© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 36
Deutschland.
H Berlin,-16. November. Die in München erscheinende
„Süddeutsche Presse" hat allmälig die Ansichten stark
modifizirt, mit denen Herr Froebel bei ihrer Begründung
hervortrat. 3n einem längeren Leitartikel wird auf die Be
trachtungen eingegangen, welche die „Nordd. Allg. Ztg." vor
Kurzem der Fortbildung des „weiteren Bundes" widmete.
Es heißt darin:
Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung' hat Recht, daß die
Zeit gekommen ist, ernstlich an die Feststellung des Verhalt,
nisses der süddeutschen Staaten zum norddeutschen Bunde zu
gehen. Die Entwickelung der Dinge in Deutschland und
außer Deutschland hat den gegenwärtigen Augenblick zu
einem günstigen gemacht. Auch wir halten es für geboten,
daß diese Gunst der Umstände genutzt werde. . . . Die
deutschen Angelegenheiten haben eine so geringe Zahl von
Möglichkeiten übrig gelassen, daß sie aufgehört haben, eine
Sache der Parteien zu sein, und zu einer Sache des un-
Parteiischen Verstandes geworden sind. Auf fromme Wünsche
kann es jetzt nicht mehr ankommen. Daß unsere Bestrebungen,
so lange sich irgend eine Möglichkeit des Erfolges darstellte,
einer föderativen Gestaltung Deutschlands gewidmet waren,
kann nichts an der Thatsache ändern, daß jetzt keine solche
Möglichkeit mehr vorhanden ist, wenigsten- insofern -von der
Ausführung echt föderativer Grundsätze die Rede sein
soll. Mit diesen Thatsachen haben wir zu rechnen....
Wenn einige der treuesten Anhänger des Föderativshstems seit
den Ereignissen des vergangenen Jahres sich noch mit der
Hoffnung auf eine republikanische Ausführung dieses Systems
zü trösten suchen, so müssen wir auch diese Hoffnung als eine
fromme Täuschung bezeichnen. Wir sind von der absoluten
Sicherheit und Richtigkeit unseres Urtheiles überzeugt, wenn
wir sagen, daß selbst in einer großen republikanischen Umwäl
zung das Föderativsystem in Deutschland nicht mehr zur Herr-
schaft kommen würde. Weder der Kampf der Parteien noch die
in den Weltverhältnisfen liegenden Bedingungen würden es
noch zulasten. Der Gedanke des Einheitsstaates, in einem
großen Theile der Nation zur fixen Idee geworden, würde sich
republikanisch noch viel entschiedener geltend machen, als es jetzt
monarchisch geschieht.
Hiernach kommt Herr Froebel zu dem Ergebniß, daß die
bisherige föderalistische Partei nurnochalseine„autonomistische"
Zweck und Ziel haben kann; sie kann, den Exzessen unitarischer
Centralisation gegenüber, noch für »ine entweder provinzielle
oder territorielle Selbstständigkeit wirken, welche die ver-
schiedensten Grade zuläßt. „Die Thals «che der in Deutsch
land eutscheidenden preußischen Macht und des mit ihr ver
bündeten nationalen Emheitsdranges suchen wir mit der Er
haltung aller wertbvollen Elemente örtlicher und landschaft
licher Freiheit und Selbstbestimmung in nationalen Einklang
zu bringen."
In Beziehung auf den „weiteren Bund" stimmt die
„Süddeutsche Preste" dann weiter fast durchweg den Aus
führungen der „Nordd. Allg. Ztg." bei. Baden und Hesten
könnten allerdings in den norddeutschen Bund eintreten,
ohne daß derselbe dadurch noch in einen deutschen ver
wandelt würde. Der Eintritt Baierns und Würtembergs
dagegen würde eine Revision der norddeutschen Bundesver
fassung nothwendig machen. ES sei ein weiterer Bund zu
erstreben mit dem Zollparlament als Mittelpunkt, während
der norddeutsche Reichstag Mittelpunkt des engeren von
Preußen neu gegründeten Systems bleibe. Es heißt am
Schlüsse:
Ein solcher Gang der Dinge erscheint uns, wie sich einmal
die Verhältniffe gestaltet haben, als der tvünschenswerthe. Er
setzt den deutschen Gedanken an die Stelle des preußischen; er
stärkt das Prinzip d^r Autonomie in dem Ganzen des so ge
bildeten neuen deutschen Systems und läßt einen Anflug föde
ralistischen Geistes zu, der als innerlich belebendes Element in
der Nation nützlich wirken kann; und er läßt dabei doch im
einstweilen fortbestehenden norddeutschen Bunde jene Macht-
konzentration ungestört, deren die preußische Politik bedarf.
In einem einzigen Punkte würden wir, .renn dieser Weg
wirklich eingeschlagen werden sollte, mit der „Norddeutschen
und scheitert an dem Widerspruch, der zwischen seinen An
schauungen und den Reden und Handlungen feiner Helden
biegt. Was sind „unüberwindliche Mächte?" Der Dichter
wußte es selbst nicht und läßt uns in Zweifel, ob er das
Geschick überhaupt, oder nur unsere Erziehung, daS
Angeborene und Angelernte, den Zwang und Bann
unserer Umgebung und unserer Verhältnisse als die
„unüberwindlichen Mächte" betrachtet. Ein Mann fetzt
nun grade seinen Stolz darin, diese Mächte zu überwin
den; man braucht nicht einmal ein Anhänger Schopenhauers
zu sein, sondern nur ein offenes Auge für die ErscheinungS-
welt zu hab/n. um die Einsicht zu gewinnen, daß wahrhafte
Ruhe und dauerndes Glück nur in der Bekämpfung des selbst
süchtigen Willens, nicht in der maßlosen Ueberhebung der
eigenen Persönlichkeit zu finden ist „Unüberwindlich" können
diese Mächte der Gewohnheit, der Sitte nur in S>em Falle
werden, wo ihnen ein AeuherlicheS, die Kirche, der Staat, die
Form der Gesellschaft hülfreich zur Seite steht, und der Ein
zelne, der sich von ihnen befreien will, an diesem Aeußerlichen
zu Grunde gebt. In diesem Sinne ist die Gewohnheit
„eine heilige Macht." Aber■ werH verbietet einem Grafen
ein bürgerliches Mädchen zu heirathen? Welcher Staat,
welche Kirche, welche Gesellschaft verschließen sich ihm darum?
Legt man die „Unüberwindlichkeit" der Geburisvorurtheile,
wie Grimm eS thut, in die Seele des Helden, so stellt sich
dieser im schärfsten Widerspruch zu der Auffassung der Zeit:
er wird, wie er sich auch wenden und drehen mag, komisch.
