Full text: Der Kasseler Weinberg

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gehörten, war 1860 zu dem Preise von 14800 Taler 
zu haben und wäre von Asbrand gern zu diesem 
Betrag verkauft worden. 
Die letzte noch zum Weinberg gerechnete Be— 
sitzung war die des Rates Steinbach?), deren 
Fläche sich von Sanssouci aus westlich bis zur 
Augustastraße und von Norden nach Süden von 
der Wilhelmshöher Allee fast bis zum Philosophen— 
weg erstreckte. — Diese Besitzung hatte ihres teils 
ebenen, teils bergigen Terrains wegen einen eigen— 
tümlichen Reiz durch ihre Vielseitigkeit, die teils 
idyllisch, teils romantisch berührte. Auf der sich 
nach der Wilhelmshöher Allee sanft abneigenden 
Ebene waren hübsche Boskette und Blumenbeete 
borhanden, an der Südspitze dagegen in dem Kalk— 
felsen eine geräumige Nische mit schönem Grasplatz 
dor derselben, umgeben mit Gebüsch und Bäumen. 
Noch heute sind in dem Grundstück Nr. 10 (etzt 
Nr. 1) der oberen Sophienstraße (Sumpf) Uber— 
bleibsel davon zu sehen.*) 
Der Steinbachsche Besitz, in welchem an der 
Wilhelmshöher Allee (Nr. 45) das ursprüngliche 
Wohnhaus sich noch heute fast unverändert befindet, 
wurde in den 60er Jahren von einem hierher— 
gezogenen Apotheker Waitz, der sich in Batavia 
Reichtümer erworben hatte, angekauft, irre ich nicht, 
einschließlich des oben erwähnten Wohnhauses zu 
17 500 Talern, und von demselben auf diesem 
Grundstück die obere Sophienstraße angelegt und 
mit' der imposanten Villa Nr. 6 (jetzt Nr. 9) be— 
baut, welche jetzt in den Besitz des deutschen Bot— 
schafters in St. Petersburg, General v. Schweinitzs8), 
übergegangen ist, der dieselbe durch Aufbau eines 
weiteren Stockwerks im Jahre 1890 —91 zu einem 
komfortablen Herrschaftshaus herrichten ließ. 
Mit der Anlage der oberen Sophienstraße 
und deren Fortsetzung durch die Straße „Terrasse“ 
wurde dann plötzlich Bauterrain auf dem Weinberg 
erschlossen, gesucht und bebaut. 
Die obere Sophienstraße ist mit ihrer beider— 
seitigen Häuserreihe und den Gärten ausschließlich 
auf früher Steinbachschem Grund angelegt, die 
Terrasse nur zum kleinsten Teil und hauptsächlich 
auf dem Boden von Sanssouci. 
Nachdem, wie schon erwähnt, die Niestewasser— 
leitung im Jahre 1872 auch auf die Hauptstraßen 
des Weinbergs ausgedehnt und diese mit Gas— 
*9 Heinrich Steinbach war Kabinetsfekretar und Ver— 
trauter der Landgrafen Friedrich II. und Wilhelm IX. 
zewesen. Er starb als pensionierter Geh. Oberfinanzrat 
am 13 Dezember 1848 im hohen Alter von über 94 Jahren 
*2) Auf diesem Grundstück erbaute sich der Oberftall— 
meister Hermann v. Eschwege (f 1882) Anfangs der 70er 
Jahre die jetzt noch daselbst stehende Villa mit dem Turme 
39) Schweinitz zog nach seiner Pensionierung 1892 end— 
giltig nach Kassel, wo er am 23. Juni 1901 starb. 
heleuchtung bedacht wurden, wurde auch der Anfang 
der jetzt fast vollendeten Kanalisation gemacht; Wein— 
dergstraße, Grimmstraße und der größte Teil der 
dumboldistraße wurden östlich nach der Stadt in 
den Hauptkanal entwässert, der kleinere Teil der 
Zumboldtstraße vom Hause Nr. 283 nach der Terrasse, 
obere Sophienstraße, ein Stück Wilhelmshöher Allee 
und Augustastraße in den füdlichen Hauptkanal 
ieben der Trußbach durch die Aue in die Fulda. 
Die am Berge liegenden Grundstücke werden in 
Zukunft wohl nur durch Abstiche in einen dieselben 
diagonal von der Höhe bis zur Talsohle durch— 
schneidenden Kanal entwässert werden, welcher aber 
noch nicht gebaut ist. — 
Ich habe in dieser Plauderei über den früheren 
Zustand des Weinbergs nur diejenigen Häuser er— 
vähnt, welche vor etwa 25 Jahren vorhanden waren, 
denn die Erbauung der übrigen Häuser fällt in die 
Neuzeit und ist der jetzt lebenden Generation bekannt. 
Aber obgleich der Weinberg am Philosophenweg 
und an der Weinberg- und Humboldtstraße heute 
stark bebaut ist, so liegt doch zwischen diesen Straßen 
noch eine große Anzahl unbebauter oder nur mit 
hölzernen Hütten versehener Gärten ohne festere 
Hrenze, als leicht zu durchbrechende Hecken, und da 
auch einige dieser unbebauten Gärten sich bis zum 
Philosophenweg erstrecken, so sieht man zuweilen 
jerlumpte Kinder oder Vagabunden darin ihr Wesen 
reiben, im Sommer Blumen oder im Herbst Obst 
tehlen, ja sogar im Winter in den verlassenen 
Zütten ihr Nachtquartier aufschlagen. Noch vor 
ticht langer Zeit wurde der Mieter eines solchen 
Bartens im Winter benachrichtigt, daß man abends 
in seinem Garten einen verdächtigen Vagabunden 
gesehen habe. Der Mieter will sich von der Wahr— 
heit überzeugen und geht in früher Morgendämme— 
rung nach seinem Weinbergshäuschen, öffnet die Tür 
und sieht einen ihm nicht unbekannten Strolch recht 
»ehaglich am Tisch sitzen, angetan mit dem zurück— 
gelassenen Schlafrock des Mieters und aus dessen 
langer Pfeife Tabak rauchend, in der Beschäftigung, 
auf der ebenfalls zurückgelassenen Kaffeemaschine 
einen Morgentrank zu bereiten. Diese Szene war 
dem Mieter doch zu komisch, um den Strolch zu 
Zeibe zu gehen, der auf die Vorwürfe über sein 
reches Benehmen noch so unverfroren war, zu ent— 
zegnen: „Ach, lieber Herr, sind Se doch nit so, was 
ist denn weiter derbi, daß ich, da ich kein Obdach 
son, mir Ihr Häuschen, das Se ja jetzt im Winter 
doch nit bruchen können, zunutze mache.“ 
Noch heute sieht man an heißen Sommertagen 
oft verdächtiges Volk an dem Wege der Eidechse 
lagern und Karten spielen oder unreife Jungen
	        
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