zu geizig. *) Ohngeachtet nun bei
seinem Korps viele Verbesserungen angebracht
waren, indem z. B. die Infanterie statt der ehe-
maligen Hüte französische Tschakos und graue
Chenillen,* 2) auch die Dragoner österreichische Helme
und österreichischen Schnitt tragen, so ist der
Kurfürst doch immer noch der alte erbärmliche
Hecht; unter anderm mußten seine Soldaten, so
lange sie wenigstens in Prag auf der Parade
waren, die alten infamen Zöpfe tragen. Acht
Tage nach meinem Engagement marschirten wir
aus Prag in das Feld, ein Theil des Korps
stand schon im Felde und damals in Dresden.
Gott weiß es, welche sonderbaren Gefühle meine
Brust durchglühten, wie wir unter fliegenden
Fahnen und klingendem Spiele aus der Stadt
marschirten. Wenn ich so ein Jahr nur zurück-
dachte, wo ich noch Advokat und nun ein Husar
aus mir geworden war!. Dazu kam bei den
großen Fortschritten, welche die Oesterreicher,
Braunschweiger und Hessen in Sachsen gemacht
hatten, der beseligende Gedanke, in wenigen Wochen
ziehen wir so siegreich in Kassel zum Frankfurter-
Thor ein! Ich mag und darf an alle diese zer-
trümmerten Hoffnungen gar nicht zurückdenken.
Es ist in der That schrecklich niederschlagend!
Wenige Wochen hernach wurde ich dann Cornet
oder, wie es nach der österreichischen Ordonnanz
heißt, Unterleutnant. Wir marschirten in's Bay-
reutische, machten einen Theil des 11. Armee-
korps aus und standen unter dem Oberbefehl des
Feldmarschalls K(ienmayer). Bei der bah-
reutischen Stadt Berneck stand der Feind, aus
Franzosen und Bayern unter dem Kommando
des Marschalls Ihn not) bestehend. 3) Es war-
ben 9. Juni 1809, als wir mit ihnen die
Affaire hatten. Ohngeachtet das Terrain, das
aus lauter steilen Bergen, Wäldern und Felsen
bestand, für den Feind sehr günstig war, so wurde
er doch geschlagen. Unsere Husaren standen
stundenlang unter dem feindlichen Kartütschenhagel,
aber zum Glück flogen die Kugeln über die Köpfe
weg und wir verloren nur ein Pferd. Zum
Einhauen kamen wir nicht. Gegen Nachmittag
war die Stadt Bcrneck von unseren Leuten ein-
genommen, und nun hieß es abermals: Kavallerie
vor, um den fliehenden Feind zu verfolgen. Hinter
Berneck gegen Abend setzte sich der Feind noch
y Seine Offiziers-Uniform erhielt Dithmar vom Kur-
fürsten aber doch vorschußweise; denn er schreibt weiter,
daß er dem Kurfürsten darauf noch Geld schuldig sei.
*) Mäntel.
3) Hier begeht Dithma r zwei Irrthümer, da die Bayern
nie unter Junot gestanden haben und dieser nie Marschall
gewesen ist.
V
- 129 —
einmal, die Kavallerie, die man wegen der ein-
gebrochenen Dunkelheit kaum sehen konnte, stand
uns einige hundert Schritte gegenüber, und die
Infanterie hatte sich auf einer Anhöhe en quarre
postirt. Hier wurde mir, was ich nicht leugne,
doch ein wenig bänglich ums Herz; denn so ein
quarre, das mit Kartätschen schießt, zu sprengen,
ist wahrlich gerade keine parkte de plaisir. Ich
muß aber sagen, daß ich zuletzt ganz kaltblütig
wurde. Der Kanonendonner und der Lärm läßt
einen nicht zur Besinnung kommen. Ehe jedoch
die Verstärkung ankam, die wir von der schwarzen
Legion des Herzogs von Braunschweig erwarteten,
gab der Feind Fersengeld und floh so eilig, daß
unsere hessischen Leibdragoner noch in der Nacht
die Hauptstadt Bayreut besetzten. Es war ein
mühseliger Tag. Wir hatten schon neun Stunden
marschirt, die Hitze war unerträglich und gegen
vier Uhr Nachmittags kam ein starkes Gewitter
mit einem solchen anhaltenden Regenguß, dergleichen
ich mich nicht erinnere. Viele Soldaten fielen
vor Mattigkeit und Durst todt auf der Straße
nieder. Die Nacht lag ich in einem Pferdestall
und ohngeachtet ich fürchterlichen Hunger hatte,
der aber nicht gestillt werden konnte, weil wir
auf einem ausgeplünderten, zerstörten einzelnen
Bauernhöfe lagen, so dankte ich doch dem Himmel,
nur unter ein Obdach gekommen zu sein. Tags
darauf marschirten wir zurück nach Sachsen, wo
die westphülifche Armee die Oesterreicher zurück-
gedrängt hatte und bis Plauen und Hof vor-
gedrungen war. Das Hauptquartier des Königs
von Westphalen war in ersterer Stadt. Die
Westphalen flohen aber, sobald wir ankamen, es
gab bloß Vorpostengefechte, worin wir unter andern:
einige Mann nebst einem Trompeter von der
Chevaulegersgarde zu Gefangenen machten. Viele
Westphalen gingen hier auch über. Wir standen
lange bei Plauen im Lager, und ich habe seitdem
viele Strapazen ausstehen müssen, indem ich mit
meinen Husaren entweder stets auf Patrouille
ging oder die äußersten Pikets nach dem west-
phälischen Lager zu hatte. Jedoch bin ich mit
ihnen niemals handgemein geworden. Bald darauf
erschien der unglückliche Waffenstillstand und wir
marschirten an die böhmische Grenze zurück. Wäre
dieser nicht gekommen, so waren wir ohne Zweifel
in Hessen. Gleich nach dem Waffenstillstand wurde
ich mit vierundzwanzig Husaren als Vorposten
an die bayrische Grenze, sechszehn Stunden von
Nürnberg und Amberg, detachirt, wo ich bis zum
unglücklichen Frieden stand. Was die Nachricht
von dein geschlossenen Frieden für ein Donnerschlag
für uns, namentlich für uns geborene Hessen war,
ist keines Ausdrucks fähig. Wir hatten gewiß
darauf gerechnet, daß der Kurfürst, wenn auch
nicht seine vorigen Staaten wieder erhalten, doch
wenigstens anderswo entschädigt werden würde,
namentlich sagte man, würde er Ansbach und
Bayreut erhalten. Aber so wurden auf einmal
alle unsere Hoffnungen und Aussichten so gut wie
zertrümmert und der Weg zur Rückkehr in's
theure geliebte Vaterland so gut wie abgeschnitten."
(Schluß folgt.)
------—S-JS6-S—------
Die schwarze Wühle.
Eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidennrüller.
(Schluß.)
r sah sie an, als müsse er sich ihr Bild für
alle Zeit einprägen. Ein Abschiedswort hervor-
zubringen war ihm nicht möglich. „Wenn's
noch eine Barmherzigkeit im Himmel giebt —" stam-
melte er endlich. Dann riß er sich los. Ein leiser
Ruf hallte ihm noch nach: „Julian, bleib' gut!"
dann war er um die nächste Straßenecke gebogen
und eilte in Nacht und Nebel dem Wege zu, der
ihn durch Wald und Wiese zu der trostlosen
Heimath führte, die ihm die verödete Herrenmühle
bot. Er war darauf gefaßt, sie leer, finster und
bis auf das eintönige Rauscheil des Mühlbachs
todtenstill zu finden. Wie erstaunte er daher, als
er ihr näherkommend, bemerkte, daß sich trotz der
späten Stunde Lichter darin hin- und herbewegten,
daß Schritte auf dem Hofe, Stimmen im Hause
klangen. Sein Erstaunen sollte sich bald in
etwas anderes, schlimmeres verwandeln. Als er
sich anschickte, seine Schwelle zu überschreiten, um
zu erforschen, wer die unberufenen Gäste in seinem
Heimwesen seien, legte sich eine schwere Hand aus
seine Schulter: „Im Namen des Gesetzes, Ihr
seid verhaftet!" Und kaum eine halbe Stunde
später, der Nachtwächter im Dorse verkündete
gerade, daß es drei Uhr sei, verließ er in Be-
gleitung von zwei Gendarmen die Mühle, ein
130
gefesselter Gefangener, angeklagt, am letzten Abend
den Markus erstochen und in den Mühlgraben
geschleudert zu haben.
„Es ist gar kein Zweifel, daß er's gewesen
ist," sagte der Mauerhofer, als es Tag wurde,
zu seinem Nachbar, der dabei gewesen war, als
sie die Leiche fast an derselben Stelle gefunden-
hatten, an der man wenige Wochen vorher
Julians Nater hervorgezogen hatte, „es ist
gar kein Zweifel, und ich bin nur froh,
daß Engelburg nichts mehr davon erfährt, sie
wäre sonst im Stande und nähme den ver-
wünschten Kerl in Schutz." Und wie der Mauer-
hofer sprach, so hieß es im ganzen Dorf, in der
ganzen Umgegend, als der Vorfall bekannt wurde.
Julian hatte seinem Haß gegen den Markus ja
allzu oft, allzu leidenschaftlich Ausdruck gegeben.
Und es fehlte wenig, so hielt sich Julian selbst
für den Mörder seines habgierigen Gläubigers.
Es verbanden sich ja auch alle Umstände, die
ihm das Verbrechen zur Last legten, miteinander
wie die Glieder einer wohlgefügten Kette. Am
Nachmittag war Markus bei ihm und ein ge-
rade Mehl abholender Bauer Zeuge gewesen, daß
Julian die heftigsten Drohungen gegen ihn aus-
gestoßen hatte. „Ich sag' Dir, Du mußt die
gefälschten Schuldscheine zerreißen, mit denen Du
uüch aus der Mühle treiben willst!" hatte er
ihm zugeschrieen, und als Markus darauf mit
höhnischem Grinsen zur Thür geschritten war,
hatte er ihiu die geballten Fäuste vorgehalten:
„Zum letztenmal rath' ich Dir: besinn Dich und
nimm, was ich Dir geben will, noch weißt Du
nicht, was für eine Kraft und was für ein
scharfes Messer ich habe." Dann hatten ihn
mehrere Leute dem Walde oberhalb der Mühle
zueilen sehen, unordentlich angezogen, mit ver-
störtem Gesicht, zwei Stunden später war Mar-
kus denselben Weg gewandert, einem schrecklichen
Ende entgegen, denn wiedermu zwei Stunden später
war er mit dem Mühlbach zum Dorf zurückgekehrt,
ein langes scharfes Taschenmesser in der Brust,
seiner Brieftasche beraubt, und der Kreisarzt, der
mit den Herren vom Gericht zusammen eintraf,
hatte konstatirt, daß der Tod nicht in Folge des
Stiches, sondern durch Ertrinken, und ungefähr eine
Stunde vor Auffindung der Leiche eingetreten sei.
Aber wenn der Todte auch kein Wort mehr sagen
konnte, „der Herrenmüller hat's gethan!" stand
doch für fast sämmtliche Umstehende auf seinen
starren Lippen geschrieben. Und was sie lasen,
das sagten sie den Gerichtsbeamten, und auch
diese zweifelten kaum daran, als sie die Mühle
leer fanden, und als endlich Nachts zwischen zwei und
drei Uhr Julian anlangte, blaß, krankhaft erregt,
mit frischen Blutspuren an Rock und Weste. Er
erklärte diese im ersten Verhör damit, daß er
im Wald mit dem Kopf auf einen Stein ge-
fallen sei und davon Nasenbluten gehabt habe.
Das glaubte aber der Amtsrichter nicht, und
noch weniger glaubte er, daß ihm bei derselben
Gelegenheit sein Taschenmesser abhanden gekommen
sei, welches er vorweisen sollte und nicht konnte.
Doch wenn auch vieles gegen den jungen Müller
zeugte, am verdächtigsten machte ihn doch eins:
Wie heftig er betheuerte, den Markus seit der Unter-
redung vom Nachmittag nicht gesehen zu haben,
er gestand nicht ein, was er von jener Zeit bis
zu seiner Rückkehr in die Mühle gethan habe.
„Es war nichts Schlechtes," antwortete er auf
alle diesbezüglichen Fragen mit niedergeschlagenen
Augen, „aber ich kann es nicht sagen, und ich
will cs nicht sagen." —
Und wie genau er wußte, daß diese Antwort
verhängnißvoll für ihn war, er wiederholte sie
dennoch mit stets gleicher Energie an jedem der
acht Tage, die er nun schon in der engen ver-
gitterten Zelle des Untersuchungsgefängnisses saß.
Wiederholte sie leise und laut, war doch der
einzige Lichtstrahl für sein verdüstertes und ver-
bittertes Gemüth der Gedanke: Engelburg fährt
jetzt auf dem weiten Meer, und sie weiß nichts
von dem, was die Menschen über mich reden.
Daran, daß sie doch über kurz oder lang erfahren
werde, was ihm begegnet sei, dachte er nicht und
auch nicht daran, daß es ihr ein ewiger Vorwurf
sein werde, wenn sie erfahre, daß er sich um
ihretwillen nicht besser vertheidigt habe. Es kam
ihm auch nicht in den Sinn, daß ja Engelburgs
alte Base ebenso gut wie diese selbst für feine
Unschuld eintreten könne. Hätte nicht das Eine
seine lebensmüde zerquältc Seele noch aufrecht
gehalten: sie, die mich lieb hat, soll nicht noch
einmal durch mich in Leid und Noth gerathen, er
hätte überhaupt nicht gewußt, wozu er noch auf
der Welt sei, warum er nicht seinem armen
Vater nach und in das dunkle Jenseits hinüber-
gehe, in dem es doch kaum schlimmer für ihn
werden konnte, als es in den letzten Wochen ge-
wesen war, und nun immer weiter sein mußte. —
Wo aber war die, um derenwillen er sich für
einen Mörder halten ließ? Schwamm sie wirklich
schon auf dem öden Weltmeer? Engelburgs Reise-
plan hatte in Bremen eine unvorhergesehene
Aenderung erfahren. Die Gespielin aus ihrem
Dorfe, welche dort an einen Hausbursch ver-
heiratet war, und bei der sie einen Tag hatte
bleiben wollen, ließ sie nicht fort. „Wenn Du
erst drüben bist, sehe ich Dich sobald nicht wieder,
das weiß ich schon," hatte sie gleich bei Engel-
131
burgs Ankunft gesagt, „unter vierzehn Tagen
gebe ich Dich also nicht wieder los," und als
das Mädchen hatte Einwendungen machen wollen,
war sie zornig geworden: „Meinst Du etwa,
mein Peter verstände nichts vom Reisen? lind
der sagt, in vierzehn Tagen kämst Du ebenso
gut nach Amerika wie übermorgen, er werde
schon für alles sorgen." Da hatte sich Engel-
burg gefügt, ja sie hatte noch am ersten Abend
ihrer Gespielin anvertraut: „Weißt Du, wie mir
ist? Als müsse es so sein, daß ich noch eine
Weile länger in Deutschland bleibe," eine Be-
merkung, zu der die Gespielin gelacht hatte: „Es
muß auch so sein, Du Siebengescheite, es muß
alles sein, was ich haben will."
Aber schon nach acht Tagen wurde der Engel-
burg eine andere Bestätigung dafür, daß es habe
„sein müssen." Peter kam aus dem großen
Kaufmannsgeschäft, in dem er diente, mit einer
Zeitung nach Hause. „Was sagt ihr dazu, wenn
ich euch etwas aus euerm Dorfe zum besten
gebe?" und er entfaltete das Blatt und las
etwas holperig und langsam, aber gerade darum
recht verständlich: „M. den 20. September.
Unser Dorf wurde vorige Nacht durch eine grause
Unthat erschreckt. Der in unserer ganzen Gegend
wohlbekannte Handelsmann Markus wurde von
mehreren aus dem Wirthshaus heimkehrenden
Bauern mit einem Messer in der Brust im
Mühlbach aufgefunden. Alle Wiederbelebungs-
versuche waren umsonst. Als Mörder bezeichnet
wird der Müller I. S., welcher, wie man hört,
in sehr zerrütteten Verhältnissen lebt. Er ist
deshalb auch als des Verbrechens dringend ver-
dächtig, bereits gefänglich eingezogen worden."
„So etwas schreibt wohl euer Schulmeister?"
fügte der Hausbursch hinzu, als er fertig gelesen
hatte. Er erhielt keine Antwort, und als er
verwundert darüber aufsah, gewahrte er, daß seine
Frau die Schürze vor die Augen hielt, und daß
aus Engelburgs Gesicht jeder Blutstropfen ge-
wichen war. Er sollte sich bald noch mehr über
die außerordentliche Wirksamkeit des kurzen Be-
richtes wundern. Schon eine Stunde später mußte
er Engelburg zum Bahnhof begleiten und ihr
eine Fahrkarte lösen, nicht nach Bremerhaven,
sondern zurück in die kaum verlassene Heinmth,
und das Mädchen sagte abschiednehmend zu ihm:
„Peter, das lohn' Dir Gott, daß Du uns die
schlimme Geschichte vorgelesen hast." „Ich bin
doch sonst nicht gerade dumm," meinte er darum
auch kopfschüttelnd am Abend, „aber was die
Engelburg dabei hat, daß sie des gefangenen
Müllers wegen noch einmal heimreist, das be-
komme ich nicht heraus." Worauf seine Frau
mit einem Seufzer antwortete: „Das ist schon
zu begreifen, aber ob es ihr und ihm etwas
nützt, daß sie es thut, das bekäme auch ich für
mein Leben gern heraus."
Es giebt keine bessern Thaten als die, welche
der Mensch ohne den geringsten Zweifel vollzieht.
Engelburg kam auf der Fahrt von Bremen bis
in die Kreisstadt ihrer Heimath nicht einmal der
Gedanke in den Sinn, Julian könne vielleicht
doch der Mörder des Markus sein. Er hatte ihr
gelobt, ihm nichts anzuthun, als was er vor ihr
verantworten könne, so stand es für sie ganz
außer Frage, daß er unschuldig war. Und so
gab es auch keine zwingendere und heiligere Pflicht
für sie, als die, ihn von dem Verdachte zu reinigen,
der auf ihm lag. Wie? das wußte sie fürs
erste selbst noch nicht, aber ebenso frei wie von
dem leisesten Mißtrauen gegen Julian war sie
von irgend welcher Besorgniß um ihr eigenes
Ergehen. Sie war schüchtern von Natur; als
sie wenige Monate zuvor in einer Erbschaftssache
vor Amt zu erscheinen gehabt hatte, wäre sie am
liebsten in die Erde gesunken aus Angst vor den
Gerichtsherren, jetzt 'dachte sie weder an diese
noch an das Gerede der Leute, das ihre Heim-
kehr hervorbringen würde. Wenn nur der Julia»
gerechtfertigt wurde, alles andere war ihr gleich-
gültig lind Nebensache. Die Klarheit und Ent-
schiedenheit, mit der Engelburg zu Werke ging,
führte sie eher zuin Ziele, als sie zu hoffen ge-
wagt hatte. Wenige Tage nach ihrer Ankunft
in der Kreisstadt wurde der junge Müller ans
der Haft entlassen.
„Irren ist menschlich," sagte der Amtsrichter
zu ihm, nachdem er ihin seine Freiheit angekündigt
hatte, „und Ihr selbst thatet das Eurige, um
den Schuldverdacht zu vermehren. Aber ich will
Euch daraus keinen Vorwurf machen, es war
brav von Euch, daß Ihr ein rechtschaffenes
Mädchen nicht in Verlegenheit bringen wolltet.
Dankt es nur diesem Mädchen recht von Herzen,
daß es so unerschrocken für Euch eingetreten ist;
grüßt die Engelburg auch von mir, wenn Ihr
sie wiederseht."
Julian, der wie im Traume das Gerichts-
gebäude und die Stadt verließ, brauchte nicht
lange zu warten, bis er den Gruß des Amts-
richters ausrichten konnte. Wo an der Straße
nach M. ein Bildstock die Stelle bezeichnet, an
der sich der Feldweg zur Herrenmühle abzweigt,
saß Engelburg auf einem Steine und sah dem
Kommenden entgegen. Julian stieß einen Schrei
aus, als er sie erkannte, gleich darauf lag er vor
ihr auf den Knieen und schluchzte wie ein Kind
in ihren Schoß: „O Engelburg, Engelburg, was
hast Du für mich gethan! Giebt es beim wvhl
noch einen Menschen in der Welt, der so getreu
ist wie Du!" Sie legte ihm beruhigend die Hand
auf die Schulter.
„Es war ja nur meine Schuldigkeit, daß ich
wieder kam und Zeugniß für Dich ablegte, Du
Armer, Guter. Und nun sei zufrieden; wem
Gott so gnädig ist, wie er Dir und mir war,
dem hilft er auch weiter aus der Noth." Aber
es dauerte lange, bis Julian sich zufrieden gab.
Endlich stand er auf, faßte Engelburgs beide
Hände und sagte entschlossen: „Du hast Recht,
Gott ist uns sehr gnädig gewesen. Und darum
will ich nun auch nicht mehr an seiner Hülfe
verzweifeln. Von heute an gehörst Du mir, und
ich will den sehen, der uns noch einmal trennt."
Es trennte sie niemand mehr. Der Mauer-
hofer wollte zwar anfangs nichts davon wissen,
daß seine Schwester und der Herrenmüller nun
doch noch ein Paar werden sollten, aber einige
Ereignisse der nächsten Folgezeit stimmten ihn
um. Wenige Tage nach Julians Freilassung
wurde der wahre Mörder des Markus entdeckt
und verhaftet. In der Person eines übel-
beleumundeten Tagelöhners der Nachbarschaft, aus
den sich der Verdacht schon früher gelenkt haben
würde, wenn nicht Julian so sehr belastet er-
schienen wäre. Nun hatte eine unvermuthete
Haussuchung bei ihm nicht allein einen bedeutenden
Geldbetrag, sondern auch die Brieftasche zu Tage
gefördert, welche Markus auf seinen Wanderungen
bei sich zu tragen pflegte, und der Verbrecher
hatte, bestürzt und in die Enge getrieben, ein
umfassendes Geständniß abgelegt. Und wenn dieses
auch Julian nun nichts mehr nützte, das kam
---------4^.-
Mngstkn 1894.
Pfingsten, du das Fest der Freude
Leuchtest uns in lichtem Grün
Hochwillkommen Allen heute,
Die sich ausruh'n von den Müh'n,
Die sich sehnen nach dem Glücke,
Das auf ew'gem Grunde steht,
Die nicht schauen träg zurücke,
Deren Streben vorwärts geht.
Die da wandeln aus dem Pfade,
Der allein das Herz beglückt,
Wissen sich in Gottes Gnade,
Die sie schwerem Leid entrückt.
ihm doch sehr zu Statten, daß der Mörder aus
Furcht vor Entdeckung alle Schriftstücke ver-
nichtet hatte, die in der Brieftasche gewesen waren.
Denn zu diesen Schriftstücken gehörten auch die
Schuldscheine des alten Herrenmüllers, und die
Erben des Markus, denen nicht unbekannt geblieben
war, daß es Markus mit der Wahrheit in Handel
und Wandel nicht immer genau genommen hatte,
erwiesen sich geneigt zu einer billigen Verein-
barung, die ihnen Julian vorschlug.
In derselben Woche, in welcher sein kirchliches
Aufgebot mit Eugelburg erfolgte, verkaufte er
ihnen die Herrenmühle, und es blieb ihm nach
Tilgung aller seiner Schulden von der Kauf-
summe noch so viel übrig, daß er „drüben," wie
man im Dorfe sagte, etwas anfangen konnte. —
Nun sind Julian und Engelburg längst ver-
heirathet, und von ihrem Leben im fernen Westen
giebt die beste Kunde ein Brief Engelburgs an
ihre alte Base.
„Es geht uns gottlob gut hier," heißt es
darin. „Der Julian hat viel zu thun und schöne
Einnahme, und die Leute in der Umgegend halten
Alle große Stücke auf ihn, weil er so rechtlich
ist und so gern hilft. Er ist auch immer gutes
Muthes, nur manchmal im Schlaf spricht er
ängstliche Worte von seinem Vater, seiner ersten
Frau und dem Markus. Wenn dann aber
unser kleiner Traugott zu schreien beginnt,
wacht er auf, giebt mir die Hand und sagt:
„Ich hörte einmal wieder die Räder der schwarzen
Mühle klappern. Nun stehen sie still, und ich
sehe dafür, was ich jetzt für ein Glück habe.
Dem Herrn sei Dank, daß er Dich mir gab und
unsern lieben Trangott."
Ja du bist das Fest des Geistes,
Der herab vom Himmel fließt,
Fest des guten Trösters heißt es,
Drauß' uns neue Kraft ergießt.
Pfingsten, du giebst reichen Segen,
Machst, was kranket hier, gesund,
Daß sich froh die Sinne regen,
Daß lobfinget jeder Mund.
Du versöhnest, die sich trennten,
Die entzweite Haß und Neid,
Lässest zwischen Brüdern enden,
Zwiespalt und erhobenen Streit.
133
In dir ward geschenkt, was fehlte,
Da das Herz sich nach gesehnt.
Wer ist, der die Gaben zählte?
Wer, den nicht das Fest versöhnt?
Hoffnung, Liebe wird und Glaube,
Unserm Geiste neu erweckt,
Und gesichert vor dem Raube
Bleibt der Seele Zug versteckt.
Sei uns Pfingstfest hochwillkommen,
Daß sich Alt und Jung erfreu',
In des Geistes Licht entglommen,
Werde, was veraltet, neu!
Schweige Weh und schweiget Klagen,
Heute soll der Glockenschlag
Hochgefühl und Freude tragen
In die Welt soweit er mag.
H. ?>>. I.
Ienz in dkk Hrrmde.
Wie meint's die liebe Sonne gut!
Zwar kraust der Wind die blaue Fluth
Des Wiesenwassers, doch im Grün
Seh ich das erste Blümlein blühn.
Die Spitzen roth — ein weißer Stern —
Ich hab' dich, Gänseblume, gern.
Gemahnet doch dein Farbenschein
Mich der geliebten Heimath mein!
Ja weiß und roth, ja roth und weiß!
Welch' Hessenherze pocht nicht heiß,
Sieht's diese Farben ans der Au
Im fremden Lande — kahl und rauh!
K. -Kattoft.
Es saust der Wind, es brüllt die See,
Im blassen Mondlicht glänzt der Schnee. —
Sie schreiten stumm den Pfad empor,
Nur Rabenkrächzen hört ihr Ohr,
Und der Wind, der Wind weht schaurig.
Sein Antlitz glüht, sein Haar ist wirr,
Es schaut sein Auge müd' und irr;
An seiner Seite geht das Weib,
Im Purpurkleid den schlankeu Leib —
Der Wind, der Wind weht schaurig.
„Die Bahn wird steil, der Weg ist lang,
Mir wird um's Herz so angst und bang,
Mir wird um's Herz >vie lauter Glut,
Bor meinen Blicken schwimmt's wie Blut."
„Das ist nicht Blut, was vor Dir loht,
Das ist mein Haar, wie Gold so roth,
Es flattert lustig immerzu —
Bald findeu wir im Thale Ruh,
Nur der Wiud, der Wiitd weht schaurig."
„Die Bahn ist steil, der Weg ist lang,
Mir klingt's im Ohr wie Todtensang,
Wie Grabgelünte dumpf und hohl —
Das tönt für mich — ich weiß es wohl -
Der Wind, der Wind weht schaurig."
„Kein Läuten ist's, was die Nacht durchzieht,
Es singt der wandernde Schwan sein Lied
Schmieg' fest Dich an — so warm, so warnt
Schläfst Du nun bald in meinem Arm. —"
„Der Weg ist steil, der Weg ist weit —
So grausig raunt's an meiner Seit',
Es lugt durch's Dunkel starr und hohl -
Der König ist's — ich weiß es wohl —
Und der Wind, der Wind weht schaurig."
„Der Köuig schläft für alle Zeit -
Ich bin's, ich geh' an Deiner Seit',
Dein ist das Reich nun, Dein die Krott',
Ich selbst, ich bin der süße Lohn."
„Ich schlug ihn todt, Du falsches Weib,
Ich schlug ihn todt um Deineit Leib,
Mein ist die Sünde riesengroß,
Die läßt mich nimmer, nimmer los —
Du hast mich selbst bethört, verlockt —
Mein Herz wird Eis — mein Lebeit stockt —
Es gähnt die Schlucht, der Sturmwind braust —
Flieh, wenn Du kannst — mir graust — mir
graust —
Der Wind, der Wiitd weht schaurig."
Er sinkt in's Knie am Felsenrand,
Im leeren Dunkel sucht die Hand —
Sie tritt zurück, sie schaudert leis',
Sein Angesicht blickt bleich und weiß. —
„Ich schlug ihn todt um Deinen Leib —
Er war mein Herr, und Du sein Weib
Es tobt um mich und heult und saust —
Ich kann nicht mehr — mir graust — mir
graust.
„Laß' alles ruhen, was geschah .. .
Ich seh' das Ziel, es winkt so nah —
Mein Leib ist jung, tnein Mund ist roth,
O süß das Leben, herb der Tod!" —
Der Wind, der Wind weht schaurig.
„Ich kann nicht mehr, ich will nicht fort —
Mein Messer trieft vom Königsmord —
Die Nacht ist kalt — mit starker Faust
Packt mich die Schuld — mir graust — mir
graust —
Der Wind, der Wind weht schaurig."
Sie reißt entzwei ihr Purpurkleid,
Es glänzt und gleißt ihr Goldgeschmeid,
Es glänzt und gleißt der junge Leib,
Und lächelnd harrt das schöne Weib, —
Sie schlingt um seinen Hals den Arm,
Sie küßt mit Lippen roth und warm,
Er fühlt den Hauch von ihrem Mund,
Er fühlt sein Herz zu Tode wund.
Sie fleht so süß, sie lockt so heiß,
In ihren Augen glänzt das Weiß ...
„Ach, daß ich Dich liebte, sündiges Weib —
Verloren, verloren Seel' und Leib!"
Eiil geller Schrei durchhallt den Schacht . ..
Dann wieder tvdtenstille Nacht,
Der Schnee nur wirbelt noch vom Riff
Ilnd oben tönt ein Geierpfiff,
Und der Wind, der Wind weht schaurig.
Hcorg Edward.
Aus ulter und neuer Jett.
Die tapfere Haltung der Hessen anno 1792
uub in den folgenden Jahren ist stets von Freund
und Feilld anerkannt worden. Damals, als der
soldatische Geist in Deutschland im Rückgänge
begriffeil und insbesondere die Armee Friedrichs
des Großen verzopft und verknöchert war, leuchteten
die Hessen in den Feldzügen gegen Frankreich
durch ihre glänzenden militärischen Eigenschaften
hervor. Ein gewiß kompetenter Beurtheiler, der
preußische General Valentini, nannte die Hessen
von 1792 „ein mitten im Verfall der deutschen
Truppen stehengebliebenes Musterbild." Sie hatten,
wie er sagt, den meisten Soldatensinn und über-
trafen darin die Preußen. Als General van Helden
in Frankfurt gefangen genommen worden war,
zollte er in seiner dienstlichen Schrift der Tapferkeit
seiner Feinde die höchste Anerkennung. Er nannte
sie „über alles Lob erhaben" :md schrieb: „Sie
(die hessischen Truppen) wahrten in ausgezeichneter
Weise den Ruhm ihrer Waffen und entfalteten
vor den Augen Europas jene Kraft und jenen
Charakter, die in der römischell Geschichte den
Widerstand bezeichnen, den die Chatten, ihre Nor-
sahren, den Besiegern des Erdkreises entgegen-
setzten." — Bekanntlich wurden bei Nauheim von
Honchard einige hessische Offiziere und Soldaten
nach heldenmüthiger Gegenwehr gegen eine vier-
134 —
zehnfache Uebermacht gefangen. Der „Göttinger
Revolutionsalmanach" von 1794 berichtet dazu:
„Custine kündigte den Offizieren selbst in fran-
zösischer Sprache die Freiheit an; „wir sind deutsche
Offiziere, sagten sie, wir sprechen kein Französisch!"
ilnd der Franken-General mußte sich herablassen
Deutsch mit ihnen zu reden. Bei den Gemeinen,
wurden alle Jakobinerkniffe der Untreue und Ab-
spannung versucht, aber vergebens. „Wir sind
Hessen, gaben die ehrlichen Krieger zur Antwort,
und bleiben Hessen." Dieselbe Zeitschrift theilt
nach der Eroberung Frankfurts mit: „Ein Kaiser-
licher Offizier, der durch Frankfurt reiste, umarmte
einen Hessischen Grenadier aus der Straße, „laß
Dich umarmen, Kamerad! Du bist der erste von
den braven Hessen, den ich zu Gesicht bekomme! —
Der alte Jahn, bekanntlich ein Anhänger des
Einheitsstaates und ein Gegner der „Bölkleinerei",
wie er sich ausdrückt, schrieb doch in der Vorrede
zu seinem „Volksthum" über unser engeres Vater-
land : „Hessen, schon gegen Römer das Deutsche
Vorland, wäre wahrscheinlich auch in den
Revolutionsjahren Deutschlands Rettungsvolk ge-
worden, hätte es so viele Millionen gezählt, als
Hunderttausende; oder nur zwischen Main und
dem Westerwald am Rhein eilte feste Grenze
gehabt." — a.— *
Ein Freund unseres Blattes schreibt uns: An
die Hessen, die im Ausland wohnen, möchte ich
eine Mahnung richten. So fest und treu der
Hesse an seiner Heimath hängt, so unterläßt er
es doch oft, dieses sein Heimathgesühl nach außen
hin zu bethätigen. Vielleicht aus Lässigkeit, viel-
leicht auch, weil er fürchtet, daß man ihm den
Vorwurf des „Partikularismus" mache. Ich finde
nun, was letztern Punkt angeht, nichts schöner
und gerade der nationalen Sache dienlicher, als
die Stammesgemeinschaft und die Liebe zum
engern Vaterlande zu pflegen. Wenn sich — wie
das ja erfreulicher Weise geschehen ist — in
Berlin unsere hessischen Landsleute zusammenthnn,
um die Erinnerung an die alte Heimath wach
und stark zu erhalten, so ist das echt deutsch und
verdient alles Lob. Sollte aber selbst einmal Einer
darüber spotten, so verschlägt das nichts und wir
können es ihm heimgeben. Denn wir schämen
uns unseres Hessenthums nicht, auch nicht, wenn es
klein und arm und rauh gescholten wird, so wenig
wir uns unserer Eltern schämen würden, wenn sie
etwa in Niedrigkeit und Armuth gelebt Hütten.
Auch politische, religiöse und gesellschaftliche Unter-
schiede sollten kein Hinderniß bieten, bieten es
auch in der That nicht, denn die Fremde rückt
uns näher und selbst ein Regierungsrath fühlt
vielleicht eine Saite im Innern erklingen, wenn
er die .Laute seines, hessischen Heimathsstädtchens
— sei es auch nur aus dem Munde eines biederen
Handwerkers — vernimmt. Unsere Landsleute
sollten daher überall da, wo sie in erheblicher
Zahl beieinanderwohnen, sich zusammenthun und
„Hessenvereine" gründen. Als das natürliche mid
berufene Organ dieser Vereine wäre das „Hessen-
land" zu betrachten, das wie kein anderes Blatt
geeignet ist, den in der Fremde lebenden Hessen
mit dem Boden zu verknüpfen, wo seine Wiege stand.
Wir hoffen, daß diese Anregung nicht auf ganz
unfruchtbaren Boden fällt und es würde uns
freuen, wenn andere Landsleute insbesondere im
Auslande lebende — ihre Meinung dazu sagen wollten.
Ein treuer Kurhesse.
Aus Heimat!) und Fremde.
Der Hanauer Bezirksverein für hessische
Geschichte und Landeskunde hielt am Montag,
den 1. Mai Abends seine Jahresversammlung
ab, die einem Berichte des „Kass. Tagbl." zufolge
ziemlich zahlreich besucht war. Aus dem durch den
Sekretär des Vereins, Herrn vr. meck. Eisenach,
erstatteten Jahresbericht ist hervorzuheben, daß die
Bemühungen des Vereins, größere zweckentsprechende
Räume für sein beachtenswerthes Museum in dem
vormaligen hiesigen Regierungsgebüude zu erhalten.
Dank dem bereitwilligen Entgegenkommen der
Königlichen Staatsbehörden zu einem befriedigenden
Abschluß geführt haben. Ferner ist es dem Vor-
stande gelungen, daß die bei der Ausbaggerung
der Römerbrücke über den Main zu Tage geför-
derten römischen Alterthümer in dankenswerther
Weise dem Museum des Vereins überwiesen worden
sind, wodurch dasselbe eine werthvolle Bereicherung
erfahren hat. Die Thätigkeit des Vereins wurde
im verflossenen Jahre schon vielfach durch Vor-
bereitungen für das im Juli oder August d. I.
stattfindende Jubiläumsfest seines 50jährigen Be-
stehens, mit welchem gleichzeitig die Jahres-
versammlung des hessischen Geschichtsvereins ver-
bunden wird, in Anspruch genommen. In Folge
dessen wurden nur in vier Monatsversammlnngen
Vorträge gehalten: Herr Landgerichtsprästdent
Koppen reserirte über die „Schlacht bei Hanau 1813",
Herr Stadtbaumeister Leers erörterte vom technischen
Gesichtspunkte ans die „Römerbrücke über den
Main" und Herr Akademielehrer Zimmermann
berichtete in zwei Versammlungen über die „Juden
in Hanau", vorzugsweise in kulturhistorischer Be-
leuchtung. Als Festschrift für die Jubiläumsfeier-
soll eine illustrirte Geschichte der Grafen Hanaus
erscheinen, zu deren Herstellung vom Staat und
von der Stadt Hanau je 500 Mark verwilligt
worden sind. Als erfreuliche Thatsache erwähnt
der Jahresbericht noch den ansehnlichen Zuwachs
von 40 Mitgliedern, dem eine Abnahme von
14 Mitgliedern gegenübersteht. Der alte Vorstand
wurde durch Zuruf belassen und auf Wunsch
desselben als siebentes Mitglied Herr Pfarrer Neßler
gleichfalls durch Zuruf neugewählt. Hierauf hielt
Herr Professor Dr. Wolfs aus Frankfurt a. M.,
Mitglied der Limesforschungskommission, einen
1 '/2 stündigen Vortrag über die Ergebnisse der
unter seiner Leitung ausgeführten letzten römischen
Forschungen bei Hanau und über die Fundstücke
bei der Römerbrücke. Die Forschungen erstreckten
sich aus mehrere Kastelle in der Umgegend, wie
Groß-Krotzenbnrg, Marköbel u. a., wo verschiedene
bisher noch zweifelhafte Punkte klargestellt und
gemäß höheren Orts gewordenen Auftrags auch
die Anlegung römischer Straßen besonders in
Betracht gezogen wurde. Sie führten ferner zur
Aufdeckung eines bisher noch unbekannten Kastells
bei Lagendiebach, wie auch die noch zweifelhafte
Richtung des Psahlgrabens von dort nach Marköbel
sicher festgestellt wurde. Die Fundstücke bei der
Römerbrücke bestehen aus vielen eisernen Werkzeugen,
Münzen ans der Zeit von Kaiser Vespasian bis
Septimius Severus, Schmuckgegenständen u. dgl., die
sämmtlich sehr gut erhalten sind. Die Versammlung
zollte dem Redner lebhaften Beifall.
Am 29. April beging zu Hanau der kürzlich
durch Verleihung des Professortitels ausgezeichnete
Herr Simon Etienne Jassoy die Feier seiner 25jährigen
Wirksamkeit als Lehrer an der Hanauer Königlichen
Zeichenakademie. Die Anstalt verbano hiermit
Nachmittags 3 Uhr eine Schulfeier, zu der eine
große Anzahl jetziger und ehemaliger Schüler und
Schülerinnen, sowie viele Freunde des Jubilars
den geräumigen Saal der Akademie gefüllt hatten.
Aus Kassel war der Herr Regierungspräsident
Gras d' Haussonville anwesend. (K. Tgbl.)
'Einem langen und schweren Leiden erlag am
6. Mai im Alter von 59 Jahren Herr Apotheken-,
besitzer Theodor Seitz in Kassel, eine bekannte
und beliebte Persönlichkeit. Der Verstorbene über-
nahm, nachdem er 16 Jahre hindurch eine Apotheke
in Treffurt in Thüringen innegehabt hatte, im
Jahre 1882 die früher im Besitz des Herrn
Apotheker Kalkhoff befindliche, damals unter dem
Namen „Hygiaea" bekannte, jetzige Adler-Apotheke
an der Fuldabrücke. Seitz hat sich um die Armen-
pflege Kassels vielfach verdient gemacht, auch gehörte
er seit langen Jahren dem Vorstand der in der
Weserstraße gelegenen Kleinkinder - Bewahranstalt
an. Er war ferner langjähriger Bezirksvorsteher des
Kreises Fulda-Werra des deutschen Apotheker-Vereins.
Hessische Bücherschau.
I n der Abschieds st u n d e. Mahnworte an
deutsche Jünglinge in 25 Entlassungsreden
dargeboten von Karl L. Leimbach, Lie. theol.,
Dr. i>hil., Direktor des Gymnasiums und
Realgymnasiums zu Goslar. Zweite, ver-
mehrte Auflage. Goslar 1894. Verlag von
Ludwig Koch.
B e i in K i e n s p a n l i ch t. Geschichte ans Großvaters
Zeiten. In Odenwälder Mundart erzählt Don
Georg Volk. Offenbach a. M. 1894.
Selbstverlag des Verfassers.
Briefkasten.
Wir ersuchen alle verehrten Mitarbeiter, ihre Ein-
sendungen an die Buchdruckern von Fried r. Scheel
Kassel, Schloßplatz 4, adressiren zu wollen.
P. P. in M. (Niederhessen). Mundartliche Gedichte
sind uns, wenn sie nach Form und Inhalt für unser
Blatt sich eignen, stets angenehm. Es diene Ihnen
und anderen Lesern zur besonderen Nachricht, daß wir
der Dialektpoesie ganz besondere Beachtung schenken werden
und daher um geeignete Beiträge bitten.
C. N. in Kassel. Nach dem Manuskript wird geforscht
werden und Sie sollen sofort Nachricht erhalten.
G. Th. D. in Marburg. Brief und Manuskript
dankend empfangen.
G. K. in Gelsenkirchen. Ihre Sendung haben wir
erhalten und werden Ihnen in Bälde schreiben.
J. R. in Marburg. Wollen Sie die Güte haben, uns
das Manuskript einzusenden? Wir sind gern geneigt,
gerade solche Beiträge zu bringen.
M. in Straß bürg. Wir ersuchen Sie, uns das
Manuskript zugehen lassen zu wollen.
Inhalt der Nr. 11 des Maiheftes der „Touristischen
Mittheilungen aus Hessen-Nassau und Waldeck", heraus-
gegeben von Dr. phil. Fritz Seelig in Kassel. Wanderungen
in der Umgebung des Habichtswaldes. I. Dörnberg. —
Humor im Gebirge. — Schlösser und Burgen in beiden
Hessen, Nassau und Waldeck. II. Die Löwenburg. —
Berichte. — Anzeigen.
Inhalt der Nummer 10 des „Hessenlandes": „Auf
einer Burgruine an der Lahn", Gedicht von Carl Liebrich;
„Geschichte der Familie Dithmar", ein Beitrag zur hessischen
Familiengeschichte von Otto Gerland, (Fortsetzung); „Die
schwarze Mühle", eine Dorfgeschichte aus der Rhön von
A. Weidenmüller (Schluß); „Pfingsten 1894", Gedicht von
G. Th. D.; „Ballade", von Georg Edward; „Lenz in der
Fremde", Gedicht von H. Kattolf; Aus alter und neuer
Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau;
Briefkasten; An unsere Leser.
An unsere Leser.
f
■ in rascher unerwarteter Tod hat den Heraus-
geber und Redakteur dieser Zeitschrift hin-
weggenommen. Es war der schwerste Schlag,
der das „Hessenland" treffen konnte, als der
Mann ihni entrissen wurde, dessen reiches Wissen
und vaterländisches Fühlen dem Blatte das eigen-
artige Gepräge gab. Das wissen wir, und der
Gedanke an seinen Hingang wäre wohl geeignet,
unsern Muth sinken zu lassen und uns die Frage
vorzulegen, ob wir allein und ohne seine Führung
weiter wandern sollen.
Doch kann die Antwort nicht zweifelhaft sein.
Das eben ist Zwenger's dauerndes Vermächtniß
an uns: fortzuschaffen an dem von ihm be-
gonnenen Werke. Die mehr als sieben Jahre
seines Wirkens am „Hessenland" werden nicht
spurlos vergangen sein. Er hat der volksthümlich-
wissenschaftlichen Heimathsforschung einen Mittel-
punkt und literarischen Sammelplatz angewiesen,
der den Zufluß von allen Seiten aufnehmen
konnte; er hat auch der schönwissenschaftlichen
Produktion in unserm engeren Vaterlande eine
freundliche Stätte gewährt. Und vielleicht über
den unmittelbar erzielten Erfolgen steht das
Eine, daß er den halb eingeschlafenen Sinn für
unsere von der Vorzeit überkonunenen Güter,
für unsere Stammeskunde, Geschichte und Literatur
und überhaupt für unsere Eigenart zu wecken
und den erwachten zu stärken vermocht hat. Der
von dem Dahingegangenen ausgestreute Same ist
aufgegangen, er selbst hat die Keime sich ent-
wickeln sehen; unsere Pflicht aber soll es sein,
die junge hoffnungsfreudige Saat zu hüten und
zu pflegen. Und wenn wir die Große des eben
erlittenen Verlustes begreifen und die Schwierig-
keit, die jäh gerissene Lücke auszufüllen, so wird
uns doch stärken und leiten das Bewußtsein, daß
wir in seinem Sinn handeln, wenn wir ans dem
betretenen Wege fortschreiten.
Wir bitten die Leser und Freunde des „Hessen-
landes", in diesem Beginnen uns nach Kräften
zu unterstützen. Wir bitten aber auch, Nach-
sicht walten zu lassen, wenn zu Zeiten die kundige
Hand des bisherigen Leiters vermißt wird. Dann
vielleicht können wir hoffen, daß unser guter
Wille zur entsprechenden That wird.
Wedaklion und Vertag des „Kesteritandes".
Herausgeber: Ferd. Zwenger's Erben. Stellvertr. verantwortlicher Redakteur: Dr. D. Saul in Stuttgart.
Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 1^2—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis beträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstein & Mogler K.-H. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 11 des „Hessenlandes": „Abendnahen", Gedicht von Carl Preser; „Philipp
der Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz; „Geschichte der Familie Dithmar", ein
Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Otto Gerland, (Schluß); „Zwei Freunde", Humoreske von
D. Saul; „Der Zug des Todes", Gedicht von M. Herbert; „An die Musik", Gedicht von Sascha Elsa;
Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Kunstnachrichten aus Hessen; Hessische Bücherschau;
Briefkasten.
Abendnahen.
em N)alde winkt die Abendfeier.
Doch eh' er ganz versinkt in Ruh,
Wirkt ihm die Sonne goldne Schleier
Und deckt damit die Wipfel zu.
Dann wird es still in allen Bäumen;
Im Laubwerk zittert leise nur
Geheimes flüstern aus den Träumen
Der ringsum schlummernden Natur.
Was wohl der Waldgeist in den Moosen
Und duftgen Schatten träumen mag?
Ich glaub', — er träumt von Hrühroths-Rosen,
Die bald ihm streut der junge Tag.
Wie gleich' ich doch so ganz dem Walde,
Auf den der Abend niedersinkt;
Doch —; ob mir auf des Lebens Halde
Noch Rosenglühn entgegen winkt?
Hark preser.
- 138
Philipp der Großmüthige. Landgraf von Hessen.
1504—1567.*)
Von H. M e tz.
I.
Philipp, nachmals genannt „der Großmüthige",
wurde am 13. November 1504 auf dem
Schlosse zu Marburg als einziger Sohn
Landgraf's Wilhelm des Mittleren und seiner
Gemahlin Anna von Mecklenburg geboren.
„ . . . Der ander, Philips, ist benand,
Zu Marpurg an S. Brixen Tag,
Des Morgens nach dem fünften Schlag,
Im 1504 Jahr
Dieser Landgraf geboren war. . . ."
Nach dem int Jahre 1509 erfolgten Tode des
Landgrafen Wilhelnt wurde seinem Wunsche gemäß
Anna Vormund ihres fünfjährigen Sohnes und
Regentin. An einem Landtage am Spieß, der
alten Grenze von Ober- und Niederhessen, ver-
sammelten sich Ritter, Abgeordnete der Städte
und Prälaten mit Gesandten des verbrüderten
Hauses Sachsen. Das Vermächtniß des Land-
grafen hinsichtlich vormundschaftlicher Regierung
wurde hier für ttngültig erklärt und „zu Nutzen
und Frieden ihres Fürsten und der Landschaft"
eine freundliche Verbrüderung und Einigung
geschlossen. Anspruch auf die Regentschaft machten
geltend Anna, als Mutter des jungen Landgrafen;
Anna von Braunschweig, die sich auf die Ansprüche
ihres bisher in Spangenberg verwahrten Gemahls
berief; der Kurfürst und die Herzöge von Sachsen.
Da die meisten der versammelten Stände weib-
liche Regierung nicht haben wollten, wurde die
Obervormundschaft dem Kurfürsten Friedrich
dem Weisen, seinem Bruder Johann und den
Herzogen Georg und Heinrich von Sachsen über-
tragen. Die Fürsten von Sachsen nahmen diese
übertragene Obervormundschaft an und ernannten
Ludwig von Boyneburg zum Landhofmeister des
jungen Landgrafen; zu Regenten im Namen der
*) Rommel, Geschichte von Hessen. — Nehm,
Geschichte beider Hessen. — Baumgarten, Geschichte
Karl's V. — Kuchen becker, Analecta Hassiaca.
gesammten Landschaft wurden Heinrich von Schenk,
Kaspar voit Berlepsch, Georg von Hatzfeld, Jtel
von Löwenstein, Heinrich von Bodenhausen, Jost
von Baumbach ernannt. Die Obervormundschaft
wttrde vonr Kaiser Maximilian auf dem Tage
ztt Köln genehmigt. Diese Uebertragung der
Obervormundschaft geschah zu Mühlhausen am
10. Februar 1510.
Anna, nunmehr von ihrem sechsjährigen Sohne
getrennt, der auf dem Schlosse zu Kassel unter
Aussicht seines Landhofmeisters erzogen wurde,
lebte zu Gießen und Grüneberg, bis ihr von
den eingesetzten Regenten gestattet wurde, ihren
Wittwensitz nach Rotenburg und Felsberg zu
verlegen. Nachdem Boyneburg im Jahre 1514
sein Amt niedergelegt hatte, nahm die Land-
gräfin die Erziehung ihres Sohnes wieder in die
Hand. Vierzehn Jahre alt, wurde Philipp am
16. März 1518 vom Kaiser Maximilian für
volljährig erklärt und übernahm die Regierung
seines Landes. Bei der zu Grüneberg erfolgten
Rechnungsablage ertheilte der junge Landgraf
seiner Mutter das Zeugniß, daß sie wohl regiert
und ihn fürstlich imb ehrlich erzogen habe.
Neunzehn Jahre alt (1523), vermählte sich Landgraf
Philipp mit Christina, der achtzehnjährigen
Tochter des Herzogs Georg von Sachsen; sechs-
undzwanzig Jahre dauerte diese Ehe.
„Christinan von Sachsen geboren
Zum Ehgemahl er hat erkoren.
Eine Fürstin tugendsam und mild.
Ein auserlesenes Weibsbildt,
Gen Kassel man sie zu ihm führt.
Ein treue Lands-Mutter sie wird."
Vier Söhne und fünf Töchter entstammten
dieser Ehe, die sämmtlich von protestantischen
Geistlichen getauft wurden. Nach dem im Jahre
1553 erfolgten Tode der Landgräfin leitete Eli-
sabeth, Philipps Schwester, die Erziehung der
Töchter; die der Söhne übernahm der Land-
graf selbst. Einem jeden derselben gab er einen
139
Hofmeister und einen Lehrer. Sämmtliche Söhne
wohnten mit ihm und dem ganzen Hofstaate in
einem Schlosse zu Kassel. Die beiden ältesten,
Wilhelm und Ludwig sandte Philipp zur Ver-
vollkommnung ihrer Erziehung an den Herzog
Christoph von Württemberg, allwo sich Wilhelm,
der spätere Landgraf, mit Sabine, der dritten
Tochter des Herzogs verlobte; die Vermählung
fand zu Marburg statt. Die fünf Töchter
wurden an angesehene Reichsfürsten verheirathet;
die älteste, Agnes, vermählte sich nach dem Tode
ihres ersten Gemahl's, des Kurfürsten Moritz, mit
dem Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen; Anna
war mit dem Pfalzgrasen Wolfgang; Barbara
mit Georg von Mümpelgard; Elisabeth mit
dem Kurfürsten Ludwig VI. vermählt. Christina,
die jüngste Tochter, war zuerst verlobt mit
Erich XIV., König von Schweden. Nachdem
diese Verlobung wegen der Unbeständigkeit und
Falschheit des Königs vom Landgrafen auf-
gehoben war, verheirathete er seine Tochter dem
Herzoge Adolf von Holstein. In Nebenehe ver-
mählte sich Landgraf Philipp im Jahre 1540
mit Margaretha von der Saal. Durch eine der
Landgräfin Christina am 11. Dezember 1539
ausgestellte Versicherung, „sie stets für seine erste
und oberste Gemahlin zu halten und mit ihr
als solcher leben zu wollen, ihr Witthum nach
der mit ihrem Vater getroffenen Uebereinknnft
zu vollziehen, ihre männlichen Kinder die rechten
Fürsten zu Hessen sein und bleiben zu lassen
und die Kinder der anderen Frau nur mit
einigen Erbgütern, daß sie Grafen oder Bannherrn
sein möchten, zu versehen", erlangte er die schrift-
liche Einwilligung und das Versprechen, weder
ihn deshalb vor Kaiser, König, Fürsten, Herren,
Freunden, oder der Landschaft öffentlich oder
heimlich zu verklagen, noch die Person, welche er
wählen werde, zu beschweren oder zu belästigen.
Aus dieser Ehe stammten sieben Söhne und eine
Tochter, die den Grafenstand und einige von
seinem Vater erworbene südhessische Grenzämter
von Philipp erhielten. Die ältesten Söhne
begaben sich in auswärtige Kriegsdienste, zwei
jüngere wurden auf die Schule Johann Sturm's
nach Straßbmg gesandt, um hier Sitten, Sprachen
und Künste zu lernen.
Am 6. April 1562, fünf Jahre vor seinem
Tode, ließ Landgraf Philipp seinen letzten Willen
niederschreiben. Körperlich leidend, Folgen seines
langen Gefängnisses, nahm er noch am Grün-
donnerstag 1567 mit seinen Söhnen und seiner
Schwiegertochter Sabina das Abendmahl im
Schlosse zu Kassel, am Charfreitag vertheilte er
seine Kleinodien, Kleider und Waffen unter
seine Kinder und legte sich Ostersonntag nieder.
Am folgenden Tage Abends zwischen 4 und 5 Uhr,
in Gegenwart seiner Söhne und vornehmsten
Räthe, verschied Landgraf Philipp sanft mit
dem Ausrufe: „Vater in Deine Hände befehl ich
meinen Geist." Gemäß seines Wunsches fand
eine einfache Beerdigung in der St. Martinskirche
zu Kassel statt, allwo ihm von seinem Sohne,
dem Landgrafen Wilhelm dem Weisen, ein
Denkmal aus Marmor errichtet wurde.
„Am letzten Tag im Merz Monat,
Des Abends nach vier Uhren spat,
Alß er hat 63 Jahr,
Und länger Lebens würdig war,
Zu Kassel war sein Leib bestatt.
Gar manch' Mensch dies betrauret hat.
Und das zwar nicht ohn' gros Ursach,
Im Land ein großer Riß geschach,
Ein treuen Vatter hats verlohren.
(Fortsetzung folgt.)
Geschichte der Familie Vithmar.
Ein Beitrag zur hessischen Familiengeschichte von Otto Gerland.
(Schluß.)
nmittelst erhielt Dithmar in der Kanton-
nirung zu Radschitz im Saatzer Kreise
am 28. Oktober folgendes Patent zuin
Leutnant:
„Von Gottes Gnaden Wilhelm I.
Kurfürst Landgraf zu Hessen, Fürst
zu Hersfeld, Hanau und Fritzlar,
Graf zu Catzenelnbogen, Dietz,
Ziegenhain, Nidda und Schaum-
burg rc. rc. rc.
Nachdem Wir den im Husaren-Regiment
gestandenen Cornet v. Dithmar x) nunmehr
’) In der auf der stitndtschen Landesbibliothek zu Kassel
befindlichen Original-Stamm- und Rangliste des kur-
hessischen Truppenkorps (Ms. hass. 40181) wird Dithmar
irrigerweise der Vornamen Karl und die katholische Religion
140
zum Sekond-Leutnant bei diesem Regimenté
gnädigst ernannt haben, Als thun Wir
solches hiermit und in Kraft dieses Patents,
dergestallt und also, daß Uns und Unserm
Kurfürstl. Hause derselbe ferner treu, hold
und gehorsam seyn, seine Charge gebührend
wahrnehmen, was ihm zu thun obliegt, und
anbefohlen wird, so Tags als Nachts fleißig
und treulich bewerkstelligen, sich daran nichts
abhalten lassen, bei allen vorfallenden Kriegs-
begebenheiten mittelst ungescheuter Gefahr,
tapfer und unermüdlich ausführen, dahingegen
aber übrigens alle mit dieser Charge verknüpfte
Vorzüge und Gerechtsame geniesen soll, Des
zu Urkund haben Wir dieses Patent eigen-
händig unterschrieben und mit Unserm Kur-
fürstlichen Geheimen Jnsiegel bedrucken laßen.
So geschehen Prag den 20. Oktober 1809.
Milbelm L " (Wappensiegel
hUHU-JCUU ' ohne Umschrift
in Siegellack.)
Aber der Kurfürst konnte sein Korps nicht
länger beisammen halten. Dithmar erzählt
uns weiter:
„Doch der Kelch unserer Leiden war noch nicht
voll. Wir lagen inmittelst in Böhmen in Kanton-
nirung, das hessische Hauptquartier lag in Caaden
nach der sächsischen Grenze zu. Am 24. Dezember
kam der Befehl vom Kaiser Franz an den
Kurfürsten, sein Korps auseinander gehen zu
lassen, wobei es jedem, der dazu Lust hätte, frei
stehe, österreichische Dienste zu nehmen. Diesem
nach haben wir denn am 27. Dezember d. I.
Pferde und Waffen abgegeben, und das Korps
ist auseinander gegangen. Der Oberst2) hielt in
Caaden auf dem Markte eine Abschiedsrede Namens
des Kurfürsten, und ich kann sagen, Offiziere und
Soldaten weinten. Es war ein trauriges Nachspiel
zu den Szenen des 1. November 1806. Ver-
muthlich hat Kaiser Napoleon darauf be-
standen, denn es wäre in der That bedenklich
gewesen, ein knrhessisches Armeekorps an der
bömisch-süchsischen Grenze in der Nähe Westphalens
auf den Beinen zu lassen. Was uns Offiziere
anbetrifft, so erhalten wir einstweilen Traktamente
beigelegt, obwohl er reformirt war. Die Zuerkennung
des Prädikats „von" mag mit den österreichischen Militär-
gewohnheiten zusammenhängen, da, wie Dithmar seinem
Bruder Fritz (67) am 4. April 1812 von Chrndim schreibt,
es bei dem österreichischen Militär gebräuchlich sei,
jedem Offizier das Prädikat „von" zu ertheilen. Da sein
Kurfürst ihn in dem oben wiedergegebenen Patent „geadelt"
habe, so halte v. Dithmar, abgesehen von der österreichischen
Gewohnheit, als ehemaliger Offizier für seine Schuldigkeit,
„den Adel beizubehalten."
*) Nach der Stamm- und Rangliste Oberst v. Müller,
später kurhessischer General.
und Rationen, bis wir bei der österreichischen
Armee angestellt sind, welches Kaiser Franz
dem Kurfürsten zugesichert hat. Jetzt liege ich
nun als reduzirter Husarenleutnant hier im Dorfe
Atschau bei Caaden mit dem Oberleutnant Ludwig,
den Sie gewiß von Homberg her noch kennen,
der mit mir bei der Baumbach'schen Eskadron
gestanden hat, und dem Herrn Moritz v. Schenk,
der als Oberleutnant beim Jägerkorps stand.
Baumbach liegt in Caaden. Ich habe nun
zwar ein gutes Traktament, Bedienten und Pferde,
indessen was hilft das alles gegen das schmerzliche
Gefühl der nothwendigen Trennung vom Vaterland,
Verwandten, Freunden und Bekannten und allem,
was dem Menschen theuer und werth ist. Sie
können mir es glauben, mein lieber Onkel, und
Sie zumal, der Sie auch der Freiheit entbehrten,
werden es auch aus eigener Erfahrung wissen,
daß nichts drückender und schmerzhafter ist, als
die ausgedrungene Entfernung vom Vaterland.
Gesetzt, wir werden nun auch in der österreichischen
Armee angestellt, so werden wir doch von einander
getrennt, einer kommt bei ein Regiment nach
Ungarn, einer nach Mähren, Oesterreich, Böhmen
oder an die italienische Grenze. Wie traurig
nun für jeden, der nun isolirt unter fremden
und unter einem unbekannten Ofstzierkvrps dienen,
erst die Landessprache lernen muß und vielleicht
auf alle mögliche Weise chikanirt wird. Alles
dies macht uns alle sehr niedergeschlagen. Nur
die Hoffnung, daß es künftiges Frühjahr gewiß
wieder Krieg, sei es auch nur mit den Türken,
gibt, beseelt llns noch und hält uns aufrecht. Im
Kriege ist ein ganz anderes Leben, und wer weiß,
ob sich nicht noch viel günstigere Allssichten er-
öffnen. Ludwig und Baumbach haben um
Pardon bei der westphälischen Regierung und um
die Erlaubniß nachgesucht, nach Hause zurückkehren
zu dürfen. Sie sehen vertrauensvoll einer Antwort
entgegen. Ich werde es noch eine Zeit lang
absehen und vor der Hand österreichische Dienste
nehmen; gibts keinen Krieg und ich erhalte mein
Vermögen zurück ft und es wird mir versichert,
daß ich in der nämlichen Charge bei der west-
phälischen Kavallerie angestellt werde, so bitte ich
gleichfalls um Pardon; denn ein vernünftiger
Mann dient heutzutage keinem deutschen Fürsten,
sie sind alle H................ft Und darf ich
einstens wieder nach Hause kommen, dann kann
der König von Westphalen bei Gott darauf rechnen,
ft Dithmar war mit Vermögenseinziehung bestraft.
Vgl. Klein schm idt, S. 252, wo er irrthümlich Dittmar
genannt wird.
ft An dieser Stelle sind in der Handschrift selbst sieben
Punkte hinter dem H.
141
daß ich ihm treu diene. Meiner lieben Juris-
prudenz und überhaupt dem Civilstande habe ich
längst Valet gesagt. Ich bin und bleibe Soldat,
wozu ich von jeher Neigung hatte. Die Erfahrung,
die ich wenigstens bitter genug machte, hat mich
belehrt, daß bei der Tintenkleckserei nicht viel
herauskommt. — —"
Gern wäre Dithmar bei die österreichische
Reiterei gegangen, da er aber nicht genug Mittel
hatte, um die Uniform zu bezahlen, so mußte er
auf die Erfüllung dieses Wunsches verzichten und
trat im Februar 1810 in das 15. Infanterie-
Regiment. Die Kosten für die Equipirung konnte
er sich nur durch den Verkauf seiner Pferde be-
schaffen. Aus seiner Garnison Landskron schreibt
er am 27. April desselben Jahres seinem Oheim
Rommel, daß er ein Gesuch an das Kriegs-
ministerium nach Kassel gesandt und um Be-
gnadigung, Zurückerstattung seines Vermögens,
sowie um Anstellung in seinem augenblicklichen
Range im westphälischen Heere gebeten habe.
Seine Sehnsucht nach dem Vaterland war um so
stärker geworden, als er gerade einen, leider
verloren gegangenen Brief von Martin aus
Berlin erhalten hatte, aus dem ihm dessen Be-
gnadigung und Wiederanstellung bekannt geworden
war. Seinem Wunsche wurde aber nicht willfahrt,
er scheint nicht einmal eine Antwort erhalten zu
haben. Am 30. Mai 1812 erwartete er zu
Chrudim in Böhmen den Befehl, mit seinem Re-
gimenté nach Rußland zu marschiren, wo er dann
seinen Bruder Fritz (67), der in westphälischen
Diensten stand, „auf dem Feld der Ehre" zu finden
hoffte. Ob er den russischen Feldzug mitgemacht
hat oder nicht, ist nicht bekannt. Am 16. Sep-
tember 1813 starb er unverheiratet zu Prag an
der Bräune, ohne daß man über seine Thätigkeit
in den Freiheitskriegen etwas sagen könnte. So
war ihm nur vergönnt, die Morgenröthe der
Freiheit zu schauen.
66. Martha Philippine Dithmar wurde
am 7. April 1786 zu Homberg geboren und
starb daselbst am 15. Februar 1808. Ihre
Schicksale sind bereits zu 61 erzählt worden.
67. Friedrich Karl Dithmar wurde 1781
oder 1782 vermuthlich zu Homberg geboren, wenn
seine Geburt in den dortigen Kirchenbüchern auch
nicht vermerkt ist, und trat nach seiner 1806 zu
Wolfhagen erfolgten Konfirmation in waldeckische
Kriegsdienste als Kadet ein. Als die westphälischen
Unterthanen durch Dekret vom 9. Januar 1808
in die westphälischen Dienste zurückberufen wurden,
trat er in das westphälische Heer ein und wurde
1809 Leutnant im 3. Linien-Jnfanterie-Regiment.
In diesem nahm er, nachdem er zuvor in Kassel
und Magdeburg in Garnison gestanden hatte, an
der Besetzung der Stadt Hannover Theil, als
diese 1810 dem Königreich Westphalen einverleibt
wurde. Er machte das Lustlager auf dem Forst
bei Kassel in demselben Jahre mit, wurde in das
zu Mühlhausen und Eschwege garnisonirende
5. Linien-Jnfanterie-Regiment versetzt und
marschirte mit diesem 1812 nach Rußland. Am
14. April überschritt er über Schlesien die russische
Grenze; an diesem Tage hatte das Regiment bei
Kobelin, am 16. bei Kalisch Revue vor dem König
Jerome und lag dann längere Zeit unter den
ungünstigsten Verpflegungsverhältnissen auf Dörfern
bei Kalisch. Am 17. August machte Dithmar
die Schlacht bei Smolensk mit, doch kam sein
Regiment nicht recht in's Treffen. Sein letzter
Brief ist aus Miasma vom 12. September 1812
geschrieben. Das Regiment hatte die hinter der
großen Armee folgenden Transporte zu decken.
Die Folgen der ungeheuern Anstrengungen des
Feldzugs hatten sich allmählich auch bei Dithmar
eingestellt; er litt am kalten Fieber und seine
Brust war „ruinirt". Er konnte kaum noch
schreiben, da er vor Schwachheit zitterte. Weitere
Nachrichten über ihn sind nicht eingegangen, und
so wird er wohl bald nach diesem Brief ent-
schlafen sein.
68. Ludwig Friedrich Dithmar wurde
am 17. Juli 1797 zu Wolfhagen geboren.
Er widmete sich dem Bergfach und trat 1813 bei
den freiwilligen Mineurs ein, mit welchen er den
Feldzug gegen Frankreich und namentlich die
Belagerung von Luxemburg mitmachte. Am
13. Dezember 1814 wurde er zum Bergwerks-
Alumnus angenommen, dann Materialschreiber an
der Holzhäuser Hütte bei Homberg, am 10. August
1825 Kontrolleur und wirklicher Mitbeamter bei
dem Eisenhammer zu Lippoldsberg und später
in gleicher Eigenschaft auf den Messinghammer
bei Kassel versetzt, wo er am 13. Mai 1835 starb.
Er verheiratete sich am 18. April 1827 zu
Karlshafen mit Bernhardine Schomburg,
der am 11. Oktober 1806 geborenen jüngsten
Tochter des Physikus Dr. Anton Schomburg
und dessen Ehegattin Juliane, geborene Rosen-
hagen zu Karlshafen; diese starb am 4. Juli
1837 zu Kassel. Seine Kinder siehe 70—72.
69. Christiane MarieDithmar wurde am
1. Oktober 1800 zu Wolfhagen geboren. Ihre
Geburt gab ihrer Mutter den Tod. Sie starb
unverheirathet im Frühjahr 1834 zu Obervorschütz
bei ihrer Kousine Coester (61 Anm. 1 o.)
142
70. Christiane Charlotte Ernestine Marie
Dithmar wurde am 20. November 1830 zu
Lippoldsberg geboren.
p 71. Dorothea Karoline Elise Dithmar
wurde am 6. Dezember 1832 auf dem Messing-
hammer geboren. Sie verheirathete sich am
7. August 1866 an den damaligen Rechtsanwalt
Otto Gerland zu Schmalkalden.
72. Karl August Dithmar starb jung.
-HK-1
Zwei Freunde.
Humoreske von D. Saul.
f er stuck. zur. Maienschein und der stuck. med.
Dornenblüth wohnten aus demselben Gange
- , neben einander. Obwohl von verschiedenen
Fakultäten, hatten sie sich doch als Hausgenossen
zusammengefunden, da sie beide „Finken" waren
und keinerlei Verpflichtungen gegen irgend eine
Couleur hatten. Bald ward ihre Freundschaft
eine recht warme, so daß z. B. wenn Maienschein
Durst verspürte, sich diese Empfindung auf dem
Wege des seelischen Rapports auf Dornenblüth
übertrug und umgekehrt. Und da dieser Fall
sich ziemlich oft ereignete, sah man die beiden
allabendlich entweder zur Kneipe oder auf das
Bierdorf wandern und zusammen heimkehren.
Das heißt, das letztere sah man eigentlich meist
nicht, denn es geschah gewöhnlich zur Nachtzeit;
um so deutlicher aber konnte man es hören,
wenn sie die etwas steile Treppe hinaufkletterten.
Auf dem Gange pflegten sie noch herzlich Abschied
zu nehmen, zuweilen auch, wie Dornenblüth meinte,
„zu mehrerer Ergötzung" der Hausgenossen einen
Kantus anzustimmen. Mit dem Fluche der darob
erbosten „Philistrine" beladen — die gleichwohl
ihren besten Studenten nichts zu verbieten wagte
— gingen dann beide zur Ruhe, nicht ohne daß
der eine oder andere noch geräuschvoll von seinem
Dasein Kunde gab, Maienschein etwa die Wasser-
flasche zertrümmerte und Dornenblüth in entrüstetem
Tone über die Hausfrau loszog, die sich erlaubt
hatte — wie er in Folge einer erklärlichen Sinnes-
täuschung meinte — ein zweites Bett in seinem
Zimmer aufzustellen. Oft pflegten sie auch noch
eine längere animirte Unterhaltung durch die
verschlossene Zimmerthüre, die ihre Stuben trennte,
zu welchem Zwecke sie ihre Stimmen gewöhnlich
lauter erhoben, als den übrigen Insassen des
Hauses erfreulich erschien.
Das wurde aber anders, als die beiden ziemlich
zu gleicher Zeit sich gezwungen sahen, der That-
sache des Examens in's Gesicht zu blicken. Da
verminderten sich die Berührungspunkte, die sie
mit einander hatten, und jeder fing an, seinen
gesonderten Weg zu gehen. Dornenblüth hatte
sich gleich mit Feuereifer in seine Arbeit gestürzt,
während Maienschein anfangs nicht dazu zu bringen
war. Ja, er ärgerte sich über den Fleiß und
das zurückgezogene Leben des Kommilitonen.
Während letzterer jetzt fast jeden Abend zu Hause
blieb oder doch zeitig heimkehrte, um bei einem
einsamen Krüglein Bieres noch bis in die tiefe
Mitternacht hinein zu büffeln, konnte sich Maien-
schein von dem Kneipenleben nicht trennen; er
raisonnirte vielmehr obendrein noch, besonders
wenn er spät und innerlich stark angefeuchtet nach
Hause kam, in seiner „Bude" vernehmlich über
den „langweiligen Philister" nebenan, womit er
natürlich seinen solide gewordenen Freund Dornen-
blüth meinte. Dieser ließ sich indeß durch solche
Anzüglichkeiten nicht aus der ihm eigenen klassischen
Ruhe bringen, sondern pfiff höchstens die Melodie:
„Du bist verrückt, mein Kind!" Allein bei diesen
Häkeleien blieb es nicht. Die Milch der Freund-
schaft hatte sich im Verlaufe weniger Wochen im
Herzen Maienscheins in das gährende Drachengift
des Hasses verwandelt, und er begann allerlei
kleine Tücken gegen Dornenblüth auszuüben. Auf
dem Gebiete des sogenannten „Kasperstellens",
das heißt jener Kunst, die darin besteht, in einem
Zimmer das Oberste zu unterst zu kehren, galt
Maienschein geradezu als eine Autorität, und er
war bei seinen Bekannten um dieser Eigenschaft
willen mehr geachtet als geliebt. Kein Wunder,
wenn er dieses sein Talent jetzt dazu verwandte,
um den Zimmernachbar zu ärgern. Verließ Dornen-
blüth einmal abends aus ein Stündchen seine Stube,
um zu essen und einige „Töpfe" Bier zu trinken,
so durfte er sicher sein, daß er bei der Rückkehr
einen wunderbaren, jedesmal durch eine originellere
Auffassung überraschenden „Kasper" vorfand.
Obgleich er den Urheber dieser sich häufenden
sinnigen Scherze recht wohl kannte, blieb er doch
kaltblütig und gemessen. Er wußte genau, daß
er diesem die reinste Herzensfreude bereiten würde,
falls er sich irgend etwas merken ließe, und war
143
nur sorgsam bedacht, bei seiner Heimkehr beide
Augen offen zu halten, um nicht in irgend eine
ihm gelegte Falle zu tappen. Mit großem Gleich-
muthe stellte er die Stühle, die in einer kühnen
Pyramide, oben von der Lampe bekrönt, auf dem
Tisch sich aufgestellt fanden, an ihre alten Plätze,
und ordnete ebenso die Bücher, die mit Konsequenz
die wunderlichsten Verstecke sich ausgesucht hatten.
Behutsam entfernte er aus den Taschen seiner
Kleider Back- und Pflastersteine, die darin Unter-
kunft gefunden hatten. Wenn er die Fenster-
flügel mit sammt der Thür aus den Angeln
gehoben fand, so erregte das nicht im geringsten
seinen Zorn, sondern er brachte sie schweigend an
den richtigen Platz zurück. Seine Pantoffeln ent-
deckte er in den unglaublichsten Situationen, ohne
darüber zu grollen, und selbst als er sie eines
Abends nach längerem fruchtlosen Suchen an der
Wand unmittelbar unter der Zimmerdecke an-
genagelt fand, so daß er, um ihrer habhaft zu
werden, eine förmliche Barrikade erbauen und
eine Zange in Anwendung bringen mußte, bewahrte
er seinen stoischen Sinn. Sein Bett pflegte er
jeden Abend gründlich zu untersuchen und die
härtesten Gegenstände, als Stiefelknecht und
Konversationslexikon, Wasserflasche und Renommir-
pfeife, Deckelglas und Rappier daraus zu entfernen.
Alles das that er mit der vollkommenen Ruhe
eines Weisen; nie hätte er sich auch nur zu einem
Ausrufe des Unwillens hinreißen lassen, wußte
er doch, daß sein Freund Maienschein, des kostbaren
Schlafes sich beraubend, nebenan halbe Nächte
lauschte, um einen Wuthausbruch des gequälten
Nachbars zu vernehmen. Im Gegentheil: als er
wieder einmal eines abends geduldig verschiedene
Geräthe seines Zimmers aus den allerseltsamsten
Lagen befreit und sich dann in's Bett gelegt hatte,
schlug er ein Helles Gelächter auf, das natürlich
von stuck. Maienschein vernommen ward.
„Worüber lachst Du denn so?" fragte der
Letztere in neugierigem Aerger.
„O, ich lache über den Esel, der sich einbildet,
er könne einen richtigen Kasper stellen," antwortete
Dvrnenblüth vergnügt. „Solltest Du den thörichten
Menschen zufällig einmal sehen, so sage ihm doch,
er solle seine kümmerlichen Studien auf diesem Ge-
biete erst etwas vervollkommnen, ehe er sich in die
Praxis wagt. Es fehlt ihm offenbar am nöthigen
Spiritus ouspsr."
Maienschein, war über das Gehörte so wüthend,
daß er gar nichts erwiderte, sondern sich zum Ein-
schlafen anschickte.^ Es dauerte richtig ^ auch drei
Tage lang, ehe er es wieder riskirte, das Zimmer
seines Freundes in der von ihm beliebten Weise
zu arrangiren. Allein, obwohl er seine ganze
reiche Erflndungsgabe aufbot, erzielte er nicht den
gewünschten Erfolg, denn auch diesmal ertönte
statt des gehofften Wuthschreis ein Laut aus-
gesprochener Heiterkeit.
„Was lachst Du nun wieder?" fragte Maien-
schein mürrisch, „Du störst mich ja im Schlafe!"
„Das thut mir leid," versetzte Dornenblüth,
„aber ich lache über den geistig offenbar sehr
zurückgebliebenen Kaspersteller. Der Kerl wird
anscheinend immer dümmer. Jetzt steckt er meinen
Schlafrock in den Ofen, anstatt ihn wenigstens
zum Fenster hinaus zu hängen."
Mittlerweile war aber die ckira uoeessitas des
Ochsens auch an den stuck, zur. Maienschein
herangetreten; es dauerte nicht lange, so lag auch
er Tag und Nacht über den Büchern und gönnte
sich nur eine karg bemessene Zeit zum Ausgehen.
Und jetzt, als er begann eine Arbeit aus dem Ge-
biete des römischen Rechtes in die Reinschrift zu
übertragen, nahte für Dornenblüth die geduldig er-
wartete Gelegenheit, alle die erhaltenen Freund-
schastsbeweise mit Zinsen heimzuzahlen.
Eines schönen Nachmittags befanden sich beide
eifrig studirend in ihren Zimmern, als Dornenblüth
plötzlich nebenan ein kräftiges „Pfui Teufel!" ver-
nahm.
„Was ist denn los?" fragte er sehr ruhig.
„Pfui Teufel, hier riecht es nach Käse!" gab
Maienschein zur Antwort.
Ein sonniges Lächeln breitete sich über Dornen-
blüth's Gesicht, doch seine Stimme verrieth nichts
von der Heiterkeit seines Innern.
„Nun, das ist doch nichts Schlechtes." meinte er,
„im Gegentheil, ich halte Käse für ein sehr wohl-
schmeckendes Nahrungsmittel. Außerdem ist er sehr-
gesund — fünfundzwanzig Prozent Eiweiß und
mehr."
Drüben ward es wieder still, man hörte Maien-
schein's Feder über das Papier gleiten. Plötzlich
ein neuer Ausruf des Abscheues:
„Das ist ja pestilenzialisch! Das kann ich nicht
aushalten! Wo kommt der Gestank nur her?"
„Du täuschest Dich wohl," meinte der Nachbar.
„Vielleicht hast Du auch den Dessertkäse in der
Zerstreuung in die Tasche gesteckt."
„Dummes Zeug, ich habe ein Stückchen Schweizer-
käse gegessen, aber hier riecht es, als ob irgendwo
ein Zentner Limburger steckte."
„Wer wird Dir wohl bei den schlechten Zeiten
einen Zentner Limburger verehren! meinte Dornen-
blüth skeptisch. „Das ist sehr unwahrscheinlich."
Inzwischen begann Maienschein Forschungen nach
dem Aufenthaltsort des niederträchtigen Käses anzu-
stellen. Er verließ sein Stehpultchen und fing an,
-........ " I ' .... - ^ v- r; ;t-;: . -
- 144
* das Zimmer zu durchschnüffeln, aber leider ohne
jeden Erfolg.
Dann und wann glaubte er die Quelle des
Unheils entdeckt zu haben, doch stets erwies sich
seine Hoffnung als trügerisch. Resignirt stellte er
sich wieder an sein Pult. Er wußte natürlich, oder
er glaubte es wenigstens fest, daß er es mit einem
Racheakt des von ihm so lange gequälten Freundes
zu thun hatte, allein er hielt es doch für besser,
seinen Verdacht bei sich zu behalten. Nach einer
Weile jedoch stürzte er mit einem Fluche von seinem
Stehpult und öffnete beide Fenster. Die kalte Winter-
luft drang von zwei Seiten ein und der dadurch
bewegte Gegenzug verschaffte der gepeinigten Nase
Maienschein's eine kurze Schonzeit. Doch die Fenster
durften nicht lange geöffnet bleiben, sollte nicht der
letzte Rest der behaglichen Wärme entfliehen. Und
der Unglückselige hatte noch nicht zehn Minuten
seinen Platz wieder inne, als die entsetzliche Plage
sich von neuem bemerkbar machte. Wieder unter-
nahnl er eine Expedition durch den Raum nach
dem heillosen Urheber des Geruches; er zog die
Schubladen der Kommode auf, durchwühlte den
Waschtisch und den Kleiderschrank, alles vergeb-
lich ! Der Lärm, den er dabei verursachte, war
derart, daß Dornenblüth sich schließlich veranlaßt
fand, seine Arbeit zu unterbrechen und nachzusehen.
Er fand seinen Freund Maienschein, wie er eben
einen Stuhl erklettert hatte und sich mit weit vor-
gestreckter Nase über den Kleiderschrank beugte,
um in den dahinter befindlichen leeren Raum
hinunterznriechen.
„Was Teufel machst Du denn da?" fragte
Dornenblüth unschuldig.
„Was ich mache?" knirschte Maienschein, „ich
suche diesen Zimmerverpester."
„Wollen wir nicht den Schrank einmal abrücken?"
rieth Dornenblüth. Maienschein sah ihn an, aber
aus dem undurchdringlichen Gesicht war nichts
herauszulesen.
„Meinetwegen," brummte er, und sie schoben
den Schrank in das Zimmer. Aber sie fanden
nichts.
„Wahrhaftig, hier sieht es aus, als ob man Dir
den schönsten Kasper gestellt Hütte," meinte Dornen-
blüth mit einem Blick auf die fürchterliche Unord-
nung, die Maienschein in seiner Verzweiflung an-
gerichtet hatte.
Dieser erwiderte nichts, und Dornenblüth verließ
ihn, um einen Spaziergang zu machen.
Als er zurückkehrte, war Maienschein ausgegangen,
und erst in der Nacht vernahm er mehrmals dessen
halblaute Verwünschungen, ein Beweis, daß der un-
heimliche Geist des Nebenzimmers immer noch nicht
gebannt war.
Der nächste Tag brachte Maienschein neue
Qualen. Er glaubte, nachdem er eine längere
Riechenquete veranstaltet hatte, daß der Geruch
gerade aus der Wand komme, an der sich sein
Stehpult befand. Also packte er das letztere kurz
entschlossen und verpflanzte es in die entgegen-
gesetzte Ecke des Zimmers. Aber es schien fast,
als sei es hier noch viel ärger. Wieder wurde
ein neuer Platz aufgesucht und wiederum erwies
sich die Flucht als zwecklos. Schließlich durch-
zog der Unglückliche immer mit seinem Stehpult
das ganze geräumige Zimmer, doch ob er in dieser
oder jener Ecke, hier oder dort an der Wand,
am Fenster oder an der Thür oder in der Stuben-
mitte seinen Aufenthalt nahm, immer blieb der
entsetzliche Feind in seiner nächsten Nähe. Der
Rumor, den Maienschein dabei verführte, lockte
denn schließlich auch unsern Dornenblüth herbei.
„Was machst Du denn nun wieder?" fragte
er, als er den Freund dicht am glühenden Ofen
placirt fand. Maienschein hielt sich mit der einen
Hand die Nase zu, mit der anderen schrieb er
verzweiflungsvoll seine Gedanken über das römische
Recht nieder. Ach! diese Gedanken waren dem
Wahnsinn nahe!
„Nichts!" sagte er wüthend, „ich verkomme in
diesem Käsladen."
„Jetzt riecht man's allerdings recht deutlich,"
gab Dornenblüth zu, „viel besser als gestern."
„Merkwürdig, daß Du's riechssi" antwortete
Maienschein grimmig.
„Es riecht gar nicht schlecht," fuhr der Freund
mit der ihm eigenen Milde des Urtheils fort.
„Nun, wenn es Dir am Ende gar angenehm
ist," schrie Maienschein, „so setz' Dich hierher und
überlaß' mir Deine Bude!"
Einen Augenblick überlegte Dornenblüth, dann
sagte er indeß: „Ich danke, weißt Du, es ist meine
Sorte nicht." Und wieder verließ er das Zimmer,
um den üblichen Ausgang 31t machen.
Am dritten Tage schien sich das Trauerspiel
wiederholen zu sollen. Maienschein hatte allerlei
Riechsubstanzen mitgebracht, die aber sämmtlich als
unwirksam sich erwiesen; der gespenstische Käse blieb
auf der ganzen Linie Sieger. Inzwischen war das
Gerücht von der geheimnißvollen Geschichte in den
verschiedensten Variationen in der Stadt verbreitet
worden. Im Hause der Frau Regierungsräthin
Noppler, deren Töchterchen Herr 8tuä. Maienschein
sehr energisch den Hof machte, flössen bittere Thränen
aus schönen Augen, als die junge Dame von einer
„guten Freundin" die Kunde vernahm, ihr Verehrer
sei tiefsinnig geworden und suche seit drei Tagen
einen Käse. Neugierige und mitleidige Kommilitonen
stellten sich zahlreich bei Maienschein ein; Jeder
145
versicherte, er werde den Spuck entlarven, aber die
besten Nasen versagten ihren Dienst. Verzweiflungs-
voll lag Maienschein über seiner Arbeit, mit dem
Taschentuch sich Nase und Mund verstopfend, so
daß ihm kaum die allernöthigste Luftzufuhr blieb,
als wiederum Dornenblüth mit treuherzigem und
theilnahmevollem Gesichte erschien. Er blieb in
der Thür stehen und hob sein Geruchsorgan witternd
in die Höhe.
„Wahrhaftig, heute ist es noch auffallender,"
bemerkte er. „Es ist doch gut, daß ich nicht mit
Dir getauscht habe, denn hier würde ich es kaum
aushalten können."
„Ich werde noch verrückt," murmelte Maien-
schein dumpf.
„Und was das Aergste ist, der gute Käse ver-
dirbt," meinte Dornenblüth.
Maienschein warf ihm einen giftigen Blick zu:
„Hütte ich den Menschen, mit meinen Händen
wollt' ich ihn erwürgen."
„Du gehst zu weit," warf Dornenblüth ein.
„Was würden Deine betagten Eltern sagen, wenn
Du zum Mörder würdest um eines Käses willen
und anscheinend noch dazu eines Limburgers!"
„Was soll ich nur machen!" rief Maienschein
nun wieder in heller Verzweiflung. „Meine Arbeit
rückt nicht von der Stelle, ich werde nicht fertig,
ich bin blamirt, unglücklich."
„Wer wird denn gleich den Kopf verlieren,"
sagte Dornenblüth tröstend. „Komm, wir wollen
nochmals den Versuch machen, des Unthiers habhaft
zu werden."
Obwohl Maienschein im Innern von der Schuld
seines Zimmernachbars überzeugt war, fügte er sich
dem Vorschlage. Sie gingen prüfend durch das
Zimmer und berochen alle Gegenstände.
„Hier, rieth Maienschein," auf den Spiegel
deutend.
„ Gott bewahre!" gab Dornenblüth zurück. „ Ihr
Rechtsverdreher habt feine Nasen, aber sie sind
nicht naturwissenschaftlich gebildet."
Und er setzte seinen Gang durch das Zimmer-
fort, erst anscheinend planlos, dann langsam aber
in einer bestimmten Richtung vorgehend und zwar
auf das Stehpult zu.
„Hier muß es sein," sagte er mit großer Sicher-
heit, als er in dessen Nähe angekommen war.
Und er unterzog es einer genauen Inspektion,
doch ohne befriedigendes Ergebniß.
„Es ist nichts," jammerte Maienschein.
„Doch, doch! Es muß. Hat das Pult eine
Schublade?"
„Ja!" Sie wurde geöffnet und war leer.
Jetzt kniete Dornenblüth auf die Erde nieder und
steckte den Kopf unter das Pult.
„Heureka! Hier ist er! Wußte ich's doch!"
„Wo?" fragte Maienschein.
„Hier unter dem Pult! Nimm geschwind das
Schreibzeug herunter."
Mit fieberhafter Eile that Maienschein das Ge-
heißene, und Dornenblüth erhob sich, indem er zu-
gleich das Pult in die Höhe nahm und auf den
Kopf stellte.
„Da ist er!" rief er triumphirend, und zeigte
dem Freunde das oorpus delicti, einen etwa halb-
pfündigen Limburger Käse, der kunstgerecht dort
festgenagelt war. „Welche Verschwendung! die Hälfte
hätte es auch gethan!" fügte Dornenblüth hinzu.
Maienschein warf einen langen, vielsagenden
Blick auf den Freund, aber Dornenblüth verlor
seinen unerschütterlichen Ernst nicht, und der schwer-
geprüfte Zimmerbewohner war schließlich froh,
daß die Pesthöhle entdeckt war. Er schwieg.
„Siehst Du, das hast Du mir zu verdanken,"
meinte Dornenblüth bedeutungsvoll. „Nun lüfte aber
das Lokal, sonst mußt Du noch Gewerbesteuer für
Käshandel bezahlen!" Und er ging von dannen.
In der Nacht aber ward Maienschein durch den
Zuruf des Freundes geweckt. „Was ist denn?"
fragte er.
„Meinst Du nicht auch, der Mensch, der Dir
den Käse angesetzt hat, versteht sich besser auf's
Kasperstellen, als der Stümper, der bei mir sich
dann und wann einstellt?"
„Hol' ihn der Teufel!" knurrte Maienschein
und drehte sich im Bette herum.
Jbr Icug drs Todks.
Zum Hades geht's, in's Schattenreich!
Ich rief — sie folgten allsogleich.
Ich bin der Herr der ew'gen Nacht —
Die größte Gottesgnaden macht.
Und mein gewaltig Schattenheer
Ist größer als der Saud am Meer.
Sie flohen aus dein Hochzeitssaal
Und standen auf vom Festesmahl,
Sie ließen Pflicht und Spiel und Tanz —
Die Dornenkron' — den Mhrthenkranz.
Sie kamen in der Unschuld Schein
Und sündenvoll aus Krankheitspein.
Mit Lächeln kam der Eine her,
Der And're müd' und sorgenschwer.
146
Sie fragten Keinen: Darf ich fort?
Sie hörten nur das Herrscherwort.
Die Frau, die nie ihr Kind verließ,
Stand auf und ging: weil ich ihr's hieß.
Sie hob sich von des Gatten Brust,
Ließ ihres Lebens junge Lust.
Einst war das Heim ihr Stolz, ihr Glück,
Nun thut sie keinen Blick zurück.
Und der ein prächtig Schloß gebaut —
Ein stolzes Heim der stolzen Braut —
Zur offnen Thür tritt er hinaus
Und wandert fort — von Weib und Haus.
Das süße Kind wird plötzlich bleich,
Sein Auge groß und sehergleich.
Was hältst du mich mit deinem Kuß —
Siehst du nicht, daß ich folgen muß?
Ein einz'ger Ruck! Ein letzter Schrei —
Gespenstisch eilt der Zug vorbei.
Der Bischof schreitet zum Altar
Mit Hirtenstab und Prunktalar.
Vom Schiff kommt Procession empor,
Da steht der Tod im hohen Chor
Und singt in's hohe Freudenfest
Sein dumpfes Ita missa sst!
Ich sprenge auf die Klosterthür!
Nun komm aus der Klausur herfür —
Fort von Brevier und Verspersang
Du Himmelsbraut zum Hochzeitsgang.
Ha — Welteroberer — bleibe stehn, —
Ruf von der Grenze die Armeen,
Herab die Hand vom Schwertesknauf,
Die alten Wunden brechen auf!
Gelehrter schließe nun dein Buch —
Die Welt ist doch schon überklug —.
Baumeister steig vom Dom herab,
Leg' von dir Plan und Meterstab!
Du möchtest Großes? Einerlei,
Dein Tag ist hin, die Frist vorbei.
Herr Reiter — ei — wohin so schnell?
Wie blickst du kühn und stolz, Gesell!
Mein Glöckchen klingt dir dumpf und hohl?
Die Jungen, Starken lieb ich wohl.
Den schlanken Fant, die ros'ge Maid,
Was Blumen ziert und Perlgeschmeid,
Das paßt mir gut in meinen Zug —
Der Alten hab ich leicht genug,
Der Bettler, die am Wege fleh'n —
Ich thu' — als hab' ich nichts geseh'n —!
Dort herzt ein Kind den Liebsten sein!
Heran Gesell! Du bist schon mein!
W. Kervcrl.
In d!k Murrst.
Auf rechte Worte muß ich ewig sinnen,
Dein Lob zu künden — noch im Traum der Nacht,
Du führest, Holde, schmeichelnd mich von hinnen,
Mein lauschend Herz ist ganz in deiner Macht!
Wenn du erklingst, all' meine Leiden schweigen
— Zerfließend wohl in deiner Töne Meer —
Wenn deine Laute sich zur Seele neigen,
Bringst du ihr Grüße von den Engeln her.
Du wiegst mich ein, auf daß ich ruhig werde,
Und bist zum Trost, zum Balsam mir bestellt;
Du trägst mich fort von dieser armen Erde,
Weit, weit hinweg in eine and're Welt.
Du Liederfluth, in deinen warmen Wogen
Zerschmilzt mein Herz, wie Schnee im Sonnenlicht,
Mir däucht, der Frühling käm' mit dir gezogen,
Klingst du Musik, so zart wie ein Gedicht. —
Doch kannst du auch in wildem Sturme toben,
Der kühn den Sturm in meiner Brust verjagt,
Ich bin befreit, voll dir hinausgehoben,
Mein Siiln erstarkt, der erst so sehr gezagt. —
Was weiß ich noch von Kummer und Beschwerde?
Das tiefe Dunkel hast du mir erhellt.
Du trägst mich fort von dieser armen Erde,
Weit, weit hinweg in eine and're Welt.
Sascha Hksa.
Aus alter und neuer Zeit.
Ein Kriegs-Gericht als Ehrengericht.
Als ich Anfangs der fünfziger Jahre in Fulda
wohnte, hatte ich in meiner dienstlichen Stellung
Gelegenheit, Einsicht in ein Untersuchungs-Aktenstück
zu nehmen, deren Inhalt hier mitzutheilen ich
keinen Anstand nehme; sind doch die betheiligten
Personen schon seit Jahren aus dem Leben geschieden,
so daß ich mich dem Vorwurf der Indiskretion
wohl schwerlich aussetzen werde.
In der Mitte der zwanziger Jahre lebte in
Fulda ein Graf H............... Er wohnte im
Hause des Geheimen Raths von Schlereth in der
Rittergasse als Junggeselle. Dessen Diener war
ein Mann Namens Klees, mit welchem der Gras
eines Tages in heftigen Streit gerieth. Die Ver-
anlassung dazu war, wie so oft im Leben, ein
Frauenzimmer. Das Nähere eignet sich nicht zur
Mittheilung. Der Diener wurde aus dem Dienst
entlassen. Dessen Anforderungen wies der Graf
später barsch ab. Klees sann nun auf Rache und
beschloß, an seinem früheren Dienstherrn sich thätlich
zu vergreifen. Zu dem Ende begab er sich in
früher Morgenstunde, zu welcher Zeit, wie er
147
wußte, der Graf noch zu Bett lag, in dessen
Wohnung, überfiel den Wehrlosen in dessen Nacht-
lager und versetzte ihm mit einem Stückchen mehrere
Hiebe. Ehe der Gras sich von seinem Lager er-
heben konnte, hatte Klees schon die Flucht ergriffen
und war aus dem Haus geeilt. Ob und welche
Maßregeln gegen den Frevelthäter von der Polizei-
Behörde ergriffen wurden, erhellt aus den Unter-
suchungs-Akten des Garnisonsgerichtes nicht. Nur
soviel ist ersichtlich, daß der Graf auf Anrathen
der Offiziere des damals in Fulda garnisonirenden
Füsilier-Bataillons veranlaßt wurde beim Stadt-
kommandanten General-Major von Donop die Bitte
vorzubringen, ein Gutachten des Offizierkorps über
die Frage zu veranlassen, ob seine Ehre als Kavalier
durch den Kleesffchen Ueberfall verletzt sei. Der
Kommandant berichtete in Folge dessen an den
Kurfürsten Wilhelm II. und dieser befahl: Unter-
suchung durch den Garnisons-Auditeur und demnächst
Niedersetzung eines Kriegs-Gerichts, welches nach
der Vorschrift bei Aburtheilung über einen Sekonde-
Lieutenant zusammen zusetzen sei, und demnächst
Abgabe des Gutachtens durch dessen Mitglieder,
ob die Ehre des Grafen H. durch die ihm wieder-
fahrene thätliche Beleidigung verletzt sei. Unter
dem Vorsitz des Kommandeurs des Füsilier-
Bataillons, Major von Lepel, trat dann ein Kriegs-
gericht zusammen und gab nach erstattetem Vortrag
durch den Garnisons-Auditeur Morchut sein Gut-
achten einstimmig dahin ab, daß die Ehre des
Grasen durch die gegen ihn verübte Thätlichkeit
nicht verletzt sei. Der Kurfürst, an welchen die
Akten hierauf eingesandt wurden, bestätigte den
kriegsgerichtlichen Ausspruch. Vom Grasen H.,
welcher nicht lange danach Fulda verließ, hat man
nichts weiter gehört.
Zu Bedauern ist der Verlust dieser und ähnlicher
wichtiger Straf-Akten, namentlich der aus der
Westphälischen Zeit, welch letztere im Kastell zu
Kassel aufbewahrt wurden. Sie wurden nach 1866
sämmtlich vernichtet.
Z. S.
Wer kennt nicht im Lande Hessen und darüber
hinaus den Herkules von Wilhelmshöhe oder den
„großen Christoph," wie ihn das Volk nennt?
Nicht Allen aber dürfte es bekannt sein, daß der
eherne Koloß einen steinernen Vorgänger hatte, der
allerdings niemals die Spitze des Oktogons gekrönt
hat, sondern auf dem Transport liegen blieb. Ehe
Landgraf Karl den kupfernen Herkules herstellen
ließ, hatte er die Absicht, einen steinernen Riesen
aus das Oktogon zu stellen. Es wurde in den
zwischen Martinhagen und Balhorn gelegenen
bekannten Steinbrüchen ein mächtiger Stein aus-
gebrochen und behauen, Herkules mit der Keule
darstellend. Aber die Fortschaffung des Ungeheuers
mißglückte; unmittelbar an der Landstraße blieb
es liegen, wie es heißt, weil der Schlitten, aus
dem es befördert wurde, zusammenbrach. Dort in
einem Grasgärtchen hat der „Herkules" — so
wurde er auch genannt — bis zum Jahre 1867
oder 1868 gelegen und der Besitzer des Grund-
stücks erhielt von der hessischen Regierung eine
Entschädigung von 26 Silbergroschen jährlich.
Wir Kinder benutzten den liegenden Steinblock,
der obwohl roh behauen doch deutlich die menschliche
Gestalt aufzeigte, als Burg und Festung bei unsern
Spielen. Nach der Annexion wurde der schon mit
Sagen umwobene Stein für 7 '/2 Silbergrvschen
(soweit ich mich erinnere) verkauft und zerschlagen.
Es war Niemand da, der sich des immerhin
historischen Denkmals annahm.
—a.—
Wie es früher manchmal mit Vergebung von
Stipendien in Marburg gehalten wurde, mag
folgender Vorfall darthun: Seit 1827 hielt sich
dort ein Student der Chirurgie Namens Klocken-
bring auf, welcher seit 1831 ein Stipendium aus
den Einkünften des säkularisirten Klosters Möllen-
beck bei Rinteln bezog. Nachdeni im Ansang der
vierziger Jahre der von den Korps als Paukarzt
angenommene Chirurg Müller, genannt Mohren-
pinscher, nach Amerika ausgewandert war, wurde
dieses Amt an genannten Klockenbring übertragen,
wofür er von jedem Mitglied eines Korps 2 Thlr.
für das Semester als Honorar erhielt. Dafür
mußte er bei jeder Paukerei zugegen sein und die
Verwundeten ärztlich behandeln. Klockenbring ver-
waltete dieses Amt bis zu Anfang der fünfziger
Jahre, bezog aber nebenbei und trotzdem er Jahre
lang keine Kollegien gehört hatte, auch das Möllen-
becker Stipendium bis zum Jahre 1857, in welchem
Jahre das Kurfürstliche Ministerium des Inneren
ihm dasselbe entzog. Als völlig mittellos wurde
nun Klockenbring in seine Heimath verwiesen, nach
einiger Zeit aber als krank in die Jrrenheil-
Anstalt Haina ausgenommen, woselbst er später
verstorben ist. Auch Söhne höherer Staatsbeamten
genossen damals Stipendien, welche auf diese Weise
den weniger bemittelten Studircnden entzogen
wurden.
S»
Kürzlich ist der Rohheit einiger Buben ein
altehrwürdiges Denkmal zum Opfer gefallen, das
zwischen Friedewald und Hönebach mitten im
Söllingwald steht, das sog. Nadelöhr. Das
„Herss. Kreisbl." berichtet über das Denkmal:
Dasselbe besteht aus einem mannshohen Stein,
148
dessen unterer Theil ausgehöhlt ist, so daß selbst
ein Erwachsener durchkriegen kann. Nebe!: diesem
Nadelöhr ist ein steinerner Opferstock angebracht,
in welchem früher eine Kasse sich befand, worin
milde Gabe:: für die Hersfelder Waisenkinder ge-
sammelt wurden. Man erzählt, daß das Nadel-
öhr seine Entstehung einem der alten hessischen
Landgrasel: verdanke, der zur Sommerzeit im Friede-
walder Schlosse Hof hielt und dabei in beu weit-
ausgedehnten Forsten des Söllingwaldes dem edlen
Waidwerk nachging. Während dieser mit seinen
Genossen unb Gästen den Hirschen und Wildsauen
zu Leibe rückte, lag die Frau Landgräfin mit ihren
Hofdamen einer friedlicheren Beschäftigung ob.
An einer entzückend schönen Stelle aus dem Kamme
des Gebirges, mitten im prächtigen Hochwalde, war
ein Häuschen errichtet, und in und neben demselben
saßen die Damen und plauderten und — nähten.
Es muß hier schön gewesen sein, wenn zur heißen
Mittagszeit die Sonne grüne Lichter durch die
dichten Laubdächer der Bäume herabsandte auf das
bunte Moos und ein angenehmer Windhauch den
Klang der Jagdhörner von fernher herübertrug.
An dieser Stelle ließ der Landgraf, seiner Gemahlin
zu Ehren, das Nadelöhr errichten. Das damalige
Häuschen ist natürlich längst verfallen und gegen-
wärtig befindet sich eine zur Aufbewahrung von
Waldarbeitergeräthen dienende Hütte am Platze,
das Nadelöhr selbst aber hat Jahrhunderte über-
dauert und — könnte heute noch stehen, wenn es
nicht jüngst der Zerstörungswuth einiger fremder
Handwerksburschen zum Opfer gefallen wäre. Es
ist das geradezu unverständlich, wie Jemand Ver-
gnügen daran finden kann, einen derartigen Ge-
denkstein zu vernichte!:. Es ist gelungen, die
Burschen festzunehmen und hinter Schloß und
Riegel zu bringe!:, ob aber das Nadelöhr wieder-
hergestellt werden -wird, ist noch fraglich.
Aus Hermath und Fremde.
Am 8. Juni findet in Efchwege die fünfte
Versammlung des Hessischen Städtetages
mit folgender Tagesordnung statt: 1. Eröffnung
der Versammlung durch den Vorsitzenden. 2. Ge-
schäftliche Mittheilungen, insbesondere Erstattung
des Kassenberichts durch den Rechnungssührer,
Herrn Bürgermeister Schöffer-Gelnhausen. 3. Partielle
Neuwahl des Vorstandes nach 8 5 der Satzunge::.
4. Ueber die zweckentsprechendste Einrichtung des
Haushaltsplanes, der Rechnungsführung und der
Kontrolle in den mittleren und kleineren Städten
des Regierungsbezirks Kassel. Referent: Herr
Stadtsekretür Boedicker-Kassel. Korreferent: Herr
Stadtkämmerer Scherzberg-Hanan. 5. Die praktische
Anwendung des Gesetzes vom 2. Juli 1875.
Referent: Stadtbaurath v. Noäl-Kassel. Korreferent:
Herr Oberbürgermeister Westerburg-Kassel. 6. Welche
Beschlüsse sind zur Ausführung des Kommunal-
abgaben-Gesetzes vom 14. Juli 1893 von den
Gemeinden zu fassen und zu welchen Beschlüssen
ist die obrigkeitliche Genehmigu::g erforderlich?
Referent: Herr Oberbürgermeister Westerburg-Kassel.
Korreferent: Herr Oberbürgermeister Schüler-
Marburg. 7. Welche Vortheile bietet die Anlage
einer nach dem heutigen Stand der Technik aus-
geführten Wasserleitung den mittleren und kleineren
Städten? Referent: Herr Regierungsbaumeister
Schmick-Frankfurt a. M. 8. Einrichtung einer
Pensionskasse für Wittwen und Waisen der Ge-
meindebeamten und -Diener. Referent: Herr
Bürgermeister Schöffer-Gelnhausen. Korreferent:
Herr Stadtsekretär Boedicker-Kassel.
Aus Rinteln wird berichtet: Gelegentlich der
Anwesenheit des Herrn Sanitätsrath Dr. Weiß,
des Obmannes für die Ausgrabungsarbeite!: im
Fürstenthnm Schaumburg-Lippe, hat sich hier ein
selbstständiger Zweigverein des Bückeburger
Geschichtsvereins gebildet. An die Spitze des
neuen Vereins ist der als Alterthumsfreund und
Kenner bekannte Landschaftsrath Frhr. Hilmar
v. Münchhausen getreten, die Schriftleitnng befindet
sich in den Händen des Herrn Oberstlieutenant
a. D. v. Spiegel. Die erste Sitzung, zu deren
Abhaltung der zeitige Präsident seinen durch die
stilvolle, alterthümliche Ausstattung mit dem Geiste
des Vereins harmonirenden Saal zur Verfügung
zu stellen so liebenswürdig war, verlief in der
unterhaltendsten Weise, indem Herr Sanitätsrath
Dr. Weiß mit dankenswerther Bereitwilligkeit in
fesselndem Vortrag zunächst ein anschauliches Bild
von der Lage und Beschaffenheit der in hiesiger
Gegend vorhandenen Lagerüberreste an der Hand
von Skizzen und Karten entwarf, dann genauer
auf die Unterscheidungsmerkmale der römischen,
sächsischen und fränkischen Befestigungen einging
und schließlich noch einige sehr interessante Mit-
theilungen über Etymologie der Ortsnamen unserer
Grafschaft machte. — Aufgabe des neugegründeten
Vereins soll es sein, Interesse für Auffindung und
Erhaltung von Alterthümern zu wecken, resp. zu
heben, sowie durch jährlichen Beitrag der Mitglieder
eine Freilegung der noch nicht untersuchten Lager-
besestigungen unserer Gege::d zum Zweck der Fest-
legung der Zeit ihrer Entstehung zu ermöglichen.
149
Der dritte Historiker-Tag sollte laut dem
Beschluß der vorjährigen Leipziger Versammlung
in Marburg stattfinden. Doch hat man von
dort, wie verschiedene Blätter berichten, gebeten,
von dem Plane abzusehen.
Die Beilage Nr. 140 der Münchener „Allgemeinen
Zeitung" enthält einen von kundiger Hand ge-
schriebenen Aussatz über unsern landsmännischen
Dichter Richard Jordan, der im fernen Westen
lebend vor Kurzem die prächtigen „Lieder vom
Stillen Ocean" aus deutschem Boden hat
erscheinen lassen. Wir wollen auch bei dieser
Gelegenheit nicht versäumen aus das kleine, schön
ausgestattete Buch, das Jedem, der am Schönen
Freude hat, Genuß bereiten wird, ausmerksam zu
machen. Die „Lieder vom Stillen Ocean" sind
bei Otto Hendel in Halle erschienen.
Am 21. Mai starb in Kassel im Alter von
nur 44 Jahren nach längerem Leiden Herr Dr.
med. Emil Ioost, ein vielgesuchter uud tüchtiger
Arzt, ein liebenswürdiger, humaner Mann, dessen
Heimgang in weiten Kreisen Kassels lebhafter
Theilnahme begegnet. Der nun Verewigte hatte
einen an der Influenza erkrankten Patienten in
Behandlung, bei welchem später die Lunge in
Mitleidenschaft gezogen war. Hierbei hatte er sich
inficirt. Seit einem Vierteljahr kränkelte nun
Br. Joost und besuchte, um Heilung zu finden,
11 Wochen lang das Bad Falkenstein, kehrte aber
betrübt, seine Hoffnung nicht erfüllt 31t sehen, von
dort nach Kassel zurück. Er hatte indeß keine
Ruhe und ließ es sich nicht nehmen, bis 31t den
letzten Tagen seines Lebens seinem Beruf pflicht-
getreu obzuliegen. Von der Beliebtheit, deren sich
der Hingeschiedene erfreute, legte die zahlreiche
Betheiligung an seiner Beerdigung Zeugniß ab.
Dr. Joost, der schon mit 16 Jahren das
Abiturientenexamen abgeleistet hatte, studirte in
Marburg, wo er dem Korps Hasso-Nassovia an-
gehörte.
Die in New-Iork erscheinenden „Hessischen
Blätter" (Herausgeber und Eigenthümer:
Boelcker Brothers) erfüllen mit Geschick die
schöne Aufgabe, unsere Landsleute im fernen Westen
geistig untereinander und mit der Heimath
zusammenzuhalten. Wir entnehmen der Nr. 16
(vom 21. April) folgende gewiß manchen unserer
Leser interessirenden Personalnotizen. Im St.
Joseph, Mo., starb am 8. März der Prediger-
Adam Jockel, geboren am 6. Dezember 1834
in Mannheim. Jockel ging, 17 Jahr alt, nach
Amerika, verheirathete sich dort mit Elisabeth Löhr
und machte den amerikanischen Krieg mit. — Ganz
plötzlich verschied in Detroit, Mich., am 13. April
Kapitän Chas. Rühl. Er war am 14. November
1829 zu Darmstadt geboren und kam im Jahre
1862 als hessischer Offizier nach New-Iork um
den Bürgerkrieg mitzumachen. Nach demselben
kehrte er nicht mehr in die alte Heimath zurück,
sondern widmete sich dem Geschästsberufe. Ein
Sohn von ihm wohnt als Geschäftsmann in
New-Iork. — Wilhelm Protz mann, 52 Jahr
alt, aus Wittgenborn, Kreis Gelnhausen, starb
am 12. März in Brooklyn, N.-I, nach langem
schweren Leiden. Ebenfalls jung nach Amerika
gekommen, gründete er sich ein Tapeziergeschäst,
das durch seine Gediegenheit einen großen Kunden-
kreis gewann. Verdient machte er sich als Gründer-
verschiedener Gesangvereine, sowie des Hessischen
Volksfestvereins von Brooklyn. — Es starben
ferner: Anton Stephan Alt, 49 Jahre alt, aus
Naumburg (Kurhessen) in Brooklyn; Johann
Ludwig (72 Jahre) aus Schönstadt, Kr. Marburg,
und Carl Dittmar (58 Jahre) aus Bracht,
Kreis Marburg, beide in Cincinnati. — In
Arlington, Hancock County, Ohio, starb am
25. April im Alter von 92 Jahren Frau Anna
Katharina Tracht aus Lautern (Großherzogthum
Hessen), eine der ältesten Pionierinnen der dortigen
deutschen Kolonie. Im Jahre 1831 schloß sie
sich einem Trupp hessischer Auswanderer an, um
sich in Amerika niederzulassen. Das Schiff, aus
dem sich die Auswanderer befanden, wurde jedoch
bei dunkler Nacht durch einen schweren Sturm
auf eine Sandbank bei Norfolk, Va., geworfen,
und die Schiffbrüchigen waren in höchster Noth,
bis sie am Morgen durch Plantagenneger nach
dem nahen Strande gebracht wurden. Dieses
denkwürdige Ereigniß wird seither im Hessen-
Settlement alljährlich durch Gottesdienst am
17. September festlich begangen. Frau Tracht
hinterläßt zwei Söhne, zwei Töchter, 17 Enkel
und 33 Urenkel.
Kunstnachrichten aus Hessen.
In H a n a u ist man nicht sehr erfreut über die
Verzögerung der Grimm denkmal-An gelegen-
heit, die dem betreffenden Künstler, Professor
Eberle-München, zur Last fällt, der seine Zu-
sagen bisher nicht erfüllt hat. Nach 8 5 des
Vertrags vom 4. Februar 1891 beträgt die Bau-
zeit 31jz Jahre. Die Aufstellung des fertigen
»
150
Denkmals müßte danach in die Zeit um den
4. August 1894 fallen. Das Hülssmodell für
die Hauptgruppe hatte er in l1/* Jahren, also
spätestens am 4. August 1892 den Vertrauens-
männern des Komitss vorzustellen. Nicht bloß
diese Frist, sondern auch die einjährige Frist,
binnen welcher er das Modell der Hauptfiguren
gußfertig herzustellen übernommen hatte und die
am 4. August 1893 ablief, ist resultatlos ver-
strichen. Nunmehr hat Herr Professor Eberle unter
dem 29. April 1894 dem Komitö Folgendes mit-
getheilt: „Ende August ist das Hülssmodell der
Brüder Grimm fertig und die Kommission kann
dasselbe um diese Zeit besichtigen. Dadurch, daß
das Hülfsmodell in Lebensgröße modellirt ist und
durch ein neues praktisches Verfahren bei der
Uebertragung ins Große bin ich in den Stand
gesetzt, bis Frühjahr 1895 das wirkliche Modell
fertig zu stellen. Um jedem Zweifel an der Ein-
haltung dieser Daten zu begegnen, unterziehe ich
mich jeder vom Komite gestellten Bedingung.
Anderntheils möge die Angabe dazu beitragen,
die Zweifel zu verscheuchen, daß nicht das Hülss-
modell es war, das mich so lange Zeit in Anspruch
nahm, sondern daß andere Arbeiten, die ich vorher
erledigen wollte und zuin Theil nicht abweisen
konnte, mich bis zum Zeitpunkt, wo ich glaubte,
das Hülssmodell fertig zu haben, vollauf be-
schäftigten. Gießereien stellen mir Offerte, die
Gruppe in sechs Monaten in Bronce herzustellen."
Das Gesammtkomito. hat sich am 22. Mai
in einer Sitzung mit der Angelegenheit beschäftigt.
Justizrath Osius legte den gegenwärtigen Stand
der Denkmalsangelegenheit dar. Das Konnt«
beschloß nach einer kurzen Debatte, aus die von
Herrn Professor Eberle selbst vorgeschlagenen, oben
mitgetheilten Fristen, daß nämlich Ende August
dieses Jahres das Hülfsmodell der Brüder Grimm
vollendet ist und um diese Zeit von der Kommission
besichtigt werden kann und ferner bis Frühjahr
1895 das wirkliche Modell fertig ist, einzugehen,
in einem neuen Vertrage aber gegen aus-
giebige Kanteten diese Bedingungen fest-
zulegen. Was schließlich das Denkmal selbst
anbelangt, so wird es in der reicheren Ausstattung
zur Ausstellung gelangen. (Hauptgesims und Schaft
in Bronce mit Reliefs und Schristseite, der untere
Sockel und die Stufen aus Syenit.) Die Kosten
für diese Ausführung sind kontraktlich auf 95 000
Mark vereinbart. Die zur Verfügung stehenden
Baarmittel belaufen sich auf 84 000 Mark. Er-
wähnt sei noch, daß zum Präsidenten des Komites
an Stelle des verstorbenen Herrn Kommerzien-
rathes I. F. Zimmermann Herr Oberbürgermeister
Dr. Gebeschus gewählt ward.
Auf der gegenwärtigen großen Kunst-
ausstellung in Berlin sind auch eine ganze
Reihe von hessischen Künstlern vertreten. Wir
nennen: Martha Dehrmann-Kassel (Sommer-
abend und Bildniß der Sängerin Frl. H. Schick).
Fritz Grebe-Berlin (Landschaft mit Kühen
und „Nueröfjord"), Johannes Kleinschmidt-
Kassel („Stillvergnügt" und „Gemeinsames
Vesperbrot"), Professor Hermann Knacksuß-
Kassel (Spätsommerabend), Adolf Lins-Düsseldorf
(Am Bach; Gänseweide; Am Teich), Theodor
Matth ei-Kassel („Mütterchen, warum weinst
Du?"), Frieda Mensh aus en-Kassel (Herren-
bildniß), Adolf Müller-Düsseldorf (Vom alten
Rom; Auf dem Monte Pincio), Heinrich Otto-
Düsseldorf (In der Hürde;' Mondaufgang), Fritz
v. Wille-Düsseldorf (Schlimme Zeiten; Ruine
Reifferscheid), Bernhard Zicken draht - Berlin
(Erblüht; Bildniß; Im Negligö). Mit Bild-
werken sind vertreten Professor Carl Begas-
Kassel (Büste des Hoskapellmeisters Reiß und
Damenbildniß, Relief nach dem Leben), Adolf
Kürle-Berlin („Da madre“, Gruppe in Gips;
Bildnißstudie, Büste in Gips; gefesselte Sklavin,
Bronce). In der Abtheilung für Baukunst finden
wir : Heinrich M ä n z - Berlin (Konkurrenz-Entwurf
zu einem Rathhause für Elberfeld).
Dem Marburger Publikum steht ein hoher
Kunstgenuß bevor, in der in Marburg am
3. Juni beginnenden Kunstausstellung, die
sehr reichlich beschickt werden wird und Vorzügliches
bietet. Von den Ausstellern seien heute folgende
namhafte Künstler genannt: Ernst Anders, C. N.
Bantzer-Dresden, P. Baum-Dresden, W. Bauer,
Peter Becker-Frankfurt, W. Degode-Düsseldorf,
W. Effenberger-Rom, Dora Hitz-Paris, Louis
Katzenstein-Kassel, I. Kleinschmidt-Kassel, F. Klingel-
höfer-Marburg, L. Knaus-Berlin, F. Koppay-
Berlin, B. v. Loesen-Berlin, B. Plockhorst-Berlin,
A. Pfeffer-Marburg, Fr. Prölß-München, Wilh.
Ritter-Dresden, F. Schürmann-Marburg, Rob.
Sterl-Paris, Trautschold-London, Otto Ubbelohde-
Marburg, H. v. Volkmann-Karlsruhe, Fr. Wille-
Düsseldorf, Jos. Zenisek-München, Ernst Zimmer-
mann-Willingshausen. Außer diesen modernen
Künstlern werden noch eine Anzahl von Bildern
älterer Meister — niederländischer — italienischer
und deutscher Schule zur Ausstellung gelangen;
hoffen wir, daß nun auch unser Publikum dem
gemeinnützigen und idealen Unternehmen sein volles
Interesse zuwenden möge! Mit Vorliebe haben
auch hessische Meister die Ausstellung beschickt.
151
Hessische Bücherschau.
Dr. Karl Knabe, Oberlehrer. Ueber Schul-
münzen im ehemaligen Kurhessen. Wissen-
schaftliche Beilage zum Osterprogramm der
Oberrealschule zu Kassel. 40. (28 S.) 1894.
Es giebt zwei Arten von Münzen, die von oder
für Schulen geprägt worden sind und noch geprägt
werden, erstens solche, die als Prämien für Fleiß
und gute Führung an Schüler vertheilt werden,
sog. Brabeonen, welche in einzelnen Ländern und
Städten, wie in der Schweiz, in Hamburg u. a.,
sich bis iws 16. Jahrhundert zurückversolgen
lassen, und dann solche, die als Erinnerungs-
zeichen für bestimmte Ereignisse, wie Gründungs-
oder Jubiläumstage oder zum Gedächtniß hervor-
ragender Lehrer und Leiter geprägt worden sind.
Münzen beiderlei Art sind im ehemaligen Kur-
staate in unverhältnißmäßig großer Anzahl vor-
handen, und kaum dürfte es ein Ländchen gleicher
Größe geben, das Hessen in dieser Hinsicht über-
trifft. Es war deshalb ein guter Gedanke des
Verfassers, diese Münzen einmal zusammenzustellen
unb an der richtigen Stelle — in einem Schul-
programm — zu veröffentlichen.*) Mit großem
Geschick unb nicht unerheblicher Mühe hat er von
weitaus den meisten Stücken eine eigene An-
schauung sich zu verschaffen gewußt und sie mit
numismatischer Akribie beschrieben. Ganz besonders
dankenswerth sind die jeder Anstalt vorangestellten
historischen Notizen über Gründung und Ent-
wicklung und über die verschiedenen Anlässe
zur Ausprägung der Medaillen, wodurch die Arbeit
auch geschichtlich interessant und werthvoll ist.
Verfasser theilt seine Abhandlung in sieben Ab-
schnitte. Im I. und II. beschreibt er die Medaillen
der Hochschulen: Universitäten und wissenschaft-
lichen Akademien. Unser v Hessenland hat von
ersteren die erstaunlich große Zahl vier zu ver-
zeichnen: Kassel (2. I. 1633 bis 16. VI. 1653),
Fulda, Rinteln, Marburg. Von der nur 20 Jahr
in Kassel gewesenen Universität sind Medaillen
nicht vorhanden. Fulda, eröffnet als Kollegium
am 20. X. 1572 von Fürstabt Balthasar von
Dermbach, mit'Bewilligung Pabst Clemens XII.
vom Primas Freiherr Adolf [ von Dalberg zu
einer Universität mit vier Fakultäten (1734) er-
weitert, bestand bis zum Jahre 1804, in welchem
sie von Wilhelm I., Fürst von Corvey und Dort-
*) Mit Erlaubniß der Schule hat auch die bekannte,
in Berlin erscheinende Zeitschrift „Der Sammler",
herausgegeben von Dr. Brendicke, in ihren beiden ersten
Nummern obige Arbeit zum Abdruck gebracht.
mund, aufgehoben wurde. Eine große, 60 mm
im Durchmesser haltende silberne Medaille, wurde
bei der Einweihungsseier am 19. IX. 1734 an
die Anwesenden vertheilt. Als dritte Universität
ist zu nennen Rinteln, gegründet 1620 von
Gras Ernst von Schaumburg, aufgehoben vom
westfälischen König Hieronymus Napoleon am
1. V. 1810. Bei ihrem 100 jährigen Jubiläum,
das Mitte Juli 1721 gefeiert wurde, bei welcher
Gelegenheit die Universität „mit gnädigstem Bor-
bewußt" des Landgrafen Karl von Hessen das
Amt des „Rector magnificentissimus“ dem kleinen
zehnjährigen Enkel desselben, dem Prinzen Wil-
helm, übertrug, wurden verschiedene güldene und
silberne Denkmünzen geprägt. Als vierte Uni-
versität macht den Beschluß unsere altberühmte,
nach wie vor blühende Marburger Alma mater
Philippina, eröffnet am 30. Mai 1527. Sie
weist goldene und silberne, gelegentlich ihres 100-,
200- und 300 jährigen Jubiläums ausgegebene,
sowie einige aus den seiner Zeit berühmten
Mathematiker und Philosophen Christian (seit
1745 Freiherrn von) Wolff geprägte Medaillen auf.
Bon akademischen Instituten wissenschaftlichen
Charakters kommen hier in Betracht das Kol-
legium Carolinum zu Kassel, gegründet 1595 von
dem gelehrten Landgraf Moritz, erweitert 1599
unter dem Namen Collegium Mauritianum zu
einer Akademie, dann 1618 unter dem Namen
Collegium Afielphicum Mauritianum zu einer
Ritterakademie „zur Beförderung der studirenden
rittermäßigen Jugend in Künsten und Sprachen,
sodann zur Anführung in allen ritterlichen
Tugenden und Uebungen" ausgebaut, 1633 — 1653
Universität (siehe oben), dann 1657—61 Gym-
nasium , 1661 ausgelöst, im Jahre 1709 als
Collegium illustre Carolinum wieder auflebend
unb endlich 1791 durch Wilhelm IX. mit der
Universität zu Marburg vereinigt. Preismedaillen
finden sich hier aus den einzelnen Jahren 1761
bis 1771, 1773, 1775—1785. Weiter gehört
hierher das Chirurgische Wilhelms-Institut, das
ebenfalls Landgraf Moritz in's Leben gerufen hatte,
und erst am 29. VI. 1821 von Kurfürst Wil-
helm II. geschlossen wurde, nachdem es während
der westphälischen Fremdherrschaft eingegangen war.
Im III. Abschnitt kommen die Mittelschulen:
Gymnasien, Realschulen und höhere Bürgerschulen,
an die Reihe. Die jüngste hier erwähnte Schul-
münze ist die Erinnerungsmedaille (Aluminium,
Bronze und Zinnzinkkomposition), die bei dem
50 jährigen Jubiläum der Oberrealschule zu Kassel
( 4./5. 1893) ausgegeben wurde.
In den folgenbeu Abschnitten IV—VII werden
die von Volksschulen, Handwerksschulen, Zeichen-
152
schulen und Kunstakademien geprägten Medaillen
beschrieben, in einem letzten Abschnitt einige Preis-
medaillen abgehandelt, die nicht einer bestimmten
Anstalt zuzuweisen waren oder von gelehrten
Gesellschaften, wie z. B. von der Societas agri-
eulturae et artium, ausgegeben worden sind.
Im Ganzen führt uns Verfasser in seiner sorg-
samen Arbeit 8 4 Münzen der gedachten Art vor.
Dr. A.
Bibliotheca Hassiaca. Repertorium der
landeskundlichen Litteratur für den Preußischen
Regierungsbezirk Kassel. Herausgegeben von
Dr. Karl Ackermann. Fünfter Nachtrag.
Kassel 1894. Selbstverlag des Herausgebers
(Ständeplatz 15). 18. S.
Die Arbeit ist eine vollkommene Ergänzung der
bisherigen verdienstvollen Publikationen des ge-
schätzten Herrn Verfassers, der damit einem wahren
ausgesprochenen Bedürfniß entgegen tritt. Diesem
fünften Nachtrage, der das Werk abschließen soll,
sind als Schlußwort die Verse Ovids mit aus
den Weg gegeben:
Da veniam scriptis, quorum non gloria nobis
causa, sed utilitas officium que fuit.
Wir glauben aber, daß nicht nur alle Fach-
männer im Bibliothekwesen, sondern auch Jeder,
der sich für hessische Litteratur interessirt, dem
Verfasser für sein mühevolles Werk dankbar sein
wird. Als Nachschlagewerk wird das Repertorium
einen dauernden Werth beanspruchen. Der vor-
liegende Nachtrag enthält außer den von Michaelis
bis jetzt erschienenen landeskundlichen Schriften
über unser Hessenland eine sehr große Zahl
älterer Werke und Aussätze, die dem Verfasser
bisher nicht bekannt waren und um deren Bei-
bringung sich Herr A. Fey, Hülssarbeiter an der
Landesbibliothek in Kassel, verdient gemacht hat.
Briefkasten.
Wir ersuchen alle verehrten Mitarbeiter, ihre Ein-
sendungen an die Buchdruckerei von Friedr. Scheel
Kassel, Schloßplatz 4, adressiren zu wollen.
Ungenannter Abonnent. Ihre Zusendung der
Nr. 20 des „Kujawischen Boten" hat uns viel Spaß ge-
macht. Das Geschichtchen, das wir nicht zum ersten Mal
gehört und gelesen haben, ist eine von den bekannten
Jagdgeschichten, die über die Hessen verbreitet werden.
Mag man den dort geschilderten Persönlichkeiten gegen-
überstehen, wie man will, solche Albernheiten haben sie
nie begangen. Wer den Verfasser übrigens kennt, weiß,
daß ihm der Anspruch, historisch ernst genommen zu
werden, völlig fern liegt. ' >
M. Straß bürg. Wie Sie sehen, sofort verwandt.
Wir bitten uns baldigst die Fortsetzung zuzuschicken.
Für Ihre freundlichen Bemühungen im Interesse des
„Hessenlandes" sagen wir Ihnen vorläufig schon auf
diesem Wege Dank ; damit verbinden wir die Bitte, uns
auch ferner unterstützen zu wollen. Ihre Vorschläge, die
wir sehr beherzigenswert^ finden, werden wir uns über-
legen. Einstweilen machen wir Sie darauf aufmerksam,
daß Probenummern in jeder gewünschten Anzahl stets
zu Ihrer Verfügung stehen.
Th. K. Regensburg. Freundlichsten Dank für die
willkommenen Beiträge.
0. E. Marburg. Wird Alles besorgt; ausführ-
liche Beantwortung vorbehalten. Großer Ueberfluß an
Zeitmangel!
W. B. Kassel. Für Mai leider nicht zeitig genug.
Läßt sich aber auch später verwenden. Könnten Sie
andern Titel vorschlagen?
Dr. H. B. z. Zt. Binz, Insel Rügen. Brief er-
halten. Vorläufig besten Dank; das Weitere wird sich
hoffentlich ohne Schwierigkeiten machen.
Dr. A. Kassel. Einsendungen erhalten und sogleich
verwandt. Es soll uns freuen, wenn Sie in der Er-
holungszeit Muße finden, unseres Blattes werkthätig zu
gedenken.
B. F. Witzenhausen. Für eine der nächsten
Nummern bestimmt.
.7. B. Kassel. Wegen der genauen Adresse des
Schweizerischen Blattes haben wir sofort nachgeforscht und
werden sie alsbald nach Empfang senden. Ein Artikel
über den Gegenstand wie überhaupt Beiträge verwandter
Art würden uns sehr erfreuen.
A. T. Wien. Wird mit Dank verwendet. Es
dürfte aber Ihren Wünschen entsprechen, wenn wir die
Gedichte im Zusammenhang bringen, was wir bald zu
ermöglichen hoffen.
Dr. F. H. Straß bürg. Solche Beiträge sind uns
prinzipiell angenehm und wir bitten um Einsendung.
G. Th. D. Mar b u r g. Wir bescheinigen dankend
den Empfang Ihres Manuskriptes, das wir sofort lesen
werden.
Anonymus Kassel. Ehe wir Ihre Einsendung
beantworten können, müssen wir um Angabe Ihres
Namens bitten.
E. S. Haina. Wir kommen gern Ihrem Wunsche
entgegen, wenn Sie uns einige kleine Abänderungen ge-
statten.
B. B. in R. bei Hanau. „Märchen" erhalten. Sie
bekommen in nächsten Tagen brieflich Antwort.
J. S. Frankfurt a. Main. Ihre Beiträge werden
uns stets willkommen sein, und wir rechnen auf baldige
weitere Einsendungen.
