~ I.-
ZumGeleit!
Olim merainisse juvabit . (Aeneis ,Virgil)
Ein vielsagender Titel - ein unbekannter Autor !
Dieser Ausruf möchte vielleicht manch Einnem , dem dieses Werk zum
ersten Mal zu Gesicht kommt , entschlüpfen . Leicht lässt der Buch-
titel auf Memoiren , wie sie im Allgemeinen gang und gäbe sind
schliessen . Nun , ich will gern bekennen , dass vor etwa neun
Jahren , als ich mich schon bedenklich dem sechsten Jahrzehnt mei-
ner Lebensfahrt näherte und den damals noch sehr unklaren Plan zur
Abfassung dieses Werkes fasste , der Beichttrieb und der Drang zur
Selbstenthüllung und Selbstzergliederung in mir tatsächlich sehr
mächtig war , zumal zu jener Zeit auf dem Büchermarkt Lebenserinne-
rungen in grosser Zahl erschienen und eine gewisse Ansteckungsgefahr
nicht zu leugnen war • Denn wer schrieb damals nicht alles Bebenser
innerungen , Entthronte Fürsten , Mitglieder des hohen Adels , Staats
männer , Grossindustrielle , grosse Heerführer , bedeutende Gelehrte ...
und berühmte Künstler , sie alle fühlten dos Bedürfnis ,ihr Leben
darzustellen So hatte tatsächlich die ^emoirenliteratur gegen frü
her in jener Zeit einen beträchtlichen Umfang angenommen , ja , ei
nen Umfang , der sicherlich häufig nicht im gleichen Verhältnisse
zu dem inneren Werte mancher Erscheinungen auf diesem ^ebiete des
Schrifttums stehen mag. Das grosse Erlebnis - der Weltkrieg - die ge
waltigen politischen.geistigen und weltanschaulichen Umwälzungen in
seinem Gefolge , die unsere Generation durchlebte , haben Persönlich
keiten an die Oberfläche gebracht , die früher kaum beachtet wurden
noch Geltung fanden . Diese sahen sich plötzlich in den Brennpunkt
des Öffentlichen Interesses gestellt . Andere wieder , die früher
im Glanze lebten » sind zu einer nie geahnten Bedeutungslosigkeit
herabgesunken . Viele dieser Männer schrieben ihre Denkwürdigkeiten
ihre Lebenserinnerungen nieder . Vielleicht taten es die einen aus
Eitelkeit , B e i anderen mag wieder der sich im Alter stets äussern-
de Bokenntnis-'trteb das bestimmende Motiv gewesen sein % vielleicht
auch der Wunsch und das Bestreben , ihr Handeln und Wirken in der
Form einer Apologie zu rechtfertigen . Viele hatten aber auch den
Trieb ,ihr Einzelleben in den Zusammenhang des geistigen Lebens der
Gegenwart einzureihen , wie ja nun einmal eines Menschen Leben nicht
loszulösen ist aus der Zeit , in die er hineingeboren ist , die er
mit Anderen teilte , noch aus den geistigen Strömungen , die immer
bildend und fördernd auf die Menschen einwirken *
Kurz , in jener Zeit der Hochflut der Selbstdarstellungen keimte auch
in mir der u edanke auf , Lebenserinnerungen zu schreiben • Doch nur
zu bald erschrak ich vor der v ermessenheit meiner Idee, Vorwurfsvoll
rief ich mir zu : Du,armseliger 7/icht ! Du einfacher geistiger Arbei
ter im Dienste der Industrie ! Wie kannst Du überhaupt ein derartiges
eginnen ins Auge fassen und wie es wagen , dem Vorbilds grosser und
berühmter Männer nachzueifem , ja , eine solche Absicht nur zu hegen.
Fast kam ich mir vor wie Faust , der als er sich schon in Göttemähe $
zu befinden meinte , bei Erscheinen des Erdgeistes , als dieser ihm
das bekannte " Du gleichst dem Geist , den Du begreifst "entge-
gendonnerte , zusammenbrach . Nim ,ich brach nicht gerade zusammen .
Von dem Schrecken , den die warnende innere Stimme mir einflößte ,er
holte Ich mich überraschend schnell , faßte sogar wieder einigen Mut
in dem erlösenden Gedanken , dass damals schliesslich auch Erinnerun-
gen von Personen recht problematischer Art von der Lesewelt geradezu
verschlungen wurden • Es war die Zeit als der falsche Hohenzollem-
prinz ” B r i n2 Domela " , welcher über sein kurzes Prinzendasein vie-
le Monate hinter Gefängnierneuern nachzudenken Gelegenheit fand , Er-
innerungen schrieb , als der einst zum Tode verurteilte , dann zu
lebensläglichen Zuchthaus begnadigte »aber vorzeitig entlassene und
schliesslich mit Selbstmord endende Hechtsanwalt Hau sensationelle