Familie Wilhelms I. Letzte Jahre
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Gemahl, dem Herzog von Anhalt-Bernburg, geschieden, meist in Hessen
lebte und Spuren von geistiger Störung zeigte. Ihr Zustand steigerte
sich zu offener Krankheit seit dem Begräbnis ihrer Mutter, der Kurfürstin,
die am 14. Januar 1820, am Jahrestag des Todes der Landgräfin
Marie, ihrer Schwiegermutter, starb. Der Kurfürst, der das Bild seiner
eigenen unglücklichen Ehe bei seinen Kindern sich erneuern sehen mußte,
trauerte dennoch aufrichtig um die Lebensgefährtin, die ihre schwierige
Lage mit soviel Takt und Würde getragen. Als örste hessische Fürstin
fand sie inmitten des Volkes auf dem allgemeinen Casteler Totenhofe
ihre letzte Ruhestätte.
Einen Lichtblick in den Lebensabend des Kurfürsten brachten die
Hoffnungen, die der Greis auf seinen Enkel, den Prinzen Fritz, setzte.
Er hatte ihn 1815, um ihn den unglücklichen Eindrücken im Eltern
hause zu entziehen, mit seinem Gouverneur v. Below nach Leipzig ge
schickt, überwachte aber mit rührender Sorgfalt und Liebe die Entwick
lung des jüngsten Sprossen seines Hauses und stand ununterbrochen
in regem Briefwechsel mit ihm und seinen Erziehern. Nach fünf Fahren
kam der Prinz nach Cassel zurück, wurde der Schüler Wilhelm Grimms
und war zugegen, als am 26. Dezember 1820 der erste Enkel des Land
grafen Friedrich, des jüngsten Bruders des Kurfürsten, getauft wurde.
Wer hätte damals ahnen können, daß dies Kind, das die drei letzten
hessischen Kurfürsten zusammen über die Taufe hielten, einmal der Erbe
des hessischen Fürstenrechtes werden würde.
Durch ein äußerst arbeitsames und regelmäßiges Leben hatte Kur
fürst Wilhelm seinen Körper gestählt und bis ins hohe Alter gesund
und kräftig erhalten. Von öftern Podagraanfällen abgesehen, ist er
eigentlich nie richtig krank gewesen. Die ersten Wochen des Jahres
1821 brachten ihm etwas Unruhe durch die Anwesenheit der Familie
des Landgrafen Friedrich und dessen jüngsten Schwiegersohnes, des
Herzogs von Cambridge, in Cassel. Der Kurfürst sah seine Verwandten
öfters bei sich und besuchte die ihnen zu Ehren veranstalteten Bälle,
widmete sich aber sonst in gewohnter Weise den Regierungsgeschästen.
Mit befcmberem Interesse hörte er daneben die Vorträge über hessische
Geschichte, die der neue Archiodirektor Rommel ihm hielt, und freute
sich auf der Parade, daß sein Enkel Fritz „gut kommandierte". Am
19. Februar ließ er die Gebeine seiner Frau in das neuerbaute Mauso-
leum auf dem Totenhof überführen, acht Tage später war er selber tot.
Ein neuer Podagraanfall hatte ihn seit der letzten Geheimratssitzung,
am 24. Februar aufs Lager geworfen, von dem er nicht wieder er-