Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

Advocat Redderse», der sich ohne Umstände in die 
Weiberstände gesetzt hatte und dem Schnupftabak 
schon sehr ergeben war. Da er nun beim AnfaNgs- 
gebete und Vorlesen der Epistel, indeß Jedermann 
aufgestanden war, allein sitzen blieb, um von Zeit 
zu Zeit verstohlen eine Priese zu nehmen und dies 
Sackmann gleichwohl gewahrte, hielt letzterer plötz 
lich inne und rief jenem mit starker Stimme zu: 
„Snüffler! gieb Gottes Wort die Ehre und hebe 
„dich!" — Reddersen blieb gleichwohl sitzen und 
schnupfte von Neuem. Da hielt Sackmann wieder 
inne und rief noch stärker als zuvor: „Snüffler ich 
„sage dir nochmals, gieb Gottes Wort die Ehre 
„und hebe dich." — Da aber auch auf diese Er 
mahnung Reddersen sitzen blieb, und, halb gebückt 
unter die Weiberstühle, zu schnupfen fortfuhr, rief 
Sackmann den Kirchenvätern: „Hans und Kurt! 
„kommt doch und helpt mH den Snüffler dort mal 
„vom Platze, damit dat he weit, dat he in de Kerke 
„is!" — Reddersen aber fand nicht für gut, die 
Ankunft dieser handfesten Männer abzuwarten, son 
dern sprang in langen Sätzen zur Kirche hinaus. 
Sackmann ist am 11. Juni 1718 im 75.Jahre 
seines Lebens in Limmer gestorben. 
(Aus der Vorrede von Jobst Sackmann's platt 
deutschen Predigten. 7. Auflage. Celle 1860). 
Der hessische Soldat. 
Wir Hessen haben uns von jeher von unsern 
deutschen Landsleuten allerlei Uebels nachsagen lassen 
müssen. In den alten Zeiten, als man noch die 
Schwaben mit der Unkeuschheit und Einfalt, die 
Baiern noch mit dem Geiz und der Habgier, die 
Franken mit der Raublust und Gotteslästerung, die 
Sachsen mit dem Biersaufen, die Westphalen mit 
ihrem Recht, darnach man einen erst aufhieng, ehe 
man ihn vor Gericht brachte, mit ihrem groben Brod, 
sauern Bier und ihren langen Meilen, die Thüringer 
mit ihrem Heringsessen durchzog, wußte man von den 
Hessen nichts anderes Schimpfliche, womit man sie 
foppen konnte, als die Armuth: die hessischen Geißen, 
der hessische Ziegen - oder Schneiderspeck, das waren 
in allen reichen Bezirken unseres deutschen Vater 
lands die Stücklein, mit denen man die Hessen vexierte; 
das Land sei so arm, meinte man, daß es nichts als 
Ziegen ernähren könne, Nun, Armuth schändet nicht, 
wenn sie nicht verschuldet ist, und die Hessen hatten 
eben nicht Ursache, nach einem Tausch mit dem zu 
verlangen, was den Baiern, Schwaben und Franken 
nachgesagt wurde. Auch ist ja seitdem vieles anders 
geworden. Den Ruhm aber, wackere, ihrem Land- r 
grafen bis in den Tod getreue Soldaten zu sein, g 
haben die Hessen zu allen Zeiten voraus gehabt und t 
werden ihn mit Gott auch voraus behalten. Um den c 
Preis dieses Ruhms der Tapferkeit und vor allem l 
der Treue bis in den Tod läßt sich der hessische z 
Schneiderspeck gar leicht, auch wohl die Blindheit > 
verschmerzen, die man uns nach der Hand aufgehängt > 
hat und von der die Anderen gewaltig hartnäckig ! 
behaupten, es wäre mit derselben nicht so ganz ohne, i 
Die Ehre eines tüchtigen Soldatenthums ist den i 
Hessen gar oft von den größten Heerführern und 
Feldherren öffentlich und feierlich zuerkannt worden. 
So kam im 30jährigen Kriege der gewaltige Kriegs 
held, der kaiserliche General Tillh, mit seinen Scharen 
nach Hessen (wo man ihn freilich nicht gern sah), 
und nachdem er sich einige Wochen da umgesehen und 
seinen Soldaten in den Scheuern und Kellern und 
Geldkasten der hessischen Bauern auch ein wenig 
Umsehens verstattet hatte, sagteer: Er habe hiebevor 
gehört, im Land zu Hessen gebe es große Schüsseln 
und wenig zu fressen (denn dies war eben auch eins 
von den Stücklein, mit denen man die Hessen utzte), 
allein er sehe, daß es ein edles und köstliches Land 
sei; wenn seine Armee ruiniert sei, wünsche er keinen 
bessern Rekrutenplatz, als das Land zu Hessen. 
Die Hessen sind von jeher Soldaten wie von 
Natur, und ihr ganzes Leben hindurch mit Freuden 
Soldaten gewesen, gleich als müsse das so sein, ohne 
sich um das zu kümmern, was man in der Welt Be 
lohnung oder militärische Auszeichnung nennt. Ein 
braver Gefreiter von Landgraf Carl, welcher sich 
durch einen ganzen Haufen Franzosen durchgeschlagen 
und seinen bereits nebst mehreren Musketieren gefan 
genen Lieutenant befreit hatte, bekam dafür den eisernen 
Helm. Als er vor der Front das Kreuz angeheftet 
bekam und der Regiments-Commandeur ihn fragte, 
ob er sich auch recht über die Ehre freue? antwortete 
er: zwei Carolin wären ihm lieber gewesen. Darüber 
kam er zwar alsbald mit sammt seinem Orden in 
Arrest, aber der Mann hatte sich bei dieser ehrlichen 
ungeschickten Antwort nichts Arges gedacht; es war 
eben gedacht und gesprochen wie ein — Hesse, der 
seine Schuldigkeit thut und dafür wohl eine Vergü 
tung annimmt, die ihm sein dürftiges Leben fristen 
hilft, aber sonst an weiter nichts denkt, am wenigsten 
an äußerlich glänzende Ehre. — Im brabantischen 
Feldzuge hatte sich auch ein Musketier ganz besonders 
brav gehalten und die Aufmerksamkeit des Befehls 
habers der Brigade, eines preußischen Prinzen, auf
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.