Nennt man aber nicht die Vorurtheile und Anschauungen,
sondern das Geschick und den Charakter des Menschen un
überwindlich, so muß, wenn beide einen ernsthaften Eindruck
auf unö machen sollen, ihr Wesen, ihr Zusammenwirken auch
für den ferner Stehenden den Zug des Großartigen und Gi
gantischen haben. Maximilian von Mexiko kämpfte so mit
„unüberwindlichen Mächten", tragisch wurde fein Schicksal, trotz
der Größe seines Unternehmens und dem Adel seines Charak
ters, dennoch erst, als er sein Leben für den Traum seines
Ehrgeizes einsetzte. Wohlbehalten, mit einer geretteten Geld
summe nach Miramar zurückgekehrt, wäre er ein Stoff für
Possen gewesen. Die „unüberwindlichen Mächte", die Arthur
ängstigen, sind dieselben, die Kotzebue's Don Ranudo hungern
ließen: der Hochmuth und die Faulheit. Die Komik des
ganzen Vorwurfs steigert sich noch, wenn man erwägt, daß
als größtes Heldenstück von ihm gefordert wird: ein reiches
Mädchen zu heirathen. Denn, kn Amerika thut er nichts,
als auf Kosten des wackern Smith zu leben und bei Sadowa
wird er verwundet, um bessere Männer, als er einer ist, im
Lazareth sterben zu sehen. Es saß nun einmal ein neckischer
Geist während dieser Arbeit auf dem Schreibtisch des
Dichters; am Tage schrieb der Dichter ernsthafte, tra-
gische Gedanken nieder, deS Nachts raunte ihm das
Wichtelmännchen allerlei Tollheiten inS Ohr. Der Anfang
des RomanS, wie einer im fremden Frack, Stiefeln und
Handschuhen zwei Damen im frenden Wagen nach ihrem
Hotel begleitet, den Thee mit ihnen trinkt, um 11 Uhr aber
fortstüizt, weil er um diese Stunde seine Kleider wieder ab
liefern ließ, ist eine Posseneröffnung, wie wir keine bessere
gesehen. Oder wie der hochgeborne Graf in Newyork in
einer Volksversammlung als Redner auftritt, sich zum Holz»,
ufseher bei Smith u. Comp, ernennen läßt und eine Stunde
- Allgemeinen Zeitung" nicht übereinstimmen, — wir meinenHdas
Veto. Ein Kölleklivveto der nur dem weiteren Bund ange-
hörigen Staaten (unter der gemachten Voraussetzung also nur
Würtembergs und BaiernS, da Baden und Hessen als in den
engeren Bund eingetreten gedacht sind) scheint uns nur eine
gänzlich zwecklose weitere Komplikation der großen Maschine
zu - sein, welche auf diese Weise hergestellt werden soll.
Wir würden die Ausschließlichkeit des preußischen Veto's
entschieden vorziehen. Indessen sollte, um für die wei
tere organische Ausbildung — waS hier soviel wie Ver-
emfachung heißt — fruchtbar zu werden, dieses preußische Veto
in dem ganz bestimmten Sinne aufgefaßt werden, daß es nicht
das Veto eines bevorzugten Bundesgliedes, sondern das
des Bund.esoberhauptes ist. Nur in dem Sinne, in
welchem der Präsident der Vereinigten Staaten dem Kongresse
gegenüber ein Veto hat, dessen Nothwendigkeit, trotz alles
jetzigen Widerspruches von Seiten der radikalen Partei in der
Mtion, jedem unbefangenen und weiter denkenden Politiker
klar ist: — nur in diesem Sinne kann Preußen vernünftiger
und billiger Weise ein Veto im Zollverein in Anspruch nehmen;
aber in dtesem Sinne wird auch jeder unbefangene Deurtyeiler
ihm dasselbe zusprechen müssen.
Ziemlich gleichgültig ist es nun wohl, ob man dem preu
ßischen Veto diese oder jene formelle Grundlage giebt, wenn
nur seine Nothwendigkeit anerkannt wird. Dagegen ist es
bemerkenswerth, daß das von der „N. A. Z." zur Sprache
gebrachte süddeutsche Veto nicht einmal den Beifall der
„Südd. Presse" findet.
Hc Berlin, 16. November. In der heutigen Sitzung des
Herrenhauses wurde das Resultat der in der gestrigen
Sitzung erfolgten Schriftführerwahl mitgetheilt. Eine vom
Ministerium des Innern eingegangene Mittheilung über den
Personalbestand des Haufeö wurde an die Matrikel-
Kommission überwiesen. Ueber die aus den neuerwor
benen Laudcstheilen zu berufenden Mitglieder bleibt
eine besondere Mittheilung vorbehalten. — Der Präsi
dent theilte zunächst das Resultat der heute Vormittag er-
folgten Konstituirung der Abtheilungen mit. Die nächste
Sitzung wird stattfinden, sobald von Seiten der Regierung
Vorlagen zu erwarten stehen. (Vergl. hinten den besonderen
Bericht.)
Im Abgeordnetenhause haben sich heute Vormittag
die A bth eilungen konstituirt (Vergl. hinten Parlam. Nachr.);
dieselben treten am Montag Vormittag zur Prüfung der
Wahlen zusammen; der erste Bericht darüber wird darauf
sofort in der Plenarsitzung um 1 Ubr erstattet werden. Bis
jetzt sind übrigens erst sehr wenige Wahlakten eingegangen.
München, 14. November. Der erste Ausschuß der
Kammer der Reichsräthe beantragt, entsprechend dem
Vorschlag seines Referenten, des Herrn v. Bomhard, mit
3 gegen 2 Stimmen (Erzbischof v. Deinlein und v. Bayer)
dem Gesetzentwurf bezüglich der Abänderung der gesetz
lichen Bestimmungen über die Zinsen, mit der von der
Kammer der Abgeordneten beschlossenen Modifikation zuzu
stimmen. — Derselbe Ausschuß hat, unter Zustimmung des
königl. Staatsminifters der Justiz, mit Einstimmigkeit be
schlosten: daß. auf den Antrag der Kammer der Abgeordneten
auf Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Aufhebung der To
desstrafe nicht einzugehen fei. Nach dieser Einstimmigkeit
deS Ausschusses dürste es kaum zweifelhaft fein, daß der An
trag von der Kammer selbst abgelehnt werden wird (s. tel.
Depeschen). (A. A. Z.)
ivesterrelchischer Kaisevstaat.
ZZ Wien, 14. November. Das Einladungsschreiben zur
Konferenz ist hier bereits eingetroffen, aber noch nicht
übergeben worden, da der französische Botschafter angewiesen
worden ist, die besondere Ermächtigung zur Ueberreichung
abzuwarten. Die Angelegenheit selbst befindet sich noch in
dem Stadium der Vorberathung und eine unbedingt stim-
darauf wahnsinnig wird, weil ihm erzählt wird, sein Vater
wäre möglicherweise nicht sein Vater! Oder wie er an. Tage
vor seiner Hochzeit in den Wald geht, um sich mit einiger
Absichtlichkeit von seinem Vetter todtschiehen zu lasten!