Den geehrten Abonnenten werden
Urovermmmern zur gest. Weiter-
verbreitung gern zur Verfügung
gestellt vom Verleger.
Herausgeber: Ferd. Zwenger's Erben. Stellvertr. verantwortlicher Redakteur: Dr. D. Saul in Stuttgart.
Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „gtfttldnvb“, Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur, erscheint zweimal monat-
lich, zu Anfang und in der Mitte jeden Monats, in dem Umfange von 11/a—2 Bogen Quartformat. Der Abonne-
mentspreis cheträgt vierteljährlich 1 Mark 50 Pfg. Einzelne Nummern kosten je 30 Pfg. Auswärts kann unsere
Zeitschrift durch direkte Bestellung bei der Post oder durch den Buchhandel, auf Wunsch auch unter Streif-
band bezogen werden; hier in Kassel nimmt die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4 (Fernsprecher
Nr. 372) Bestellungen an. In der Postzeitungsliste für das Jahr 1894 findet sich das „Hessenland" eingetragen
unter Nr. 3031. Anzeigen werden mit 20 Pfg. für die gespaltene Petitzeile berechnet und nur durch die
Annoncen-Expedition Kaasenstem & Mogler A.-K. in Kassel oder deren übrige Filialen angenommen.
Inhalt der Nummer 12 des „Hessenlandes": „O halte fest, was Du gefunden" , Gedicht von Elard Vis-
kamp; „Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz (Fortsetzung); „Der
amerikanische Feldzug der Hessen nach dem Tagebuch des Grenadiers Johannes Reuber von Niedervellmar", von
F. W. Junghans; „Das Burgfräulein", Märchen von Sascha Elsa; „Auf der Wanderschaft", Gedicht von M. Herbert;
„Prosa", Gedicht von Richard Jordan; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische
Bücherschau; Briefkasten ; „An unsere Leser"; Abonnementseinladung.
(D halte fest, was Du gefunden!
«ojP^eTtrt je Du hast das Glück gefunden, !
(sKD So halte fest es allezeit,
Denn ist es einmal Dir entschwunden,
Verlorst Du es für Ewigkeit.
Du wirst es nimmer wiederfinden,
So wenig wie zur Winterzeit
Du blau Vergißmeinnicht kannst winden
Am stillen Bache, der verschneit.
Du kannst wohl von dem Glücke träumen,
Als ob es noch Dein Eigen wär',
Doch gleicht es blätterlosen Bäumen:
Sie geben keinen Schatten mehr.
Drum halte fest, was Du gefunden
In treuer Liebe wahr und rein,
So wirst Du froh mit ihm verbunden,
Bis daß der Tod Euch scheidet, sein.
HkardlZLiskamp.
154
in iiiiiiiiiiiiiiiiiii
/ X siä X sv/ CptföX) ^ -Ä' f
ü'iJimwiiTiii iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiüiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiü.Miiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Philipp der Großmüthige > Landgraf von Hessen.
v 1504—1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
/jjt leich nach dem Regierungsantritte des Land-
Ifs)“ grafen Philipp drohte dem Lande Hessen
) von Seiten Sickingen's große Gefahr. Am
8. September 1518 sandte Sickingen von der von
ihm belagerten Reichsstadt Metz aus einen Fehde-
brief an den Landgrafen. Als Grund der an-
gesagten Fehde schützte Sickingen Bedrängung
seines Freundes Konrad von Hatstein als Gau-
erben von Riffenberg, sowie Vorenthaltung einiger
streitigen Wiesen bei Nordheim am Rhein, die
von seinem Vetter Hans erworben sein sollten,
vor. Vergebens ging der Laitdgraf benachbarte
und verwandte Fürsten um Hilfe für die bevor-
stehende Fehde an, so den Herzog Ulrich von
Württemberg, den Herzog Heinrich den Jüngeren
von Braunschweig und andere. Von Metz aus
rückte Sickingen mit 3000 Reitern und 10 000
Fußgängern in die Grafschaft Katzenelnbogen ein
und plünderte die ganze umliegende Landschaft
Gerau. Kurt von Wall'enstein, der Rüsselsheim
mit 3000 Mann besetzt hielt, wandte sich vergebens
nach Kassel um Geld, Proviant lind Truppen.
Die kleine Festung Stein, deren Kommandanten
Johann von Gilsa, Kurt Hesse, Tonges Wolf
waren, vertheidigte sich gut. «Lickingen nahm
Gernsheim, Zwingenberg ein und verwüstete die
umliegenden Dörfer, dann umzingelte er plötzlich
Darmstadt. Durch Vermittelung des sowohl mit
dem Landgrafen Philipp als auch mit Sickingen
befreundeten Markgrafen von Baden kam zu
Darmstadt ein Vertrag zu Stande, nach welchem,
neben anderen Bedingungen, Landgraf Philipp
an Sickingen 35 000 Gulden innerhalb 3 Wochen
zahlen und die Wiesen bei Nordheim zurückgeben
sollte. Für seine Bundesgenossen beanspruchte
Sickingcn Zurückgabe des ihnen Fortgenommenen,
endlich für Konrad von Hatstein lautete der An-
spruch auf Zahlung von 1000 Gulden. Bürgen
des Vertrags und Selbstschuldner für die aus-
bedungenen Geldsummen waren 80 hessische Ritter.
Falls die ausbedungenen Summen nicht gezahlt
werden sollten, war Sickingen berechtigt, ganz
Hessen anzugreifen und zu pfänden. Die ver-
langten 35 000 Gulden bezahlte der Landgraf,
den übrigen Inhalt des Vertrages, ausgenommen
das auf Sickingen und Konrad von Hatstein
Bezügliche, erklärte Kaiser Maximilian für un-
gültig. Auf die Mahnung Sickingen's an den
Landgrafen, dem abgeschlossenen Vertrage nach-
zukommen, erhielt er in Folge des vom Kaiser
Bestimmten von Philipp und den Bürgen des
Vertrags abschlägige Antwort mit der Aufforderung,
sich an den zukünftigen Kaiser, — es war nämlich
Maximilian kurz vorher gestorben —, oder an
ein Fürstengericht zu wenden. Landgraf Philipp
hatte dem vom Schwäbischem Bunde mit Ver-
treibung aus seinem Lande bedrohtem Ulrich von
Württemberg Hilfe versprochen, 200 Reiter und
600 Fußgänger. In Folge dieses Schrittes brach
Sickingen als ein Hauptmann des Bundes in
das Amt Lichtenberg ein. Als aber Philipp,
nachdem er sich vergebens um Unterstützung bei
benachbarten weltlichen und geistlichen Herrn um-
gesehen hatte, zu einem Bundesaufgebot 250 Reiter
und 400 Fußgänger zu stellen sich verpflichtet
hatte, unterblieb der Angriff Sickingen's.
Um verschiedener Ursachen willen bedrohte
Sickingen den Kurfürsten von Trier, Richard von
Greifenklau, mit Fehde und belagerte auch die Stadt.
Philipp eilte mit dem ihm jetzt befreundeten Pfalz-
grafen Ludwig mit 1000 Reitern und 8000 Mann
Fußtruppen Trier zu Hilfe. Als Sickingen von
dem Anmärsche dieser Hilfstruppen erfuhr, wandte
er sich, wohl auch noch durch den Mangel an
Pulver veranlaßt, von Trier ab und zog, ans
seinem Rückzüge an Dörfern und Weinbergen
großen Schaden verursachend, nach der Ebernburg.
Auf dem Reichstage zu Nürnberg (1522) wurde
die Reichsacht über Sickingen ausgesprochen und
alle Reichsstände zur Hilfe für den Kurfürsten
155
von Trier aufgefordert. Der Angriff auf die
Ebernburg wurde der vorgerückten Jahreszeit
wegen verschoben, nur einige Burgen Sickingen'scher
Anhänger wurden eingenommen. Im April 1523
begann die Belagerung der Feste Nannstuhl, auf
die sich Sickingen ihrer größeren Festigkeit wegen
von der Ebernburg aus zurückgezogen hatte, durch
Landgraf Philipp, die Kurfürsten Ludwig von
der Pfalz und Richard von Greifenklan von Trier.
Am sechsten Tage der Belagerung wurde Sickingen
tödtlich verwundet und die Burg übergeben.
Dieser Uebergabe folgte die mehrerer Burgen seiner
Söhne und Freunde, so von Drachensels, Dann und
Lützelburg in Lothringen, Hohenburg und zuletzt die-
jenige der Ebernburg nach siebentägiger Belagerung.
Landgraf Philipp erhielt bei der Theilung
Sickingen'scher Güter Schloß und Gebiet Kronen-
berg und einen Beuteantheil, der aber nicht die
für die Fehde aufgewendeten Kosten erreichte.
Pfalz und Trier theilten sich in die Besitzungen
auf dem linken Rheinufer. Kronenberg wurde
vom Landgrafen Philipp (1541) an feine vorigen
Besitzer unter dem Vorbehalte des Oesfnungsrechtes
zurückgegeben.
In der Hildesheimer Fehde (1519—1521) die
von Bischof Johann von Hildesheim und Heinrich
Der amerikanische Feldzug d
des Grenadiers Johannes
1776
dem Aelteren von Lüneburg gegen die Herzöge
von Kalenberg und Wolfenbüttel, Erich I. und
Heinrich den Jüngeren, geführt wurde, unter-
stützte Landgraf Philipp die letzteren öfters mit
Truppen auf Veranlassung der Landgräfin Anna,
die von Erich's Gemahlin, Elisabeth von Branden-
burg, darum angegangen war. In Folge eines
kurze Zeit vor der Schlacht bei Soltau in der
Lüneburger Haide ausgebrochenen Streites, da
die Brannschweiger erklärt hatten, das Bild des
hessischen Löwen fei das eines Hundes, zog ein
Theil der Hessen nach Hause. Die Schlacht fiel
zu Ungunsten der Herzöge aus. Philipp sandte
eine neue Hilfe von 350 Reitern und 600 Fuß-
gängern, die die Schlösser Heinrich's des Jüngeren
deckten. Nach der auf dem Reichstage zu Worms
(1521) erfolgten Reichsacht über den Herzog von
Lüneburg und den Bischof ;u Worms wurde
Philipp vom Kaiser aufgefordert mit dein Könige
von Dänemark dem Herzog Erich und seinem
Neffen zu helfen. Unter Hermann von der Mals-
burg wurden 350 Reiter, 1500 Fußgänger,
6 Schlangenbüchsen und 2 Karthaunen gesandt
und das Stift Hildesheim erobert.
(Fortsetzung folgt.)
r Hessen nach dem Tagebuch
Ueuber von Niedervellmar.
1783.
Von F. W. I u n g h a n s.
‘-¡¡in Nummer 16 des Jahrgangs 1893 dieses
jf Blattes brachten wir einen Auszug aus dem
1 Tagebuch des hessischen Grenadiers Johannes
Reuber von Niedervellmar über die Belagerung
von Mainz. Der nachfolgende Aufsatz berichtet
feine Erlebnisse während des amerikanischen
Feldzugs.
Johannes Reuber war geboren zu
Niedervellmar am 2. Mürz 1759 als Sohn eines
Tagelöhners. 1773 wurde er konfirmirt und
schon zwei Jahre darauf, am 15. September 1775,
zum Landgrenadierregiment ausgehobcn und ein-
geschworen. Er war vermuthlich groß und stark
gewachsen. 1775 schloß der Landgraf den bekannten
Vertrag mit England, und am 1. Januar 1776
bekam der noch nicht Siebenzehnjährige Ordre
zur Gestellung in I in m enhausen, wo die Kom-
pagnie des Majors Matthäus lag. Schon am 2.
rückte die Kompagnie nach dem größeren Orte
G r e b e n st e i n, wo die junge Mannschaft bei tiefem
Schnee und großer Kälte in aller Eile ^einexerziert
wurde. Am 3. März erfolgte die Ordre zum
Ausmarsch nach Amerika. Das^Bataillon wurde
in Eile mit den zum Felddienst erforderlichen
Ausrüstun'gsgegenstünden, Tornistern, Brotbeuteln,
Kesseln,^Flaschen, Aexten, Schippen und .Hacken,
versehen. Außerdem erhielt der Mann 60 scharfe
Patronen und eben so viele scharfe Steine, und
am 4. rückte das Bataillon zur Revue vor dem
Landgrafen nach Kassel, der es „auf der Renn-
bahn" musterte. Der Marsch nach Bremerlehe,
wo die Truppen eingeschifft werden sollten, ge-
schah zu Land längs der Weser. Am 7. April
langte das Bataillon in Schiffsdorf bei Bremer-
lehe an, Ivo es von einem englischen Kommissär
übernommen und für den Dienst des Königs
von England vereidigt wurde. Die erste hessische
156
Division, welche hier versammelt war, bestand
aus folgenden Regimentern, bezw. Bataillonen:
1. Das Jügerkorps.
2. Das detachirte Grenadierbataillon.
3. Das Leibregiment.
4. Das Regiment Erbprinz.
5. Das Regiment Prinz Karl.
6. Das Alt-Lvßbergische Regiment.
7. Das Regiment von Bose.
8. Das Regiment von Mirbach.
9. Das Kniphausen'sche Regiment.
10. Das Donop'sche Regiment.
11. Das Dithfurt'sche Regiment.
12. Das Rall'sche Grenadierbataillvn.
Sämmtliche Truppen standen unter dem Kom-
mando des Generals von Heister.
Eine zweite Division unter dem Kommando des
Generals von Kniphausen folgte kurze Zeit darauf
nach und wurde zu Ritzebüttel eingeschifft. Sie
bestand ans nachfolgenden Regimentern:
1. Einem reitenden Jägerkorps.
2. Einem dctachirten Grenadierbataillon.
3. Dem Wuttginau'schen Regiment.
4. Dem Benning'schen Regiment.
5. Dem Wissenbachischen Regiment.
6. Dem Huyne'schen Regiment.
7. Dem von Stein'schen Regiment.
Nach dem hessischen Exerzierreglement vom
Jahre 1767 bestand ein Regiment Infanterie
aus zwei Bataillonen zu sechs Kompagnien. Die
schönsten und größten Leute bildeten die beiden
Flügel- oder Grenadierkompagnie». Die Kom-
pagnie war 100 Mann stark. Die Grenadier-
kompagnien zweier Regimenter wurde im Krieg zu
einem Grenadierbataillon kombinirt. Ein solches
kombinirtes Grenadierbataillon war das Rall'sche,
dem Renber angehörte.
Da nicht Schiffe genug da waren, so mußte
das Rall'sche Grenadierbataillon nebst zwei Kom-
pagnien vom Regiment Kniphausen und drei
Kompagnien von Alt-Loßberg noch 14 Tage
in Geestendorf warten, bis es abgeholt
wurde. Am 21. stach es in See, am 24. legte
das Schiff in Deal an. Vom 25. April bis
zum 10. Mai lag die Flotte an der holländischen
Küste, um erst günstigen Wind abzuwarten.
Am 10. Mai endlich, als am ersten Pfingsttag,
lichtete sie die Anker, um nach einer ziemlich
ruhigen Fahrt von drei Monate» und vier Tagen
das Ziel ihrer Reise, den Boden Amerikas, zu
erreichen.
Der Verfasser beschreibt in sehr eingehender
Weise die Einrichtung des Schiffes, die Schiffskost,
er verzeichnet das Wetter, die Zahl der Seemeilen,
die sie jeden Tag zurücklegen, er instruirt sich
über den Gebrauch des Lots und des Sextanten
und hat ein offenes Auge für die Natur-
erscheinungen, welche die Langeweile der Seefahrt
verkürzen und dem Bauernsohn Veranlassung
zum Nachdenken geben.
Zur Unterbringung der Truppen war der
vordere Raum des Schiffes mit drei Reihen
Bettstellen versehen, je zwei über einander. Jeder
Soldat hatte eine Matratze, zwei Decken und
ein Kopfpolster. Bei gutem Wetter wurden die
Matratzen auf Deck gebracht und gelüftet, der
Raum aber täglich ausgekehrt und mit Essig
ausgeräuchert. Die Kost war derb, aber aus-
reichend. Jeden Tag erhielten je sechs Mann
vier Pfund Schiffszwieback. Sonntags gab es
Erbsen und vier Pfund Schweinefleisch für sechs
Mann, Montags Hafergrütze nebst Butter und
Käse, Dienstags vier Pfund Rindfleisch, drei
Pfund Mehl, ein halb Pfund Rosinen und ein
halb Pfund Rindsfett zu einem Pudding, Mitt-
wochs wie Montags, Donnerstags wie Sonntags,
Freitags Hafergrütze mit Butter und Käse und
Sonnabends Rindfleisch und Pudding. Außerdem
erhielten sechs Mann täglich vier Stübchen
Schmalbier und jeder Mann ein Kännchen Rum,
der aber unserem Renber nicht schmeckte. Seume
freilich, der bekanntlich in der Nähe von Vacha
zum Soldaten gepreßt wurde und den Krieg
unfreiwillig mitmachen mußte, beklagt sich sehr
über das täglich wiederkehrende pease and pork
und pork and pease, auch sagt er, daß drei
Mann ein Lager Hütten theilen müssen. Renber,
dem wir sicher glauben dürfen, sagt nichts davon
und beklagt sich weder über Bett noch Menage.
Renber beobachtet das Leuchten des Meeres und
die fliegenden Fische, welche, von einem andern Fisch,
den er pnrpose (porpoise, Meerschwein) nennt,
gejagt, sich in die Luft erheben, sobald aber die
Floßfedern getrocknet sind, wieder in's Meer
fallen. Der Fang eines Hais macht der Mann-
schaft viel Vergnügen. Endlich zeigen schwim-
mender Tang und vom Land verschlagene Vögel,
Enten lind Seeschwalben, wie bei Christoph
Columbus, die Nähe des Landes an. Am
15. August erblickte man Schiffe, war aber in
Sorge, es möchten sranzösische Kriegsschiffe sein,
denen das nur von einem englischen Kriegsschiff
begleitete Geschwader wehrlos in die Hände ge-
fallen wäre. Nach kurzer Zeit erkannte man sie
aber als die Transportflotte, welche vierzehn
Tage vorher von Portsmouth ausgelaufen war.
Beim Anbruch des nächsten Tages erblickten die
Seefahrer die Insel Staten Island, welche
von den Engländern besetzt war. Hier wurden
die Hessen an's Land gesetzt und bezogen das Lager.
157
Schon am 20. August fand das erste Gefecht
statt. Es galt die Insel Long Island zu
nehmen, auf der sich die Amerikaner festgesetzt
hatten. Die Kriegsschiffe nahmen die Boote,
in welchen sich die Landungstruppen befanden,
in's Schlepptau und vertrieben die Amerikaner
durch ein heftiges Geschützfeuer, worauf die
Landung ungehindert vor sich ging. Am folgenden
Tage, den 21. August, war ein Gefecht bei
Fleetbosh Watbush), wobei das Rall'sche Gre-
nadierbataillvn eine Fahne eroberte. Als ein Unter-
offizier gerade im Begriffe war, dem Oberst von
Rail das Beutestück zu überreichen, kam der
Brigadekommandeur General von Mirbach an-
gesprengt und nahm die Fahne für sich in
Anspruch. Es erfolgte eine heftige Szene. Rast
widersprach: Meine Grenadiers haben die Fahne
erobert, und sie soll ihnen auch bleiben; worauf
sich Mirbach grollend entfernte. Beide meldeten
den Vorgang, Rall aber, weit entfernt, darüber
getadelt zu werden, wurde wenige Tage darauf
zum Brigadekommandeur ernannt. Dies war
die erste Waffenthat des Ratl'schen Bataillons,
an der der junge Render theilnahm. Am
19. wurde nach einen: hitzigen Gefecht Newyork
selbst eingenommen und von den abziehenden
Amerikanern theilweise i» Brand gesteckt. Die
Forts Washington und Fort Leh (?) blieben vor
der Hand noch unbehelligt. Washington selbst
lagerte mit den: Gros feiner Armee bei
White plain. Die englische Armee rückte
deshalb am 28. September vor, um ihn in
seiner stark verschanzten Stellung anzugreifen,
allein sowohl dieser Angriff als ein zweiter, der
am 2. Oktober unternommen wurde, war ver-
gebens. In dem ersten Gefecht verloren die
Hessen viele Leute. Oberst von Rall, welcher den
linken Flügel kommandirte, kam den Amerikanern
durch eine Schwenkung in den Rücken und machte
so den klebrigen Lust. In der Nacht wurde
dem Feind durch zahlreich angezündete Feuer
und durch Hin- und Herfahren der Artillerie
glauben gemacht, die Hessen hätten Verstärkung
bekommen. Das zweite Gefecht beschränkte sich
auf eine gegenseitige Kanonade.
(Fortsetzung folgt.;
-----—WK-S—----
Das Burgfräulein
Märchen von Sascha Elsa.
™\om leichten Morgenhauche bewegt, zitterten
Do
die dunklen Blätter der Epheuranken, welche
einen zierlichen Erker der stolzen „Ronne-
burg" *) umspannen. Der Erker gehörte zu dem
kleinen Schlafgemache Rona's, des vielbewunderten,
vielbesungenen Burgfräuleins —, gerade eben lugte
ihr blonder Kopf aus dem kleinen Fenster. Rona
liebte das lange Schlafen nicht, jeden Morgen in
aller Frühe trat sie durch das hohe Burgthor,
stieg eilend den Berg hinab und durchschweifte
leichten Fußes das liebliche Thal. Auch heute
sehen wir die schlanke Gestalt des Burgfräuleins
flüchtig dahinschreiten.
Rona trug ein kleidsames Gewand aus weichem
Stoffe, welcher die Farbe des Himmels hatte.
Verbrämung und Gürteltasche bestanden aus tief-
schwarzem Sammt. Um das wellige, goldblonde
Haar hatte Rona, nach der Sitte jener Zeit, ein
Goldnetz gespannt, aus dessen weiten, glänzenden
Maschen unzählige Löckchen hervorsprangen, denn
Rona's schönes Haar ertrug den Zwang ebenso
wenig wie ihr stolzer, trotziger Sinn. — Ihr
*) Ronneburg: Burg in der Wettern», zwischen
Taunus und Vogelsberg gelegen.
Gesicht war fein, ihre Haut schneeweiß. Ihre
Augen hatten die Farbe des Meeres, waren von
langen, dunkelen Wimpern umgeben und hatten
einen sieggewohnten Blick. Rona kannte das
Geheimniß, wie man Herzen bricht, und wußte
um den Zauber, der in ihren Augen lag. — Ihre
größte Schönheit waren ihre schlanken, schneeweißen
Hände —, die waren so lilienfein, als gehörten
sie einer Fee. Noch vor wenigen Tagen hatte
ein schwärmerischer junger Ritter Rona's wegen die
Gegend verlassen und ihr die Abschiedsworte
gesandt:
„Tu mit den weißen Händen,
Traumschönes Burgsräulein,
Nie darfst Du mir gehören:
Was willst Du mich bethören?
O, dämpfe Deiner Augen
Verheißungsvollen Schein!
Du mit den weißen Händen
Und mit dem kühlen Sinn,
O, lasse mich entfliehen - —.
Ich habe Dir verziehen.
Daß Du mein Herz gebrochen.
Grausame Siegerin!"
158
Diese wehmüthige Klage schien aber wenig
Eindruck auf Nona gemacht zu haben —, sie
schritt so kühn dahin und lächelte unternehmend,
als wüsste sie nichts von deut „Ritter mit dein
gebrochenen Herzen".
Heute führte Rona's Weg zu einer alten
Kräuterfrau, welche aus dem Safte von allerlei
Pflanzen die Zukunft deuten konnte. Sauna war
auch, wie immer, schon sehr frühe auf den Füßen;
sie saß, von zwei blendend weißen Katzen und
mehreren gefüllten Kräuterkörben umgeben, auf
einem niederen Schemel vor ihrer dürftigen Hütte.
Als sie das Burgfräulein erbickte, winkte sie ihm
vertraulich mit der braunen Hand.
Rona war hier keine Fremde; sie ließ sich oft
von der alten Sauna wahrsagen, denn alles
Außergewöhnliche, Räthselhafte, Unerklärliche zog
sie mächtig an. — Heute hatte sie aber einen
besonderen Grund, die „kluge Frau" aufzusuchen.
„Sauna, Ihr müßt mir helfen!" rief sie der
Alten schon von Weitem entgegen, und, näher-
kommend, setzte sie leiser hinzu: „Ich habe
mein Herz verloren!"
Die alte Kräuterfrau riß ihre schwarzen Augen
weit auf; „Herz—verloren?" wiederholte sie lang-
sam, als hättesienicht recht gehört, „Herz—verloren ?"
„Hört mich an!" befahl Rona in ungeduldigem
Tone, „und laßt Euer blödes Staunen! Warum
sollte ich mein Herz nicht auch einmal verlieren?"
„Weil Ihr keins habt!" fuhr es der Alten,
wider Willen, über die Lippen.
Heftig stampfte das Fräulein mit dem Fuße,
ihr weißes Gesicht färbte sich roth. „Noch ein
solches Wort," rief sie in hellem Zorne, „und Ihr
sollt tut dunkelsten Gewölbe der Ronneburg Eure
Frechheit büßen! Oder", und sic lachte, daß ihre
schneeigen Zähne blitzten, „ich sperre Euch in die
Brunnenkamtner, da könnt Ihr sehen, ob Ihr
das große Rad*) in Schwung bringt, wenn der
Durst Euch plagt!"
Schott lag das Kräuterweib vor Rona im
Sande und küßte unaufhörlich den Saum ihres
blauen Gewandes. „Verzeiht, verzeiht!" winselte
sie, „Ihr habt das beste Herz, Ihr seid eine
Taube, eine Lilie —, ich wußt' nicht, was ich
rede, ich wußt' es nicht!"
Verächtlich lachend, riß Rona ihr Kleid aus
den Händen der Alten und befahl ihr, aufzustehen.—
Sauna gehorchte.
„Zur Sache!" ries das Burgsräuleiu, „setzt
Euch wieder auf Euren alten Wackelschemel und
hört mich endlich an!"
*) Aus dem Brunnen der Ronneburg wurde das
Wasser mittels eines mächtigen Rades aus unendlicher Tiefe
heraufgezogen.
Keuchend ließ sich Sauna auf ihren Lieblings-
sitz nieder, kreuzte die Arme und sah mit dem
scheinheiligsten Blicke ihrer falschen Augen zu
Rona auf. — Diese hob vom nebenstehenden
Stuhle einen Korb mit Kräutern herunter und
nahm auch Platz. „Gestern", begann sie flüsternd,
„machte ich mit meinem Vater einen großen,
großen Ritt von vielen Stunden —, wir kamen
an einem schönen Herrenhose vorüber, den ich
noch nie zuvor gesehen hatte —, nur mein Vater
war, bei Gelegenheit einer Hirschjagd, schon dort
zu Gaste gewesen; der Edelhof liegt dicht vor
einem tiefen Walde. — Gerade, als wir vorüber
ritten, trat aus dem Hofthore ein wunderschöner
Mann im Jagdgewande; von seinem Hute wehten
lange, weiße Federn, seine Gestalt war hoch und
gebietend, sein Haar war schwarz, und seine Augen
hatten einen königlichen Blick. Ihm folgte eine
Schaar fröhlich bellender Hunde. — Es war der
tnir noch unbekannte Ritter von Edelheim. —
Mein Vater hielt an, begrüßte ihn, nannte unsere
Namen und fragte den Ritter nach dem besten
Wege, denn in dieser Gegend wußten wir beide
nur wenig Bescheid. Höflich bat der Besitzer des
Herrenhofes um unseren Eintritt in sein Hans. —
Da der Tag sehr heiß und wir sehr durstig
waren, ließen wir uns bereden. Der Ritter rief
Knappen herbei, welche unsere Pferde und seine
Meute in Empfang nahmen, und führte uns
in sein Haus.
Etwa eine Stunde nur weilten wir unter
seinem Dache, aber diese eine Stunde genügte,
mein Herz ztt entflammen." — Rona seufzte tief.
„Dann wird es bald Hochzeit geben", grinste
die alte Sauna.
Wieder seufzte das Burgfräulein. „Er ist der
Erste, den ich liebe, und der Erste, dein ich nicht
gefalle. Gegen meinen Vater war er voll Ehr-
erbietung, gegen mich kalt wie Eis."
„Ach, wer wird die weiße Lilie nicht lieben!?"
schmeichelte das Kräuterweib, „ist denn Euer
Ritter von Stein?"
Rona sprang von ihrem Sitze empor, stellte
sich dicht vor die Zauberin und rief befehlend:
„Ihr müßt mir helfen! Sagt mir, was ich thun
soll, um ihm zu gefallen! Mit Gold und Silber
will ich Euch lohnen, wenn Ihr mir sagt, wie
ich ihn erringen kann!"
Rona hatte so heftig gesprochen und war der
Alten so nahe gekommen, daß die beiden weißen
Katzen, welche friedlich zu Füßen ihrer Herrin
geschnurrt hatten, verstummten und mit drohenden
Blicken das Burgfräulein musterten. Sauna
beugte sich nieder und strich beruhigend über das
weiche Fell ihrer Lieblinge. Vielleicht that sie
159
es nur, um den lauernden Zug in ihrem Gesichte
zu verbergen. Als sie sich emporrichtete, sah sie
wieder genau so scheinheilig aus wie vorher.
„Ja, da muß ich erst meine Kräuter fragen,"
sagte sie rn schleppendem Tone, „wollt Ihr warten
oder wiederkommen?"
„Ich warte", sagte Rona mit glänzenden
Augen. — Schwerfällig erhob sich Sauna und
kroch in ihre Hütte. Rona wußte, daß sie ihr
nicht folgen durfte. —
Es dauerte nicht lange, bis die Kräuterfrau
mit einer kleinen Pfanne voll dampfender Flüssig-
keit wieder aus ihrem Häuschen trat —, sie hatte
den Pflanzensaft immer vorräthig in Gläsern
und unterhielt stets ein glimmendes Feuer auf
ihrem Heerde. Mit wichtiger Miene hinkte sie
auf ihren Schemel zu, setzte sich und hielt sich
die winzige Pfanne dicht unter die schwarzen
Augen.
Mit gespannter Aufmerksamkeit folgte Rona
ihrem Treiben.
„O!" rief die Alte plötzlich mit erkünsteltem
Bedauern, „ich sehe Haß, Haß, der schöne Ritter
ist Euch nicht gut gesinnt, hält Euch für böse,
denkt, Ihr habt kein Herz, liebt nur Euch selber!
Doch was sehe ich nun? — nach langer Zeit
wird er Euch endlich lieben, aber Ihr müßt noch
gar viele Male den Burgberg auf- und nieder-
steigen, und eine große Wandlung muß noch
mit Euch vorgehen —." *
„Aber was soll ich thun, seine Liebe zu ge-
winnen?" forschte Rona athemlos.
Die Alte lächelte seltsam. „Ihr müßt Gutes
thun, Arme besuchen, Kranke pflegen, Trost in
elende Hütten tragen, und an dem Tage, an
welchem Euch ein armseliges Menschenwesen
einen , Engel der Barmherzigkeit' nennt, werdet
Ihr die Braut des Geliebten werden." — Sanna
wußte genau, welchen Abscheu das stolze Burg-
fräulein vor Krankheit und Elend hegte, wie
schrecklich es ihr war, mit niederen Leuten in
Berührung zu kommen. Sie selber hatte nur zu
oft den unbändigen Hochmuth Rona's empfunden
und haßte die Jungfrau ebenso sehr, wie dieselbe
von allen anderen Thalbewohnern gehaßt wurde.
Deshalb nannte sie ein Mittel, von welchem sie
wußte, daß es Rona peinlich sein mußte.
Diese hielt sich auch mit den beiden schönen
Händen die kleinen Ohren zu und rief unwillig:
„Hört auf, alte Hexe, dieses Mittel werde ich
niemals gebrauchen!"
Sanna lachte kalt. „Das thut mir leid," sagte
sie spöttisch, „dann werdet Ihr nie Euer Ziel
erreichen!"
„Giebt es kein anderes Mittel?"
„Nein," versetzte das Krüuterweib in bestimm-
tem Tone, „dies ist das einzige."
Im Thale wußte man nicht, was mall zu
Rona's plötzlicher Wohlthätigkeit sagen sollte.
Das Fräulein besuchte täglich die ärmsten Hütten,
trug eigenhändig ganze Körbe voll köstlicher
Speisen zu den Kranken, und warf mit Geld um
sich her, als hätte ein Fieber der Barmherzigkeit
sie erfaßt.
Die Leute schüttelten die Köpfe. „Das geht
nicht mit rechten Dingen zu," meinten sie be-
denklich, „so plötzlich hat sich noch kein Mensch
geändert. Freundlich ist sie auch nicht dabei, es
kommt ihr nicht von Herzen!"
Und das war die Wahrheit. Rona that zuerst
Alles nur aus eigennützigen Gründen; sie that es
ohne Liebe zum Nächsten. Ihr Herz öffnete sie
der Armuth nicht, aber ihren Blick konnte sie nicht
vor ihr verschließen. Zum ersten Male sah sie,
wieviel Elend und Kummer aus Erden wohnt. —
Daß es so schlimm sein könne, hatte sie nicht
geahnt. So erglühte doch langsam, unmerklich
ein Funke des Mitleids in ihrer Seele. Bald
fand sie es gar nicht mehr so schrecklich, eigen-
händig wohlzuthun, gar nicht mehr so unmöglich,
ein Wort des Trostes zu spenden, und eilte nicht
mehr, wie gejagt, von dannen, sobald sie ihre
Körbe in den Krankenstuben niedergestellt hatte.
Auch die Leute fürchteten sie nicht mehr; unter
dem Aufdämmern einer dankbaren Verehrung
schwand der Haß gegen das schöne Burgfräulein,
wie das Dunkel unter den Blicker: der Sonne
schwindet. Bald that Rona ihre guten Werke
aus wahrhaftem Herzensdrang —, sie hatte nie
geahnt, wie schön es ist, in den leuchtenden
Augen seines Nächsten herzliche Liebe zu lesen,
nie geglaubt, wie sehr das schwache Dankeslächeln
eines armen Kranken beglücken kann, aber auch
nie gedacht, daß unter den einfachen Hütten-
bewohnern soviel echte, brave Menschen seien. -
Ein ganz besonderer Schützling Rona's war die
Wittwe eines armen Schuhmachers. Diese war,
in Folge einer schweren Krankheit, noch so schwach,
daß sie nicht gehen konnte. Ihre einzige Tochter
Marga, ein liebes Mädchen von vierzehn Jahren,
pflegte die Mutter mit bewundernswerther Ge-
duld und Freudigkeit und besorgte mit großen:
Fleiße die häuslichen Arbeiten. Immer herrschten
Ordnung und Sauberkeit in der niederen Hütte. -
Täglich saß das Fräulein an: Bette der Leidenden,
erquickte dieselbe mit kräftigen Speisen und
feurigem Wein, sprach ihr Trost zu und suchte
ihr mit munterem Geplauder die Zeit zu kürzen.
160
Die Frau war glücklich, sobald sie den leichten
Schritt ihrer Wohlthäterin vernahm.
Eines Morgens fand Nona Frau Elsbeth
angekleidet auf einen Stuhle vor ihrem Lager-
sitzen. Freudestrahlend berichtete Marga, ihre
Mutter fühle sich heute so gestärkt, daß sie es
mit dem Gehen versuchen wolle.
Nona freute sich von Herzen, trug einen alten
Armstuhl in das kleine Gärtchen, belegte ihn mit
weichen Kissen und half nun Marga, die Genesende
hinaus zu führen. Es ging sehr langsam, und
die bethen Mädchen mußten viel Kraft anwenden,
um die Frau zu stützen, aber endlich kam man
doch glücklich bei dem Sitze an. Frau Elsbeth
ließ sich daraus sinken, Freudenthränen weinend,
daß sie endlich wieder Blättergrün, Himmelsblau
und Blüthenduft schauen und genießen konnte.
Plötzlich aber ergriff sie Rona's weiße Hündchen,
dankte ihr für jede Wohlthat und rief begeistert:
„Ihr seid ein Engel der Barmherzigkeit!"
In diesem Augenblicke trat aus dem Schatten
einer uralten, neben der Hütte stehenden Linde
die hohe Gestalt — — des Ritters von Edelheim.
Das Burgfräulein erröthete gleich einer Pfirsich-
blüthe. Der Ritter verneigte sich tief. -- — —
Bald darauf wandelten das Fräulein und der
Ritter den Burgweg hinan. — Otto von Edel-
heim berichtete seiner Begleiterin, daß er im
nächsten Dorfe eine Bestellung gehabt habe und
auf den Gedanken gekommen sei, die nahe Ronne-
burg aufzusuchen. Er habe sein Pferd eingestellt,
um zil Fuß den kleinen Weg zurückzulegen. „Als
ich an dem kleinen Häuschen Eures Schützlings
vorüberkam, hörte ich Eure Stimme", erzählte der
Ritter, „und konnte der Versuchung nicht wider-
stehen, Euch zu belauschen —; es war gut, daß
ich es that, denn so habe ich erfahren, daß Ihr
ein Herz habt."
Rona lächelte befangen. „Habt Ihr denn das
nicht geglaubt?"
„Nein!" gestand der Ritter freimüthig, „die
Kunde ging, Ihr wäret ein kaltes, herzloses
Wesen. — Darum konnte ich Euch auch nicht
freundlich begegnen, als Ihr mit Eurem Vater
bei mir weiltet. Eure Schönheit drohte, mich zu
besiegen, aber ich wollte stark sein."
Das Burgfräulein sah mit feuchten Augen zu
Otto auf. „Ihr hattet recht gehört," sagte sie
leise und sanft, „ich war sehr böse, aber ich hoffe,
daß ich nun ein wenig bester bin."
Das junge Paar stand vor dem hohen Thore.
Bei beit leisen Worten der Jungfrau sing im
Herzen des Ritters eine Saite all zu klingen —,
er fiel vor Rona nieder, und bat sie, sein und
seilles Hauses Engel zu werden. — Bevor Rona
ihre Antwort gab, beichtete sie dem Geliebten,
wie er unbewußt die Veranlassung zu ihrer Um-
wandlullg gewesen. Lächelnd drohte ihr der
Ritter mit dem Finger —, alte Kräuterfrauen
hatten nie zu seinen Schwärmereien gehört. —
Bald aber führte Otto von Edelheim strahlenden
Angesichtes seine liebliche Braut in die Burg
ihrer Väter.
Als die alte Sanlla von der neuen Verlobung
erfuhr, wiegte sie bedeutsam ihren grauen Kopf
hin und her, schaute zu den Baumwipfeln empor
und murmelte:
„Du weiße Lilie, Du weiße Taube,
Ich hör' es flüstern im grünen Laube:
Ein Herze gefunden —, ein Herze verloren;
Was sind doch die Menschen für Thoren!"
Aus dsr
„Es ist ja nur ein Gasthausleben,
Das wir hier führen" — also steht
Am Bauernhäuschen — und daneben
Ein Himmelswuusch und ein Gebet.
Es ist so alt und so alltäglich,
So oft gesagt, — originell
Ist's nicht und dennoch so unsäglich
Voll tiefer Wahrheit, mein Gesell,
Und für uns Beide, die wir treiben
Auf Lebens Hochfluth, wie gemacht.
Laß uns ein Stüudlein ruhig bleiben
Und Gott aufsuchen! Gute Nacht!
M. Aervert.
Pros».
Aufgeregt von frohem Feste
Kam mein Liebling jüngst nach Haus,
Und man zog ihm gleich das beste
Kleidchen unbarmherzig aus.
Wie das Kind auch prvtestirte
Und die alte Dien'riu schalt,
Ach, die Alte refüsirte,
Und sie brauchte gar Gewalt.
Und dabei sprach sie so nüchtern,
Daß das Zucht und Ordnung hieß',
Bis mein armes Kind sich schüchtern
Seines Schmucks berauben ließ.
161
Doch nun man ihm angezogen
Das verhaßte Alltagskleid,
Kam es zu mir hingeflogen
Und klagt' schmollend mir sein Leid:
„Nicht einmal mein Band von Rosa
Ließ sie mir, — schilt' sie, Papa!"
„Ja, mein Kind, die reine Prosa
Ist die garst'ge Alte da."
„Prosa?" fragt erstaunt die Kleine,
„Seit ich in die Schule ging,
Hört' ich nie solch' Wort, ich meine,
Was ist Prosa für ein Ding?"
„Prosa, Kind, ist eine Hexe,
Die zum Schönsten höhnisch lacht
Und die großen Tintenkleckse
In die Schönschreibhefte macht."
Guatemala, im Mai 1894.
Michard Jordan.
Aus alter und neuer Zeit.
Das Denkmal für König Konrad. Am
10. Juni hat das stille Städtchen Villmar
an der Lahn einen Festtag gehabt: Eine nach
Tausenden zählende Volksmenge hatte sich ein-
gefunden, um der Enthüllungsfeier des Denkmals
für einen echt deutschen Mann beizuwohnen, den
Gaugrafen des Hessen- und Lahngaues und späteren
König Konrad I. Aus einem gewaltigen Marmor-
felsen des Bodensteins am linken Ufer der Lahn,
von wo man einen prächtigen Rundblick genießt,
erhebt sich, seiner Stellung und Größe nach har-
monisch dem Standorte angepaßt, das dem ersten
deutschen Wahlkönige jetzt, fast 1000 Jahre nach
seinem Tode, errichtete Denkmal. Nach einem
Festzuge durch Villmars geschmückte Straßen zum
Standbilde und dem schwungvollen Vortrage der
Kantate „Am Bodenstein" hielt Dekan Ibach die
Fest- und Weihrede. Dann fiel unter dem Donner
der Böller die Hülle von dem prächtigen, von
Ludwig Cauer's Meisterhand gefertigten Stand-
bilde aus weißem Sandstein: der König, der in
kriegerischer Rüstung und weitem Mantel dar-
gestellt ist, hält die goldglänzende Krone in der
linken Hand. Von Schmerz gebeugt, schaut er aus
das Zeichen der Macht, das er im Begriffe ist,'
einem anderen Stamme und Fürstenhause (beni
Sachsenherzoge Heinrich) zu übertragen; die
Rechte stützt der Herrscher aus das Schwert Karl's
des Großen. Die 2 */2 Meter hohe Statue steht
aus einem kräftigen Sockel von Villmarer Marmor,
der die Inschrift trügt: „Konrad I. (911—918),
deutscher König und Gras des Lahngaues, übertrug
in treuer Sorge für des Reiches Sicherheit und
Macht, sterbend, Heinrich von Sachsen Krone und
Herrschaft." Den feierlichen Akt der Enthüllung
beschloß ein von Dekan Deißmann ausgebrachtes
Hoch auf Kaiser Wilhelm und der allgemeine
Gesang der Nationalhymne.
Im Juni 1894 sind hundert Jahre verflossen,
daß die steinerne Brücke über die Fulda
in Kassel vollendet wurde. Landgraf Wilhelm IX.
ließ dieselbe in den Jahren 1788 bis 1794 zum
Ersatz für eine baufällig gewordene und nur durch
enge Straßen zugängliche hölzerne Brücke (ober-
halb der jetzigen) an geeigneterer Stelle erbauen.
Zur Anlage dieser 79 Nieter langen und 12 Meter
breiten Brücke, welche in drei Bögen die Fulda
überspannt, mußten mehrere Häuser am Altmarkte
itrtb am rechten Fuldauser die alte Kirche der
Unterneustadt, welche fünf Jahrhunderte überdauert
hatte, abgebrochen werden. Der namentlich für
die damalige Zeit sehr ansehnliche Brückenbau
wurde entworfen von Oberbaudirektor I u s s 0 w;
eigentlicher Schöpfer war aber Steinmetzmeister
Heinrich Abraham Wolfs, der auch das Wilhelms-
höher Schloß erbaute. (Bergt. „Hessenland"; Jahr-
gang 1888, Nr. 15, S. 238).
In Girtanner's „Politischen Annalen", Bd. Ill,
schildert ein zeitgenössischer Korrespondent unsere
hessischen Landsleute bei der Belagerung von
Valenciennes, wie folgt:
„Der Hesse ist in der Transchee wie überall.
Er kennt die Gefahr, allein er fürchtet dieselbe
nicht. Wenn ihm der, immer aufmerksame, Kaiserliche
zuruft: ,Bombe!‘, so weicht er ihr aus; läßt
seine Pfeife dabei nicht ausgehen; trittst, wenn es
irgend möglich ist, seinen Schnaps und schläft,
lvenn es nicht anders sein kann, ein wenig int
Stehen. Die Hessen haben, während der 8 Tage,
während welcher sie täglich 600 Mann in die
Transcheen gaben, nicht mehr als einen einzigen
Todten itnb ungefähr vierzig Verwundete gehabt."
— An einer anderen Stelle schreibt er: „Ebenso
deutlich fällt der Unterschied des eigenthümlichen
Nationalcharakters in die Augen, wenn matt beu
immer thätigen Ungarn oder Slavonier, wo er
nur eine halbe Stunde Zeit übrig hat, eilte Kegel-
bahn anlegen und Kegel schieben oder sich im
Laufen und Springen üben sieht, während der
162
A
brave Hesse (welcher keinen andern Zeitvertreib
kennt, als zn schlafen oder sich mit dem Feinde
zu schlagen) ruhig, und beinahe ohne ein Lebens-
zeichen voll sich zu geben, im Zelte liegen bleibt."
Aus Heimat!) und Fremde.
Aus Berlin berichtet man uns: Die „Zwang-
lose Vereinigung geborener Kurhessen
zu Berlin" hält ihre Versammlungen bis zum
September (einschließlich) am ersten Mittwoch
des Monats im Leipziger Garten (Leip-
ziger Straße 132). Gäste aus der Heimath sind
sehr willkommen.
Irr Hanau ist am 8. Juni im Alter von
62 Jahren Herr Heinrich Weishaupt, Inhaber
der bedeutenden Bijouterie-Firma C. M. Weishaupt
Söhne, gestorben. Ein hochangesehener und um
das Gemeinwohl sehr verdienter Bürger der Stadt
Hanau ist mit ihm aus dem Leben geschieden,
dessen Thätigkeit sich aus die verschiedensten Gebiete
der städtische!: Verwaltung erstreckte und der allen
aus das Edle und Schöne gerichteten Bestrebungen
seine opferfreudige und werkthätige Unterstützung
zu Theil werden ließ. Seit über 25 Jahren ge-
hörte er ununterbrochen den städtischen Körper-
schaften an; vor etwa einem halben Jahre beging
er die Feier seines 25jährigen Jubiläums im
Kommunaldienste. Ueber 10 Jahre bekleidete er
im Gemeinde-Ausschuß das Amt des Vorsitzenden.
Der Verstorbene gehörte ferner längere Jahre dem
Provinzial- und Kommunallandtage als Abgeord-
neter an und war Vorsitzender bezw. Mitglied des
Vorstandes vieler anderer gemeinnütziger Institute
und Vereinigungen tu Hanau. An Anerkennung
und Auszeichnungen von seinen Mitbürgern wie
von den Behörden fehlte es ihm nicht.
Hessischer Städtetag. In Eschwege wurde
am 8. Juni der fünfte hessische Städtetag
abgehalten. Auch Oberpräsident Magdeburg und
Regierungspräsident Gras Clairon d^Hausson-
ville nahmen Theil. Der Vorsitzende, Ober-
bürgermeister Westerburg -Kassel, dankte den
Erschienenen und gedachte der im letzten Jahre
verstorbenen Mitglieder (Oberbürgermeister Rang-
Fulda und Bürgermeister Brack - Schmalkalden).
Ferner theilte er mit, daß die Zahl der zugehörigen
Städte jetzt 40 betrage; vielleicht sei später dem
Gedanken eines Hessen - nassauischen Städtetages
näher zu treten. Bürgermeister Docke begrüßte
Namens der Stadt Eschwege. Es wurde hierauf
die Tagesordnung erledigt; die wichtigsten
Punkte betrafen die zweckentsprechendste Einrichtung
des Stadthaushaltsplanes (Referent Stadtsekretär
Bödicker-Kassel) und die Ausführung des
Kommunalabgabengesetzes (Referent Oberbürger-
meister Westerburg-Kassel, Korreferent Ober-
bürgermeister Schüler- Marburg). Die beiden
statutenmäßig ausscheidenden Vorstandsmitglieder
Oberbürgermeister Schüler- Marburg und Bürger-
meister Schösser- Gelnhausen wurden wieder-
gewählt; an Stelle des verstorbenen Oberbürger-
meisters Rang- Fulda wurde Oberbürgermeister
Dr. Gebeschus-Hanau in den Vorstand gewählt.
Der nächstjährige Städtetag wird in Hersfeld
abgehalten werden. — Nachmittags 4 Uhr wurde
ein Festmahl im „Hotel Koch" gehalten, an dem
etwa 90 Personen Theil nahmen und bei dem es
an ernsten und heiteren Trinksprüchen nicht fehlte.
Ein von einem Kasseler Herrn verfaßtes Tischlied,
das nach der Melodie: „Strömt herbei, ihr Völker-
schaaren" gesungen ward, erregte allgemeinen Bei-
fall. Wir theilen die ersten drei Strophen hier
mit:
Strömt herbei aus Hessens Gauen,
Von der Diemel bis zum Main,
Von der Kinzig schönen Auen,
Von der Edder grünem Rain;
Wo der Fulda blaue Welle
Mit der Werra schließt das Band,'
Und als Weser ziehet schnelle
Hin zum deutschen Nordseestrand.
An den Flüssen Hessens wohnen
Deutsche Männer treuer Art,
In den Städten Hessens thronen
Deutsche Frauen hold und zart.
Hessenmuth und Hessentreue
War von Alters her begehrt,
Und im „Städtetag" auf's Neue
Wird die Hessentreu geehrt!
Wie die Alten treu gestritten
Für das schöne Hessenland,
So sind uns die heim'schen Sitten
Für und für ein Zauberband,
Das uns eint vom Habichtswalde
Bis zum Kreuzberg in der Rhön,
Von des Lahnstroms blum'ger Halde
Hin bis zu des Meißners Höh'n!
Tags daraus fand noch eine gemeinschaftliche
Fahrt aus den Meißner statt, die einen schönen
Abschluß des hessischen Städtetages bildete. Geh.
Justizrath Hupfeld wurde wegen seiner Verdienste
um die Vereinigung zum „Ehrenmitglied des
hessischen Städtetags" ernannt.
v
163
Das Sängerfest des hessischen Sänger-
bundes wird am 30. Juni, 1. und 2. Juli in
Hersfeld abgehalten werden. Unter dem Vor-
sitze des Bürgermeisters Becker haben sich in
Hersfeld mehrere Ausschüsse, u. A. ein Finanz-,
Bau-, Quartier- und Vergnügungsausschuß gebildet.
Die gastfreie Hersfelder Bevölkerung thut Alles,
um den Sängern einen freundlichen Empfang zu
bereiten. Es sind bereits über 500 Freiqnartiere
angemeldet worden. — Der N i e d e r h e s s i s ch e
Touristenverein hielt am 3. Juni in Kassel
seine Hauptversammlung unter dem Vorsitz
des Professors Dr. Zuschlag ab, die allerdings
von auswärts nur schwach besucht war, aber doch
einen ersprießlichen Verlaus nahm. Als Ort der
nächsten Versammlung wurde Karlshasen gewühlt.
— Der hessische Geschichtsverein hält seine
diesjährige Hauptversammlung in der letzten August-
woche in Han au, ab, woselbst zu gleicher Zeit
der dortige Bezirksverein die Feier seines 50jährigen
Bestehens festlich begeht.
Personalien.
Ernannt : Regierunasrath F. W. C n e ft e r in
Koblenz zum Oberverwaltungsgerichtsrath in Berlin.
Oberstabsarzt I. Klasse vr. Franz Alfermann, zuletzt
beschäftigt im Kriegsministerium in Berlin, zum General-
arzt und zwar in Posen. Praktischer Arzt vr. Franz
Niemeyer zum Kreisphysikus des Kreises Hünfeld.
Gerichtsassessor von Warnstedt zum Amtsrichter in
Corbach. Rechtskandidat Vormbaum zum Referendar.
Gerichtsassessor Clemen aus Rinteln ist zur Rechts-
anwaltschaft bei dem Amtsgerichte Rinteln zugelassen.
Geboren: Ein Sohn: Pfarrer Karl Müller und
Frau Auguste geb. Neuber, Michelstadt i. O. Eine
Tochter: Pfarrer Otto Werner u. Frau Amalie geb.
Rothfuchs in Homberg.
Vermählt r vr. irieä. Wilhelm Sinn, praktischer Arzt
in Bevensen, mit Fräulein Lina Wagen er.
Gestorben: Frau Kanzleirath Siebert, Kassel,
24. Mai; Divisionsprediger Martin Kögel, 29 Jahre alt,
Kassel, 31. Mai; Bergwerksdirektor Ernst Margraf,
50 Jahre alt, Hostenbach, 1. Juni; Generalmajor z. D.
W. C. Th. I. v. Bo eck in g, 77 Jahre alt, Kassel, 1. Juni;
Eisenbnhnkanzlist a. D. Louis Werner, 57 Jahre alt,
Kassel,2. Juni; Frau Landgerichtsdirektor Müller, Kassel,
2. Juni; Frau Hartwig, geb. Unruh, Borna i. S,
6. Jnni; Bijouteriefabrikant Heinrich W e i s h a u p t,
62 Jahre alt, Hanau, 8. Juni. — In Newyork City
starb Hotelbesitzer Robert Christ, aus Hanau gebürtig,
77 Jahre alt.
Hessische Bncherschau.
Elise Mentzel. Wickers Henner am Scheide-
wege. Eine Erzählung aus dem Marburger
Bürgerleben. Marburg. Druck und Verlag
von Oskar Ehrhardt, Universitätsbuchhandlnug.
1894.
Elise Mentzel. Der Räuber. Volksstück
in 4 Auszügen. Frankfurt a. M. Verlag
von Reitz und Köhler.
Richard Jordan. Vom Stillen Ozean.
Gedichte. Halle a. d. Saale. Druck und
Verlag von Otto Hendel.
M arte W e st e r b u r g. Gedichte. Kassel.
Verlag von Th. G. Fisher u. Co. 1894.
Valentin Trau dt. Seelenliebe. Roman
in drei Büchern. Marburg, Buchdruckerei von
Oskar Ehrhardt, Universitätsbuchhandlung.
Wilhelm Speck. Die Flüchtlinge. Eine
Geschichte von der Landstraße. Leipzig.
Fr. Wilh. Grunow. 1894.
Wegen Raummangels mußten leider einige Bücher-
besprechungeu für die nächste Nummer zurückgestellt
werden, was wir die Herren Einsender zu entschuldigen
bitten.)
Berichtigung.
In die Notiz über die Bibliotheca Hassiaca in
Nummer 11 haben sich einige unliebsame Druckfehler
eingeschlichen. In Zeile 7 muß es heißen „will-
kommen" (statt „vollkommen"); in Zeile 10 „entgegen
kommt" (statt „entgegen tritt"); in Zeile 22 ist nach
„Michaelis" einzuschalten: 1892.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Kassel,
Schloßplatz 4.
F. W. J. Preungesheim bei Hanau. Freundlichen
Dank. Wie Sie sehen, bereits verwandt.
E. 8. in Haina. Wir werden es uns angelegen sein
lassen, Ihren Wünschen nachzukommen, und hoffen, daß
Sie nach wie vor Ihr Interesse dem „Hessenlande" er--
halten. Eine Anzahl von Exemplaren der betreffenden
Nummer wird Ihnen s. Z. zugeschickt werden; auch jetzt
schon stehen Ihnen jederzeit Probenummern zur Verfügung.
A. T. Wien. Die Umnumerirung wird besorgt
werden.
H. K.-J. München. Besten Dank für den Beitrag.
(1. v. V. Marburg. Wir werden nach dem Verbleib
des Manuskripts forschen und Ihnen alsbald briefliche
Mittheilung machen. Für Ihre freundlichen Zeilen
besten Dank.
.Inhalt der Nr. 12 (Juniheft) der „Touristischen
Mittheilungen aus Hessen-Nassau und Waldeck", heraus-
gegeben von vr. phil. Fritz Seelig: Beim Schluß
des zweiten Jahrgangs. — Ein Rhönidyll, — Goethe
als Tourist. II. — Städtebilder. I. — Ein Gang in's
Werragebiet. — Frisch auf! — Berichte. — Anzeigen.
An unsere Leser!
Fis wir uns entschlossen, nach dem Hinscheiden Ferdinand Zwrnger's das
„Hessenland" weiterzuführen, sind wir uns der Schwierigkeit dieser Anfgasie wohl
bewußt gewesen. Mir haben aber anderseits so viele erfreuliche Beweise erhalten, daß
unser Bestreben von Mitarbeiter» und Lesern gewürdigt wird, daß wir getrosten Muthes
der Zukunft entgegen sehen.
Unsere Zeitschrift ist fest gewurzelt im hessischen Volksstamm, diese Erfahrung
durften wir machen. Unser Bemühen wird es sein, das „Hetzenland" immer mehr
zum geistigen Mittelpunkt des Hessenthums zu machen, insbesondere unserer
Stammesgeschichte einen Platz in diesen Blättern zu sichern, aber auch die literarischen,
künstlerischen und verwandten Bestrebungen, die auf dem Boden unseres Hrimathlandes
sich bewegen, zu pstegen.
Den Grundsätzen, von denen bisher die Leitung des „Hetzenlandes" ausging,
werden wir treu bleiben; vornehmlich betrachten wir es als unsere Aufgabe, das aus
Gemeinsame, das Einigende, Verbindende zu betonen. Wir wollen, daß diese Blätter ein
Band darstellen, geknüpft zwischen dem Hetzen und seinem Hrimathlandr. Ganz besonders
werden wir auch darauf Bedacht nehmen, unseren im Auslande wohnenden Lands-
leuten die geistige Verbindung mit dem engeren Vaterland zu erleichtern. Viesen
Zielen ist das „Hetzenland" seit seinem Beginn zugestrebt; wir wollen mit aller Kraft
wirken, daß sie erreicht werden.
Unsere Mitarbeiter, Schriftsteller und Gelehrte der verschiedensten Gebiete,
haben uns ihre fernere Unterstützung in Anssicht gestellt, und eine ganze Arihe werth-
voller Beiträge ist uns fchon für das nächste Vierteljahr zugesagt. Manchen treuen
Genotzrn hat uns im Laufe der Jahre der Tod entrissen, aber neue Freunde haben
sich zur Förderung unseres Merkes ringrfundrn.
Mir bitten aber auch unsere Leser, uns werkthätig hierin zu unterstützen,
nicht nur durch Verbreitung unserer Zeitschrift, sondern auch dadurch, daß sie ihre
Wünsche und Aathschläge uns unterbreiten.
ikMtiim lind ilftlng des Jcfculmito“.
Unsere verehrlichen Abonnenten bitten wir, das Abonnement ant bas .Heffentanb"
gefälligst rechtzeitig für bas III. Quartal 1884 erneuern zu wollen. Neubestellungen
(vierteljährlicher Bezugspreis 1.50 J() nehmen die Buchdruckerei von Friedr. Scheel in Kassel, alle
Buchhandlungen und Postanstalten (Postzeitungsliste Nr. 3031) jederzeit entgegen. Die bereits
erschienenen Nummern des Jahrgangs können nachgeliefert werden.
WedaLlion und Wertag des „Kessentandes".
Herausgeber: Ferd. Zwenger's Erben. Stellvertr. verantwortlicher Redakteur: Dr. D. Saul in Stuttgart.
Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „gtfftnlmfo“ erscheint am 1. und 15. jedes Monats 1^2 bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die P o st (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition .unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 13 des „Hessenlandes": „Den hessischen Sängern in Hersfeld", Gedicht; „Philipp der
Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz (Fortsetzung); „Der amerikanische Feldzug der Hessen
nach dem Tagebuch des Grenadiers Johannes Reuber von Niedervellmar", von F. W. Junghans (Fortsetzung) ;
„Hessisches Gewächs", von Ludwig Mohr; „Eine wahre Wilddiebgeschichte" , mitgetheilt vom königlichen Rentmeister
Rechnungsrath Otto in Kassel; „Zum III. hessischen Bundessängerfest zu Hersfeld"; „Ueber das Volkslied „Der
Kurfürst von Hessen ist ein kreuzbraver Mann", von Johann Lewalter; „Das Volkslied", Gedicht von G. Th. Dithmar ;
„Sommer", Gedicht von Hugo Frederking; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Briefkasten.
Den hessischen Sängern in Hersfeld.
Zum 30. Juni ^894-
Mhr, die Ihr hergefahren
<3& Seid über Berg und Thal,
Ihr wackern Sängerschaaren,
Willkommen tausendmal!
Ja, tausendmal willkommen
Mit frischem Druck der Hand,
Die Ihr den Weg genommen
Zum grünen Fuldastrand.
Wer kann noch schmäh'n und schelten,
Wenn froh ein Lied erklang?
Wo darf noch Trübsinn gelten
Bei frischem deutschen Sang?
Wo mag ein Aug' noch weinen,
Noch beben eine Brust,
Wenn sich zum Liede einen
Die Töne voller Lust?
Ls schmückte sich auf's Beste
Die alte Herolfsstadt,
Weil sie so liebe Gäste
eut zu begrüßen hat.
enn wer da kommt mit Singen,
Ihm öffnen wir die Thür —
Tr kann nur Gutes bringen
Und fei bedankt dafür.
Doch ach! die Tage rinnen,
Das Glück verfliegt wie Spreu;
Bald ziehet Ihr von hinnen —
(D denket unser treu!
Dann wird nicht mit der Stunde
Auch Tuer Lied verweh'n,
Ts bleibt im Herzensgründe
Fest eingeschrieben steh'n.
- 166
Philipp der Großmüthige. Landgraf von Hessen
1504 -1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
f
äleich bei Beginn des Bauernkrieges (1525)
Vjl sandte Landgraf Philipp dem schwäbischen
j Bande mehrere hundert Reiter gegen die
Allfrührer zu Hilfe, durch welche eine Vereinigung
der Bauern an der Donau verhindert wurde.
Später selbst in Bedrängnis; durch den Aufruhr
gerathen, verlangte Philipp seine Hilfstruppen
vom schwäbischen Bunde zurück, erhielt dieselben
aber nicht; sie wurden vielmehr in mehreren
Gefechten verwendet. Als Philipp im Begriffe
stand, seinem von den Aufrührern hart be-
dräitgten Bundesgenossen, dem Kurfürsten von
der Pfalz, zu Hilfe zu eilen, erhielt er die Nach-
richt, daß sein eigenes Land durch größere Bauern-
ansammlungen bedroht sei. Fünftausend Bauern
standen bei Aura zwischen Kissingen und Hammel-
burg; siebentausend bei Bildhausen; achttausend
in der Grafschaft Henneberg. Diese hatten sich
der Städte Meiningen, Salzungen, Schmalkalden
und Wasungen bemächtigt, zehntausend standen
im Stifte Fulda. Diese letzteren Bauern zogen
die meisten buchonischen Ritter und Städte in
ihren Bund. Vach und Heringen wurden ein-
genommen, Schloß Friedewald belagert. Unter
Otto Hund, Johann Riedesel und Heinze von
Lüdcr sandte Landgraf Philipp eine Gesandt-
schaft in die Stadt Fulda. Dieser ward der
Bescheid, „der Koadjutor habe den weltlichen
Stand angenommen; wenn der Landgraf, der
christlichen brüderlichen Versammlung der Land-
schaft in den Buchen beitrete, wollten sie Frieden
mit ihm halten". Auch Hersfeld war zu den
Aufständischen übergegangen. Der Abt Crato
hatte zwar den Johannisberg, Petersberg und
das Schloß zu den Eichen befestigt, mußte aber
dessen ungeachtet, der Uebermacht unterliegend,
die zwölf Artikel der Bauernschaft unterzeichnen
mit dem Vorbehalt „einer anderen christlichen
Ordnung, welche etwa sein gnädiger Verspruchs-
Herr würde ausgehen lassen". Von Hersfeld aus
forderten die Aufrührer die Städte Rotenburg,
Melsungen, Spangenberg, Sontra, Alsfeld, Ziegen-
hain, Treysa, Neukirchen, Homberg, Witzenhausen
und Kassel zum Beitritt auf. Nachdem sich der
Landgraf der Treue seiner Ritter und der Städte
bei Alsfeld versichert hatte, zog er den Aufrührern
entgegen, die das ganze Stift Hersfeld einge-
nommen hatten und verheerend bis vor Roten-
burg und Spaugenberg gedrungen waren. Einem
Abgesandten der Stadt Hersfeld, der sicheres
Geleit für vier Rathsherrn begehrte, wurde ab-
schlägiger Bescheid. Von den buchonischen Auf-
rührern nun verlassen, öffnete die Stadt dem
Landgrafen die Thore, leistete Erbhuldigung und
lieferte die Schuldigen aus. In der Osterwoche
hatten die Ausrührer vier Stiftskirchen in Hersfeld
zerstört und sich unter einem obersten Feldhanpt-
mann, einem Rath und engeren Ausschuß kvn-
stituirt, den Koadjutor zu einem Fürsten der
Buchen ernannt. Mit zwei Hecrhaufen, deren
einen Konrad Hesse, Schultheiß von Marburg,
führte, deren anderen der Landgraf selbst be-
fehligte, zog letzterer den Bauern zuerst nach
Hünfeld entgegen und erklärte, mit dem als
Unterhändler von Seiten der Aufrührer ab-
gesandten Koadjutor sich verständigen zu wollen,
wenn er seine Unterthanen zum Gehorsam bringe.
Als aber auf der Reise Beider nach Fulda
Philipp das Lager der Bauern auf dem Francn-
berg sah, wurden die Unterhandlungen abgebrochen.
Fulda öffnete nach kurzer Belagerung durch den
Landgrafen die Thore; 1500 Aufrührer wurden
im Schloßgarten während drei Tagen durch
Hunger und Durst gestraft, dann in ihre Heimath
entlassen, der schuldige oberste Feldhauptmann,
ein Prediger und zwei Rädelsführer wurden
enthauptet; der Koadjutor wieder in seine Würde
und sein Land eingesetzt, ihm die von den
Bauern abgenommene Beute des Stiftes, mit
Ausnahme des Geschützes, vom Landgrafen zurück-
167
gegeben gegen das Versprechen, eine Kriegskosten-
entschädigung von 19000 Gulden unter Ver-
pfändung der Stadt zu entrichten.
Während dieser Vorgänge hatte sich in der
freien Reichsstadt Mühlhausen Thomas Münzer,
Aufruhr predigend, festgesetzt. Pfeifer, ein Gehülfe
Münzer's, zog in's Eichsfeld, wo er eine Menge
Schlösser und Klöster plünderte. Gegen die
Aufrührer wurde Philipp von seinem Schwieger-
vater Georg, Herzog von Sachsen, zu Hilfe
gerufen. Mit Heinrich von Braunschweig vereint,
eroberte der Landgraf Anfangs Mai Eisenach
und Langensalza. Bei Frankenhausen stieß
Münzer zu den Bauern. Eiligst kam Philipp
mit dem Herzoge von Braunschweig, und Beide
sandten eine Gesandtschaft an die Bauern, durch
welche dieselben aufgefordert wurden, zum Gehorsam
zurückzukehren und ihre Hauptleute auszuliefern,
alsdann würde ihnen Gnade zu Theil werden.
Aus dieses Anerbieten gingen die Bauern nicht
ein, wie sich auch eine zweite Unterhandlung, bei
welcher Ergebung auf Gnade und Ungnade und
besonders Auslieferung Münzer's verlangt wurde,
zerschlug. Gegen achttausend Bauern hatten sich
auf einem Berge bei Frankenhauscn gut verschanzt.
Nach einer längeren von Münzer au die Bauern
gehaltenen Rede wurde der Kampf begonnen.
Alsbald schon wandten sich die Bauern zur Flucht,
theils in die Stadt Frankenhausen, theils hinter
den Berg, auf welchem sie Aufstellung genommen
hatten; hinter den Fliehenden jagten die Reisigen
der Fürsten her. Gegen fünftausend Bauern
wurden erschlagen, Münzer selbst war entflohen,
wurde aber bald nachher sich krank stellend,
im Bette gefangen genommen und nach mehr-
fach erlittener Folterung dem Grafen Ernst
von Mansfeld nach Heldrungen gesandt. Am
20. Mai, wenige Tage nach der Schlacht
bei Frankenhausen, stießen Kurfürst Johann von
Sachsen, Philipp und Otto von Braunschweig-
Lüneburg zu den verbündeten Fürsten. Sie zogen
zusammen über Seebach und Schlotheim nach
Mühlhausen. Pfeifer beabsichtigte hier den Fürsten
entgegenzutreten, aber, von dem größten Theile
der Bürger verlassen, entwich er in die Eisenacher
Gegend. Die Fürsten verlangten von den Bürgern
der Stadt Mühlhausen unbedingte Unterwerfung
und Auslieferung der Rädelsführer; erst auf
dringendes Bitten wurde Schonung der Unschul-
digen versprochen. Am Himmelfahrtstage wurden
die Stadtthore geöffnet und den Fürsten die
Stadtschlüssel übergeben. Landgraf Philipp,
Herzog Georg und der Kurfürst zogen mit
600 Reisigen in Mühlhausen ein. Die Stadt
wurde um 40000 Gulden gebrandschatzt, sie
mußte die Schutzherrschaft der drei Fürsten an-
erkenne» und sich zu einem jährlichen Tribut
von 300 Gulden verpflichten. Alles Geschütz
mußte ausgeliefert, die zerstörten Schlösser und
Klöster wieder hergestellt werden. Die Rädels-
führer wurden enthauptet. Unterdessen wurde
Pfeifer mit 92 seiner Leute bei Eisenach gefangen
und Thomas Münzer von Heldrungen geholt.
Beide wurden enthauptet, ihre Köpfe bei Mühl-
hausen auf dem Riesenberg und ani Schadcberg
aufgesteckt. Hiermit war der Bauernkrieg in
Norddeutschlaud beendet.
(Fortsetzung folgt.»
---------------
Der amerikanische Feldzug der Hessen nach dem Tagebuch
des Grenadiers Johannes Ueuber von Medervellmar.
1776 1783.
Von F. W. Junghan!
(Fortsetzung.)
cji m 4. November kehrte das Korps nach Newyork
zurück, und nachdem (am 26. Oktober) die
O’ V 2. Division unter General von Knip-
hauseu angekommen war, erfolgte der Angriff auf
das Fort Washington. Lassen wir hierüber
Reuber selbst reden:
„Am 17. November 1776 des Morgens ver-
sammelten sich alle Regimenter und Korps vor
Tagesanbruch, die Hessen aus dem rechten Flügel
am Nordhofen, die Engländer auf dem linken
Flügel am Südhafen. Weil es nun Tag war,
marschierten alle Regimenter — unter dein Feuer
der Kriegsschiffe — vorwärts den Berg und
Steinfelsen hinauf; der eine fiel lebendig herunter,
der andere wurde todtgeschossen; an den wilden
Buchsbaumbüschen mußten wir uns in die Höhe
ziehen; allendlich kamen wir doch etwas in die
Höhe, da wir Bäume und große Steine fanden;
da ging es aber hart aufeinander; weil es aber
nicht weichen wollte, so kommandirte der Oberst
Rall: Alle, was meine Grenadiers sein, marschieren
vorwärts! Alle Tambouren schlugen Marsch,
die Hornisten bliesen. Auf einmal rief Alles,
was noch Leben hatte, recht: Hurra; da war auch
gleich Alles untereinander; Amerikaner und Hessen
war eins; kein Sehnst fiel mehr, sondern Alles
lief vorwärts ans die Festung los. Wie wir
nun in die Höhe kamen, so hatten die Amerikaner
einen Laufgraben um die Festung rum. Weil
wir darin waren, so hieß es mit uns: Halt.
Da wollten die Amerikaner mang uns raus
laufen, nach der Festung; da hieß es aber: ihr
seid Kriegsgefangene. Die Festung wurde gleich
aufgefordert vom Hessen-General von Kniphausen.
Die Rebellen thaten auf zwei Stunden kapituliren.
Als die zwei Stunden um waren, wurde die Festung
Fort Washington übergeben an den Hessischen
General Kniphausen mit allen Vorrütheu re.
Das Rall'sche Grenadierregiment und das Alt-
Lostbergische Regiment mussten sodann zwei Linien
machen gegen einander, und da mußten sie durch-
marschieren und Gewehre und Waffen ablegen,
und da kamen die Engländer und führten sie
nach New-Pork in Gefangenschaft."
Fort Washington erhielt fortan den Namen
Fort Kniphausen. Am 10. November erhielt
die Brigade Rall den Befehl nach Tre»ton
aufzubrechen, wo sie nachmals das Unglück hatte,
gefangen genommen zu werden. Sie sollte dort
die hessischen Jäger und die detachirteu Grenadiere
ablösen, welche den Delaware hinab gen Phila-
delphia marschierten. Am 10. Dezember kam
sie nach einem äußerst anstrengenden Marsch dort
an. — Was auch die Ursache des Unglücks
war, die Hessen hatten es an der nöthigen Vor-
sicht und Wachsamkeit nicht fehlen lassen. Da
der Kommandeur von den Landeseinwohnern
erfahren hatte, daß die Amerikaner einen Ueber-
fall beabsichtigten, so ließ er am 21. Lärmquartiere
beziehen. Die Soldaten mußten sich angezogen
schlafen legen, Vorposten und Piquets wurden
nach Kriegsgebrauch ausgestellt. Oberst Rall
! aber unternahm am 21. Dezember Rekognoszirung
am Delaware hinauf bis Ncu-Frankfurt, um zu
sehen, ob dieselben wirklich Anstalt machten, den
Delaware zu überschreiten, desgleichen am 24.,
wo die.Amerikaner die hessischen Posten benn-
ruhigten. Auch ließen es die Hessen nicht an
der gewohnten Tapferkeit bei dem unverhofften
Angriffe fehlen. Allein, was konnten 1700 Mann,
denn so stark war die Brigade blos noch, gegen
eine sie von allen Seiten umdrängende Ueber-
macht von 15000 Mann ausrichten? — Es war
am ersten Christfeiertag, den 25. Dezember 1770,
als die hessischen Vorposten von einer überlegenen
amerikanischen Streitmacht überfallen wurden. Bei
der ersten Salve stand die Mannschaft in den
Lärmhäusern schon in Reih und Glied, während
die Amerikaner mit Gewalt in das Städtchen
drangen. Vor dein Quartier des Obersten war
eine Dielenwaud errichtet, vor der die beiden
Regimentskanonen standen. Diese schossen sich
eine Zeit lang mit sieben amerikanischen Geschützen
herum, bis sie von den Amerikanern im
Sturm genommen wurden. Rall nahm sie dem
Feind zwar durch eine kräftige Attacke wieder
ab und zog sich mit ihnen auf's freie Feld.
Während er nun einen neuen Angriff auf die Stadt
machte und in dieselbe eindrang, kam den Hessen
eine starke Abtheilung Amerikaner in den Rücken.
Als Oberst Rall obendrein schwer verwundet vor
den Reihen seiner Grenadiere gefallen war, blieb
deshalb den tapferen Hessen nichts übrig, als vor-
der Uebermacht das Gewehr zu strecke». Das
ist der Hergang der in den Geschichtsbüchern viel
besprochenen Gefangennahme der Hessen bei Tren-
ton, die als ein Meisterstück der Washington'schen
Kriegskunst bezeichnet wird, nach der schlichten
und wahrheitsgetreuen Darstellung des Grenadiers
Reuber. Von den tapferen Hessen konnte man
bei dieser Gelegenheit sagen: Sie hatten Alles
verloren, nur nicht die Ehre.
(Fortsetzung folgt.)
Hessisches Gewächs.
Von Ludwig Mohr.
jenseits der rothweißen Grenzpfählc des ehe-
!sljs maligen Kurhessens entfaltete sich im Spät-
est herbste des Jahres 1850 ein reges und
buntes Leben. Dorf und Landstraße wimmelten
von bayerischen Blauröcken und Raupenhelmen,
oder, um mich des späteren Spitznamens zu
bedienen, von „Strafbahern", die mit einem
österreichischen Armeetheil jene Exekutionstruppe
ausmachten, welche der selige Bundestag sandte,
um die stenernverweigernden Hessen mürbe und
gefügig zu machen.
Als bekannt wird vorausgesetzt, daß Preußen
169
dem Einmarsch der Bundesexekutionstruppen in
das Hessische mit bewaffneter Hand begegnete;
wie in Folge dessen die Preußen die durch das
Hessische (bei Hersseld) führende Etappenstraße,
welche die getrennten preußischen Gebietstheile
verband, besetzten und von da mit einem Armee-
korps einen Vorstoß nach Fulda machten; wie
in dessen Nähe, bei dem Dorfe Bronzell, dieses
Armeekorps in Fühlung mit den vorrückenden
Oesterreichern kam und die „große Völker-
schlacht von Bronzell" geschlagen wurde,
die den Oesterreichern etliche verwundete Jäger,
den Preußen aber den berüchtigten „Schimmel
von Bronzell" kostete und die zu der schließ-
lichen Verständigung führte, wonach die Preußen
sich zurückzogen, die Exekutionstruppen dagegen
unbehindert ihre Sendung vollzogen. —
Am Vortage des Einmarsches der Bayern, —
es war ein allgemeiner Ruhetag —, ging es
äußerst lebendig an der Table d’hote in dem
Gasthofe zum Rautenkranz in Eisenach, die
ausschließlich von jüngeren bayerischen Offizieren
und Aerzten besetzt war, her. Noch zeugten die
Ueberreste der Knödelgerichte, daß von dem Gast-
hofbesitzer der volksthümlichen Geschmacksrichtung
seiner Gäste Rechnung getragen war, was diese
wohl in die gute Laune versetzt haben mochte, in
der sie sich befanden, und in der sie die schaum-
bedeckten Krüglein mit dem dunkelen Münchener
fleißig kreisen ließen. So wurde die Stinimung
eine immer heiterere und machte sich in launigen
Einfällen und Gesprächen Luft. Was lag da
näher, als daß der am nächsten Morgen statt-
findende Einmarsch in „das Land hinter
den roth weißen Pfählen", sowie das Volk,
das darin hauste, Gegenstand lauter Erörterung
war. Die Herrchen packten ihr ganzes geo-
graphisches Wissen aus, und hätte man ihren
Schilderungen Glauben schenken dürfen, so War-
den jungen Helden ein zweites Sibirien mit
einer Bevölkerung in Sicht, die arm wie die
Kirchenmäuse und roh und ungehobelt wie
Koffern und Hottentotten war. Die bekannten
Schauerverse über Land und Leute, die man wohl
dem „tippelnden" Bruder Straubinger auf der
Landstraße nachsieht, mußten herhalten, obwohl
sie sich aus dem Munde der jungen Herrchen
wunderlich genug anhörten.
Vor Allen war es ein junger Chevauxlegers-
lieutenant, der sich darin besonders hervorthat,
und, indem er, selbstgefällig das kleine Bärtchen
auf der Oberlippe zwirbelnd, in dein bekannten
Kravattentone näselte: „Eh bien, Leberknödel
famos! Pyramidal geschmeckt! Kann's halt
aushalten morgen. Wer weiß, wie's kommt;
denn
Im Lande zu Hessen,
Haben's große Schüsseln und wenig zu essen."
„Besser wenig wie gar nichts, wenn das
Wenige nur gut und von Geschmack ist", ent-
gegnete dem Sprecher der neben ihm sitzende Arzt.
„Pah, wenig? So gut wie nichts, Kamerad!
Riesig armes Land! Kannibalisch vom Herrgott
vernachlässigt! Wann bei uns der Bauer das
Korn schneidet, schnitzeln sie da drüben Heidel-
beeren zum Wintervorrath, und
Wann Schlehen und Grundbirn nicht gerathen,
Haben's in Hessen nichts zu sieden und braten."
Ein beifälliges Bravo und Gelächter der ganzen
Tafelrunde lohnte dem Sprecher, der seinerseits,
nun einmal in diesem Fahrwasser, das Krüglein
erhob:
„Prosit, Kameraden! Es geht doch halt nichts
über bayerischen Durst und bayerischen Schluck!
Lasset uns trinken, so lange wir haben. Morgen
geht es in das Land, wo — der natürliche Essig
wächst und man ihn als Wein aus großen
Krügen schlürft. Puh,
Große Krüge, saurer Wein;
Wer möchte gern in Hessen sein?
Eh bien, Kameraden! Spület das Graulen
hinunter! Es lebe das Münchener!"
„Es lebe das Münchener!" echote die Tafel-
runde.
Noch war das Ausstößen der geleerten Krüge
und das Klappern der zuschlagenden Zinndeckel
nicht verhallt, da erhob sich lang und langsam
hinter der Wollgardine in der Fensternische, wo
er bislang unbeachtet verweilt hatte, ein Mann
von übergewöhnlicher Größe von dem Stuhle,
eine stattliche, riesige Gestalt — jeder Zoll ein Mann,
— gegen welchen sich die jungen Lieutenantchen
ausnahmen wie die Bleisoldaten einer Nürnberger
Spielschachtel, griff das Bierglas vom Fenster-
simse auf und trat festen Schrittes und in stolzer
Haltung zu der Tafelrunde heran, sich als der
Rittergutsbesitzer von Kutzleben aus Wommen
vorstellend.
Die Nennung des Namens wird allein schon
genügen, allen denen, die beit Mann von An-
gesicht zu Angesicht gekannt haben, eine Gestalt
vor die Augen zurückzurufen, die das bekannte
Gardemaß bei Weitem überschritt und von einer
solchen Wohlbeleibtheit war, daß sie das Urbild
zu Bürger's Abt von St. Gallen hätte sein
können, einer Gestalt, der dasj frische rothe Gesicht
den Stempel urwüchsiger Gesundheit ausdrückte
und dem Beschauer allsogleich sagte, wo Barthel
170
den Mvst holte; was mehr also, daß die
schmächtigen Lieutenants verblüfft zu dem Goliath
emporschallten, dessen feistes Gesicht zwar gut-
müthig lächelte, dessen trotziger Blick ihnen aber
auch deutlich zuzurufen schien: Wartet nur,
Jungens! ich komme Euch. —
„Erlauben die Herren Kameraden," fuhr er
gemessen zu sprechen fort, nachdem die gegenseitige
Vorstellung vorüber war, „das; ich mich als ein
Pflänzlein jenes Landes bekenne, von dem Sie
vorhin ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild
entwarfen, imb daß ich mich als solches ver-
pflichtet fühle, dieses Bild zu berichtigen. Sicherlich
glauben die Herren llicht, daß ein Geivüchs, wie
es sich Ihnen ad oculos in meiner Person vor-
stellt, in einem Lande gedeiht, das, wie das von
Ihnen geschilderte, der Ausbund eines Hunger-
landes ist, oder halten die Herren in der That
diese Schenkel" — er schlug mit der Rechten auf
die derben — „für das Ergebniß verdauter
Schlehen und Grundbirn? Ja, schauen Sie mich
nur an, solche Pflänzlein, sage ich Ihnen, laufen
zu Dutzenden im Lande herum. Wo aber die
satt werden, brauchen auch Sie nicht zu fürchten,
hungern zu müssen. Groß sind die Schüsseln
zwar hinter den rothweißen Pfählen, aber es
findet sich auch mehr darin als getrocknete Heidel-
beerschnitzeln und Heckenschlehen; und sind unsere
Krüge groß, so entsprechen sie doch nur unseren
Durst, und unsere wackeren Brauer sorgen dafür,
daß wir nicht an letzterem zu Grunde gehen.
Apropos, beliebt es den Herren Kameraden, so
überzeugen Sie sich von dem Gesagten in meinem
Hause zu Wommen; ich lade Sie hiermit ein
zu Grundbirn, Braten und einem Krüglein
Hessisches. Bringen die Herren nur einen
tüchtigen bayerischen Appetit und bayerischen
Durst mit, wir werden es schon damit auf-
nehmen. Prosit, Kameraden!" —-------------------
Das war eines Hessen würdig gesagt und
gehandelt. —
Ob es indeß zu einem Besuch gekommen ist,
davon verlautet nichts; wenn es aber der Fall,
so wird der brave Herr hessisches Licht nicht
unter bcu Scheffel gestellt haben. —
-------------------
Eine wahre Wilddiebgeschrchte.
Mitgetheilt vom königlichen Rentmeister Rechnungsrath Otto in Kassel.
'Min Anschluß an den Inhalt des „Was sich
ein Forsthof erzählt" in den Nru. 21
N und 22 des „Hessenlandes" von 1890, wozu
Schreiber dieses das Material geliefert hat, und
in welchen des wildreichen Welleröder Forstreviers
aus der Dienstzeit des Revierförsters Th om as Ott o
gedacht ist, dürfte es vielleicht nicht ohne Inter-
esse für Jagdleute und Forstsreunde sein, folgende
wahre Geschichte, welche ich aus eigener Wissen-
schaft mittheile, zu erfahren.
Wie bereits in den oben bezeichneten beiden
Rummern des „Hessenkandes" gesagt, war zu
meines Vaters Dienstzeit das Forstrevier Wellc-
rode an Hochwild n. s. w. ein sehr reiches, darunter
namentlich starke Edelhirsche, sogar bis zu
Achtzehn-Endern, sowie Sauen und sonstiger für
das edle Waidwerk erwünschter Jagdbeute. Es
konnte -daher wohl nicht befremden, daß in dem
damals dichten, mit starken Buchen und Eichen
bewachsenen Wald, namentlich in den Fvrstorten
„Stellberg", „Schorn", „Lenziges Keller", des
Nachts von den zunächst gelegenen Ortschaften
Wilddiebe mit bestem Erfolg ihr Wesen trieben.
Hierüber beklagte sich mein Vater oft, wenn,
wie es nicht selten geschah, aus Kassel im
Welleröder Forsthaus sich Jagdfreunde einfanden,
um dem edlen Waidwerk obzuliegen, und Herr
Forstmeister Friedrich von Schwertzell sagte
einmal bei seinem Abschiednehmen zur Rückkehr
nach Kassel mit einem Händedruck zu meinem
Vater: „Herr Revierförster, ich komme recht
bald wieder, und alsdann gehen wir beide des.
Nachts in den Wald wegen Ihrer Klage über
die Wilddiebe."
Eines schönen Tags — nicht lange nachher —
hat sich denn Herr von Schwertzell in Wellerode
eingefunden und erklärt meinem Vater, mit ihm
die nächste Nacht in den Wald gehen zu wollen.
Man macht Abends vorher nach Tisch ein Karten-
spielchen, und vor dem Schlafengehen wird die
Frau Revierförster ernstlich darauf aufmerksam
gemacht, daß der Herr Forstmeister und mein
Vater gegen 12 Uhr geweckt sein, den Kaffee
trinken und alsdann zusammen in den Wald
gehen wollen.
Diese Anordnung wird selbstverständlich streng
befolgt, die Herren gehen bis an die Wald-
distritte „Schorn" und „Stellberg", und hier
sagt der Forstmeister, der ziemlich Lokal-
kenntniß hatte, zu meinem Vater: „Nun gehen
Sie da hinaus, und ich nehme den Weg nach
dort, und wenn es Tag wird, treffen wir beide
an dem und dem Orte des Waldes wieder zu-
sammen". Mein Vater tragt gegen diese Trennung
im Interesse seines Vorgesetzten wohlbegründete
Bedenken und sagt: „Lassen Sie uns zusammen-
bleiben." Herr von Schwertzell besteht jedoch
auf seiner Anordnung, und jeder geht seines
Wegs.
Gegen Morgen, als es Tag wird, hat sich
mein Vater an der dazu bestimmten Waldstclle
eingefunden, aber der Herr Forstmeister ist nicht
anwesend, kommt auch nach langem Warten
überhaupt nicht. Inzwischen ist es Mittag ge-
worden, was meinen Vater zu der Vermuthung
kommen läßt, daß Herr von Schwertzell bereits
nach Wellerode zurückgegangen sei. Mein Vater
geht nun auch nach Hause, erfährt aber beim
Eintreten in den Hofraum zu seinem Schrecken
von meiner im Hausflur stehenden Mutter,
daß der Forstmeister leider noch nicht da sei.
Daß dem Herrn vielleicht ein Unfall widerfahren
sein möchte, ist die nächste Sorge. Mein Vater
geht daher sofort zu dem Ortsvorstand, zu jener
Zeit „Grebe" genannt, theilt diesem den Vorfall
mit und veranlaßt mittels der Kirchthurmglocke
eine Zusammenkunft der Gemeinde an der hierzu
in öffentlichen Angelegenheiten des Orts be-
stimmten Stelle unter der sogen. Linde, gegen-
über dem Forsthof, an dem durch das Dorf
fließenden Bach, die „Fahrenbach" genannt.
Die Gemeinde folgt dem Rufe der Glocke,
mein Vater theilt wiederholt auch den ver-
sammelten Einwohnern den. Vorfall mit und
bittet, ihm sich anzuschließen, um den Herrn
Forstmeister aufzusuchen, dem vielleicht ein Unfall
widerfahren sei. Man rückt aus in der Richtung
nach dem „Schorn", „Stellberg" u. s. w., und,
nicht mehr fern vom Wald, erblickt mein Vater
171 —
seinen Vorgesetzten, langsam sich fortbewegend
nach Wellerode hin, weshalb er nunmehr die
Leute veranlaßt, wieder nach Hause zu gehen.
Als mein Vater dem Herrn von Schwertzell
näher kommt, überfällt ihn ein panischer Schreck
wegen des zusammengefallenen und wahrhaft
geisterhaften Aussehens des Forstmeisters. Dieser
reicht meinem Vater die Hand. Letzterer bittet
um Auskunft über das, was etwa vorgefallen
sei, aber Herr von Schwertzell schweigt, und so
gehen beide stumm in das Dorf zurück. In den
Hausflur des Forsthofes eingetreten nimmt Herr
von Schwertzell, den meine Mutter am Eingang
begrüßte, die Hand nreines Vaters mit den
Worten: „Kommen Sie mit hinauf auf mein
Zimmer." Ueber das, was nun hier besprochen
wurde, hat mein Vater niemals etwas mit-
getheilt und alles ihm bekannt Gegebene mit
in das Grab genommen, obgleich meine Mutter
mehr als einmal im Leben um Auskunft über
diesen Fall gebeten hat. Nur das Eine erzählte
er: Herr von Schwertzell hat zum Schluß seiner
llnterredung gesagt: „Bleiben Sie des Nachts
aus dem Wald, um Ihr Leben der Familie zu
erhalten!"
Nach diesem Vorfall ist Herr von Schwertzell
niemals wieder nach Welle rode ge-
kommen.
Leider ist in dem tollen Jahr 1848, da viele
Beamte im Allgemeinen nicht den Muth be-
saßen, dem ungesetzlichen Thun und Treiben der
Wilddiebe fest entgegenzutreten, das Hochwild des
Reviers Wellerode gänzlich ausgerottet worden,
und es hat bis heute noch nicht gelingen können,
diese Zierde des Waldes wieder aufkommen zu
lassen. Noch jetzt versetze ich mich in die Jahre
1833 und 1834 mit Vergnügen zurück, wo aus
dein Felde am sogen. Eisberg ganze Rudel von
Rothwild, ein starker Edelhirsch voran, durch die
Hunde des Feldhüters zur Flucht in das Dickicht
des Waldes zurückgetrieben wurden.
'0 c~[3£r> c'
Ium in. hessischen Bundessängerfest zu Hersfeld.
Die alte Lullusstadt steht festlich geschmückt, um
die lieben Gäste zu begrüßen, die sie erwartet.
Die einzelnen Ausschüsse des Sängersestes sind
seit Wochen in voller Thätigkeit: da gilt es, ganz
abgesehen von den eigentlich musikalischen Vor-
bereitungen, Konzerthalle und Wirthschaftenden,
die gleichsam über Nacht aus dem Boden gewachsen
sind, auszuschmücken, da heißt es vor Allem, die
fremden Sänger unterzubringen, kurz, es hat
Alles zu geschehen, was für einen gedeihlichen
Verlaus des Festes nothwendig ist. Das F e st-
p r o g r a m m lautet:
Sonnabend, den 30. Juni, von 3 Uhr Nachmittags
ab: Empfang der von auswärts eintreffenden
Festtheilnehmer. Abends von 7 Uhr ab: Konzert
der Stadtkapelle, Festkommers und Gesangsvorträge
im Vereinsgarten.
172
Sonntag, den 1. Juli: Morgens 8 Uhr event,
später Empfang der Gäste am Bahnhof resp. an
den Thoren der Stadt. Um ^9 Uhr auf dem
Marktplatze: Choralmusik und gemeinschaftlicher
Gesang der Lieder: „Das ist der Tag des Herrn"
— „Die Himmel rühmen" — (letzteres mit Musik-
begleitung der Artilleriekapelle aus Kassel); um
*/211 Uhr: Generalprobe für die Gesammtchöre in
der Sängerhalle auf dem Festplatze; hierauf
musikalischer Frühschoppen.
Von 2 Uhr ab: Aufstellung zum Festzuge auf
dem städtischen Turnplätze in der Hainstraße; 3 Uhr:
Festzug durch die Stadt nach dem Festplatze auf
dem Weerd unter Begleitung zweier Musikchöre.
Der Zug bewegt sich durch folgende Straßen:
Hainstraße, Breitenstraße, Weinstraße, Marktplatz,
Johannisstraße zum Weerd (Festplatz), daselbst
Begrüßungsgesang des Hersfelder Quartettvereins,
Ansprachen, Festrede; hierauf großes Vokal- und
Jnstrumentalkonzert in der Konzerthalle. Abends
Feuerwerk, turnerische Gruppenbilder, Tanz.
Montag, den 2. Juli, Morgens 6 Uhr: Weckruf
durch die Stadtkapelle. Um 8 Uhr: Besuch der
Stiftsruine, Hierselbst gemeinschaftlicher Chorgesang,
Spaziergang durch die städtischen Anlagen nach
den „Alpen" und Wolsf's Felsenkeller. Dortselbst
um 10 Uhr Delegierten-Versammlung. Restauration,
Konzert der Stadtkapelle und Gesangsvorträge.
Rückmarsch V» 1 Uhr Mittags. Nachmittags von
3 Uhr ab auf dem Festplatze: Konzert der Stadt-
kapelle, Vortrag von Gesängen seitens der Einzel-
vereine, Volksbelustigungen, Tanz.
So steht, wenn auch der Himmel eilt freund-
liches Gesicht macht, reiche Festesfreude in Aussicht.
Auch das „Hessenland" nimmt an ihr Theil,
denn ihm liegt die Pflege des Sanges nicht wenig
am Herzen. Möge der hessische Sängerbund
blühen, wachsen und gedeihen bis zu fernen Ge-
schlechtern , möge er sich zugleich voll bewußt
werden, daß ihm durch die Pflege des Gesanges
und insbesondere des wahren Volksliedes
eine hohe Aufgabe zugewiesen ist. Wir schätzen
unb ehren die kunstmäßige Musik, aber das Herz
des Volkes offenbart sich in seinem eigenen Liede,
in schlichten Worten und einfachen Tönen. Und
so haben hessische Sänger vor Allem die Pflicht,
das dem heimathlichen Boden entsprossene Lied zu
hegen und zu warten als theures Gut. Die Zeit,
in der überkluge Schulweisheit hochmüthig auf
das wilde, barfüßige Dorskind herabschaute, die
Zeit, da das aus dem Herzen quellende natur-
wüchsige Lied als „unfein" und „bizarr" galt, ist
Gott sei Dank vorüber, seitdem ein Herder, ein
Goethe und viele andere edle Geister unserer
Nation sich seiner angenommen haben. Mit Recht
schreibt der Volksliedersammler Georg Scherer
vom deutschell Volkslied: „Diese Lieder gehören
zu den holdseligstell Blüthen des deutschen Geistes;
in ihnen fühlt man den vollen Herzschlag unseres
Volkes und lernt dasselbe von der liebenswürdigsten
Seite kennen. Hier offenbart sich seine ganze
Gemüthstiefe, rührende Güte, unendliche Liebe und
aufopfernde Treue, seine schlichte Rechtschaffenheit,
treuherzige Ehrlichkeit und hoher sittlicher Ernst;
heitere Lebenslust und derber Muthwille bis zur
Ausgelassenheit; aber auch trotzige Kraft, flam-
mender Zorn, glühender Haß und dreinschlagende
Tapferkeit. Wahrlich, ein Volk, das solche Lieder
auszuweisen hat, darf sich zeigen unter den Völkern
der Erde."
Aber das Volkslied will gesungen sein, nicht aus
Büchern erlesen oder deklnmirt, und der hessische
Literarhistoriker Vilmar trifft das Richtige,
wenn er sagt: „Und doch wird ein Gedicht nur
durch den Gesang unser ganzes volles Eigenthum,
so daß wir dasselbe gewissermaßen mit dem Dichter-
theilen ; nur dllrch den Gesang genießen wir das-
selbe ganz, mit Leib, Seele und Geist, nur durch
den Gesang haben wir volle, unvergängliche
Freude daran, und nur durch den Gesang endlich
wird die Dauer des Liedes, ja gewissermaßen seine
Unsterblichkeit gesichert. Gesungen muß ein Lied
worden sein, von Vielen gesungen und lange
gesungen, wenn wir es für ein echtes Volkslied
halten sollen."
Und Friedrich Frevert schildert in einem
schönen, unserem durch seine verdienstvollen Ar-
beiten aus diesem Gebiete bekannten hessischen
Landsmann Jo halln Le Walter gewidmeten
Gedichte den Ursprung des Volksliedes in an-
ziehender Weise:
Das Volkslied.
Eiu altes Lied, ein altes Lied klopft an Dein Herz mit
leisem Klang,
Die Worte rauh und doch so traut und voller Tiefe und
. Gesang.
Das alte Lied, es rührt Dein Herz und füllt Dein Aug'
mit Thränen an,
Es lindert sanft der Seele Schmerz, mehr als Dein Mund
es sagen kann.
Sein Klang stammt von dem Vogel her, der Abends singt
tut Lindenbaum,
Hub von der Brandung, wenn das Meer den Fels bespritzt
mit weißem Schaum,
Vom Winde, der in dunkler Nacht um stille Gräber seufzt
und klagt,
Vom Bienchen, das mit Sumlnen fliegt um Blumenglocken,
wenn es tagt.
Gesungen ward's im braunen Moor und auf der lichten
Haide Grün,
Und int Gebirg, wo Farr'n und Moos des Bergquells
felsig Bett umzieh'n,
In schattiger Waldeinsamkeit, wo gelbe Schlüsselblumen
blüh'n.
Im stillen Thäte, wenn der Mond die alten Buchen hell
beschien.
173
Gesungen ward's in alter Zeit vom Krieger auf der
fernen Wacht,
Vom Förster, der am Frühlingstag durchstreift des Waldes
grüne Pracht.
Im Felde sang's die Schnitterin und träumt von Lieb'
und Glück und singt,
Daß es wie Lerchenjubelton zum Försterhnus am Wald-
saum klingt.
Der Schiffer sang es, der bei Nacht am Steuerruder
einsam stand,
Der Jäger sang's, der Wanderbursch, der leichten Herzens
zog durch's Land.
Mit diesem Liede sang in Schlaf manch Mütterlein ihr
trautes Kind,
Zu jeder Zeit erklang sein Ton, bei Morgenroth und
Abendwind.
Wie Meeresschaum, den zu uns trägt die Welle aus der
Ferne weit,
Wie Glockentou, der zu uns schallt vom Kirchlein in der
Einsamkeit,
So kommt das alte Lied zu uns aus alter längst ver-
gang'ner Zeit
Und lacht mit uns und klagt mit uns in Seligkeit und
Herzeleid.
Ein altes Lied, ein altes Lied klopft an Dein Herz mit
leisem Klang,
Die Worte rauh und doch so traut und voller Tiefe und
Gesang.
Das alte Lied, es rührt Dein Herz und füllt Dein Aug'
mit Thränen an
Und lindert sanft der Seele Schmerz, mehr als Dein
Mund es sagen kann.
Mögen also — das wünschen wir — die
hessischen Sänger sich als Hüter dieses kostbaren
Schatzes, der uns im Volkslied bescheert ist, mehr
und mehr sühlen, mögen sie das ihnen anvertrailte
Gut so verwalten, daß es ihnen selbst zur Freude,
dem hessischen und deutschen Volke aber zürn Segen
gereiche.
Ueber das Volkslied „Der Kurfürst von Kesten ist ein
kreuzbraver Mann".
Von Johann Lewalter.
^)l)wlleicht ist es den Lesern des „Hessenlandes"
er willkommen, etwas Näheres über das alte
T hessische Soldatenlied „Der Kursürst von
Hessen ist ein kreuzbraver Mann" zu erfahren.
Dieses in Wort und Weise gleich schöne und
ergötzliche Lied ist ein Bruchstück des von Franz
Ludwig Mittler (siehe „Hessenland", 1891,
S. 219) aufgeschriebenen und in dessen vorzüg-
licher Sammlung deutscher Volkslieder (1855,
2. Ausgabe 1865) unter Nr. 1455 ohne Weise
abgedruckten Liedes „Schwerer Abschied", welches,
wie wir sehen werden, sich in ganz ähnlicher
Gestalt bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
Die Mittler'sche Aufzeichnung, welche mit der
von Ditfurth'schen Niederschrift (von Dit-
furth: Fränkische Volkslieder, 1855, II, Nr. 246
„Der Rekrut") große Aehnlichkeit hat, lautet
folgendermaßen:
Ist denn die Falschheit
So groß in der Welt,
Daß alle jungen Burschen
Müssen ziehen in das Feld ?
Der Hauptmann stand draußen,
Schaute seine Leute an:
Seid lustig, seid fröhlich,
Es kommt keiner davon.
Der Vater, die Mutter
Die weinten so sehr.
Drum wird mir das Marschieren
Und der Abschied so schwer.
Der Bruder, die Schwester
Und die ganze Freundschaft,
Und sie haben mich, und sie haben mich
Um mein Schätzchen gebracht.
Der Kurfürst von Hessen
Der hat es gesagt,
Daß alle jungen Burschen
Müssen werden Soldat.
Die armen, die kleinen
Die nimmt man heraus.
Und die reichen und die seinen
Die schickt man wieder nach Haus.
Von diesem Liede wurden wohl häufig die drei
letzten Strophen mit der Anfangsstrophe „Der
Kurfürst von Hessen ist ein kreuzbraver Mann
u. s. w." gesungen, wenigstens sangen mir im
Jahre 1889 alte hessische Soldaten das Lied in
dieser ihnen geläufigen, folglich in den fünfziger
Jahren auch gebräuchlichen Fassung vor, welche
ich dann in Wort und Weise in die Sammlung
deutscher Volkslieder aus Niederhessen (1890,
I. Heft, S. 43) als Anmerkung zu Nr. 20, wie
folgt, aufnahm:
— 174 —
Der Kurfürst von Hessen.
Recht gemütlich.
Der Kurfürst von Hes-sen ist ein kreuzbra-ver Mann, denn er
H L-LiH
kleidet seine So-li-da-ten so gut wie er
• 0 t -
TT ; r w w w w w t!gz '2. -¿1* I ' ~ » ? ij 11..* 1.1 ~1 Ä..ip > .1 :1 p p
kann. Juvi-val-le-ra-le-ra-le - ra, ju-vi-val-le-ra-le-ra-le-ra, denn er klei-det sei-ne So-li-
—i—i^-i
ba ten ju gut tute er kaun.
Der Kurfürst vou Hessen
Ter hat es gesaht.
Daß alle jungen Burschen
Müssen Iverden Soldat.
Und die Hübschen und die Feinen
Die sucht man heraus.
Und die Lahmeil und die Buckligen
Die läßt man zu Haus.
Mein Batcr und meine Mutter
Und meine ganze Freundschaft
Und die habet: mich, unb die habet: mich
Uli: mein Schätzchen gebracht.
Die dritte Strophe wird als fünfte Strophe
des in: 3. hessischen Infanterie-Regiment Nr. 83
augenblicklich sehr beliebten Soldatenliedes „Es
hatt' sich ein Fähnrich in ein Mädchen verliebet"
(siehe „Deutsche Volkslieder aus Niederhessen",
1890, Heft I, Nr. 20) so gesungen:
Der Kronprinz voi: Preußen
Sucht sich seine Leute aus.
Und die Buckligen und die Lahmen
Schickt er wieder nach Haus.
Noch jetzt wird, allerdings ohne die Strophen,
in denen der Kurfürst von Hessen vorkonnnt, bei
der Aushebung mit Vorliebe ein Lied gesungen,
welches mit der Mittler'schen Aufzeichnung große
Aehnlichkeit hat. Mündel (Elsässische Volks-
lieder, 1884, Nr. 166), Becker (Rheinischer
Volksliederborn, 1893, Nr. 41), Wolfram
(Nassauische Volkslieder, 1894, Nr. 283) und
Böhme (Erk's „Liederhort", neu bearbeitet und
fortgesetzt, 1893—94, III, Nr. 1363) haben das
Lied in neuerer Zeit aufgeschrieben. Ich lasse
die Becker'sche Niederschrift folgen.
AekrukenÄUshebung.
Marschmäßig.
—1 1 fN-kW p —- —— —0
x Í --OJi F p p±p F p -p3
Nach Wetzlar marschieren, las-sen wir uns vi - si - tieren, ob wir taugen, ob wir taugen,ob wir taugen zumSol-
iq
— ß—&—0 #-
LLji—1—[— U—W-J
taugen zum Sol - dat.
175
Der Hauptmann stand draußen.
Schaut seine Leute an:
Seid nur lustig, seid nur fröhlich!
's kommt keiner davon!
'Die Lahmen, die Krüppel,
Die schickt er nach Haus,
Ei, die Feinen, die Braven,
Die sucht er heraus.
Mein Vater, meine Mutter,
Die weinen so sehr;
D'rum fällt mir der Abschied
Zum Marschieren so schwer!
Mein Vater, meine Mutter,
Meine Schwester, mein Bruder,
Meine ganze, ganze Freundschaft
Haben mich um mein Schatz gebracht.
Das Mädchen vom Lande
Das ist ja so schön!
So hab' ich ja mein Lebtag
Noch kein schöneres geseh'n.
Die von mir aufgezeichnete Weise des Liedes
„Der Kurfürst von Hessen ist eil: kreuzbraver
Mann" hat mit den von von Ditfurth in dessen
Sammlung fränkischer Volkslieder (1855), von
Böhme (Erk's „Liederhort", neu bearbeitet und
fortgesetzt, 1893—94, III, Nr. 1363) und Wolf-
ram (Nassauische Volkslieder, 1894, Nr. 283)
aufgeschriebenen Weisen große Aehnlichkeit. Die
von Becker aufgezeichnete Weise ist bis aus
den Rhythmus den andern Orts abgedruckten
Weise:: ebenfalls ähnlich.
Zum Schlüsse lasse ich noch eine Niederschrift
des „Kurfürsten von Hessen" folgen, welche in
„Hessen-Lieder" (1892, Melsungen, W. Hopf)
abgedruckt ist und so lautet:
Und der Kurfürst von Hessen
Ist ein kreuzbraver Alaun,
Er kleidet seine Solidaten,
So gut es einer nur kann.
Juvivallerallerallera!
Juvivallerallerallera!
Hub der Kurfürst vor: Hesse::
Der hat es gesagt.
Daß alle jungen Burschen
Müssen werden Soldat.
Juvivallera u. s. w.
Und die Hübschen und die Feinen
Die sucht er heraus,
Und die Buckeligen und die Scheiwen
Die läßt er zu Haus.
Juvivallera u. s. w.
Ach und ist dein: die Falschheit
So groß in der Welt,
Daß alle jungen Burschen
Müssen zieh:: in das Feld.
Juvivallera u. s. w.
Der Vater und die Mutter
Die weinten so sehr,
Drum wird das Marschieren
Und der Abschied so schwer.
Juvivallera u. s. w.
Der Vater, die Mutter,
Die zogen vor Hauptmanns Haus:
„Ach Hauptmann, lieber Herr Hauptmann,
Gebt doch unsern Sohn heraus."
Juvivallera u. s. w.
Xlnb der Hauptmann stand draußen,
Schaute seine Leute an:
„Seid nur lustig, seid nur fröhlich;
's kommt keiner davon!"
Juvivallera u. s. w.
Wir tapfren Kurhessen
Zieh:: muthig in das Feld,
Der Kurfürst vor: Hessen
Der giebt uns Brot und Geld.
Juvivallera u. s. w.
176
Akts Volkslied.
Ich preise treue Liebe
Ilud Liebesseligkeit,
O, daß ihr Glück stets bliebe,
Nic raubte rauhe Zeit!
Ich hülle mein Gesichte,
Wenn eins die Treue brach,
Und sitze zu Gerichte,
Die Strafe folge nach!
Ich sing' von Krieg und Siegen,
Von Heimkehr aus der Schlacht,
Beklage die da liegen
In Todes dunkler Nacht.
Der Schatz mit Angst und Bangen
Schaut nach dem Liebsten ans.
Er kommt, v welch' Umfangen
Und Glück im Vaterhaus!
Selbst, weuu's ein Räuber wäre,
Der als Gefang'ner kam,
Ich laß' ihm seine Ehre,
Wenn nur er Rache nahm.
Ob dann auch unter'm Schwerte
Das Haupt vom Rumpfe füllt,
Wenn er sich tapfer wehrte,
Ist er im Lied noch Held.
Nicht lieb' ich hohe Worte,
Von Zierat keine Spur,
Doch offen steht die Pforte
Zum Schatzhaus der Natur.
Mit Blumen von der Wiese
Schmück' ich die schönste Maid,
Daß reiches Glück ihr sprieße,
Nie dränge sie ein Leid!
Ich sing' von Lindenbäumen,
Von lust'gem Kirmesmuth,
Von Mädchens süße» Träumen
Und raschem Jünglingsblut.
Da giebt's kein langes Schmachten,
Da wirbt kein Liebesbrief,
Kein nach dem Jawort Trachten
Mit Seufzen angstvoll tief.
G'radausgeh'n, das ist Sitte,
Sprich j a! wo nicht, sprich n ein!
Ja! und an Fingers Mitte
Glänzt das Goldringelein.
Der Vogel auf dem Dache
Singt ans der freien Brust,
Und einem Wiesenbache
Ist Rauschen eine Lust.
Die Veilchen spenden Düfte,
Die Rosen prächtig blüh'»,
Und auf die Erdengrüfte
Die Sterne leuchtend glüh'».
Des Meeres blaue Welle
Zum Strande tosend schallt,
Die au der gleichen Stelle
Nun sanft und leise wallt.
Sv singen meine Lieder
Des Herzens Wiederhall,
Hier tönt des Aars Gefieder,
Dort singt Frau Nachtigall.
O. Hl). Ditkmar.
Jauchze, mein Herz, denn der Sommer ist da!
Laß dich die wonnigen Lüfte umflutheu!
Jauchze und schaue fern und nah
Das grünende Prangen, die farbigen Gluthen!
Blühen und Duften rings umher,
Vom Thal zu den Höhen, vom Fels zum Meer!
Laß fahren dahin alle Angst und Noth,
Denn der Sommer ist Leben! - der Winter - Tod!
Jauchze, mein Herz! Gottes Sonne strahlt
Und wandelt die Erde zum Paradiese!
Jauchze und schau', wie sie herrlich malt,
Und lausch' ihrem lockenden Rufe: „Genieße!"
Genieße das Leben, so lang du magst,
Genug sei, daß du dich im Winter plagst!
Genieße vom Morgen- zum Abendroth,
Denn der Sommer ist Leben! - der Winter - Tod!
Jauchze, mein Herz! Mit der Lerche empor
Schmett're dein Lied zu des Schöpfers Preise,
Jauchze und singe sein Lob im Chor
Mit den Vöglein im Walde in fröhlicher Weise,
Aber in hehreren Tönen sing' spät
Mit der Nachtigall noch dein Dankgebet!
Dem Sommer die Freude! Dem Winter die Noth!
Denn der Sommer ist Leben! - der Winter - Tod!
Kugo Krederking.
Aus alter und neuer Zeit.
Nachstehend theilen wir einen — unseres Wissens
bisher nicht befcumteu — Brief mit, den der
nachmalige Landgraf Friedrich II. voll Hessen
an seinen Sohn, den späteren Kurfürsten
Wilhelm I., richtete. Der Brief hat folgenden
Wortlaut:
177
Berlin le 19. Juin 1756
Mon très Cher fils
J’ai reçu avec plaisir votre Lettre, je vous
Suis obligé de La part que vous prenés a mon
nouveau Etablissement, et rien au monde ne
m’aurois pu etre plus agréable que d'avoir
appris par Mr. de Wiltorf que vous et vos
frères, aux quels vous ferés bien des Com-
plimens de ma part, vous etes bien Gouvernés
a La Cour du Boy de Dannemarck, Continués
toujours de la Sorte, et Comptés sur La Con-
tinuation de La tendre affection Paternelle
avec La quelle je ne cesserai d'etre
Mon très Cher fils
Embrassés vos Votre fidele et bon Pere
freres de ma part Frederic PHDHesse
©feingrab bei Züschen. In der Woche
nach Pfingsten wurde bei Züschen, dicht an der
hessischen Grenze, ein St ein grab entdeckt. Es
enthielt mehr oder weniger gut erhaltene Knochen
von Männern, Frauen mtb Kindern, auch einige
Pferdeknochen, zwei Steinäxte, eine Anzahl Urnen,
Kohlenreste, jedoch kein Metall. In den: nun
leeren Grabe sieht man deutlich drei größere und
ein kleineres Bild von Pfeilen, 38 Bilder voll
Halseisen und Handfesseln in verschiedener Größe
in drei Formen, zwei Bilder von Kettell ltub das
große Sonnenloch nach Osten. Halseisen, Hand-
fesseln, Pfeile und Ketten deuten aus Krieg oder
Gefangenschaft oder feindlichen Uebersall, die Pfeile
auf ein damals gebrällchliches Kriegsgerüth, die
Steinäxte waren eine Waffe der Germanen. In
der „Kasseler Allg. Ztg." beschäftigt sich Dr. Rörig-
Wildungen eingehend mit dem Funde und kommt
zu dem Schlüsse, daß dieses Massengrab aus die
Abschlachtung überfallener Chatten durch Drusus
(15 n. Chr.) zurückzuführen sei. Die Römer
zogen 4 Legionen, 1200 Reiter und 10 000 Mann
germanische und gallische Hülfstruppen stark aus
und trafen — so führt Dr. Rörig aus — auf
die Chatten nahe bei der Edder, über welche sie,
wahrscheinlich von Friedberg zur Schwalm, bei
Treysa vorüber, nach der Altenburg kommend,
Brücken schlugen. Die Chatten wurden durch
diesen Uebersall der 47 000 römischen Krieger so
überrascht, daß sie zum Theil sich verborgen haben
mögen, nackt oder nur wenig bekleidet und kaum
bewaffnet, nur geringen Widerstand leisten konnten,
die Römer am Ausschlagen einer Brücke hinderten,
jedoch überwunden, durch Wurfgeschosse und Pfeile
zurückgetrieben wurden. Dagegen ist Alles, was
schwach und wehrlos war, Frauen, junge Lellte
und Kinder (Annalen I. 55, 56) gefangen oder
niedergemetzelt worden. Sie haben widerstrebt,
sich losmachen wollen, mtb sind dann erstochen,
erschlagen, erwürgt; die Fliehenden oder von den
1200 römischen Reitern Stunden weit Verfolgten,
sind dann mit Pfeilen zu Boden gestreckt. Nach-
dem Mattium verbrannt, wandte sich Drusus zum
Rheine hin. Die Umgegend von Mattium, da
wo jetzt das hessische Dorf Maden liegt, begünstigte
den römischen Uebersall. Ein schönes flaches Thal
von mehreren Stunden im Umkreis, nach Lohne
und Züschen hin sanft aufsteigende Landschaft,
niedrige Hügel und) Gleichen Hill, dagegen nord-
wärts über Gudensberg meist nackte basaltische
Bergkegel, von denen herab die Römer das Schlacht-
feld überschauen, die Reiter anweisen konnten, in
welcher Richtung die Chatten zu treffen unb zu
verfolgen, gefangen zu nehmen oder nieder zu
machen seien. Die Chatten sind da mit Feiler
und Schwert total vernichtet. Das war die Kriegs-
kunst der kultnrbringenden, sreiheitraubenden, hab-
süchtigen Römer! Jln Chattenlande haben sie
schlimmer wie Rallbthiere gehaust. - So weit
Dr. Rörig. Natürlich ist nicht der Volksstamm
der Chatten durch Drusus vernichtet worden, deren
Existenz vielmehr sich sehr bald wieder ben
Römern in unangenehmer Weise fühlbar machte.
Wie alts Gießen berichtet wird, werden all
dein Castrum Alteburg die Ausgrabungsarbeiteu
fortgesetzt. Bekanntlich hat der Oberhessische
Geschichtsverein einen Theil des Geländes, in
beut das Castrum Alteburg liegt, pachtweise über-
nommen lllld zilm Zwecke der Erhaltung der Nord-
seite des Castells einfriedigen lassen. Bis jetzt
sind einzelne Theile der Mauer an dieser Stelle
blosgelegt, das Uebrige soll im Laufe des Jahres
noch ausgegraben werden. Als Beitrag zu den
beträchtlichen Kosten, die hierdurch dem Verein
erwachsen sind, hat der regierende Gras zu Solms-
Lanbach in überaus liebenswürdiger Weise dem
Verein einen namhaften Betrag zur Verfügung
gestellt, wofür ihm die Dankbarkeit aller Alterthums-
sreunde gesichert ist.
Daß das „Nadelöhr" im Süllingswalde
der rohen Zerstörnngslust einiger Handwerksbllrschen
zum Opfer gefallen ist, haben wir schon in Nr. 10
mitgetheilt und auch berichtet, was über die Ent-
stehung des Nadelöhrs erzählt wird. Ueber die
Bedeutung des Males gehen die Ansichten freilich
auseinander. Thatsache ist, daß das Denkmal vom
hessischen Landgrafen Moritz im Jahre 1561 er-
richtet und im Jahre 1757, als es defekt geworden
war, reparirt worden ist. Es besteht aus einem
etwa anderthalb Meter hohen und ein Meter
178
breiten Stein, dessen unterer Theil in Form eines
Nadelöhrs ausgehöhlt ist. Kolbe giebt in seinen
„Hessischen Volkssitten" nachstehende Erklärung
für die Entstehung des Steines. Bei unseren
heidnischen Vorfahren war die Eiche dem Donar,
als Heilgott, geweiht. Jeden Eichbaum dachte man
als Sitz dieser Gottheit. Die von der Natur
ausgehöhlten Eichen wurden als Heilstätten für
Kranke, insbesondere sür Bruchleidende, betrachtet.
Man nannte solche hohlen Eichen, deren es damals
nicht wenige gab, „Nadelöhr". Das Heilverfahren
wär sehr einfach und bestand darin, daß der Kranke
sich vor Sonnenaufgang stillschweigend an Ort
und Stelle begab lind „unbeschrieen", d. h. ohne
daß Jemand ihn anredete, dreimal durch das Nadel-
öhr kroch. Von diesem Durchkriechen der Höhlung,
als denl Ausdruck der Unterwerfung unter die
Allmacht der Gottheit, erhoffte man die Wieder-
genesung des erkrankten Leibes. — Noch jetzt trifft
man hie und da Waldorte an, die beit Namen
„Nadelöhr" führen ltnb dadurch andeuten, daß
dort solch heilkräftige Eichbäume gestanden haben
müssen, so z. B. bei Speckswinkel und Mengsberg
in Oberhessen. Auch im Süllingswald, an der
Straße von Friedewald nach Hönebach, stand ein
weit und breit berühmter Baum, welcher das
Nadelöhr hieß und zu solchem Heilgebrauch diente.
Bis weit in das christliche Zeitalter hinein ragte
diese Ruine ans heidnischer Zeit, bis der Baum
endlich vor Alter verfiel. An der Stelle, wo er
gestanden, ließ Landgraf Moritz einen Gedenkstein
in Form eines Nadelöhres errichten, das jedoch
nur zu Volksbelustigungen diente, und Viele, die
im Laufe der Jahre des Weges kamen, sind wohl
durch die Oeffnung gekrochen, ohne zu wissen, welche
Bedeutung dieser Handlung früher beigelegt wurde.
Beim Abbruch des Inneren des jetzigen könig-
lichen Hoftheaters zu Kassel haben sich
hinter der Holzbekleidung an einer Wand des ersten
Ranges vier Theaterzettel aus den Jahren
1814, 1815, 1816 und 1832 durch die daselbst be-
schäftigten Handwerker vorgefunden, welche sür
unsere hessische Geschichte von historischem Werth
sind und der hiesigen Landesbibliothek überwiesen
wurden. Dieselbe hat, dem „C. T." zufolge, die
Dokumente dankbar entgegengenommen, umsomehr,
als diese in der bestehenden Sammlung seither
nicht vorhanden waren. Einer der Zettel enthielt
die Ankündigung der denkwürdigen ersten Auf-
führung von Beethovens „Fidelio" als Festvor-
stellung zur Geburtstagsfeier des Kurfürsten
Wilhelm I. am 6. Juni 1816. Der Entdecker
dieser interessanten Dokumente wurde von Seiten
des Vorstandes der Landesbibliothek mit einem
Dankschreiben beehrt.
Aus Ooimath und Fremde.
In Hersfeld findet am 1., 2. u. 3. Juli
- also ziemlich gleichzeitig mit dem Sängerfest —
die 4. Wanderversammlung des Ver-
bandes hessischer Bienenzüchtervereine
statt. Mit ihr ist eine Fachausstellung von lebenden
Bienenvölkern, Honig, Wachs, bienenwirthschaftlichen
Gerüchen und Lehrmitteln, sowie eine Verloosung
(3000 Loose a 50 Pf., 338 Gewinne) verbunden.
Die besten Leistungen der Aussteller werden mit
Diplomen und Geldpreisen prämiirt. Versamm-
lungs- und Ausstellungslokal ist die Restauration
Bolender.
Gemäldeausstellung in Marburg. Der
rastlosen und aufopfernden Thätigkeit des Herrn
Oskar Ehrhardt ist es gelungen, eine statt-
liche Anzahl von Gemälden (wohl an 200) zu
vereinigen und so den Bewohnern Marburgs
zum ersten Male die Freude einer eigenen
Kunstausstellung zu bereiten. Es ist bei der
Zusammenstellung der Bilder mit ebenso viel Ge-
schick als Umsicht verfahren worden, so daß die
kleine Sammlung von jedem Gebiet der Malerei
und aus den verschiedensten Zeiten Proben giebt
nnb so dem sinnigen Beschauer nicht nur Ab-
wechslung sondern auch eine belehrende Uebersicht
gewährt.
Von Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Rem-
brandt, van Dyk, Giulio Romano, Tischbein,
Gabriel Max herab zieht sich der Kreis bis zu
Theodor Mattheit neuestem Genrebild. Historie,
Porträt, Genre, Landschaft, Thierstück, Architektur
sind vertreten und neben der alten, gediegenen
Kunstrichtung die modernste. Es ist nicht meine
Ausgabe, hier die Gesammtausstellung kritisch zn
würdigen, doch der zahlreichen dem Hessenlanu
entstammenden Aussteller will ich mit einiged
Worten gedenken.
Wir finden da Theodor Matthei, Johannes
Kleinschmidt, L. Katzenstein, v. Volk mann,
K l i n g e l h ö s e r, Z i m m e r m a n n, V a n tz e r,
Ubbelohde, Schürmann, Bauer, Dauber,
Clans, Jenich in reicher Abwechslung und in
meist trefflichen Werken vertreten, so daß wir aus
unsere heimische Künstlerschaft mit freudigem Be-
hagen blicken dürfen. Nächst Klingelhöfer selber
ist auch seine Schule, durch vortreffliche Arbeiten,
zum Theil Kopieen älterer Meisterwerke, der Damen:
Fräulein Pfeffer, Fräulein Eichler, Fräulein
Krug, Fräulein Poppel bäum stattlich re-
179
präsentiert, dem Meister wie den talentvollen
Schülerinnen Ehre machend. Daß die afrikanischen
Landschaften Klingelhöser's, zu denen der Künstler
an Ort llnd Stelle seine Studien gemacht hat, be-
sonderes Interesse erregen, liegt nicht nur in:
behandelten Gegenstand, wesentlich auch in der
künstlerischen Ausführung.
Erwähnt mag noch eine vorzügliche Radirung
Ubbelohde's werden wie einige in Pastell aus-
geführte treffliche Porträts.
Daß es Herrn Ehrhardt gelungen ist, dem
berühmten Künstlerheim in Willingshausen die
Thür zu entführen, auf welcher sich unsere nam-
haftesten deutschen Künstler, so weit sie das Maler-
dorf zu besuchen pflegen, mit den: Pinsel verewigt
haben, macht seinem diplomatischen Talente Ehre
und bereitet dem Besucher angenehme Ueberraschung.
Alles in Allem genommen ist diese Ausstellung,
welche Marburg der Initiative eines energischen
Mannes verdankt, ein nicht zu unterschätzendes
künstlerisches Ereigniß, das, wie 51t hoffen steht,
für die Folge Früchte tragen wird. K. Ar.
Bekanntlich haben sich die sämmtlichen hessischen
Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses für
einen Vermögens-Ausgleich mit den Allodial-
erben des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I.
verwendet. Mit Bezug hieraus veröffentlicht die
Berliner „Nationalzeitung" folgende Zuschrift
des Prinzen Heinrich voll Hanau: „In
Nr. 338 der „Nationalzeitung" findet sich eine
Zuschrift aus Kassel, welche das Eintreten der
hessischen Abgeordneten für die Petition der
Allodialerben des Kurfürsten deshalb tadelt, weil
außer Acht gelassen werde, daß die Verwendung
der sequestrirten Revenuen eine ,Sühne' dafür
habe sein sollen, daß ,der Kurfürst während seiner-
ganzen Regierungszeit alle dem Lande geschuldeten
Verpflichtungen schnöde hintangesetzt habe'. Der
Berfasser dieser Korrespondenz erweist sich damit
augenscheinlich als einer jener Gegner meines un-
vergeßlichen Vaters, welche ihrem Groll selbst über
den Tod hinaus treu geblieben sind. Wie wenig
jedoch sein Urtheil Anspruch auf Objektivität
besitzt, ist allein schon aus der Behauptung zu
ersehen, mit welcher er seine Zuschrift schließt:
Paß die Sache nur zu verstehen sei, wenn man
wisse, daß sich ein neues, den früheren hessischen
Verhältnissen fremd gewordenes Geschlecht in die
Vertretung Hessens hineingeschoben habe, während
vor zwanzig Jahren von den hessischen Abgeordneten
nicht ein einziger für eine solche Verwendung 31t
haben gewesen wäre.' — Es sei mir erlaubt, dem
gegenüber festzustellen, t. daß scholl gegen das
Beschlagnahmegesetz selbst hessische Abgeordnete seiner
Zeit Widerspruch erhoben haben, u. A. mit der
Erklärung, daß es ,ganz unmöglich' sei, für das
Gesetz zu stimmen, 2. daß scholl die erste Petition
der Allodialerben im Jahre 1883 voll hessischen
Abgeordneten aller Parteien bcm Hause der Ab-
geordneten überreicht wordell ist, 3. daß der
eifrigste und entschiedenste Fürsprecher der An-
gelegenheit von Ansang an bis zu seinem im
vorigen Jahre ersolgtell Ableben der Geheime
Justizrath Dr. Oetker gewesen ist, 4. daß von
diesem uub noch einem, gerade der ältesten
Generation allgehörigen hessischen Abgeordneten im
Jahre 1892 die Eingabe an das Staatsministerum
veranlaßt worden ist, aus welche die jetzige Ver-
wendung lediglich Bezug nimmt, uub 5. daß die
heutigen Abgeordneten sich der Mehrzahl nach aus
Herren zusammensetzen, welche die frühere Zeit als
Erwachsene miterlebt haben. Was die Angabe der
Zuschrift über die Ersparnisse des Kurfürsten für
seine Familie anbelangt, so liefert sie selbst wohl die
beste Kritik dadurch, daß sie, abgesehen von dem
Ankauf der Herrschaft Horowitz (4000 000 Mark),
beu Nachlaß meines Vaters zutreffend tu einer
Höhe von 7 000 000 Mark allgiebt, nach einer
35jährigen Regierungszeit lind gegenüber einer
Jahreseinnahme seit 1847 von nahezu 2 000 000
Mark, Hochachtungsvoll Heinrich, Prinz von Hanau."
Unser Landsmann Professor Carl Schäfer,
Lehrer all der technischen Hochschule in Berlin, einer
der ersten Architekten und Architekturlehrer Deutsch-
lands, hat einen Ruf an die technische Hochschule
in Karlsruhe erhalten und angenommen. In
beu Fachkreisen herrscht darüber, daß lnan eine
solche Kraft von Berlin wegholen läßt, starke Ver-
stimmung. „Die Deutsche Bauzeitung" läßt sich über
unsern Landsmann wie folgt alls: „Sein außer-
gewöhnliches Wissen und Können wie seine durch
die Macht einer voll ausgeprägten Persönlichkeit
unterstützte, wohl nur Wenigen im gleichen Maße
eigene Lehrgabe haben ihm hier (in Berlin) Er-
folge verschafft, die ebenfalls ganz ungewöhnliche
sind. Er hat nicht nur zahlreichere Schüler um
sich geschaart als jeder andere deutsche Architektur-
lehrer, sondern sich auch die begeisterte Anhänglichkeit
dieses Schülerkreises in einem Maße zu erwerben
gewußt, wie es vor Alters nur Wilhelm Stier-
gelungen war. Seine Uebersiedelung nach Karls-
ruhe dürfte nicht nur viele seiner jetzigen Schüler
veranlassen, ihm dorthin ztl folgen, sondern auch
die Anziehungskraft der Berliner Hochschule aus
Jahre hinaus dauernd verringern. Und die Gründe
seines Abzuges von der Stätte einer so erfolg-
reichen Thätigkeit? Herr Schäfer macht kein Hehl
daraus, daß er Berlin uub Preußen lediglich des-
180
halb verläßt, weil er hier nicht Gelegenheit hat,
sein Wissen und Können als Architekt in ge-
nügender Weise verwerthen zu können. In der
That muß es ausfallen, daß er sowohl'bei den
zahlreichen, hier in den letzten Jahren vertheilten
Kirchenbauten leer ausgegangen ist, als auch bei
den von Seiten des Staates eingeleiteten Herstellungs-
bauten mittelalterlicher Baudenkmäler seine Ver-
wendung gefunden hat. Baden, in dessen Dienste
Herr Schäfer (zugleich mit dem Titel als Ober-
baurath) eintritt, wird sicherlich nicht verfehlen,
die für das Land gewonnene hervorragende Künstler-
kraft in ganz anderer Weise sich zu Nutze zu
machen."
Auf der Ausstellung des Schweizerische n
F i s ch e r e i v e r e i n s ist Herr Amtsgerichtsrath
F. W. Seelig in Kassel, der ein Manuskript
„Die gesammte, dermalen giltige Schweizerische
Fischereigesetzgebnng" ausgestellt hat, mit der
höchsten Auszeichnung — Ehrenpreis mit silberner
Medaille — bedacht worden.
Im Verlag von Eduard H oehl in Hersfeld
erschien soeben ein Schriftchen des Lehrers
I. Hallen b erger: „Drittes Sängerfest des
hessischen Sängerbundes in Hersseld am 30. Juni
und 1. und 2. Juli 1894." Es enthält Festnach-
richten, Programm, Gesangsterte u. s. w., sowie
eine BeschreilulNg Hersfelds.
