Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Worauf der Prinz endlich nachgab und lächelnd 
erwiderte: „Nun. ja, Ditfurth! Er hat Recht, 
ich will ja gehen. Sei er aber nur nicht gleich so 
grob!" Jedoch schon war das Feld ringsumher von 
feindlichen Reitern bedeckt, so daß der Prinz und 
seine beiden Begleiter (von Ditfurth und ein 
hannoverscher Ordonnanz-Dragoner) sich durch die 
selben mehrmals förmlich durchschlagen mußten, wo 
bei dem Prinzen einmal von einem französischen 
Officier der Hut vom Kopfe gehauen, der Rittmeister 
von Ditfurth aber am Arm verwundet u. kampf 
unfähig gemacht wurde. Somit würde der Prinz 
schwerlich entkommen sein, wenn ihm nicht unverhofft 
weitere Hülfe zu Teil geworden wäre. 
Zn Speier auf der Stabswache befand sich 
nämlich am Tage des Treffens bei Speierbach unter 
andern Arrestaten auch ein Unterofficier des hanno 
verschen Regiments Schnlenburg-Dragoner, Namens 
Gabriel Braun. Er war in Haft, weil er im 
Streit einen hessischen Unterofficier erstochen hatte, 
deswegen zum Tote verurteilt war und am andern 
Tage hingerichtet werden sollte. Als nun in Folge 
der am Speierbache erlittenen Niederlage Haufen 
des Nassau -Weiibnrgschen Corps in wilder Unord 
nung durch Speier hin die Flucht nahmen, war auch 
der zur Bewachung der Arrestaten in der Stabswache 
commandirte Posten auf und davon gegangen, ohne 
sich um den im einsamen Gefängnisse sitzenden 
Gabriel Braun weiter zu bekümmern. Dieser, 
da er bemerkte, daß er unbewacht war, verließ sein 
Arrestlocal, raffte einige der überall umher gestreuten 
Waffen auf, fing sich ein tüchtiges Roß ein und 
sprengte hinaus auf das «Schlachtfeld, um sich ent 
weder Pardon zu erstreiten oder einen ehrlichen Tod 
zu finden. Dort traf er in eben dem Augenblicke 
zu dem Erbprinzen Friedrich, als dieser und seine 
Begleiter abermals durch einen Schwarm der immer 
hitziger verfolgenden Feinde auf das äußerste bedrängt 
wurden. Den Prinzen erkennen und zu seinem 
Beistände herbeieilen, war für Braun das Werk 
eines Augenblicks. Gut beritten, ein treffticher Reiter 
und Fechter, überdies von riesiger Körperkraft, wie 
er es war, teilte er nach rechts und links so mächtige 
Schwerthicbe aus, daß die den Prinzen bedrängenden 
Feinde, von Entsetzen ergriffen, eiligst nach allen 
Seiten hin in wilder Flucht aus einander stoben, 
worauf der Prinz glücklich das Hauptcorps erreichte. 
Für diesen dem Prinzen in höchster Not geleisteten 
Beistand ward Braun von demselben nicht nur 
vollständig begnadigt und durch ein Geschenk von 
20 Louisd'or begabt, sondern der Prinz nahm ihn 
auch, nachdem nähere Erkundigungen ergeben hatte, 
daß nur Jähzorn ihn zu jener schlimmen Tat ver 
leitet hatte, wegen deren er zum Tode verurteilt 
war, daß er aber außerdem eine ehrliche, treue Seele 
sei, als Marställer in seine Dienste, in denen er 
dann auch alle Zeit sich wacker gehalten hat und 
hochbejahrt gestorben ist. 
Wie gnädig der Prinz, der überhaupt ein gar 
edler Herr war, jenes ihm von Gabriel Braun 
geleisteten Dienstes immerdar eingedenk blieb, läßt 
sich auch noch aus Folgendem entnehmen. Als nach 
vielen Jahren, da der Prinz schon längst Landgraf 
von Hessen und König von Schweden und bereits 
ein hochbetagter Herr geworden war, eine Rundreise 
in Schweden machte, und der Bürgermeister einer 
kleinen Stadt in seiner Bewillkommnuugsrede unter 
Anderem den Wunsch aussprach, „daß ihrer Majestät 
allewege in allen Nöten der Erzengel Gabriel mit 
dem Flammenschwerte schützend und schirmend zur 
Seite stehen möge;« entgegnete der König-Landgraf 
in der ihm eigenen, alle Herzen gewinnenden, heiteren 
und scherzhaften Weise: »Er dürfe als ein sündiges 
Menschenkind dieses wol nicht erwarten; jedoch sei er 
dem lieben Gott schon von ganzem Herzen dankbar, 
wenn ihm, so er in Not wäre, stets solche Hülfe zu 
Teil werde, wie sie einst sein alter treuer Erzbengel 
Gabriel dahinten» (wobei er auf seinen im Gefolge 
befindlichen Marställer Gabriel Braun hinwies) 
»am Speierbache geleistet habe.« 
Wie groß die Sonne ist. 
Der Kalenderschreiber erzält gern von den Wundern 
des Weltalls, von den ungeheuren Entfernungen cer 
goldnen Gestirne am Himmelsgewölbe, von den 
Geheimnissen des Firmaments, an deren Ergründung 
sich seit Jahrtausenden die scharfsinnigsten Menschen 
abgemähet haben. Solche Dinge zu betrachten und 
darüber zu sinnen ist für Jedermann heilsam. Denn 
an der Größe der Wunder Gottes lernen wir die 
eigene Kleinheit ermessen und das ist dem Menschen, 
dem sich in Kopf und Herzen so gern der Hochmut 
bläht, ein gar gesundes Recheuexcmpel. Wenn uns 
aber solchermaßen auf der einen Seite die Betrach 
tung der Schöpfung in ihren großartigsten Berhält- 
nissen lehren mag demüchigen Sinnes zu werben, 
so vermag dieselbe Betrachtung auf der anderen 
Seite uns auch mit erhebender Freude das Herz 
zu füllen, darüber, daß es dem rastlosen Fleiß und 
dem unermüdlichen, ja auch von Gott stammende», 
menschlichen Wissenstriebe gelungen ist, einzudringen 
in die unermeßlichen Fernen des Weltalls und den 
leuchtenden Himmeisrätseln der Nacht einen Teil 
ihrer Geheimnisse abzulauschen.
	        

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