Diese Dinge können nur scherzhaft genommen werden, oder
sie sind ungenießbar: eö sind die fixen Ideen eines Kranken,
der des Arzes, aber nicht des Dichters bedarf. Sollten sie
künstlerisch gestaltet werden, so war ihnen die Form der
Tieck'schen Novelle in „Wcldeinsamkcit", die „Reise in's
Blaue", in der „Ahnenprobe", wo der alte Tkeck das
Grimm'sche Problem einfach und demokratisch gelöst hat,
gleichsam aus ihrer Statur heraus vorgeschrieben. Auch be
wegt sich der erste Theil ganz in der Tieck'schen Weise:
„viel Lärmen um nichts!" Da werden Mappen mit
Kupferstichen besehen, die Ateliers der Bildhauer be
sucht, ein wenig gemeißelt und einmal Modell gestanden,
heute hört man eine Oper, man sitzt am Theetisch beisammen
und plaudert, wenn das Geld zu Ende geht, verkauft
Arthur, genau wie Tiecks Helden, alte Bilder; eine Schule
von Nichtsthuern und Schwätzern. Wie eine edle uud echte
Amerikanerin an diesem Treiben und Geschwätz, von dem
das Wort Maria Antoniette's über Florian's Geschichten
gilt: „Es ist Milchsuppe!" Gefallen finden kann, ist mir
wenigstens ein Räthsel geblieben. Ja wenn Emmy schon im
ersten Theil schwindsüchtig wäre, so könnte man ihre Vor
liebe für diese ästhetischen Theeabende eher begreifen, aber
die Krankheit erfaßt sie doch erst im dritten Theil! Dennoch»
gekürzt, vereinfacht ließe sich das Motiv wohl novellistisch
leicht und frei, mit einem romantischen Anfing verarbeiten
und zu irgend einer befriedigenden Lösung führen; hinein
gestellt aber in die großartige Scenerie eines Romans, zeigt
cs seine ganze Schwäche und Leere.
Diesem Arthur, dem verunglückten Kandidaten des Bür-
gerthumS und der Liebe, treten nämlich die Republik der
Vereinigten Staaten und der Feldzug des'vergangenen Som
mers gegenüber. Der mächtigste Staat, die mächtigste Be
wegung, die Deutschland seit fünfzig Jahren erfahren, arbei
ten in der Absicht deS Dichters an der Charakterbildung eines
Schwächlings. Es ist, als ob der Sänger der JliaS nicht
die Leiche des herrlichen Hcktor, sondern die des ThersiteS in
ihrer ganzen Erbärmlichkeit von den göttlichen Rosten des
Achill um die Mauern Trojas schleifen liehe. So viel des
Schönen, Ergreifenden und Erhabenen verpufft der Ver-
fasser nutzlos und spurlos für seinen Helden. Als Arthur nach
Amerika eilt, um Emmy die Beleidigung abzubitten, die er
ihr angethan, erfüllt uns eine freudige Hoffnung: die stolze
rauschende Woge deS Lebens dort werde auch ihn erfaßen
und chn nöthigen, schwimmen zu lernen. Eine Weile hat es
auch diesen Anschein; man sieht, wie Arthur immer stärker
auS^ seinem Traumleben und romantischen Nichtsthun empor-
gerüttelt wird, wie allerlei Fäden ihn umspinnen, welch'wohl
thuenden Einfluß Männer wie Smith in seiner praktischen
Rührigkeit, Wilson in seiner milden, allumfastenden und vor-
urtheilsfreien Weisheit auf ihn üben. Diese Schilderungen
deS amerikanischen Lebens, von Land und Leuten, verdienen
daS höchste Lob, sie sind von einer bewunderungswürdigen
Anschaulichkeit und Frische, von einer Freiheit und Kühn
heit der Lebensanschauung getragen, die den Gegensatz
zwischen diesen Seiten \ und den Thorheiten deS ersten
wende Antwort ist bis jetzt von keiner Seite eingetroffen.
Die zunächst betheiligtm Mächte sind Frankreich, Italien und
die Kurie. Die Forderungen der beiden letzteren sind aber
diamentral entgegengesetzt und die Auffindung einer gemein
schaftlichen Basis fast unmöglich. Die reaktionäre Partei
meint, daß Oesterreich und Frankreich jetzt unter allen Um»
ständen für die weltliche Macht deS Papstthums einstehen
werden. ES ist dieS eine Täuschung und man muß cs dem
Herrn v. Beuft nachsagen, daß nicht er cS ist, welcher diese
Täuschung veranlaßt. Er hat vielmehr vor Kurzem
erst einem sehr einflußreichen Mitglieds des hohen
Klerus gegenüber erklärt, daß die Regierung die
Nothwendigkeit nicht einsieht, sich für die weltliche
Macht des Papstes irgendwie zu engagiren. Die römische
Frage, soll er hinzugesetzt haben, sei noch immer eine Sache,
die Frankreich und Italien miteinander abzumachen haben. —
Vvn Seite der Regierung ist bis jetzt die Kirchengüterfrage
noch nicht mit der Finanzfrage in Verbindung gebracht wor
den, neucstens scheint sich aber auch im Finanzministerium die
Ansicht immer mehr Bahn zu brechen, daß sich o'hne
Heranziehung des Besitzes der todten Hand für die Staats-
zwecke eine Krisis schwer vermeiden lassen werde. ES han
delt sich jedoch hierbei keineswegs um die Einziehung und um
den Verkauf dieser Güter, sondern um eine Steuer, die, ana
log der CouponSstkuer, das bewegliche Gut der Kirche auf
40—50 Jahre lang belasten würde. Die ganze Angelegen
heit ist jedoch erst im ersten Stadium der Entwicklung und
dürste noch manche Phasen durchzumachen haben, ehe sie reif
wird. — Die Kommission des Herrenhauses, welche die
konfessionellen i Vorlagen zu berathen hat, wird kaum vor
Ende d. M. ihren Bericht erstatten. In Betreff des Schul
gesetzes dürste die Kommission sich für die Beschlüsse deS
Abgeordnetenhauses aussprechen, dagegen den Paragraph deS
EhegesctzeS, welcher die Noih-Civilehe festsetzt, ablehnen.
* Wien, 15. November. In der gestrigen Sitzung des
Abgeordnetenhauses wurden die Verhandlungen über
das Delsgationsgesetz fortgesetzt.
