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Psalmen 24, 25 und 26, Iesaias 53, Johannes 14,
15, 16 u. 17, Römer 5 ff. Als sie geendet hatten,
sprach der Sterbende vernehmlich: „Ich habe stets
vor mir den Spruch Johannis von dem Sohn Gottes,
meinem Herrn Jesu Christo: „Die Welt nahm ihn
nicht auf, wie viele ihn aber aufnahmen, denen hat
er Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden, allen,
die an seinen Namen glauben." Dann betete er leise
vor sich hin. Die Professoren, welche an diesem
Nachmittage zu lesen hatten, stellten ihre Vorlesungen
ein und forderten die Studenten zum Gebete auf.
Es ging eine theilnehmende Bewegung durch ganz
Wittenberg, allgemein war die Trauer. Drinnen
im Hause lag Melanchthon im Todeskampfe. Er
antwortete fast nichts, wenn man ihn fragte, doch
war er Lei vollem Bewußtseyn. Als ihn sein Schwie
gersohn fragte, ob er etwas begehre? antwortete er:
„Nichts als den Himmel, darum laßt mich
mit solchen Fragen hinfort zufrieden." — Als man
sah, daß er dem Ende zugehe, sank der Pfarrer auf
die Kniee, betete gar tröstlich für den Sterbenden,
alle Anwesenden aus den Knieen beteten ihm nach.
Besonders die Sprüche, die ihm im Leben lieb
gewesen waren, aus Joh. 15, 16, 17, sowie Röm. 8,
wurden jetzt gesprochen. Es war 6 Uhr Abends,
er lag ganz still, da erhob sich ein Diakon und sprach
über ihn den Segen. Der Doctor und Professor
Veit W i n d h e i m rief ihm die Psalmworte zu:
„In Deine Hände befehle ich, Herr, meinen Geist,
Du hast mich erlös't. Du getreuer und wahrhaftiger
Gott", und auf die Frage, ob er es höre? ant
wortete er Allen vernehmbar: „Ja!" Jetzt sprach
der Diakonus den Glauben und das Unser Vater,
und dreimal die Worte: „Herr Jesu Christe, in
Deine Hände befehle ich meinen Geist!" Beim
dritten Male regte der Heimfahrende die Lippen,
es war, wie wenn er betete; mehr als 20 Personen
waren zugegen. Gerade Abends 7 Uhr ging er
heim zu seinem lieben Herrn Jesu Christo, den
er stets mit Herz und Mund gelobet und gepreiset
hat. Bei dem hat er nun auch ohne Zweifel ewige
Freude und Herrlichkeit sammt allen Auserwählten.
Zu der helfe uns Jesus Christus, der Sohn
Gottes, allen miteinander auch gnädiglich und ver
leihe uns ein seliges Stündlein und einen fröhlichen
Abschied zu seiner Zeit, wenn es ihm gefällig ist.
Amen! So wünscht der alte Bericht der Universität
Wittenberg, und wer möchte nicht von Herzen das
mitwünschen?
Die Nachricht von dem tödtlichen Hingange des
theueren Lehrers verbreitete sich rasch durch die Stadt.
Die Studenten kamen in großer Anzahl, ihn zu
sehen. Keine Entstellung im Gesichte, keine Ver
änderung der Züge war eingetreten, es war noch
das alte, liebe Melanchthons-Antlitz. Auch eine
Menge anderer Menschen strömte herbei. Manche
berührten sein Haupt, Andere nahmen seine Hand und |
drückten sie, wieder Andere küßten ihn unter Thränen.
Die Eltern brachten ihre Kinder, daß sie einst sagen
könnten, was das für ein Mann gewesen.
Am 21. April fand die Beerdigung Statt. Paul
Eber hielt die Leichenpredigt aus 1. Thessal. 4.
In der Schloßkirche, nicht weit von Luthers Grab,
senkte man die entseelte Hülle in die Gruft.
Noch jetzt sieht man Melanchthons Grab. Wir
bitten aber Gott von Herzen, daß er die Tage er
neuern wolle, wie vor Alters, und sich eine ewige
christliche Kirche unter dem menschlichen Geschlechte
sammeln und erhalten wolle, durch seinen lieben Sohn
Jesum Christum, unsern Herrn und Heiland.
(Nach Carl Friedrich Ledderhose.)
Die abgelehnte Bürgschaft.
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Ein schlichter Landgeistlicher, der allein an einer
großen Gemeinde arbeitet, und sich nicht begnügt mit
Predigen und Kinderlehrhalten, sondern fleißig in
seiner Gemeinde umhergeht. Kranke besucht, Traurige
tröstet, Nothleidenden hilft und guten Rath ertheilt,
wo er darum angegangen wird, sitzt nachdenkend in
seinem Studierstüblein und neben ihm ein bekümmerter
Handwerksmann. "Wirklich,« spricht wiederholt der
Pfarrer, "ich kann Euch jetzt nicht helfen, denn ich
habe so viel Geld nicht vorräthig.« »Ach!« seufzt
der Arbeiter, "wie soll's dann gehen? Die reichen
Bauern leihen mir nichts auf eine Handschrift, die i
sprechen immer gleich von gerichtlicher Schuldverschrei- j
bung, und das möchte ich nicht gern, weil das Gericht
nichts umsonst thut und weil ich hoffe, das Geld in
höchstens zwei Jahren wieder zurückgeben zu können.«
»Halt!« rief erfreut der Pfarrer, »da kommt mir
ein guter Gedanke. Da ist unser wackerer B., der
nicht nur in seiner Wirthschaft ein Muster für alle
Landwirthe ist, sondern in jeder Beziehung als ein
gutes Beispiel vorangeht, der wird Euch helfen. Ich
will an ihn schreiben und mich für Euch verbürgen.«
Wer war froher, als unser bedrängter Handwerker.
Der Pfarrer schrieb an den Landwirth, theilte ihm
genau die bedrängten Umstände des Mannes mit und
fügte schließlich bei, daß er sich für die Summe von
100 Thalern nebst Zinsen verbürge. Der brave B.
ließ nicht lange auf sich warten. Er schrieb in seiner
einfachen Weise: »Der Mann soll das Geld haben,
aber nur unter der Bedingung, daß Sie, lieber Herr
Pastor, nicht Bürge werden; denn ein Pfarrer, der
2400 Seelen auf dem Gewissen hat, soll sich nicht
auch noch mit einer Bürgschaft beschweren."
Die Wachtel.
Zwei wohlgezogene und ehrbare Nachbarn lebten
sonst miteinander immer in Frieden und Freundschaft,
jetzt zwar auch noch, aber einer von ihnen hatte eine