20
J. Grimm über zwei entdeckte Gedichte
Maria, Martha ira suestar. Auch in mhd. Gedichten, bei ähnlicher Lage
der Eigennamen, bleibt das und ungespart: Gandin unde Galoes, der bruo-
der sin, Parz. 92,27; Orilus und Lähelin, ir bruoder, Parz. 152,20; Ger-
not und Giselher daz kint, Nib. 1049,3, wo umgekehrt metrische Gründe
für die Setzung des und sind. Eine gewisse Analogie hat aber mit jener
Wahrnehmung die ags. und altn. Construction, die nach dem Dualis des
Pronomens nur einen Namen und diesen ohne Copula ausdrückt: vi<t Freyr
bedeutet ich und Freyr, vit Scilling ich und Schilling, unc Adame mir und
Adam (Gramm. 4, 294. 295.) Mhd. aber, weil die Duale abhanden sind,
ich und Liäze, Parz. 190,2, was gleichviel sein würde mit: wiz Liäze, wenn
dieser Dual noch gälte.
Doch zu lange schon säume ich, über grammatischen Kleinigkeiten,
die dringendere Frage zu erledigen, wie sich unsre heidnischen Gedichte
verlieren konnten mitten in ein christliches Buch, wie ein Mönch die Hand
ansetzen mochte, um vermaledeite Namen, die gescheut und gemieden wur
den, auf dasselbe Blatt, das auch den des allmächtigen, ewigen Gottes ent
hält, zu schreiben? Man darf nicht etwa auf einen heimlichen Anhänger
des alten Heidenthums vermuten, die ganze Sache begreift sich, wenn man
folgendes erwägt.
Den ersten Christen, was schon mehr als einmal gesagt worden ist,
galten die heidnischen Götter für verhafste, nicht für völlig machtlose We
sen. Wie hätte auch der alte Glauben an ihr Dasein und ihre Wirksamkeit
sich plötzlich in eine aufgeklärte Überzeugung von ihrer gänzlichen Nichtig
keit verwandeln können? Selbst die Kirche war nicht abgeneigt, römische
oder deutsche Gottheiten als bösartige Dämonen aufzufassen, deren ehma-
lige Herrschaft jetzt dem Reiche des wahren Gottes weichen müsse. Die
heidnischen Götter traten zurück in einen schauerlichen Hintergrund, der
ihre wolthätigen Eigenschaften und selbst ihre alten Benennungen allmälich
schwinden liefs, eine gewisse teuflische Macht und Einwirkung aber an die
Stelle setzte. Und wie wir in noch späteren Zeiten allmälich ein System von
Teufeln und Hexen sich entfalten sehen, dem die alten Götter und weisen
Frauen der Heiden zum Grunde lagen, nach dem aber wirkliche Zaubereien
und Beschwörungen geübt wurden; so werden auch jene heidnischen Lieder
mit den verrufnen Götternamen frühe schon als ein nicht gerade unstatthaf
tes Mittel zu Heilungen und Besprechungen gegolten haben. Die Erzählung