Obgleich die Generaldebatte bereits geschloffen war, ver
stattete das Haus doch noch zweien Rednern gegen die Vorlage
das Wort, da sich Beide über die Wahl eines Generalredners
nicht zu einigen vermocht hatten. Abgeordn. vr. Hanisch
lBöhmifchcr Centralist) polemistrte gegen die Ausführungen
BergerS, deffcn Rede er eine „Meister- oder besser Minister
rede" nannte; er erklärte gegen die Vorlage zu stimmen, weil
sie den Absolutismus und die Barbarei instituire. — Abg. ?.
G reut er stellte sich auf den föderalistischen Standpunkt; er
gab eine Geschichte der Tiroler LandeSversaffung, die so ehr-
würdig fei wie die ungarische, aber freilich nicht von 200,000
Bajonetten gestützt werde. Auf die Bemerkung des Or. Berger
über das Konkordat übergehend, sagte Redner, man schaffe das
Recht ab, einem schwachen Greise gegenüber und halte es, wenn
200.000 Bajonette gegenüberstehen, aufrecht. Würde so borge-
gangen, so gratulire er dem Reich zu seinem künftigen Justiz-
minister (Zischen), dann sei es zu Ende mit dem Satze:
„Oustula regnorum snndamentmn.“ Dixi. — Abg. Or. Herbst
suchte die centralistischcn Redner zu widerlegen; dir. für die
Vertagung aufgeführten Gründe wies er als nicht stichhaltig
zurück; er halte das DtlegationS-Gesetz zwar auch nicht
für etwas Vorzügliches, es sei aber das den gegenwär-
tigen Verhältnissen am meisten entsprechende; der Parla
mentarismus werde von den Delegationen wenig prostti-
ren; andrerseits könne er aber auch nicht die geschilderte abso-
lule Spitze in derselben erblicken. In Betreff des Vorwurfs,
daß gewiffe Abgeordnete das ihnen angebotene Portefeuille nicht
angenommen hätten, bemerkte der Redner: Hätten sie es an
genommen, so hätten sie die Situation so nehmen müffcn, wie
sie sie vorfanden, und cs wäre ganz gleich geblieben, ob sie oder
wer anderer die Geschäfte leitet. Uebr''genS sei Wohl de"
Punkt nicht ferne, wo an diese Abgeordneten die
herantreten wird, die Zügel der Regierung zu erg^ ^i
er habe die Ueberzeugung, daß, wenn dies geschehet: t:.
es dem Abgeordneten aus Mähren (Skene) auch
fein werde. (Große Heiterkeit.) Nicht als Anhc
Mannes (deS Herrn v. Brust), wft insinuirt worbet
und des dritten Bandes um so unbegreiflicher j:;., „r~
heimlicher macht. Als hätte sich ein Lebendiger
unfern Augen in ein Gespenst verwandelt. Grause r ..
die Theilnahme, die uns Arthur jetzt einzuflößen ausä..,,.,
getäuscht: jene unglückliche Geschichte, die ihn glauben läßt, er
sei nicht der Sohn eines Grafen, stürzt ihn in die alten
Verkehrtheiten. Nicht einmal, und dies beweist die Entartung
feiner Natur, steigt seiner Mutter wegen ein Zweifel in ihm
auf. Wo giebt es einen Ehrenmann, der auf eine Er
zählung ohne jeden genügenden Beweis hin seine Mutter
für eine Ehebrecherin hält? Offenbar war die Geschichte
mit der Rückkehr Arthur'S nach Europa zu Ende.
Denn daß eine vernünftige Amerikanerin in Liebestollheit
einem solchen Narren nachreisen werde, ist ein romantischer
Spuk, und daß bald nach Arthur's Heimkehr der Krieg zwi
schen Preußen und Oesterreich ausbricht, ein glücklicher Zu
fall, welchen die Weltgeschichte dem Dichter darbot, als ihm
der Faden zerriß. Weder mit dem Früheren noch mit dem
Späteren steht die Kriegsepisode auch nur in der losesten
Verbindung. Wie Amerika bleibt der Krieg ohne jeden wahr
haft fördernden und erziehenden Einfluß auf Arthur. Nach
einem ergreifend geschilderten Vorgang in einer Kirche, in der
Verwundete und Sterbende liegen und die Begeisterung für
das Vaterland in hellen Flammen ausbucht, versandet der
Strom wieder. Zweimal ein Ansatz zu einem zeitgeschicht
lichen Roman, zweimal ein Rückfall in die Novelle. Dann
wieder wie im ersten Theil sitzen wir aus dem Schloß der
schlesischen Gräfin, wohin Arthur als Verwundeter gebracht
worden ist, in einem Kreise von Schalten. Wie die Figuren
in Goethe's „Natürlicher Tochter" kcineZNamen tragen und
nur als der „König", der „Herzog", der „Gerichtsralh" sche
menhaft vorüberwandeln, so sind auch die Gestalten Grimm'S
keine Persönlichkeiten. In Berlin heißen sie der „Bild
Hauer", der „alte Kunstfreund", das „adelige Fräulein", in
Schlesien: „Mademoiselle", der „Maler", der „Musiker", der
„Profestor". Oft wird Verständiges und Sinniges gespro
chen, aber es paßt weder für den Schatten, der es sagt, noch
überhaupt in den Verlauf der Geschichte. Zuweilen kann man
den Gedanken nicht abweisen, der Dichter, in dem die Welt
ironie Solger's mächtig ist, habe sich mit dem Publikum, daS
er an der Nase herumführt, einen Scherz erlaubt und
schütte sich hinter den Seiten vor Lachen auö. Die „Wand
lungen" Arthur's in diesem letzten Bande überschreiten
das erlaubte Maß der poetischen Freiheit. Heute wendet er
sich als „Namenloser" stolz von der jungen Gräfin Josephine,
morgen liegt er in Emmy's Armen, um drei Wochen nachher,
da sich nun doch ergeben, daß er ein echtes Grafenkind ist,
wieder an Josephine zu denken: „ein ,vernichtender Ekel vor
ihm selbst erfüllte ihn", sagt der Dichter einmal von dem
S elben. Hundert Seiten weiter sind wir wieder bei diesem
kel angekommen. „Er saß wieder da, stützte das Kinn in
die Hand, schüttelte manchmal mit dem Kopfe und stieß ein
paar lachende Laute aus. Mit ironischer Schärfe zerlegte er
sich vor sich selber. Und wenn er sich in seiner ganzen Er
bärmlichkeit langsam so zusammengesetzt, wie ein Kind ein
Geduldspiel, warf er die Stücke durcheinander und begann
von neuem". ES stimmt gut zu der Zerfahrenheit der ganzen
Komposition, wenn der Held von einem Mann erschossen
wird, von dem er und der Leser erst wenige Tage vor dem
undjsseine politischen Freunde für den Ausgleich stimmen, son
dern als österreichische Patrioten. (Lebhafter Beifall.) — Nach
einer scharfen persönlichen Auseinandersetzung zwischen den
dalmatinischen Abgeordneten Ljubiffa und Lapenna, ergreift
der Reichskanzler v. Beust das Wort. Derselbe spendete zu
nächst den „glänzenden Reden der bewährten Patrioten" (Berger
und v. Kaiserfeld, welche für die Delegationen das Wort er
griffen hätten, Hobes Lob; er könne den Ausführungen
derselben vom Standpunkte der Regierung aus nur wenig
Neues hinzufügen. Es sei unnöthig, fick jetzt noch erst
besonders über die Berechtigung des Dualismus in
Oesterreich auszusprechen; was die Centralisicn an seiner
-Stelle intendirten, sei bekanntlich von Ungarn wieder-
holt und beharrlich abgewiesen worden; es müßte also ein ganz
neuer Weg versucht werden; nichts sei aber nach der allgemei-
nen Ansicht aller Parteien für Oesterreich verderblicher als das
häufige Wechseln der Wege, die man wandle. Auch er halte
das Delegationsgesetz nicht für dar Ideal konstitutioneller Voll
kommenheit. Die mit apodiktischer Gewißheit hingestellten Be
hauptungen aber, daß die ungarische Delegation stets in sich
einig, die diesseitige stets in sich getheilt und gespalten sein
werde, wären nicht stichhaltig. Die Parteiungen, welche im
Reichsraih hervortreten, würden im engeren Kreise der Dele
gation sich weniger fühlbar machen, weil die dort zu behandeln
den Gegenstände weit weniger Stoff zu Partcidiffcrenzen böten.
