Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

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Vater lebte sie in glücklichster Ehe . Meines Vaters Tod erfolgte 
im Jahre 1911 im 78. Jahre in seiner Heimatstadt Stettin. Mein Gross- 
vater väterlicherseits , der Hauptmann bei der Artillerie war , hatte 
das Unglück , seinen Oberst in einem die Ehre berührenden Angelegenheit 
fordern zu müssen . Ihm blieb infolgedessen nichts Anderes übrig als 
seinen Abschied zu nehmen . Darauf gründete er in Stettin eine Offi- 
ciersschule , in der er dank seiner vielseitigen Bildung in allen wis- 
senschaftlichen Fächern sowie im Beiten , Turnen und Pechten die Zög- 
linge , die vornehmlich der schlesischen und pommerschen Aristokratie 
entstammten , selbst unterrichtete . Mein Vater , einer der ältesten 
seiner Söhne , der nie eine Schulbank drückte , wurde von meinem Gross- 
vater in allen Elementarfächem sowie in französisch und ehglisch meist 
auf Spaziergängen unterrichtet und es blieb ihm dann überlassen , sich 
durch Selbststudium weiterzubilden .Oft erzählte uns unser Vater , in 
welcher originellen Form er den Unterricht seines Vaters genoss . Auf 
nächtlichen Spaziergängen wurde beispielsweise am Sternenhimmel , wenn 
er sich gerade in schönster Pracht den Augen darbot , Astronomie be 
trieben , beim Mondschein im Sande mittels des als Griffel dienenden 
Spazierstockes der pythagqreische Lehrsatz erklärt und bewiesen . Als 
unser Grossvater , sonst ein äusserst gesunder Mensch im Jahre 1848 
als ein Opfer der damals in Stettin grassierenden Choleraepidemie 
plötzlich starb , war unser Vater gerade 14 Jahr alt und bestand des 
senungeachtet ein Jahr später vor der Prüfungskommission das Examen 
zur Zulassung zum einjährig - freiwilligen Dienst . Als lange Jahre 
später unser Vater als Rekrut bei der Pussartilleraä in Stettin ein- 
tret und die Namen der neueingetretenen Einjährigen aufgerufen wurden , 
liess der Hauptmann von Drigalsky meinen Vater vortreten und fragte 
ihn , ob er ein Sohn seines hochverehrten Lehreredes Hauptmann Hoche, 
dem er seine Officiersvorbereitung danke , sei und welcher , wie er 
sich entsinne , ein wundervolles , weithin klingendes Organ besessen 
j^atte . Nach Bejahung dieser Frage seitens meines Vaters meinte der 
-auptmann , ob er denn auch ein solches Organ hätte , worauf mein Va- 
£er antwortete , dass er sich schmeichle , dasselbe auch zu besitzen 
Sogleich liess der Hauptmann ihm ein vorgesprochenes Kommando ausfüh- 
ren und mit Stentorstimme liess mein Vater das Kommando durch den Ka- 
sernenhof erschallen . Dem Hauptmann gefiel dies ausnehmend . Spontan 
rief er aus : Er glaube eben den leibhaftigen alten Hoche vor sich zu 
sehen . Während seiner ganzen Dienstzeit hatte mein V a ter bei seinem 
Hauptmann einen Stein im Brett. So erben sich physische und psychische 
Eigenschaften oft in mehreren Generationen fort . Das pädagogische Ta 
lent meines Grossvatero hat sich in mehreren seiner Söhne , die Philo 
logie studierten , neu manifestiert »nicht minder das schöne Sprachor- 
gan , das sich bei drei musikalischen seiner Söhne zu einer glänzenden 
Gesangsstimme entwickelte • Aber auch auf die Enkel , also auf meinen 
Bruder und mich selbst ist ein gut teil dieses Talentes übergegangen , 
aber im Sinne des Goethespruches M *as Du ererbt von Deinen Vätern 
erwirb es , um eg, zu besitzen “ ist dieses Erbe von uns beiden gut ver 
waltet worden . Mein » a ter musste einen Beruf ergreifen , zu dem ihm 
innere Neigung sicherlich nicht hinführte . Von 12 ö $l*hwistem - 11 
Brüdern und 1 Schwester - einer der Ältesten musste er infolge des frü 
hen Todes seines Vaters , der , wie ja schon erwähnt , an der in frü 
heren Zeiten häufig epidemisch auftretenden Cholera starb , Kaufmann 
werden , um seine Mutter , die mit ihrer kargen Officierspension eine g 
grosse Familie zu ernähren hatte , mit seinem kleinen Einkommeiibei der 
Erziehung der jüngeren Brüder , die teilweise akademische Berufe er- 
wählten^mit zu unterstützen • Ihm fehlte ober zum Kaufmann der ausge 
prägte Erwerbssinn .Gern wäre er wie er es uns Kindern oft erzählte , 
Soldat , am liebsten aber Seemann geworden • Viele seiner Schulkamaraden 
die ihre Laufbahn in der Handelsmarine begannen und dann später in die 
neugeschaffene Kriegsmarine übergingen , sind Admirale geworden . Der 
soldatische Beruf hätte seiner Veranlagung und Neigung entsprächen • Mit 
grosser Begeisterung erzählte er uns oft von seinen Erlebnissen in den 
Feldzügen 1864 und 1866
	        
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