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© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 47
M 222. Erste Beilage zur König!, privrlegLrtm Berlinischen Zeitung. 186A
m.
Sonnrag den 13. Dezember.
BeerchMunige» und Cvlarrterun^ea
aus
dem Gebiete der Kunstgeschichte.
V.
Welch e!u Gewinn für die Kunst und ihre Geschickt-,
wenn sich öfter, atö es der Fall ist, die Entstehungtz-
weise ausgezeichneter Kunstwerke ermitteln ließe! Gar
manches unverständige und ungerechte Urtheil würde als
dann in sich selbst zusammenfallen, oder sich gar nicht in
die Oeffentiichkeü wagen. Mir scheint es jedoch, daß in
vertauschen würde, ließ sich von Niemand eher erwarten,
als von ihm. der, wenn je ein Maler, von frühauf mit
seiner Kunst ganz und gar verwachsen war.
Es läßt sich denken, daß er bei näherer Bekanntschaft
mit der Methode der Venetianer, die er nur in den Werk---
stätten und an ihren Staffeleien selbst erlangen konnte,
zunächst Einsicht gewann, wie die damals in der Blüthe
ihrer Jugend stehenden Schüler Giovanni Bellini'S,
namenrlich Giorgione, Tizian, Palma, durch ihre breitere
Piuselftzhrung, obschon diese um jene Zeü noch lange nicht
Ermanglung urkundlicher Beweisstücke hie und da Werke ihren Höhepunkt erreicht hatte, in den Stand gesetzt wa-
großer Meister so vernehmlich durch sich selbst sprechen,
daß man ihnen die Art ihrer Entstehung leicht ablauschen
kann.
Vielleicht das ausfallendste Beispiel ist Dürer's „Chri
stus unter den Schriftgelehrten" im Palafte Bar-
oerini zu Rom, ein Oelgemälde in halben Figuren, das
nach dem Zeugniß einer Inschrift innerhalb fünf Tagen
beendet wwde. Schon der Umstand ist bei einem so ge
wissenhaften Künstler wie Dürer, der sich selbst nie genug
thun konnte, höchst auffallend, zumal wenn man dinzn-
nimmt, daß daS Bits von ihm in Venedig gemalt wurde,
wo er gewiß alle Ursache hatte, der deutschen Kunst keine
Blößen zu geben. Es fehlt darum nicht an Solchen, die
unsern Dürer von der, wie sie glaubten, ihn bedrückenden
Last eines zweideutigen Machwerks befreien wollten, in
dem sie das Bild einem jener vielen Unbekannten in die
Schuhe schoben, die jedesmal ausbaoen müssen, was ge
wöhnliche Menschenkinder nicht begreifen können. Es ist
nur zu loben, daß Waagen (Handbuch der deutschen und
niederländischen Malerschulen, l. 200.), nach dem Vor
gang Kugler'ö, die Urheberschaft Dürer's nicht bezwei
felt; er stimmt zugleich aber auch in das harte Urtheil von
Jenem mit den Worten ein, „der Christus sei unbedeu
tend, die Nebligen widrige Carricatureu, das Fleisch von
schmutzigem Ton, die andern Farben bunt." Kügler hatte
noch weiter bemerkt, schon das behandelte Motiv, die Zu
sammenstellung mehrer, durch ein psychologisches Interesse
verbundener Personen in Halbsigur zeuge von keiner ori
ginellen Erfindung; manche Therle seien zudem ganz in
venetianischer Art gemalt und daS ganze Bild erscheine
getheilt zwischen zwei sehr verschiedenen DarsiellungS-
weisen. *)
Um in der Sache klar zu sehen, wird es gut sein, daran
zu erinnern, daß von den Briefen, welche Dürer aus Ve
nedig an Wilibald Pirk heim er in die Heimat richtete,
mehrere verloren gegangen sein dürften; wenigstens setzen
es sichere Umstände außer Zweifel, daß zwischen den bei
den Briefen vom 18. April und 18. August 1506 ein
dritter von ihm geschrieben sein muß, der spurlos ver
schwunden ist. Wären noch alle vorhanden, to würde zu»
verlässig der wünschenswerthe Aufschluß über den Chri-
siusknaben unter den Pharisäern nicht fehlen. In
dessen spricht das Bild zu laut für sich selbst, als daß
der Sachverhalt länger im Dunkeln liegen könnte. Indem
Dürer zu einem längeren Aufenthalt nach Venedig ging,
konnte seine Absicht keine andere sein, als sich mit den
Eigenthümlichkeiten der venetianischen Malerei bekannt zu
machen und für seine eigene Technik daraus den größtmög
lichen Vortheil zu ziehen. Daß er seine, daß er die
deutsche Weise nicht aufgeben, mit der fremden nicht
*. A. v^Ey e, Leben und Wirken Albrecht Dürers, S. 211.,
begnügt sich, wie fast immer, wenn es sich um den Ma
ler Dürer handelt, einfach damit, Kugler auszuschreiben,
was, genau betrachtet, das Klügste war, was er thun
konnte, da er die wenigsten Bilder Dürer's aus eigener
Anschauung kennt. Allein eben darum durfte er eine
solche Biographie gar nicht schreiben — sie ist nahezu
wertblos. Wenigstens hätte der Verf. sich mit dem rein
lltercufifchen Theile begnügen sollen, denn dazu ist Nürn
berg allerdings der geeignete Ort, nicht aber für «mfas-
sende krmftseschichtliche Studien.
