Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

1. 
Bon der Dynamik der Seele, dem großen Eros umd den 
Draanaten 
Sie fprachen den Zweifel aus, hochverehrter Herr, ob Ihr Name der geeignete 
Weg für diefe Briefe fei zum Herzen derer, denen fie gelten. Wie nah beides, 
Name und Briefe, mit einander verfnüpft, dürfte {don die erfte Niederfchrift 
zrgeben haben. Die heutigen Darlegungen werden die Sinien der Verkettung 
weiterführen vom Boden der äußeren Wirklichkeit zu dem der inneren, wefenz 
haften Tatfächlichkeit, wo fie ihre eigentliche Wurzel in der lebten Einheit 
von Seele und Intelleft haben. 
Das Bewußtfein diefer Einheit, fowie der Urfache ihres zweiheitlidhen Wir 
feng und der Vielheit ihrer Crzeugungen, foll in diefem Briefe den Ausdrua 
finden, dem es gelingen möge, den alten Wahn von Cebenszmwiefpältigfeit 
auszurotten. Er entftammt den ftofflidhen Widerftänden unferer moralifchen, 
wie intelleftuellen Natur. Das Ziel jeglicher, wahren Crziehung und die 
3Zwede aller Kultur gipfeln darin, diefe zu überwinden. 
Sm Brennpunkte aller fommenden Erneuerung wird daher die Erziehungs: 
irage ftehen. Sie wird die „Perfönlichkeit“ als ihr Hauptziel erkennen, das 
weit hinausführt über die verworrenen DBegriffe der heutigen Individualiften. 
Ihre Sdeale von Perfönlichkeitsfultur verrieten meift ihren Urfprung aus 
fümmerlidhem Subjektivismus, aus dem Geifte der Selbftfucht unferer Ele 
mentarnatur, 
Wahre Erziehung aber erftrebt den Seift der Freiheit und Unabhängigkeit vom 
Mechanismus der Matur, von den Widerftänden des Stofflichen. Aus die. 
fem Seift allein entftammen unfere freien Selbftbeftimmungsredte. Er nur 
IHÜüßt ung vor dem Mißbraud) der Freiheit zu eigenem und fremdem Schaden, 
Denn fein Zeugnis ift die Macht und der Wille zur BVerantwortlichkeit, die 
das Siegel unferer Menfchenwürde ift. Nur auf dem Wege ver Selbftzucht 
entfaltet fid) diefer Seift in ung zum Wefen der Perfönlichteit. Sie trägt 
immer das Adelszeichhen des Selbitüberwinders, das unter unferen heutigen 
SIndividualiften felten ift und wenig Geltung hat. 
Auf die Tagesherr{haft des Intelleftes geftüßt, befriedigte es meift ihre 
Selbftgenügfamfeit, an fremder Schwäche zum Gefühl der eignen Ueberlegen- 
heit zu Fommen und die Widerftände des Seiftes zu befiegen, foweit fie den
	        
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