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Chronik des Wiener Goethe-Vereins XIII. Bd.
Chronik des Wiener Goethe-Vereins XIII. Bd.
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»Da die größeren Hotelbesitzer Wiens durchgehends
gutgesinnt sind und darum ihre Locale nicht hergeben
wollten zur Feier eines Mannes, der bekanntlich von der
ganzen geistlichen Welt nur der »große Heide« genannt
wird, zumalen es aus seinem Höllenwerke »Faust« ersicht
lich ist, dass er mit dem Teufel näheren Umgang gepflogen,
so hat man sich genöthigt gesehen, zu einem kleineren
Locale seine Zuflucht zu nehmen, woran übrigens nichts
gelegen ist. Da bei dieser Feier eigentlich nur die Deutschen
in Wien betheiligt sind, so könnte das Local noch kleiner
sein. Um übrigens niemanden zu beleidigen, wird dieses
Local nur sehr schwach beleuchtet sein. In der Mitte des
selben wird die Büste Goethes aufgestellt, mit einem
Lorbeerkranz geschmückt, wozu um die Bewilligung nach
gesucht wurde. Um jedoch den Koryphäen unserer Tage
dadurch nicht nahe zu treten, hätten wir gerne auch die
Büsten derselben dazu gestellt, allein mit schlechten Büsten
von diesen Koryphäen wollten wir das geehrte Publicum
nicht behelligen, und Gelungenes von denselben war
nirgends zu finden. Im Hintergründe des Saales wird die
Stadt Frankfurt, als der Geburtsort Goethes, im Bilde auf
gerollt zu sehen sein, und aus dem Hause, in welchem
Goethe geboren wurde, wird der Prinz von Preußen, der
sich gegenwärtig gerade in Frankfurt aufhält, als Mephisto
pheles heraussehen.
Die Feier wird eröffnet mit einem Prologe, gedichtet
und gesprochen von Baron Kiesheim, weshalb die Theil-
nehmer an dem Feste ersucht werden, erst nach dem
Prologe zu kommen. Diesem folgt :
1. Schweizerlied von Goethe, in Musik gesetzt und
unter dem Titel: »Stock an* dem Könige von Preußen
gewidmet von dem Schweizer General Dufour.
2. Mehrere Capitel aus Goethes Farbenlehre, vor
gelesen von einem Journalisten, der den Farbenwechsel
gründlich studiert hat.
3. Scene aus den * Mitschuldigen«, dargestellt von
den Königen von Sachsen und Hannover.
4. »Leise flehen weine Lieder«, gesungen vom
deutschen Michel.
5. Goethes Theaterreden, gehalten von mehreren
Staatsmännern.
6. Fastnachtsspiel, dargestellt von mehreren Frank
furter Reichstagsdeputierten.
7. Die Aufgeregten. Politisches Drama von Goethe,
dargestellt von mehreren Honveds.
8. Der Triumph der Empfindsamkeit, vorgetragen
von der Gräfin Lola Landsfeld.
9. Die Pandorabüchse. Auf Verlangen kann statt
diesem Stück auch die Dreikönigsverfassung vorgelesen
werdeD.
10. Reineke Fuchs, vorgetragen von Lord Palmerston.
11. Werthërs Leiden, in einer neuen Auflage vor
gelesen von dem deutschen Reichsverweser.
12. Die Geschwister, Lustspiel. Unter dem Titel
»Schleswig-Holstein« zu einem Trauerspiele umgearbeitet
von General Prittwitz.
13. Epilog, in welchem Goethes Geist herauf
beschworen wird, weshalb jedermann ersucht wird, während
desselben nicht etwa zufällig über das Hofburgtheater-
repertoir zu sprechen.«
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Nicht viel hätte gefehlt, und Mephisto hätte
damit den Epilog zur Wiener Goethe-Feier ge
sprochen. Zur Ehre unserer Vaterstadt sollte er
aber doch nicht das letzte Wort behalten : Sonn
tag, den 2. September 1840, brachte »Der
Wanderer« folgende, von dem Vorstande des
Wiener Männergesangvereines Gustav Barth, dem
Historienmaler G. Dittenberger, dem Dichter
Friedrich Hebbel und dem Actuar der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften Dr. Adolf Schmidl
gezeichnete Voranzeige:
»Eine Jubiläumsfeier von Goethes Geburtstag in Wien
zu veranstalten, war schon vor geraumer Zeit Gegenstand
der Berathung unter Freunden, die auch in wärmster,
inniger Verehrung Goethes sich begegneten. Der Aus
führung ihrer Pläne traten aber die Zeitumstände lähmend
und hemmend entgegen. Um eine Goethe-Feier ent
sprechend zu begehen, dürfte unser gemeinsames Vaterland
nicht von Stürmen durchbebt werden, die dem Gemüthe
jene stille Weihe versagen, welche die Bedingung jeder
künstlerischen Leistung, jedes echten Kunstgenusses ist.
