Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

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Weiblihen im Bereich des Herzens und Ölaubens. Das Endlih-Weibliche 
mard als Gögenbild feelenlofer ZTriebwünfche auf dem Sockel der SemwShn- 
(ichfeit erhöht und dort meift ebenfo finnlo® angebetet, al$ ungerecht ver: 
läftert. Denn e$ war fein Abbild, fondern nur ein Zerrbild der Wahrheit, 
hinter deffen hohler Masfke fid ein flüchtiges Phantom des Olüdes im Dunkel 
tiefer Lebensnöte barg. 
Das Bild der Wahrheit aber trägt die Züge göttlicher Wefensfülle, die einft 
als SIungfräulichkeit fo hHochgepriefen war und nie erlifcht, wo Liebe {O5pfe- 
rifhen Amtes waltet, zum Heile aller derer, denen fie fih fchenkt. 
In der Iungfräulichfeit betete man die Macht der urfprünglichen Seelenkräfte, 
das Cmwig-Weibliche an, darin die Tatfache unferer Öottfindfhaft begründet, 
durd) die wir Erben ewiger Seiftfluten find. Durd) diefes Medium empfanz 
gen Weib, Menfch und Leben den Zufirom zeugender Urmeltfräfte, Wo diefe 
Urfprünglichfeit gebrochen, da beginnen die Ueberwucherungen des Intelleftes, 
in denen das Leben im Seifte und in der Liebe verarmt, 
Wo fie aber wirkt und fei es au nur in fhmwächeren Graden unbewußter 
Inftinkitmächte, da lebt das Heiltum der Weiblichkeit, jener Krafthingabe, aus 
der dem Leben die großen Segnungen kommen. Sie madct die Frauen zu 
Vebensfpenderinnen au außerhalb der Mutterfhaft, wie in der Kranken: 
pflege, oder wo fonft das Leben des Schußes und der Hilfe bedarf, 
Wo fie in Stärke waltet, mit jener Hingabe, die ohne Schranken fie dennoch 
als unverfiegbaren Lebensquell bewahrt, da entfeimt ihr die fittliche Urmadct, 
die fhon unfere deutfchen Ahnmütter fo ftarf, weife und den Männern, wie 
Römern verehrungswürdig gemacht. Sie fhenkfte diefen Müttern die Hel- 
denföhne und bewirkte jenes weibliche Sehertum, dem wir vielleicht den deut- 
Iden Namen verdanken, abgeleitet vom deutifchen, deuterifhen ihres Wefens, 
Diefe Eigenfhaft grüblerifhen Befinnens und tiefen Nechenfchaftsgebens if 
ung Deutfchen bis heute geblieben. Wo diefe SIungfräulichfeit des Urmeib- 
lichen in der Che ihre lekte Gabe fpendet, aus voller Kraft, da entfprießt dem 
Schofe der Mutter der göttliche Menfch, der feither nur alle taufend Sahre 
einmal geboren ward, 
Daß Cr fih endlich vervielfältige zu einem neuen Stamm, der taufendfältige 
Srüchte irdifhen Dafeingerfüllung trägt, dazu foll in Zukunft ung das neue 
Muttertum verhelfen. 8 wird den Sieg der feelifchen Wefenstriebe über
	        
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