Am schwierigsten würde der Delegation gegenüber die Lage der
Regierung sein, wenn sie einmal in den Fall ffäme, an die
Kriegsfrage heranzutreten; da werde es viel schwerer sein,
die Gemüther für die Unabweislichkeit des Krieges zu erwärmen
und zu begeistern; dies sei wohl in einer größeren Ver>amm-
!ung möglich, nicht aber in einem engeren Kreise, wo eine nüch
terne Anschauung viel mehr die Oberhand gewinne, und wo
außerdem jeder Delegirt« sich einer gewissen moralischen
Verantwortlichkeit gegen den Reichsrath bewußt sei.
Die Delegirten versprächen, die Sendboten des
Frieden- für das Innere zu werden. Der Mi
nister wandte sich darauf einem Rückblick auf die
als „Zwangslage" bezeichneten Verhältnisse zu, deren Be
sprechung er lieber vermieden gewünscht hätte; er wies auf
seine Ausführungen in der Adreßdehaite hin, die damals den
Beifall des Hauses gefunden hätten. Seine Thätigkeit bei den
Ausgleichsverhandlungen im Januar d. I. sei mehr eine diplo.
malische gewesen, diese Verhandlungen in Fluß zu bringen und
zu erhalten; für den materiellen Theil der Verhandlungen habe
ihm damals noch die Befähigung gefehlt. Aber auch wenn
hervorragende Mitglieder deS Hauses damals schon im Mini
sterium gesessen hätten, würde dies am Gang der Dinge nichts
geändert oder aber die ganze Verständigung mit Ungarn über
den Hausen geworfen haben. Der Minister erörtert daraus die
Verhandlungen über die Revision deS 15er OperatS; es sei
Ungarn damals zugesichert worden, daß, wenn die 67er Kom
mission ihr Elaborat im entsprechenden Sinne ausarbeite, das
ungarische Ministerium ernannt werde und das vom ungarischen
Landtag zum Beschlusse erhobene El-aborat die Sanktion erhal
ten werde. Es habe sich also um sehr bestimmte, Ungarn gegen
über eingegangene Verpflichtungen gehandelt; wie aber in Un-
gärn die Verfassung wieder hergestellt sei, so müsse sie auch
diesseits wieder hergestellt und ehrlich gehandhabt werden; die
Regierung bedürfe in dieser Beziehung keiner Ermahnungen.
Der Minister verwahrte sich ln Betreff seiner Bezeichnung als
„Mädchen aus der Fremde"; er habe als vom Kaiser berufener
Minister, als Ehrenbürger vieler böhmischen Städte, als Mit-
? >Iied des böhmischen Landtags (für die Reichenbcrger Handels
ammer) und als von demselben gewähltes Reichsraths-
Mitglied, Anspruch darauf?, nicht als ein eingewanderter
Fremder, sondern als ein eingebürgerter Oesterreicher be
trachtet zu werden. (Allgemeiner Beifall.) Zum Schluffe
erklärte der Minister, daß die Regierung sämmtliche
Gesetze, die sich auf den Ausgleich und auf die Verfassung
beziehen, als ein untrennbares Ganzes auffasse, welches
auch zusammen der Sanktion unterzogen werden müsse. (Bravo!)
Das Haus möge nickt dem Ministerium, sondern dem Zu
standekommen des VecfaffungSwerkes durch Annahme deS
Delegationsgesetzes ein Vertrauensvotum ertheilen. —
Der Berichterstatter des AusschuffeS vr. Brest! empfiehlt
die Annahme des Gesetze- in der Fassung deS Ausschusses. —
Abg. Skene gestellte Vertagungsantrag wird
;en 15 Stimmen abgelehnt.
Abg. S
15
I - Mtzvollen
lßvollen Schusse eine Kunde erfahren, und daß
Emmy in Montreux an der Schwindsucht stirbt, an der sie
bis dahin nicht gelitten. Ein Possenspiel: toll beginnt es,
entwickelt sich immer mehr in seiner ganzen Nichtigkeit und
endigt mit einem Knalleffekt. Dunkel in den Wolken schweben,
wie das griechische Fatum, die „unüberwindlichen Mächte", die
wenigstens im AuSgang deS RomanS die Adelsvorurtheile
bezeichnen: dafür mag Erwin Zeugniß ablegen, der sein
„Von" ausstrich, um Arzt zu werden, den alten Titel aber
wieder annimmt — in der Aussicht, Gräfin Josephine zu
heirathen.
Sieht man von den amerikanischen Scenen, der Eisen
bahnfahrt im Schneesturm, der Nacht in der Kirche—Schil-
derungen, die in ihrer Wahrheit, Kraft und Plastik eine
Vjeisterhand bekunden — ab, so bewegt sich der Roman in
dem ausgefahrenen Geleise der Tieck'schen Romantik in den
Jahren 1820—40. Dies und daS wird auS Politik und
Aesthetik herbeigezogen, den dürftigen Stoff aufzuputzen. Die
Darstellung einer seelischen Krankheit nimmt den ganzen
Vordergrund ein. Gering ist die Verwickelung, durch ein
beständiges Gehen und Kommen, von Europa nach Amerika,
von dort wieder nach der alten Welt zurück, durch den
Wechsel des Schauplatzes, der bald in Berlin, in
Schlesien, in Italien, in Montreux ist, wird der
Schein einer Bewegung hervorgebracht; immer dieselben
Personen sind zur Hand, der alte Wilson muh aus seinem
Urwalde nach Montreux kommen, um Emmy sterben zu sehen.
