Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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hatten in dem Jahr die Saaten zerstört und alle 
Aussicht aus eine auch nur erträgliche Ernte zu 
nichte gemacht. Gleich im Anfang des Winters war 
schon bei den meisten jedes Plätzchen leer, und es 
war noch gar lange bis dahin, wo man in Scheune 
und Keller wieder etwas finden durfte. Wenn auch 
einige Bauern, die eine ausgedehnte Feldwirthschaft 
besaßen oder deren Aecker hoch gelegen und vor dem 
Wasser geschützt gewesen waren, für sich und die 
Ihrigen genug und auch noch darüber hatten, so 
war doch bei den ärmeren und geringeren Leuten 
Roth und Mangel der tägliche Gast; kommt es einem 
schon sauer an, von der Hand in den Mund zu leben, 
so ist es aber doch eine über die Maßen schwere 
und harte Prüfung, Hunger zu haben und nichts 
dazu, um ihn zu stillen. 
"Ja, ja," rief jetzt der Bachkaspar, der ein ge 
ringer Mann war und mit Kühen fuhr, »in dem 
Jahr hat mancher von unseren großen Bauern sein 
Schäfchen geschoren. Sie sind in Wohlstand ge 
kommen, ohne zu wissen, wje. Dem Eckenbauer 
regltdten ja die Thaler ins Haus; ich weiß, er hatte 
das Geld in seiner Kammer in Metzen stehen. 
»Und von wem hatten die Großen damals ihren 
Mammon?« entgegnete mit Eifernder Bienjakob; 
»Von den Kleinen und Armen! Das Blut unter 
den Nägeln haben sie denen ausgepreßt; den letzten 
Heller, ja das Bett unter dem Leibe mußten diese 
hergeben, und dabei litten sie doch nur Hunger und 
Kummer. Ein Stück Brot kam schon lange nicht 
mehr in den Schrank, Und wenn einer Salz und 
Kartoffeln hatte, so war es ihm eine reichliche Mahl 
zeit. Das Geld ja, ist eine schöne Sache, aber wenn 
der Schweiß und die Thränen der Armuth daran 
kleben, dann ist's Blutgeld! Mög's solchen Unbarm 
herzigen Gott dereinst ver— « 
»Still, sprecht das Wort nicht aus, Jakob!« fiel 
ihm der Schusterkonrad in die Rede. »Ueberlaßt's 
dem, der da spricht: die Rache ist mein, ich will 
vergelten! Freilich soll ja keiner den Ertrag seiner 
Aecker umsonst hergeben, muß doch jeder gar viel 
sorgen, ringen und sich abarbeiten, bis er die Gaben 
des Feldes in Sicherheit hat; aber unverantwortlich 
ist's und geradezu Sünde wider das achte Gebot, 
wenn einer sich die Noth seiner Mitmenschen zu 
Nutze macht und die Preise zu einer Höhe setzt, wo 
sie der Arme nicht mehr bezahlen kann. Ist's denn 
für jemanden, der überhin genug hat, so etwas 
Großes, zur Zeit des Mangels mal in seinen Schatz 
zu greifen und nur die Liebe walten zu lassen und 
für das, was er den Armen Gutes thut, nichts 
weiter zu nehmen als ein: Gott vergelt's! Vergesse 
ich aber das Wort unseres Heilands: Ich bin 
hungrig gewesen und ihr habt mich nicht gespeiset, 
dann vergißt er mich auch, und seine Gnade hat 
keinen Raum für mich: denn er will, daß die große 
Kluft zwischen Arm und Reich durch die barmherzige 
und gebende Liebe ausgefüllt werden soll. Und wenn 
auch die Zahl der fröhlichen Geber noch nicht aus 
gegangen ist auf Erden, so gibt's doch daneben noch 
gar so viele, die in den Stricken der Habsucht und 
des Geizes liegen. Denn der Glanz des Goldes ist 
zu mächtig, er blendet und verführt, und die sich 
haben leiten und fangen lassen, was haben sie für 
Gewinn? Nur daß das Geld ihre Herzen hart 
macht und vor dem darbenden Bruder zuschließt! 
Ich habe mal gelesen — und das hat mir einge 
leuchtet — das Herz des Geizigen gleicht dem Meere, 
das alles, was in seine Nähe kommt, erfaßt und 
verschlingt, das nichts aus sejner Tiefe wieder zurück 
gibt und doch nimmer satt wird. Bei all den 
Schätzen_ aber wohnt kein Frieden in der Seele des 
Habsüchtigen, der Geiz martert und quält ihn täglich 
und stündlich, und doch sagt er ihm den Dienst nicht 
auf; das bittende Menschenwort, wie das mahnende 
heilige Gotteswort kommt wieder leer von ihm zurück- 
Und was ist das Ende? Allermeist ein Ende mit 
Schrecken. Davon gerade kann ich ein' redendes 
Beispiel anführen. Die Geschichte ist zwar nicht hier 
passirt, sondern drüben im Heilbacher Grunde, aber 
ich habe sie mir damals gemerkt und sie steht jetzt 
noch so vor meiner Seele, als wäre sie erst gestern 
geschehen.« 
»Theilt uns die Geschichte mit, Konrad!« riefen 
die andern, »wir wollen eure dankbaren Zuhörer 
sein.« 
»Also drüben im Heilbacher Grund,« begann der 
Schusterkonrad seine Erzählung, »lebte zur Zeit des 
Mißwachses anno 1817 ein Drechsler Namens 
Roppery. Er arbeitete rechtschaffen, machte Weifen, 
Spinnräder, Schwingstöcke und allerhand sonstiges 
Hausgeräts, und hatte sein tägliches Brot. Als 
aber die Theuerung drückte, legte er sich manchen 
Abend schlafen, ohne zu wissen, wovon er am anderen 
Morgen für sich und die Seinigen den Tisch decken 
sollte. Das Korn war schon längst aufgezehrt, und 
die Kinder mußten doch einmal wieder ein Stück 
Brot haben. Da dachte er: du gehst drüben zu 
deinem Nachbar, der hat noch den Boden voll; ihm 
ist es ein Kleines, dir einen Scheffel abzulassen;
	        

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