© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm N
A
aus
( Grimm,Herman)
Nationalzeitung, Nr.656, 1889, Nov.26
Feuilleton.
---- Die stark zugespitzten Gegensätze, welche in jüngste:r Zeit
zwischen den Künstlern, welche zur Jury über das den Brüdern
Grimm zn errichtende Denkmal nnd dem General-Comite zum
Ausdruck gekommen sind, haben in jüngster Zeit die Oeffcntliahkeit
iel beschäftigt. Die Jury hatte bekanntlich dein Bildhauer Wiese
en ersten Preis ertheilt, das Comite hat beschlossen, seinen
Entwurf nicht zur Ausführung zn bringen. In Folge dosten
haben die Künstler der Jury beschlossen, den Kultusminister zu
ersuchen, den Zuschuß zurückzuziehen, den der Staat für 'ras
Denkmal bewilligt hat. Ueber die ganze die Oeffentlichkeit t un
schon lange beschäftigende Angelegenheit herrscht indessen cv te
gewisse Unklarheit und es wird daher interessant sein, das Urtheil
zu boren, welches Professor Herman Grimm, der Sohn Wilhelms
und Neste Jacob Grimm's, über den Wiese'schen Entwurf dem
Comite auf dessen Wunsch ertheilt bat. Es lautet:
Die preisgekrönte Skizze des Grimmdenkmales zeigt uns die
beiden Brüder in lebhaftem geistigen Verkehre dicht nebeneinander.
Der eine, ein Mann in den besten Jahren, nicht ohne einen An
flug von Eleganz der Kleidung, scheint in der Lektüre eines Buches
unterbrochen zn werden, in die vertieft er auf einem Stuhle da
saß. Der andere, mit einem Talar bekleidet und mit den Zeichen
höheren Alters im Antlitze, ist zn ihm herangetreten nnd legt ihm
ie Hand auf die Schulter. Er scheint etwas sehr Wichtiges mit-
rtheilt zn haben, denn der Sitzende, jüngere, wendet sich mit einer
nvissen Plötzlichkeit zu ihm um und blickt zn ihm auf.
Suchen wir nach einer Erklärung dieser Scene, die etwas
wamatisches hat, so fällt uns der Unterschied des Alters, der Klei-
nng und schließlich auch des Benehmens auf. Denn während der
jüngere Bruder eine zufällige Bewegung macht, wie sie im Leben
oft vorkommt, siebt der ältere, mit dem Talar bekleidete, feierlich
da. Er trägt eine Urkunde mit herabhängendem Siegel im A me
und seine Art, dem anderen die Hand auf die Schulter zn legen,
hat etwas Beschwichtigendes. Man fühlt sich zn der Annahme^ ge
drängt, als sei ein bedeutender Moment aus dem Leben der Brüder
Grimm hier dargestellt worden.
Diese Annahme jedoch wäre eine irrthümliche. Das Leben der
Brüder Grimm bietet nichts, was hier seine Darstellung hätte
finden können. Ihre eigenen Lebensbeschreibungen nnd zahl
reiche gedruckte Briefe zeigen, wie still nnd in friedlicher Arbeit
sie bis zn hohem Alter engvcrbunden nebeneinander hergingen.
Nur einmal sind sie handelnd in die Oeffentlichkeit getreten,
1837, als man ihnen in Göttingen zumuthete, eine neue
Verfassung zn beschwören, während die alte noch zu Recht be
stand. Sie verließen damals Göttingen, um nach Kassel zurück
zukehren, von wo sie bald nach Berlin berufen worden sind.
Jakob's Theilnahme am deutschen Parlamente war eine kaum sicht
bare. Juuerhalb der Bewegung der Parteien haben sie niemals
gestanden. In Berlin bekleideten sie nicht einmal ein Amt, son-
dern lebten dort als Mitglieder der Akademie der Wissenschaften,
mit dem Rechte, Vorlesungen an der Universität zu halten, von
dem sie gleichmäßig eine Zeit lang Gebrauch gemacht haben.
Den Professorentalar zn tragen, bot Berlin deshalb keine Ge-
legenheit. Ebensowenig hatte sie Kassel geboten, wo sie bis zur Be
rufung nach Göttingen als Bibliothekare an der Landesbibliothek
thätig waren. Nur einmal sind sie überhaupt mit diesem Abzeichen
des Profefforenamtes erschienen: in jenem Jahre 1837, ats das
Jubiläum der Universität Göttingen gefeiert wurde. Sollten sic
also in Hanau diesen Schmuck tragen, so batte er ihnen beiden
gegeben werden müssen. Der Schwerpunkt ihrer Wirksamkeit lag
aber nicht in ihrer öffentlichen Thätigkeit als Universitätslehrer,
sondern in ihrer Arbeit innerhalb der Wände ihrer nebeneinander
liegenden Studirstuben.
Goethe sagt mit Recht, ein Mann stehe dem Volke so vor
Augen, wie er bei seinem Tode hinweggegangen sei. Bei Jakob
scheint der Künstler die Jahre dargestellt zn haben, in denen er
starb, bei Wilhelm bringt er dagegen eine frühere Lebenszeit zur
Anschauung. Beide Brüder aber haben ihr Leben bis in die
Siebzig gebracht und Jakob, obgleich er der ältere war, hatte vor
Wilhelm nur 13 Monate voraus. Weder im Aussehen, noch in
den Bewegungen der Brüder, noch auch in ihrem Verkehre lag etwas,
das 'die Altersdifferenz hervortreten ließ. Jakob war rüstiger als
Wilhelm, der viele Krankheiten hatte durchmachen müssen. Heftige
Bewegungen waren beiden fremd. Ihre Erscheinung war die ehrfnrcht-
gebietender alter Männer, die ein einsamer Gedankenarbeit zuge
wandtes Leben führen. Ein entschiedener Unterschied der Naturen
bestand, trat aber nur in der Verschiedenheit ihrer Art zu arbeiten
hervor. Auch äußerlich waren sie einander unähnlich, wie die vor
handenen Portraits dies bezeugen: soweit die preisgekrönte