DaS erinnert an die Kindheit der Kunst. Man vergleiche
doch einmal im Ernst das Kartenhaus dieser Komposition
mit dem Aufbau eines Romans von Gutzkow, Auerbach,
Freytag oder Spielhagen! Bei all' seinen Mängeln, die wir
gewiß nicht verkennen, welche Fülle des Lebens birgt Spiel-
hagens Roman „In Reih' und Glied", der die Kehrseite der
Medaille der „unüberwindlichen Mächte" bildet. Bei
Grimm überall die Absicht, einer kleinen, ausschließlicher!
Gesellschaft zu gefallen; das Behagen, gebildet zu sprechen,
überall ein ängstliches Fernhalten vom Markt dcs Lebens,
von dem Volke: daneben dann wieder der unversöhnbare
Gegensatz Amerikas zu diesem Treiben. . . „Zwei Seelen
wohnen ach! in meiner Brust!" Wenn nicht eine feine
ironisch lächelnde Seele als eigentlicher Schöpfungsgeist über
den beiden untergeordneten Seelen schwebt! Zwiespältig wie
Handlung und Idee des Ganzen, ist auch die Darstellung.
In den Tagebuchblättern von Arthurs Mutter, in den Natur-
schilderungen klingt eine bezaubernde Harmonie, in lyrischen
Tönen, aus; einige Auseinandersetzungen Wilfon'S, des Privat--
docenten, deS Professors, lebhaft angehaucht, enthalten einen
Reichthum trefflicher Gedanken in edeler Form, welcher der
vornehm akademische Ton keinen Abbruch thut. Andere
Sekten dagegen find in dem alten, schleppenden Goethe-
fchen Geheimrathsstil gehalten, in einer Künstelei, die
in Geschmacklosigkeit ausartet. Man höre diesen Satz: „Jeder
Einzelne unter der Dienerschaft einmal der Favorit gewesen,
dem über die Uebrkgen geklagt wurde, jeder Einzelne einmal
Gegenstand gewesen ganz spezieller Freigiebigkeit, jeder zugleich
aber auch mehr als einmal tüchtig gekränkt worden dafür;
und durch dies Gemisch von Gefühlen an die hohe Gönnerin
in fast sklavenhafter Abhängigkeit gebunden, obgleich jeder
wiederum alle Jahre einmal den ganz festen Entschluß gefaßt
hatte, definitiv den Dienst zu verlassen." Auch an häßlichen
Das HauS hm hierauf in die Spez'aidebatte ein.
die §§ 1 und 2 werden ohne eigentliche Diskussion mit mehr'
als Zweidnttkl Majorität angenommen, und wird darauf die
Sitzung geschlossen. Nächste Sitzung, Dienstag 19. Novem
ber, T.-O.' das Delegationsgesetz.
Schweiz.
^ Bern, 14. November. Die französische Note, welche
sämmtliche europäische Mächte, somit auch die Schweiz, zur
Theilnahme an einer Konferenz Behufs Lösung der „rö
mischen Frage" einladet und welche so eben der französi
sche Gesandte dem Bundespräsidenten vr. Dubs mitgetheilt
hat, ist ihrer Form nach eine Verbal-Note, von welcher dem
Bnndesrathe jedoch auf seinen Wunsch eine Abschrift zuge
stellt wurde, und sagt ausdrücklich, daß die französische Re»
gierung sich nicht veranlaßt sehe, für dis projektirte Konfe
renz ein festes Programm aufzustellen, eben so bezeichnet sie
auch nicht Ort und Zeit für dieselbe, sondern spricht nur in
allgemei« gehaltenen Ausdrücken von der Nothwendigkeit
einer baldigen Lösung der römischen Frage im Interesse der
Ruhe und Ordnung in Italien und im Interesse des Frie
dens und Beruhigung der Gcmüther in ganz Europa. Erft
in der nächsten Sitzung wird der Bundesrath einen bezüg
lichen Beschluß fassen, zu welchem Zwecke die Note dem po-
litischenDepartement, dessen Chef sich vorerstbinsichtlich dieser An-
gelegenbeit in Vernehmen mit den Repräsentanten der Großmächte
fetzen dürfte, zur Prüfung undBerichterstattung überwiesen wurde.
— Am 9. d. wurde, wie schon erwähnt, der neuernannte ita
lienische Gesandte in Bern, Herr Melegari, vom Vizeprä
sidenten deS Bundesrathes zUr Ueberreichung seiner Beglau
bigung empfangen. Der „Bund" nimmt heut Veranlassung,
darauf hinzuweisen, daß seit seinem Entstehen daS Königreich
Italien der benachbarten Schweiz in der Auswahl seiner
Vertreter eine besondere freundschaftliche Aufmerksamkeit be
wiesen habe und daß der Reihe nach es Männer von großem
Ansehen und ausgezeichneter Begabung waren, welchen es
seine Vertretung bei der Bundesregierung übertrug. Alle
diese Repräsentanten, so wie die Geschäftsträger hätten ihre
Achtung und Zuneigung für die Schweiz besonders dadurch
bewiesen, daß sie nicht blos den formellen Verkehr mit den
Behörden in freundlicher und gefälliger Weife unterhielten,
sondern auch mit Aufmerksamkeit unsere freien, demokratischen
Institutionen ftudirten, sowohl um für ihr eigenes Gemeinwesen
aus deren Kenntniß Nutzen zu ziehen, als um ihre Regierung
mit derjenigen Vertrautheit des Charakters und der An
schauungen eines republikanischen Staates zu repräfentlren,
welche einem freundschaftlichen und fruchtbaren Verkehr zwi
schen Nachbarvölkern so nützlich ist. Das Nämliche sei wie
der bei Herrn Melegari der Fall, der, wie sein Vorgänger
Ritter Ceruttk, Generalsekretär des Ministeriums beS Aeußern
gewesen, also eine in den italienischen Staatsgeschäften er
fahrene, ausgezeichnete Persönlichkeit sei und überdies die
Schweiz aus eigener Erfahrung kenne, indem er früher län
gere Zeit in derselben als akademischer Lehrer zu Lausanne
gewirkt und sogar eine Waadtländerin zur Frau hat. Der
„Bund" sieht daher mit Vergnügen einer erfolgreichen Thä
tigkeit des neuen italienischen Ministers entgegen und fährt
dann fort:
Der unglückliche Ausgang der nationalen Bewegung', welche
das Recht Italiens aus den Besitz seiner natürlichen Haupt-
stadt und auf die Vollendung seiner nationalen Einheit gel
tend machen wollte, hat der liberalen schweizerischen Presse in
jüngster Zeit Veranlassung gegeben, ihre Zweifel unverhohlen
auszusprechen, ob die italienische Regierung in diesem Falle
mit der möglichen Festigkeit und Entschiedenheit die selbstän
dige Stellung Italien- gewahrt habe. Diese Meinungsäuße-
rung ist der aufrichtige Ausdruck der freisinnigen Anschauungen
eines republikanischen Volkes, den sich deffen Presse stets und
vollständig wahren muß. Er entstammt keinem anderen Ge-
fühle, als demjenigen der Sympathie für Italien und der An
Bildern ist kein Mangel. „Hast Du daS auch empfunden
damals", fragt Emmy — eS handelt sich um unglückliche Liebe
— „als wäre Dir aus der Seele alles Lebendige darin aus
genommen, wie man einem Fisch mit einem Riß in der
Küche alles auö dem Leibe nimmt, und dann liegt er da
und zuckt und schnappt nach Lust und hat die Augen weit
auf?" Um das Verhältniß Deutschlands zu Preußen nach
dem Tage von Königgrätz zu schildern, braucht der Privat-
docent dies Bild: „Denk-n Sie ein Mädchen, das gegen sei
nen Willen und sein Gefühl einem Manne verbunden wird,
der eines Morgens, mag sie ihn nun hassen oder lieben, ihr
Gatte ist, der sie in den Armen gehabt hat und der der
Vater ihrer Kinder sein wird — was will sie machen, sie
kann, nicht wieder loS von ihm für alle Ewigkeit!" Wer
empfindet die Entwürdigung eines solchen Verhältnisses nicht?
