© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 45
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genug haben, sich um die Literatur vor ihrer Zeit zii
bekümmern, bey denen natürlich derjenige allemal
Recht hat, der zu ihnen spricht, und der, nach Hufe,-
land, die Kunst, andre zu überleben studirt hat. Beyue
Gattungen von Lesern könnten sich leicht verführe«
lassen, einige aufgeführte Jugendurtheile des Herrn
von Goethe für bewährte und reife, mithin gerechte
Mannsurtheile zu nehmen. Vermöge der Mischung
von Wahrheit und Dichtung wird es nämlich man
chem vielleicht gar wunderlich gehen, der diese Bio
graphie nicht gehörig beherzigt. Wie oft wird er
für halten, Herr von Goethe, deines damals nur daran
liegen musste, die von Behrisch und der allgemeinen
deutschen Bibliothek empfohlne Lebenserfahrungen zu
machen, habe dennoch alle philosophische, religiöse
und literarische Ansichten des Zeitalters, denen er
späterhin huldigte, schon in früher Jugend, so gut,
wie die Krönungsdiarien gewusst, ungeachtet er doch
anderwärts selbst gesteht, vielen Aufschluss erst durch
Herders Umgang erhalten zu haben. Und umgekehrt,
scheint sich wieder manches Jugendurtlieil des berühm
ten Biographen, da Dichter niemals altern, als ein ge
genwärtiges auszusprechen. Wenn sich daher der En-
desunterschriebene Verfasser des gegenwärtigen Aufsa
tzes überhaupt geneigt fühlt, manche Leser zu veran
lassen, auf den damaligen literarischen Zustand der
hiesigen Akademie, über welchen Herr von Goethe
etwas abspricht, nicht allzu verächtlich herabznsehen,
so glaubt er sich namentlich durch die kindliche Pflicht
gegen einen Verstorbenen, dem er die erste RichtiÄg
seines Geistes schuldig ist, aui'gefordert, von dessen
Schatten einige höehstunvortheilhafte Lichter abznhal
ten, die aus der unterhaltenden Goetheschen Zauberla
terne auf denselben gefallen sind. Nun kann es zwar
einem längst in den Schoos der ew’gen Wahrheit zu
rückgekehrten Geiste ziemlich gleichgültig seyn, was
in dem Lajide der sublunarischen Täuschungen selbst
ein Herr von Goethe für ein Urtheil von dessen ehe
maligen literarischen und akademischen Verdiensten
verbreitet. Auch liegen die Beweise vom Gegcnlheil in
den durch ganz Deutsch], bekannten und nicht überall
vergessenen Schriften des Verstorbenen und in dem bey
vielen Menschen noch mit Dankbarkeit wachen Anden
ken an denselben zu nahe, als dass man das ohuedicss
vielleicht parleyische Zeuguiss des Sohnes zu Hülfe
zu nehmen brauche. Indessen kann man auch dem
Sohne schwerlich verdenken, wenn er, (ohne zur
Grabschrift gerade eine Antikritik liefern zu wollen),
doch durch ein Wort der Gegenrede, sey es auch in
einem kleinern Kreise, verhindert, dass die Wahrheit
entstellt .und unsanft an dem Kranze gerührt wird, der
über dem Grabe seines Vaters hängt. Odysseus sagt
sehr naiv in der Hecuha des Euripides : So lange ich
noch lebe, und es für mich noch Tag ist, möchte ich
noch so wenig haben, ich würde mir daran genügen
lassen. Aber meinen Grabhügel will ich geehrt sehen.
Denn das Geschenk, das man meinem Grabe bringt,
muss für eine etwas lange Zeit hinreichen.“ Kein
Wort, über die komische Aussenseite, die Herrn von
Wollen, und zur Zielscheibe ihres Witzes zu machen pfleg
ten, und die, weife sie wohl zuweilen Statt fand,
Folge eines rein kindlichen Wesens war. Herr von
Goethe schont in diesem Puncte seines eigenen Vaters
nicht. Jeder Mensch hat wohl sein Komisches, und
am meisten komisch ist furchtsame Steifheit, welche
gar nichts Komisches haben will. Ein Falls taff wird
eine Seettonne gescholten, und nennt dafür magere
Leute Nähnadeln. Darüber werden sich Männer wohl
nicht veruneinigen, am wenigsten Männer von Geist.
Auch nichts über die neue Wiederauflage der bekann
ten Parodie: Sie ist in Absicht auf einige Fehler im
Styl des verstorbenen Clodius sehr treffend, und der
letztere hat sich selbst späterhin daran belustiget, so
gar da, als sie ein Anonymus mit hämischen Nebenbe
merkungen und mehreren fremden Zusätzen vor Rosts
Gedichten 1770 (ein Umstand, der Herrn von Goethe
wahrscheinlich ganz unbekannt ist) abclrucken liess.
