Full text: Kurhessischer Kalender (1830-1835)

der dortig:» Legend »rach den Ihnen wohlbe- 
lrnnten allgemeinen Grundsätzen." — ,, Virto- 
ftnal" rief ich unwillkührlich auS und ging 
schweigend zurück.. 
Die Trompete rief, der Mond beleuchtete 
«ns den Vlutweg. Die ersten Strahlen der 
Norgensonne zeigten- mir in weiter Ferne das 
Lhal von Villarcajo und brrs vergoldete Kreuz 
seines Thurmes; noch wenige Schritte, und 
das Feuern, der Avantgarde überzeugte mich, 
daß ich wirklich feindlich gegen den stillen Ort 
des Friedens zog, den ich so wehmüthig, so 
segnend verließ. — Da- tönte die Sturmglocke 
im Thale, die Feuer flatterten auf den Höhen, 
und meine Reuter trabten in wildem Jauchzen 
den seilen Berg hinab, das Fußvolk kletterte 
einen näheren Fußsteig hinunter. Immer ging 
eS nach Villarcajo bin; daö Feuer wurde hef 
iger, auch die Tirailleurs auf den Flügeln 
waren in den Oliven-Anpflanzungen engagirt. 
Ein Trupp Spanier brach hinter einem Meier- 
hofe hervor, nahe genug, um das Gebrüll: 
„Viva la Santa religio! Viva Ferdinando sep- 
timo!“ deutlich zu hören. — Die erste döcas 
drvn stürzte sich auf diese Masse, sprengte sie 
auseinander und Alles jagt in wilder Carriere 
nach. 
Am' Bilde de- heiligen Stephan lag der 
Pfarrer, einen Lanzenstich durch die Brust, ein 
Crucifix in der Hand, den Blick nach oben. ■— 
,,Öctt vergebe Dir!" sagte er sinster, als ich 
vom Pferde sprang und auf ihn zu eilte; ,.Gott 
vergebe Dir, Du hast mir blutig gelohnt! — 
Doch", setzte er heiterer hinzu, „Sie sind 
unschuldig, ich vergebe Ihnen gern, und auch 
dem, dessen Lanze mich traf." — Ich rief 
tinen Chirurguö, ihn zu verbinden; er wollte 
ks nicht dulden. ,. Gönnen Sie mir nicht den 
^'renvollen Tod, der Ihrer nicht wartet, den 
Tod für das Vaterland’?" sprach er zürnend; 
,, wollen Sie mich lieber meinen Henkern über- 
"kfern, auf der Esplanade von Burgvs mich 
^ schimpfliche Trophäe aufgeknüpft sehen? Ich 
hrelt Sie für menschlicher! " — Er schwieg. 
der Chirurgus' nun auch versicherte, die 
Grunde sey tödtlich, Rettung-unmöglich, so 
.^üng ich mit meinen Bitten nicht weiter in 
hv; wohl aber sprach ich: „Mann des ftties 
. Wie konnten Sie an die Spitze dieser 
-vcenschen sich stellen und zum Blutrichter wer- 
J*: [' ~ ,, Lassen Sie mich nur" — so ant- 
er> mild lächelnd — ,, lassen Sie mich 
ur ln meine Kirche tragen und dort sterben, 
hersagen Sie mir diese Bitte nicht, eS ist ja 
An ?^e für diese Welt — dort sollen Sie - 
"fahren!" — Ich ließ ihn auf einer 
^^ß^durch meine Leute fortbringen, sie thäte» 
tS irtüiy, ber chrwurdtge'blutende Grero popn 
Allen Ehrfurcht »:.7» 
Der Zug ging vorwärts; Überall flohen die 
Spanier; Villarcajo war genommen und nur 
noch cii.zelne Schüsse fielen aus den Häusern, 
als wir einrückten. Schon brannte es an meh 
reren Orten, schon schlug die Flamme über der 
Wohnung deS Pfarrers zusammen, als wir 
über den Platz zur Kirche kamen, und unwill- 
kührlich rief ich: „Vittorina!" — „Bald sind 
wir bei ihr!" sprach der Greis, und zeigte 
nach der offenen Kirche; „dorthin, dorthin! 
vor den Altar, auf jenen frisch gesenkten Stein 
setzt mich nieder, meine Kinder!" sagte er, 
„da laßt mich ruhig sterben!"— Ich trat 
vor den Altar, meine Blicke fielen auf den 
Stein zu seinen Füßen, und mit großer Schrift 
stand — o daß ich es lesen mußte! — „Vittv- 
rina de Corrego y Fernando Almasas" darauf 
gegraben.—„Dahin, dahin!" rief der Pfarrer, 
immer nach dem Stein zeigend, den seine Sehn, 
sucht nicht rasch genug ereilen konnte, und: 
„Gottlob!" seufzte er, da man ihn hinsetzte, 
ihn mir dem Rücken an den Altar lehnte; 
„Gottlob! bald bin ich bei Dir!" 
//Junger Mann!" sagte er, indem er meirre 
Hand feierlich ergriff; ,, Gott gab mir ein 
Zeichen; durch die hier Ruhende sprach der 
Herr zu mir, ich habe seine Stimme gehört 
und seine Befehle treulich befolgt! — Doch 
setzen Sie sich neben mich " — fuhr er fort — 
„nur leise kann ich noch reden, und ich wünschte 
doch so gern. Sie möchten es wissen, warum 
ich starb; Ihre Thränen möchten auf dieses 
Grab, auf meine Leiche fließen ! " — Ich setzte 
mich, er hub mit schwacher Stimme an : „Acht 
Tage nach Ihrem Abmarsch kam ein Detasche- 
ment Franzosen in unser Dorf; auch zu mir 
kamen mehrere in's Quartier, sahen Virtorina, 
und, Hände und Füße dem Greise gebunden, 
Fernando gemißhandelt und geknebelt, entehrten 
sie vor unserm Angesicht den Engel der Unschuld 
und eilten triumphirend über ihre Schandthat 
davon. — Sckweigend stieg die Entehrte vom 
Lager ihrer Schande, entledigte mich meiner 
Fesseln, eilte zu Fernando, nahm einen ver-- 
borgenen Dolch von seiner Brust, stieß ihn in 
ihr Herz, noch ehe ich zu ihr eilen konnte,, 
und unter dem Ausruf: „Heilige Jungfrau, 
nimm mich Sündhafte gnädig auf!'' verschied 
sie. Fernando, seiner Bande entledigt, zog 
den blutigen Dolch aus dem Busen der Mär 
tyrin, ich nahm das Crucifix in meine Rechte, 
so stürzten wir auf-die Straße,. Rache der 
heiligen Jungfrau schwörend. Dem ersten Fran 
zosen,, der uns begegnete, .stieß Fernando den 
Dolch in's Herz. Die Sturmglocke tönte.
	        
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