Full text: Meine Kasseler Zeit (Band 1)

-IV.~ 
In Kassel war es , wo ich einst auf der Hohenzollernstraooe einen 
guten Bekannten traf , der gerade von einer Italienreise zurückge 
kehrt war . Auch in Rom war er gewesen . Was in Rom waren Sie wirk 
lich , fragte ich ihn etwas neiderfüllt ? Einen begeisterten Bericht 
erwartete ich von ihm . Blitz schnell sah ich Rom im Lichte Goethe*s 
Anders konnte ich , der ich noch nie dort war , es mir kaum vorstel 
len • Die Fülle geschichtlicher Erinnerungen , die Rom ausatmete und 
die nun dieser Bekannte mit wachen Augen erlebt hatte , die archi- 
tectonischen Schönheiten der Paläste , die Wucht antiker bauten , 
alles wird ihn sihher beeindruckt haben . Ruinenschauer wird ihm 
über den Ruckengelaufen sein • Vor dem feisterwerken der ttcnaissance 
und des ^arock wird er bewundernd gestanden und die Museen dieser 
ewigen Stadt , die ungeheure Kunstschätze bergen , wird er fraglos 
mit Begeisterung durchstöbert haben . Von dieser Begeisterung wird 
nun bein Bericht beredtes Zeugnis ablegen ."Sie, Beneidenswerter , 
nun erzählen Sie doch 1 Indessen sein Tfericht , wie er sich nun end 
lich seinen Lippen entrang , riss mich* ernüchternd aus allen meinen 
idealen Vorstellungen heraus . Er war für mich geradezu niedersehmet 
ternd , aber zugleich auch insofern belehrend , als er mir wieder 
beispielhaft zeigte , wie verschiedentlich **enschenaugen in die Welt 
blicken und Eindrücke aufnehmen • M Bleiben Sie mir mit Ihrem Rom 
weg ** - so sagte er mir - diesem langweiligen Beste . Wetter war 
scheusslich , Verpflegung miserabM • ” *’ Ja , aber die Kunetsehätze 
die Ruinen , die geschichtlichen Erinnerungen M warf ich bescheiden 
ein . ** a , ja die Muse een habe ich wohl besucht • Doch davon ver 
stehe ich nicht viel . Ein Glück , dass ich im Hotel zwei Landsleu 
te traf , mit ddenen ich einen Dauerskat kloppen konnte , sonst wäre 
es zum Ausaachsen gewesen ! ** Hier erfuhr also mein Idealismus eine 
böse Abkühlung . Gewiss das Rom Goethe*s existierte damals schon 
längst# nicht mehr . Die alte Stadt hat sich verwandelt . Wie in 
anderen grossen Städten findet man auch dort eine moderne Anhäufung 
von Wohnhäusern und das übliche Grossstadtleben und ^reiben . Aber 
immer noch dürfte der idealistisch Gesinnte beim Durchstreifen Rom*s 
den Anhauch alter Geschichte und höchster Kunst verspüren . Nun , 
wer durch K a s s § k , das ich gewiss nicht mit der ewigen Stadt in 
eine Parallele zu stellen gedenke , geht , darf natürlich nicht an 
das Rom Goethe*s denken , wo unser grosser Dichter , als er Viellfiieh 
fein halbfege# fand Butter sich zum Abendbrot holte , noch über Ruinen 
steigen musste ♦ ^ein. mit dieser Einstellung habe ich Kassel 'wirk 
lich nicht gesehen . über Ruinen , die die Einbildungskraft in Be 
wegung setzen könnten , stolpert man in Kassel allerdings nicht , 
aber mit ihrer alten Kultur bietet diese Stadt genug des Interessan 
ten , das nur erlebt sein will • Viele alte Häuser , die noch das 
späte Mittelalter sahen ,prächtige Paläste , Museen und wundervolle 
r arks erzäid^n von der Vergangenheit . Auch in der Atmosphäre dieser 
Stadt atmeTwSeschichte . fitf begründet liegt es von altereher im 
Wesen vieler deutscher Stadtgemeinden , sich neben der Erfüllung wir! 
schaftlicher und sozialer Aufgaben als Mitträger und Förderer kultu 
reller Güter unseres Volkes bewusst zu sein .In ihrer Hut sollen sic 
deutsches Geistesleben , deutsche Kunst und Musik entwickeln und die 
kulturellen Kräfte , die sie wecken und fördern , strahlen sie dann 
über das ganze Land aus . Unter diesem Aspect sah ich Kassel . So 
erlebte ich es #eit über ein Vierteljahrhundert und in diesem Werke 
findet man eiß-eliederschlag des Erlebten . Wie alles auf mich wirkte» 
wie die Stadt selbst , wie die Natur ihrer schönen Umgebung , wie die 
Erlebnipse in Erinnerungen übergingen und wie die geschichtliche 
Vergangenheit , die iah mir durch eifriges Studium erschlo s, sich 
in meinem Geiste formte , alles dies hat in den nachfolgenden Blät4 
tern Gestalt und Ausdruck gewonnen . Die genauen Kapitelüberschriften 
entheben mich wohl,der Notwendigkeit zu weiteren Erklärungen und 
Begründungen . Ihnen 3chon wird man entnehmen , dass meine Kasse- 
ler ^eit den eigentlichen &em des ganzen Werkes bildet .
	        
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