Vorübergehende Rückkehr der Franzosen
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verschwinden. Das Königreich Westfalen hatte tatsächlich aufgehört zu
existieren. Die meisten höheren Staatsdiener waren geflohen, einige von
den Russen als Geiseln mitgenommen, die Behörden waren größtenteils
in völliger Auflösung, die Kassen waren von den Russen geleert, die
ganze Staatsmaschine stockte. Tschermischeff hatte vor seinem Abzug die
Einsetzung einer provisorischen Regierung in Cassel angeregt, die im
Verein mit der Munizipalität die Verwaltung übernahm und zur Auf
rechterhaltung der Ordnung durch die verstärkte Nationalgarde unter
stützt wurde. Bereits am 7. Oktober war Allix wieder in Cassel an
der Spitze französischer Truppen, die ihm aus Mainz zur Verfügung
gestellt waren, und ausgerüstet mit der Vollmacht eines „ITeutensnt
clu Roi“. Die zurückgebliebenen Franzosen und Polizeispione kamen
wieder aus ihren Verstecken heraus und sorgten dafür, ihn von allen
Geschehnissen während der kurzen Russenzeit in Kenntnis zu setzen, und
nun begann ein Regiment des Schreckens. Die Gefängnisse füllten sich,
auch die Mitglieder der provisorischen Regierung wurden in das Kastell
gesetzt. Kriegsgerichte wurden bestellt und begannen ihr Werk, aber die
Ereignisse aus dem großen Kriegsschauplatz sorgten dafür, daß sie es
nicht vollenden konnten. Am 14. Oktober kehrte Ierome noch einmal
nach Cassel zurück und mußte feierlich mit Illumination der Häuser
empfangen werden. Zwar hatte er in Marburg emphatisch erklärt, „die
Schwachsinnigen irren gewaltig, wenn sie wähnen, daß mein Königreich
wie eine Prise Schnupftabak weggeblasen werden könne," aber unge
achtet aller Proklamationen herrschte doch das Gefühl vor, daß es mit
Westfalen zu Ende sei. Allix wurde zum Grasen von Freudenthal er
nannt und mit einer reichen Dotation bedacht, es war die letzte Standcs-
erhöhung, die Ierome verfügte. Im übrigen waren die letzten Tage seiner
Regierung den Vorbereitungen zur endgültigen Abreise gewidmet. Was
bei den früheren Transporten von Wertgegenständen noch zurückgeblieben
war, wurde in fieberhafter Eile gepackt und auf fast 160 Wagen all
mählich fortgeschafft. Noch wußte man nichts von der großen Völker
schlacht bei Leipzig, die an demselben Tage begonnen hatte, als Ierome
wieder nach Cassel zurückkehrte. Am 22. Oktober hieß es sogar wieder,
Napoleon habe einen großen Sieg davongetragen, aber man glaubte
nicht mehr recht an die französischen Nachrichten. Noch einmal, zum
allerletzten Male, hielt Ierome am 24. auf dem Bowlinggreen in der
Aue Heerschau über seine französischen Truppen, die schon am nächsten
Tage Cassel für immer verließen. Zu gleicher Zeit verbreitete sich das
Gerücht von dein entscheidenden Sieg der Verbündeten bei Leipzig, und