U n i v e r s i t ä t s n a ch r i ch t e n. Die Universität
Gießen wird in diesem Semester von 576
Studirenden besucht. Der theologischen Fakultät
gehören an 68, der juristischen 140, der medizinischen
149, der philosophischen 216. — Zu korrespon-
direnden Mitgliedern der historisch-philologischen
Klasse in der Göttinger Gesellschaft der
Wissenschaften sind in diesem Jahre u. A. neu
gewählt: Edward Schröder-Marburg, Adolf
Jülich er-Marburg.
Fräulein Marianne Anbrecht aus Kassel, eine
jugendliche, mit vorzüglichen Mitteln ausgestattete
Sängerin, die einer glänzenden Zukunft entgegen-
sah, ist vor einigen Wochen gestorben. Die junge
Künstlerin — die den Künstlernamen Ardegg
führte — war in Braunschweig am Herzoglichen
Hoftheater engagirt. Fräulein Anbrecht hat in
Kassel bei der rühmlichst bekannten Gesangslehrerin
Frau Zottmayr ihre Ausbildung genossen itnb trat
als vielversprechendes Talent des Oefteren daselbst
in Konzerten auf.
Wersorrakiert.
Ernannt r Landrath von Trott zu Solz in
Marburg zum Geh. Regierungsrath und vortragenden
Rath im Ministerium des Innern. Kreiswundarzt Dr. med.
C oester zum Kreisphysikns des Kreises Rinteln. Außer-
ordentlicher Pfarrer Bor nm a n n zum Gehülfen des Pfar-
rers Heermann in Großnenndorf. PfarramtskandidatUffel-
mann zum Gehülfen des Pfarrers Uffelmann in Ziegen-
hain. Rechtsanwalt Wessel in Ziegenhain zum Notar-
für den Oberlandesgcrichtsbezirk Kassel mit Anweisung
seines Wohnsitzes in Ziegenhain. Die Forstassessoren
Bocke müht in Adenau zum Oberförster in Rauschenberg
und Schmidt in Proskau zum Oberförster in Steinau.
Beauftragt wurde der Pfarrer Weppler in Wald-
kappel mit Versetzung der Metropolitanatsgeschüfte der
Klasse Waldkappel.
Neberwiesen: der Reg.-Assessor vr. Kühnert der
königl. Regierung in Kassel zur dienstlichen Verwendung.
Bestätigt: die Wahl des Landraths Freiherrn
Ried esel zu Eisenbach in Gelnhausen zum Landes-
direktor des Bezirksverbandes des Regierungsbezirks
Kassel vom 1. Juli d. I. ab auf die Dauer von sechs Jahren.
Verliehen: dem Landrichter Köster in Kassel der
Charakter als Landgerichtsrath; dem Direktor des Land-
krankenhauses, praktischen Arzt vr. med. Schneider in
Fulda der Charakter als Sanitütsrnth.
Entlasten: die Notare Justizrath Plitt in Borken
und Justizrath vr. Müller in Kassel auf ihren Antrag
aus bem Amte als Notar.
Bermählt: Buchdruckereibesitzer H e r m a n n Merkel,
Marburg, mitFrl. I oh a n n e W e i ß en b o rn in Duderstadt.
Gestö rven: Marianne A n d r e ch t, Sängerin aus
Kassel, in Braunschweig. Fabrikant Leonhard Huber,
68 Jahr alt. Hanau. 13. Juni. Gutsbesitzer Nikolaus
Georg Müller, Ochshausen, 14. Juni. Gastwirth
Heinrich'Eichmann, 45 Jahre alt, Niederaula, 15. Juni.
Pfarrer A. N. Wiskemann, 70 Jahre alt, Lohne bei
Fritzlar, 16. Juni. Fräulein Amalie Herzog,
62 Jahre alt, Kassel, 19. Juni. Geh. Medizinal- und
Regierungsrath a. D. vr. Ottmar Wagner, 73 Jahr
alt, Kassel, 23. Juni Frau Rosine Margraf, geb.
Braun, 76 Jahr alt, Kassel, 24. Juni. Frau Wittwe
Martha Schirmer, geb. Kaufmann, 77 Jahre alt,
Homberg, 23. Juni. Katharina von Breithaupt,
Wittwe des Oberstlieutenants a. D. Ritter W. von Breit-
haupt, 74 Jahre alt, Kassel, 24. Juni. Luise Dietz,
Wittwe des vr. med. Dietz, Felsberg, 24. Juni.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion find zu richten
an die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Kaffel,
Schloßplatz 4.
J. R. Marburg. Manuskript erhalten; Antwort
erfolgt brieflich.
N. N. K a s s e l. Besten Dank. Selbstverständlich
mit genauer Quellenangabe benutzt.
GL Th. v. Marburg. Auch Ihnen freundlichen
Dank für die Sendung.
W. H. Marbur g. Von dem gedachten Schriftsteller
wird demnächst ein Beitrag im „Hessenland" erscheinen.
K. H. Berlin. Wir sind für die Uebersendung von
Personalnotizen dankbar.
Prof. W. Frankfurt. Damit wäre die Sache also
erledigt. Wir hoffen, daß Sie uns recht bald durch einen
Beitrag erfreuen werden.
Für die Redaktion verantwortlich: vr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel
in Kaffel.
Das „He^enlnnd" erscheint am 1. und 15. jedes Monats l1/* bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel-, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Heimweh.
Jb in weites Feld — so flach und groß —,
*§ Von niederer Mauer karg umzogen,
Dem Sturm zur Beute — schattenlos;
Der Eingang: nur ein Mauerbogen —,
Ein schrilles Bimmeln Tag für Tag,
Ein eilig' Bringen neuer Gäste,
Und dann — ein schneller peitschenschlag
Zur Abfahrt nach dem Gasthoffeste.
Gleichgiltig sinkt der pügel dort
Im öden Grund, als sei den Todten
Der ungepflegte, kahle Vrt
Als Auszugsstüblein angeboten.
An manchem Areuz verblaßtes Band,
Ein Aranz von Blech, papierne Blüthen —,
Viel leichter, bunter Flittertand —,
Doch, ach, kein liebevolles Stilen!
Und hier zu ruh'n —, derweil im Grund
Der Pein rath ernste Bäuine rauschen
Und rings mit liederfrohem Mund
Die Vögel ihre Grüße tauschen,'
Wo, der im Thal sich abgemüht
Zur Mittagszeit auf heißen Matten,
Nun, da sein Lämpchen ausgeglüht,
Sich ruhen darf im tiefen Schatten,
Mo seiner Eltern Namen steh'n
Auf Marmorkreuzen, wo die Armen
Still flüstern im Vorübergehn:
Die hatten einst mit uns Erbarmen.
So still ist's dort und ernst und kühl,
Wo unser Fuß das Gras betreten
In Neugier einst und Ainderspiel
Und dann im schmerzgebor'nen Beten,
Wo nicht so theuer ist der Raum,
Daß sie uns nicht ein Fleckchen gönnten,
Wo wir von unserm Lebenstraum,
Vom Werk die Spaten ruhen könnten,
Wo lind das süße kseimathland
Auf's kferz sich legt — und macht's sein eigen,
Wo selbst Vergessenheit am Rand
Des Grabes sitzt — in mild'rem Schweigen.
W. Kerkert.
- 182
iiiiiIiiiiiiiiiiiihiiihiiihiiiiihiiiii [iiiiii'ninii' i'iiiiiüiiniiiiiiiiiiii iiimiiiiiii im
wm W r
Philipp der Großmüthige > Landgraf von Hessen.
1504 1567.
Bon H. Metz.
(Fortsetzung.)
schnell halte die Lehre Martin Luther's Ein-
gang in Hessen gefunden. Auf einer Reise
^4 nach Heidelberg znm Gesellschießen mit der
Armbrust machte Landgraf Philipp die Bekannt-
schaft Melanchthon's, von dein er eine kurze Ab-
handlung der erneuerten christlichen Lehre empfing.
In diesen: Abrisse waren das Wesentliche der
Lehre Luther's und die Mißbräuche des Papstthums
enthalten sowie der Rath, das Evangelium nicht
zu hindern, noch gewaltsam und mit plötzlicher
Abschaffung aller kirchlichen Zeremonien zu ver-
fahren. Von mehreren Seiten, unter anderen
auch von seiner Mutter, Anna von Mecklenburg,
vermählten Gräfin von Solms, wurde auf den
Landgrafen eingedrungen, von dem neuen Glauben
abzulassen. Trotz alles Einredens erklärte Land-
graf Philipp im Februar 1525 seinem Schwieger-
vater, dem Herzog Georg von Sachsen, daß er
beschlossen habe, sein Land dem Evangelium zu
offnen; im März gab er zu Kreuzburg an der
Werra dem Herzoge von Sachsen und dessen
Sohne, Johann Friedrich, die Erklärung ab, daß
er eher Land, Leute, Leib und Leben lassen, denn
von Gottes Wort ablassen wolle. Hiermit war
der Uebertritt des Landgrafen zum Evangelium
besiegelt. Vor Mühlhausen war während des
Bauernkrieges von den verbündeten Fürsten von
Sachsen, Hessen und Braunschweig der Beschluß
gefaßt worden, in Sachen der neuen Lehre
gemeinsam vorzugehen. Dieser Verabredung wurde
zuerst Herzog Georg von Sachsen, der Luther
persönlich haßte, untreu. Seine Freunde, Erich
und Heinrich von Braunschweig, Joachim von
Brandenburg und Albrecht von Mainz, versammelte
Herzog Georg zu Dessau, wo gegen den Beschluß
von Mühlhausen Maßregeln zur Ausrottung der
lutherischen Lehre getroffen wurden. Der Kurfürst
Johann und Landgraf Philipp kamen zu Treffurt
zusammen und erklärten dem Herzog Georg von
Sachsen, „daß sie der lutherischen Handlung nur
insoweit anhingen, als sie mit dem Evangelium
übereinstimme, daß dieses auszurotten ihnen
weder gebühre noch möglich sei, daß es ihnen
aber christlich und ehrlich dünke, den ganzen Streit
über den Antheil der neuen Lehre an dein Auf-
ruhr und über die kirchlichen Mißbräuche nur
durch gelehrte gottesfürchtige und unparteiische
Personen zu schlichten".
Von Kaiser Karl war inzwischen auf einem
Reichstage das Verdammungsedikt von Worms
erneuert und die Ausführung der von der Partei
des Herzogs Georg verabredeten Maßregeln be-
schlossen worden. Diesen Beschluß zu vereiteln
bot Landgraf Philipp Alles auf, inden: er sich
vor dem Reichstage der Mehrheit der Stimmen
zu versichern suchte. Mit dem Kurprinzen Johann
Friedrich wurden auf dem Schlosse zu Friedewald
die gemeinsamen Maßregeln gegen den von Kaiser-
Karl festgesetzten Beschluß berathen. Durch diese
Maßnahme des Landgrafen Philipp wurde be-
wirkt, daß der Reichstag zu Augsburg mit der
Wiederholung des Nürnberger Abschiedes und mit
dem Beschluß endete, daß eine allgemeine Kirchen-
versammlung auf deutschem Boden gehalten werden
sollte. Als von diesem Vorhaben Kaiser Karl
Kenntniß erhalten hatte, sandte er geheime
Instruktionen an den Herzog Heinrich von
Braunschweig und den Bischof Wilhelm von
Straßburg, worin denselben aufgetragen wurde,
einen Verein gleich gesinnter Leute zu bilden, um
der Irrlehre auf einem zu Speyer abzuhaltenden
Reichstage entgegenzutreten. Bevor aber dieser
Reichstag abgehalten wurde, kam auf Drängen
des Landgrafen Philipp das erste evangelische
Bündnis; „zur Ausrechthaltung des heiligen
Wortes, zur Abstellung der Mißbräuche des
Gottesdienstes, gegen alle Widersacher auf Leib
und Gut, Land und Leute" zwischen dem Land-
grafen und dem Kurfürsten von Sachsen zu
Torgau am 4. Mai 1526 zu Stande. Diesen:
183
Bunde, der im Falle des Angriffes um der
Religion willen zu gegenseitiger Hilfe verpflichtete,
traten alsbald Philipp von Braunschweig-Gruben-
Hagen, Otto, Ernst und Franz von Lüneburg,
Heinrich von Mecklenburg, Wolf von Anhalt,
Gebhard und Albrecht von Mansfeld und Albrecht
von Brandenburg, Herzog von Preußen, bei.
Auf dem am 25. Juni 1526 zu Speyer ab-
gehaltenem Reichstage wurde beschlossen, „daß
zur Vergleichung der Religion binnen Jahres-
frist eine freie allgemeine oder wenigstens nationale
Kirchenversammlung auf deutschem Boden gehalten
und einstweilen sich jeder Reichsstand so verhalten
sollte, wie er es gegen Gott und kaiserliche
Majestät zu verantworten gedächte". Dieser Be-
schluß veranlaßte nunmehr den Landgrafen, Schritte
zur Einführung der Reformation in seinem Lande
zu thun. Auf deu 21. Oktober 1526 berief
Philipp alle Prälaten, Aebte, Prioren, Dekane,
Domherrn, Pfarrer und Priester, die Ritterschaft
und die Abgeordneten der Städte aus dein
Fürstenthum Hessen und den dazu gehörenden
Grafschaften zu einer öffentlichen Synode und
einem Religionsgesprüch nach Homberg behufs
Entwerfung einer hessischen Kirchenordnung. „Re-
formatio ecclesiarum hassiae iuxta certissimam
sermonum dei regulam ordinata in venerabili
synodo per clementissimum hessorum principem
Philippum anno 1526 die 20 octob. Hombergi
celebrata, cui ipsemet princeps illustrissimus
interfuit“, war der Titel der zu Homberg ent-
worfenen hessischen Kirchenordnung.
(Fortsetzung folgt.)
Der amerikanische Feldzug der Hessen nach dem Tagebuch
des Grenadiers Johannes Neuber von Niedervellmar.
1776-1783.
Von F. W. Junghans.
(Schluß.)
§ie gefangenen Hessen, 900 Mann stark, wurden
so schnell wie möglich in's Innere des Landes
~ geschafft, ei» Marsch, den Reuber mit
großer Genauigkeit beschreibt. Unter starker Be-
deckung wurden sie zunächst nach Philadelph-ia
instradirt. Washington hatte befohlen, die ge-
fangenen Hessen durch die Stadt zu führen, um
der Bevölkerung den Schrecken vor diesen ge-
fürchteten Kriegern zu benehmen. Der Pöbel über-
häufte sie mit Insulten, worin sich besonders die
Weiber hervorthaten, und wollte die Gefangenen
erwürgen; als aber Washington andern Tags
eine Proklamation anschlagen ließ, worin bekannt
gemacht wurde, daß die Hessen nur gezwungen
gegen die Freiheit in den Krieg gezogen seien,
so änderte sich die Stimmung. Alt und Jung
brachte Branntwein und Lebensrnittel in die
Kasernen, wo die Hessen einquartiert waren, und
überhäufte sie mit Freundschastsbezeuguugen.
Am 8. Januar mußten unsere Gefangenen
ihren Marsch bei großer Kälte fortsetzen. Das
nächste Ziel ihrer Reise war die Stadt Long-
sester, wo sie wieder in eine große Kaserne ein-
quartiert wurden, und hier revoltierten die eng-
lischen Kriegsgefangenen gelegentlich der Geburts-
tagsfeier ihres Königs, während sich die Hessen
ruhig verhielten. Die Folge davon war die, daß
die Hessen frei in der Stadt herum gehen durften,
während die Engländer in strengem Gewahrsam
gehalten wurden. Als das Frühjahr kam, wurde
den gefangenen Hessen angeboten, bei den Bauern
zu arbeiten. Wer darauf einging, sollte außer
Essen und Trinken täglich 14 Stüber (6 Albus)
Tagelohn bekommen und außerdem seine Ration
an Brod und Fleisch, die ihm als Gefangenem
gebührte, in Geld ausgezahlt erhalten. Die
Farmer mußten sich verpflichten, den Kriegs-
gefangenen wieder zurückzuliefern, im Fall seines
Entweichens aber 200 Dollars in die Staats-
kasse bezahlen. Viele nahmen das Anerbieten
an, die Unteroffiziere aber, darunter wohl auch
unser Neuber (er war zum Freiwächter oder Gefreiten
avancirt), blieben in der Kaserne und nahmen
den Sold für die im Land Arbeitenden in
Empfang. Wir sehen hieraus, daß es die Ge-
fangenen ganz gut hatten.
Am 24. August 1777 drang eine englische
Flotte auf dem Elkfluß in Maryland ein, nur
etliche Tagemürsche von Longfester, sodaß viele
Gefangene zur englischen Armee entwichen. In
Folge davon wurden sie nach Newton trans-
portirt, einer von Herrenhutern bewohnten Stadt,
und hier wurden die noch übrigen Hessen in
zwei Kolonnen getheilt, mit weiter in's Land
184
geführt zu werden. Die, welcher Reuber zugetheilt
wurde, 300 Mann stark, sollte nach Virginie»
marschieren; ebenso 300 Engländer. Am 4. Ok-
tober langten sie in Baltimore an. Hier
erwarteten sie dieselben Insulten wie in Phila-
delphia, sodaß der sie begleitende Kapitän ge-
nöthigt war, seine Mannschaft laden zu lassen,
um die ihm anvertrauten Gefangenen zu schützen.
Obgleich sie schon im Rathhaus einquartiert
waren, so führte sie der Kapitän doch der Sicher-
heit halber noch Abends hinaus in einen Wald,
wo sie die Nacht über kampirten. Was zum
Bivouak nöthig war, wurde ihnen hinausgebracht.
Am 6. Oktober passirten sie die blauen Berge
und langten an der Grenze von Birginien an.
Hier ereignete sich nun etwas, was ein
glänzendes Licht auf die Disziplin der hessischen
Kriegsgefangenen wirft. Das Kommando, welches
die Gefangenen bis dahin begleitet hatte, hatte
nur Ordre bis zur virginischen Grenze. Das
Kommando, das sie hier in Empfang nehmen
sollte, war noch nicht zur Stelle. Die Pennsilvanier
schossen ihre Büchsen und Gewehre ab, kehrten
um und ließen den alten Kapitän mit 600 Kriegs-
gefangenen allein. Dieser ritt nun voraus
nach der drei Tagemärsche entfernten Stadt
Winchester, um die ausgebliebene Bedeckung zu
holen und forderte die Gefangenen aus, ihm
nachzufolgen. Wenn sie es thäten, so sollten sie
dafür belohnt werden. Was geschah nun? Die
Engländer desertirten zum größten Theil, wurden
aber unterwegs von den Einwohnern des Landes
wieder aufgefangen, die Hessen aber setzten ihren
Marsch unter der Führung ihrer Unteroffiziere
ruhig fort und langten vollzählig am 8. Oktober
in Winchester an. Hier wurden die Hessen
bei den Bürgern einquartiert, die Engländer aber
kamen in ein Gefängniß, wo sie streng bewacht
wurden. Auch hier arbeiteten viele hessische
Soldaten ben Sommer über bei den Farmern.
Mancher verheirathete sich und blieb nach Be-
endigung des Kriegs dort. Reuber weilte hier
bis zum 28. August 1778, wo die Gefangenen
zum Zweck der Auswechselung Ordre zum Rück-
marsch bekanieu. Sie legten den Marsch auf
demselben Wege zurück, den sie gekommen waren,
und langten am 30. Oktober in Elisabeth-
towu an, wo sie ausgewechselt wurden. Am
4. November wurden sie neu montirt und armirt,
und Reuber wurde dem Bataillon wieder zu-
getheilt, das nach dem Tod des tapfern Rall
den Namen Trümbachisches Grenadierbataillon
erhielt.
Die reorganisirten Hessen waren zur Ver-
wendung auf einem anderen Theil des Kriegs-
schauplatzes bestimmt. Am 16. November wurde
dje erste Division nach Georgien eingeschifft. Die
Fahrt war nicht so glücklich als die Fahrt von
Deutschland nach Amerika. Heftige Stürme
ließen die Soldaten alle Schrecken des Meeres
durchmachen. Die Flotte wurde bis auf die
Höhe von Finisterre verschlagen. Am 13. Dezember
entging das Schiff der Gefahr eines Tornado,
indem der Kapitän noch zur rechten Zeit ein
spitzes Eisen in das Hauptsegel warf, wodurch
dasselbe vom Wind ergriffen und in tausend
Fetzen zerrissen, das Schiff aber gerettet wurde.
Endlich am 22. Dezember, nachdem die englische
Flotte Charlestown unter französischer Flagge
passirt hatte, langte die Expedition vor Savannah
an. Im Hafen lag eine französische und eine
spanische Fregatte sowie ein amerikanisches
Kanonenboot (Galeere). Der französische Kapitän
steckte sein Schiff in Brand und ging davon,
das spanische Schiff wurde genommen, das
amerikanische Kanonenboot zog sich in den Fluß
zurück, wohin ihm die englischen Kriegsschiffe
wegen ihres Tiefgangs nicht folgen konnten.
Am 27. wurden die Truppen gelandet und
nahmen Savannah ohne großen Widerstand ein.
Tags darauf wurde das Kanonenboot von einem
mit einem Sechsunddreißigpsünder armirten Boote
aus, welches mit vieler Mühe über Land traus-
portirt worden war, angegriffen und genommen.
Das Regiment Wissenbach nebst den Rall'schen
Grenadieren blieben als Garnison in Savannah,
die Engländer aber marschirten landeinwärts und
besetzten Ebenezer. Im Frühjahr mußten die
Hessen die Engländer dort ablösen, bis die Nach-
richt kam, daß General Clinton von Norden
käme, um Charlestown zu belagern. General
Brown, der Kommandeur in Savannah, beschloß
daher, einen Vorstoß nach Charlestown zu machen,
um die Stadt zu gleicher Zeit von Süden an-
zugreifen. Der Marsch führte auf unwegsamen
Pfaden durch unbekanntes Land. Ein großer
Fluß (der Name ist nicht genannt), den die aus
200 Wilden bestehende Avantgarde durchschwamm,
um die Amerikaner vom jenseitigen Ufer zu ver-
treiben, mußte durchwatet werden, die Patron-
taschen Ulis dem Kopf. Damit Niemand vom
Strome hinweggerissen würde, bildete die englische
Kavallerie eine Linie durch den Fluß. Kaum
am Ufer angekommen, überfiel die schon ganz
Durchnäßten ein furchtbares Gewitter. Der
Sturm stürzte die von den Amerikanern halb
durchgesägten Bäume um, und diese machten im
Sturz ein Getöse wie der stärkste Kanonendonner.
Den ganzen nächsten Tag hatte man damit
zu thun, die dadurch entstandenen Verhaue weg-
185
zuschaffen. So drang das Korps des General
Brown bis vor Charlestown vor und steckte die
Vorstadt in Brand, allein hier zeigte sich's, daß
die Ankunst Clinton's blinder Lärm gewesen sei.
Es war vielmehr eine französische Flotte, die vor
Charlestown erschienen war. Da zugleich die
Nachricht eintraf, daß Savannah von den Fran-
zosen bedroht werde, so blieb dem Korps Brown
nichts übrig als schleunigst zurückzukehren. Bei
Stonesferry suchten die Amerikaner den Hessen
und Engländern den Uebergang über einen schmalen
Meerbusen, den sie zu passiren hatten, zu ver-
wehren. Das Rall'sche Grenadierbataillon hatte
mit einem englischen Kanonenboot den Uebergang
zu decken. Ein amerikanisches Schiff von 16
Kanonen suchte ihm in den Rücken zu kommen,
wurde aber von dem hessischen Wissenbach'schen
Regiment mit seinen Regimentskanonen übel
empfangen und mußte die Segel streichen, bei
welcher Gelegenheit das Rall'sche Regiment die
zwei Kanonen wieder bekam, die es bei Trenton
verloren hatte.
Unterdeß war der französische General Condestin
mit 6000 Franzosen und 7000 Amerikanern vor
Savannah erschienen und forderte Brown zur
Uebergabe auf. Brown erbat sich 24 Stunden
Bedenkzeit, während welcher Zeit es den letzten
Hessen gelang, wieder in die Stadt zu kommen.
Zur Vertheidigung der in Eile aufgeworfenen
Schanzen standen demselben nur vier Regiments-
kauonen zu Gebote. Es wurden deshalb die
Kanonen der zwei im Hafen liegenden englischen
Schiffe an's Land gebracht, um die Linie zu
armiren. Vier Wochen lang wurde Savannah
bombardirt. Da erschien eine englische Motte
von Charlestown aus, vor der die französischen
Kriegsschiffe sich zurückzogen. Sie führte den
Belagerten neue Lebensmittel und zwei Regimenter
Verstärkung zu. Nach vier Wochen versuchte die
alliirte französische und amerikanische Armee noch
einen Sturm, der aber glänzend abgeschlagen
wurde. Kurz darauf hob Condestin auf die
Nachricht vom Fall Charlestowns die Belagerung
auf. Auch Clinton kehrte nach der Einnahme
dieser Stadt mit dem größten Theil der Hessen
und Engländer nach Newyork zurück, Savannah
wurde aber von Neuen: verproviantirt.
Die südliche Kost mochte den Hessen nicht
schmecken, denn so schreibt Reuber: „An Reisch
fehlte es uns nicht, aber keine Kardüffeln gab
es nicht in denen süttlichen Deilen. Wenn wir
diese kochen wollten, mußten wir sie pundweiße
kaufen, und dabei thäten sie doch nicht Schmücken,
sondern sie thäten einen: wie Galle in: Halse."
Im Sommer 1779 wurde das Rall'sche Regi-
ment nach Charlestown in Garnison gelegt,
während das Wissenbach'sche, welches nun „von
Knoblauch" genannt wurde, in Savannah blieb.
Hier lag es ruhig bis zum Frühjahr 1780 und
mußte exerzireu, wie Reuber schreibt, wie in:
Hessenlande. Um diese Zeit wurde das Bataillon
zu einer Expedition beordert, welche den Zweck
hatte, die Sammlung einer amerikanischen Armee
bei Mungkorner durch einen General Green
zu verhindern. Hier erwarb das Bataillon neue
Lorbeeren. Die Amerikaner wollten die Hessen
überfallen, welche durch einen großen Morast,
durch den nur ein schmaler Weg führte, vor dem
Feind gedeckt standen. Ein gefangener Spion
sollte den Amerikanern in dunkler Nacht den Weg
durch den Sumpf zeigen. Allein in: Avanciren
entfloh dieser und machte auf der entgegengesetzten
Seite Lärm, was zur Folge hatte, daß die von
einem scharfen Feuer empfangenen Amerikaner in
blinder Flucht unter Zurücklassung von zwölf
Kanonen und zwölf Fahnen zurückkehrten. Im
Triumph wurden die erbeuteten Trophäen in
Charlestown eingebracht. Eine Verschwörung von
Bürgern Charlestowns wurde durch einen Schwarzen
entdeckt, der den: Kommandanten die u:it der
eigenen Unterschrift versehene Liste derselben aus-
händigte. Diese wurden aufgehoben und auf
eine wüste Insel ohne Baum und Strauch,
Noplin Gosche (?), gebracht, ihre Frauen ui:d Kinder
aber aus der Stadt verwiesen. Gegen Ende des
Kriegs war der englische General Clinton be-
kanntlich in Folge der unglücklichen Kapitulation
von Jorktown genöthigt, die Südstaaten zu räumen.
An: 21. Oktober 1782 wurden deshalb die in
Charlestown liegenden Hessen nach Newyork ein-
geschifft. Am Tage vor den: Abmarsch wurde durch
Anschlag bekannt gemacht, daß sich während des
Ausmarsches bei Strafe kein Bürger am Fenster
oder auf der Straße solle sehen lassen. Am 21.
früh wurde Alarm geschlagen und an den Hafen
marschirt, wo die Einschiffung vor sich ging.
Reuber verhehlt nicht, daß Manche unter den:
Vorwand, etwas vergessen zu haben, in's Quartier
zurückgekehrt und nicht wiedergekommen seien.
Deshalb wurde zuletzt kein Urlaub mehr gegeben,
sondern es wurden Unteroffiziere zurückgeschickt,
welche die zurückgelassenen Effekten holen mußten.
Am 28. landete das Bataillon in Brooklands-
ferry auf Long Island, wo es in dem Baracken-
lager des Regiments Bünan einlogirt wurde.
Nach einigen daselbst zugebrachten Rasttagen kam
es in die Winterquartiere nach Girgo.
Gegen das Frühjahr hin endlich erscholl die
Friedensbotschaft, welche den vielgeprüften Hessen
die Aussicht eröffnete, in die liebe Heimath zurück-
186
kehren zu dürfen. Am 20. August 1783 trat
das Bataillvn, das nun den Namen De Angeli'sches
Grenadierbataillon erhielt, die Rückreise auf der
bei Brooklandsferrh gesammelten Transportflotte
an. Schon bei der Ausfahrt aus dem Hafen
hatte das Schiff, auf welchem sich Reuber befand,
das Unglück, einen Felsen zu streifen, wodurch
es ein Leck bekam. Dies wurde Anfangs nicht
bemerkt, in der Nacht aber hörten die Soldaten
bei dem Schwanken des Schiffs das Rollen des
durch das Leck eindringenden Wassers zwischen
den Wassertonnen. Der Kapitän wollte es jedoch
nicht glauben. Endlich nach einigen Tagen ent-
schloß sich derselbe dennoch, den Raum zu unter-
suchen, und fand sieben Fuß Wasser im Schiff.
Nachdem nun eine Nothflagge aufgesteckt worden
war, kam ein Ofsizier des die Flotte begleitenden
Kriegsschiffes an Bord, welcher die Anordnung
traf, daß 20 Mann an die Pumpen gestellt und
das Schiff trotz des Lecks die Fahrt mit fort-
setzen sollte. Es wurden deshalb täglich sechzehn
Soldaten und vier Matrosen kommandirt, welche
Tag und Nacht pumpten, und so gelang es, das
Schiff bis nach Bremen über dem Wasser zu
halten. Zum Glück hatte die Flotte den glück-
lichsten Wind. Wäre ein Sturm entstanden, das
Schiff wäre mit Mann und Maus untergegangen.
Am 7. September verlor das Schiff die übrige
Flotte. In der Meinung, diese sei schon voraus,
setzte der Kapitän alle Segel auf und langte am
8. Oktober, vier Tage vor der übrigen Flotte,
in Portsmouth an. Bon hier mußten sie nach
Dover weiterfahren, wo die Flotte am 12. ein-
traf. Am 18. Oktober stach dieselbe wieder in
See und ließ am 22. nach nur zweimonatlicher
Fahrt in Bremerlehe die Anker fallen.
Es waren gerade 7 Jahre 5 Monate und
27 Tage, daß die hessischen Soldaten von Bremer-
lehe ausgefahrcn waren, und wieviel hatten sie
erduldet!
Nach Pfister*) kamen von 19,300 Mann (den
Nachschub mitgerechnet) 11,400 zurück. Es blieben
also in Amerika 7900 Mann, ein verhältniß-
mäßig kleiner Verlust, wenn man die Länge des
Feldzugs in's Auge faßt.
Von Bremerlehe ward der Rückmarsch wieder
zu Fuß angetreten. Am 22. November traf das
Bataillon in Hofgeismar ein und wurde „am
Brunnen" von dem General Kor(?) von der Artillerie
gemustert. Am 27. setzte es seinen Marsch nach
Kassel fort. Am holländischen Thore angekommen,
mußte die Fahnenkompagnie die Fahnen aus denr
Schloß holen, welche das Regiment bei Trenton
verloren hatte. Dann rückte es unter Führung
seines neuen Komniandeurs De Angeli in die
Aue auf den Bowlingreen, wo Landgraf Friedrich
die Parade über dasselbe abnahm. In die Quartiere
nach Ober- und Niedervellmar zurückgekehrt, wurde
das Regiment am 29. reduzirt. Ein Theil der
Mannschaft wurde mit Abschied entlassen, ein Theil
aus Urlaub geschickt und der dritte in andere
Regimenter vertheilt. Reuber wurde in die Flügel-
kompagnie des Gardegrenadierregiments eingereiht.
So endete der amerikanische Feldzug für das
Rall'sche Grenadierbataillon, das sich in demselben
bei jeder Gelegenheit mit Ruhm bedeckt und auch
im Unglück die Devise bewährt hatte, welche
weiland auf den hessischen Fahnen stand: Tapfer
und treu!
*) Pfister, Die Heerverlassung hessischer Soldaten im
nordamerikanischen Unabhängigkeitskriege. Hess. Zeitschrift,
X. Band. S. 361.
Eine Iugendermnerung.
war an einem lauen Nachmittag im
April 1840, da gaben die fünf Abiturienten
des Gymnasiums zu Fulda: K. Lomb
(ff als Dechant in Heimbach), I. Gegenbaur
(ff als Prorektor und Gymnasialprofessor in
Fulda), H. Schmitt (ff als Gymnasiallehrer in
Fulda), der Schreiber dieser Mittheilung (— diese
vier waren von 56 Schülern der Vorbereitungs-
klasse diejenigen, welche ohne Unterbrechung bis
Oberpritna aufgestiegen waren —) und W. Grau,
welcher bis Ostern 1839 Gymnasiast in Eisenach
gewesen war und als Doktor der Arzneiwissenschaft
und praktischer Arzt in Nordamerika gestorben
ist, ihren näheren Bekannten am Fuldaer Gym-
nasium im N. Wahler'schen Gartenhaus vor dem
Petersthor den Abschieds-„Satz". Bei Bier,
Schwartenmagen und Schwarzbrot waren Alle
vergnügt, sangen aus den geschriebenen Lieder-
büchern, die „Concordia" genannt wurden,
fröhliche Lieder und ließen sich das Bier trefflich
munden. So kam es denn, daß manch Einer
etwas „benebelt" wurde. Dies war namentlich
der Fall bei dem Sekundaner N. Weß aus
Buchenrod. Ich nahm mich deshalb seiner an
187
und führte ihn am Arm nach Haus. An der
Gartenthüre, die aus dem Wahler'schen Garten
in die Florengasse führt, trat in dieselbe mit uns
zu gleicher Zeit der bei N. Wähler wohnende
Sekondlieutenant v. B . . . k und wurde von
Weß, offenbar ohne alle Absicht, am Arm gestreift.
Lieutenant von B. aber wandte sich, ohne Rücksicht
auf den Zustand des Weß zu nehmen, nach uns
und versetzte dem wankenden Weß eine so derbe
Ohrfeige, daß dieser zu Boden fiel. Auf meine
Aeußerung, wie er, v. B., meinen Bekannten so
behandeln könne, dessen Zustand doch jede ab-
sichtliche Berührung ausschließe, zog der als'
leidenschaftlicher Mensch bekannte Offizier, ohne
ein Wort zu sprechen, seinen Degen und schlug
mich auf das linke Ohr, das stark blutete und
dessen Narbe ich noch trage. Darüber auf's
Aeußerste erregt, ergriff ich einen dicht neben mir
am Weg liegenden Holzstuhl, an welchem das
Sitzbrett fehlte, und schlug auf den sich eilig
nach seiner Wohnung entfernenden v. B. mit
den beiden Stuhlbeinen ein, wobei ich ihn wieder-
holt auf seine Schultern traf, während ich seine
im Umdrehen und Weitergehen nach mir geführten
Hiebe mit der Querleiste des Stuhles abwehrte,
wodurch tiefe Einschnitte in der Leiste zurück-
blieben, hielt ihm auch, auf ihn eindringend,
seinen Degen fest, um ihn wehrlos zu machen.
Dies gelang mir jedoch nicht, indem v. B. mir
den Degen durch die Hand zog und mir so eine
zweite Wunde beibrachte. In diesem Augenblick eilten
aus dem Wahler'schen Wirthszimmer, von wo aus
sie den Vorgang, den meine Bekannten iin Garten-
zimmer gar nicht bemerkt hatten, wahrnahmen, einige
Fuldaer Bürger: Weinwirth Binder, Hofschmied
Auth, Lackierer Leinweber, Bäckermeister Arnold,
auf uns zu, entrissen dem v. B. den Degen und
wurden von weiteren Thätlichkeiten gegen ihn
nur durch das Zwischentreten des Wirths Wähler,
welcher dem v. B. den Degen wieder einhändigte,
abgehalten, sodaß dieser unbehelligt seine Wohnung
erreichen konnte, ich aber von weiteren Miß-
handlungen befreit wurde, sonst hätte ich wahr-
scheinlich das Schicksal des im Sommer 1845
durch denselben Offizier erstochenen Referendars
Heinrich Mehler getheilt.
Am darauffolgenden Tag reiste ich mit meinem
Freund Gegenbaur nach Marburg, um als
Studenten uns dort immatrikuliren zu lassen.
Kaum angekommen, erhielt ich ein Schreiben
meines Vaters, worin er mir mittheilte, daß die
Gendarmerie bei ihm gewesen sei, um mich zu
sprechen und von ihm das Nähere über die Vor-
fälle mit v. B. zu erkunden. Dieser konnte aber
keine Auskunft geben, da ich selbst ihm den
Vorfall verschwiegen und die Entstehung der
Wunden auf andere Ursachen zurückgeführt
hatte. Als ich nun in Marburg bei Professor
v. Vangerow in Gemeinschaft niit meinem Corps-
bruder Karl Braun-Wiesbaden mein erstes
juristisches Kolleg belegte, bemerkte jener auf
meinem Ohr das Pflaster und sagte deshalb in
scherzendem Ton zu mir: Nun, Herr S., Sie
werden doch wohl nicht schon vor deni Beginn
der Vorlesungen ein Duell gehabt haben?
Im Uebrigen hatte es bei diesen Verwundungen
„lediglich sein Bewenden", und die ganze An-
gelegenheit geriet!) in Vergessenheit.
Erst zehn Jahre nach Heinrich Mehler's
gewaltsamem Tod, im Jahre 1855, trat mir die
Begegnung mit v. B. in Fulda wieder recht
lebhaft vor Augen.
Auf dem Felsenkeller zum Bachrain befand sich
im Sommer 1845 Lieutenant v. B. in Gesellschaft
mit Rechtspraktikant F. Weis. Auch Referendar
Heinrich Mehler war in anderer Gesellschaft dort
anwesend. Weis, welcher dem Mehler nicht wohl
wollte, spiegelte nun dem Lieutenant v. B. vor,
Mehler habe sich über ihn, v. B., lustig gemacht.
Darauf rief v. B. den Mehler aus dem Zimmer,
machte ihm über sein Benehmen gegen ihn Vor-
halt, und als Mehler's Entgegnung dem v. B.
nicht genügend erschien, zog dieser seinen Degen
und stach den Mehler so tief in den Unterleib,
daß dieser zusammenbrach und ganz kurz darauf
im Gastzimmer des Bachrains starb. Am andern
Morgen begab sich der Regimentsadjutant,
Premierlieutenant Schindler, in v. B.'s Wohnung,
um ihn in Arrest auf die Hauptwache in Fulda
abzuführen. Er traf den v. B. im tiefsten Schlaf
im Bett liegend und mußte ihn erst wecken, ehe
er ihn abführte.
v. B. benahm sich sowohl bei seiner Verhaftung
als auch als Arrestant auf der Hauptwache in
äußerst ungebührlicher Weise. Er wurde später
durch ein aus dem Offizierkorps des dritten
Infanterieregiments in Hanau, weil dem zweiten
Infanterieregiment, bei welchem v. B. diente, die
Aburtheilung vom Generalauditorat entzogen
worden war, gebildetes Kriegsgericht zu zwanzig
Jahren Festungshaft wegen Todtschlags ver-
urteilt und hatte die Hälfte der ihm zuerkannten
Strafe verbüßt, als er sich wegen Erlaß der
zweiten Hälfte im Gnadenwege mit einem Gesuch
an den Kurfürsten wendete. Das an das
Generalauditorat zum Bericht abgegebene Gesuch
gelangte nun an das Garnisonsgericht in Hanau,
dessen Gerichtskommandirender, Generalmajor
von Starck, die vom Garnisons-Auditeur Victor
in Fulda und später vom Garnisons-Auditeur
188
©öfter tu Hanau geführten Untersuchungsakten
gegen Lieutenant v. B. mir zum Gutachten und
Berichtsentwurf in Bezug auf das eingereichte
Begnadigungsgesuch zutheilte. Aber weder das
Garnisons-Gericht noch das Generalauditorat
fanden Anhaltspunkte, aus welche gestützt sie den
Berurtheilten der landesherrlichen Gnade empsehlen
zu können glaubten. Ihm wurde auch keine
Begnadigung zu Theil, und so starb er denn,
nachdem er den größten Theil der ihm zuerkannten
Strafe auf der Bergveste Spangenberg verbüßt
hatte, an einer langwierigen Krankheit in der
Heilanstalt zu Bettenhausen bei Kassel. F. Weis
aber hatte es für gut befunden, den Staatsdienst
auszugeben und nach Nordamerika auszuwandern.
Als Beispiel für das oft gerühmte gute Ge-
dächtniß des Kurfürsten Friedrich Wilhelm mag
beiläufig erwähnt werden, daß derselbe bei Gelegen-
heit des Vortrags des Kriegsministers wegen
meiner Anstellung im Staatsdienst diesen fragte,
ob ich derselbe sei, der, — zwölf Jahre waren
seitdem verflossen —, mit Lieutenant v. B. in
Fulda das Rencontre gehabt habe.
Und was wurde aus ihm, der die Veranlassung
des Vorfalls und meiner zweimaligen Verwundung
war, aus N. Weß? Aus dem hochaufgeschossenen
Penal ward ein stattlicher Priester, später Kaplan
an der Dompfarrei in Fulda und beliebter
Kanzelredner, dessen Predigten vorzugsweise von
deit Frauen sehr eifrig besucht wurden. Dieser Um-
stand veranlaßte den Medizinalrath Dr. Schwartz,
den Verfasser der „Buchenblätter", zu den damals
oft wiederholten Worten: „Weswegen geht Ihr
Frauen so oft und gern in die Predigten im
Tom? Weß wegen!"
Allzufrüh entriß der Tod den trefflichen Mann
seinem Wirkungskreise. Schon Anfang der
Sechziger segnete er das Zeitliche. Mein Wieder-
sehen mit ihm war aber ein ebenso ungewöhnliches
als für mich schmerzliches. Als ich nämlich bei
meiner Anwesenheit in Fulda im Jahre 1882
einen Spaziergang machte, führte mich der Weg
bei dem vorstädtischen Todtenhof, dessen Eingangs-
thor offen stand, vorüber. Dort fand ieh beim
Eintritt den alten Todtengräber mit Herrichtung
einer Grabstätte beschäftigt und zu diesem Zweck
ein altes Grab, in welches vor zwanzig Jahren
eine Leiche beerdigt worden war, auswerfend.
Schädel und Knochen waren bereits an die
Oberfläche gelangt und lagen auf der heraus-
geschaufelten Erde. Ich fragte den Todtengräber,
ob er mir iticht die Stelle auf dem Friedhof
angeben könne, an welcher die letzte Ruhestätte
des Domkaplans Weß sich befände. Da zeigte
der alte Mann auf die aus der Tiefe soeben
herausgeworfenen Knochen und den daneben
liegenden Schädel und sagte in trockenem Tone:
„Do eße!" (Da ist er!) Die zwanzig Jahre
alten Grabstätten müßten ausgeworfen, um beim
Mangel an Raum zu weiterett Bestattttngen
benutzt zu werden.
Wehmüthig warf ich den Ueberresten des so
früh verschiedenen Freundes einen letzten Blick
zu und entfernte mich gepreßten Herzens vom
Orte der Ruhe und des Friedens mit der Bitte:
„Das ewige Licht erleuchte ihn!"
Frankfurt a. M.
I. S.
Von Wilhelm Ben necke.
1.
Sprach die Mutter einst ztt ihrem Kind,
Das um Mitternacht noch emsig spinnt:
„Sag', Mariechen, von den Burschen allen
Welcher hat am besten Dir gefallen?"
Sprach Mariechen: „Vott dett Burschen allen
Haben drei am besten mir gefallen:
Konrad Jäger, dessen Horn erschallt
Gar so lustig durch den grünen Wald;
Heinrich Gärtner, dessen Blumenpracht
Mir so wonnig in die Augen lacht;
Doch mein Herz am allerschönsten fitidet
Armen Hans, der Weidenkörbe bindet."
Traurig sah die Mutter vor sich nieder,
Seufzend hob deut Mädchen sich das Mieder.
Maifest war. Die Geigen klangen,
Burschen ihre Mädchen schwangen
Und ihr Tollen und ihr Rasen
Aergert Muhmen rings und Basen,
Denn sie halten solch' Gebahren
Würdig nur für Teufelsschaaren.
Und Mariechen mit dem Gärtner tanzte,
Der ihr Maien früh vor's Fenster pflanzte.
189
Immer schneller gehn die Geigen,
Immer wilder wird der Reigen,
Immer kühner das Umfangen,
Immer höher glühn die Wangen,
Immer heißer Blicke sprühen,
Werben rings und Liebesmühen. —
Und Mariechen mit dem Jäger sprang,
Der sie weckte früh mit Hörnerklang.
Nachtlust durch die Linde rauschet,
Bleich der Mond hernieder lauschet,
In dem Zelte Becher klingen,
Flotte Burschen taumelnd singen.
Kecker Mädchen lautes Lachen
Muß die Lust erst recht entfachen.
Und Mariechen aus der wilden Runde
Stiehlt sich fort zum düstern Weidengrunde.
3.
Im entleg'nen Weidengrund, km düstern,
Hört der Bach zwei Stimmen klagend flüstern.
Sprach Mariechen zu dem armen Hans:
„Weshalb kamst Du heute nicht zum Tanz?"
„Weil ich fremd in all dem frohen Schwarm,
Weil ich theil' nur meiner Mutter Harm."
„Hätt' getheilet mit Dir meine Lust.
Sag', weshalb vom Tanz Du bleiben mußt?"
„Weil ich muß vor großem Leid vergeh'n,
Soll ich Andre mit Dir tanzen seh'n."
„Hätte nur mit Dir getanzt allein.
Weshalb bliebst Du ferne von dem Reihn?"
„Weil ich lieb Dich, gar so lieb Dich habe,
lind doch bin ein gar so armer Knabe!"
„Was ich habe, es soll sein Dei>l eigen,
Tanz ich doch mit Dir den Hvchzeitsreigen."
4.
Bon der Linde, aus dem Zelt
Schleichen zweie durch, das Feld.
Jeder geht auf cig'nem Weg
Nach den Weiden, — über'n Steg.
Jeder nährt des Zornes Flammen —,
Beide treffen jäh zusammen.
„Willst Du noch ihr Maien bringen ?"
„Soll Dein Horn auch Nachts ihr klingen?"
„Du allhier zu dieser Stunde?"
„Wünsch' Dir Glück zum Ehebunde!"
„Frecher Wicht, das büßest Du!"
Fluchend stößt der Jäger zu.
Durch die Mondnacht gellt ein Schrei. -
Böse Zauber birgt der Mai.
5.
Sprach die Mutter nun zu ihrem Kind,
Das am Ofen still und traurig spinnt:
„Sag', Mariechen, wann zum Hochzeitstanz
Trittst Du an mit Deinem armen Hans?"
„Niemals tanze ich den Hochzeitsreih'n,
Niemals werd' ich, liebe Mutter, srei'u.
Kvnrad Jäger stach den Andern todt,
Der mir stets gar schöne Blumen bot.
Und er selbst, bevor es noch getagt,
Eine Kugel durch die Brust sich jagt.
Diese Zwei, gar grausig anzuseh'n,
Zwischen mir und meinem Brüut'gam steh'n.
Will ich kosend reichen ihm die Hand,
Starr'n sie an mich drohend, unverwandt.
Will ich thun ihm meine Liebe kund,
Legen sie die Finger auf den Mund.
Wind' ich mich vor Weh' in bittern Schmerzen,
Zeigen sie auf ihre blut'gen Herzen.
Niemals tanze ich den Hochzeitsreih'n.
Mutter! Mutter! Bald folg' ich den Zwei'n!"
Aus alter und neuer Ieit.
Der berühmte Württembergische Baumeister
Heinrich Schickhardt unternahm im Jahre 1598
eine Reise nach Oberitalien, von der er eilt Skizzen-
bnch mit Federzeichnungen zurückbrachte, das auf
der königlichen Staatsbibliothek zu Stuttgart anf-
bewahrt wird. Das werthvolle Buch trägt auf
der ersten Seite oben die Überschrift: „Etliche
Gebay, die Ich Heinrich Schickhardt zu Jtallien
verzaichnet hab, die mier lieb send." Es enthält
aber Zeichnungen und Skizzell nicht nur aus Italien,
sondern auch ans deutschen Städten, so auch ein
Blatt aus Kassel, das in drei Zeichnungen einen
Ofen darstellt. Der begleitende Text hat folgenden
genauen Wortlaut: „Zu Cassel gesehell ein Ofen
da man beit Kalg mit steinkollen brint, ist in
6 eckh(en) geballt. Im einsetzen wird ein geleckh
(Lage) stein Kolen, und den ein geleckh Kalgstein
so Ziemlich Klein ver Klopft, bett wider Stein
Kolen und so fort all, eingesetzt. Elle tag nimpt
man Zweümal Kalg unden Zu bett lechern A
heranß. Jedes mal 71/2 scheffel den setzt man oben
wid(er) Köllen) und Kalgstein zu, daß treibt
man ohli Bnderlaß, machst) die Wochen Allst
20 U (Reichsthaler) wert Kalg zusammen." Tie
beigefügten Zeichungen stellen dar 1) die Total-
ansicht, 2) den Durchschnitt, 3) die Bodenansicht.
190
Aus Hermath und Fremde.
Das III. S ä n g e r f e st des hessischen
Sängerbundes, das in H e r s s e l d am
30. Juni, 1. und 2. Juli unter großer Bethet-
ligllng der zum Bunde gehörigen Gesangvereine
aus allen Theilen Hessens stattfand, nahm den
schönsten Verlauf. Der um die vorzügliche Vor-
bereitung des Festes hochverdiente Festausschuß und
die gesammte gastfreundliche Bevölkerung Hersfelds
bereiteten den fremden Gästen die herzlichste Aus-
nahme, unb so konnte es denn nicht fehlen, daß
sich das Fest zu einem hellen Lichtpunkt in der
Chronik des noch jungen Bundes sowohl als auch
in derjenigen der alten Lullusstadt gestaltete.
Zu der im Monat September in Kassel statt-
findenden Versammlung des Hessischen Lehrer-
vereins, mit der zugleich die Feier des 25 jäh-
rigen Bestehens desselben verbunden ist, soll auch
eine große Lehrmittel-Ausstellung ver-
anstaltet werden, bei der alle Gebiete des Lehr-
mittelwesens Berücksichtigung finden sollen. Die
Ausstellung findet voraussichtlich im Meßhause
oder im großen Stadtbausaale statt.
Am 1. Juli starb zu Ropperhausen im Alter
von 80 Jahren der frühere knrhessische Staats-
minister Freiherr Alexander v. Baumbach-
Ropperhausen, geboren am 11. Januar 1814
zu Kassel. Er gehörte dem zweiten Ministerium
Hassenpflug als Minister des Auswärtigen an, war
dann kurfürstlicher Gesandter zu Paris (1856 bis
1859), zu Berlin (1861) und Wien, wo er bis
1866 blieb. Nach der Gefangennehmung des
Kurfürsten durch preußische Truppen bestellte ihn
der Deutsche Bund zu seinem Regierungskornmissar
für das Kurfürstenthum, als welcher er seinen Sitz
zu Hanau hatte. Nach Beendigung des Krieges
stellte er sich dem irnmer noch gefangen gehaltenen
Kurfürsten zur Verfügung unb verhandelte Namens
desselben den sogenannten Stettiner Vertrag. Seit-
dem hat Alexander von Baumbach irr stiller Zurück-
gezogenheit theils in Kassel, theils auf seinem Gute
Ropperhausen gelebt, bis ihn ein sanfter Tod von
mancherlei Leiden erlöste. Die Beerdigung fand
zu Kassel statt unter zahlreicher Betheiligung
namentlich der althessischen Ritterschaft. Pfarrer
Wissemann hielt die Gedächtnißrede.
Personalien.
Ernannt r Der Erste Staatsanwalt L a u tz in Neu-
wied zum Landgerichtsdirektor in Kassel; Landgerichtsrath
S t e u b i n g in Greifswald zum Oberlandesgerichtsrath
bei dem Oberlandcsgericht in Celle; Rechtskandidat von
Savigny zum Referendar; Forstassessor Lücke in
Elbing zum Oberförster in Gottsbüren; Büreauassistent
Froeb zum Sekretär bei dem Provinzialschulkollegium
in Kassel; Fabrikant Carl Hohe in Hanau zum stell-
vertretenden Handelsrichter bei dem Landgericht in Hanau.
Uebertragerr r Dem Landrath vr. L o tz zu Leer,
Regierungsbezirk Aurich, die kommissarische Verwaltung
des Landrathsamtes im Kreise Melsungen; dem Post-
kassirer Selchow aus Marburg eine Postinspektorstelle
für den Bezirk der Oberpostdirektion in Danzig.; dem
Oberpoftdirektionssekretär Cullmann aus Konstanz
eine Kassirerstelle bei dem Postamte in Marburg; dem
Oberpostdirektionssekretär Telle aus Kassel eine Kassirer-
stelle bei dem Postamte 11 in Hamburg.
Beauftragt: Pfarrer Klein in Rauschenberg
mit Versehung der Metropolitanatsgeschäfte der Klasse
Rauschenberg.
Verliehen r Dem Pfarrer R ö m h e l d in Wallroth
die erste Pfarrstelle in Steinau; dem Katasterkontroleur a. D.
Rechnungsrath E n d e m a n in Eschwege und dem Pfarrer
Bücking in Großseelheim der Rothe Adlerorden 4. Klasse,
dem ersteren bei seinem Uebertritt in den Ruhestand.
Ausgeschiedenr Der Referendar Goebels aus
dem Justizdienste.
Gestorben: Minister a. D. Alexander v. Baum-
bach-Ropperhausen, 80 Jahre alt, in Kassel,
1. Juli; Friedrich Wilhelm Döhle, 70 Jahre alt,
Eschwege, 25. Juni; Frau Auguste Leiß, geb. Scheffer,
Witwe des Geh. Hofraths Leiß, Kassel, 4. Juli; Kauf-
mann Gustav Krause, Kassel, 12. Juli.
Hessische Bücherschau.
Umsonst gelebt. Roman in 6 Büchern von
I u l i u s W. B r a u n. Berlin. W. Fontane & Co.
Der bekannte Literarhistoriker bietet mit diesem
Roman der Lesewelt ein Werk dar, das sich seiner
früheren, berechtigtes Aufsehen erregenden Erzählung
„In Fesseln" würdig an die Seite stellt. „Um-
sonst gelebt" ist ein spannendes, lebensvolles und
ailch lebenswahres Werk, das den ewigen Kampf
zwischen Realismus und Idealismus tu packender
Weise schildert. Und gerade in unserer Zeit, da
der Idealismus vielfach seinem Gegner zu unter-
liegen scheint, thut es wohl, einen Mann ans beit
Plan treten und mit markigen Worten die ewige
Berechtigung der idealen Lebensanschauung ver-
treten zu sehen einen Mann, der in seiner
eigenen Lebensführung einen so hohen, bewunderns-
werthen Idealismus bewiesen hat.
Der Held des Romans, Robert Oedenau, ist
der Sohn eines reichen Fabrikanten. Nach des
Vaters Wunsch soll er einst an seine Stelle treten
und neue Reichthümer auf die erworbenen häufen.
Der Vater faßt seine Stellung als Großindustrieller
in jener beschränkten und eigensüchtigen Weise auf,
daß sie ihm nur als Mittel dienen soll, Geld und
wiederum Geld und damit Genuß zu erwerben.
Es ist der Materialist vom echtesten Schlag. Dem
Sohn aber ist, wohl als Erbtheil der feinfühlenden
und geistig hochstehenden Mutter, die durch des
Gatten Leichtsinn zu ewigem Siechthum verdammt
191
ist, ein anderer Geist zu Theil geworden, der Geist
der Wissenschaft und der Poesie. So ist der
Konflikt zwischen den beiden so ungleich gearteten
Naturen von Anbeginn an vorhanden, und wir
sehen ihn sich vertiefen, schärfer werden und schließlich
zum unheilbaren Bruche führen. Robert Oedenau
erntet als Verfasser eines Trauerspiels „Philipp
von Mazedonien" reichen Beifall. Das Stück wird
von einer süddeutschen Hosbühne aufgeführt und
macht seinen Namen weithin bekannt. Doch Ruhm
und Ehre versöhnen den Vater keineswegs. Das
Verhältniß. zwischen Beiden wird nachgerade so
unhaltbar, daß sie sich für immer trennen. Robert
hat auf einer Wanderung in einsamem Dorf die
Pfarrerstochter kennen und lieben gelernt. Nach
wenigen Monden führt er sie heim. Ans derselben
Wanderung hat er in den Ruinen eines im dreißig-
jährigen Krieg zerstörten Klosters gelagert, und dort
hat ihn mit säst dämonischer Gewalt der Gedanke
erfaßt, sein Leben der großen Aufgabe zu widmen,
die Folgen dieser unheilvollsten Periode deutscher
Geschichte in ihrer ganzen Ausdehnung der Nation
zu schildern als Ermahnung und Warnung für
alle kommenden Zeiten. Nach seiner Verheirathung
läßt er sich in Berlin nieder und widmet sich hier
ganz seinem Vornehmen. Seine kargen Mittel
schwinden, er fällt in die Hände eines schurkischen
Verlagshändlers, der ihn um den Lohn seiner
Arbeit betrügt. Der Vater bleibt taub gegen
jegliche Bitte; und so endet der Held schließlich
im größten Elend. Der Vertreter des Materialismus
bleibt für jetzt Sieger, der Idealist unterliegt, aber
nur er, nicht sein Werk, das spätern Geschlechtern
ein köstlicher Schatz wird. Der Verfasser erzählt
dann in dem letzten Theil des Romans, wie der
Vater gleichfalls zu Grunde geht und sich noch im
Sterben vor der höhern Welt- und Lebensauffassung
des dahingeschiedenen Sohnes beugt. In seinem
spätern Verlauf spielt der Roman in den Jahren
1870 und 1871, und das Schicksal des Einzelnen
hebt sich äußerst wirkungsvoll von dem Hinter-
grund der gewaltigen Zeitereignisse ab. — Die
vorstehende Inhaltsangabe ist durchaus skizzenhaft
und erschöpft keineswegs die ganze reiche Handlung
der Erzählung. Vielgestaltig und wechselnd ivie
das Leben selbst ist auch dieses Abbild des Lebens.
Wir wünschen den Leser nur anzureizen, nicht zu
befriedigen. Er mag das Buch selbst zur Hand
nehmen und wird reichen Genuß daraus schöpfen.
Was uns besonders anziehend erschien, ist die
glühende Begeisterung des Dichters für die hehren
Aufgaben von Wissenschaft und Poesie und für
ihre ewige Geltung im Leben der Menschheit.
Einzelne Schilderungen sind von wunderbarem
Reiz, vor Allem die des Ringens und Kämpsens
Robert's mit den Hemmnissen und Schwierigkeiten,
die sich der Vollendung seines Werkes entgegen-
stellen. Nicht minder ergreifend wirkt die treue
Liebe seines Weibes. Noth und Sorge theilt sie
in freudiger Hingabe mit ihm, und als willige und
verständnißvolle Helferin steht sie ihm auch bei
seinen wissenschaftlichen Bestrebungen zur Seite.
Für den Hessen und besonders für den
Kasselaner bietet das Buch ein besonderes Interesse.
Die Erzählung spielt zum großen Theil in Kassel,
und der Verfasser, — es ist das freilich nur unsere
Vermuthung —, berichtet eigene Lebensschicksale
darin und schildert Personen, die einst in Blind-
heim, so nennt er Kassel, eine Rolle spielten.
A. W.
XXXIX. Bericht mit Abhandlungen des Vereins
für Naturkunde zu Kassel über die Ver-
einsjahre 1892 bis 1894. Erstattet vom
zeitigen Geschäftsführer. Kassel, April 1894.
Druck von L. Döll.
Der jetzt 58 Jahre alte, aber noch jugendlich
frische Verein, der so manches berühmte Mitglied
zu den Seinen zählte und noch zählt, veröffentlicht
hier den Bericht über die Geschäftsjahre April
1892 bis dahin 1894.
Aus dem ersten Theile, dem Jahresberichte,
heben wir folgendes hervor: Dem Verein ge-
hörten an 12 Ehrenmitglieder, darunter die noch
lebenden Stifter Wirklicher Geheimrath Excellenz
Eh-. Wilhelm Robert Sun Jen in Heidelberg, der
berühmte Mitentdecker der Spectralanalyse, und
Professor Direktor Dr. R. A. Philipp!, der den
Ruhm deutscher Wissenschaft nach Südamerika
trug, wo Ph. noch heute an der Universität zu
Santiago (Chile) in voller Thätigkeit und trotz
seiner 86 Jahre in geistiger Frische lebt und von
wo er die Früchte seiner wissenschaftlichen Thätig-
keit regelmäßig dem Verein zukommen läßt. Beide
Herren wirkten s. Z. zusammen als Lehrer an der
höheren Gewerbeschule zu Kassel. Wirkliche Mit-
glieder zählt der Verein 75, darunter Se. Durch-
laucht Prinz Karl von Hanau und Prinz Philipp
von Hanau, korrespondirende Mitglieder 53.
Durch den Tod hat der Verein in den beiden
abgelaufenen Jahren verloren die Mitglieder
Pros. Dr. Aichhorn in Graz, Generallieutenant
Freih. H. v. Dörnberg, Fabrikant Paack, Hof-
buchhändler Freyschmidt, Dr. Haßkarl und Buch-
drnckereibesitzer Döll. Ausführlichere Lebensbilder
der Verblichenen sind dem Berichte beigegeben.
Der meisten von ihnen hat ja auch das „Hessen-
land" s. Z. gedacht.
Der Vorstand wurde gebildet von den Herren
Geh. Oberjustizrath Oberstaatsanwalt Bartels,
192
Oberlehrer Dr. Fennel, Prof. Dr. Keßler, General-
arzt Dr. Lindner, Direktor Dr. Ackermann,
Generalarzt Dr. Löwer und Dr. med. L. Weber.
Der Verein steht mit 350 Akademien, Gesell-
schaften, Vereinen unb Redaktionen wissenschaftlicher
Zeitschriften aus allen Erdtheilen und Zonen im
Schriftentausch und erhalt dadurch eine außer-
gewöhnliche Fülle unschätzbarer Bücher und wissen-
schaftlicher Zeitschriften. Im Ganzen wurden
in den 20 Monatssitzungen 48 größere unb
kleinere Vortrüge gehalten bei einem dnrchschnitt-
lichen Besuch von 20 Herren und Damen.
Denn Berichte sind beigegeben sechs wissen-
schaftliche Arbeiten: 1) die landeskundliche
Literatur für Hessen. 5. Nachtrag. Von Ober-
realschuldirektor Dr. Ackermann. 2) Beobachtungen
an bem Blattfloh Trioza alacris und den von
ihm an den Blättern des Lorbeerbaumes hervor-
gerufenen Mißbildungen. 3) Alls der Entwicklnngs-
geschichte des Eschenblattflohes Psylla fraxini.
4) Bruchstücke aus der Entwicklungsgeschichte voll
Trypeta cardui, der Distelbohrfliege. 5) Die
Lebens- und Entwicklungsgeschichte der Geisblatt-
Wolltalls, Pemphigus lonicerae. 2) bis 5) von
Prof. Dr. Keßler. Endlich 6) Ueber kämpfende
Käsermännchen. Voll Dr. med. L. Weber.
Das Werkchell schmücken zwei lithographische
Tafeln. Dr. A.
Seitens der Universitätsdruckerei von H. Stürtz
in Würzburg ist eine vom Hauptausschuß des
Rhönklubs in Fulda herausgegebene Pro-
pagandatasel des Rhöngebirges hergestellt
worden, die dazll bestimmt ist, die Schönheiten der
Rhön, die lange noch llicht genügend gewürdigt
werden, vor Augen 31t stellen. Die in 14-sarbigem
Druck ausgeführte Propaganda-Tafel enthält folgende
Bilder: Pavillon aus dem Oechsenberg, Vacha mit
dem Oechsenberg, Pavillon auf dem Dammersfeld,
Dammersfelder Wiesenhaus, Hilders mit dem Allers-
berg, Haselstein, Milseburg, Rlline Ebersberg, Schloß
Saaleck, Hammelburg, Gersfeld mit dem Wacht-
küppel, Steillwalld, Tellfelsstein, Geisa mit Rocken-
stuhl, Milseburg Ostseite mit Gasthalls am Bahnhof,
Tann, Neustadt an der Saale mit der Salzburg,
Bad Nellhalls, Ostheim mit der Lichtenburg, Roter
Kuppe, Dermbach mit bem Baier, Münnerstadt,
Stadt Brückenau mit Kloster Volkersberg, Bad
Brückenau, Bischofsheim mit dem Kreuzberg, Bad
Kissingen, Schloß Bieberstein, Wasserkuppe mit
Schutzhaus, Fulda mit dem Rhöngebirge, Dom 31t
Fulda und Bonisatius-Denkmal. Die Tafel ist
ungemein schön ausgeführt und wird zweifellos
dazll beitragen, Touristen und Sommerfrischler
zu Ausflügen nach der Rhön und zu erquickendem
Aufenthalt daselbst anzureizen.
Es sind weiter folgende Neuheitell bei uns ein-
gegangen :
Verhandlungen der V. Jahresversammlung
des Hessischen Städtetages zu Eschwege
am 8. Juni 1894.
Franz Treller. Gustav Adolf. Ein
deutsches Volksbühnenspiel mit geistlichen Ge-
sängen, zur Feier des 300 jährigen Geburts-
tages des schwedischen Heldenkönigs, Kassel 1894.
Ernst Hühn'sche Hofbuchhandlung.
H. Heu söhn und Ch. Pi stör. Festschrift zum
25. Maingauturnsest in Kesselstadt
am 14., 15., 16. Juli 1894. Im Auftrag
des Gauausschllsses herausgegeben. Druck und
Verlag voll I. C. Kittsteiner, Kesselstadt.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdruckern von Friedr. Scheel, Kaffel,
Schloßplatz 4.
M. in Straßburg. Wir bitten lim Entschuldigung,
daß Ihr Brief noch nicht beantwortet ist; Sie erhalten
in ben nächsten Tagen Antwort.
W. in M ii ll ch e n. Wir werden Ihnen die gewünschte
Adresse zu ermitteln suchen.
P. P. in Kassel. Wir würden gerne Ihnen will-
fahren , aber es gehen lins verhältnißmäßig sehr wenig
mllndartliche Beitrüge zu.
P. T. in Kassel. Gern werden wir Ihren Wunsch
erfüllen, in Nummer 15 hoffen wir die Besprechung zu
bringen.
V. T. in Rausche n b e r g. Freundlichen Dank für
die eingesandten Beiträge
Inhalt des Juliheftes (Nr. 1 des III. Jahrgangs)
der „Touristischen Mittheilungen ans beiden Hessen,
Raffan rc.", herausgegeben von Dr. pbil. Fritz Seelig:
Frisch auf! — Der Meißner. — Eine weniger bekannte
Rhbntour. — Die neue Taunuskarte. — Berichte. —
Anfrage. — Anzeige.
Inhalt der Nummer 14 des „Hessenlandes": „Heim-
weh", Gedicht von M. Herbert; Philipp der Großmüthige,
Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz <Fort-
setzung); „Der amerikanische Feldzug der Hessen nach dem
Tagebuch des Grenadiers Johannes Renber von Nieder-
vellmar", von F. W. Junghans lSchluß); „Eine Jugend-
erinnerung" von I. S.; „Mariechen", Gedicht von Wil-
helm Bennecke; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath
und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel
in Kassel.
Das „Helsenland" erscheint am 1. und 15. jedes Monats 11/a bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 15 des „Hessenlandes" : „Verlassen", Gedicht von Valentin Traudt; „Friedrich Wilhelm
Ernst Briede", von Otto Gerland; „Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz
(Fortsetzung); „Modern", Novellette von H. Keller-Jordan; „Der Universität Halle ein Festgruß aus Hessen", Gedicht
von G. Th. D. ; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten; Anzeige.
Oerlassen.
enn Du nur einmal in des Sommers Blühen,
Wenn vollrnondsilbern rings die Büsche
glühen,
Bon Weitem lauschtest Thopin's Trauerweisen,
Aennst Du die Stunden, die da e i n s a m heißen.
Müd' pocht das Herz, das Auge schaut nach innen,
Und wie die Töne tramnhaft weich zerrinnen,
Fühlt schwächer man des eignen Lebens
Schlagen, —
Sieht fern ein einsam' Areuz vergessen ragen...
Wenn Du das weißt, dann kann ich es nicht fassen,
Warum Du mich so lange schon verlassen? —
Ich sah in Dir des Glückes reinsten Schimmer,
Nun fühl ich trauernd: — einsam bleib' ich immer.
Rauschenberg (Hessen).
HZatentin 2raubt.
194
Friedrich Wilhelm Ernst Briede?
Von Otto
^jífrriedrich Wilhelm Ernst B r i e d e wurde
¿M am 27. August 1792 zu Ziegenhain geboren.
Ost Sein Großvater Friedrich Helferich Briede
hatte in Hessen-Kassel'schen Diensten im öster-
reichischen Erbfolgekrieg und im siebenjährigen
Krieg gestritten und sich den Rang eines Obersten
erworben. Sein Vater Johann Friedrich Wilhelm
Briede war 1762 als Fähnrich im Regiment
Prinz Karl bestellt und im Frühjahr 1771 zum
Sekondlieutenant im Regiment von Kniphausen
ernannt worden, verlor im selben Jahre gelegent-
lich einer Revue bei Wabern das linke Auge am
Staar, blieb aber im Dienst und machte in dem
letztgenannten Regimenté, welches später den
Namen „von Donop" führte, den amerikanischen
Feldzug mit. Beim Sturm auf das Fort
Washington wurde er am 16. November 1776
in der rechten Kniekehle schwer verwundet, sodaß
er bis zum 8. Februar 1777 im Lazareth krank
lag. Am 8. September 1779 wurde er nebst
Oberstlieutenant Heymell, den Kapitäns R euf-
furth und Wieder hold, sowie 220 Mann
auf der mit sechs Geschützen versehenen Brigantine
Triton bei New-Aork eingeschifft, um nach einem
anderen Theil des Kriegsschauplatzes gebracht zu
werden; das Schiff gerieth aber in der Nacht
vom 15. zum 16. September in einen heftigen
Sturm, verlor seine Masten und wurde dann
von zwei amerikanischen Kriegsschiffen genommen.
Am 6. September 1781 zum Premierlieutenant
ernannt, wurde Briede nach der Rückkehr aus
Amerika ohne Pension verabschiedet und starb in
Folge eines Unglücksfalls kurz nach der Geburt
seines Sohnes, des Helden dieser Erzählung.
Dieser trat, eben 11 Jahre alt geworden, am
22. September 1803 als Feuerwerker in die
kurhessische Artillerie ein und ging dieser Stelle
mit dem Zusammenbruch des Kurfürstenthums
verlustig. Am 31. März 1808 wurde er zum
Naroollal de logis in der westfälischen Artillerie
Gerland.
der Garde zu Pferde bestellt und nahm in dieser
Eigenschaft vom April bis Ende August am
Feldzug in Sachsen Theil. Da er in der Artillerie
keine Aussicht ans die baldige Ernennung zum
Offizier hatte, so meldete er sich auf den Rath
befreundeter Männer zu dem neu errichteten
2. Husaren-Regiment, in dem er am 10. Juli
1810 zum Unterlieutenant ernannt wurde. Mit
Rücksicht auf seine Vermögensverhältnisse gelang
es ihm aber, bereits am 25. August desselben
Jahres in das 2. Linien - Infanterie - Regiment
versetzt zu werden, wobei ihm der Offiziersrang
verbleiben mußte; er erhielt das Kommando
über die diesem Regiment beigegebene Artillerie
und wurde bereits am 26. Februar 1811 zum
Lieutenant (Premierlieutenant) ernannt.
In dieser Stellung machte er den Feldzug
nach Rußland mit. Ein Infanterie-Regiment
bestand damals außer einem Depot-Bataillon zu
vier Kompagnien aus drei Marsch-Bataillonen,
von denen jedes aus sechs Kompagnien, nämlich
vier Musketier-, einer Grenadier- und einer
Voltigeur- (Schützen-) Kompagnie zusammengesetzt
war. Briede wurde bei der Grenadier-Kompagnie
des ersten Bataillons geführt und hatte zwei
Geschütze und zwei Munitionswagen, sowie an
Mannschaften einen Brigadier, einen Feuerwerker,
achtzehn Kanoniere und vier Trainsoldaten unter
seinem Befehl. Das Regiment, welches zu dem
8. Korps der großen Armee gehörte, rückte
am 2. März 1812 von Kassel aus und stand
dann in der Nähe von Dessau, wo das Haupt-
quartier war, an der Elbe, deren Ueberschreitung
den Soldaten durch Regimentsbefehl streng unter-
sagt wurde. Am 24. März überschritt das
Regiment die Elbe und marschirte über Luckau
und Glogau nach Kalisch, wohin der König
Jerome selbst am 13. April kam. Von dort
ging der Marsch nach Warschau und Gora, und
das 2. Regiment kam nach Okonyak an der
') Aus Briede's hinterlassenen Papieren und mündlichen Mittheilungen zusammengestellt.
195
Weichsel. Hier wurde länger gehalten und Briede
passirte am 2. Juni mit seiner Abtheilung bei Konari
die Revue vor dem Obersten von Nummers,
Kommandeur der Artillerie der 23. und 24.
Division. Auch erhielt das Regiment am 13. Juni
212 Schauseln und 210 Hacken aus dem Artillerie-
dopöt geliefert. Am 14. Juni ging der Marsch
weiter, zunächst in das Lager bei Pultnsk, und
am 19. über Ostrolenka, Szczuczyn und Augustowo
nach Grodno, wo das Regiment nach Ueber-
schreitung des Riemen am 2. Juli eintraf. Bei
Grodno waren dem Regiment zwei Ruhetage
vergönnt, während deren der Marschall Van-
kam me das Kommando des 8. Korps über-
nahm. Den 5. und 6. Juli fand der Abmarsch
über Bializa, Rowigrodek und Mir nach Njes-
wisch statt, am 15. marschirte das Regiment
zu der unter dem Kommando des Fürsten
von Eckmühl stehenden 1. Armee nach Usda
(Jgumen und Ssluzk) und dann, während der
König mit den Garden nach Kassel zurückkehrte,
von Usda über Dukora, Smilowitschi, Smolo-
witschi, Borissow und Tolotschin nach Orscha,
einem Orte, der für Briede nach wenigen Monaten
verhängnißvoll werden sollte. Hier bezogen die
Truppen ein Lager und hatten zwölf Tage Ruhe,
nachdem am 30. Juli Junot, Herzog
von Abrantes, das Kommando des 8. Korps
übernommen hatte. Es muß damals schon
mit dem Bestand der Pferde und der Fürsorge
für deren Futter übel ausgesehen haben; denn
durch Befehl vom 4. August erhielt Briede die
Ermächtigung, Pferde und Futter nach seinem
Ermessen zu requiriren, wurde aber gleichzeitig
für alle von seinen Soldaten ausgehenden Un-
ordnungen und Ausschreitungen verantwortlich
gemacht. Am 12. August wurde der Weiter-
marsch nach Smolensk angetreten, die Tages-
märsche gingen jedesmal bis Dombrowno, Roma-
nows, Bucwo. Eine Stunde hinter dem letzt-
genannten Orte wurde am 15. die alte russische
Grenze überschritten. Der Marsch sollte nach
Trzerckowizky gehen, hinter dem von seinen Ein-
wohnern verlassenen Städtchen Ziorowitschi ver-
irrte sich aber Junot und marschirte wieder zurück,
um Bojanowo unweit Krasnoi zu erreichen.
Während der Nacht machte die Kolonne in der
Gegend von Palkino Halt, um den Tag ab-
zuwarten. Am 16. gelangte man dann bis
Tolsziky und brachte die Nacht zum 17. im Bivouak
unweit der Kaisergarde zu. Den 17. Nachts
gelangte das Korps in die Gegend von Smolensk,
den 18. war Ruhetag, und am 19. fanden die
Westfalen jenseits Szankowo links und vor sich
Neh bereits im Gefecht. Die westfälischen Truppen
kamen nicht recht zum Schlagen, doch verlor
Briede, der selbst den ganzen Tag hinter der
Front stand, einige seiner besten Freunde, mit
deren einein er seine letzte bisher ängstlich im
Protzkasten gehütete Wurst bei Beginn der Schlacht
getheilt hatte. Nach der Schlacht mußte das
Korps noch vier Tage auf dem Schlachtfeld stehen
bleiben und marschirte erst am 24. mit der
großen Armee über Dorogobusch, wo es am 26.
ankam, und Ssemlowo nach Miasma, das man
am 30. erreichte. Am 2. September standen die
Truppen eine Meile jenseits Teplucha und mußten
Schlachtrapporte einreichen; am 4. waren sie jen-
seits Gshatsk, hatten am 5. Rasttag, marschirten
am 6. als rechter Flügel der großen Armee zehn
Stunden lang und hatten ihr Nachtlager unweit
des Dorfes Doronino. Das 2. Bataillon des
5. Linienregiments war zu Dorogobusch, das
1. Bataillon dieses Regiments mit 200 Husaren
zu Miasma und das 3. Bataillon des 2. Linien-
regiments zu Gshatsk zurückgeblieben.
Am 7. September nahm Briede an der
Schlacht bei Borodino Theil. Das grausen-
hafte Morden dieses Tages ist ihm stets in leb-
haftester Erinnerung geblieben. Bald nach Beginn
der Schlacht wurde seinem Pferde durch eine
Kanonenkugel ein Hinterschenkel abgerissen.
Während er später im Feuer gegen die Russen
stand, zogen sich russische Kürassiere, die wegen
ihrer weißen Mäntel für Franzosen gehalten
wurden, in die Flanke seiner Abtheilung und
hieben ihm fast seine ganze Bedienungsmannschaft
zusammen. Er selbst kam dabei zu Fall und lag
unter dem Pferd eines Kürassiers, der Briede mit
seinem Pallasch zu stechen versuchte, da er aber
schwer betrunken war, nicht treffen konnte, während
sich Briede's leichter Degen bald krumm schlug
und deshalb nichts nützte. Die in der Nähe
befindliche Voltigeur-Kompagnie vermochte trotz
lebhaften Feuerns den Kürassier gleichfalls nicht zu
treffen. Endlich kam ein polnischer Lanzenreiter
herangesprengt, der dem Kürassier einen Stich in
den Nacken versetzte und ihn dadurch nöthigte, von
Briede abzulassen. Hinter den Linien der alten
Garde hatte dieser dann Gelegenheit, seine Geschütze
wieder in kampffähigen Zustand zu setzen, worauf
er sich von neuem au der Schlacht betheiligte.
Die große Armee war 120000 Mann stark und
mit 600 Kanonen versehen in die Schlacht gerückt,
sie verlor an diesem Tage 40 Generale und den
dritten Theil ihres Bestandes. Von den West-
falen hatten gegen 10000 Mann an der Schlacht
Theil genommen, sie verloren gegen 3000 an
Todten und Verwundeten. Der Verlust an
westfälischen Offizieren betrug bei der
196
leichten Kavallerie . . 3 Todte, 46 Verwundete,
schweren „ . . 4 „ 16
Infanterie (9 Bataillone) 9 „ 80 „
Artillerie..............2 4 „
zusammen 18 Todte, 146 Verwundete;
sämmtliche Generale, außer v. Ochs, waren todt
oder verwundet.
Die Westfalen blieben vier Tage lang auf dem
Schlachtfeld stehen, wo sie genügend Gelegenheit
hatten, die Gräuel der Verwüstung und die
schauderhafte Rücksichtslosigkeit Napoleon's gegen
die um seiner Sache willen Verwundeten kennen
zu lernen, und marschirten dann nach Moschaisk,
eine Brigade, bestehend aus dem 3. Linien-
Jnfantcrie-Regiment, dem 2. und 3. leichten
Bataillon, sowie 60 Husaren unter Oberst Ber-
nard brachte die kaiserlichen Tresorwagen nach
Moskau und blieb dort bis Ende September, zu
welcher Zeit sie nach Moschaisk zurückkehrten, wo
die übrigen Westfalen stehen geblieben waren.
Hier blieben die Truppen bis zum 28. Oktober
stehen, sie wurden aber bereits dermaßen von den
Russen umschwärmt, daß schon am 10. Oktober
das 1. Bataillon des 6. Linienregiments zu
Wereja, südlich von Moschaisk, gefangen genommen
wurde.
^Fortsetzung folgt.)
Philipp der Großmüthige > Landgraf von Hessen.
1504—1567.
Von H. Metz.
lFortsetzung.)
cji m 21. Oktober 1526 Morgens 7 Uhr wurde
' Atf in Anwesenheit des Landgrafen Philipp durch
<~rj* den Kanzler Johann Feige die Synode
zu Homberg eröffnet. In seiner Eröffnungs-
rede setzte Feige auseinander, daß der Landgraf
keineswegs beabsichtige Jemanden zur Annahme
der neuen Lehre zu zwingen, sondern, nur um
zu berathen, was zu einer guten Regierung der
Kirche gehöre und wie der Gottesdienst am besten
einzurichten sei, wäre die Versammlung berufen
worden. Der Landgraf forderte nunmehr die
Anwesenden auf, über diese beiden Punkte sich zu
äußern. Zuerst ergriff der Theologe Lambert
von Avignon das Wort; er verlas, erläuterte
und vertheidigte seine in lateinischer Sprache ab-
gefaßten Sätze während mehrerer Stunden. Die
Sätze zu widerlegen unternahm zuerst der Guardian
der Franziskaner zil Marburg, Nikolaus Ferber.
Lambert's Sätze nannte er unchristlich und un-
kirchlich ; das Recht Synoden zu berufen, komme
den weltlichen Fürsten nicht zu, ebenso wenig wie
das Recht Klöster zu reformiren und Kirchen-
ordnnngen vorzunehmen. Als letzter sprach gegen
eine vorzunehmende Kirchenverbesserung der alte
Pfarrer zu Waldau, Johannes Sperber. Eine
Kirchenreform wurde nun beschlossen und behufs
Entwurfs einer solchen einige Abgeordnete beauf-
tragt. Durch diese Verbesserung wurden abgeschafft
die geistliche Gerichtsbarkeit wie die weltliche
Herrschaft der großen Prälaten; das Cölibat,
die Gelübde des Mönchthums, das römische
Kirchenrecht fielen fort; statt der Ohrenbeichte
ward die gemeinschaftliche Beichte vor dem Abend-
niahl eingeführt; aufgehoben wurden die Verehrung
der Heiligen, ihrer Bilder und Reliquien; das
Chrisma bei der Taufe wie jede andere Oelung,
das Fegfeuer und der Sündenablaß wurden ver-
worfen ; an Stelle des Prunkes des alten Gottes-
dienstes trat eine große Einfachheit, der Kirchen-
gesang wurde gemeinsam gemacht durch Einführung
deutscher Lieder und der Psalmen; aus der Bibel
wurden Stellen vorgelesen und Predigt gehalten;
das Abendmahl wurde in beiderlei Gestalten ge-
geben ; die Klöster sollten in Knaben- und Mädchen-
schulen und namentlich in eine hohe Schule, in
erster Linie zur Ausbildung evangelischer Geistlichen,
verwandelt, an der Universität sollte eine Ver-
sorgungs- und Erziehungsanstalt für arme Studenten
eingerichtet werden. (De universali studio Mar-
purgensi cap. XXIX.) Gemäß dieser Bestimmung
sollen in erster Linie Geistliche ausgebildet werden
(qui in verbo et doctrina eisdem [sc. ecclesiis]
praesideant). In zweiter Linie sollen Rechtsgelehrte
ihre Ausbildung erhalten (qui leges civiles prae-
legant); die Unterweisung derselben sollen iure
consutti docti simul et pii übernehmen. Zum
Dritten ist ein Professor der Medizin (unus
Medicinae Professor, doctus simul et pius),
zum Vierten für die freien Künste und Wissen-
schaften (artes liberales et literae) namentlich
■
— 197
für Mathematik (praesertim in Mathematicis)
ein Professor heranzuziehen. Zum Fünften sollen
auch Sprachgelehrte (Professores Linguaruni)
Anstellung an der zu errichtenden Universität
finden.
Was nun die Kirche nach außen anlangt, so
wurden folgende Bestimmungen getroffen. Jeder
einzelnen Gemeinde (Kirche) war die freie Wahl
ihrer Priester und Diakonen überlassen, sowie die
Besugniß ertheilt, dieselben, falls sie sich ihres
Amtes unwürdig zeigen sollten, zu entfernen.
(Eligat quaevis Ecclesia aut deponat Episcopum
suum...........qui ex episcopis aut mollitie,
aut pompa vestitus, aut suae conversationis
leyitate Ecclesiae, cui praesit, praebet offendi-
culum, ab Ecclesia deponatur.) Nur der ganzen
Gemeinde stand das Recht zu, zu exkommuniziren
sowie von der Exkommunikation zu absolviren.
Der Kirchenbann durste nur bei solchen Verbrechen,
die die Ausschließung des Betreffenden aus der
christlichen Gemeinde mit sich brachten, in welt-
lichen Rechtsstreitigkeiten stattfinden. An Stelle
der Sendgerichte wurden Zusammenkünfte der
Laien und Priester in einer jeden Gemeinde ab-
gehalten. Streitige Ehesachen sollten allein nach
dem Worte Gottes entschieden werden und der
Priester der Gemeinde in schweren Fällen die
Visitatoren oder andere in der Schrift erfahrene
Männer um Rath fragen. (Quod si quis Epis-
coporum perplexus in bis [sc. graves Casus
matrimoniales] est, consulat Visitatores aut
alios, qui ex Scripturis Sacris de eiusmodi casi-
bus iudicare possint. . .) Jährlich wurde unter
Oberaufsicht des Landgrafen eine Provinzialshnode
für ganz Hessen zu Marburg abgehalten, der
das oberste Kirchenregiment übertragen war. (nt
semel pro tota Hassia celebretur Synodus
apud Marpurgum. . . .) Bei ihr stimmten
persönlich alle Pfarrer des Landes, die Abgeordneten
der Kirchen und der Landesfürst mit seinen vor-
nehmsten Ständen. Ein Ausschuß von dreizehn
Deputirten stand an der Spitze der Synode
(commissionis XIII electis). Die Ernennung oder
Wahl der Visitatoren, deren anfangs drei waren,
sowie die Kirchenzucht hing von dieser Synode
ab. Diese Visitatoren sollten in jeder Gemeinde,
wohin sie kamen, nebst ihrer Dienerschaft freigehalten
werden, dursten jedoch keineswegs in ihren Amts-
geschästen Geschenke annehmen (ne vel munu-
scula pro suo ministerio accipiant). Das Amt
bestand darin, alljährlich eine Kirchenvisitation
abzuhalten, die von den Gemeinden gewählteil
Prediger aus ihre Würdigkeit hin zu prüfen und
erforderlichenfalls abzusetzen, über die Predigt
und die Haltung der Synodalbeschlüsse zu wachen.
Da nun bei den getroffenen Bestimmungen
über die Besugniß der Gemeinden, z. B. Wahl
und Absetzung der Pfarrer, leicht Unzuträglichkeiten
hätten entstehen können, so sah sich Landgraf
Philipp genöthigt, mehrere der den Gemeinden in
der ersten Kirchenordnung gemachten Zugeständnisse
selbst zu übernehmen. Es wurden an Stelle der
jährlichen Visitatoren Superintendenteil zu Mar-
burg, Kassel, Alsseld, Rotenburg, Darmstadt und
St. Goar ernannt und einem jeden ein bestimniter
Amtsbezirk zugewiesen. Beim Ausscheiden eines
Superintendenten aus seinem Amte mußten die
Pfarrer des betreffenden Bezirks drei geeignete
Persönlichkeiten den bleibenden Superintendenten jur
Wahl vorschlagen. Diese von ihnen getroffene Wahl
wurde entweder vom Landesherrn bestätigt, oder
er ernannte einen Anderen zum Superintendenten.
Die Superintendenten hatten keine Machtbesugniß,
Pfarrer ein- oder abzusetzen, doch konnten von
ihnen provisorische, bis zur nächsten Synode
gültige Verfügungen erlassen werden. Alle zwei
Jahre mußten sie bei den ihnen unterstellten
Pfarreien Visitationen halten, mußteil den Lebens-
wandel, die Lehre und Amtsführung der Pfarrer,
das Betragen der ihnen zugeordneten Kirchendiener,
den Glauben und das Leben der Psarrkinder
beaufsichtigen und das Volk in einer Predigt
selbst unterrichten, Mißbräuche abstellen oder der
Synode, ja selbst dem Landesherrn über dieselben
Anzeige erstatten. Später (1539) wurde die
Verfügung getroffen, daß in einer jeden Kirche
Aeltesten, die sowohl aus das Verhalten der
Prediger als der Gemeindemitglieder genau Acht
geben sollten, bestellt würden. Auch wurde be-
stimmt, daß ohne Erkenntniß und Urtheil der
Superintendenten Niemand mit dem Banne belegt
werden sollte. Am 21. Oktober 1566 wurde durch
ein Edikt des Landgrafen die erlassene Kirchen-
ordnung wiederholt und bestätigt.
(Fortsetzung folgt.)
198
Modern.
Novellette von H. Keller-Jordan.
Sie saßen beim Frühstück.
Die Morgensonne schien durch die bunten
Erkersenster und huschte in rothen Strahlen über
die Gegenstände des Zimmers. Zuweilen, je
nachdem sich der Kopf der jungen Frau drehte,
färbte ein röthlicher Schimmer auch ihr blondes
Haar, flog über ihr hübsches Gesicht und verlor
sich auf denl grauen Morgenkleide.
„Tausche den Platz mit mir, Georg!" sagte
sie zu ihrem im Schatten sitzenden Manne, „die
Sonne genirt mich. — Hörst Du nicht, Georg?"
„Ich sehe nicht ein, warum ich den Platz mit
Dir tauschen soll," sagte er in seiner phlegmatischen
Morgenbehäbigkeit, „es gefällt mir hier sehr gut;
zudem wird Dein graues Kleid, das gar nicht
zu Dir paßt, durch die Sonne erwärmt und
belebt. Laß mir die Wohlthat dieses Anblickes."
„Wie Du gleichgiltig für große Ideen bist,"
entgegnete sie, den Stuhl ihres Töchterchens in
die Sonne schiebend und selbst neben ihrem
Manne im Schatten Platz nehmend, „Du weißt
doch, warum ich mich jetzt so einfach kleide."
„So farblos", verbesserte er.
„Nun ja, farblos. Aber ich meine doch, in
dem Bewußtsein, daß Deine Frau etwas leistet
— etwas für das große Ganze, lieber Mann,
verstehst Du, — könntest Du solche Lappalien
ignoriren."
„Ja freilich, das könnte ich, wenn"---------und
er fing an, — es war Sonntag —, einen Papiros
zu wickeln, ohne den Satz zu vollenden.
„Nun, wenn? Was soll das wenn?"
„Wenn ich von dieser Leistung für das Große
und Ganze überzeugt wäre —, aber das bin ich
noch lange nicht, Kind."
„Das bist Du nicht?"
„Nein, das bin ich nicht, ebenso wenig wie
von der Nothwendigkeit des grauen Kleides."
„Die Kleidung ist doch wohl Nebensache; die
Hauptsache bleibt die Entwickelung der Indivi-
dualität . . . ."
„Ah so, freilich, das wußte ich nicht. Willst
Du mir das einmal näher erklären, Josepha?"
Die junge Frau sah etwas ungläubig in das
Gesicht ihres Gatten, aber da er ganz ernst blieb
und sie den sarkastischen Zug um den Mund, —
vor dem sie sich etwas fürchtete —, nicht fand,
sagte sie beherzt:
„Wir leben jetzt in einer ganz andern Zeit
als früher, lieber Georg, die Modernen, zu denen
ich mich, wie Du weißt, mit Stolz zähle, wollen
vornehmlich der Eigenart des Einzelnen gerecht
werden und sprechen dem Ich eine ganz andere
Berechtigung zu, als das früher der Fall war."
„Ja freilich — freilich —, man richtet sich nach
den inneren psychologischen Vorgängen, einerlei,
was dabei in unserer Umgebung zu Grunde
geht; man muß sogar Mann und Kinder verlassen,
wenn die innere Stimme es verlangt und die
Individualität durch dieselben geschädigt würde."
Josepha blickte abermals ihren Mann an —,
er war ganz ernst.
„Nun ja, das hat auch eine gewisse Berechtigung,"
sagte sie dann etwas ernüchtert, „aber im Ganzen
kommt das doch selten vor."
„Du meinst, es gehöre schon eine ganz besonders
starke Eigenart dazu?" fragte er, diesmal nicht
ohne den ironischen Zug, der aber seiner Frau
entging.
„Ich habe mich mit dieser Frage noch wenig
beschäftigt, lieber Georg, aber ich kann mir doch
denken — —, Du lieber Gott, wir leben eben
in einer ganz anderen Zeit —, und die Frau
verlangt die gleichen Rechte."
„Gewiß, deshalb bist Du auch in den Grauen
Verein getreten, wo man für diese Fragen Zeit
und Geld einsetzt."
„Aber hast Du mit Fräulein Kunze nicht
selbst diesen Nothschrei der Frauen besprochen
und Dich hoch für ihr Wirken interessirt? Und
nun ich mich ihrem Streben angeschlossen habe,
sogar mit der Feder, die Dir bei Fräulein Kunze
so imponirte —, nun wunderst Du Dich."
„Nein, ich wundere mich nicht, Kind, ich
meine nur, was für die Eine paßt, ist nicht für
Alle. Fräulein Kunze hat einen ausnahmsweise
scharfen Verstand, seltenes Wissen — —"
„Und Du meinst, das habe ich nicht", unter-
brach Josepha gereizt ihren Mann.
„Aber, Kind, Du bist jung, bist hübsch, bist
verheirathet, ich würde Dich doch nie im Leben
mit Fräulein Kunze vergleichen. Fräulein Kunze
hat sich, aus frühem Denken und mancher Ent-
täuschung heraus, einen Wirkungskreis geschaffen;
sie nützt ebenso ihrem Geschlechte, das ist fraglos,
wie Unberufene ihm schaden. Wir leben gewiß
in einer Zeit, in welcher sich die Existenzfrage
der Frau in beit Vordergrund drängen muß,
aber es läßt sich nichts überstürzen, liebes Kind,
und vor allen Dingen hat diese Frage gar keine
Gemeinschaft mit der sogenannten modernen
Richtung in der Litteratur."
199
„So — und Fräulein Kunze, gerade Fräulein
Kunze, welche die Besprechungen für die Modernen
schreibt?"
„Schreibt sie mit Geist und eingehendem Ver-
ständniß, aber in durchaus selbständiger Auf-
fassung — und muß sich außerdem mit diesen
Arbeiten ihren Lebensunterhalt verdienen."
„Und Frau von Geyser, Frau Landrath Koppen,
mit denen man nicht mehr zusammen kommen
konnte, ohne zum Verein für moderne Bestrebungen
zu zählen —, Du wirst ihnen doch den Geist
nicht absprechen können, Georg?"
„Nein, Geist nicht, aber Verstand und Vernunft."
„Aber, Mann, ich bitte mir das aus, sie sind
meine Freundinnen und Gesinnungsgenossinnen."
„Freilich, freilich, sie thronen sogar im Vor-
stande dreier Vereine —, wenn ich nicht irre auch
in dem zur Gründung eines Müdchengymnasiums,
— wenn das nicht modern ist! Nur manchmal
stelle ich mir die schüchterne Frage, ob sie nicht
doch besser thäten, diese Zeit ihrem Hause und
ihrer Familie zu widmen. Der arme Geyser
sitzt jeden Nachmittag im Cafe Prinz-Regent und
langweilt sich zu Tode. Er sagte mir neulich
selbst, daß die schöne Zeit der Nachmittagsspazier-
gänge, die er mit seiner Frau unternommen
habe, längst vorüber sei —, ja daß sie sogar auf
die gewohnte Sommerfrische verzichte, weil er ihr
das Geld für den Verein geben müsse."
„Ja, wir haben uns Alle gleichsam dazu ver-
pflichtet", warf Josepha etwas verblüfft ein.
„Statt dessen", fuhr Georg fort, „wird der
arme Mann dick, trinkt aus Verzweiflung mehr
Bier, als er sollte, und was die weiteren Folgen
sein werden, wird sich zeigen."
„Bier hätte er doch getrunken, Georg, daran
ist die Frau nicht schuld, und Frau von Geyser
ist viel zu bedeutend, als daß ihr ein einfacher
Haushalt genügen könnte."
„So —, ich wußte nicht, daß ein Haushalt,
die Fürsorge für Mann und Kinder und der
Geist, der dem Ganzen das Gepräge giebt, so
ganz einfache, untergeordnete Dinge seien."
„Die moderne Frau will dem Manne gleich
stehn, sie will für das Große und Ganze wirken,
Georg," warf Josepha gereizt ein, „ihr genügt
es nicht mehr, — —"
„Nein, ihr genügt es nicht mehr, für das
Große und Ganze im Kleinen zu wirken, Du
hast Recht," unterbrach sie ihr Mann, „da würde
sie zu wenig genannt, und der wirkliche Segen,
den sie stiftete, wäre nicht so eklatant. Sie muß
malen, schreiben, Vereinen angehören, — ohne
genügendes Urtheil zu den Modernen zählen —,
kurze Haare, graue Kleider tragen . .
„Ziehst Du vielleicht gefallsüchtige Frauen vor,
die sich putzen, alle Gesellschaften besuchen, Cour-
macher haben und den Mann betrügen?"
„Das ist eine Kategorie von Frauen, Kind,
die nicht nennenswerth ist; wir sprachen von
solchen die ein höheres Streben haben."
„Demnach giebst Du doch zu, daß wir in
unserem Vereine das hohe Bestreben haben, dem
Großen und Ganzen zu dienen?"
„Ja, das gebe ich zu —, nur bin ich mir noch
nicht ganz klar (und hier lächelte er wieder etwas
überlegen), ob diese Wege die rechten sind. Die
verheirathete Frau, die ihre Fähigkeiten und
Talente im Hause verwerthet, hat einen ver-
edelnden Einfluß auf den Mann und die heran-
wachsenden Kinder, dieser Einfluß auf das
Große und Ganze ist nicht zu unterschätzen.
Denke einmal recht gründlich darüber nach,
Josepha. Im klebrigen", fügte er hinzu, „thue
Jeder was ihm das Rechte dünkt; ich werde
nichts dagegen haben, wenn Du Dich in Grau
kleidest, damit zehn Jahre älter machst, Deine
Sommererholung — und die der Kinder — zum
Vortheil des Vereines daran giebst. Ich bin
für gegenseitige Freiheit, wie Du weißt."---------
„Willst Du schon gehn?" fragte er dann nach
einer Weile, als sich seine Frau erhob.
„Ja, ich muß mich ankleiden, Fräulein Kunze
kommt um zehn Uhr. Sie hat mir doch, wie
Du weißt, die Kritik über Hauptmann's ,Einsame
Menschen' überlassen und wird mir wohl heute
den Korrekturbogen bringen."
Georg lächelte und nickte.
„Warum lachst Du?"
„Habe ich gelacht?"
„Geh', Du bist garstig, Georg, Du verbitterst
mir meine ganze Freude. Du glaubst wohl, ich
könnte das nicht?"
„Ich glaube gar nichts, Josepha; wenn Du
das Problem richtig erfaßt hast, warum solltest
Du es nicht können?"
„Eine so simpele Besprechung ist doch keine
Kunst", spöttelte sie, und sie lächelte noch über
den Einwand ihres Mannes, als sie hinüber in
ihr Ankleidezimmer kam.
Erst als sie vor den Spiegel trat, verschwand
das Lächeln.
Wahrhaftig, Georg hatte Recht, das Grau
stand ihr nicht, es machte sie alt. Aber freilich,
zu jung durfte man im Verein nicht aussehen,
die Arbeit war doch eine ernste.
Sie trat an ihren Kleiderschrank und griff
nach dem dunkeln, grauen Wollenkleide, das sie
sich auf Anrathen der älteren Damen, — sie
trugen alle grau —, hatte anfertigen lassen. Es
200
sah so würdig, beinahe gelehrt aus; daß Georg
das gar nicht begreifen wollte! Dann liebäugelte
sie aber doch, — es war heute Sonntag und so
schönes Wetter —, mit dem Cremekleid —, es
hatte so kleidsame himmelblaue Sammtaufschläge.
Sollte sie es nicht heute doch anziehen, an
dem Ehrentage, an welchen sie ihreni Manne
triumphirend ihr erstes opu8 überreichen sollte?
Er war so gescheit, so furchtbar gescheit, ihr
guter Mann; mit dieser Arbeit würde sie sich
ebenbürtig machen, — er würde dann nicht mehr
auf sie herabsehn — so gnädig —, beinahe mit-
leidig —, nein, das konnte sie nicht ertragen...
Ja, wenn Georg wäre wie Mister Bride, der
ihrer Freundin Ellen Vorzüge so zu schätzen
wußte, ihr Klavierspiel bewunderte, ihre drolligen,
naiven Einfälle entzückend fand —, ja, sie sogar
über sich selbst stellte. Mein Gott, wir Frauen
sind nun einmal anders, dachte sie, aus ihrer
Rolle fallend, man hat uns nicht so logisch denken
gelehrt, keine solchen Anforderungen an unser
Urtheil gestellt, aber dafür sind wir wieder rasch
inl Auffassen, frisch im Aneignen, originell im
Fühlen, das---------—
„Ach was, ich ziehe heute einmal mein Helles
Kleid an —, nur heute —, Georg wird sich dann
doppelt über meine Kritik freuen —, und das
ist die Hauptsache. Es ist doch wundervoll, zu
den Frauen gezählt zu werden, die etwas leisten,
— ehrlich gestanden habe ich Fräulein Kunze
immer darum beneidet; sie schreibt wie ein Mann
und urtheilt wie ein Mann —, Georg braucht
dann nicht mehr so überlegen zu lächeln."
(Fortsetzung folgt.)
Ver UliiversM Halle ein Ikstgrulj ans Hessen.
Vom strahlenden, vom lichtumfloss'nen Balle
Der Sonne, die jetzt hohe Kreise zieht,
Strömt Segen auf die Erdbewohner alle,
Die sie auf Feld und Wiese schaffen sieht.
Doch deine Stirn, du festgeschmücktes Halle,
Ziert grün ein Reis, dir tönt ein Jubellied
Von Allen, die zum Saalestrand jetzt wallen
Und zieheil ein in deine hohen Hallen.
Wir altern rasch, es bleichen uns die Haare,
Weim fünfzigmal uns naht des Jahres Lauf,
Doch dli im Kranze der zweihundert Jahre
Blühst wie der Lenz, noch brechen Knospen auf,
Dein Flügelschwung ist gleich dem Königsaare,
Der aufwärts steigt ob allem niedern Haus,
Der schärfste Blick ist seinem Aug' gegeben
Zu dein Entferntesten im Erdenleben.
Von, Halle, dir hab' ich den Spruch gelesen:
Es kommt aus dir nie einer ohne Weib.
Ist Wahrheit nicht das alte Wort gewesen?
Denn nicht gemeint ist eitler Zeitvertreib.
Der Jüngling hat als Braut in dir erlesen
Sich eine Jungfrau, rein an Geist und Leib.
Deiin dort ist eigen ihm die Muse worden,
Die ihn geleitet von der Saale Borden.
Schnell schwinden Jahre, fliehen Perioden,
Und Menschenwerke seh'n wir untergeh'n,
Es können aufgedrung'ue neue Moden
Vor raschem Wechsel kurze Zeit nur steh'n.
Die Muse spricht: Was wird von mir geboten
Dein Geiste, wirst du nie verschwinden seh'n.
Was eine Gottheit Göttliches geschaffen,
Kann nie die Zeit in ihrem Sturm entraffen.
Das ew'ge Gut, das Erde nicht kann geben,
Ist ein Geschenk der reichen Wissenschaft,
Und das ist Freude, das ist wahres Leben,
Wenn wächst beflügelt uns'res Geistes Kraft.
Es sieht der Geist die Engel niederschweben,
Zu retten uns aus trostlos enger Hast.
Und solche Freiheit gibst auch du, v Halle,
Die sie gekostet, bringen Dank dir alle!
Der deutsche Laut klang nirgends vom Katheder,
Die Sprache Romas hat auf ihm gethront,
Sie war Gebieterin für Wort lind Feder,
Hat als die Herrin in dem Haus gewohnt.
Ihr huldigte von den Genossen Jeder,
Ob solcher Dienst auch wahrlich schlecht gelohnt.
Da warst du's, Halle, das den Bann gebrochen,
Hier siel das Wort: „Es werde deutsch
gesprochen!"
Wie Vielen, Halle, wardst du alma mater,
Die süße Milch und erste Nahrung bot.
So sorgt für Kinder nur ein treuer Vater,
Der Leib und Seele fernhält schlimme Noth.
Den Suchenden warst allzeit du Berather,
Du zeigtest ihnen fern das Morgenroth;
Das leuchtete aus seiner öden Wüste
Hin in das Land, da uns ein Engel grüßte.
Kein Wunder ist's, wenn wie zu guten Ahnen
Der Enkel pilgert heut' zum Jubelfest.
Sie eilen hin zu dir auf raschen Bahnen,
Du siehst sie kommen so von Ost wie West.
Sie sehen weh'n der Burschen stolze Fahnen
llnd grünen Schmuck und schlingendes Geäst.
Der Geist verilimmt ein hohes Lied in Halle
lind Gottes Lob bei hellem Glockenschalle.
H. Tb.
201
Aus alter und neuer Zeit.
Unsere hessischen Landsleute findet man
bekanntlich überall. Als ich vor einer Reihe
von Jahren zum ersten Mal die damals noch in
englischem Besitze befindliche Insel Helgoland be-
suchte, fiel mir in der Princeßstreet unter all den
Jansen, Friedrichs, Ohlsen ein Name aus, der
unverkennbar hessisches Gepräge aufwies; es war
der Name Stichtenoth. Obgleich der mir be-
kannte Träger dieses Namens, dessen ich mich aus
der Heimath erinnerte, durchaus nichts Anziehendes
für mich hatte, so beschloß ich doch, seinen Helgo-
länder Namensvetter kennen zu lernen. Ich trat
in die Werkstätte, — der Mann war Schuster —,
und fand einen freundlichen alten Mann, der
denn natürlich auch als kurhessischer, aus Wanfried
stammender Landsmann sich zu erkennen gab. Er
war vor reichlich 40 Jahren auf der Wanderschaft
nach Hamburg oder Bremen gekommen, hatte sich
dort aus ein Schiff verdingt, war nach Helgoland
gerathen und dort „hängen geblieben". Er ließ
sich als Schuhmacher nieder und heirathete eine
Helgoländerin; wenn er aber auch äußerlich Helgo-
länder wurde und im Umgänge mit seinen neuen
Landsleuten den Jnseldialekt sich aneignete, sprach
er doch noch nach 40 Jahren seine unverfälschte
hessische Mundart. An der alten Heimath, die er
im Laufe der Jahre einmal besucht hatte, hing er
mit großer Liebe und war deshalb auch sichtlich
erfreut über meinen Besuch. Ich bin dann zu-
weilen — auch in späteren Jahren — bei ihm
gewesen und habe mit ihm geplaudert von der
hessischen Heimath, ihren Bergen und grünen Thälern,
die noch als freundliche Erinnerung vor seiner
Seele standen. — Der Name Stichtenoth erweckt
noch ein anderes Interesse. Meiner Ansicht nach
gehört er zu den meist imperativen Namens-
sormen, die wir gerade in Hessen ziemlich häufig
haben, wie Schnellenpfeil (Schnell den Pfeil), Rinn-
insland (Rinn in's Land), Hastenpflug oder Hassen-
pflug (Hast den Pflug). Stichtenoth heißt jeden-
falls ursprünglich „Stich die Naht"; der erste
Träger ist also ein Schneider gewesen. Vielleicht
giebt ein Fachmann sein Urtheil über meine Ver-
muthung ab.
Aus der Zeit der Wiederherstellung des kur-
fürstlichen Regimentes nach der westfälischen Periode
stammt das nachstehende, von der Ordenskanzlei
ausgegangene Schriftstück:
Zur Nota:
Der Durchlauchtigste Ordens-Stifter haben
die Taxe der Ordenszeichen aus dreyßig
D u k a t e n bestimmt, welche von den Herren
Rittern an den Ordens - Schatzmeister, Hos-
Jntendanten Cnyrim eingesendet werden können.
Außerdem werden von einem jeden Herrn
Ritter bei der Ausnahme zum Behuf des
Hospitals S. Elisabeth und zu des Schatz-
meisters Berechnung erlegt . 5 Pistolen.
Ferner als Gratial an den
Garderobier...... 2 Pistolen.
Und so auch an den Herold . . 2 Pistolen.
Überdas wird, nach einer bestehenden eonformen
Einrichtung, ein Kapital von 200 Rthlrn., oder
40 Pistolen, eingelegt, welches für die Ordens-
Armen-Kasse dergestalt bestimmt ist, daß aus
den Interessen dieses kleinen Kapitals das auf
S. Elisabethentag gewöhnliche jährliche Ordens-
Armen-Opser von zwey Pistolen bestritten, folg-
lich ein ewiges Opfer dadurch gestiftet, und
dieses sowohl während der Lebzeit als nach
dem Tode der Herren Ordens-Ritter zur jähr-
lichen Rechnungs-Einnahme gebracht, und aus
solche Weise durch jene milde Gabe das Andenken
an den Verstorbenen für immer rühmlichst er-
halten wird.
Kassel, d. 31. Dec. 1814.
Aus Kurfürsts.
Ordens -Kanzley.
F. W. Strieder,
geheimer Hof- und Ordensrath.
Aus Heimath und Fremde.
Die Vorbereitungen zu dem in der letzten August-
woche stattfindenden fünfzigjährigen Jubiläum
des Hanauer Bezirksverein für hessische
Geschichte und Landeskunde, verbunden mit
der Jahresversammlung des Hauptvereins
für hessische Geschichte und Landeskunde
werden der „Han. Ztg." zufolge jetzt eifrig be-
trieben. In großen Zügen ist das Programm
nunmehr entworfen. Am Montag, 27. August,
wird ein Festkommers in dem Saale der „Zentral-
halle" die Festtheilnehmer vereinen, bei dem es
an Musik, Gesang und sonstiger anregender
Unterhaltung nicht fehlen wird. Die Jahres-
versammlung des Kasseler Hauptvereins wird am
Dienstag Vormittag, 28. August, abgehalten, auf
die zwei Festvorträge folgen werden, und zwar
wird Herr Landgerichtsrath Dr. Brandt über die
Landgräfin Amelia Elisabeth von Hessen und Herr
Professor Dr. Wackermann überMoscherosch (eigent-
lich Mosenrosh, Schriftsteller unter dem Pseudonym
Philander von Sittewald, geboren 5. März 1601
202
zu Wilstädt in Baden, gestorben 4. April 1669
zu Worms als Geheimrath der Laudgräfin von
Hessen) sprechen. Nach Beendigung der Bortrüge
sollen die Hanauer Sammlungen unb Kirchen rc.
besichtigt und bei einem Frühschoppen Erholung
gesucht werden, Nachmittags 5 Uhr beginnt die
Festtafel im Saale der „Zentralhalle". Der dritte
Festtag, Mittwoch, 29. August, ist zur Besichtigung
von hervorragenden Sehenswürdigkeiten in der
Umgebung Hanaus bestimmt, ein Plan aber noch
nicht endgültig festgestellt.
Die XVIII. Jahresversammlung und
das S t i f t u n g s f e st des R h ö n k l u b s findet am
4. und 5. August 1894 zu Neustadt a. d. S.
statt. Das Programm ist wie folgt zusammen-
gesetzt : Sonnabend, 4. August, Abends 8 Uhr:
Gesellige Vereinigung im Saale des Gasthauses
„zum goldenen Roß". Sonntag, 5. August,
Vormittags 10 Uhr: Hauptversammlung der
Abgeordneten der Zweigvereine im Rathhaussaale.
Gleichzeitig musikalischer Frühschoppen in
der Gartenwirthschaft von A. Süß mann. —
Promenadenmusik aus dem Marktplatze.
Mit tags tisch nach Belieben in den vom
Zweigverein Neustadt empfohlenen Gasthäusern:
Hôtel zur Post, Hotel zum goldenen Mann, Gast-
hof zum goldenen Roß, Gasthof zu den vier
Jahreszeiten. Nachmittags: Festzug nach der Salz-
burg; Burgsest daselbst. Abends: Tanzkränzchen
im neuerbauten Gartensaale der „Vier Jahreszeiten".
In Kassel findet vom 14. bis 17. August der
deutsche Apotheker-Kongreß verbunden mit
einer pharmazeutischen Ausstellung in den
Räumen des „Meßhauses" statt. — Zum Konservator
des Kasseler Kunst Hauses wurde an Stelle des
Professors Neumann, welcher bisher dieses Amt
versehen hat, Kunstmaler Theodor Matthei
ernannt.
Ein hessischer Landsmann, der es in der Ferne zu
großen Erfolgen gebracht hat, Herr Ludwig Mond,
ein geborener Kasseler, der als einer der ersten
Techniker Englands sowie als chemischer Forscher
bekannt ist, hat der Royal-Jnstitution eine
großartige w i s s e n s ch a s t l i ch e S t i f t u n g gemacht.
Diese besteht, wie die „Chemiker-Zeitung" berichtet,
in der Gründung eines großen Laboratoriums für
chemische und physikalische Untersuchungen, welches
im Zusammenhang mit der Royal-Jnstitution und
unter Leitung und Kontrole derselben stehen soll.
Zu diesem Zwecke hat L. Mond ein großes Hans
im Westend von London angekauft und wird dasselbe
auf seine eigenen Kosten in ein Laboratorium im
größten Stile umwandeln lassen. Außerdem wird
er dieses Institut finanziell so stellen, daß vollauf
Kapitalien vorhanden sind, um Gehälter und jede
sonstige Art von Ausgaben zu bestreiten. Mond,
hat mit scharfem Blick erkannt, daß ein derartiges
Institut ein immer größeres Desideratum für die
chemische Wissenschaft der Neuzeit geworden ist,
indem die Arbeit des wissenschaftlichen Forschers
von Jahr zu Jahr größere Anforderungen an die
experimentellen Hilfsmittel stellt, sowohl was Fein-
heit und Exaktheit der Instrumente und Apparate,
als auch was Größe, Umfang und Kosten derselben
betrifft, so daß Privatlaboratorien und die Mittel
eines Einzelnen nur in seltenen Fällen allen Er-
fordernissen der gegenwärtigen chemischen und physi-
kalischen Forschung gerecht zu werden vermögen.
Die Großartigkeit des Mond'schen Unternehmens,
sowohl was die wissenschaftliche, als auch was die
finanzielle Seite betrifft, — denn letztere läßt sich
nur nach Tausenden von Pfunden Sterling be-
rechnen —, überragt bei Weitem Alles, was bis
jetzt in Großbritanien in ähnlicher Weise der
Wissenschaft geboten wurde.
Universitätsnachrichten. Der bisherige
außerordentliche Professor Vietor ist zum ordent-
lichen Professor der englischen Philologie
an der Universität Marburg ernannt worden. —
Dem Privatdozenten in der juristischen Fakultät
der Universität Marburg, Herrn vr. Fr. Wachen-
seld, ist das Prädikat „Professor" verliehen
worden. —
Das Marburger Korps Hasso-Nassovia feierte
in glanzvoller Weise am 16. Juli sein 55jähriges
Stiftungsfest.
Am 25. Juli starb zu Kassel nach langjährigem
Leiden im 82. Lebensjahre der Generalsuper-
intendent a. D. Dr. theol. Julius Martin.
Julius Martin, seit 1856 Generalsuper-
intendent der reformirten Diözese in Niederhessen,
war am 1. November 1812 zu Eschwege an
der Werra geboren. Sein Vater, damals ein denr
ausgesprochenen Todesurtheil durch König Jörüme's
Begnadigung Entronnener, war Peter Sigmund
Martin, dessen Name sich in die hessische Landes-
geschichte verwebt hat, seine Mutter war Amalie
Rommel, eine Nichte des langjährigen General-
superintendenten Rommel. Nachdem P. S. Martin
eine Notarstelle in Eschwege bekleidet, nach der
Besiegung Napoleon's unter Justus Grüner als
Polizeiinspektor in Düsseldorf, der Hauptstadt des
ehemaligen Großherzogthums Berg, in Diensten
203
gestanden halte, ließ er sich im Jahre 1814 als
Amisadvokat in Homberg nieder; daselbst wurden
1815 H. Martin, der spätere Oberappellationsrath,
und 1822 W. Martin, bisher Superintendent
in Gudensberg, geboren. Die Söhne waren
geistig reich begabt. Julius Martin besuchte die
Rektorschule zu Homberg, gleichzeitig mit dem
Schreiber dieser Zeilen, und dann das Gymnasium
zu Erfurt, wo Kritz, Scheibener und Mensing seine
vorzüglichen Lehrer waren. Ostern 1832 ward er
zu Marburg als 8tuckio8U8 theologiae immatrikulirt.
Marburg hatte sich damals als Universität be-
deutend gehoben. Martin hörte die Vorlesungen
der Theologen Julius Müller und Kling, des
Philologen K. F. Hermann und des Philosophen
Sengler. Der Ruf Tholuck's zog ihn Ostern
1833 auf die Universität Halle. Zwischen dem
geistreichen Professor Tholuck und seinem in ein
nahes Verhältniß zu dem Lehrer tretenden Schüler
gestaltete sich eine Freundschaft, die bis zu Tholuck's
Tod fortgedauert hat. Im Sommersemester 1834
bestand I. Martin die theologischen Examina, und
jetzt hielt er es für seine Ausgabe, von seiner be-
deutenden Begabung als Prediger, vorzugsweise in
Homberg, allwo seine Kirche immer gedrängt voll
war, Gebrauch zu machen. Seine Predigten zeich-
neten sich durch Klarheit und Wärme, die sich zur
Begeisterung steigerte, mit einem tief zum Gemüth
sprechenden Vortrag aus. Schon damals sah man
ihn als einen zu einem hohen kirchlichen Berus
beanlagten und bestimmten jungen Geistlichen an.
Nachdem er mehrere Jahre in Homberg an der
Stadtschule als Konrektor und als Seminarlehrer
gewirÜ hatte, berief ihn der Kurfürst, der seine
Probepredigt gehört hatte, im Jahre 1843 zum
Hos- und Garnisonspsarrer nach Kassel. Von Stufe
zu Stufe stieg er auf, bis ihn der Kurfürst 1856
zum Superintendenten (Generalsuperintendenten)
ernannte. Seine reichgesegnete Wirksamkeit in
diesem hohen Amte, während welcher ihm gelegentlich
seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums im Jahre
1884 von Sr. Majestät dem Kaiser der Rothe
Adlerorden zweiter Klasse mit Eichenlaub und von
der Universität Marburg die theologische Doktor-
würde verliehen wurde, dauerte bis in's Jahr 1887.
Die Beerdigung fand unter großer Betheiligung
namentlich seitens der niederhessischen Geistlichkeit
am 27. Juli statt. Generalsuperintendent Lohr
hielt die Grabrede.
Z>.
Der am 16. d. M. in Kassel verstorbene Ober-
Postkassen-Buchhalter a. D. Adalbert Jaenecke
war eine in weilen Kreisen bekannte und hoch-
geschätzte Persönlichkeit. Der Verewigte hat sich
namentlich um das Turnwesen in Kassel außer-
ordentlich verdient gemacht. Lange Jahre wirkte
er als Turnwart der Netteren Kasseler Turn-
gemeinde". Selbst schon in hohem Alter stehend,
bekundete er sich noch durch Wort und That als
Förderer der Turnerei. Der Turnverein „Jahn"
ernannte Jaenecke s. Zt. zum Ehrenvorsitzenden.
Wersonakien.
Ernannt: Gerichtsassessor Winneberger zum
Amtsrichter bei dem Amtsgericht in Finsingen (Elsaß-
Lothringen); die Rechtskandidaten von und zu Loewen-
stein und Dietrich zu Referendaren.
Versetzt: Amtsrichter vr. Hab ich in Sontra an das
Amtsgericht in Rüdesheim. — Ferner wurde Regierungs-
assessor vr. Roh de in Marburg bis auf Weiteres dem
Landrath des Kreises Bersenbrück zur Hilfeleistung zu-
getheilt und Gerichtsassessor Berlin in die Liste der
Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht in Schmalkalden ein-
getragen.
Bestellt: Der bisher provisorisch bestellte Rektor vast.
6x1r. Ritter zu Wolfhagen als Rektor an der Stadt-
schule daselbst. Gerichtsassessor vr. jur. Schultheis
als Mitpatron des Fürstabt Landau'schen Familien-
Stipendiums in Fulda.
Verliehen: Dem Thierarzt Wilhelm E st o r aus
Marburg die bisher von ihm interimistisch verwaltete
Kreisthierarztstelle in Frankenberg.
Beauftragt: Der Regierungsassessor von Baum-
tz ach mit der kommissarischen Verwaltung des Landraths-
amtes im Kreise Gelnhausen.
Entlassen: Der Gerichtsassessor Lucas aus dem
Justizdienst behufs Uebertritts zur Kommunalverwaltung.
Geborenr Ein Knabe dem Oberroßarzt Rind und
Frau Anna, geb. Pfeiffer (Kassel, 20. Juli).
Vermählt: Adolph Jürgensen mit Cäcilie, geb.
Bartheldes (Kassel, 21. Juli).
Gestorben: Emmy von Wild, geb. Engel (Frank-
furt a. M., 14. Juli); Oberpostkassenbuchhalter a. D.
Adalbert Jänecke (Kassel, 16. Juli); Frau Rentmeister-
Friederike D ö r f f l e r, geb. Cordes (Gelnhausen, 17. Juli);
Instrumentenmacher Reinhold Scheel, 86 Jahre alt
(Kassel, 18. Juli); Apotheker Adolf Hilgenberg sen.,
66 Jahre alt (Treysa, 23. Juli); Kanzleisekretär a. D.
Karl Lorenz, 66 Jahre alt (Kassel, 21. Juli); General-
superintendent a. D. vr. theol. Julius Martin,
81 Jahre alt (Kassel, 25. Juli); Direktor des Eisenbahn-
Betriebsamts (Kassel-Schwerte) Geh. Regierungsrath Joses
Busch, 55 Jahre alt (Kassel, 25. Juli).
Hessische Oncherschau.
Gedichte von Marie Westerburg. Kassel.
Verlag von Th. G. Fisher & Co. 1894.
Ein ernstes Geschick ist es. das der Verfasserin
beschieden ist. und so ist der Grundton der Gedichte,
die in einem geschmackvollen Bändchen vereinigt
I sind, ein ernster und trüber. Die Klage um den
Verlust lieber Angehöriger, um dahingeschwundenes
Glück kehrt in immer neuen Varianten wieder:
„Ein Traum! Ein trauter Traum,
Den ich einst träumte —
Ein echter Liebestraum!
Von großem, großem Glück
Ich damals träumte —
Von unbegrenzten: Glück!
Es war ein traulicher Traum,
Den ich da träumte —
Es war mein einziger Traum!"
Ein offenes Auge hat die Verfasserin für die
sie umgebende Welt, für die kleinen Freuden und
Leiden des täglichen Lebens. Es ist also Selbst-
empfuudenes. Selbsterlebtes, was sie bietet, und das
unterscheidet sie zu ihrem Vortheil von Manchem,
der mit Belesenheit und formaler Gewandtheit
ausgerüstet uns als poetisches Erzeugniß bietet,
was doch schließlich sozusagen das Exsudat all-
gemeiner Bildung ist. Andererseits muß die Autorin
zweierlei beachten: einmal, daß nicht alles persön-
lich Erlebte künstlerisch gestaltungswerth ist, dann,
daß erst die Form es ist, welche das Kunstwerk
ausmacht, und daß wir eine poetische Kunstsprache
besitzen, die — ohne die Individualität des Einzelnen
zu beschränken — ihre festen Kriterien hat. Hier-
auf muß die Verfasserin ihren Blick lenken, um
fernerhin Erfreuliches zu schaffen.
Wickers Henner am Scheidewege. Eine
Erzählung aus dem Marburger Bürgerleben
von Elise Mentzel. Marburg. Druck und
Verlag von Oskar Ehrhardt, Universitäts-
buchhandlung. 1894.
Die Verfasserin schildert in der vorliegenden
Erzählung in recht wirksamer Weise den Konflikt,
den die künstlerische Begabung zweier Glieder einer
wackern Bürgerfamilie in ihnen selbst und zwischen
ihnen und ihren Angehörigen hervorruft. Mit
Behagen bewegen wir uns in diesem Kreise, wo
Ehrbarkeit und althergebrachte Sitte das Leben
beherrschen, und nehmen gern all' die kleinen
Schwächen und Menschlichkeiten einer früheren,
leider nun wohl für immer vergangenen Zeit mit
in den Kauf. Diesen wohlhäbigen Bürgern und
ihren gewichtigen Gattinnen steht die Marburger
Mundart, deren sie sich bedienen, sehr wohl an.
Solange die Verfasserin uns von diesen Bürger-
häusern und ihren Insassen, ihrer Freud' und ihrem
Leid berichtet, ist sie offenbar in ihrem Element
und weiß den Leser zu fesseln, sobald sie uns aber
in die große Welt führt, betritt sie ein fremdes
Gebiet, und ihre Erzählung wird ein Roman von
derselben Leere itnb Oberflächlichkeit, wie wir sie
in jedem Tageblatt mit Schaudern sehen, aber
nicht lesen, und dazu ist das Talent der Ver-
fasserin zu schade. Wir würden ihr rathen das
Mundartliche und schlicht Bürgerliche zu pflegen.
Von ihrer Begabung für die Behandlung dieser
Gebiete giebt ihr Buch erfreuliche Proben.
I. W.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Bnchdruckerei von Friedr. Scheel, Kassel,
Schloßplatz 4.
.1. 8., Frankfurt a. M. „Marburger Erinnerungen IV"
erhalten. Besten Dank.
L. M., Eschwege. Ihren Einsendungen sehen wir ent-
gegen. Gruß.
C. N., Kassel. Es ist uns nichts zugegangen. Wir
werden aber versuchen, es ausfindig zu machen.
Frau K.-J., München. Zu rechter Zeit gekommen, mit
Freuden acceptirt und sofort verwandt.
L. B., Frankfurt a. M. Das Eingesandte war sehr-
erwünscht. Weiteres stets willkommen.
Anzeige.
Herzliche Bitte an unsere Leser!
Das furchtbare Grubenunglück von Karwin
hat Hunderten von braven, pflichttreuen Bergleuten und
Vielen, die todesmuthig zur Rettung derselben schritten,
das Leben gekostet und die Hinterbliebenen in tiefstes
Elend versetzt. Die Zahl der Letzteren ist so beträchtlich,
daß trotz großartiger Unterstützung von Seiten der Re-
gierung und des Besitzers der betreffenden Kohlenwerke
eine nur annähernd ausreichende Versorgung der ihrer
Ernährer beraubten Wittwen und Waisen ausgeschlossen
ist. Sollen diese Armen auf die Dauer vor bitterer Noth
und Sorge bewahrt werden , so muß die Mildthätigkeit
der Mitmenschen werkthätig eingreifen.
Wir richten deshalb an unsere verehrten Leser und
Leserinnen die dringende Bitte, ein Scherflein beitragen
zu wollen, die Noth zu lindern und die Thränen zu
trocknen, und ersuchen, Geldspenden, seien sie auch noch so
gering, einzusenden an die
Redaktion des Universum in Dresden,
Johann-Georgen-Allee 13,
oder an die Vertreter unseres Verlages
Kerren Spieltagen & Schnrich in Wien,
I., Kumpfgasse 7.
Die gesammelten Gelder werden von uns an das Hilfs-
komitä abgeliefert und soll an dieser Stelle über jeden
einzelnen Betrag Quittung erfolgen.
Für die hoffentlich recht reichlich fließenden Spenden
gestatten wir uns schon im voraus im Namen der Hinter-
bliebenen herzlich zu danken.
Redaktion und Uerlag des Universum,
Dresden und Wien.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel
in Kassel.
Das erscheint am 1. und 15. jedes Monats lx/a bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 16 des „Hessenlandes": „Bei der Trennung", Gedicht von D. Saul; „Eine römische
Niederlassung auf dem Boden der Stadt Hanau", von Professor Dr. Georg Wolfs (Frankfurt a. M.); „Friedrich
Wilhelm Ernst Briede", von Otto Gerland (Schluß); „Raspe", von Julius W. Braun; „Marburger Jugend-
erinnerungen, IV. ,Von der Instanz entbunden'", von I. Schwank; „Modern", Novellette von H. Keller-Jordan (Schluß);
„Neue Liebeslieder, IV—VIII", von A. Trabert; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücherschau; Briefkasten.
Bei der Trennung.
S^reunden, die betrübt sich von uns kehren,
Wollen wir das Herz nicht noch beschweren.
In des Abschieds wehmuthvoller stunde
Jede Alage sei versagt dem Munde.
Nein, es soll der Becher freundlich Alingen
Uns zurück die schönen Tage bringen,
Jene Tage, deren Angedenken
Wir als Aleinod in den Herzschrein senken,
Daß es drinnen still verborgen ruhe;
Doch zuweilen öffnen wir die Truhe,
Uns zu freu'n an seinen: lichten scheine
Wie an dein Gefunkel edler Steine.
Jm Besitze solches edel» Gutes,
freunde, laßt uns harren heitern Muthes;
Ghne Klagen laßt uns, ohne Wanken
Für Genossenes den Göttern danken.
A. Sauk.
206
MDWWM
lllll!i,TnTn,:,>>i,iiri!!llll1fniliii!!ltlll!ni>llll,n1iiiiiili!ililillitlinililllllll,iiimiiiiiiriililllllliiiliiiliiiiliiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiliiiiiii,l,illiiliii>iiiiiiiiiiiiiiiiiiii,iiiitjiiiiiiiiiiiiiiiHiif,iiiiiitiiiHliAiiji!liitiiiifmiiifiitimiiiiiiiiiitiittiiiiiiiimlhlmlli!iiin
Eine römische Niederlassung auf dem Boden der Stadt
Hanau.
Von Professor vr. Georg Wolfs (Frankfurt a. M.).
