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In Kassel war es , wo ich einst auf der Hohenzollernstraooe einen
guten Bekannten traf , der gerade von einer Italienreise zurückge
kehrt war . Auch in Rom war er gewesen . Was in Rom waren Sie wirk
lich , fragte ich ihn etwas neiderfüllt ? Einen begeisterten Bericht
erwartete ich von ihm . Blitz schnell sah ich Rom im Lichte Goethe*s
Anders konnte ich , der ich noch nie dort war , es mir kaum vorstel
len • Die Fülle geschichtlicher Erinnerungen , die Rom ausatmete und
die nun dieser Bekannte mit wachen Augen erlebt hatte , die archi-
tectonischen Schönheiten der Paläste , die Wucht antiker bauten ,
alles wird ihn sihher beeindruckt haben . Ruinenschauer wird ihm
über den Ruckengelaufen sein • Vor dem feisterwerken der ttcnaissance
und des ^arock wird er bewundernd gestanden und die Museen dieser
ewigen Stadt , die ungeheure Kunstschätze bergen , wird er fraglos
mit Begeisterung durchstöbert haben . Von dieser Begeisterung wird
nun bein Bericht beredtes Zeugnis ablegen ."Sie, Beneidenswerter ,
nun erzählen Sie doch 1 Indessen sein Tfericht , wie er sich nun end
lich seinen Lippen entrang , riss mich* ernüchternd aus allen meinen
idealen Vorstellungen heraus . Er war für mich geradezu niedersehmet
ternd , aber zugleich auch insofern belehrend , als er mir wieder
beispielhaft zeigte , wie verschiedentlich **enschenaugen in die Welt
blicken und Eindrücke aufnehmen • M Bleiben Sie mir mit Ihrem Rom
weg ** - so sagte er mir - diesem langweiligen Beste . Wetter war
scheusslich , Verpflegung miserabM • ” *’ Ja , aber die Kunetsehätze
die Ruinen , die geschichtlichen Erinnerungen M warf ich bescheiden
ein . ** a , ja die Muse een habe ich wohl besucht • Doch davon ver
stehe ich nicht viel . Ein Glück , dass ich im Hotel zwei Landsleu
te traf , mit ddenen ich einen Dauerskat kloppen konnte , sonst wäre
es zum Ausaachsen gewesen ! ** Hier erfuhr also mein Idealismus eine
böse Abkühlung . Gewiss das Rom Goethe*s existierte damals schon
längst# nicht mehr . Die alte Stadt hat sich verwandelt . Wie in
anderen grossen Städten findet man auch dort eine moderne Anhäufung
von Wohnhäusern und das übliche Grossstadtleben und ^reiben . Aber
immer noch dürfte der idealistisch Gesinnte beim Durchstreifen Rom*s
den Anhauch alter Geschichte und höchster Kunst verspüren . Nun ,
wer durch K a s s § k , das ich gewiss nicht mit der ewigen Stadt in
eine Parallele zu stellen gedenke , geht , darf natürlich nicht an
das Rom Goethe*s denken , wo unser grosser Dichter , als er Viellfiieh
fein halbfege# fand Butter sich zum Abendbrot holte , noch über Ruinen
steigen musste ♦ ^ein. mit dieser Einstellung habe ich Kassel 'wirk
lich nicht gesehen . über Ruinen , die die Einbildungskraft in Be
wegung setzen könnten , stolpert man in Kassel allerdings nicht ,
aber mit ihrer alten Kultur bietet diese Stadt genug des Interessan
ten , das nur erlebt sein will • Viele alte Häuser , die noch das
späte Mittelalter sahen ,prächtige Paläste , Museen und wundervolle
r arks erzäid^n von der Vergangenheit . Auch in der Atmosphäre dieser
Stadt atmeTwSeschichte . fitf begründet liegt es von altereher im
Wesen vieler deutscher Stadtgemeinden , sich neben der Erfüllung wir!
schaftlicher und sozialer Aufgaben als Mitträger und Förderer kultu
reller Güter unseres Volkes bewusst zu sein .In ihrer Hut sollen sic
deutsches Geistesleben , deutsche Kunst und Musik entwickeln und die
kulturellen Kräfte , die sie wecken und fördern , strahlen sie dann
über das ganze Land aus . Unter diesem Aspect sah ich Kassel . So
erlebte ich es #eit über ein Vierteljahrhundert und in diesem Werke
findet man eiß-eliederschlag des Erlebten . Wie alles auf mich wirkte»
wie die Stadt selbst , wie die Natur ihrer schönen Umgebung , wie die
Erlebnipse in Erinnerungen übergingen und wie die geschichtliche
Vergangenheit , die iah mir durch eifriges Studium erschlo s, sich
in meinem Geiste formte , alles dies hat in den nachfolgenden Blät4
tern Gestalt und Ausdruck gewonnen . Die genauen Kapitelüberschriften
entheben mich wohl,der Notwendigkeit zu weiteren Erklärungen und
Begründungen . Ihnen 3chon wird man entnehmen , dass meine Kasse-
ler ^eit den eigentlichen &em des ganzen Werkes bildet .