Full text: Europäischer Frieden

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viel zu schwarz.“ Ist die englische Politik schwer zu tadeln, 
daß sie bei der vorliegenden Sachlage sich von der deutschen 
trennte? Der Kaiser selbst berichtet seinem Freund Nikolaus 
von dem geheimen Bündnisantrag, und dieser Brief ist natürlich 
bei der besonderen Art der russischen Verhältnisse einem großen 
Kreis weiterer Personen nicht unbekannt geblieben, ja es ist mit 
Sicherheit zu rechnen, daß ihn auch die englischen Spione am 
russischen Ho! erfahren und seinen Inhalt nach London be 
richtet haben werden. Soll man nun den englischen Staatslenkern 
es verdenken, wenn sie unter diesen Umständen eine andere 
Orientierung ihrer Politik suchten? Gewiß, hätte der von Eng 
land gebotene Vertrag in der ersten Zeit die größeren Lasten 
auf deutsche Schultern gelegt, aber das ist doch schließlich 
etwas Selbstverständliches. Auch aus dem geschäftlichen Leben 
kennen wir es nicht anders, als daß der Seniorpartner dem 
Junior gegenüber zunächst etwas im Vorteil ist. Das liegt nun 
einmal in der Natur der Sache. Aber andererseits wäre es doch 
sinnlos gehandelt gewesen von dem Leiter der englischen Politik, 
wenn er keinen anderweiten Anschluß suchte, nachdem er von 
Deutschland nicht nur eine direkte Ablehnung des eigenen 
Bündnisses und des gleichzeitigen Bündnisses mit Japan erfuhr, 
sondern auch noch hören mußte, daß die streng vertraulich an 
gebotene Anlehnung dem schärfsten Feinde Englands, Rußland, 
gegenüber brieflich mitgeteilt wurde. Die bald darauf folgende, 
geradezu irrsinnige Marokkoaktion unter der Aegide des ver 
bissenen, im Berliner Auswärtigen Amt tätigen Geheimrat 
v. Holstein, der Björkövertrag zwischen dem deutschen und 
russischen Kaiser, die übermütige Aktion von Agadir folgten 
und waren geeignet, die deutsche Politik im Ausland weiter 
gründlich in Mißkredit zu bringen. Diese herausfordernde Politik 
des Deutschen Reiches und die Unzulänglichkeit und die Ver 
blendung seiner verantwortlichen und nicht verantwortlichen 
Ratgeber haben eine Situation für das Deutsche Reich geschaffen, 
wie sie unheilvoller nicht gedacht werden kann. Aber es war 
wohl so bestimmt für Deutschlands Schicksal und für dieses 
Reich ein unentrinnbares Verhängnis, daß die Verhältnisse sich
	        

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