^Mie in Frankfurt, so galt es auch in Hanau
t|fj bis vor wenigen Jahren den Lokalforschern
V als ausgemacht, daß das Terrain, auf
welchem heute die beiden Städte sich ausbreiten,
in vorgeschichtlicher und römischer Zeit ein von
Flußarmen durchzogenes Sumpf- und Bruchland
war, dein sich insbesondere die Römer mit ihren
Straßen und Niederlassungen geflissentlich fern
hielten. Vereinzelte Nachrichten über angeblich
römische Funde, die hier wie dort nach münd-
licher und schriftlicher Neberliefernng gemacht
sein sollten, wurden unter Hinweisung auf die
Kritiklosigkeit mancher älterer Lokalhistoriker
allgemein als unhaltbar bezeichnet. Auch als in
den Jahren >886—1888 an der Kinzigmündung
das große Kastell von Kesselstadt aufgefunden
lind gleichzeitig die Existenz einer römischen
Mainbrücke vor der Mündung des Mainkanals
nachgewiesen wurde*), war man noch geneigt, die
Hauptverkehrsstraßen von jenem Lager zu dem
Grenzkastell Rückingen das Gebiet der jetzigen
Stadt in einem das rechte Ufer der unteren
Kinzig begleitenden Bogen umziehen zu lassen,
ganz wie bei Frankfurt die von der Lokalforschung
anerkannten römischen Ansiedelungen das eigent-
liche Stadtgebiet in einem nach Süden offenen
Bogen umgaben. Immerhin aber mußte die
Existenz und Lage der Hanauer Brücke bereits
erhebliche Bedenken gegenüber dem Dogma von
der Unberührtheit des Hanauer Bodens erwecken
zu einer Zeit, wo auch in Frankfurt die neuen
Fundstätten römischer Reste sich dem Kerne der
Stadt immer mehr näherten. Hatten die Aus-
grabungen bei Kesselstadt bereits ergeben, daß
die von Friedberg nach dein Mainknie bei Hanau
verlaufende römische Straße die ehemals sumpfige
Niederung an der Kinzigmündung dicht vor
*) Vergl. G. Wolfs, Dos römische Lager zu Kessel-
stadt bei Hanau. Hanau 1890. Ueber die Mainbrücke
und ihre Zufuhrwege handelt besonders der 111. Abschnitt,
S. 19 ff.
den westlichsten Häusern der Stadt durchkreuzte,
so wurde es durch die Auffindung der Brücken-
reste mehr als wahrscheinlich, daß, wie das linke,
so auch das rechte Mainufer von einer Straße
begleitet war, welche das Kastell Großkrotzenburg
über Hanau, Kesselstadt, Frankfurt rc. mit Kastei
tind Mainz verband.*) Diese Vermuthung fand
dann sehr bald eine Bestätigung durch die Auf-
findung zweifelloser Reste dieser rechtsmainischen
Uferstraße, besonders aber durch die zufällig, aber
sehr rechtzeitig erfolgte Aufdeckung der Trümmer
einer Militärstation unter dem Boden des ältesten
Theils der Stadt Frankfurt, welche ein- für alle-
mal jeden Zweifel daran beseitigten, daß auch
den Römern die Bedeutung der Frankenfurt für
den Verkehr im unteren Maingebiete nicht ent-
gangen war.
Noch fehlte für Hanau ein gleich ausschlag-
gebender Beweis für die Besetzung und Be-
siedelung des eigentlichen Stadtgebietes. Da
sollten denselben im vergangenen Jahre die
Arbeiten für die Anlage einer Werft an der
Mündung des Mainkanals in überzeugendster
Weise bringen. Dieselben nöthigten dazu, in
dein Winkel zwischen Kanal und Strom das
Ufer in einer Breite von ca. 30 Meter abzu-
tragen. Die Stelle lag gerade da, wo nach den
früher gemachten Beobachtungen die römische
Brücke das nördliche Ufer erreichen mußte. Die
im Jahre 1886 hier zur Feststellung des Brücken-
endes vorgenommenen Nachgrabungen waren
resultatlos geblieben, da sich ergab,' daß das
*) Diese Vermuthung wurde zum ersten Male aus-
gesprochen in der oben angeführten Schrift, S. 28. Ihre
Bestätigung fand der Verfasser bald bei den Unter-
suchungen, die er in der Umgebung Frankfurts theils
privatim, theils im Aufrage der Reichs-Limes-Kommission
vornahm. Vergl. G. Wolfs, Die römischen Ziegeleien
von Ried bei Höchst und ihre Umgebung. Frankfurt a. M.
1893. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst,
dritte Folge, IV. Band, S. 215, Anm. 1, 235 ff. u. 245.
Limesblatt 1893, Nr. 6, 52.
207
Terrain bis zur Höhe des Wasserspiegels auf-
gefüllt war, und zwar, wie einzelne Fundstücke
verriethen, zu der Zeit, als der Mainkanal mit
Benutzung eines alten Kinzigarmes zu einem
Winterhafen ausgebaut wurde. Es scheint, daß
bei den diesmaligen Arbeiten der größte Theil
des damals aufgefüllten Ufers wieder abgetragen
und unter demselben sowohl das alte Mainbett
als das des ehemaligen Kinzigarmes erreicht und
zum Theil durchbaggert wurde. Daß die dabei
gemachten Beobachtungen in wissenschaftlich brauch-
barer Weise festgelegt wurden, ist in erster Linie
dem königlichen Strommeister Herrn Blumentritt
zu verdanken, der sich auch bei den früheren
Untersuchungen an derselben Stelle das größte
Verdienst erworben hatte. Neben ihm hat sich
auch der Schriftführer des Hanauer Bezirks-
vereins, Dr. H. Eisenach, auf's Eifrigste und
Erfolgreichste besonders um die Sicherung der in
mehr als einer Hinsicht hochinteressanten Fundstücke
bemüht, welche jetzt durch Verfügung der könig-
lichen Behörden dem Museum des genannten
Vereins einverleibt sind und bei dem bevor-
stehenden Jubiläum Mitgliedern und Gästen als
erste Dokumente der römischen Vorgeschichte des
Bodens von Hanau vorgelegt werden sollen.
Die Abtragung des eigentlichen Mainufers
führte zunächst zur Auffindung von zwei neuen
Pfeilern der Brücke, wodurch die früher gemachten
Beobachtungen bezüglich der Richtung und Kon-
struktion der letzteren bestätigt und ergänzt
wurden. Eine auf Kosten des Hanauer Bezirks-
vereins vorgenommene Durchbaggerung des Fluß-
bettes ließ mit noch größerer Deutlichkeit als
früher die Größe und Form der die Pfeiler
tragenden Pfahlreste imb die Uebereinstimmung
der Anlagen mit der römischen Rheinbrücke bei
Mainz erkennen. Weit wichtiger sind die Einzel-
funde, insofern sie zum ersten Male, und zwar
mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit,
die Existenz einer römischen Niederlassung auf
dem Boden der jetzigen Stadt Hanau erkennen
lassen und zugleich wichtige Anhaltspunkte für
die Bestimmung der Chronologie und des
Charakters dieser Niederlassung bieten.
Die Gegenstände, soweit sie zweifellos römischen
Ursprungs sind, fanden sich theils in den Resten
der genannten beiden Pfeiler, bezw. in deren
unmittelbarer Umgebung, theils zwischen dem
nördlicher gelegenen derselben, der wahrscheinlich
als Landpfeiler diente, und dem rechten Ufer des
heutigen Mainkanals, unter dem jetzt abgetragenen
Ufer, welches Strom und Kanal trennte, überall
in der oberen Kies- und Schlammschicht der
ehemaligen Flußbettsohle, vor. Die Vertheilung
der verschiedenen Gegenstände auf die genannte
Fundstätte läßt mit Sicherheit erkennen, daß sie
theils beim Ball der Pfeiler und während der
Benutzung der Brücke von dieser herab in das
Flußbett gefallen itnb von einer Kieslage bedeckt
worden, zum großen Theil aber vom llfer ails iu's
Wasser gekommen sind. Der letztere Umstand
aber, in Verbindung mit der Beschaffenheit der
Objekte, gestattet die sichere Vermuthung, daß
unmittelbar über der Fundstätte, auf der Land-
spitze zwischen dem alten Kinzig- und dem
Mainbette, eine röinische Niederlassung lag, die
zum nördlichen Ende der Brücke und der zu ihr
führenden Straße in ebenso enger Beziehung
stand wie zum südlichen die auf der Steinheimer
Mainspitze im Jahre 1875 von: Hanauer
Bezirksverein aufgedeckte Anlage, welche gegen-
würtig durch die Reichs-Limes-Kommission einer
neuen Untersuchung unterzogen wird.
Während aber dort ausgedehnte Fundamente
die Lage, Größe und Beschaffenheit der Anlage
errathen lassen, ist man auf der Hanauer Seite
ausschließlich auf die zu Tage geförderten Fund-
stücke angewiesen, wenn man sich eine Vorstellung
von der Bedeutung des Platzes machen will.
Dieselben sind aber, wie schon das folgende sum-
marische Verzeichniß erkennen läßt, nach mehr
als einer Richtung hin von großein Interesse.
Es wurden gefunden:
I. Gegenstände von Thon, und zwar:
1) zahlreiche Sigillatagefäße (Näpfe, Tassen,
Schalen, Reibschalcn), sämmtlich mehr
oder weniger fragmentarisch, davon zwölf
mit Töpferstempeln, eines mit einer
Töpfermarke. Die Stempel sind bis auf
einen auch anderwärts im römischen Grenz-
laude gefunden worden. Ebenso stimmt
ein auf einem Sigillataboden eingeritztes
Zeichen (Graffit) zu den Gepflogenheiten
der Grenzbesatzungstruppen. Ein Amphora-
henkel zeigt, wie gewöhnlich, die abgekürzten
drei Namen eines römischen Bürgers
(Q. I. A.) als Marke des Fabrikanten.
2) Zahlreiche Dachziegelstücke, von welchen
eines den Stempel der vierten Kohorte
der Vindelikcr, vier verschiedene Stempel
der 22. Legion, sämmtlich nur theilweise
erhalten, zeigen. Eine Vergleichung mit
den in den Ziegeleien von Großkrotzenburg
und Nied gefundenen Typen ergiebt, daß
der Kohortenstempel von dem ersteren,
die Legionsstempel von dem letzteren
Fabrikationsorte stammen.
208
IT. Gegenstände aus Metall und zwar:
1. aus Eisen: a) zwei Schlüssel der
einfachsten Form, wie sie sich oft in den
Niederlassungen neben Grenzkastellen und
in Gehöften des Grenzlandes finden;
d) drei Messer, zum Theil mit gut
erhaltenem Holzgriff; o) eine größere
Anzahl von Aexten und Zimmcr-
mannsbeilen, die zum großen Theil
bei der Arbeit von der Brücke in's Wasser
gefallen zu sein scheinen. Sie bilden eine
ziemlich vollständige Sammlung der sonst
vereinzelt in den römischen Trümmern
unserer Gegend, besonders auf der Salburg
gefundenen Typen, die besonderen Werth
dadurch gewinnt, daß das Eisen sich in
dem Kies des Flußbettes ausnahinsweise
gut erhalten hat.
Dies gilt in noch höherem'Grade von:
2. den Bronzegegenständen, die sämmtlich
ohne den geringsten Ansatz von Patina,
goldglänzend zu Tage gefördert wurden,
sodaß man bei ihnen in höherem Grade,
als cs bei sonstigen Funden der Fall zu
fein pflegt, eine Vorstellung nicht nur der
Gebrauchsart, sondern auch des Eindrucks,
den dieselben zur Zeit ihres Gebrauches
auf das Auge machten, gewinnt.
Es war geradezu überraschend, aus dem von
dem ehemaligen Nferschlamm schwarzgefärbten
Kies, welchen die Arbeiter in de» Baggerkähnen
sorgfältig durchsuchten, Nadeln, Schnallen,
kleine Kettenringe, die bekannten Löffelchen
mit nadelförmigem Griffe mtb andere Gegen-
stände hervorschimmern zu sehen, als augenfälligen
Beweis für die Behauptung der Arbeiter, daß
die früher abgelieferten Gegenstände ähnlicher
Art von ihnen nicht abgerieben oder gereinigt
seien. Dafür sprach übrigens auch schon der
Umstand, daß man Feinheiten der Technik und
der Ornamentirung erkennen konnte, die sonst
durch die Patina verdeckt zu sein pflegen. Die
Griffe der erwähnten Löffelchen sind durch Riefen
rauh gemacht, offenbar um eine sichere Handhabung
trotz der geringen Dicke des Griffes zu ermög-
lichen. An der üblichen Erklärung dieser
„Löffelchen" (?) als „chirurgische Instrumente"
könnte übrigens der Umstand irre machen, daß
sie so außerordentlich oft in einfach ausgestatteten
Wohnhäusern des Grenzlandes gefunden werden.
An unserer Stelle wurden sie (zum Theil zer-
brochen) in sechs Exemplaren gefunden. Beson-
deres Interesse erregte auch eine noch federnde
Pincette (der gewöhnlichen Form) und zwei
größere Steck- oder H a a r n a d e l n, die noch
mit den Spitzen in einer aus Bronzeblech her-
gestellten dütenförmigen Schutzdülle steckten, aus
der man sie, wie zur Zeit der Verwendung,
herausnehmen kann.
Die 17 theils ganz, theils in Bruchstücken
erhaltenen Gewandnadeln zeigen die ver-
schiedensten Typen von den einfachsten, aus einem
Bronzedraht durch spiralförmige Windung der
Mitte und Umbiegung des dicken Endes her-
gestellten Sicherheitsnadel bis zu der „Armbrust-
fibel" mit massivem Bügel, dessen Querrippen in
riefenförmigen Vertiefungen zum Theil noch den
eingelegten Silberdraht (Tauschirung) haben. Auch
die Scheibenfibel ist in einem kreisrunden Bügel-
stück erhalten, dessen Oberfläche in den Ver-
tiefungen noch die Spuren der ausgebrochenen
Emaille, bezw. Glasmosaik zeigt. Da, wie wir
später sehen werden, die Zeit des Gebrauches
unserer Brücke und der Existenz der Station eine
sehr beschränkte ist, so ist das Nebeneinander-
vorkommen der verschiedenen Fibelformen, die
bekanntlich als eines der wichtigsten Mittel zur
chronologischen Bestimmung römischer Anlagen
benutzt werden, wohl geeignet, die übliche Klassi-
fizirung römischer Fibeln einer Kontrolle zu
unterwerfen.
Als archäologisches Unikum darf wohl ein
aus einein Bronzedraht mit viereckigem Quer-
schnitt hergestellter Armring bezeichnet werden,
dessen beide Enden sich, das eine nach oben, das
andere nach unten, in zwei länglich rechteckige
Plättchen verbreitern. Diese sind zu einer recht-
eckigen Fläche von doppelter Höhe nebeneinander-
gelegt und dadurch aneinander befestigt worden,
daß an der äußeren Seite jedes Plättchens sich
ein dünnerer Draht ansetzt, der auf beiden Seiten
znnächst zu einein Schneckenornament gewunden
ist und dann, um das Ende des Ringes gedreht,
zugleich den Verschluß bildet. Die Plättchen
sind an den Rändern durch parallele Linien und
zwischen diesen schräg eingepunzte Kerben orna-
mentirt. In dem so umrahmten rechteckigen
Raume zeigt das obere Plättchen die eingeritzten
Buchstaben I) HER, das untere die Fortsetzung
CVLI, also zusammen die Widmung D(eo)
Herculi. Diese Inschrift auf einem, wie die
Dimensionen vermuthen lassen, für den Oberarm
eines kräftigen Mannes bestimmten Schmuckringe
ist so auffallend, daß man geneigt sein möchte,
anzunehmen, daß der Schmuck für eine lebens-
große Herkulesstatue bestimmt war, wenn nicht
auch diese Annahme mit Rücksicht ans die Lokalität
des Fundes fast noch größere Räthsel aufgäbe.
Wir kommen nun zu den in wissenschaftlicher
Beziehung wichtigsten Fundstücken, den Münzen.
209
Es sind bereit nicht weniger als 70 gerettet,
zweifellos aber weit mehr gefunden und noch
viel mehr nicht gefunden worden. Die vor-
handenen sind theils in der unmittelbaren Um-
gebung des dem Ufer nächstgelegenen Pfeilers,
theils neben den übrigen Metall- und Thonfunden
am alten Ufer entlang ausgebaggert worden.
Die Provenienz ist nicht nur bei den sofort bei
der Arbeit abgelieferten, sondern auch bei den
nachträglich von den Arbeitern angekauften Exem-
plaren gesichert und durch Vernehmung der Letzteren
auch im Einzelnen festgestellt. Mehr als die
Versicherungen der Finder fällt aber auch hier
die fast einzig dastehende Art der Erhaltung in's
Gewicht. Die Münzen sind bis auf sechs Groß-
bronzen sämmtlich Mittelbrvnzen gleicher Währung.
Was die Legirung betrifft, so sind ziemlich gleich
zahlreich die gold- und die kupferfarbigen Exem-
plare vertreten, beide ohne jeden Ansatz von
Patina und offenbar in dem Zustande erhalten,
wie sie einst in's Wasser gekommen sind. Daß
auch bei den durch die Arbeiter nachträglich ab-
gelieferten Exemplaren alle Reinigungsversuche
als unnöthig unterlassen sind, zeigen besonders
einige der goldfarbigen Münzen, bei welchen auch
die feinsten Details der Prägung an Haupt-
und Barthaar sowie an den Attributen der
shnibolischen Figuren deutlich erkennbar sind.
Die Münzen stellen eine, abgesehen von den
Gegenkaisern des Jahres 69/70, ununterbrochene
Serie aller Kaiser von Claudius bis Antoninus
Pius und seiner Gemahlin Faustina I. dar, ge-
hören also der Zeit von 41 161 n. Chr. an.
Sie vertheilen sich ans die Kaiser dieser Periode
in folgender Weise:
Name Regierungszeit Zahl Aus jedes
n. Chr. Regierungs' jähr
1. Claudius. . . 41— 54 1 Vl3
2. Nero . . . . 54- 68 1 1 Z, , ¡14
3. Vespasianus . . 69- 79) 7 IL
4. Titus . . . . 79- 81/ /2
5. Domitianus . . 81— 96 15 1
6. Nerva. ... 96— 98 7 3-/2
7. Traianus. . . 98—117 18 1
8. Hadrianus . . 117—138 12 *h
9. Antoninus Pius) 10. Faustina maior/ 138—16l| CO rH <‘/5
11. Unkenntliches Fragment 1
Die vorstehende Tabelle zeigt, daß die relative
Zahl der Münzen, — und sie allein ist maß-
gebend —, von Claudius und Nero bis Nerva
konstant wächst, uni dann wieder ebenso konstant
abzunehmen. Es wäre nun aber ein freilich oft
gemachter Trugschluß, wollten wir annehmen, die
meisten der Münzen seien unter Nerva in das
Flußbett gekommen. Es ist schon bemerkt, daß
die Münzen sämmtlich einer gleichen Währungs-
periode angehören, in welcher zu Traiau's und
Hadrian's Zeit zweifellos die unter der Regierung
ihrer Vorgänger geprägten Bronze- und Silber-
münzen noch ebensowohl im Gebrauch waren wie
im Jahre 1870 die Thaler und Gulden Friedrich
Wilhelm's III. und Maximilian Joseph's. Es ist
sogar aus allgemein historischen Gründen mit
Bestimmtheit anzunehmen, daß unsere Münzen
sämmtlich erst seit Hadrian's Zeit in's Wasser
gekommen sind, und dafür bietet die durch die
vortreffliche Erhaltung der Münzen ermöglichte
Vergleichung ihrer Abnutzung vor der Zeit des
Verlustes einen neuen Beweis. Die Exemplare
Traian's nämlich zeigen zum größten Theil,
diejenigen aus Hadrian's und Antoninus' Zeit
sämmtlich ein außerordentlich frisches Aussehen;
dagegen verrathen Nerva's und Domitian's
Münzen, wenn es auch im Ganzen hübsche Exem-
plare sind, doch mehr oder weniger deutliche
Spuren länger dauernder Zirkulation, während
diejenigen von Titus und Vespasianus so ab-
gegriffen sind, daß einzelne von ihnen bei voll-
kommen geschwundener Legende wegen der Aehn-
lichkeit der Köpfe nicht mit Sicherheit dem Vater
oder dem Sohne zugewiesen werden können. Die
beiden vereinzelten Exemplare von Claudius und
Nero bleiben eben wegen ihrer Vereinzelung besser
unberücksichtigt. So spricht die Beschaffenheit der
Fundstücke entschieden dafür, daß sämmtliche
Münzen in der Zeit von Traianus bis Antoninus
Pius im Strome versunken sind. Dem entspricht
aber vollkommen die Beschaffenheit der übrigen
Fundstücke, welche, wie besonders die Militär-
ziegel und gestempelten Sigillatascherben, mit
Bestimmtheit auf die Zeit der Existenz des Grenz-
walles in seiner vollendetsten und jüngsten Gestalt
hinweisen. Insbesondere setzt der Stempel der
Coli. IV Vindelicorum die Existenz der Grvß-
krotzenbnrger Ziegeleien voraus, und auch die
Ziegel der 22. Legion von Nied sind nicht vor
dem Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. ge-
brannt worden.
Auffallend ist nur das Abbrechen der Münz-
serie in Antoninus' Zeit. Man könnte daraus
schließen, daß die Brücke nicht bis zum Ende der
römischen Herrschaft im Maingebiete um die
Mitte des dritten Jahrhunderts bestanden habe.
Doch wäre ein solcher Schluß immerhin gewagt,
da die Erscheinung auch andere Gründe haben
könnte.
Was nun den Charakter der Niederlassung
betrifft, auf deren Existenz an Stelle der heutigen
210
Dienstwohnung des Strommeisters die Menge
und besonders die Beschaffenheit der Fnndstttcke
hinweist, so sprechen die Militärziegel dafür, daß
wir eine Militärstation zum Schutze der doch
wohl in erster Linie militärischen Zwecken dienenden
Brücke anzunehmen haben. Dieselbe deckte zu-
gleich den Uebergang der rechtsmainischen Ufer-
straße über den dem heutigen Mainkanal ent-
sprechenden Kinzigarm, mag derselbe nun in
einer Jochbrücke oder in einer Furt bestanden
haben. Daß die Insassen der Station sich mit
dem iu und neben den Grenzkastellen üblichen
bescheidenen Komfort eingerichtet hatten, wird
durch die zahlreichen Reste von Gebrauchsgegen-
ständen, besonders Küchengerätheil, sowie durch
die Dachziegel bewiesen. Auf Große und Form
der Anlage gestatten eben diese Reste keinen
Schluß.
Zu unterscheiden von der Hinterlassenschaft der
Station ist diejenige der Brücke. Dazu gehören,
abgesehen von - den konstruktiven Theilen, wie
Pfähle mit Eisenschuhen, Schwellen und Zapfen re.,
besonders die meisten Beile und Münzen. Es
drängt sich die Frage ans, wie es zu erklären
ist, daß auf einem Hemm Raume am Ende der
Brücke so zahlreiche Münzen aus verhältnißmäßig
kurzer Zeit im Strombette versuilken sind. Die
oben beschriebene Art der Abnutzung gerade der
neben den Pfeilerresten ausgebaggerten Exemplare
könnte zu betn Schlüsse veranlassen, daß sie zu
einer Kasse gehörten, die in Antvninus' Zeit
hier auf irgend eine Weise in's Wasser kam.
Aber der Umstand, daß die Münzen, wenn auch
auf beschränktem Raume, so doch an verschiedenen
Stellen neben dem Pfeiler und an dem alten
Ilser zerstreut ausgebaggert wurden, legt die
Vermuthung nahe, daß wir es hier mit einem
dem Quellenkultus analogen Gebrauche zu thun
haben, nach dem beim Uebergang über den Strom
dem Flußgotte ein Münzopser dargebracht wurde.
Man braucht nicht an Xerxes' Trankopfer für
den Meergott beim Uebergang über die Hellespont-
brücke, ebensowenig an den Obolus, der von den
Schatten dem Charon für die Ucberfahrt über den
Fluß der Unterwelt entrichtet wurde, zu denken,
um einen solchen Brauch wahrscheinlich zu finden,
zumal wenn es sich um militärische Expeditionen
an der Reichsgrenze oder Handelsreisen über
dieselbe hinaus handelte, bei welchen, sei es beim
Auszug oder bei der Rückkehr, die Ueberschreitung
des Stromes einen besonders merkbaren Moment
bildete.
Mag sich dies nun verhalten wie es will, unter
allen Umständen ist der Hanauer Münzfund einer
der interessantesten, die in den letzten Jahren
auf dem ehemals römischen Gebiete unseres Vater-
landes gemacht worden sind. Durch den, wenn
auch indirekten, Nachweis einer römischen Nieder-
lassung auf dem Boden der Stadt Hanau selbst
aber eröffnet sich dem Hanauer Bezirksverein
gerade in diesen Tagen, in welchen er auf eine
halbhundertjührige Thätigkeit, die in der zweiten
Hälfte dieser Zeit mit dein größten Erfolge der
Erforschung der römischen Vorgeschichte unseres
Heimathlandes gewidmet war, zurückblicken darf,
eine hoffnungsvolle Aussicht, diese Forschungen,
die sich seither mehr an der Peripherie des Stadt-
gebiets und jenseits derselben bewegten, durch
Ausdehnung ans das erstere zu einem alle seitherigen
Erwartungen übertreffenden Abschluß zu bringen.
Anhaltspunkte für die Richtung und die Ziele
dieser Nachforschungen, welche ehedem so gut wie
ganz fehlten, sind nun in genügender Weise ge-
geben. Es ist bereits an anderer Stelle darauf
hingewiesen worden, daß die früher als grundlos
betrachtete Ueberlieferung, daß an der Stelle des
alten Grasenschlosses, also des ältesten Theils der
Altstadt Hanau, ein römisches Kastell gestanden
habe, wenn auch in anderer Form, eine gewisse
Bedeutung erhält, seitdem es durch Auffindung
der römischen Brücke wahrscheinlich geworden ist,
daß die vom Rückinger Kastell nach Südwesten
führende Straße das Stadtgebiet von Hanau
geradlinig durchzog. Dann würde auch die
Existenz der im Jahre 1880 neben der Junghenn'-
schen Militäreffektenfabrik gefundenen römischen
Wasserleitung und ihre Richtung auf das Alt-
städter Schloß*) erklärlicher sein, als es bei
dem seitherigen Stande der Forschung der
Fall war. Voraussetzung wäre, daß die jetzige
krumme Kinzig damals gar nicht oder nur als
Nebenarm bestand. Das ist aber auch aus
anderen Gründen wahrscheinlich. Gegenüber
unserer römischen Brückenstation, auf der anderen
Seite des Mainkanals, beginnt das Kinzdorfer
Feld, auf welchem das bereits vor der Gründung
Hanaus bestehende Kinzdorf lag, dessen Kirche
und Friedhof noch in historischer Zeit von den
Bewohnern Althanaus mit benutzt wurden. Es
ist durch die aufblühende Stadt absorbirt worden,
die sich erst in neuerer Zeit wieder bis in sein
Gebiet erweitert hat. Dabei ist in der Nähe
der Akademie ein prähistorisches Grab gefunden
worden**), welches beweist, daß das Kinzdorfer
*) Vergl. Mittheilungen des Hanauer Bezirksvereins,
1880, Nr. 6, S. 198 ff.
**) „Bei der Anlage eines Kanals aus der Bebraer
Bahnhofsstraße nach dem Stadtgraben". Bergl. Suchier
in den Mittheilungen des Hanauer Bezirksvereins, 1880,
Nr. 6, S. 214.
211
Feld bereits in vorrömischer Zeit besiedelt war.
Daraus erklärt es sich auch, daß die älteste Verkehrs-
straße vom Spessart her, die „Birkenhaiuer oder
Waldstraße", nicht auf Hanau, sondern auf das
Kinzdorf verlief, wo sie den Main und vorher die
ihn begleitende römische Uferstraße erreichte, von
welcher in und bei Großauheim in den letzten
Wochen deutliche Reste gefunden worden sind.
Auf diesem noch freien Gebiete dürften sich noch
manche Aufschlüsse nicht nur über die Urgeschichte,
sondern auch über die mittelalterlichen Zustände
im ältesten Hanau finden lassen. Sollten sich
aber die in den vorstehenden Zeilen mit allem
Vorbehalte angedeuteten Vermuthungen bestätigen,
so würde sich zwischen den prähistorischen, römischen
und mittelalterlichen Ansiedelungen ans dem Boden
Hanaus eine Kontinuität ergeben, die wir bei
anderen Plätzen am Main wiederholt nach-
gewiesen haben, in Hanau aber bisher zu finden
kaum erwarten konnten.
Friedrich Wilhelm Ernst Briede.
Von Otto Gerland.
(Schluß.)
Cji nt 28. Oktober wurde endlich der Rückzug
¡•k angetreten, am 31. berührte man wieder
& * Miasma, am 5. November war man bei
Dorogobusch, wv der erste Schnee fiel. Die west-
fälischen Truppen, welche beim Abmarsch von
Moschaisk noch 6000 Mann gezählt hatten,
waren bis zum 9. November auf 1500 Mann
zusammengeschmolzen. An diesem Tage kamen
sie zu Smolensk an, blieben dort einige Tage,
und es wurden daselbst am 12. aus ihnen drei
Bataillone gebildet. Am 15. marschirten sie
nach Krasnoi weiter. Zwei Stunden vor
diesem Ort wurden sie bei einem Einschnitt itit
Gelände unweit des Dorfes Sterlino gleich den
übrigen Heeresabtheilungen von den seitwärts
schwärmenden Russen angegriffen, wie sie gerade
vorbeimarschirten. Die westfälische Artillerie war
ungefähr einen Tagemarsch hinter den übrigen
westfälischeil Trlippen hermarschirt, ohne Bedeckung,
unter dem Kommando des Generals All ix.
Wenn arich nicht in geschlossener Kolonne, so
marschirte die Artillerie doch batterieweise hinter
einander, ohne durch andere Truppen getrennt zu
sein, und bivouakirte Abends mit Allix. Briede
marschirte an der Spitze des Zuges, in der Regel
durch Allix geführt. Bei Miasma hatte das
3. Linienregiment schon am 31. Oktober einen Mu-
nitionswagen stehen lassen müssen, anr 13. und 14.
November den anderen Wagen und eine Kanone.
Als nun die marschirende Artillerie am 15. No-
vember an der genannten gefährlichen Stelle
Kanonendonner hörte, ließ Allix Halt machen,
die folgenden Batterien aufrücken, so daß die
Artillerie die Breite der großen Straße ausfüllte,
und ließ sie, auf diese Weise zur Wagenburg
gebildet, vorrücken. Nach einer halben Stunde
etwa sah Allix ein französisches Gardebataillon
in seiner linken Flanke voll Reitern und Ge-
schützen angegriffen und beschleunigte seinen Marsch
in der Hoffnung, von diesem Bataillon auf-
genommen zu werden. Kauiil aber hatten ihn
die Russen bemerkt, so wurde er auch von ihnen
angegriffen. Er ließ sofort halten, zwei Geschütze
der Wagenburg, meist von Offizieren, darunter
Briede, bedient, links der Straße auffahren und
schlug mit diesen einen Angriff der Russen unter
empfindlichen Verlusten der letzteren zurück. Eine
russische Batterie aber beschoß die linke west-
fälische Flanke so heftig, daß sogar ein west-
fälisches Geschütz zerschossen wurde, und gleich-
zeitig bemerkte Briede, daß sie von russischer
Reiterei umzogen seien, welche sich eben anschickte,
von der Seite und von hinten anzugreifen.
Dies veranlaßte ihn, zu seinen auf dein rechten
Flügel stehenden, noch verhältnißmäßig gut be-
spannten Geschützen zu laufen und diese nach der
rechteil Seite hin fortzuführen, wobei ihin ein
großer Schwarm Flüchtlinge zu Fuß, zu Pferd
und auf kleinen Wagen folgte. Voll den
Kosaken nicht beachtet, gelang es ihm, durch eine
Vertiefung zu entkommen, während die gesammten
übrigen westfälischen Geschütze und Munitions-
wagen vvil den Russen genommen wurden. Bei
Eintritt der Dunkelheit erreichte er ein durch
eine Schlucht von einem Dorf getrenntes Haus
und machte hier Halt, um seineil Pferden etwas
Ruhe uiid Futter zu geben, wurde aber nach
einiger Zeit durch Flinteiischüsse aus beut Dorf
über die Schlucht hinweg vertrieben. Unter
vielen Hindernissen gelangte er dann wieder
212
auf die große Straße und bei Tagesanbruch auf
die Höhe von Krasnoi, konnte aber erst Abends
gegen 7 Uhr durch den vor dieser Stadt liegenden
Einschnitt hindurchkommen, in Krasnoi selbst
kam er erst Abends 9 Uhr an. General Allix
erstattete über das Ereigniß, noch zwei Kanonen
zu besitzen, sofort Meldung an beu zu Krasnoi
anwesenden Kaiser und befahl, daß der Kom-
mandeur, Oberst von Pfuhl, und sämmtliche
Offiziere sich an Briede's Geschütze anzuschließen
hätten, wodurch Briede, besonders auch durch die
Thätigkeit des Premierlieutenants Schmidlin
von der Handwerker-Kompagnie, eine lebhafte
Unterstützung erhielt. Am 17. kam man nach Ljadu,
am 20. wurde bei Orscha der Dnieper über-
schritten^ Zwei Stunden, bevor man den letzt-
genannten Ort erreichte, kam auch für Briede die
Zeit, „wo ich", wie er selbst erzählt, „die letzten
westfälischen Geschütze stehen lassen sollte; alle
Versuche, dieselben den glatten, steilen Berg vor
Orscha hinaufzubringen, gelangen nicht, wonach
mir Allix durch ein Zeichen mit der Hand das
Unvermeidliche andeutete. — Beinahe möchte ich
glauben, daß, wären ipir bei Krasnoi die
Munitionswagen nicht genommen und hätte ich
solche nach meinem Dafürhalten stehen lassen
können, wodurch ich die besten Pferde zur Mit-
bespannnng der Geschütze zu verwenden gehabt
hätte, ich diese gleich meinen Wagen bis zur
Beresina gebracht haben würde."
Am 22. kam die einstmalige große Armee
nach Bvbr, es waren aber nur noch 8000 Mann
Garde unter dem Gewehr, aus den Westfalen
war ein Bataillon zu etwa 300 Mann unter
dem Befehl des Majors Rauschenblatt ge-
bildet worden. Sv kam man an die Beresina
bei Studianka, welche am 27., 28. und 29. No-
vember überschritten wurde; Briede überschritt
sie am 28. Nachmittags, halb bewußtlos vor
Krankheit, auf einem großen Pferde, das alles
ihm im Weg Stehende niedertrat. Am 29. bei
Tagesanbruch brannte die Brücke ab. Nun
wurde aus dem Bataillon Westfalen eine Kom-
pagnie unter dem Befehl des Kapitäns von
Altenbockum gebildet. Von der Beresina
bis nach Wilna brauchten die Flüchtlinge eine
Zeit von vierzehn Tagen. Auf dem Weg dahin
verließ Napoleon am 5. Dezember das Heer
und übergab dem König von Neapel den Ober-
befehl. Während dieser vierzehn Tage erduldete
man die größte Kälte, welche am 7. und 8.
Dezember — 26 bis — 27 0 R. betrug. In Wilna
stieß das nachgesandte 4. Linien-Jnfanterie-Regiment
zu den Trümmern der westfälischen Truppen,
um bald derselben Auflösung wie diese zu ver-
fallen. Briede kam am 9. Dezember Nachts zu
Wilna an, am 10. griffen die Russen die Stadt
an und nahmen dort 30000 Mann gefangen.
Am 12. kam „die große Armee" nach Kownv,
am 13. überschritt sie den Niemen. Von hier
aus führten zwei Wege westlich, rechts nach
Tilsit, links nach Gumbinnen; Briede schloß sich
dem Zug über Gumbinnen an, inarschirte über
Elbing, Marienwerder und Marienburg und kam
am 4. Januar 1813 zu Thorn an. Von dort
ging der Marsch am 8. nach Posen und von da
weiter nach Kassel. Der Rest des 4. Regiments,
einige noch gesunde Offiziere und Soldaten, sowie
1500 Mann unter Oberst von Groeben
bildeten vier Bataillone und marschirten unter
General von F ü l l g r a f f nach Küstrin.
Briede's Gesundheit hatte furchtbar gelitten, ein
schweres Nervenfieber warf ihn auf das Kranken-
lager, und sein Magen hat sich von den russischen
Hungerleiden nie wieder erholt.
Sein Verhalten im russischen Feldzug ver-
schaffte ihm aber, nachdem er bereits im März 1813
nach Sachsen ausgerückt war, am 1. April 1813
durch einstimmige Wahl des Offizierkorps seines
Regiments den Orden der westfälischen Krone
und gleichzeitig die Ernennung zum Kapitän.
Auch wurde ihm sein heißer Wunsch, endlich von
den Kanonen zur eigentlichen Infanterie zu ge-
langen, wenn auch nur nach sehr heftigem
Widerstreben von Allix, erfüllt. Es wurde ihm
sogar die Auszeichnung zu Theil, daß ihm, dein
noch nicht einundzwanzigjährigen Jüngling, eine
Elitekompagnie, die Voltigeur-Kompagnie des ersten
Bataillons seines Regiments, übertragen wurde.
An deren Spitze machte er den Feldzug in
Sachsen mit, gehörte Anfangs zur Garnison von
Torgau und später zu der Besatzung von Dresden
unter Gouvion St. Chr, ohne jedoch dabei
Gelegenheit zu irgend welcher Auszeichnung zu
finden. Seine Kompagnie bestand atu 10. Sep-
tember aus 2 Offizieren, 14 Unteroffizieren,
2 Hornisten und 97 Voltigeurs, zusammen
113 Mann.
Als dann Dresden am 15. November über-
geben war, kehrte Briede nach Hessen zurück, ein
befreundeter Offizier, ein geborener Preuße, be-
mühte sich, ihn für den preußischen Dienst zu
gewinnen, und hatte ihm durch seinen Vater,
einen General, bereits die Aussicht ans eine
Kapitünsstelle verschafft. Briede wollte aber
lieber in Hessen dienen. Als aber Kurfürst
W i l h e l m I. ihn nur als Lieutenant anstellen
wollte, benutzte er die preußischen Aussichten,
uni sich als Kapitän in königlich preußischen
Diensten zn melden. Das war dem Kurfürsten
213
aber gar nicht recht, und er ernannte ihn deshalb
ebenfalls zum Kapitän, allerdings nach damaligen
Verhältnissen nur zum Stabskapitän, im Füsilier-
bataillon des Regiments Landgraf Karl. In
dieser Stellung machte Briede die Freiheits-
kriege mit. Am 1. Februar 1814 ging das
Bataillon von Hersfeld über Alsfeld und Gießen
das Lahnthal hinunter zur Belagerung von
Luxemburg; während des Marsches bildete
Briede seine jungen Soldaten in dem ihm von seiner
Voltigeur-Kompagnie her bekannten Tirailleur-
dienst aus und brachte sie so weit, daß sie im
Stande waren, wesentlich zur Zurückweisung des
von der französischen Besatzung Luxemburgs am
18. März bei Merla unternommenen Ausfalls
beizutragen. Er selbst wurde dabei schwer am
Oberschenkel verwundet und kam durch die in
Folge der Wunde eingetretenen Eiterungen und
Fieberzustände an den Rand des Grabes; An-
fangs Juli kehrte das Regiment in seine Garnison
zurück. Nachdem das Regiment seit Ende
Januar 1815 in der Umgegend von Frankfurt
gelegen hatte, rückte es Anfang April wieder die
Lahn hinunter und die Mosel hinauf nach
Frankreich und nahm an der Belagerung von
Meziores Theil. Anfang Dezember bezog es
wieder die Garnisonen. Am 16. Februar
1816 wurde Briede für seine Leistungen vor
Luxemburg der Orden vom eisernen Helm ver-
liehen.
Dann wurde das Regiment in die von Kur-
hessen erworbene Stadt Fulda verlegt, wo Briede
bis zur Neuorganisation des Kurfürstenthums
blieb. Am 1. Mai 1821 wurde er als Kapitän
in das Leibgarde-Regiment nach Kassel versetzt
und am 3. November 1833 zum Major und
interimistischen Bataillonskommandeur in dem-
selben Regiment ernannt, am 21. Dezember 1834
aber als wirklicher Bataillonskommandeur in das
1. Infanterie-Regiment (Leib-Regiment) versetzt,
in welchem er am 6. Oktober 1836 zum Oberst-
lieutenant aufrückte. Am 14. September 1839
schied er mit Pension aus, weil die Folgen
seiner Kriegsstrapazen und seiner Verwundung
ihm das Weiterdienen unmöglich machten. Er
starb am 28. November 1862.
■i-Sf-S-
Naspe.
Von Julius W. Braun.
^andgraf Friedrich II. von Hessen (1760—1785),
derselbe, der als Erbprinz schon zum katho-
lischen Glauben übergetreten, war ein sehr
kunstsinniger, gelehrter Herr. Die Stelle eines Auf-
sehers des Antiken- und Münzkabinets, verbunden mit
einer Professur der Archäologie am Carolinum zu
Kassel, war neu zu besetzen. Es lag dem Land-
grafen daran, eine möglichst tüchtige, erprobte
Kraft für den verantwortungsvollen Posten zu
gewinnen. Gotthold Ephraim Lessing, der
Verfasser des Laokoon, der antiquarischen Briefe
und anderer, von der profundesten Gelehrsamkeit
zeugender Schriften, befand sich damals ohne Amt
in Berlin. Er war mehrere Jahre Sekretär des
Generals von Tauenzien in Breslau gewesen,
war der trockenen Schreiberdienste aber satt ge-
worden und suchte sich jetzt einen anderen
Wirkungskreis, in dem er seinen künstlerischen
und wissenschaftlichen Neigungen und Bestrebungen
mehr nachleben könne, als dies in Breslau der
Fall war. Am liebsten wäre er königlicher
Bibliothekar zu Berlin geworden, da der seitherige
Inhaber dieser angesehenen Stellung, Gaulthier
la Croze, mit Tode abgegangen. Der Oberst
Ouintus Jcilius schlug Lessing dem König vor,
dieser lehnte aber sofort energisch ab. Er er-
innerte sich des Streites, den der heißspornige,
jugendliche Literat dreizehn Jahre zuvor mit
Voltaire, seinem Freund und Tafelgenossen, ge-
habt hatte, und an eine Anstellung speziell in
Hofdiensten war hiernach gar nicht zu denken.
Der König verschrieb sich einen neuen Bibliothekar
aus Frankreich. . .
Kammerherr von Spiegel machte jetzt den
Landgrafen auf Lessing aufmerksam. Lessing sei
der gelehrteste Mann in Deutschland, als Kunst-
schriftsteller fände er nirgend seines Gleichen, eine
größere Autorität in Sachen der Alterthumskunde
gäbe es nicht, und man müsse ihn an Kassel zu
fesseln suchen. Der Landgraf ertheilte sofort dem
Kammerherrn den Auftrag, sich mit Lessing in
Verbindung zu setzen. Dies geschah, und der
feiernde Poet und Kritiker lehnte das Anerbieten
nicht gerade ab. Spiegel hatte ihm zunächst ein
Gehalt von 500— 600 Thaler offerirt, jedoch
gleichzeitig beigefügt, er, Lessing, möge seine
Forderungen lieber selber stellen. Schon glaubte
man am Kasseler Hofe die Angelegenheit einem
-
214
befriedigenden Ende nahe, als Lessing plötzlich die
Unterhandlungen abbrach. Er hatte sich als
Dramaturg und künstlerischen Beirath für das
neugegründete Nationaltheater in Hamburg am
werben lassen; dort hatte man ihm tausend Thaler
Gehalt zugesichert. Ja, wenn Lessing als Professor
in Kassel wäre angestellt worden, was würden
die guten Kasselaner noch heute von dem be-
rühmten Manne zu erzählen wissen! „Behüt'
Dich Gott, es hat nicht sotten sein!"
Aber cs hatte sein sollen, das; der Rath
Rudolph Erich Raspe zu Hannover, ein be-
deutender Mineralog, damals neunundzwanzig
Jahre alt, galanter Ritter, Weltmann, munter
und unterhaltend, Besitzer eines reizenden Weib-
chens, verschuldet bis über die Ohren, in des
Landgrafen Dienste trat. Die feurigen Augen
der neu aufgetauchten Schönheit hatten am Hofe
zu Kassel gar bald Unheil genug angerichtet.
Kein hessisches Kavaliersherz, das nicht für die
hannoversche jugendliche Rüthin glühte! Aber ihr
Herz blieb bei all' diesem Liebeswerben hart,
härter »och als das härteste Mineral, das der
Herr Gemahl in seiner Privat-Steinsammlung
aufbewahrte.
Hm —! Auf gewöhnlichem Wege war der
Tugend der reizenden Frau nicht beizukommen —,
das war klar! Einer der eifrigsten Kavaliere
wusste dem Landgrafen daher den Glauben bei-
zubringen, daß das Antiquitäten- nnb Münz-
kabinet doch nur sehr mangelhaft ausgestattet
sei, und das; es wohl geboten scheine, die vielen
Lücken zu ergänzen; das große Kunstverständniß
Raspe's könne hier die ausgezeichnetsten Dienste
leisten. Freilich, eine Reise des geschmackvollen
Mannes nach Italien, dein klassischen Land der
antiken Kunst, sei dazu Vonnöthen. Dies Alles
leuchtete dem Landgrafen sehr wohl ein, und auch
Raspe war bereit, die „beschwerliche" Fahrt an-
zutreten. Er erhielt die entsprechenden schrift-
lichen Vollmachten des Landgrafen und einen
schweren Beutel goldgelber Münzen, die das er-
habene Abbild des Landesherr» trugen. Der
liebesdurstige Kavalier, Erfinder und Veranstalter
der Raspe'scheu Kunst- und Vergnügungsreise,
schwelgte in den schönsten Hoffnungen; er sah
sich im Geist bereits am Ziele seiner kühnsten,
ausschweifendsten Wünsche. —
Raspe hatte ja längst die geheimen Absichten
seines „Gönners" errathen; aber er machte gute
Miene zum Spiel. In aller Stille, ohne jemandem
etwas davon zu sagen, verließ er heimlich Kassel
und traf verabredetermaßen in einem der nächsten
Dörfer mit seiner Gattin zusammen, von wo
aus Beide mit Eilpost nach Berlin reisten.
Dort sollte die junge Frau während Raspe's
Abwesenheit bei einer verwandten Familie ver-
bleiben —, bis er aus Italien zurückgekehrt sei;
dann nämlich werde er die landgräslichen Auf-
träge erledigt und seine Schulden getilgt haben.
Von Berlin aus wandte sich der Rath zunächst
nach Weimar. Dort verkehrte er vornehmlich
mit dem bei Hofe sehr beliebten Schauspieler und
Schauspieldichter Johann Christian Brandes. Er
versuchte den Herzog, der Kenner war, durch Ver-
mittelung Brandes' einige der Doubletten, die er
von Kassel mitgenommen, zuin Kauf anzubieten.
Ehe das Geschäft jedoch zu Stande kam, traf
ein Steckbrief hinter Raspe in Weimar ein, in
dein dieser des Diebstahls bezichtigt wurde und
die Kasseler Behörde um Festnehmung des Ver-
brechers ersuchte.
In Kassel war man durch die geheime, schleunige
Abreise des Ehepaars stutzig geworden. Die
Feinde und Gläubiger traten jetzt öffentlich mit
Beschuldigungen und Anklagen hervor, die wider-
wärtigsten Gerüchte tauchten ans. Bei einer
sofort vorgenommenen Untersuchung der Bestände
des Kuustkabinets stellte sich heraus, daß eine
große Anzahl der werthvollsten Gegenstände fehlte,
und Niemand zweifelte daran, das; dieselben durch
Raspe bei Seite geschafft worden seien.
Spornstreichs hatte Raspe Weimar wieder
verlassen; er hatte fich nur so viel Zeit genommen,
neue Garderobe anzuschaffen, um sich wenigstens
in etwas ein anderes Aeußere zu geben. Er
flüchtete ans Nebenwegen in den Harz. In Wer-
nigerode machte er Halt. Der dortige Gerichts-
amtmann war sein Studiengenosse; diesen suchte
er auf. Der Amtmann war sehr erfreut, den
alten Kameraden wiederzusehen, und dies Wieder-
sehen mußte gefeiert werden! Der Wein schmeckte
ausgezeichnet, und man erging sich frohgemuth in
den Erinnerungen einer glücklichen Vergangenheit.
Ein Diener trat ein und überbrachte einen Packen
soeben angekommener Briefe, Zeitungen re. Der
Amtmann griff rasch darnach —, er las und las —,
plötzlich hielt er inne —, er schien betroffen —,
seine Stirn legte sich in Falten —.
Raspe, der dem Mienenspiel des Gestrengen
aufmerksam gefolgt war, erschrak. Regte sich das
böse Gewissen in ihm? Hatte der Amtmann
vielleicht auch soeben von dem Steckbrief ver-
nommen ?
Eine drückende Pause entstand. Der Amtmann
ging in großen Schritten einige Male durch das
geräumige Zimmer, dann öffnete er das Fenster,
als ob er frische Luft schöpfen wolle, und sah sich
eine Weile rings im Garten lim. Darauf stellte
er sich vor den Gastfreund und theilte diesem
215
mit, daß er, so leid es ihm auch thue, gezwungen
sei, ihn sofort zu verhaften und stehenden Fußes
in seine Heimath zu schaffen. Während er dieses
sprach, sah er immer wieder nach dem Fenster
hin. Raspe hatte bem Amtmann vorhin beim
Zechgelage eine wahre Räubergeschichte aufgetischt,
warum er in dieser ziemlich fragwürdigen, zweifel-
haften Tracht hier im Harz erschienen und auf
welche Weise er gerade nach Wernigerode gelangt
sei; jetzt aber, da er selbst den Steckbrief in Händen
hielt, den ihm Jener, statt jeder Erläuterung,
schweigend dargereicht, war er gezwungen, dem
Freund den wahren Sachverhalt einzugestehe».
Flehentlich bat er um Hilfe, um Nachsicht, um
Schutz!
Der Amtmann wandte sich der Thüre zu.
Sein Mitleid, bemerkte er, könne er ihm, deni
Unglücklichen, nicht versagen, aber er müsse seiner
Pflicht gemäß handeln, wenn er sich nicht selbst
der schwersten Verantwortung aussetzen wolle.
Wiederum sah er bedeutungsvoll nach dem ge-
öffneten Fenster hin; dann entfernte er sich, indem
er halblaut die Worte hinwarf, er müsse sogleich
die nöthigen Veranstaltungen zur Gefangennahme
treffeil.
Das Zimmer, in dem man sich befand, lag zu
ebener Erde. Im Garten >oar Niemand zugegen.
Raspe, der den Wink des schonenden Freundes
verstand, sprang hinaus, kletterte über die Mauer
und entkam.
Aber eines Tages hatte der Arm der strafenden
Gerechtigkeit ihn gefaßt! Er befand sich vor
dem peinlichen Gericht zu Kassel, er mußte seine
Schandthaten eingestehen —, er mnßte eingestehen,
daß er ein ungetreuer Knecht gewesen, daß er
seinen Herrn und Gebieter betrogen und bestohlen,
daß er — daß er —
Stöhnend wachte Raspe auf, — er hatte ja
nur geträumt —, in London! Statt nach Italien
zu wanderil, war es ihm gelungen, sich in Eng-
land in Sicherheit zu bringen.
Raspe lachte sich iil's Fäustchen, und der
Landgraf hatte das Nachsehen.
Aber es lag keiir Segen auf Raspe's fernerem
Leben; sein Glück hatte er sich verscherzt. Viel-
fach literarisch thätig, durchirrte er, unstüt und
flüchtig, die vereinigten Königreiche, und starb,
schwer gebeugt, zu Mucroß in Irland im
Jahre 1794.
--------
Marburger Erinnerungen
IV.
„Morr der Instanz entbunden"
von I. Schwank.
„Nescio quidmeditans nugarumet totusin illis“
wandelte ich an einem Sonntag-Abend im Jahre
1842 in Marburg den Weg nach unserer Kneipe im
Lederer'schen Garten, als ich vor dem Barfüßer-Thor
bemerkte, wie eine große Anzahl stark „angeheiterter"
junger Burschen, sogenannter Knoten, den mit
mir befreundeten Studiosus Ernst Dronke um-
zingelt hatte und ihn hin und her stieß, weil er
sich angeblich gegen ein Mädchen ans ihrer Be-
gleitung, einen sogenannten Besen, ungeziemend
und frech benommen habe. Seine Korpsbrüder
und Begleiter hatten nicht vermocht, ihn aus den
Händen der Ueberwältiger zu befreien, und so
rief er mich denn bei meinem Anblick laut um
Hilfe. Mit Anwendung all' meiner Kräfte bahnte
ich mir eine Gasse durch die Menschen, welche die
sich Streitenden dicht umstanden und befreite mit
vieler Mühe und Zurückdrängen der Angreifer
den arg mißhandelten Dronke. Aber nun kehrte
sich der Hansen der jungen Kerls gegen mich,
deren ich mich durch Faustschlüge und Stöße
entwehrte. Einer unter ihnen aber, Namens B.,
hatte mich rücklings an meinen langen Haaren
gefaßt und ließ mich nicht los, so daß mir nichts
übrig blieb, um mich zu befreien, als mein Messer,
das noch jetzt in meinem Besitz ist. zur Hand zu
nehmen und damit, ohne es zu öffnen, dein B.
einen so wuchtigen Schlag auf seinen Schädel zu
versetzen, daß er, stark blutend, zu Boden sank. —
Die dadurch entstandene Verwirrung benutzend,
entfernte ich mich rasch und begab mich nach dem
Lederer'schen Garten zu meinen um einen Tisch
beim Bier sitzenden Korpsbrüdern.
Nachdem ich mir auch einen Schoppen gegönnt,
erzählte ich diesen das soeben Vorgefallene, welches
nun Stoff zu lebhafter Unterhaltung darbot. In
dieser Unterhaltung waren wir noch begriffen, als
die in den Garten führende Thüre aufging und
der uns wohlbekannte Universitätspedell Röse ein-
trat, mit einer seiner Würde bewußten Haltung
auf mich zukam und feierlich verkündete: „Herr
Schwank ! Im Namen des Prorektors soll ich
Ihnen verkünden, daß sie Stadtarrest haben."
„Gut, Herr Röse", „Wollen sie einen Schoppen
216
trinkeil, Herr Rose?" — „Ich danke, meine Herrn.
Guten Abend." — „Gute Nacht, Herr Rose, an-
genehme Ruh!" Und nun wurde ich verschiedene
Mal durch deu Universitätssyndikus K. unter
Vorsitz des Prorektors einem peinlichen Verhör
unterworfen und mir meine Missethat eindringlich
vorgehalten. Ich stellte aber alle Schuld an B.'s
Verwundung in Abrede, obwohl mir das Ver-
gebliche meines Verhaltens bei ben direkt gegen
mich aussagendell und mich als Missethäter be-
zeichnenden vielen Zeugen vorgehalten wurde.
Diese würden mir ihre Aussagen schon iu's Gesicht
sagen, lind dadurch würde ich zu spät erkennen,
wie ich durch mein Jnabredestellen meine Sache
nur verschlechtere, nnb eine härtere Strafe erhalten.
Aber was geschah bei der Konfrontation, die tu
einem besonders angesetzten Ternlin vorgegangen
war? Sämmtliche Zeugen, auch der mit ver-
bundenem Kopf erschieneiw Verletzte, erklärten,
nachdem sic mich von alleil Seiten betrachtet
hatten: das sei der Student nicht, welcher den
B. vor dem Barfüßer-Thor an jenem Sonntag
Abend verwundet habe. Besonders die mit er-
schienenen weiblichen Zeugen und damaligen
Begleiterinnen der Angreifer zeigten sich sehr
entschieden bei ihren Aussagen.
Mit kaum zu unterdrückendem Lächeln nahm
der Prorektor, mit offenbarem Erstaunen und
Mißfallen der Syndikus diese Erklärungen eiltgcgeu.
Nach einigen Tagcil wurde mir das Urtheil ver-
kündet : „Wegen des Verbrechens der Körper-
verletzung von der Instanz entbunden!"
Diesen Erfolg hatte ich den Bemühungen und
Ueberredllugen meiner Freunde nnb Landsleute
(ben Studiosen Karl Merz [vulgo BoromaeusP
Philipp Schultheis [vulgo Laster, der damals
bekannteste Student auf den deutschen Universitäten^
und Joseph von Boxberger [vulgo Papchenj) zil
verdanken. Hatten doch diese alle Mittel und Wege
benutzt, um die (nicht beeidigten) Zeugen und den
Verletzten zu bestimmen, bei der Gegenüberstellung
lliit mir zu erklären: sie kennten mich nicht und
könnten mich als Urheber der Verletzung des B.
nicht erkennen. Freilich war diesen ihre Aussage
wesentlich dadurch erleichtert, daß ich bei der
Gegenüberstellung mit geschorenem Haar, abrasirtem
Bart und ohne Brille erschienen war. An B.
zahlte ich ein ansehnliches Schmerzensgeld und die
Kurtosten, den Zeugeil durch meine Freunde an-
gemesseue Versäumniß- Gebühren, wie es allen
versprochen war. B. bedankte sich anch noch
persönlich bei mir auf meinem Zimmer für die
Zahlung. Am andern Tag bemerkte ich aber,
daß mir von den an der Wand ausgehängten
Pfeifen der Kopf mit dem von Blumenstein'schen
Familienwappen, auf welchem auf der Rückseite
die Worte: „A. von Blumenstein sm. I. Schwank
z. fr. Er. Marburg 1841" standen, fehlte. —
Diese Wahrnehmung theilte ich dem Polizei-
wachtmeister Schmidt, dem sogenannten Eisenschmidt,
mit und brachte das Verschwinden des Pfeisenkopfs
mit B.'s Anwesenheit in Verbindung. Der Wacht-
meister Schmidt entdeckte denn auch meinen
Pfeifeukvpf in B.'s Besitz, als dieser bei Bäcker
Runkel am Markt mit seineil Kumpaneil —
einer sogenannten „Verbindung" — beim Bier
saß und aus einer Pfeife rauchte, an der mein
Pfeifenkopf steckte. Seine Behauptung, der Kopf
gehöre ihm, nützte ihm nichts und hinderte dessen
Wegnahine durch deu Wachtmeister nicht, denn
ailf der Rückseite war zwar der Nanle „von
Blumenstein" weggekratzt, aber die Worte „seinem
Schwank" waren noch deutlich zu lesen. Der
Pfeifenkopf wurde mir wieder zugestellt, und damit
war die Sache erledigt. Er befindet sich aber
jetzt sammt meinen 48 anderen Pfeifen im Besitz
der Hasso-Nassovia auf deren Kneipe in Marburg.
B. wollte sich durch Wegnahme des Wappenkopfs
vielleicht wegen seiner Verletzung entschädigen,
sonnte übrigens froh sein, daß ich ihn nicht zur
förmlichen Anzeige brachte.
Die vorerwähnte Sentenz „von der Instanz ent=
bunden wegen des Verbrechens der Körperverletzung"
wurde in meinAbgangszeugniß eingetragen und wäre
mir bei meinem späteren Fortkommen beinahe ver-
hüngnißvoll geworden. Denn als ich nach abgeleg-
tein Staatsexamen, das ich mit dem Kandidaten
Heinrich Heise zusammen bestanden hatte, mit
diesem beim Staatsrath Bickell, dem Vorstand des
Justizministeriums, zum Eintritt in den Staats-
dienst meldete, erwiderte mir dieser ziemlich ernst,
die Zulassung könne wohl nicht so ohne Weiteres
gewährt werden, sei ich doch wegen eines Ver-
brechens in Untersuchung gewesen. Erst nachdem
ich dem Staatsrath den wirklichen Sachverhalt
auseinandergesetzt und Kandidat Heise dies als
wahr bezeugt hatte, wurde Herr Bickell beruhigt
und sagte, offenbar befriedigt, dann stände meiner
Zulassung nichts im Weg; hätte ich doch als
Student keinerlei Strafen erlitten und liege auch
sonst nichts Nachtheiliges gegen mich vor. Zu
Kandidat Heise sagte aber der Staatsrath, bei ihm
lügen die Verhältnisse anders als bei mir: denn
ihm könne er die Zulassung nicht ertheilen. —
Heise hatte nämlich in seiner Rede am Grabe
des Professor Endemann gesagt: „Endemann
werde im Andenken der Nachwelt fortleben, und
dieses sei ja die einzige und wahre Unsterblichkeit."
Dies griff der Staatsrath auf, um dem H. Heise
die vorstehende Eröffnung wegen seiner ungläubigen
217
Gesinnung, die mit der Stellung eines Staats-
dieners unvereinbar sei, zu machen. Und Heise
kam auch in der That nicht in den Staatsdienst.
Der geist- und kenntnißreiche, mit einer außer-
gewöhnlichen Rednergabe versehene junge Mann
betheiligte sich im Jahre 1848 als exzentrischer
rother Demokrat an der Bewegung, gab mit
Gottlieb Kellner die allgemein gefürchtete „Hornisse"
hcralis, machte sich in vielen darin von ihm
verfaßten Aufsätzen verschiedener Vergehen schuldig,
wurde 1850/51 vom Kriegsgericht steckbrieflich
verfolgt, entkam nach England und starb dort
in Liverpool als Kaufmann am 26. Januar
1860 —.
Ernst Dronke aber, von zierlicher Gestalt und
fast mädchenhafter Gesichtsbildung, die „Idee"
genannt, der im Jahre 1849 als geborener
Koblenzer noch im preußischen Militärverhältniß
stand, wurde wegen nicht erfüllter Militärpflicht
und Betheiligung an den 48er Ereignissen verhaftet
und sollte auf die Festung Ehrenbreitstein gebracht
werden, weshalb er unter militärischer Begleitung
auf einem Dampfer eines Tages rheinabwärts
fuhr. Er gelangte jedoch nicht an den Ort seiner
Bestimmung. Denn in der Nähe einer großen
Rhein-Insel, welche mir der Kapitän des Dampfers,
auf welchem ich 1863 nach Caub fuhr, zeigte,
sprang Dronke über Bord des Dampfers, der ihn
nach Koblenz bringen sollte, ohne daß cs seine
Begleitung verhindern konnte, schwamm an die
Insel, wurde von einem ans deren jenseitigen Ufer-
angelegten Nachen aufgenommen und an das rechte
Rheinufer gefahren. Von dort entkam er in einer
ihn erwartenden Chaise der ihm drohenden Unter-
suchung und Strafe. Er begab sich nach England,
wo er sich ein neues Heim gründete. Nachdem
er vor strafrechtlicher Verfolgung sicher war, be-
suchte er sein Vaterland wieder. Und so traf ich
ihn 1882 in Frankfurt wieder. Er war der
Sohn des Fuldacr Gymnasial-Direktors Dronke,
studirte in Bonn und Marburg, war in Bonn
bei der Palatin, in Marburg bei der Gnestphalia
aktiv, bei letzterer auch im Sommer 1842 erster
Chargirter. Er war ein liebenswürdiger, leb-
hafter, mit viel Verstand begabter Mensch, leichten
Sinnes und voll heiterer Lebenslust; ein echter
Sohn des sonnigen Rheins, von dem ich noch
manchen lustigen Studentenstreich erzählen könnte,
wäre er zur Veröffentlichung geeignet. Er starb
im November 1891 in England.
Modern.
Novellette von H. Keller-Jordan.
(Schluß.)
t
Professor Georg Döhler lag neben der Veranda
in einem Schaukelstuhle und las; es war ein
) neues wissenschaftliches Werk, in dem er
blätterte, aber seine Gedanken konnten sich heute
nicht recht konzentriren. — Er hatte Fräulein
Kunze kommen und gehen hören und erwartete
seit beinahe einer Stunde seine Frau. Es war ihm
nicht ganz wohl seit dem Gespräche am Morgen.
„Georg!"
Gottlob, da war sie.
„Georg!"
„Nun? Ei ei, sieh da in dem Cröme-Kleid,
wie Dil hübsch bist, mein Kind."
„Georg, was hältst Dil von Hauptmann's
,Einsame Menschen'?"
„Ich? Was ich davon halte? Es ist ein
unfertiges, unerquickliches Stück für die Bühne, aber
ein psychologisches Meisterwerk —, alich dramatisch
wirksam."
„Aber konntest Du es begreifen, warum der
Held seine kleine Frau nicht mochte? Doch wohl,
weil sie zu unbedeutend war und die Andere ihm
geistig ebenbürtiger. Warum er sich nicht scheiden
ließ und diese heirathete? Er brauchte sich dann
doch nicht umzubringen."
„Hast Du — hast Du — in diesem Sinne
Deine Besprechung geschrieben, Jvsepha?"
Sic nickte verlegen und setzte sich wie zerschmettert
ans den nächsten Stuhl.
„Aber Kind," sagte Georg, sich erhebend, „dann
hast Du ja das psychologische Problein und den
einsamen, innerlich todteinsamen Menschen gar-
nicht begriffen. — — Du bist freilich so jung,
gut und harmlos, ich konnte mir das gleich denken.
Wie solltest Dll es wissen, daß es solche über-
fein organisirte, beinahe pathologisch belastete
Naturen giebt, die das Leben verwunden muß,
wie es sie berührt? Unser armer Held, glaube
es mir, Josepha, wäre ebenso einsam geblieben,
wenn die Andere seine Frau geworden wäre. Es
ist das verzweifelte Suchen nach Verständniß —,
der Dichter war sich dessen vollkommen bewußt."
„Ich kann nicht recht begreifen, was Du meinst,
dann wäre ja die Handlung überhaupt überflüssig?"
218
„Diese pathologischen Erscheinungen, die sich
mit Ibsen ans unseren Bühnen eingebürgert
haben, sind, leider, Produkte unserer Zeit, Kind,
aber ob es gerathen ist, sie der Masse zugänglich
zu machen, davon bin ich wenigstens noch lange
nicht überzeugt."
„Ich komme immer noch nicht darüber hinweg,"
sagte Josepha mit niedergeschlagenen Augen, „das;
ich überhaupt den Muth haben konnte, mich zn
den Frauen zählen zu wollen, die etwas leisten."
„Zu denen darfst Du Dich mit vollkommenem
Rechte zählen, Josepha."
Sie sah ihren Mann groß und ungläubig an.
„Das ist nicht Dein Ernst, Georg?"
„Mein vollkommener. Die Frau leistet am
meisten in ihrem Berufe als Frau und Mutter.
Die Frau, der dieser Beruf nicht vergönnt wurde,
die hat Recht, zu helfen und zu heilen an den
Schäden der Menschheit."
„Aber Fräulein Kunze —, cs wäre doch schade,
wenn sie geheirathet hätte? . . ."
„Fräulein Kunze ist ein Talent, Kind, und
zwar ein bedeutendes; Talente gehen immer ihre
eigenen Wege."
„Ich will nie mehr schreiben, Georg, nie mehr."
Georg legte den Arm um ihren Leib, schob die
Hand unter ihr Kinn und sah lange in ihr
Gesicht.
„Wir machen Alle zu oft den gleichen Fehler,"
sagte er zärtlich, „wir überschätzen oder unter-
schätzen unser einseitiges Können. Ich habe Dich
auch nicht genug gewürdigt und vermöchte doch
mit allem Wissen nicht zu sein, was Du bist.
Verzeihe mir und laß uns Geduld mit einander
haben."
„Georg, Du bist gut, ich danke Dir. Ich dachte,
Du würdest mich verspotten, und ich warf daher
das Manuskript, das mir Fräulein Kunze als
unbrauchbar zurückgab, gleich in's Feuer."----------
Georg hatte sich wieder in den Schaukelstnhl
niedergelassen, stülpte das Gesicht in die Hand
und sagte nichts.
„An was denkst Du, Georg?" fragte seine Frau
sanft, die Hand ans seine Schulter neigend.
„An Deinen Verein."
„An meinen Verein?"
„Nun ja, ich hätte Dich sogcrn mit mir nach
Florenz genommen."
„Gehst Du nach Florenz?"
„Ich habe dort auf der Bibliothek zu arbeiten
und dachte mir schon, einen Monat vor den Ferien
Urlaub zu nehmen. Es wäre schön, wenn Du
auch bei mir wärest."
„Ja, sehr schön."
„Und nun muß ich doch allein reisen."
Josepha seufzte.
„Aber koinm' zu Tisch, ich denke, es wird servirt
sein", sagte der Professor, die Thürklinke in der Hand.
„Georg!"
„Nun?"
„Ich meine, ich sollte Dich doch nach Florenz
begleiten."
„Aber der Verein?"
„Der Verein —, ja freilich —, ich könnte ja
vielleicht meine Stelle im Vorstande an Fräulein
von Barthels abtreten, sie sprach neulich davon,
daß sie sich so gerne nützlich machen möchte."
„Aber würdest Dll diese Thätigkeit nicht zu
sehr entbehren? Das Große und Ganze---------------"
„Ich glaube, Georg, Du hast mir eine gute
Lehre geben wollen, — und ich — ich habe Dich
verstanden."
„Ich habe eben eine kluge Frau."
„Die besonders herrliche Kritiken schreibt —",
spöttelte sie.
„Aber um so besser auf die Ideen ihres Mannes
einzugehen versteht. Auch mir hast Dn eine gute
Lehre gegeben, Josepha, ich danke Dir! Also
abgemacht, wir reisen nach Italien!"
„Ja, abgemacht."
„Und ohne die grauen Kleider!"
„Ja, ohne die grauen Kleider."
Und er reichte ihr seinen Arm und führte sie
zu Tisch.
Neue Aikbksljkdkp
von A. Trabert.
V.
Lievesscepter.
Wenn Narren schelten mein graues Haar,
Dann träumt mir immer, — und Träume sind
wahr! —:
Ich ward erst gestern geboren
Als König im Reiche der Thoren.
Als gestern mein Lieb mich an's Herz gedrückt,
Da hab' ich das Licht der Welt erblickt;
So ward' ich auch ohne Soldaten
Ein Herrscher, von Gottes Gnaden.
Und wißt Ihr, was seit dieser Frist
Der Scepter meiner Liebsten ist?
Klippklapp! Da seht — der kleine
Pantoffel, wie schmückt er die Feine!
219
VI.
Arautgeschmeide.
Wäre mir ein Thron beschieden,
Eine Krone ließ ich schmieden,
Und ich spräche: Nimm sie hin,
Daß der Krone Diamanten
Laut verkünden meinen Landen:
Kniet vor Eurer Königin!
Oder wenn der Lenz ich wäre,
Ließ ich meine Blüthenmeere
Lieblich wogen um Dich her.
Sonnenglanz und Frühlingslüfte,
Rosengluth und Veilchendüfte,
Liebste, sprich, was willst Du mehr?
Wär' ich gar der Herr da droben,
Welchen Mond und Sterne loben,
Brach' ich Dir, Du schöne Maid,
Drei der hellsten meiner Sterne
Aus der blauen Himmelsferne
Als Dein köstlich Brautgeschmeid.
Doch was brauchst Du all dergleichen?
Weiß ich Schön'res doch zu reichen
Hier ans meines Herzens Schrein:
Was sind Sterne, was sind Kronen?
Liebe kann nur Liebe lohnen;
O so nimm's, was einzig Dein!
VII.
Wie Heist ich Aich kieöe.
Wie heiß ich Dich liebe, wie kannst Du fragen?
Es giebt keine Sprache, Dir's recht zu sagen.
Das wäre ja keine Liebe,
Wenn noch zu sagen es bliebe,
Wie heiß ich Dich liebe.
VIII.
Still, mein Lied!
Still, mein Lied! Du hörst ja, wie
Schon die Jungen knurren.
Schweig' und laß statt deiner sie
Singen oder surren.
Eine schon uralte Zeit
Sahst du nah'n und scheiden,
Seit im Herzen Lieb und Leid
Mir gestimmt die Saiten.
Anders tönt aus junger Brust
Darum jetzt die Note;
Nur die Alten, Lieb und Lust,
Bleiben ewig Mode.
Doch die sind ja noch mir hold,
Und so will ich singen,
Bis im Abendsonnengold
Meine Saiten springen.
Aus Heimatl) und Fremde.
Bei der Landtags-Abgeordnetenwahl
in Marburg wurde der bisherige Abgeordnete
von Trott zu Solz, der sich wegen Beförderung
einer Neuwahl hatte unterziehen müssen, wieder-
gewählt. — Auf der Breslauer Turn-
a u s st e l l n n g, die mit dem VIII. deutschen
Turnfest verbunden war, hat die Kasseler Turn-
geräthefabrik von Heinrich Brink jr. die höchste
Anerkennung des Turnausschusses erhalten. — Der
in Kassel ansässige Bildhauer Jürgensen hat
eine vortreffliche Büste Fritz Renter's geschaffen.
Universitätsnachrichten. Der bisherige
Rektor der Marburger Universität Professor Dr. Graf
vonBandissin hat einen Ruf an die Universität
Berlin erhalten und angenommen. — Bei der
Rektorswahl in Marburg pro 1894/95 wurde
Professor Dr. Th. Fischer gewählt.
Am 31. Juli starb in Neuenhain bei Ziminers-
rode Professor Dr. Johann Karl Glaser aus
Marburg an Folgen eines Herzschlages, der Nestor
der Alma Philippina. Die Universität verliert in
ihm, wie die „O. Z." hervorhebt, einen bedeutenden,
mit reichen Kenntnissen ausgestatteten Förderer der
Wissenschaft, seine Schüler einen wohlwollenden
Lehrer. Professor Glaser wurde geboren am
9. April 1814 zu Neunkirchen (Reg.-Bez. Trier).
Nachdem er das dortige Gymnasium besucht,
widmete er sich dem Studium der Staats- und
Kameral-Wissenschaften. Am 10. Januar 1844
in Halle zum Doktor promovirt, siedelte er in
demselben Jahre nach Berlin über, woselbst er sich
am 17. Oktober habilitirte. Bom 1. September
1855 ab wurde er als ordentlicher Professor der
Staatswissenschaft, des Berwaltungsrechts und der
Politik nach Königsberg und am 12. März 1868 als
solcher an die Marburger Universität berufen, der
er bis zu seinem Tode angehörte. Der Ver-.
blichene hat eine bedeutende Anzahl wissenschaftlicher
Werke theils philosophischer, theils und hauptsächlich
wirthschaftlicher und politischer Natur verfaßt.
In Kassel verstarb, 56 Jahre alt, am 25. Juli
der Direktor des Betriebsamtes Schwerte-Kassel,
Geh. Regierungsrath Joseph Busch, der am
Tage seines Hinscheidens zum Oberregierungsrath
ernannt und designirt war, vom 1. April n. I. ab
220
nach der Umgestaltung der Eisenbahnverwaltung als
Stellvertreter des Eisenbahn-Präsidenten in Kassel
zu sungiren. Zu Bilrgsteinfnrt in Westfalen ge-
boren, widmete sich der Verstorbene dem Studium
der Jurisprudenz und Kamera! - Wissenschaft und
trat kurz nach absolvirtem Staatsexamen zur
Eisenbahnverwaltung über. Nachdem Busch bei
verschiedenen Eisenbahndirektionen als Mitglied
thätig gewesen war, wurde er am 1. Februar 1885
zum Direktor des Betriebsamtes Kassel-Schwerte
ernannt. Er genoß den Rllf eines ebenso tüchtigen
Juristen wie Eisenbahnbeamten. — Am 3. August
starb in Kassel Professor Otto Speyer, früher
Lehrer an der königlichen Gewerbe- und Handels-
schllle. Er war sowohl als Neuphilologe wie als
Naturforscher thätig, verfaßte ein zweibändiges
Werk („Italienische Reisebriefe") und leitete Jahre
lang den Kasseler naturwissenschaftlichen Verein. —
Am gleichen Tage starb der Präsident des könig-
lichen Konsistoriums zu Kassel Freiherr von Trott
zu Solz, der dies Amt seit 1891 bekleidete.
Er war geboren am 11. Oktober 1835, wurde
1861 Obergerichtsrefereudar, 1868 Regierungs-
assessor, war dann bei verschiedenen Verwaltungs-
behörden beschäftigt und wurde 1875 Landrath
in Gelnhausen und 1883 in Fulda. Das Amt
eiues Konsistorialpräsidenten hat er nur drei Jahre
bekleidet. — Einer der bekanntesten Bürger der
Stadt Baltimore, Md., Cigarrenfabrikant
Johann Jakob Requardt, ist im Alter von
79 Jahren gestorben. Er war ans Rinteln ge-
bürtig und im Jahre 1855 eingewandert.
Personalien.
Ernannt r Pfarrer Happ ich in Cappel zum Super-
indenten der Diözese Marburg. — Bankier Karl Pfeiffer,
Inhaber der Firma Louis Pfeiffer in Kassel, zum
Kommerzienrath.
Uebertragen: Dem Silberwaarenfabrikanten Willi
Rodde in Hanau die Stelle eines Mitgliedes der
königlichen Zeichen-Akademie-Direktion daselbst. —
Bestellt: Gerichts-Assessor Stölzel aus Kassel zum
Vertreter des bis zum 1. Oktober nach Berlin berufenen
Staatsanwalts Gans landt in Marburg.
Verliehen: Dem Forstmeister Lappe in Rauschen-
berg bei seinem Uebertritt in den Ruhestand und dem
Kriminal-Polizei-Inspektor Kallmeier in Kassel der
Rothe Adler-Orden vierter Klasse.
Geboren:' Ein Knabe dem Assistenten M. Dölle
und Frau geb. Scheld (Kassel). Ein Mädchen dem Dr.
Mössinger und Frau (Kassel); Franz E. Habicht
und Frau Jda geb. Braun (Chicago).
Vermählt; Georg Ellenberger (Wilhelmshöhe) mit
Fräulein Eleonor Fothergill-Watsvn-Fothergill
(Nottingham).
Gestorben: Oberstlieutenant a. D. Richard von
Hasselbach, 52 Jahre alt (St. Moritz im Engadin,
24. Juli); Fräulein Emilie Ritz mann, 70 Jahre alt
(Kassel, 25. Juli); Eisenbahnbetriebssekretär a. D. Adolf
Thiel, 53 Jahre alt (Wehlheiden, 28. Juli); Louise Koch,
geb. Schönherr, Gattin des Vermessungsrevisors a. D.
Otto Koch, 66 Jahre alt (Kassel, 29. Juli); Henriette
Lange, geb. Schwarz, Wittwe des Oberlehrers Lange,
63 Jahre alt (Kassel, 2. August); Steuereinnehmer a. D.
Friedrich Carl Hahn (Kassel, 2. August); Dr. med.
Albert Hille (Grünberg, 2. August); Oberstlieutenant
z. D. Max Gissot (Saarlouis, 3. August); Professor
Otto Speyer (Kassel, 3. August); Gutsbesitzer Heinrich
P f l ä g i n g, 75 Jahre alt (Obervellmar, 4. August); Freiherr
Ernst Schenk zu Schweinsberg, Erbschenk in Hessen,
91 Jahre alt (Schweinsberg, 4. August); Frau Emilie
von Girvucourt, geb. von Eschstrnth, Majorswittwe
(Kassel, 7. August); Henriette Zillmer, geb. Roland,
80 Jahre alt (Kassel, 9. August); Cigarrenfabrikant I o h an n
Jakob Recquardt, 79 Jahre alt (Baltimore).
Hessische Bücherschau.
Von Julius W. Braunes bekanntem Werk
„Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen"
befindet sich, wie wir Berliner Blättern entnehmen,
der dritte Band unter der Presse. Vornehmlich
wird derselbe uns den eigentlich wissenschaftlichen
Apparat des weit ausgedehnten Unternehmens bringen.
Im Verlag der Hofbuchhandlung von Ernst
H ü h n in K a s s e l erschien in eleganter Ausstattung
ein Band Original-Räthsel von M. Schumacher.
(Preis 2,50 Mark). Es sind nicht mechanische
Erzeugnisse eines ans Erwerb abzielenden Räthsel-
erfinders, sondern die natürlichen Kinder eines
ebenso scharfen wie feinsinnigen Denkers, welcher
eine ernste oder humoristische, stets aber gehaltvolle
Lösung in den Rahmen sprach- und formgewandt
behandelter Verszeilen geschickt zu verhüllen weiß.
Zugegangen ist uns:
DieBnrgHerzberg. Bearbeitet von I. Hallen-
berger, Lehrer zu Hersfeld. Druck von Eduard
Hoehl in Hersseld.
Briefkasten.
H. B. in Fritzlar. Ueber Eobanus Hessus, den be-
rühmtesten lateinischen Poeten des Humanismus, existirt
eine ganze Reihe von Schriften. Empfehlen möchten wir
Ihnen insbesondere das von Dr. Karl Krause her-
rührende zweibändige Werk „Helius Eobanus Hessus, sein
Leben und seine Werke", das 1879 in Gotha bei Friedrich
Andreas Perthes erschienen ist. Sie finden da Alles, was
Sie wünschen.
8. 0. in Treysa. Daß wir der hessischen Familien-
geschichte besondere Aufmerksamkeit schenken werden, ist
selbstverständlich. Wir werden alsbald mit der Veröffent-
lichung zweier Arbeiten vorgehen, die die Geschichte hessischer
Familien behandeln. Beiträge dieser Art werden auch in
Zukunft willkommen sein.
Inhalt des Augustheftes (Nr. 2 des III. Jahrgangs)
der „Touristischen Mittheilungen aus beiden Hoffen,
Nassau rc.", herausgegeben von Dr. phil. Fritz Seelig:
Zu Neustadt an der Saale. — Wanderungen im Thal-
gebiete der Esse I. — Ueber Gasthäuser an der Rhön! —
Der Meißner. — Berichte. — Eine weniger bekannte
Rhöntour. — Bezugsbedingungen. — Anzeigen.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das erscheint am 1. und 15. jedes Monats 1^/2 bis 2 Vogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 17 des „Hessenlandes" : „Wanderlied" von Wilhelm Bennecke; „Philipp der Großmüthige,
Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz (Fortsetzung); „Geschichte der Familie Hille", von Dr. med.
Friedr. Hille; „Wenn die Sonne sinkt", Novellette von E. Mentzel; „Todesgruß", Gedicht von M. Herbert; „Mer
senge ins", Gedicht in Schwälmer Mundart von Kurt Nutzn; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde;
Hessische Bücherschan; Briefkasten; Anzeige.
Manderlied.
ie Erde zu durchschweifen
Giebt wilden, fröhlichen Muth.
Nur was in der fremde pfeifen
Die Vög'lein, dünket uns gut.
Zu lfaus — was für ein Zammerland,
Da ist ein jeder Steg bekannt,
Da ist nichts fremdes, weit und breit,
Das eben ist das Herzeleid;
Druin schnürt' ich meinen Ranzen
Und wand're durch die weite Welt
hindurch, hindurch, wie's mir gefällt,
Zu Welschen oder ^ranzen!
Nur eins, so will inir's dünken,
Giebt uns die Fremde nicht,
Wie ihre Sterne auch winken,
Wie lockend auch strahlt ihr Licht.
Die schönsten grauen, die ich fand,
Sie blühen nur im Heimathland,
So hold, so züchtiglich und rein,
Um's Haupt den blonden Heil'genfcheiu,
Das Sinnbild treuer Minne!
In Gottes ganzer, weiter Welt
Mir nur die deutsche Maid gefällt,
Der Schöpfung Aöniginne!
Wilhekm ILennecke.
222
U
liiiiiiiii - - - j iiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen
1504 1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
cjs\\ einer Berathung über die Aufhebung der
W Klöster und Stifte, über die Verwendung
CT ihrer Einkünfte und über Entschädigung der
Betheiligten wurde vom Landgrafen Philipp am
15. Oktober 1527 ein Landtag zu Kassel ab-
gehalten, der von ben Abgeordneten des Landadels
tlnd der Städte besucht und desseir Beschluß
folgender war: Diejenigen Mönche, die bleiben
und sich dem Studium widmen wollten, sollten
Aufnahme im Kugelhause zu Marburg finden;
den bleibenden Nonnen wurde ein später zu be-
stimmender Ort ausbedungen. Wer austreten
wollte, sollte abgefunden werden und zwar die
Adeligen nach ihrer Mitgift, und falls sie gänzlich
verarmt sein sollten, mit mindestens 100 Gulden,
alle llnadeligen nach ihrem Bedarf. Da die
meisten der vorhandenen Stiftungen von Vor-
fahren des Adels herstammten, so wurde, um
diesen zu entschädigen, die Einrichtung einer Kasse
beschlossen. Aus diesem Fond sollten wenigstens
acht arme adelige Personen jährlich 200 bis
300 Gulden Unterstützung beziehen. Verwaltet
wurde die Kasse von einer aus vier Mitgliedern
des Adels der beiden Fürstenthümer unter Auf-
sicht laudgräflicher Räthe bestehenden Kommission.
Einen Theil der Klostergüter erhielt die zu
errichtende Universität zu Marburg, „daß gute
fünfte und tagend im wesen erhalten werden und
männiglich seine Kinder zu ehren und fugenden
nsziehn lassen mögen". Mit den noch übrig
bleibenden Klostereinkünften ward eine Kasse
gegründet zur Erleichterung der Abgaben, zum
Besten der Armen und zur Befriedigung der
Bedürfnisse des Landes. Diese Kasse war der
Aufsicht zweier landgräflicher Räthe, zweier vom
Adel und zweier von den Städten unterstellt.
Die aus dem Kloster Austretenden wurden ent-
weder durch eine einmalige Auszahlung einer
bestimmten Geldsumme abgefunden, oder es wurden
ihnen Nutznießungen von Fruchtzinsen und Kloster-
einkünften zugewiesen. Anfangs fand nur die
letztere Art und Weise der Abfindung statt, und
nur ausnahmsweise, auf besonderen Wunsch, wurde
eine Abfindungssumme ausgezahlt; erst später
ward die Ablösung der Nutznießung durch Geld
überall eingeführt.
Schon vor der Synode zu Homberg hatten
die Karmeliter zu Kassel ihre Kirche und ihr
Haus, das sie aus Mangel an einlaufenden
Almosen nicht mehr halten konnten, verlassen.
Ihrem Beispiele folgten alsbald die Augustinerinnen
auf dem Ahnaberge, die Kugelherrn zum Weißen-
hofe zu Kassel und die Karthäuser auf dem
Eppenberge bei Felsberg. Verwendet wurden die
Einkünfte dieser Klöster zur Besoldung von
Predigern und Lehrern der neuen Schule zu Kassel
sowie Anfangs auch zur Unterstützung ausgezeich-
neter Gelehrten. Die Wohnung der Augustinerinnen
zum Weißenstein (Wilhelmshöhe) behielt der
Landgraf für sich. Zu Marburg übergaben zuerst
die Kugelherrn ihre Kirche, ihr Hans und ihre
Büchersammlung. Die Dominikaner verzichteten
durch eine Urkunde am 1. Juni 1527 auf ihre
Besitzungen, und Ende Mai 1528 verließen die
Franziskaner die Stadt. Dem Beispiele der
letzteren folgten ihre Ordensbrüder zu Hofgeis-
mar und in anderen Städten. Die Gebäude
der Kugelherrn, Franziskaner und Dominikaner
wurden der neu gegründeten Universität durch
Landgraf Philipp überwiesen.
Ausgestattet wurde die Universität mit den Ein-
künften von neun Klöstern im Ober- und Nieder-
fürstenthum, nämlich des Kugelhauses zu
Marburg, des Automiterhauses zu Grüne-
berg, des Augustinerklosters zu Alsfeld, des
Klosters der Dominikaner zu Treysa, der Bene-
diktinerabtei bei Hasungen mit allen ihren
Nutzungen und Gerechtsamen, Teiche und Fische-
reien ausgenommen, der Nonnenklöster zu Kaldern,
Nordshausen und Wirberg, des Prämonstratense-
223
rinnenstiftes St. Georg bei Homberg; sie erhielt
ferner vier Höfe und Vogteien der Abtei Haina,
zu Singlis bei Homberg, Fritzlar, Alsfeld und
Treysa. Ferner gehörten zu den Einkünften der
Universität 60 Gulden aus dem Deutschen Haufe
zu Marburg, 20 Gulden aus dem Johanniter-
hause zu Nidda, 15 Gulden voin Kloster Arnsburg
und 12 Gulden vom Kloster Hirtzenhain in der
Wetterau.
Die neue Hochschule wurde am 30. Mai
1527 durch den Rektor Ferrarius Montanus
mit der Verpflichtung von 104 akademischen
Bürgern eröffnet. Am 1. Juli 1527 fand
ihre Einweihung durch den Kanzler Feige
statt. Erst später, am 31. August 1529, wurden
ihr vom Landgrafen Statuten sowie wichtige
Privilegien, bestehend in freier Wahl des Rektors,
eigener Gerichtsbarkeit und Freiheit von allen
bürgerlichen Abgaben, Lasten und Zoll, über-
geben; die kaiserliche Bestätigung und Ertheilung
aller Vorrechte der übrigen Universitäten des
Reiches erhielt sie am 16. Juli 1541. Verbunden
war mit der Universität ein Pädagogium für
Lehrer von Kirchen und Schulen. Stipendien
wurden errichtet für 60 Stipendiaten im Gesammt-
betrage von 1847 Gulden. Diese Summe wurde
auf Veranlassung des Landgrafen von 52 Städten
aus den verschiedenen Landestheilen, die sich gn
jährlich bestimmten Geldleistungen verpflichteten,
aufgebracht. Die ersten Lehrer an der Univer-
sität waren für Theologie Lambert, Krafft und
Erhard Schnepf aus Heilbronn; für Rechts-
wissenschaft Jakob Eisermann (Ferrarius Mon-
tanus) aus Amöneburg; für Arzneikunde Heinrich
Urban (Euricius Cordus) aus Simtshausen,
Amt Wetter; für Sprachen und freie Künste
Hermann von Busch aus Westfalen, Sebastian
Nouzen aus Flandern, Johannes Lvnicerus aus
Geschichte der
Von Dr. med.
4jfn der Absicht des Verfassers liegt es durch-
Jy aus nicht, eine vollständige Geschichte der
^ in Hessen seit ungefähr 270 Jahren
ansässigen Familie Hille der Öffentlichkeit
zu übergeben. Nachfolgende Blätter sollen
nur die Chronologie der Familie und kurze
Lebensbeschreibungen einzelner Mitglieder, welche
sich theils um das öffentliche Wohl, theils
um die Familie selbst verdient gemacht haben,
Eisleben, Nikolaus Asklepius Barbatus aus
Kassel, Reinhard Borichius aus Hadamar,
Thomas Zeger aus Kleve.
Die Stifte Kaufungen und Wetter mit allen
ihren Gütern und Gefällen innerhalb und außer-
halb Hessens erhielt die hessische Ritterschaft
(1532). Aus den Einkünften der Stifte sollte
die Aussteuer vermögensloser, sich zur evangelischen
Religion bekennender adeliger Fräulein bestritten
werden.
Vier Klöster wurden durch Landgraf Philipp
zu Landeshospitälern zur Versorgung geistes- und
körperschwacher Armen umgewandelt; für männ-
liche Personen wurden die Klöster zu Haina
und Gronau, für weibliche die zu Merxhausen
und Hofheim bestimmt.
Die Gefälle der Prämonstratenserabtei Spieß-
kappel waren Anfangs den Superintendenten zu
Kassel, Marburg, Alsfeld und Rotenburg zwecks
Unterstützung gering besoldeter Prediger über-
wiesen, mußten von diesen später aber zur Unter-
haltung der Festung Ziegenhain gegen eine Ab-
findung von 1000 Gulden abgetreten werden.
Nach dem Aussterben der Benediktinerinnen
zu Lippoldsberg wurde das Kloster vom Land-
grafen zu einem Siechenhaus eingerichtet, allwo
die Armen des Dorfes Speise erhielten. Der
Ueberschuß der Einkünfte des Klosters wurde zu
Besoldungen des Pfarrers und Lehrers zu Lip-
poldsberg, der Prediger zu Hofgeisniar, Heisebeck
und Oedelsheim, sowie zur Unterstützung armer
Predigerwittwen verwendet. Die Einkünfte des
Klosters der Augustinerinnen zu Höckelheim
wurden, nach dem Anfalle der Plessischen Lande
an Hessen, zur Unterstützung von vierzig Prediger-
wittwen bestimmt.
(Fortsetzung folgt.)
*-•§—----
Familie Hille.
Friedr. Hille.
enthalten. Eine genaue Geschichte der Familie
Hille, welche als Manuskript gedruckt werden
soll, ist seit einer Reihe von Jahren in Bear-
beitung und bis zunl Anfang dieses Jahrhunderts
fertig gestellt, sie umfaßt bis jetzt einen Zeitraum
von ungefähr 190 Jahren und wird nach völliger
Ausnutzung des starken vorliegenden Materials
nach ihrer Vollendung reichlich zehn Bünde
füllen.
224
Die Wiege der Familie in Marburg war die
sogenannte Wolfsburg. An der Spitze des Stein-
weges aus natürlichen Felsen erbaut, war sie
ursprünglich mit einer befestigten Mauer um-
geben und durch einen unterirdischen Gang mit
dem Schlosse verbunden. Sie erschien gleichsam
als ein Vorwerk der Schloßbefestigungen. Im
Anfang dieses Jahrhunderts wurde das schützende
Mauerwerk bis zu einem unbedeutenden Reste
abgetragen, welcher von nun an Hof und Garten
einfaßte. Sechs kleine Kanonen, sogenannte
Katzenköpfe, von denen zwei der Familie erhalten
sind, dienten der eigenthümlichen Befestigung zum
Schutze. Im Jahre 1867 ging dieses Besitzthum
in andere Hände über. Jetzt besitzt die Familie
eine dem Herrn von Ditfurth früher gehörige
Besitzung am Renthöferthor.
A. Quellen.
1. Familienarchiv.
2. Kirchenbücher von Hubenthal-Gertenbach, Hel-
marshausen-Karlshafen, Ermschwerdt, Wetter,
Marburg, Leipzig.
3. Kurfürstlich hessische Staatshandbücher.
4. Frankfurtische Gelehrtenzeitung von 1766.
5. Barren trap.
6. Aufsätze von R u p r e ch t (Hessischer Kalender).
7. Justi, Hessische Denkwürdigkeiten.
8. von Hohenhausen, Biographie des
Generals von Ochs.
9. Ko pp, Almanach, S. 2621.
10. Genealogisches Handbuch bürgerlicher Familien,
II. Band, S. 232 ff.
11. Neue Europäische Zeitung, Nr. 193 vom
6. Dezember 1808.
B. Allgemeines über die Familie.
Urkundlich nachweisbar ist die Familie seit 1550,
wo der Stammvater aus England aus-
gewandert ist und sich auf dem Harz angesiedelt
hat. Ein Enkel dieses setzte sich im Jahre 1630
in Hessen fest, und zwar in Hubenthal,
Kreis Witzenhausen, woselbst er ein Gut der
Herren von Berlepsch zu Lehen nahm. Dieser
Hille ist somit der Begründer der hessischen
Linie geworden, die durch Auswanderung zweier
Nachkommen nach Sachsen im Jahre 1769
eine dritte Linie, die sächsische, bildete. Die
braunschweigische Stammlinie hat sich nach
Hannover verzweigt, steht heute in beiden
Landen in hoher Blüthe und wird in dem
Familienarchiv der hessischen Linie als die b rau n-
schweig-hannöversche Linie bezeichnet.
Die Familie besitzt ein Wappen, dessen im
Jahre 1630 zum ersten Mal Erwähnung gethan
wurde. Das Wappenschild: Blau Und Gold
gespalten, vorn ein von Schwarz und Silber
quer getheilter Adlerflügel, hinten ein Linden-
baum. Helm: ein sechseckiger goldner Stern
zwischen zwei Flügeln, wie im Wappenschild.
Decken: Blau-Gold.
6. Die einzelnen Familienglieder.
Abschnitt I.
Die Familie bis zur Geburt des Jo-
hann Karl Heinrich Gottfried Hille
(1743).
1
3 4
5 6 7 8 9
1. Bertholt» Hille, auf dem zu Braun-
schweig gehörigen Theil des Harzes geboren,
siedelte 1630 nach Hessen über, übernahm als
Oekonom ein Gut der Herren von Berlepsch zu
Lehen, verheirathete sich in demselben Jahre
mit Anna Sidonia von Linden. Aus seiner
Ehe entsproß nur ein Sohn, welcher nach dem
Ableben des Vaters sein Nachfolger in der Be-
wirthschaftung des Gutes wurde.
2. Johann Ludwig Hille, Sohn des Vor-
genannten, dessen Geburts- und Todestag sich mit
Sicherheit nicht feststellen läßt, da nach Mit-
theilungen des verstorbenen Pfarrers Hoffmann
zu Gertenbach zu damaliger Zeit durch die Wirren
des dreißigjährigen Krieges die Kirchenbücher
theils schlecht geführt wurden, theils verloren
gegangen sind. So beginnt das älteste auf unsere
Zeit gekommene Kirchenbuch erst mit dem Jahre
1638. Zwei Kinder sind bekannt (3 und 4).
3. Johann Bert hold Hille. Derselbe war
ebenfalls Oekonvm, verwaltete das Gut Huben-
thal bei Gertenbach, vermählte sich 1716 mit
einer Tochter des Verwalters Schmidt zu Fahren-
bach in Hessen. Aus seiner Ehe entsprossen fünf
Kinder (5—9).
4. Georg Christoph Hille, von welchem
bis jetzt nur bekannt geworden ist, daß derselbe
Amtsverwalter zu Griffstädt war.
5. Johann Christoph Ludwig Hille,
geb. den 13. Juli 1717 zu Hubenthal. Pathen
waren Herr Christoph Mordian von Berlepsch,
Verwalter Schmidt zu Fahrenbach, der Schwieger-
vater, und Johann Wilhelm, ältester Sohn des
Herrn Amtmann Kühne zu Mollenfelde. Der-
selbe vermählte sich mit Christiana Hehnnu aus
Leipzig, welche am 28. Februar 1721 geboren
und am 1. März 1721 in der Thomaskirche zu
225
Leipzig getauft wurde. (Sie erhielt die Tauf-
namen Johanna Christian«. Die Taufzeugeu
sind gewesen Jungfrau Johanna Falkner, Johann
Heinrich Schlegel, Or. ,jur., Jungfrau Christiane
Rosine Dimler.) War Amtmann zu Ermfchwerdt
bis zum Jahre 1750, von da ab bis zu seinem
am 9. August 1760 erfolgtem Ableben Ober-
schultheiß zil Karlshafeu und Helmarshauseu. Er
hinterließ 7 Kinder (10—16).
6. Johanna Sidonia Luise Hille, geb.
den 6. Dezember 1718 zu Hubenthal. Pathen
waren Amtmann Haberstroh auf Berlepsch und
Jungfrau Sidonia Gertrud Schmidtin, des Ver-
walters zu Fahrenbach Tochter.
7. Wilhelmine Katharina Hille.
8. Ernestine Charlotte Hille.
9. Georg Heinrich Hille, Amtsverwalter
der Ballei Thüringiu.
Abschnitt II.
1743—1781, bis zur Theilung der beiden
noch jetzt in Hessen bestehenden Zweige.
10 11 12 13 14 15 16
17 18 19 20 21 22 23 [24 25 26 27 28 s. tt."|
29"30~31 a b c cP
10. Johann Karl Heinrich Gottfried
Hille wurde am 7. Januar 1743 zu Erm-
schwerdt geboren und von Pfarrer Wiskemann
dortselbst am 10. Januar getauft. Zu Taus-
pathen hatte er Amtmann Gottfried Hellwig
Ullrich, Johann Berthold Hille, Amtsverwalter
der Ballei Thüringiu, Jungfrau Ernestine Char-
lotte Hille, des Vaters jüngste Schwester. Er wurde
auf einem Gute der Herrn von der Malsburg er-
zogen, bezog April 1760 die Universität Göttingen
und studierte Rechtswissenschaften, vollendete seine
Studien zu Marburg, wurde am 24. April 1766 da-
selbst zum Licentiaten beider Rechte erhoben. (Frank-
furtische Gelehrten-Zeitung vom 6. Juni 1766.)
Als Justizbeamter war er bis zum Jahre 1776
in Wetter und von da ab als hessischer Rath,
Oberschultheiß und Kriminalrichter in Marburg.
Seine Thätigkeit namentlich an letzterem Orte war
eine sehr ersprießliche und segensreiche für die
Einwohnerschaft Marburgs. So widerrieth er der
Bürgerschaft Marburgs jede Betheiligung beim
Aufstand althessischer Soldaten und Bauern
gegen das französische Gouvernement am 27. De-
zember 1806. Seinem Ansehen und Einfluß
allein gelang es, die Bürger zu beruhigen und
die Stadt vor üblen Folgen zu bewahren.
(Ruprecht, Aufstand hessischer Soldaten und
Bauern.) Am 24. Juni 1817 feierte er im
Rittersaale des Deutschen Haushofes sein fünfzig-
jähriges Dienstjubiläuni. Am Feste betheiligten
sich 109 Personen, welche alle Stände Marburgs
vertraten. Die Stadt und ihre Bürger über-
reichten ihm an diesem Ehrentage eine auf weißen
Atlas gedruckte Widmung, welche die dankbarsten
Gefühle für ihn zum Ausdruck brachte. Nach
seinem am 31. Oktober 1817 erfolgten Tode
wurde er auf dem Friedhofe St. Michael bei-
gesetzt, woselbst ihm die Bürger Marburgs ein
Grabdenkmal errichten ließen, auf welches sie
ganz dem Charakter des Mannes entsprechend
eine einfache Grabschrift setzten. Auf diesen:
steht irrthümlicher Weise als Geburtsort Hel-
marshauseu, wohingegen er laut Taufschein zu
Ermfchwerdt geboren wurde. Während der fran-
zösischen Fremdherrschaft führte er den Amtstitel
6on86rvattzur de« Hypotheques. (lieber sein
Leben siehe Barren trapp.) Er vermählte sich
am 15. November 1767 mit Maria Magdalena
Günste, welche am 22. Mai 1747 als Tochter
des Stiftsvogts Günste zu Wetter geboren war
und ain 24. Mai 1822 zu Marburg starb.
Zwölf Kinder gingen aus seiner Ehe hervor
(17—28).
11. Georg Wilhelm Hille, geb. den
20. September 1744 zu Ermfchwerdt, wurde
denselben Tag vom Pfarrer Wiskemann dortselbst
getauft. Die Tauspathen waren der Großvater
Johann Berthold Hille, dessen Bruder Georg
Christoph Hille in Grisistädt und des Vaters
Schwester, Jungfrau Wilhelmine Katharina
Hille. Derselbe stand von 1770 an bei
einem hessischen Grenadierbataillon in Rinteln
als Lieutenant in Garnison, machte im interi-
mistischen von Loßberg'schen Grenadierbataillon
den Feldzug in Nordamerika mit und siel am
21. Oktober 1777 bei der Erstürmung des Forts
Redbank, wobei auch der Oberst von Donop
den Heldentod starb. Ueber ihn schreibt P f i st e r*),
daß er ihn als einen sehr tüchtigen Offizier in
einem Werk, die Thätigkeit der hessischen Truppen
im nordamerikanischeu Feldzuge betreffend, er-
wähnen und ihn unter den Heldenopsern der
vergeblichen Erstürinung des Forts Redbank am
Delaware ausführen werde. Dort, einige Meilen
unterhalb Philadelphia, auf dem Ufer von
Jersey liegt sein Staub, die Schanze selbst, die
ihm den Tod gab, ist in den Boden zurück-
gesunken. Von ihm sind dreizehn Briefe auf
uns gekommen, welche das hessische Garnisonleben
*) Pfister hat sein Werk über den Feldzug nicht
vollenden können.
226
schildern und seine Erlebnisse während des Feld-
zuges uns vor Augen sühren.
12. Elisabeth« Friederika Hille, geb.
den 30. September 1749 in Ermschwerdt,
wurde am 5. Oktober getauft. Pathen waren
Frau von Buttlar von und zu Elberberg und
Hauptmann von Buttlar.
13. Johann Friedrich Hille, geb.
den 11. Oktober 1752, getauft von Pfarrer
Deiermann zu Helmarshausen, siedelte 1769
nach Sachsen über. Seine Pathen waren Frei-
herr von Oeynhausen und Kaprtän von Stock-
hansen.
14. Johann Heinrich Hille, geb.
den 15. August 1754 zu Helmarshausen, eben-
falls von Pfarrer Deiermann getauft am
18. August 1754. Gevattern war Heinrich Ludolf
Heinsius, zeitiger Amtmann auf Sababurg, und
Johann Heinrich Nden, Amtsschreiber in Lauenförde.
15. Johanna Friederike Maria Er-
nestine Hille, geb. den 30. August 1759 zu
Helmarshausen.
16. Henriette Martha Luise Hille,
geb. den 27. Oktober 1760 zu Helmarshausen,
zwei Monate nach dem Tode des Vaters, ge-
tauft von Pfarrer Lapp daselbst am 2. No-
vember 1760. Pathin war Jungfrau Henriette
Martha Luise Uden von Lauenförde. Gestorben
im August 1762.
(Fortsetzung folgt.!
---------------
Wenn die Sonne sinkt
Novcllette von E. Mentzel.
„Ihre Alifgabe in Walter's Leben war erfüllt.
Sie hatte in einer trostlosen Zeit die Trieb-
federn seines Geistes neu in Bewegung ge-
setzt, hatte die fast erstarrten Keime in ihm durch
die Macht ihres bezaubernden Wesens belebt und
an's Licht gezogen und sein verbittertes Gemüth
wieder besseren Regungen zugänglich gemacht.
Wie dankbar war er dem edlen Mädchen dafür,
wie tief beklagte er es, ihre Hoffnungen zerstören,
ihrem Herzen ein schweres Leid zufügen zu
müssen! Allein, durfte er sie belügen? War er
ihr nicht die Wahrheit, nicht ein offenes Be-
kenntniß schuldig? Ludmilla war eine große
Seele, sie mußte es begreifen, daß seine damals
krankhaft erregte Phantasie für Liebe nahm, was
doch nur ein Bedürfniß nach verständnißvollem
Austausch, nur ein fieberhafter Wunsch seines
unbefriedigten Herzens gewesen war. Jeder Tag
erhöhte Walter's innere Qualen, zeigte ihm deut-
licher, daß er von dem holden jungen Geschöpf
nicht mehr lassen konnte, dessen Liebe ihm wie
ein freiwilliges Geschenk der Götter zu Theil
wurde. Der milde Stern der Erkenntniß ging
über seinem Dasein auf, während die Sonne der
Leidenschaft hinter Wolken versank, die Schatten
sich länger streckten und manche schimmernde
Lüge ihren Glanz verlor wie Staub, der in der
Sonne flimmert, aber farblos wird, wenn deren
letzte Strahlen im Nebelmeere versunken sind.
Nur noch wenige Tage waren es bis zu Ludmilla's
Rückkehr aus Italien. Wenn Walter seine Schuld
nicht noch vergrößern und an Adelens kindlicher
Seele kein Verbrechen begehen wollte, durfte er
nicht länger in diesem Zwiespalt verharren.
Endlich fand er denn auch den Muth, an
Ludmilla schreiben. Er legte ihr ein rückhaltloses
Gestündniß ab, beschönigte seinen Wankelmuth
nicht, vertraute aber auf die Einsicht ihres klaren
Geistes, den eine Täuschung nicht beglücken, aber
die Wahrheit für das Zerflattern eines trügerischen
Traumes sicher entschädigen konnte. Hatte ihn
Ludmilla wirklich mehr geliebt, als Walter sich
jetzt zugestand, so war sie doch nicht mehr so
jung, um von diesem Bruch tödtlich getroffen zu
werden. Auch gehörte sie, wie er immer klarer
erkannte, nicht zu den Frauen, deren Herz an
einem Wahn hängen bleibt und sich in heimlicher
Bitterkeit verzehrt. Sie besaß die glückliche Gabe,
mit etwas abschließen zu können, und hatte ja
ein geliebtes Kind, das sicher bald die Lücke in
ihrem Herzen ganz ausfüllte.
Walter hatte sich in Ludmilla nicht getäuscht;
sie antwortete ruhig und gab ihm das Wort
zurück, das er ihr vor einem Jahre in ver-
blendeter Leidenschaft aufdrängte. Auch sie war
während der Trennung eine Andere geworden.
Er las es zwischen den Zeilen und fühlte, daß
er auch für sie ein erlösendes Wort gesprochen
hatte. Kein Schimmer von Bitterkeit klang aus
ihren Worten, kein Vorwurf fiel zerstörend in
das Paradies seines neuen jungen Glückes.
,Wenn die Sonne gesunken ist, zeigt sich, was
eitler Trug war', schrieb sie ihm, .inan soll
keine Lüge verlängern und der Wahrheit selbst
227
für dm härtesten Dienst dankbar sein. Lebe wohl
und werde glücklich? —
Als sich die beiden Menschen einige Jahre
später zufällig wiedersahen und beim gegenseitigen
Erblicken weder Bitterkeit noch Haß in sich auf-
steigen fühlten, auch ihr Herz nicht mehr in
heftigerem Schlage laut pochte, da wußten sie,
daß auch sie zu den Personen zählten, die warmes
geistiges Verständniß in einen verhängnißvollen
Irrthum gelockt, doch ein muthiges Bekenntniß
zu rechter Zeit vor einer großen Gefahr und
endlosen Qualen behütet hatte." — — —
Noch einmal las die junge Dame die beiden
letzten Seiten des soeben erschienenen Romans
„Ein Wahn" von dem berühmten Schriftsteller
Ernst Derwall. Dann jedoch warf sie den Band
fast unwillig auf den Gartentisch und sah in
die weite schöne Landschaft hinaus. Die Sonne
stand noch am Himmel, aber der feuchte Abend-
dunst schwebte bereits über den Wiesen und hing
an die Weiden neben dem Bache zarte, schimmernde
Schleier. Bon einem warmen West bewegt,
nickten die Blumen, schwankten die Wipfel der
alten Eichen, deren dunkle Schatten sich am
Waldesrande scharf von dem hellbeleuchteten
Grün der Wiesen und dem Feuerglanz der röth-
lichen Sonnenstrahlen abhoben. Aus der Ferne,
wo ein Höhenzug sich wie eine grüne Wand
erhob, glänzten die Dächer und Fenster eines
Dörfleins herüber, während die vielfach ge-
wundene Schlange eines kleinen Flusses hell-
glitzernde Lichter auf die ersten zarten Schleier
der Dämmerung warf.
Eine Weile sah Konstanze Berlett noch ernst
und gedankenvoll in die wunderbar beleuchtete
Ferne, dann nahm sie das auf dem Tische
liegende Skizzenbuch wieder zur Hand und begann
zu zeichnen. Hatte ihr Künstlerauge noch einen
Eindruck aufgesaugt, einen Gegenstand ersaßt,
den sie festhalten wollte, oder war es ihre Absicht,
die marternden Gedanken und qualvollen Fragen
durch Arbeit zu verscheuchen? Ihre sonst sichere
Hand zitterte. In nervöser Hast fuhr der Stift
über das Papier, blickte sie bald in die Land-
schaft hinaus, bald auf den Roman, dessen
goldner Titel in der Abendsonne erglänzte. Der
nicht sehr starke Band mußte ihren Frieden ver-
scheucht haben und die Ursache ihrer ungewöhn-
lichen Erregung sein. Mit einem raschen Stoß,
als wolle sie unsichtbare Geister von sich zurück-
weisen, schob sie ihn jetzt vom Tische und achtete
nicht darauf, daß er, anstatt auf die Bank ihr
gegenüber, in's Gras fiel. Konstanze athmete
tief und schüttelte mehrmals den Kopf, daun
jedoch flog ein Lächeln über ihre verdüsterten
Züge und klärte sie auf. Augenscheinlich war
ein Gedanke in ihr aufgeblitzt, der den Sturm
in ihrer Seele beschwor und alsbald wieder
ihrein edlen Antlitz den Ausdruck inneren Friedens
zurückgab. Ruhiger zeichnete sie weiter, zauberte sie
mit genialen Strichen einen Theil der Landschaft
auf das Papier, deren Schönheiten in der eigen-
thümlichen Beleuchtung doppelt scharf hervortraten.
Jetzt kam eine ältere Dame aus einer im
Schweizerstile erbauten Billa. Diese lag an der
aufsteigenden Landstraße und beherbergte eine
Anzahl Sommerfrischler in ihren Räumen. Erst
seit einigen Jahren war die gute Luft des
hessischen Dorfes durch die Empfehlung eines
bekannten Arztes berühmt geworden. Bald darauf
wurden auf der sogenannten Höhe ein Paar-
Villen erbaut, die zwar eine einfache Einrichtung
hatten, jedoch immerhin den modernen Be-
dürfnissen mehr genügen konnten als die dumpfen
Stuben der Bauernhäuser im Thäte. Es hielten
sich in der guten Jahreszeit meist solche Leute
in dem Dörslein auf, die wirklich der Erholung
bedürftig waren und das Leben in frischer Berg-
luft und schöner Natur allen anderen Genüssen
vorzogen. Abgeschieden von der Welt lag der
Ort freilich nicht. Der Schienenstrang einer-
bedeutenden Eisenbahn zog sich durch seine Ge-
markung; auch eine Haltestelle für die Bummel-
züge war seit einem Jahre am Eingang in das
Dorf errichtet worden. Dieser Fortschritt störte
aber die idyllische Ruhe auf der Höhe keineswegs,
er gab vielmehr dem ländlichen Aufenthalte
noch einen höheren Grad von Beruhigung. War
man doch jetzt wenigstens im Stande, die nächste
Station der Schnellzüge leichter zu erreichen.
„Guten Abend, mein liebes Fräulein", sagte
die alte Dame freundlich. Sic war inzwischen
näher gekommen und hatte der Künstlerin aus
der Ferne so lange zugesehen, bis diese den
Stift bei Seite legte.
Konstanze erhob sich und dankte. Dann
wollte sie ihr Skizzenbuch zuklappen, aber die
Hausgenossin legte die Hand auf ihre Schulter
und fragte: „Darf ich nicht einmal sehen, was
Sie gezeichnet haben?"
„O gewiß!" gab Konstanze ohne Ziererei
zurück. „Aber wollen Excellenz nicht erst Platz
nehmen?"
„Wenn ich nicht störe, gerne. Sie wissen,
mein Fräulein, ich liebe nicht nur Ihre schönen
Bilder und Zeichnungen, ich finde auch großen
Genuß au Ihrer Unterhaltung. Und es ist sehr-
gütig von Ihnen, daß Sie einer alten Frau,
wie ich bin, schon so manche kostbare Stunde
228
opferten, während die Herrn Verehrer sich ver-
geblich nach einer solchen Gunst sehnten."
In Konstanzens Wangen, die heute blässer
waren als sonst, schoß dunkles Roth. „Aber ich
bitte Sie, Excellenz, der Vortheil ist ja ganz
auf meiner Seite!" sagte sie mit anmuthiger
Bescheidenheit, derweil die Generalin staunend
die eben entworfene Skizze betrachtete.
„Wundervoll! — Poetisch aufgefaßt und
natürlich wiedergegeben!" rief diese jetzt, derartig
von der Zeichnung gefesselt, daß sie gar nicht
daran dachte, Konstanzens höfliche Bemerkung
zurückzuweisen. „Wie Sie den duftigen Zauber
zu bannen wissen, der gegen Abend über eine
solche Landschaft gebreitet ist! Wie fein und
doch wie sicher die Luftlinien gezogen sind! Aus
dieser Skizze werden Sie sicher ein ebenso schönes
Bild schaffen, wie es jene italienische Landschaft
war, die auf der letzten Münchener Ausstellung
so großes Aufsehen erregte!"
„O, wenn ich Muße habe, hoffe ich bald etwas
Besseres zu leisten als jenes Bild, dem man
wirklich zu viel Ehre erwies."
„Nun, darüber wollen wir nicht streiten, liebes
Fräulein! Aber bleiben Sie nur bei Ihrem
Vorsätze! Wer sich nicht genug thut, ist auf
dem besten Wege, Großes zu erreichen. An
Muße wird es Ihnen hoffentlich nicht fehlen."
„Wer weiß, Excellenz?" gab Konstanze ernst
zurück und bedeckte einen Augenblick ihr feines
Gesicht mit der Rechten.
„Was geht nur in Ihnen vor, mein liebes
Fräulein?" fragte die Generalin betroffen. „Seit
etwa einer Woche sind Sie nicht mehr die Alte,
verloren Sie alle Heiterkeit und lassen sich von
elegischen Stimmungen beherrschen! Sie haben
vielleicht selbst keine Ahnung davon, welche Ver-
änderung mit Ihnen vorgegangen ist."
„Allerdings nicht, Excellenz", versetzte Konstanze
verwirrt und wich den forschenden Blicken der
alten Dame aus.
„Dann ist es ja vielleicht gut, wenn ich Sie
darauf aufmerksam mache. Ein heiteres Wesen
steht Ihnen so schön, daß man es nur ungern
an Ihnen vermißt. Ach, und Sie haben doch
alle Ursache, froh und glücklich zu sein! Sie
leben in gesicherten Verhältnissen, sind eine ge-
achtete Künstlerin —, ein gefeiertes junges
Mädchen! —"
„Excellenz wissen doch, daß ich im Frühjahr
dreißig werde", schaltete Konstanze anmuthig
lächelnd ein.
„Was will das heißen?" fuhr die Generalin
lebhaft fort. „Eine Dame von dreißig Jahren
und von Ihrer Bedeutung besitzt ganz andere
Vorzüge als ein junges unentwickeltes Wesen."
Gerne hätte die wohlmeinende Frau noch hinzu-
gefügt, daß es ja in ihrer Macht stünde, das
ältere Mädchen baldigst in eine junge Frau
umzuwandeln. Allein sie hielt es für taktlos,
nochmals für Baron Firnstetten ein gutes Wort
einzulegen, weil die Künstlerin sich in diesem
Fall das letzte Mal vollständig unzugänglich zeigte.
Konstanze unterdrückte einen Seufzer, der ihrem
gepreßten Herzen entfliehen wollte, und sagte
heiter: „Excellenz mögen — ganz abgesehen von
mir — gewiß Recht haben. Jedoch meiner Ansicht
nach giebt es nun einmal nichts Schöneres als
die frische, unentweihte Jugend, die nicht lange
nach Vorzügen gefragt und um ihrer selbst
willen geliebt wird."
Kaum hatte Konstanze diese Aeußerung gethan,
da kam ein junges Mädchen in lichter Kleidung
eilig die Landstraße herab. Ein runder Sommer-
hut mit einem Feldblumenkranz bedeckte ein wenig
das reizende madonnenhafte Antlitz, in dessen
Zügen der Ausdruck glückseliger Erwartung lag.
So sehr war das junge Mädchen in sich ver-
sunken, daß es die beiden Damen im Garten gar
nicht bemerkte und fröhlich vor sich hinlachte, als
es mit heimlicher Wonne an die Freuden der
nächsten Stunden dachte. «Fortsetzung folgt.!
Todtsgruß.
Es überkommt im gold'nen Juli oft
Ein Herbstgefühl den Menschen, seine Seele,
Weiß, daß der glühend heiße Sonnenstrahl
Den Kuß der Reife auf die Frucht gedrückt,
Und bald ist eines Jahres That geschehn.
Nur eine Ahnung ist's von dem Vergehn,
Ein schauernd Zittern auf des Herzens Grund,
Ein Händefalten und ein Niederschauen,
Als ob Dein Fuß bewußtlos, ungefähr
Getreten hätt' aus ein verrastes Grab.
Es ist ein Lauschen auf den Schritt der Zeit,
Der unser Ohr mit eh'rnem Schalle mahnt.
M. Leröerl.
229
Mer senge ins?)
<Schwälmer M u n d a r t.)
Im Kerchdorir^) seng Glocke,
Die Küre3) so schieb)
Meng Müje well locke
Mich scho i dr Frieh.
Scho her°) ich seng Loche. —
Bos soll6) ich do mache?
Dvtt enge dr Stohre ^)
Flißt drührig ö driew.
Kin Rehleng kann röre,
Bies stet3) em die Liew. —
„Schie Mäje, bos menste 'ch,
Bos lachst du vffs Scheuste?"
„Es laire die Glocke,
Du sichst wnll ee Braut?
Dos Deng höt in Hocke",
So neckt es mich läut.
„Ö du wüll in Braijam?" —
■ Do stich ich scho beijem?3)
Kurl Muhn.
') Wir finden uns, ') Kirchthurm, s) läuten. 4) schön,
5) höre, 6) soll, ’) dort unten das Wasser, s) kein Röhr-
ling (= Frosch) kann rathen, wie es steht, 9) weinest Du,
I0) „—Du suchst wohl eine Braut? Das Ding hat einen
Haken", so neckt es niich laut. „Und Du wohl einen
Bräutigam?" — Da stehe ich schon bei ihm.
Aus alter und neuer Zelt.
Der Landgraf und fein Hofbäcker.
Die fürstlichen Hofhaltungen waren in früheren
Zeiten höchst einfach imb glichen mehr den häus-
lichen Einrichtungen begüterter Grundbesiher der
Jetztzeit. So war es an dem Hofe des Land-
grafen Wilhelm des Weisen Sitte, daß das
Getreide von den herrschaftlichen Fruchtböden ent-
nommen wurde und in die Mühle wanderte, von
wo es dann als Mehl in den Speicher des Hofs
getaugte und der Hofbücker es erhielt, um daraus
Jahr aus, Jahr ein das Brot für die Hofhaltung zu
backen. Da ist es beim vorgekommen, daß der
Landgraf einstmals zur Zeit tiefer Abenddämme-
rung einen Gang durch die Schloßräume machte
und auch an dem Mehlspeicher vorbeikam, worin
er einen Menschen gewahrte, der sich abmühte,
einen großen gefüllten Sack aufzuhocken. Als dieser
den Landgrafen, den er in der Dämmerung für
einen gewöhnlichen Hofbediensteten hielt, sah, ging
er ihn an, ihm bei seinem Vorhaben behülslich zu
sein, was Jener denn auch bereitwilligst that.
Ter Landgraf aber, der seinen Hofbäcker erkannt
hatte, fragte: „Was hast Du denn eigentlich in
dem Sacke, guter Freund?"
„Kleien. — Da es mir an Futter für meine
Schweine fehlt, habe ich gedacht, der Landgraf
hat deren übergenug, und es wird ihm auf ein
Sücklein mehr oder weniger nicht allkommen."
„Warum llimmst Du aber da nicht gleich einen
Sack Mehl? Mehl futtert doch ilngleich besser,
als die leichte Kleie!"
„Das wäre nicht recht! Weißt Du, man nulß
die Herren genießen, aber auch bei Brote lassen!"
Mit den letzten Worten keuchte der Bäcker davoll.
Am andern Morgen ließ der Landgraf beu
Bäcker vor sich kommen uub sagte zu ihm:
„Hättest Du mir gestern Abend Mehl statt der
Kleie genommen, ließ ich Dich heute hängen; so aber
sollen Dir künftig die Kleien für Deine Schweine um-
sonst gegeben werden!" Und dabei blieb es. f
„Falsch wie Galgenholz" nennt das
Bolk einen falschen Menschen. Vielleicht ist
manchem Leser dieser Blätter nicht bekannt, welchen
Ursprung diese Redensart hat.
Johann Graf von Nassau, genannt der Hau-
bener, hatte 1416 den Landvogt des Landgrafen
Ludwig des Friedsamen, einen Herrn von Riedesel,
im Frieden überfallen und als Gefangenen weg-
geführt. Der Landgraf übernahm, entrüstet über
diesen Vorfall, einen Einfall in das Land Nassau,
um seinen getreuen Diener zu befreien, schlug beu
Grafen von Nassau in einem Gefecht bei Herborn
und ließ das erbeutete Panier des Besiegten zu
Marburg in der Kirche der heiligen Elisabeth
aufhängen. Die Anzahl der Gefangenen war so
groß, daß die Verließe von Marburg, Biedenkopf,
Blankenstein und Königsberg sie kaum zu fassen
venmochten. Unter diesen befand sich and) ein
Mann Namens Fritz G a l g e n h o l z, welcher
dem Grafen Johann Kundschafterdienste geleistet
hatte und diesen Verrath jetzt mit seinem Leben
büßen mußte. Die Untreue dieses Landesverräthers
war aber in Hessen damals etwas so Unerhörtes und
erregte ein solches Aufsehen, daß sie alsbald zu einer
Redensart wurde, die nock) heute im Volksmund
lebendig ist und sprichwörtlick) wurde. S.
Nur ein B e s e nb i n d e r. Als im Jahre
1793 Landgraf Wilhelm IX. 8000 Hessen unter
dem Kommando der Generallieutenants von Wurmb
und von Buttlar, denen später, im Oktober des-
selben Jahres, noch weitere 4000 Mann unter
dem Kommando des Generalmajors, späteren Ge-
nerallieutenants von Hanstein folgten, nack)
Flandern schickte, damit sie mit den Euglündern
und Holländern gegen die Franzosen kämpften,
wurde ein hessischer Gefreiter in ein Schloß
gelegt, das den Hessen bei deren siegreichem Vor-
dringen im Rücken lag. Am anderen Tage wurde
das hessische Korps von den Franzosen wieder
zurückgedrängt, sodaß dasselbe wohl einer: Tage-
marsch hinter das nur mit sieben Mann besetzte
Schloß marschirte, ohne daß der Gefreite mit
seinen sechs Mann in der großen durch das Zurück-
weichen entstandenen Verwirrung abgelöst wurde.
Und er verharrte ans seinem Posten, trotzdem daß
er bei dem unaufhaltsamen Vordringen einsah,
daß sein Widerstand vergeblich sein würde. Ein-
gedenk seiner Verpflichtung als Schloßkommandant
wollte er sich so lange und so gut, als in den
Grenzen der Möglichkeit lag, mtf seinem Posten
halten. Und in diesem seinem Bewußtsein treuer
Pflichterfüllung und getreu seinem geleisteten
Fahneneide traf er rasch seine Maßregeln. Er-
stellte seine sechs Mann auf die Mauern und
Wälle, wo sie der Feind sehen mußte, und befahl
ihnen auf diesem Posten zu verharren, aber nicht
zu schießen, während er selbst auch einen Posten
übernahm. Als der heranrückende Feind die
Wachen aus Wall und Mauer erblickte, sonnte er
nur annehmen, daß der Platz besetzt sei und ließ
deshalb ein Beobachtungskorps zurück. Die Be-
lagerung der Eingeschlossenen dauerte aber zum
Glück nicht lange, weil die Franzosen bereits am
folgenden Tag wieder zurückgeworfen wurden.
Nun konnte der Gefreite das seiner Obhut an-
vertraute Schloß der zur Ablösung beorderten
Abtheilung unversehrt überliefern. Nach Rückkehr
aus dem flandrischen Krieg wurde der tapfere
Gefreite dem Landgrafen vorgestellt. Dieser lobte
ihn wegen seilles Verhaltens nnb sagte, er wolle
ihn zum Offizier ernennen. Unser Gefreite erklärte
aber, er könne diese Beförderung nicht gut an-
nehmen, da er nicht genug gelernt habe, um sich
mit den Herren Offizieren gehörig benehmen zu
können; er sei zu Hause seinem Geschäft nach
Besellbillder und habe auch eine Frau und fünf
Kinder. Der Landgraf stand hierauf von seinem
Vorhaben ab und bedachte den Gefreiten mit einem
ansehnlichen Geldgeschenk. S.
Aus Hermath und Fremde.
Am 20. August, als am Geburtstage des
Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von
H essen, war — wie alljährlich — dessen Grab-
stätte aus dem alten Friedhofe überaus reich mit
Blumen geschmückt. Prachtvolle Kränze mit roth-
weißen Schleifen hatten außer den Angehörigen
der fürstlich Hanauischen Familie niederlegen
lassen: die Frau- Prinzessin Moritz von Sachsen-
Altenburg, der Herzog von Sachsen-Meiningen,
der Landgraf Alexis von Hessen-Philippsthal, der
Fürst zu Jsenburg-Büdingen-Wächtersbach, sowie
die Gräfin Lndovika von Schaumburg. Ebenso
waren zahlreiche Kränze von Mitgliedern des alt-
hessischen Adels sowie ans der Bürgerschaft nieder-
gelegt worden.
Die 60. Jahresversammlung desBereins
für hessische Geschichte und Landeskunde
in Hanau wurde am 28. August Abends durch
einen vom dortigen Geschichtsverein, der gleichzeitig
sein fünfzigjähriges Bestehen feierte, in den Sälen
der Zentralhalle veranstalteten Festkommers
eingeleitet. Dem verdienten Vorsitzenden des
Hanauer Vereins, Herrn Dr. Suchier, wurde bei
dieser Gelegenheit seine vom Gesammtvorstand
beschlossene Ernennung zum Ehrenmitglied durch
den Vorsitzenden desselben, Herrn Bibliothekar
Dr. Brunner, verkündet. — Am 29. Vormittags
fand die Hauptversammlung in dem Saale
des Stadtschlosses statt. Auf die warme Be-
grüßung von Seiten des Oberbürgermeisters der
Stadt Hanau, Herrn Dr. Gcbeschus, erwiderte
der Vorsitzende, Herr Bibliothekar Dr. Brunner,
dankend. Alsdann erstattete der Schriftführer, Herr
Dr. Scherer, den Jahresbericht, der ein anschauliches
Bild reger und vielseitiger Vcreinsthätigkeit bot.
Der Kassierer, Herr Professor Lenz, konnte über
einen günstigen Stand der Kasse berichten. Durch
Akklamation wurden hierauf die Mitglieder des
Kasseler Hauptansschusses, die zugleich den Kasseler
Vorstand bilden, nämlich die Herren Bibliothekar
Dr. Brunner, (Vorsitzender), Landesrath Dr. Knorz
(stellvertretender Vorsitzender), Dr. Scherer (Schrift-
führer), Professor Lenz (Kassierer), Major a. D.
v o n L ö w e n st e i n (Bibliothekar) und Dr. B ö h l a u
(Konservator), wiedergewählt. Als Ort der nächsten
Jahresversammlung wurde Ziegen Hain bestimmt.
Mit Rücksicht aus die Kürze der Zeit war im
Einverständnisse mit dem Referenten der Vortrag
über Moscherosch (Pros. Dr. Wackermann) von der
Tagesordnung abgesetzt worden, und es erhielt
Herr Landgerichtsrath Dr. Brandt das Wort zu
seinem Vortrage über die Landgräfin Amelia
Elisabeth von Hessen. In überaus licht-
voller und fesselnder Darstellung und anmnthender
Vortragsweise entrollte der Vortragende ein
ausführliches Bild des Lebens dieser edlen
Fürstin. Reicher Beifall lohnte den Redner.
Nach Schluß der Hauptversammlung fand musi-
kalischer Frühschoppen im Stadtpark statt, hiernach
wurden unter kundiger Führung die Sehenswürdig-
keiten Hanaus besichtigt, und Nachmittags vereinigte
ein Festmahl die Festbesucher wieder im großen
231
Saale der Zentralhalle. — Mittwoch den 29. August
wurde Vormittags das Schloß Philippsruhe in
Augenschein genommen. Den glänzenden Abschluß
aller Veranstaltungen bildete ein Mittags mit Damen
unternommener Ausflug nach Aschaffenburg. —
Der Jahresversammlung wohnte Herr Regierungs-
präsident Graf Clairon d'Haussonville
bei. Dieselbe hat einen in hohem Grade be-
friedigenden Verlaus genommen und anregend,
belehrend und näherbringend im besten Sinne
gewirkt.
Das Festspiel „Gustav Adolf", vou unserm
hessischen Landsmann Franz T r e l l e r her-
rührend, wird Ende Oktober d. I. in Kassel zur
Aufführung gelangen. In einer zahlreich besuchten
Versammlung, die am 17. August im evangelischen
Vereinshause zusammentrat, wurden alle noth-
wendigen Schritte bereits eingeleitet. Ein Gesammt-
ausschuß, an dessen Spitze Generalsuperintendent
Fuchs steht, wurde ernannt und ein Garantie-
fonds sofort gezeichnet.