Die jüngst erfolgten glücklichen Ereignisse gestatten nun
die Ausführung des längst gehegten Wunsches, und die
Unterzeichneten sehen sich in der Lage, eine A r achfeier
von Goethes Jubiläum für die nächste Woche anzu
kündigen, da zu dem Jahrestage selbst die nöthigen Vor
bereitungen nicht mehr beendet werden konnten. Die aus
gezeichnetsten Künstler haben ihre freundliche Mitwirkung
bereits zugesagt und das Nähere wird alsbald bekannt ge
geben werden.«
Dienstag, den 11. September 1849, wurde die
angekündigte Akademie im Hofoperntheater abge
halten. »Der Wanderer« berichtet in der Nr. 241
vom 13. September unter der Rubrik »Theater und
Kunst« *) :
»Dass Wien mit dieser Feier zu spät kommt,
ist noch kein Beweis, dass der Schöpfer Fausts
hier keinen oder nur wenige Verehrer zählt, und
wenn am 28. August im k. k. Hof- und National
theater jener große Tag durch die unter aller Kritik
schlechte Aufführung des ,Tasso‘ entweiht wurde,
so stimmten an diesem Tage in Frankfurt, dem
Bethlehem des Heilandes, deutsche Jünglinge das
— Heckerlied an.
Dass aber der große deutsche Dichter in
unseren Mauern zahlreiche und enthusiastische
Verehrer zählt, davon gab die am 11. d. M. von
den Herren Barth, Dittenberger, Hebbel und
Schmidl im k. k. Hofoperntheater veranstaltete
Nachfeier von Goethes Jubiläum das bündigste
Zeugnis. Es that wohl, nach langer Zeit einen der
artigen Kunstgenuss ungetrübt genießen zu können.
Die Festouverture von Beethoven, welche . die Vor
stellung eröffnete, sowie die Egmont-Ouverture und
der Trauermarsch aus der Synfonia Eroica von
Beethoven, machten auf das gesammte Publicum
einen kolossalen Eindruck. Mit ungeheucheltem
Enthusiasmus wurden die benannten Piècen des un
erreichbaren Tonsetzers aufgenommen; eine siegende
Gewalt hat das Große und Erhabene, was sich an
jenem Abende neuerdings herausstellte. Der Prolog
von Friedrich Hebbel, den Herr Löwe vortrug, be-
*) Vgl. auch den »Wiener Zuschauer«, Nr. 211 vom
14. September 1849 im »Wiener Tagesbericht*.
ahmt Goethe hier lächelnd nach, und er spielt auch
darauf an, dass er darin einem Vorbilde folgt:
Und weil zuletzt bei jeder Dichtungsweise
Moralien uns ernstlich fördern sollen,
So will auch ich in so beliebtem Gleise
Euch gern bekennen, was die Verse wollen.
Am 27. April 1808 plaudert er mit Riemer:
Über moralische Erzählungen in Stanzen, Inhalt,
Form, Reime.
Gries’ Übersetzung des rasenden Roland, der
das obige Citât entnommen ist, erschien 1804 bis
1808. Am 1. December 1807 las Goethe den
Schluss des dritten Bandes. Wann er den ersten
Band mit unserer Stelle gelesen hat, finde ich nicht
angegeben. Auch mit Ariosts übrigen Dichtungen
beschäftigt er sich 1807 viel. Am 21. April 1810,
also am Tage vor dem Beginne unserer Dichtung,
liest er noch Schlegels Recension von Giies’ Ariost-
übersetzung. Dagegen ist Beschäftigung mit Ovids
amores in der Entstehungszeit der Dichtung nicht
nachweisbar.
