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Entführung der Herzogin von Bernburg 1821 Hänlein
bringen zn wollen. So absurd dieser Gedanke auch sein mochte, da nach
dein Hausgesetz ja der nächstberechtigte Thronerbe, der Oheim des Kur»
fürsten Landgraf Carl und seine Söhne, an die Stelle des Gemordeten
getreten wären, so ließ das Publikum doch nicht von seiner Ansicht, und
der Haß des Volkes gegen die Reichenbach fand neue Nahrung. Jeden
falls blieb der schreckliche Vorfall unaufgeklärt und warf einen trüben
Schatten auf das Gemüt des jugendlichen Prinzen, der den unheinilichen
Verdacht eines gegen ihn gerichteten Mordanschlags nicht wieder los
werden konnte.
Bei seinem Regierungsantritt hatte der Kurfürst dem preußischen
Geschäftsträger versichert, er sei entschlossen, „Gut und Blut für Preußen
zu lassen", und der Einfluß der Reichenbach, die „ihr Vaterland
Preußen außerordentlich hoch hielt" und demgemäß die prussophilen
Neigungen Wilhelms, die sich auf allen Gebieten zeigten, unterstützte,
wurde deshalb in Berlin in dieser Hinsicht nicht so ganz ungern gesehen.
„2m ganzen genommen ist sie eine gute und bescheidene Frau", meinte
der preußische Gesandte. Doch konnte nicht ausbleiben, daß der kur
fürstliche Ehezwist die Beziehungen Wilhelms II. zu dem Berliner Hofe
trübte. Noch ein anderer Umstand hatte gerade damals eine Spannung
zwischen Cassel und Berlin und sogar einen zeitweisen Abbruch der
geschäftlichen Beziehungen zwischen beiden Höfen verursacht. Die
Schwester des Kurfürsten, die geisteskranke Herzogin von Bernburg
(vgl. oben S. 117), hatte kurze Zeit in Bonn gelebt, dort aber durch
ihr exaltiertes Benehmen unliebsames Aufsehen erregt, so daß der Kur
fürst im Einverständnis mit dem preußischen Hofe ihre Rückkehr nach
Hanau anordnete. Da die Herzogin sich weigerte, so sah sich der mit
der Durchführung des kurfürstlichen Befehls betraute General v. Dalwigk
veranlaßt, sie am 22. Dezember 1821 heimlich von Bonn nach Hanaus
zu entführen. Der infolge dieser von Wilhelm II. selbst nicht gebilligten
Zwangsmaßregel sich entspinnende diplomatische Notenwechsel wegen
angeblicher Verletzung des preußischen Gebietes führte schließlich zur
Abberufung des preußischen Gesandten von Cassel. Seit 1819 war
Ludwig v. Hänlein als direkter Nachfolger seines Vaters preußischer
Geschäftsträger in Cassel. (Nach den allen Lakaienklatsch gewissenhaft
buchenden Berichten 2) dieses Herrn, den sein Vorgesetzter, der preußische
’) Die Herzogin starb hier in völliger Geisteskrankheit am 17. April 1839.
*) Charakteristisch ist seine Versicherung: „Alles, was ich sage, ist meine und
«»derer rechtlicher Leute feste Überzeugung", oder: „Da viele Große hier daran glauben.