Kürzlich faitb die feierliche Einwei h u n g des
vom Knüllklub aus dem Eisenberg bei Frie-
lingen errichteten Aussichtsthurmes statt. Die
Theilnahme aus der Umgegend war trotz des
Regenwetters eine sehr große. Zur Ehrung der
Verdienste, die sich Forstmeister Borgmann in
Oberaula um das Zustandekommen des Werkes
erworben hat, wurde der Thurm „Borgmanns-
thurm" geuannt. — In Neustadt hat sich ein
Zweigverein des Oberhessischen Touristen-
vereins gebildet.
Die Besucher der Gewerbehalle in Kassel
haben, — so wird dem „Kasseler Tageblatt" ge-
schrieben —, in letzter Zeit Gelegenheit gehabt,
eine S a m m l u n g von g l a s i r t e n T h o n -
waaren dort zu finden, die bei ihrer Origi-
nalität und guten fertigen Wirkung trotz ihrer
einfachen Herstellungsweise jedem Kenner Freude
bereitet haben werden. Es sind Schüsseln, Töpfe,
Vasen, überhaupt Geschirr aller Art mit meist
rother, dunkelbrauner oder blaugrauer Grundfarbe,
wie solches früher in Marburg und seiner Um-
gebung allgemein üblich war. Es ist sehr erfreulich,
daß diese althessische Art keramischer Erzeugnisse
nicht vollständig untergegangen ist und, durch die
neue Strömung im Kunsthandwerk gehoben, wieder
zu neuem Leben erweckt wurde. Denn auch die
lebhafte Nachfrage nach den Gegenständen beweist,
daß man die Vorzüge der ausgestellten Thonwaaren
zu schätzen weiß. Die Herstellung geschieht derart,
daß zunächst die Grundform auf der Töpferscheibe
ausgeführt und diese nach dem Trocknen zunächst
mit den Grundfarben bedeckt wird. Dann werden
die plastischen Verzierungen für sich aufgesetzt,
woraus die weitere Bemalung, die Glasirung itub
das Brennen im Ofen erfolgt. Wer Gelegenheit
gehabt hat, die Sicherheit zu beobachten, mit
welcher Herr Schneider son. —, denn mit den
Erzeugnissen dieser Marburger Töpferfamilie
haben wir es hier zu thun -, die Bemalung
nicht etwa mit einem Pinsel, sondern mit kleinen,
nach unten stark erweiterten und am Boden mit
einem Federkiel als Ausflußröhre versehenen
Farbentöpschen ausführt, wird daran seine ganze
Freude gehabt haben. Wir können nur hoffen,
daß diese Töpferwaaren, von welchen diejenigen
die stilvollsten zu sein Pflegen, welche möglichst
in der altüblichen Weise ausgeführt sind, sich
immer mehr Freunde erwerben, da sie, neben ihrer
praktischen Verwendbarkeit, einen sehr geeigneten,
ebenso eigenartigen als hübschen Schmuck für
Küche und Speisezimmer bilden.
Personalien.
Ernannt: Pfarrer Meyer in Höringhausen zum
Dekan des Dekanats Vöhl; Rechtskandidat Ruhl zum
Referendar; Pfarrer Hebel in Grifte zum Superinten-
denten der Diözese Fritzlar-Melsungen; Gerichtsassessor
Forkel zum Amtsrichter bei dem Amtsgericht in Heide.
Beauftragt: Generalsuperintendent Lohr in
Kassel mit Versetzung der Oberhofpredigerstelle in Kassel.
Verliehen: Dem zweiten Pfarrer, Superintendenten
Schäfer in Fulda die erste Pfarrstelle und dem Pfarrer
Ruhl in Aufenau die zweite Pfarrstelle der evangelischen
Gemeinde in Fulda; dem außerordentlichen Pfarrer-
Georg Friedrich Volkenand die Pfarrstelle in
Wallroth; dem Landgerichtspräsidenten Kerckhoff in
Anrich aus Anlaß seines Dienstjubiläums der Rothe
Adler-Orden zweiter Klasse mit Eichenlaub und der
Zaht 50.
Versetzt: Landgerichtsdirektor Wipper mann in
Erfurt in gleicher Eigenschaft an das Landgericht zu
Kassel; Postdirektor Schuesling von Bebra nach Ober-
hausen (Rheinland).
Geboren: Ein Knabe dem Ingenieur C. Heyken
(Kassel); Oberlehrer Dr. Schneider (Biedenkopf,
12. August); ein Mädchen dem königl. Landmesser Wer-
ner (Kassel, 26. August).
Verlobt: Reinhard Qu a as (Chemnitz) mit
Fräulein Louise Matthieu (Kassel); Pharmazeut
Wilhelm Saul mit Fräulein Margarethe Keu-
ling (Langensalza).
Gestorben: Hnuptsteueramtsasfistent a. D. Eckhard
Jäger, 63 Jahre alt (Kassel, 10. August); Privatmann
N. Eberhardt, 81 Jahre alt (Kassel, 17. August);
Katharina Gieße, geb. Zimmermann, Wittwe des
Kunstmalers Georg Gieße (Kassel, 13. August); Sophie
B au st a e dt, Gattin des Konsistorialdirektors A. Bau-
staedt aus Stade (Fulda, 13. August); Elisabeth
Frankenberg, Töchterchen des königl. Landmessers
Otto Frankenberg (Kassel, 15. August); Pfarrer Sigis-
mund Etzel, 55 Jahre alt (Haselstein bei Hünfeld,
16. August); Postsekretär Otto Krug, 43 Jahre alt
(Kassel, 17. August); Postrath Karl Ludwig Greve,
232
49 Jahre alt (Kassel, 18. August); Fräulein Elise
Klüppel, 75 Jahre alt (Kassel, 21. August); Apotheker
Wilhelm Krapf aus Lippoldsberg, 49 Jahre alt
(Newyork City, 8. August); Pfarrer Georg Horst,
32 Jahre alt (St. Louis, 9. August); Kaufmann Jean
Schad aus Kassel, 43 Jahre alt (Newyork, 16. August).
Hessische Bncherschmr.
Bei ui Kien span licht. — Geschichten aus
Großvaters Zeiten. In Odbnwälder Mundart
erzählt von Georg Volk.
Wir gestehen, wir haben eine besondere Schwäche
für die Dialektdichtung, und so nahmen wir das
kleine Heft, das uns Erzählungen in Odenwälder
Mundart versprach, mit einem günstigen Bor-
urtheil in die Hand. Und zu unserer Frellde
fanden wir in ihm, was wir an der mundartlichen
Dichtung schützen, das innige Gemüth, die kern-
hafte Gesinnung, den neckischen Humor; es weht
ans Allem der belebende Hauch des Waldes und
Feldes. Wir in den großen Städten leben so
fern von der Natur und dem mit ihr verwachsenen
Volke, daß uns Erzählungen wie die vorliegenden
obwohl sie llns ititr alltägliche Begebenheiten ans
den Odenwälder Dörfern berichten, so seltsam
fremdartig anmuthen und doch so anziehen und
erquicken, wie der Trunk aus frischem Bergquell,
— wir kennen ja nur das fade Leitungswasser
oder ein Stück derbes dunkles Bauernbrot, —
wir essen ja nur die weißliche, schale Fabrikwaare,
die sich freilich auch Brot nennt.
Die Hauptrolle in dem Büchlein spielt der
Schllster, so eine Art kleine Vorsehung oder ge-
treuer Eckart, der einmal einer arme:: Bettelsrau
zu ihrem Rechte verhilst, gar listig ein ander Mal
einen Wucherer austreibt und sich auch darauf
versteht, vornehmen Herren Höflichkeit zu lehren.
Eine kleine Ausstellung mag uns der Verfasser
nicht übelnehmen. Es geht ihm mit seinen Wort-
erklärungen, wie es den Herausgebern fremdsprach-
licher Schriftsteller häufig mit ihren Anmerkungen
geht. Selbstverständliches finden wir erklärt,
nnb Anderes, was wir gern wissen möchten, suchen
wir umsonst. Das läßt sich künftighin leicht bessern.
Wir empfehlen das kleine Buch recht sehr. Z. W.
Die deutschen Lyriker der Gegenwart.
Ein Sammelwerk mit Quellenangaben und
literarisch-kritischem Begleitwort herausgegeben
von Hermann Kiehne.
Neben den hervorragendsten Lyrikern unserer
Zeit finden wir unbekanntere Namen als Beweis,
daß das lyrische Schaffen auch in stillen Winkeln
schöne Früchte zeitigt. Die Sammlung ist sehr
empfehlenswertst
Hermann Kiehne zählt zu seinen Mitarbeitern
auch die namhaftesten hessischen Dichter, die
außer dem „Hessenland" selten in einer Zeit-
schrift in gleicher Weise vertreten sind. Hoffentlich
baut sich letzteres mit der wachsenden Gurrst seines
Lesepublikums auch in diesern Theile noch weiter
aus, sodaß es so recht der Sammelpunkt der
heimathlichen Poeten wird und ein vollständiges
Bild unserer hessischen Dichterwelt bietet. Darin
liegt dann auch eine Art von Bedeutung für den
Kulturkritiker überhaupt. Es geht ja heute das
Bestreben dahin, daß sich die Schriftsteller eines
bestimmten geographisch begrenzten Bezirkes zu-
sammenschließen (Westfalen, Elsaß re.). Wir haben
im „Hessenland" dazu die beste Gelegenheit.
Walentin Traudt.
Zugegangen ist uns das in 2. Auslage (Berlin,
Vossische Buchhandlung) , erschienene Werk der
hessischen Schriftstellerin Fr. von Hohenhausen
„Drei Kaiserinnen", das biographische Skizzen
aus den: Leben der drei ersten bentfdf)en Kaiserinnen
enthält. Verschiedene namhafte Dichter sind außer-
dem mit poetischen Beitrügen vertreten.
Briefkasten.
Dr. F. S. in Fulda. Für die freundliche Auskunft
besten Dank.
H. W. in M. (Thüringen). 1) Jede Buchhandlung
besorgt Ihnen das Gewünschte. 2) Der betreffende Stoff
ist mehrmals im „Hessenland" behandelt worden. Eine
Wiederholung ist nicht gut thunlich,
L. M. in Eschwege; 4. 8. in Frankfurt a. M.;
E. M. in Frankfurt a. M.; K. N. in Kesselstadt.
Freundlichen Dank für die Zusendungen.
Frhr. v. D. in Wehlheiden. Wir haben Ihr
Schreiben dem Herrn Verfasser zugesandt.
Anzeige.
Führer durchOberhesien „ durch, d, Lahn-, Cdn-,
Dill-, Ohm- und Schumlrnthal, den Krllerrvald rc.
herausg. v. Hauptlehrer H. Schneider,
Schriftführer des Oberhessischen Touristenvereins.
Einziger und bester Führer, enth. 164 Touren von
*/2—4 Tagen, mit 4 vorzüglichen Karten.
Preis M. 2.3«.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen, sowie auch direkt
gegen Einsendung des Betrages vom Verleger.
Marburg. Cnnl Kranh, Buch- und Kunsthandlung.
Den geehrten Abonnenten werden
Uroöenummern zur gest. Weiter-
Verbreitung gern zur Verfügung
gestellt vom Verleger.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „fytfstnlmb“ erscheint am 1. und 15. jedes Monats VI* bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Bnchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 18 des „Hessenlandes": „Auf dem Meißner", Gedicht von A. Weidenmüller; „Konrad
Klos, Landkomthur der Ballei Hessen und Komthur zu Marburg", von Freiherrn Gustav Rabe von Pappenheim;
„Geschichte der Familie Hille", von Dr. med. Friedr. Hille (Fortsetzung) ; „Er geht durch wie ein Holländer", von
Ludwig Mohr; „Wenn die Sonne sinkt", Novellette von E. Mentzel (Fortsetzung); „Heil'ge Armuth", Gedicht von
M. Herbert; „Märchen", Gedicht von Sascha Elsa; „Wärest Du die blaue Fulde", Gedicht von Ludwig Mohr; Ans
alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Briefkasten; Anzeigen; Abonnements-Einladung.
Auf dem Meißner.
^>o hab' ich endlich dich erstiegen,
Du stolzer Berg, mir längst bekannt,
Und sehe mir zu Pützen liegen
Mein vielgeliebtes Lsestenland.
Und wie ich seine Quellen rinnen
Und leuchten sehe seine Flur,
Da regt sich mir im Kerzen innen
Ein einziges Verlangen nur.
Das ist das Sehnen, nicht vergebens
Auf dieser schönen Welt zu sein
Und alle Aräfte meines Lebens
Dem Dienst des Guten nur zu weih'n.
In dieses einen Wunsches stille
Ruht alles and're Wünschen aus,
Wie sich in einer Anospenhülle
Verbirgt ein ganzer Blüthenstrauß.
Und bittend schaue ich nach oben:
Du bringst den Strom im Meer zur Ruh,
G lserr, den die Gestirne loben,
Führ' meinem Ziel mich gnädig zu.
Ä. Weidenmüsscr.
234
V
MAMWW jÜ* st - v i— 4^ j M
Konrad Klos,
Landkomthur der Ballei Hessen und Komthur zu Marburg.
Von Frciherrn Gustav Rabe von Pappenheim, Rittmeister a. D.
4(1 n dem Verzeichnis; des Archivraths I. W.
!jlss Lachewitz*) vom 5. März 1781 über die
'A Grabdenkmäler in und neben der St. Elisabeth-
kirche wird über das Grabdenkmal des ob-
genannten Landkomthurs Folgendes mitgetheilt:
„In Effigie, Herr Konrad Klos, Land-
komthur der Ballei Hessen und Komthur zn
Marburg, Teutsches - Ordens - Ritter, starb im
Jahr 1638 den 6. September. —
Klos — Enzberg
Portugal — Vitzthum-Eikstät.
Ecce lionio!
„Wenn mein Gott will;
„Er ist mein Ziel!" —
Stehet in Lebensgröße neben der S. Elisabethcn-
Monument, im 3. Chor nach der Firmanei zn,
wo auch sein Grab — vor ihme über mit dem
Stein — darauf die Inschrift verloschen zu
finden." **)
Konrad's Vater, Friedrich Klos, war Amt-
mann in der Grafschaft Gleichen gewesen und
hatte mit seiner Gemahlin — geb. von Enzberg-
Hetstädt — in 25jähriger Ehe gelebt. Außer
dem Konrad Klos — geboren anno 1584 —
waren dieser Ehe noch vier Söhne und zwei
Töchter entsprossen, Namens: Wolf, Günther,
Simon und Friedrich, Anna Sibhlla und Agnes.
In seiner Jugend kam Konrad Klos als Page
zur Herzogin Louise Juliane, der Tochter des
Prinzen Wilhelm von Oranien, welche seit dem
Monat Mai 1593 mit dem damals erst neunzehn-
jährigen Kurfürsten Friedrich IV., Herzog von
der Pfalz, vermählt worden war. Im Schlosse
zu Heidelberg befand sich das glänzende Hoflager
des jungen fürstlichen Ehepaares. Nach drei-
jähriger Dienstzeit bei Hofe ging Konrad Klos
nach Frankreich und in die Niederlande. Der
*) Lachewitz, Akten des Marburger Staatsarchivs.
**) Siehe W. Kolbe, Die Kirche der hl. Elisabeth,
S. 44.
dreijährigen Belagerung der Festung Ostende
— vom 7. Juli 1601 bis 20. September 1604 —,
welche mit der Ilebergabe der holländischen Be-
satzung an den spanischen General Spinola endete,
wohnte er bei. Mit einem Grafen von Schwarz-
burg reiste er dann nach Italien und kam hierauf
zum Grafen Christoph von Leiningen-Westerburg.
Denselben begleitete er auf seinen Reisen durch
ganz Frankreich, Spanien, Italien, Steiermark
und Oesterreich. Unterwegs auf den Reisen er-
lernte er drei Sprachen. Nachdem er dann noch
viele Jahre als Hofmeister im Dienste des Grafen
Leiningen-Westerburg zugebracht hatte, wünschte
er in den Deutschen Orden aufgenommen zll werden.
Durch Fürsprache des Grafen Leitungen wurde
er denn auch am 15. Juli 1615 als Noviziat
zur Probe in die Dentsch-Ordens-Ballei Hessen
aufgenommen und versah als solcher probeweise
das Marschallenamt im Ordenshaus Marburg.
Seine feierliche Aufnahme in den Orden und
Jnvestirung zum Dentsch-Ordens-Ritter mit Ritter-
schlag fand im Jahre 1617 zil Mühlheim in
Westfalen statt. Das Trappanci-Amt in Marburg
wtirde ihm nun übertragen, und im Jahre 1627
fand seine Beförderung zum Komthur der Kommende
Flörsheim statt. Als er im Jahre 1628 vom
Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt nach
Wien gesendet wurde, trat er voit der lutherischen
zur katholischen Religion über. 1631, nach dem
Tode des Landkomthurs I. Fuchs, wurde er von
dem Provinzialkapitel der Ordensballei Hessen
einstimmig zum Statthalter der Ballei Hessen er-
wählt und erlangte sehr bald darauf von der
Deutsch-Ordens-Regiernng seine Bestätigung zum
Landkomthur.
Bekanntlich setzte sich im Jahre 1632 der
Landgraf Georg II. gewaltsam in den Besitz der
Ballei Hessen, der Landkomthur Konrad Klos
wurde vorerst seines Amtes entsetzt und der
Deutsch-Ordens-Regiernng alle Gewalt über die
Ballei entzogen. Eine mündliche Instruktion des
235
Landgrafen Georg II.*) ordnete über die Ver-
waltung der Ballei ungefähr Folgendes an: Die
Ballei wird durch die von dem Landgrafen dazu
ernannten Kommissare — Eitel Schoneberg
von Oeynhausen, Christian von Liebenthal und
den Syndikus Hermann Scharf — in seinem
Namen verwaltet. Die Landkomthnrtafel und die
Mittagstische, sowie Gästeeinladungcn sollen ab-
geschafft werden. Den fürstlichen Kommissaren,
Beamten, Predigern und Dienern des Ordens
wird ein Deputat an Geld und Feldfrüchten
ausbezahlt, um sich damit selber zu beköstigen;
nur die Tagelöhner und das Dienstgesinde sind
durch den Trappanei-Verwalter zli speisen. Rechts-
und Kriminalverhandlungen werden nur noch im
Namen des Landgrafen abgehalten. Die Unter-
haltung von mindestens 20 Personen im Hospital
und die Verpflegung der Armen, z. B. der zwölf
Apostel und zwölf Beutelweiber, soll mit größter
Sorgfalt, und ohne dabei irgend etwas zu ersparen,
— genall nach Vorschrift — fortgesetzt werden.
Die Schlüssel zum Grab der heiligen Elisabeth,
welches stets unter Verschluß und Siegel gehalten
werden nlllß, sind im Briefgcwölbe der Land-
komthurei aufzubewahren. Der Weinschank in
der Firmanei ist immer reichlich mit Wein zu
versehen, um denselben so einträglich wie möglich
zu machen u. s. w. — Auch das Ordenshaus
Griefstüdt in Sachsen, welches zur Ballei Hessen
gehörte, war von dein Kurfürsten von Sachsen in
Besitz genominen worden und wurde von der
sächsischen Regierung verwaltet. Der Komthur
Philipp von Hundelshausen und der Dcutsch-
Ordens-Ritter Bernhard von Schwarz, welche die
Kommende vorher verwaltet hatten, waren aus
derselben entfernt worden, ohne voll der sächsischen
Regierung ein Deputat oder eine Entschädigung
znin Lebensunterhalt erlangen zil können. Der
Komthur Philipp von Hundelshausen verheirathete
sich dann im Jahre 1633 oder 1634 mit der
Anna Maria von Hundelshausen, ohne den Konsens
seines Landkvmthnrs dazu erlangen zu können,
da seine Briefe an diesen, der ja von Marburg
verjagt war, nicht gelangen konnten. Er lebte
dann in Glimmeroda, welches er von deil Erben
der Katharina von Buttlar, geb. von Oeynhausen,
gekailft hatte. Nach dem Prager Frieden (1635) über-
nahm Philipp von Hundelshausen die Kommende
Griefstüdt wieder, wurde aber bald von den
Schweden daraus vertrieben lind starb im Jahre
1639 in Glimmeroda. — Anna Sibylla, die
Schwester des Konrad Klos — geb. 1582 —
befand sich im Jahre 1635 an dem Hofe des
*) Lachewitz, Akten des Marburger Staatsarchivs.
-----------
Landgrafen Friedrich I. (Vater des bekannten
Friedrich II. mit dem silbernen Beill, späteren Königs
von Schweden) zu Hessen -Homburg als Hof-
meisterin bei den fürstlichen Kindern. In ihrer
Jllgend war dieselbe Anfangs Hofdame bei der
Gräfin von Gleichen, der Gemahlin des Grafen
Karl von Gleichen, gewesen. Nach dem Tode der
Gräfin von Gleicheil kani sie als Hofdame zil
deren Tochter Anna Maria, welche mit dem Grafen
Christoph zu Leiningen-Westerburg verheirathet
war. Als sich danil deren Tochter, Margaretha
Elisabeth, mit dem Landgrafen Friedrich I. zu
Hessen-Homburg vermählte, kam sie in den dortigen
Hofdienst als Hofmeisterin und später als Er-
zieherin der fürstlichen Kinder.
Konrad Klos, welcher im August 1635 wieder
in Marburg als Landkomthur der Ballei ein-
gesetzt worden war, hatte bald darauf bei dein Hofe
in Homburg vor der Höhe darum nachgesucht,
seine Schwester Anna Sibylla ihm nach Marburg
zu schicken. Anfangs Oktober reiste darauf hiil
Anna Sibylla von Homburg vor der Höhe ab;
in Schiffenberg angekommen, fühlte sie sich etwas
unwohl, was sie aber nicht verhinderte, nach
Marburg weiter zil reisen. Jin Ordenshaus bei
Marburg angekommen, mußte sie sich wegeil Herz-
llnd Magenleiden zu Bett legen und starb am
4. Oktober. Auf dem Kirchhof, südlich der
Elisabethkirche, wurde sie dann begraben. Konrad
Klos bekleidete das Amt als Landkomthur noch
bis zum Jahre 1638. Im Monat August, am 30.,
erkrankte er an heftigem'Fieber und starb am
6. September. Sein Begräbniß fand am 23. des
Monats September statt. Sein Epitaph, welches
er sich vor seinem Tode noch selbst bestellt hatte,
konnte der schlechten Zeiten halber erst später in
der Elisabethkirche errichtet werden. Seine Brüder,
welche in fremden Kriegsdiensten gegeil die Türken
hohe Offiziersstellen bekleidet hatten, waren schon
lailge vor ihm gestorben. Nur sein Bruder Günther
hatte einen Sohn Namens Konrad hinterlassen,
der mm der einzige Sprößling dieser alten Familie
war. Auf Ansuchen seines Hofjunkers, des
Philipp Heinrich von Enzberg, verwendete sich
der Landgraf Philipp zu Hessen bei dem Landgrafen
Georg II., daß alle Mobilien, welche die Sibylla
Klos bei ihrem Absterben ihrem Bruder, dem
Landkomthur, vererbt hatte, dem minderjährigen
Neffen desselben gegcbeik würden.
Ahnen t afel.
N. Klos — Maria von Watzdorfs. N. Enzberg — Ursula von Mehringen
^^ ^__________________________________zu Volstadt.
Klos — Elisabeth von Portugal. N. Enzberg — Margaretha
^___ Vitzthum von Eielstädt.
Friedrich Klos. Katharina von Enzberg.
Konrad Klos,
Landkomthur der Ballei Hessen und Komthur zu Marburg.
236
Geschichte der Familie Hille.
Von Dr. med. Fricdr. Hille.
(Fortsetzung.)
17. Maria Neinhardine Elisabeth a
Hille, geb. den 17. September 1768 zu Wetter,
wurde den 25. September von Pfarrer Junk
getauft. Taufpathen waren Frau Stiftvogt
Maria Elisabeth« Günste zu Wetter und Maria
Claudi zu Willingshausen. Sie verstarb bereits
den 19. Mai 1772 und wurde den 23. Mai
in der Kirche zu Wetter begraben.
18. Johann Reinhard Hille, geb.
den 12. Januar 1770 zu Wetter, wurde am
14. Januar von Oberpfarrer Stanselach getauft.
Pathe war Stiftsvogt Günste zu Wetter. Er
studierte die Rechtswissenschaften, arbeitete, nach-
dem er zum Doctor juris promovirt hatte, unter
dem kaiserlichen Kammergerichtsbeisitzer F. D.
von Ditfurth am Kammergericht zu Wetzlar bis
zum 2. März 1791, kehrte darauf nach Marburg
zurück, wurde Lehrer der Rechtswissenschaften ander
dortigen Universität, am 19. August 1791 zum
?rot688or 8xti-aordinai'iu8 und Beisitzer der
Juristen-Fakultät und am 15. Juni 1795 zum
Ordinarius ernannt. Dieses Lehramt bekleidete
er bis zum 2. Januar 1798, wo er auf
eigenes Nachsuchen laut Reskript des Landgrafen
Wilhelm IX. zu Hessen entlassen wurde, um als
juristischer Beirath und Vertreter deutscher Fürsten
am Reichshof zu Wien thätig zu sein. Nach
einem nochmaligen kurzen Aufenthalt in Wetzlar
begab er sich nach Wien, woselbst er vermöge seiner
hervorragenden Kenntnisse und wissenschaftlichen
Befähigungen schon im Jahre 1800 als kaiser-
licher Reichshofrathsagent thätig war. So wurde
er am 18. August 1800 mit der Vertretung der
Interessen des Fürsten Ludwig zu Solms-Brann-
fels betraut, am 20. August 1800 mit der
des Fürsten Christian zu Wittgenstein, am
24. Oktober 1800 mit der des Fürsten Karl
zu Solms-Lich. Nach dem Ableben des kaiser-
lichen Reichshofrathsagenten von Alt erhielt er
die Vertretung des Landgrafen von Hessen-
Homburg in allen vorkommenden Judizial- und
Extrajudizialsachen und sonstigen Gegenständen.
Außer diesen angeführten hatte er die Agentschaft
des hochfreiadeligen Stifts Wallenstein, sowie die
mehrerer Reichsgrafen. Am 28. September 1808
starb er nach langwieriger Krankheit und wurde
zu Wien beerdigt. Er hatte sich am 20. Mai 1801
mit Christine von Stubenrauch vermählt, welche
1782 als eine Tochter des Reichshofrathsagenten
Johann von Staubenrauch geboren war. Die-
selbe heirathete in zweiter Ehe am 4. Juni 1810
den Legationsrath von Lepell, starb jedoch bereits
am 25. Februar 1812. Aus der Ehe mit
Reinhard Hille entsprossen drei Kinder (29—31).
19. Jakob Hille, geb. den 18. Sep-
tember 1771 zu Wetter, dortselbst den 21. Mai
1772 gestorben und in der Gruft der Kirche zu
Wetter begraben.
20. Maria Margaretha Hille, am
1. Juni 1773 zu Wetter geboren, war mit
Forstrath Karl Follenius zu Bessungen vermählt
und starb dortselbst im März 1835. Ihre Ehe
war kinderlos. Sie erzog die hinterlassenen
Kinder ihres zu Wien verstorbenen Bruders
Reinhard.
21. Johann Jakob von Hille, geb.
den 4. März 1775 zu Wetter, widmete sich dem
Militärdienste, trat 1802 in königlich dänische
Dienste und stand in Rendsburg in Garnison,
machte als Premierlieutenant im Regiment
Oldenburg den Krieg gegen England mit und
wurde bei der Blockirung der Insel Laaland
durch die englische Flotte mehrfach zu sehr-
wichtigen Depeschendiensten gebraucht. Mit welchen
Gefahren für seine Ehre und sein Leben diese Auf-
träge verbunden waren, schildert er mit seinen
übrigen Kriegserlebnissen in auf uns gekommenen
Briefen. Durch seinen persönlichen Muth und
durch seine tüchtigen militärischen Kenntnisse
rückte er in seinem Avancement schnell voran,
svdaß er dadurch den Neid seiner Kameraden
erregte. Er kam als Kommandeur der 1. Kom-
pagnie des 8. Bataillons des dänischen Landwehr-
regiments in Saxköbing auf Laaland in gewalt-
samer Weise am 10. November 1808 um's Leben.
„Er hatte einen Besuch zu Pferd bei einem seiner
Freunde nach einem von seinem Standquartier
nicht weit davon entlegenen Dorfe gemacht,
wollte spät in der Nacht wieder nach Hause
reiten, ward aber mördlich überfallen und von
einigen unbekannten Leuten, wahrscheinlich mit
Knütteln, sehr übel zugerichtet, ritt dennoch, ohne
im mindesten beraubt zu werden, nach Hause,
hatte selbst das Pferd wieder in den Stall ge-
zogen und sich darauf ohne fremde Hülfe zu
Bett gelegt. Da dessen Bedienter den folgenden
Morgen nach ihm sehen will, ist dessen Herr
bereits sprachlos und völlig entkräftet gewesen,
und 48 Stunden darauf verstorben, Da man
einen gewissen Offizier in Verdachte hatte, Theil
237
an diesem Ueberfnlle gehabt zu haben, auch der-
selbe mit Arrest belegt wurde, sv Hütte Se. Majestät
der König von Dänemark persönlich eine Unter-
suchungs-Kommission darüber sehr ernstlich an-
geordnet, indessen hat man nichts mit Zuverlässikeit
auf obigen Offizier bringen können." Der General-
major und Chef des oldenburgischen Regiments
von Münnich führte die Untersuchung. Auch
hatte der kvmmandircnde Oberst von Lasson auf
Laaland eine ansehnliche Belohnung auf die
Entdeckung des Thäters ausgesetzt.
22. Karl Reinhard Hille, geb. den
12. Dezember 1776 zu Marburg, wurde von
Superintendent Seipp getauft. Taufpathe war
der jüngste Bruder seiner Mutter, Karl Reinhard
Günste. Er wurde ebenfalls Soldat und machte
den Feldzug Napoleon's nach Rußland in einem
westfälischen Regimente als Hauptmann mit.
Auf dem unglückseligen Rückzüge von Moskau
wurde er beim Ueberschreiten der Beresina ver-
wundet. Unterstützt von seinem Freunde, dem
späteren Oberst Franz von Rauschenplatt, schleppte
er sich mit demselben bis nach Wilna, woselbst
beide in russische Gefangenschaft geriethen. Sie
wurden in ein Kloster gebracht, worin sie, nach-
dem sie ganz ausgeplündert waren, das härteste
Elend ausstehen mußten. Bon 36 Offizieren,
welche in einem Zimmer untergebracht waren,
lebten nach fünf Wochen nur noch vier, wovon von
Rauschplatt einer war. Die Uebrigen waren
durch Krankheit, durch Wunden und durch Mangel
jeglicher Pflege elendiglich zu Grunde gegangen.
Am Abend vor seinem Tode, am 14. Januar
1813, sagte er mit voller Besinnung zu seinem
Leidensgenossen, wen» er durchkommen solle, möge
er sein letztes Lebewohl seinen Eltern nach Mar-
burg überbringen. Dieser traurigen Pflicht konnte
Folge gegeben werden.
23. Maria Elisabetha Christiana Hille,
zu Marburg den 4. Juli 1779 geboren, wurde
ebenfalls von Superintendent Seipp getauft.
Pathen waren Frau Maria Elisabeth, des Stifts-
vogts Günste zu Wetter nachgelassenen Wittwe,
geb. Claudi, und Frau Christiana, des Ober-
schultheiß Hille nachgelassenen Wittwe, geb. Heynau.
Sie vermählte sich am 6. September 1803 mit
Ernst Wilhelm Kaup, Kapitän im Regiment
Kurfürst, welcher am 27. Dezember 1839 als
Major und Festungskommandant in Kassel starb.
Ihrer Ehe entsprossen vier Kinder:
a. Helene,Kaup, geb. den 2. April 1805,
gestorben den 6. Mai 1871; vermählte sich mit
dem Professor der Rechtswissenschaften und späteren
Staatsrath Bickell.
6. Karl Kaup, geb. den 5. November 1806,
gestorben den 22. Februar 1885; Oberappellations-
rath zu Kassel, später zu Marburg lebend, war
zweimal verheirathet, in erster Ehe mit Natalie
Frank aus Rostock, in zweiter Ehe mit Koustauze
von Specht.
o. Maria Kaup, geb. den 26. November
1811, gestorben den 20. August 1883, war ver-
mählt nlit dem Gutsbesitzer von Biedenfeld zu
Hattenbach.
ck. Wilhelm Kaup, geb. den 19. März
1819, starb als Oberstlieutenannt am 30. April
1879; vermählt mit Maria Frank aus Rostock.
24—28 siehe unten.
29. Helene Karoline Maria Rosine
Hille, geb. 1802 zu Wien, gestorben den
9. September 1832 zu Bessungen.
30. Maria Helene Hille, geb. den 20.
Juli 1803 zu Wien, starb den 22. Mürz 1834
ebenfalls zu Bessungen.
31. Karl Hille, 1805 zu Wien geboren,
studierte in Göttingen die Rechtswissenschaften,
erwarb zu Marburg den Doktorgrad, begab sich
1828 nach Bonn, habilitirte sich dortselbst als
Privatdozent, starb jedoch schon 1831.
24. Karl Jakob Wilhelm Hille, geb. den
9. November 1781 zu Marburg, getauft beu 21.
desselben Monats von Superintendent Seipp.
Pathe waren Karl Hendorf, gewesener Major
beim Regiment von Ditfurth, Jakob Claudi,
exspektivirter Amtsschultheiß zu Willingshausen,
und Landjägermeister Wilhelnt von Buttlar. Er
studierte die Rechtswissenschaften, war unter der
französischen Fremdherrschaft bis 1812 Prüfektur-
rath, Notarius bis 1822, dann bis zu seinem
am 4. Oktober 1834 erfolgten Tode Kreisrath.
Sämmtliche Aemter bekleidete er in Marburg.
Am 9. August 1807 vermählte er sich mit Luise
Ernestina Dorothea Christiana Strack,
Tochter des Amtmanns Gottfried Justus Strack
zu Großen-Busseck und der Eleonore Maria
Friederika Follenius. Er hatte zehn Kinder
(f. 32-41).
25. Friedrich Wilhelm Hille, geb. den 9.
Dezember 1783 zu Marburg, ebenfalls von
Superintendent Seipp getauft, Pathe war Land-
rath Friedrich Wilhelm von Baumbach. Er
widmete sich der Jurispndenz, wurde nach Ab-
legung seiner juristischen Examina in der west-
fälischen Zeit zum Friedensrichter in Mar-
burg ernannt, machte als Korpsauditeur und
Regimentsquartiermeister im kurfürstlichen Leib-
dragonerregiment 1814 den Feldzug gegen Frank-
reich mit, lag vor Luxemburg und Metz und
schilderte in einem noch vorhandenen Tagebuch
— 238
und in einer Reihe von Briefen seine Kriegs-
erlebnisse. Er starb als Landgerichtsrath zu
Marburg am 20. Oktober 1854. Am 14. Mai
1809 hatte er sich mit Karoline Friederike
Luise Füllenius verheirathet, welche am 2.August
1791 als älteste Tochter des Hof- und Landraths
Friedrich Ludwig Follenius zu Großen-Busseck,
späterhin in Romrod, vermählt mit Luise Hessemer,
geboren wurde. Der Ehe entsprossen acht Kinder
ls. 42—49).
26. Rebekka Alexandrina Friederika
Jeanetta Hille, geb. den 16. Oktober 1785
zu Marburg, getauft von Superintendent Seipp,
Pathen waren Frau Geueralin Rebekka von
Lehrbach, geb. von Spiegcll, Jungfrau Rebekka
Friederika Alexandrina Jeanetta von Notberg, des
Generals von Nvtberg zu Gießen hinterlassene zweit-
jüngste Tochter, und der Hauptmann Friedrich von
Urff zu Nieder-Urff. Sie war in erster Ehe vermählt
mit Advokat Sippel zu Marburg, in zweiter
Ehe mit Oberrechnungsrath Obergethmann
,;u Münster. Alls ihrer ersten Ehe stammte eine
Tochter Helene, welche ledig starb. Bei einem
Sturz vvil der Treppe verletzte sie sich so sehr,
daß sie an den Folgen 1860 zu Münster ver-
schied (f. auch 28).
27. Wilhelm Maximilian Hille, den
4. Mai 1788 zu Marburg geboren, den 6. Mai
daselbst getauft. Pathe lvar der Gouverneur
lind Generallieutenant Wilhelm Maximilian
von Ditfurth zu Hanau. Er starb am 25. September
desselben Jahres und wurde am 28. September
auf dem St. Michael-Kirchhof zu Marburg
beerdigt.
28. M a r g a r e t h a E l i s a b e t h a H i l l e, den
8. April 1789 zu Marburg geboren; war ver-
mählt mit Oberrechnungsrath O b e r g e th ma n n,
welcher in zweiter Ehe ihre Schwester Rebekka
heirathete ls. 26). Aus ihrer Ehe sind sechs
Kinder entsprossen.
а. Karl Obergethmann, Geheimer Ober-
regierungsrath a. D. zu Berlin. War verheirathet.
б. Bertha Ob erg eth mann, verheirathet
gewesen an den königlich holländischen Oberstabs-
arzt Julius Hille (s. 35).
c. Emil Obergethmann; war Pfarrer in
Hattingen in Westfalen und dreimal verheirathet.
d. Luise Obergcthmann, verheirathet ge-
wesen mit Postsekretär von Borries; war
Zwilling mit
e. Fritz Obergethmann, Arzt in Mühl-
hausen an der holländischen Grenze. War ver-
heirathet.
f. Helen eObergethmann, war verheirathet
mit Regierungsrath Kretzschmar in Posen.
32. Magdalena Charlotte Friederike
Hille, den 22. Juli 1808 zu Marburg geboren,
wurde am 24. desselben Monats getauft. Pathen
waren Charlotte Follenius zu Romrod, Frau
Rath Maria Magdalena Hille, Frau Hofrath
Eleonore Friederika Reich und Herr Rath Karl
Gottfried Hille zu Marburg. Sie starb nnver-
heirathet den 16. April 1862 zu Detmold.
33. Maria Friederika Luise Karo-
line Christiane Marianne Hille, am
28. Februar 1810 zu Marburg geboren und am
3. März getauft. Pathen waren Jungfrau
Maria Günste, Frau Forstverwalter Follenius
zu Großen-Buseck, Frau Rentmeister Luise Kümmel
von Wetter, Frau Hofräthin Luise Follenius von
Gießen, Frau Stiftsvogt Karoline Günste von
Wetter, Frau Hauptmann Christiane Kaup,
Jungfrau Karoline Buchholz von Wetzlar und
Jungfrau Marianne Leisler von Romrod. Ge-
storben zu Marburg am 19. Dezeniber 1838.
34. Karl Gottfried Friedrich Christoph
Hille, geb. den 12. Juli 1811 zu Marburg,
am 14. desselben Monats getauft. Pathen waren
der Großvater Oberschultheiß Hille, Hauptmann
Karl Hille, der Friedensrichter Friedrich Hille,
der Hofrath und Amtmann Christoph Follenius
zu Gießen, der Hvfrath und Amtmann Friedrich
Follenius zu Großen-Buseck und der Forstverwalter
Karl Follenius zu Romrod. Er studierte von
1829 bis 1834 ;u Marburg die Rechtswissen-
schaften. Nach bestandenem Examen arbeitete
er an verschiedenen Gerichten als Obergerichts-
referendar, zuletzt 1888 als solcher beim Justizamt
zu Treis a. d. L. Er war sodann bis 1849 als
Aktuar zu Hünfeld und Bockenheim beschäftigt,
1850—1851 als Substitut des Staatsprokurators
zu Kassel, Rotenburg und Hanau thätig, wurde
1851 Justizbeamter zu Bergen, 1867 dortselbst
zum Amtsrichter, 1873 ebenda zum Oberamtsrichter
ernannt. Er nahm bald darauf seinen Abschied
aus dem Staatsdienste und lebt seither zu
Darmstadt. Er vermählte sich am 30. Oktober 1842
mit der am 1. März 1813 zu Rüsselsheim geborenen
Hedwig Hessemer, Tochter des Gutsbesitzers
Georg Hessemer daselbst, und genoß das seltene
Glück, im Jahre 1892 sein fünfzigjähriges Ehe-
jubiläum zu feiern. Seine Ehe ist kinderlos.
35. Heinrich Julius Hille, am
27. September 1812 zu Marburg geboren, Pathe
war der königliche Prokurator Metz daselbst. Er
studierte zu Marburg Medizin, erwarb sich am
3. Mai 1841 die Doktorwürde zu Gießen, trat
in königlich holländische Dienste und legte an:
10. April 1833 zu Utrecht sein Exainen als
Offizier der Gesundheit ab. Nach Westindien zu
239
einem dortigen Regiment als Arzt bestimmt,
segelte er in den ersten Tagen des Juli 1833
auf dem Reichtransportschiff „Dordrecht" ab und
kam am 13. August desselben Jahres in Paramaribo
auf Surinam an. Dortselbst blieb er bis zum
Jahre 1840, in welchem Jahre er in die Heimath
zurückkehrte, um sich in dem darauf folgenden
Jahre mit Bertha Obergethmann ss. 28 b)
zu verheiratheu. Darauf nach Westindien zurück-
gekehrt und als Regiments- und Oberstabsarzt nach
Curaçao versetzt, starb er daselbst am 20. No-
vember 1849 am Nervenfieber. Ein ausführliches
Tagebuch, leider nur bis zum 19. Januar 1839
reichend, schildert in lebhaften Farben die Gebräuche
und Sitten der Ureinwohner Westindiens, den
damaligen Handel und Wandel und die staatlichen
Einrichtungen der holländischen Kolonien. Dieses
Tagebuch ist ganz gewiß von großen kultur-
historischen Werthe. Auch als Mediziner ist er
literarisch thätig gewesen und hat eine Reihe von
wissenschaftlichen Aussätzen in deutschen Fachzeit-
schriften veröffentlicht. Seiner Ehe entsprossen
vier Kinder ss. 50—53).
(Fortsetzung folgt.)
—----—&4K-S-—;---
„Er geht durch wie ein Holländer!"
Von Ludwig Mohr.
ine nicht geringe Anzahl Sprichwörter oder
Mi sprichwörtliche Redensarten, die der deutsche
¿T Sprachschatz auszuweisen hat, sind in den
Feldlager!: der Hessen entstanden, wie: ,-Fest wie
Ziegenhain!", „Falsch wie Galgenholz!", „Revanche
für Speierbach!" und andere mehr. Weniger be-
kannt dürfte der Ursprung der landläufigen
Redensart sein: „Er geht durch wie ein
Holländer!", die ebenfalls im hessischen Feld-
lagerleben entstanden ist. Diese Redensart stammt
aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts,
als die Kriegsfackel des dreißijährigeu Krieges
von Böhmen aus lohte und ihren blutigen Wider-
schein grell hinüber nach dein Rheine, nach der
rheinischen Pfalz, warf.
An der Donau standen damals die Heere der
protestantischen Union und der katholischen Ligue
sieh gegenüber. Zn Ulm kam es zwischen dem Führer
des Unionsheeres, Joachim Ernst, und dem der
Ligue, Maximilian von Baiern, zu einem Ver-
gleiche, durch den der von den Böhmen zum
König gewählte Kurfürst von der Pfalz, Friedrich,
der gesummten Macht des Hauses Oesterreich
preisgegeben wurde; denn alle Feindseligkeiten
zwischen den Bundesverwandten der Union einer-
seits und denen der Ligue andererseits sollten im
Reiche aufhören, dagegen der kaiserlichen Exekution
in der böhmischen Sache freier Lauf gelassen, der
Vertrag also nicht auf Böhmen und die Erblande
des österreichischen Hauses ausgedehnt werden;
auch sollten Durchzüge zur Kriegsführung nach
Böhmen beiderseits freigegeben sein.
Diesen Umstand benutzte alsogleich der erblich
bei der böhmischen Sache betheiligte König von
Spanien, indem er dem Statthalter von Burgund,
dem Erzherzoge Albert, befahl, das in Burgund
aufgestellte spanische Heer unter der Anführung
Ambrosius Spinvla's an den Rhein rücken zu
lassen, um in der Pfalz (unter dem Vorgeben,
diese zu sequestriren) die Kalvinisten auszurotten,
die Jesuiten wieder einzusetzen und, sobald das
geschehen, sowohl die Böhmen als ihre Verbündeten
zum Gehorsam zurückzubringen.
Spinvla nahm diesen Auftrag entgegen, er-
schien Plötzlich mit 15000 Hispaniern und
Wallonen in der Pfalz und ging bei Engers
über den Rhein, überall, wohin er kam, vor-
schützend, er erscheine im Namen des Kaisers.
Indessen sandte der Statthalter von Burgund,
der Erzherzog Albert, der gleichzeitig Obrister
des oberburgundischen Reichskreises war, eine
Meldung darüber an den Landgrafen Moritz von
Hessen, als Obristen des oberrheinischen Reichs-
kreises, in welcher er den Einmarsch des spanisch-
wallonischen Heeres kund that und ihn ebenmäßig
aufforderte, ihm zu Hilfe zu eilen oder doch
wenigstens Neutralität zu Gunsten des öster-
reichischen Hauses in dessen Sache gegen den
Pfälzer zu beobachten.
Der Landgraf Moritz von Hessen, einer der
weitest ausschauenden Bundesverwandten der pro-
testantischen Union, hatte bereits den Hinter Ver-
trag nicht gebilligt, weil er den bundesverwandten
böhmischen König preisgab; er hatte weiter,
weil er das Kommende voraussah, seinen Landes-
vertheidigungsplan seinen Landständen fix und
fertig vorgelegt, die Festungen Ziegenhain und
Rheinfels auf den Kriegsfuß gesetzt, sein Kriegs-
240
Heer von 12000 Mann wohlgeschulter und
disziplinirter Knechte zu Roß und Fuß schlag-
fertig gemacht und war nicht im Entferntesten
gewillt, klein beizugeben.
Bereits waren die Stände des oberrheinischen
Reichskreises zur Aufstellung eines Kreisheeres
zu Schutz und Trutz von ihm beschickt worden.
Auch den Statthalter der Geueralstanten der
Niederlande, Moritz voll Oranien, hatte er ge-
beten, das der Union versprochene Hilfsheer zu
senden, wahrend er offen mit dem Unionsgeneral,
welchem die Aufgabe gestellt war, den Rhein und
die Pfalz zu schützen, in Verbindung trat.
Leider fand Moritz bei seinen Landständen
nicht die gewünschte Unterstützung, im Gegentheil,
er machte die Erfahrung, daß hinter seinem
Rücken konspirirt wurde (neuzeitlich: „getodten-
gräbert"), was sein zeitgemäßes Vorgehen leider
allzusehr lähmte.
Trotz alledem drang er auf energische Kriegs-
führung, hatte doch der Kaiser kein Recht, und
war es doch gegen die Wahlkapitulation, fremd-
ländischen Kriegsvölkern die Pforten des Reiches
zu öffnen, und trat doch Spinola immer ent-
schiedener mit dem Vorgeben auf, daß er iin
Namen des Kaisers handle, während kaiserlicher-
seits dem auch nicht im Geringsten widersprochen
wurde. Ja, der Landgraf ging so weit, die Auf-
stellung eines weiteren Unionsheeres auf dem
rechten Rheinufer zu fordern und erbot sich, mit
seinen eigenen Völkern den wichtigen Paß, die
schutzverwandte Stadt Limburg, zu besetzen.
Den Landesvertheidigungsplan hatte Moritz
zur Begutachtung dem bundesverwandten Könige
von England und dem Statthalter der General-
staaten der Niederlande, Moritz von Oranien,
vorgelegt. Der letztere, der einzige zeitgenössische
Feldherr, der im Stande war, Spinola die
Spitze zu bieten, fand diesen Plan nicht nur gut,
sondern er versprach auch zur Ausführung des-
selben ein Hilfsheer zu stellen. Leider wurde er
durch ein spanisches Beobachtungskorps im Schach
gehalten und kam dadurch außer Lage, ausgiebige,
kräftige Hilfe leisten zu können, und als trotz
alledem dennoch endlich ein Hilfskorps abging,
hatte der Univnsgeneral leider schon seine feste,
günstige Stellung bei Oppenheim gegen Spinola
geräumt, wodurch die Verbindung mit dem Kriegs-
volke des Landgrafen unterbrochen wurde. Diese
Verbindung wieder herzustellen, sandte Moritz
von Oranien seinen Bruder, den Prinzen Heinrich
Friedrich von Oranien, mit einigen Fähnlein
Holländern und mit Hilfstruppen, welche der
König von England gesandt hatte.
Prinz Heinrich kam; aber die ihm gestellte
Aufgabe zu lösen, gelang ihm wegen der lauen
Maßnahmen des Unionsgenerals nicht. Hierüber
unmuthig, hauptsächlich aber eingeschüchtert durch
Nachstellungen von Seiten fanatischer Spanier,
trat er plötzlich den Rückzug an und zwar in
einer solchen Eilfertigkeit, daß derselbe einer Flucht
eher als einem geordneten Rückzug ähnlich war.
Bei seiner Annäherung hatte der Landgraf
Moritz eine Abgesandtschaft zum Zwecke der Ver-
ständigung an ihn abgeschickt. Obwohl diese
Abgesandtschaft sich sehr beeilte, traf sie ihn
dennoch schon auf dem Rückzüge, so daß sie sich
genöthigt sah, noch rascher hinter ihm her zu
reisen. Endlich holte sie ihn in Heppenheiin ein,
hatte jedoch noch das Vergnügen, ihm bis Worms,
ohne vorgelassen zu werden, nachfolgen zu müssen.
Diese Eilfertigkeit war der Abgesandtschaft ganz
und gar unverständlich und ließ den Verdacht auf-
kommen, der Prinz beabsichtige nur, ihr aus-
zuweichen, sie wurde aber auch gleichzeitig die
Ursache, daß bei ihr zum ersten Male die Redens-
art auftauchte: „Er geht durch wie die
Holländer!", welche Redensart bald eine
stehende in Hessen und über die Grenze Hessens
hinaus gebräuchlich wurde, so daß sie noch heute
Gemeingut des deutschen Volkes ist.
Erwähnt sei zum Schlüsse noch, daß der Feld-
zug gegen Spinola, den Landgraf Moritz scherz-
weise „den Traubenkrieg" nannte, und betreffs
dessen er an seinen Kriegsrath im Feldlager zu
Worms schrieb: „Euch schmecken die Wormsganer
Trauben so gut, daß Ihr darüber die spanischen
Pommeranzen vergeht", bald darauf mit der
Auflösung der Union endete. Mit der Flucht
des Böhmenkönigs Friedrich von Prag und der
Auflösung der Union aber spielten nur die An-
fänge der dreißigjährigen Kriegswirreil aus, und
noch achtundzwanzig Jahre schwang die Kriegs-
furie ihre Geißel über den deutschen Ländern,
nicht in letzter Linie über unserem engern Vater-
lande Hessen.
Doch obgleich hier ganze Geschlechter von ihr
dahingerafft, ganze blühende Ortschaften weggefegt
wurden, die Worte: „Er geht durch wie ein
Holländer!" haben Alles überdauert, als
wollten sie noch heute Zeugniß davon ablegen, wie
unseren Vorfahren nichts auf der Welt verächtlicher
war, als im Felde dem Gegner die Hinterfront
zeigen.
241
Wenn die Sonne sinkt.
Novellette von E. Mentzel.
(Fortsetzung.)
§ie Generalin und Konstanze blickten unwillkür-
lich der lichten Erscheinung nach, bis sie hinter
~ einer Biegung der Landstraße verschwunden
war. Dann sagte die alte Dame: „Bei dem Anblick
dieses holden, liebreizenden Wesens muß ich aller-
dings zugeben, daß die frische, unentweihte Jugend
das Schönste im Leben ist."
„Nicht wahr?" gab Konstanze ernst zurück.
„Die Kleine ist aber auch ein entzückendes
Geschöpf! Seit sie mit ihren Eltern droben in
der neuen Villa wohnt, habe ich schon manchen
Gang gemacht, um sie zu sehen."
„Obwohl ich keine Malerin bin, that ich schon
mehrmals dasselbe", gestand die Generalm. „Und
doch kann ich das junge Mädchen nicht ohne
Wemuth betrachten?"
„Aber weshalb denn, Excellenz? Sie sieht
doch wie das verkörperte Glück aus und hat als
einzige Tochter sehr reicher Eltern gewiß alle
Ursache, mit ihrem Loos zufrieden zu sein."
„Freilich", gab die Angeredete zu. „Da
Fräulein Lilli heimlich verlobt und jedenfalls
eben im Begriff ist, den schon gestern erwarteten
Bräutigam abzuholen, lassen sich noch mehr
Gründe anführen, um sie glücklich zu nennen.
Allein sie erinnert mich in ihrem Aeußeren und
iu ihrem ganzen Wesen zu sehr an eine tief
unglückliche Frau. Diese lernte ich auch kennen,
als sie ein noch ebenso strahlendes und heiteres
Geschöpf war."
„Ah so, dann begreife ich Ihre Wehmuth!"
versetzte die Künstlerin verständnißvoll. „Lassen
Sie uns hoffen, Excellenz, daß Fräulein Lilli
glücklicher bleibt wie jene arme Frau."
„Das gebe Gott! Lieber würde ich einen
frühen Tod wünschen als ein solches Loos!"
„Excellenz, darf ich fragen, was dies für ein
Loos war?" versetzte Konstanze theilnehmend.
„Warum nicht! Was ich weiß, ist in meiner
Vaterstadt ja doch ein öffentliches Geheimniß.
Die Frau, von der ich rede, war die Gattin
eines berühmten Mannes. Bitter und schmerzlich
hat sie an sich erfahren müssen, daß Geistes-
größen in ihren Werken oft ganz andere Seiten
offenbaren als in ihrem Leben. Die Aermste
entstammte einer sehr angesehenen Familie. Sie
verliebte sich blutjung in ihren Mann und
heirathete ihn gegen den Willen der Eltern und
Geschwister. Das Glück blieb nicht lange unge-
trübt. Nachdem drei Kinder geboren waren, die
im Verlauf einiger Jahre wieder kurz hinter
einander starben, beging der geistvolle Herr einen
schnöden Vertrauensbruch nach dem anderen an
seiner Frau. Bald hatte er ein Verhältniß mit
einer Ballettänzerin, bald mit einem Dienstmädchen,
bald mit einer ganz verrufenen Person. Alle diese
schmutzigen Beziehungen ertrug die arme, mittler-
weile schwer leidende Frau mit einer wahren
Himmelsgeduld. Als er sich jedoch vor etwas
mehr als zwei Jahren in eine berühmte Schau-
spielerin, Sängerin oder sonstige Dame von der
Kunst, deren Namen man nicht kennt, so leiden-
schaftlich verliebte, daß er sogar den Entschluß
faßte, sich von seinem todtkranken Weibe zu
trennen, da hatte Gott mehr Erbarmen und
erlöste die arme Frau. Sie starb glücklicherweise,
che der berühmte Mann den ersten Schritt zur
Auflösung der Ehe gethan hatte."
Die röthlichen Strahlen der Sonne, deren
feurige Scheibe eben hinter dem Höheuzuge in
der Ferne versank, gossen ein blendendes Licht
über den hochgelegenen Garten und die ganze
Gegend. Es lag deshalb nichts Auffallendes
darin, als die Künstlerin ihre Augen mit der
Hand bedeckte und während der Erzählung der
alten Dame ihren Stuhl etwas weiter fort aus
dem grellen Schein in den Schatten eines Baumes
schob! Die Generalin schien denn auch diese
Schutzmaßregel ganz begreiflich zu finden. Sie
schob die Bank ebenfalls etwas mehr zur Seite
und bemerkte deshalb nicht, daß Konstanzens
Gestalt in innerem Sturme bebte, daß ihre
schlanken Finger heftig zitterten.
Eine Weile verging, ehe eine Erwiderung über
ihre Lippen kam. Mehrmals wollte sie sprechen,
allein ihr Herz schlug noch überlaut, und sie
war noch nicht Meisterin ihrer Stimme. Endlich
nahm sie alle Kraft zusammen und fragte iu
einem Tone, der fast hart klang, doch von heim-
licher Spannung erfüllt war: „Hat denn der
berühmte Mann inzwischen seine Geliebte ge-
heirathet, Excellenz?"
„Nein", gab die Angeredete harmlos zurück.
„Seit dem Abschluß des Trauerjahres hat man
schon vergeblich auf die Anzeige der Verlobung
gewartet. Verschiedene Leute glauben deshalb,
die Geschichte sei nur ein schlau erfundenes
Märchen gewesen."
242
„Das wäre ja wohl auch möglich", meinte
Koustanze ausathmend, indem sie sich mit dem
Taschentuche über die Stirne wischte.
„Möglich schon, aber in diesem Falle nicht
zutreffend. Als ich die arme Frau kurz vor
ihrem Ende besuchte, klang aus allen ihren
Worten die Furcht vor der gefährlichen Neben-
buhlerin. Ich merkte es wohl, sie versuchte auch
von mir zu erfahren, was ich freilich ebenso
wenig wußte wie alle Andern."
„Die Unglückliche!" seufzte Koustanze ergriffen.
„Doch warum gelang es ihr nicht, den Gatten
an sich zu fesseln? War sic vielleicht eine be-
schränkte Natur, die ihn nicht verstand und ihn
in seinem geistigen Streben hemmte? — Sv
etwas kommt doch vor!" —
„Gewiß", gab die Generalin zu und sah er-
staunt in das erregte Antlitz der Hausgenossin,
deren Auge in sichtlicher Spannung an ihren
Lippen hing. „Aber in dieser unglücklichen Ehe
war es nicht der Fall. Die Fra» besaß ein
feines Verständniß für die Gaben ihres Mannes,
sie war hochgebildet, auch sehr schön, konnte aber
dennoch einen so wankelmüthigen und unedlen
Menschen nicht dauernd fesseln. Ein Andrer wäre
vielleicht überglücklich mit ihr geworden."
Koustanze erhob sich und ging im Schatten
auf und ab. Als die Augen der alten Dame
nicht mehr ans ihr ruhten, sah sie ans, als wäre
eben ein hartes Urtheil über sic gefüllt worden.
Unsicher traten ihre Füße auf den geschorenen
Rasen, ihre Züge zeigten den Ausdruck namen-
loser Bitterkeit. Jedoch seit sie gegen ihr Gewissen
in den Bann einer heißen Leidenschaft gerathen
war, hatte sie gelernt, sich zu beherrschen und
harmlos zu erscheinen, derweil ihr Herz blutete
oder sich in heimlicher Angst verzehrte. Nachdem
sie wieder Platz genommen, sagte sie ganz ruhig:
„Ich bin gespannt, ob sich der Herr wirklich mit
seiner Geliebten verloben wird. — Mir scheint
es etwas unwahrscheinlich zu sein."
„O, ich glaube längst nicht mehr daran, Fräu-
lein Verleit", versetzte die alte Dame bestimmt.
„Wer weiß, welche neuen Reize ihn jetzt wieder
fesseln! Für das, was die geheimnißvolle Ge-
liebte der armen Frau anthat,' hat vielleicht eine
Andere schon unbewußt das Richteramt über-
nommen."
„Sv wird es wohl sein", gab Koustanze zu;
dabei verschränkte sie die Arme fest über der
Brust, weil diese den inneren Aufruhr in heftigen
Regungen verrathen wollte. „Die Nemesis ent-
wickelt oft eine erbarmungslose Härte, wenn es
gilt, ein Unrecht zu sühnen. — Ich — ich habe
das auch schon erfahren."
„Nun, dann wollen wir aber das trübe Thema
fallen lassen", meinte die Generalin, die Kon-
stanzens Worte falsch deutete und jetzt manches
Räthselhafte in ihrem Wesen vollständig zu be-
greifen wähnte. „Darf ich sehen, was Sie
augenblicklich lesen?" fragte sic und hob das
Buch vom Boden, das sie soeben dort bemerkte.
„Ich — ich wollte erst damit beginnen",
brachte Konstanze stockend hervor, denn es wurde
ihr doch ungemein schwer, der würdigen Dame
gegenüber eine Unwahrheit zu äußern.
Diese hatte kaum den Titel gelesen, als sie
unwillig den Kopf schüttelte und das Buch mit
einer Geberde des Abscheus ans den Tisch legte.
„Von diesem Schriftsteller lese ich grundsätzlich
nichts", sagte sie niit fast harter Entschiedenheit.
„Warum denn nicht, Excellenz? Derwall ist
doch einer unserer ersten Autoren."
„Mag sein! Aber er war auch der Gatte
jener unglücklichen Frau, von der ich Ihnen soeben
erzählte. Selbstverständlich würde ich seinen
Namen nicht nennen, wenn sein unglückliches
Eheverhältniß und seine zweifelhaften Beziehungen
zu anderen Frauen bei uns nicht allgemein bekannt
wären. Daß ich mir von einem solchen Herrn
nicht schildern lassen will, was Liebe und Treue
ist, werden Sie begreiflich finden."
„Gewiß", stimmte Koustanze aus voller Seele
zu. „Auch ich werde von nun an nie mehr
etwas von ihm lesen."
„Bleiben Sie dabei, meine Liebe, und Sie
werden nichts Werthvvlles verlieren. Da ich
Ihnen aber ein trauriges Kapitel ans dem Lebens-
roman dieses Mannes erzählte, dürfte dies Buch
das, tvie ich sehe, erst soeben erschien, immerhin
von Interesse für Sie sein. Vielleicht giebt es
unter dem Schleier der Dichtkunst Aufschluß über
manche dunklen Punkte, die im Leben seines
Verfassers keine Aufklärung erhalten."
„Sic meinen, Excellenz?"
„Ja, das ist meine Ansicht. Es füllt mir
auch eben wieder ein, daß ich kürzlich hörte,
Dr. Ernst Derwall habe im letzten Jahre viel
im Hause eines durch den Verkauf von Ländereien
steinreich gewordenen Gärtners verkehrt und dessen
bildschöner Tochter eifrig den Hof gemacht. —
Wenn sich seine Wünsche verwirklichen, muß er
doch versuchen, der verabschiedeten Geliebten
gegenüber seine Handlungsweise poetisch 511 be-
schönigen. In solchen Dingen soll er Meister sein."
Während die Generalin eben von dem Verkehr
des berühmten Schriftstellers mit der reichen
Gärtnersfamilie sprach, gellte der schrille Pfiff
einer Lokomotive durch die weiche Svmmer-
abendluft. Fuhr Konstanze bei diesem plötzlichen
243
Ton zusammen oder raubte ihr eine blitzartig
durch sie hinznckende Ahnung für einige Augen-
blicke die Selbstbeherrschung? — Dann unter-
hielt sie sich wieder unbefangen mit der alten
Dame, die sich erst entfernte, als der mit der
Post vorüberfahrende Bote der Künstlerin einen
Brief in den Garten reichte. Zweifellos mußte
dieselbe ans daS Schreiben gewartet haben; denn
man merkte es an ihrer Unruhe, wie sie auf den
Inhalt gespannt war! Hatte die Adresse nicht
die Schriftzüge einer Frauenhand getragen, die
Generalin würde überzeugt gewesen sein, daß hier
die Liebe mit im Spiel sei.
„Bleiben Sie nicht zu lange draußen, liebes
Fräulein!" rief dje alte Dame Konstanzen noch
zu, als sie sich schon ein paar Schritte entfernt
hatte. „Wir haben Ende August, da wird es
schon empfindlich kühl, wenn die Sonne gesunken ist."
Die Künstlerin nickte' und schauerte in sich
zusammen. „Ja, es wird kühl, wenn die Sonne
sinkt," sprach sie leise vor sich hin und trat, den
Brief in der Hand, in eine Laube, die auf einer
Erhöhung über der Landstraße lag und von
dichten Buchenwänden umschlossen war.
Eine Viertelstunde mochte verstrichen sein.
Ueber dem Goldglanz im Westen flatterten
schleierhafte Gebilde; durch die Bäume rauschte
der Abendhauch. Es wurde stille in der Natur,
seit die Sonnenscheibe in einem blaßblauen Meere
hinter der fernen Höhenkette versunken war.
Auch in Konstanze wurde es allmülig ruhiger.
Sie faltete den Brief zusammen, den ihr die
Vertraute ihres Verhältnisses zuschickte, und ver-
gegenwärtigte sich nvch einmal das letzte Zusammen-
sein mit dem angebeteten Manne. Damals,
als sie von seiner Liebe das Opfer verlangte,
daß er sie während des Trauerjahres nicht sehen
und erst nach Ablauf desselben an die Ver-
öffentlichung ihres Verhältnisses denken solle,
damals war zuerst die Ahnung jenes Wandels
in ihr aufgeblitzt, den sein letztes Werk ihr an-
gekündigt, sein Brief soeben zur Gewißheit gemacht
hatte. Eigentlich hätte sie vor einem Jahre von
seinem leidenschaftlichen Unmuth beglückt sein
müssen. Dennoch war trotz aller Liebe zu ihm
doch ein leises Grauen durch sie hingeflogen,
als er mit einem wichtigen Abschnitt seines
Lebens so ruhig abschließen und der Entschlafenen
nicht das kleinste Opfer bringen wollte. Wie
sie hierüber dachte, hatte sie ihm keineswegs
verschwiegen. Doch mit derselben überzeugenden
Beschönigungskunst, mit der er die Wandlung im
Gemüthe seines Romanhelden und sein eigenes
unmännliches Verhalten als die nothwendige
Folge einer inneren Entwickelungsphase darzu-
stellen verstand, hatte er sich auch selbst zu ver-
theidigen gewußt. Und Konstanze war der Gewalt
seiner Worte, dem Zauber seines Wesens alsbald
erlegen. Schließlich fand sie es trotz heimlichen
Bangens begreiflich, daß er sich durch seine un-
befriedigte Ehe heftig nach einem ächten Herzens-
bunde sehnte und der Frau nicht lange nach-
trauern wollte, die ihn nie verstanden und ihm
das Leben zur Qual gemacht hatte. Doch, —
Konstanze wußte es jetzt —, ihr guter Genius
hatte über ihr gewacht, als sie dennoch auf ihrem
Verlangen bestand intb den Platz der Verstorbenen
durchaus nicht allzuschnell einnehmen wollte.
Dunkle Gluth schoß in das Antlitz der Künst-
lerin, indeß sich ihre schönen Züge in dem
Ausdruck grollender Bitterkeit verhärteten. Mit
einer Lüge fing er einst ihr Herz, durch eine
Lüge hatte er sich wieder von ihr frei gemacht!
Die arme Frau, die er verleumdete, um sein
Ziel zu erreichen, war gerächt. Was sie still
ertragen mußte, legte jetzt das Schicksal als
Sühne auch der gefürchteten Nebenbuhlerin auf.
Dentt, wenn Konstanze ihn auch verachtete und
sich glücklich pries, daß es anders gekommen war,
wie sie gehofft, so vermochte sie doch ein Gefühl
nicht aus ihrem Herzen zu reißen, das unter
schweren Kümpfen darin so tiefe Wurzel ge-
schlagen hatte. Konstanze haßte Derwall und
liebte ihn dennoch mehr als zuvor. Sie schämte
sich dieser Empfindung und konnte sie doch
nicht unterdrücken. Obwohl sic voll Reue an
die Qualen des armen, verkannten Weibes
dachte, flüchtete sie sich trotzdem in bodenlosem
Weh iit die Zeit, da ihr sein Herz wirklich ganz
zu gehören schien. Belügen konnte sie sich nicht,
selbst in dieser schweren Stunde mußte sie sich
ehrlich eingestehen, wie sehr sic ihn geliebt hatte,
wie heiß sie ihn nvch liebte. Diese Enttäuschung
hatte eine Kluft in ihr Inneres gerissen, die
jenen Umwälzungen vulkanischer Erdstöße in der
Natur glich, deren Gewalt eine ganze Gegend
im Nu verändert, ohne deshalb ihrem Boden
einen anderen Gehalt zu geben. — Wie im
Garten und in den Gefilden ringsuiu war es
auch Abend für Konstanze geworden. Was nach
dem Tode der geliebten Eltern ihr das Leben
wieder werth machen uub verschönen sollte, war
plötzlich versunken wie dort das scheidende Licht
hinter dem Gebirge. Aber Niemand sollte erfahren,
was sie bei diesem Erlebniß empfand, am wenigsten
er, der sie nie ganz gekannt, der überhaupt von der
Tiefe und Kraft einer großen Leidenschaft keine
Ahnung hatte. Nur vor etwas bangte ihr noch,
vor einer dunklen Gewißheit, die auch jetzt wieder
244
bett Feuerbrattb in ihr wunbes Herz schleuberte
unb viele schmerzliche Fragen nnb Gebanken
entfachte. — —
Leises Flüstern schreckte Konstanze aus tiefem
Sinnen auf. Sie hob beit Kopf unb sah
in bie Lanbstraße hinunter. Da schritt eben
ein Paar, zärtlich an einanber geschmiegt, langsam
aufwärts. Bei biesem Anblick staub ihr bas
Herz in ungeheuerem Entsetzen stille. Es war
ihr, als ob sie eilt Faustschlag treffe unb ber
Bobett unter ihren Füßen hinweggezogen würbe.
Dennoch erhob sie sich unb sah burch eine Oefftnuig
ber Laube betn ganz in sein Glück versunkenen
Paare starren Blickes so lange nach, bis bie
bnnklen Schattett alter Bäume besseit Gestalten
ihren Angen entzogen. Aus ber Ferne klang
aber noch bas silberhelle lustige Kichern einer
melobischen Mäbchenstimme beutlich burch bett
Frieben ber Dümnierung leise zu ihr herüber.
Längst war es bnnkel unb kühl geworben, buch
noch immer buchte Konstanze nicht an bie
Mahnung ber mütterlichen Freunbin. Jit
Hkil'gk Armuth.
Heil'ge Armuth, weltverschmähte, bie sich tröstenb
Gott erwählte,
Die er in Jubäas Bergen selig lächelnb sich
vermählte,
Die er ans bem Staub ber Demuth zur Gefährtin
sich erhoben,
Deren tiefgebeugtes Antlitz er mit gvlb'nem Scheut
umwoben —,
Wo Du gehst auf bieser Erbe mit bett wunb-
gerieb'nen Füßen,
Mit beut Staub auf Deinem Kleibe —, laß
Dich ehren, laß Dich grüßen:
Ob Du atis ber Klosterpforte trittst am thau-
beglünzten Morgen
Unb mit gottgegeb'nem Herzen Dich belübst mit
fremben Sorgen,
Ob Du wohnst int ernsten Geiste eines Mannes,
ber ba kannte
Jebe Nichtigkeit bes Lebens unb Dich breimal
selig nannte,
Ob Du stehst an Kirchenthüren, auf bem Antlitz
sanfte Trauer,
Unb Dich, scheu vor hartem Worte, an bie Steine
brängst ber Mauer,
Ob Du alt nnb einsam wanberst an bem Krück-
stock auf bett Wegen
Gebanken versunken saß sie in ber Laube.
Enblich erhob sie sich unb schritt bie Stufen
zu ber Billa hinan. Ringsum herrschte tobten-
haftes Schweigen. Nur ber leise Gesang eines
halbverschlafenen Vogels traf ihr Ohr, unb eilt
feuchter Hauch wehte von bett Felbern an sie
heran unb kühlte ihr heißes Gesicht. Weiße
Nebel wallten zitternb über bett Wiesen im
Grunbe, bie Bäume bes Gartens rauschten ge-
heimnißvoll ; auf bett Wipfeln bes nahen Walbes
wölbte sich ber bunkelblane, von zahllosen Sterneit
übersäte Himmel. Bei biesem Anblick kam wieber
Friebe in Konstanzens erregte Seele. Sie blieb einen
Augenblick stehen, sah in bett stillen Abenb hinaus
unb sprach leise vor sich hin, als ob sie zu einer
anberen Person rebe: „Ja, wenn bie Sonne
sinkt, bann wirb es kühl unb sterben bie Farben!
Aber im Dunkel ba naht ber Friebe, ba gehen
bie Sterne auf nnb leuchten! — Nein, ich bin
nicht unglücklich unb verlassen! — Stehe ich auch
ganz allein, so habe ich hoch meine Kunst, sie soll
mir helfen, sie wirb mir helfen!"---------------—
8 folgt.)
Unb bem kargen Geber wünschest tausenbfachen
Gottessegen,
Ob im kurzeit Kinberröckchen unb mit nackten
kleinen Füßen
Blutenb gehst auf harten Steinen, um mit
Veilchen uns zu grüßeit,
Ob Du bumpf, verweinten Auges starrst burch's
Fettster Deiner Hütte, —
Ach, kein Stücklein Brvb im Kasten, keine Decke
auf ber Schütte! —,
Ob verschämt unb in Ergebung Du Dich plagst
bie langen Nächte,
Träumenb von bem Tag ber Sonne, ber auch
Dir Erlösung brachte.
Ob im Schooß ber Riesenstäbte, hungernb, mübe
unb verloren,
Du in kalten Winternächten seufzest: „Wär' ich
nie geboren!" —,
Ob Du im Maschinensaale, halberstickt vom
heißen Staube,
Ferne hörst ber Büche Rieseln, ferne siehst bes
Walbes Laube,
Ob im Massengrab bes Friebhofs eine Nummer
nur bett Tobten
Seiner blassen Waise anzeigt, weil zu theuer
Grunb unb Boben,
Ober ob ein Kreuz am Wege sagt: Hier ist er
hingesunken,
245
Da er Holz gefällt im Walde; Erde hat sein
Blut getrunken —,
Ob der dichte Kirchhofsrasen seines Dörfchens
deckt mit Frieden
Einen treuen Mann der Arbeit, namenlos dahin-
geschieden,
Ob Du mit der Mutter wanderst, die ihr Kind,
in Schmerz geboren,
Meilenweit zum Arzte hinträgt, daß er sagt:
„Es ist verloren!" —,
Ob das Stundenglas in Händen Du am Bette
weilst des Kranken,
Der die Seinen läßt im Elend und sich martert
in Gedanken,
Oder ob mit leichten Schritten froh Du wanderst
durch die Auen,
Weil Dir wohl wird in der Freiheit, nnter'm
Himmelsdom, dem blauen,
Weil für Dich die wilden Blumen drohen wachsen
auf der Halde,
Weil für Dich die wilden Wasser rauschend
singen tief im Walde,
Weil für Dich den sel'gen Glauben, abgetrag'nes
Kleid der Reichen,
Gottes Liebe aufbehalten, als sein bestes Gnaden-
zeichen.
In den Kirchen, wo die Mutter lächelt mit dem
süßen Kinde,
Lächeln heut' noch Deine Greise, wohnt Dein
großes Zugesinde,
Das Dich liebt und ehrt im Geiste. Um das
Kreuz des ewig Einen
Drängen sie sich noch in Schnüren, um zu beten
und zu weinen.
Was der Welt ein Traum geworden, ist Dir
noch die sel'ge Wahrheit,
Was wir nur durch Nebel sehen, liegt für Dich
in sonn'ger Klarheit.
M. Kervert.
Märchen.
Es war die stumme Sommernacht
So mondenhell und lau,
Jni Schilfe sang ihr schönstes Lied
Die schönste Wasserfrau.
Fortuna stand arn Uferrand
Und lauschte — wie im Traum;
Der kühle Thau benetzte sanft
Des Duftgewandes Saum.
Es sang die junge Wasserfrau
So wundersam und weich —,
Die Göttin schaute weltentrückt
Wohl in den grünen Teich.
Da schmolz ihr Herz, da schmolz ihr Sinn,
Sic weinte tiefgerührt:
„Auf welche Bahnen hast Du mich,
O Zauberhild, geführt!
Viel' armen Wesen hab' ich heut'
Den höchsten Wunsch versagt:
Ich weiß, daß manches schlaflos liegt
Und heimlich um mich klagt." —
Sie hob ihr goldnes Flügelpaar,
Das schimmernde, ganz sacht. — — —
Am Morgen hat sie reiches Glück
Den Sehnenden gebracht.
Sascha tz-sfa.
Wärest An die blnne Fulde!
Wärest Du die blaue Fnlde
Und der Werrastrom wär' ich,
Strömt' ich zu Dir, meine Hulde,
Und nühm' in die Arme Dich.
Brust zu Brüsten dann jetzunder
Und im Vollgenuß des Seins
Schwämmen wir zum Meer hinunter,
Als die Weser — eins in eins.
Ludwig Mokr.
Aus alter und neuer Iert.
Heute Landgraf oder keiner mehr. Es
war am 23. Juli 1427, da war der vierundzwanzig-
jährige Ludwig I. Landgraf des Hessenlandcs.
Damals hatte der Erzbischof Konrad, ein Wild-
graf bei Rhein, den erzbischöflichen Stuhl in Mainz
inne. Konrad hatte zu Fritzlar bedeutenden Land-
besitz und suchte auf Kosten des Landgrafen diesen
noch mehr auszudehnen. Dieser aber dachte nicht
daran, sich seine Rechte im Geringsten schmälern zu
lassen, sondern bot alle waffenfähigen hessischen Männer
aus, um die unbilligen Forderungen des streitbaren
Erzbischofs mit Waffengewalt zurückzuweisen. Ob-
wohl nun die Mainzischen den Hessen au Zahl
weit überlegen waren, so vertraute der Landgraf
doch auf die Tapferkeit und Treue seiner Hessen
und sprach, im festen Vertrauen aus sein gutes
246
Recht, zu ihnen: „Sie haben meinen Vater nicht
tu Frieden gelassen, der war ihnen zu fromm;
gewohnten sie das an mir, so müßte ich ihnen ein
Zinsmeier sein und meine armen Unterthanen
müßten sie nähren und keinen Frieden dazu haben.
Heute Landgraf oder keiner mehr! Und wer ein
getreuer Hesse sein will, der folge mir." Daraus
sprengte er auf seinem Schlachtroß gegen die
Mainzischen, und mit Ungestüm folgten ihm alle
seine Mannen, schlugen die Feinde in die Flucht
von Englis bis in die Gegend von Jesberg, er-
beuteten 400 gesattelte Pferde und nahmen 200
Reisige des Erzbischofs gefangen.
Das geschah vor 500 Jahren uub soll uns eine
Mahnung sein, über die Siege der Neuzeit unserer
glorreichen hessischen Kriegsgeschichte nicht zu ver-
gesse».
Sch.
Landgraf Philippus Rückkehr. Den
11. September 1552, aus einen Sonntag, zog der
Landgraf Philipp, aus seiner Gefangenschaft zu
Mecheln befreit, in seinem lieben Kassel wieder
ein. Darüber lalltet der Bericht eines Chronisten:
„Als die Leute in der Neustadt, die eben in der
Kirche waren, des Fürsten Ankunft vernahmen,
sind sie Alle aus der Kirche gelaufen uub ihm
nachgesolget bis in die Kirche St. Martini, da er
sich vor dem Chor, allwo seine Frau Gemahlin
begraben liegt, geknieet und so knieend die ganze
Predigt über gesessen; darauf das te deum
laudamus gesungen. Als ihn seine Herrn Söhne
am Rhein empfangen, ist ein solch' Weinen gewesen,
auch noch im Fortreiten, daß die Kammerdiener
je zuweilen reine und trockene Schnupftücher geben
müssen."
H,
Esch weg er Brunnen fahrten. Noch vor
wenigen Jahren waren die Bewohner Eschweges
daraus angewiestn, ihrer: Bedarf an Trinkwasser
gegrabenen Brunnen zu entnehmen, deren Pumpen
man überall iu den Straßen wahrnehmen konnte.
In den heißer: Tagen des Sommers, um St.
Johannis her:::::, fand alljährlich die Reinigung
dieser Brunnen unter hergebrachter: Bräuchen statt,
bereu Ursprung sich in grauer Vorzeit verliert und
die unter dem Namen „Brunner:fahrten" be-
kannt sind. Jeder Brunnen hatte seine eigene
Brunnenfahrt. Keine war in der Wahl des Tages
vor: der anderen abhängig. Bei der Reinigung
betheiligte sich die sämmtliche Brunnengemeinde,
d. h. die Umwohnerschaft, welche ihren Wasser-
bedarf aus dem Brunnen zu decken pflegte, durch
Ziehen an dem Seile, welches die gefüllten Kübel
aus der Tiefe Heraufwand. Wer nicht selbst er-
schien, war durch Bedienstete vertreten, und die
liebe Jugend zeichnete sich, wie gewöhnlich bei
solchen Gelegenheiten, vor Allen dabei aus. Eirr
guter Schluck würzte jederzeit die Arbeit. War
der Brunnen von Wasser und Schlamm entleert,
schritt der Brunnenmeister der Stadt zum Salzen
desselben, wozu jedes Brunnengemeinde - Mitglied
sein Theil Salz beisteuerte. War dies geschehen,
wurde die Pumpe wieder eingesetzt, in Gang ge-
bracht und von dem jungen Volk mit Blumen-
gewinden bekränzt. Nach der Bekränzung fand
unter dem Vorantritt der Eschweger Stadtkapelle
unter Musik und Gesang ein Rundgang um die-
selbe statt, an welchem sich Alt und Jung be-
theiligte. Abends gab es Tanz, entweder auf dem
Leichberge oder in einem der vielen Säle der
Stadt. Die Kosten der Musik wurden durch frei-
willige Zeichnungen gedeckt. Vor Beginn des Tanzes
aber fand die Neuwahl eines Bürgermeisters uub
Schulzen statt, denen angeblich für das nächste
Jahr die Brunnenverwaltung oblag; in Wirklich-
keit aber waren dieselben nur verpflichtet, das
herkömmliche Einstandsfäßchen der Brunnengemeinde
zurr: Besten zrr geben. Die Dienstbote:: waren bei
dem Tanze nicht minder vertreten, wie die Herr-
schaften. Auch kam nicht selten der Fall vor, daß
die Eschweger, die ja zu leben wissen, mit dem
einen Abend nicht genug hatten und daß das
Vergnügen nach acht oder vierzehn Tagen sich iu
einer Nachkirmeß wiederholte; absonderlich war
das der Fall, wenn die Zeichungen ausgiebig aus-
gefallen waren. Nachdem die Stadt sich neuerdings
mit einer Wasserleitung versehen hat, und die
Brunnen dadurch überflüssig geworden sind, wird
das Verschwinden dieser Brunnenfahrten wohl nur
noch eine Frage der Zeit sein. —
Aus Hermath und Fremde.
Die 45. Jahresversammlung und die 50jährige
Jubelfeier des Hessen-Kassel'scheu Hanpt-
Vereins der evangelischen G u sta v - A d v l f -
Stiftung hat am 28. und 20. August unter
zahlreicher Betheiligung zu Homberg stattgefunden.
Am 3. September fand durch den Staatskonser-
vator Geh. Oberregierungsrath Persius aus dem
Kultusministerium im Beisein verschiedener Herren
eine Besichtigung der Gruft in der St. Martins-
247
kirche zu Kassel statt, in der die hessischen Land-
grafen beigesetzt sind. Es handelt sich um eine
Erweiterung und würdigere Herstellung der Ernst,
in der die Sarkophage eine geeignetere Ausstellung
finden können. Die Besichtigung hat die technische
Ausführbarkeit des Projektes ergeben. — In
Hersseld hat der Staatskonservator die Stadt-
kirche besichtigt und verfügt, daß die geplanten
Aenderungen in: Innern zu unterbleiben haben,
bis der betreffende Entwurf von einem bewahrten
Kirchenbautechniker geprüft sein würde.
In einem ihrer Berichte über die pharma-
zeutische Ausstellung, die mit dem in Kassel
im August abgehaltenen deutschen Apotheker-
tage verbunden war, bemerkt die „Apotheker-
zeitung": „Kassel hat von jeher auf dem Gebiete
der Fabrikation von Kartonnagen, Etiketten und
ähnlichen Apothekerbedarfs eine führ ende Stellnng
eingenommen und nicht wenig dazu beigetragen,
daß die bescheidene Ausstattung der früheren Zeit
mehr niib mehr eine reichere nnb vor Allem kunst-
vollere geworden ist. Es war denn auch zu er-
warten, daß gelegentlich einer pharmazeutischen
Ausstellung in Kassel das Vollendetste aus diesen
Gebieten geboten werden würde, und wir sind in
unseren Erwartungen nicht getäuscht worden. An
die Namen Wenderoth und Faubel reihte sich gleich-
würdig die Kartonnagen- itiib Papierwaarenfabrik
Becker & Marxhausen in Kassel an."
Aus Rotenburg a. F. gedenkt man eilten
Luftkurort zu machen. Es hat sich bereits ein
Ausschuß gebildet, der die Sache in die Hand
nehmen wird.
Am 1. August hat unser hessischer Landsmann
Dr. Otto Braun in München seinen 70. Geburts-
tag gefeiert. Ein Leben reich an Schaffen und an
Erfolgen liegt hinter ihm, doch nicht abgeschlossen;
denn der verdienstvolle Jubilar ist heute noch in
hervorragendem Maße literarisch thätig. Möge
uns noch manche Gabe seines Geistes bescheert
werden.
Im Anfang dieses Monats beging Professor-
Di'. Wilhelm Seelig zu Kiel sein fünfzig-
jähriges Doktorjubiläum. Er ist geboren am
21. Juni 1821 in Kassel, trat 1835 in die
Tertia des dasigen Gymnasiums ein, legte Ostern
1839 die Abilurientenprnsung ab und studirte
dann Staatswissenschaften in Göttingen. Hier
promovirte er 1844, wurde 1845 Privatdozent
für Nationalökonomie und 1852 außerordentlicher
Professor. Nachdem er von 1853 bis 1854 eine
Professur in Freiburg bekleidet hatte, folgte er
Michaelis 1854 einem Rufe zum ordentlichen
Professor der Nationalökonomie, Finanzwissenschaft
und Statistik an die Universität Kiel, welcher er
nunmehr 40 Jahre ununterbrochen angehört. Wir
rufen unserm hochangesehenen und allverehrten
Landsmann ein schallendes in multos annos! zu.
—nn.
UniversitätsNachrichten. Professor Fränkel
in Marburg, bekanntlich eine Autorität auch dem
Gebiete der Hygieine, hat der „O. Z." zufolge
den an ihn ergangenen Ruf an die Universität
Halle a. S. angenommen und gedenkt im
nächsten Sommersemester in feinen neuen Wirkungs-
kreis überzusiedeln.
In Alleghany-Pittsbnrgh' in Penn-
sylvanien feierten am 7. August d. I. Gottfried
Stöhr und seine Gattin Wilhelmine geb.
Prophet, beide aus Rosenthal in Kurhessen ge-
bürtig, unter großer Betheiligung von Verwandten
und Freunden das Fest der goldnen Hochzeit. — In
Paris starb im hohen Alter von 87 Jahren Herr
I. Rothschild, aus Hofgeismar gebürtig.
Seit 1828 in der Hauptstadt Frankreichs thätig,
hatte Rothschild sich aus kleinen Anfängen
heraus zu einem angesehenen Industriellen empor-
geschwungen ; er hinterläßt eine der bebentcnbften
Wagenfabriken Frankreichs.
Personalien.
Ernannt: Gymnasialdirektor Dr. Nobert Paehler
in Wiesbaden zum Provinzial-Schulrath und dem Pro-
vinzial -Schulkollegium in Kassel überwiesen; Gerichts-
assessor Stroth mann zum Amtsrichter bei dem Amtsgericht
in Sontra; zu Mitgliedern der kaiserlichen Disziplinar-
kammer in Kassel der Oberpostdirektor Tomforde in
Frankfurt a. M. und der königlich preußische Militär-
intendanturrath Gescke in Kassel.
Veanftragt: Die Pfarrer Limbert in Ostheim,
Kreis Hanau, mit Versehung der Metropolitanatsgeschüfte
der Klasse Windecken und Henß in Windecken mit Mit-
versehnng der ersten Pfarrstelle daselbst.
Verliehen: Den Kreisbauinspektoren v. d. Bercken
in Homberg und vom Dahl in Marburg der Charakter
als Banrath; dem Oberpostsekretär a. D. Emil Müller-
in Kassel der Rothe Adlerorden 4. Klasse und dem Post-
verwalter a. D. Heerdt zu Meerholz der königliche
Kronenorden 4. Klasse.
Verseht: Amtsrichter Fuchs in Niederaulaals Land-
richter an das Landgericht in Limburg a. d. L.
Pensionirt: Polizeisekretär Göbel bei der könig-
lichen Polizeidirektion in Kassel vom 1. Oktober d. I. ab.
Geboren: Dem Regierungsrath a. D. Studnitz,
Trachenberge, ein Sohn.
248
Vermähltr Karl Theilkuhl, Rittergutspächter und
Secondlieutenant der Landwehr, und Marie Theil-
kuhl, geb. Wickert lHomberg).
Gestorben: Direktor Gerhard Ledebur, 51 Jahre
alt (Ostritz, 22. August); August v. Linsingen (Mar-
burg, 24. August); .Postassistent Rudolf Kregelius
(Kassel, 26. August); Gerta Trömner, 7 Jahre alt
(Kassel, 31. August); Hans Walrab v. Keudell,
Söhnchen des königl. Landraths A. v. Keudell und Frau
Luise, geb. Henschel, 2 Jahre alt (Eschwege, 31. August);
Regierungsrath Eugen Wilke (Pontresina, 2. September);
Landgerichtsdirektor a. D. Geh. Justizrath Hermann
Dahlmann, 73 Jahre alt (Bad Nassau, 3. September) ;
Privatmann August Hartdegen, 66 Jahre alt (Kassel,
4. September); königl. Thenterfriseur Louis Berg
(Kassel, 6. September); Bertha Rin geling (Kassel,
8. September); Zahnarzt Ferdinand Pflüger (Kassel,
9. September); Generallieutenant z. D. Freiherr Bernhard
von dem Bussche-Haddenhausen, 71 Jahre alt
(Kassel, 9. September); Kaufmann und Handelsrichter
Hugo Pi schon, 52 Jahre alt (Berlin, 9. September);
Professor 1)r. Karl Krause (Zerbst); Frau Elise
Gonnermann, geb. Wollenhaupt, 71 Jahre alt
(Kassel, 9. September); Frau Anna Doehlert, geb.
Meyer, 24 Jahre alt (Kassel, 10. September).
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion find zu richten
an die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Kaffel,
Schloßplatz 4.
E. S. in Haina. Sobald als es nur der Raum ge-
stattet, wird der Abdruck erfolgen. Ein klein wenig Geduld
müssen Sie schon noch haben.
Pfarrer K. in Hundelshausen bei Witzenhausen.
Senden Sie gefälligst die in Ihrem Briefe erwähnten
Manuskripte ein.
Frln. Er. 8t. in Kassel. „Waidmannsheil" empfangen;
vorläufig unsern Dank.
L. M. in Eschwege; A. W. in Oberleimbachshof
bei Hünfeld; W. K. in Frankfurt a. M. Sendungen
erhalten.
Anzeigen.
Führer durch Oberhessen n. durch. d. j:«ijn=, Eder-,
Dill-, Ohm- unb Schrrmlmthal, den Kellerur ald rc.
herausg. v. Hauptlehrer K. Schneider,
Schriftführer des Oberhessischen Touristenvereins.
Einziger und bester Führer, enth. 164 Touren von
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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen, sowie auch direkt
gegen Einsendung des Betrages vom Verleger.
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IufmnmenfteUung
der
im Regierungsbezirk Tastet geltenden, die
Fischerei
betreffenden gesetzlichen Bestimmungen.
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Preis 60 Pfg.
Nachdruck in den hessischen Zeitungen erbeten!
Aufruf!
Ich. beabsichtige für den Weihnachtstisch der
hessischen Familien ein
KesslscheS Wlchterbuch
herauszugeben. Dasselbe soll möglichst alle gegen-
wärtig lebenden hessischen Dichter und Dichterinnen
vereinen und ein Bild von dem reichen Born
hessischer Poesie geben. In geschmackvollem Ein-
band — geziert mit dem hessischen Löwen —
wird es auch jedem Büchertisch zum Schmuck ge-
reichen. Wer die litterarischen Leiden unserer
Zeit kennt, wird es begreiflich finden, daß ich
vorher eine Subscription eröffne und von dem
Erfolg derselben das Erscheinen des Werkes ab-
hängig machen muß. Indem ich hiermit alle
hessischen Dichter und Dichterinnen zu gütiger
Mitarbeit, alle Hessen und Hessenfreunde in und
außer ihrer Heimath aber zu reger Subscribirung
ans das sicherlich willkommene Werk einlade,
zeichnet
ergebenst
Valentin Traudt,
Rauschenberg in Hessen.
XL. Bestellungen und Beiträge an dieselbe Adresse
erbeten! Ueber den Stand der Angelegen-
heit erfolgt von Zeit zu Zeit Bericht.
M a r b u r g. Carl Kraatz, Buch- und Kunsthandlung.
Unsere verehrlichen Abonnenten bitten wir, das Abonnement aus das „Hestenland"
gefälligst rechtzeitig für das IV. Quartal 1894 erneuern zu wollen. Neubestellungen
(vierteljährlicher Bezugspreis 1.50 JL) nehmen die Buchdruckerei von Friedr. Scheel in Kaffel, alle
Buchhandlungen und Postanstalten (Postzeitungsliste Nr. 3031) jederzeit entgegen. Die bereits
erschienenen Nummern des Jahrgangs können nachgeliefert werden.
Wedaktion und Vertag des „Keffentandes".
Für die Redaktion verantwortlich: Di*. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hejlenltmd" erscheint am 1. und 15. jedes Monats 11/a bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 19 des „Hessenlandes": „Enttäuscht", Gedicht von Valentin Traudt; „Meine Reise nach
Stettin im Jahre 1866" (Verfasserin: Ihre Durchlaucht die verstorbene Fürstin Auguste von Isenburg und Büdingen);
„Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz (Fortsetzung) ; „Geschichte der Familie
Hille", von Dr. med. Friedr. Hille (Schluß) ; „Wenn die Sonne sinkt", Novellette von E. Mentzel (Schluß);
„Herbst", Gedicht von Therese Keiter; „Waldmädchens Morgenlied", von Wilhelm Bennecke; Aus alter und neuer
Zeit; Aus Heimath und Fremde; Briefkasten.
Enttäuscht.
äuf sonnenlichten, gold'nen Wogen
War einst das Glück auch meinem Pfad
3it Herrscherpracht vorbeigezogen
Und hatte huldvoll sich genaht.
Es riß mich fort das wilde Jagen,
Das keinen Blick zur Leite wand,
Wenn von dem schätzereichen Wagen
Austheilte eine volle Hand.
Und Mancher hat sich scheu geborgen,
Was And're gierig sich errafft,
Und jagte dann voll neuer Sorgen
Und kämpfte wie mit Narrenkraft. . . .
Auch mir gab von des Mantels Säumen
Die Göttin einen in die Hand;
Non selt'nem Glück durft' ich nun träumen,
Wie ich bisher es nie gekannt.
Doch endlich schritt mein Fuß nicht weiter,
Auf grauer Heide hielt ich an:
Fern irrte nur ein fingerbreiter
Herbstfaden über meine Bahn.
Rauschenberg. Datentin Hraudt.
-°-<S=y=S>-c-
250
Meine Meise nach Stettin im Jahre 1866.*)
onntag den 24. Juni faßte ich den Entschluß,
nach Wilhelmshöhe zu reisen, und da wir
wenig von der dortigen trostlosen Lage wußten,
so hoffte ich, ohne Hinderniß bei Papa sein zu
können. Ich fuhr**) nach Frankfurt a. M. zu dem
französischen Gesandten, le Comte de Ricnlot,
und ersuchte ihn, mir behülflich zu sein, um mit
Sicherheit reisen zu können, und sehr zuvorkommend
versprach er, die geeigneten Schritte zu thun. Den
folgenden Tag erkundigte ich mich nach dem Erfolg
seiner Bemühungen und hörte durch ihn und den
holländischen Gesandten von Sch aas, daß ich
wahrscheinlich mit bedeutenden Schwierigkeiten zu
kämpfen haben würde, um bis nach Wilhelmshöhe
zu gelangen. So entschloß ich mich, an den König
von Preußen direkt zu telegraphiren, um mir
seine Genehmigung für mein Ziel einzuholen.
Die deutschen Telegraphenlinien waren jedoch
zerstört, das Telegramm mußte seinen Weg über
Paris und Brüssel nehmen, und da die Antwort
voraussichtlich lange ausbleiben würde, wollte ich
dieselbe nicht abwarten, sondern nach Kassel ab-
reisen und sie mir dorthin nachsenden lassen.
Mit Senator Berausch) fuhr ich zu dem englischen
Gesandten Sir Alexander Malet und bat
um einen Paß, den er mir mit größter Bereit-
willigkeit ausfertigte; darauf kehrte ich Nachmittags
nach Hanau zurück, ließ einen Reisewagen packen,
nahm Abschied von den Meinigen und reiste
Abends 8 Uhr ab. Nach 11 Uhr war ich in
Wächtersbach, wo ich meine schlafenden Kinder
*) Die im Jahre 1887 verstorbene Verfasserin, Ihre
Durchlaucht die Fürstin Auguste von Isenburg
und Büdingen in Wächtersbach, die älteste Tochter des
Kurfürsten Friedrich Wilhelm I., hat diese Reisebeschreibung
in Urschrift mit der Bestimmung in vertraute Hände
gelegt, sie s. Zt. zu veröffentlichen. Von dieser unserm
Blatte befreundeten Seite wurde sie uns zur Verfügung
gestellt, und wir machen von der Erlaubniß der Ver-
öffentlichung um so lieber Gebrauch, als es sich um einen
Beitrag zu einer historisch wichtigen Epoche unserer
vaterländischen Geschichte handelte. An einzelnen Stellen
haben wir den Inhalt ergänzende Anmerkungen hinzugefügt.
D. Red.
**) Die Fürstin hielt sich damals in Hanau auf.
f) Freiherr von Bernus in Frankfurt.
küßte, einige Anordnungen traf, um nach einer
Stunde meine Reise fortzusetzen. In zwei Stunden
war ich in Birstein, blieb leider länger als ich
wollte bei den Damen dort, da es lange dauerte,
bis ich Pferde bekam. Nun ging es über den
Vogelsberg nach Lauterbach, Alsfeld, und um
12 Uhr den 26. Mittags kam ich in Ziegenhain
an; ich fuhr an das Haus der alten Drey dorfs*),
und dort erfuhr ich, daß Papa schon den Sonnabend
vorher Wilhelmshöhe als Gefangener hatte ver-
lassen müssen. Es hieß, er sei nach Küstrin ge-
bracht, und nicht einmal konnte man mir sagen,
wer ihn von seiner Umgebung begleitet habe.
Mein Entschluß, ihm zu folgen, schwankte keinen
Augenblick. Ich schrieb an Ferdinand**), er-
suchte den Landrath***), den Brief in schnellster
Weise zu befördern, und so bald ich Pferde hatte,
die der Domainenpächter mir freundlich anbot,
reiste ich weiter über Wabern nach Kassel. Auf
dem ganzen Weg waren keine Soldaten zu sehen
gewesen, im Dorfe Niederzwehren fand ich die
ersten. Ich passirte diese sowie die Wache am
Frankfurter Thore, ohne angehalten zu werden,
und fuhr um 7 Uhr durch die Friedrichsstraße
an das Hofthor des Fürstenhauses, wo ich aus dem
Wagen sprang und zu Herrn von Heeringench)
eilte. Bei ihm erfuhr ich die widerrechtliche,
schmähliche Behandlung chch), die Papa und seine
Umgebung hatte ertragen müssen, schweige aber
über die Einzelheiten, da schon andere Federn
dieselben niedergeschrieben haben. Ich ließ Ober-
stallmeister von Eschwege bitten, zu kommen,
und er besorgte mir einen Paß des französischen
Gesandten Grafen Boudh nach Stettin, wohin
man, wie ich jetzt hörte, Papa gebracht habe.
*) Bürgermeister von Ziegenhain.
**) Gemahl der Fürstin, den noch jetzt regierenden
Fürsten.
***) Otto von Gehren,
t) Damals Oberhofmarschall.
tt) Hier ist offenbar die Behandlung seitens eines
preußischen Hauptmanns v. L. gemeint, die damals in
Kassel vielfach besprochen wurde und selbst den Unwillen
des preußischen Gesandten, Generallieutenants von Roeder,
erregte.
251
Die Herren fürchteten trotz des Passes, daß meiner
Weiterreise Schwierigkeiten in den Weg gelegt
werden könnten, und von Eschwege schlug mir
vor, unter der Maske einer Augenkranken angeblich
nach Berlin zu reisen, was ich den andern Morgen,
nachdem ich wenige Stunden bei Elisabeth*),
die ich sehr krank fand, geruht hatte, glücklich
durchführte. Mit Hofrath vr. Schotten**)
hatte ich Verabredung genommen, daß er mich
den 27. Morgens in seinem Wagen abholen und
zur Eisenbahn geleiten sollte; um 6 Uhr sollte
der Zug nach Berlin abgehen, und ich erwartete
Hofrath Schotten im Tuch und Kapothut mit
dichtem blauen Schleier von Fräulein Weever ***),
welchem Kostüm er noch eine blaae Brille zufügte.
Meine Kammerfrau war allein mit einem kleinen
Koffer zur Bahn gegangen, ebenso der Laquai
mit dem Reisesack, jedes selbstständig für sich.
Ayi Bahnhof angekommen, erfuhr ich zu meinem
Schrecken, daß cs noch unsicher sei, ob der Zug
abgehen würde, und ich blieb deshalb, in die
Ecke meines Wagens gedrückt, sitzen, bis sich
die Sache günstig entschieden hatte. Hofrath
Schotten löste mein Billet, und an seinem
Arm durchschritt ich den Wartesaal. Er erkannte
in einem der Waggons die Familie Thüngenff)
und den Grafen Paarfifi), und nachdem er mich
ihnen genannt hatte, fand ich einen Platz bei
ihnen. Sie waren auf der Reise nach Frankfurt
begriffen, und so konnte ich durch sie Nachrichten
an die Meinigen gelangen lassen. Bis kurz vor
Holzminden blieben wir zusammen, dann setzte
ich meinen Weg allein fort, und nach verschiedenen
Aufenthalten kam ich um 3/+10 Uhr in Berlin
an. Mit einen: Briefe des Grafen Bondy fuhr
ich direkt vor das Hotel des französischen Gesandten
Mr. Benedetti und bat ihn, mir mit Rath-
schlägen behilflich zu sein, wie ich mich nach meiner
Ankunft in Stettin zu verhalten habe, um zu
Papa zu gelangen, denn ich hatte keine Vorstellung,
in welcher Weise seine Gefangenschaft gehalten
würde. —
Mr. Benedetti erbot sich zu Bismarck zu
fahren und versprach mir, noch denselben Abend
Nachricht in das Gasthaus zu bringen, in dem
ich absteigen würde. Ich nannte Hotel du Nord,
und nach einer halben Stunde erschien dort der
Gesandte mit verzweifelnden Nachrichten. Graf
Bismarck hatte erklärt, daß er mich unter keiner
Bedingung zu Papa lassen würde, denn der
*) Prinzessin Wilhelm von Hanau.
**) Hofmedikus.
***) Gesellschaftsdame der Prinzessin Elisabeth,
f) Bayerischer Gesandter in Kassel,
ff) Oestereichischer Gesandter.
antipreußische Einfluß, den ich auf ihn ausübe,
sei so bekannt, — daß er von meiner Ankunft
benachrichtigt sei und Befehl gegeben habe, mich
in Stettin zu arretiren. Mr. Benedetti rieth,
daß ich meine Absicht aufgeben möchte, denn der
Willen Bismarck's sei eisern, aber hierzu wollte
ich mich nicht verstehen, sondern Alles daran setzen,
um mein Ziel zu erreichen. Als es am nächsten
Morgen, den 28., endlich 9 Uhr war, schrieb ich
an die Gräfin Oriola, setzte ihr mit kurzen
Worten den Grund meiner Anwesenheit auseinander
und bat sie, mich um 11 Uhr zu empfangen, um
ihr das Nähere mitzutheilen. Anstatt dessen kain
sie selbst um diese Stunde zu mir, hatte aber
keinen Trost für mich, indem sie versicherte, die
Königin, um deren Vermittlung ich bat, bliebe
allem Politischen fern. So beschloß ich denn, an
den König zu schreiben, und bat die Gräfin, den
Grafen Perponcher zu bitten, mich aufzusuchen.
Nach kurzer Zeit kamen Beide zusammen, und zu
meiner Freude und meiner Verwunderung zeigte
Perponcher mir mein Telegramm an den König,
unter das er mit eigener Hand folgende Worte
geschrieben hatte:
„Da der Kurfürst sich, durch die politischen
Verhältnisse veranlaßt, seit gestern in Stettin
in meinen Staaten residirt, so steht nichts
entgegen, daß die Frau Fürstin sich dorthin
begibt, was ich sogar sehr gern sehe, damit
Ihrem Herrn Vater jede Annehmlichkeit wider-
fahre. Wilhelm Rex."
Ich theilte Perponcher den Ausspruch Bis-
marck's mit, den er nicht glauben wollte,
aber ich bat ihn dennoch, sich nach der Sachlage
vor meiner Abreise zu erkundigen. Der nächste
Zug ging um slil Uhr, ich hoffte denselben
benutzen z» können, aber eine halbe Stunde vorher
fuhr Perponcher wieder vor und ließ mir
sagen, ich möchte meine Abreise bis Abends
7 Uhr verschieben. Endlich nach Stunden, die
nicht enden wollten, erschien er und hatte meinen
französischen Paß von dem Oberhofmarschall
Grafen Pückler visiren lassen. Es stand ans dem
Paß, daß ich die Erlaubniß habe, mich für einige
Tage nach Stettin zu begeben.*) Perponcher,
*) Der Paß hat folgenden Wortlaut: „Au nom de
S. M. Napoleon III empereur des français. Nous,
Ministre plénipotentiaire de France près S. A. R.
l’électeur de Hesse prions les autorités civiles et
militaires chargées de maintenir l’ordre public dans
l’intérieur de l’empire et dans les pays amis ou
alliés de la France de laisser librement passer et
circuler Son Altesse la Princesse Ysenburg-Wächters-
bach allant à Stettin. Cassel, le 26 Juin 1866. Le
Ministe de France. Comte de Bondy.“ Der Zusatz
252
der sich in ritterlichster Weise gegen mich benahm,
gestand mir, daß Bismarck mich nicht habe
reisen lassen wollen und der König nur mit
Mühe dahin gelangt sei, mir sein Wort zu halten,
weshalb auch die Klausel: „einige Tage" ein-
geschoben wurde. — Um 7 Uhr war ich auf dem
Zug nach Stettin, und um Vs 11 Uhr empfing
mich Papa mit Major von Esch Wege*) auf
dem Bahnhof daselbst. Er begleitete mich in das
Hotel de Pruste, wo vom König Wohnung für
mich bestellt war und blieb noch längere Zeit
bei mir, um endlich nach langen, traurigen
Tagen Nachrichten aus der Heimath zu be-
kommen. — Papa wohnt im Schloß, in schönen
luftigen Räumen, gothisch gewölbt, aber geschmacklos
in pompejanischer Weise bemalt. Er hält sich in
seinem Schlafzimmer auf, daneben im Salon
des Grafen Pückler lautet: „Auf allerhöchsten Befehl
des Königs erhalten die Frau Fürstin von Menburg-
Wnchtersbach, Durchlaucht, die Erlaubniß, nach Stettin
reisen und sich daselbst einige Tage aufhalten zu dürfen.
Berlin, den 28. Juni 1866. Oberhofmarschall Sr. Majestät
des Königs. Graf Pückler."
*) Flügeladjutant Ludwig von Eschwege.
frühstücken wir allein um 12 Uhr, und im an-
stoßenden Saal, den eine starke Säule in der
Mitte trägt, wird dinirt. An der Mittagstafel
nehmen Theil die sechs Herren im Gefolge:
Major vonEschwege, Rittmeister von Vers chuer,
Hauptmann von Bau mb ach, Hanptmann Brack,
Lieutenant von Lengerke, Geh. Hofrath
Dr. Bunsen*) und außerdem der zugetheilte
preußische General von Nahm er. Die Hof-
haltung ist königlich, gute Küche, große Diener-
schaft, zwei Wagen und sechs Pferde. Unsere Tages-
eintheillmg ist, daß Papa mich um 10 Uhr zum
Spaziergang abholt, der Adjutant vom Dienst
begleitet uns, und wir gehen gewöhnlich auf die
Wälle; nach ungefähr 1 Vs Stunde gehen wir
in's Schloß, frühstücken, und um 1 Uhr kehre ich
bis zur Tafelzeit, 4 Uhr, in mein Hotel zurück.
Nach Tafel Spazierfahrt, bei der ausgestiegen und
gegangen wird; um '/28 Uhr Thee bei mir,
Papa allein, dann Dominospiel, und um 9 Uhr
geht er, abgeholt vom Adjutanten, in's Schloß
zurück.
*) Leibarzt des Kurfürsten.
Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen
1504—1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
^Pe schwere Stellung der evangelischen, stark
Wt gefährdeten Partei erforderte die größte
Cy Aufmerksamkeit ihrer Anhänger, so auch des
Landgrafen Philipp, zunächst gegenüber seinem
Schwiegervater Georg von Sachsen. Durch mehrere
Handlungen hatte derselbe seinen Widerwillen
gegen die neue Lehre offenbart. In Dresden erhielt
Philipp durch den Vizekanzler Georg's, Otto
von Pack, Doktor der Rechte, eine mit des
Herzogs Petschaft versehene Abschrift eines an-
geblich geschlossenen Bündnisses. Der Inhalt der
Schrift, soweit sie den Landgrafen Philipp anging,
war der, daß der Landgraf sammt seinen Kindern,
wenn er in der Ketzerei verharre, seines Landes
auf ewige Zeit entsetzt werden sollte; sein Land
sollte dann dem Herzog Georg übergeben werden,
doch wollte man ihm in Anbetracht seiner Jugend
und seiner Gemahlin Zeit lassen, zur alten Lehre
zurückzukehren, und in diesem Falle sein Land
ihm zurückstellen. Von diesem Schriftstück nahm
der Landgraf Abschrift und versprach, die Sache
einstweilen geheim zu halten. Alsbald aber erbat
er sich die Zustellung des Originals, indem er
dem Uebergeber, falls derselbe seine Stelle und
Lehngüter verliere, aus eigenem Antriebe seinen
Schutz und 10 000 Gulden als Ersatz versprach.
Das Dokument gab Philipp zurück. Mit dem
Kurfürsten erneuerte Philipp sein Bündniß zu
Weimar; beide Fürsten verabredeten sich, 26 000
Mann und 60 000 Gulden bereit zu halten, um
gegen den Urheber der Urkunde vorzugehen. Mit
nahen und fernen Fürsten wurden Unterhandlungen
angeknüpft. Zusagen erhielten die beiden Ver-
bündeten vom Herzog Albrecht von Preußen,
dem König Friedrich I. von Dänemark, dem
Gegenkönig von Ungarn, Johann Zapolia von
Siebenbürgen, und den Reichsstädten Magdeburg
und Ulm. Die Truppen, 4 000 Reiter und
253
14000 Fußgänger, wurden bei Herrenbreitungen
a. d. Werra zusammengezogen. An seinen Schwieger-
vater Georg sandte Philipp ein Schreiben, in
welchem er seine Betrübniß über dessen Theilnahme
an dem Bündniß gegen die neue Religion aussprach.
Hierauf wurde Philipp die Antwort, daß der
Verfertiger der Schrift ein Betrüger sei. Auch
die übrigen befragten Fürsten stellteil ihre Mit-
wissenschaft uild Theilnahme an dem angeblichem
Bündnisse in Abrede. Erst als unter Vermittelung
der Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und Richard
von Trier zu Schmalkalden und Gelnhausen die
Bischöfe Konrad von Thungen zu Würzburg
40000, Wigand von Redwitz zu Bamberg
20000 und Albrecht zu Mainz 40000 Gulden
Kriegskosteil zu bezahlen versprachen, legte Philipp
die Waffen nieder. Otto von Pack, der die Ur-
kunde des Bündllisses nicht liefern konnte, wurde
über die Echtheit derselben in Kassel verhört.
Bei diesem Verhör erschienen für den König
Ferdinand Treusch von Buttlar, Regent in
Würtemberg, und Dr. Hemminger; für den Kur-
fürsten von Brandenburg Eustachius von Schlieben
und Dr. Lorenz Starck; für den Herzog Georg
von Sachseil Graf Hoher von Mansfeld, Ernst
von Schönburg, Christoph non Taubenheim und
als der heftigste von allen der Kanzler Simon
Pistoris. Bei dem Verhör behauptete Otto von
Pack, die von ihm zufällig entdeckte Abschrift sei
echt. Der vont Herzog Georg verlangten Ans-
lieferung Pack's leistete Landgraf Philipp keine
Folge, der Angeschuldigte blieb vielmehr ein Jahr
lang, bis znm 16. Juni 1529, zu Kassel. Aus
seiner Haft entlassen gegen die schriftliche Ver-
sicherung, sich erforderlichen Falls vor Gericht zu
stellen, und auch weil ihn der Landgraf als
Hinderniß der Aussöhnung mit den betheiligten
Fürsten nicht länger beherbergen sonnte, wurde
Pack aus Kassel ausgewiesen und irrte dann
flüchtig umher. Später auf Antreiben seines
Feindes Georg verhaftet, wurde er, nachdem er
unter der Folter gestanden hatte, daß eine wenn
auch nicht von ihm herrührende Fälschung vor-
liege, zu Antwerpen enthauptet und geviertheilt.
Obgleich diese Angelegenheit bald beigelegt war,
nahm der Zwiespalt im Reiche der Reformation
wegen immer zu. Auf einem Reichstage zu
Speyer wurde von der Mehrzahl der Stünde
folgender Beschluß gefaßt: „Nicht nur solle bis
zum General-Konzilium oder einer National-
Versammlung jener so vielfach mißverstandene
und gemißbrauchte Hauptartikel des vorigen Reichs-
tags (welcher die evangelischen Stände unter eine
allgemeine Verantwortlichkeit vor Gott und dem
Kaiser gestellt) aufgehoben, sondern auch das
Wormser Edikt bei denjenigen, welche bisher bei
demselben geblieben, ferner gehandhabt und ihre
Unterthanen dazu gehalten, bei den andern, wo
die neue Lehre entstanden und zum Theil ohne
Aufruhr und Gefährde nicht wieder abgeschafft
werden könnte, jede Neuerung verhütet, die heilige
Messe nicht abgethan noch verboten noch verhindert,
endlich die dem Sakrament des Leibes und Blutes
Christi widerwärtige Lehre verworfen werden."
Gegen diesen gefaßten Beschluß setzten die evange-
lischen Fürsten — an ihrer Spitze Landgraf
Philipp, der Kurfürst von Sachsen, Markgraf
Georg von Brandenburg-Ansbach-Jägerndorf, die
Herzöge Ernst und Franz voll Brauuschweig-
Lüneburg und der Fürst Wolfgang von Anhalt —
ihre Protestation auf, von der die Partei den
Namen „Protestanten" erhalten hat. Der Inhalt
der Protestation war, daß sie das begonileile Werk
der Reformation fortsetzen wollten, ilild daß sie
sich ferner nach dem früheren einhelligen Beschluß
bis zu einer allgemeinen freien Kirchenversammlung
so halten wollten, wie sie es vor Gott und dem
Kaiser verantworten könnten. Nach der Rück-
kehr in sein Land ließ der Landgraf seine
Protestatioll durch den Druck bekannt machen.
Die Gründe der Protestation wurden dem
Kaiser durch eine Gesandtschaft der evangelischeil
Fürsten zugleich mit der Absicht, seine Gesinnung
zu erforschen und ihn, wenn irgend möglich,
günstig zil stimmen, vorgelegt. Als Gesaildten
wurden abgesandt Ehmeyer, Bürgermeister voll
Meiilmingcn, Alexis Frauentraut, Sekretär des
Markgrafen Georg, Meister Michael voll Kaden,
Syndikus von Nürnberg. Dieselben konnten aber
nichts ausrichten, es wurde ihnen vielmehr ab-
schlägiger Bescheid vom Kaiser.
Auf denl Reichstag zu Speyer hatte Philipp
den Entschluß gefaßt, eine Versammlung der
Häupter der evangelischen Lehre zu veranstalten,
damit womöglich der Streit über die A b e n d m a h l s -
lehre zu Ende geführt würde. Das Gespräch
sollte ein freundliches, undisputirliches sein. Als
Ort der Versammlung gab das Einladungs-
schreiben Marburg an. Während sich Zwingli
sofort zu einer Zusammenkunft bereit erklärte,
waren Luther und Melanchthon ailfangs abgeneigt.
Unter der Begleitung Eberhard's von der Tann,
Amtmanns zur Wartburg, kaineu die beiden,
Lllther und Melanchthon, nach Kreuzburg a. d.
Werra, wo sie blieben, bis ihnen Landgraf Philipp
noch ein besonderes schriftliches Geleit zusandte.
Hierauf erhielt Philipp folgendes Schreiben:
„Gnad' und Friede ynn Christo. Durch-
leuchtiger Hochgeboruer Fürst, gnediger Herr.
Das E. F. G. unser beiden Schlifft empfangen
254
und betraust fürder bestehet, das loir gen
Marckburg komm sollen, guter Hoffnung es
solle Eintrechtigkeit daraus folgen, so wollen
wir auch gerne und geneigtes Willens das
unser dazu thuen, und nach Gottes Gnaden
auf bedeute Zeit, so wir gesund und leben,
zu Marckburg erscheinen. Der Vater aller
Barmherzickeit und Einickeit gebe seinen Geist,
das wir ja nicht umsonst, sondern zu Nutz
und nicht zu Schaden ztl samen komen Amen.
Christus sey E. F. G. Regierer und Leiter-
Amen.
VIII. Julii 1529.
unterthenige
Martinas Luther.
Philippus Melanchthon.
Dem durchleuchtigen Hochgeborenen Fürsten
und Herrn, Herrenn Philipps Landgraven zu
Heßen, Graven zu Catzenelnbogen, Ziegenhayn,
Dietz tmd Nidda, meynem gnedigen Herrn."
Zwingli war von Zürich über Basel und
Straßburg, wo sich Oekolampadius, Bucer, Hediv
und Jakob Sturm ihm anschlossen, über St. Goar
in Marburg angelangt. Wohnung war den Ge-
ladenen auf dem Schlosse eingeräumt worden.
In Gegenwart des Landgrafen, des vertriebenen
Herzogs Ulrich von Würtemberg, der Gesandten
des Kurfürsten von Sachsen, der Theologen der
Universität und anderer vornehmer Herren fand
das Gespräch über den streitigen Punkt der
Abendmahlslehre int Schloßsaale statt. Die Ver-
sammlung eröffnete der Kanzler von Hessen,
Johann Feige; er setzte den Wunsch des Land-
grafen, Einigkeit der Lutheraner und Zwinglianer
tit der Lehre vom Abendmahl, auseinander.
Hierauf begaitit die dreitägige Verhandlung, ohne
in Sachen des streitigen Punktes zur Eiitigung
zu führen. Zum Schluß unterschrieben alle
sächsischen und schweizerischen Gottesgelehrten,
unter ihnen auch Luther, nach vierzehn einstimmig
gebilligten Glaubensartikeln, folgende Worte:
„Zum fünfzehnten glauben und halten wir alle
voit dem nachtmahle unsers lieben Hernt Jesu
Christi, das man beide gestaldt nach der einsatzung
Christi prauchen solle, das auch das Sacrament
des Altars Jhesu Christi und die geistliche nießung
desselbigen leibs und bluts einem jdeit Christenit
sürnemblich vonnöthen, deßgleichen der Brauch
des Sacraments wie das wortt voit Gott deut
Allmechtigenit gegeben und geordnet sey, damit
die schwächeren gewissenn zu glaubenn zu bewegen
durch den heiligenn gaist, und wiewohl aber wir
unns, ob der war leib und blutt Christi leiblich
int Brott uitdt wein sey, dießer zeit nicht ver-
gleicht haben, so soll doch ein theil jegenn dem
andereit christliche liebe so fer Jdes gewissenn
Immer leidenn kann, ertzeigen, unndt bede theil
Gott dein Almechtigen vleissigk bitteitn, das er
uns durch seinen gaist denn rechtenn Verstandt
bestettigen wolle, Amen." Nachdem die Ver-
sammelten noch ein vom Landgrafeit gegebenes
Gastmahl vereinigt hatte, gingen sie, einander
segnend, auseinander.
Von Bologna aus berief Kaiser Karl V. einen
Reichstag nach Augsburg in Sachen der Religion,
auf welchem alle evangelischen Fürsten, unter
ihnen auch Landgraf Philipp, erschienen. Am
12. Mai ritt er, nach Voraussendung des Kanzlers
Johann Feige, des Hofpredigers Erhard Schnepf
und des Grasen Philipp von Waldeck, an der
Spitze von 120 Reitern tu Augsburg ein. Mit
Urbanus Regins hielt er eilte Uttterredung über
die Abendmahlslehre und brachte dem sächsischen
Theologeit noch einmal die Grtutdsätze der Refor-
mation in Erinnerung, die sie hinsichtlich der
Schweizer vergessen hatten. Am 20. Juni fand
die Eröffnung des Reichstags statt. Auf ihnt
wurde das öffeittliche Bekenntniß des cvaitgelischeit
Glaubens nach tnannigfacheitt Streite zugelasseit,
das Melanchthon in einfacher Kürze und mit
großer Mäßigung aufgesetzt tiitb der Landgraf,
unter der ausdrücklichen Erklärung, daß ihnt der
Artikel vont Abendmahl nicht genug scheine,
uitterschrieben hatte. Vorgeleseit wurde dieses Be-
kenntniß in deutscher Sprache ans Antrag des
Landgrafeit am 25. Juni in einer Versammlung
von zweihundert Reichsgliedern in der Kapelle
der bischöflichen Pfalz. Ein in lateinischer Sprache
abgefaßtes Exemplar des Bekeitntnisses wurde in
der Versammlung deut Kaiser übergeben, das ihn
so bewegte, daß er dem Vermittelungsvorschlag
Gehör gab, wodurch das Abendmahl in beiderlei
Gestalten, die Ehe der Priester und die Freiheit
der Fasten zugelassen wurde; von Graitvella und
Campeggi aber wurde die Einführung hintertrieben.
Das evattgelische Glaubensbekeitntniß wurde att
neunzehn Theologen zur Beurtheilung und Wider-
leguttg vom Kaiser übergeben. Diese Widerleguitg
fiel so heftig aus, daß der Kaiser selbst Milderung
gebot.
Bezüglich des Landgrafen Philipp hatte der
Kaiser sich vorgenommen, ihn selbst zu prüfen und
wegen früherer Handlungen zur Rechenschaft zu
ziehen. Als Philipp von diesem Vorhaben erfuhr,
meldete er sich selbst beim Kaiser. Wegen vier
Handlungen sollte der Landgraf vernommen
werden: freventliche Handlung gegen das Wormser
Edikt; Empörung und auswärtige Bündnisse,
die er während des Kaisers Abwesenheit angefangen
255
haben sollte; Verachtung des Artikels vom
Sakrament; Verletzung der Hoheit des Kaisers
durch Zusendung eines Religionsbüchleins nach
Italien. Ueber diese Anklagepunkte rechtfertigte
sich Philipp auf das Beste. Den Evangelischen
wurde vom Kaiser die Annahme einer sogenannten
Widerlegung ohne weitere Antwort geboten und
eine Friedenskommission eingesetzt. Der Landgraf,
der den trostlosen Ausgang des Reichstages
voraussah, kam um seine Entlassung ein auf
Grund von Briefen, worin die Krankheit der
Landgräfin angezeigt uttb er deshalb zur Abreise
gedrängt wurde. Auch gab Philipp als Grund
seiner nachgesuchten Entlassung an, daß er, als
einer der Jüngsten und am Verstand der Geringste,
dem Kaiser doch nichts nützen könne. Auf dieses
Gesuch wurde keine Antwort und so zog der
Landgraf ohne Urlaub fort. Zurückgelassen wurden
mit Weisungen bezüglich ihres Verhaltens vom
Landgrafen Friedrich Trott von Sulz, Georg
Nußbicker, Nikolaus Mayer, Erhard Schnepf und
der Kanzler Johann Feige. Karl V. nahm die
Apologie der Evangelischen nicht an, verband sich
öffentlich mit den Anhängern des alten Glaubens,
legte einstweilen ein Interdikt auf die ganze
evangelische Sekte (wie sie genannt wurde) und
gab ihr eine Frist bis zum 15. April des folgenden
Jahres mit dem Bedeuten, daß, wenn sie diesen
Abschied nicht annehme, er seine weltliche Macht
gebrauchen werde.
Schon gelegentlich des Religionsgesprächs zu
Marburg war ein Bündniß des Landgrafen mit
den evangelischen Schweizern beschlossen worden.
Gegen die Anhänger des Evangeliums hatten
sich die fünf katholischen Orte Uri, Schwyz,
Unterwalden, Zug und Luzern mit Erzherzog
Ferdinand verbunden. Zürich, Bern, Basel,
Schaffhausen und Mülhausen im Elsaß standen
an der Spitze der Reformirten, ebenso Glarus,
Appenzell, St. Gallen. Zur Förderung göttlicher
freier Lehre und eines christlichen, einhelligen
Wesens, zum gegenseitigen Schutz der Unterthanen
gegen Gewalt oder Verführung wurde zu Basel
durch die Abgesandten Philipp's, Siegmund von
Boyneburg und Georg von Kollmatsch, mit
Zürich, Bern, Basel und Straßburg ein Religions-
bündniß verabredet und auf sechs Jahre geschlossen.
Vom Papst unterstützt, griffen die katholischen
Orte zu den Waffen (1531). In der Nähe von
Kappel stießen die Gegner auf einander. Zwingli,
der sich bei den Zürichern befand, wurde tödtlich
verwundet, sein Leichnam verstümmelt und ver-
brannt. Luzern erfocht noch einmal einen Sieg
über die Verbündeten, da nahm Zürich den ge-
botenen Frieden an, ihm folgte Bern. Beim
Friedensschluß wurden die alten Bünde der Eid-
genossen erneuert, die Religionsfreiheit festgestellt,
die neuen Burgrechte und Einigungen mit aus-
ländischen Städten und Herren abgethan, die Ur-
kunden des Landgrafen nach abgerissenem Siegel
durchschnitten und überliefert. Auch Basel schloß
einen Frieden.
Im Dezember 1530 hielt der Landgraf mit
dem Kurfürsten und anderen evangelischen Stünden
eine Zusammenkunft zu S ch m a l k a l d e n. Hierzu
sandten Nürnberg, Reutlingen, Kempten, Heilbronn,
Windsheim und Weißenburg ihre Bevollmächtigten,
auch die von Straßburg, Konstanz, Lindau,
Memmingen, Ulm, Biberach, Magdeburg, Bremen
erschienen ans Bitten des Landgrafen. Hier
wurde beschlossen, dem Kaiser Vorstellung zu
machen wegen des auf dem letzten Reichstage
gegen die Evangelischen aufgebotenen Reichs-
beschlusses. Sollten die Kammergerichts-Prozesse
in Religionssachen fortschreiten, dann wolle man
sich gegenseitige Hilfe leisten. Abgeordnete wurden
an den Kaiser gesandt, um demselben Vorstellung
zu machen gegen die Aufbietung des Reichsfiskals.
Karl V. entließ die Abgeordneten ohne Antwort,
begab sich nach Brabant und warb dort Truppen,
von denen man nicht wußte, ob sie gegen die
Evangelischen bestimmt waren.
(Fortsetzung folgt.»
Geschichte der Familie HiUe.
Von Dr. med. Fried r. Hille.
(Schluß.)
36. Auguste Karoline Wilhelmine
Emilie Hille, geb. den 1. April 1815 zu
Marburg. Pathen waren Frau Advokat Sippel,
die Ehegattin des Amtmanns Hille des Jüngern
Jungfrau Strack und Frau Referendar Ober-
gethmann. Vermählte sich 1845 mit dem Rentner
256
Wilh elm Barkh ausen zu Detmold. Sie
starb den 8. Januar 1892 als Wittwe in Kassel.
Ihre Ehe war mit vier Kindern gesegnet:
a. Emilie Friederike Luise Barkhausen,
geb. den 29. Mai 1846 zu Detmold. Pathen
waren Prinzessin Luise und Prinzessin Friederike
zu Lippe-Detmold. Verheirathet mit Di-. August
Althaus zu Berlin.
b. Erwin Karl Wilhelm Barkhausen,
geb. den 6. Februar 1848 zu Detmold. Pathe
war Karl Hille, Hauptmann a. D. Verheirathet
zu Koburg.
o. Theo Bertha Helene Barkhausen,
geb. den 14. August 1850 zu Detmold. Pathiu
war Helene Hille zu Detmold. Verheirathet
gewesen mit Rechtsanwalt Albrecht Caspari
in Münster, lebt in Kassel.
d. Martha Luise Mathilde Emma
Barkhauseu, geb. den 21. Juli 1853 zu
Detmold. Pathen waren Frau Professor Emma
Winckelblech in Kassel und Frau Luise von
Borries. Vermählt mit Dr. med. Haltenhof
in Genf.
37. Wilhelm Karl Hille, geb. 1817 zu
Marburg; den 29. Januar 1823 311 Wetter
gestorben.
38. Heinrich Ludwig Reinhard Hille,
geb. den 22. September 1818 zu Marburg, ge-
storben im Oktober 1850 zu Naumburg in
Hessen.
39. Hermann Hille, zu Marburg geb.den
19. März 1820, wurde am 4. Juni desselben
Jahres getauft, Pathen waren Oberbaurath
Georg Möller in Darmstadt, Advokat Karl
Kümmel in Wetter und Kaufmann Wilhelm
Eckmann in Lübeck. Er wurde Oekonom, folgte
seinem ältern Bruder Julius nach Surinam in
Westindien und starb daselbst am 28. Februar 1845
auf der Plantage Sardam.
40. Friedrich Karl Hille, zu Marburg
am 21. April 1821 geboren. Er studierte
Medizin zu Gießen und Marburg von 1840
bis 1844, erwarb zu Würzburg 1845 den
Doktorgrad, ging ebenfalls in holländische Dienste,
diente mehrere Jahre als Schiffsarzt in der
holländischen Marine, ließ sich späterhin als Arzt
in Mirador bei St. Autonio Huatusco in Mexiko
nieder und starb dortselbst am 28. Oktober 1860.
Er hatte sich 1852 mit Mathilde Meyer
von Darmstadt vermählt, welche am 3. Juni 1859
in Huatusco starb. Aus der Ehe sind vier Kinder
entsprossen (s. 54—57).
41. Luise Mathilde Karoline Hille,
geb. den 25. August 1822 zu Marburg; ge-
storben den 21. Juli 1877 zu Thun in der
Schweiz. Vermählte sich 1859 mit dem Gym-
nasial-Professor Hör rer zu Thun, welcher dort-
selbst am 3. Februar 1894 starb. Ihre Ehe
war kinderlos.
42—49 siehe unten.
50. Luise Hille, geb. den 28. Oktober 1842
zu Surinam; blieb unvermählt und lebt in
Messina auf Sizilien.
51. Friedrich Bertram Ludwig Emil
Johann Hille, geb. den 12. Juli 1845 zu
Surinam, gestorben den 26. Mai 1864 zu
Münster.
53. Mathilde Hille, geb. 1847 zu
Surinam; vermählte sich 1876 mit Friedrich
Möller, Premierlieutenant a. D. (s. 42b) und
Amtmann zu Ahaus in Westfalen. Zwei Söhne
aus dieser Ehe befinden sich im Kadettenkorps.
