Full text: Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen // Amtlicher Kalender für Kurhessen // Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1860-1873)

Unterhaltendes und Belehrendes. 
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Wer reichlich füttert, der spart — wer ärmlich 
füttert, der verschwendet. 
Wenn obige Wahrheit auf allen unsern Wirth 
schaften, den kleinen wie den großen, diejenige Aner 
kennung und Anwendung fände, welche ihr gebührt, so 
würde es auf vielen Wirthschaften ganz anders aussehen. 
Der Fehler insbesondere, mehr Vieh zu halten, als 
man reichlich zu ernähren vermag, kommt noch gar 
zu häufig vor und doch wirkt derselbe so tief ein 
schneidend auf die Einträglichkeit des ganzen Wirth 
schaftsbetriebes. Nur der kräftig fütternde und dün 
gende Landwiith führt eine sparsame und einträg 
liche, der ärmlich fütternde und düngende dagegen 
eine verschwenderische und sicher bergab führende 
Wirthschaft. Darüber ist schon Vieles gesprochen 
und geschrieben worden, — doch meist vergeblich; 
denn unendlich schwer ist's, die Macht eingewurzelter 
übler Gewohnheiten zu brechen. Der Kalendermann 
theilt im Nachstehenden eine kurze und wie er glaubt 
überzeugende Abhandlung über diesen wichtigen Ge 
genstand mit. Erwünscht, daß sie diejenigen, welche 
sie angeht, beherzigen möchten! 
Von dem Futter, welches wir unsern Thieren 
verabreichen, verschwindet eine bedeutende Menge in 
unmerklicher Weise aus dem Körper. Sie hat sich, 
nachdem sie in das Blut übergegangen, unter dem 
Einfluß der eingeathmeten Luft (d. h. des Sauerstoffs 
der Luft) in der Lunge und den Adern in gas- und 
dunstförmige Verbindungen (in Kohlensäure, Wasser- 
dunst und Ammoniak) umgewandelt, und ging dann theils 
durch die Ausathmung, theils durch die Ausdünstung der 
Haut fort (Perspiration). Dieser wunderbare Um- 
lvandlungsprozeß besteht in einer langsamen Verbren 
nung und hat die Aufgabe, die zur Lebensthätigkeit des 
Körpers erforderliche Wärme zu erzeugen und zu erhalten. 
Von den einzelnen Bestandtheilen der Nahrungsmittel 
sind es insbesondere Fett, Stärke, Zucker, junge Pflan 
zenfaser rc. (die stickstofffreien Futterbestandtheile), 
welche zur Wärme - Erzeugung verwendet werden und 
sich sonach in den Exkrementen und im Urin nicht 
wieder finden. Außer diesem Wärme-Erzeugungsprozeß 
Seht aber noch ein weiterer im Körper vor sich, 
vamlich die stete allmähliche Erneuerung sämmtlicher 
Körpertheile. Alle Theile des Körpers lösen sich auf 
Ut ]b ab und werken als unbrauchbar und überständig 
wit den Exkrementen und dem Urin abgeführt, neu 
gebildete dagegen nehmen die Stelle der abgenutzten 
und abgeführten ein. Zu diesen Neubildungen können 
nur solche Nahrungsbestandtheile verwendet werden, 
welche, wie die Körpertheile selbst, reich an Stickstoff 
und Phosphor sind. Solcher Art sind das Eiweiß, 
der Käsestoff, der Kleber der Pflanzen - Nahrungs 
mittel. Diese letztern Bestandtheile des Futters (die 
s. g. Proteinstoffe) bewirken die eigentliche Ernährung, 
die Blut-, Fleisch-, Milch- rc. Bildung. 
Das Thier bedarf einer bestimmten Menge Fut 
ters, um sich überhaupt nur warm und am Leben 
zu erhalten (das s. g. Erhaltungsfutter); von diesem 
Futter verschwindet, wie wir oben sahen, ein nicht 
unbeträchtlicher Theil — £ bis f je nach der Lös 
lichkeit der gereichten Futterstoffe — während des 
Durchgangs durch den Körper durch die s. g. Perspi 
ration, und der Landwirth hat von diesem Erhaltungs 
futter wenig andern Nutzen, als den abfallenden 
Dünger. Erhält ein Thier nicht so viel Futter, als 
zur Erhaltung seines Körpers erforderlich ist, so 
schießt der Körper selbst so viel davon zu, als man 
gelt. Erst verschwindet das Fett, dann nach und 
nach das Fleisch; das Thier magert ab, indem es 
sich allmählich theilweise ansathmet und ausdünstet 
und durch die sonstigen Ausscheidungen (Exkremente, 
Urin) entleert. Eine solche Art der Selbstbeköstigung 
hält dasselbe aber begreiflicher Weise nicht lange aus. 
Erhält nun aber das Thier einen Ueberschuß an 
Futter über die zur Erhaltung erforderliche Futter 
menge (s. g. Erzeugungs- oder Produktionsfutter) 
hinaus, so vermag es aus den Bestandtheilen dieses 
Ueberschusses, soweit dieselben in Lösung und Ver 
dauung übergegangen sind, Fleisch, Milch, Wolle, 
Kraft rc.. zu bilden. Solches Produltionsfutter muß 
jedes Thier erhalten, welches Leistungen hervorbrin 
gen soll, und um so mehr, je größer die Leistungen 
sein sollen. Nur von dem Prodnktionsfutter 
kann der Landwirth Erträge erwarten, und 
diese Erträge werden nm so reichlicher ausfallen, je 
mehr sich die Futtermenge der Grenze nähert, bis 
zu welcher die Thiere überhaupt geneigt sind, Futter 
aufzunehmen, wie dies die Praxis der Engländer lehrt, 
welche dem Vieh nur vom Kraftfutter eine bestimmte 
Nation vorlegen, sie aber von dem umfangreicheren 
(voluminösen), z. B. weißen Rüben, Runkeln, Heu rc., 
ganz nach Belieben zulangen lassen. Aus dem Pro- 
I duktionsfutter ziehen die Thiere weniger, gleichsam nur die 
z feinsten Theile aus, so viel deren zur Erzeugung von 
Fleisch, Milch rc. nöthig sind; alle übrigen gehen in 
den Dünger, der deshalb von diesem Futter in wiet 
reichlicherer Menge abfällt, als vom Erhaltungsfutter. 
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