Wir haben übrigens seitdem in unserer literarischen
Schreckens - und Revolutionszeit manche Parodie selbst
von Parodien gesehen. Die blutige Lehre, die wir an
dern geben, fällt oft auf des Erfinders Haupt zurück
— — so dass Herr von Goethe selbst die goldene Zeit
der Literatur zurück wünscht, wo dem Verdienste noch
mit einiger Achtung begegnet ward. Auch dieses -
bleibe liier unberiieksiemiget, dass Herr von Goethe
mit der Lehrmethode des verstorbenen Clodius unzu
frieden scheint, dass letzterer, dem man zu seinerzeit
Witz zuschrieb, nicht einmal die Ironie eines Goethe-
eschen Gelegenheitsgedichts verstanden haben soll. Ge
nug, dass so viele Männer des fn- und Auslandes sich
ihres Lehrers mit Dankbarkeit erinnern. Muss sich
doch auch Geliert von Herrn von Goethe die wun
derliche Aeusserung in den Mund legen lassen, dass
er lieber Lehrer der Kalligraphie , als des guten Styls
und tugendhafter Gesinnungen hätte seyn wollen. Wie
viele witzige, selbstgefällige und späterhin nicht so
berühmt gewordene Studirende schieben gern alle Schuld
des wenigen Erfolgs akademischen Unterrichts auf ihre
Lehrer, denen sie es nicht vergeben konnten, dass
diese Kraft ihres Amts allein reden durften. —
Das Einzige, was der Endesunterzeichnete in dem
Urtheile des Herrn von Goethe einseitig findet, ist
dass der verstorbene Clodius in seinen Oden ein Nach
ahmer von Ramier gewesen, sich dessen Prunkwör
ter nur gemerkt hätte, um seine Poesieen damit auf-
zustutzen, die keines weges geeignet gewesen wären,
den Geist auf irgend eine -Art zu erheben. Herr vor^
Goethe erzählt uns selbst, dass er damals, eh er mit
Recht berufen ward, den Vorsitz auf unserm Parnass
zu führen, sich häufig (wie Shakspears Heinrich der
Fünfte) in deu Tavernen anfgehalten habe, und dort
konnte es ihm leicht entgehen, dass C. A. Clodius
nicht nur einer der Ersten war, der das Studium der
Classiker mit der neuern Literatur in Verbindung
brachte, sondern auch dass er in der Gattung der ^Apo-
logen an Tiefe u. leichter Erzählungsart ganz wohl neben
Geliert und Pieifei bestehen konnte. Einige neue Lite-
rargeschichten, wo die Verfasser oft so ausführlich sind,
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dass sie ihre eigenen Journale zum Schlüsse mit auf
führen, scheinen dieses still wirkende Verdienst von C.
A. Clodius, auf das man hernäch weiter baute, ganz
vergessen zu haben. Nichtsdestoweniger war es zu
seiner Zeit so anerkannt, dass der kritische Herder,
der an Clodius prosaischem Styl eben so viel auszu
setzen hatte, als Herr von Goethe an dem poetischen,
doch jenes verdienstliche Streben sehr hoch schätzte,
und sich in seinen Privatbrielen selbst -wegen einiger
Angriffe entschuldigte. Am wenigsten kann Ramier,
der sich, in seinen ebenfalls noch vorhandenen Briefen
an Clodius, mehr wie einen Zeitgenossen desselben, wie als
seinen Vorgänger betrachtet, mit demselben zusammen
gestellt werden. Ramier sang mit der Kunst des
Horaz den grossen Friedrich, der „seinen Weg oft über
zehntausend zertretene Menschenschädel nehmen musste;“
Clodius hingegen, in ganz anderer Form, mitpatriotischem
Jugendgefühl einen Fürsten, der sein Volk glücklich zu
machen versprach, und dies Versprechen gehalten hat.
