© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 43
Deutsche Rundschau.
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Damit totu erlich anerkannt, daß es bei Pocci beim Streben und Wollen ge
blieben sei. Ueber die Herbstblätter sagt Holland (S. 72): „Die Herbstblätter sind
demnach das Resultat eines langen Gedankenganges und Läuterungsprocesses, welcher
beim Erscheinen des Buches der Hauptsache nach schon zielbewußt abgeschlossen, aber
noch nicht vollendet war", und ferner: „So können denn die Herbstblätter als das
poetische Testament Pocci's gelten".
Pocci gilt dem Verfasser dieser von wohlthuender Anerkennung dictirten kleinen
Biographie zu sehr als Dichter. Pocci war in seinen Versen weder originell, was
die Sprache und die Form anlangt, noch gedankenreich. Umsonst aber hat er
gewiß nicht gelebt. In seinen Zeichnungen sprach er sich aus. Im großen Zuge
der romantischen Ritter des Süddeutschen Daseins reitet er mit. Die Heiterkeit und
Wahrheit seines Wesens haben Viele erfreut. Wie er die Dinge fah und zeichnete, sah
er sie allein. Aus seiner bescheidenen Ecke heraus suchte er so viel Frohsinn in die
Tage hineinzubringen, in denen er lebte, als ihm irgend möglich war. Hier liegt
das Zeichen seiner Eigenthümlichkeit und seines Berufes. Ihm haben viele Menschen
gedankt.
Denn an nichts erinnert man sich lieber als an Augenblicke reinen Frohsinns.
Die hat Pocci geschaffen. Die Soldatenlieder haben ihn zuerst berühmt gemacht,
mit denen er die Auffassung der Deutschen Vergangenheit eröffnete, die wir heute als
„Künstlerfestauffassung" fast schon zum Abgethanen rechnen. Ihr zufolge wäre das
ganze siebzehnte Jahrhundert.bei Hörnerklang und lustigem Winde, der in breit-
krämpigen Federhüten wühlte und Banner in wunderliche Falten warf, verstrichen,
und der dreißigjährige Krieg beinahe nur ein Ballet gewesen, zu dem der Simplicissimus
den Text schrieb. Vergnügte Einsiedler und Betteljungen mit reichlichen Brotstücken in
den Händen hatten da gute Tage, und Landsknechte waren reinliche und steundliche Ge
nossen, bei deren Eintritt ins Haus die Familie froh zusammenlief, jedes einen vollen
Humpen in der Hand. Wer Pocci's unzählige Blätter betrachtet, begegnet darin un
endlichen Wiederholungen dieser Stimmung. Jedes aber besteht für sich. Eine
wunderliche dichterische Kraft wohnt feinen Strichen inne, welche dieser Gesellschaft
einen Anschein von Wirklichkeit verleiht. Hier kommt ihm Keiner nach. Wie Viele
haben das nicht versucht: die Formen findet man bis zur Täuschung wieder, die
innige Fidelität aber, die sie umweht, konnte nur Pocci ihnen verleihen. Holland
theilt eine Anzahl dieser Illustrationen mit, den vollen Eindruck ihrer Wirkung aber
empfängt man erst, wenn man sie in größeren Reihen vor sich hat. Eine nie ver
letzende, . unbeschreiblich gutmüthige Sorte von Carricaturen gehört dazu , in denen
Pocci typische Figuren durch lange seltsame Lebensläufe verfolgte. Maßmann und
Förster hat er so verewigt. Den Staatshämorrhoidarius hat er geschaffen. Wie viele
Leute sind darüber in stilles herzliches Lächeln versetzt worden. Phantasie und Wahr
haftigkeit vereinigten sich hier zu einem unnachahmbaren Effecte.
Pocci war der Illustrator der süddeutschen Gemüthlichkeit, deren Heimath
München ist. Cöln und München sind die Centren besonderer Lebensauffassung. Un
bekümmerter Fröhlichkeit. Carnevalsstimmung. In Berlin hat sie nie gedeihen
wollen. Dies einer der Gründe des nachhaltigen Mißtrauens, das man am Rhein
und an der Isar gegen den Berliner Geist hegt. Rheinische, Süd- und Norddeutsche
Art, mit sich und mit Andern vergnügt zu sein, sind grundverschieden. Es scheint in
der Münchener Luft zu liegen, denn auch der Norddeutsche wird zum Münchener,
wenn er in München heimisch geworden ist. Die Berliner Luft scheint zu Zeiten
beinahe zu fordern, daß man sich über etwas ärgere: das Münchener Klima, daß
man es niemals thue. Die Mahnung „Mensch, ärgere dich nicht", würde in München
gar nicht verstanden werden. Keiner traut sich und Anderen dergleichen zu.
1861 erschien Pocci's „Landsknecht", eine Sammlung von Liedern: Marsch- und
Trinklieder, Ständchen, Landsknechtsklagen, mit der Widmung:
Allen treuen deutschen Herzen,
Die noch aus verklung'ner Fern'