Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

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vielleicht, du habest gestohlen und deine Freunde müssen 
sich deinetwegen schämen. Sprichst du aber, du wollest 
es nicht ausrichten, so lässet er dich dennoch tödten, 
und weil sein Herz voll bösen Willens ist, so ist's 
doch um deine gnädige Frau geschehen, sie muß sterben. 
So trug er sich mit diesen Gedanken Tag und Nacht 
.in großen Sorgen. Eine Zeit lang hatte er den 
Willen zur That, dann aber besann er sich wieder 
eines andern, und so trieb er dies wol an 14 Tage. 
Als es aber dem Landgrafen vorkam, als zögere der 
Knecht, seinen Auftrag zu vollziehen, so drang er 
mit Ernst in ihn, zu thun, was er ihm befohlen. 
Da dachte der Knecht, du kannst nicht länger verziehen, 
kam des Nachts zu Margarethe und fiel ihr auf die 
Decke und sprach: Liebe, gnädige Frau, gebt mir 
Gnade, doch habe ich nichts gethan. Ei, antwortete 
sie, warum fliehst du zu mir und bittest uin Gnade. 
Ja, sprach der Knecht, ich soll es noch thun. Sie 
aber entgegnete: Bist du trunken oder rasend? Wie 
dem auch sei, erwiderte der Knecht, gebt mir Gnade 
und höret mir freundlich und geduldig zu, sonst müssen 
wir beide sterben. Mein Herr hat mich geheißen, 
euch zu tödten, aber das will ich und mag ich nicht, 
ich will lieber mit euch sterben. Hierauf berieth sich 
die Landgräfin mit ihrem Schenken, und nach seinem 
Rath sollte sie von Kleidern, Geld und Kleinoden 
zu sich nehmen, was sie hätte, und er wollte dann 
ihr zur heimlichen Flucht aus der Wartburg behilflich 
sein, das wäre das Beste. Nun gedachte die unglück 
liche Mutter ihrer Kinder, ohne Abschied konnte sie 
doch unmöglich von ihnen gehen. Darum begab sie 
sich in das Gemach, wo ihre beiden Knaben, der 
eine von anderthalb, der andere von drei Jahren in 
der Wiege lagen, bog sich über den ältesten mit großem 
Jammer herab und biß ihn in den Backen, daß es 
deinahe durchging, und wollte dem anderen auch also 
lhun. Allein das wehrete ihr der Schenke, und sie 
sprach: "Ich will sie zeichnen, daß sie an dies Scheiden 
sollen gedenken, so lange sie leben.« 
Hiernach wurde die Landgräfin am Seile zum 
Fenster hinaus und einen hohen Felsen hinabgelassen. 
Sie schritt mit ihren Begleitern in die Nacht hinaus 
und wanderte mit großer Betrübniß fürbaß bis zum 
Morgen. Da nahm sie der Amtmann des Abts von 
Hersfeld in Empfang und führte sie nach Fulda, und 
der Abt von Fulda gab ihr das Geleit bis gen Frank- 
surt. Daselbst empfiengen sie die Bürger mit vielen 
Ehren, weil sie des Kaisers Tochter war und bei ihnen 
Freundschaft und Zuflucht suchte. Sie gaben ihr ein 
eigenes Haus ein und versorgten sie in allen Stücken 
gebührlich und recht. Allein ihr Herz war stets 
betrübt; schon im folgenden Jahr starb sie vor Kummer 
und ward allda begraben. Also beschloß Margarethe, 
verstoßen von ihrem Gemahle, getrennt von ihren 
Kindern, fern von ihrer Heimat ihr einsames Leben, 
und erfüllte so das Geschick ihres Hauses mit, das, 
nachdem es einst kräftig aufgeblüht war, in Kraft 
und Macht geherrscht und in langem Kampfe nach 
einem hohen und festen Ziele gerungen hatte, zuletzt 
in Schmach und Traurigkeit erlosch. 
Merke: Glück und Heil wohnt nicht immer bei 
Kronen und auf Thronen, nur ein frommes und gott 
ergebenes Herz hat den rechten Frieden, und wenn 
es auch unter dem Kittel schlägt oder nur ein Dach 
kämmerlein sein eigen nennt. 
Item: die Vergangenheit hilft uns die Gegenwart 
verstehen, wenn du auch manchmal klagest, daß du 
in der Welt übel geplaget werdest; blicke zurück, die 
Hohen und Gewaltigen haben's oft nicht besser als 
du gehabt, du möchtest in vielen Fällen nicht mit 
ihnen tauschen. 
Eine neue Warnung für Auswanderer. 
Wieder und wieder hat man die Auswanderungs- 
lustigen gewarnt, sich bei einer Uebersiedelung nach 
fernen Welttheilen vor Privatcontracten zu hüten, 
die hier in Deutschland abgeschlossen werden, indem 
sie die Folgen derselben gar nicht übersehen können, 
weil ihnen eben die Verhältnisse jener fernen Länder 
so vollkommen unbekannt sind. 
Wir haben es aber da wieder mit dem ewigen 
Jammer in Deutschland zu thun, daß der geringe 
Mann nichts liest, als was ihm in die Hand gestopft 
wird; und wie damals sämmtliche nach Peru ange 
worbene Emigranten fortzogen und nicht einen Artikel 
von all den hunderten gelesen hatten, in denen sie 
vor einer derartigen Uebersiedelung gewarnt waren, 
so ist mir neulich erst wieder ein ganz ähnlicher und 
noch mehr schlagender Beweis vor Augen gekommen, 
wie vollkommen willen- und rathlos der Bauer und 
Arbeiter auf dem Lande den Verlockungen zur Aus 
wanderung gegenüber steht, trotz allem, was dagegen 
gesagt und geschrieben ist. 
Ich will den Fall hier einfach erzählen, um die 
Leute doch wenigstens in etwas auf die Gefahren 
aufmerksam zu machen, denen sie sich aussetzen, wenn 
sie eben toll und blind in die Welt hinein rennen. 
Zufällig durch eine Verwandte Eines der Auswan 
derungslustigen, die zu mir kam, um sich in der Sache
	        

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