Auf dem Walsfelder Bahnhof.
Das zweite Gespräch ũüber das Hessen-Nass. Vollbswörterbuch.
Haben Sie sich denn mittlerweile das Wörterbuch bestellt?
Auf Ihre Anregung schon gleich nach unserer ersten Unter⸗
daltungl Swel Tage später war schon ein Heft da, und vor
durzem habe ich das zweite gebriegt.
Haben Sie sich denn auch gehörig hinein vertleft?
Das habe ich! Besonders habe ich mich an die Karten gemacht.
Das wußte ich schon vorher! Auf die dürfen wir auch be—
onders stolz sein. So etwas hat bis jetzt bein mundarfliches
Wörterbuch
Am meisten habe ich mich gewundert über die Karte, die einem
die verschiedenen Wörter sür den „Boden“ zeigen.
Ohne Sweifel ist dieje auch am lehrreichsten. Ich sagte Ihnen
ja neulich schon einiges davon.
Nun mũssen Sie mir aber auch verraten, wie es kommt, daß
die Laube ein Hausboden und eine Hũtte im Garten sein bann!
Sofort erfülle ich Ihren Wunsch. Nun hören Sie mal zul
Venn Sie sich eine Laube im Garten ansehen, dann wird
Ihnen auffallen, daß die Hauptsache das Dach ist. Man jeßzt
sich doch in die Laube.' um gegen die Sonne geschützt zu sein.
Tatsächlich ist der
ursprũngliche Sinn
des Wortes „Lau-
be“ einfach Dach“.
Nun hat es sich in
der einen Gegend
als Laube im Gar⸗
ten, d. h. als Gar⸗
enlaube festgejetzt,
in der anderen als
Laube des Hauses.
Wãhrend sich aber
die Laube als
Hausdach nur in
einem kleinen Ge⸗
hiete gehalten hat
und dort schließlich
auch den Raum
unter dem Dach,
den Bodenraum,
ezeichnet, weist
heutediemgangs
prache das Wort
„Laube“ nur noch
in der Bedeutung
„Gartenlaube“ auf.
Wie bommt es
aber, daß es in der
Mundart, Läube“,
in der Umgangs—
jprache „Laube“
heißt?
Ich jagte Ihnen neulich schon, daß wir hier dieselbe Eerscheinung
haben wie in dem mundartlichen „sichen“ und dem schriftsprach
lichen „uchen“. Als weiteres Beispiel führe ich an, daß die
ZTiroler ihre Hauptstadt Innsbruck (mit ul) nennen und daß
der Rucksack eigentlich Kück- oder Rückensack heißen mũßte.
Hier zu Lande hört man manchmal Rocksack, als wenn der
Kucksack etwas mit dem Rock zu tun hätte!
Dann scheint es so, als wenn die Läube eine Eigenart Mittel-
deutichlands sei.
Banz recht! Und die Form „Laube“ mit dem au stammt eher
aus dem Sũüden als aus dem Norden.
Nun sprachen Sie neulich davon, daß Bũhne“ eigentlich, Bretter“
heißt! Können Sie mir darüber noch etwas sagen?
Herne! Sie wissen, daß man hier in der Gegend noch oft das
Wort „Nachten“* für Nächte hört, besonders bei alten Leuten.
Sie denken dabei auch gleich an das bevorstehende, Weihnachten“.
Dielleicht haben Sie auch schon mal Hahnen statt Hähne ge—
hört. Gerade so gibt es neben dem Wort „Bühne“ noch
Buhnen“ (mit ul) Und zwar bönnte ich Ihnen eine ganze
Anzahl von Orten nennen, in denen diese Wörter die Be—
deutung „Bretter“ haben. Es muß also einmal ein Wort
„Buhn“ — Brett gegeben haben, wenn es auch heute offenbar
nicht mehr vorhanden ist.
Wie ist es aber möglich, daß „Bühne“ Hausboden und Theater⸗
teil bedeufen LKann?
