Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Unterhaltendes und Belehrendes. 
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Althessrsche Erinnerungen. 
Ein Brief des Landgrafen Wilhelm des Vierten 
, zu Hesskü» 
ÄlS Landgraf Philipp, genannt der Großmütige, 
am Ostermontage des Jahres 1567 zum Frieden 
eingegangen war, teilten seine vier Söhne rechtmäßiger 
Ehe, dem väterlichen letzten Willen gemäß, das Hessen 
land unter sich. Wilhelm, des Namens der Vierte 
unter den Landgrafen zu Hessen, erhielt fast die Hälfte 
des Landes, nämlich Niederhessen mit der Hauptstadt 
Kassel, die Grafschaft Ziegenhain und einen Teil der 
Herrschaft Schmalkalden; Ludwig bekam ein Viertel, 
nämlich das Oberfürsten tum Hessen mit Marburg, 
die Grafschaft Nidda und die Herrschaft Eppstein; 
Philipp ein Achtel und zwar die Niedergrafschaft Katzen 
elnbogen mit Rheinfels und St. Goar am Rhein; 
Georg gleichfalls ein Achtel, die Obergrafschalt Katzen 
elnbogen mit der Residenz Darm stad t. 
Landgraf Wilhelm, der älteste der Brüder, war 
einer der besten Regenten, nicht allein, deren sich das 
hessische Volk, sondern deren sich irgend ein Volk 
jemals zu erfreuen gehabt hat. Er führt in der 
Geschichte den Ehrennamen des »Weisen« und diese 
Bezeichnung ist (was man nicht von allen, ja nicht 
einmal von vielen fürstlichen Ehrennamen behaupten 
kann) keine leere Schmeichelei. Landgraf Wilhelm 
betrachtete, wie ein rechter Landesherr soll, sein 
fürstliches Aint als ein heiliges und schweres Amt 
und verwaltete es als ein solches. Wie er ein treuer 
und gehorsamer Sohn seines Vaters war, so war er 
ein treuer, gerechter und milder Vater seines Volkes 
und seiner eigenen leiblichen Kinder, ein treuer und 
liebreicher Ehegatte, ein treuer und aufrichtiger Bru 
der seiner Brüder. 
Unter den Eigenschaften, um derentwillen Land 
graf Wilhelm mit Recht der Weise heißt, glänzt hervor 
seine Liebe zu prunkloser Einfachheit und seine Ab 
neigung gegen die, grade zu seiner Zeit an deutschen 
Höfen täglich zunehmende Ueppigkeit und die Sucht, 
fremdländische kostspielige Gewohnheiten in Lebens 
weise und äußerlichem Scheinwcsen nachzuäffen. Ein 
unvergeßlich schönes Denkmal der edlen fürstoäter- 
lichen Gesinnung deö Landgrafen bleibt sein Testament. 
Darin ermahnt er seinen Sohn und Nachfolger Moritz, 
daß «er sich guter Haushaltung befleiße, selbst zu 
seinen Sache» sehe, nicht Alles auf andere Leute 
stelle, sondern sich nicht schäme, die Wochenrechuungcu 
in der Haushaltung selbst zu übersehen, insonderheit 
stber des Kammcrschreibers Tranlsteuer-, Wein- und 
Küchenrechnuugen selbst abzuhören, damit er sehe, 
daß er vor sich und nicht hinter sich haushalte, auch 
nicht mehr vertue als er Einkommen habe, und dar 
über nicht in Schulden und Verderben gerate.« — 
Diese Vorschriften hat Landgraf Wilhelm selbst ge 
treulich befolgt und ist in seiner eigenen fürstlichen 
Hof- und Haushaltung allezeit bedacht gewesen, wie 
er selbst sagte, „seiner armen Untertanen Schweiß 
und Blut, ihm gegeben, Armen zu helfen und Land und 
Leute zu verteidigen" gewissenhaft zu Rate zu halten. 
Eö sind uns zahlreiche und köstliche Zeugnisse der 
getreuen und redlichen Gesinnung des weisen Sohnes 
des großmütigen Philipp erhalten geblieben. Darunter 
zälen die Briefe, in welchen er seine Geschwister und 
seine Kinder zu altdeutschem Hausvatersinn, Gerechtig 
keit und Milde gegen ihre Untertanen und Diener, 
Sparsamkeit, Nüchternheit und einfältiger, demütiger 
Gottesfurcht mahncte und verpflichtete, zu denen, an 
welchen ein rechter Hesse seine ganz besondere Freude 
haben muß. Einen solchen Brief gibt der diesjährige 
Kalender im Nachstehenden zu lesen. Es ist dies 
Schreiben an den jüngeren Landgrafen Philipp, den 
dritten Sohn des „Großmütigen", Landgraf Wilhelms 
vorjüngsten rechtmäßigen Bruder, den Herrn von 
Katzenelnbogen, der beständig in Schulden bis über 
die Ohren saß, gerichtet und lautet, mit einigen Ab 
kürzungen in heutige Schreibweise übertragen, also: 
Hochgeborncr Fürst, freundlicher lieber Bruder 
und Gevatter! 
Wir haben Eurer Liebden Schreiben d. d. Rhein 
fels den 6. d. empfangen und daraus Ew. Liebden 
abermals vorgewendete Beschwerungen vernommen. 
Daß Ew. Lbd. einen großen Mangel, den Ew. Lbd. 
leiden solle, anziehen, ist an dem, daß unser gnädiger 
Herr Vater Gottseeliger Ew. Liebden, nach Gelegen 
heit und Herkommen dieses Landes und soviel dieses 
Fürstentum ertragen, so wol und dermaßen bedacht, 
daß Ew. Lbd. billig Gott zu danken, dann Ew. Lbd. 
Gott Lob ein weit Mehreres bekommen als vor Zeiten 
unserem Herrn Großvater Landgraf Wilhelm, der doch 
nur einen einzigen älteren Bruder gehabt, zu Teil 
worden ist; da dersclbige damals mehr nicht als 
Spangenbcrg und Eschwege gehabt. Daß aber Ew. 
Lbd. jetzo über einen so großen Mangel klagen, ist 
an dein, daß die Jahre nicht alle gleich, auch bei 
diesem unerhörten Miswachs, der nun 5 oder 6 Jahre 
hinter einander gewärct, solches nicht zu verwnntern; 
sintemal Wir Ew. Lbd. bei unserem Glauben ver 
sichern können, daß Wir dies Jahr etliche tausend
	        
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