Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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Unterhaltendes unb Belehrendes. 
Die barmherzigen Samariter. 
war ein kalter, unfreundlicher Wintertag. 
Schon hatte ei» fußhoher Schnee die Erde mit einer 
seiten Decke überzogen, und immer' noch flog und 
wirbelte es in hellen Flocken vom Himmel. Busch 
und Strauch beugten ihre Häupter unter der immer 
»eu sich erzeugenden Schneelast, und die Aeste der 
Bänme seufzten und zitterten in dem Wehen des daher- 
sahrenden Windes. Aengstlich und aufgepludert ver 
ließ hier und da ein Vöglein sein Versteck und suchte 
vergebens um Scheuer und Stall nach einem Körn- 
wm Futter; seine Speise lag tief begraben unter dem 
weißen Schneetuch. Die Leute auf den Gaßen eilten, 
°hne sich die Zeit zu bieten, hastig an einander vor 
der, uni dem Schneegestöber, das alsobalv wie ein 
dichter Schleier um die.Augen sich legte, und der 
llärker auftretenden Kälte zu entfliehen. — Allmählich 
weg der Abend in das Thal, und noch ließen die 
grauen Wolken nicht ab, ihre winterlichen Gaben 
reichlich zur Erde zu senden. 
Mochte es draußen auch noch so unheimlich und un 
gastlich sein, in der Werkstatt des Schusterkonrads 
war es behaglich und friedlich still. Denn der große 
Kachelofen verbreitete in der wohnlichen Stube eine 
wohlthuende Wärme, die Erdstöcke, mit denen er 
gespeiset war, hielten wider bis zum Schlafengehen. 
^>e glänzende Glaskugel vor dem Lichte auf dem 
S'chusterkisch gab zur Arbeit hinlängliche Helligkeit, 
und die Sehläge des Hammers, die rüstig auf das 
^er fielen, übertönten die Stöße, mit welchen der 
^>nd an den kleinen Fenstern rüttelte. Ob es draußen 
>ch"eite oder stürmte, ob die Sonne glühenden Brand 
versandte oder der Regen in Strömen goß, das trübte 
^er störte die Ruhe und den innern Frieden des 
^chusterkonrads nicht; ihm kam alles, was da geschah, 
:° n dem Herrn, der in dem unermeßlichen Himmels- 
^ume den Gang der Sterne, wie das kleine, trotzige 
des Menschen Herz, mit seiner Hand hält und 
'wch seinem Rathe lenkt und regiert. Der LchustH- 
'onrad war, wie wir schon früher von ihm berichtet 
^aben. ein heiteres, kindlich frommes Gemüth. 
Der 
chwrgen- und Abendsegen, den er täglich betete, gab chm 
"Nlner die rechte Herzensstärkung, und allezeit,keyrle 
m' * n guten wie in schlimmen Tagen , zu dem Worte 
^vttes zurück als dein lebendigen, "ewig "frischen 
^ues Trostes und aller Freude. 
Quell 
Auch diesen Abend machte er, wie er zu thun 
pflegte, wenn das Glöcklein der Dorfkirche den Sonntag 
einläutete, alsbald Feierabend, legte sein Handwerks 
zeug bei Seite, nahm den Abendsegen zur Hand und 
unterhielt sich in Inbrunst und Andacht mit seinem 
Gott und Schöpfer. Ein lautes Amen und der Vers: 
Sing', bet' und geh' auf Gottes Wegen, 
Verrichte.deine Pflicht getreu. 
Trau' ihm und seinem reichen Segen, 
So wird er bei dir werden neu; 
Denn wer nur seine Zuversicht 
Auf Gott setzt, den verläßt er nicht; 
schloß die fromme Betrachtung. 
Indem that die Thüre sich auf, und herein traten 
die alten Bekannten und grüßten mit Handschlag und 
einem herzlichen "guten Abend" den werthen Freund 
und treuen Nachbar. "Nun setzt euch, Leute," sprach 
Konrad freundlich, »hier zum warmen Ofen, er meint 
es gut, und ich denk', man könnte es heute Abend 
brauchen.« 
»Ja,« erwiderte der Bienjakob, »ist das ein Wet 
ter , daß es einen bis ins' Herz 'nein friert. Es 
wär' nicht unrecht, wenn man sich so in dicke Pelze 
wickeln könnt', wie es in der Stadt die reichen und 
vornehmen Leute thun." 
«Na, laßt es gut sein, Jakob," erwiderte der 
Schuhmacher, »der Pelz allein thut es nicht immer, 
der schützt nicht allemal vor Frost uud Unbehagen. 
Seid Ihr denn schon in eurer Jacke und leinenen 
Hose auch bei gestrenger Kälte verdorben, Jakob? 
Ist nur das Herz frisch und gesund, sieht es darin 
fein ehrbar und säuberlich aus, beherbergt es keinen 
bösen Gast, der ihm die Wärme und das Behagen 
austreibt, so kann man es mit dem Winterfrost, 
den uns unser Herrgott schickt, immer noch aushalten. 
Seht nicht nach den Reichen, wie die es machen, 
sondern denkt an die Armen, wie es denen geht. 
Armuth ist ein bitteres Brot, und kommt da »och 
Kälte, Hunger und Krankheit hinzu, so ist daö Maß 
des Elends voll, und der himmlische Vater muß seine 
Engel senden, daß sie es tragen helfen. Kommeich 
da heute Morgen von dein jungen Lindenschmidt, der, 
wie ihr wißt, sich mit Tuchmachen und Holzhauen 
zu nähren sucht, — Gott, was war das für ein Jammer 
und Herzeleid! Er liegt schon seit vier Tagen auf 
hartem Lager krank darnieder, — und nun keine Feder 
decke zum Warmhalten, kein ordentlich Feuer im Ofen,
	        
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