53. Julius Hille, geb. den 26.Oktober 1849
zil Curayao; machte als Portspse-Fähnrich im
2. Nassauischen Infanterieregiment Nr. 88 den
Feldzug von 1870 mit, erkrankte und mußte zu
Vvuziers in Feindesland zurückbleiben, wurde
später zu seiner völligen Erholung deut Ersatz-
bataillon zu Frankfurt a. M. zugetheilt und starb
aur 7. Mai 1871 zu Münster.
54. Jose de Jesu Albert Hille, geb.
den 25. Dezember 1853 zu Huatusco in Mexiko,
gestorben den 2. August 1894. Er studierte in
Marburg und Tübingen Medizin, doktorirte zu
Marburg, ließ sich als praktischer Arzt in Brand-
oberndorf bei Wetzlar und späterhin als solcher
in Grünberg in Hessen nieder. Aus seiner Ehe
mit Elisabeth Sch arch stammen drei Kinder.
55. Hermann Hille, geb. den 19. Mai 1854
in Huatusco in Mexiko; ist Buchhändler in
Zabern im Elsaß. Er vermählte sich am
24. Mai 1881 mit Klara N00t. Der Ehe
entsprossen drei Kinder, wovon eins sehr jung
starb. Am Leben sind zwei Töchter, Hedwig
und Helene.
56. Jda Luise Hille, geb. den 7. Januar
1856 zu Huatusco zu Mexiko; ist vermählt mit
Ingenieur Paul Hessemer und hat drei
Kinder, zwei Söhne und eine Tochter.
57. Kind, ungetauft, geboren und gestorben
am 3. Juni 1859 zu Huatusco zu Mexiko.
42. Karoline Magdalena Friederike
Luise Wilhelmine Hille, geb. den 14. Fe-
bruar 1810 zu Marburg. Pathen waren die
Väter väterlicher und mütterlicher Seits, die Ur-
großmutter väterlicher Seits, Frau Forstrath
Follenius zu Romrod, der Urgroßvater mütter-
licher Seits, Bürgermeister Hessemer zu Darm-
stadt, und der Großvater väterlicher Seits, Ober-
schultheiß Hille. Sie vermählte sich mit dem
257
Oberbaudirektor Georg Molker zu Darmstadt,
welcher iu erster Ehe mit Amalie Hessemer, der
Witwe des bei Austerlitz gebliebeueu Kapitäns
Merk, verheirathet gewesen war. Sie starb am
13. August 1873. Der Ehe entsprossen drei
Kinder.
a. Karoliue Möller, vermählt mit dem
Chemiker Dr. Wilhelm Merck zu Darmstadt.
Aus der Ehe stammen zwei Söhne.
b. Friedrich Möller, geb. zu Darmstadt;
widmete sich dem Militärstände, trat Oktober 1856
in die österreichische Militär-Ingenieurschule zu
Znaym in Mähren ein, machte als Portäpoe-
Fähurich beu Feldzug iu Italien gegen Frank-
reich mit, wurde nach der Schlacht bei
Solferino ain 24. Juni 1859 gefangen und auf
der Insel Friaul bei Marseille internirt. Er
schied 1873 aus der österreischen Armee aus, trat
in preußische Dienste über und stand als Premier-
lieutenant in dem westfälischen Infanterieregiment
Nr. 53. Er vermählte sich 1876 mit Mathilde
Hille (s. 52).
c. Amalie Möller, geb. zu Darmstadt;
vermählte sich 1874 mit dem österreichischen
Major Hermann von Follenius. Der
Ehe entsproß ein Sohn, welcher ebenfalls im
österreichischen Militärdienst ist.
43. Karl Friedrich Hille, geb. den 14.
August 1811 zu Marburg, am 31. August von
Pfarrer Schlarbaum getauft. Patheu waren
Oberschultheiß Hille und Hofrath Follenius. Er
widmete sich dem Reitfach, wurde Schüler der
Universitäts-Reitschule zu Marburg, 1827 bis
1829 Scholar bei der Mauöge zu Kassel,
ging 1830 zu seiner Ausbildung nach Berlin,
kehrte von dort nach Hessen zurück und wurde
als Bereiter der Universitätsschule zu Marburg
angestellt. Er erhielt 1836 bis 1843 zu seiner
weiteren Ausbildung einen längeren Urlaub in's
Ausland, begab sich nach Wien und wurde Stall-
meister bei Baron von Kiß, welcher nach Nieder-
werfung des ungarischen Aufstandes im Jahre
1849 von Seiten der Oesterreicher erschossen
lourde. Er machte durch die weit ausgedehnten
Güter dieses Herrn von Kiß große Reisen, so
nach Mailand, Galizien und Ungarn, welche er
in zahlreichen Briefen beschrieb. Im Mai 1843
kehrte er zurück und erhielt in Folge seiner er-
worbenen Kenntnisse eine Bereiterstelle zu Kassel.
Beim Reiten erhielt er 1849 durch einen Un-
glücksfall eine schwere Brustverletzung, welcher er
am 22. Juli 1851 in Hanau erlag. Er war
seit 1845 vermählt mit Auguste Klingel-
höf er von Kassel und hatte vier Kinder ss.
58 bis 61).
44. Maria Amalie Susette Friederike
Hille, zu Marburg den 20. Oktober 1812 geboren,
gestorben den 5. Mai 1871. Sie war vermählt
mit Prorektor Dr. Friedrich Karl R e i u =
hard Ritter zu Marburg. Aus dieser Ehe
stammen sechs Kinder.
a. Friedrich Ritter, Kaufmann in Mexiko,
verheirathet, hat Kinder.
b. Karoline Ritter, unverheirathet, wohnt
zu Dresden.
v. Hermann Georg Ritter, Oekonom,
ermordet in Mexiko.
cl. Wilhelm Ritter, Maler, verheirathet
in Dresden, kinderlos.
6. Helene Ritter, unverheirathet, wohnt in
Dresden.
4. Marie Ritter, verheirathet mit Dr. med.
Schürmann in Chile, hat Kinder.
45. Georg Wilhelm Hille, geb. den
8. April 1814 zu Marburg, studierte die Rechts-
wissenschaften zu Marburg und Göttingen, war
nach Absolvirung seiner Examina Referendar zu
Hanau, wurde später Obergerichtsanwalt und
Notar zu Marburg. Am 13. November 1854
wurde er zum Oberbürgermeister von Hanau er-
wählt, verzichtete jedoch auf die Annahme dieser Stelle.
Er vermählte sich mit Maria Luise Kliugel-
höfser, Tochter des Metropolitans Friedrich
Wilhelm Klingelhöffer und dessen Frau Luise
Eleonore Magdalena, geb. Güuste, zu Treis
a. d. L. am 1. Dezember 1847. Aus seiner
Ehe entsprossen sieben Kinder ss. 62 bis 68).
46. Heinrich Christian Karl Ludwig
Hille, geb. den 19. Juli 1815 zu Marburg,
gestorben den 12. Mai 1816.
47. Ludwig Karl Reinhard Gottfried
Hille, geb. den 9. Dezember 1820 zu Marburg,
studierte daselbst und zu Würzburg Pharmazie,
doktorirte zu Jena, lebte von 1848 bis 1867 in
Hanau, von da ab bis zu seinem am 8. Okto-
ber 1889 erfolgten Tode iu Marburg. Er war
vermählt mit Karo line Dercum, welche am
15. August 1825 zu Kirchheimbolanden in der
Pfalz geboren wurde und ihm fünf Kinder
schenkte ss. 69 bis 73).
48. Gustav Karl Wilhelm Christian
Hille, geb. den 25. September 1822 zu Mar-
burg, gestorben den 3. November desselben Jahres.
49. Hugo Hille, geboren und gestorben 1825
zu Marburg.
58. Friedrich Hille, geb. zu Kassel den
19. Februar 1846; machte den Feldzug 1870/71
mit und schilderte seine Feldzugserlebnisse, beson-
ders die Belagerung von Paris und den Einzug
in diese Stadt, in vielen Briefen. Jetzt in Amerika.
258
59. Luise Hille, geb. zu Kassel 1847; un-
verheirathet, lebt in Newyork.
60. Staats Karl Hille, geb. zu Kassel
dcu 27. Juli 1848; ebenfalls iu Newyork.
61. Ludwig Hille, geb. den 14.Juni 1850;
Kaufmann zu Limburg a. d. Lahn, verheirathet,
hat Kinder.
62. Luise Karoliue Hille, geb. zu Mar-
burg den 25. Dezember 1848 und am 11. Fe-
bruar 1849 getauft. Patheu waren Frau Luise
Kliugelhöffer, geb. Güuste, zu Treis a. d. L.,
Karoline Hille, geb. Follenius, zu Marburg,
Jungfrau Luise Theobald zu Darmstadt, Louis
Kliugelhöffer, 8tucl. juris, Bruder ihrer Mutter,
Jungfrau Luise Decher zu Pfungstadt. Gestorben
den 2. September 1882 zu Ludwigslust iu
Mecklenburg. Sie war seit dem 25. Dezember
1868 mit dem Dr. pliil. Auffart h in Lud-
wigslust vermählt. Der Ehe entstammen zwei
Tochter, Olga und Hertha Auffarth.
63. Friedrich Wilhelm Hille, den
6. Juli 1850 zu Marburg geboren, am 11. August
daselbst getauft. Patheu waren Friedrich Wil-
helm Kliugelhöffer, Metropolitan zu Treis a. d. L.,
und Friedrich Wilhelm, Landgerichtsrath zu
Marburg. Apotheker zu Weehawkeu, New-Jersey
iu Nordamerika, vermählte sich am 22. August
1881 mit Christ ine Frick, welche am 31. März
1859 zu Weehawkeu geboren wurde, und hat
drei Kinder (s. 74 bis 76).
64. Ludwig K a r l H i l l e, geb. zu Marburg
den 17. April 1852, am 9. Juni getauft.
Patheu waren Ludwig Hille zu Hanau und
Bergeleve Karl Kliugelhöffer. Kaufmann in
Newyork, uuvermühlt.
65. Christian Ludwig Hille, am 6. Juli
1854 zu Marburg geboren und daselbst am
23. August getauft. Kaufmann in Valparaiso
in Chile, unvermählt.
66. Karl Ernst Hille, geb. den 11. Ok-
tober 1855, am 25. November getauft, Patheu
waren Gymnasiallehrer Dr. Karl Ritter zu
Marburg und Pfarrer Ernst Neuber zu Wolf-
hageu. Kaufmann in Osoruo in Chile. Ver-
mählte sich daselbst am 26. Mai 1888 mit Emma
Röstel. Aus dieser Ehe stammt ein Sohn:
Hans Hille, geb. 6. Mai 1889 zu Osoruo.
67. Ferdinande Karoline Mathilde
Die beiden jetzt noch vorhaildenen
24
Jeanette Sophie Amalie Marie Hille,
geb. zu Marburg den 11. April 1858, getauft
daselbst am 6. Juni; vermählte sich am 14. Mai
1881 mit Friedrich Hille (s. 72).
68. Anna Karoline Luise Emilie
Reinhardine Hille, geb. den 2. Juli 1865
zu Marburg, daselbst gestorben den 27. April 1867.
69. Karoliue Elisabeth» Friederika
Hille, geb. den 28. Juli 1843 zu Hadamar,
starb unvermählt den 3. Juni 1890 zu Marburg.
70. Friedrich Wilhelm Viktor Hille,
geb. zu Hanau den 26. Mürz 1849, daselbst
gestorben den 9. Mai 1849.
71. Sohn, ungetanst, geboren und gestorben
den 7. Februar 1850 zu Hanau.
72. Friedrich Wilhelm Hille, zu Hanau
den 18. Mai 1851 geboren; studierte zu Marburg
Medizin von 1872 bis 1876, doktorirte Oktober
1877 ebenda, ließ sich iu demselben Jahre als
Arzt iu Straßburg im Elsaß nieder, vermählte
sich am 14. Mai 1881 mit Ferdinande
Hille (s. 68). Der Ehe entstammen sechs
Kinder (f. 77 bis 82).
73. Julie Karoline Amalie Hille,
geb. zu Hanau den 5. Februar 1856, den
24. März desselben Jahres getauft und am
18. Juni 1856 gestorben.
74. Anna Katharina Hille, geb. zu
Weehawkeu den 18. Mai 1882.
75. Wilhelm Georg Hille, geb. zu
Weehawkeu am 10. April 1884.
76. Emma Friederike Hille, ebenda
geboren den 3. Januar 1888.
77. Ludwig Wilhelm Berthvld Hille,
geb. zu Straßburg den 2. Juli 1882.
78. Karl Wilhelm Hermann Otto
Hille, ebenda geboren den 26. Oktober 1883,
deil 11. Januar 1884 gestorben.
79. Karoliue Auguste Sidouia Hille,
geb. den 14. April 1885 zu Straßburg, gestorben
den 7. April 1886 ebenda, Zwilling mit
80. Luise Ferdinande Marie Hille,
geb. den 14. April 1885 zu Straßburg.
81. Friedrich Karl Theodor Hille,
geb. den 5. Mai 1888 zu Straßburg.
82. Sidouia Karoliue Reinhardine
Friederike Hille, geb. den 20. September
1889 zu Straßburg.
essischeu Zweige von 1781 — 1894.
25 26 27 28
32 33 34 35
36 37 38 39 40 41 42
43
44
45
46
47
a b c cl e f
50 5152 53 a bed 5455 56 57 abc 58 59 60 61 abodes 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
74 75 76
77 78 79 80 81 82
259
Wenn die Könne sinkt.
Novellette von E. Mentzel.
(Schluß.)
Doktor Ernst Derwall am anderen Morgen
schon in aller Frühe die Landstraße hinan-
~ v ging, um seine Braut zum Morgenspaziergang
abzuholen, flatterte von dem Heckenzaun eines
Gartens etwas Weißes vor ihm nieder. Hastig
hob er das Couvert, das wirklich seine Adresse
trug, vom Boden und öffnete es schnell. Der
Brief enthielt nrlr die kurze Erklärung, Konstairze
habe nicht geahnt, daß sie ihn hier wiedersehen
würde, könne auch, um Aufsehen zu vermeiden,
vor dem Verlauf einiger Tage nicht abreisen.
Darunter stand der letzte Satz aus Derwall's
neuein Roman „Ein Wahn", jedoch in folgender
Abänderung: „Da sich die zwei Menschen früher
wie erwartet unter ganz veränderteil Verhältnissen
wiedersahen, konnten sie gar nicht anders, als
sich beim gegenseitigen Erblicken ohne Haß und
Bitterkeit wie vollständig Fremde zu begegneil.
Sie fühlten, daß sie der thörichten Verirrung
ihrer leichtentzündbaren Künstlerherzen diese Rück-
sicht schuldig waren, bansten aber dem Zufall,
der sie beide von einem Wahn befreit und vor
großer Gefahr behütet hatte."
Derwall entfärbte sich, während er diese Zeilen
überflog. Dann bohrte sich sein stahlgraues
Auge forschend in das Blättergcwinde der Laube.
Als sich nichts regte, Alles still blieb wie zuvor,
malte sich bittere Enttäuschung in seinem männ-
lich schönen Gesicht, während über die Züge
Konstanzens, die gleich einem Steinbilde in einem
Winkel der Laube stand, ein Lächeln stolzer Be-
friedigung glitt.------—
Nachdem Derwall's Verlobung mit dem reizenden
Goldfisch unter den Sommerfrischlern bekaiint
geworden war, hatte Konstanze ihre liebe Noth,
um die Generaliir von einem gewagten Schritt
zurückzuhalten. Au ihrer Seite begegnete sie
auch derir glücklichen Brautpaare und fand die
Kraft, ihren Lippen einen Glückwunsch abzuringen,
als das anmuthigc Mädchen strahlend auf sie
zukam und mit dem Stolze harmloser Jugend
den beiden Damen ihren Verlobten vorstellte.
Kein Zucken einer Winiper verrieth, was in
Konstanze vorging. Sie hatte diesen Augenblick
seit gestern zu vielmal in Gedanken durchlebt,
um nicht vollkommen Meisterin über sich zu sein.
Derwall machte einige Augenblicke den Eindruck
eines hilflosen Kindes. Nicht nur das Wieder-
sehen mit diesem seltenen Weibe, dessen Geist dem
seinen mindestens ebenbürtig war, beklemmte ihm
die Brust, auch Kvnstanzens ruhiges Verhalteil
verwirrte ihn. Sie nahm also nicht in gekränktem
Stolz zu einer Nothlüge ihre Zuflucht, sie war
wirklich auch erlöst von einem Wahn und hatte
vielleicht schon einen besseren Halt gefunden.
Während sich der sonst sehr gewandte Mann
etwas linkisch vor ben beiden Damen verbeugte,
durchzuckte ihn der Wunsch, nur einen Augenblick
die Gabe eines Sehers zu besitzen. Quälte es
ihn doch nicht wenig, daß Konstanze so leicht
über das hinweggekommen war, was ihn immer-
hin viele schlaflose Nächte gekostet und seine Feder
in den Dienst der Lüge gezwungen hatte.
Als das Brautpaar nach dem Walde gewandert
war, sagte die Generalin noch immer erregt:
„Sehen Sie, liebes Fräulein, so verfolgen den
Menschen die Gespenster feiner Schuld. Haben
Sie bemerkt, daß der berühmte Mann bei ineinem
Anblick die Farbe wechselte?"
„Ja, Excellenz, ich sah, wie er bleich wurde",
versetzte Konstanze in herbem Tone.
„Und was wird erst in seinem Innern vor-
gegangen sein!" fuhr die alte Dame erregt fort.
„Er weiß ja, wie ich mit seiner Frau stand, intb
kann sich vorstellen, welche Gedanken der Anblick
des unschuldigen jungen Dings in mir erweckte!
Gott gebe, daß sie glücklicher wird, als wir an-
nehnien können."
„Ja, das wünsche ich auch!" wiederholte
Konstanze ernst. „Sie ist ein kindlich reines
Geschöpf, es wäre hart, zu hart, wenn auch sie
noch an der Schuld schleppen sollte, für die seine
verlassene Geliebte zweifellos schon schwer genug
büßen muß!" —
„Die Aermste, an sie habe ich gar nicht mehr
gedacht! Wie wird sie sich in diesen Wandel
der Verhältnisse finden!"
„Vielleicht besser, als man denkt, Excellenz",
meinte Konstanze mit erzwungener Ruhe. „Falls
wirklich ein Funken ächten Künstlergeistes in ihr
lebt, muß sie jetzt zeigen, daß eine bittere Er-
fahrung ihn nicht ersticken kann. Der Gedaicke,
sich an Edles anklammern zu können, bleibt doch
bei inneren Stürmen der beste Schutz!"
Die Generalin sagte kein Wort mehr, doch eine
dunkle Vermuthung, die schon gestern plötzlich in
ihr aufgestiegen war, gewann immer mehr Raum
in ihrem Herzen und ließ Vieles, was Konstanze
J
— 260
seither gesprochen mtb gethan, in einem ganz anderen
Lichte erscheinen. Zwar hatte die Künstlerin
Derwall's Geliebte mit keinem Worte vertheidigt,
allein die alte Dame wußte nun, daß diese nicht
so schuldig, vielmehr ein Opfer jenes dämonischen
Menschen war wie auch seine verstorbene Frau
und das harmlose Kind, das er jetzt an sich ge-
fesselt hatte.
Obwohl sich die Generalin nicht das Geringste
merken ließ, nagte doch das Bewußtsein an ihrem
inneren Frieden, daß sie durch ihre Mittheilungen
und ihr hartes Urtheil dem ohnehin in tiefes
Leid versenkten Mädchen doppelt wehe gethan habe.
Sie suchte dies deshalb in anderer Form wieder
gut zu machen. Wann und wo es nur ging,
besonders bei ihrer Abreise, zeichnete sie Konstanze
durch allerlei zarte Aufmerksamkeiten ans. Trotz-
dem sie sich nicht ganz wohl fühlte, brachte sie
ihr noch einen Strauß an die Bahn und gab
ihr im letzten Augenblick noch durch ein paar
Worte zu verstehen, daß sie ihr Geheimniß
durchschaut, doch nichts von dem Glauben an die
Reinheit ihres Wollens in Vergangenheit und
Zukllnft eingebüßt habe. Mit dem Wunsche,
ein großer künstlerischer Erfolg möge einigermaßen
ausgleichen, was das Leben an ihr gesündigt,
schied die alte Dame von Konstanze. Dann
warf sie beim Umwenden dem zufällig in ihrer
Nähe stehenden Schriftsteller Derwall einen offenen
Blick ehrlichen Widerwillens zu.
„Ach, sieh doch, welch' ein schönes Bild, lieber
Ernst", sagte Frau Doktor Derwall zu ihrem
Manne, als beide ein Jahr später die Kunst-
ausstellung in Berlin durchwanderten.
Schon oft hatte sich der Letztere darüber
gefreut, daß seine schöne junge Frau als ächtes
Naturkind ein so feines Verständniß für land-
schaftliche Darstellungen besaß. Auch während
er das fein ausgeführte, stimmungsvolle Bild
betrachtete, erkannte er dies unwillkürlich wieder
an. — lieber einer weiten, von fernen Höhen
begrenzten Landschaft sank die Sonne. Zwischen
den Wipfeln hoher Bäume flatterten bereits
neblige Dümmerschleier, da und dort lagen schon
ans den Aeckern und Rasen graue Schatten.
Ein kühles Lüftchen schien das Gras und die
Ranken wie mit Geisterhand zu bewegen. Ueber
den Wiesen schwebte feuchter Duft und der Himmel
zeigte jenes verschleierte tiefe Blau, hinter dem
sich die Sterne noch kurze Weile verbergen. Ein
eigener Zauber war über die Landschaft gebreitet,
deren Eindruck durch keine störende Staffage ge-
schwächt wurde. Mit ungewöhnlicher poetischer
Kraft und Phantasie hatte der Maler stimmungs-
voll an einem Stückchen Natur veranschaulicht, daß,
wenn das Licht der Sonne und mit ihm der Glanz
und die Farben verschwunden sind, die sanften Töne
des Abends und die noch verschleierten Sterne
allgemach Frieden und Ruhe verkündigen.
Die junge Frau schlug den Katalog auf,
machte ein erstauntes Gesicht und sagte zu ihrem
Manne: „Das Bild heißt ,Wenn die Sonne
sinkt'. Es ist mit der golduen Medaille gekrönt
worden."
„Das kann ich mir denken", erwiderte Derwall.
„Der Maler dieses Bildes ist auch wirklich ein
Meister ersten Ranges. Er besitzt nicht nur eine
ausgebildete künstlerische Technik, sondern auch
die feinste Naturempfindung. Es fehlt ihm dabei
nicht das Vermögen, einen Gedanken durch die
Wirkung landschaftlicher Poesie stimmungsvoll
zum Ausdruck zu bringen."
„Weißt Du, wer der Meister ist?"
„Nein, ich kann den Namen nicht lesen, er ist
zu sehr beschattet."
„Nun, so höre und staune", fuhr die junge
Frau lebhaft fort. „Der Schöpfer dieses Bildes
ist die interessante Malerin, die ich Dir voriges
Jahr bei unserer Verlobung in Dornheim vor-
stellte. Weißt Du, die große schlanke Dame mit
dein feinen Gesicht und den wunderschönen ernsteil
Augen!"
»Ja, ja, ich erinnere iilich", erwiderte Derwall
etwas verwirrt. Die Worte seiner schönen jungen
Frau hatten ihn wieder einmal ganz in die Ver-
gangenheit versetzt. Mit heimlicher Wonne und
doch nicht ohne bitteren Groll gegen sich selbst
dachte er daran, daß die große Seele, der diese
herrliche Kunstschöpfung entquoll, einmal ganz
sein eigen gewesen war. Er liebte seine un-
muthige Gattin, er war unter ihrem mildeil
Einfluß nach allen Stürmen der Jugend ein
anderer Mensch geworden, aber Lilli blieb doch
nur für ihn der milde Abendstern, der über seinem
Leben aufging, als das glühende allbelebende Tages-
gestirn hinter Wolken versank. Jenes Prüfungsjahr,
das Konstanze ihm nach dem Tode der Gattin auf-
erlegte, war eine unselige Zeit für ihn gewesen.
Damals erschien ihm die Liebe eines kindlicheil
Wesens wie ein Rettungsanker aus inneren
Wirren. So weit war er gekommen, für einen
Wahn zu halten, was sein eigentliches Glück
ausmachte. Er konnte sich zufrieden geben, daß
er nicht schlimmer bestraft wurde und wenigstens
an ein edles Wesen gefesselt blieb. Aus tiefem
Sinnen weckten ihn verschiedene Vorübergehellde,
welche lobende Bemerkungen über das Bild fallen
ließen, aber auch die wunderschöne junge Frau
261
bewunderten, deren Blicke wie andächtig an dem-
selben hingen. —
Der Zufall wollte cs, daß auch die noch immer
mit Konstanze herzlich befreundete Generalin mit
ihrer Schwester auf der Durchreise die Kunst-
ausstellung besuchte. Als beide Damen nach dem
Durchwandern derselben nochmals zu dem preis-
gekrönten Bilde der Künstlerin zurückkehrten,
bemerkten sie, welches Aufsehen die liebreizende
junge Frau, deren Gesicht ihnen nicht ganz zu-
gewandt war, bei den ziemlich zahlreichen Be-
suchern des Saales erregte. Gleichzeitig erkannten
sie Doktor Derwall, der ihnen aber weiter keine
Aufmerksamkeit schenkte, weil er augenscheinlich
ganz in Gedanken versunken war.
„Daß dieser Mensch nach einem solchen Vor-
leben noch so glücklich werden muß!" sagte die
Generalin und trat in den nächsten Saal, um eine
Begegnung mit Derwall zu vermeiden. „Man könnte
wirklich an der ewigen Gerechtigkeit verzweifeln!"
„Ja, liebe Marie," meinte die ihr folgende
Schwester, „das Leben ist eben kein Dichter, den
das Kunstgesetz zwingt, der Schuld auch die
Sühne folgen zu lassen. Wenn es kein inneres
Gericht gäbe, könnte man freilich oft an dem
Walten einer höheren Macht verzweifeln."
„Für diesen Mann giebt es aber kein solches.
Er hat gar kein Gewissen und steht immer ganz
im Banne des Augenblicks."
„Das möchte ich denn doch bezweifeln", gab
die Andere entschieden zurück. „Vorhin habe ich
einen Blick auf das Bild von ihm aufgefangen,
der viel errathen ließ."
„Du glaubst doch nicht, daß er bei einer so
bildschönen Frau noch an Konstanze denkt?"
fragte die Generalin betroffen.
„Ganz bestimmt glaube ich das. Er ist ja
viel zu eitel, um sich nicht einzugestehen, welchen
Glanz eine Frau wie Konstanze seinem Namen
hätte verleihen können. Dann mag es ihn auch
im Stillen ärgern und reizen, daß sie sich scheinbar
so leicht mit den Thatsachen abfinden konnte."
„Da kannst Du allerdings recht haben", gab
die Generalin zu. „Es ist nur ein Glück, daß
er nichts von den Kämpfen ahnt, die das arme
Ding seinetwegen durchmachte. Jetzt aber ist sie
wirklich wieder zu innerem Frieden gelangt. Du
glaubst doch auch an ihre heitere Ruhe."
„O gewiß", versetzte die Angeredete zuversichtlich.
„In dem Bilde dort hat sie sich alles geheime
Weh voin Herzen gemalt. Diese unselige Leiden-
schaft ist wirklich für sie versunken und verglüht
wie die Sonne auf dem Gemälde dort. Kon-
stanze ist eine durch und durch gesunde Natur.
Sie wird wohl auch wieder bei Männern an
wahre Empfindungen glauben lernen, jedoch sicher
niemals mehr eine ihr entgegengebrachte Neigung
erwidern. Der beste Beweis hierfür scheint mir
ihr Verhalten gegenüber Baron von Firnstetteu
zu sein. Sein treues Gefühl, das selbst durch ihre
Leidenschaft für Derwall nichts von seiner Stärke
einbüßte, müßte Konstanze rühren, wenn sie ihr
Herz der Liebe nicht für immer verschlossen hätte."
„Und ist diese innere Unzugänglichkeit nicht
ein großer Zug ihres Wesens?" fiel die Generaliu
schnell ein. „Man muß ihn um so höher au
ihr schätzen, weil sie es doch für das höchste Glück
hält, Frau und Mutter zu werden. Aber, was
Konstanze ist, das ist sie auch ganz. Die Künstlerin
hat wirklich in ihr gesiegt; wir haben noch
Großes von ihr zu erwarten und wollen uns
freuen, daß sie durch solche Anerkennung mehr
und mehr zu neuem Streben angespornt wird."
„Gewiß," stimmte die Andere bei. „Doch nicht
allein um ihrer selbst willen, sondern auch wegen
des berühmten Mannes dorten wollen wir ihr
Glück in der Kunst wünschen. Ihre Erfolge
werden ja auch ihre wirksamsten Rächer sein;
denn Derwall wird es nie verwinden, daß sie es
ohne ihn so weit gebracht hat."
■33—
Kerbst.
Ihre allerletzten Knospen
Will die Rose nicht erschließen,
Denn die Sonne steht schon ferne,
Und der Nebel deckt die Wiesen.
In den Nächten, sturmgetragen,
Weinen schon die armen Seelen,
Unerlöste, müde Schatten,
Die sich noch mit Räthseln quälen.
Aber auf des Tages Höhe
Ist ein Stündchen Sonnenfrieden
Eine kurze, heiße Stunde
Der verträumten Welt beschieden.
Halberstarrte Falter steigen
Flatternd aufwärts in die Sonne;
In des Sterbekleides Schleiern
Denkt die Welt an Liebeswonne.
Noch ein langer Kuß —, dann Scheiden,
Einmal noch ein Rausch der Farben,
Leidenschaft des letzten Blickes,
Und dann — graues Winterdarben.
Merese Kelter.
262
Waldmii-chens Morgenlird.
Ihr Vögelein
Im Frührothschein,
Wie hell und klar
Singt eure Schaar
An Gottes großem Weihaltar!
Ihr Blümlein auch
Im Morgenhauch,
Schaut nur empor
Zum Himmelsthor,
Draus zieht die gold'ne Sonne vor!
Was lebt im Wald
Gar mannigfalt,
So groß wie klein,
Es lobt allein
Des Herrgotts Huld im lichten Mai'u.
Auch du, mein Herz,
Schweb' himmelwärts
Im Jubelchor
Durch's gold'ne Thor
Zu Gottes heil'gem Thron empor!
Mthekm Uennccke.
Aus alter und neuer Zeit.
Die lebendige Mauer. Als Kaiser Friedrich
der Rothbart das vom Landgrafen Ludwig dem
Eisernen 1170 errichtete Schloß Naumburg be-
suchte, rühmte er diesen Bau in vollem Maße,
konnte aber nicht verschweigen, daß es einem An-
griff nicht widerstehen würde, weil es zu seinem
Schutz keine festen Mauern habe. Diesem Mangel
versprach der Landgraf binnen dreien Tagen ab-
zuhelfen, in welcher Zeit eine widerstandsfähige
Mauer dem Kaiser hingestellt sein würde. „Un-
möglich", sprach der Kaiser, „und wenn auch der
Landgraf alle Maurer des Deutschen Reiches auf-
bieten würde". Indeß ließ der Landgraf sich nicht
irre machen und schritt an die Ausführung seines
Planes. Er forderte nämlich alle Ritter und
Lehnsgrafen alsbald auf, so schnell wie nur möglich
mit ihren Mannen wvhlbewehrt an: dritten Tage
im Morgengrauen nach der Bürg Naumburg zu
kommen. Und sie kamen Alle, Alle. Darauf läßt
der kluge Landgraf die Mannen gleich einer Mauer
dergestalt um das Schloß Ausstellung nehmen, daß
an der Stelle, an welcher ein Thurm sich befinden
sollte, ein Ritter, ein Schlachtschwert in der Hand,
mit dem Panier stand. Als nun diese lebende
Mauer wohlgeordnet und fest gefügt um das Schloß
geführt war, fragt der Landgraf an, ob die
kaiserliche Majestät sich überzeugen wollte, daß
das Versprechen innerhalb der festgesetzten Frist
gehalten sei. Obwohl er das Ganze nur für einen
Scherz hält, entschließt sich der Kaiser doch zu
einer Besichtigung der Mauer. Aber wie groß
war sein Erstaunen, als er diese Ritter mit ihren
Reisigen in Wehr und Waffen sieht, und verwundert
rief er aus, alle Tage seines Lebens habe er keine
so zierliche, theuere und starke Mauer gesehen.
Mit kaiserlichem Dank für die ihm vor Augen
geführte lebendige schied er vom Landgrafen. — Die
hier geschilderte Handlung wird irrthümlich nach
Naumburg an der Saale verlegt. Aber ihr Schau-
platz ist Naumburg an dem Flüßchen Elbe im
Kreis Wolfhagen.
Aus Hermath und Fremde.
Der Kommunallandtag wird voranssichtlich
am 27. Oktober in Kassel zusammentreten.
In Fulda steht die Gründung eines „Fuldaer
Geschichtsvereins" bevor. Der Gedanke findet
in denjenigen Fuldaer Kreisen, die sich für die
Geschichte der alten Bischofsstadt interessiren, großen
Anklang. — Mit dem Plane, Rotenburg a. F.
zum Luftkurort zu niachen, geht es vorwärts. Es
ist zur Anlage eines Kurhauses der sogenannte
Höberück ausersehen und von einer dem Unter-
nehmen geneigten Seite bereits ein Platz unent-
geltlich zur Verfügung gestellt worden.
Einige Einwohner der Stadt Kassel haben,
wie wir der „K. Allg. Ztg." entnehmen, an die
Stadtverwaltung die Bitte gerichtet, die in der
Altstadt so vielfach bestehenden Straßennamen
mit „Gasse" in solche mit „Straße" umzu-
ändern, da die Bezeichnung „Gasse" den modernen
Verhältnissen nicht mehr entspreche und die betreffende
Straße in dem allgemeinen Ansehen herabsetze.
Die Stadtverwaltung hat dies Ansinnen abgelehnt
lind sich auf den Standpunkt gestellt, daß es durch-
aus wünschenswerth sei, die seit Jahrhunderten
bestehenden altehrwürdigen und historischen
Straßennamen unverändert beizubehalten,
zumal das gutdeutsche alte Wort Gasse die Werth-
schätzung für eine Straße gewiß nicht vermindern
könne. Auch in anderen deutschen Städten sei
man bestrebt, die alten Straßennainen beizubehalten.
263
Die Auswahl der abzuändernden Straßennamen
wäre übrigens auch nicht leicht, manche Umtaufungen,
z. B. Oberstegasse in Oberste Straße, würden sich
auch schwerlich einbürgern können. — Wir können
der Entscheidung der städtischen Behörden nur bei-
pflichten. Wo noch alte Namen in Geltung sind,
hat man allen Grund, sie 511 erhalten und sie nicht
einer ganz unberechtigten Geschmacksrichtung zu
opfern. Früher ist in dieser Beziehung an vielen
Orten arg gesündigt worden; an Stelle einge-
wurzelter und sinnvoller Namen sind vielfach Be-
zeichnungen getreten, die auf reiner Willkür beruhen;
jetzt ist der historische Sinn glücklicher Weise wieder
so stark, daß solche Mißgriffe nicht mehr oder doch
nur selten vorkommen. Auch bei der Benennung
neuer Straßen sollte man immer bemüht sein,
Namen zu wählen, die in einem inneren Zusammen-
hang mit dem stehen, was sie bezeichnen sollen. —
In Anknüpfung hieran sei mitgetheilt, daß der
zur Freilegung der Kasseler Martinskirche her-
zustellende Platz die Bezeichnung „Landgraf
Philipp-Platz" und die von hier nach der
Königsstraße zu siihrende Straße den Namen
„Philippstraße" führen wird.
Universitätsnachrichten. Aus Marburg
wird berichtet: Professor Richard Barth, der
hiesige Universitäts-Musikdirektor, ist zur Leitung
der Philharmonischen Gesellschaft in
Hamburg, die in dem kommenden Winter ihr
70jähriges Bestehen feiert, als Nachfolger des
zurücktretenden Professors von Bernuth berufen
worden. Herr Professor Barth gedenkt diesem Ruf,
der für ihn einen großen Fortschritt in seiner
Karriere bedeutet, zu folgen. Hoffentlich gelingt
es unserer Universitätsverwaltung, recht bald einen
Ersatz für Herrn Professor Barth zu gewinnen.
Im hohen Alter von 82 Jahren verschied in
Kassel in der Frühe des 24. September nach
langem Leiden der Metropolitan a. D. August
Friedrich Karff. Derselbe war am 21. März
1812 zu Kassel geboren, studirte, wie wir dem
„Kaff. Tagebl." entnehmen, 1831 bis 1833
Theologie an der Universität Marburg, war dann
in Kassel zunächst als Lehrer und sodann vom
Jahre 1836 bis zum Jahre 1846 als Psarrverweser
thätig. Im Jahre 1846 wurde ihm von dem
zuständigen Patronate die erledigte Psarrstelle in
Obermeiser übertragen, welche er bis zum Jahre
1892 verwaltete. 1868 mit Bersehung des Metro-
politanats der Klasse Zierenberg beauftragt und
später, im Jahre 1873, zum Metropolitan definitiv
bestellt, ist Karff während der ganzen Zeit seiner
Anstellung im Psarramte auch im Schulaufsichts-
dienste thätig gewesen. Der Verstorbene gehörte
der ersten außerordentlichen Synode vom Jahre
1884 in Kassel an, welche den Zweck hatte, die
jetzige Presbyterial- und Synodalordnung vor-
zubereiten. Am 11. November 1886 vollendete
derselbe in voller geistiger und körperlicher Frische
und getragen von der Liebe und Verehrung seiner
Gemeinde eine ununterbrochene fünfzigjährige Amts-
thätigkeit. Aus Anlaß dieses seltenen Jubiläums
wurde ihm der Kroneuordeu III. Klasse mit der
Zahl 50 verliehen. Nachdem er 1892 in den
Ruhestand getreten war, zog er nach Kassel. Der Ver-
blichene hat stets mit Hingebung seines Amtes gewaltet
und sich die Verehrung und Liebe der ihm an-
vertrauten Gemeinde und der ihm unterstellten
Geistlichen erworben. Einem Wunsche des Ent-
schlafenen zufolge fand die Beerdigung in Ober-
meiser statt. — Am 22. September starb ebenfalls in
Kassel in Folge eines Schlaganfalls der Amtsrichter
a. D. Reinhard Dietz im 72. Lebensjahre. Der-
selbe war zu Schmalkalden am 12. Juni 1823
geboren, hatte in Marburg die Universität besucht
und war in verschiedenen hessischen Städten, wie
Hersfeld, Fritzlar, Großalmerode, Meerholz rc., als
Richter thätig gewesen, bis er vor einigen Jahren
in den Ruhestand trat und seinen ständigen Aufent-
halt in Kassel nahm. — Der am 27. September
im 79. Lebensjahre verstorbene Geheime Rechnungs-
rath Heinrich Gunkel wurde am 11. April
1816 zu Hanau geboreu, besuchte das dortige
Gymnasium und widmete sich dein Studium der
Rechte au der Landesuniversität Marburg. Nach
Absolvirung seiner akademischen Studien bestand
Gunkel im September des Jahres 1838 die
juristische Staatsprüfung mit Auszeichnung und
wurde im November desselben Jahres als Rechts-
praktikant in den kurhessischen Justizdienst aus-
genommen. April 1840 erfolgte seine Ernennung
zum Obergerichtsreferendar in Kassel, und nachdem
er seit 1846 als Sekretariatsgehülfe bei dem Ober-
gericht thätig gewesen war, wurde er im Mai 1849
zum Sekretär bei der Staatsprokuratur in Kassel
berufen. Wegen seiner Schwerhörigkeit hat der Ver-
storbene von seiner Verwendung im Richterdienst
absehen müssen. Er verblieb in seiner Stellung
als Sekretär der Staatsprokuratur bis zum Jahre
1867. Bei der Organisation in diesem Jahre wurde
Gunkel zum Appellationsgerichts-Sekretär in Kassel
ernannt. Dann einige Jahre der Oberstaatsanwalt-
schaft überwiesen, war Gunkel seit April 1885 bei
dem Oberlandesgericht thätig, woselbst er als
Bibliothekar fungirte. Bis vor wenigen Wochen
hat der Verstorbene seines Amtes mit treuer Pflicht-
264
erfüllung gewaltet. 1880 wurde ihm der rothe
Adlerorden IV. Klasse verliehen, 1885 erhielt er
den Charakter als Rechnungsrath, und bei dem
am 21. Februar 1889 festlich begangenen Jubiläum
seiner 50jährigen Thätigkeit wurde Gunkel zum
Geheimen Rechnungsrath ernannt. — Am Morgen
des 30. September verschied zu Kassel in Folge
von Herzlähmung der Major a. D. Friedrich
Engelhardt. Im Jahre 1818 daselbst als der
fünfte Sohn des kurhessischen Oberstlieutenants
Joh. Engelhardt geboren, widmete sich Friedrich
Engelhardt der militärischen Laufbahn. 1839
wurde er zum Sekondlieutenant im damaligen
1. kurhessischen Infanterie-Regiment ernannt. 1847
zum Leibgarde-Regiment versetzt, machte er 1849
den Feldzug nach Schleswig mit, nachdem er im
Jahre zuvor bei verschiedenen Détachements nach
Karlsruhe, Wetter, Frankfurt re. kommandirt war.
1850 erfolgte seine Ernennung zum Premier-
lieutenant, unb im Jahre 1859 wurde Engelhardt
zum Hauptmann befördert. 1866 wurde er bei
der Einverleibung Hessens als Hauptmann und
Kompagnieches in das Regiment Nr. 81 nach Mainz
versetzt. Bereits in dem darauf folgenden Jahre
erhielt der Verstorbene seine Beförderung zum etats-
mäßigen Major in das 6. ostpreußische Infanterie-
Regiment Nr. 43 in Königsberg. Gesundheits-
rücksichten veranlaßten ihn jedoch, im Jahre 1869
seinen Abschied zu nehmen, und er verlegte wieder
seinen Wohnsitz in seine Heimathstadt Kassel.
Längere Jahre hindurch sungirte später Friedrich
Engelhardt dann noch bei der dortigen Ersatz-
kommission.
Personalien.
Beauftragt: Pfarrer Wiegand in Trendelburg mit
Versetzung der Metropolitanatsgeschäfte der Klasse Trendel-
burg.
Entlassen: Regierungs-Referendar Graf Hermann
zu Waldeck und Pyrmont aus dem Staatsdienst.
Verliehen: dem Pfarrer und Metropolitan Manger
in Rosenthal die dritte lutherische Pfarrstelle (Archidiakonat)
in Marburg, dem Pfarrer Wiegand in Niederelsungen
die Pfarrstelle in Trendelburg, dem außerordentlichen Pfarrer
Lucke in Hess.-Lichtenau die Pfarrstelle in Niederelsungen.
Geboren: Ein Knabe: dem Gerichtsassessor Dr. Karl
Köhler und Frau Elfriede, geb. Weise (Melsungen);
dem Sekondlieutenant Schröder im Jnf.-Regt. Nr. 140
und Frau Johanne, geb. Go ecke (Jnowrazlaw); eine
Tochter: dem prakt. Arzt Dr. S ch a u m l ö f f e l und Frau
in Kassel.
Vermählt: Bernhard Ganse, Apotheker, und Nanny
geb. Hüser (Marktzeula, Oberfranken, 12. September).
Gestorben: Frau Friedrich Schmidt, geb. L e o n h a rd i,
Domänenpächterswittwe (Kassel, 14. September); Rechnungs-
rath Johann Klug, 74Jahre alt (Kassel, 16.September.);
Oberstlieutenant z. D. Karl von Starck, 69 Jahre alt
(Hann. - Münden, 17. September); Reichsbankbeamter
Aug'ust Brethauer, 20 Jahre alt (Kassel, 17. September);
Oberst z. D. H n g o v o n G o d d ä u s, (Kassel, 20. September);
Freifrau Bertha Rau von und zu Holzhausen, geb.
Lenz, 70Jahre alt (Marburg, 20. September); Eisenbahn-
betriebskontrolenr Neinhold Walther (Kassel, 21. Sep-
tember); Rentner Ferdinand Wolfs, 65 Jahre alt
(Kassel, 22. September); Landeskreditkassen-Probatur-Vor-
stnnd a. D. Heinrich Staub, 73 Jahre alt (Kassel,
21. September); Amtsrichter a. D. Reinhard Dieß,
71 Jahre alt (Kassel, 22. September); Metropolitan a. D.
August Friedrich Karff, 81 Jahre alt (Kassel,
24. September); Hauptlehrer Robert Friedel, 39 Jahre
alt (Hilden, 26. September); Willy Brock (Los Angelos
in Kalifornien, 28. August); Professor Charles Hinkel
aus Hanau, 77 Jahre alt (Newyork City); Geh. Rechnungs-
rath Heinrich Gunkel, 78 Jahre alt (Wehlheiden,
27. September); Major a. D. Friedrich Engelhardt,
76 Jahre alt (Kassel, 30. September); Privatmann
Jean Brenssell (Kassel, 1. Oktober).
Briefkasten.
Allo Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Kassel
Schloßplatz 4.
Stud. hist. C. K. in Kassel. Besten Dank für die
Anregung. Die Sache wird entsprechend erledigt werden.
Inhalt des September- und des Oktoberheftes
(Nr. 3 und 4 des III. Jahrgangs) der „Touristischen
Mittheilungen aus beiden Hessen, Nassau u.", heraus-
gegeben von Dr. phil. Fritz Seelig: Das fürstliche
Refidenzschloß zu Arolsen; Die Einweihung des Eisenberg-
thurms auf dem Knüll; Die Frankenwarte bei Würzburg;
Berichte; Das Nadelöhr bei Friedewald re. — Festgruß
des Herausgebers an die 12. Generalversammlung des
’ Taunus-Klubs; Gedichte des „Rhöntroubadours" L. Hoehl;
Touristische und hessische Literatur; Berichte; Der Löwen-
brunnen in Kassel; Nach dem kahlen Asten! rc.
Hierdurch erlauben wir uns, an unsere ver-
ehrlichen Abonnenten die ergebene Bitte zu richten,
uns gütigst durch Uebermittelung von Adressen,
an welche WroVenmmnern unserer Zeitschrift
zu senden wären, unterstützen zu wollen. Wir
sind gern bereit, hieraus erwachsende Auslagen
zu erstatten, sowie auch zum Zweck der Ver-
breitung als Probenummern eine Anzahl von
Exemplaren zur Verfügung zu stellen.
Wedaklion und Werl'ag
des „Kestentand".
Mk"' Der heutigen Nummer liegt bei ein Prospekt
betr. das von Valentin Traudt in Rauschenberg
herauszugebende „Hessische Dichterbttch".
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hrlsrnlmtd" erscheint am 1. und 15. jedes Monats 1 J/a bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 20 des „Hessenlandes": „Kinder-Neigen"; „Philipp der Großmüthige, Landgraf von
Hessen. 1504—1567", von H. Metz (Fortsetzung); „Eine alte Schrift aus westfälischer Zeit", von G. Th. D.; „Eine
wahre Schinderhannesgeschichte", von Justus Führer; „Armuth", von Heinrich Förster; „Philosophenleben", Gedicht
von Hans von Ellern; „Erwartung", Gedicht von Carl Weber; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und
Fremde; Briefkasten; Anzeigen.
Ainder-Aeigen.
J'V s sprang die junge Adelheid
® Im Reigen,
Sie sprang so hoch, sie sprang so weit,
Vor allen Leuten weit und breit
Gedacht' sie sich zu zeigen.
Sie sang: Jetzt hüpf' ich her und hin,
Dieweil ich jung und lustig bin!
Adelheid, Adelheid, Adelheid die kleine.
Wer zieht so hell und warm durch's Land
Im freien?
Der wirft uns Blumen in die !fand,
Den hat der liebe Gott gesandt,
Das ist der Monat Maien!
D'rum lacht so froh im Veilchenkranz,
Drum jubelt, singt und springt in: Tanz
Adelheid, Adelheid, Adelheid, die kleine.
266
Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen
1504 1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
cji m 27. Februar 1531 wurde zum Schutze
/fit aller gegenwärtigen mtb noch künftig hinzu-
OjV tretenden Anhänger des Evangeliums ein
Bund zu Schmalkalden auf sechs Jahre geschlossen.
Auf mehreren Zusammenkünften in anderen Städten,
unter ihnen auch Frankfurt a. M., wurde der
Bund genauer geordnet, und in letzterer Stadt
insbesondere fand die Ernennung des Landgrafen
und des Kurfürsten von Sachsen zu Oberhaupt-
leuten statt, der erstere erhielt den oberdeutschen,
letzterer de» niederdeutschen Kreis. Ein Bundes-
nnd Kriegsrath wurde den beiden Fürsten bei-
geordnet, der nach Ehre, Eid und Gewissen über
die Kriegshilfe itub deren Verwendung entscheiden
sollte. Vom Landgrafen Philipp wurde die Auf-
nahme der reformirten Schweizer in den Btmd
beantragt, derselben aber widersetzte sich im Auf-
träge des Kurfürsten von Sachsen dessen anwesender
Bevollmächtigter, indem er erklärte, sein Herr könne
keine Verbindung mit den Eidgenossen eingehen,
da diese in der Lehre vom Abendmahl abwichen,
auf ihre weltliche Macht dürfe man nicht sehen,
denn die heilige Schrift verkünde denen einen
unglücklichen Ansgang, die sich auf solche Stützen
verließen.
Verschiedene drohende Gefahren, unter ihnen
das Anrücken der Türken in die Erbländer an
der Donau, verhinderten den Kaiser, seine zu
Augsburg ausgesprochene Drohung zu vollziehen.
Im Gegentheil suchte er die Eintracht der deutschen
Stände herbeizuführen und sah sich in Folge
dessen gezwungen, eine mildere Haltung einzunehmen.
Als Vermittler des Kaisers bei den Protestanten
boten sich die Kurfürsten Albrecht von Mainz
und Ludwig der Friedsame von der Pfalz an
und setzten den Landgrafen sowie den Kurfürsten
von Sachsen von den Entschlüssen des Kaisers in
Kenntniß. Vorläufig nahm Karl V. die ge-
stellte Bedingung, Aufhebung der fiskalischen
Kammergerichtsprozesse in Glaubenssachen, neben
noch anderen Forderungen an, ließ aber im Ge-
heimen so viele und große Dinge mit solcher
Eile betreiben, daß die Protestanten, unter ihnen
der Landgraf, Verdacht schöpften. In Folge
dessen erschienen auch Philipp und der Kurfürst
von Sachsen eins einem nach Regensburg aus-
geschriebenem Reichstage nicht. Hierüber bestürzt
in Anbetracht der drohenden Gefahr, gab der
Kaiser neue Zugeständnisse. Zu Schweinfurt
wurden die Unterhandlungen eröffnet, allwo im
Namen des Landgrafen Johann Feige erschien,
zu Nürnberg wurden sie fortgesetzt und durch den
„Nürnberger Jnterimsfrieden" geschlossen.
Laut dieses Friedens wurde bestimint, daß bis
zur Entscheidung einer künftigen Kirchenversamm-
lnng, oder, falls eine solche binnen Jahresfrist
nicht gehalten werden sollte, bis zu einem Reichs-
tagsbeschlnß ein allgemeiner Friede iin Reiche
zu halten und Niematch um der Religion willen
zu beschweren sei, daß alle fiskalischen und
den Glauben betreffenden Prozesse einzustellen
und sieben protestantische Fürsten und dreiund-
zwanzig protestantische Städte zum Gehorsam
gegen den Kaiser und zur Türkenhilfe verpflichtet
seien. Die hessischen Gesandten Johann Feige,
Siegmund von Bohneburg, Johann Walter nahmen
diesen Friedeil nicht an. Erst, nachdem alle
Anderen unterzeichnet hatten, gab der Landgraf
feine Einwilligung, verhehlte aber auch seinen
Unwillen nicht (13. August 1531).
Behufs Ausschreibung einer Land st euer zur
Hilfe gegen die Türken, wozu sich die Fürsten
in Nürnberg verpflichtet hatten, berief der Land-
graf seine Landstände nach Homberg lind
einigte sich mit ihnen in einem Landtagsabschied
über die Steuer (12. Juli 1532). Es mußten
an Steuern entrichtet werden von den Stiftern,
Klöstern imb anderen geistlichen Gütern im Lande
ein Viertheil, von ausländischen, in Hessen begüterten,
geistlichen Korporationen ein Dritttheil des jähr-
267
lichei, Einkommens. Ein Sechstheil ihres Ein-
kommens hatte die Ritterschaft zn entrichten und
mußte sich außerdem zu Ritterdiensten mit den
Ihrigen bereit halten. Bei den Unterthanen und
Bürgern bestand die Steller in Zahlung eines halben
Albus voll einem jeden Gulden ihres Einkommens.
Erhoben und aufbewahrt sollte die Steuer von
sechs Rittern und Bürgermeistern werden. Be-
züglich eines sich vielleicht bei der Rechnungs-
ablegung nach geschlossenem Fricdeil ergebendeil
Ueberschusses über die Ausgaben wurde die Be-
stimmung getroffen, daß dieser lieberschuß ent-
weder an die einzelnen Zahler nach Verhältniß
ihres geleisteten Beitrags zurückgegeben oder zum
Schuh des Landes aufbewahrt werden sollte.
Ueber die bisher noch niemals ergangene Ans-,
erlegung einer solchen Steuer beschwerte sich der
Adel. Der Landgraf stellte ihm zur Beruhigung
folgende Versicherung aus: „die vom Adell vudt
Vntersaßen hinfuhr» zu ewigen Zeittenn, außer-
halb dißein Fall, mit keiner Newrung, Schatzung,
Stelvr, oder Anlage beschweren, sondern sie vndt
die Ihren bey ihrem altem Herkommen vndt den
Ritterdiensten, in allermaßen sie hiebevor geweßen
sein, gnediglich bleiben vndt darüber in keinem
Weg nit beschweren lassen."
-Obgleich von Seiten der katholischen Partei
der Reformation kräftiger Widerstand geleistet
wurde, so verbreitete sich dieselbe trotzdem durch
das thatkräftige Vorgehen des Landgrafen weiter.
Durch ausgesandte Prediger ließ er die neue
Lehre iu den Gebieten anderer Reichsstände,
namentlich in den Hessen lehnspflichtigen Gebieten
der Grafen von Waldeck, Wittgenstein, Hoya,
Lippe unb Rittberg, einführen.
Durch Aufnahme neuer Mitglieder wurde der
Schmalkaldische Bund verstärkt. An der Werbung
für denselben betheiligte sich Philipp rege. Neu
aufgenommen wurden Ulrich von Württemberg,
Barnim und Philipp von Pommern, Philipp
von Braunschweig-Grubenhagen, Christian von
Schleswig und Holstein, Heinrich von Sachsen,
Heinrich von Mecklenburg, Rupprecht von Zwei-
brücken, Johann Georg und Joachim von Anhalt,
Friedrich von Liegnitz, die Grasen Heinrich von
Schwarzburg, Philipp von Nassau-Saarbrücken,
Wilhelm von Nassau-Dillenburg, Konrad von
Tecklenburg : die Städte Braunschweig, Goslar,
Eiikbeck, Göttingen, Eßlingen, Augsburg, Kempten,
Hamburg, Hannover, Hameln, Minden, Schwäbisch-
Hall, Heilbronn und Riga. Noch bevor die Frist
des auf sechs Jahre geschlossenen Bundes ab-
gelaufen war, wurde von Johann Friedrich,
Philipp und den Vertretern der Städte Straß-
burg, Ulm, Magdeburg und Bremen eine Ver-
längerung desselben ans zehn Jahre, im Falle
eines Religionskrieges bis zur Beendigung des-
selben, beantragt. Unter dem Vorsitze des Kur-
fürsten von Sachsen wurde iu Koburg, wo sich der
Landgraf durch Johann Feige und Hermann
von der Malsburg vertreten ließ, die Auf-
stellung eines Bundesheeres, bestehend aus 20000
Fußgängern und 4000 Reitern mit dem nöthigen
Geschütz, beschlossen, falls eine vom Kammer-
gericht ausgesprochene Reichsacht in Religions-
sachen durch katholisches Kriegsvvlk vollzogen
werden sollte.
An der Unterdrückung der in Münster aufge-
tretenen Wiedertäufer nahm der Landgraf regen
Antheil. Mit ihm hatte der Bischof Franz von
Waldeck namentlich gegen Bernhard Rothmann
eine Einigung und ein Vertheidigungsbündniß
abgeschlossen und ihn um seine Vermittlung ersucht.
Von Philipp wurden die Räthe Jakob von Tauben-
heim, Johann Walther, genannt Fischer, und
Georg Nußbicker nach Münster gesandt. Diese
brachten einen Vertrag zu Stande, nach welchem
der Bischof und das Domkapitel im Besitz ihrer
Güter und Rechte verblieben, in der Domkirche
nichts geändert wurde, dagegen sechs Kirchen zur
evangelischen Predigt eingeräumt werden sollten
(14. Mürz 1533). Auf ein Schreiben des
Landgrafen an die Münsterer erfolgte eine trotzige
Antwort mit einer Darstellung des Systems der
Wiedertäufer, von Rothmann verfaßt. Dem
Bischof sandte der Landgraf darauf 3000 Fuß-
gänger, ein Geschwader Reiter, sowie zwei
Karthaunen zn Hülfe. Münster wurde erobert
und beui Bischof zurückgegeben.
„Für Münster der Landgraf auch sendt
Sein Hüls gantz willig und behendt.
Die Statt man da erobert hat
Wieder der Wiedertäuffer Rott." (1535.)
Kurz bevor die Zeit abgelauseu war, auf welche
der schwäbische Bund geschlossen war, schloß
Landgraf Philipp mit einigen rheinischen Fürsten
ein Bündniß. Da der schwäbische Bund meistens
aus katholischen Fürsten, vielen Bischöfen und
Prälaten zusammengesetzt war und deshalb der
evangelischen Sache schaden konnte, war Philipp's
Augenmerk auf Auslösung dieses Bundes gerichtet.
Zu diesem Zwecke suchte er die oberländischen
Städte zu gewinnen, die sich, in der Hoffnung,
die Gerichtsbarkeit der Bischöfe abzuschütteln,
bereit erklärten. Der König von Frankreich, dem
die wachsende Uebermacht des Kaisers im süd-
lichen Deutschland ein Dorn im Auge war, gab
seine Zustimmung. Außerdem hatte der Land-
graf den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, den
Erzbischof Albrecht von Mainz und den Bischof
268
von Würzburg, Konrad von Thungen, dazu
gebracht, daß sie in das Fortbestehen des Bundes
nicht mehr einwilligten. Mit allen diesen Fürsten,
sowie mit dem Erzbischof von Trier, Johann
von Metzenhausen, schloß Philipp einen zwanzig-
jährigen Verein, der ihnen alle Vortheile des
schwäbischen Bundes, gegenseitigen Schutz, freien
Verkehr ihrer Länder und Unterthanen und im Falle
einer Vergewaltigung nachbarliche Hilfe, versicherte.
(Rheinische Einigung, 8. November 1532.)
Die Herzoge von Bayern wünschten, trotzdem
sie nicht mit der Auflösung des schwäbischen
Bundes einverstanden waren, dennoch Württemberg,
wenn» auch nicht ihrem Schwager, dein vertriebenen
Herzoge, so doch dessen Sohne, Christoph, wieder-
zuverschaffen, uni das Land den Händen Ferdinand's
von Oesterreich zu entreißen. Christoph kam von
Innsbruck, wo er unter Aussicht gehalten war,
zu seinem Oheim Ludwig nach Landshut und
bat von hier aus brieflich den Landgrafen Philipp,
sich seiner Sache anzunehmen. „Er", so schrieb
Christoph, „möge sich des elenden, erbärmlichen
und unerhörten Falles, so seinem Vater ihm
ihren Nachkommen begegne, erbarmen lassen, und
bedenken, daß bei diesen unersättigen Leuten nicht
anders gedacht würde, denn alle deutschen Lande
zu ihrem Willen zu bringen, und was allent-
halben im Reiche allen fürstlichen Namen und
Stämmen künftig bevorstehe." (8. September 1533.)
Für Christoph's Sache wandte sich der Landgraf
an viele deutsche und ausländische Fürsten, so
auch an den König von Frankreich. Der Ge-
sandte desselben, Gnillaume de Bellay-Langhey,
bot gelegentlich der letzten Zusammenkunft des
schwäbischen Bundes zu Augsburg (2. Dezem-
ber 1533) Alles auf, um die Sache für Christoph
günstig zu gestalten, aber vergebens. Nunmehr
faßte Philipp den Beschluß, in dieser Angelegen-
heit Gewalt zu gebrauchen. Mit Heinrich von
Braunschweig, den Herzogen von Bayern und
dem Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen
knüpfte er Unterhandlungen an und gewann diese
für seinen Zweck. In Bar le Due (27. Januar
1534) kam der Landgraf mit dem König von
Frankreich zusammen und unterhandelte mit ihm
über eine zu leistende Geldunterstützung; Philipp
erhielt eine solche in Aussicht gestellt, ebenso lieh
ihm Christian von Holstein 10000 Gulden, und
noch von mehreren anderen Fürsten wurden
kleinere oder größere Beträge bewilligt. Ulrich,
der vertriebene Herzog von Württemberg, stellte
zu Kassel eine Urkunde aus, durch die er sich
verpstichtete, alle Unkosten, die zum Zwecke der
Wiedereinsetzung aufgewendet würden, zu ersetzen.
Bevor der Landgraf zum Kampfe ausrückte,
berief er seine Stände und die Ritterschaft nach
Kassel. Hier legt« er den Ständen seine Ver-
fügungen über die Vormundschaft und Regierung
vor, falls er getödtet oder gefangen genommen
werden sollte, ernannte zu Verwesern der Regierung
den Statthalter zu Kassel, Adolf Rau, den zu
Marburg, Georg von Kolmatsch, seinen Kanzler
Johann Feige, den Amtmann 31t Trendelburg,
Burkard von Kram, Tile Wolf von Gudensberg,
den Oberamtmann zu Rheinfels, Helwig von
Lehrbach, und empfing das Versprechen, daß die
erlegte Türkensteuer zum Schutze des Landes ver-
wendet werden sollte. Am 23. April 1534 brach
der Landgraf mit Ulrich, der niederhessischen
Ritterschaft und einigen Fähnlein Landsknechten
aus Kassel auf. Diesen gesellten sich unterwegs
noch 4000 Reiter und 20000 Fußgänger aus
den verschiedenen Theilen des deutscheil Landes
zu. An der Spitze dieses trefflichen Heeres stand
die hessische Ritterschaft, die gräflichen Vasallen,
die Erbbeamten, der Freiherr voll Plesse, der
Landkomthur von Marburg, Wvlfgang Schutzbar
von Milchling, Heinze von Lüder, viele Amt-
männer der hessischen Städte, die landgräflicheil
Räthe und Kammerjllnkern, Werner von Wallen-
stein, Kurt Diede, Friedrich von Keudell, Konrad
von Frankenstein, Eitel von Löwenstein, Hermann
von Hundelshausen. Otto Hund und Hartmann
Schlegerein waren Proviantmeister. Musterherrn
waren Siegmund von Bohneburg, Eberhard von
Bischoffrode, Max Lesch von Voitsberg bei
Gießen. Unter den zweiundzwanzig Rittmeistern
der Kürassiere waren zwei dem Landgrafen ver-
wandte Grafen, Konrad von Tecklenburg 'nnd
Graf Georg Ernst von Henneberg, die übrigen
zwanzig Rittmeister waren Johann von Hertings-
hausen, Georg von Dalwigk, Wiegerich von Stein,
Hermann von Hatzfeld, Sylvester von der Mals-
burg, Emmerich von Diez, Knipping und Her-
mann von Viermünden, LiPPold von Stockheini,
Philipp von Rüdigheim, Hektor Böhm von
Mörle, Ascha von Kram, Braun von Bothmer,
Johann von Manhanstein, Georg Mengersen
Georg Brede, Alhard von Hörda, Johann von
Beuern, Johann Kessel, Christoph von Steinberg,
Jost von Steinberg. Auch viele Ausländer von
hohem Adel fanden sich im Heere des Landgrafen.
Jede nachgesuchte Unterhandlung Ferdinand's ver-
weigerte Philipp, bevor Ulrich im Besitz seines
Landes sei. Von Kassel aus ging der Heereszug
über Felsberg, Marburg, Gießen, Butzbach,
Niedereschenbach nach Frankfurt a. M., von hier
ans durch den Odenwald über Erbach und
Fürstenau nach dem Neckar. Am 13. Mai kam
es zu einer Schlacht bei Laufen zwischen Philipp
269
und Ferdinand, die für letzteren ungünstig aus-
fiel. Auf Ferdinand's Seite fielen mehrere
Hundert, der Rest wurde versprengt. In die Hände
Philipp's fielen die Kanzlei und die geheimen
Briefschaften Ferdinand's, ein Theil der Artillerie,
das ganze Hebzeug zum groben Geschütz, sechzig
Wagen Lebensmittel und Munition. Der Ver-
lust Philipp's belief sich auf einen Hauptmann,
Christoph Fuchs, Erbherrn auf Wallenburg, einen
Kürassier und einen Trompeter. Von Laufen aus
ging der Zug nach Stuttgart, das alsbald die
Thore öffnete und Erbhuldigung leistete. Auf
einer nach Cannstatt zu gelegenen Wiese nahm
der Herzog die Stadtschlüssel in Empfang und
bestätigte den Tübinger Freiheitsbrief. Der Unter-
werfung von Stuttgart folgte bald die der anderen
Städte und Burgen. Erst nach der Uebergabe
von Hohenasperg (2. Juni 1534) war die
Zurückeroberung des Herzogthums Württemberg
vollendet. Nunmehr wurden die Friedensver-
handlungen eingeleitet, bei denen außer der
Württembergischen Angelegenheit auch allgemeinere
Sachen zur Sprache kamen. Am 29. Juni 1534
kani der Vertrag zu Cadan in Böhmen zu Stande.
Hauptbedingungen desselben waren folgende: Be-
stätigung des Nürnberger Religionsfriedens, Ver-
sprechung der Einstellung der Prozesse am Reichs-
kammergericht gegen die Protestanten, Anerkennung
Ferdinand's als römischen König, Zurückgabe
Württembergs, als oesterreichischen Afterlehns, an
Ulrich, mit der Bedingung des Rückfalls bei
dem Ausgange des Mannesstammes. Ungern,
aber nothgedrungen nahm Philipp den Frieden
an. Hierauf kehrte der Landgraf nach Kassel
zurück und meldete dem Kaiser seinen Beitritt
zum Vertrag. Vom Kaiser erhielt er eine ver-
söhnende Antwort aus Valencia und reiste am
22. März 1535 nach Wien zu Ferdinand.
Fortsetzung folgt.!
—---'----------
Eine alte Schrift aus westfälischer Zeit.
Von G. Th. D.
^jW etwa 60 Jahren vernahm ich, es existiré ein
LZ um das Jahr 1806 gedrucktes Schriftchen,
j das den dainaligen Kurfürsten Wilhelm I.
und dessen Regierung sehr ungünstig kritisirte und für
dessen Verfasser der in Homberg lebende Advokat
Sigmund Peter Martin angesehen würde.
In neuester Zeit ist mir dieses Schriftchen näher
bekannt geworden, und da ich mich ilicht erinnere,
je im „Hessenland" über dasselbe etwas gefunden
und gelesen zu haben, möchte es für die Leser
unserer Zeitschrift von Interesse sein, es jetzt ein
wenig kennen zu lernen.
Ueber den Verfasser ist in neuer Zeit nrehrfach ge-
stritteil worden; auf der einen Seite wurde Sigmund
Peter Martin unbezweifelt als Autor angesehen,
auf der anderen aber diese Unterstellung nicht
ohne Gründe angefochten. Zu denjenigen, die
Martin's Verhalten in der ganzen Jnsurrektions-
angelegenheit vom April 1809, dem Dörnberg'-
schen Aufstand, an dem sich Martin sehr energisch
betheiligte, vertheidigten, gehört insbesondere ein
Enkel des S. P. Martin, nämlich der jetzige
Seminardirektor in Eisleben Friedrich Martin,
dessen Aufsatz: „Zur Ehrenrettung S. P. Mar-
tin's" (Sonderabdrnck ans der Zeitschrift des
Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde,
Neue Folge, Bd. XVIII) folgende bemerkenswerthe
Exposition enthält: Einer der Anklagepunkte
Ly nker's gegen Martin— und zwar ein solcher,
auf den Lyilker großes Gewicht legt, ist die von
L. angenommene Herausgabe der Schrift „Hessen
vor dem 1. November 1806" *) durch Martin.
So heißt's bei Lynker: „Es lastete ans M. noch
ein besonderer Verdacht. Zn jener Zeit, als
Napoleon's Befehl die tapfere hessische Armee zu
schimpflicher Auflösung verdammt hatte, erschien
zu Leipzig eine anonyme Schrift, welche statt
lindernden Balsams Gift in die Wunden träu-
felte. Es war eine kleine, von blinder Leiden-
schaftlichkeit diktirte, aus gemeinen Schimpfe-
reien und lächerlichen Uebertreibungen zusammen-
gesetzte Broschüre, in welcher die althessische Armee
und besonders der Offiziersstand (sage: der Adel!)
arg mitgenommen wurde. Man hat nie erfahren
können, wer der Verfasser war: daß es ein hessi-
scher Kapitän gewesen, wie der Titel angiebt,
*) Hessen vor dem 1. November 1806. Vo» einem
ehemaligen hessischen Capitain. Leipzig 1807, bei Wil-
helm Rein u. Comp.
270
wird durch den Inhalt der Schrift selbst un-
wahrscheinlich gemacht. Die entlassenen hessischen
Offiziere hatten Martin im Verdacht. Ein
solcher Verdacht hätte nicht aufkommen können,
wenn Martin's Vergangenheit ihn nicht recht-
fertigte, auch hat die spätere Zeit denselben nicht
nur nicht entkräftet, sondern vielmehr befestigt
und Martin selbst hat ihn nie widerlegt."
Goede-Jlgen schreibt flott «eg: „Ein Mann,
der im Jahre 1806 eine der ungerechtfertigsten
Schmähungen gegen das 'hessische Militär ver-
öffentlichte" u. s. w.
Soviel ist gewiß, daß man gegen Martin nur
den Verdacht haben kann, er sei der Autor ge-
wesen; der Beweis ist nicht geliefert worden.
Der Inhalt der Schmähschrift spricht keineswegs
für die Verfasserschaft Martin's, vielmehr für
einen wirkliche» Militär, der nicht bloß eine
umfassende Personalkenntniß besaß, sondern auch
genau mit dem Militärwesen in technischer Hin-
sicht Bescheid wußte. Friedrich Martin führt
über das Schristcheu eine von Vilmar herrührende
Stelle an, die mir den Nagel auf den Kopf zu
treffen scheint: „Das Schristchen ist mit Geschick
geschrieben und enthält neben zahlreichen Ueber-
treibungen und bei großer Einseitigkeit und Ge-
hässigkeit manches Wahre." Besser wäre
noch gesagt viel Wahres. Der Schreiber
dieser Zeilen hat mit Vilmar in Marburg
dreizehn Jahre laug auch gesellig verkehrt und
hat gestaunt über sein bis in's Kleine herab-
gehendes Wissen. Er war kein Mann, der in
seinem Urtheil über Personen zurückhielt, vielmehr
sich offen und frei aussprach, er hat, wenn auf
ältere Zustände die Rede kam, nie in meinem
Beisein ein Urtheil über Martin gefällt. Vilmar
hat Martin 1832 in Homberg besucht und
Martin ist 1834 bei Vilmar in Marburg
gewesen. Hätte Vilmar in Martin den Ver-
fasser jenes Schriftchens gekannt, gewiß hätten
die mit ihm Verkehrenden es gehört.
Wenn der Anonymus hart über althessische
Zustände, namentlich des hessischen Militärs,
urtheilt, so hat er, wie mir aus den Zeiten
des Kurfürsten Wilhelm I. erinnerlich ist, das
nicht allein gethan.
„Ein abgelebter Greis, — so heißt es von
Kurhesseu in dem Schristchen —, widersteht nicht
einem kraftvollen Jüngling, ein Greis, der ohne
äußern Angriff durch gänzliches Aufreiben seiner
Kräfte und Zerstörung der Maschine ohnehin
bald dahinsterben muß". Dieser Vergleich erscheint
doch nicht als berechtigt. Der Kurfürst hatte in
seinen Diensten manchen ausgezeichneten Mann,
der von großem Einfluß war und dem das Wohl
des Landes am Herzen lag. Es dünkt dem Ver-
fasser „ein kleinlicher und nichtswürdiger Patrio-
tismus, das Fehlerhafte verbergen und der Welt
weiß machen zu wollen, wie schön, wie gut und
wie vortrefflich das Unsrige sei oder gewesen sei".
Darin stimmt ihm gewiß jeder Verständige bei.
Jederzeit hat es Männer gegeben, denen Wahr-
heit das oberste Gesetz war, die weder nach oben
noch nach unten heuchelten, wie einen Jeremias
bei den Israeliten, einen Deniosthenes bei den
Athenern.
„Die Geschichte scheint zu beweisen, daß das
durchlauchtige, das hoch- und hochwohlgeborene
Blut wie jede stehende Flüssigkeit durch die Länge
der Zeit in einen trüben Sumpf verwandelt
wird." Das geht auf den Adel, den der Ver-
fasser sehr gering schätzt. „Preußischer Seits haben
sich im Kriege allein ausgezeichnet der Ritt-
meister Eisenhard, der Lieutenant Hellwig und
der entlassene Lieutenant Schill, und die waren
u nadelt ge." (Fortsetzung folgt.»
Eine wahre Schinderhannesgeschichte.
Von Justus Führer.
^Mei der großen Zahl der im Uinlauf be-
M findlichen, mehr oder weniger frei erfundenen
Schinderhannesgeschichten dürfte die Leser
des „Hessenlandes" folgende, in ihren Haupt-
zügen wenigstens, „wirklich passirte" Begebenheit
interessiren, die ich auf Grund von Mittheilungen
eines Onkels aus der Erinnerung hier wiedergebe.
Es war um das Jahr 1800, als mein Ur-
großvater — Großvater meines Vaters mütterlicher-
seits — Wendelin Dorn, kurmainzischer Ober-
amtsvogt und zugleich höherer Forstbeamter zu
Orb, einen Jnspektionsritt durch den nahegelegenen
Staatswald machte. Der Weg führte ihn an
einer einsam gelegenen Schlosserei vorüber, der
er einige Tage vorher ein Paar Reiterpistolen
zur Reparatur übergeben hatte. Als Dorn, um
nach den Pistolen zu sehen, in das Waldhaus
eintrat, fiel ihm sofort das sonderbare Benehmen
der ihm hastig entgegeneilenden Frau des Schlosser-
meisters auf. Ihr Mann sei soeben fortgegangen,
sagte sie. Wenn der Herr Oberamtsvogt sich
beeile, könne er ihn noch einholen. Dorn beeilte
sich denn auch, aber nicht, dem „soeben fort-
gegangenen" Schlossermeister nachzusetzen, vielmehr,
der ihm in den Weg tretenden Frau in der Er-
reichung der im Hinterhause gelegenen Werkstatt
zuvorzukommen. Die Thür fand er allerdings
verschlossen, allein sein Verdacht steigerte sich, als
hinter der Thür das Flüstern verschiedener Stimmen
deutlich vernehmbar wurde. Auch hinderte ihn
die Aufmerksamkeit, die er den Vorgängen im
Inneren der Werkstatt einen Augenblick schenkte,
keineswegs, zu bemerken, wie die vorsorgliche Frau
des Hauses bemüht war, von der nach dem
Vorderhause zu gelegenen Wand der Werkstatt
eine Leiter möglichst geräuschlos zu entfernen.
Dorn machte bei näherer Besichtigung die Ent-
deckung, daß sich daselbst in einiger Höhe eine
Oeffnung befand, gerade groß genug, um einen
Mann hindurchznlassen. Der vor Schreck und
Staunen sprach- und willenlosen Frau die Leiter
aus der Hand nehmen und wieder ansetzen, war
das Werk eines Augenblicks. Schnell, aber ohne
Geräusch, war sie erklommen, und die Oeffnung
ermöglichte nun den gewünschten Einblick in's
Innere der „Werkstatt." Einer Werkstatt freilich
sah das wenig ähnlich, was sich hier den er-
staunten Blicken des Oberamtsvogts darbot. Eher
konnte man es eine Räuberhöhle nennen. Einen
weniger unerschrockenen Mann hätte jedenfalls
der Anblick der wild aussehenden Kerle erzittern
machen, die da, etwa ein Dutzend an der Zahl,
jeder eine „Knarre" auf dem Rücken, um einen
mächtigen Krug mit Bier, — oder was er sonst
enthalten mochte —, herum hockten und den
Würfelbecher kreisen ließen. Die Unterhaltung
wurde in gedämpftem Tone geführt. Doch war
man so vertieft in das Spiel, daß Dorn's An-
wesenheit nicht sofort bemerkt wurde und dieser
so Gelegenheit fand, die Gesellschaft da unten
eine Zeit lang, ohne selbst gesehen zu werden,
zu beobachten. Und siehe da: lauter alte Be-
kannte. Alle hatten sie schon, zum mindesten
einmal, meist aber zu wiederholten Malen, in
wesentlich anderer Situation freilich, dem ge-
strengen Herrn Oberamtsvogt gegenüber gestanden.
Der dort mit dem langen schwarzen Vollbart
und den unheimlich rollenden Augen war erst
kürzlich aus dem Gefängniß entlassen, das er
wegen Wilddieberei im Wiederholungsfälle dies
Mal längere Zeit mit seiner Anwesenheit hatte
beehren müssen. Das junge siebenzehnjährige
Bürschchen rechts daneben hatte, ebenfalls vor
noch nicht langer Zeit, wegen Verdachts der
Wilddieberei vor den Schranken des Order Amts-
gerichts gestanden. Dorn mußte ihn damals
„wegen Mangels an Beweisen" freisprechen.
Der Alte ihm gegenüber, der mit so gierigen
Blicken dem Rollen der Würfel folgt, er hatte,
freilich vor schon geraumer Zeit, eine längere
Freiheitsstrafe wegen schweren Einbruchs verbüßt.
Beinahe gebrochen und scheinbar gebessert war er
der menschlichen Gesellschaft wiedergegeben. Weit
mehr noch als dieser interessirt aber den Beobachter
der verwegene Geselle, der soeben wegen eines
unglücklichen Wurfs, alle Vorsicht vergessend, den
lauten Fluch ausstößt. Er hatte vor Jahres-
frist einen Raubmord begangen. Ileberall wurde
seitdem nach ihm gesucht, nur hier nicht. Doch
ich fürchte den Leser zu ermüden mit dem Aus-
zählen all' der verschiedenen Sündenregister.
Genug, daß keiner unter der Gesellschaft sich
befand, der nicht mindestens im Verdacht irgend
eines Verbrechens oder schwereren Vergehens ge-
standen hätte. Und mitten unter ihnen der
„biedere" Schlossermeister. Ihm hätte man
solchen Verkehr nicht zugetraut. Doch sieh! Wer
taucht denn da soeben noch, sich reckend und die
Augen reibend, aus dem Hintergründe auf?
Dorn erinnert sich nicht, ihn je gesehen zu haben,
den hochgewachsenen, wettergebrännten Burschen
in dem phantastischen Aufzuge. Die Andern,
so wenig Vertrauen erweckend ihr Aeußeres auch
war, sie trugen doch Alle noch die eine oder andere
Spur bürgerlichen Lebens an sich. An ihm, dem
Unbekannten, schien jede derartige Spur verwischt.
Mit dein bürgerlichen Leben, — das sah man
auf den ersten Blick —, hatte dieser gänzlich ab-
geschlossen, ja, man mochte zweifeln, ob er je
darin gestanden. Er war — lind das ein jeder
Zoll an ihm — ein Räuber. Und doch lag
wieder etwas in dieser Erscheinung, in dem ganzen
Auftreten des Burschen, was gegen das Gebühren
der Uebrigen nicht unvortheilhast abstach. Trotz
aller Wildheit verriethen seine Züge eineil nicht
geringen Grad Don Intelligenz, und in Miene
lind Haltung gab sich deutlich das Bewußtsein
der Ueberlegeuheit über die Genossen kund. Er
schien denn auch eine Art gebietender Stellling
unter diesen einzunehmen, denn das Rollen der
Würfel verstunlmte einen Augenblick, lind Alles
wandte sich, wie unwillkürlich, nach dem langsam
Herzutretenden um. Der Oberamtsvogt hatte
genug gesehen lind wollte nun, ebenso unbemerkt,
wie er gekommen, sich von seinem Lauscherposten
wieder entfernen. Doch der Unbekannte bemerkt
ihn. Ein Pfiff — und die ganze Gesellschaft steht
auf den Beinen. „Guten Tag, Herr Schlosser-
272
meister!" ertönt es keck von oben, „sind die Pistolen
noch nicht fertig?"
„Ja — eh — nein", lautet die in weniger
zuversichtlichem Tone gegebene Antwort, indeß die
andern sich einen Augenblick betroffen ansehen.
Aber nun wird es höchste Zeit! Der Unbekannte
gewinnt zuerst die Fassung wieder und schreitet
schon, die klebrigen bei Seite drängend, mit raschen
Schritten auf die verschlossene Thür zu. Dorn
ist mit einem Satze wieder unten und gewinnt,
die Frau, die im Begriffe ist, die Hausthür zu
verriegeln, unsanft bei Seite schiebend, schnell das
Freie. Ein scharfer Ritt bringt ihn bald in
wohlthuende Entfernung von dem unheimlichen
Waldhause. Doch da strauchelt plötzlich das
Pferd und ist nicht wieder ans die Beine zu
bringen. Kein Wunder, da es eins derselben ge-
brochen. Dorn selbst hat glücklicherweise keinen
Schaden genommen, muß aber das Pferd im
Stich lassen und seinen Weg zu Fuß fortsetzen.
Schon bricht die Dunkelheit herein. Da horch!
ein bekannter Pfiff. Im Walde rechts und links
beginnt es sich zu regen. Ein zweiter Pfiff und
gleich darauf ein Schuß! Zwei Schüsse zu gleicher
Zeit! Dorn glaubt das Einschlagen der einen
Kugel in den Steinhaufen neben ihm deutlich zu
vernehmen. Er rafft alle Kraft zusammen und
läuft, was er kann. Doch der Vorsprung vor
seinen zum Theil noch jugendlichen Verfolgern
wird immer kleiner. Ueberzengt, daß ihnen ihr
Opfer binnen Kurzem in die Hände fallen muß,
stellen sie das Schießen ein. Da tönt ein
mächtiges Brausen an das Ohr des Verfolgten.
Ein heller Streifen wird hier und dort zwischen
Bäumen und Buschwerk sichtbar. Es ist die hoch-
angeschwollene Kinzig. Die Verfolger erheben
ein Freudengeheul. Denn nun bleibt dem Flücht-
ling nur noch die Wahl zwischen Gefangenschaft
oder Tod in den Wellen. Er scheint das letztere
zu wühlen. Ein kühner Sprung — und die Fluthen
des wild tosenden Baches rauschen über ihn hinweg.
Doch nicht lange dauert es, und etwas weiter
abwärts am anderen Ufer taucht er wieder auf,
ergreift einen in das Wasser herabhängenden
Strauch, zieht sich daran empor und ist gerettet.
Von den Verfolger wagt keiner den Sprung, auch
der Unbekannte nicht. Ein paar Schüsse senden
sie dem kühnen Schwimmer noch nach und, als
auch das nichts hilft, ein paar — Flüche. Dorn
wirft den dunklen Gestalten da drüben noch einen
trinmphirenden Blick zu und legt dann den Rest
des Heimwegs ohne weiteren Zwischenfall zurück.
Wie es nun den Uebelthätern erging, in welcher
Gestalt und ob überhaupt die rächende Nemesis
sie ereilte, darüber fehlt leider jede Mittheilung.
Doch scheint es damals, wie der geneigte Leser
gleich sehen wird, zum Mindesten einem Theil
derselben gelungen zu sein, sich dem strafenden
Arme der Gerechtigkeit zu entziehen.
Dorn wurde im Jahre 1802 in gleicher Eigen-
schaft nach Amöneburg versetzt. Ein Jahrzehnt
mochte seit jenem Vorfalle verflossen sein, als
er eines Abends spät sich auf dem Rückweg von
einer auswärtigen Tour befand. Schon lagen
die schroffen Basaltfelsen der Amöneburg in
deutlichen Umkreisen vor ihm. Da ertönt wiederum,
in dem einsamen Wanderer nicht die angenehmsten
Empfindungen weckend, in unmittelbarer Nähe ein
schriller Pfiff. Mit einer Deutlichkeit, als sei
es gestern erst gewesen, steht ihm mit einem Male
jenes schon halb vergessene Erlebniß wieder vor
Äugen. Doch er findet nicht Zeit, lange über
die Situation nachzudenken. Noch hört und sieht
er etwa ein halbes Dutzend dunkler Gestalten
auf sich zukvmmmen. Da fühlt er einen heftigen
Schlag, und seine Besinnung ist geschwunden.
Hier fehlt es wieder an weiteren Mittheilungen.
Thatsache ist, daß Dorn im Jahre 1813 am
5. November an den Folgen jenes Schlages ver-
schieden ist.
Und der Thäter? Es war, wie sich später
herausstellte, kein Anderer als jener räthselhafte
Unbekannte und dieser kein Anderer als der später
und auch heute noch so viel genannte —
Schinderhannes.
Armuth.
Von Heinrich Förster.
Frühling war ich Leiter einer Zeitung.
Jy Es giebt wenige Orte, von denen aus man
T so tief in das Leben blicken kann als vom
Redaktionstische. Ich will aber heute nichts
erzählen von den interessanten und berühmten
Persönlichkeiten, welche ich damals kennen lernte,
und nichts von hundert humoristischen Szenen,
die sich innerhalb der Wände meines Arbeits-
273
zimmers abspielten, sondern nur eine kurze,
einfache Geschichte; sie handelt von einer edlen,
unglücklichen Frau, einer Frau, wie mau sie
heutzutage selten trifft.
Eine vornehme Eigenart in ihrem Wese»,
eine unmuthige Bildung des Geistes und
Herzens waren es, welche sofort für sie ge-
wannen. Sie, die einst mit tausend berech-
tigten Hoffnungen in die Welt getreten war,
hatte in ihr nichts gefunden als ebenso viele
herbe, bittere Enttäuschungen, Täuschungen des
Lebens, Täuschungen des Herzens. Mit er-
grauenden Haaren, mit vergrämten Zügen, mit
einer edlen, aber wie gebrochenen Haltung kehrte
die in der Mitte der Vierziger Stehende in die
Heimath zurück. Aus einer unglücklichen, schmach-
vollen Ehe brachte sie zwei Kinder mit: einen
Sohn und eine Tochter. Aber das Unglück
ließ nicht von ihr. Es saß fest mit der grau-
samen Zähigkeit, die ihm eigen. Sie wohnte
kaum ein halbes Jahr, still zurückgezogen, fast
ohne auszugehen, in der Heimathsstadt, fürlieb
nehmend mit dem Wenigen, was ihr geblieben,
als der Sohn, der kaum eben Offizier geworden
war, Schulden halber aus dem Heere ausscheiden
mnßte und, anstatt durch ein neues, tüchtiges
Leben gut zu machen, was gut zu machen war,
den leichteren Ausweg feigen Selbstmords vorzog.
Dieser neue Schlag knickte die arme, einsame
Frau fast ganz. Wenn ihre Tochter nicht ge-
wesen wäre, hätte sie dem Tod am gebrochenen
Herzen, dem Tod aus Kummer nicht widerstanden.
Aber der Gedanke, die eben Konfirmirte allein
in der Welt zurücklassen zu müssen, arm, hilflos,
zart und fein, wie sie es war, in einer Welt,
die so grausam selbstsüchtig war —, der Gedanke
hielt sie aufrecht. Was sie aber nur irgend
noch geben konnte, gab sie hin, um des Leicht-
sinns Schulden zu decken. Ihr blieb so gut wie
nichts.
Dazu trieb sie nun ihr edles, vornehmes
Pflichtgefühl, der Tochter jetzt neben einer guten
Ausbildung ein bischen von dem Sonnenschein
zu geben, welchen die Jugend haben muß, soll
sie nicht verkümmern und verbittern. Eine Be-
kannte aus besseren Tagen hielt in einer Provinz-
stadt ein als vorzüglich bekanntes Mädchenpensionat.
Dort sollte die Tochter Ausnahme finden; und
ob man auch der unglücklichen Frau weit ent-
gegengekommen war, das Pensionsgeld sowie die
Ausstattungskosten waren trotzdem zu hoch, um
von ihr ohne Weiteres bestritten werden zu können.
Da kam sie zu mir. Ich kannte sie von
früher. Sie konnte bei mir ein aus Ver-
ehrung und Freundschaft gemischtes Wohlwollen
voraussetzen. Sie fing ganz in ihrer ruhigen,
vornehmen Art an, ihre Verhältnisse kurz dar-
zulegen und mir von ihrem Vorhaben zu sagen,
die Tochter in eine Pension zu geben. - Da sic
aber hierzu nicht die Mittel habe, müsse sie ....
Hier hörte sie plötzlich auf zu sprechen und
wandte sich gegen das Fenster. Ich fühlte, wie
sie mit den Thränen kämpfte und sich zniu
Weiterreden zwingen wollte. Aber die Thränen
ließen sich nicht bannen —, und mit einem Male
legte sie das Gesicht in die Hände und schluchzte
laut auf. Sie weinte in jener erschütternden
Art des Weinens, der man das Beiwort „bitter-
lich" zu geben pflegt, so, daß dem, der es hört,
selbst die Augen feucht werden.
Mir schien jedes Wort des Trostes hier banal und
roh. Doch aber trat ich zu ihr. Und wie uns oft in
den ernstesten und feierlichsten Augenblicken nur die
alltäglichsten Worte zur Verfügung stehen, sagte
ich: „Gnädige Frau ..." Ich muß es wohl
aber weich und mitleidsvoll gesprochen haben, in
einem Ton, in deni all' meine Ergriffenheit
widerklang, denn plötzlich hob sie den Kopf,
und während die Augen noch in Thränen perlten,
die Wangen noch feucht waren, lachte sie. Es
war ein Lachen, wie es die Jugend hat, naiv,
kindlich, heiter, eigene Thorheit verspottend,
melodisch. Es war vielleicht das Einzige, was
ihr von ihrer verlorene Jugend geblieben war.
Und über ihr Antlitz zauberte dies Lachen fast
auch wieder Jugend und Jugendschönheit zurück —,
etwas Sonniges war's — sekundenlang.
„Wie dumm! Wie kindisch ich bin!" sagte
sie, „ich muß arbeiten! Ist da etwas dabei!
Arbeit adelt ja nur! Und ich wollte Sie bitten,
mir eine Anzeige aufzusetzen, — Sie habeir ja
die Erfahrung —, und mir zu sagen, in welchem
Blatt der größte Erfolg zu erhoffen ist! In
das Ihrige und in eine Zeitung der Residenz
dachte ich. — Ich möchte also — als Hilfe
der Hausfrau — natürlich in einer gebildeten
Familie............." Da erstickte ihre Stimme
wieder. Ihr ganzes Wesen, ihre vornehme
Eigenart lehnte sich gegen ihren Entschluß
auf. Ja, sie wollte eine Stelle haben, sie
wollte arbeiten, sie wollte es, wie man nur
wollen kann, aber ihrem innersten Empfinden
dünkte es eine Erniedrigung —, es wurde ihr
schwer, unsagbar schwer — nicht, zu arbeiten
überhaupt, sondern es sich und Anderen ein-
gestehen zu müssen, daß ihr Weg so weit hinuuter-
geführt vor den sonnigen Höhen jugendlichen
Höffens und einstigen vornehmen Lebensgenusses
zu den finsteren Thälern ringender Arbeit rind
unendlicher Mühen. — — —
274
Es war mir schwer um's Herz noch lange,
nachdem ich die unglückliche Fra» bis zur Thüre
begleitet hatte. Und am Abend ertappte ich mich
über stillem Philosophieren. Ich hatte den Fluch
der Armuth gesehen. Ja, es ist heute —
leider Gottes — ein Fluch, arm zu sein,' ein
doppelter Fluch für den, dessen Geist und Herz
gebildet ist. —
philosophrnlebkn.
Hast Du am Sternenhimmel je gelesen,
Daß über uns ein mächt'ger Gott gebeut,
Daß ein Geschlecht von geistbegabten Wesen,
Ein Heer von Welten sich im Raum zerstreut;
Hast Du des Raums Unendlichkeit gemessen,
Hast Du die Ewigkeit der Zeit bedacht —,
Dan» kehrst Du um zu ruhigem Vergessen
Deß, was die Zeit auch Schlimmes Dir gebracht.
Dich kümmert nicht das Loos der rauhen Tage,
Dich kümmert nicht der ruhmbedeckte Held,
Dich kümmert nicht des Volkes laute Klage
Nach Brot und Gleichheit, Freiheit und »ach Geld.
Tn lebst ein eigen, abgeschlvss'nes Leben,
Ein höher Ziel erwies Dir Dein Beruf —,
Du fragst: Wer hat das Leben mir gegeben ?
Wer war der Mächtige, der mich erschuf?
.'>n«s von liUcni.
Erwartung.
Auf weißem Zelter, im schattigeil Wald,
Da macht mein Liebchen Rast und Halt. —
Sie lauschet dem Hufschlag von meinem Pferd,
Erwartet mich sehnlichst, — bin ihr so werth.
Und im scharfen Trab eil' ich mit dem Thier
Zur heimlichen Stelle, bin nun bei ihr,
Und überglücklich in seliger Lust
Ist uns're Umarmung, Brust an Brust. -
Der Abend schon naht; die Dämmerung zieht ein;
Die Nachtigall singt im Buchenhain.
Die Rosse stampfen, das Spiel ist aus. —
Gott, führe mein Liebchen wohl nach Haus!
Lark Wevcr.
Aus alter und neuer Irrt.
Rothschild und der hessische Hof. Die
Rothschild's che öffentliche Bibliothek in
Frankfurt a. M. kam in den Besitz eines
Sammelbandes, der, — wie man der „Frankfurter-
Zeitung" mittheilt —, u. A. nenn numismatische
Kataloge von M. A. Rothschild enthält. Bon
diesen Katalogen tragen zwei die Jahreszahl 1783,
welche einmal mit Tinte in 1784 geändert ist.
Diese beibeu geben am Schluß die Adresse: Mayer
Amschel Rothschild, Hoch-Fürstl. Hessen-Hanauischer
Hos-Factor, wohnhaft in Frankfurt am Mahn.
Ein Katalog trägt die Jahreszahl 1786 und
giebt am Schluß die Adresse: Mayer Amschel
Rothschild, Hoch-Fürstlich Hessen-Casselischer Hof-
Factor, wohnhaft in Frankfurt am Mahn. Roth-
schild war also bereits im Jahre 1783 Hoffaktor
des späteren Landgrafen Wilhelm IX., welcher im
Jahre 1785 seinem Vater in der Regierung von
Hessen-Kassel folgte, aber bereits seit 1760 die
Grafschaft Hanau besaß. Der Katalog aus der
pfälzischen Bibliothek ist undatirt. Rothschild
bezeichnet sich indes dorteil als Hochsürstl. Hessen-
Hanauischer Hof-Factor. Demimch dürfte dieser
Katalog vor dem 31. Oktober 1785, dem Todestag
des Landgrafen Friedrich II., des Vaters Wil-
helm IX., gedruckt sein. Die sechs übrigen
Kataloge sind undatirt und tragen die Adresse des
Verkäufers nicht wie jene vier in fetten Lettern
am Ende, sondern in kleiner Fraktur beim Kopf-
titel, unter der einfachen Bezeichnung: „zu haben
bei M. A. Rothschild". Da nicht anzunehmen ist,
daß Rothschild sich des ihm zukommellden Hof-
titels nicht überall, sondern nur hier und dort
bediellte, zumal dieser Titel damals lloch eine viel
größere Empfehlung bebentete als ähnliche Titel
voll heute, so darf man wohl vermuthen, daß
Rothschild, als er diese sechs Kataloge brucfen
ließ, noch nicht den Titel eiues Hosfaktors hatte,
daß die Kataloge mithin älter fiitb als der älteste
datirte Katalog, älter auch als derjenige aus der
pfälzischen Bibliothek. Der Umfang der sechs
Kataloge ohne Hoftitel schwankt zwischen 8 und
11 Seiten, derjenige der vier übrigen zwischell
275
11 und 16 Seiten. Bei Gelegenheit des Erwerbs
obiger Bücher erhielt die Bibliothek zwei inter-
essante ebenfalls auf W. A. Rothschild bezügliche
Schriftstücke als Geschenk. Das eine, datirt
Rendsburg, den 19. April 1807, enthalt den Auftrag
des nunmehrigen Kurfürsten Wilhelm I. an seinen
Oberhofagenten, das in den Händen der Franzosen
befindliche Medaillenkabinet des Kurfürsten für
den letzteren zurückzukaufen. Das zweite Schreiben,
datirt Itzehoe, den 26. Februar 1808, enthält
die Anweisung des Kurfürsten ans Zahlung des
für das zurückerstattete Medaillenkabinet zugesicherten
Kaufpreises, welcher 28053 Gulden iinb 20 Kreuzer
betrug.
Aus Hermath und Fremde.
Im vorigen Jahre wurden auf einem in der
Nähe der Steinbrüche bei Flörsheim gelegenen
Acker Bruchstücke von römischen Ziegeln aus-
geackert, auf welchem der Stempel LG XXII CY
zu entziffern war. Thurmuhrensabrikant I. Höckel
schickte dieselben an Herrn Oberst von Cohausen
in Wiesbaden, der sie dem Museum daselbst ein-
verleibte. Da Ziegeln mit solchem Stempel nur
bei Worms, nirgends aber östlich von Castel und
Wiesbaden aufgefilnden wurden, so vermuthete
man an den: genannten Orte eine der ältesten
römischen A n s i e d e l u n g e n. Unter Leitung des
Herrn Professors Wolfs aus Frankfurt a. M. wurden
am 22. September an dieser Stelle Ausgrabungen
vorgenommen, deren Ergebniß die Vermuthungen
vollständig bestätigte. Nachdem man eine Menge
Falz-, Hohl- unb Plafond-Ziegeln mit dem er-
wähnten Stempel zu Tage gefördert, stieß man
auf die Grundmauern eines römischen Hauses, die
zum Theil scholl bloßgelegt sind. Die Mauern
fiub ein Meter dick und aus Kalkstein, wie sie die
hiesigen Steinbrüche liefern, ausgeführt. Alts
verschiedenen Fundstücken zu schließen, war das
Haus mit einer Luftheizungsanlage versehen. Der
Ball der Ansiedelung datirt nach Ansicht des
Herrn Professors Wolfs in die Zeit von 50—-70
n. Chr. Da man in der Nähe eiu römisches
Kastell vermuthet, so sollen die Ausgrabungen nach
der vollständigen Bloßlegung des Hailses an ver-
schiedenen Stellen fortgesetzt werden.
Der serbische Gelehrte Buk Karadschitsch,
dessen literarischer Nachlaß gegenwärtig in Belgrad
geordllet wird, hat zahlreiche Briese der G e -
brüder Grimm, mit denen er eng befreundet
war und in wissenschaftlichem Verkehr stand, hinter-
lassen. Karadschitsch war Sprachgelehrter uub
Ethnograph und hat als solcher zur Förderung der
Literatur seines Vaterlandes außerordentlich viel
beigetragen. Mit dem hessischen Brnderpaar ver-
band ihn das gleiche Streben, tu den Geist der
vaterländischen Sprache einzudringen.
Alls der Berliner Gesellschaft wird llns geschrieben:
Gräfin Ilse Wedel hat sich mit dem Legations-
sekretär Grasen Botho Wedel verlobt. Dies
Familienereigniß dürfte auch tu Hessen Interesse
erwecken. Gräfin von der Grüben, die Mutter
der Braut, die in erster Ehe utit dem Grafen
Wedel vermählt war, ist die einzige Tochter des
von Vielen unvergessenen Oberstallmeisters von
Eschwege, dessen schöne, ritterliche Erscheinung
lllld liebenswürdiges Wesen jedem bekannt war,
der den kurfürstlichen Hof kannte. Zugleich ist
die Gräfin die einzige Nichte uub Verwandte des
wohlbekannten, erst im vorigen Jahr in Kassel ver-
storbenen Oberstlieutenants von Heathcote. Der
Stiefvater der jllngen Brallt, Generallieutenant
Gras von der Grüben, steht ebenfalls Hessen
nahe, ist er doch ein Enkel des in den Freiheits-
kriegen so bekannt gewordenen tapfern Obersten
von Dörnberg.
Am 4. Oktober verschied in Melsungen nach
längerem Leiden der Amtswundarzt A r m i n K o l l m a r
im 80. Lebensjahre. 1814 als Sohn des Arztes
Dr, Kollmar zu Spaugenberg geboreu, hatte er in
Marbilrg Medizin stlldirt, wurde später Kreis-
wundarzt in Lichtenau, wo er bis 1866 blieb,
woraus er die Kreiswundarztstelle in Melsungen
erhielt. Er war eiu stets hilfsbereiter, pflichttreuer
Arzt, beit Armen und Bedrängten ein selbstloser
Helfer und Wohlthäter. Bei Allen war er ge-
achtet uub geehrt. Aus chirurgischem Gebiete hatte
er s. Z. in der Verbesserung von Bandagen ver-
schiedenes Neue eingeführt, was von dem berühmten
Chirurgen Roser in Marburg besonders anerkannt
wurde. Dem Heimgegangenen ist es vergönnt
gewesen, das Fest seines 50jährigen Dienstjubiläums
und seiner goldenen Hochzeit zu begehen.
Nersonatien.
Ernannt: Justizrath Caspar: in Kassel zum
Notar; Nechtskandidat Stöcke daselbst zum Referendar;
Direktor des Gymnasiums und Realgymnasiums in Goslar
Lie. Dr. Karl Ludwig Leimbach (aus Marburg)
zum Provinzialschulrath unter lleberweisung an das
Provinzialschulkollegium in Breslau.
276
Verliehen: Dem Pfarrer Gerl ach in Pfieffe die
Pfarrstelle in Beste.
Versetzt: Oberförster Tiebel in Neuhäusel zur
Oberförsterei Wanfried.
Nebernommen: Referendar Ziemßen aus dem
Bezirk des Oberlandesgerichts Stettin in den zu Kassel.
Ausgeschieden: Die Gerichtsassessoren G ü n t h e r
und W i l h e l m Hahn II und der Referendar von
Esch Wege aus dem Justizdienste behufs Uebertritts des
k. Günther zur landwirtschaftlichen, des rc. Hahn II
zur Kommunal- und des rc. von Esch Wege zur all-
gemeinen Staatsverwaltung.
Pensionirt: Der Strafanstalts-Inspektor Engel-
hardt in Ziegenhain vom 1. Oktober d. I. ab.
(geboren: Ein Mädchen: dem Stabsarzt Dr.Weniger
und Frau Lina, geb. Müller, in Oranienstein; dem
Oberlehrer H e y d e n r e i ch und Frau in Kassel; dem
Hauptmann a. D. v. Mettler und Frau Julie, geb.
Böttcher, in Kassel.
(gestorben: Frau Generalarzt Sacksofsky, geb.
Schreiber (Kassel, 1. Oktober); Regierungsassessor
Freiherr v. Böselager (Kassel, 29. September)': Amts-
wundarzt Armin Kollmar, 79 Jahre alt (Melsungen,
4. Oktober); Fräulein Minna v. Barde leben (Kassel,
6. Oktober); Jntendantur-Kanzleisekretär a. D. Heinrich
Wolf, 83 Jahre alt (Kassel, 7. Oktober).
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdruckern von Friedr. Scheel, Kassel
Schloßplatz 4.
Dr. J. R. in Berlin. Wir freuen uns sehr der gegebenen
Zusage! Möchte die Erfüllung eine recht baldige sein.
J. F. in Wolfhagen. k Sofort verwandt und Weiteres
willkommen.
W. B. in Kassel. Sendungen empfangen und mit
Dank angenommen.
K. M. in Marburg. Es ist nicht unseres Amtes, der-
artiges Geschreibsel zu widerlegen; wir müssen das anderen
Blättern, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten be-
schäftigen, überlasten. Die Einbildung und die Unwissen-
heit reichen sich in dem von Ihnen erwähnten Elaborat
die Hände. Ein paar Lektionen hessischer Geschichte sollte
immerhin derjenige genommen haben, der in Hessen über
hessische Dinge schreibt.
W. J. in F. Gegen Nachdruck mit Quellenangabe
haben wir nichts einzuwenden. Handelt es sich um deu
Abdruck größerer Artikel, so sollte vorher eine Anfrage
bei der Redaktion des „Hessenlandes" erfolgen.
Th. K. in Regensburg. Also abgemacht!
Wir danken freundlichst für die Predigt,
Die Sache ist damit erledigt;
Zwar ging ein kleines Wetter nieder,
Doch scheint die liebe Sonne wieder.
Wenn uns der Weg einmal in Ihre Nähe führen sollte,
werden wir gewiß anklopfen. Herzlichen Gruß!
L. M. in Eschwege; J. Sch. in Frankfurt a. M. Unsere
Mappe ist wieder leer, sodaß wir einen hoffentlich nicht
vergeblichen Bittgang antreten müssen.
Anzeigen.
B itt e.
Da ich aus Kürschner's Litteraturkalender
die Adressen aller hessischen Dichter und Dichterinnen
nicht auffinden konnte, manche hessischen Schrift-
steller da auch nicht als Dichter verzeichnet sind,
so bitte ich hiermit noch einmal um gütige Ein-
sendung von 1—5 Beiträgen für das
„Hessisches Dichterbuch".
Achtungsvoll
Valentin Traudt,
Rauschenberg in Hessen.
Uerlag von Friedr. Scheel, Kuchdrockerri, Kassel
Das Abschiedsgesuch
der
Kurhessischen Offiziere
im Oktober 1850.
Aus gleichzeitigen Quellen dargestellt von
Senator Dr. Gerland zu Hildesheim.
Preis 75 Pfg.
Namentliches Verzeichniß
derjenigen
ehemals hurhessisihe« (Offitim,
Welche nach der Annexion im Oktober 1866 in die Königlich
preußische Armee als Stabsoffiziere übertraten, bezw. solche
später in der Königlich preußischen Armee geworden sind.
Zusammengestellt von einem früheren knrheffischen Offiziere.
Preis 50 Pfg.
Zusammenstellung
der
im Regierungsbezirk Tastet geltenden, die
Fischerei
betreffenden gesetzlichen Bestimmungen.
Mit Zusätzen und einer Karte.
Herausgegeben vom Kasseler Kischereiverein.
Preis 60 Pfg.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das erscheint am 1. und 15. jedes Monats 1'/« bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 21 des „Hessenlandes": „Mäje, Dü satt mer die Wätsche nür seng", Gedicht in
Schwälmer Mundart von Kurt Nutzn; „Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen. 1504—1567", von H. Metz
(Fortsetzung); „Auch eine Reise in's mittägige Frankreich", von Otto Gerland; „Waidmannsheil", von Frida Storck;
„Hessische Weibertreue", Gedicht von Ludwig Mohr; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische
Bücherschau; Richtigstellung; Briefkasten.
Aläje, Dü satt mer die Matsche nür seng.
(Schwälmer Mundart.)
^etz mcr Dü, Stammeng2), de Arüs8) net
so hin!
Laß doch de Flejel schie dräuß i dr Schin^)!
Beengst Dü mer !Ving 5), sah frengdlich 6) mich o!
Setzt Dü de Krüs mer so schwapp ver die Nos 7),
Driewt8) sich dr köstlichste Ming mer im Glos. —
Llsche, schie Mäje, bos stetst8) Dü do dräuß?
‘Komm doch nür rie10)! Sei die Sonn hei im ksäus!
Mök1') so sin IPat12) bi des Stammenges Knorz!
Bann ich is Göj 1S) Der, is blore"), nur gück,
Schmückt mer bie Dünk 15) aus dem Glos glich
dr Schlück.
Blasé, drem fati Dii die Màtsche mer seng.
Lische, liew Lische, ee kèstliches Deng ")
Ls ee schie Blasé, ee Lied o in B)ing.
Blasé, ich schànk Der ee Lied o in Reng?7),
Schànk mer niir i, o sei dofer meng!
Kurt Wuhn.
') Mädchen, D» sollst mir die Wirthin nur sein, “) Stammende, s) Arug, *) Scheune, 6) wein, 6) sieh
freundlich, ') Nase, ") trübt, 8) stehst, 10) herein, ") mag, ") Wirth, '*) Auge, ") blaue, ' ) ksonig, lc) Ding,
”) Ring.
278
Philipp der Großmüthige, Landgraf von Hessen.
1504—1567.
Von H. Metz.
(Fortsetzung.)
^A^urz nachdem Kaiser Karl V. den afrikanischen
AZ Krieg beendet hatte, trat sein Vizekanzler
Held kraft einer Vollmacht seines Herrn
in Unterhandlungen mit den eifrigsten katholischen
Fürsten, den Herzogen von Bayern, Georg von
Sachsen, Heinrich und Erich I. von Braunschweig,
den Erzbischöfen von Salzburg und Mainz. Auf
einer Zusammenkunft zu Nürnberg (10.—12.
Juni 1538) wurde von den Genannten ein
Bttndniß geschlossen, „die christliche Einigung".
Zweck dieses Bundes war die "Handhabung der
wahren christlichen Religion, die Vollziehung aller
kaiserlichen und Reichstags-Abschiede, der der
Religion halber gegebenen Gebote und Verbote.
Die Oberhauptmannschaft in diesem Bunde über-
nahmen Ludwig von Bayern und Heinrich von
Braunschweig; der eine erhielt den oberländischen,
der andere den sächsischen Kreis zugetheilt. Von
Toledo aus genehmigte der Kaiser dieses Bünd-
niß mit dem Versprechen, daß er sowohl wie
sein Bruder den vierten Theil der Kosten dieses
Bundes tragen wollten; den übrigen Theil mußten
die Bundesglieder tragen (20. Mai 1539). Zu-
gleich mit der Genehmigung sandte der Kaiser
50000 Gulden.
Obgleich der Bund geheim gehalten werden
sollte, so erhielt dennoch Landgraf Philipp alsbald
Kunde von dem Bestehen desselben. In seiner
ersten Zornesaufwallung besetzte Philipp sofort
die Mainzischen Aemter Amöneburg, Neustadt
und Fritzlar, gab dieselben aber alsbald wieder
frei. An Stelle Held's, der seine ihm auf-
getragenen Befugnisse überschritten hatte, sandte
der Kaiser, dem die Erhaltung des Friedens in
Deutschland sehr am Herzen lag, als seinen Be-
vollmächtigten den ehemaligen Erzbischof von
Lunden, Johannes Wessel. Besonders deni
Landgrafen bewies dieser die günstigsten Gesin-
nungen. Die Verhandlungen mit Wessel über-
nahmen die Kurfürsten von Brandenburg und
von der Pfalz; sie brachten zu Frankfurt, wo
auch der Landgraf trotz seiner Krankheit erschien,
den sogenannten „Frankfurter Anstand" zu
Stande (19. April 1539). Auf Grund dieses
Vertrags sollte der Nürnberger Religionsfrieden
bestätigt und die Kammergerichtsprozesse in
Kirchensachen eingestellt werden. Zu Frankfurt
wandte sich auch der König von Polen, Sig-
mund II., in seinen: und im Namen des Königs
von Ungarn an den Landgrafen und den Kur-
fürsten voi: Sachsen, un: von ihnen Hilfe gegen
die Türken zu erlangen.
Ohne jegliche Bestätigung des Frankfurter
Friedens erließ der Kaiser eine Einladung zu
einem Religionsgespräch nach Speyer ergehen,
aber alsbald wurde statt dieses Orts Hagenau i. E.
bestimmt. Als seine Bevollmächtigten sandte der
Landgraf den Vizekanzler Johann Nußbicker,
der zu Hagenau starb, Dr. Walter, Rudolf
Schenck, Gerhard Noviomagns von Marburg,
sowie Johann Pistorius, Pfarrer zu Nidda. Das
Gespräch gelangte zu keinem Ziel. Zu Worms
wurde dasselbe fortgesetzt. Bevor hier die Ver-
handlung über den Hauptpunkt begann, vergingen
erst zwei Monate mit einem Streit um Neben-
punkte. Vergebens drang der Landgraf auf Nach-
giebigkeit in allen unwesentlichen Punkten. Auf
Veranlassung Philipp's trat eine geistliche Kon-
ferenz zusammen, die das Regensburger Interi»:
vorbereitete. Bucerus hielt mit Gropper und
anderen gemäßigten Katholiken diese Konferenz.
Auf einem Reichstage zu Regensburg kündigte
Karl V. seine persönliche Ankunft und die Fort-
setzung des Religionsgesprüchs an. Gleich nach-
dem er zu Regensburg angekommen war (10. März),
sandte er dem Landgrafen eine unbedingte Ab-
zugsfreiheit vom bevorstehenden Reichstage zu.
Ausgestellt war dieses Schriftstück am 3. Januar
1541 zu Lützelburg i. Lothr. Nach Regensburg
sandte Philipp seinen Kanzler Johann Feige,
279
seinen Vizekanzler Dr. Walter, die Theologen
Korvinus, Kymeus, Draconites, Meleander und
Bucer. Von 300 Reitern umgeben ritt er selbst
von Marburg aus über Würzburg und Nürn-
berg nach Regensburg. Im Namen des Kaisers
wurde der Landgraf empfangen von Granvella,
Raves und dem Herrn von Breda. Von Seiten
des Kaisers wurden zu dein theologischen Gespräch
gesandt die Katholiken Johannes Eck, Johannes
Gropper und Julius von Pflug, drei Evangelische,
Melanchthon, Bucer und Pistorius von Nidda.
Dem Gespräch ließ der Kaiser eine christliche und
vermittelnde Darstellung zu Grunde legen. Auf
diesem Reichstage hatte Philipp öfters Unter-
redungen mit dem Kaiser, wobei er dem Kaiser
rieth, die verglichenen und die unverglichenen
Artikel den Reichsständen vorzulegen. Drei ver-
mittelnde Gutachten der Kurfürsten, der Städte
und der protestantischen Stände verwarf der
Kaiser. Im Reichstagsabschied verwies er die
streitigen Punkte sammt der ganzen Religions-
Verhandlung auf ein allgemeines oder Nation-
Konzilium, mit der Bestimmung, daß, wenn
binnen 18 Monaten kein Konzilium zu Stande
kommen würde, die Sache ans einem Reichstag
verhandelt werden sollte. Der Nürnberger Friede
erhielt die Bestätigung des Kaisers, die Auf-
hebung der Achtserklärung gegen Minden und
Goslar wurde bestätigt, eine gleichmäßige Be-
setzung und unparteiische Visitation des Reichs-
kammergerichts verheißen, die Protestanten zur
Reform ihrer Stifter und zur Aufnahme von
Proselyten ermächtigt und ihnen der ungestörte
Besitz der geistlichen Renten, Zinsen und Gülten
gesichert. Philipp erwarb auch ans diesein Reichs-
tage die kaiserlichen Privilegien für die
nengestiftete Universität Marburg.
Herzog Heinrich von Braunschweig-Wvlfen-
büttel hatte die Rechte der Stadt Braunschweig
verletzt und die Vollziehung der Acht, die vom
Reichskammergericht über die Stadt Goslar aus-
gesprochen, aber vom Kaiser auf dem Reichstage
zu Regensburg aufgehoben war, fortgesetzt. Auf
Bitten dieser beiden Städte kamen die beiden
Häupter des Schmalkaldischen Bilndes zu Eisenach
zusammen (13. Juli 1542). Hier verabredeten
sie sich wegen der gegen Herzog Heinrich zu
ergreifenden Maßregeln und beschlossen gegen
denselben vorzugehen. Mit 2500 Mann wurde
Bernhard von Mila nach Braunschweig gesandt,
der Landgraf sowie der Kurfürst von Sachsen
folgten mit 4000 Reitern und 15000 Fuß-
gängern. Philipp nahm seinen Weg von Mar-
burg aus über Beverungen, Höxter, Holzminden.
Das Land, mit Ausnahme der Festen Schöningen,
Steinbrück und Wvlfenbüttel, eroberteil sie inner-
halb vierzehn Tagen. Heinrich floh mit seinem
Kanzler nach Laudshut. Nach und nach wurden
auch die drei genannten Festen eingenommen.
Die vor zehn Jahren uilterbrochenen evangelischen
Unterhandlungen mit Hildesheim knüpfte Philipp
wieder an, durch Buchenhagen und Korvin re-
formirt, trat die Stadt dem Schmalkaldischen Bunde
bei. In Wvlfenbüttel wurde Beutegroscheu aus-
getheilt. Auf den Siegesinünzen des Landgrafen,
die aus den Einkünften der herzoglich Goslar'-
schen Bergwerke geschlagen wurden, stauben die
Worte: Parcere subjectis et debellare superbos.
Auf des Kurfürsten Siegesmünzen standen die
Worte: 8c>Ii ckeo victoria.
Auf einem Reichstage zu Wvrlns stellte der
Schmalkaldische Bund das eroberte Herzogthum
Braunschweig vorläufig unter die Hand des
Kaisers. Dein Herzog wurde vom Kaiser be-
fohlen, sich den getroffenen Maßregeln zu fügen.
Von König Franz I. von Frankreich erschlich sich
der Herzog mehrere tausend Goldgulden, mit denen
er ein Heer warb von 8000 Landsknechten und
1500 Reiterll. Mit diesen erschien er plötzlich
im Lande Hadeln und im Gebiete feines Bruders,
des Erzbischofs von Bremen und Verden. Nach-
dem sich ihn: die Feste Steiilbrück ergeben hatte
stießen Graf Otto von Rittberg, ein abtrünniger
Vasall des Landgrafen Philipp, und Alhard von
Hörde mit 3000 Fußgängern und 1000 Reiterir
zum Herzog. Der Herzog rückte vor Wvlfenbüttel.
Gegen ihn zog, mit Genehmigung des Bundes,
der Landgraf an der Spitze von 7000 Hessen, drei
Fähnlein besoldeter Landsknechte, 1600 Reitern,
23 Stücken schwerer und leichter Artillerie.
In dem Medemer Feld stieß im Namen
des Kurfürsten von Sachsen der junge Herzog
Ernst, der Sohn Philipp's von Braunschweig-
Grubenhagen, mit Truppen zu ihm. Herzog
Moritz stand mit 1000 Reitern und 5000 Lands-
knechten in Mühlhausen. Am 16. Oktober 1545
kam es zum Zusammenstoß mit Heinrich bei
Nordheim und nach mehrfachen Unterhandlungen,
die sich jedoch zerschlugen, am 21. Oktober zur
Schlacht bei Kahlfeld. Die Schlacht endete mit
der Gefangennahme des Herzogs Heinrich nebst
seinem Sohne.
„.. .. Und als der Hertzog wieder kam
Ueber drey Jahr mit einem Heer,
Wolt seines Landts nicht sein flüchtig mehr,
Sondern das haben mit eim Streit,
Landgraf Philipp ward bald bereit,
Mit seinen Hessen kam zur Statt,
Den Vatter und Sohn gefangen hat,
280
Sein Bunds-Genossen ihm stunden bey
Allmal der Churfürst half ihm frey."
Der Herzog wurde in Ziegenhain internirt,
sein Sohn blieb in Kassel. Philipp selbst zog
an die Weser, um seine abtrünnigen Vasallen zu
bestrafen. Graf Johann von Schaumburg wurde
der Feste Bückeburg entsetzt und diese bis zum
endlichen Vertrage seinem Bruder Otto übergeben.
Sodann rückte der Landgraf vor die Feste Ritt-
berg, die er einnahm. «Fortsetzung folgt.)
■HK-+
Auch eine Reise in's mittägige Frankreich.
Voit Otto Gerland.
^Meannette Philippine Le Clerc, geb. Du
y Ry, eilt Mitglied der bekannten Architekten-
fainilie Du Ry zll Kassel, machte in den
Jahren 1773 bis 1775 mit ihrem Gatten eine
Reise von Kassel bis an den Fuß der Pyrenäen
und hat darüber sehr ausführliche, auf gründ-
licher Beobachtung beruhende Berichte hinterlassen.
Es mag im Nachfolgenden daraus das mitgetheilt
werden, was uns zeigt, wie man damals zu
reisen pflegte, was damals der Besichtigung und
Beachtung werth gehalten wurde, wie es in dem
am Vorabend der Revolution stehenden Frank-
reich aussah, lind welches Bild auch insbesondere
die damals noch nicht gesetzlich anerkannten
reformirten Gemeinden in Frankreich boten,
Dinge, die wohl ein allgemeineres Interesse
voraussetzen können.
Die Reise ging von Kassel über Frankfurt,
Darmstadt, >vo nur das drei Jahre zuvor erbaute,
berühmte große Exerzierhaus mit seinen 16 Oese»
und 136 Fenstern die Aufmerksamkeit der Reisen-
den erregte, und die ungemein „artige Stadt"
Mannheim nach Speyer. „Beini Abendessen
sagte man uns hier," erzählt die Berichterstatterin,
„daß wir durch einen großen Wald fahren
müßten, der nicht zu deu sichersten gehöre, dort
seien vor Kurzem ein Postillon ermordet und
die Postreisenden beraubt worden. Weil aber
der Mörder ergriffen und gerädert war, wir bei
hellem Tag hindurchreisten und unsere Reise-
gesellschaft aus acht Personen bestand, so machte
ich gute Miene zum bösen Spiel, und wir begaben
lins vergnügt auf den Weg. Herr B. und einer
unserer Kutscher bildeten zu Fuß die Vorhut,
dann kam der Haupttrupp, bestehend aus Herrn
K., meinem Mann und mir, die Nachhut bil-
deten ein Schweizer Offizier, der in russischen
Diensten stand und von dort mit Herrn G. und
seinem Kutscher kam. Beim Ausmarsch aus
Speyer wurde unsere Karavane noch durch zwei
Fußreisende vergrößert, die denselben Weg wie
wir machten, bald voraus, bald zur Seite und
bald hinterher gingen. Nachdem wir auf diese
Weise zwei Stunden lang beschleunigt marschirt
und einem Trupp sogenannter Handwerksburschen
begegnet waren, die wir im Holz in einiger
Entfernung von der Straße sitzen sahen, kamen
wir nach Germersheim, wovon der gefährliche
Wald seinen Namen hat." Bei der Fahrt in
einem eigens gemietheten Wagen von Straßburg
aus durch Lothringen auf bewunderungswürdig
schön angelegten Straßen wurden die Reisenden
von der Sauberkeit der Arbeitsmädchen entzückt,
bte alle in Weiß gekleidet waren, wie denn die
Lothringerinnen allgemein leinene Kleider von
blendender Weiße trugen; alle Männer erschienen
anmuthig und von angenehmen Gesichtszügen,
die Frauen in ihrer Jugend artig und wohl-
gestaltet, im Alter abschreckend und wie Hexen.
In Luneville traf man am Mittagstisch Reiter-
offiziere, welche Alle im siebenjährigen Krieg in
Kassel gewesen waren. Nancy mit seinem Stanis-
lausplatz erregte natürlich das Entzücken der
Reisenden, in Vitry fiel ihnen zweierlei auf, was
uns jetzt als selbstverständlich erscheinen würde,
daß nämlich die Straßennamen an den Ecken
angegeben und an der Kirche Verbote gegen die
Verunreinigung des Platzes angebracht waren.
So kamen die Reisenden voll Freude über die
schönen durchreisten Gegenden in die Nähe von
Paris. „Zwei Meilen von Paris", wird uns
erzählt, „wurden zwei meiner Sinne sehr ver-
schieden berührt. Mein Gesicht konnte sich nicht
sättigen, ich hätte Argnsaugen haben mögen,
aber mein Geruch, mein armer Geruch, wurde
lebhaft durch einen Gestank verletzt, den ich nicht
anders beschreiben kann, als wenn ich sage, es
roch wie in den schmutzigsten Häusern der
elendesten Armuth. Dieser Eindruck verfolgte
mich bis zu dem (in der Nähe der Schlächtereieil
belegenen) Gasthaus, oder vielmehr, er schien sich
dort zu vermehren, und ich wäre sicher krank
geworden, wenn ich längere Zeit in der Umgebung
der Schlächtereien geblieben wäre." Die Klagen
281
über den Pariser Schmutz kehren noch öfters
wieder.
Wir übergehen die Schilderungen der Pariser
Moden und wenden uns zum Besuch des refor-
mirten Gottesdienstes. Dieser war damals noch
in ganz Frankreich verboten, die Kapelle des
niederländischen Gesandten diente aber in Paris
ganz öffentlich und mit nicht gar zu vielen Be-
lästigungen auch den einheimischen Reformirten
als Versammlungsort. „Sonntag den 1. August
waren wir im Holländischen Hos. Als
mein Mann den Fiaker bestieg, sagte er zum
Kutscher, er solle uns in den Holländischen Hof
fahren. Mollen Sie zur Predigt?' fragte der
Kutscher. .Wird dort gepredigt', fragte ich
meinerseits. ,Jawohl, Madame/ sagte der
Kutscher, ,nur zu, wir sind in einer guten halben
Stunde dort/ Wir fanden für uns Plätze in
einem der drei Zimmer, welche die Zuhörer ein-
nahmen. Ein dicker Vorleser und Kantor las
gerade in näselndem Tone vor, als wir ein-
traten, seine Stimme suchte er zwar zu ver-
ändern, sie war aber von einer unerträglichen
Eintönigkeit. Zufrieden war ich mit seinem
Gesang. Man singt sehr gut im Holländischen
Hof und mit einem Eifer, der leider bei uns
unbekannt ist; fast Jeder weist die Psalmen aus-
wendig und braucht kein Gesangbuch. Orgeln
giebt's nicht. Der Pfarrer erschien gegen 11 Uhr.
Er nahm seinen Text aus der Offenbarung:
Ich bin das A und O; und das, was er sagte,
seine ganz abstrakte metaphysische Predigt, war
gewist für sieben Achtel seiner Zuhörer hebräisch,
aber seine salbungsvollen Gebete entschädigten
für die Trockenheit seiner Predigt. Ich war
außerordentlich überrascht, die Damen bei der
Predigt mit rother Schminke zu sehen, das paßt
für den Spaziergang, aber nicht für die Predigt.
O Zeiten, o Sitten! Ich habe die Familie
Calas*) im Holländischen Hos gesehen; eine
*) Jean Calas, ein allgemein geachteter reformirter
Kaufmann zn Toulouse, wurde aus religiösem Fanatis-
mus angeklagt, seinen ältesten Sohn erdrosselt zu haben,
durch ein parteiisches Gericht auf Grund falscher Zeugen-
aussagen zum Tod verurtheilt und 1762 gerädert.
Voltaire nahm sich des Andenkens des Unschuldigen
an und bewirkte die Wiederaufnahme des Prozesses, in
Folge deren 1765 das Urtheil vernichtet und Calas und
seine Familie für unschuldig erklärt wurden. Ter König
suchte darauf der Familie Calas durch Freigebigkeit ihre
Verluste zu ersetzen, und die Personen der ersten Stände
wetteiferten darin, ihre Lage zu erleichtern.
Dame, die neben mir saß, zeigte sie mir. Ich
hatte schon zwei dieser Damen bemerkt, denen
man viel Ehrerbietung erwies und die ihren
Platz zu Füßen des Predigtstuhls hatten. Die
eine war die Mutter, die Wittwe des Herrn
Calas, eine starke Frau, sehr sauber gekleidet,
60 Jahre alt, in einem schwarzen Kleid mit
einem schwarzen Band und einen: Nohrstvck in
der Hand. Die andere war ihre älteste Tochter,
klein, schlank, mit schwarzen Augen, mit einem
melancholischen Zug im Gesicht, übrigens sehr
gewählt gekleidet und roth geschminkt. Meine
Nachbarin sagte mir, daß die andere Tochter an
einen Herrn Du Voisin verheirathet sei, den
Geistlichen, der gerade predigte. Dieser Herr ist
sehr beliebt, und man erstickt in Folge der vielen
Kirchengänger an den Tagen, an welchen er
predigt. Frau Du Voisin sitzt als Gattin des
Geistlichen im Parket.*) Ich habe sie auf den
Spaziergängen init ihrem Manne gesehen, sie ist
größer und jünger als ihre Schwester, von einer-
recht angenehmen Gestalt und wie jene sehr gut
gekleidet. Der Gottesdienst wird abgehalten wie
bei uns, aber es ist inehr Eifer lind Aufmerk-
samkeit dabei. Etwas, was mir eigenthümlich
vorkam, war, daß man dem öffentlichen und dem
Privatgebet das bevorstehende Urtheil in einem
in Wahrheit für das Schicksal einer Familie
entscheidenden Prozeß empfahl und für die Ge-
winnung des Prozesses am folgenden Sonntag
Dank sagte, während die Betheiligten gegenwärtig
waren."
Eine merkwürdige Beschreibung erhalten wir
über ein Kloster. „Mir gegenüber habe ich das
Kloster der Karmeliter. Diese Herren haben
sehr artige Zimmer mit getäfelten und gebahnten
Fußböden, Tapete», Vorhängen und Balkönen
vor den Fenstern. Einer von ihnen malt; ich
habe ihn ein Bild über einen Kamin malen
sehen; einer ist musikalisch und spielt alle Abend
die Flöte; er spielt aber nicht fromme Weisen,
sondern die neuesten Operetten. Dann ist noch
ein Bruder Apotheker da, den ich alle Tage sein
Zimmer kehren und bohnen sehe, lind endlich ein
anderer, der ein geschickter Tischler sein soll, der
aber so schmutzig ist, wie man nur Jemanden
sehen kann, und der schon mehr Trunkenbold ist."
__ *) Das Parket ist der in den reformirten Kirchen
Frankreichs den Aeltesten der Gemeinde und sonstigen
hervorragenden Personen vorbehaltene Platz um den
Altartisch.
282
Wmdmannsheil!
Von Frida Storck.
^^s war zu der Zeit, da die Eisenbahnen
jls , noch nicht lange das Land durchkreuzten.
Oj Auf dem stattlichen Bahnhof der Residenz-
stadt Kassel hastete eine ältliche Dame ängstlich
von einem Wagen zum andern. Hinter ihr,
mit übermüthig lächelndem Angesicht, ward ihre
Nichte Gertrud sichtbar, die Fräulein Walburg,
ehr- und tugendsame Schwester des Forstinspektors
Eichner, laut Gelobnist unversehrt an Leib und
Seele im heimischen Forsthof abzuliefern hatte.
„Nein, ist das eine Ungemüthlichkeit, Kind.
Mit dieser Eisenbahnfahrerei kann ich mich mein
Lebtag nicht befreunden", jammerte Fräulein
Walburg. „Und Du sollst sehen, es passirt auch
ein Unglück. Freitag soll man nicht reisen."
„Einsteigen, bitte einsteigen!" rief der Schaffner
dringend und schob die alte Dame in den Wagen
hinein. „Sie fahren doch dritter Klasse?"
fragt er noch, als Walburg schon auf die Bank
hingesunken ist.
