Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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53. Die Moosrose. 
Der Engel, der die Blumen verpflegt und in stiller Nacht 
den Tau darauf träufelt, schlummerte an einem Frühlingstage im 
Schatten eines Rosenstrauchs. 
Und als er erwachte, da sprach er mit freundlichem Antlitz: 
„Lieblichstes meiner Kinder, ich danke dir für deinen erquickenden 
Wohlgeruch und für deinen kühlenden Schatten. Könntest du 
dir noch etwas erbitten, wie gerne würde ich es dir gewähren!“ 
„So schmücke mich mit einem neuen Reize,“ flehte darauf 
der Gleist des Rosenstrauchs. — 
Und der Blumenengel schmückte die Königin der Blumen mit 
einfachem Moose. 
Lieblich stand sie da in bescheidenem Schmucke, die Moos 
rose, die schönste ihres Geschlechts. Krummaclier. 
54. Die Fülle des Sommers. 
Kaum, daß mau ein Blatt findet, das nicht zahlreich bewohnt wäre! 
Kaum, daß wir einen Schritt thun können, ohne Lebendiges vor unsern 
Füßen wahrzunehmen! Wolken von kleinem Geflügel spielen im Sonnen 
scheine! Nirgends, nirgends, o Mensch, bist du in dieser Zeit allein! 
Es wühlt unter deinem Sitze; es zirpt dir zur Seite; es schwebt über 
deinem Haupte; es singt hinter dir; es flattert vor dir; überall ist des 
Lebendigen Fülle zu dieser Sommerzeit. Es sind Wesen, die mit sein 
wollen auf Erden nach ihres Schöpfers Willen, denen er angewiesen hat 
ihren Ort, denen er gegeben hat zu dem Bedürfnisse die Werkzeuge, es zu 
befriedigen; die den Schmerz und die Freude kennen und die Freude suchen, 
wie du, o Mensch, und dir verwandt sind. 
Wolltest du verachten der eines? Du kannst hundert töten mit 
einem Fußtritt; aber auch ein einziges bilden? Nein, mußt du bekennen, 
dazu gehört eine Gotteshand, Gottes Allmachtshand; wie stark auch dein 
Arm, wie behende deine Finger und Werkzeuge, wie kunstreich dein Ver 
stand ist, so kannst du kein einziges schaffen, von welchen Gott so viele 
tausend mal tausend geschaffen hat, dermaßen, daß du nicht zählen kannst, 
wie weit du mit deinen Augen nur reichst, wieviel auf einem einzigen 
Baume nur lebt; denn es ist allenthalben von allerlei Art, woget und 
treibt, wimmelt und summt in lauter Lebensfülle zur Sommerzeit. 
55. 
Blaue Berge! 
Von den Bergen strömt das Leben, 
reine Lust für Mensch und Vieh; 
Wasserbrünnlein spät und früh 
müssen uns die Berge geben. 
Harms. 
Sommerlied. 
3. Schlanke Bäume! 
Muntrer Vögel Melodeien 
tönen im belaubten Reis, 
singen laut des Schöpfers Preis; 
Kirsche, Birn' und Pflaum' gedeihen. 
2. Frische Matten! 
Grüner Klee und Dolden schießen; 
an der Schmehle schlank und fein 
glänzt der Tau wie Edelstein, 
und die klaren Bächlein fließen. 
4. Grüne Saaten! 
Aus dem zarten Blatt enthüllt sich 
Halm und Ähre, schwanket schön, 
wenn die milden Lüste wehn, 
und das Körnlein wächst und füllt sich. 
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