Die Kritik hat der Dichtung nichts zu gebieten, sie kann
nur warnend den Finger emporheben, wenn sie ein großes
Talent, nicht in ungestümem Jugenddrang, sondern mit vollem
Bewußtsein, an den Abgrund taumeln sieht. K. Fr.
Königliche Oper.
In der Aufführung von Meyerbeers „Hugenotten"
gab am Donnerstag Frl. Frankenbcrg als Gast die Mar
garethe. Die Besetzung dieser Partie wie der ihr nah ver
wandten der Isabelle im Robert bereitet unserer Bühne
immer neue Verlegenheiten. Zwar besitzt Frau HarrierS, die
legitime Inhaberin beider Rollen, alle dafür nur wünschenS-
werthen Eigenschaften, aber das anderweitige Rcpertoir
der Künstlerin hat schon längst eine solche Ausdehnung
gewonnen, daß man auf eine Stellvertreterin bedacht
sein mußte. Seit einer Reihe von Jahren sehen
wir uns daher nach einer Meyerbeerschen Prinzessin um, un
zählige Gastspiele sind zu dem Zweck veranstaltet worden, bis
jetzt ließ sich jedoch keine Sängerin ausfindig machen, die in
Rücksicht auf Gehalt und Umfang der Stimme, Koloratur
fertigkeit und gewandte Darstellung den. anspruchsvollen An
forderungen auch nur einigermaßen genügt hätte. Auch der
neueste Versuch theilte das Schicksal aller früheren. Wir
machten die Bekanntschaft eines, durch falsche Behandlung
oder übermäßige Anstrengung im innersten Kern angetasteten
Organs. Gleich die, ersten Töne konnten aus der völligen
Erschöpfung der Stimme kein Hehl machen und der Eindruck
war ein um so peinlicher, da es der Darstellerin, die sich im
ungleichen Kampfe unter der Wucht der Aufgabe wand und
krümmte, an künstlerischer Einsicht, technischem Geschick, und
theatralischer Routine keineswegs fehlt. Warum man ihr
und dem Publikum daS unerquickliche Experiment nicht lieber
ganz erspart, ist uns unerklärlich, denn über das Unvermögen
der Sängerin, sich mit den erbarmungslosen Dimensionen
unseres Opernhauses zu messen, hätte doch, wie hier die
Dinge standen, die vorangegangene Probe nicht den mindesten
Zweifel lassen müssen.
Am Freitag trat Herr Niemann als Mafaniello in
der Stummen von Ander auf. Zur Charakteristik des
Sängers bot uns die Darstellung kaum irgend welches neue
Material. Durchweg erkannte man wieder eine Künstler
natur, die feurig jeden Stoff ergreift und in übermüthjger
Freude an dem ihr eingeborenen Gestaltungsvermögen keine
Gelegenheit vorbeigehen läßt, dieses voll und kräftig zu bl-
erkennung seines nationalen Rechtes. Die diplomatischen Be-
Ziehungen zur italienischen Reaierung und den freundnachb.tr-
Uchen Verkehr von Staat zu Staat berührt diese freimüthige
Kritik der Ereignisse in einem Nachbarstaate nicht und wir
wollen im Gegentheil hoffen, daß derselbe Mittel und Wege
finden werde, sein Haupt in einer Weise zu voller nationaler
Selbständigkeit wieder zu erheben, welche die ungetheilte Billi
gung des freisinnigen Europa's verdient.
Mrztzland und Polen.
*** St. WeterSburg, 14. Novbr. Die zur Revision
des Zolltarifs und zur Prüfung der betreffenden Vor
schläge eingesetzte Kommission sollte gestern ihre Thätigkeit
beginnen. Wie ich Ihnen schon vor einiger Zeit meldete,
ist Herr v. Nebolsine, früherer Adjunkt des FlnanzmintsterS,
ein Mann, der sich viel mit Handelsstatistik befaßt hat, zum
Präsidenten ernannt; die Kommission in ihrer Zusammen
setzung ist eine befriedigende; der Moskauer Manufakturrath,
welcher seinerseits zwei Mitglieder zu ernennen hat, wird
natürlich Protektionisten senden. Die englische Gesandtschaft
hier hat, wie ich Ihnen schon früher berichtete, ein reiches
Material einaesandt, um sowohl die jetzigen als die neu vor
geschlagenen Tarifposten inS rechte Licht zu setzen, und gehl
die Tendenz namentlich dahin, nachzuweisen, daß man die
Waarenpresse, welche dem Tarif-Entwürfe zur Basis dienten,
viel zu hoch gegriffen, daß also, wenn die vorgeschlagenen
Tarifsätze angenommen werden, die beabsichtigte Hintertreibung
des Schmuggels kaum zu erreichen wäre. Von Seiten Preu
ßens ist hingegen bis jetzt wenig geschehen und cs scheint auch
nicht, daß weiterhin noch Schritte gethan werden sollten, um
manchen für Deutschland besonders ungünstigen Tarifposten
geändert zu sehen. Es hat sich überhaupt hier bei unserer
Zollbehörde eine ganz eigenthümliche Stimmung gegen
Preußen herausgebildet, weil man dieses anklagt, den
Schmuggel an der Grenze zu begünstigen. Als ob Ihre
Regierung irgendwie interessirt oder auch nur berechtigt
wäre, anders zu handeln! Und als ob nicht jeder andere
Staat, wenn er der Nachbar Rußlands auf solch ausgedehn
ter Strecke wäre, eben so wenig in der Lage oder geneigt
wäre, diesem durch unsere Gesetzgebung provozirten, ungesetz
lichen Handel ein Ziel zu setzen. Jener Mißmulh gegen
Preußen manifeftirt sich in ganz eigenthümlicher Weife in
den nachfolgenden Zeilen, welche der soeben in deutscher und
russischer Sprache erschienene „Petersburger Kalender für
1868" in dem vom Vicedirektor des Zolldepartements, Herrn
v. Tbörner zusammengestellten „Tabellen über Rußlands
auswärtigen Handelsverkehr" enthält.