„Leider ja", seufzt das alte Fräulein, dem die
Angst vor dem nahenden Unglück Kopfschmerzen
macht.
Gerta ist sehr vergnügt und meint, während
sie den Schirm ltub eine Schachtel auf das obere
Brett legt: „Ich frene mich doch, dast ich es
mit der dritten Klaffe durchsetzte. Gieb acht, das
wird sehr lustig! Auf der Herreise habe ich mich
in der leeren zweiten Klasse halb todt gegähnt."
In diesem Augenblick klimmt ein hagerer Mensch
mit Hutschachtel und Regenschirm in das Coupo.
Gerta tarirt ihn sofort für einen nach Anstellung
im Pfarramt schmachtenden Hauslehrer. Be-
fcheidentlich drückt er sich in die fernste Ecke,
denn es nahen drei Männer mit Büchsen und
Jagdranzen. Sonntagsjäger, wie Gerta kon-
statirt. Drei Jagdgewehre, in unheimlich bedroh-
licher Nähe —, Walburg überläuft eine Gänsehaut.
Sie macht stets einen Bogen um des Forstmeisters
Gewehrschrank. Gerta ringt tapfer gegen einen
Lachkrampf. Die Gesichter der Tante und des
Kandidaten sind urkomisch in ihrer Todesangst.
Erstere macht sich endlich Luft gegen ihren Nachbar.
„Bitte! Ihr Gewehr—, es passirt doch nichts?"
stammelt sie scheuen Blicks.
„Keine Bange, meine Dame! Es geht nichts
los, denn es ist nichts d'rin", lacht der Jäger.
Inzwischen halten Gerta's Augen Personal-
musterung. Papa würde sich köstlich amüsiren
über dieses Kleeblatt. Tantens Nachbar in
froschgrünem, strapazirtem Rock, verwitterter
Schirmmütze und ledernen, über die Beinkleider
geschnürten Gamaschen, sieht besonders abenteuerlich
aus. Er ist stark gebräunt, hat funkelnd schwarze
Augen und einen Kinnbart ä la Wallenstein,
das giebt ihm etwas Verwegenes. Die Anderen
nennen ihn Major. Sein Gegenüber beseitigt
eben seine steife Halsbinde und läßt sie, auf-
athmend, in die Tasche der ausgewaschenen Joppe
gleiten. Dieser in Damengesellschast befremdliche
Toilettenwechsel wird seitens des Majors lobend
anerkannt.
„Recht so, lieber Rath! Steife Kragen hindern
die Bewegung. Besonders beim scharfen Zielen
sollte der Hals nie beengt sein. Halten Sie nur
immer auf's Blatt. Das heißt mehr nach dem
Hals hin, so." Er hebt die Büchse, aus die rechte
Haud Walburg's zielend, die, Halt suchend, den
Fensterriemen umklammert. Entsetzlich! Sie ist
mit Gerta und der ganzen Welt zerfallen und
sinkt resignirt in ihre Ecke. Da ertönt neben
Gerta die Stimme des Dritten: „Aber Herr
Major, Sie erschrecken die Damen."
„Den Teufel auch, Assessor! Der Schießprügel
ist ja leer. Denken wohl, ich vergeude mein
kostbares Blei? Hab' ohnehin nur zwei Kugeln
und drei Schrotpatronen."
„Vielleicht kann der Krämer tu Baumbach
aushelsen." *
„Hahaha! Assessor, Sie sind naiv! Danke
schön für die Sorte. Das knallt überhaupt nicht
los. Pscht! Pscht! schleicht das so in aller Ge-
müthlichkeit aus dem Laus und schlängelt sich
wie'n Feuerwerkskörper durch die Atmosphäre.
Die Kreatur äßt dabei ruhig weiter. Sollt
Dings schadet nicht, das kennt sollt alter Bock
schon aus Erfahrung. Haha!"
Der jugendliche Assessor, in normaler Kleidung
wie andere Sterbliche, scheint wenig Verständniß
und mangelhafte Begeisterung für diesen Jagdzug
zu haben. Seitte braunen Augen sind vielmehr
beharrlich aus deut Anstand — nach einen Blick
seiner hübschen Nachbarin, die wiederum ange-
legentlich die fernste Ecke, mithin den Kandidaten,
fixirt.
„Wo stellen Sie mich nun an, Major, und
wo soll Erich stehen?" forscht der Rath inter-
essirt. Erich, der Assessor, ist sein Nesse.
„Na, Sie werden staunen! Hochittteressattter
Stattd. Fünf, sechs Böcke gehllt da sicher 'raus.
283
Haben müssen wir einen. Wissen Sie, meine
Frau rechnet bestimmt auf die Keule — für
Sonntag."
„Unbesorgt! Werd' schon tüchtig d'raushalten.
Hab' meiner Alten ja den Ziemer fest zugesagt."
„Zeug giebt's da genug. Wenn nur die
verd........... Bauern nicht Alles abschießen
wollten! Nichts als die Spießböcke lassen sie
lausen."
„Wie wür's, wenn wir an der Staatsgrenze
Posto faßten. Der Forstmeister Eichner will
vor Mitte Juni nichts schießen. Da fühlt sich
das Rehzeug sicher, wie in Abrahams Schoß."
„Hahaha! Wär' ein Hauptspaß, dem
Herrn Nachbar so'n paar Ueberläuser sortzu-
putzen!" lacht der Major.
Gilt das blitzartige Aufleuchten in Gerta's
Augen dem Kandidaten? Walburg wirst einen
entsetzten Blick ans die lachenden Gesellen. So
also sehen Wilddiebe aus! Sie wird dem Bruder
sofort Meldung machen.
Der Assessor schreckt aus seinen Profilstudien
auf bei des Majors Frage: „Die Damen ge-
statten wohl, daß wir rauchen?"
Walburg graut vor dem Frager. Um keinen
Preis möchte sie solch' wüsten Menschen reizen.
„Sie werden uns ja nicht im Rauch ersticken
wollen", meint sie, ein Lächeln erzwingend.
„Tante, im Rauch konservirt man sich gut",
lacht Gerta.
„Hoffentlich haben Sie ein aromatisches Kraut
mit?" fragt Erich.
„Na, eine echt Impartirte gerade nicht. Das
Wild ist an kräftige Gerüche gewöhnt, und auf
Damen war ich nicht vorbereitet. Na, zum
Henker! Jetzt hab' ich kein Feuerzeug." Tie
Zigarre bereits im Mund, durchwühlt er die
Taschen des grünen Nöckleins. „Assessor, haben
Sie Zündhölzer?"
„Bedaure, nein!"
Auch der gleichfalls rauchbereite Rath kon-
statirt verdrossen, daß er nicht versehen ist.
Woraus er sich mit verbindlichem Grinsen zu
den Damen wendet: „Hätten vielleicht, zufällig,
die Damen Feuerzeug?"
Gerta platzt silberhell auslachend heraus:
„Bedaure, wir rauchen nicht!"
„Siehst Du, Onkel, das Fräulein beliebt Dich
auszulachen", spottet Erich, das lachende, rosige
Mädchen unverhohlen bewundernd.
Versagtes reizt doppelt. Der Rath durchstöbert
nun sein Gepäck. Man will die Nacht in der
Dorfschenke bleiben, sollte die fürsorgliche Rüthin
nicht Feuerzeug beigepackt haben? „Ah!" Ein
Freudenscheiu zieht gleich der Morgenröthe über
seine feisten Wangen, er fand das Gesuchte, eine
ganze Schachtel.
„Ah", triumphirt auch der Major. „Das
Rauchopser beginne!"
Plötzlich schwirrt es dünn und heiser, wie die
verstimmte Saite einer Guitarre, aus der schwarzen
Binde des Kandidaten herüber: „Ich muß
ergebenst bitten, nicht zu rauchen. Ich bin
nämlich halsleidend. Selbstrauchen ist aber kaum
so schädlich, als Sitzen im Rauch." Allgemeine
Verblüfftheit. Tie Hand des Raths sinkt mit
dem aufflammenden Hölzchen herab, indeß der
Major ingrimmig brummt: „VerdammtesPech
heute! Mich soll der Teufel frikassiren, falls ich
wieder in solchen Kasten steige, wo man nicht
'mal rauchen kann."
„Jst's denn so furchtbar schlimm, 'mal nicht
rauchen zu dürfen?" fragt Gerta belustigt.
„Na ob!" stöhnt der Grüne, während Erich
die Gelegenheit zu der kühnen Phrase nutzt:'
„In solcher Gesellschaft bringt man aber jedes
Opfer gern und leicht."
Walburg gönnt dieser einzigen fühlenden Brust
einen dankbaren Blick. Die wüsten Gesellen
traktiren sich nun mit dem abenteuerlichsten
Jägerlatein, dem Halsleidenden verächtlich den
Rücken kehrend. Wie mag ein junger Kerl das
Rauchen nicht vertragen können. Jammervolle
Jugend heute!
Walburg vernimmt notgedrungen alle Details
einer verunglückten Fuchsjagd. Tie Bestie hatte
sich regungslos im Sande verscharrt, alle Mühe
der dreistündigen Belagerung blieb erfolglos.
Gestikulirend fährt der Major vor Walburg hin
und her, um dem andächtig lauschenden Rath
die Situation zu schildern. Sie versinkt völlig
in ihrer Ecke hinter dem Redelustigen. Ergebungs-
voll vernimmt sie, daß der Rath unlängst einen
Kapitalhirsch mit Schrot geschossen, weil er keine
Kugel mitgehabt, daß der Major einst einen
sich am Wege sonnenden Fuchs vom Wagen
herab erlegt. Daß der Rath in einem Treiben
vier Hasen zur Strecke gebracht, wundert sie
schon gar nicht mehr, hätte er einen Eisbären
mit Vogeldunst geschossen, es hätte sie säum noch
erregen können.
Auch Gerta achtet dieser Münchhausen'schen
Abenteuer nicht. Unmerklich, durch Frage und
Antwort hat der Assessor eine Konversation mit
ihr angebahnt. Der schüchterne Kandidat ge-
stattet sich ob dieser Thatsache eine eifersüchtige
Regung. Warum auch hatte er sich in diese
entlegene Ecke geflüchtet?
„Na," meint der Major, „wenn wir nur erst
284
unsern Bock haben, eh's ein Donnerwetter giebt!
Ueberm Wald sieht's höllisch munkelig aus."
„Ich danke! Mit solchem Blitzableiter in der
Faust am Waldrande sitzen, ist ein schlechter
Spaß", seuszt der Rath.
„Baumbach! Eine halbe Minute!" Der
Schaffner reißt die Thür aus.
„Alle Hagel, da sind wir ja! Wünschen Sie
uns um Gottes Willen kein Glück, meine Damen,
lieber Arm- und Beinbruch!" schreit der Major.
Walburg überläuft eine Gänsehaut ob solchen
Frevels. Gerta aber sagt lachend:
„Im Gegentheil, wir wünschen Waidmannsheil!"
„Ah! Das Fräulein kennen den Jagdkomment?"
fragt der Assessor erstaunt.
„Schnell, schnell!" drängt der Schaffner. Die
Thür schlägt zu, die Maschine stampft weiter.
Der Kandidat ergeht sich in erbitterten
Sticheleien über Jagdfanatismus und Rücksichts-
losigkeit. Walburg assistirt getreulich. Gerta
blickt sinnend nach den Waldbergen. Noch wenig
Minuten, und die Damen steigen aus, um mit
des Forstmeisters harrendem Jagdwagen in den
sommerlichen Wald zu fahren.--------—
(Schluß folgt.)
per Hessen Weibertreue.
Singt immer Bürger's Hochgesang
Der Weibertreu in Schwaben;
Auch einen Ruf vom besten Klang
Die Hessenfrauen haben,
Der dauern wird, so lang ein Stein
Ter Weidelsburg wird übrig sein.
Es schwur int Zorn der Hessen Fürst:
„Willst Du Dich nicht ergeben,
Dann, Reinhard, merk' es Dir, Du wirst
Mir's büßen mit dem Leben.
Die Weidelsburg zerbrech' ich schier
Zu abertausend Stücken Dir."
„„Hoho!"" rief da vom Thurme der,
„„Du willst die Burg mir brechen,
Du blinder Hess' ? Laß Dir vorher
Den Staar der Augen stechen.
Auch denk' an Nürnberg, an die Stadt,
Tie keinen hängt, den sie nicht hat!""
So zankten sich die Herren aus,
Die wuthentbrannt in Fehde;
Der Landgraf vor betn festen Haus,
D'rauf DallwigUs Fähnlein wehte,
Des Ed'len, der ein Feuerbrand
Und Schrecken war dem Hessenland.
D'rauf schloß der Landgraf und sein Heer
Noch enger ein die Feste,
So daß nicht Korn und Klaue mehr
Gekonnt zum Felsenneste,
Darinnen Durst und Hungersnoth
Mehr würgten, als der Schlachtentod.
z Als nun das letzte Mehl zu Brot
Vom Boden war verbacken,
Und auch der Speicher nichts mehr bot
Zn beißen und zu knacken;
Der Rauchfang lag, als wie gekehrt,
Und auch der Keller war geleert:
Sprach ernst der Reinhard: ,, „Liebe Frau,
Was nützt dies Lungerleben?
Das Korn ist all', der Himmel blau
Und will kein Wasser geben.
Entzieh'n wir uns der schweren Noth
Und Knechtschaft durch vereinten Tod!""
„Vereinten Tod?" frug derb die Frau,
„Wenn Du sprichst, wie im Spittel
Ein Weib, das altersschwach und grau,
Schwatzt von dem Sterbekittel;
Dann, nimm's nicht krumm, thu' ich dem Herrn,
Wie Judith einst an Holosern."
Gesagt, gethan. — Sie ging zur Truh
Und nahm die Prachtgeschmeide
Aus ihrer jahrelangen Ruh'
Zusammt dem besten Kleide.
Das war das stolze Brautgewand,
In dem sie vor dem Altar stand.
Dann fügte sie das Seidenhaar
Zn losen, leichten Ringen,
Die auf den Nacken wunderbar
Wie güld'ne Schlänglein hingen,
Die Schultern hüllte sie in Flor
Und schritt so aus dem dunk'len Thor.
285
Hinab schritt sie vom Berg den Pfad
Und mit gewandtem Schritte
Zum Fürstenzelte, wo gerad'
In seiner Ritter Mitte
Der Landgraf saß nach leck'rem Mahl
In Weineslaune beim Pokal.
Wie der die schöne Freifrau sah,
Der lebensfrohe Zecher,
Rief laut er aus: „Viktoria!"
Und schwenkte hoch den Becher:
„Wir hatten Bacchus und Apoll,
Schaut, Amor macht das Kleeblatt voll!"
Und damit schlug er Arm und Hand
Der Freifrau um das Mieder
Und bog, zur Sträubenden gewandt,
Das bärt'ge Haupt hernieder:
„Gewährt sei Deine Bitte Dir;
Giebst Du ein Mäulchen mir dafür!"
Gesagt, da brannte schon ihr Kuß
Ans seinen bärt'gen Lippen,
Und trieb das Blut ihm, Schuß auf Schuß,
Heißpochend an die Rippen,
Indeß das Weib sich zog zurück,
Unnahbar in Gestalt und Blick:
„Nicht für den Reinhard bitte ich,
Den hast D» ja verschworen;
Unschuld'ge Weiber haben mich
Als Sendling auserkoren.
Mit ihnen laß, v Fürst, mich zieh'n
Um's allernächste Mvrgenglüh'n.
Und will sich Deine hohe Gunst
Des Weitern noch bequemen,
Laß »ms, »voran das Herz in Brunst
Hängt, mit von dannen nehmen.
Hat doch oft Tand, als größter Schatz,
Im Frauenherz den Vvrderplatz."
Da lacht der Fürst: „Du hast mein Wort!
Zieht frei, tvenn's nächst will tagen;
Auch nehmt an Schützen mit Euch fort,
Was Ihr vermögt zu tragen.
Ihr seht, ich nehm's nicht so genau;
Grüßt mir den Reinhard, schöne Frau!" -
Der Morgen kommt, die Nacht entflieht,
Im Purpur prangt der Osten,
Da steh'»» im Thäte — Glied an Glied -
Die Hessen schon ans Posten.
Und aus der Burg »vallt es gedrang
Wie Prozession und Kirchengang.
Und als es näher kommt heran,
Was stellt sich dar den Blicken?
Die Burgfrau stolz dem Zug voran,
Den Reinhard ans dem Rücken,
Und hinterher — tu Treuen echt -
Die Weiblein all' mit Knapp' und Knecht.
Der Landgraf sieht's, der Landgraf lacht:
„Ein echtes Frauenstückchen!
Gottsmarter, »venn ich je gedacht
So 'was ein Augenblickchen.
Doch Wort ist Wort, »venn's auch apart
Bon Weiberlist gedeutelt ward."
Und als sie all' sind defilirt
Und, ihrer Lasten ledig,
In schmucker Reihe aufmarschirt,
War er noch äußerst gnädig.
Der Pfeiferrotte »vinkte er:
„Frisch mit den» besten Walzer her!"
Und als er mit der Freifrau d'rauf
Gewalzt vorauf den Andern,
Spricht er zum Reinhard: „Herr, Glückauf!
Könnt frei nach Hause wandern;
Dankt's Ihrem Kuß, und daß, trotz Staar,
Ich köstlich fand, »vas Euer >var."
Deu Reinhard hat das nicht verletzt,
Er >vußt' sich zu bescheiden,
Er sprach und hat sein Weib geherzt
Wie in vergang'nen Zeiten:
„„In Ehren, Herr, schad't nie ein Kuß;
Man nehm's nur, »vie man's nehmen muß."
Und Amen! Amen! Sv svll's sein!
Komin, schlankes Hesscnmüdchen,
lind laß uns Kuß an Küsse reih'n,
Wie Perlen auf ent Fädchen!
Ich geb Dir auch, als meinein Schatz,
Jin Herzen schönst den Vorderplatz!
Ludwig Moljr.
286
Aus alter und neuer Jett.
Adalbert III. voll Harstall. Der 5. Ok-
tober 1814 ist der Todestag des 86. und letzten
in der Reihe der geistlichen Fürsten von Fulda,
Adalbert's III. von Harstall. Er wurde am
28. November 1788 einstimmig zum Fürstbischof
gewählt und regierte, bis er am 22. Oktober 1802
vom Prinzen Wilhelm voll Oranien aus seinem
fürstlichen Amte verdrängt wurde. Ohne sich ans
eiil Kolllpromiß einzulassen, wich er nur der Ge-
walt. Nachdem er vom nordwestlichell Eckfenster
des Schlosses die Vereidigung seiner Beamten
durch die Eindringlinge mit allgesehen, verließ er
alll genannten Tage, alles Geld und alle Schätze
zurücklassend, durch die erst viele Jahre nachher
wieder geöffnete Thüre des Schloßgartens seine
Fürstenwohnung und begab sich in das gegenüber-
liegende, von ihm ails Privatmitteln erworbelle
Gebäude, das jetzige Tamenstift, unb widmete sich
mit rastlosem Eifer dem geistlichen Regimenté der
Diözese Fulda. Von hier aus sah er nicht nur
das orallische Fürstenthum Fulda, sondern auch
die frallzösische Administration und das Groß-
herzogthum Frankfurt zusammenbrechen. 14 Jahre
lang blieb nach seinem Tode der bischöfliche Stuhl
voll Fulda unbesetzt. Z, S.
Aus Hriinath und Fremde.
Aus Kassel berichtet das „Kasseler Tageblatt":
Unsere Gemäldegalerie ist vor einiger Zeit durch
die Munificellz eilles Deiltschland uub insbesondere
der Kasseler Galerie wohlgeneigtell Holländers, des
berühmten Urkundenforfchers imb Kenners alt-
holländischer Malerei und Ehrendoktors der Uni-
versität Gießen Abraham Bredius, Direktors
der königlichen Galerie im Mauritshuis int Haag,
mit einem ungemein werthvollen Geschenk bedacht
worden. Es ist dies eilt durch Reichthum und
Feinheit der Farbe gleich ausgezeichnetes Werk
des seltenen Malers Adria ch Br o uw er, eine
ländliche Kneipe mit trinkenden und rauchenden
Bauern. Dieser Zuwachs für unsere Galerie war
eine lllil so willkommenere Gabe, als unsere beiden
früher sogenanllten Brollwer sich im Lichte der
Forschung vor einigen Jahren tu Teniers ver-
wandelt hatten. Das Bildchen hängt in dem
ehemals Habich'schen Zinlmer, das dllrch Einver-
leibullg einer Reihe der schönsten Rembratldts zu einer
Art kleiner Tribulta, d. h. ztl einem künstlerischen
Festraum geworden ist. Das Werk eines der intimsten
Koloristell aller Zeiten, wie es eben Brouwer war,
selbst neben einem Rembrandt Stand haltend, ist ge-
eignet, dem Raum eine noch höhere Weihe zu geben.
Notizen. Am 22. Oktober wurde in Karls-
Hafen a. W. die neue prächtige Weserbrücke
eingeweiht. — Am 29. Oktober Hielt der Ver-
ein für hessische Geschichte und Landes-
kullde seine Monatsversammlung ab. Der Vor-
sitzende Dr. Brunner berichtete über die Erlebnisse
des Vereins im verflossenen Sommer, nnb Ober-
lehrer Dr. Eigenbrot hielt einen Vortrag über
„Lambert voll Hersfeld, beit Geschichtsschreiber
Kaiser Heinrichs IV".
Aus Wächtersbach, den 27. Oktober, schreibt
man uns: Heute starb dahier im Alter voll
95 Jahren ein Fräulein, das für Kassel gewisser-
maßen zu eitler historischen Persönlichkeit wurde. Jtn
Jahre 1825 siedelte ein junges Fräulein, Stilla
S enechaute, aus Bonn nach Kassel über, wurde
später bei dem ersten Kinde des Kurprinzen
Friedrich Wilhelm als Kindermädchen angenommen
lllld versah diese Stelle dann bei allen neun Kin-
dertl des Kurprinzen, nachmaligen Kurfürsten, die
sämmtlich bis in die neueste Zeit eine rührende
Anhänglichkeit an die „alte Stina" an beu Tag
legten, denn es verging kein Geburtstag, ohlle daß
llicht von allen Kindern des Kurfürsten Geschellte
ulld Gratulationen eingingen. Die älteste Tochter
des Kurfürstell, Fürstin Auguste zu Psenburg unb
Büdingen (s. „Hessenland" Nr. 19), nahm sie im
Jahre 1866 zu sich nach Wächtersbach und ver-
machte int Jahre 1887 die Sorge um ihre alte
gute Stilla testamentarisch ihrelll Gemahl, deut
regierenden Fürsten. Der Fürst machte der alten
Stina, wie die Hingeschiedene Gemahlin, in seinem
Schlosse alltäglich Mittags lllld Abends eilten Be-
stich, und wenn Prinzen oder Prinzessinnen voll
Hanau am hiesigen Hofe verweiltett, so sprach sie
mit diesen noch so, wie in ihrer Kinderzeit.
Fräulein Settechaute genoß eilte kurfürstliche, nach-
mals von Preußen ausgezahlte Pension von jährlich
720 Mark, sie war am 1. November 1799 ge-
boren uub interessirte sich lebhaft für alle Nach-
richten aus Kassel, die sie aus dem „Kasseler
Tageblatt" schöpfte, wobei sie aber ihre Bekannten
oft mit deren Kinder unb Enkeln verwechselte.
Und sonderbar, aber wahr: sie machte in ihrem
hohen Alter ltoch vor zwei Jahren eine Erbschaft
aus Bonn, wohin sie nie wieder gekommen war.
Ihr Tod war eilt höchst sattster, denn als sie wohl
ulld munter sich heute früh erheben und ankleiden
wollte, wobei ihr eine Wienerin behilflich war,
sank sie ill die Kissen zurück und war eine Leiche.
Personalien.
Ernannt: Pfarrer extr. Lange zum Hilfspfarrer
in Sooden a. W.; Gerichtsreferendar von Esch Wege zum
287
Regierungsreferendar bei der Regierung in Kassel;
Referendar von Byren zum Gerickstsassessor; die Rechts-
kandidaten Krebs und von Christen zu Referendaren.
Beauftragt: der Pfarrer Most in Allendorf
a. d. W. mit Versetzung der Metropolitanatsgeschäfte der
Klasse Allendorf.
Uebertragenr dem Postmeister Dornte in Witzen-
Hausen die Vorsteherstelle des Postamts \ in Hechingen.
Versetztr Postdirektor Schlitter von Mühlheim
(Ruhr) nach Marburg; Postmeister Schönknecht
von Ziegenhain nach Witzenhausen; Gymnasialdirektor
Di-. Heldmann von Bückeburg nach Rinteln.
Verliehen: Dem Privatdozenten in der theologischen
Fakultät der Universität Marburg Lic. Dr. Johannes
Werner das Prädikat „Professor".
Wiederaufgenommen: Referendar Goebels in
den Justizdienst.
Entlassen: Notar Dr. zur. Wolter in Rinteln
aus dem Amte als Notar; Schatzzahlmeister Klopfer
bei der Landesdirektion; die Oberförster Wachsmuth in
Dodenhausen und von Stiernberg in Haina.
Geboren: Ein Sohn: Herrn L. Schomburg
und Frau Anna, geb. Flacke, in Halle a. S.
Verlebt: Frl. Marie Wichmann (Salzwedel)
mit Architekt Jean Spindler (Kassel).
Vermählt: Dr. inecl. Gg. Slemon, prakt. Arzt,
mit Dora, geb. Kratz (Wildungen).
Gestorben: Privatmann Karl Warnstorff
(Kassel, 10. Oktober); Cäcilie Schultze, geb. von
Heppe, Gattin des Oberlandesgerichtsrath Alexander
Schultze (Kassel, 10. Oktober); Rechnungsrathswittwe
Luise Heer, 67 Jahre alt (Kassel, 11. Oktober);
Regierungs- und Banrath a. D. Wilhelm Landgrebe,
91 Jahre alt (Kassel, 12. Oktober); Forstreferendar
Karl Coester (Hann. Münden, 13. Oktober); Rent-
meister z. D. Wilhelm Reinhard Hassel, 88 Jahre
alt (Kassel, 15. Oktober); Anna Dorothea Gertrud
von Hartem, Gattin des Landraths Dietrich von
Hartem (Ottweiler, 17. Oktober); Christine Hassen-
pflug, geb. von Toden Warth, Wittwe des Professors
Hassenpflug (Kassel, 18. Oktober); Apotheker Georg
Stamm, 46 Jahre alt (Glauchau, 22. Oktober);
Valeska Hartmann, geb. Ey len stein, Gattin des
königl. Kammermusikers Wilhelm Hartmann (Kassel,
23. Oktober); Wilhelm Krapf, Einjährig-Freiwilliger,
18 Jahre alt (Wehlheiden, 23. Oktober); Karl Katzen-
stein, 40 Jahre altlCarnaroon in Südafrika, 24. Oktober);
königl. Banrath a. D. Kntlman n (Rinteln, 24. Oktober);
Henry Moesta, aus Kassel gebürtig, 66 Jahre alt
(Detroit, Mich., 1. Oktober).
Hessische Bücherschau.
William Pierson, Preußische Geschichte. Ber-
lin (Gebr. Paetel.) - Bd. II, 1894.
Bon Seite 374 an hat der Verfasser diesem
Bande seiner preußischen Geschichte eine „Uebersicht
der Geschichte der neuen Provinzen" angehangen;
Hessen wird daselbst von Seite 403 dis 412
abgehandelt. Was Unkenntniß und An-
maßung zu leisten im Stande sind, ist
hier geleistet. Von den Landgrafen Karl,
Friedrich I., Wilhelm VIII. und Friedrich II.
weiß der Verfasser nichts weiter als den Soldaten-
handel zu berichten, ob dessen er sich über die vier
um das Hessenland so hochverdienten Fürstell in
den gröbsten Schmähungen ergeht. Ein jeder
Hesse weiß, welche Fürsorge Landgraf Karl wäh-
rend seiner fast sechszigjährigen Regierung seinem
Lande zu Theil werden ließ, wie er unausgesetzt
auf Verbesseritllg der Verwaltung, Hebung der
Industrie, der Landwirthschaft u. s. w. bedacht
war. Wer es nicht weiß, der werfe einen Blick tu
Bd. 3 der hessischen Landesordnungen, wo die von
Landgraf Karl erlassenen 1006 Verordnungert ttub
Gesetze ein schönes Denkmal seiner landesväterlichen
Thätigkeit bilden. Von diesem trefflichstell Fürsten
seiner Zeit, der noch jetzt im lebendigen Andenken aller
Hessen steht, sagt der prellßische Geschichtsschreiber,.
zu seiner Ehre sei es bekannt, daß er sein Werk
llllr aus Quellen dritter und vierter Hand auf-
baut, — Folgendes: „Die Gelder, welche Landgraf
Karl aus diesem Geschäft (dem Soldatenhandel)
bezog, vergeudete er größtenteils in Pracht-
bauten und für Gunstdamen; Nützliches ward
nur wenig geschassell, wie der Ball voll
Karlshasen, die Ansiedelung verjagter Hugenotten
ll. a. Noch weniger (!) leistete dem Lande
seill Sohll und Nachfolger Friedrich l. ll. s. w."
Voll dem menschenfreundlichen mtb milden,
der Wissenschaft imb Kunst huldigenden, auch
dein Subsidienvertrage mit England durchaus ab-
geneigten Landgrafen Friedrich ll. weiß Herr
Pierson nur zll berichten, daß er feinen Vater
Wilhelm VIII. noch a n nichts w ü r d i g e r
Tyrannei überboten habe! — jenen Wil-
helm VIII., der im Verein mit seinem Bruder-
Friedrich sein Land durch die im Jahre 1739
erlassene „Grebenordnllng" zll einer Zeit „tyran-
llisirte", wo man in andern Ländern von einer
Gemeindeverfassllng noch keine Ahnung hatte; jenen
Wilhelm VIII., voll dem Friedrich der Große bei
der Nachricht von dessen Tode sagte, daß er seinen
besten Freund und Delltschland einen seiner treff-
lichsten Fürsten verloren habe.
In dem geschilderten Tone geht die Sudelei
weiter. Kurfürst Wilhelm I. ist der „böse" Kurfürst,
der „Landesvater mit dem dicken Kops und langen
Zopf", den die Ballern wieder haben wollten,
trotzdem er „ein alter Esel" war. Und
dies Alles wagt man dem prellßischen Volke als
hessische Geschichte aufzutischen. Gewiß wird das
Buch viel gekauft und viel gelesen werden. Trösten
wir uns mit der Thatsache, daß im Lande des
Soldatenhandels der „böse" Kurfürst Wilhelm I.,
als er im Jahre 1814 seine Landstände einberief
unb auch die Bauern als vierten Stand mit
hinzilzog, um aus freien Stücken den Entwllrs einer
Landesverfassung vorzulegen, feststellen konnte, daß
288
die Leibeigenschaft, die vor Jahrhunderten
diesen Stand von den Landtagsverhandlungen aus-
schloß, in Hessen längst beseitigt und unbekannt sei.
Ss. Wr.
Ans meiner Zeit. Lebenserinnerungen von
F rieb ri ch P e ch t. München, 1894. 2 Bde.
Wir lesen auf S. 169 des ersten Bandes:
„Als ich (Pecht) die französische Grenze überschritt,
kam ich von Baden, das von Franzosen wimmelte,
die sich da als vollständige Herren gerirten, mit
jenem Uebermuth lind jener Verachtung der je-
weiligen Lalldesart, die sie überall bald verhaßt
macht. . . Drinnen in den Spielsälen erfreute
lnich dann der Anblick jenes musterhaften
deutschen Land es Vaters, des fortgejagten
alten Kurfürsten von Hessen, der mitten unter den
Croupiers und Spielern sitzend, das Gold ver-
spielte, was er seinen Unterthanen ab-
gepreßt. Eine mächtige Gestalt mit schneeweißem
Bart, hatte er große Haufen Gold und Banknoten
vor sich, die er mit einer gewissen Wuth aus die
verschiedensten Kartell setzte. Bald hatte er Alles
verloren und lief nun brummend fort, llm nach
einiger Zeit mit frisch gefüllten Taschen wieder
anzukommell. Und dafür wurden die armen
hessischen Bauern bis auf's Blut aus-
gesogen!"
Bon diesen Angaben ist zunächst die falsch,
daß Kurfürst Wilhelm IT. fortgejagt sei. Er hat
freiwillig seine Residenz verlassen, tief verletzt
durch das taktlose Benehmen der hauptstädtischen
Bevölkerung, nub keine Deputationen vermochten
den sonst so weichherzigen Mann, wieder zurück-
zukehren. Weiter ist unrichtig, daß Wilhelm II.
eine „mächtige" Gestalt gewesen sei. Er war
eher klein intb dick. Endlich vergleiche man obige
Darstellung mit derjenigen, welche Jakob Hoss-
m ei st er in den im Jahre 1882 erschienenen
„Hessischen Erinnerungen" auf S. 90 ff. voll
seinen Eindrücken in Baden-Baden giebt. Der
Kurfürst spielte diesem Beobachter zufolge durch-
aus leidenschaftslos und gleichmüthig, auch im
Allgemeinen mit vielem Glück, indem er sogar
einige Male die Bank sprengte. Da er seine
Civilliste bezog nnb mit dieser ebenso wie mit
seinem Privatvermögen machen konnte, was er
wollte, und da er andererseits verfassungsmäßig
außer Stande war, den „armen" hessischen Baltern
aitrf) nur einen Pfennig mehr abzunehmen, als
was diese seine Civilliste betrug, so verdient Herr
Friedrich Pecht wegell derartiger falscher nnb
thörichter Behauptungen, wie er sie zilln besseren
Aufputz seines Werkes ohne jegliche Kenntniß der
einschlägigen Verhältnisse aufgestellt hat, von jedem
Hessen energisch zurechtgewiesen zu werden. Die
hessischen Bauern sind von keinem ihrer Fürsten
„bis auf's Blut ausgesogen worden", am wenigsten
voll Kurfürst Wilhelm II., nnb ganz so arm, wie
Herr Friedrich Pecht glaubt, sind sie auch nicht.
Wenll des Verfassers Lebenserinnerungen im
Uebrigell nicht zuverlässiger und genauer sind, als
die auf S. 169 s. produzirten, so ist die delltsche
Memoirenliteratur nicht sonderlich bereichert
worden. K. Mr.
Im 5. Jahrgang ist der Cotta'sche Musen-
almanach wieder erschienen, herausgegeben von
unseren Landsmann Otto Braun. Diese fein-
sinnige Auslese zeitgenössischer Lyrik, die auch
äußerlich in prächtigem Gewände erscheint, wird ein
willkommenes Festgeschenk sein. Von hessischen
Dichtern sind H. Keller-Jordan, Richard
Jordan, Julius Rodenberg und Daniel
Saul vertreten.
Richtigstellung. Von Herrn Dr. med.
Friedrich Hille in Straßburg i. E. erhalten
wir folgende Zuschrift:
„In meinen Artikel „Geschichte der Familie Hille"
haben sich in Nr. 19 einige Unrichtigkeiten ein-
geschlichen, die ich in der nächsten Nummer gefälligst
zu berichtigen bitte:
1) S. 255. Auguste Karoline Wilhelmine Emilie
Hille war nicht verheirathet mit dem Rentner Wilhelm
Barkhausen in Detmold, sondern mit dem Architekten
Konrad Barkhausen daselbst;
2) a. Emilie Friederike Luise Barkhausen war
verheirathet mit dem Oberlehrer Dr. August Althaus
in Berlin und ist daselbst mit Hinterlassung von zwei
Kindern gestorben;
8) e. Theo Bertha Helene Mathilde Barkhausen ist
seit 1872 verheirathet mit dem Rechtsanwalt und Notar
Justizrath A l b r e ch t E a sp a r i in Kassel."
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdruckern von Friedr. Scheel, Kassel,
Schloßplatz 4.
ö. Th. I). in Marburg. Wir werden Ihnen aus-
führlich schreiben.
Fräulein H. B. in R. bei Hanau; 6. B. in Wächters-
bach; 0. GL in Hildesheim; Frau 8. I. in Gotha; Dr.
W. S. in Fulda; J. 8. in Frankfurt; L. M. in
Eschwege; Pfarrer J. in Preungesheim. Für die erhal-
tenen Briefe und Beiträge sagen wir einstweilen unter
Empfangsbestätigung besten Dank.
n. R. in Frankfurt a. M. Aufsah über das von
Ihnen berührte Thema wird in Bälde im „Hessenland"
erscheinen. Nur ein wenig Geduld!
K. W. in Kassel. Der „Kinder-Reigen" Keitgedicht
in Nr. 20 des „Hessenland") rührt von unserm Lands-
manne, dem Dichter Gustav Kastropp in Hannover
her; leider ist in Folge eines Versehens beim Abdruck der
Name des Autors ausgefallen.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „gtfpttlimil“ erscheint am 1. und 15. jedes Monats lVa bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 22 des „Hessenlandes": „Aufklärung", Gedicht von Carl Preser; „Auch eine Reise in's
mittägige Frankreich", von Otto Gerland (Fortsetzung); „Eine alte Schrift aus westfälischer Zeit," von G. Th. D.
(Fortsetzung); Waidmannsheil", von Frida Storck (Schluß); Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde;
Personalien.
Aufklärung.
äagt nicht, mein still zurückgezog'nes Leben,
Mein hang zur Einsamkeit, das sei nur
Stolz;
Sagt nicht, daß mir der Freundschaft heil'ges
Streben,
U)ie Harz am Stamm im Sonnenbrand, zer-
sch'nolz.
Es glüht die Brust für alles ernste Ringen,
Das eines Mannes Leben ehrt und schmückt;
Noch trägt der Seele Flug auf mächt'gen
Schwingen
Der Freundschaft Treue, die mein Herz beglückt.
Den Zukunftswerken gilt die Schaffensliebe
Noch fort und fort, und ohne Gram und Geiz;
Noch hat das wunderliche Meltgetriebe,
Verloren nicht bei mir den alten Reiz.
Wächtersbach.
Indeß — mich ekelt der Parteien wüster,
Nur in: Zerstören großer, Aampfessinn,
Denn durch, die Massen schreitet wild und
düster
Mit ihm der Geist verrohter Halbheit hin.
Man höhnt mir ungestraft den heil'gen
Glauben,
Den ich im Sturm des Lebens mir erkämpft;
Der gold'ne Zeitgeist legt sich auf das Rauben,
Und Blendwerk hat box Geist des Volks
gedämpft.
Das könnt Ihr mir, das kann ich Euch nicht
ändern,
D'rum überlaßt mich meiner Einsamkeit; —
I Ich bin die sichte an den Helsenrändern,
! Hoch trotzend allen Stürmen ihrer Zeit.
Lark preser.
290
iiiiüiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiini! ||||||||||||||||||||||||||||llllllll!lllllllll!lllll!lllllllllllllllllllllllllllllll!llll!llll!llllllllll!llllllllllllllllllllllllllllllll!lllllllllllllllllllil!illlll!lllllllllllllllillllllll!ill!lllllllllll!llllllli!llllllllllllllll!lllll!llll!milllllll!llllllllllllllllll!!UIIIIII
Ü \m\ Bö
iiiiiiiiiiiisiiTiiiîiiiJi[|iliiiiiijiisiiliiniïïii1iii[liiiiÎNil[llinilHi[illT[lliilniiiiiin!iiiiiïiniuiiii!iii!iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii'i!iiiiii!i!mniiii I"»"""""' "I"" im
Auch eine Meise in's mittägige Frankreich.
Bon Otto Gerland.
(Fortsetzung.)
vn den Pariser Sehenswürdigkeiten folgen wir
rP unsern Reisenden nur zu dem Denkmal des
Marschalls von Sachsen; es stand damals
noch in der Werkstatt seines Verfertigers, des Bild-
hauers Pigalle, und man wußte nicht, wohin
man mit dem Kunstwerk sollte; denn da der
Marschall Hugenott war, so wollte man das
Denkmal nicht in eine Kirche setzen. Man half
sich später und stellte es in der protestantischen
Thomaskirche zu Straßburg auf. Der Künstler
zeigte damals das Werk in seiner Werkstatt
gegen Erhebung eines Eintrittsgeldes. Den Aus-
flug nach Versailles mitzumachen, können wir
uns aber nicht versagen.
„Herr P. gab uns einen Brief an Frau
v. M-, Beschließerin des Hotels de Soubise da-
selbst mit dem Auftrag an diese mit, uns Betten
herzurichten, falls wir dort schlafen wollten, und
einen andern an Herrn C., Kammerdiener und
Leib-Perrückier des Herrn Grafen von Provence,
in welchem er diesen bat, un§ Gelegenheit zu
verschaffen, den Hof von Versailles zu sehen; wir
fuhren mit Herrn und Frau F. Wir kamen
um 11 Uhr an und stiegen im Hotel de Soubise
ab, waren aber noch nicht in unser Zimmer
hinaufgestiegen, als Herr C. schon ankam. Nicht
zufrieden, uns einen Empfehlungsbrief mitgegeben
zil haben, hatte Herr P. noch selbst mit ihm ge-
sprochen. Wir mußten unsere Kleider wechseln,
beschlossen, uns in der Kapelle des Königs zu
treffen, und machten uns langsam auf den Weg.
Wir kamen an den Amtsräumen der auswärtigen
Angelegenheiten vorbei; Herr F. hatte dort Be-
kanntschaften, sagte, er müsse dort vorsprechen,
wir gingen mit hinein, und ich habe nicht bereut,
daß wir es gethan haben. Man sieht dort eine
stolze Reihe Schränke, alle mit karmoifinrothen
Damast und feinen, kaum sichtbaren Vergitte-
rungen uinschlossen, nnb die Bilder aller regie-
renden Potentaten in ovalen Goldrahmen. Ich
sah Ganganelli *), Mustapha, aber nicht sah ich
den Landgrafen von Hessen. Man versicherte
mir, er würde auch bald vorhanden sein, und ich
sah wirklich seinen Namen in einem leeren
Rahmen, deren sieben oder acht da waren, die
man, bevor man die Bilder dazu erlangt hatte,
mit dem Namen des Herrschers allsfüllte. Als
wir in das Schloß von Versailles kamen,
erfuhren wir, daß die Messe des Königs zu Ende
gehe; wir begaben uns daher auf den Weg, den
er kommen inußte; Herr C. kain zil uns und
stellte uns so auf, daß wir ihn gut sehen konnten.
Gleich daraus kam er vorüber, gefolgt von Seiner
Königlichen Hoheit dem Dauphin und dem Herrn
Grafen von Provence. Der König trug einen
Rock von grünem Moiro, die Haare ziemlich ver-
nachlässigt; die beiden Prinzen waren in Grau
gekleidet. Als sie vorüber waren, traten wir in
die Kapelle und besahen dann die große Galerie.
Dort sind alle Menschen gleich wie in einer an-
dern! Welt. Ich bewegte niich mit einem Gefühl
vollster Sicherheit durch eine Menge von blauen
Ordensbändern**), Bischöfen, Erzbischöfen, Damen
und Herren, ein einfacher Lildwigsritter ist nur
ein Atom, kurz, in der Galerie von Versailles
sind die Großen recht klein. Wir stiegen wieder
zum Hofe hinab, um den König zilr Jagd ab-
fahren zu sehen; durch die Fürsorge des Herrn C.
waren wir Vortheilhaft aufgestellt. Der König
hatte die Kleidung gewechselt, er trug einen Rock
von grünem Tuch mit Goldbesatz, graue Gamaschen
und war gepudert. Ich fand ihn heiter ans-
sehend. Er bestieg einen achtspünnigen Wagen.
Der Dauphin und der Graf von Porvence be-
stiegen gleichfalls einen achtspännigen Wagen."
Von den Merkwürdigkeiten im Schlosse mag
*) Papst Clemens XIV. aus dem Hause Ganganelli,
der kurz vorher die Jesuiten unterdrückt hatte.
**) Dies war das Baud des damals so hoch geschätzten
Ludwigsordens.
291
nur eine für die Eitelkeit Ludwig's XIV. charakte-
ristische Stutzuhr erwähnt werden: ehe sie die
Stunde schlug, bewegte ein kleiner Hahn die gol-
denen Flügel, krähte dreimal, und dann öffnete
sich ein zweiflügeliges goldenes Thor, aus dem
Ludwig XIV. zu Pferd herauskam, über ihm
schwebend der ihn krönende Ruhm, dann schlug
die Uhr, und es ertönte ein Glockenspiel.
Dann waren die Reisenden beim Mittagsmahl
des Grafen von Artois, der Frau Dauphine*)
und einiger Prinzessinnen zugegen. „Das der
Frau Gräfin von Provence versäumten wir, aber
bei ihrer Rückkehr vom Speisen ging sie so nahe
an uns vorüber, daß wir Zeit hatten, sie bequem
zu sehen. Die Frau Dauphine ist Alles, was
man Liebenswürdiges und Unmuthiges sehen kann,
mehr artig als schön, sie hat einen interessanten,
jedermann zusagenden Gesichtsausdruck. Als wir
von da wieder in den Hof hinabstiegen, sahen
wir Madame Du Barry, die sich in ihren Neu-
bau tragen ließ, um dessen Fortschritte zu sehen."
Die Reisenden besahen dann noch die übrigen
Sehenswürdigkeiten, auch das nach der Angabe der
Marquise von Pompadour erbaute Wachthaus
der Schweizergarde, das in seinem Aeußeren ein
Mau und weiß gestreiftes Zelt nachahmte, begeg-
neten auch nochmals die Frau Dauphine, welche
in eine rosa Pekesche gekleidet und mit einem
Rohrstock in der Hand ihren Arm dem eben von
der Jagd zurückgekehrten Grafen von Provence
gegeben hatte. Der allgemeine Eindruck von Ver-
sailles war kein günstiger: „man läßt an diesem
schönen Ort Alles verkommen, man macht kaum
die gröbsten Ausbesserungen. Die Bäume der
Orangerie haben ein gelbes und krankes Aus-
sehen. Jedermann ohne Ausnahme, Stiefelputzer,
Mägde, Kinder, Alles hat Zutritt zu den Ver-
sailler Gärten, fast jeder hat Schlüssel zu den
Bosquets und dein Labyrinth, und die Freundin-
nen gehen mit ihren Arbeiten hin, indem sic die
Kinder beaufsichtigen. Die Schildwachen sagen
niemals: es kommt niemand durch; alle Welt
geht dort spazieren, man hält das für selbstver-
ständlich."
Während unsere Berichterstatterin in Paris
kaum auf die Straße gehen konnte, ohne
deutsch sprechen zu hören, fürchtete sie nun mit
Recht, als die Weiterreise nach dem Süden
angetreten werden sollte, ihre Muttersprache nur
noch dann reden zu hören, wenn sie selbst sie
spreche. Die Reisenden kauften sich ein leichtes
Kabriolet, vor welches Postpferde gespannt wurden,
und nahmen nur das nöthigste Handgepäck mit.
*) Marie Antoinette.
Die Koffer wurden der Frachtpost übergeben,
welche für die Fahrt vierzehn Tage gebrauchte,
während die Reisenden selbst höchstens eine Woche
nöthig hatten, uni ihr Ziel zu erreichen.
Am Eingang zum Forst von Orleans erblickten
sie erst Räder, ans deren jedem ein Geradbrechter
lag; zur Sicherung der Landstraße waren auf
jeder Seite der Straße die Bäume 300 Schritt
weit abgehauen. Wir folgen dann unsereit Rei-
senden eine lange Strecke lang durch Orte, welche
durch die Heldenthaten unserer Brüder im Jahre
1870 geweiht sind, und hören die Namen Orleans,
Gien, Chatillon, Blois, Romorantin, La Fertv,
Vierzon. In Orleans bewunderten sie die zu
der Loirebrücke, damals der größten und schönsten
in Frankreich, führende Königstraße, an welcher
der König jederseits eine Reihe von Häuser-
fassaden, „iin Stile von Badepavillons", im
Erdgeschoß mit Bogengängen und eigens zu
Läden eingerichtet, erbaut und dann den Leuten,
welche die dahinter liegenden Häuser kaufen woll-
ten, geschenkt hatte. In La Fertö sahen sie ein
schönes Schloß mit einer Zugbrücke xtnb einem
mit Bildsäulen, Vasen und Buchenhecken ver-
zierten Garten. Hinter Vierzon führte der Weg
durch die vollständig unangebaute, selbst baumlose
Ebene von Vatan, dann ans schlechten Wegen
durch einen Theil des Poitou, wo die Reisenden
die Richtigkeit der Redeweise kennen lernten, die
der Franzose gebraucht, um anzudeuten, daß er
Jemandem nicht das geben wolle, um was er
bittet, indem er sagt: Ich will Dir das Poitou
geben.
In der Provinz Limousin bewiesen die Land-
straßen die treffliche Verwaltung des Jntendanteu
der Provinz, Turgot, die so sehr aller Augen
aus diesen Mann zog, daß er später Fiuanz-
minister wurde, weil ganz Frankreich auf ihn die
größten, wenn auch unter den damaligen Ver-
hältnissen vergeblichen Hoffnungen setzte. Durch
zum Theil fast unbewohnte Gegenden, über steile
Berge und durch tiefe Thäler, die breiten Ströme
mittels Fähren übersetzend, gelangten sie bei dem
in einem tiefen Thalkessel liegenden Cahors in
die Weinbau treibenden Gegenden und erreichten
endlich, nachdem sie lange Strecken eintöniger
Felder durchfahren hatten, in welchen nur ein-
zelne zerstreute Meiereien lagen, ihr erstes Reise-
ziel, Montauban, wo sie sich aber zunächst
nicht lange aufhielten, weil dort ein heftiges Fanl-
fieber herrschte; die nicht geringe Sterblichkeit,
verbunden mit der Sitte, um die entferntesten
Verwandten und Verschwägerten, z. B. die Schwä-
gerin des Schwagers, und dann drei Jahre lang
Trauer anzulegen, ließen den größten Theil der
292
Einwohner in Trauerkleidung gehüllt einhergehen,
und der Gemüthszustand unserer Reisenden wurde
noch niedergedrückter, als am Tag nach ihrer
Ankunst ihre Gastfreundin, wenn auch an einer
anderen Krankheit, so heftig erkrankte, daß der
Arzt sie zunächst aufgab. Sic reisten daher auch
ziemlich bald weiter, um zunächst auch die Haupt-
stadt der Gascogne zu besuchen. Jenseits der
bald nach der Abreise von Montauban über-
schrittenen Garonne wehte eine bessere Luft als
in der von allen möglichen Gerüchen durchströmten
Stadt. Auch eine andere Landschaft zeigte sich
den Augen. „Die Gegend ist hier mannigfaltig,
man sieht Wiesen und Weinberge, Hohes und
Niedriges, wie im menschlichen Leben. Die Tauben-
häuser, der schönste und schmuckste Theil der
Wohnungen, glänzen nach allen Richtungen, zum
Theil in Gesellschaft von Windmühlen. Eine
Meierei bildet ein sehr artiges landschaftliches
Bild. Das Haus ist gewöhnlich sehr niedrig ge-
baut wie eine Klause, meistens aus Bruch- oder
Backsteinen; der Taubenschlag, hundert Schritte
entfernt, beworfen und geweißt, ist wie ein Thurm
gebaut; die Mühlen stehen in gleicher Entfernung,
dazu kommen Ländereien, Wiesen, Weinberge und
eine keine Zahl von Ulmen und Eichen, zwar
etwas schmächtig, aber doch genügend für die Be-
heizung der Bewohner dieser Heimstätten; fügen
wir noch einen Küchen- und Obstgarten mit einem
Springbrunnen hinzu, dessen Wasser frisch und
von gutem Geschmack ist, so haben wir ein land-
schaftliches Bild, das mit seinen etwas vom Haus
entfernt liegenden Heil- und Strohschobern gewiß
in Natur und im Bild gefallen wird. Wenn der
Eigenthümer dieser Meierei selbst sie bewohnt, sv
ist gewönlich auch ein kleines Wohnhaus vorhan-
den, etwas größer als das Haus des Meiers,
aber immer sehr bescheiden. Die Rüstlöchern
gleichenden schlechten Lichtöffnungen sind gewöhn-
lich nach Norden gerichtet; Fenster kann ich diese
Löcher nicht nennen, durch welche nur eine Ahnung
von Tag in die 20—30 Fuß im Quadrat hal-
tenden Zimmer eindringt. Man könnte, ohne
Baukünstler zu sein, bloß mit seinem geringen
Verstand das verbessern, was diese beschränkten
Leute der alten Zeit, sei es aus Unwissenheit, sei
es aus Borurtheil, sv schlecht eingerichtet haben,
aber ihre Nachkommen, ihnen gleichend, sagen:
mein Vater, Großvater und Urgroßvater haben
gut darin gewohnt, sv werde ich auch gut darin
wohnen, und die Häuser bleiben die alten Ge-
fängnisse."
Im Verlauf der Reise traten die Pyrenäen in
den Gesichtskreis, deren Schneeberge einen eigen-
thümlichen Gegensatz zu der starken und unerträg-
lichen Hitze bildeten, unter der die Reisenden
seufzten, und in Folge deren während der Wein-
ernte noch in allen Gärten die köstlichsten Blumen
blühten und dufteten, gleich als wenn sie eben
erst aufgeblüht gewesen wären. In dem amphi-
theatralisch gelegenen Auch waren zwei Gebäude
von hervorragender Bedeutung, die Kathedrale
und das erzbischöfliche Palais. In ersterer galten
die gemalten gothischen Fenster für eine besondere
Merkwürdigkeit. „Sie sind", sagt unsere Erzäh-
lerin, „mit den lebhaften und glänzenden Farben
gemalt, deren Geheimniß in den letzten Zeiten
verloren gegangen sein soll; ich glaube aber viel-
mehr, daß man es wegen des gothischen Chara-
kters, den es den Gebäuden giebt, vernachlässigt
hat; denn man besitzt heute noch dasselbe Geschick
wie vor 500 oder 600 Jahren. In der Nähe
der Kirche liegt die Wohnung des Erzbischofs.
Als wir sic uns von außen betrachteten, fragte
uns ein berittener Polizeibeamter, ob wir nicht
auch die Zimmer sehen wollten, und da wir er-
widerten, daß uns dies Vergnügen machen würde,
rief er den Zimmerbohner herbei, der uns überall
herumführte und uns Zimmer zeigte, wie wir sie
in einer solch abgelegenen Provinz nicht vermuthet
hätten. Obgleich sie gut und selbst reich ausge-
stattet waren, so war doch über Alles ein
Schimmer von Bescheidenheit ausgegossen. So
stellten z. B. in einem Zimmer die Bilder über den
Thüren die vier Jahreszeiten vor, aber alle Figuren
sind bekleidet, nichts Wollüstiges ist in den
Darstellungen des Frühlings und des Sommers.
Dazu sind nur zwei Farben angewandt, violett
und blau mit ihren verschiedenen Schattirungen.
In einem Zimmer, das als Betzimmer diente,
war nur ein Betstuhl von karmoisinrothem Sam-
met unter einem großen gvldnen Kreuz und das
Bild eines gekreuzigten Christus in Lebensgroße,
sv weit ich es beurtheilen kann, ein gutes Bild;
das war Alles. Einige wenige Bilder von Hei-
ligen und der Jungfrau, die Tapisserien und die
Spiegel bilden de» Hauptschmuck dieses Schlosses,
von dem die Bewohner der Provinz glauben, daß
es das schönste auf der Welt übertreffe. Ein
Edelmann Namens d'ltzos, von gutem Aeußern
und guter Redeweise, der mit uns das gleiche
Gasthaus ff,Zum französischen Wappen') bewohnte,
machte uns nach unserem Spaziergang einen Be-
such mit einem Advokaten, der Paris gesehen
hatte; der Edelmann ist nie aus der Provinz
herausgekommen. Er fragte mich, ob ich schon
jemals etwas so Schönes wie das Schloß des Erz-
bischofs gesehen hätte. Ich erwiderte ihm, ich
hätte schon Besseres als das gesehen, ehe ich von
meiner Heimath abgereist wäre, daß ich dann
293
aber in Paris und Versailles gewesen wäre und
daß also das Schloß des Erzbischofs, so schön es
sei, nichts böte, was mich hätte überraschen können
als der Umstand, daß es zu Auch erbaut sei.
Der Advokat lachte, und Herr von Uzes schwieg.
Dennoch ist es wahr, daß man nichts Freund-
licheres und Angenehmeres sehen kann, als das
Schloß von der Seite der Landschaft aus."
Sehr bald ging die Reise nach Montauban zurück,
bei welcher Gelegenheit die Reisenden einen Wald
durchfuhren, der von Wölfen unsicher gemacht
wurde, von denen aber keiner zum Vorschein kam.
Hören wir nun die Beschreibung der Stadt Mon-
tauban und der dort herrschenden Sitten. „Es ist
eine verräucherte Stadt, erbaut aus Backsteinen,
die sich zwar durch ihre Dauerhaftigkeit auszeich-
nen, aber, wenn sie nicht von Zeit zu Zeit roth
gemalt werden, allmälig eine schwarze Farbe an-
nehmen. Außer den neueren sind wenige Häuser
getüncht oder geweißt. Die Erdgeschosse sind un-
bewohnt und dienen zu Läden oder Küchen; ge-
wöhnlich enthalten die Häuser nur zwei Wohnungen.
Die Straßen sind meist eng und von einer Gosse
durchschnitten, die alle Ausflüsse aus den Häusern
aufnimmt, die man nie ausfegt und in die man
mit Behagen das Geflügel rupfen und die Abfälle
von Kohl, Salat, Lauch, Sellerie u. dgl. werfen sieht.
Umsonst ist der mit Trompetengeschmetter und
lauter Stimme ausgerufene Befehl, die Gosse
täglich zu fegen, er läßt sich jeden Morgen von
Neuem vernehmen, ohne daß man sich über die
Polizei lustig macht. Man thut nichts, oder,
wenn mau durch de» Unrathhaufen vor der Thür
zu sehr belästigt wird, daun legt mau Hand au
den Besen, d. h. an einen der hier üblichen
Schilfbesen, der weiter nichts leistet, als sanft
über die spitzen Kieselsteine, mit denen die Straßen
gepflastert sind, Hinzugleiten, ohne aber je den
Schmutz vom Grund der Gossen zu beseitigen.
Es sicht aus, als wenn die Gossen nie gefegt
wären, wodurch das Wasser schwarz und faulig
wird; man wirft auch den Kehricht aus den
Häusern in diese Gossen. Ist es da erstaunlich,
daß die Stadt übel riecht, und daß man dort so
viel Knoblauch ißt, namentlich während einer an-
steckenden Krankheit und während der Weinlese?
Ich möchte glauben, alle Wohlgerüche Europas
könnten diesen Übeln Geruch nicht beseitige». Das
Innere der Häuser ist chesenreinh und das ist
Alles; sämmtliche Zimmer sind mit großen Ziegel-
steinen belegt, die man täglich vor dem Auskehren
anfeuchtet. Sie bilden einen lächerlichen Gegen-
satz zu dem Grün, mit dem alle Wände tapezirt
sind, und den Spiegeln mit vergoldeten Rahmen.
Die Tisch-, Bett- und Leibwäsche ist sehr rein
und weiß. Wer ein Landhaus hat, zieht sich
einen guten Theil des Sommers dahin zurück
und kommt erst nach Martini oder selbst nach
Weihnachten in die Stadt zurück. Ich halte es
für sehr vernünftig wegzugehen, um reine Luft
zu athmen. Die Landhäuser liegen so nahe bei
einander, daß man Gesellschaft haben kann, so oft
man will."
(Fortsetzung folgt.)
o-
Eine alte Schrift aus westfälischer Jeit.
Von G. Th. D.
(Fortsetzung.)
er Verfasser prophezeit noch gewaltigere
Im Stürme, nach denen „der höchste und hohe
Os Adel, dem wir allein die jetzige Katastrophe
verdanken, kraftvolleren und edleren Stämmen
das Feld, das er nicht mehr behaupten kaun,
räumen muß". (Es ist zu bezweifeln, daß Martin
so geschrieben hätte.)
Landgraf Friedrich II. wird beschuldigt, eine
asiatische Ueppigkeit und eine Sittenverderbniß
wie zu Sodom und Gomorrha verursacht zu
haben. Armuth des Landes war die Folge des
siebenjährigen Kriegs. Aus dem Seelenverkauf (!)
für Englands amerikanischen Krieg flössen uner-
meßliche Summen in den Säckel des Fürsten.
Aber nichts davon ward für das Wohl der Unter-
thanen verwendet, kein Ackerbau befördert, keinen
Fabriken aufgeholfen, keine Schulden der Ge-
meinden bezahlt. Unter seinem Sohn und Nach-
folger folgte Sparsamkeit und Zusammenscharren!
Ueberall Plusmacherei für den Landesherrn, der
gewiß über 50 Millionen Thaler gebot. — Diese
Behauptung möchte doch übertrieben sein. 40
Millionen gab man als seinen Schatz um das
Jahr 1820 an.
Auch Kritik anderer Art übt der Verfasser.
Es gab Husaren zu Fuß, die Pferde kamen erst
lange nachher, Landregimenter wurden zu Garni-
sonsregimentern gemacht, die Offiziere erhielten ein
geringes Traktament. Man hing gleichsam einem
Buckligen einen schönen Mantel um.
294
Der Landgraf Wilhelm IX. hatte einen Haß
gegen Frankreich und Alles, was französisch war.
Runde Hüte. Backenbärte lind lange Hosen zu
tragen war verboten. Gleichermaßen hegte der
Regent bittern Haß gegen Napoleon.
Mitunter gab es kleine Komödien, z. B. als
im Jahr 1805 Bernadotte mit seinem Korps
aus dem Hanauischen durch Hessen marschieren
wollte, that man hier zwei Tage gewaltig grimmig.
Beurlaubte wurden einberufen, Kanonen ans die
Wälle gefahren, Befehle an alle Kommandirenden
ertheilt, sich bis auf den letzten Mann zu wehren
n. dergl. Nach zwei Tagen war die Komödie
aus, die Einberufenen gingen wieder nach Haus.
Bald darauf wurde hessisches und preußisches
Militär mobil gemacht. Man irrte mit Sack
und Pack umher ohne allen Zweck und zog, ohne
Pulver gerochen zu haben, wieder heim. Diese
Kampagne wurde die „Dreckkampagne" genannt.
Eher kann man wohl dem Verfasser Recht
geben, wenn er den Versuch des Kurfürsten, im
Jahre 1806 neutral zu bleiben, verurtheilt.
Er hält diesen Versuch für Thorheit und
Unsinn. Allein, da er selbst keine hohe Meinung
von dem preußischen Heer hatte und eine noch
geringere von dem hessischen, konnte er den un-
günstigen Ansgang trotz des Zusammengehens
mit Preußen voraussehen. Die Entscheidung
war also eine sehr schwierige. Auf der einen
Seite voraussichtlich Niederlage, auf der anderen
zwar Sieg, aber zugleich Schimpf und Schande.
Wir sind auch nur zu sehr geneigt, einen ein-
geschlagenen Weg nach dem Erfolg zu beurtheilen.
Immerhin ist es bemerkenswertst, was der Ver-
fasser bezüglich eines entschlossenen Widerstandes
sagt: „Was würde ich als Minister gethan
haben? .Jetzt, Eure kurfürstliche Durchlaucht, ist
der Zeitpunkt da,' würde ich gesagt haben, ,wo
man der Nachwelt beweisen kann, daß noch nicht
aller Muth, alle Entschlossenheit im Anfang des
19. Jahrhunderts aus Deutschland verbannt war.
Auf, wir wollen versammeln, was wir versam-
meln können! Wir sind in einer verzweiflungs-
vollen Lage, lassen Sie uns auch wie Verzweifelte
handeln ! Es ist möglich noch etwas zu gewinnen,
und wenn auch nicht, so ist ein ehrenvoller Tod
einem schimpflichen Leben vorzuziehen?" Er
meint, die nöthige Zahl Truppen wäre in Eile
zusammenzubringen gewesen. „Mortier müßte
nicht bloß geschlagen, er müßte aufgefressen
werden." Auch mit den aus Norden an-
rückenden Holländern wäre man fertig geworden.
„Hessische Männer! (Die Soldaten waren
sonst gewohnt zu hören: Verdammter Kerl! oder:
Verfluchter Kerl,' was hat er wieder für einen
Zopf!) „ich habe Alles gethan, meinem Lande
den Frieden zu sichern. Allein Alles ist umsonst
gewesen. Auf, laßt uns zeigen, daß wir noch
die Nachkommen jener heldenmüthigen Hessen
sind, die im siebenjährigen Krieg unb in Amerika
der Schrecken Frankreichs waren. Wir können
fallen. Allein, was ist besser und wünschens-
werther, nach jahrelanger Knechtschaft dahin-
schmachten oder jetzt ans dem Schlachtfeld für
Ehre und Freiheit rühmlich zu verbluten? —
Kein Prinz von Hessen wird das Land unserer
Väter verlassen. Hier wollen wir begraben sein
— oder siegen. Unser Blut, unser Leben
gehört dem Vaterland, dem wir unsern Glanz
verdanken. Auf! und wenn wir alle fallen, ein
ewiger Ruhm, der Hessen schönster Lohn, ist unser
Theil." Das wäre ein ehrenvoller Ausgang
gewesen nach dem Urtheil des Verfassers. Statt
dessen eilige Flucht aus dein Lande.
An den Kaiser Napoleon hat sich der Kurfürst
gleich schriftlich gewandt und um Wiedereinsetzung
in sein Land gebeten. Eine Antwort darauf ist
nicht erfolgt.
Wieviel hätte der Kurfürst mit dem hessischen
Militär ausrichten können, wenn er nicht den
Gamaschendienst zur Hauptsache gemacht hätte.
Der Verfasser spendet den hessischen Truppen, die
in fast allen Kriegen der großen Mächte seit
Jahrhunderten mitgekämpft haben, das gebührende
Lob: „Sie haben sich stets brav gehalten und
die Achtung der ganzen Welt erworben. Das
hessische Militär war verhältnißmäßig ungeheuer
stark, svdaß aus den geringeren Ständen beinahe
jeder, der kein Krüppel war, Soldat werden
mußte. Selten fand man einen Bürger oder
Bauer, der nicht in seinen früheren Jahren
Feldzüge mitgemacht datte. Durch das Andenken
an ruhmvolle Thaten, durch die Erzählung von
Schlachten und Siegen, die der Knabe schon in
zarter Jugend aus dem Munde seines Vaters
oder Großvaters, der selbst dabei gewesen war
und mitgesochten, der sich daran mit leuchtenden
Augen, mit geheimem Stolz erinnerte, besonders
wenn er in einer Narbe ein Ehrendenkmal auf-
zeigen konnte, vernahm, hatte sich der ganzen
Nation ein kriegerischer Geist im höchsten Grade
mitgetheilt. Die Buben, sobald sie laufen konnten,
spielten Soldaten. Ein hölzerner Säbel, eine
Flinte, Trompete, Trommel u. dergl. war das
liebste Christtagsgeschenk, eine Grenadier- oder
Husarenkappe von Zuckerpapier die schönste Zierde.
Ueberdies war das hessische Volk ein gesunder
und starker Menschenschlag, durch frühe Arbeit
und Entbehrung abgehärtet und daher zu den
Strapazen des Krieges sehr geschickt. Hier fand
295
sich der Stofs zum gemeinen Soldaten, wie man
sich ihn nur wünschen konnte.
Seit Wackenitz und Schliessen aber ist nicht nur
nichts geschehen, das Militär zu verbessern, son-
dern Alles, um es zu verschlechtern. Der Kurfürst
hatte eine Vorliebe für Gamaschendienst, für
Paradekram und für den Adel. Er haßte Alles,
was aus Frankreich kam, er wollte eine Nation
nicht als Lehrmeisterin anerkennen, die so Vieles
zertrümmert hatte, wobei man sich so wohl befand,
die aber Ideen in Umlauf brachte, die man
wohl benutzen konnte, und so kam es, daß je
mehr Fortschritte die französische Armee zum
Guten machte, um so mehr sich die hessische
verschlechterte. In der ganzen hessischen Armee
war Kleinigkeitskrämerei, in hohem Werthe und
Ehren standen Exerziermeister, die den Parade-
unfug im Puppenspiel sich recht geläufig gemacht
hatten. Nur der flache Kopf ward ausgezeichnet,
Talente konnten ihre Anlagen nicht entwickeln,
nur wenige intelligente Offiziere konnten sich
geltend machen, fanden am Militärdienst ein
Wohlgefallen. Die sich auszeichneten, wurden
weggeschickt zu einem Landregiment oder zu einer
Wegekommissariatstelle, in der sie gar verküm-
merten. Bessere Kopfe verließen den hessischen
Dienst. Huth, Staatsminister und General nahm
seinen Abschied, Ewald ging nach Dänemark,
Wiederhold nach Portugal (1787), Bödicker bekam
einen Ruf in badische Dienste, sie Alle waren
unadelig. Wackenitz und Schliessen wurden nach
Ableben Friedrich's II. übel behandelt, sodaß sie
sich zurückzogen. Wenige waren lernbegierig,
meist waren die Offiziere Subjekte, deren Un-
wissenheit unglaublich war. In deren Gesellschaft
hörte man Fluchen, Zoten u. s. w.
iSchluß folgt.)
----
MaidmmmsheU!
Von Frida Storck.
lSchluß.)
sie Sparöllampe im Wohnzimmer des Forst-
hauses wirft ihr Licht auf den Theetisch.
Walburg erholt sich, bei lebhafter Aussprache
mit der Schwägerin, allmälig von den Auf-
regungen des Tages. Gerta fröhnt in Haus
und Hof der Wiedersehensfrende mit lebendem
und todtem Hausinventar.
Das vom Major vorahnend geweissagte Ge-
witter zieht herauf. Grelle Blitze fahren nieder,
der Donner weckt dröhnend das Echo der Berge.
Zwei Männer betreten den Forsthof, ein graubärtiger
Forstlaufer und an seiner Seite — Assessor
Erich Ebert. Walburg's konfuser Bericht über
sträfliche Attentatspläne auf des Forstmeisters
geschonten Wildstand haben doch zu ernsten
Maßnahmen geführt.
Leider gelang es dem pflichttreuen Unterbeamten
ilur, diesen einen Frevler zu ertappen, der sich
nicht einmal durch Waffenschein legitimiren
konnte, obgleich er sehr zuversichtlich in allen
Taschen nach diesem wichtigen Aktenstück wühlte.
Der schlaue Forstlaufer ließ sich keineswegs durch
solches Scheinmanöver verblüffen. Der Mann
hatte über die Grenze hinaus einen Bock gefehlt
und konnte sich nicht einmal ausweisen, mithin
transportirte man ihn zum Forsthause, damit
der Vorgesetzte selbst entscheide.
Die lächerliche Behauptung des Arrestanten,
er sei Gerichtsassessor, geruhte der Alte zu
ignoriren. Der Sturm toste im Hochwald, das
war nicht einladend zu einer zwecklosen Plauderei.
„Forstlaufer Werner möchte den Herrn Forst-
meister sprechen", meldet die Magd.
„Soll nur hier 'reinkommen", befiehlt Eichner.
Und herein tritt straff der Wackere, den De-
linquenten Vorausschicbend. Erich hat sich längst
mit Galgenhumor in die Situation gefunden.
Als er jetzt Walburg's triumphirendem Blick
begegnet, blitzen seine Augen auf.
„Der Herr Forstmeister hatten befohlen, die
Jagdgrenze abzugehen. Da fand ich diesen
Schützen, wie er gerade einen Bock fehlte, und
ausweisen kann er sich auch nicht. Wollen der
Herr —"
Erich exekntirt seine eleganteste Salonverbeugung
und unterbricht den Alten heiter: „Herr Forst-
meister, meine Damen, ich habe die Ehre mich
vorzustellen: Gerichtsassessor Erich Ebert ans
Kassel. Leider steckt mein Waffenschein noch in
Onkels Tasche, doch bin ich gern bereit, mich in
die übliche Strafe nehmen zu lassen, bitte sehr
um Nachsicht, daß mich dieser wackere Bieder-
mann so spät in Ihren Burgfrieden schleppte."
Und sich zu Walburg wendend, nach einem
296
suchenden Blick durch das Gemach, fragt er:
„Unsere gemeinsame Fahrt ist Ihnen doch gut
bekommen, meine Gnädige?"
Eichner hat sich mit ernster Miene erhoben.
Walburg thut desgleichen und schwebt, ohne eine
Antwort auf solch' unerhörte Frechheit, aus dem
Gemach. Die Forstmeisterin, offenbar nicht
orieutirt, blickt fragend auf den Fremden.
„Ich bedauere, junger Mann, daß Sie sich
so leichtsinnig in Gefahr begaben", sagt Eichner,
dem nun doch Zweifel an der Ruchlosigkeit dieses
Wilderers aufsteigen. „Wie konnten Sie sich
verleiten lassen, ohne Schein und ohne alle Be-
rechtigung auf fremdem Gebiet zu jagen? Sind
Sie wirklich Jurist, um so schlimmer für Sie."
«Ja, zweifeln Sie denn an meiner Aussage?
Und ohne Berechtigung sagen Sie? Onkel Re-
gierungsrath hat mit dem Major die Feldjagd
der Gemarkung Baumbach gepachtet, folglich hat
er unbestrittenes Recht, seinen leiblichen Neffen
dort jagen zu lassen. Die Herren sind zweifellos
im Wirthshaus zu Baumbach — vielleicht ohne
Jagdbeute wie ich — gelandet, denn das Wetter
drohte längst loszubrechen."
In der That folgt nun Schlag auf Schlag,
und der Regen strömt plötzlich wolkenbruchartig.
Schaurig heult der Sturm um das einsame Forsthaus.
„Allerdings ein böses Wetter", meint Eichner.
„Nehnien Sie einstweilen Platz, so können Sie
nicht hinaus."
Erich sitzt noch nicht auf dem gebotenen Stuhl,
als die Thür auffliegt und Gerta, umkreist von
zwei Jagdhunden, hereinstürzt. Da stehen sie
sich, Aug' in Auge, gegenüber. Sie noch lieb-
licher, in dem Hellen Hauskleid und der mädchen-
haften Verwirrung bei seinem unerwarteten
Anblick, er freudig erregt, einen Schritt ihr eut-
gegenthuend.
Dann wird ihm das Fatale seiner Lage fühlbar.
Gleichzeitig regt sich aber auch die Kühnheit
jugendlichen Wagemuths.
„Ihr Waidmannsheil!, verehrtes Fräulein,
brachte mir Glück. Man schleppte mich als
Arrestanten hierher, damit ich Sie wiedersehen
sollte. Hoffentlich haben Sie eine bessere Meinung
von mir, als der Herr Forstmeister, der mich
auf Grund der Indizienbeweise für einen ab-
gefeimten Gauner hält."
Verrätherisch zuckt es um die frischen Mädchen-
lippen, und dann lacht sie hell auf: „Köstlich!
Das hat natürlich Tante Schuld, sie wittert stets
Unheil."
Die Forstmeisterin hält es ihrerseits für ge-
rathen, handelnd einzugreifen und Gerta das
Ungebührliche ihrer Heiterkeit darzuthun.
Der Assessor intervenirt jedoch: „Bitte gnädige
Frau. Die Sache ist wirklich sehr komisch. Ich
danke dem Geschick, das so viel reiselustige Mensch-
heit in die dritte Klasse trieb."
Gerta und der Assessor hatten sich schon auf
der Fahrt klaglos in die Schicksalsfügung ergeben.
Sie fanden sich, am nächsten Morgen, sogar mit
dem ersten Kuß und der Versicherung ewiger Liebe
zurecht. Dieses geschah folgendermaßen.
Erich, nach Austoben des Wetters durch den
alten Werner nach Baumbach eskortirt, hatte auf
Ehrenwort gelobt, seine Legitimation schnellstens
zu bewirken.
Früh Morgens nun steckte Gerta, in breiter
Wirthschaftsschürze, zwischen den Gemüsebeeten.
Während sie die Markerbsen zum Mittagstisch
bricht, weilen ihre Gedanken, absonderlicher Weise,
bei dem Assessor. Sie bedarf keines schriftlichen
Nachweises, obgleich Tante noch eben behauptet,
sie sei eine Menschenkennerin par excellence und
die drei Jäger seien Schwindler der gefährlichsten
Sorte.
Da klirrt die Pforte zum Walde, und es
erscheint lnpu8 irr fabula, der Assessor. Er stürmt
über die Erbsenbeete und schwenkt vor der Hellen
Gestalt nicht nur triumphirend seinen polizeilich
gestempelten Waffenschein, sondern auch ein mit
blauem Kanzleisiegel geschlossen gewesenes Schreiben.
„Lesen Sie, bitte, lesen Sie!" verlangt er.
Und die bestürzte Gerta liest, daß, laut dieses
Dekrets, der Gerichtsassessor Erich Ebert an's
Oberappellationsgericht berufen ist.
„Glauben Sie nun, daß ich's bin, oder glauben
Sie's nicht? Mama schickt mir das eben nach."
Er hält ihre Hand und schaut fragend, bittend,
in ihre sonnigen Augen, die sich plötzlich senken.
„Ich hab's doch aber gleich geglaubt. Tante
meinte nur, weil die Herren Papas Wild fort-
schießen wollten, Sie seien —" Die Ver-
theidigungsrede wird sehr verwirrt.
Der Morgenwind spielt in den Zweigen, über-
tönt das Flüstern zweier Menschenkinder und
wirft Thauperlen in Gerta's Flechten. Nicht
lange, so naht Arm in Arm durch den Garten-
pfad ein seliges Paar. Tante Walburg sieht's
vom Flur und ihrer Hand entgleitet das Tablett
mit Frühstücksgeschirr, daß es klirrend zerschellt.
„Gerta! Unglückskind!" ruft sie entsetzt. „Was
wird Dein Vater sagen?"
„Hoffentlich Ja und Amen", lacht Gerta.
Versöhnt und gerührt ist Tante Walburg erst,
als beim Mittagstisch der nunmehrige Nesse sie
als die eigentliche Stifterin seines Glückes
preist.-----------
297
Der Major und der Rath konnten und wollten
sich im Jagdkostüm nicht Präsentiren. Sie fuhren
in gedrückter Stimmung allein heim und gelobten
sich hoch und theuer, niemals wieder mit einem
verliebten Assessor zur Jagd auszuziehen, waren
auch der Ansicht, auf das „Waidmannsheil"
eines übermüthigen Backfisches sei kein Verlaß.
Man hatte ja nur einen Bock geschossen, nämlich
den, daß man Erich mitgenommen hatte. Erich
selbst verzichtete fernerhin ans alle Jagdfahrten,
obgleich sein Schwiegervater sich wacker mühte,
einen Nimrod ans ihm zu erziehen. Der Major
und der Rath haben aber noch manchen Bock
gemeinschaftlich mit dem Forstmeister erlegt.
Aus alter und neuer Jett.
Staufellberg. Wie allgemein bekannt, ist
Bit st eilt ein sehr häufig vorkommender Berg-
name in Hessen unb den Nachbarländern (vgl.
„Hessenland", Jahrg. 1888, S. 139). Ein nicht
minder sich wiederholender Name ist Staufen-
berg oder Staufen, und eine Zusammenstellung
möchte nicht unwillkommen sein:
1) im ehemaligen Kurfürstenthum Hessen, dem
Regierungsbezirke Kassel:
a. Staufenberg (daneben Stahlberg) zwischen
den Dörfern Heckershausen und Mönchehof
im Landkreise Kassel;
d. Staufenberg im Reinhardswalde, nördlich
von Veckerhagen, im Kreise Hofgeismar;
o. Stausenbühl, Berg und Wüstung bei der
blauen Kuppe nach Langenhain, im Kreise
Eschwege (s. Zeitschrift des Vereins für
Hess. Gesch., VII. Suppl.: Beschreibung der
wüsten Ortschaften von G. Landau, S. 319;
2) im ehemaligen Herzogthum Nassau, dem Re-
gierungsbezirk Wiesbaden: Stauffen, Gipfel
des Taunus, südlich von Königsstein;
3) im Groß herzog thun: Hessen: Staufen-
berg, ein hochgelegener Ort mit ansehnlichen
Burgtrümmern, zwischen beit Bahnstationen
Lollar und Fronhausen, eine alte Ziegen-
hain'sche Besitzung, (s. Landau, Wüste Ort-
schaften , S. 192; ders., Hess.. Ritterburgen,
Bd. III, S. 187 flg);
4) im ehemaligen Königreich, der jetzigen Provinz
Hannover:
a. großer und kleiner Staufenberg, zwischen
Landwehrhagen und Lutternberg;
b. Staufenküppel bei Hannoverisch Münden;
5) im Herzogthum Braunschweig im Harze:
a. im Zorgethal, südlich von Zorge und
nördlich von Walkenried, mit seinem be-
rühmten Cisterzienserstifte: großer und
kleiner Staufenberg, auf letzterem die im
Jahr 1243 von dem Grafen von Hohnstein
erbaute und im Jahr 1253 wieder nieder-
gerissene Burg Staufenberg;
b. Staufenberg, nordwestlich von Blankenburg
über den Ziegenkopf hinaus;
6. Staufenburg bei Grund, vom Grasen von
Kätlenburg erbaut, dann im Besitze Kaiser
Lothar's III. (1130) und daraus der Welsen;
6) im Großherzogthum Baden im Schwarzwalde:
a. großer und kleiner Stauffen, ersterer auch
Merkuriusberg genannt, weil oben ein Votiv-
stein dieses Gottes gefunden, bei Baden-
Baden ;
b. Staufenberg, zwischen Appenweier und
Offenburg, auf welchem das wohlerhallene
großherzogliche Schloß Staufenberg, im
11. Jahrhundert von Otto von Hohen-
staufen, Bischof von Straßbnrg, erbaut;
c. Stausenburg, an dessen Fuß das Torf
Staufen, Sitz eines im Jahre 1602 aus-
gestorbenen Geschlechts, im Münsterthale;
7) im Königreiche Würtemberg in der schwä-
bischen Alp:
a. der Staufen oder Hohenstaufen, der
Rest der Stammburg des berühmten Kaiser-
hauses, am Fuße das Dorf Hohenstaufen,
nicht weit von Göppingen, die verlassene
und verfallene Burg im Bauernkrig (1525)
zerstört;
b. die Ruine Staufeneck, südlich davon;
8) im Königreich Baiern: Stauf oder Donau-
staus, unweit Regensburg, steiler Kalkfels mit
Trümmern eines von den Schweden im dreißig-
jährigen Kriege (1634) zerstörten Schlosses;
9) im Kaiserthum Oesterreich:
a. int Erzherzogthum Oesterreich: Staus,
Schloßruine bei Linz an der Donau;
b. int Salzkammergut:
aa. das Stauffengebirge, nördlich von
Reichenhall, mit beit Gipfeln: Zwiesel,
Hohe Stauffen (1813 m) und Stauffeneck,
worauf eine Burgruine gleichen Namens;
bb. die Stauffenwand bei Traunstein am
Traunsee.
Ob damit die Staufenberge u. s. w. erschöpft
sind, soll dahingestellt bleiben. Es dürfen aber
noch hierher gerechnet werden:
298
10) der Stubenberg (281 ni) im nordöstlichen
Harz über Gernrode im Fürstenthum Anhalt,
ein herrlicher Aussichtspunkt.
11) die Stubben kämm er (128 m) auf der
Nordostseite der Insel Rügen, eine unmittel-
bar aus der Ostsee steil aufsteigende, vielfach
zerklüftete Kreidewand.
Wie ist nun diese so häufig und in verschiedenen
Gegenden vorkommende Bezeichnilng zu deuten?
Früher liebte man eine Anlehnung all einen
der Götter Deutschlands und leitete Staufenberg,
insbesondere aber den Stubenberg im Harze, vom
Gotte Stusso ab, ähnlich wie mau anderwärts
Bilstein (oder Bielstein) und Bielshöhle mit einem
Gotte Biel in Verbindung brachte. In der an
Alterthümern so reichen Domkapelle der alten
Reichsstadt Goslar zeigt man auch zwei Stücke,
welche lange Zeit, das eine für ein Bild des
Götzen Stuffo, das andere für einen Altar des
Gottes Krodo erklärt wurden.
Jakob Grilnm in seiner deutschen Mythologie
(2. Ausg., Berlin 1875, Band I, S. 170 und
205), bemerkt, daß nach einer alten Sachsenchronik
Karl der Große im Jahre 780 auf der Hartes-
burg (Harzburg) einen Götzen Krodo niedergeworfen
habe, der dem römischen Gotte Saturn ähnlich
gesehen, daß sonst derselbe nirgends erwähnt werde.
Aus diesem Grunde ist die Ableitung der Stanfen-
berge von einem Gotte allgemein ausgegeben, z. B.
von unserem berühmten Literarhistoriker Vilmar
(vgl. dessen Abhandlung: Die Ortsnamen in Kur-
hessen in der Zeitschrift des Vereins für hessische
Geschichte und Landeskunde, alte Folge, Band I
lKassel 1837], S. 251: „Das Hirngespinnst
Stuffo ist mit seinen Verwandte!: Biel, Krodo,
Püstrich u. s. w. verschwunden.")
Eine andere Ableitung ist von Stufen, und
davon sind die gedachten Höhen als stufenförmig
aufsteigende zu deuten. Die zu Nr. 11 aufgeführte
Stubbenkammer wird als slavisches Wort bezeichnet,
zusammengesetzt aus Kopien (Stufen) und kamien
(Fels). Diese Ableitung paßt aber nicht auf ver-
schiedene der angegebenen Berge, welche nicht stufen-
förmig aufsteigen, sondern sich als Felsmassen
darstellen, wie z. B, der Hohenstaufen im Schwaben-
lande. Es muß deshalb der dritten Ableitung der
Vorzug gegeben werden, wonach das Wort Stauf
oder Stouf — lat. cautes oder rupes soviel wie
wie Fels bedeutet, also Staufenberg: Felsberg
(ei:: freilich ebenfalls viel vorkommender Name)
(vgl. Vilmar a. a. O., ders. Idiotikon von Kur-
hessen, beim Worte Stans lS. 396]; Arnold,
Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme,
S. 333, 342). Diese Deutung paßt zu den meisten
der ausgeführten Höhen und hat trotz dieser schein-
baren Allgemeinheit nichts Auffallendes, da sich in
der Bergbezeichnung so manche Namen unter ver-
schiedenen Verhältnissen und in verschiedenen
Gegenden wiederfinden. K. W.
Ein Nachhall aus hessischem Feld-
lagerleben. Da, wo die Mauern, welche das
Städtchen Homberg in zwei Stadttheile, die Ober-
stadt und die Unterstadt, theilt, durchbrochen ist,
befindet sich das „Neue Thor", welches bis in
die Neuzeit hin überbaut war. Hier führt der
Weg von der Ober- nach der Unterstadt, der so-
genannten Freiheit, steil ab. An dieser Stelle
fand in meiner Knabenzeit, — und heute wird
dasselbe wohl noch der Fall sein —, für gewöhnlich
das Schneebällen im Winter zwischen den Knaben
der Oberstadt, den „Knochenschneppern", und
denen der Freiheit, den „Kohlochsen", statt.
Eigentlich theilten sich die Knaben der Stadt in
drei große Gruppen, in die schon erwähnten
Knochenschnepper und Kohlochsen und als die
dritten im Bunde, in die „Berghasen" ans
dem am Schloßberg belegenen Stadttheil; doch
kamen die letzteren bei Aussechtung der Winter-
kriege weniger in Betracht. Ging bei dem Schnee-
bällen die eine oder andere Partei darauf los, so
geschah dies stets mit dem lauten Rufe: Allah!
zu! Tausendmal habe ich, als wilder Range, den
Ruf ausgestoßen, ohne mir dabei das Mindeste zu
denken. Einstmals aber vernahm ich aus dem
Munde eines greisen Präzeptors, der im groß-
elterlichen Hause Gast war, wie er bei dem Rufe
Allah! zu! zu meinem Großvater sagte: „Ge-
vatter, weißt Du, den Ruf haben unsere Alten
mit aus Ungarn gebracht und den Türken vor
Belgrad abgelernt. Es ist kaum glaublich, wie
sich so etwas bei dem Volke erhält." Abends
kam die Unterhaltung noch einmal ans den Ruf
zurück. Leider ist meinem Gedächtniß von den
Auseinandersetzungen des ehrwürdigen Herrn nichts
verblieben. Aber beim Draufgehen während des
nächsten Schneeballens habe ich mich als echter
Türke gefühlt und noch einmal so laut geschrieen:
„Allah! zu!" ±
Aus HoiiimNi und Fremde.
Am 20. Oktober, früh 7 */2 Uhr, wurde zu
Schloß Rumpenheim die Gemahlin des Prinzen
Friedrich Karl von Hessen, die Prinzessin
M a rg a r e t h e, jüngste Tochter derKaiserin Friedrich,
von einem äußerst kräftigen, gesunden Prinzen, dem
zweiten Sohn, glücklich entbunden. Der kleine Prinz
und seine hohe Mutter erfreuen sich besten Wohlseins.
299
Gebrüder Grim'm-Denkmal in Hanau.
Das große Comite für das Grimm-Denk-
mal war an: 29. Oktober Abends im oberen Rath-
haussaale zu einer Sitzung einberufen, um den
Bericht der Vertrauensmänner iiub des technischen
Ausschusses entgegenzunehmen imb über deren An-
träge Beschluß zu fassen. Tie zahlreich erschienenen
Comitämitglieder wurden von: Vorsitzenden, Herrn
Schuldirektor Junghenn, begrüßt, der für den regen
Besuch gebührend dankte und dann ausführte, daß
die Denkmalsangelegenheit einen erheblichen Schritt
näher gerückt sei. Das Hilssmodell des Herrn
Professors E b e r l e sei fertig und von den Vertrauens-
männern , den Herren Professoren H e r r tu a n n
Grimm, Ost er ding er und Schulz, geprüft ltitb
aus das Günstigste beurtheilt worden. Nachdem
hieraus Herr Maler Schulz das Gutachten der
Vertrauensmänner vorgetragen hatte, legte Herr
Justizrath Osius die in seiner letzten Sitzung
gefaßten Beschlüsse des technischen Ausschusses dar.
Der technische Ausschuß hat darnach beschlossen, dem
Comitö zu empfehlen, den Bronzeschmuck des Sockels,
Schild unb zwei Basreliefs an den Seiten in Beziehung
auf die wissenschaftliche und volksthümliche Thätigkeit
der beiden Brüder, sowie einen ent der Vorderseite
anzubringenden Schrift-Epitaph mit leichtem figür-
lichem Schmuck zu genehmigen und weiter auch die
von den Herren Vertrauensmännern vertretenen
Ansichtetr in Bezug aus die Platzsrage, daß das
Denkmal nicht aus die Mitte des Neustädter Markt-
platzes, sondern näher dem Rathhause aufgestellt
werden müßte. Der Herr Redner bringt eine
weitere Zustimmung des Herrn Professors Grimm zur
Kenntniß, der in einem Brief vom 16. Oktober d. I.
seine volle Uebereinstimmung mit dem zu erkennen
giebt, was in dem Gutachten der Vertrauensmänner
sowohl über des Modell, als über die zukünftige
Aufstellung der Stattte ausgesprochen worden ist.
Wie Herr Justizrath Osius weiter ausführte, ist
Herr Professor Eberle kontraktlich verpflichtet, das
Denkmal 9 Monate nach Abnahme dttrch die Ver-
trauensmänner, also am 1. Juli 1895, gußfertig
herzustellen, bei welcher Gelegenheit ihm eine Ab-
schlagszahlung von 29000 Mark zu leisten ist, nach
weiteren 6 Monaten, also am 1. Januar 1896,
aber fertig abzuliefern. Da man jedoch im Winter
nicht bauen kötme, so dürfte das Denkmal wohl
am 1. März 1896 fertig dastehen. Die technische
Abnahme habe nur durch die Vertrauensmänner
zu erfolgen. Aus die Geldfrage übergehend, wird
nach Aufstellungen des Herrn Schatzmeisters Limb ert
bis zu diesem Termine an Kapital und Zinsen,
den Kurswerth zutu heutigen Stand angenommen,
und nach Abrechnung oben erwähnter 29000 Mark
noch eilt disponibler Fonds von rund 62131 Mark
vorhanden sein. Es würden dann noch rund
5000 Mark einschließlich der Kosten für die Aus-
stellung fehlen, doch könne dieser verhältnißmäßig
kleine Fehlbetrag die Entschließungen für den
reicheren Sockel um so weniger beeinflussen, als
gegründete Aussicht vorhanden sei, daß derselbe
anderweit gedeckt werde. Das große Grimm-Comitä
beschloß nach diesen Ausführungen einstimmig, bett
Anträgen des technischen Ausschusses nnb der Ver-
trauensmänner zuzustimmen.
Universitätsnachrichten. Aus M arb ttrg,
5. November, schreibt man der „K. A. Ztg.": Heute
wurde in der Universitätsaula die Immatrikulation
der für das laufende Wintersemester neu inskribirten
Studirenden von dem Rektor, Herrn Professor
Dr. Theobald Fischer, vorgenommen. Im Gattzett
wurden 243 Studirende immatrikulirt. Davon
waren 28 Theologen, 82 Juristen, 64 Mediziner
ttttb 69 gehören zur philosophischen Fakultät. Es
wird also der Wahrscheinlichkeit nach, wenn auch
noch mit Genehmigung des Kurators einige Nach-
Jmmatrikulationeu erfolgen sollten, das jetzige
Semester eines der am schwächsten besttchtett der
letzten Jahre werden, da im letzten Sommersemester
365, im vorigen Winter 262 und im Sommer-
setuester 1893 424 Studirende nett immatrikulirt
wurden. — Von einer Berttfung des Professors
Dr. Behring an die Universität Marburg ist
zufolge der „O. Ztg." an zuständiger Stelle nichts
bekannt.
Professor Geheimrath I)r. Seelig (vergl. Hessen-
lund S. 247) in Kiel ist für das Jahr 1895
bis 1896 zum Universitätsrektor gewählt worden.
Eduard D u n k e r. Bor Kurzem verstarb zu
Halle a. S. in hohem Alter unser Landsmann
Bergrath Eduard D u n k e r, ein Vetter des am
13. März 1885 verstorbenen Marburger Professors
Geh. Bergraths Wilhelm Dunker. In dem Nachruf,
welchen Professor Dr. Kirchhofs in dem Verein für
Erdkunde zu Halte dem Verstorbenen widmete,
feierte er diesen als den bedeutendsten Forscher der
Gegenwart aus betn Gebiete der Flußgeologie. Er war
der Erste, der die unrichtige Theorie über die un-
gleichmäßige Abnagung der Flüsse auf andere Wir-
kuttgen zurückführte als aus die der Erdrotation. Dieses
bestrickendste aller Pseudogesetze aus der Wissenschaft
für immer ausgemerzt zu haben, ist das hohe
Verdienst des Verstorbetteu, das ihm für alle Zeiten
einen Namen in der wissenschaftlichen Welt sichertt
wird. Dunker war seit den 50er Jahren Mitglied
des Vereins für Naturkuttde zu Kassel und hat in
dessen Jahresberichten einige sehr interessante, natur-
300
wissenschaftliche Aufsätze publizirt, so noch in dem
1891er Bericht eine Abhandlung „über ein Vor-
kommen von Bergkrystallen in der Keuperformation"
(den sogen. Schaumburger Diamanten). A.
Am Sonntag, 11. November, ward in Kassel,
wie wir dem „K. T." entnehmen, der im 84. Lebens-
jahre nach kurzem Leiden aus dem Leben geschiedene
königliche Forstmeister a. D. Ludwig Wilhelm
Dehnerl zu Grabe getragen. Der Verstorbene
wurde am 27. Mai 1811 zu Röddenau im Kreise
Frankenberg geboren. Nachdem er die Forstlehr-
anstalt in Melsungen besucht hatte, trat Dehnert
am 1. Aprit 1830 als Jäger in das kurhessische
Jägerbataillon. Nach Absolvirung dieses Kursus
war derselbe von 1834 bis 1835 Forstgeometer,
dann Forstaccessist und vom Jahre 1848 bis
1861 Revierförster in Bieber, Kreis Hünfeld. Am
1. April 1861 wurde Dehnert zum Oberförster
und Forstinspektionsverweser zu Marburg ernannt
und am 20. Mai 1869 erfolgte seine Ernennung
zum Forstmeister und Mitglied der Königlichen
Regierung zu Kassel. In dieser Stellung verblieb
Dehnert bis zu seiner am 1. April 1887 erfolgten
Versetzung in den Ruhestand. 52 Jahre hat der
Verstorbene den: Staate treue Dienste geleistet und
sich um die Forstkultur in unserem Heimathlande
verdient gemacht.
Der Redaktion gingen zu:
Unter König Jörorne. Historische Erzählung
aus der Zeit vor den Freiheitskriegen. Von
H. Brand. 1. u. 2. Tausend. Berlin,
E. H. Moritz. 1895.
Blumen am Wege. Gesammelte Gedichte von
Hermann H a a s e, Marburg. Druck und
Verlag der Universitätsbuchdruckerei vou Joh.
Aug. Koch. 1894.
Besprechungen folgen in der nächsten Nummer.
Personalien.
Ernannt: Außerordentlicher Pfarrer Mainz zum
Pfarrvikar in Lischeid; Pfarramtskandidat Pöpplerzum
Gehilfen des Pfarrers Knierim in Grebenstein; Referendar
Otto Müller zum Gerichtsassessor; Rechtskandidat
Loof zum Referendar; die Gerichtsassessoren Baier zum
Amtsrichter bei dem Amtsgericht in Niederaula und
Riehl zum Amtsrichter bei dem Amtsgericht in Wolf-
hagen; der Hülfspfarrer Gerlach in Lischeid zum Ver-
weser der Pfarrei Pfieffe; der Pfarramtskandidat Eisen-
berg zum Predigergehilfen des Metropolitans Brauns
in Sontra; der Rechtskandidat Kuhlmey aus Hannover
zum Referendar bei dem Amtsgericht in Rinteln.
Verliehen r dem Pfarrer Fritsch in Unterreichen-
bach die Pfarrstelle in Fechenheim; dem Professor der
Medizin Dr. Ahlfeld in Marburg der Charakter als
Geheimer Medizinalrath; den Pfarrern Superintendenten
Pfei ffer in Meerholz die erste Pfarrstelle an der Johannis-
kirche in Hanau, Werner in Schweinsberg die Pfarstelle
in Cappel, Klasse Fronhausen.
Beauftragt: der Pfarrer Schäfer in Gelnhausen
mit Versetzung des Metropolitanats der Klasse gleichen
Namens.
Uebertragen : dem Postsekretär Ritter in Wolfen-
büttel die Vorsteherstelle des Postamts 11 in Treysa
(Bez. Kassel).
Ueberwiesen: der Regierungsassessor von Alten
der königlichen Regierung in Kassel zur dienstlichen
Verwendung.
Versetzt: der Gerichtsassessor Dr. Max Froh-
wann 1 in den Oberlandesgerichtsbezirk zu Breslau;
der Postmeister Jonas von Treysa (Bez. Kassel) nach
Werden (Ruhr); die Postdirektoren Gregor von Rüdes-
beim nach Schmalkalden und Schräder von da nach
Rüdesheim (Rhein).
Entlassen: der Referendar Freiherr Schenck zu
Schweinsberg aus dem Justizdienst behufs Uebertritt
zur allgemeinen Staatsverwaltung.
Geboren: Ein Sohn: dem Dr. Karl von Wild
und Frau Julie, geb. Meyer, iu Kassel; dem Regie-
rungsrath Besser und Frau Marie, geb. Landmann,
in Kassel; eine Tochter; dem Amtsrichter Baier und
Frau in Eschwege.
Verlobt: Frl. Emma' Geiringer mit Max-
Hahn (Wien); Frl. Anna Gerlach mit Pfarrer Karl
S u a b e d i s s e n (Nassenerfurth).
Gestorben: Alwine Wilhelmy, geb. Muths,
Präsidentenwittwe, 66 Jahre alt (Kassel, 26. Oktober);
Baurath Wilhelm Dißmann, 58 Jahre alt (Kehling-
hausen, 1. November); Frau Christine Dubuisson,
geb. Steinmetz, 72 Jahre alt (Kassel, 3. November);
Oberpostsekretür a. D. Karl Hitzero th (Kassel, 5. No-
vember); Regierungsrath Neubert (Kassel, 4. November);
Pauline Rohling, geb. Grimmel, Gattin des Re-
gimentsthierarztes a. D. L. Rohling (Kassel, 7. November):
Katharina Sperber, geb. Kroeschell, Lehrerswittwe
(Attendorf, 9. November); Forstmeister a. D. Wilhelm
Dehnert, 83 Jahre alt (Kassel, 9. November); Elisa-
beth Klug, geb. Bottenhorn, Nechnungsrathswittwe,
70 Jahre alt (Kassel, 9. November); Theodor Grebe,
29 Jahre alt (Kassel, 12. November); Kaspar Beyer
aus Frankenberg, 80 Jahre alt (17. Oktober in Newyork).
Hierdurch erlauben wir uns, an unsere ver-
ehrlichen Abonnenten die ergebene Bitte;n richten,
uns gütigst durch Uebermittelung von Adressen,
an welche Arovenummern unserer Zeitschrift
zu senderr wären, unterstützen zu wollen. Wir
sind gern bereit, hieraus erwachsende Auslagen
zu erstatten, sowie auch zum Zweck der Ver-
breitung als Probenmnmern eine Anzahl von
Exemplaren zur Verfügung zu stellen.
Redaktion und Mertag
des „Kessentand".
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.
Das „Hrlfrnland" erscheint am 1. und 15. jedes Monats 1 x/a bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste
Nr. 3031) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband gezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
An mein Zimmer.
LT^rautes Zimmer, so bescheideil,
Hast doch dieses mich gelehrt:
Daß, was Menschen nicht beneiden,
Einzig ihres Neides werth!
Von der Stadt nicht allzu ferne,
Doch in Gärten halb versteckt,
Blick' ich hier iil's Grüne gerne,
Das die Häusermasse deckt;
Und vom Lärm nicht mehr berühret,
preis' ich dankbar mein Geschick,
Das der Dichtung Reigen führet,
Sanft begleitet von Musik.
Schweigend grüßen mich die Wände,
Aaum gestreift vom Sonirenschein,
U)o sich Bände dicht an Bände,
Bilder sich an Bilder reih'n.
Und luich grüßen die Genosseir,
Eine liebe, stumme Schaar
Aus den Zeiten, die verflossen,
Als noch ringsum Frühling war.
Gleicht die Zugend nicht deur Walter,
Der auf Blumenau'n sich wiegt?
Endlich koinmt es doch, das Alter,
Und der holde Traum entfliegt.
Aber gute Mächte gönnen
Uns, wenn wir an sie geglaubt,
freunde, die ilicht sterben können,
Freuden, die kein Herbst entlaubt;
Gönnen uns am frohen Tage
Schaffend unsre Pflicht zu thun,
Und am Abend ohne Alage
Von der Arbeit auszuruh'n.
Julius Itodenöerg.
302
Auch eine Meise ins mittägige Frankreich
Vvn Otto Gcrland.
(Fortsetzung.)
„Schon am Tag unserer Ankunft war das
Haus mit Besuchen überlaufen, man hatte von
der Ankunft einer Deutschen gesprochen, nun war
sie da, man mußte sie sehen; hat sie wohl eine
menschliche Gestalt, wie ist ihr Aenßeres, wie ist
sie gekleidet ? Endlich geht's los. Ich hatte mich
keineswegs zurecht gemacht, als sie kamen, in
einem Zug drei Stunden lang am Vormittag,
man hatte gar keine Zeit, sich gewählt anzukleiden,
und ich hatte auch geglaubt, diesen Tag vom
Dekorationswechsel befreit zu sein. Im Reisekleid
empfing ich daher die Neugierigen, die, weil sie
wußten, daß wir von Paris gekommen waren,
die von mir mitgebrachten Hauben und Kleider
zu sehe» begehrten. Ich glaubte sie zufrieden
stellen zu müssen, man wünscht ja das Wohl-
wollen der Leute zu erwerbe», unter denen man
einige Zeit verweilen muß, namentlich, wenn es
nichts weiter kostet als ei» paar Koffer zu offnen.
Beim Anblick meines Mäntelchens schrieen sie
Alle laut ans, es wäre nicht lang genug, und
man trüge ein derartiges hier nicht. .Das kann
ja sein, aber das meinige ist zu Paris verfertigt,
und Paris giebt den Ton für die Provinzen an?
Diese kühl ausgesprochenen Worte machten dem
Aburtheilen ein Ende, und so wurden meine Hauben
und alles klebrige als geschmackvoll befunden. Ich
entnahm aus den Unterhaltungen mit diesen
Damen, daß man spielen müsse, um hier will-
kommen zu sein. Die Spielwuth hat alle Bewohner
Montaubans besessen, vor Allem die Frauen. Die
Einwohner zerfallen hier in drei Klassen. Die
erste umfaßt die feinste Gesellschaft, daH sind die
von ihrer Abstammung her vornehmen Familien
wie Marquis, Grafen, die Beamten, die Bürger-
lichen, welche durch ihre Stellung als Sekretäre
des Königs oder Schatzmeister von Frankreich
hervorragen, diejenigen, welche von ihrem Ver-
mögen leben, und die Abbes, die sich überall
hinzudrängen; diese verschiedenen Stünde ver-
kehren mit einander, das Spiel vollendet ihre
Verbindung. Dieser Klasse gesellen sich noch die
Großkaufleute zu, die aber darin doch immer
eine eigene Gesellschaft gegenüber den so viel
ivie möglich unter sich zusammenhaltenden Beamten
bilden. Die zweite Klasse besteht aus den übrigen
Geschäftsleuten, die eine Gesellschaft für sich
bilden und niemals in der großen Welt, wie
man hier sagt, sind, obgleich sie wohl in der
Lage wären, die entsprechenden Ausgaben zu be-
streiten, und sie auch wirklich machen. Denn sie
besitzen besser eingerichtete Häuser und moderner
und besser gebaute Landhäuser als die Glieder
der ersten Klasse, haben Wagen und Pferde,
Schmucksachen u. dgl. Endlich kommt die große
Menge der Handwerker, so zahlreich, daß man
ans 4000 Einwohner 3800 vvn ihnen rechnet.
Man könnte dreist noch eine vierte Klasse aus
den Bettlern und Nichtsthuern beiderlei Geschlechts
bilden, von denen alle Spaziergänge und Straßen
voll sind, und die die Häuser zu allen Tages-
zeiten belagern; das hat man aber bis jetzt noch
nicht gethan. Die große Welt versammelt sich
viermal in der Woche bei einer Frau De la
Mothe, welche spielen läßt und ans den Ein-
künften des Spieltisches ein großes Vermögen
gesammelt hat, das sich täglich noch vermehrt.
Die Zusammenkünfte nennt man Sümpfe (marais).
Die Geschäftsleute haben auch einen derartigen
Versammlungsort, den man Ellensumpf (marais
de Tanne) nennt. Es giebt noch zwei solche Spiel-
stätten für die große Welt, die man Sümpfchen
(marillons) nennt, weil sie nicht so zahlreich wie
die erstgenannten sind; den einen unterhält eine
Frau Cadas, den andern unterhält eine Frau
de Genibrall. Man beschuldigt die hiesigen
Damen, beim Spiel etwas spitzbübisch zu sein.
Man hat nicht geruht, bis ich in der großen
Welt eingeführt war, da ich mich aber nicht
leicht ergebe, so wollte ich erst die Personen kennen
lernen, ehe ich eine Art von Verbindung einging;
was ich aber von den meisten dieser Damen
kennen gelernt habe, hat mich bis in's Innerste
von ihrer Gesellschaft abgeschreckt. Es ist eine
Kleinigkeit für eine Frau der großen Welt, fünf
oder sechs Männer auf ihrer Rechnung zu haben,
eine Frau mit nur einem „Sigisbee" ist sehr
bescheiden, auch übt sich die Feder der Männer
darin, eine solche in Spottliedern, anonymen
Briefen und satyrischen Versen zu kritisiren.
Die Fremden haben den Vorzug, vvn den Anek-
doten der Stadt besser unterrichtet zu sein, so
weiß ich, Gott sei Dank, alle Skandalgeschichten
vvn ganz Montauban auswendig. Man urteile,
ob ich bei einer solchen Erkenntniß und bei meiner
Abneigung gegen das Spiel wohl versucht war,
die große Welt zu sehen, wo man nur wohl
aufgenommen ist unter dem Schutz eines Whist
oder eines Reversis, Brelan, Piquet oder ans
Duldung einer Partie Schach. Unter Führung
303
der Frau von Genibrall trat ich in die große
Welt ein. Ich unterrichtete mich bei verschiedenen
Personen, was meine Führerin für eine Frau
sei, man erwiderte mir, daß sie in ihren guten
Tagen galant gewesen sei, daß sie aber seit 15
oder 16 Jahren nichts mehr auf ihrem Kerbholz
habe, daß unter ihren fünf oder sechs Kindern
nicht zwei denselben Vater hätten, und was weiß
ich noch Alles. Ich weiß zu viel von dieser und
von vielen Andern, um meine alterthümlichen
Vorurtheile schweigen zu lassen, und bleibe lieber
zu Haus, als daß ich in schlechter Gesellschaft
bin. Gott behüte mich, daß ich allgemein den
Lebenswandel aller Frauen der großen Welt für
schlecht erkläre, es giebt darunter sehr viele achtungs-
werthe, ich habe drei oder vier davon besucht, lind
das genügt mir, denn ich will nicht alle Tage,
wie man es hier thut, vier bis fünf Besuche
machen und dann in den Sumpf gehen, von
dem sich die Spielerinnen schwer abhalten lassen.
Einige von ihnen halten sich Portechaisen, in
denen die Hühner oft genistet haben, ohne daß
sie gereinigt sind, und nehmen sich Träger dazu, von
denen etwa der Eine eine rothe, der Andere eine braune
Jackb oder auch einen leinenen Kittel hat. Diese
Träger werden für drei Monate zu einem sehr
billigen Lohn angenommen, weil sie drei oder
vier Personen zugleich bedienen. Miethträger
kennt man hier nicht. Man kleidet sich hier sehr
gut; während der Art von Winter, die es hier
giebt, sieht man Damenkleider nur von der schönsten
und glänzendsten Seite, Männeranzüge nur von
Sammet in allen Farben, goldbetreßt oder ein-
fach. Die Männer der ersten Gesellschaftsklasse
unterscheiden sich von den Geschäftsleuten nur
dadurch, daß sie Degen tragen; denn dies ist
den letzteren nicht erlaubt. Die Damen lassen
sich alle Tage frisire». Zeitungen zu lesen ist
hier unmöglich, einige Vornehme lassen zwar
solche kommen, aber diese kennen wir nicht. Es
giebt auch eine Dame, zu der man geht, um sie
zu lesen, da muß inan sich aber mit 60 bis 80
Schlingeln zusammenfinden, von denen die Einen
singen, die Andern schwätzen, das paßt nicht Jedem.
Am 19. Dezember waren wir zuerst seit unserer
Ankunft zum Gottesdienst, ü t'asZsnidleo pastorako,
wie man hier sagt. Daß wir so lange zögerten
hinzugehen, kam daher, daß die Geistlichen seit
Michaelis mit den Visitationen und dem Alls-
theilen des Abendmahls in den Dörfern und
Flecken der Umgegend beschäftigt waren, sie waren
also währenddem nicht hier und vernachlässigten
den hiesigen Gottesdienst. Daraus kann man
entnehmen, ob die Bewohner dieser Stadt von
Eifer für das Haus Gottes verzehrt werden.
Diese Versammlung wird in einer Kapelle am
äußersten Ende der Vorstadt abgehalten. Solche
Versammlungsorte giebt es in allen Vorstädten,
der, wo wir waren, vertritt die Stelle der Pfarr-
kirche. Wir traten in ein kleines Häuschen mit
einer engen und niedrigen Thür; ein langer,
enger und dunkler Gang führte uns auf einen
Theil des Hofes, ivv ein Schlippen gebaut ist,
der Sonntags als Tempel lind außerdem gelegent-
lich den Händlern mit Geflügel, Taubeil l>. dgl.
zum Lagerraum dient. Dies Gebällde von etwa
150 Fllß Länge lind 30 Fllß Breite war schon
sehr voll Menschen, meist kleinen Leuten und
wenigen von höherem Stand, lvelche meist Fremde
waren. Wir erhielten Platz in dem recht engen
Parket, bem einzigen Platz, wo man noch zwei
Stühle hinsetzen konnte, ich befaild mich am Fllß
des Predigtstuhls, der etwa 4 Fuß über dem
Fußboden war. Es war 1 llhr Nachmittags,
seit Mittag waren die meisten Plätze besetzt, und
es kamen jeden Augenblick noch inehr Leute.
Ich war entrüstet über das wenige Zartgefühl
welches hier herrschte, inan schwätzte ganz laut trotz
der Rügen von zwei oder drei Kirchenältesten.
(Fortsetzung folgt.)
------—i'N'i-»----
Fünfzig Haussprüche ms der Umgegend Marburgs.
Von Dr. Paul Wigand.
A. Leöeirsiveisijeit und Levensregetn.
1. Wo Liebe, Friede, Einigkeit regieret,
Ta ist das ganze Halls gezieret.
Münchhausen.
2. Tie Mänller, die das Feld beban'n
Und alle Welt ernähren,
Tel! wackern Männern soll man trau'll
Und halten hoch in Ehren.
Fangenstein.
304
3. Die Leute sprechen immer:
Die Zeiten werden schlimmer.
Die Zeiten bleiben immer.
Die Leute werden schlimmer.
Hachborn.
4. Genieße, was Dir Gott beschieden.
Entbehre gern, was Du nicht hast.
Ein jeder Stand hat feinen Frieden,
Ein jeder Staub i)at seine Last.
Wehrda.
r>. Betrachte nicht mich und die Meinen,
Betrachte nur Dich und die Deinen.
Wenn Du Dich und die Deinen betrachtest.
So wirst Du mich nnb die Meinen nicht verachten.
Uennertehausen.
6. Ich gieng wohl durch ein fremdes Land,
Da stand geschrieben an der Wand:
Nur still nnb verschwiegen.
Was nicht Dein ist, das laß liegen.
Langcnstein.
7. So nuc die liebe Sonne eine Zierde am
Himmel ist.
So ist ein tugendsam Weib die Zierde in
ihrem Hanse.
Daumbach.
8. Wir haben einen Gott und Herrn,
Sind eines Leibes Glieder,
Drum diene Deinem Nächsten gern;
Denn wir sind alle Bruder.
Gott schafft die Welt nicht nnr für mich.
Mein Nächster ist Sein Kind wie ich.
Warrenbach.
9. Ein Stand, ohne beit (?) Gefahr
Ist ein guter Ruhm, der wahr ist.
Ein Trunk, der frisch und gesund ist,
Ein Essen, das gut gekocht ist.
Und ein schönes Mädchen, das über 18 Jahr ist
Und von guter Hahr (?) ist.
Und wenn das Alter da ist.
So ist's ein Glück, das rar ist.
Marxenbach.
10. Ta es mir wohl gieng auf Erden,
Da wollt' ein jeder mein Freund werden.
Da ich aber kam in Noth,
Da waren alle meine Freunde todt.
Niederwalgern.
11. Wenn einer hätt die ganze Welt,
Silber und Gold und alles Geld
Und auch die Seligkeit dabei.
So weiß ich doch, was besser sei.
Uiederweimar.
12. Blumen malen ist gemein.
Den Geruch geben kann Gott allein.
13. Leute, die sich Freunde nennen.
Die mtlß man erst recht lernen kennen,
Mancher rühmet seine Treu,
Herz und Mund sind zweierlei.
Uiederweimar.
14. Es blühen Rosen und Nelken
Und auch Bergißmeinnicht,
Nun aber sie verwelken.
Aber wahre Freundschaft nicht.
Schiffelbach.
15. Der versäumt die Frucht der Erde
Und versäumt die Erntezeit,
Der wird bald zum Bettler werden
Und wird träge Mäßigkeit.
Moischeid.
16. Wenn mich Gott segnet mit einem Pflug,
Dann bin ich reich und hab' genug.
Üiederbleitt.
B. Wivekworte.
17. Rufe mich an in der Noth^ so will ich Dich
erretten, und Du sollst inich preisen.
Moischeid.
18. Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser,
aber der Mutter Fluch reißet sie nieder.
Moischeid.
19. Custodi me ad pupillam oculi. in umbra
alarum tuarum absconde me.
Marburg.
C. Man Gottes Schuh und Segen.
20. Des Morgens, wenn der Tag anbricht.
Zu Gott ich mein Gebet verricht.
Dann spann' ich meine Pferde an
Und fahre wie ein Ackersmann.
Homberg.
21. Mein Heiland meint es immer gut.
Wenn mir das Kreuz auch wehe tut,
Will er ja doch mein Bestes nur.
Daß ich soll folgen Seiner Spur.
Marxenbach.
22. Muß ick heiße Thränen weinen.
Will der Schmerz zu groß mir scheinen.
Bleibst Du mir mein Glaubenslicht,
Schadet mir das Leiden nicht.
Marxenbach.
23. Gebet und Arbeit bringen Segen
Und müssen stets beisammen stehn.
Sei stets bei mir auf allen Wegen,
Laß mich in Gottes Namen gehn.
Mein Auge heb' ich ans zu Dir,
Wirf einen Blick herab zu mir.
Wohra.
Warxenbach.
305
24. Der fromme Landmanll bringt Dir Dank
Für Deinen milden Segen.
Wir gehn mit frohem Lobgesang
Der Ewigkeit entgegen.
Wir stimmen in ein Lied mit ein
Und wollen Dir, HErr, dankbar sein
Für so viel reiche Gaben.
Sterzhausen.
25. Früh und spät sei Deine Gnade wach.
Segne Alles unter diesem kleinen Dach.
Mederweimar.
26. Was uns Gott der HErr bescheert
Aus der lieben Erde,
Das soll in diese Scheuer
Hineingesammelt werden.
Schiffelbach.
27. Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut
Im Himmel und auf Erden,
Wer sich verläßt aus Jesum Christ,
Dem muß der Himmel werden.
Moischeid.
28. Wenn Menschengunst will schaden
Und Gott will, kann mir's wohlgerathen.
Errdorf.
29. Vor Regen und Schnee,
Vor Hitze und Kält',
Schütz' mich, mein Herr,
Auf dieser Welt.
Unterweid.
I). Von des menschlichen Levens Ver-
gänglichkeit und dem ewigen Leben.
30. Hier will ich noch eine kleine Zeit warten.
Bis mir Gott schenkt die Himmelskrone.
Münchhausen.
31. Dies Haus ist mein und doch nicht mein,
Er zog aus, ich ein.
Wer nach mir kommt, wird's auch so sein.
Schiffelbach.
32. Alle Schönheit geht in's Grab,
Und die Bliunen fallen ab.
Schiffelbach.
E. Grüße an die Leser und gute Arerinde.
33. Man schaut mich an und thut mich lesen,
Ein altes Haus bin ich gewesen.
Man hat mich aber recht bedacht
Und hat mich wieder neugemacht.
Totenhausen.
34. Alle, die mich kennen
Und meinen Namen nennen.
Denen gebe Gott, was sie mir gönnen.
Münchhausen.
35. 3 4 3 versprecht ich Dir,
3 4 3 das Herz in mir.
Nimm wohl in Acht,
Nimm wohl in Acht,
Was Dir und mir Vergnügen macht.
Hauptschwenda.
36. Gott, seg'ne dieses Haus und einen jeden Stand,
Dell Bürger in der Stadt, den Bauer ans
den: Land,
Gieb Segen unb Gedeihen für ein jedes Wesen,
Besonders noch für den, der diesen Spruch
thut lesen.
Märzen bach.
37. Ich habe es gemacht nach meinem Sinn,
Mein Freund, schau' an und gehe hin,
Wenn Dir das nicht gefüllt,
So laß Dir's besser machen für Dein Geld.
Hachborn.
38. Fax intrantibus, salus exeuntibus.
Marburg.
F. Gegen Spötter- Neider und tatsche
Arennde.
39. Ich achte meinen Hasser
Gleichwie das Regenwasser,
Das von dem Dache herabfließt,
Weil Gott mein Helfer ist.
Toten hausen.
40. Es wird kein-Ding so schön gemacht.
Es kommt ein Paar, das es tadelt und belacht.
Aber es tadeln und zu belachen
Und es dann nicht besser machen,
Das sind gar schlechte Sachen.
Marzenbach.
41. Nun Ihr Spötter geht vorbei
Und laßt Eiler Nichten bleiben,
Ihr werdet mich doch nicht
Von diesem Platz vertreiben.
Es wolle Gottes Hand
In Gnaden mich beschützen.
Marzenbarh.
42. Das Glück hat viel Neider,
Gott hilft doch immer weiter.
Sind der Neider noch so viel,
Gott macht's doch immer, wie er will.
Ui oder wrimar.
43. Ich frage nichts nach falschen Leuten,
Ulld wenn mein Herz aus allell ©eiten
Von Feinden ganz umgeben ist.
So will ich mich nicht d'rüber kränken;
Sonderll wie Goldschmidts Jungen denken.
Uiederweimar.
306
G. «Humoristisches.
44. Wenn der Lenz die Blumen bringt
Und die Nachtigallen singt.
Und die Welt und Felder lachen
Und die Vögel Hochzeit machen.
Mürlenbach.
45. Als ich tu dieses Haus 'nein kam,
Uebernahnr mich großes Wunder.
Denn als ich Alles in's Auge nahm,
Da war auch nichts darunter,
Das nicht entzwei, zerrissen war
Hub auch beschmutzt ja ganz ltnb gar,
Daß Gott soll sich's erbarmen.
Sterztzausen.
46. Wenn ich wüßte aller Menschen Gedanken
Und könnte heilen alle Kranken,
Aus alten ßeitteu junge machen.
So wollt' ich die ganze Welt auslachen.
Nie-rrrvrimar.
47. Ein Felsenkeller zeigt uns an,
Wo früher hier ein Kloster stand.
Ihr Wanderer, kommt All' herein,'
Hier giebts 'neu guten Schoppen Wein.
Hachborn.
48. Es war ein Weib, eine schöne Figur,
Sie heirathete, ehe sie war alt, eine Uhr,
Sie gebar, ehe sie war alt ein Jahr,
Und starb, ehe sie geboren war.
Wohra.
49. Schuhmacher braucht man überall
Vom Bettler bis gum Edelmann,
D'rum wer nicht barfuß laufen kann.
Der muß sich bei uns melden all.
Ein Jeder fühlt sich schon beglückt.
Wenn ihn der Schuh so hart nicht drückt.
Schiffelbach.
50. Wenn es wäre Landessitte,
Daß man der H . . . die Nase abschnitte.
Dann würde gewißlich mancher Mann
Seine Frau ohne Nase han.
Schiffelbach.
-------d-<£3>-c-----
Doktor Wehn.
Erzählung von D. John.
fl er alte Oberst schlug mit der flachen Hand
e auf den Tisch, daß Teller und Gläser, die
Cy von dem eben gehaltenen Abendessen noch
dastanden, klirrten lind schüttelten und ein Messer-
block sich überschlagend in das Zimmer flog.
„Und das sag' ich Dir, Mädel, wenn Du Dir
den Gedanken an den Doktor ilicht aus deni
Kopfe schlägst, sind wir geschiedene Leute. Du
weißt, ich scherze nicht. Entweder Du giebst dem
Menschen den Abschied — oder ich — verstoße
Dich, enterbe Dich."
Letztere fürchterliche Drohung, die der Oberst
v. Reinig mit einiger Vorliebe gegen sein Töchter-
lein auszustoßen pflegte, wenn dasselbe einmal
widerspenstig war, war im Grunde genommen
doch recht harmlos, denn der Himmel hatte den
biedern Kriegsmann nur in sehr bescheidenem
Maße mit irdischen Gütern gesegnet. Doch der
gewaltige Ernst, mit dem der alte Herr sic ans-
sprach, verfehlte gewöhnlich seine Wirkung nicht
ans Luise, der bei solchen harten Worten die
schrecklichsten Zukunftsbilder sich zu enthüllen
pflegten. Heute aber blieb die Wirkung aus:
das Mädchen stand ruhig, selbstbewußt und in
straffer Haltung da.
Die Mutter klapperte in der Osenecke des alt-
modischen, aber recht wohnlichen Zimmers mit
den Stricknadeln, das Auge unverwandt auf Luise
geheftet. Sv hatte sie das Mädchen noch nie ge-
sehen. Welche Entschiedenheit des Ausdrucks und
der Bewegung bei ihr, die sonst so stille, fast
zaghaft war! Das Mutterauge sieht scharf, und
es fand hier richtig heraus, daß die Liebe diese
Veränderung hervorgebracht habe. — „Was hast
Du zu antworten, Luise?" sagte der Oberst, die
eisengrauen Brauen zusammenziehend. Das
Mädchen wartete noch einen Augenblick, ehe cs
antwortete: „Ich kann nicht, Vater. Verlange
das nicht! Alles, nur Das nicht." — „Gerade
Das verlange ich!" rief der Oberst, der sich
mittlerweile seine Meerschaumpfeife angezündet
und in dem alten Lehnstuhle Platz genommen
hatte. — „Ich will — ich verspreche Dir, ach
Vater —"
Luise wurde bewegt und wollte sich dem alten
Herrn nähern, aber er stieß sie rauh zurück.
„Dummes Zeilg! Heulereien! Damit wollt Ihr
Weiber Euch immer im entscheidenden Augenblick
salviren. Aber ich falle ans den Schwindel nicht
herein!" Er brummte, aufstehend und das
Zimmer durchschreitend, noch weitere wenig
schmeichelhafte Bemerkungen über das andere Ge-
schlecht in den Bart.
Luise hatte die weiche Stimmung, die sie eben
307
beschliche», gewaltsam zurückgedrängt und sah säst
trotzig drein. Ihre grauen Augen blickten gerade
so fest und furchtlos wie diejenigen des Herrn
Papa, als sie sagte: „Ich heule Dir nichts vor
und will mich nicht salviren, Vater. Aber ich liebe
den Doktor Wehn und werde nicht von ihm lassen."
Der Alte schien nicht recht zu wissen, was er
auf diese Bemerkung zu erwidern hatte. Sollte
er das Töchterchen wegen der unerhörten Insub-
ordination beim Kragen nehmen und einsperren?
Oder sollte er die ganze Geschichte nicht vielmehr
ungeheuer lächerlich finden? Das Letztere schien
ihm schließlich das Gerathenste, und er schlug eine
Helle Lache auf. „Sie liebt! Hörst Du's, Alte?
Sie liebt." lind da die Frau Oberst nur durch
ein verstärktes Klappern der Stricknadeln antwortete,
fuhr er in seiner bärbeißigen Ironie fort: „Das
Jüngferchen liebt! Ist noch nicht hinter den
Ohren trocken, fängt aber schon ein Verhältniß
mit einem Herrn Doktor Wehn au. Die göttliche
Liebe! Der Vater ist natürlich ein Barbar, weil
er die zarten Gefühle des Töchterchens nicht zu
würdigen weiß, ein Menschenschinder, ein Calignla,
ein Buschiri — nicht wahr? Aber" — und jetzt
fiel der Oberst wieder in den früheren Zorn —
„meine Geduld ist zu Eude! Ich dulde die Wirth-
schaft nicht uud werde Dich zu Vernunft und
Mores mit Gewalt zwingen, wenn's nöthig!"
Luise antwortete nichts. Sie nahm einen Theil
der auf dem Tische stehenden Eßgeräthe an sich
und verließ das Zimmer. Ihr Antlitz war ruhig,
wenn auch von leichter Blässe überzogen, und
nur das Wogen ihres hochgewölbten Busens ver-
rieth ihre innere Erregung.
Frau Oberst v. Reinig hatte in die erregte
Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter
trotz der an sie ergangenen Aufforderung aus
zwei Gründen nicht eingegriffen; einmal, weil
der Gemahl sie mit „Alte" angeredet hatte, was
sie als durchaus taktlos ansah, zweitens aber,
weil sie in der peinlichen Angelegenheit sich eine
eigene Meinung eigentlich noch nicht gebildet hatte.
Sie stammte aus einer verarmten gräflichen
Familie und besaß eine gute Summe Adelsstolzes;
doch war sie zu einsichtig, um nicht zu wissen,
daß sie und ihr Gatte thöricht handeln würden,
wollten sie die Bewerbung eines tüchtigen und
ehrenhaften Mannes wie des Doktor Wehn zurück-
weisen. Wenn sic daher die Gründe für und
wider diese Heirath abwog, war sie geneigt, den
ersteren eine stärkere Bedeutung zu geben. Allein
die Heftigkeit ihres Gatten kennend, hatte sie be-
schlossen, vorläufig sich von jeder Einmischung
fernzuhalten, um für gelegenere Zeit ihren ver-
söhnenden Einstliß geltend zu machen.
Am andern Vormittag ging der Oberst im
Wohnzimmer auf und ab. Er hatte Kopfweh,
Fieber und Schnupfen, litt an Appetitlosigkeit,
kurz, er fühlte sich recht unwohl. Anfangs meinte
er, daß die Aufregung über das „gottlose
Mädchen" ihm geschadet habe, aber er sah bald
ein, daß hier thatsächlich ein körperliches Uebel-
befinden vorhanden war. Er öffnete die Thür
zum Zimmer seiner Frau. „Margaretha!" Ein
leises Stöhnen war die Antwort. „Margaretha!"
Wieder ein Stöhnen. „Fehlt Dir etwas, Mar-
garetha!" — „O," seufzte die Gattin, „ich habe
schlimmes Kopfweh!" — „Das habe ich auch",
knurrte der Oberst. — „Und Fieber und Schüttel-
frost." — „Stimmt." — „Und Schnupfen."
— „Wie bei mir. Was soll Das heißen?" —
„Und Gliederschmerzen." — „Ganz mein Fall!
Margaretha, ich glaube, —" — „Was meinst
Du?" — wir sind — vergiftet!"
Die arme Frau Oberst vermochte nur durch
ein wiederholtes Stöhnen zu antworten. „Halt,
ich hab's!" rief der Oberst. „Ich weiß es! O,
die Schwämme von gestern, diese verfluchten
Schwämme!"
Das war richtig, wie der Frau Oberst mit
Schrecken einfiel. Sie hatte die getrockneten
Schwämme zwar sorgfältig durchgemustert, aber
eine absolute Sicherheit der Uugefährlichkeit ist
eben bei getrockneten Pilzen nicht zu konstatiren.
„Ich habe es ja immer gesagt, daß Ihr mit deu
I verfluchten Schwämmen noch ein Unglück an-
richtet", sagte der Oberst. Die Pilze waren
nämlich seine Lieblingsspeise, und er hatte gestern
Abend gewiß drei Viertel derselben verzehrt.
Indem trat Luise in das Wohnzimmer. Ihr
Gesicht war blaß, sie war offenbar nicht wohl.
„Papa, ich bitte, mich heute von Essen dispensiren
zu wollen, mir ist nicht gut, ich — ich muß zu
Bette." — „Hörst Du's, Alte," schrie der Oberst,
„hörst Du's? Nicht wahr, Kopfweh, Mädel?"
! fragte er eifrig, und als sie bejahte, fuhr er fort:
i „Und Fieber? Und Gliederschmerzen? Und
Schnupfen?" — „Ja, ja, ja!"
