Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

ergötze. Und wie sie die beiden so an sich geschmiegt 
hielt, das eine an ihrer Brust, das andere in ihrem 
Arme, da lag's wie Verklärung auf ihrem Gesicht 
und die Freude heiliger Mutterliebe leuchtete aus ihrem 
Auge. Mögen nicht einst auch, so klang es auf ein 
mal in meinem Innern, jene beiden fürstlichen Frauen 
in seliger Lust auf ihre Kinder geblickt haben, jene eine 
Zeit lang so glücklichen und dann so schmerzensreichen 
Mütter? Ich dachte an die heilige Elisabeth, die 
Stammutter des hessischen Fürstenhauses, und an 
Margarethe, die edle Gemahlin Albrechts des Ent 
arteten und Kaisers Friedrichs II. unglückliche Tochter. 
Elisabeth lebte mit ihrem Gatten, Ludwig,dem 
Tugendsamen und Landgrafen von Thüringen und 
Hessen, in der zufriedensten, einträchtigsten Ehe. In 
innigster Liebe wandte sie ihr Herz dem theueren 
Gemahle zu, und Ludwig war solcher Liebe auch werth, 
ward er doch von seinen Zeitgenossen gepriesen als 
die Leuchte aller Tugenden. Drei Kinder, Hermann, 
Sophie und Gertrud, erhöhten den stillen, häuslichen 
Frieden des fürstlichen Paares. Aber nicht lange sollte 
Elisabeth dieses Glückes sich freuen. Denn ihren Gemahl, 
welcher den deutschen Kaiser Friedrich II. auf einem 
Kreuzzug nach dem heiligen Lande begleitete, raffte 
ein plötzlicher Tod in Unteritalien dahin. Groß war 
ihr Schmerz, als die Trauerkunde zu ihr gelangte; 
aber bald sollte noch Schwereres über sie kommen. 
Denn jetzt wurden alle ihre alten Feinde an dem 
landgräflichen Hofe, die sie früher schon bedrängt und 
wegen ihrer Demuth und anspruchslosen Frömmigkeit 
verfolgt und verlästert hatten, wieder geschäftig und 
traten um so dreister und rückhaltsloser auf, als sich 
auch ihr Schwager Heinrich offen als ihren Wider 
sacher bezeigte. Und was that der junge, unbesonnene 
Fürst, dem der scheidende Bruder seine Gattin und 
Kinder auf die Seele gebunden hatte und als deren 
natürlichen Beschützer und Vormund er sich hätte 
erweisen sollen? Er war so hartherzig und lieblos, 
daß er die trostlose Witwe und nahe Verwandte mit 
ihren Kindern, von welchen das jüngste erst einige 
Monate alt war, aus ihrem rechtmäßigen Erbe ver 
trieb und in die Irre und ins Elend hinausstieß. 
In rauhem, stürmischem Winterwetter mußte die gütige 
Fürstin, die keinen Hilfe Suchenden zurückgestoßen, 
jedem Armen und Kranken Nahrung und Obdach 
gewährt hatte, wie eine Bettlerin von der Wartburg 
ziehen, wo sie so lange als Herrin gewaltet und an 
der Seite ihres Gatten so glückliche Tage in Ehre 
und Freude verlebt hatte. Zu Fuß stieg sie, mit zwei 
Kindern an der Hand und das jüngste auf dem Arm, 
den Burgberg hinab gen Eisenach zu; niemand war I 
ihr zur Seite, keines Freundes Hand geleitete sie. 
Alle Herzen wandten sich von ihr ab, alle Thüre« > 
schlossen sich ihr zu, niemand gewährte ihr Aufnahme 
und Zuflucht; jedermann fürchtete den Zorn des Land 
grafen, der den grausamen Befehl gegeben hatte, keiner 
solle sie hausen und hosen. In der Stadt, welcher 
sie so viele Wohlthaten gespendet hatte, die so oft 
Zeuge ihres barmherzigen Thuns gewesen war, hatte 
sie nicht, wo sie ihr Haupt hinlegte; erst mit ein 
brechender Dunkelheit fand sie in dem Hinterbau einer 
ärmlichen Herberge ein elendes Nachtquartier. Doch 
ihr frommer, gottergebener Sinn verzieh ihren Drän 
gern und Feinden, bei all dem Undank und der 
schnöden Wandlung der Menschen war der Herr allein 
ihre festeste Stütze und ihr bester Trost. Für sich 
selbst war sie wenig in Sorgen, nur die Kinder 
lagen ihr schwer auf dem Herzen; darum entschloß 
sie sich, dieselben wegzugeben und in befreundeten 
Kreisen unterzubringen, damit diese wenigstens doch 
ordentlich gehalten würden. Dann aber fand sie selbst 
erst bei ihrer Muhme, der Aebtissin von Kitzingen, 
und später bei ihrem Oheim, dem Bischof von Bam 
berg, ein würdigeres Unterkommen. 
Und Margarethe, die Kaiserstochter ? Ihr bereitete 
nicht der Tod, sondern die Untreue des Gemahl 
Gram und bitteres Leid. Denn Albrecht hatte sich 
einem Hoffräulein, Kunigunde von Eisenberg, in sträf 
licher Liebe zugewendet, und damit er desto ungehin 
derter seinem buhlerischen Verlangen fröhnen könnte, 
war er zu dem Entschlüsse gekommen, sein eheliches 
Gemahl aus dem Wege zu räumen. Zum Werkzeug 
seines verbrecherischen Vorhabens, so wird erzählt 
ersah er sich einen geringen Knecht, der mit zwei 
Eseln Brot, Fleisch und Holz auf die Wartburg in 
die Küche zu bringen pflegte, der sollte des Nachts 
über sie kommen, als ob er der Teufel wäre, und 
sollte sie erwürgen und ihr den Hals brechen. Dafür 
versprach er dem Knechte viel Gutes zu geben, und 
dieser mußte zur Stunde ihm schwören, daß er nie 
mals einem Menschen etwas sagen wollte. Aber de» 
Armen war angst und bange und er durste doch bei 
niemandem sich Raths erholen. Da gedachte er also: 
Tödtest du deine Frau, die dir immer so freundlich 
begegnete, so thust du als ein Schalk und wirst des 
nimmer froh; wenn auch deine Eltern wol arme 
Leut' gewesen sind, so waren sie doch fromme Leute, 
und Gott kann dir's nimmer vergeben. Läufst dn 
weg, so fürchtet dein Herr, du mögest ihn verrathen 
und schickt dir nach und läßt dich erschlagen und spricht
	        
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