„Am ausgebreitetsten ist der Handelsverkehr Rußlands mit
Großbritannien und Preußen; doch gestalten sich für letzteren
Staat die Verhältnisse noch ungleich vortheilhafrer als für
England. Denn während Großbritannien über die Hälfte der
sämmtlichen russischen Exports bezieht und dagegen im Ein
fuhrhandel Rußlands mit nicht über 33 Prozent vertreten ist,
so beträgt der Antheil Preußens an unserer Einfuhr 25 Proz.,
an Ausfuhr aber nur 14 Prozent. Außerdem umsaht unser
Import aus England, bis zur Hälfte seines GesammtwerthS,
Rohstoffe und Produkte transatlantischer Länder, als Baum
wolle, Kolonialwaaren, Steinkohlen, Wolle, rohe Metalle,
Farbstoffe und dergleichen; Fabrikwaaren werden direkt nur in
geringer Menge aus England eingeführt. So beschränkte sich
z. B. der Import von Webewaaren im Jahre 1865 auf etwas
über 1 Million Rubel. Die Einfuhr dieser Gattung Waaren
unmittelbar aus Großbritannien nimmt fortwährend ab; so ist
beispielsweise der Werth der direkt von England bezogenen
Baumwollenwaaren von 1,510,000 Rubel im Jahre 1861 auf
350,000 Rubel im Jahre 1865 gefallen. Unter den Gegen
ständen der Einfuhr aus diesem Staate nehmen die Maschinen
im Werthe von 4—5 Mill. die Hauptstelle ein, und scheintauch
deren Import eher fallen zu wollen als sich zu steigern. —
Ganz im Gegentheil wächst die Bedeutung Preußens in
unserem Einfuhrhandel immerfort; der Gesammtwerth der
Einfuhr aus diesem Staate hat sich von 26 Mill. im Jatzre^
Fortsetzung im ersten Beiblatt.
thätigen. Solche anregende dramatische Frische und Schlag'
fertigkeit, sonst gerade die allerseltenste unter den Eigenschaften
eines ersten Tenors, hat aber hier zur leidigen Kehrseite eine unver
hohlene Gleichgültigkeit gegen daS spezifisch musikalischeElement.
Es wird uns zugemulhet, nicht allein auf die Schönheit, sondern
selbst auf die allerunenibehrlichste Korrektheit des Vortrages
zu verzichten. Wenige Dinge giebt es, über welche die Ge-^
sangSgelchrten völlig untereinander einig sind, zu den Punkten,
die noch nie in Zweifel gezogen worden, gehört aber die
Reinheit der Intonation. Sie ist die Grundlage aller musi
kalischen Gestaltung, wer sie antastet, versetzt daS Ohr in
einen Nothstand, der jeden wahren künstlerischen Genuß aus
schließt. Auch diesmal instrumentirte der Sänger gleich den
ersten A; stritt so stark, daß im ferneren Verlauf von keiner
weiteren Steigerung die Rede sein konnte. In bcr Barca
role vernahmen wir Töne, die sich jedem ästhetischen Maße
entzogen, ununterbrochen wurde hier der Stimme im Wider
spruch gegen den Charakter der Situation wie der Melodie
der höchste Kraftaufwand abgetrotzt. Als das Beste, waS
wir empfingen, galt uns das Recitativ, daS den vierten Akt
eröffnet und das folgende um einen Ton nach der Tiefe
gerückte Schlummerlied. Sympathische Weichheit beS Klan
ges und milde Innerlichkeit der Auffassung, die jedem senti
mentalen Anflug fern blieb, vereinigten sich hier zu wohl
thuender Harmonie.
Frl. Börner gab die Elvira. Die jugendliche Frische
des Organs und die ansprechende Natürlichkeit deS Aus
drucks fetzten die große, keineswegs leichte Arie in ein recht
gefälliges Licht. Von den eigenwilligen Koloraturen gelan
gen manche über Erwarten gut, das erste Finale wurde da
gegen durch eine naturalistisch zerflossene Skala verunziert.
Unter sämmtlichen Aufführungen der Stummen entsinnen
wir uns keiner, in welcher der Chor auf der Bühne nicht
einen viertel Ton tiefer als der hinter den Kouliffen gesungen
hätte. Könnte diesem Uebelstand nicht endlich abgeholfen
werden?
Wie unsere Bühne vor fünf Jahren nicht ermangelt hat,
dem Gluckschen Orpheus eine würdige Säkularfeier zu ^be
reiten, ebensowig gedenkt sie in diesem Jahr das Jubiläum
der Alceste sang- und klanglos vorübergehen zu lassen. Daß
das Werk, welches zum letzten Male am 19. November 1852
vor uns erschienen, im Rcpertoir sich dauernd behaupten
werde, ist kaum zu erwarten, eS bezeichnet indessen einen zu
wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des musikalischen
DramaS, enthält zu viele Züge von unvergänglicher Schön
heit, um nicht den unabweisbaren Anspruch zu er
beben, an seinem Ehrentag einmal wieder an das
Licht der Lamven zu treten. WaS nun aber daS
Datum des Jubiläums anlangt, so berichtet der fleißige
und gewissenhafte Gluck-Biograph Schmid, die erste Auffüh
rung der A! ceste habe in Wien Samstag, den 16. Dezem*
ber 1767 stattgefunden. Ein Schreib- oder Druckfehler muß.
stch aber in diese Angabe cingeschlichen haben, denn der
16. Dezember jenes Jahres fiel auf einen Mittwoch. In
Folge von neuerdings angestellten Ermittelungen ergiebt sich
nun Anzweiselhaft, daß die Oper Sonnabend, den 26. De»
zember 1767 zum erstenmal in Scene gegangen. —t.