Ariost hat auch sonst auf Goethes Dichtung
gewirkt. Dass »Merlin der Alte, im leuchtenden
Grabe« im kophtischen LDde aus dem dritten Ge
sänge des rasenden Roland stammt, hat Boxberger
(Archiv f. Lit.-Gesch. 9, 206) nachgewiesen. Ich
möchte noch auf eine weitere Reminiscenz aufmerk
sam machen. Von Lilith sagt-Mephisto auf der
Walpurgisnacht :
Das ist die Zauberei, du leicht verführter Thor,
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.
Rasender Roland, 12. Gesang:
Dieselbe Bildung, mit denselben Tönen,
Die Roland für Angelikas erkannt,
Scheint Rüd’gern Bradamantens seiner Schönen,
Die aus ihm selber ihn herausgebannt.
Und hört vielleicht Gradass die Stimm’ ertönen,
Hört sie ein andrer, der das Schloss durchrannt :
So wird von allen sie für das erachtet,
Wonach ein jeder nun am meisten trachtet.
Dies waren neue, seltne Zaubereien ....
Der Bequemlichkeit wegen habe ich wieder
Gries citiert, obwohl für Lilith vielmehr auf Goethes
im Tasso so beredt bezeugte Kenntnis des italieni
schen Originals hinzuweisen ist.
Max Morris.
Bücherschau.
Das neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen.
Herausgegeben von Karl Werckmeister. Berlin,
Kunstverlag der Photographischen Gesellschaft,
1899. Lieferung 30. Preis M. 1.50.
Es war ein naheliegender Gedanke, die jüngst
erschienene 30. Lieferung dieses monumentalen
Prachtwerkes Goethe zu widmen. Die vorliegenden
sieben Blätter stellen die denkbar glücklichste Aus
wahl aus der fast unübersehbaren Masse der
Goethe-Bildnisse, die Rolletts und Zarnckes Sammel
fleiß nachgewiesen hat, dar. Mit dem im Juli 1779
gemalten Bildnis von G. O. May beginnend, das
den Dichter in seinem dreißigsten Lebensjahre dar
stellt, zu einer Zeit, als er Iphigenie in ihrer
frühesten Gestalt entwarf, zeigte uns die Reihe der
folgenden, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter
schreitend, die Veränderung seiner äußeren Er
scheinung vom Apollo-Typus zu dem uns eigent
lich am meisten geläufigen Jupiter-Typus des
späteren Alters.
An einem bedeutsamen Wendepunkt seiner
Entwickelung, der zusammenfällt mit dem Höhe
punkt seines dichterischen Schaffens, führt uns das
zweite Bildnis von Tischbein, 1787 in Rom ge
malt. Goethe ist darauf dargestellt, in weitem Mantel
und breitem Künstlerhut, wie er lässig auf Archi-
tekturtrümmer hingestreckt, seinen Blick sinnend
über die römische Campagna schweifen lässt. Einen
heiterfröhlichen Eindruck macht die Silhouette von
Klan er, welche Goethe in ganzer Figur mit seinem
Liebling Fritz von Stein darstellt. 1791 ist in
Weimar der an dritter Stelle angereihte Kupfer
stich von Lips entstanden.
Wohl am weitesten verbreitet und am besten
gekannt von allen Goethe-Bildnissen ist die nun
folgende Marmorbüste Rauchs vom Jahre 1820.
Acht Jahre später ist das von Stieler im Aufträge
König Ludwigs von Bayern gemalte Ölbild ent
standen, das Goethe als achtzigjährigen Mann noch
in der Fülle seiner Kraft darstellt. Aus seinem
Todesjahre endlich stammt das letzte der wieder
gegebenen Bildnisse, Schiverdtgeburths Zeichnung
für den darnach von ihm ausgeführten Stich.
Außerdem schmückt den Text der bisher nur
sehr selten und mangelhaft reproducierte Denkmal
entwurf Bettinas von Arnim, ausgeführt von
Steinhäuser in zwei Aufnahmen, deren eine wir
hier mit dem uns von der Photographischen Gesell
schaft freudlichst überlassenen Originalcliché ab-
drucken. All diese Bildnisse sind, wie es nach
dem bisher Gebotenen nicht anders zu erwarten
war, in vortrefflichen, sorgfältig ausgeführten Auto
typien wiedergegeben, welche sogar Einzelheiten in
der künstlerischen Technik des Originals verfolgen
lassen.
Den Text dazu hat Hermann Grimm ge
schrieben. In lapidaren Sätzen, deren jeder eine
Fülle von Anschauung weckt, entwirft er auf sechs