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Kurhessen in der Karrikatur Der „Dietrich" des „Kladderadatsch" ZI?
Die kurhessischen Zustände.
Die Wiederherstellung der Verfassung von 1831 bedeutete somit
nicht den Abschluß, sondern nur einen Einschnitt in den Verfassungs-
Kampf, der weiterging bis zmn letzten Ende. Da das Bild, das man
sich in Deutschland und darüber hinaus von Kurhessen und seinen Zu
ständen machte, seine stereotype Fixierung dieser Zeit verdankt, verlohnt
es sich, in einem kurzen Rückblick dabei zu verweilen und seine einzelnen
Züge etwas nachzuprüfen.
Der ungemein rührigen Publizistik der Oetker und Genossen ist es
zu verdanken, daß sich außerhalb Kurhessens allgemein der Glaube be
festigte, das hessische Volk verkomme unter den Schäden seiner Miß
regierung und leide uiüer einem unerträglichen Zoche. Der Berliner
„Kladderadatsch", der ein vollgerütteltes Maß von Schuld an der
Färbung der öffentlichen Meinung über die kurhessischen Zustände hat,
drückte seine Ansicht darüber einmal in den beiden Sätzen aus: „Haupt
nahrungszweig des Kurhessen ist Korruption, gemildert durch Absolutis
mus. Sonst lebt der Hesse meist von dem aufrichtigen Mitgefühl und
schmerzlichen Bedauern des deutschen Bruders."
Die Hauptschuld an den sprichwörtlich gewordenen kurhessischen
Zuständen trug nach allgemeiner Ansicht der Kurfürst, der würdige
Nachfolger der hessischen Soldatenverkäufer, der wie ein Tyraim in
seinem Land schaltete und waltete und sein unglückliches Volk in die
Fesseln eines mittelalterlichen Despotismus schlug. Die Gestalt des letzten
hessischen Herrschers lebt in der Durchschnittsmeinung hauptsächlich in
der „Kladderadatsch"-Karrikatur jenes geizigen Tyrannen „Dietrich"
fort, der seine Minister mit Fußtritten regulierte und dafür gelegentlich
von seinen — Lakaien wieder verprügelt wurde. Nur mit den blut
triefenden Säbeln seiner Gardedukorps und mit den Bajonetten der
Strafbayern konnte er sein Willkürregiment aufrecht erhalten, bis die
rächende Nemesis ihn vom Throne stieß. Unzählige Anekdoten von ihm,
teils sä hoc frei erfunden, teils aus der Ruinpelkammer der allgemeinen
Tyrannengeschichte hergeholt und frisch aufgeputzt, laufen bis auf den
heutigen Tag durch die Spalten der Zeitungen und sorgen dafür, daß
die grellen Farben der Karrikatur nicht verblassen.
Kurfürst Friedrich Wilhelm war gewiß keine Zdealgestalt als
Herrscher und sicher nicht schuldlos daran, daß nur das Zerrbild seines
Charakters auf die Nachwelt gekommen ist, doch haben selbst so aus
gesprochene politische Gegner wie Otto Bähr später anerkennen müssen,