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Die Sache liegt ähnlich so wie in dem Fall „Laube“. Wie
chon gesagt, hieß Bũhne zunächst nichts als Bretter. Nun
lamen Bretter aber in den verschiedensten Sujammensetzungen
or. Da gab's ein Brettergerũst für den Warktschreier, der
eine Waren feil bot, und für die herumziehenden Schauspieler,
a gab's ein Gestell, auf dem Verbrecher hingerichtet wurden,
niicht zu vergessen die Empore der Kirche, die ebenfalls als
Bühne und zwar als Porbũhne oder Orgelbũhne bezeichnet
vpurde und auch noch wird. So bam die Bühne zu der all—
jemeinen Bedeutung einer höher liegenden Bretterschicht, und
es ist Lein Wunder, daß neben den genannten Bühnen noch
Taubenbũhne für Taubenschlag, Hausbũhne für den Hausboden,
deubũhne fũr den Heuboden, auftraten. In der Umgangssprache
jt nun in der Folgezeit Bühne nur noch für die Theaterbühne
jebraucht worden, während sie sich in der Mundart nur als
Bezeichnung für den Boden hielt, soweit nicht der alte Speach⸗
jebrauch, d. h. Bühne — Bretter, noch anzutreffen ist.
Anę Frage noch! Mũßte nicht „Bũhne“ als Mehrzahl behandelt
verden
figentlich jal Aber dann müßte man auch die Bedeutung
Brettex“ stärkber hervortreten lassen. Tatsächlich aber denkt
eute bei dem Wort „Bühne“ bein Mensch mehr an die Bretter,
sondern es ist ihm
ein einziger Be—
griff, eine Einheit.
So kommt es, daß
das Wort, ob—⸗
80 ur prũnglich
Mohrzahl, allmäh⸗
lich auch gram⸗
matijch zur Ein—
zahl ũbergegangen
ist. Solche Fälle
ind nicht gar zu
elten im Sprach⸗-
eben! Sie bennen
die Werbstatt, Sie
dennen auch die
Werkstätte. Bei-—
—X
nicht etwa ist das
zweite Wort die
Mehrzahll Viel-⸗
nehr heißt diese
Werbkstätten“!
Das leuchtet mir
ein. Wissen Sie,
heute ist mir ein
Licht aufgegangen!
Ich verstehe jetzt,
warum jso eifrig die
mundartlichen
Wörter gesammelt
werden. Bisher
abe ich manchmal gedacht, diese Mundartfreunde bönnten doch
igentlich etwas Gescheiteres tun. Jetzt weiß ich, daß Ihre
Arbeit einen Sweck hat, ja ich sehe ein, daß Sie die Mundart
inbedingt brauchen, um viele Fragen zu beantworten, die
ruch den einfachen Bauer beschäftigen.
Ddas freut mich von Herzen, und ich hoffe, daß Sie uns bei
injrer Arbeit noch mehr als bisher unterstützen. Ja, vielleicht
entjchließen Sie sich jogar, von nun an besonders zäh an der
Mundart festzuhalten.
Ich verjpreche Ihnen alles. — Noch eine Frage, ehe wir aus—⸗
inander gehen/
Nun?
In der zweiten Lieferung, die mir vor burzem der Briefträger
jebracht hat, befindet sich eine wunderbare Karte, die dem
Leser zeigt, wo man in der Provinz „leer“ und wo man statt
dessen „ledig“ jagt. Soweit ich feststellen kann, stimmt die
Karte. Bei uns spricht man nämlich „ledig“. Nun habe ich
neulich mal so einen Vollbszählungsbogen ausfüllen müsjen, da
vurde danach gefragt, ob verheiratet oder „ledig“. Was haben
die zwei „Ledig“ miteinander zu tun?
So weit es meine Seit erlaubt, will ich Ihnen auch auf diese
Frage noch Auskbunft geben! Vor burzem las ich, daß man in
er Salzunger Gegend jagt: „Da ging der Spektabel ledig,“
). h. los. In der hohen Rhön habe ich mal gehört, wie ein
Mädchen ihrem Vater zurief: „Die Kuh ist ledigl“ Also auch
hier haben wir die Bedeutung Zlos“. Im Wessterwald, ganz
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