© Hessisches Staatsarchiv Marburg, Best. 340 Grimm Nr. Z 34
Asmus Jakob Carstens
Bon vr. Klaus Groth.
HI.
Nun aber, was hat denn Carstens gemacht? Wo findet sich
etwas von ihm, was man sehen kann, um es mit zu bewundern
und freudig nachzuholen, was der Einzelne doch ohne Schuld
versäumt hat? Im Lande gar nichts. Das Beste ist in Wei
mar, der große Goethe hat dessen Ankauf veranlaßt, vieles in
Kopenhagen. Das Verzeichniß zum Schluß der Brochüre des
Herrn von Alten gibt über manches das Nähere an. Doch
ist es darin nicht vollständig. Es wäre zu wünschen, daß Kun
dige das Fehlende ergänzten. Gewiß finden sich noch in Lübeck
einzelne Portraits von Carstens, die Niemand kennt und die das
Verzeichuiß des Herrn von Alten (108 Nummern stark) ver
größern könnten. Carstens verdient wohl diese Nachforschung.
Vielleicht sind selbst noch in Schleswig-Holstein Arbeiten von
ihm versteckt. Nur Kenner werden sie entdecken, denn sie sind
unscheinbar. Carstens verschmähte jeden Schmuck, selbst meistens
die Farbe.
Einen Theil seiner schönsten Arbeiten sahen wir in Kiel bei
der Eröffnung unserer Kunsthalle im Jahre 1857 vereinigt.
Unter ihnen war dasselbe Thema behandelt wie von Ra hl in
dessen vielbewunderten Wandgemälden, dessen Entwürfe wir im
letzten Winter bei uns ausgestellt sahen: Homer, der den ver
sammelten Griechen seine Gedichte vorträgt. Worin lag denn
das staunenswerth Große, das Epochemachende dieser einfachen
Rothstiftzcichnungen im Vergleich zu Rahl's strahlender Darstel
lung? So fragt mit Recht mancher einsichtige Beschauer, dem
keine weitere kunsthistorische Kenntnisse zu Gebote stehen. Auch
darauf werbe ick ffitimm antworten lassen. Nur sage ich im
Voraus, daß alles, was auch wir von Carstens gesehen, nur
Entwürfe waren, daß Carstens es niemals bis zu einem ferti
gen Gemälde gebracht, daß er niemals ein monumentales Werk
geschaffen, das auch dem Laien in der Kunst seine Größe ver
ständlich und eindringlich gemacht. Und dies ist eben das Trost
lose seiner Zeit, seiner Lage, seiner Verhältnisse, dies ist eine Schuld,
die nicht er zu tragen hat. Er hat darum gekämpft mit Man
gel, mit Neid, mit Verkennung, bis er endlich, eh' er das Ziel
seines Lebens erreicht, das Ziel seines Daseins und Leidens fand.
Er wurde geboren 1754 den 10. Mai und starb, erst 44 Jahr
alt, den 25. Mai 1798 zu Rom an der Schwindsucht.
Ich unternehme es nicht, hier diesen schmerzlichen Lebenslauf
im Einzelnen zu schildern; ich verweise deswegen besonders auf
obige kleine Schrift von F. v. Alten. Ausführlichere Nach
richten gibt, wie schon erwähnt, Fernow, ein treuer Gefährte
der letzten Jahre unseres großen Landsmannes, in einer hübsch
geschriebenen Biographie über ihn. Nur so viel sei vorläufig
mitgetheilt, daß Carstens, nachdem seine Eltern früh gestorben,
von seinen Vormündern als Lehrling in eine Weinhandlung in
Eckernföcde gegeben wurde, wo er es 3 Jahre aushielt. Dann
ging er nach Kopenhagen, später nach Lübeck. Er versuchte nach
Italien zu dringen, mußte aber Mangels halber umkehren.
Dann kam er nach Berlin und fand hier nach Jahren in
dem Minister v. Heinitz einen Protektor. So gelangte er nach
Rom. Doch hatte er noch schmählich zu leiden, bis er die Pro
tektion, die eine Fessel wurde, abschüttelte. Mit stolzem Haupt
ging er einsam seine Wege bis zum Grabe, fast nur Italiener
und Engländer haben ihn bei Lebzeiten anerkannt.
„Kein schmerzlicherer Anblick, sagt Hermann Grimm, als
die Laufbahn eines solchen Schicksals. Man möchte irre werden
an der Vorsehung. Die auf gegenseitiger liebevoller Hülfe be
ruhende menschliche Gesellschaft erscheint dann wie ein trübes
Gewässer, in dessen Tiefe ein Vogel hinabgerissen wurde. Das
Element, das die Fische und das Gewürm da unten belebt,
nimmt ihm den Athem, und bald liegt er todt auf dem Grunde,
während die Fische kalt und theilnahmlos wie zuvor durch ein
ander eilen und ihre Nahrung suchen. Berühmt, aber in seinen
Werken kaum gekannt; ein "deutscher Künstler, aber nichts
empfangend von seinem Vatcrlande, und in Italien von Ita
lienern und Engländern zumeist gewürdigt; ohne Einfluß beinahe
auf die deutsche Kunst seiner Tage, und mit Hohn von den
deutschen Künstlern zurückgewiesen, dennoch von solcher Einwir
kung auf die Entwickelung der europäischen Kunst, daß er heute
schon als der Urheber der Richtung dasteht, deren Werth und
Größe immer deutlicher hervortreten, und die einst alle andern
Anstrengungen heutiger Kunst überragend dastehen wird. Ein
Mann, der, was die Höhe der Begabung und den Reichthum
der Anschauungen anlangt, auf einer Linie mit den allergrößten
Meistern steht. Aber nur Wenigen bin ich bisher begegnet, die
ein deutliches Gefühl von dem Umfange seines Einflusses hatten "