Jordan und die neue Verfassung
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daß dieser von den Heilslehren der Heidelberger staatsrechtlichen Schule
der Rotteck und Welcker erfüllte Doktrinär, der die hessischen Verhält
nisse weder kannte, noch sich überhaupt für sie interessierte, dazu berufen
war, in der wichtigen Verfassungsfrage das entscheidende Wort zu
sprechen. Maßlos eitel, fühlte der bis dahin recht unbekannte und
unbedeutende Gelehrte sich auf einmal zu einem Prometheus für das
hessische Volk berufen, wie er denn bezeichnender Weise von sich selber
schrieb: „Mich hob das Geschick geräuschvoll auf die schwindelnde Höhe
des politischen Lebens, um für ein im düstern Dunkel schmachtendes
Volk belebendes und erwärmendes Licht aus dem Olymp eines Erden
gottes herabzubringen."
In einer langen, wohldisponierten Rede, die er nachher veröffent
lichte, setzte Jordan die Grundsätze auseinander, nach denen eine auf Ver
nunft und Geschichte begründete gute Verfassung beschaffen sein müsse.
Auf die landesherrliche Proposition ging er so gut wie gar nicht ein,,
und man ging über sie einfach zur Tagesordnung hinweg, ohne der
geschichtlichen Verhältnisse des hessischen Volkes und der Eigentümlich
keiten der bisherigen landständischen Verfassung zu gedenken. Ein neuer
Entwurf wurde aufgestellt, und wenn auch in fünfmaliger Umarbeitung
manche Iordansche Geistessplitter unter den Tisch sielen, so war doch
die endgültige Redaktion so von seinen Ideen durchtränkt, daß Jordan
seitdem mit Recht als Vater der kurhessischen Verfassung bezeichnet
worden ist.
Das neue Grundgesetz bedeutete einen völligen Bruch mit der hessi
schen Vergangenheit. Die Rechte des Landesherrn waren auf das äußerste
beschnitten. Die Paragraphen waren wie die Maschen eines „Netzes,,
das den Fürsten wie ein Wild umstellen sollte, so daß er sich nicht mehr
rühren konnte" (Treitschke). Außerordentlich weitgehende Rechte verlieh,
die Verfassung dagegen den Ständen, deren 50 Mitglieder in einer ein
zigen Kammer vereinigt nun de facto die Regierung des Landes über
nahmen. Schomburg hatte vergeblich versucht, die alten drei Kurien
zu retten, es war ihm aber nur gelungen, das aristokratische Element
durch Aufnahme der Prinzen der Seitenlinien und einiger standesherr
lichen Vertreter zu verstärke,,. Die Wahlbestimnmngen zeigten eine starke
Bevorzugung der städtischen Wähler, die geradesoviel Abgeordnete ent
sandten, wie die fast dreimal so zahlreiche Landbevölkerung. Ohne Ein
willigung der Stände konnte kein Gesetz gegeben oder aufgehoben, keine
Steuer ausgeschrieben werden. Steuern und Gesetze, die diese ständische
Zustimmung nicht ausdrücklich erwähnten, waren ungültig und brauchten