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glaubt, daß er eine Tagesmahlzeit durch ein paar Schoppen
Bier oder ein paar Gläser Branntwein vollwertig ersetzen kann,
der befindet sich in einem verhängnisvollen Irrtum. Die Staats
eisenbahn-Verwaltung hat es sich angelegen sein lassen, Aufenthalts
und Unterkunftsräume zu schaffen, in denen sich ein jeder, der durch
seinen Dienst der Häuslichkeit ferngehalten ist, ein einfaches warmes
Mahl bereiten kann. Das gleiche ist dem Zugbegleitungspersonal
dank der in den Packwagen der Züge eingerichteten Kochvor
richtungen möglich. Wo in diesen Kreisen heute trotzdem das
Bedürfnis nach Nahrung durch die Sucht nach Alkohol ver
drängt wird, da beginnt das Säufertum. Und wo Alkoholisten,
da bald Tuberkulöse! Möchten vor allen Dingen die Eltern
sich stets bewußt bleiben, daß der Alkohol nicht aufbaut, sondern
zerstört, und daß deshalb der Alkohol unter allen Umstünden
denjenigen fernzuhalten und zu verbieten ist, deren Körper und
Geist im Aufbau begriffen ist: ihren Kindern! Es ist nichts
anderes als ein sträflicher Leichtsinn, wenn Kindern, manchmal
sogar Säuglingen — ersteren zur Stärkung, letzteren zur Be
ruhigung — Wein, Bier oder Schnaps zu trinken gegeben wird.
So erzieht man Schwindsnchtskandidaten und noch schlimmeres:
ein Geschlecht von Blödsinnigen, Geisteskranken, Verbrechern!
Man hat die Tuberkulose eine Wohnungskrankheit Wohnung,
genannt. Diese Bezeichnung trifft nur zu sehr zu, wenn wir
an die dumpfen, stickigen Quartiere in den Arbeitervierteln der
Industriezentren denken. Auch in den lichtlosen Hinterhäusern,
in den feuchten Kellergeschossen und staubigen Dachkammern
unserer Großstädte fordert die Tuberkulose ungezählte Opfer.
Wie kann es auch anders sein? „Wo die Sonne nicht hinein
kommt, da geht der Arzt hinein," sagt sehr bezeichnend ein
italienisches Sprichwort. Jede Pflanze braucht Licht zum Ge
deihen, wieviel mehr der Aufbau eines Menschen?
Wo der für die Einzelperson vorhandene Luftraum von dem
Minimum von 16 cbm auf 4 cbm herab gedrückt ist, da muß in
ganz kurzer Zeit aus der Atmungsluft ein Gemisch übelriechender
Stoffe werden, das die Atmung benimmt. Wenn wir uns solche
Räume nun gleichzeitig noch von mehreren Personen bewohnt
und gleichzeitig als Wohn-, Schlaf-, Wasch- und Arbeitsraum
benutzt vorstellen, so erhalten wir ein Bild des Wohnungs
elends, wie es heute sicherlich noch existiert, aber doch langsam
verschwindet. In solcher: Wohnungen kann kein Mensch gesund
bleiben. Nicht nur der Gasanstausch in der Lunge, auch der
Stoffwechsel, die Blutbildung, Schlaf, dlppetit, kurzum alle
Lebensenergie selbst des widerstandsfähigsten Organismus muß
zusammenbrechen. Damit ist dem Eindriirgen der Tuberkel-