Beinahe triumphircnd schrie der Vater in das
i Wohnzimmer: „Wir sind wahrhaftig vergiftet,
j Margarethe." — „Vergiftet?" rief erschrocken das
! Mädchen. — „Ja, Deine Mutter und ich sind
! unter denselben Symptomen erkrankt wie Du." -
I „Papa, ich glaube uicht daran, ich glaube es
I gewiß nicht, Weißt Du was uns fehlt? Wir
! haben die Influenza. Tn liest ja doch jeden
! Tag in den Zeitungen, welche Fortschritte sie
macht. Gerade so tritt sie ans wie hier." -
j „Dummes Zeug!" brauste der alte Herr auf.
I „Influenza! Das ist so ein Schwindel, den haben
308
die Zeitungsschreiber ausgeheckt, die iu der stillen
Zeit zwischen den Jahren keinen sonstigen Stoss
haben!" — „Und doch, es ist die Influenza,
ganz sicher, ich weist es!" beharrte das Mädchen.
— „Grünschnabel! Wenn ich, Dein Vater, Dir
sage, es ist keine Influenza, so hast Du nicht zu
widersprechen." — „Trotzdem sag' ich es, Papa,
denn ich weist es von Jemandem, der das doch
besser beurtheilen kann, als selbst Du —" -
„Nun und von wem?" — „Von einem Arzte.
Ach!"
Das arme Kind hatte sich verplappert. Der
einzige Arzt auf mehrere Stunden im Umkreis
war Doktor Wehn. „Natürlich! Von dem Doktor
Wehn!" schrie der Oberst wüthend, obgleich er
im Grunde recht froh war, das; seine Befürchtungen
wegen der Pilze grundlos waren. „Der Herr
Doktor denkt wohl, mit Hilfe der Influenza sich
hier einzunisten, he? Daraus wird nichts. Nicht
über die Schwelle kommt er mir." Der alte
Herr hatte sich in Wuth geredet und that einen
gräßlichen Schwur, das er den Doktor nicht gegen
die Influenza holen werde.
Indeß, die Verhältnisse erwiesen sich in diesem
Falle stärker als der menschliche Wille. Am
nächsten Tage waren Vater, Mutter und Tochter
nicht nur erheblich kränker geworden, sondern auch
das Dienstpersonal, bestehend in dem alten, steifen
Johann und der gleichfalls nicht mehr jugendlichen
Babette, war von der tückischen Krankheit befallen
worden. Das Reinig'sche Haus glich einem
Lazareth. Im Schlafzimmer lag die Frau -Oberst
im heftigen Fieber, im Eßzimmer hatte sich Luise
auf den alten Divan gelegt, im Wohnzimmer
fast brummend der Alte im Lehnstuhl. In der
Küche hustete Babette, und Johann, der die
Influenza durch reichlichen Alkoholgenuß zu
bändigen trachtete, hockte halb berauscht in seinem
ebenerdig gelegenen Stübchen. Sv ergab cs sich
denn schließlich von selbst, daß Doktor Wehn
geholt werden mußte, um nach dem Rechten zu
sehen. Die Frau Oberst bestand ganz entschieden
darauf, und da der alte Herr sich tenfelsmästig
schlecht fühlte, war er trotz seiner Einwendungen,
Flüche und Redensarten herzlich froh, als man
ihm die Einwilligung abgerungen hatte.
Daß Doktor Wehn sich beeilte, born Rufe
Folge zu leisten, ist nicht verwunderlich. Ain
folgenden Morgen erschien er in aller Frühe.
Der Herr Oberst, mit dem er sich zuerst beschäftigte,
hielt es für angemessen, dem jungen Arzte gleich
den Standpunkt klar 51t machen. „Herr Doktor,
Sie sollen uns von der niederträchtigen Influenza
befreien. Weiter nichts. Ich erwarte, daß sich
allein darauf Ihre Thätigkeit in diesem Hanse
beschränkt." Dabei hatte der alte Soldat beit
jungen Mann mit einem energischen Blicke an-
gesehen.
Aber der Doktor liest sich nicht einschüchtern.
Ein spöttisches Lächeln flog um seinen Mund,
Ohne ein Wort direkt zu erwidern, erfaßte er die
Hand des Obersten, fühlte ihm den Puls und
sagte dann mit scharfer Betonung: „Wie ich
sofort bemerkt habe, Herr Oberst, haben sie starkes
Fieber. Sie müssen augenblicklich in's Bett."
Der Oberst brummte etwas Unverständliches in
den Bart; der Hieb hatte gesessen.
Doktor Wehn begab sich darauf zu der Frau
Oberst und zuletzt zu Luise. Luise hatte sich er-
hoben und ging ihm entgegen, beide Hände ihm
entgegenstreckend. Der Doktor zog das Mädchen
an sich und küßte es. „Armes Kind! Du bist
auch krank!" — „Ach Heinrich," sagte Luise,
„das ist das Wenigste, Schlimmeres ist passirt." —
„Erschrecke mich nicht, Luise!" — „Höre, Liebster!"
Und sie erzählte die heftigen Auftritte, die sie
mit dem Vater gehabt; sie zweifele, — so schloß
sie —, daß dieser jemals seine Zustimmung geben
werde. — „Nur nicht verzagt, mein Lieb," sagte
der junge Arzt tröstend. „Wir wollen den Kampf
für unser Glück muthig durchkämpfen und wir
werden siegen." — „Glaubst Du es, Heinrich?"
fragte Luise. Sie sah ihn mit Augen an, die
selbst glaubten.
Schon am Abend desselben Tages erschien
Doktor Wehn wieder. Und so jeden Tag. Der
Oberst hätte lügen müssen, wenn er hätte sagen
wollen, daß ihm das unangenehm sei. Nein, er
hatte den Doktor bald recht gern. Der erzählte
die prächtigsten Anekdoten, und, — was mehr
war —, er hörte verstündnißvvll zu, wenn der
Oberst erzählte. Er gestattete dem Patienten,
sein Pfeifchen zu rauchen und sein Glas Bier zu
trinken, kurz, er erwies sich als ein durchaus ver-
nünftiger Mensch. Die Frau Oberst schwärmte
in aller Kürze für Doktor Wehn, der nicht nur
als sorgsamer und gewissenhafter Arzt sich zeigte,
sondern auch als ein hochgebildeter und gemüth-
vvller Mann. Sie hatte sich vorher schon mit
dem Gedanken vertraut gemacht, in Doktor Wehn
ihren zukünftigen Schwiegersohn zu erblicken, und
jetzt, wo der Doktor täglich um sie war, war sie
völlig mit Luise einverstanden. —
Acht Tage sind verflossen seit jenem Abend,
an welchem der Oberst sein Töchterchen zu enterben
gedroht. Tie Influenza ist im Weichen begriffen.
Der Alte ist fast ganz wohl, Luise desgleichen.
Nur die Frau Oberst leidet noch, hauptsächlich
an Gliederschmerzen, die es ihr unmöglich machen,
das Bett z» verlassen. Abends tritt Doktor Wehn
309
ein; er kommt gerade dazu, als Vater und
Tochter sich zu dem einfachen Nachtmahl setzen
wollen. Der Doktor begrüßt den Oberst höflich
und reicht auch Luise die Hand, ohne daß der
Papa Einsprache erhebt. — „Nun", meint im
Laufe des Gesprächs der Oberst, „nun, Herr
Doktor, jetzt ist ja wohl die verfluchte Influenza
überstanden? Und heute Abend erlauben Sie mir,
meinen Skattisch im ,Schwan' aufzusuchen?" —
„Das geht nicht", sagt der Doktor entschiede».
„Das dürfen Sie auf keinen Fall." — „Aber
wenn ich doch gesund bin!" ruft der Oberst
ärgerlich. — „Sie sind Rekonvaleszent, Herr
Oberst, und wollen erst gesund werden. Bei dem
schneidigen Ostwinde, der draußen weht, wäre es
eine Gewissenlosigkeit, würde ich Sie hinauslassen."
Da half kein Vorstellen und Bitten, Doktor
Wehn war unbeugsam. Murrend ergab sich der
Oberst in sein Schicksal. „Sie wissen nicht, was
Sie mir anthun, Doktor, indem Sie mich um
meinen Skat bringen." — „Schweren Herzens
thue ich's nur, Herr Oberst, denn —" — „Was
meinst Du, Papa," fiel Luise ein, „wenn ich
Sechsundsechzig mit Dir spiele." — „Ein fades
Spiel!" sagte der Oberst verdrießlich. — „Ich
kann ja auch ein Bischen Skat", meinte das
Mädchen. — „Schon! Aber woher den dritten
Mann nehmen?" — „Wenn Sie mit mir vor-
lieb nehmen wollen, Herr Oberst," bemerkte hier
Doktor Wehn rasch, „so stehe ich zu Ihrer Ver-
fügung. Ich bin ein eifriger Skatspieler, und da
ich außerdem meine Krankenrunde beendet habe,
habe ich Zeit!" Der Oberst war hocherfreut, und
Luise hatte auch nichts einzuwenden. — „Nun
rasch essen", rief der Alte, der die Skatzeit kaum
erwarten konnte. „Sie thun doch mit, Doktorchen.
Etwas sehr einfach, Butterbrod, Wurst, Käse,
Bier." — „Mit Vergnügen, wenn Sie erlauben."
Bald war das Abendbrod eingenommen, und
Babette trug das Tischgeräthe ab. Der Doktor
war auf einen Augenblick zur Frau Oberst ge-
gangen, und Luise holte auf des Papas Geheiß
Karten, Bier und Cigarren herbei. — „Der
Doktor ist wahrhaftig kein übler Mensch", sagte
der Alte halblaut. Aber Luise hatte ihn ver-
standen und fügte eifrig hinzu: „Siehst Du, Papa?
Jetzt lernst Du ihn auch schätzen!" — „Dummes
Mädel, ich habe Dich um Deine Meinung gar
nicht gefragt. Außerdem möchte ich mir nach-
drücklich verbitten, daß Tu dem Herrn Doktor
Deine gefühlvollen Blicke zuwirfst. Verstanden ?"
Doktor Wehn kam in diesem Augenblicke zurück,
und so i war Louise jeder Antwort überhoben.
Sie hätte auch um eine solche nicht gebangt,
denn aus den knurrenden Worten des Vaters
ging ja deutlich hervor, daß er keinerlei Ab-
neigung mehr gegen den Doktor hatte. Man
setzte sich und fing an zu spielen. Der Oberst,
ein eifriger und geschickter Skatmann, hatte als-
bald herausgefunden, daß Doktor Wehn ein seiner
Spieler sei. „Beim Himmel, Doktorchen," rief
er, als gerade Luise die Karten mischte, „Sie
haben's los. Das war eben ein Spielchen, das
sich gewaschen hat."
Luise war so erfreut über die Fortschritte, die
ihr Heinrich in dem Herzen des Papas machte,
daß sie — dem ausdrücklichen Verbot zuwider
— dem Liebsten einen glückseligen Blick zuwarf,
den der Doktor durch ein Kußhändchen erwiderte.
— „Aber Doktor, Schellen ist ja Trumpf, was
machen Sie denn." — „Ach so", sagte Doktor
Wehn phlegmatisch, zog die grüne Zehn, die er
irrthümlicherweise dem Gegner „gewimmelt" hatte,
zurück und warf ein kleines Schellen bei.
Nach einer kleinen Weile rief der Oberst plötzlich
empört: „Aber zum Teufel, Luise, Du hättest
keine Eckern mehr, das ist ja nicht möglich! Aha,
sieh da, Jungfer Leichtsinn!" Sv ging es fort.
Einmal bediente Luise überhaupt nicht, nicht weil
sie die Farbe nicht mehr hatte, sondern weil der
Doktor ihre Hand festhielt.
Der Oberst hatte es erst bemerkt, als das
Spiel eine halbe Minute gestockt hatte. Er
blickte über seine Karten und sah, was vorging.
„Na, da soll ja doch gleich —, Herr Doktor,
wollen Sie augenblicklich die Hand los lassen?"
brauste der alte Herr auf. Doktor Wehn war
aufgesprungen, aber er hielt Luisens schmale weiße
Rechte noch fest in seinen Händen. „Ich werde",
sagte er, den Obersten ansehend, „nicht nur diese
Hand nicht lvs lassen, sondern ich will Sie zugleich
fragen, Herr Oberst, ob Sie mir die Hand und
ihre Besitzerin für's Leben anvertrauen wollen?"
Und Luise richtete einen so flehenden Blick aus
den alten Herrn und flüsterte schmeichelnd: „O
einziger bester Papa!" daß ihm ganz weich im
Gemüth wurde und er schließlich sagte: „Was
kann man denn da machen? Nehmen Sie sie
hin und behandeln Sie mir das Kind gut.
Sonst — —"
Was er weiter sprechen wollte, erstickte, denn
Luise war dem Papa in die Arme gefallen und
bedeckte sein runzeliges Gesicht mit Küssen.
„Laß mich los", rief der Oberst endlich. „Geh'
zur Mama, da ist das besser angebracht." Und
Luise lief zur Mutter, um ihren Segen einzuholen.
Der Doktor aber füllte die Gläser und stieß
mit seinem an dasjenige des Obersten an: „Es
lebe die Influenza!" — „Sie Sakermenter!"
schalt der Alte. „Haben mich richtig drangekriegt.
310
Aber was wird dem, aus unserm Skat?" —
„Den spielen wir ein ander Mal weiter, Herr
Oberst," sagte der Doktor, „eben ist keine Zeit
vorhanden." Und das war wahr. Denn im
selben Augenblick war Luise zurückgekommen,
uitb der Doktor zog das Mädchen an sich und
küßte es auf die frischen Lippen, ohne sich um
die übrige Welt, einschließlich des gestrengen Herrn
Obersten, im Mindesten zu kümmern.
i-**!"*-
Uertiorgrillirit.
Die holde Maid
Verborgenheit
Erblüht int dunkeln Waldesranm.
Im tiefen Hag
Sie finden mag
Ein leise streifend Lüftchen kaum.
Es dringt zu der geheimen Stelle
Kein Waidgeselle.
Sie hüllet sich
Gar züchtiglich
In goldnes Haar und grünes Laub.
Ihr Schmuck allein
Der Mondenschein
Und bunter Falter Flügelstaub.
So kauert sie im dunkeln Moose,
Die Gleichenlose.
O holde Maid,
Verborgenheit,
Wie lockst Du süß im Waldesgrund!
Wer je Dich fand,
All' Leid entschwand,
Denn linde Tröstung beut Dein Mund!
Wen je Dein weicher Arm umschlungen,
Hat Ruh' errungen!
Mkljel'm Aennccke.
Aus alter und neuer Zeit.
Eine Attila sage im Hessenland. In
Udenhausen liegt, — so berichtet die Sage —,
das Schwert Attila's vergraben. Das stille
Dörfchen Udenhausen liegt inmitten von Wäldern
int Amte Grebenau, an der alten Straße, die von
Hersfeld über Lanterbach uitb Herbstein in die
Wetterau führt. Wer zuerst die obige Sage nns
mittheilte, ist zu meinem großelt Leidwesen mir
entfallen; es war in der Schulzeit, und zwar in
der Zeit, da die Nibelungensage das empfängliche
Gemüth bewegte, Siegfried unsere Sympathien,
Hagen dagegen nufere ganze Abneigung besaß.
Was dem grübelnden Sinn des Schülers ohne die
Kenlltniß historischer Thatsachen nicht verständlich
sein konnte, wurde ohne Prüfung für wahr all-
genommen, es galt sogar für ausgemacht, daß
unmöglich das Schwert Attila's allein dort liegen
könne, sondern der Heerführer selbst dort begraben
sei —, stand doch König Alarich's Beispiel
zu Gunsten unserer Auffassung. — Der der Sage
zu Grunde liegende Kern ist folgender: König
Heinrich's IV. Regierungszeit war mit Kämpfen
aller Art angefüllt, und zu seinen erbittertsten
Gegnern gehörten die Sachsen. Im Frühjahr des
Jahres 1071 lagen sich die feindlichen Heere in
der Kasseler Landschaft gegenüber. Heinrich hatte
mit seinen Franken und Schwaben den stattlichen
Dörnberg besetzt, der heute noch die Spurlinien
der Verschanzungell aus jener fernliegenden Zeit
trägt, das Sachsenheer unter Herzog Otto von Nort-
heim hatte dagegen^den Hasnnger Berg 31t einer
Festung umgewandelt. Der unvermeidlich scheinende
Kampf endete in Folge der diplomatischen Künste
Heinrich's mit der Unterwerfung der sächsischen
Heerführer unter dem Schiedsspruch eines dem-
nächst abzuhaltellden Fürstengerichts. Hierauf eilte
Heinrich nach kurzem Aufenthalte in Goslar,
seinem bevorzugten Sitz, nach Mainz, wo die
geistlichen Würdenträger eben versammelt waren,
um über einen seiner Anhänger, den Bischof
von Konstanz, zu Gericht zll sitzen. Es ist leicht
erklärlich, daß Heinrich aus dieser Reise Hersfeld,
einen seiner Hauptstützpunkte, nicht unberührt ließ
lind dann aus dem Eingangs geschilderten kürzesten
Wege weiter eilte. Eine halbe Tagereise von
Hersfeld entfernt liegt nun das Dörfchen Uden-
hausen, wo für den König und sein stattliches
Gefolge das Mittagsmahl bereitet wurde. Beim
Wiederaufbruch wollte Luitpold von Merseburg,
eill Markgraf aus Sachsen, Anhänger und Günst-
ling des Königs, sein unruhiges Pferd besteigen,
kam hierbei zu Fall und verletzte sich so schwer
an seinem eigenen Schwert, daß er seiner Wunde
erlag. Dieses Schwert nun, wenn wir dem ehr-
lichen Geschichtsschreiber Lambert von Aschaffen-
burg Glauben schenken dürfen, ist das Schwert des
Hunnenkönigs Attila gewesen, das durch eine
ungarische Königin an den Herzog Otto von Baiern
und von diesem durch den Markgraf Tedi in den
Besitz des Königs gekommen war. Heinrich hatte
es seinem begünstigten Liebling Luitpold von
Merseburg geschenkt, wahrscheinlich auch in An-
erkennunq seiner werthvollen Dienste gegen die
Sachsen.
Halten wir nun hiergegen die sagenhafte Ueber-
lieferung, so sehen wir, daß das Andenken an das
Schwert Attila^s in dem guten Gedächtniß des
Volkes einen Zeitraum von über 800 Jahren
überdauert hat, wenn auch die mündliche Ueber-
lieferung das geschichtliche Ereigniß umgestaltet
und dem volksthümlichen Geschmacke mehr an-
gepaßt hat. V>lj. L. W.
Aus dem Jahre 1806. Der Grenadier
Johannes Re über von Niedervelmar berichtet
in seinem Tagebuch über die Auflösung der
hessischen Armee im Jahre 1806 wie folgt:
Dem zum Gouverneur von Hessen ernannten
General La Grange war viel daran gelegen, aus
dem trefflichen Material, welches die ausgelöste
hessische Armee darbot, für den Dienst seines
Kaisers neue Regimenter zu bilden. Am 16. De-
zember wurden deshalb die beurlaubten Hessen
wieder einberufen, aber es erschien Niemand außer
den Alten, oft Fünfzigjährigen, die die Franzosen
doch nicht brauchen konnten. Das Garde-Grenadier-
regiment erhielt seinen Sammelplatz zu Kirch-
ditmold bei Kassel angewiesen. Am folgenden
Tag erschien schon La Grange und ließ die
wenigen Mannschaften, welche sich gestellt hatten,
auf dem Kirchhof antreten, als er aber die alten
Leute sah, so schüttelte er den Kopf und ritt
wieder nach Hause. Bei dieser Gelegenheit nahm
sich einer der Offiziere heraus, einen Unteroffizier,
der die Mannschaft nicht schnell genug in Ord-
nung bringen konnte, zu fuchteln (mit der Degen-
klinge zu schlagen). General La Grange gab in
Folge hiervon den Befehl, daß kein Soldat mehr
geschlagen werden sollte, denn im französischen
Heer war die körperliche Züchtigung längst ab-
geschafft. Am 25. Dezember erhielten alle Die,
welche sich gemeldet hatten, ihren Abschied und
hiermit endete auch die dreißigjährige Dienstzeit
des Grenadiers Johannes Reuber. Z.
Aus Aeimath und Fremde.
Wir erhalten folgende Mittheilung: „Freitag
den 23. November Mittags fand aus Schloß
Ru mp enh eim die feierliche Taufe des am 20. Oktober
daselbst geborenen zweiten Sohnes des Prinzen und
der Prinzessin Friedrich Karl von Hessen,
Prinzessin Margarethe von Preußen, statt. Bon
Pathen des erlauchten Täuflings waren anwesend:
Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich, Landgräfin-
Mutter von Hessen, Erbprinz und Erbprinzessin zu
Sachsen - Meiningen, Erbprinzessin Leopold von
Anhalt, Prinzessin Sibylle von Hessen, Prinzessin
Adolf zu Schaumburg-Lippe; außerdem zugegen
waren: der Landgraf von Hessen, Großherzogin
Viktoria Melitta von Hessen, Prinzessin Louise von
Preußen und andere hohe Fürstlichkeilen. Von ab-
wesenden Pathen sind zu nennen: Ihre Majestät
die Kaiserin Augusta Viktoria, vertreten durch
ihren Obersthofmeister von Mirbach; Ihre Majestät
die Königin von Dänemark; Ihre Majestät die
Kaiserin Alexandra Feodorowna von Rußland;
der Prinz von Wales, vertreten durch den englischen
Geschäftsträger am Darmstädter Hose, Legations-
sekretär G. W. Buchanan; der Herzog von
Cambridge; der Prinz und die Prinzessin Heinrich
von Preußen; der Großherzog von Sachsen; der
Großherzog von Luxemburg; der Prinz Johann
zu Holstein-Glücksburg; der Prinz Maximilian
von Baden; der Prinz Eduard von Anhalt. —
Der neugeborene Prinz erhielt die Namen:
Maximilian Friedrich Wilhelm Georg Eduard."
Notizen Das Berliner Nationaltheater bringt
in dieser Saison das Drama „Konrad von
Marburg" von Ludwig Wolfs-Kassel, das
u. A. vorigen Sommer am Königstädter Theater
in Kassel mit Erfolg gegeben wurde, zur Aus-
führung. — Anläßlich des 50jährigen Jubiläums
der Alterthumsgesellschast „Prussia" wurde benx
Professor Dr. Bezzenberger zu Königsberg
(Sohn des am 24. Januar 1892 in Kassel ver-
storbenen Geheimen Regierungsraths Dr. Bezzen-
berger jvergl. „Hessenland", VII. Jahrgang, 1892,
S. 39]) der Kronenorden III. Klasse verliehen. — Am
19. November Abends wurde von Seiten sämmt-
licher studentischen Korporationen der Universität
Marburg dem Rektor des abgelaufenen Universitäts-
jahres und jetzigen Prorektor, Professor Dr. theol.
Gras Baudiss in ein großartiger Fackelzug gebracht.
Oskar Henschel i. Am Sonntag, den
18. November, Abends 10 Uhr, ist der Chef
der weit über Hessens, ja Deutschlands Grenzen
hinaus bekannten und berühmten Maschinenfabrik
Henschel & Sohn aus dem Leben geschieden.
Oskar Henschel war geboren zu Kassel am
19. Juni 1837. Er genoß seine erste Schnl-
bildung, sowie die Vorbereitung zum technischen
Studium auf der alten Kasseler Realschule in der
Hedwigstraße, in die er am 15. April 1844 ein-
getreten war und der er bis Ostern 1852 als
Schüler angehört hat. Noch sehr jung an Jahren
wurde er in Folge des Verlustes von Vater und
Großvater an die Spitze des damals schon recht
bedeutenden Etablissements gestellt, das sich unter
312
ihm zu einem in des Wortes eigentlichster Be-
deutung Weltgeschäft entwickelte. Den großartigsten
Aufschwung nahm die Fabrik hauptsächlich nach
dem Jahre 1866 ltnb dann wieder nach 1871,
zu welchen Zeiten die umfangreichsten Aufträge
zur Herstellung von Lokomotiven bei ihm ein-
liefen, wurden doch in dem Zeitraum 1865 bis
1873 400 Maschinen abgeliefert, und heute ist
die Zahl 4000 weit überschritten.
Den Grund zu der Henschel'schen Maschinen-
fabrik hat des Verstorbenen Großvater, Karl
Anton Henschel, gelegt. Ueber dessen Lebens-
schicksale mögen hier einige Zeilen eingeschaltet
werden. Geboren zu Kassel am 23. April 1780,
widmete er sich dem Bergingenieur- und Maschinen-
fach. In westfälischer Zeit war er als technischer
Direktor der Berghauptmannschaft der Weser-
division , dann nach Herstellung des Kurstaates
1814 als Bauinspektor unb Baumeister mit dem
Wohnsitz in Kassel angestellt. Gleichzeitig erhielt
er die Erlaubniß, Bestellungen auf Maschinen
auszuführen, wozu ihm die Werkstätten seines
Vaters Gelegenheit boten. Eifrig betheiligte er
sich auch an der „Hessisch-Waldeckischen Kompagnie
zur Gewinnung des Goldes aus dem Edderflnsse",
die sich aus Anregung des früheren brasilianischen
Obersten und Direktors der brasilianischen Gold-
bergwerke , nachherigen portilgiesischen Oberberg-
hauptmannes und Genieobersten Wilhelm Ludwig
v. Eschwege (geb. 15. November 1779 zu Aue bei
Eschwege, gest. 1. Februar 1855 zu Wolfsanger)
gebildet hatte, sich aber wegen schlechter finanzieller
Resultate im Mai 1835 wieder auslöste. Anton
Henschel und Eschwege waren die Seele dieses
Unternehmens. Gegen 1830 vergrößerte sich
die HenscheUsche Fabrik und nahm die Firma
„Henschel & Sohn" an. Die Inhaber waren Anton
Henschel und dessen Vater. Im Juni 1835 starb der
alte Oberbergrath Henschel, und Anton's ältester Sohn
Karl, der Vater unseres Oskar Henschel, trat mit in
das Geschäft ein. Vater unb Sohn führten es gemein-
sam bis zum Anfang der 60 er Jahre. Im März
1860 starb der Sohn Karl (an den Folgen eines
in Dresden erlittenen Sturzes) und im Mai 1861
sein Vater Anton. Erbe des Geschäftes wurde
des letzteren Enkel Oskar, der mit zwei
Schwestern die einzigen Hinterbliebenen bitbcteu.
Ein jüngerer Bruder von Oskar Henschel war
bereits 1846 gestorben. Es mag hier daran er-
innert werden, daß der bekannte Bildhauer Johann
Werner Henschel (geb. 14. Februar 1782 zu
Kassel, gest. 15. August 1850 in Rom), u. A.
der Schöpfer der Kolossalstatue des Bonifatius,
die am 17. August 1842 zur elfhundertjährigen
Jubelfeier der Gründung der Stadt Fulda dort
aufgestellt worden, der Großonkel unseres Oskar
Henschel war.
Vielfache Ehrungen sind dem jüngst Verstorbenen
zu Theil geworden. Seine Verdienste in dem
Reich der Technik wurden an allerhöchster Stelle
dadurch anerkannt, daß er 1868^um Kommerzienrath
ernannt und später, 1875, ihm der Charakter als
Geheimer Kommerzienrath verliehen wurde. Das
Vertrauen seiner Mitbürger übertrug ihm zahl-
reiche Ehrenstellen: er war mehrere Wahlperioden
hindurch Mitglied des Bürgerausschusses, viele
Jahre Mitglied der Kuratorien der städtischen
höheren Schulen Kassels, gegen 20 Jahre Mit-
glied der Handelskammer und lange Zeit deren
Vorsitzender, endlich Mitglied des Provinzial- und
Kommunallandtags, sowie Vorstand der ständischen
Schatzkommission.
Der Verblichene hatte allezeit ein warmes Herz
und eine offene Hand für seine nach Tausenden
zählende Arbeiterschaar. Von den großartigen
Spenden, die von seiner Freigebigkeit beredtes
Zeugniß ablegen, mögen hier nur zwei Erwähnung
finden: die Henschel-Stiftung, die gelegentlich seiner
fitbernen Hochzeitsfeier gegründet wurde, und der-
er 100 000 Mark überwies, und die testamen-
tarische Zuweisung von abermals 100 000 Mark
an den Invaliden- und Unterstützungsfonds seiner
Fabrikarbeiter.
Semper honos nomenque tuum laudesque manebunt;
Molliter ossa cubent cespite sub viridi!
Dr. A.
Todesfälle. Am 16. November verschied in
Kassel der Amtsgerichtsrath Gustav Wilhelm
Z i m m ermann, ein verdienstvoller althessischer
Jurist. Zimmermann war am 1. Oktober 1823
in Allendors a. d. Werra geboren, besuchte das
Lyceum Fridericiaum in Kassel und studirte in
Heidelberg und Marburg die Rechte. Er absolvirte
die vorgeschriebene Laufbahn und wurde im Jahre
1862 ordentlicher Assessor, 1867 Amtsrichter,
1874 Oberamtsrichter. Mit ihm ist ein hervor-
ragender Jurist aus dem Leben geschieden, der die
Strenge seines Amtes mit einer besonderen Liebens-
würdigkeit llnd einem gleichmäßigen Wohlwollen
gegen Alle verband. Auch außer seiner dienstlichen
Thätigkeit war der Verblichene u. A. ein eifriges
Mitglied des hessischen Geschichtsvereins, bekleidete
das Ehrenamt eines Vorstands des Diakonissen-
hauses zu Treysa und gehörte dem Kirchenvorstand
der Oberneustädter Gemeinde an. — Am gleichen
Tage starb zu Reichensachsen der Oberförster
Friedrich Sacksofsky im 61. Lebensjahre, ein
geborener Kasselaner, 1861—65 Leibjäger des
Kurfürsten, den er it. A. zum Frankfurter Fürsten-
313
tage begleitete. — An demselben Tage verschied
zu Kassel im 83. Lebensjahre der Geheime Sanitäts-
rath Dr. med. Ludwig Ulrich, geboren am
20. Mai 1812 zu Leipzig als der Sohn einer dorthin
allsgewanderten hessischell Familie, die bald darauf
nach Hessen (Marburg) zllrückkehrte. Seine Haupt-
wirksamkeit hatte der Verewigte zu Hersfeld, wo
er 1843—75 als geschätzter praktischer Arzt thätig
war. Seitdem lebte er im Ruhestand zu Kassel.
— In Chicago verschied am 4. November
Dr. Friedrich Koch, eine unter den dortigen
Deutschen wohlbekannte Persönlichkeit. Er war int
Jahre 1840 in der Nähe von Kassel als Sohn
eiiles wohlhabenden Glltsbesitzers geboren, studirte
ill Marburg Medizin und ging 1857 llach Mexiko,
woselbst er unter Indianern als weithin angesehener
„Medizinmann" lebte. Er siedelte dann nach
Texas über und ging beiln Ausbruch des Krieges
nach beut Norden, um dort als Artillerist ill die
Bundesarmee einzutreten. Als Mitglied der „Ger-
mania" betheiligte er sich, da er ein ausgezeichneter
Bassist war, all den Opern-Aufführungen im alten
„Crosby Opera House“.
Hessische Bücherschau.
Kinder- ttnb Hausmärchen gesammelt durch
die Brüder Grimm. Mit Illustrationen
von P. Grot Johann und R. Leinweber.
Deutsche Verlagsanstalt. (Stuttgart, Leipzig,
Berlin, Wien.
Ein herrliches Weihnachtsgeschenk, wie es sich
Groß und Klein nicht schöner wüllschen können.
Der Preis dieser Prachtausgabe (25 Mark) ist gegen
das, was sie bietet, mäßig zu llennen. Ueber den
Text brauchen wir kein Wort zu verlieren, aber
die Illustratoren, insbesondere der früh verewigte
P. Grot Johann, sind verständnißvoll in die
Fußstapfen der Brüder Grimm getreten uub haben
die schönsten Märchen durch prächtige Zeichnungell
altch dem Allge nahe gerückt. —a.
Vom Stillen Ozean. Gedichte von Richard
Jordan. Verlag von O. Hendel, Halle
a. S.
Eine tiefangelegte, ernste, ja schwermüthige
Natur spricht alls diesem Bändchen Gedichte. Der
Verfasser betitelt sie „Vom Stillen Ozean". Er
ist ein Marburger Kind, durch das Schicksal ge-
trennt von bett Liebelt in der Heimath, Hinaus-
getrieben über ferne Meere und in entlegene
Länder. Trennungsweh und Sehnsucht klingen
durch die Mehrzahl der Lieder, eine schmerzvolle.
entsagende, oft allzuweiche Sehnsucht. Aber
Richard Jordan ist ein wirkliches Talent, eine
feingeartete, edelangelegte Dichternatur, eilt Poet,
an dessen Schmerzen wir innigen Antheil nehmen,
und betn wir es gern verzeihen, wenn er seine
Leiden wieder und wieder, freilich stets in andern
Farben, ausmalt.
Besonders hat mich angesprochen:
Das letzte M a l.
Ein Trunkener schwankt' ich durch die dunk'len Gassen.
— Wie klang das Echo meiner Schritte hohl! —
Nlln hatte ich, die ich geliebt, verlassen.
Und ohne Segen .... ohne Lebewohl!
Nicht spähte ich den Weg zum Thor zu suchen.
Was lag daran, wohin mein Fuß mich trug! —
Ein jeder Platz war ja gleich recht zum Fluchen,
Zum elend sein — ein jeder gut genug.
Mein Allg' sah nichts; und doch fühlt' ich die Wände
Der grauen Häuser nebelt mir hinziehn.
Sie standen nicht, sie trachteten behende
Vor dein Gezeichneten des Herrn 51t ftieh'n.
Und jeder Windstoß aus den Mauerlücken,
Schien seinen Ekel mir in's Aug' zu spei'n:
„Kain! Kain! Dein eigen Glück schlugst Du in Stücken!"
Hört' ich ihn ächzend um die Gipfel schrei'«.
Und plötzlich nun fühlt ich den Boden schwanken, .
Es rauscht', es brauste unter lneinem Fuß ....
Die Brücke war's: . . . Der Strom! — Rettnngs-
gedanken
Deucht' mir zu tragen sein Willkommengrilß.
„Hierher! —Zu mir!" So gurgelten die Wogen, —
Und mich, — mich zog's .... Ich schrie: „Gleich
komm' ich! Gleich!"
Und doch hielt ich mich fest am Mauerbogen
Und schrie: „Ich komm'!" Und blieb! . . . Ich
war zu feig!
Daß der Verfasser auch in der Ferne ein treu
hessisch Herz im Busen trägt, erzählt er llns in
dem Gedicht: „Mein Hessenland", das wie so manches
andere seiner Lieder in diesen Blättern veröffent-
licht ward, und dessen letzte Strophe lautet:
„Ach, wie an Dir, hängt an der Heimath
Kein Volk der Welt so wunderbar.
Ich glaub' auch nicht, daß je ein Hesse
In fremdem Lande glücklich war."
Sehnsucht nach Ruhe" und Frieden klingt er-
greifend in:
Mein Idyll.
Ein Fleckchen Erde möchte ich mein eigen
In einem stillen Thal der Heimath nennen,
Wo rings umher die Tannnenwälder schweigen
Und wie ein Eiland von der Welt es trennen.
Kein Schlot dürft' dorten seinen Rauch erheben,
Kein Dampfroß keuchend meinen Frieden stören.
Und keinen Laut, der an den Kampf um's Leben
Erinnern könnte, möcht' ich dorten hören.
Und ringsumher nur Flur und Wald und Wiesen
Und Vogelfang und wilder Blumen Düften
Und Sonnengold im Bache mir zu Füßen
Und Sonnenglitzern in den blauen Lüften.
314
Dort würd' ich mich in mich zurückversenken,
Bergessen Alles, was mir draußen drohte,
Und meiner todten Träume still gedenken
UndJiüt den Todten leben — bis zum Tode.
Das Bändchen schließt mit einigen formvollen-
deten Uebertragungen spanischer Balladen. — Die
einfach bescheidene Ausstattung der Gedichte thut
einem wohl neben all' dem Prunk der Weihnachts-
bücher, die schon in den Schaufenstern die Augen
blenden. I. W.
Blumen am Wege. Gesammelte Gedichte voll
H e r m a n u H a a s e. Marburg. Druck und
Verlag der Universitätsbuchdruckerei von
Joh. Aug. Koch. 1894.
Die vorliegende Sammlung ist in ihrem In-
halte nicht gleichwertig. Sie zerfällt, dem Stoffe
nach geordnet, in sechs Abtheilungen: Natur,
'veimath, Vaterland, Sprnchweisheit, Fabeln, Ge-
legenheitsgedichte. Von diesen enthält die erste die
unmuthigsten Stücke; die Frühlings- und Herbste
lieber sind da am besten gerathen, wo der Dichter
aller Tendenz und allem Lehrhaften aus dem Wege
gegangen ist. — Auch in dell anderen Abtheilungen
findet man Gelungenes, doch läuft auch gereimte
Prosa mit unter, und Manches kann eben nur im
engsten Kreise interessiren. Gut gefallen hat uns
dagegen wieder die Spruchweisheit. Es seien
einige der Sprüche hier aufgeführt:
Gar Mancher meisterlich versteht,
Sich durch das Leben durchzulügen,
Bis es mit ihm zu Ende geht, —
Der Tod, der läßt sich nicht betrügen.
Aus dem Munde Vieler kann man weise Lehren hören,
Doch meist erst dann, wenn sie die Kraft, zu sündigen,
entbehren.
Tröst' Dich in jeder Noth und Pein
Damit — es könnt' noch schlimmer sein.
Das sind die schlimmsten Schmerzen:
Lachen mit den Augen, weinen mit dem Herzen,
Wir wünschen dem kleinen Buche viele Käufer,
schon um deßwillen, weil der Verfasser, der
körperlich schwer leidend und von materiellen
Sorgen bedrängt ist, durch die Herausgabe der
Gedichte, die bisher nur zerstreut in Blättern
(auch im „Hessenland") erschienen sind, sein Loos
zu erleichtern hofft. Möge die Erwartung nicht
getäuscht werden. — a —
Von Erscheinungen, die nicht zur hessischen
Litteratur gehören, aus die wir aber gleichwohl
unsere Leser aufmerksam machen wollen, seien hier
erwähnt: Das „U ni v e rs u m", Jllustrirte
Familien-Zeitschrift. Dresden unb Wien. Ver-
lag von Alfred Hauschild. Die namhaftesten
Ailtoren auf dem Gebiete der Roman- und Novellen-
dichtung, der lyrischell und humoristischen Poesie,
sowie des wissenschaftlichen Feuilletons finb ver-
treten. Vorzügliche Illustrationen ititb prachtvolle
Kunstbeilagen stehen dem Texte würdig zur Seite.
In Nr. 1 des eben begonnenen neuen Jahrgangs
— des elften — begegnen wir übrigens einem
prächtigen, tief empfundenen Gedicht unseres Lands-
mannes Julius Rodenberg, betitelt: „Andie Ein-
samkeit".— Die von Professor Nägele in Tübingen
herausgegebenen „Blätter des Schwäbisch eit
Alb Vereins" sind eine vortrefflich redigirte, mit
reichhaltigem Material und guten Zeichnungen
ausgestattete Monatsschrift, die zunächst die
touristischen Zwecke zu fördern bestimmt ist, aber
darüber hinaus gehend Vieles bringt, was auch
von litterarischem Interesse ist. Wir haben
manche Anregung durch das Blatt, das ja eben-
falls die Vaterlandskunde pflegt, empfangen.
— a —
Personalien.
Genanntr Oberregierungsrath von Altenbvckum
in Kassel zum Direktor des Königlichen Konsistoriums
daselbst unter Verleihung des Charakters als Konsistorial-
präsident; Landrath Wender hold in Simmern zum
Regierungsrath und Landrath Fliedner in Fulda zum
Oberregierungsrath in Kassel; die außerordentlichen
Pfarrer Vater zum Pfarrgehilfen des Metropolitans
Endemann in Borken und Witt ich zum Hilfspfarrer in
Niederaula; Forstassessor Rumpel zum Oberförster in
Rotenburg-West; Rechtskandidat Paehl er zum Referendar.
Verliehen: der Charakter als Landgerichtsrath den
Landrichtern Schneider in Kassel und Wurz er in
Marburg, der Charakter als Amtsgerichtsrath dem Amts-
richter Schnurre in Gelnhausen; den königlichen
Domainenpächtern Johann Pestalozzi zu Domaine
Heydau (Kreis Melsungen) und Karl Otto in Blanken-
heim (Kreis Rotenburg a. F.) der Charakter als „könig-
licher Oberamtmann".
Versetzt: Gerichtsassessor Bobrik aus dem Bezirk
des Oberlandesgerichts zu Naumburg a. S. in den zu
Kassel; der königliche Rentmeister Uffelmann vom
1. Januar 1895 ab von Rodenberg nach Eschwege; Ober-
förster Baumann in Rengshausen nach Bodland im Re-
gierungsbezirk Oppeln.
Gestattet wurde dem früheren kurhessischen Garnisons-
auditeur, Amtsgerichtssekretär a. D. Flohr in Hilders,
den Titel „Vormaliger kurhessischer Garnisonsauditeur"
zu führen.
Pensionirt: der Forstmeister Suabedissen in
Rotenburg vom 1. Januar 1895 ab; der Bergrevier-
beamte Oberbergrath Richter in Schmalkalden.
Geboren: Ein Sohn: dem Dr. Fr. Schaum-
burg und Frau Emmy, geb. Sachs, in Kassel; dem
Lehrer C. Wörner und Frau Luise, geb. Vater, in
Kassel; dem Amtsrichter Groß und Frau in Großenlüder.
Verlobt: Fräulein Franziska Kaiser mit Herrn
Hermann B.orchardt (Kassel und Jastrow).
815
Gestorbenr Pfarrer Georg WilhelmNothfuchs,
58 Jahre alt (Rodenberg, 13. November); Frau
Gabriele Hildmann, geb. Witzel, 39 Jahre alt
(Nockensüß, 15. November); königlicher Amtsgerichtsrath
Gustav Z im mm ermann, 71 Jahre alt (Kassel,
16. November); königlicher Forstmeister Friedrich
Sacksofskh, 60 Jahre alt (Reichensachsen, 16. November)
Geheimer Sanitütsrath Gr. Ludwig Ulrich, 82 Jahre
alt (Kassel, 16. November); Buchhändler Benno
Schaake, 30 Jahre alt (Goslar, 22. November); Frau
Ottilie Löwenthal, geb. Lutz, Sprachlehrerswittwe,
47 Jahre alt (Kassel, 22. November); Frau Luise
Loos, geb. Banmbach, 58 Jahre alt (Kassel, 25, ^No-
vember); Rittergutsbesitzer A u g u st Albrecht, 51 Jahre
alt (Hambach, 26. November); Hofphotograph, Professor
und kaiserlicher Rath Fritz LnckHardt (Wien, 29. No-
vember.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdrnckerei von Friedr. Scheel, Kassel,
Schloßplatz 4.
Pfr. K. in Hundelshausen bei Witzenhausen. Die in
Aussicht gestellten Beiträge sind bisher noch nicht ein-
getroffen.
K. N. in Kesselstadt bei Hanau. Gedicht erhalten,
wird nächstens verwandt.
G. F. Hilders. Das Gewünschte soeben abgesandt.
C. N. in Kassel. Sie dürfen überzeugt sein, daß wir,
sobald das Manuskript in unseren Händen ist, es Ihnen
zusenden werden.
G. Th. I). in Marburg. Kurzer Nekrolog in Prosa
wäre allgenehm gewesen; das Eingesandte geht mit Dank
zurück.
Frau Fj. S. in H. Ihr Wunsch wird erfüllt; wir
hoffen auch bald etwas von Ihnen zu bringen.
Gr. M. in Gießen. Dr. A. in Kassel. Sehr will-
kommen. Wird nächstens benutzt.
Inhalt des Novemberheftes (Nr. 5 des III. Jahr-
gangs) der „Touristischen Mittheilungen aus beiden
Hessen, Rasinu u.", herausgegeben von Dr. phil. F r i tz
Seelig: 1. Bieberstein. 2. Berichte. 3. Anzeigen.
Inhalt der Nummer 23 des „Hessenlandes": „An
inein Zimmer", Gedicht von Julius Rodenberg; „Auch
eine Reise in's mittägige Frankreich", von Otto Gerland
(Fortsetzung); „Fünfzig Haussprüche alls der Umgegend
Marburgs", von Gr. Paul Wigand; „Doktor Wehn",
Erzählung von D. John; „Verborgenheit", Gedicht von
Wilhelm Bennecke; Aus alter und neuer Zeit; Aus
Heimath lind Frenrde; Hessische Bücherschau; Personalien;
Anzeigen.
Anzeigen.
Im Verlage von <*. H. Moritz,
Berlin, erschien soeben:
Mn König Möntk.
Historische Erzählung aus der
Zeit vor den Freiheitskriegen
von H. Brand.
Preis geh. M. 5.—, elegant geb. M. (>,—
Der bekannte Verfasser giebt
uns in diesem Buche eine fesselnde
Schilderultg der Zeit König
Järome's in Kassel. Die Er-
zählung beginnt mit der Flucht
des Kurfürsten und der Bergung
des Schatzes desselben. Sie führt
ilns sodann nach der Vermählung
Jerome's mit der Württemberg.
Prinzessin Katharina an den west-
fälischen Hof zu Kassel und schildert
daselbst die ungeheure Verschwen-
dnngs- und Vergnügungssucht.
Dazwischen gelangen die Auf-
standsversuche und besonders die
unglückliche Dörnberg'sche In-
surrektion zur Darstellung, und
die Erzählung schließt, die ge-
waltigen Vorbereitungen zum
Kriege gegen Rußland erzählend,
mit der Rückkehr des Kurfürsten
und der Proklamation desselben:
„Hessen! Mit Eurem Namen nenne
ich Ellch wieder!" Durch das Ganze
spinnt sich die Liebesgeschichte der
beid. Töchter d.hess. Majors Brand.
Mit diesem Bande ist nunmehr die
Reihe der Erzählungen:
Ins dkl' Eeschichlr
fines Vkiitschkli WolKsstmiiiiitö
«on H. Brand
beendet. Die einzelnen Bände, welche
jener eine fürsich abgeschlossene Erzählung
bildet, sind:
Heinrich von Brabant- das Kind
von Hessen. Eine Erzählung
aus dem 13. Jahrhundert.
An Letznspfficht. Eine Erzählung
aus dem 16. Jahrhundert.
Klkzeit getreu. Eine Erzählung
^ aus dem 17. Jahrhundert.
Gute Zeit im Lande. Eine Er-
zählung alls deln 18. Jahrh.
Por der Fremdherrschaft. Eine
Erzählung alls dem 18. Jahrh.
Hinter König Jérôme. Eine
Erzählung aus dem 19. Jahrh.
Preis pro Band.geh. 5 M., eleg. geb. «Nt.
Von demselben Verfasser sei als kleineres
Weihnachtsgeschenk empfohlen:
Einst und Acht.
Eine Kasseler Meihnachtsgeschichte.
Preis eleg. geb. st. M. 3 n,lr M. 1.25 (neu).
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stich itnb Gemälden.
Ans Jens Waggesen's Stammbuch. M.6,—.
Die „Tägliche Rundschall" schreibt darüber:
Ein prächtiges Festgeschenk für Bücherliebhaber,
die feineren Sinn und Verständniß für eine wahrhaft
charakteristische Ausstattung haben und an einem
Buch auch das „Kuriose" zu würdigen wissen, welche
glauben, einen Dichter erst dann recht genießen zu
können, wenn sie eine Original-Ausgabe zur Hand
nehmen, die so ganz anders von Duft und Hauch
der großen Zeit umwittert ist als eine moderne Pracht-
ausgabe — kurz für alle Freunde des „Echten und
Stilvollen!" — Jedes Blatt ist eine mit großer
Treue hergestellte autvtype Nachbildung, sodaß man
das Original selbst in der Hand zu haben glaubt.
Sehr sorgfältige literarhistorische Nachweise und Er-
läuterungen sind beigegeben. Von den Eintragungen
seien nur genannt Blätter von Matth. Claudius,
Fichte, Gleim, Herder*, Klopstack, Formier,
pestalorn, Schiller, den StoÜberg's, Wieland rc.
Knlda und Kossmeister, Hess. Zeiten und
Persönlichkeiten von 1751 —1831.
277 S. 80-Fvrmat. Ladenpreis M. 4,—,
herabgesetzt auf M. 2,—.
Eine hochinteressante Sammlung von authentischen
Nachrichten und Anekdoten," sowie Ereignissen aus
dem Leben der hessischen Landgrafen, Kurfürsten und
ihrer Umgebung.
Kans - Inschriften aus Marburgs Min-
gegeud. Hrsgeg.v.I.Freund.M.—,50.
Eine höchst originelle und umfassende Sammlung
aller Sprüche, die an den Bauernhäusern in Ober-
hessen zu finden sind.
Kossmeister, Jakob, Pfarrer. Historisch-
geneaiog. Handbuch über alle Linien
des hohen Rrgrntenhausrs Hessen.
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Iefingljaus, W., stud. theol. Scher! und
Ernst meiner Jugend. Erdichte.
8°-Format. 164 Seiten eleg. geb. M. 2,—.
H'refer, Kart, Heimatliche Bilder und
Gestalten. Eleg.geb.inGoldfchn. M.3,50.
Eine Sammlung Gedichte, welche meist in hessischer
Sage und Geschichte wurzeln und in vollendeter
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Der Verfasser schildert aus eigener lebendiger
Anschauung Erlebnisse und Vorkommnisse aus dem
akademischen Leben von Gießen und Heidelberg in
den Jahren 1846—48.
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ganz Hessen, sondern überall in Deutschland und
wo Deutsche wohnen eingebürgert. Einzelpreis 25 Pf.
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Titel vorgedruckt und kosten dann 50 Exemplare
M. 12,50, in Leinenband M. 15.—
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und Ausführungen stets vorräthig.
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Leben in Marburger Mundart.
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Derselbe. Aus Deutschlands trüben
Tagen. Bd. I M. 2, -; Bd. II M. 1,50;
Bd. III M. 1,50.
_ Es sind dies keine fortlaufenden historischen
Schilderungen, sondern der Verfasser hat aus Akten-
stücken, Briefen und Zeitschriften das für jene Zeiten
Interessanteste zusammengetragen und so manches
Werthvolle vor der Vergessenheit gerettet, dem Leser
aber ein lebendiges Bild jener bewegten Zeiten entrollt.
Ribbeck, W., Archivar in Marburg. Ton-
sessionen eines Aachdenklichen. 8".
182 Seiten fein geb. M. 3.—.
Wie schon der Titel sagt, sind dies tiefempfundene
Gedanken und Herzensregungen in vollendeter Form.
Für Freunde gediegener Poesie ein Genuß.
Sonne, I. und Säuger, IH., Gyinnasiallehrer
in Fulda und Hersfeld. Mathematische
Wiederholungshefte. Heft I/II (Doppel-
heft) M. 1,20; HeftIIIM.-50; HeftIY
M. —,50.
Ein leichtfaßliches methodisches Hilfsmittel, um
den Schülern das oft schwierige Pensum gründlich
beizubringen. Die Hefte sind erprobt und von
Autoritäten empfohlen.
Für die Redaktion verantwortlich: Br. D. Saul in Stuttgart. Truck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel
Das „Heflenlmrd" erscheint am 1. und 15. jedes Monats VU bis 2 Bogen stark und kostet vierteljährlich
1 Mark 50 Pf., die einzelne Nummer 30 Pf. Auswärts kann das „Hessenland" durch die Post (Postzeitungsliste 1805
Nr. 3148) oder durch den Buchhandel oder auch direkt von der Expedition unter Streifband bezogen
werden; in Kassel nimmt die Expedition (Buchdruckerei von Friedr. Scheel, Schloßplatz 4, Fern-
sprecher Nr. 372) Bestellungen entgegen. Anzeigen werden mit 20 Pf. für die gespaltene Petitzeile berechnet.
Inhalt der Nummer 24 des „Hessenlandes": „Am Quell", Gedicht, aus dem Nachlaß von Feodor Löwe;
„Der Feldzug in Flandern", nach dem Tagebuch des hessischen Grenadiers Johannes Reuber von Niedervellmar
mitgetheilt von W. Junghans; „Auch eine Reise in's mittägige Frankreich", von Otto Gerland (Fortsetzung);
„Himmelsrest", eine Weihnachtsgeschichte von E. Mentzel; „Christus ist da", Gedicht von Kurt Nutzn; „Der Baum
im Spätherbst", Gedicht von D. Saul; Aus alter und neuer Zeit; Aus Heimath und Fremde; Hessische Bücher-
schau; Personalien; Briefkasten; Anzeige.
Am Vuell.
Von feodor Löwe. (Ans seinen Nachlaß.)
ei des Waldes Wipfelrauschen.
An den stillsten seiner Stellen
Weil' ich gern, dem ^uell zu lauschen
Und dem Singen seiner Wellen,
Wo sie, goldnen Glasts umwoben,
Unter glüh'nden Strahlenküssen
Ihrem frühsten Reich enthoben,
Auf zur Sonne wallen müssen,
Die vom Felsenschooß berichten,
Dem krystallhell sie entsprungen,
Draus sie aus der Nacht zuin lichten
Tage sich emporgerungen,
Ihren Areislauf so beschließend,
Um ihn wieder zu beginnen
Und aus Wolken niederfließend
In der Erde Brust zu rinnen —,
Um, aus kühlen Waldesgründen
In die Ferne hingezogen,
Sich dem Strome zu verbünden
Und des Meers bewegten Wogen,
Wie Gedanken, die wir hegen,
Edle That zu sein begehreil
Und gethan, aus Dankeswegen
Und als Segeil rückzukehren.
318
Der Feldzug in Flandern.
nach dem Tagebuch des hessischen Grenadiers Johannes Reuber von Niedervellmar
mitgetheilt von W. Junghans.
(Fortsetzung von Nr. 17, S. 223 des Jahrgangs 1893.)
^Mandgraf Wilhelm IX. hatte gleich nach
M. Beendigung des Feldzugs von 1793 mit
Cj der Krone von England einen neuen Ver-
trag geschlossen, wodurch er derselben ein Heer
von 6000 Mann kriegsgeübter Truppen zur
Fortsetzung des Kriegs in Flandern überließ.
Am 14. Oktober (1793) wurden diese Truppen
von einem englischen Kommissär ans der „Kessel-
städter Haide", hinter dem Schloß Philippsruhe
gemustert, am 17. marschirte bereits das Gre-
nadierbataillon German über Wiesbaden, Nassau,
Koblenz, Bonn, Köln, Jülich und Aachen in das
Brabanter Land. Am 11. November langten
sie in Löwen, am 12. in Brüssel, am 16. in
Tournay an. Hier rückten sie sogleich in die
Linie ein. Die Oesterreicher unter dem Herzog
von Koburg bildeten den linken, die Engländer
unter General Port den rechten Flügel. Das
Grenadierbataillon von German kam auch gleich
auf Vorposten tind stand bei Albek den Franzosen
gegenüber bis in den Dezember. Von beiden
Seiten geschah nichts Bedeutendes, die Engländer
zogen sich vielmehr in die Winterquartiere nach
Gent zurück, nach Toumhout und Düxmütten (?),
wo das German'sche Grenadierbataillon bis zum
1. März ruhig lag. Die in die Stellung der
Hessen eingerückten Oesterreicher versahen den
Vorpostendienst. Am 21. März setzte sich die
Armee wieder in Marsch. Das Grenadier-
bataillon von German marschirte über Ppern,
Mönen (Men in?), Courtray, Tournay bis
Valenciennes. Am 14. April erschien der junge
Kaiser Franz selbst bei der Armee, um durch
seine Gegenwart den Muth der Truppen zu
erhöhen und den Krieg nach einem neuen von
General Mack entworfenen Plan wieder zu
erneuern. Am 17. rückte die gesammte alliirte
Armee vorwärts, um die beiden französischen
Festungen Cambrais und Landrecies aufzuheben.
Deshalb mußte das hessische Korps zur Ver-
stärkung der Kaiserlichen vor Landrecies rücken.
Am 24. machten die Franzosen einen gleich-
zeitigen Ausfall aus beiden Festungen, der aber
glücklich abgeschlagen wurde. Am 26. wieder-
holten sie denselben, wurden aber wiederum mit
großem Verlust zurückgetrieben. Die Hessen
standen mit zwei Regimentern Engländern und
drei ungarischen Grenadierbataillonen im Zentrum,
vor der Front der Kaiser und der Herzog von
Port. Die Franzosen standen in einem Wald, —
Reuber nennt ihn den Anreißer Wald, es ist aber
der Wald von Arouaiz, zwischen Oisy und
Vasigny —, und das Regiment Gardegrenadiere
wurde befehligt, sie daraus zu vertreiben. Dies
gelang ihnen zwar, aber mit großen Verlusten.
Am 27. April machte die ganze Armee ob dieses
Erfolges ein Freudenfeuer. Am 30. mußte
Landrecies kapituliren. Nichtsdestoweniger trat die-
Armee am 1. Mai den Rückmarsch nach Tournay
an, da die Franzosen Courtray und „Mönen"
genonunen hatten und dadurch die Flanken der
englisch-hessischen Armee bedrohten. Auf dem
Rückmarsch kam in stockfinsterer Nacht bei Sturm
und Regen die ganze Armee auseinander, sodaß
sich die einzelnen Truppentheile erst am Abend
des 2. Mai wieder zusammenfanden. Von fünf
Bataillonen Hessen waren kanin noch hundert
Mann beisammen. Am 3. bezog die Armee ein
festes Lager vor Tournay, wo sie täglich von
den Franzosen angegriffen wurde. Von hier
aus machte man eine Diversion, um das von
den Hessen besetzte und hart bedrängte Ppern zu
besetzen, aber auf dem Marsche dahin erlitt die
alliirte Armee bei Lönneway (Lonnay?) eine
319
starke Niederlage. Das Grenadierbataillon von
German verlor seine Kanonen, das Leibregiment
hatte einen Verlust von 14 Offizieren, 1 Feld-
scheer, 5 Tambouren und 233 Mann. Die
Arniee kehrte in ihre alte Stellung bei Tournay
zurück, wo sie am 22. von Neuem heftig an-
gegriffen wurde, aber die Hannoveraner und
Kaiserlichen schlugen den dreimal wiederholten
Angriff glücklich zurück.
Am 16. Juni 1794 hatte Prinz Friedrich
von Oranien zwischen Mons und Brüssel (f>ct
Charelo) einen bedeutenden Vortheil über die
Franzosen gewonnen, 7000 Gefangene gemacht
und 20 Kanonen erobert. Zur Feier dieses
Sieges wurde am 18. abermals Viktoria ge-
schossen. In derselben Nacht kam Ordre zum
Aufbruch, um einen zweiten Versuch zum Entsatz
von Dpern zu inachen, allein noch ehe der Marsch
angetreten war, traf die Nachricht ein. daß Dpern
über sei. Es hatte sich nach heldenmüthiger
Gegenwehr ergeben müssen.
Am 21. Juni traf auch General von Wurmb,
der bei Orche am 15. heftige Kämpfe zn bestehen
gehabt hatte, mit den übrigen Hessen vor Tournah
ein. Am 24. wurde Tournay geräumt und der
Rückmarsch nach der holländischen Grenze an-
getreten. Von hier ans bestand sodann der noch
übrige Feldzug ans lauter Rückzugsgefechten, die
erst in Ostfriesland mit betn Friedensschluß
endeten.
Am 27. Juni wurde das Grenadierbataillon
German nebst deni Leibregiment nach der kleinen
Festung Udenan (Oudenarde) detachirt, um die
daselbst liegenden hessischen Jäger und Füsiliere
zu unterstützen, am 3. Juli aber wurde Udenan
schon wieder geräumt. Die unglückliche Schlacht
bei Fleurus, in welcher der Prinz von Koburg
von Jourdan geschlagen wurde (26. Juni),
nöthigte auch die englisch-hessische Armee bis nach
Breda zu retiriren. Ans diesem Rückzug hatte
das Bataillon German, welches am 15. No-
vember 1794 durch den Wechsel seines Koin-
mandeurs den Namen Löning erhielt, eine Menge
hitziger Gefechte zu bestehen, z. B. am 15. Juli
bei Mecheln, wo es den Rückzug deckte. Von
Breda ging der Marsch am 29. Angust nach
Herzogenbusch, wo man die Maas passirte. Am
25. September kam das Bataillon in die
Andreasschanze zwischen Maas und Wal zu
liegen, welche es aber schon am 5. Oktober wieder
räumte. Nachdem Herzogenbusch durch Verrath
gefallen war, zog sich die Armee nach Nymwegen
zurück, welches alsbald von den Franzosen be-
lagert und beschossen wurde. Am 6. November
eröffneten die Franzosen die Laufgräben. Am
8. wurde es von den alliirten Truppen geräumt
bis uns zwei Bataillone Waldecker, welche in
holländischen Diensten standen.
Das Bataillon Löning kam nun ans Kom-
mando hinter die Wal. Das Land wurde
überall durch Oesfnung der Schleusen unter
Wasser gesetzt, svdaß die Franzosen nicht weiter
vordringen konnten. Allein in der Nacht vom
24. auf den 25. Dezember trat eine solche Külte
ein, daß alle Flüsse und Kanüle zufroren. Die
Franzosen überschritten daher das Eis und
zwangen die englisch-hessische Armee immer weiter
zu retiriren. Alls dem Marsch litt die schlecht
gekleidete und genährte Mannschaft furchtbar
von der Kälte. Am 15. Januar allein erfroren
auf dem Weg 55 Mann, 3 Weiber und 5 Kinder.
Man passirte erst den Rhein, dann die Mel,
fortwährend von den nachdrängenden Franzosen
verfolgt. Am 1. März kamen die Hessen in der
Grafschaft Bentheim an. Bei Schüttrupp verlor
das Bataillon wieder eine von den Kanonen,
welche es statt der bei „Lönncway" verlorenen be-
kommen hatte. Major Leuning aber, sein
Kommandeur, wurde verwundet. Am 14. kamen
die Hesseil nach Meppen, wo sie von den Preußen
abgelöst wurden, und bezogen Quartiere in der
Umgegend. Hier erreichte sie am 20. April die
Nachricht, daß der König von Preußen mit den
Franzosen Frieden geschlossen habe und daß die
Hessen mit in den Frieden eingeschlossen seien.
Dennoch machten die Franzosen an demselben
Tag noch einen Angriff «ns die Vorposten an
der Ems und verwundeten einen Grenadier vom
2. Grenadierbataillon von Baurmeister in die
Hand. Am 2. Mai wurde der Rückmarsch in
die Heimath angetreten. Am 30. September
erhielt das Bataillon neue Uniformen. Es war
nöthig, denn der lange Feldzug hatte das Aeußere
der Leute sehr reduzirt. Nun ging es über
Osnabrück, Paderborn und Arolsen der hessischen
Heimath zu. In Zwesten angekommen, wurde
die Mannschaft (1. Dezember) bis aus 30 Mann
die Kompagnie entlassen. Diese marschirten in
die ihnen angewiesene Garnison Ziegenhain.
320
Auch eine Meise mV, mittägige Frankreich
Von Otto G c r l a n d.
(Fortsetzung.)
Xffflw die Vorgänge beim Gottesdienst in der
j Kirche in Montanban berichtet unsere
hessische Erzählerin weiter:
„Der Gottesdienst begann mit der Ver-
lesung eines Kapitels; der dienstthuende Vorleser
war ein junger Mann in einem grauen Anzug
mit einem großen Veilchenstranß im Knopfloch
und wohl frisirt, mit einem Wort, sehr anständig.
Der Ton seiner Stimme hatte nichts Angenehmes;
er hielt oft an, oder die Stimme versagte ihm.
Aber er sprach auch „le peuble d’Irael“, wobei
er das 8 verschluckte, und nannte den Vater des
heiligen Johannes des Täufers ,, Jacarie“. Darauf
folgte vom Vorsitzenden der Aeltesten eine scharfe
Rüge über de» Mangel an Andacht lind die Nach-
lässigkeit in der Theilnahme am heiligen Abend-
mahl, verbunden mit einer Mahnung, die Jugend
besser zu erziehen, daß sie sich nicht so den Schau-
spielen und dem Spiel hingäbe, dann ein neues
Verbot des Schwätzens, „de faire la belle con-
versation“, so lauten die Worte, „aber meine
Mutter schlägt mich, und ich schlage den Kreisel",
sagt unser Freund Sancho. Die Leute befolgten
keineswegs das Gebot zu schweigen, als Schwätzer
sind sie geboren, als Schwätzer leben sie, und als
Schwätzer sterben sie. Das Vorlesen und der
Gesang der Psalmen dauerte bis zur Ankunft des
Geistlichen, eines jungen Mannes von 20—30
Jahren, wohl gebaut und mit einem angenehmen
Gesicht, Namens Fon Frede ans der Grafschaft
Foix. Ich war von seiner Predigt, die als Vor-
bereitung für das Weihnachts-Abendmahl*) dienen
sollte, sehr befriedigt. Der geringe Anflug von
der heimathlichen Mundart, den er sich bewahrt
hatte, war nicht gerade unangenehm. Sri» Kollege
Muralt war an den Blattern erkrankt. Die
Fenster des Versammlungsraumes waren mit
Vorsetzrahmen verschlossen, und die Hüte der
Aeltesten dienten als Klingelbeutel. Die Pro-
testanten von gutem Ton, deren es viele giebt,
haben meist den äußern Gottesdienst dem niedern
Volk überlassen, sie würden sich zu entwürdigen
glauben, wenn sie es veröffentlichen, daß sie Gutes
thun, aber sie würden unwiderruflich beschimpft
zu sein glauben, wenn sic bei einer Spielpartie
*) Hieran schließt sich die Bitte der Briefschreiberin
um Zusendung einer Bescheinigung ihres Heimathsgeistlichen,
um diese dem Geistlichen in Montanban zwecks Zulassung
zum Abendmahl vorlegen zu können.
oder einem Schauspiel, das, nebenbei bemerkt, recht
schlecht ist, fehlten. Die meisten von ihnen gehen
weder zur Predigt noch znm Abendmahl sdie
Katholischen nicht zur Messe), sie fürchten das
zu erscheinen, was zu sein sie vorgeben. Einige
lassen den Prediger zu sich in's Hans kommen,
laden 15 bis 20 Freunde dazu ein, und nach-
dem sie alle zusammen zu Abend gegessen haben,
hält ihnen der Geistliche während der Verdauung
eine Predigt und reicht ihnen das Abendmahl,
An den Orten der Gemeinde-Versammlungen
wird das Abendmahl auch nur Nachmittags aus-
getheilt, damit ja nicht der Schlaf der Gläubigen
gestört werde. Tie Geistlichen werden außerdem
verzärtelt, geschont, geliebkost und sagen deshalb
auch nur Artigkeiten, man macht es mit ihnen
wie die Indianer mit dem Teufel, man beränchert
sic, um nicht von ihnen geschlagen zu werden.
Ich gestehe, daß ich von der Art des Landes
hier wenig erbaut bin, ich glaube deshalb, daß
man in keiner Ecke Europas leichtfertiger lebt.
Ailch die Frauen der Handwerker sind zwar
sehr artig, aber Alle sehr gefällig, was ihre Haltung
niemals verleugnet.
Die Kinder werden noch als Wickelkinder in
Pflege außer dem Hans gegeben, das sagt Alles."
Mitte Februar 1774 verlegte unsere Bcricht-
erstatterin ihren Aufenthalt nach M a u v ez i n, etwas
näher an die Pyrenäen heran, deren schneebedeckte
Gipfel, von dem Pie du Midi überragt, die Aus-
sicht aus ihren Fenstern bildeten. Hier zeigte
sich der Süden nicht nur in der Natur und
Pflanzenwelt, sondern auch an den Menschen
in unverkennbarster Weise. Die als Volksgenossen
des guten Königs Heinrich IV. Theilnahme er-
weckenden Bewohner der Grafschaft Bearn mit
ihrer an das Spanische erinnernden Tracht und
Sprache erscheinen täglich als Verkäufer von Lebens-
mitteln lind Leinwand im Hause, die Gesichter
der Bewohner sind stark an der Sonne gebräunt,
bei den Weibern sogar häufig mit einem mit-
unter ganz stattlichen Schnurrbart verziert. Das
Leben der leicht erregbaren Bewohner spielt sich
meist im Freien ab. Doch auch die Abgeschlossen-
heit vom übrigen Frankreich macht sich geltend
und zeigt sich bei Allen, die nicht „die Garonne
verlassen und eine weniger warme Luft als die
ihrer Heimath geathmet haben", also namentlich
bei dem weiblichen Geschlecht. „Die Frauen
321
stehen in jeder Hinsicht zurück, sie sind linkisch
und voll von all' den Kleinigkeiten, die aus
dem Fehlen des Geistes und dem Mangel der
Erziehung entspringen. Nichts ist langweiliger
als ihre Unterhaltung, die sich halb um Feld-
arbeiten und halb um die Tagesneuigkeiten dreht,
z. B. die Heirath eines Maires, die Streitig-
keiten in diesem oder jenem Haushalt, beu Eintritt
eines hugenottischen Fräuleins in ein Kloster,
die Frage, ob man seinen katholischen Geliebten
heirathen könne. Niemand ist geiziger mit der
Zeit als die Leute hier, und Niemand wendet die
Zeit, welche die vier Mahlzeiten frei lassen,
schlechter an. Man steht mit der Sonne auf,
man vertreibt die Zeit, indem man einige Male
an einem Strumpf herumstrickt (die Frauen können
nur stricken), Sixette oder, wie man hier sagt,
Sizette spielt, schwätzt und sich langweilt. Ich
höre alle Tage sagen: „Mein Gott, wie sind
die Tage lang, es dauert lange, bis es Nacht
wird." Leben diese Leute wohl zehn Jahre bei
einem Alter von 50—60 Jahren? Abends nach
dem Essen kommen die Gevatterinnen von hüben
und drüben, — hier ist Alles Gevatter —, nach-
dem sie den Tag zusammen verbracht haben,
nochmals unter den bedeckten Gängen, die
der Bauart dieser Gegend entsprechen, zusammen,
um zu schwätzen. Es herrscht tiefe Unwissenheit
unter ihnen und eine unbescheidene Neugierde.
An Sonn- und Festtagen kommen sie vor den
Thoren zusammen und spielen Sizette, als Spiel-
tische dienen ihnen Teppiche. Die Männer haben
eine Art von Kaffeehans, wo sie täglich zusammen
kommen, wohin sie nach dem Mittagsessen gehen
und wohin sie nach dem Abendessen zurückkehren
und wo sie spielen und trinken. Dort sind sie
von allen Ständen zusammen, der Ludwigsritter
uitb der Schuster, der Beamte und der Schneider,
die Müßiggänger, die Bauern, sie kommen zu-
sammen, um Sizette zu spielen, was sie bisweilen
bis in den Tag hinein zusammen hält.
Die Umgegend von Mauvezin ist mit Schlössern
bedeckt, die zwar sehr alt und schlecht gebaut, aber
von gutem Adel bewohnt sind, der sich fast alle
Montag, an dem Markttag, in der Stadt versam-
melt ; die Einen kommen, um Frucht, die Andern,
um Thiere, Pferde und Maulesel, zu verkaufen.
Die Einen reiten aus ihren Zuchtstuten, die
Anderen auf sehr artigen Pferden; die Elegants
kommen iu Kabriolets, die durch einen Diener
gefahren und schnell und flink gelenkt werden.
Die Damen kommen zu Fuß, zu Pferd (sie
reiten sehr gut), auf Mauleseln oder ans Eselinnen.
Das ist der schöne Tag; da hatte ich Gelegenheit,
eine Menge Offiziere zu sehen, die größtentheils
den Feldzug gegen Hessen*) mitgemacht hatten
und denen es ebenso großes Vergnügen machte,
davon zu reden, als mir selbst, daraus einzugehen.
Der Adel der ganzen Umgegend hat mich alsbald
nach meiner Ankunft hier besucht; da die Schlösser
nicht sehr entfernt sind, so ist es leicht, diese
Besuche zu Fuß zu erwidern. Ich fand die
Damen sehr liebenswürdig, wohl erzogen, artig,
gut gekleidet unb roth geschminkt wie zu Paris."
Bei einem dieser Spaziergänge besah man eine
für die damalige Zeit wunderbare Erfindung
eines Seidenfabrikanten, eine Maschine, durch
die eine einzige Frau vermittels eines Leder-
riemens hundert Spulen bewegen und Seide
haspeln konnte.
Wie hohl die vornehme Gesellschaft aber
bereits war, zeigt außer dem bereits Erzählten
eine andere Geschichte. „Ein Herr von F.
aus der Familie von Barbazan, genannt der
Ritter ohne Furcht und Tadel, ein sehr artiger
Herr, verliebte sich in die Tochter eines Buch-
händlers in dem benachbarten Toulouse. Sie
wurde die Herrin seiner Handlungen oder viel-
mehr seiner Kassette, die 400,000 Franken oder
100,000 Thaler einschloß. Er hatte eine Anzahl
Nebenbuhler, schien aber vor Allen bevorzugt jtt
sein, nur wollte sich das Fräulein nie erklären.
Zwei Jahre lang machte er ihr unausgesetzt den
Hof und verschwendete sein Vermögeil in großen
und kleinen Geschenken. In Verzweiflung über
den schlechten Erfolg seiner Liebeswerbung beklagte
er sich eines Tages bei einer mit der Grausamen
befreundeten Dame; diese empfahl ihm eine
Entführung und ergriff mit ihm alle erforder-
lichen Maßnahmen, damit das Unternehmen
glücke. In Folge dessen hielten sich zwei Freunde
des Herrn von F. bereit, um sofort mit
ihren Dienern Hand anzulegen. Die Dame
lud das Fräulein zum Abendessen ein und ebenso
den Liebhaber, der nicht verfehlte, ihr den Arm
zu bieten, um sie iu ihre Wohnung zurückzuführen;
aber-wenige Schritte vom Hans der Dame setzte
man das Fräulein iu eine Portechaise, in der sie
die genannten Personen geradewegs zu einem
der Freunde brachten. Das Fräulein verweigerte,
sich zu erklären, uitb die Freunde halfen dann
dem Ritter ohne Furcht und Tadel, dem Fräulein
die Schmach anzuthun, die nur durch eine schnelle
Heirath gesühnt werden kann." Das Fräulein
ergab sich aber doch nicht, ließ sich schleunigst
nach Toulouse zurückbringen, heirathete einen
anderen Liebhaber unb strengte nun gegen die
Räuber ihrer Ehre Prozesse an, die zwar für
*) Während des siebenjährigen Krieges.
322
diese sehr nachtheilige Folgen hatten, dem unglück-
lichen Fräulein aber merkwürdiger Weise die all-
gemeine Verachtung eintrugen.
Folgen wir nun der Bevölkerung von der
Taufe bis zum Grabe.
„Vierundzwanzig Stunden nach der Geburt
eines Kindes sorgt eine Magd für die Wiege,
mit der das kleine unschuldige Ding verbunden
wird, wie die Schildkröte mit der Schale. Das
Kind wird in sein Wickelzeug geschnürt, nicht
mit Bändern von Leinen oder anderen nach-
gebenden Stoffen, sondern mit Gurten, wie die
der Pferde, und so fest von den Schultern bis
zu den Fußgelenken verschnürt, daß man keinen
Finger dazwischen stecken kann; dazu würgt man
sie noch in eine Wiege hinein, die weiter nichts
ist als ein Weidenkorb in der Gestalt einer
Mulde, aus denen mau sie nur zum Wechseln
der Windeln herausnimmt. Sie trinken, essen,
schlafen und wachen immer in derselben Lage,
und da ist es nicht zu verwundern, daß die
zarten Glieder dieser kleinen Unglücklichen durch
eine solche Behandlung verdreht oder verschroben
werden, weshalb zahlreiche davon für ihr Leben
lang hinkend bleiben. Nach Fertigstellung der
Wiege macht die Magd ein Kißchen oder einen
Kringel vom ersten besten Stück Zeug, das sie
findet, legt dies auf den Kopf, setzt darauf die
Wiege, und nun geht sie mit schlenkernden Armen
zur Kirche, begleitet von der Kinderfrau, gefolgt
vom Vater, den Pathen und Pathinnen, sowie
einigen zur Taufe geladenen Leuten. Auf dieselbe
Weise wird das Kind von der Taufe nach Haus
zurückgetragen, wenn die Mutter es aufzieht,
außerdem trägt man es stets ein zwei auch drei
Lieues auf dem Kopf zu seiner Pflegemutter.
Ich habe die ersten Male gezittert, als ich diese
kleinen Unglücklichen wie einen Leinenpackeu,
ohne die geringste Vorsicht, tragen sah.
lSchluß folgt.)
Airnrnelsrest.
Eine Weihnachtsgeschichte von E. Mentzel.
ar's ein Traum oder stand Doktor Hans
Lebrecht wirklich auf dem Boden seiner
Vaterstadt, den er seit fünfzehn Jahren
nicht mehr betrat? — Die Augen des stattlichen
Mannes folgten eine Weile der dunklen Schlange
des im silbernen Abenditebel verschwindenden
Zuges, dann gab er einein Dienstmanne einige
Anweisungen über sein Gepäck und trat durch
die Vorhalle des Marburger Bahnhofs wieder
in's Freie. Das Leben hatte ihn hart gehäm-
mert, er ließ so leicht kein Gefühl Meister über
sich werden, aber es fluthete doch heiß in ihm
auf und drängte ihm das Feuchte in die Augen,
als er die alte Stadt am Berge, von zahllosen
Sternen überglänzt, im dichten Schneemantel vor
sich liegen sah. Dort oben am Berge, wo die
Straßen zum Schlosse emporkletteru, stand sein
Vaterhaus, vor ihni stiegen die Thürme der alten
Elisabethenkirche zum leicht verschleierten Himmel,
dort drüben in einem der Gebäude, deren weißer
Anstrich auch jetzt noch hell in's Thal uieder-
schimmerte, verlebte er nach dem allzufrühen Tode
beider Eltern seine Kindheit und erste Jugend.
Wie viele schmerzliche Erinnerungen, wie manche
bittere Erfahrung knüpfte sich an seinen Aufent-
halt in diesem Hause! Man glaubte das Beste
für Hans Lebrecht zu thun, als man ihn in
Pflege zu seinen nächsten Verwandten gab und
ahnte nicht, daß der arme Junge bei den lieb-
losen und unbarmherzigen Menschen im Laufe
der Zeit eine wahre Leidensschule durchmachte.
Nur ein stolzer in sich gefestigter Charakter, nur
eine stahlfeste Gesundheit waren im Stande, so
viel Demüthigungen und Entbehrungen zu er-
tragen, ohne geistig oder körperlich davon ge-
schädigt zu werden. Doktor Lebrechts Blick floh
wahrhaft von dem stattlichen Gebäude und nahm
jetzt die Richtung nach Süden, wo die Straßen-
züge der Stadt sich um den Bergrücken wenden.
Er sah das Häuschen nicht, in dem er einst die
Liebe fand, die er bei seinen Verwandten so
schmerzlich vermißte, aber er wußte ungefähr,
wo's lag, und ließ lange seine Augen auf dieser
Stelle ruhen. Während sich der Manu vorstellte,
welche Freude die alte Mamsell Gertrud bei
diesen! Wiedersehen empfinden würde, klopfte ihm
unwillkürlich das Herz lauter wie einem Kinde,
das sehnsüchtig Christkindchens Bescheerung er-
wartet. Da die alte Gertrud mit der Feder nicht
auf dem besten Fuße stand und Hans Lebrecht
immer nur das Allernothwendigste von ihr er-
fuhr, plante er längst eine Reise nach der Heimath,
doch die Jahre, in denen er das Sanatorium
eines alten Kollegen in einem reizenden Städtchen
unweit Genua an der Riviera di Levante über-
nahm, legten ihm viel zu schwere Pflichten auf,
323
als daß er in jener Zeit an eine Entfernung
von seinem Posten hätte denken können. Und
dann — ja dann beging er den größten Irr-
thum seines Lebens und heirathete die bildschöne,
aber herzlose Genueserin, die in dem ernsten, auf-
opferungsreichen Leben eines vielbeschäftigten
Arztes ein Hinderniß sah, um so das Dasein ge-
nießen zu können, wie es ihrer sinnlich ober-
flächlichen Natur entsprach. Obwohl ihm die
Frau das Schwerste anthat und ihn mit einem
faden unbedeutenden Menschen betrog, hatte er
ihr doch längst verziehen. Sie mußte ja schwer
für ihre Schuld büßen, ging früh an ihrer
Leidenschaft zu Grunde, während er nach ihrem
und seines heißgeliebten Kindes Tod ein neues,
wenn auch vereinsamtes, aber doch friedliches
Leben begann.
Doktor Hans Lebrecht täuschte sich zwar nicht
darüber, daß er im Rausche der Verblendung,
der ihn einst an das reizende Geschöpf kettete, sich
selbst und seinen besseren Grundsätzen untreu
wurde und das Verhüngniß in seiner Ehe mit-
anbahnen half, allein jene schmerzlichen Enttäusch-
ungen hatten doch einen Rest von Bitterkeit in
ihm zurückgelassen, der durch den Verlust des
einzigen Kindes keineswegs gemildert, vielmehr
oft noch verschärft wurde. Der Mann glaubte
an kein dauerndes Glück mehr, es wurde ihm
schwer, edle Absichten, augenscheinlich tiefe Ge-
fühle für echt und wahr zu halten. Zwar störte
er nie die gute Meinung, den frommen Wahn
der Anderen, allein sein Urtheil war sehr skeptisch
geworden. Meist mußte er mühsam ein spötti-
sches Lächeln unterdrücken, wenn man eine glück-
liche Ehe oder sonstige auf edlen uneigen-
nützigen Empfindungen beruhende Verhältnisse
der Menschen zu einander pries. Seine Anhäng-
lichkeit an die alte Mamsell Gertrud, sein un-
erschütterlicher Glaube an Alles, was sie einst aus
mitleidigein guten Herzen an ihm that, war, wie
er selbst sagte, der letzte Himmelsrest, der nach
allen verflatterten Jugendträumen, nach dem jähen
Sturze aus den Wolken trügerischen Glückes in
seinem Inneren zurückgeblieben war. —
Langsam stieg Doktor Hans Lebrecht die Berg-
straßen hinan, während die Glocken läuteten
und da und dort in den Stuben die Christbäume
angezündet wurden. Immer wieder kam es
ihm vor, als umfange ihn ein schöner Traum,
doch, da er endlich vor dem Häuschen mit dem
vorgebauten Giebel stand und ans den blanken
Messingknopf der Thür drückte, da durchrauschte
ihn das Bewußtsein beseligender Wirklichkeit so
wohlig, wie der Frühlingswind Flur und Wald.
Der versunkene Himmelsrest begann sich immer
mehr in ihm zu beleben. Wie Blüthen erschlossen
sich Erinnerungen auf Erinnerungen, wie strah-
lende Lichter huschten längst verblaßte Bilder an
ihm vorüber. Plötzlich sah er auch das arme
schlanke Nachbarskind mit dem blassen feinen
Gesichtchen und den ernsten schönen Augen wieder
vor sich. Gleich ihm selbst, so fand auch einst
Klara bei der alten Jungfer eine Zufluchtsstätte,
wenn ihr die gemeine Verwandtschaft den Rücken
blau geschlagen oder den Stachel der Bosheit in
das fein empfindende Gemüth gedrückt hatte. Wo
mochte das begabte ernste Kind hingekommen sein?
Hatte es sich durchgerungen durch den Schutt,
mit dem man sein Wachsthum zu hemmen suchte,
oder war es, wie viele solcher armen elternlosen
Geschöpfe, an der Bestialität der Menschen zu
Grunde gegangen? Lebrecht wunderte sich über
sich selbst, daß er im schweren Daseinskämpfe
Klara's Spur ganz verlor und seit Jahren nicht
mehr an sie dachte. Jedes Menschenherz hat eben
auch seine Geologie! Es bildet sich Schicht in
ihm ans Schicht, und es müssen schon mächtige
Erschütterungen stattfinden, ehe versunkene Ein-
drücke wieder an's Licht steigen können. Wie
glücklich war Doktor Hans Lebrecht darüber,
seinem Ziel so nahe zu sein und endlich einmal
wieder die rechte Antwort auf alle in ihm drän-
genden und treibenden Fragen erwarten zu dürfen.
•* , *
„Sie schläft also fest?"
„Ja, und wecken möchte ich Mamsell Gertrud
auch nicht gerne, weil sie in den letzten Nächten
kaum ein Auge zuthat."
„O, daran ist gar nicht zu denken, mein Fräu-
lein", versetzte Doktor Lebrecht betroffen, dabei
die hohe graziöse Gestalt der jungen Dame
streifend. „Aber ich darf vielleicht hier verweilen,
bis Mamsell Gertrud erwacht?"
„Gewiß, wenn Sie sich mit meiner Gesellschaft
begnügen wollen", gab das Fräulein zurück und
bot ihm einen Stuhl an. Dann nahm sie ihm
gegenüber Platz und fragte noch lächelnd: „Sie
kennen mich wohl nicht wieder, Herr Doktor?"
„Ich besinne mich vergeblich", entgegnete der
Angeredete. Zwar glaubte er iu dein schönen
durchgeistigten Antlitz Klara's Züge zu erkennen,
allein die eleganten Bewegungen der jungen Dame,
ihre seine Art und Weise deuteten jedoch auf eine
andere Abkunft als diejenige eines armen Kindes
aus dem Volke hin.
„Dann muß ich Ihrem Gedächtniß zu Hülse
kommen", meinte sie liebenswürdig. „Erinnern
Sie sich nicht inehr eines kleinen Mädchens aus
der Nachbarschaft, das sich bei Mamsell Gertrud Alles
324
holte, was sonst nirgends für es zu finden war:
Trost und Muth, mütterliches Verständniß und
werkthätige Liebe!"
„Klara Kortefeld!" rief Doktor Lebrecht und
streckte ihr beide Hände entgegen. „Sie sind es
also wirklich! Ich wagte gar nicht meinen Augen
zu trauen, weil Sie sich in Ihrem Wesen zu sehr
verändert haben."
Die junge Dame fühlte sofort heraus, auf was
Doktor Lebrecht anspielte. „Ja, zwischen. einst
und heute liegt auch ein Zeitraum von fünfzehn
Jahren", erwiderte sie. „Das Leben hat mich
inzwischen in eine strenge Schule genommen."
„In der Sie sehr viel lernten, wie mir scheint,
Fräulein Kortefeld. Ich habe Sie ja schon damals
für ein ungemein begabtes, willensstarkes Kind
gehalten, aber ich bin doch von Ihren Errungen-
schaften auf's Höchste überrascht."
Klara hob die Rechte, als wolle sie ein un-
verdientes Kompliment abwehren. „Das kommt
jedenfalls daher, weil Sie sehr lange nicht an
mich gedacht haben, Herr Doktor. Da ist man
bei einem unerwarteten Wiedersehen gewöhnlich
sehr überrascht, einen anderen Menschen zu finden,
als man sich vorstellte."
„Mag auch sein", gab er etwas verlegen zu;
denn es siel plötzlich wie ein Druck auf ihn, daß
er ihre richtige Annahme nicht widerlegen konnte.
Aber er wollte nicht zu einer Lüge seine Zuflucht
nehmen, vielmehr die unverzeihliche und unbegreif-
liche Vergeßlichkeit durch einen zweifellos richtigen
Hinweis zu mildern suchen. „Es wird Ihnen
wohl ähnlich so gegangen sein wie mir, Fräulein
Kortefeld", meinte Doktor Lebrecht. „Ich bin
wohl auch längst aus Ihrem Gedächtnisse ent-
schwunden und sehe nicht mehr so aus wie das
Bild, das Sie in Ihrer Erinnerung von mir
bewahrten. Freilich, was Ihnen zum Vortheil
gereichte, hat mir nur Nachtheil gebracht. Ich
bin ein alter Knabe geworden."
Die junge Dame schüttelte den feinen, von
dunkelblondem Haar wellig umrahmten Kopf und
sah den Doktor mit den klugen hellen Augen
prüfend an. „Sie haben sich sehr wenig ver-
ändert", meinte sie ernst und ohne eine Spur
von Koketterie. „Auch wenn ich nicht vor einiger
Zeit Ihr Bild in einer medizinischen Zeitschrift
gesehen hätte, würde ich Sie sofort wieder erkannt
haben."
„So? — Aber, wie kam das Bild in Ihre
Hände?"
„Ganz einfach. Ich habe Sie nämlich nicht
vergessen, wie Sie glauben, Herr Doktor, und mich
immer wieder bemüht, von Zeit zu Zeit etwas
über Sie zu erfahren. Ich habe an allen Vor-
kommnissen in Ihrem Leben den wärmsten An-
theil genommen und war sehr erfreut, als mir
Mamsell Gertrud neulich schrieb, Sie wollten
bald einmal hierherkommen. Daß ich Sie wieder-
sehen würde, ahnte ich freilich damals nicht."
Klara sagte das Alles ganz unbefangen und
in schwesterlich vertraulichem Ton. Auf Lebrecht
machten aber ihre Worte tiefen Eindruck. Es
war ihm zu Muthe wie einem Kinde, dem das
Christkind überreiche Gaben bescheert. Bewegt
ergriff er ihre Rechte, drückte seine Lippen darauf
und sagte: „Ich danke Ihnen, mein Fräulein!
Wie schade, daß ich erst heute etwas von Ihrem
freundlichen Gedenkei: erfahre."
Eben hatte ihr seine Aufrichtigkeit, die lieber
unhöflich war, als sich hinter eine Lüge flüchtete,
noch große Achtung eingeflößt, jetzt dachte sie,
etwas büßte er doch von seiner eckigen Gradheit
in Italien ein, er hat gelernt, gegen eine Da:ne
galant zu sein, ob er sich nun viel dabei denkt
oder nicht! Unwillkürlich durchflog sie dabei
die Frage, wer denn wohl die Glückliche sein
möge, die jetzt sein Herz besäße. Erschien es ihr
doch ganz natürlich, daß ein so braver und
schöner Mann nicht ein ganzes Leben lang einer
Enttäuschung nachhängen, sich vielmehr ein neues
Glück begründen würde. Während sie mit ge-
neigtem Antlitz dasaß, studirte Lebrecht die fein-
geschwungenen Linien ihrer Züge, die einst wie
heute auf ein stark entwickeltes Empfindungsleben
deuteten. Nach längerer Pause unterbrach er
dann ihren Gedankengang durch die Frage, welcher
glückliche Zufall es gefügt habe, daß sie gerade
diese Weihnachten in Marburg zubringe.
Nun erzählte Klara, schon seit Jahren sei es
ihre Absicht, einmal wieder einen Weihnachts-
abend bei ihrer Wohlthäterin zu verleben, aber
sie hätte die leidende alte Dame, bei der sie
schon seit langer Zeit die Stellung einer Gesell-
schafterin bekleide, nie verlassen können. Da aber
dieselbe augenblicklich sich ziemlich wohl bei ihrer
ältesten Tochter in Frankfurt befinde, habe sie
es gewagt, vor der geplanten Reise an die
Riviera um einige Tage Urlaub zu bitten.
Klara erklärte, als sie gehört habe, wie leidend
Mamsell Gertrud seit letzter Zeit sei, hätte sie
es kaum noch in ihrer Stellung aushalten
können. Wie mit unsichtbaren Seilen habe es
immer an ihr gezogen und ihr nirgends Ruhe
gelassen. „Und ich glaube, es war das Richtige,
daß ich meiner Sehnsucht nachgab," schloß sie
bewegt, „denn ich fürchte, ich fürchte, Mamsell
Gertrud wird keine Weihnachten mehr erleben.
Sie ist sehr elend, viel kränker als sie selbst
weiß."
325
ir
„Wirklich?"
„In der That. Es ist deshalb auch gut, daß
sie auf Ihre Ankunft vorbereitet ist, denn eine
so große unerwartete Freude könnte ihr krankes
Herz wohl kaum noch aushalten. Sobald sie
erwacht sein wird, zünde ich dort das Bäumchen
an, bereite sie drin erst ein wenig vor mib
bescheere Sie dann als eben eingetroffenes Christ-
kindchen."
„Ordnen Sie Alles an, wie es Ihnen am
besten dünkt", erwiderte Doktor Lebrecht. Dann
glitt sein Blick durch das trauliche Stübchen mit
den kunstvoll gehäkelten Gardinen, den vielen
weißen Deckchen, den alten verblaßten Photo-
graphien und den unmoderne», aber glänzend
polirten Möbeln, und er setzte noch hinzu:
„Jetzt, wo ich nach Jahren einmal wieder in
diesem Raume weile, kommt mir Alles, was da-
zwischen liegt, wie ein Traum vor. Ich habe
viel im Leben erfahren und kennen gelernt, habe
viel Schönes genossen, aber Besseres, wie mir hier
zu Theil wurde, habe ich nie wieder gefunden."
„Ich auch nicht, Herr Doktor, der Gedanke
an dies Stübchen und an Mamsell Getrud waren
immer ein Stückchen blauen Himmels für mich,
wenn sonst trübe Wolken über meinem Leben
hingen. Hütte ich mich nicht manchmal in dies
Eldorado flüchten können, ich wäre nicht so
muthig geblieben und oft im harten Kampf des
Daseins flügellahm geworden."
„Es ist Ihnen gerade gegangen wie mir!
Auch ich habe mich an die alten Erinnerungen
angeklammert und sie nach dem Zusammensturz
vieler Ideale meinen letzten Himmelsrest genannt.
Wir waren einst beide unglücklich, Jeder von
uns in seiner Art, aber hier wurde unseren
armen verhungerten Herzen immer wieder Liebe
in reichem Maße bescheert. Lassen Sie uns
heute gemeinsam recht glückliche Weihnachten
feiern, Fräulein Klara! Wir wollen nicht an die
trüben Schatten denken, welche die Zukunft voraus-
wirft, und wieder einmal ein Paar harmlose Kinder
sein, die noch an Weihnachtswunder glauben."
Er sagte dies in großer Erregung und streckte
ihr die Rechte entgegen. Sie legte die ihrige
hinein und versetzte mit jener schönen Unbefangen-
heit, durch die eiu selbstloses, von persönlicher
Eitelkeit vollkommen freies 'Gemüth schimmerte:
„Ja, das wollen wir, Herr Doktor. Was auch
später werden mag, es wird Ihnen in Ihrem
reichen Dasein und mir in meinem stillen
Wirken eine freundliche Erinnerung bleiben, de»
Himmelsrest aus der Kindheit noch einmal
gemeinsam mit Mamsell Gertrud verlebt zu haben."
Eine Viertelstunde später brannte das Bäumchen,
in der alterthümlichen kleinen Stube saß eine
eingesunkene alte Frau mit unmoderner Falbel-
haube, schneeweißen Haaren, doch jugendlich
glänzenden Augen neben Doktor Lebrecht auf
dem Sopha und schlang ein über's andere Mal
die Arme um seine kräftige Gestalt. Als ihn
Mamsell Gertrud zuerst nach so langer, langer
Zeit wiedersah, wollten ihr die Thränen gewalt-
sam aus den Augen springen, aber sie kniff sie
fest zusammen und schüttelte in innerem Unwillen
den Kopf: „Nor küä Geflenn, nor küä Geflcnn,
Ihr laiwe goute Kinner!" rief sie dann in der nie
verleugneten Marburger Mundart. „Merr verderbt
säch un Annere die schennste Stunn dermit. Ach,
Du laiwes Gottche in Deim Thron, un's Lewe
gitt so schnell voriwwer." Heiter verfloß denn
auch der Weihnachtsabend, Mamsell Gertrud
plauderte lustig wie eine Gesunde und mußte
oft ermahnt werden, sich zu schonen und nicht zu
sehr anzustrengen. „Löß maich nor gieh, los;
maich nor gieh, Hans!" rief sie, als Doktor
Lebrecht wieder einmal diese Mahnung besorgt
an sie richtete. „Wos leiht dann nu d'ran,
ob's e Winker früiher oder später mit merr ze
Enn gitt! Ich hab Eich zwäü so scheu zesamme
Widder bei merr gehabt, un e greßer Glick kann
merr des liewe Chriskinnche nit beschere. Alles
Annere denk ich merr, ich sein nit so dumm, wie
ich aussehe." Mamsell Gertrud schmunzelte und
ließ ihr freundliches Auge so wohlgefällig ttiib
bedeutungsvoll von dem Doktor auf das junge
Mädchen gleiten, daß ihr dieser, einem heißen
Herzensbedürfniß nachgebend, unwillkürlich dank-
bar die Hand drückte, während Klara zum ersten-
male ihre Harmlosigkeit verlor und über und
über roth wurde.-------—
Eiu Jahr war vergangen. Wieder hielt der
heilige Christ den Einzug in die Häuser und in
die Herzen, wieder zogen die Gedanken vieler
Tausende am heiligen Abend aus der Fremde
in die Heimath, in das Vaterhaus und in die
Stube, wo ihnen nnter'm Weihnachtsbaum die
heiligsten Freuden der Kindheit erblühten. Am
Fenster einer Villa, deren schönsten Raum das
Kerzengeflimmer einer deutschen Tanne durch-
strahlte, stand eng verschlungen und in seligem
Glück ein junges Paar. Der Abendhauch trug
den Duft der Orangen durch die offenen Flügel,
Rosen rankten am Spalier des Hauses hinauf,
das Meer, von dem tiefblauen Sternenhimmel
überwölbt, rauschte leise unter den Fenstern und
schillerte weit hinaus wie eine riesige, unter
leichter versilberter Hülle melodisch bewegte Flüche.
Es war einer jener wunderbaren Abende, wie sie
326
nur die Küsten der Adria kennen, aber trotz
aller Herrlichkeit da draußen und allem Jubel
in ihrem Innern, dachten die Gatten au ein
einsames Grab in der fernen Vaterstadt, dessen
Schneedecke heute mit italienischen Rose» geschmückt
war. Auch heute lebte der alte Himmelsrest
wieder in ihnen ans, aber er war größer ge-
worden, weiter, und viele helle Sternlein flim-
merten daran wie draußen an dem tiefblauen
Firmamente.
Christus ist da.
Schalle nur, Glockenklang!
Brause, du Festqesang:
Christus ist da. —
Heilige, stille Nacht,
Hast uns so froh gemacht,
Hast uns das Heil gebracht.
Christus ist da.
Engel verkünden schon:
Kommen ist Gottes Sohn.
Christus ist da. —
Ehre sei Gott dem Herrn,
Er hat die Menschen gern.
Hell strahlt sein Morgenstern:
Christus ist da.
Jauchze nur, Christenheit!
Freude wird alles Leid.
Christus ist da. —
Er, der den Frieden bringt,
Sünde und Tod bezwingt,
Finsterniß niederringt,
Christus ist da.
Kurt Kuhn.
Der Kaum im Spätherbst.
£ Baum, dein grün und schlicht Gewand,
Wo ist es hingekommen?
Du hast ein Kleid mit Flittertand
Voll eitel» Sinns genommen.
Mit Gold und Grau, mit Roth und Braun,
Mit Litzen und mit Flöcklein,
Doch möcht' ich dich am liebsten schau'»
In deinem Werktagsröcklein.
Da rauscht' der Baum mich an voll Leid
Und that sich zu mir bücken:
Es ist, v Freund, mein Sterbekleid,
Mit dem sie heilt' mich schmücken.
?. Saut.
Aus alter und neuer Jett.
Kleider machen Leut e. Dieses alte Sprich-
wort bewahrheitet sich bei einer Begebenheit, welche
O. Melander in seinem Buche „Jocorum atque
seriorum eenturiae aliquot, Francofurti 1617" von
Professor B u s ch in Marburg mittheilt und welche
in freier Uebersetzung wie folgt lautet: Nach Mit-
theilung gelehrter ltnb glaubwürdiger Männer ging
der einst sehr berühmte Professor und Dichter-
Hermann Busch in Marburg an einer großen
Anzahl Bürger auf dem Markte vorüber, ohne daß
ihm, der im Hauskleid sich aus die Straße be-
I geben hatte, von irgend einem derselben die er-
forderliche Ehrenbezeigung zu Theil wurde. Als
dies Busch wahrnahm, ging er sogleich in seine
Wohnung zurück, vertauschte seine bequeme Kleidung
mit seiner prächtigen Amtstracht und begab sich
alsbald wieder aus den Marktplatz. Dort erhoben
sich bei seinem Erscheinen Alle, entblößten ihren
Kopf und erzeigten ihm ihre Ehrerbietung. Aber
dieser gelehrte Mann achtete nicht auf diese Beweise
der Hochachtung, begab sich vielmehr wieder in
seine Wohnung zurück. Dort zog er sein Amts-
kleid aus, warf es auf die Erde, trat mit den
Füßen darails und sprach ärgerlich und aufgeregt
durch das eben Vorgefallene: Bist du, Kleid, der
Busch oder bin ich es? Aeußerst ausgebracht war der
Mann über die von ihm wahrgenommene verkehrte
unb irrige Ansicht der Leute, nicht dem Manne,
sondern der Kleidung kommen die Ehrenbezeigung zu.
(Ludovicus Milichius in oratione contra im-
moderatum vestitum.)
S.
Alundartliches. Die Mundartgrenze zwischen
Chatten und Sachsen ist eine außerordentlich scharfe
und ausgeprägte. Im Kreise Wolfhagen hat man
aus fränkischer Seite für das Plattdeutsch-Sprechen
der Sachsen den Spotlausdruck „quackeln", vielleicht
ein Onomatopoietikon, gebildet, um das schwer
Verständliche des Sächsischen zu bezeichnen. Nichts
desto weniger sind im Lause der Jahrhunderte oder
vielmehr Jahrtausende manche Einflüsse der eineil
327
Mundart auf die andere zur Geltung gelangt, und
besonders in den Grenzorten lassen sich solche in
ziemlicher Menge nachweisen. Einige solche ans
dem fränkischen Orte B a l h o r n, der 8/4 Stunde
von dem sächsischen Istha entfernt ist, mögen hier
aufgeführt werden. Da ist zunächst die Fornr
blutt (blott) für oberdeutsches bloß. Sie findet
sich auffallender Weise auch in Schwaben, z. B. in
Reutlingen, ist aber zweifellos niederdeutsch. Das
Bruch (Bruech), gedehnt gesprochen, bedeutet wie
im Westfälischen eine sumpfige Wiese (auch in der
Wetterau noch gebräuchlich), S o p p e (Suppe) hat
die oberdeutsche Form „Saufen" verdrängt, letztere
ist nur in „Sures Suffen" (d. h. saure Milch)
erhalten. Strotte (Gurgel) für Strotze (von
strotzen), Schnutte (Schnauze) sind allein herrschend.
Littch oder littich hat ebenfalls niederdeutsches
Gepräge; die im Oberdeutschen übliche Form hat in
tz weiterverschoben (Lützelsachsen). S ch r e b b (englisch
shrew), mager, dürr, hört man öfter als die fränkische
Form „schroh". Kreppeln, Verkleinerungswort aus
mittelniederdeutsch Krupen, wovon auch Krüppel,
ist gleich kriechen, mit der besondern Bedeutung:
sich kümmerlich fortbewegen (auch tropisch). Ein
kleiner Bauer, der mit Kühen sein kärgliches An-
wesen bestellt, heißt ein Kreppelbure. „Kriechen"
in eigentlicher Bedeutung ist das oberdeutsche
krufen. Das eine oder andere von sächsischer Seite
empfangene Wort ließe sich noch anführen. In
andern Grenzorten ist zweifellos die gleiche Er-
scheinung zu beobachten und es wäre angezeigt,
wenn von Denjenigen, die Sinn und Verständniß
für unsere Stammesmundart haben, solche Ausdrücke
gesammelt würden. Die Fachgelehrten auf dem
Gebiete der Sprachforschung wie der Geschichte sind
ja für derartige Beiträge immer dankbar.
Etwas von Marie Seebach. Der seiner
Zeit vielgenannte Theateragent Heinrich in
Berlin erhielt eines Tages von Marie Seebach
aus Danzig, wo sie bei Genöe engagirt war, einen
Brief, worin sie -ihren Besuch mit dem Bemerken
ankündigte: sie komme, „um endlich (!) das
Antlitz des Mannes von Angesicht zu Angesicht
zu sehen, in dessen Händen das Schicksal so vieler
armer Sterblichen ruhe". Heinrich, der einen be-
sonderen Werth aus seine geschäftliche Verbindung
mit dem kurfürstlichen Hoftheater in Kassel legte,
empfahl die Seebach unterem 26. Februar 1850
nach Kassel als ein „talentvolles, junges und
hübsches Mädchen". Da jedoch damals Fräulein
Lembke, mit einer Gage von 800 Thalern, als
„jugendlich erste Liebhaberin" an der kurfürstlichen
Hosbühne thätig war, so schrieb Oberinspektor
Flach am 13. März nach Berlin zurück, es frage
sich vor Allem, ob Marie Seebach im Stande sei,
das „jugendlich-naive Element" zu vertreten?
Die schon am 17. März erfolgte Antwort lautete
dahin: daß Fräulein Seebach in Danzig nicht
nur muntere Rollen spiele, sondern auch die der
„jugendlich-tragischen Liebhaberinnen". Als Hein-
rich hieraus lange nichts hörte, wiederholte er
seine Empfehlung am 21. April 1850 und be-
zeichnete die junge Künstlerin als „höchst talent-
voll und beachtenswerth". Auch hieraus wartete
Heinrich vergebens auf eine Antwort. Da ihm
jedoch daran lag, den aufgehenden Stern am
dramatischen Himmel in die richtigen Bahnen zll
leiten und ihm hierfür das Kasseler Kunstinstitnt
ganz besonders geeignet erschien, so sandle er
Marie Seebach gleich persönlich nach Kassel, mit
dem Bemerken, er habe der jungen Künstlerin vier
Gastspiele zugesagt. Dem Generalintendanten,
Oberhosmarschall von Heeringen war natürlich
diese eigenmächtige Zusage seines Agenten sehr
befremdend, aber: Marie Seebach kam, sah Herrn
von Heerillgen und — siegte. Schon am 4., 7.,
14. und 16. Mai absolvirte sie ihr Gastspiel, und
bereits unterm 17. Mai konnte Herr von Heeringen
bei dem Kurfürsten ben Antrag stellen, diese „sehr
talentvolle lind gewandte Schauspielerin" mit einer
Gage von 700 Thalern zil engagiren, ein Antrag,
der nach den großartigell Erfolgen der jungen
Künstlerin sofort genehmigt wurde. Tempora
mutantur! Als das in jeder Rolle durchschlagende,
strebsame Talent es, trotz aller Unterstützung seitens
einer begeisterten Kritik, nicht dahin bringen konnte,
sich auch nur ausnahmsweise in geeigneten, tragischen
Rollen zu zeigen, was für die Verhältnisse der
kurfürstlichen Hofbühne geradezu unbegreiflich
klingt, bat Marie Seebach, sie für den 1. Ok-
tober 1852 wieder zu entlassen, unb Herr von
Heeringen, der sie als „sehr talentvoll" engagiren
zu dürfen gebeten hatte, berichtete unter'm 19. April
1852 an den Kurfürsten: Da auf das „Hierbleiben
der Bittstellerin während der Monate August und
September ld. h. nach den Ferien!) kein großer
Werth zu legen sei, so möge man, um die Gage
während der Ferienzeit (!) zu ersparen, sie schon
am 16. Juni (Beginn der Ferien!) entlassen.
Und — Marie Seebach wurde entlassen, weil Herr
von Heeringen „keinen großen Werth" auf sie
legte. Sie gab doch erst mit 28. September 1852
ihre Abschiedsvorstellung, und am 27. September
1854 begeisterte sie schon in dem kaiserlichen
Hofburg-Theater ganz Wien mit ihrer Margarethe
im „Faust". Durch ganz Deutschland drang die
Kunde von ihrem Ruhm. r.
328
Das Schwert Karins des Großen. In
dem oberhessischen Städtchen Alsfeld spielte sich
Mitte der fünfziger Jahre ein heiterer Vorfall ab,
der heute noch im Volksmunde weiterlebt. Be-
sagtem Städtchen war die Ehre eines landes-
herrlichen Besuches angekündigt worden, und männig-
lich freute sich darüber. Der Bürgermeister R.
hatte an dem festlichen Tage die Ehre, den Groß-
herzog bei der Besichtigung des mittelalterlichen,
schönen Rathhauses führen und ihm die daselbst
aufbewahrten werthvollen Alterthümer, darunter
ein prachtvolles Missale mit herrlichen Initialen
itub kostbarer Malerei, sowie ein altes Schwert
mit seltener Ziselierarbeit, das die Sage Karl dem
Großen zuschreibt, vorzeigen zu dürfen. Dieser
Stolz der Sammlung bildete auch zugleich den
Schluß, und im Gefühle der Bedeutung des Augen-
blickes zog der Bürgermeister mit den Worten:
„Das Schwert Karl's des Großen" kühn die Klinge.
Und siehe da! Blank wie ein Spiegel, als
hätte es eben die Werkstätte verlassen, leuchtete
das zu Ehren des hohen Besuches vorher geschlissene
Schwert dem Landesvater entgegen. — „Welcher
E.. l hat das Schwert schleifen lassen?" „Ich,
königliche Hoheit", war die prompte Antwort des
Bürgermeisters. W.
Zu Vorstehendem bemerken wir, daß die Sache
historisch ist; sie hat sich unter dem Großherzog
Ludwig III. zugetragen und wird von Ferd. Dieffen-
bach in dessen Werke „Das Großherzogtum Hessen"
S. 476 mitgetheilt. Geschichtliche Forscher be-
zweifeln, daß das Schwert von Karl bent Großen
herrühre, führen es vielmehr auf Lothar von Sachsen
zurück. Uebrigens wäre später den Alsseldern beinahe
ein noch viel schlimmerer Streich als die Schleifung
der Klinge passirt. Sie hatten in den achtziger Jahren
den Beschluß gefaßt, ihr Rathhaus, das allerdings
starke Spuren des Verfalls zeigte, niederzureißen
und einen Neubau an seine Stelle zu setzen. Die
Verwaltungsbehörde legte sich in's Mittel, sodaß
die Ausführung des Beschlusses unterblieb. Das
außen ganz, im Innern theilweise wiederhergestellte
alte Rathhaus ist eine Perle mittelalterlicher
Holzbaukunst nnb hat wenige seines Gleichen in
Deutschland. Red. d. „H.-L."
Alte Notizen. Ein Freund unseres Blattes
schreibt uns: „Auf ben freien Blättern einer mir
gehörigen Ausgabe der griechischen Anthologie
(Venedig 1550) sind voll verschiedenen Händen
Eintragungen gemacht worden. Dem 17. Jahr-
hundert, wie ich taxire, gehört die folgende all,
deren Schreiber — nach einer anderen Notiz —
in Leipzig lebte:
(1.) Es stehet geschrieben
Das ihr sechs oder sieben
Nicht alle anff einen lotsen harren
Sondern essen u. des Narren vergessen.
(2.) in Landt Hessen seindt die meise wolgemessen,
und harte betten und wenig zu fressen.
Das letzte der beiden priamelnartigen Gedichte,
das allein für die Leser Interesse haben wird, ist
inhaltlich mit jetzt noch in Umlauf befindlichen
zusammenzustellen, das erste bezieht sich, scheint es,
aus einen Schmaus, bei dem man einen der Ge-
ladenen vermißt."
Dr. W. U. in Berlin.
Aus Hermath und Fremde.
Am 9. d. M. feierte Dr. Karl Weismann,
Oberschulrath und Gymnasialdirektor a. D. zu
Koburg, seinen 80. Geburtstag. Ist Weismann
auch kein geborener Hesse, lebt er auch seit Auf-
gehen des Kurstaates in Preußen in dem benach-
barten Thüringen, so nehmen wir ihn doch als
einen der Unseren, als einen unserer Besten in
Anspruch. Denn er hat ein Menschenalter hindurch
in hohem Segen int Hessenland gewirkt, vielen
Hunderten von Schülern seinen geistvollen Unter-
richt im Delltschen zu Theil werden lassen, vor
Allem aber sie eingeführt in die wunderbaren Schatz-
kammern der klassischen Literatur. Wer denkt nicht
mit Entzücken zurück an die unübertrefflichen Inter-
pretationen und Uebersetzungen der griechischen
Dramen, an Weismann's Ajas- und Antigone-
Stunden !
Weismann ist geborener Frankfurter. Er ftnbirte
von 1832 — 35 in Marburg, war einige Monate
Lehrer an einem Privatinstitut zu Heidelberg, er-
hielt aber schon Ende 1835 eene Berufung an das
Rinteler Gymnasium. Hier wirkte er bis zuul
Jahre 1846. Seine segensreichste Thätigkeit aber
entfaltete er darnach während eines 20jührigen
Wirkens am Gymnasium zu Fulda. Er und fein
bereits im Jahre 1891 dahingeschiedener Freund
Professor Dr. Gies*) waren die weithinstrahlenden
Leuchten der alten Rhabannsschule. Auch der in
diesen Tagen verstorbene damalige Obergerichtsrath
G a n s l a n d t gehörte den: Weismann - Gies'schen
Freundeskreise an.
Im Jahre 1866 nach Koburg berufen, erhielt
Weismauu das Direktorat des alten Gymnasium
Casimirianum. Es erfreute sich 21 Jahre lang
der Leitung Weismann's und gelangte zu hoher
Blüthe. Weismann wurde 1878 durch den Titel
*) Vergl. „Hessenland" 1891, Nr. 5 und 6.
329
Schulralh, 1884 durch die Charakterisirung als
Oberschulrath ausgezeichnet. Am 9. November 1885
beging er sein 50jähriges Amtsjubiläum unter
allgemeiner Theilnahme von nah unb fern. Am
1 Mai 1887 trat er in den Ruhestand. — Wir
machen uns zum Dolmetscher der herzlichsten Ge-
burtstagsgrüße unb -Wünsche seiner zahlreichen
Verehrer unb dankbaren Schüler int Hessenlande.
Dr. A.
Todesfälle. In Ehlen starb am 3. Dezember
der frühere Landtags- und Kommunallandtags-
Abgeordnete Heinrich Knobel, ein Reffe des be-
kannten hessischen Verfassnngskämpfers. — Am
5. Dezember verschied an den Folgen eines Schlag-
anfalles eine hessische Schriftstellerin, deren Namen
mit Ehren innerhalb und außerhalb unseres engeren
Vaterlandes genannt wird, Frau Lilly Wie-
gand (als Schriftstellerin H. Brand) in Wahlers-
hausen. Aus einer knrhessischen Ossiziersfamilie
stammend, zu Kassel als die älteste Tochter des
verstorbenen Oberstlieutenants Hillebrand geboren,
lebte Lilly Hillebrand lange Jahre bei Frei-
frau von ©teilt in Berka a. W. Hier empfing
die Verewigte die Anregung zu ihrem ersten Werke
„Heinrich von Brabant, das Kind von Hessen",
einer historischen Erzählung ans dem 13. Jahrhun-
dert, mit der sie eines der besten Erzeugnisse
historischer Romanliteratur schuf. Im Laufe der
Jahre, nachdem sie die Gattin des Verlagsbuch-
händlers Georg H. Wiegand geworden war,
folgten ihre historischen Erzählungen aus der
hessischen Geschichte „In Lehnspflicht", „Allzeit
getreu", „Gute Zeit im Lande", „Vor der Fremd-
herrschaft". Ihr letztes Werk, die historische Er-
zählung „Unter König Järome", ist erst vor Kurzem
erschienen und wird auch in diesen Blättern noch
eine Würdigung erfahren. — Am gleichen Tage
starb in Kassel im 83. Lebensjahre der Geheime
Justizrath z. D. R ö t t g e r G a n s l a n d t, geboren
zu Hanau als der Sohn des Lübecker Senators
Ganslandt; nahe verwandt mit dem Dichter
Emanuel Geibel, genoß R. Ganslandt seine Er-
ziehung in Lübeck, besuchte das Gymnasium und
studirte an den Universitäten Marburg und Heidel-
berg. Nach glänzend bestandener juristischer Staats-
prüfung an der Landesuniversität Marburg wurde
der Verstorbene zum Obergerichtsreferendar in
Hanau ernannt. Dann einige Jahre als Gerichts-
assessor in Rinteln thätig, begleitete R. Ganslandt
während der politisch erregten Zeit des Jahre 1848
das Amt des Staatsanwaltes in Fulda. Später
erfolgte seine Berufung zum Obergerichtsrath in
Fulda. In dieser Stellung verblieb er bis zum i
Jahre 1869, in welchem er zum Appellations-
gerichtsrath in Kassel ernannt wurde. Hier gehörte
der Verblichene lange Jahre dem Zivilsenat des
Appellationsgerichts an. Bei der Reorganisation
des Gerichtswesens im Jahre 1879 wurde R. Gans-
landt unter Verleihung des Charakters eines Ge-
heimen Jnstizraths zur Disposition gestellt. Die
hessische Juristenwelt betrauert in dem Verblichenen
den Verlust eines ihrer bedeutendsten Vertreter.
Ein scharfsinniger, mit hohen Gaben des Geistes
und Herzens ausgestatteter Beamter ist mit ihm
ans dem Leben geschieden. Seine Verdienste wurden
durch Verleihtlng mehrerer Orden ausgezeichnet.—
Am 11. d. M. verschied in Kassel nach lang-
jährigem Leiden der praktische Arzt Dr. med. L u d-
wig Wachs. Derselbe war geboren zu Hanau
1843, wo sein Vater Landrath war. In Folge
dessen Versetzung als Regierungsrath nach Kassel
erhielt er seine erste wissenschaftliche Vorbildung
(1852 — 56) ans dem Gymnasium daselbst, um
dieselbe von 1856—64 auf dem Gymnasium zu
Fulda fortzusetzen, wohin seit! Vater inzwischen als
Regierungsdirektor versetzt worden war. 1864
bezog er die Universität Marburg, studirte später
auch in Würzburg und Berlin. Nachdem er eine
Zeit lang am Kasseler Landkrankenhans eine
Assistentenstelle bekleidet, im Kriegsjahr auch ein
Feldlazarett) geleitet hatte, ließ er sich in Haderau
im Holsteinischen als praktischer Arzt nieder. Nach
mehrjähriger Praxis daselbst machten seine Gesund-
heitsverhältnisse die Uebersiedelung in ein wärmeres
Klima wünschenswerth. An mehreren Orten Italiens
übte er die ärztliche Praxis aus, und wesentlich
gekräftigt konnte er im Jahre 1889 nach Kassel
zurückkehren und hier seinem Berufe leben. Mehrfache
Jnflnenzaanfälle und pneumatische Erkrankungen
im vergangenen Winter setzten seiner Gesundheit
stark zu. Ein längerer Aufenthalt in Bad Reh-
burg brachte leider nicht die gehoffte Besserung.
Nach aufopfernder, liebevollster Pflege seitens seiner
Gattin hat ein sanfter Tod ihn von seinen schweren
Leiden erlöst. Mit ihm ist ein treuer und mit-
fühlender Arzt, ein edler und von seinen zahl-
reichen Freunden hochgeschätzter und geliebter Mensch
dahingegangen. (A.)
Hessische Ottcherschau.
Deutsche Volkslieder. In Niederhessen ans
dem Munde des Volkes gesammelt, mit einfacher
Klavierbegleitung, geschichtlichen und vergleichen-
den Anmerkungen herausgegeben von Johann
380
ße toast er. 5. Heft. Hamburg 1894. Hersag
von G ii st a v Fri tz s ch e. Druck von L. Doll
in Kassel.
Mit diesem 5. Hest ist das außerordentlich
werthvolle Werk Lewalter's abgeschlossen. Wir
werden dem Gesammttoerk noch besondere Würdigung
angedeihen lassen und bemerken heute nur, daß
Heft 5 mit der gleichen Sorgfalt und Sachkenntniß
abgefaßt ist wie seine Vorgänger. Einer erfreu-
lichen Thatsache wollen wir ferner Erwähnung
thun: Es wird manchmal geklagt, daß der Born des
Volksliedes in Versiegen sei. Wer die Lewalter'sche
Sammlung durchlieft, wird diese pessimistische An-
sicht ablegen. Die Formen mögen wechseln, aber
die Volksseele wird immer im Lied den richtigen
Ausdruck ihrer Gefühle finden. Und so werden
auch spätere Geschlechtsfolgen noch singen, vielleicht
anders, als unsere Altvordern gethan, aber so, wie
ihnen um's Herz ist. So lange es Lieben und
Leiden, Scheiden und Meiden geben wird, so lange
wird auch die Volksweise erklingen. —a—
Just noch rechtzeitig zum Weihnachtssest erscheint
das durch unsere Zeitschrift wiederholt angekündigte
„H e s s i s che Di ch t e r b it ch", herausgegeben von
Valentin Traubt in Rauschenberg. (Selbst-
verlag — Preis Mt. 3.50.) Es ist eine stattliche
Anzahl hessischer Dichter und Dichterinnen, die der
Herausgeber um sich versammelt hat; die meisten
Namen sind den Lesern dieser Blätter bekannt,
denn das „Hessenland zählt ihre Träger zu seinen
Mitarbeitern. Manche Dichtergabe ist reicher,
manche bescheidener ausgefallen, diese Buntheit ge-
hört eben zum Wesen der Anthologie. Im Ganzen
überwiegt der erfreuliche Eindruck, daß im Hessen-
land Sangesfreude und Sangeskunde noch nicht
ausgestorben sind und daß die Liebe zur Heimath,
die in unserem Volksstamme lebt, auch im Liede
ihren Ausdruck findet. — Dem hübsch ausgestatteten
Buche gereicht das beigegebene Portrait Carl
Pr es er's zur besonderen Zierde.
Der Kurfürsten tag zu Fulda im Jahre
1 5 6 8. Von Oberlehrer Dr. P aut Guba.
Osterprogamm der Drei - König - Schule (Real-
gymnasium) zu Dresden-Neustadt. 1894. 40.
(18 Seiten.)
Unmittelbar vor Ausbruch des zweiten Huge-
nottenkrieges in Frankreich hatten Gesandte und
Agenten Condö's an den protestantischen Fürsten-
hösen Deutschlands Hilfe für den bevorstehenden
Glaubenskrieg erbeten. Bei dem Herrscher der
Kurpsalz hatten Condö's Abgesandte sofort ge-
neigtes Ohr gesunden. Friedrich und sein jugend-
frischer Sohn Johann Casimir rüsteten ohne Zau-
dern ein Hilfsheer von 8000 Reitern und einem
Regiment Fußvolk. Kaum war die Kunde hiervon
zum Kaiser Maximilian gedrungen, als er sofort
seinen Rath Dr. Jlsung nach Heidelberg schickte mit
dem Auftrag, scharf gegen den Pfalzgras' vorzu-
gehen und namentlich diesem auszugeben, „bei des
Kaisers und des Reiches schwerer Ungnad, Straf
und Pön" das angeworbene Kriegsvolk zu ent-
lassen. Unser Pfälzer aber ließ sich nicht ein-
schüchtern, er rüstete ruhig weiter und sandte sein
Heer nach Lothringen, und das war gemäß der
„Libertät der Reichsstände" (Kriegsdienste im Aus-
lande anzunehmen) sein Recht. Nun ordnete der
Kaiser eine Kurfürstenversammlung für den Drei-
Königs-Tag des Jahres 1568 nach Fulda an,
die sich u. A. mit den Wirren in Frankreich, sowie
mit der Libertütsfrage beschäftigen sollte. Der
Kaiser ließ seinen Standpunkt in diesen Sachen
dahin präzisiren, daß es sich in Frankreich nicht
um religiöse Dinge handle, sondern es lüge eine
Rebellion der Unterthanen gegen ihren König vor,
und in Betreff der „Libertät" müsse er den Kur-
fürsten gegenüber diesen Begriff dahin modifiziren,
daß sie wohl Kriegsdienste bei auswärtigen Fürsten
annehmen, nie aber rebellischen Unterthanen Hilfe
leisten dürften. So wenig, wie mit der Zumuthung
des Kaisers, gegen Friedrich von der Pfalz wegen
seines Heereszugs vorzugehen, sich die Kurfürsten
einverstanden erklärten, ebensowenig ließen sie sich
die „Libertät" durch die kaiserliche Auffassung
einschränken. Ein positives Resultat kam bei der
ganzen Tagung nicht heraus, die Verhandlungen
hatten nur ein tiefes Mißtrauen der protestan-
tischen Fürsten gegen die kaiserliche Politik ge-
zeitigt.
Verfasser hat sich ein Verdienst erworben, die
Verhandlungen des Fuldaer Fürstentags ein-
gehender, als es alle Geschichtswerke thun, dargelegt
zu haben und uns damit einen genaueren Einblick
in die damalige kaiserliche Politik zu gewähren.
Seine Darstellung stützt sich im Wesentlichen aus
die Akten des Hauptstaatsarchivs in Dresden, das
gerade eine um so größere Vollständigkeit ausweist,
als der von Protestanten wie auch vom Kaiser und
den Katholischen viel umworbene Kurfürst August
von Sachsen im Mittelpunkt fast aller politischen
Verhandlungen stand. A.
331
Aersonatien.
Ernanntr Regierungs- und Baurath Schattauer
zum Rheinstrombau-Direktor beim königlichen Ober-
präsidium in Koblenz: Gerichtsreferendar Dr. jur. Frei-
herr Schenck zu Schweinsberg zum Referendar bei
der Regierung zu Kassel; Geheimer expedirender Sekretär
Teucke in Berlin zum Postrath bei der Oberpostdirektion
in Kassel.
Bestätigt r Die Wahl des bisherigen Bürgermeisters
von Kop pi aus Zwötzen a. d. Elster zum Bürgermeister
der Stadt Spangenberg^
Gestorben: Wilhelm ine Falcken Heiner (Leh-
rerin an der höheren Mädchenschule, Kassel, 1. Dezember);
Lehrer und Kantor Philipp Großkurth, 87 Jahre
alt (Kassel, 1. Dezember); Bürgermeister Heinrich
Knobel, 64 Jahre alt (Ehlen, 3. Dezember); Frau
Johanna Elisabeth Wigand, geb. Hillebrand
(Wahlershausen bei Kassel, 3. Dezember); der königliche
Appellationsgerichtsrath a. D. Geheime Justizrath
Röttger Ganslandt, 82 Jahre alt (Kassel, 6. De-
zember); Frau Lisette Breithaupt, geb. Maus,
Wittwe des Bauraths Breithaupt, 76 Jahre alt (Kassel,
10. Dezember); Frau Ida von Schmidt, geb. von
Wurmb (Kassel, 12. Dezember).
Berichtigung.
In voriger Nummer wolle mau in dem Nekrolog auf
O. Henschel, S. 312, Zeile 17 v. u. „Oberbergrath"
6 Zeilen weiter unten vor „Anton" setzen.
Briefkasten.
Alle Sendungen für die Redaktion sind zu richten
an die Buchdrnckerei von Friede. Scheel, Kassel,
Schloßplatz 4.
Lehrer H. in Hersfeld. Die in Aussicht gestellte
Sammlung ist uns willkommen.
C. H. in Kassel. In der heutigen Nummer ver-
öffentlichen wir ein noch ungedrucktes Gedicht Feodvr
Löw^e's, des verstorbenen feinsinnigen Dichters, der dem
„Hessenland" von dessen Bestehen an ein hochgeschätzter
Mitarbeiter war. Die Familie des Dichters ftstt uns in
liebenswürdiger Weise noch einige weitere Poesien aus
seinem Nachlasse zur Verfügung gestellt.
W. in Köln. Wird gelegentlich verwandt.
Lehrer J. in Richelsdorf. Wir werden Erkundigungen
einziehen.
Inhalt des Novemberheftes (Nr. 6 des 111. Jahr-
gangs) der „Touristischen Mittheilungen aus beiden
Hessen, Naffau rc.", herausgegeben von Dr. phil. Fritz
Seelig: I. Schartenberg: II. Erschließung des Habichts-
waldes ; III. Berichte; IV. Anzeigen.
4
4
i
i
Einbanddecken
für den Jahrgang 1894 der Zeitschrift
„Hrssenland"
liefert die Buchbinderei von MUH. Miller- Kassel,
Königsthor 5, in gleicher Ausstattung wie die der
früheren Jahrgänge in olivengrnner und reh-
brauner Leinwand mit Gold- und Schwarz-
prägung zu dem Preise von 1 Marli das Slück
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1 Mark 20 Pf. in Briefmarken). Vollständiger
Einband mit rothem Schnitt a 2 Mark (nach
Auswärts mit Portoaufschlag). Bestellungen mit
Angabe, ob grün oder braun (auch für frühere
Jahrgänge), wolle man baldmöglichst direkt an
die genannte Buchbinderei oder an die Duchdruckerei
von Friedr. Scheel in Kassel gelangen lassen.
/^¿%nferer in dem der vorigen Nummer beigegebenen Zirkular
ausgesprochenen Bitte um Adressen zwecks Übersendung von
jDrobenummern ist seitens unserer verehrlichen Abonnenten in
bereitwilligster Weise und in weitem Umfang entsprochen worden.
Indem wir uns hierfür unseren verbindlichsten Dank abzustatten er-
lauben, bitten wir, unsern Bestrebungen die gleiche gütige Förderung
auch in Zukunft zu Theil werden lassen und das Abonnement für
das I. chuartat 1895 (für die poftabonnenten: Postzeitungsliste 1895
Nr. 5148) gest. rechtzeitig erneuern zu wollen.
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Ein prächtiges Festgeschenk für Bücherliebhaber,
die feineren Sinn und Verständniß für eine wahrhaft
charakteristische Ausstattung haben und an einem
Buch auch das „Kuriose" zu würdigen wissen, welche
glauben, einen Dichter erst dann recht genießen zu
können, wenn sie eine Original--Ausgabe zur Hand
nehmen, die so ganz anders von Duft und Hauch
der großen Zeit umwittert ist als eine moderne Pracht-
ausgabe — kurz für alle Freunde des „Echten und
Stilvollen!" — Jedes Blatt ist eine mit großer
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läuterungen sind beigegeben. Bon den Eintragungen
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Fichte, Gleim, Herder, Ktapstock, Favater,
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Leben in Marbnrger Mundart.
Muster, L., Rückblicke ans Knrhessrn und
das Ende des Kurfürstenthums.
M. 1,-.
Derselbe. Ans Deutschlands trüben
Tagen. Bd. I M. 2. -; Bd. II M. 1,50;
Bd.'lII M. 1,50.
Es sind dies keine fortlaufenden historischen
Schilderungen, sondern der Verfasser hat aus Akten-
stücken, Briefen und Zeitschriften das für jene Zeiten
Interessanteste zusammengetragen und so manches
Werthvolle vor der Vergessenheit gerettet, dem Leser
aber ein lebendiges Bild jener bewegten Zeiten entrollt.
Uibbeck, W., Archivar in Marburg. Con-
fesstonen eines Nachdenklichen. 8°.
182 Seiten fein geb. M. 3.—.
Wie schon der Titel sagt, sind dies tiefempfundene
Gedanken und Herzensregungen in vollendeter Form.
Für Freunde gediegener Poesie ein Genuß.
Sonne, I. und Säuger, M., Gymnasiallehrer
in Fulda und Hersfeld. Mathematische
Miedrrholungshrftr. Heft I/II (Doppel-
heft) M. 1,20; Heft IIIM. -,50; Heft IV
M. —,50.
Ein leichtfaßliches methodisches Hilfsmittel, um
den Schülern das oft schwierige Pensum gründlich
beizubringen. Die Hefte sind erprobt und von
Autoritäten empfohlen.
B
fr
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. D. Saul in Stuttgart. Druck und Verlag von Friedr. Scheel in Kassel.