Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

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Wie der Historiker berichtet , wurden 83 der Weber abgeführt und die 
Hauptschuldigen zu sch’ cren Strafen verurteilt. Das war die historisch 
Unterlage de $&$&tmng > zu der Hauptmann hauptsächlich durch eine 
Heise in die Webergegend in Schlesien , wo auch noch zu jener Zeitgros 
ses Elend herrschte ,angeregt wurde . Mit diesem Weeke ist ihnr tatsäch 
lich ein grandioser Wurfgelungen. Es war die erste soziale Tragödie gr< - 
sen Stils , die gewissermaßen in der Luft lag ; alle Schichten der Be 
völkerung wurden von diesem revolutionär aufwühlendenWerke mitgerissen . 
In den fünf Einzelbildern ist eigentlich der Held des Dramas , die arm« 
schlesische Weberbevölkerung • Von zündender Wirkung ist im zweiten Bil 
de das Weberlied , die leidenschaftliche Erregung des Baumert . Nicht' 
minder dramatisch ^irkt ferner der Aufruhr ,aie offene Verhöhnung der 
Obrigkeit und des Fabrikanten durch den Jaeger und schliesslich die De 
molierung . Die Gestaltungskraft des Dichters hat hier dem Zeitgefühl 
einen'starken ,künstlerischen Ausdruck verliehen . Das soziale Gewissen 
wurde jedenfalls durch sein Werk gewaltig aufgerüttelt . Die kaiserli 
che Huld verscherzte sich jedoch ^erhärt Hauptmann mit diesem Werke gär. - 
:lieh , denn , als ihm der Schillerpreis verliehen werden sollte , lehn 
te dies Wilhelm II rundweg ab • Die damals herrschende Junkerparteim 
; wetterte gegen den Dichter , in dem sie einen Parteigänger des zu je 
ner Zeit als ganz besonders eta&tsgefährlic) . . angesehenen Sozialismus 
witterte . Solche Leute gehörten nach der junkerlichen Anschauung hin 
ter Schloss und Riegel • Schliesslich wurde aber doch gerichtsseitig 
zum grossen Mißvergnügen des Kaisers und seiner Clique die Censur auf 
gehoben . Der ^erichstvorsitzende , der unbeirrt von der Beeinflussung, 
an der es seitens der damals führenden ^esellschaftsschichten nicht 
i fehlte , in seinem Urteil zur Freigabe des Werkes schritt^ musste aber 
sein Amt seinem aufrechten Sinne zum Opfer bringen und auf betreiben 
des Kaisers seinen Abschied nehmen. Voluntas regis suprema lex! Wil 
helm II.,der nun gegen das Urteil nichts mehr unternehmen konnte , kün 
digte wenigstens seine Loge ixn Deutschen Theater . Kaum hot in damalige: 
ein Werk die Gemüter so entzündet als gerade die Weber . Mit die 
sem Werke eigentlich ist Hauptmann erst wirklich populär geworden . In 
Hamburg sah ich von ihm noch im Thaliatheater mit einem hervorragenden 
; Berliner Schauspieler als Gast - ich glaube es war Engels - " College 
I Crampton M . In diesem Werke konzentriert sich alles auf den Helden • 
; Bast alle anderen Personen wirken neben der mit ausserordentlichem Ge- 
[ schick gezeichneten Charakterstudie eines durch Trunk heruntergekomme- 
i nen Kunstakademieprofeesor schemenhaft • Fpr mich hatte dieses Werk in- 
[sofern einen ganz besonderen Heiz,als das Vorbild zu Crampton in einem 
[ an der Breslauer Kunstschule tätig gewesenen Professor f der gen Bres 
lauern ziemlich bekannt war , zu suchen ist . Weitere Werke von Gerhart 
“auptmaun lernte ich erst in späteren Jahren kennen und werde dann viel 
leicht Gelegenheit haben , flüchtig auf dieselben einziigehen • 
Al3 ich^nach Hamburg kam , fand ich wie schon erwähnt , Aufnahme in der 
rFamilie meines Onkels,der damals auf dem Steindamm in St ^eorg wohnte . 
I Dem ^eipiele vieler Hamburger Familien folgend , zog er später nach dem 
\ Rande des Sachsenweldes gelegenen Reinbeck . Die idyllische Lage des 
; rtee an der Bille lockte manche Hamburger ^amilie , die grossstadtmüde 
Ruhe und Frieden suchte , zur Ansiedlung . So zog auch ich mit meinem 
[Onkel , der zuerst eine freiwerdende Einfamilienvilla mietete und spä- 
| ter sich selbst dort anbaute , nach R. und hatte nun reichlich Gelegen** 
Iheit-die Schönheiten des Sachsenwaldes , jenes mächtigen Waldgebietes de 
\ deutschen Nordmark mit seinen zahlreichen Hünengräbern , die sich im Wal 
de selbst oder an dessen Rändern befinden und der Landschaft oft ein in- 
[ teressantes a epräge verleihen , kennen zulernen . ^eine Wanderungen , die 
i ich teils allein teils mit - • -eu Onkel und seinen Kindern unternahm, de 
[ ten sich meistens bis Aumühle , das auf halben Wege zwischen Heinbeck un. 
Friedrichruhe liegt , aus. Eine ganz herrliche Winterwanderung durch den 
ISschsenwald mit meinem Onkel hat sich meinem Gedächtnis ganz besonders 
[ fest eingeprägt » war viel Schnee gefallen , auf den mächtigen Buchen
	        
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