reu, ohne Vergleich schneller zu malen, als er; um so mehr,
da sie aus die feine und zarte Charakteristik ihres Lehrers
zum Theil verzichteten und die sorgfältige Zeichnung durch
möglichst kräftige und massenhafte Licht- und Farbenwir
kungen ersetzten. Die jungen Herren, in denen eö gewaltig
gährte, warfen bei aller Achtung, die sie dem deutschen
Kunstgenossen zolllln, diesem vor, seine Werke seien
nicht „autikischrr Art^, was sich gleichmäßig auf die
Gegenstände, die er vorzugsweise darstellte, als auf die
streng charakteristische Behandlung bezogen haben wirR
„Es find", schreibt er, „viel «rüge Leute vorhanden, rechte
Künstler, und ich habe ein solches Gedränge von Wel
schen, daß ich mich zu Zeiten verbergen muß." Dürer
war nicht unempfindlich für Beifall und Lebensgenuß,
hatte Wohlgefallen an seinem französischen Mantel uns
welschen Rock, seitdem seil; HauSkreuz ihm nicht mehr iw
den Ohren lag; aber die junge Malerschule konnte un
möglich nach seinem Geschmacke sein. Gelernt hat er im
Munde allein etwas von dem ehrwürdigen Bellini, derm
es voc allem Andern um eine sorgfältige Charakteristik
und gewissenhafte Färbung zu thun war. Ihm hat sich
Dürer mir aller Herzlichkeit angeschlossen, nicht blos weil
besten Richtung in der Kunst ihm am Meisten zusagte,
sondern weil er zugleich au ihm einen milden und lie
benswürdigen Charakter fand; uno daß der greife Gio
vanni von De© veutfchen Meisters Art zu malen nicht ge
nug dachte, zeigl Re Erzählung, er habe Dürer um einen
Pinsel gebeten, womit er die Haare zu malen pflegte, und
sei nicht wenig erstaunt gewesen, als Jener ihm einen
ganz gewöhnlichen Pinsel darreichte, womit er selbst un-
verweilt eine Strähne Frauenhaar von außerordentlicher
Schärfe und Feinheit ausführte.
Um nun aber den Jüngeren zu zeigen, daß seine Bd-
handlungsweise keineöwegeö gleichbedeutend sei mit einem
mühsamen und Zeit raubenden Stricheln, malte er oaS im.
»Kloster Strahow zu Prag befindliche Rosenkranzfest, das
"eine Höhe von 4 Fuß und eine Breite von 7 Fuß hat,
in- der wegen der Menge von Figuren unglaublich kurzen
Zeit von fünf Monaten. Giorgione und seine Freunde wer
den von ihrem Standpunkte aus die angegebene Frist im
mer noch zu lang gefunden und Dürer' vorgeredet habe»,
mit dem Stricheln und den vielen überflüssigen Figürche«
bringe er es zu nichts; was lag unter den Umständen für
Dürer näher, als das Anerbieten, statt in fünf Monaten
in fünf Tagen ein verhältnißmäßig großes Bild, xnd zwar
mit breitem Pinsel zu malen, ohne gleichwohl seiner schar»
fcn Charaktermalerei untreu zu werden?
Mil dem ChristuSknaben unter den Pharisäern hat
er sein Wort gelöst, u d zwar in einer Weife, der
kein Kunstverständiger seine Bewunderung versagen kann.
Daß er der ihm kurz zugemessenen Zeit wegen auf
Halbfiguren sich beschränken mußte, bas versteht sich,
so sehr es seiner sonstigen Gewohnheit widerspricht,
von selbst: an den Beinen ließ sich nicht viel Charakteri
stisches anbringen und auch die Pinselsührmrg kommt da--
bei wenig in Betracht. Darin aber nruß man Kugler
Recht geben, daß ein Widerspruch in der DarstellungS-
weise sich allzu fühlbar macht; nur vergesse man nicht,
daß der Verabredung gemäß es nicht anders sein sollte.
In der Eomposition ist Dürerseiner deutschen Eigenart.