Dass übrigens die Poesieen von Clodius Herrn von
Goethe geistlos, und Medons lange Dialogen auf der
Bühne ( wiewohl von einer gesundem Sentimentalität
belebt, als späterhin oft aut dem Schauplatz und in
den Romanen Mode geworden ist) ihm lächerlich Vor
kommen musste, ist ganz natürlich. Herr von Goethe
war mit den mehresien seiner geistvollen Zeitgenossen
berufen, den moralischen Predigerton des Gellertschen
Zeitalters zu verdrängen, und einer freyern reinästhe
tischen Cultur, unabhängig von der Sittlichkeit, die
Bahn zu brechen. Diese Tendenz, die sich fast in
allen Helden und Schriften von Goethe ausspiicbt, die
allerdings den Geist erhebt, wie alles der gewöhnli
chen Form widersprechende, und in sofern bestimmt
ist, bey der Menschheit Aufsehn zu erregen, wenn
sie gleich eben so oft das Gemüth zerreisst, ist der
jenigen in Clodius Schriften ganz entgegen. Ueberall
zeigt sich in Herrn von Goethe, wie auf andre Weise
in Lessing, Herder, Wieland und Schiller die kern
hafte Reaction eines erwachsenen Jahrhunderts, das
nach Geistes - Freyhfeit ringt, und sich aller formellen
Gesetzgebung, womit es seine Hofmeister bändigen
wollten, entgegensetzt. Dahin zielt Werther, der von
der Hölie. einer gesetzwidrigen Leidenschaft verächt
lich aui die Grundpilicht des Lebens blickt, Fernan
dos Viel weiberey, Clavigos treulose Schwäche, die
Umstürzung des pedantisch erträumten Throns aller
vier Facultäten im Faust, Meisters Vagabunden-Leben
auf Thespis Wagen, und die chemische Zersetzung
dç£eheligen Treuein den Wahlverwandtschaften. Selbst
des waekern Göz deutsche Tugend muss uns als un
erlaubte Selbsthülfe und Landfriedens-Bruch merkwür
dig werden , während des unglücklich schwärmen
den Tassos Liebe zu. einer Prinzessin beynahe als das
einzige Verbrechen erscheint, das die poetische Ge
rechtigkeit bestrafen kann.
Ich bin weit davon entfernt, die ästhetische, ja
sogar die moralische Wirksamkeit von dem allen zu
läugnen, da eine individuelle poetische Schilderung der
menschlichen Verirrungen eben so tief ergreift, als
belehrt: wenn ich gleich das Selbsturtlieil des Herrn
von Goethe nicht unterschreiben möchte, dass z. B.
die Mitschuldigen ein wirksamer Commentai' zu der
biblischen Stelle seyen, wer ohne Sünde ist, werfe den
ersten Stein u. s. w. Nichtsdestoweniger kann mau
nicht in Abrede seyn, dass diese Goethesche Tendenz
keinesweges als Massstab aller Geist erhebenden Poesie
aufgestellt werden darf. Ja sie ist uns in den unsittli
chen Karikaturen der Goetheschen Nachahmer, in de
ren Tornister, mit Bürger zu reden, der Kobold Genie
spukt, und denen gerade nur die Ungebundenheit
gefällt, mit der eiu oberflächlicher Witz über alle
Fundamente der Menschheit hinwegspottet, sogar wi
derlich geworden. Auch Reinheit des Herzens und
religiöse Gesinnungen, wie mancher grosse deutsche
Dichter, wie Herr von Goethe selbst in seiner Iphi—
genia zeigte, kann den Geist, wenigstens das Gemüth
erheben, und in diesem Sinne kann auch manchem
Gedichte aus dem Gellertschen Zeitalter, manchem v.
G. A. Clodius und andern seiner gleichgesinnten Zeit
genossen der Geist nicht abgesprochen werden. Herr
von Goethe wird diesen mehr erläuternden, als wider
sprechenden Commentai’ zu einer Stelle seines interes
santen Werks um so weniger iibel aufnehmen, je mehr
ich hoffen darf, dass er als Selbstbiograph schon aus
dem Lethe trank, und ihm also keine Empfindlichkeit
deswegen zurückgeblieben seyn wird, dass ihm der
verstorbene Clodius eines seiner Jugendgedichte Kraft
des Professoramtes scharf kritisirt hat, so dass diese
Kritik selbst einige negative Wirkung auf dessen schrift
stellerische Bildung haben konnte. Als einen kleinen
Beleg zu dem Gesagten sey mir zum Schluss erlaubt,
ein' kurzes Gedicht an den Mond v. C. A. Clodius in
das Gedächtniss zurückzurufen :
Du kleiner Theil von dem erhabnen Ganzen,
Wie milcl wirkt nicht dein Strahl auf einen Staub herab.
Indess Monarchen sich verschanzen,
Und unbesorgt glorreiche Thoren tanzen,
Denk ich von dir erweckt an Gott und an mein Grab.
Leipzig, den 1. November.
C. A. H. Clodius.
Bemerkung zur Recension des Buchs :
Kolbe über Wortmengerey in No. 289 der Leqjz.
Literat. Zeit. 1812.
Der Recensent äussert in seiner Beürtheilung : er
könne nicht bestimmen, ob das Buch eine neue -Auf
lage oder .Ausgabe sey. Hierauf dient ihm und dem
Publikum zur Nachricht, dass die erste Auflage dieses
Werks vom Jalir 1809 7^ Bogen stark, diese neue
Aufl. 1812 27^ Bogen stark, mithin vielmehr als ein
neues Werk anzusehen sey.
Leipzig deli 26. Nov. 1812.
C. H. Keclam.